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German Pages 353 [352] Year 2018
Editorial Die Geschlechterverhältnisse in modernen Gesellschaften sind in Bewegung geraten. Hieraus ergibt sich eine Vielzahl von Fragen, z.B. nach Erosionstendenzen und Beharrungskräften traditioneller Geschlechterungleichheiten und Genderregime sowie Neukonfigurationen und Widersprüchen. Die Schriftenreihe zielt darauf ab, theoretischen und empirischen Beiträgen zum Themenfeld Arbeit, Organisation und Geschlecht einen Raum zu geben und Befunde aktueller Forschungsprojekte, Tagungen und Qualifikationsarbeiten aus Soziologie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften und verwandten Disziplinen zur Diskussion zu stellen. Dabei werden sowohl deutsch- als auch englischsprachige Bände veröffentlicht.
Arbeit, Organisation und Geschlecht in Wirtschaft und Gesellschaft herausgegeben von Prof. Dr. Maria Funder, Universität Marburg Prof. Dr. Daniela Rastetter, Universität Hamburg Prof. Dr. Sylvia M. Wilz, FernUniversität Hagen Band 7
Nathalie Amstutz | Helga Eberherr Maria Funder | Roswitha Hofmann [Hrsg.]
Geschlecht als widersprüchliche Institution Neoinstitutionalistische Implikationen zum Gender Cage in Organisationen
Nomos
© Titelbild: 123rf.com
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8487-3494-8 (Print) ISBN 978-3-8452-7852-0 (ePDF)
1. Auflage 2018 © Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018. Gedruckt in Deutschland. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Vorwort
Vor nunmehr acht Jahren fand an einem schönen Sommertag – quasi über den Dächern von Basel – ein erstes Treffen von Forscher_innen statt: Aus der Schweiz Nathalie Amstutz und Regula Spaar (FH Nordwestschweiz/ Olten, Hochschule für Wirtschaft/ Institut für Personalmanagement und Organisation), Steffen Dörhöfer (heute Fachhochschule Nordhausen/ Personalmanagement und Organisation) und Ralph Wetzel (heute Vlerick Business School Brüssel), aus Österreich Roswitha Hofmann (Wirtschaftsuniversität Wien/ Department für Management/ Institut für Gender und Diversität in Organisationen) und aus Deutschland Maria Funder (Philipps-Universität Marburg/ Institut für Soziologie/ Arbeitsbereich „Wirtschaft und Arbeit“). Was sie zusammenbrachte, war das Interesse an der Organisations- und Geschlechterforschung, insbesondere die Suche nach Antworten auf die Frage, ob in Anbetracht des zunehmenden gesellschaftlichen Gleichstellungsdrucks ein Wandel der Geschlechterverhältnisse in modernen Organisationen auszumachen ist. Dass die Theoriearbeit sich auf den Neo-Institutionalismus fokussieren sollte, zeichnete sich schon früh ab, verspricht er doch eine „Rückkehr der Gesellschaft“ in die Organisationsforschung und eine Aufwertung der Relevanz von kulturellen Leitideen und gesellschaftlichen Normen mit Blick auf Organisationen. Wenngleich dieser Anspruch auch als ein Pluspunkt gewertet werden kann, sind seine Schwächen nicht zu übersehen. Eine davon ist die offensichtliche Geschlechterignoranz. Folglich bestand eine der ersten Herausforderungen darin, die Ausblendung der Geschlechterverhältnisse konzeptionell in den Griff zu bekommen. Unterstützt wurde das Team dabei schon bald durch Helga Eberherr und Edeltraud Hanappi-Egger (Wirtschaftsuniversität Wien/ Department für Management/ Institut für Gender und Diversität in Organisationen) sowie Edeltraud Ranftl (Johannes-Kepler-Universität Linz/ Institut für Soziologie/ Abteilung Wirtschaftssoziologie und Organisationssoziologie). Im Rückblick war diese Phase geprägt durch offene, konstruktive und sehr lebendige Diskussionen, die an unterschiedlichen Orten – sowie auch virtuell – erfolgten. So reifte allmählich die Idee, einen Forschungsantrag zu schreiben und ihn als D-A-CH-Antrag einzureichen. Fast zwei Jahre nach dem ersten Treffen war es soweit und ein weiteres Jahr später wurde der Antrag bewilligt. Wir möchten uns
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Vorwort
daher an dieser Stelle bei unseren Drittmittelgeberinnen – der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Schweizerischen Nationalfonds und dem Wissenschaftsfonds Österreich – für die Unterstützung bedanken, denn ohne eine materielle Förderung kann letztendlich keine Forscher_innengruppe ihre Ideen umsetzen. Zu unserem Team gehörten ab diesem Zeitpunkt auch Ortrun Brand, Melanie Nussbaumer, Hanna Vöhringer und Kristina Walden, die maßgeblich an der Weiterentwicklung des theoretischen Forschungsdesigns und der empirischen Umsetzung mitgewirkt und viel zum Gelingen des Projektes beigetragen haben. Ebenfalls danken möchten wir Regine Bendl, die ab Herbst 2015 als neue Leiterin des Instituts für Gender und Diversität in Organisationen an der WU die Rolle von Edeltraud Hanappi-Egger übernahm sowie Anett Herrmann, die temporär das österreichische Team unterstützte. Das D-A-CH Projekt „Gender Cage – Revisited: Zur Rekonfiguration von Geschlechterdifferenzierungen in Organisationen postmoderner Gesellschaften“ (Laufzeit 2013-2017) zielte von Beginn an darauf ab, die in Organisationen vorherrschenden Geschlechterarrangements – Wandlungsund Beharrungsprozesse von Geschlechterungleichheiten – aus einer neoinstitutionalistischen Perspektive zu untersuchen. Im Fokus stehen sollte die Rolle der Organisation als zentraler Verarbeitungsort von organisationsexternen und -internen Gleichstellungserwartungen. Soweit die Idee, was dann folgte ist allen bekannt, die forschend tätig sind. So haben auch wir die Höhen und Tiefen des Forschungsalltags durchlebt und versucht, die Mühen der Ebene zu durchschreiten. Nicht einfach war es, For- und Non-Profit-Organisationen zu finden, die bereit waren, uns ihre Türen zu öffnen. Ausdrücklich bedanken möchten wir uns daher bei den Organisationen, die uns die Möglichkeit gegeben haben, nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ zu forschen. Danken möchten wir somit all den Mitarbeiter_innen dieser Organisationen, die uns so engagiert unterstützt haben und bereit waren, uns Einblick in ihren Arbeitsalltag zu gewähren. Wir danken unseren Kolleg_innen für wertvolle Diskussionen und Rückmeldungen zu Buchkapiteln, namentlich Sabine Künzi und Martina Zölch. Herzlich gedankt sei auch Ina Drescher-Bonny, die uns vor allem in der Antragsphase unterstützt hat, sowie allen studentischen Hilfskräften, die im Projekt mitgearbeitet haben. Zu nennen sind Regine Bosch, Zuhal Demir, Kerim Hanafi, Melanie Räber, Sina Saafi, Maite Lezama Valdes und Franziska Zirker. Last but not least bedanken wir uns sehr herzlich bei Regine Bürger, die mit großer Geduld und ebenso viel Sorgfalt aus dem Buchmanuskript eine 6
Vorwort
druckreife Vorlage gemacht hat. Unser Dank gilt selbstverständlich auch dem Nomos Verlag – namentlich Eva Lang für die technische Umsetzung sowie Sandra Frey, die das Vorhaben von Beginn an engagiert unterstützt hat. Am Ende dieses intensiven Forschungsprozesses steht nun dieses Buch. Es will einen Beitrag zur immer noch aktuellen Debatte über Persistenz und Wandel der Geschlechterverhältnisse in Organisationen leisten. Marburg, Olten und Wien, im Mai 2018
Nathalie Amstutz, Helga Eberherr, Maria Funder und Roswitha Hofmann
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Inhalt
I Einführung Zwischen Beharrung und Transformation: Neo-institutionalistische Reflexionen zum Gender Cage in Organisationen
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Nathalie Amstutz/ Helga Eberherr/ Maria Funder/ Roswitha Hofmann Teil II Gender Cage: Theoretische Explorationen 1
Geschlecht als Institution: polymorph und widersprüchlich
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Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann 2
Körper: Ein Verhandlungsort organisationaler Institutionalisierungsprozesse
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Roswitha Hofmann/ Ortrun Brand 3
Soziale Agency: Arbeit an der (De-)Institutionalisierung von Geschlecht
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Nathalie Amstutz/ Melanie Nussbaumer/ Ortrun Brand 4
Isomorphie: Machtvolle Angleichungsprozesse bei der Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen
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Nathalie Amstutz/ Hanna Vöhringer 5
Gendered Fields
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Ortrun Brand/ Helga Eberherr 6
Kopplungs- und Entkopplungsprozesse: Reflexionen zur organisationalen Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen
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Hanna Vöhringer/ Helga Eberherr
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Inhalt
Teil III Fallstudien zum Umgang mit Gleichstellungserwartungen – Empirische Befunde zu For-Profit und Non-Profit-Organisationen 7
Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen: Organisationale Wahrnehmungen, Verarbeitungsfelder und -formen
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Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann/ Melanie Nussbaumer/ Hanna Vöhringer 8
ALPHA – Die Umweltorganisation (CH) mit dem Vorbildanspruch
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Hanna Vöhringer 9
BETA – Das Beratungsunternehmen (CH): Implementierte Gleichstellungspolitik mit widersprüchlichen Folgen
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Melanie Nussbaumer 10 GAMMA – Das Industrieunternehmen (D): Geschlechtergleichstellung im Widerspruch zu heteronormativ geprägter Leistungsnorm
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Roswitha Hofmann 11 Varianten des Gender Cage: Eine vergleichende Analyse
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Helga Eberherr/ Maria Funder IV Resümee Neo-Institutionalismus und geschlechterorientierte Organisationsforschung – Befunde und Plädoyer für einen weiterführenden Dialog
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Maria Funder Anhang
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Die Autorinnen
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I Einführung
Zwischen Beharrung und Transformation: Neoinstitutionalistische Reflexionen zum Gender Cage in Organisationen Nathalie Amstutz/ Helga Eberherr/ Maria Funder/ Roswitha Hofmann
Der Anspruch auf Gleichbehandlung und Geschlechtergleichstellung stellt – zumindest zeigt dies ein flüchtiger Blick auf die rechtliche Ebene1 – in modernen Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit dar. Gleichwohl gibt es nach wie vor Geschlechterungleichheiten – und weiterhin bestehenden Handlungsbedarf2 – in Organisationen, die sich etwa im anhaltenden ‚Gender Pay Gap‘ sowie in der Beharrungskraft von ‚Glass Walls‘ und dem ‚Glass Ceiling‘ Phänomen3 widerspiegeln. Strittig ist allerdings, ob weitere rechtliche Regelungen, z.B. Quoten, zielführend sind. So besteht über die Angemessenheit und den Verpflichtungscharakter von Maßnahmen zur Gleichstellung aktuell kein Konsens, vielmehr sind die Positionen 1 Gleichbehandlung gilt heute als ein anerkanntes Ziel globaler Politikkonzepte einschlägiger Organisationen, wie z.B. der International Labor Organization (ILO), der zudem attestiert wird, recht erfolgreich zu sein (vgl. u.a. Hericks/ Wobbe 2017). Blickt man auf die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland und Österreich, aber auch in der Schweiz, hat sich diese in den letzten 10 Jahren, u.a. aufgrund der Rechtsentwicklung im Rahmen der Europäischen Union, zweifelsohne weiterentwickelt (vgl. u.a. Naguib et al. 2016; Holzleithner 2017). Die Einbindung der Staaten in nationale und internationale Verpflichtungen des Diskriminierungsschutzes sowie deren Durchsetzung fördert diese Entwicklungen und folglich auch die damit verbundenen politischen Gleichstellungsprogramme und -maßnahmen. Nationale sowie internationale Reports geben zudem mittlerweile regelmäßig Auskunft über den Stand und den Handlungsbedarf bezüglich Rechtslage und Umsetzung. 2 Die Vorstellung der unmittelbar und selbstverständlich bevorstehenden Einlösung des modernen Versprechens der Gleichbehandlung und Gleichstellung wird in zahlreichen Studien bislang noch immer in eine weit entfernte Zukunft verortet; so hält z.B. das WEF im Global Gender Gap Report fest: „Die Gleichstellung von Frau und Mann dürfte noch 170 Jahre dauern“ (WEF 2016). Zur nationalen Berichterstattung der Gleichstellungspolitiken siehe die Reports des CEDAWS (vgl. u.a. CEDAWS 2016): http://www.un.org/womenwatch/daw/cedaw/committee.htm 3 Gemeint sind hiermit die horizontale und vertikale geschlechtliche Segregation im Erwerbsleben.
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äußerst disparat und vielfach unvereinbar. Während auf der einen Seite stark bezweifelt wird, dass Gleichstellung mittels ‚freiwilliger‘ Selbstverpflichtungen von Organisationen zu erreichen ist, wird auf der anderen Seite davon ausgegangen, dass Gleichstellungspolitik – insbesondere Gender Mainstreaming – heutzutage nicht mehr notwendig sei und sogar zu einer Benachteiligung von Männern führe. Zudem haben Biologismen eine Renaissance erfahren. Der Unterschied zwischen Frauen und Männern sei nun einmal ‚naturgegeben‘, so der Tenor. Dieser Diskurs läuft nicht nur auf ein Wiedererstarken der Geschlechterdichotomie hinaus, sondern markiert auch eine generelle Infragestellung der Legitimität von Gleichbehandlung. Darüber hinaus haben Anti-Genderismus-Diskurse vor allem in den öffentlichen Medien eine recht große Aufmerksamkeit erfahren, die sich ganz grundsätzlich gegen jedwede Form von Gleichstellungspolitik, einschließlich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Geschlecht im Rahmen von Gender Studies, aussprechen (vgl. u.a. Hark/ Villa 2015; Lenz 2017; Paternotte/ Kuhar 2017). Gleichzeitig eröffnen – was oberflächlich betrachtet erst einmal paradox erscheint – neueste rechtliche und gesellschaftspolitische Debatten zu Intersex als ‚drittem Geschlecht‘ oder ‚gleichgeschlechtlicher Partner_innenschaft und Elternschaft‘ und die damit verknüpfte Frage nach der Absicherung der Menschenrechte für nicht-binäre Geschlechteridentitäten und Lebensweisen den Blick auf die Ausdifferenzierung von Geschlecht jenseits einer dichotomen Betrachtung. Die Virulenz dieser widersprüchlichen Diskurse, in denen oftmals recht unvereinbare Positionen aufeinandertreffen, ist nicht zu übersehen. Sie entzündete sich – wie auch schon frühere Debatten – an der Infragestellung bzw. Durchkreuzung der Strukturkategorie Geschlecht als klassische Differenz von Frauen und Männern (vgl. u.a. Lautmann 2015; Lenz 2017). Dabei wird einmal mehr deutlich, dass es in diesem politischen Aushandlungsprozess nicht nur um die Definitionsmacht über Geschlechteridentitäten, sondern auch um die Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse und die damit verbundene Form der Gesellschaftsordnung geht. Dies zu entschlüsseln ist jedoch nicht einfacher geworden, denn es zeichnet sich seit einigen Jahren eine verwirrende Vielfalt konträrer Entwicklungen ab. Zu beobachten sind zum einen Prozesse eines ‚Degendering‘, die die patriarchale, dualistische Geschlechterkultur und Geschlechterungleichheiten grundlegend ins Wanken bringen. Zum anderen ist aber auch das bereits von Angelika Wetterer (2003) diagnostizierte Phänomen der „rhetorischen Modernisierung“ von Geschlechterverhältnissen noch längst nicht ver14
Zwischen Beharrung und Transformation: Neo-institutionalistische Reflexionen
schwunden; ebenso wenig sind gesellschaftspolitische Rückschritte in Sachen Gleichstellung (Prozesse der Re-Traditionalisierung) ausgeschlossen. Diese Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Entwicklungen stellt auch die Geschlechterforschung vor neue Herausforderungen. Allerdings halten nach wie vor etliche Geschlechterforscher_innen daran fest, dass in kapitalistischen Gesellschaften Geschlecht als eine omnipräsente und -relevante, Ungleichheit generierende Strukturkategorie zu begreifen ist, die sich nicht so ohne weiteres auflösen wird. Denn solange die Haus- und Sorgearbeit primär Frauen zugedacht und von diesen übernommen wird, kommt es auch zu einer Reproduktion der Geschlechterhierarchie, deren Ursache in der geschlechtlichen Arbeitsteilung (vgl. u.a. Federici 2012; Aulenbacher 2014)4 und ihrer heteronormativen Prägung zu suchen ist. Dabei wird die Geschlechterdifferenz generell als hierarchiegenerierend betrachtet; zumindest aber ist sie – wie Lenz (2017) hervorhebt – als hierarchielegitimierend anzusehen. Demgegenüber ist mittlerweile eine Vielzahl von Positionen auszumachen, die nicht nur auf die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz aktueller Entwicklungen der Geschlechterverhältnisse – wie insbesondere die Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel im Sinne von dynamischen, höchst „beweglichen Geschlechterarrangements“ (vgl. Kirschenbauer 2015) – verweist, sondern auch die Möglichkeit eines „Geschlechter-Vergessens“ (vgl. Hirschauer 2013) nicht ausschließt. Hier ist nun nicht der Ort, diesen (auch theoretisch) stark differierenden Auffassungen auf den Grund zu gehen. Dennoch gilt es Position zu beziehen: Wir stimmen mit aktuellen Strömungen in der Geschlechterforschung überein, die im Geschlecht sowohl eine Struktur- wie auch Prozesskategorie sehen, die keineswegs immer und überall manifest werden muss, gleichwohl aber latent bleibt und dementsprechend jederzeit Wirkungsmacht entfalten kann. Demnach ist für uns die Frage nach der Wirkungsmacht der Geschlechterdichotomie und den Folgen und Entstehungsbedingungen von Geschlechterdifferenzierungen noch längst nicht überholt. Allerdings erfordert die Suche nach Antworten komplexe theoretische Erklärungskonzepte, die in der Lage sind, die Vielschichtigkeit, Ambivalenz und Widersprüchlichkeit der aktuellen Persistenz und gleichzeitigen Transformation der Geschlechterdifferenz und Geschlechterhierarchie ein-
4 Siehe hierzu auch die Positionen des materialistischen Feminismus (vgl. u.a. PROKLA 2014).
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Nathalie Amstutz/ Helga Eberherr/ Maria Funder/ Roswitha Hofmann
zufangen. Daher wird in der Geschlechterforschung folgerichtig verstärkt über eine Zusammenführung von bislang getrennten theoretischen Erklärungskonzepten und Sichtweisen von Geschlecht nachgedacht, insbesondere über Verknüpfungen zwischen sozial- und diskurstheoretischen mit strukturtheoretischen Ansätzen, was eine intensive Reflexion des Wirkungsgeflechts von Geschlecht und Gesellschaft sowie vor allem auch von Mehr-Ebenen-Konzepten impliziert (vgl. u.a. Funder/ Walden 2017; Müller 2017). Dass in diesem Kontext nicht mehr nur die Relevanz der Mikro- und Makro-Ebene, sondern auch die Meso-Ebene, insbesondere die Wirkungsmacht von Organisationen, wieder auf die Agenda rücken muss, liegt auf der Hand. Organisation und Geschlecht – Bekanntes, Unbekanntes und neue Fragen Die Erkenntnis, dass Organisationen im Hinblick auf die (Re-)Produktion von Geschlechterungleichheiten eine gewichtige Rolle spielen, ist nicht gerade neu. Zur Systematisierung der geschlechterorientierten Organisationsforschung eignet sich z.B. der Vorschlag von Calás, Smircich und Holvino (2014), die, wenngleich dies auch etwas holzschnittartig bleibt, zwischen zwei Strömungen unterscheiden: „Gender in Organizations“ versus „Gendering Organizations“.5 Ein Beispiel für die erste Position stellt die frühe Sichtweise von Rosabeth Moss Kanter dar (vgl. Kanter 1977). Sie ging, in Anlehnung an Max Webers Verständnis von Organisation (als zweckrational, hierarchisch, sachlich-formal und unpersönlich) davon aus, dass Geschlechterhierarchien nicht in erster Linie der Organisation anzulasten sind, sondern auf Machtdifferenzen zwischen den Geschlechtern zurückzuführen sind. D.h. solange Frauen in der Minderheit sind („token women“) und Prozesse eines „Tokenism“ 6 stattfinden, wird „weibliche Geschlechtszugehörigkeit als negative Differenz konstruiert“ (Müller
5 Eine vergleichbare Systematisierung findet sich u.a. auch bei Funder: Während Organisationen lange Zeit entweder als im Kern geschlechtsneutral oder durch und durch vergeschlechtlicht beschrieben wurden, haben – so die Beobachtung – spätestens in den 1990er Jahre Konzepte an Einfluss gewonnen, die die widersprüchliche Parallelität von Beharrungs- und Wandlungsprozesse betonen (vgl. Funder 2014, 2017b; hierzu auch Ranftl 2014). 6 Solange Frauen einen Minoritätenstatus aufweisen, sind ihre Chancen, Macht auszuüben und hierarchisch höhere Positionen zu besetzen, Kanter zufolge, gering. Das hat Gründe, die z.B. auf die Spaltung zwischen Minderheit und Mehrheit („pola-
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1999: 55). Die Kritik an Kanters Erklärungsansatz hat gezeigt, dass die organisationale Geschlechtersegregation nicht allein der vorherrschenden Geschlechterkonstellation (Majoritäts- bzw. Minoritätsstatus einer Genusgruppe) angelastet werden kann, es also nicht nur der Überwindung einer „kritischen Masse“ (etwa 30-40 Prozent) bedarf. Vielmehr – so die andere Strömung – sind Organisationen keineswegs durchweg geschlechtsneutral konzipiert, sondern im Kern vergeschlechtlicht. Große Prominenz kommt hier Ackers Konzept der „Gendered Organization“ zu (vgl. Acker 1990, 1992, 2012). Den Ausgangspunkt bildet die gesellschaftlich vorherrschende Geschlechterungleichheit, die auch in Organisationen zu finden ist, wobei ein widersprüchlicher wechselseitiger Wirkungszusammenhang angenommen wird. So stellen Organisationen nicht nur selbst Orte vergeschlechtlichter Strukturen und Prozesse dar, sondern tragen nach Acker als gesellschaftliche Institutionen ebenfalls in hohem Maße zur Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Geschlechterungleichheit bei. Allerdings sind Geschlechterungleichheiten in Organisationen nicht immer offensichtlich. Organisationale Strukturen und Prozesse, Rollen und Leitbilder erweisen sich zwar auf den ersten Blick als geschlechtsindifferent bzw. geschlechtslos, auf den zweiten Blick wird jedoch offensichtlich, dass es vergeschlechtlichte Substrukturen (‚gendered substructures‘) gibt, die durch den abstrakten und objektiv versachlichten Charakter von Organisationsstrukturen verdeckt werden. Sie tragen dazu bei, dass in der alltäglichen sozialen Praxis Geschlechterungleichheiten nicht nur unkenntlich gemacht, sondern auch permanent (re-)produziert werden.7 Ihre Schlussfolgerung lautet daher: Die Strukturen und Praktiken von Organisationen
rization“) zurückzuführen sind und dem Bestreben, diese Gruppenstrukturen durch Prozesse ‚homosozialer Schließung’ zu festigen, indem z.B. bei Beförderungen Männer mit ähnlichen Erfahrungshintergründen und einer vergleichbaren sozialen Herkunft präferiert und Frauen aus karriereförderlichen informellen Netzwerken ausgegrenzt werden (vgl. Kanter 1977). Gelingt es ihnen dennoch Führungspositionen zu besetzen, werden sie zu „token women“ und sind dann, aufgrund ihrer höheren Sichtbarkeit („visibility“), nicht nur einem starken Leistungsdruck ausgesetzt, sondern sehen sich auch mit Geschlechterstereotypen konfrontiert, denen sie nur schwer gerecht werden können, denn ein ‚Zuviel‘ an ‚Weiblichkeit‘ gilt als ebenso problematisch wie ein ‚Zuwenig‘ (vgl. Funder 2011: 175). 7 Acker nennt vier Ebenen, auf denen jeweils spezifische Prozesse der Vergeschlechtlichung erfolgen: Erstens die Ebene der Arbeitsorganisation (geschlechtsspezifische Arbeitsteilung), zweitens die symbolische Ebene (Bilder, Sprache etc.), drittens die Interaktionsebene sowie viertens die Subjektebene (Selbstrepräsentation von Frauen und Männern). Sie bezeichnet diese vier Ebenen als „different points of entry to
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sind auf allen Ebenen durch Prozesse eines ‚gendering‘ geprägt.8 Mit dem Erklärungsmodell der „Gendered Organization“ ist es Acker zweifelsohne gelungen, das Interesse auf die Relevanz vergeschlechtlichter Substrukturen in Organisationen zu lenken, wenngleich ihre These von der Omnirelevanz und zugleich Omnipräsenz von Geschlecht auch zurecht kritisch hinterfragt wurde. So ergeben weitere empirische Studien, dass das Konzept zu stark generalisiert, denn die Geschlechterdifferenz erweist sich keineswegs in allen Prozessen, Praktiken und Strukturen von Organisationen als wirkmächtig (vgl. u.a. Wharton 2002; Hofbauer/ Holtgrewe 2009; Wilz 2013; Ranftl 2014). Dem ist hinzuzufügen, dass Geschlecht – so die aktuelle Intersektionalitätsdebatte – mit anderen Differenzdimensionen, wie soziale Klasse und Ethnizität, zusammenwirkt. Dessen ungeachtet lieferte ihre Sicht auf Organisation und Geschlecht vielfältige Impulse. Für die Bestimmung des Ortes der Vergeschlechtlichung in Organisationen entwickelte z.B. Connell (2006) das Modell des „Organizational Gender Regimes“.9 Weiterführend ist Connells Erklärungsmodell insbesondere im Hinblick auf die Präzisierung der dichotomen Geschlechterdifferenz als
gendered processes“ (Acker 1990) und betont damit die Prozesshaftigkeit der Vergeschlechtlichung von und in Organisationen. 8 Dabei kommt der Orientierung von Organisationen am Modell der männlichen Normalarbeitskraft, die als a-sexuell, kühl, sachlich und rational agierend charakterisiert wird, eine zentrale Bedeutung als Bewertungsmaßstab zu. Frauen wird demgegenüber generell zugeschrieben, emotional, unberechenbar und familienorientiert zu sein und folglich nicht dem Idealmodell einer Arbeitskraft zu entsprechen, was nicht nur ihre Karrierechancen verringert, sondern auch generell zur Reproduktion von Geschlechterungleichheiten in Organisationen beiträgt. 9 Dieses Modell definiert sie über vier Perspektiven: Erstens die geschlechtliche Arbeitsteilung, welche die gesamte Arbeitsorganisation einbezieht, inklusive die Ausgestaltung von Stellen und die Trennung von bezahlter und unbezahlter Arbeit entlang der Geschlechterdifferenz. Zweitens geschlechterbezogene Machtbeziehungen, die sich anhand der Organisation von Kontrolle und Autorität ablesen lassen. Hierzu gehören Hierarchien, rechtmäßige Macht sowie kollektive und individuelle Gewalt. Drittens die Bedeutung der Geschlechterdifferenz in der Ausprägung von Emotionen und zwischenmenschlichen Beziehungen, d.h. Gefühle der Solidarität, Vorurteile und Ablehnungen sowie sexuelle Attraktion und Zurückweisung. Viertens „Gender Culture“ und Symbolismus, mit dem die Formung von Geschlechteridentitäten bezeichnet wird, einschließlich der dazugehörigen Erwartungen und Haltungen (vgl. Connell 2006: 839). Gerade der letzte Punkt ermöglicht es einmal mehr, die Geschlechterdifferenz nicht nur als soziales, außerorganisationales Ordnungsprinzip zu verstehen, das sich in der Organisation fortsetzt, sondern gleichzeitig als organisationales Ergebnis zu deuten.
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heteronormative Ordnung (vgl. u.a. Bendl 2008; Hofmann 2017). Connell kommt in ihren empirischen Beobachtungen zu dem Schluss, dass Organisationen diese heteronormative Ordnung unterschiedlich bedienen und gestalten. Dadurch prägen sich Vorstellungen von „Männlichkeit(en)“ und „Weiblichkeit(en)“ in Organisationen auch unterschiedlich aus und können zudem Wandlungsprozesse erfahren (so z.B. von einer „paternalistischen Männlichkeit“ zur „Transnational Business Masculinity“). In den letzten Jahren wurde der Kontextabhängigkeit von Vergeschlechtlichungsprozessen und deren organisationalen Implikationen sowie der Gleichzeitigkeit von Beharrung und Wandel tradierter geschlechterdifferenzierender Handlungs- und Strukturmuster in Organisationen verstärkt Rechnung getragen (vgl. u.a. Czarniawska/ Höpfl 2002; Wetterer 2007; Gherardi 2009; Eberherr/ Hanappi-Egger 2016). Als gewichtig haben sich – wie schon angedeutet – zudem Weiterentwicklungen herauskristallisiert, die globalen und transnationalen Prozessen Rechnung tragen und eine Verknüpfung mit Intersektionalitätsdiskursen suchen. In Anbetracht dieser Entwicklungen ist also nicht mehr zu übersehen, dass sich die geschlechterorientierte Organisationsforschung bzw. organisationsorientierte Geschlechterforschung zu einem breitgefächerten und dynamischen Forschungsfeld entwickelt hat (vgl. u.a. Calás/ Smircich/ Holvino 2014; Müller/ Riegraf/ Wilz 2013; Funder 2014, 2017a). Kann daher – diese Frage drängt sich in Anbetracht der Vielzahl von Forschungsarbeiten und Erkenntnissen zum Thema Organisation und Geschlecht auf – mittlerweile auf weitere Studien verzichtet werden? Wissen wir nicht bereits (fast) alles, was es zum Zusammenhang von Organisation und Geschlecht zu sagen gibt? Welchen Erkenntnisgewinn können weitere Organisationsanalysen überhaupt noch liefern? Spätestens an dieser Stelle sollte nicht ausgeblendet werden, dass die organisationsorientierte Geschlechterforschung – und damit auch bereits vorliegende Erklärungsansätze und Erkenntnisse zu Organisation und Geschlecht – nach wie vor vielfach nur partiell zur Kenntnis genommen wird. Mithin haben Sichtweisen an Aufmerksamkeit erfahren, die weit davon entfernt sind, Organisationen als vergeschlechtlicht wahrzunehmen oder gar als einen Ort, an dem Geschlecht eine Rolle spielt und Geschlechterdifferenzierungen (re)produziert werden. Chancengleichheit, so die Argumentation, wird nicht von Organisationen beschnitten. Stattdessen sind die Ursachen organisationaler Geschlechterdifferenzen außerhalb von Organisationen zu suchen, insbesondere in individuellen Entscheidungen von Frauen, also persönlichen Karriereambitionen, Arbeitszeit- und 19
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Beschäftigungspräferenzen, die so, aber auch anders ausfallen könnten. Organisationen sind folglich nicht der eigentliche Ort, an dem Geschlechterungleichheiten entstehen. Entscheidend hierfür sind vielmehr individuelle Interessen und Präferenzen sowie die geschlechtliche Arbeitsteilung in der privaten Lebenswelt, vor allem ob „Kinder im Spiel“ sind und Sorgearbeit zu leisten ist. Stefan Hirschauer bringt diese Position auf den Punkt: „Arbeitsorganisationen sind kinderfeindlich, aber nicht frauenfeindlich“ (Hirschauer 2016). Der Kern- und Angelpunkt in dieser Argumentation ist nicht die Organisation, sondern die Inkompatibilität zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit und die Zuständigkeiten für Haus- und Sorgearbeit. Dass diese bis heute immer noch in erster Linie von Frauen geleistet wird, ist – so diese Sicht – nicht der Organisation anzulasten. Demnach sind Organisationen auch nicht für erwerbsbiografische Entscheidungen (für oder gegen Teilzeitarbeit und den Verzicht auf Karriere) verantwortlich zu machen. Die Hartnäckigkeit patriarchaler Strukturen sei vielmehr ein Resultat „normativer Komplizenschaft“ und eines „stillschweigenden Akzeptierens“ der vorherrschenden Ungleichheit (vgl. u.a. Koppetsch/ Speck 2015: 21). Mit anderen Worten, die Abkehr von der traditionellen geschlechtlichen Arbeitsteilung ist noch längst nicht so weit fortgeschritten wie in Anbetracht der hohen Zustimmungswerte zu egalitären Rollenmustern10 vermutet werden könnte. Selbst sich als egalitär ver-
10 In Westdeutschland stieg die Zustimmung zu egalitären Rolleneinstellungen im Unterschied zu Ostdeutschland besonders deutlich an: 1982 lag die Akzeptanz von egalitären Rollenverteilungen bei 32 Prozent, 2012 hingegen schon bei 76 Prozent (vgl. Blohm/ Lange 2016: 428). So haben egalitäre Einstellungen in Paarbeziehungen zunehmend an Akzeptanz gewonnen und der Wunsch nach partnerschaftlichen Arrangements in Paarbeziehungen ist – vor allem bei jüngeren Menschen – recht ausgeprägt (vgl. u.a. ebd.; Allmendinger/ Haarbrücker 2013). Machtungleichgewichte werden insbesondere von Paaren, die sich an einem eher egalitären Geschlechtsrollenverständnis orientieren, sogar sehr deutlich abgelehnt (vgl. u.a. Koppetsch/ Speck 2015: 237). Werden Machtungleichgewichte abgelehnt, so bedeutet das jedoch nicht, dass auch die Lebensvorstellungen, die jeweiligen Rollen bzgl. Ausbildung, beruflicher Entwicklung oder Familie sich annähern. Nach wie vor scheinen hier stark geschlechtertypisierende und geschlechterkomplementäre Vorstellungen und Planungen bezüglich Erwerbs- und Familienarbeit zu bestehen (vgl. u.a. Schwiter et al. 2014; Amstutz 2014). Ein Blick auf die Befunde der letzten Zeitbudgeterhebung in den drei Ländern Deutschland, Schweiz und Österreich zur Verteilung von Haus- und Sorgearbeit macht das ebenfalls mehr als deutlich (vgl. u.a. Kott/ Kühnen/ Maier 2016; Budowski/ Knobloch/ Nollert 2016).
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stehende heterosexuelle Paare11 sind vor einem Rückfall in klassische Rollenmuster – spätestens mit der Geburt von Kindern – nicht gefeit, was Koppetsch und Speck zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass die „Barrieren, die einer Veränderung von Rollen entgegenstehen, im Privaten größer sind als in den öffentlichen, konkurrenzbestimmten Lebensbereichen“ (ebd.: 240). Was sich demnach verändern muss, so das Fazit der Autorinnen, ist die private Sphäre mit ihren traditionellen Rollenbildern und den altbekannten Mustern einer geschlechtlichen Arbeitsteilung. Dass ein Abbau der geschlechtlichen Arbeitsteilung ein unverzichtbarer Aspekt von Transformationsprozessen in den Geschlechterverhältnissen ist, steht auch für uns außer Frage. Damit allein ist es aber nicht getan. So erstaunt die in den aktuellen Debatten auszumachende Ausblendung von Organisationen, die unseres Erachtens nach wie vor gewichtige Arenen eines ‚doing gender‘ sind. Stattdessen werden Organisationen, wie erwähnt, neuerdings weitgehend als Orte wahrgenommen, die in Sachen Geschlechtergleichstellung auf einem ‚guten Weg‘ sind. Das Problem wird in erster Linie in der privaten Lebenswelt gesehen, in der sich klassische Geschlechtermodelle noch immer permanent reproduzieren, während in (vor allem privatwirtschaftlichen) Organisationen Gleichstellung eigentlich nur noch eine Frage der Zeit sei (vgl. u.a. ebd.: 242; Hirschauer 2016). Was sich hier aus unserer Sicht abzeichnet ist näher besehen ein Organisationstabu, denn die Botschaft lautet: ein Nachdenken über die (spät)moderne Organisation als Ort oder gar Mit-Verursacherin von Geschlechterdifferenzierungen erübrigt sich, da sie im Kern geschlechtsindifferent sei. Im Grunde werden Organisationen so vor als nicht zumutbar geltenden Gleichstellungserwartungen und entsprechenden strukturellen Umsetzungsanforderungen ‚geschützt‘ bzw. von der Übernahme ihrer gesellschaftlichen Verantwortung enthoben. Dies gelingt über das Ignorieren des längst bekannten wechselseitigen Wirkungszusammenhangs von privater und erwerbswirtschaftlicher Arbeits- und Lebenswelt wie auch der Ausdifferenzierung von Geschlechteridentitäten und Lebensweisen. Dies muss als gesellschaftspolitischer Rückschritt – auch mit Blick auf die Theoriebildung – gewertet werden und zeigt, wie umkämpft die Gleichstellung der Geschlechter, trotz vieler Errungenschaften, aktuell immer noch ist. 11 Gleichgeschlechtliche und nicht-binäre Partner_innenschaften haben hier aufgrund fehlender oder abgelehnter Rollenvorstellungen oft andere Spielräume als heterosexuelle Paare.
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Organization matter Der skizzierte Backlash trägt dazu bei, dass sich schon längst ad acta gelegte Fragen wieder mit neuer Dringlichkeit stellen und eine Suche nach Antworten notwendig macht, das gilt auch für geschlechterorientierte Organisationsanalysen. Wir gehen davon aus, dass Organisationen immer noch „die mächtigsten Akteure und Sprecher der Moderne“ (Ortmann 2015: 319) sind und ihre Analyse daher geradezu unverzichtbar ist, wenn es um die Entschlüsselung der Geschlechterverhältnisse geht. Genau hier setzt unsere Studie an, die den Ursachen und Erscheinungsformen von Beharrungs- und Transformationsprozessen, wie insbesondere der widersprüchlichen Parallelität von Persistenz und Wandel, im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse in (spät)modernen Organisationen nachgegangen ist. Im Rahmen unseres D-A-CH-Projektes – „Gender Cage – revisited: Zur Rekonfiguration von Geschlechterdifferenzierungen in Organisationen postmoderner Gesellschaften“12 – ging es vor allem darum, anhand von For-Profit- und Non-Profit-Organisationen zu untersuchen, wie Organisationen mit gesellschaftlichen Erwartungen und damit einhergehenden Anforderungen umgehen; in unserem Fall handelt es sich hierbei um das für moderne Gesellschaften typische Leitbild der „Gleichberechtigung“. Im Zentrum unseres Interesses stand die Rolle der Organisation als zentraler Verarbeitungsort von organisationsexternen und -internen Gleichstellungserwartungen. So richtete sich der Blick z.B. darauf, genauer zu ergründen, was aus den aktuellen Entwicklungen in Richtung eines Diversity Managements, dem sich offenbar kaum noch ein Unternehmen ab einer bestimmten Größe und mit einer internationalen Präsenz entziehen kann ohne rückständig zu wirken, folgt. Genaues Hinsehen auf aktuelle Transformationsprozesse, erst recht wenn sie den Anspruch erheben, Gleichstellungsziele zu verfolgen, war also das Ziel. Angenommen wurde, dass es Beharrungs- und Wandlungsprozesse gibt und im Grunde jede Neukonfiguration der Geschlechterverhältnisse nicht nur die Chance einer Erosion von Ungleichheiten und eine Abkehr von traditionellen Rollenbildern bietet, sondern immer auch das Risiko der Verankerung neuer, subtiler Formen der Geschlechterdifferenzierung mit sich bringt. Das schließt sogar
12 Hierbei handelt es sich um ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Schweizerischen Nationalfonds und dem Wissenschaftsfonds Österreich gefördertes D-A-CH Projekt (Laufzeit 2013-2017); nähere Angaben zum Projekt und Forschungsteam siehe das Vorwort dieses Buches.
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eine – ganz im Sinne von Deleuze (2010) – von den Subjekten selbst angestrebte Konservierung von Asymmetrien nicht aus, wie etwa eine ReTraditionalisierung bzw. Aufrechterhaltung der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Im Fokus standen somit vor allem die folgenden Fragen: Welche Übersetzungsmodalitäten erfahren gesellschaftliche Gleichstellungserwartungen in Organisationen? Lösen sich traditionelle Geschlechterstrukturen und -kulturen in Organisation auf oder entsteht lediglich eine neue Form der Legitimation? An diesem Punkt sind wir auch bei der Frage angelangt, warum wir den Neo-Institutionalismus zum theoretischen Anker unserer Argumentation gemacht haben. Was bietet eine neo-institutionalistische Perspektive für die organisationsorientierte Geschlechterforschung? Um Geschlechterverhältnisse mit Blick auf Organisationen analysieren zu können, wären sicherlich auch andere Theoriekonzepte als der Neo-Institutionalismus (im weiteren NI) in Frage gekommen (z.B. der strukturationstheoretische Ansatz oder das Habitus-Konzept von Bourdieu). Jedoch war der Reiz groß, einem theoretischen Kompass zu folgen, mit dem in der Organisationswissenschaft bereits versucht wurde, das Fenster zur Gesellschaft zu öffnen und einen Beitrag zur ‚Rückkehr der Gesellschaft‘ in die Organisationsforschung zu leisten (vgl. u.a. Sydow/ Ortmann/ Türk 1998). Ein Pluspunkt der Gründungsprogrammatik neo-institutionalistischer Forschung ist schließlich die Relevanz, die der Beziehung zwischen Organisation und Gesellschaft – und insbesondere Fragen der Legitimität – zugemessen wurde, was ein spannender Ausgangspunkt für die Analyse des Zusammenhangs von Geschlecht und Organisation darstellt. So übten die Protagonist_innen des NI schon in den 1970er Jahren Kritik an der vorherrschenden technisch-funktionalistischen und rationalistischen Sicht der Organisationswissenschaft auf Organisationen. Sie sahen in Organisationen durch gesellschaftlich vorherrschende Gesetze, Normen und Werte beeinflusste soziale Gebilde, die auf gesellschaftliche Legitimation angewiesen sind. Demnach sind es – gleich welche Spielart des NI auch präferiert wird – in erster Linie Erwartungen der institutionalisierten Umwelt, die Organisationen nachhaltig prägen. Dieses Grundverständnis macht den NI für die Geschlechterforschung zu einem aufschlussreichen Theoriegebäude. Denn wenn Organisationen nicht als abgekoppelt von institutionalisierten Erwartungen und kulturellen Kontexten zu verstehen sind, dann 23
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müsste der NI in der Lage sein, nicht nur Wirkungszusammenhänge zwischen Gesellschaft und Organisation aufzudecken, sondern auch dazu beitragen können, aufzuzeigen, dass Organisationen, selbst wenn sie nicht umhin können, Gleichstellungserwartungen nachzukommen, noch immer Orte von Vergeschlechtlichungsprozessen sind. Oder anders formuliert: Der NI eignet sich wie kaum ein anderer Ansatz dazu, entschlüsseln zu können, wie es Organisationen gelingt, den Eindruck zu vermitteln, dass sie keineswegs mehr ein Ort der Reproduktion von Geschlechterungleichheiten sind (bzw. sein wollen). Dass sie also dem Leitbild einer modernen Gesellschaft, das „Gleichberechtigung“ heißt, bereits in hohem Maße entsprechen bzw. alles daran setzen, dass dies bald der Fall ist, selbst wenn ihre Kernstrukturen auch noch weit entfernt hiervon sind. Eine neo-institutionalistisch inspirierte geschlechtersoziologische Organisationsanalyse könnte somit unseres Erachtens einen gewichtigen Beitrag zur Erklärung der widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Wandel und Persistenz des organisationalen Gender Cage beitragen. Mit der Wahl dieser Metapher knüpfen wir an DiMaggios und Powells kritische Reflexion des Weberschen „Iron Cage“ an (vgl. DiMaggio/ Powell 1983). So fragen DiMaggio und Powell (1983) in ihrem frühen Text „The Iron Cage Revisited“ nach den Reproduktionsmechanismen der bürokratischen, rationalen Organisationsform und Gründen für die Beharrungskraft und Verbreitung von Strukturen und Normen an der Schnittstelle von Organisation und Gesellschaft. Als „stahlhartes Gehäuse“ („Iron Cage“) bezeichnet Weber die bürokratische Organisationsform, bei der es sich folglich nicht um einen „dünne(n) Mantel (handelt, d.V.), den man jederzeit abwerfen könnte“ (Weber 2000: 157). DiMaggio und Powell greifen diese wirkungsmächtige Argumentationsfigur der Rationalisierung auf und wagen einen Bruch mit den seinerzeit vorherrschenden Gleichsetzungen von Bürokratie bzw. Hierarchie und Rationalität bzw. Effizienz. Mit anderen Worten, die Autoren führen – entgegen dem vorherrschenden Mainstream – die Ursachen der erfolgreichen Verbreitung der formalen bürokratischen Organisation eben nicht auf die ‚unschlagbare Effizienz‘ zurück, die zweckrationalen Organisation zugeschrieben wurde, sondern sehen in der flächendeckenden Verbreitung der Bürokratie vielmehr ein Streben nach gesellschaftlicher Legitimation bzw. ein angewiesen sein auf Legitimität. Denn Legitimität – ein Schlüsselbegriff des NI – ist, so der Tenor ihrer Argumentation, existentiell für das Überleben von Organisationen. Sie bildet eine Voraussetzung, um Zugang zu notwendigen finanziellen, personellen und technologischen Ressourcen zu erhalten. Der NI 24
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trägt somit dazu bei, ökonomisch-technische Rationalität zu hinterfragen und als ‚Rationalitätsfassade‘ zu entlarven. Selbst wenn es mittlerweile berechtigte Kritik an der Zentralität des Legitimitätspostulats gibt, ist der Gedanke der Einbettung von Organisationen in institutionelle, gesellschaftliche und kulturelle Kontexte bis heute ein spannender Ausgangspunkt für die Organisationsforschung geblieben, der auch uns inspiriert hat, über eine geschlechterorientierte Weiterentwicklung des NI nachzudenken. Insofern ist die Metapher des Gender Cage durchaus als Impuls für eine theoretisch-konzeptionelle Diskussion zu verstehen, die wir im ersten Teil des Buches führen. Lohnenswert ist somit nicht nur eine erneute Lektüre des Textes von DiMaggio und Powell zum „Iron Cage“ (1983), sondern auch das theoretische und methodische Besteck des NI zu nutzen, um seine blinden Flecken im Hinblick auf organisationale Vergeschlechtlichungsprozesse offenzulegen und hieraus Anregungen für geschlechterorientierte Weiterentwicklungen des NI zu gewinnen. Die Metapher des Gender Cage bezeichnet demnach jene differenzierten Verarbeitungs- und Legitimationsmuster, die Organisationen als Antwort externer und interner Gleichstellungserwartungen ausprägen und die wir als Ergebnis des empirischen Teils unserer Studie in einer Typologie, die markante Varianten des Changierens zwischen Beharrung und Transformation zum Ausdruck bringen soll, unterscheiden können. Kurzum, in einer neo-institutionalistischen Lesart ist – so unser Ausgangspunkt – anzunehmen, dass Legitimität auch ein zentraler Treiber für die Beschäftigung von Organisationen mit der gesellschaftlichen Erwartung der Geschlechtergleichstellung darstellt: Gleichstellung erscheint als eine in der Organisation zu bearbeitende gesellschaftliche Erwartung, die keine Organisation heute mehr so ohne Weiteres einfach ignorieren kann. Wenn wir also an Erklärungsangebote des NI anknüpfen, dann versprechen wir uns davon Antworten auf die Frage zu finden, warum und wie es Organisationen gelingen kann, mit gesellschaftlichen Erwartungen – wie etwa geschlechtliche Gleichbehandlung – umzugehen, sich ihnen aber auch zu entziehen, ohne Legitimitätsverluste zu erleiden. Die Analyse organisationaler Resistenz gegenüber Transformationsansprüchen steht schließlich geradezu im Fokus klassischer Grundlagentexte des NI (vgl. Meyer/ Rowan 1977; DiMaggio/ Powell 1983; Powell/ DiMaggio 1991; Brunsson/ Olsen 1993). Dass diese Texte interessante erste Anknüpfungspunkte für die Suche nach Erklärungen für die Beharrungskraft von Geschlechterdifferenzierungen in Organisationen bieten, liegt somit auf der Hand. Zu25
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gleich eröffnen sie aber auch – umgekehrt – Lesarten zur Identifizierung von Transformationsprozessen sowie Neukonfigurationen des Gender Cage. Zielsetzung und Aufbau des Buches Neo-institutionalistische Texte messen dem Geschlecht kaum Bedeutung bei. Weder die Schlüsselkonzepte des neo-institutionalistischen Begriffsinstrumentariums ‚Institution‘ oder ‚Legitimation‘ noch der ‚Feldbegriff‘ wurden auf die Relevanz von Geschlecht als Struktur- und Prozesskategorie hin befragt. Erst in jüngsten Arbeiten wurde damit begonnen. Diese Zusammenführung geschlechtertheoretischer Positionen mit den Instrumenten des NI zeitigte bereits erste produktive Ergebnisse, an die wir anknüpfen können (vgl. u.a. Sutton et al. 1994; Lederle 2008; Müller 2010; Hericks 2011; Funder 2014, 2017a). Dabei wird aber auch deutlich, dass es nicht das eine Konzept gibt, denn beim NI handelt es sich bekanntermaßen um einen weitverzweigten Ansatz, der diverse Strömungen aufweist. Ziel unserer Analyse ist es, zunächst einige der einschlägigen neo-institutionalistischen Kernkonzepte aus einer Geschlechterperspektive zu re-interpretieren und auszuloten, ob sie zu neuen Einsichten zum Zusammenhang von Organisation und Geschlecht führen. Dementsprechend stehen in Teil II zunächst theoretische Explorationen zum Gender Cage im Fokus. In diesem Buch geht es aber nicht nur um konzeptionelle Überlegungen, die Auskunft darüber geben sollen, ob neo-institutionalistische Reflexionen aus einer Geschlechterperspektive neue Einsichten zum Gender Cage in Organisationen bieten, sondern vielmehr auch um empirische Befunde, die wir im Rahmen unseres D-A-CH-Projektes gewonnen haben. So werden in Teil III Fallstudien zum Umgang mit Gleichstellungserwartungen – Empirische Befunde zu For-Profit und Non-Profit Organisationen präsentiert. Im Folgenden wollen wir kurz erläutern, was Leser_innen dieses Buches im Einzelnen erwartet. Teil II „Gender Cage: Theoretische Explorationen“ Wir beginnen – wie angekündigt – mit theoretischen Explorationen. Hierzu war es unvermeidbar, eine Auswahl bestimmter neo-institutionalistischer Konzepte vorzunehmen, was allerdings zwangsläufig Mut zur Lücke
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bedeutet, zumal jedweder Versuch, die Vielzahl der neo-institutionalistischen Strömungen aufzugreifen, uns in einen nur noch schwer durchschaubaren Konzept-Dschungel geführt hätte. Um uns dennoch nicht den Vorwurf der Beliebigkeit einzuhandeln, haben wir uns an den im Mainstream als relevant erachteten Konzepten und Begriffen orientiert. Zieht man als Referenz das SAGE Handbook of Organizational Institutionalism (Greenwood et al. 2017) hierzu heran, handelt es sich vor allem um den Begriff der Institution, das Konzept der Entkopplung, Institutional Work, die Idee der Isomorphie und den Feldbegriff, die alle aus einer Geschlechterperspektive heraus betrachtet werden. Darüber hinaus haben wir uns dafür entschieden, auch den Körper als eine zentrale Kategorie im Kontext organisationaler Geschlechteranalysen13 aufzunehmen, da das Verständnis von Geschlecht als einer Institution sich unseres Erachtens nicht abgekoppelt vom Körper begreifen lässt. Die nähere Begründung unserer Auswahl sieht somit wie folgt aus: Um neo-institutionalistische Reflexionen zu Geschlechterverhältnissen in Organisationen anstellen zu können, ist zunächst eine Analyse des neo-institutionalistischen Verständnisses von Institution unverzichtbar, denn es handelt sich – wie bereits ein Blick auf die Namensgebung des Ansatzes (in dem schließlich schon das Wort ‚Institution‘ steckt) verrät – um einen Kernbegriff des NI. Wir kommen damit zugleich einer Forderung von Ursula Müller (2010) nach, die sich bereits vor einigen Jahren dafür ausgesprochen hat, dass der NI seinen Institutionenbegriff auf den Prüfstand stellen sollte. Auch uns erschien es notwendig, etwas genauer zu bestimmen, was der NI unter Institution versteht, wobei wir für ein Institutionenverständnis plädieren, das zwar eine Prozessorientierung einschließt, gleichwohl aber daran festhält, eine Institution als einen bereits realisierten Zustand wahrzunehmen. Von Relevanz ist hier der Gedanke, dass es sich bei Institutionen um „einflussnehmende Regelsysteme“ handelt, die die Strukturierung und Identität einer Gesellschaft „schaffen, legitimieren und transformieren“ (Meyer 2005: 9). Gerade „unter Geschlechteraspekten“ ist es unabdingbar, „die historische Gewordenheit von Institutionen zu betrachten“ (Müller 2010: 53). Allerdings sind dabei immer auch zugleich die Möglichkeit der Transformation und vor allem die Wider-
13 Siehe hierzu die bereits von Halford, Savage und Witz vorgenommene Erweiterung des Ackerschen Konzepts, die in ihren empirischen Studien zu dem Ergebnis gelangen, dass Geschlecht nicht nur „embedded“ sondern auch „embodied“ ist (vgl. Halford/ Savage/ Witz 1997).
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sprüchlichkeit von Institutionalisierungsprozessen mitzudenken. Diesen Kerngedanken greifen wir im ersten Beitrag des Theorieteils auf. Sein Titel ist Programm: Geschlecht als Institution: polymorph und widersprüchlich. Herausgearbeitet wird hier – von Helga Eberherr und Roswitha Hofmann – unter Bezugnahme auf auch im NI präferierte wissenssoziologische Konzepte, warum Geschlecht eine widersprüchliche und zudem polymorphe Institution darstellt. Inspiriert durch das Scottsche Institutionenkonzept, das durch seine drei Säulen, die kognitive, normative und regulative, eine Institution zu einem vielschichtigen Gebilde macht (vgl. Scott 2014), gelangen wir so zu einem mehrdimensionalen Geschlechterverständnis, das Raum für Widersprüchlichkeit und Vielfältigkeit bietet – und folglich auch als polymorph beschrieben werden kann. Geschlecht als widersprüchliche und polymorphe Institution zu begreifen, hiermit also kein ‚flüchtiges‘, aber auch kein statisches, unveränderbares soziales Gebilde zu verbinden, bietet somit die Chance, Wandel- und Persistenz-Phänomene – befreit von dichotomen Betrachtungsweisen und bereichert um Heteronormativitätskritik – in ihrer Differenziertheit erfassen zu können. Das eröffnet uns mit Blick auf die empirische Analyse von Non- und For-Profit-Organisationen die Chance, ein weitaus komplexeres Verständnis von ‚doing gender‘-Prozessen zu gewinnen, wobei ein ‚degendering‘, im Sinne von Lorber (1999), nicht ausgeschlossen ist, was in dem Beitrag eingehend erläutert wird. Da wir davon ausgehen, dass Geschlecht als Institution eng verwoben ist mit dem Körper, schließt sich hier ein weiterer Beitrag mit dem Titel Körper: Ein Verhandlungsort organisationaler Institutionalisierungsprozesse an. Roswitha Hofmann und Ortrun Brand setzen sich mit der Relevanz des Körpers als Teil organisationaler Vergeschlechtlichungsprozesse auseinander und zeigen auf, wie es über die perspektivische Erweiterung neo-institutionalistischer Analysen um die Körperdimension gelingen könnte, organisationale Geschlechterverhältnisse und damit einhergehende Institutionalisierungsprozesse adäquat in den Blick zu nehmen. In dem bereits erwähnten Beitrag zum NI von Müller (2010) wird nicht nur vorgeschlagen, den Institutionenbegriff aus einer Geschlechtersperspektive neu zu fassen, was wir versuchen, vielmehr macht die Verfasserin auch noch einmal darauf aufmerksam, dass der NI über einen recht diffusen Akteur_innenbegriff verfügt, den es folglich weiter auszuarbeiten gilt. Hierauf nehmen mittlerweile zahlreiche ‚Studies of Institutional Work‘ Bezug (vgl. u.a. Lawrence/ Suddaby/ Leca 2009; Hampel/ Lawrence/ Tracey 2017). Eine zentrale Frage lautet: „How do actors influence instituti28
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ons?“ Schaut man sich die hierzu vorliegenden Studien an, zeigt sich, dass Geschlecht bei der Konzeption des Akteur_innen-Begriffs offenbar keine Rolle zu spielen scheint. Auch in diesem Fall ist es nicht damit getan, das Akteur_innen-Konzept um eine Geschlechterperspektive zu ergänzen, sondern die Problematik eines Akteur_innen-Begriffs angesichts der Institution Geschlecht aufzuzeigen und zu einem geschlechterinformierten Konzept von ‚Agency‘ zu gelangen. Dies unternimmt der Beitrag von Nathalie Amstutz, Melanie Nussbaumer und Ortrun Brand Soziale Agency: Arbeit an der (De-)Institutionalisierung von Geschlecht. Im Fokus stehen sodann gleich drei weitere, eng miteinander verwobene Konzepte: Isomorphie, Feld und Entkopplung, die in keinem Lehrbuch zum NI fehlen. Sie sind aus einer Geschlechterperspektive überaus spannend, folglich ist es nicht sehr erstaunlich, dass wir keineswegs die ersten sind, die z.B. das Konzept der Isomorphie als hilfreich erachten, um besser verstehen zu können, warum etwa das Diversity Management zunehmend an Akzeptanz gewonnen und sich so rasch verbreitet hat. Folgt man der frühen Studie von Sabine Lederle, orientieren sich Organisationen nicht nur an rechtlichen Vorgaben (coersive Isomorphie), vielmehr finden auch Nachahmungsprozesse statt (vgl. Lederle 2008). Der Beitrag von Hanna Vöhringer und Nathalie Amstutz Isomorphie: Machtvolle Angleichungsprozesse in der Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen leuchtet nicht nur diese beiden, sondern alle drei Isomorphie-Varianten aus einer Geschlechterperspektive aus und gelangt zu eigenen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Ähnlichkeit von Strukturen und Strategien, die Organisationen im Umgang mit Gleichstellungserwartungen aufweisen. Angleichungsprozesse erfolgen im Kontext organisationaler Felder. Hier schließt der Beitrag von Ortrun Brand und Helga Eberherr an, die zunächst genauer bestimmen, was im NI unter Feld verstanden wird, bevor sie dann Reflexionen zum Feldverständnis aus der Perspektive der Geschlechterforschung anstellen. Aufbauend auf dem Grundkonstrukt heteronormativer Geschlechterordnung reflektieren sie Machtverhältnisse im organisationalen Feld und führen als Deutungsfolie den Begriff von Gendered Fields ein. Gendered Fields markieren die Grenzen akzeptierter Strukturen und Handlungen von Organisationen bezüglich Geschlecht und fungieren gleichzeitig als Transmitter zwischen Organisation und Gesellschaft. Der Gedanke, dass organisationale Felder nicht frei von Geschlechterdifferenzierungen sind, liegt – hier genügt eigentlich schon ein Blick auf sogenannte Frauen- und Männerbranchen – eigentlich auf der Hand. So können organisationale Felder nicht ohne einen Geschlechterbezug ge29
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dacht werden, wenngleich die Geschlechterdimension in einem Feld nicht immer und überall Wirkungsmacht entfalten muss. Interessant für Organisationsanalysen ist, dass Gendered Fields Ausstrahlungseffekte auf Organisationen haben können. Es sind somit die Spezifika eines Gendered Fields, die Orientierungspunkte setzen und (Anpassungs-)Druck auf Organisationen entfalten. Sie haben folglich eine große Relevanz für die Übersetzung gesellschaftlicher Erwartungen in Organisationen, angefangen von der Abkehr von Heteronormativität und der Offenheit für neue Geschlechterprofile bis hin zur Verankerung einer auf ‚equality‘ abzielenden strukturellen Geschlechterpolitik. Während der Gedanke der Gendered Fields noch weiter ausgebaut werden muss (vgl. hierzu auch Funder/ Walden 2017), stand das Konzept der Entkopplung bereits im Zentrum einiger geschlechterorientierter Organisationsstudien (vgl. u.a. Hericks 2011, 2017). Unsere Überlegungen greifen diese Erkenntnisse auf. So setzen sich Hanna Vöhringer und Helga Eberherr in ihrem Beitrag – Kopplungs- und Entkopplungsprozesse: Reflexionen zur organisationalen Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen – mit dem Konzept von Entkopplung auseinander und diskutieren, wie Organisationen mit Gleichstellungserwartungen umgehen. Ausgemacht werden Entkopplungsprozesse in Verbindung mit Gleichstellungs-/ Diversitätsarbeit, die einen potenziellen Wandel der Geschlechterverhältnisse in Organisationen nicht ausschließen. Zudem wird erklärt, warum es allein mit der Einführung von Gleichstellungsprogrammen nicht getan ist. Ein Gedanke, der auch schon Ursula Müller umgetrieben hat, die ebenfalls aus einer neo-institutionalistischen Sicht der Frage nach der Wirksamkeit gleichstellungspolitischer Programme und Maßnahmen in Organisationen nachgegangen ist (vgl. Müller 2010). Kern- und Angelpunkt ist Meyer/ Rowan‘s Analyse von Entkopplung und loser Kopplung von Formal- und Handlungsstrukturen, die als Legitimationsprozesse das richtige Handeln der Organisation nach außen und innen (zum Beispiel mit einer Gleichstellungspolitik) ausweist. Übertragen auf geschlechterpolitische Fragen wird damit möglich, „widersprüchliche Geschlechterstrategien zu erkennen“ (Müller 2010: 46). Auch Hericks deutet die beobachteten Entkopplungen als „Umgangsweisen mit Dilemmata“, als Effekte widersprüchlicher Argumentationen und Interpretationen von Geschlecht mit entsprechenden Folgen für die organisationale Gleichstellungspolitik (vgl. Hericks 2011: 274, 2017). Sie kommt zu dem Schluss, dass die lose Kopplung zu unterschiedlichen Interpretationen im Hinblick auf das Leitbild und die Gleichstellungsnorm führen. Dabei lassen sich verschiedene Legi30
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timationsprozesse für Gleichstellungspolitiken mit spezifischen Konsequenzen für die Institutionalisierung der Gleichstellungsnorm und entsprechenden Maßnahmen ausmachen. Hier knüpfen wir an und gehen davon aus, dass gesellschaftliche Gleichstellungserwartungen innerhalb von Organisationen ihrem Anspruch und ihrer Relevanz nach unterschiedlich bearbeitet werden, so dass wir es – so unsere Annahme – mit einer je spezifischen Ausgestaltung des Gender Cage in Organisationen zu tun haben. Es stellt sich also die Frage, welches die Bedingungen und Kriterien sind, die über diese Wahrnehmung und Ausgestaltung des Gender Cage entscheiden, was letztendlich nur empirisch beantwortet werden kann. Folglich schließt sich an diesen konzeptionellen Teil ein empirischer Teil an, in dem wir die Befunde unserer Organisationsanalysen zu Verarbeitungsformen von Gleichstellungserwartungen vorstellen. Teil III „Fallstudien zum Umgang mit Gleichstellungserwartungen – Empirische Befunde zu For-Profit und Non-Profit Organisationen“ Dieser Teil zielt darauf ab, anhand von drei Fallstudien exemplarisch zu zeigen, wie sich die Geschlechterverhältnisse in (spät)modernen Organisationen in den letzten Jahren verändert haben. Ist es – so die zentrale Frage – tatsächlich zu tiefgreifenden Wandlungsprozessen von Organisationen gekommen, die alle ‚organisationalen Schichten‘ (einschließlich ihres Kerns) durchdrungen haben, also auch die berühmten ‚substructures‘ (Acker), die bekanntermaßen die allergrößte Beharrungskraft aufweisen, wenn es um eine Transformation von Geschlechterasymmetrien geht? Im Fokus unsere Analyse steht der Umgang mit Gleichstellungserwartungen. Die Fallstudien sollen zum einen Aufschluss darüber geben, wie Organisationen Gleichstellungsdruck wahrnehmen und zum anderen wie sie ihn verarbeiten. Da wir uns für das Verfahren der Fallstudie entschieden haben, wird zunächst in einem einleitenden Beitrag mit dem Titel Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen: Organisationale Wahrnehmungen, Verarbeitungsfelder und -formen genauer erläutert, warum wir nicht alle 16 Organisationen, die wir im Rahmen unseres Forschungsprojektes untersucht haben, vorstellen, sondern ‚lediglich‘ drei Organisationen (zwei For-Profit und eine Non-Profit-Organisation) ausgewählt haben. Ziel der weiteren Ausführungen ist es, anhand dieser drei Fälle exemplarisch aufzuzeigen, wie sich die Geschlechterverhältnisse in 31
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modernen Organisationen in den letzten Jahren entwickelt haben. Um die Vielschichtigkeit von Organisationen analysieren zu können, haben wir uns – nach Sichtung unseres neo-institutionalistischen Werkzeugkastens – dafür entschieden vor allem von Brunsson‘s Talk-Decision-Action Heuristik Gebrauch zu machen (vgl. Brunsson 1989). Hierzu an dieser Stelle nur so viel: Mit Talk bezeichnet Brunsson organisationale kommunikative Aktivitäten nach Außen, mit entsprechender Innenwirkung. Dieser Talk äußert sich beispielsweise in Leitbildern, Pressecommuniqués, an eine Öffentlichkeit gerichtete Statements. Der Talk stellt eine zentrale Verarbeitungsebene von gesellschaftlichen Erwartungen dar, da die Organisation mit dem Talk explizit das Wort ergreift und sich an diese Öffentlichkeit wendet. Eine andere Verarbeitungsform ist die Ebene der Decisions, der formal gefällten Entscheidungen, die in Strategien, Organisations- und Personalpolitiken, Reglements etc. nachzulesen sind und somit zu den zugänglichen und nachvollziehbaren Entscheidungen gehören. Mit der Ebene der Action wiederum bezeichnet Brunsson das über Handlungen wirksam Gewordene in der Organisation. Auf der Ebene der Action werden Decisions interpretiert und in einer bestimmten Weise umgesetzt, es werden aber auch nicht formal geregelte Bereiche und Lücken mittels Action ausgefüllt und ausgedeutet. Hieraus lassen sich – so unsere Schlussfolgerung – im Hinblick auf die Frage der Verarbeitung von Gleichstellungsanforderungen differenzierte Verarbeitungsmuster ableiten, wobei auch die Ideen der Isomorphie und Entkopplung wertvolle Hinweise liefern. Da Organisationen mit sehr unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert werden, man denke etwa an ökonomische Effizienz, Innovationen sowie auch gesellschaftlich verantwortliches Handeln, die sich nicht widersprechen müssen, wenngleich sie dies auch häufig tun, bietet es sich aus unserer Sicht somit an, auf die Talk-Decision-Action Heuristik zurückzugreifen. Sie eröffnet die Möglichkeit, Aufschluss über den Umgang mit unterschiedlichen Erwartungen sowie vor allem disparaten, widersprüchlichen Anforderungen zu gewinnen, die sich auch auf die Gleichstellungsproblematik übertragen lassen. Dabei interessieren wir uns vor allem für Varianten des Wandels und der Persistenz von Geschlechterverhältnissen in Organisationen, die sich in spezifischen organisationalen Verarbeitungsformen gesellschaftlicher Gleichstellungserwartungen zeigen. Wir gehen dabei davon aus, dass uns der Blick des NI, erweitert um eine Geschlechterperspektive, hierzu aufschlussreiche Antworten geben kann. Wie diese genau aussehen, soll der Blick auf die drei ausgewählten Fallstudien zeigen.
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Die von Hanna Vöhringer vorgestellte Fallstudie ALPHA – Die Umweltorganisation mit dem Vorbildanspruch konzentriert sich auf eine NonProfit Organisation, die auf den ersten Blick in jeder Hinsicht als vorbildlich im Hinblick auf die Ausgestaltung ihrer Geschlechter- und Organisationsstrukturen wahrgenommen wird. Erst der Blick hinter die Kulissen macht sichtbar, dass es Beharrungstendenzen altbekannter Muster der Geschlechterdifferenzierung gibt und partiell an traditionellen Geschlechterstereotypen festgehalten wird. D.h. auch hier wird deutlich, dass die von uns zunächst als eine Vorreiterorganisation ausgewiesene ‚moralische‘ Non-Profit-Organisation noch längst nicht auf allen Ebenen bzw. organisationalen Schichten einen Prozess des ‚Degendering‘ durchlaufen hat. Große Erwartungen hatten wir auch mit Blick auf spätmoderne Organisationen, die – folgt man etwa Reckwitz (2017) – schon längst auf dem Weg in Richtung einer Abkehr von traditionellen Geschlechterkulturen sein sollten. Melanie Nussbaumer stellt eine solche For-Profit Organisation vor. Es handelt sich um den Fall BETA, ein international agierendes Beratungsunternehmen. Wir haben hierfür die Überschrift gewählt: Beta – Das Beratungsunternehmen: Implementierte Gleichstellungspolitik mit widersprüchlichen Folgen. Es handelt sich um eine spätmoderne Organisation, die in hohem Maße am Erfolg ausgerichtet ist und eine entsprechende ‚Erfolgskultur‘ ausgebildet hat. Gezeigt wird, dass sich diese Ausrichtung auf ‚Erfolg um jeden Preis‘ auch auf die Wahrnehmung und Ausgestaltung der Geschlechterverhältnisse ausgewirkt hat und neue Formen des Gender Cage sichtbar werden. Während unsere Erwartungen im Hinblick auf den Fall Beta recht hoch waren, sind wir bei der Auswahl eines traditionellen Industrieunternehmens davon ausgegangen, dass sich hier ein Auf-der-Stelle-Treten abzeichnen wird, wenn es um die Geschlechterverhältnisse geht. So befasst sich Roswitha Hofmann in ihrem Beitrag mit der Fallstudie GAMMA, einem traditionellen Industrieunternehmen mit einer vorwiegend männlichen Beschäftigungsstruktur. Wir haben dieser Fallstudie die Überschrift GAMMA – Das Industrieunternehmen: Geschlechtergleichstellung im Widerspruch zu heteronormativ geprägter Leistungsnorm gegeben, in der bereits zum Ausdruck gebracht wird, dass trotz Gleichstellungsmaßnahmen noch ein relativ hohes Maß an Beharrung vorherrscht. So lassen sich in diesem Unternehmen nach wie vor heteronormativ geprägte Strukturen und Kulturen ausmachen, die Gleichstellungsfortschritte behindern. Dazu trägt nicht unwesentlich eine anwesenheitsbezogene Leistungsorientierung bei, die Ungleichheitsverhältnisse tendenziell de-thematisiert und de-legi33
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timiert, wenngleich auch nicht zu übersehen ist, dass der Gleichstellungsdruck nicht spurlos an diesem Unternehmen vorbeigegangen ist und sich insofern zumindest im Hinblick auf den Talk und die Decisions etwas getan hat. In einer sich diesen Fallstudien anschließenden vergleichenden Analyse, werden von Helga Eberherr und Maria Funder Varianten des Gender Cage identifiziert und in einer Gender Cage –Typologie ausdifferenziert. So spiegelt sich in unserem empirischen Material sehr deutlich wider, dass es nicht den ‚einen‘ Gender Cage gibt, sondern vielmehr diverse Varianten auszumachen sind, die jeweils eine mehr oder weniger tiefgreifende Transformation erkennen lassen. Oder anders formuliert, auch moderne Organisationen weisen eine zum Teil noch recht hohe Persistenz des Gender Cage auf, die jedoch eine neue Form der Legitimation erfährt (und offenbar auch erfordert). Wir unterscheiden am Ende drei Varianten des Gender Cage, die Auskunft über das Ausmaß von Beharrung bzw. Transformation der Geschlechterverhältnisse in Organisationen geben. Zu nennen ist eine recht strukturkonservative Variante, die wir als Variante TAB bezeichnen. Sie steht für einen „tabuisierten, meritokratisch stabilisierten Gender Cage“. Erste Anzeichen eines Wandels finden sich hingegen bei Variante SYM, der für einen „symbolisch entriegelten Gender Cage“ steht. Etwas, aber keineswegs sehr viel weiter geht die Variante NOR, mit dem wir den Typus eines „normativ entriegelten Gender Cage“ bezeichnen. Diese verschiedenen Verarbeitungsformen bringen zum Ausdruck, wie variantenreich Organisationen mit der ‚Norm der Gleichstellung‘ umgehen. Während zum einen tatsächlich schon Wandlungsprozesse (Variante SYM und NOR) – wenn auch noch sehr zögerliche – zu erkennen sind, tendieren andere nach wie vor zu einer Re-Stabilisierung des ‚Egalitätsmythos‘ (Funder 2014), der – wie TAB zeigt – sich jedoch in einem völlig neuen Gewand darstellt. In diesem Fall (Variante TAB) haben wir es offenbar mit einer Form des Gender Cage zu tun, der bereits ein Kind der Spätmoderne ist, also einer Erfolgsökonomie entspringt, die keineswegs eine radikale Erosion von Geschlechterdifferenzen impliziert. Das Buch schließt mit einem (IV) Resümee: Neo-Institutionalismus und geschlechterorientierte Organisationsforschung – Befunde und Plädoyer für einen weiterführenden Dialog (IV) von Maria Funder, in dem sie die zentralen Befunde nochmals aufgreift, weiter verdichtet und am Ende für einen intensiven, weiteren Dialog zwischen geschlechterorientierter Organisationsforschung und Neo-Institutionalismus plädiert.
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Teil II Gender Cage: Theoretische Explorationen
1 Geschlecht als Institution: polymorph und widersprüchlich Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann
Vorbemerkung In der klassischen neo-institutionalistischen Theoriebildung taucht die Kategorie „Geschlecht“ weder als Untersuchungsfrage auf noch wird ihr das Gewicht einer zentralen Analysedimension zugemessen (vgl. u.a. Müller 2010: 41; Funder/ May 2014). Das Fehlen von Geschlechterkonzepten in nahezu allen Spielarten des NI stellt aus unserer Sicht eine zentrale Lücke dar, zu deren Schließung wir einen Beitrag leisten wollen. Im Fokus dieses Kapitels stehen daher Reflexionen zu einer geschlechtertheoretischen Erweiterung und entsprechenden Weiterentwicklung des NI. Wir können hierfür an tragfähige Konzepte der Geschlechterforschung anschließen, die Geschlecht nicht einfach als ein Ergebnis von biologischen wie neurologischen Prozessen begreifen und auch nicht nur auf soziale Handlungen und identitätsbezogene Abläufe verweisen, sondern hiermit vielmehr eine soziale, gesellschaftlich relevante Konstruktion und – historisch betrachtet – durchaus wandlungsfähige institutionalisierte Ordnung begreifen. Folglich wird Geschlecht in weiten Teilen der Geschlechterforschung sowohl als Prozess- wie auch als Strukturkategorie verstanden. Seit einiger Zeit wird zudem wieder für eine Stärkung gesellschaftstheoretischer Bezüge plädiert (vgl. u.a. Aulenbacher/ Riegraf/ Völker 2015; Funder 2017; Lenz/ Evertz/ Ressel 2017; Lenz 2017), wobei jedoch – wie Müller (2017) betont – nicht auf Erkenntnisse konstruktivistischer Erklärungskonzepte verzichtet werden kann. Diese haben schließlich maßgeblich zur Aufdeckung des Verhältnisses von struktureller und kultureller Ebene und der „Macht von Wahrnehmungskulturen“ beigetragen (vgl. hierzu u.a. Knapp/ Wetterer 2001, 2003; Klinger/ Knapp 2007; Völker 2013; Acker 1992). Daraus ergeben sich für die Diskussion von Geschlecht im Rahmen der neo-institutionalistischen Theoriebildung vielversprechende Anknüpfungspunkte. Das setzt allerdings voraus, zunächst Aufschluss darüber zu gewinnen, ob und inwieweit Geschlecht überhaupt als Institution begriffen werden kann. Im Fokus unserer Ausführungen steht daher der Versuch, zu einer begrifflichen und vor allem konzeptionellen Präzisierung von Geschlecht im 43
Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann
Kontext der neo-institutionalistischen Theoriebildung zu gelangen. Zudem stellt sich die Frage, welche Erkenntnisse mit einem institutionellen Verständnis von Geschlecht für die empirische Forschung verbunden sein könnten, insbesondere mit Blick auf die Entschlüsselung des „Gender Cage“, also den – wie schon einleitend ausgeführt – in Organisationen sich nach wie vor als recht beharrlich erweisenden Konstruktionen zu Geschlecht, Geschlechterstereotypisierungen und damit vielfach eng verwobenen ungleichen Statuszuweisungen und hierarchischen Positionierungen. In den Analysen der organisationsbezogenen Geschlechterforschung wird die Persistenz von geschlechterbezogenen Ungleichheitsverhältnissen zudem nach wie vor in erster Linie entlang der polaren Darstellung von ausschließlich zwei Geschlechtern behandelt. Bereits an dieser Stelle ist daher darauf hinzuweisen, dass es uns bei der näheren Bestimmung von Geschlecht als widersprüchlicher Institution um die Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Phänomens und hiermit verbundene Fragen zur Genese und institutionell normativen Regulierung von Geschlecht geht. Dies erfordert eine weitergehende Reflexion zur Geschlechterdifferenz. Geschlecht als Institution zu fassen bedeutet unseres Erachtens, die in Institutionen und damit auch in Institutionalisierungsprozessen eingeschriebene hierarchisierte dichotome Geschlechternorm (Frau-Mann/ männlich-weiblich) und sexualisierten Geschlechterverhältnisse offenzulegen und den damit verbundenen Zwang zur ‚geschlechtlichen Vereindeutigung‘ zu hinterfragen. So markiert die dichotomie- und normativitätskritische Queer Theory unseren Ausgangspunkt für eine neo-institutionalistisch orientierte Auseinandersetzung mit organisationalen und gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen. Mit ihr gehen wir von einer nicht-dichotomen begrifflichen Bestimmung von Geschlecht aus, welche Geschlecht als polymorph charakterisiert und zwar zum einen im Hinblick auf seine identitätsbezogene Ausgestaltung (z.B. Trans- oder Interidentitäten, Cis1-Frau, Cis-Mann) und zum anderen bezogen auf seine global unterschiedlichen sozio-kulturellen Ausprägungen. Die weiteren Ausführungen gliedern sich dementsprechend in drei Teile: Im ersten (1.1) skizzieren wir theoretisch-konzeptionelle Ansätze zum
1 Der Begriff „Cis“ bezeichnet Frauen oder Männer deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen biologischen Geschlecht übereinstimmt. Cis bezeichnet demnach Personen, die sich entlang der traditionellen Geschlechterdichotomie als Mann oder Frau identifizieren.
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1 Geschlecht als Institution: polymorph und widersprüchlich
Verständnis des Institutionenbegriffs. Im Anschluss (1.2) erweitern wir vor allem gestützt auf Lorber den Blick auf Geschlecht als Institution aus geschlechtertheoretischer Perspektive, um darauf aufbauend die Institution Geschlecht mit Blick auf Butler in einen queer-theoretischen Kontext zu stellen und auf ihre polymorphen Eigenschaften einzugehen (1.3), die einer normativen Vereindeutigung entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund werden wir herausarbeiten, warum Geschlecht als eine prozessuale, relationale und höchst widersprüchliche Institution verstanden werden kann. Im Fazit (1.4) werden daraus ableitbare Konsequenzen für ein neoinstitutionalistisches Verständnis von Geschlecht und die Bearbeitung des organisationalen ‚Gender Cage‘ benannt. 1.1 Theoretisch-konzeptionelle Annäherungen: Institutionenbegriff im Neo-Institutionalismus Der Institutionenbegriff ist ohne Zweifel eine vielgestaltige soziologische Schlüsselkategorie, die auf eine lange Begriffsgeschichte verweisen kann. Von verschiedenen Autor_innen werden dabei der Prozesscharakter von Institutionen, ihre normative Fundierung und ihr handlungsregulierender Charakter hervorgehoben (vgl. u.a. Durkheim 1984; Parsons 1986; Popitz 1980; Berger/ Luckmann 1980). Institutionen sind demnach grundsätzlich fassbar als prozessuale und normative Ordnungsstrukturen von Gesellschaften. In unserem Institutionenverständnis orientieren wir uns zunächst am wissenssoziologischen und handlungstheoretischen Konzept nach Berger/ Luckmann (1980), da es sowohl in neo-institutionalistischen als auch geschlechtertheoretischen Konzeptionen von Institution eine Rolle spielt. Mit Berger/ Luckmann wird davon ausgegangen, dass Institutionen als Resultat eines mehrstufigen Prozesses begriffen werden können, in dessen Verlauf „habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden“ (Berger/ Luckmann 1980: 58). Handlungsvarianten werden demnach durch Wiederholungen selektiert, verfestigt und durch Gewöhnung zu Modellen, die Menschen davon entlasten, Situationen immer wieder neu bestimmen zu müssen (vgl. ebd.: 56f.). Institutionen sind somit für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen handlungs(an)leitend bzw. -wirksam, d.h. spezifische institutionelle Arrangements gelten für spezifische Gruppen und dienen somit der Herstellung gesellschaftlicher Ordnung und damit verbundener Machtverhältnisse.
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Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann
Wir gehen also weder von einem Institutionenverständnis aus, das dem soziologischen Funktionalismus zuzuschreiben ist noch ökonomischen Konzepten entspricht (z.B. dem Rational Choice Ansatz oder der neuen Institutionenökonomie), sondern knüpfen an die wissenssoziologischen Erklärungen von Berger und Luckmann an, die im soziologischen NI eine zentrale Bedeutung erlangten. Betrachtet man die neo-institutionalistische Theorie und Forschung, so können einige vorwiegend funktionalistisch2 und handlungstheoretisch fundierten Definitionsvarianten von ‚Institution‘ ausgemacht werden, welche unterschiedliche Aspekte von Institutionen betonen. Entsprechend ihrer theoretischen Bezüge ist diesen Definitionen gemeinsam, dass Institutionen als historisch geronnene soziale Regeln verstanden werden, welche eine Vielzahl an Handlungsmuster hervorbringen (vgl. u.a. Jepperson 1991; Scott 2014). Diese können durchaus widersprüchlich (vgl. Meyer et al. 2005: 99ff.) oder paradox sein. Berger /Luckmanns handlungstheoretisches Verständnis von Institution betont zwei Aspekte, die uns für die weitere Konzeption von Geschlecht als Institution wichtig erscheinen: erstens die Prozesshaftigkeit ihrer Entstehung und zweitens deren Historizität. Die Prozesshaftigkeit betont die Relevanz kontextueller Situiertheit sowie auch das Vorherrschen von Kontingenz3, was zu Paradoxien, Dilemmata und Widersprüchen führen kann. Mit Historizität wird darauf verwiesen, dass wechselseitige Typisierungen von Handlungen im Laufe einer gemeinsamen Geschichte zustande kommen und in Abhängigkeit eines historischen Kontexts entstehen (vgl. ebd.). Diese handlungstheoretische und wissenssoziologische Sicht auf Institutionen ist demnach keineswegs statisch, sondern verweist immer auf die Möglichkeit der Abweichung von institutionellen Arrangements im Zeitverlauf – und mithin auf De-Institutionalisierungsprozesse (vgl. ebd.: 66; Tolbert/ Zucker 1996: 185) und sozialen Wandel. Waldenfels bringt diese auch im NI vorherrschende Offenheit für Wandlungsprozesse, die Institutionen geradezu inhärent ist, auf den Punkt: „Würde es uns gelingen, alles Widerspenstige, das den Regeln entgegensteht, zu zähmen, so wäre das Spiel aus“ (Waldenfels 1994: 93). Mit anderen Worten: Im hi-
2 Zur machtkritischen Diskussion funktionalistischer Fundierung neo-institutionalistischer Theoriebildungen siehe insbesondere Cooper/ Ezzamel/ Willmott 2008. 3 Kontingenz verweist darauf, Geschlecht zum einen in Bezug zu kontextabhängigen Aktualisierungsprozessen zu setzen und zum anderen – aus einer analytischen Perspektive – bedeutungsoffen zu konzipieren.
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1 Geschlecht als Institution: polymorph und widersprüchlich
storischen Werden von Institutionen bzw. Institutionalisierungsprozessen sind Wandel und damit einhergehende Widersprüchlichkeiten und Paradoxien immer mitangelegt; was – um bereits an dieser Stelle einen Blick auf die Geschlechterproblematik zu richten – ein Verständnis von Geschlecht als eine in sich widersprüchliche Struktur- und zugleich Prozesskategorie nahelegt. Weitere zentrale Aspekte, die sich aus einer solchen Sicht ergeben, sind Erklärungen und Rechtfertigungen (Legitimationen), die Institutionen eine kognitive wie auch normative Gültigkeit verleihen (vgl. Berger/ Luckmann 1980: 100) und damit wiederum auf ihre Funktion als Strukturgeberin (Institution als Zustand) verweisen. Institutionen haben demnach einen verhaltensregulierenden Effekt und werden durch (soziales) Lernen und (soziale) Kontrolle abgesichert (vgl. ebd.: 66). Im Begriffsverständnis von Berger und Luckmann sind somit zentrale Aspekte von Institution angesprochen, die in der soziologischen neo-institutionalistischen Theoriebildung einflussreich geworden sind. Zum einen werden mit diesem wissenssoziologischen und handlungstheoretischen Zugang sowohl kognitive Schemata als auch diskursives Wissen über Normen und Werte ersichtlich, was zu einer Anschlussfähigkeit an das Konzept des Geschlechterwissens (vgl. u.a. Dölling 2005; Wetterer 2008) beiträgt. Zum anderen betonen Berger und Luckmann aber auch das praktische Wissen und Können, im Sinne eines ‚sich auf etwas Verstehen‘, das nicht nur kognitiv sondern auch im Körper verortet ist (vgl. hierzu auch 1.2). Das heißt, durch ein in dieser wissenssoziologischen und handlungstheoretischen Perspektive verankertes Institutionenkonzept werden sowohl soziale Normen und die damit verbundene Normativität als Grundlagen gesellschaftlich legitimierter und sanktionierter Bedeutungs- und Bewertungssysteme adressiert, als auch deren Materialisierungen bzw. Inkorporierungen. Geschlechterbezogene Normativität betrifft demnach nicht nur das Denken im Sinne des sich auf bestimmte Art und Weise als vergeschlechtlichtes Wesen Identifizierens, sondern auch das vergeschlechtlichte Werden des Körpers. Diese Aspekte von Institutionen, also normative Regeln und Materialisierung bzw. Inkorporierung von Wissen, spielen in der queer-theoretischen Normativitäts- und Machtkritik eine zentrale Rolle (vgl. 1.2). Als definitorische Grundlage für Institutionen wird in der neo-institutionalistischen Literatur häufig auf das Scott’sche Institutionenmodell Bezug genommen. Scott (2014) konzipiert Institutionen als verbindliche Regelungen und Anleitungen für soziale Handlungen. Regeln und Handlungsmuster gewinnen in seinem Verständnis mit der Zeit über Routinisierung 47
Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann
eine erhebliche Dauerhaftigkeit und Stabilität und erlangen darüber einen natürlichen Charakter, werden nicht mehr hinterfragt und sind ‚taken-forgranted‘ (vgl. u.a. Hellmann/ Senge 2006: 78). Diese Verhärtung von Handlungsroutinen erlaubt es Akteur_innen somit nicht, bzw. nur unter noch zu bestimmenden spezifischen Bedingungen, sich von ihnen zu distanzieren und alternative Handlungswege zu erproben (vgl. auch Berger/ Luckmann 1980). Aufschlussreich zur Erklärung der Konstitution von Institutionen sind die im Scott’schen Modell beschriebenen drei Säulen4, die bis heute als die tragenden Elemente einer Institution verstanden werden (vgl. Scott 2014, 2017).5 Analytisch unterscheidet er eine regulative (Gesetze, Richtlinien), normative (Werte, Erwartungen) und kognitive (Routinen, Gewohnheiten) Säule von Institutionen, die im sozialen Wissensvorrat und somit in den geltenden Symbolsystemen und Diskursen eingelagert sind (vgl. Scott 2014: 59ff.).6 Die Verfestigung und Reproduktion der regulativen Säule von Institutionen wird über Zwang erreicht, die der normativen Säule erfolgt mittels Normen, die mit einem hohen Erwartungsdruck einhergehen und die kognitive Säule wird qua Sozialisation verankert, also durch die Hervorbringung eines „natürlichen“, selbstverständlichen Wissens über soziale Tatsachen. Diese rahmen die Wahrnehmung von Wirklichkeit, so dass sie im Prinzip nicht mehr hinterfragt werden. Institutionen sind nach Scott darüber hinaus mit Aktivitäten verknüpft, über welche diese produziert, reproduziert, aber auch verändert werden (vgl. ebd.). Zentral ist hier aus unserer Sicht vor allem der Kerngedanke, dass ein Wandel von Institutionen äußerst voraussetzungsvoll ist. Wandel bedarf eines ‚Rüttelns‘ an allen drei Säulen, was aus der Perspektive des klassischen NI nur schwer erfassbar ist, da dieser Interessen, Macht und strategisches Handeln von Akteur_innen tendenziell ausblendet. So beschreiben Hasse und Krücken (2008) Institutionen als übergreifende Erwartungsstrukturen, die sich in der Regel nur unter großem Druck verändern lassen. Weiterentwicklungen des NI machen jedoch deutlich, dass 4 Hier ist anzumerken, dass Scott – in Anlehnung an Gronow (vgl. Gronow 2008) – noch über eine vierte Säule – „habitual dispositions“ – nachgedacht hat, die er dann aber in seinem 3-Säulen-Modell mit dem Verweis auf die kognitive Dispositionen vernachlässigt. 5 Sie geben Auskunft über die relative Dauerhaftigkeit von Institutionen, aber auch über die Problematik von Wandlungsprozessen. 6 Senge problematisiert diese weitverbreitete Konzeption als zu inkonsistent, da bei genauerer Betrachtung alle Institutionen kognitiv verankert sind; auch normative und regulative Institutionen (vgl. Senge 2011: 87).
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1 Geschlecht als Institution: polymorph und widersprüchlich
sich dieser mittlerweile verstärkt einer Prozessperspektive zuwendet (vgl. u.a. Oliver 1991; Greenwood et al. 2017; Scott 2017; Eberherr 2017) und sich dadurch z.B. strategische und oft auch widersprüchliche Reaktionen auf institutionalisierte Erwartungen ausmachen lassen bzw. Wechselseitigkeit im Spiel ist. Hinzu kommt, dass die Beteiligten, damit „Institutionen wirken können, (…) um diese Erwartungen wissen, und sie müssen annehmen, dass auch andere mit diesen Erwartungen vertraut sind“ (Hasse/ Krücken 2008: 15). Zusammenfassend lassen sich aus dieser soziologisch7 geprägten neoinstitutionalistischen Sicht folgende Kernaspekte von Institution benennen: 1. Institutionen, begriffen als soziale Strukturen, bestehen – folgt man Scotts Drei-Säulen-Modell – aus regulativen, normativen und kognitiven Konstitutionselementen bzw. Säulen. 2. Institutionen wirken verhaltensregulierend und ordnungsgenerierend. 3. Institutionen sind in gesellschaftlichen und organisationalen Symbolsystemen und deren Diskurssystemen verankert. 4. Institutionen werden in ihrer Entstehung als prozesshaft und historisch verankert verstanden und verfügen dadurch über eine hohe Beständigkeit, sind aber gleichzeitig auch veränderbar und bergen somit immer das Potenzial zur Widersprüchlichkeit. Diese Kernaspekte werden nun auf Basis geschlechterorientierter Perspektiven einer Reflexion unterzogen. 1.2 Die Institution Geschlecht aus geschlechtertheoretischer Sicht Für die von uns angestrebte Weiterentwicklung des neo-institutionalistischen Institutionenverständnisses durch die Konzeptualisierung von Geschlecht als Institution bieten geschlechtertheoretische Ansätze einige Anknüpfungspunkte. Bezüge zu Geschlecht als Institution finden sich bereits bei Garfinkel (1967: 122), der Geschlecht als „soziale Tatsache“ bzw. soziale Institution behandelt, sowie bei Berger/ Luckmann (1980), die Ge-
7 In Abgrenzung dazu wären z.B. die Neue Institutionenökonomie zu nennen, die Konzepte rationaler Wahl in der Tradition der Rational Choice Theorien sowie Annahmen nutzenorientierten Handelns stärker in den konzeptionellen Fokus stellt (vgl. hierzu u.a. Schmid/ Maurer 2003; Ebers/ Gotsch 2014).
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schlecht – analog zur Institution – als reziproke Typisierung fassen. Aufschlussreich sind darüber hinaus Konzepte von Douglas (1991) und Goffman (2001). Mary Douglas streicht in ihrem Verständnis von Institution z.B. deren Bedeutung für Sozialordnungen als eine Art Gedächtnissystem hervor, die sich über die dauerhafte Wiederholung von Regeln herstellen und dadurch ihre (notwendige) Stabilität erfahren. Die stabilisierende Funktion von Institutionen ist eng verknüpft mit dem Erhalt von Legitimation, die über naturalisierende Begründungszusammenhänge erfolgt (bzw. erfolgen kann). Folgt man Mary Douglas, kann das stabilisierende Prinzip bzw. die Legitimation durch Konvention auch über „die Naturalisierung sozialer Klassifikationen“ (Douglas 1991: 84) erzielt werden. Dadurch erscheint die Institution Geschlecht – die mit einer Zweigeschlechtlichkeit des Menschen gleichgesetzt wird – als unzweifelhaft und unbezweifelbar, indem sie in der ‚Natur‘ verortet wird. Goffman (2001) konzipiert Geschlecht in Interaktionsordnungen als eine Art ‚lose Koppelung‘, d.h. als eine nicht per se determinierte Beziehung zueinander. Damit betont er eine situative Offenheit in der Herstellung von Geschlecht sowie im Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse. Einschlägig sind seine Ausführungen zu Mechanismen und Regelstrukturen, die Frauen als Frauen und Männer als Männer erscheinen lassen. So zeigt er, wie Geschlechterdifferenzierungen hergestellt und sichtbar gemacht werden und wie die Evidenz der Zuordnung fortlaufend unter Beweis gestellt wird. Von zentraler Relevanz für die Geschlechterforschung ist sein Begriff der „institutionellen Reflexivität“. Damit benennt Goffman (2001) die permanente Herstellung jener symbolischen Ordnung, die die Geschlechterdifferenz als Strukturprinzip sozialer Ordnung garantiert und damit institutionalisiert. Goffman spricht hier jenen Prozess an, durch welchen das soziale Geschlecht so wird, dass es genau die Merkmale des Männlichen und Weiblichen entwickelt, welche angeblich die differente Institutionalisierung begründen (vgl. hierzu auch Kotthoff 2001: 162; Wetterer 2002). Wichtig ist hier, darauf hinzuweisen, dass Goffman einen Institutionenbegriff anlegt, der dem sozialkonstruktivistischen nahe kommt. Wenn er von ‚reflexiv‘ spricht, stellt er nicht auf entscheidungsabhängige Vorgänge ab, sondern auf Habitualisierungen und Typisierungen, die nicht intentional sind und daher als eine sich materialisierende soziale Praxis (inklusive der damit verwobenen Materialität sowie auch Interpretationsoffenheit) gefasst werden können. Als Beispiel einer fortwährenden Fortsetzung und Materialisierung von Zweigeschlechtlichkeit kann an das in
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diesem Zusammenhang häufig genannte Beispiel der architektonisch getrennten Toiletten-Anlagen für Frauen und Männer angeführt werden.8 Was nun die Geschlechtertheorie und -forschung betrifft, so stellte diese in ihrer Genealogie Geschlecht als Institution immer wieder in den Fokus, wobei die Entwicklung sozial-konstruktivistischer Sichtweisen und die Rezeption diesbezüglicher Vordenker_innen einen zentralen Stellenwert einnehmen. So hat Simone de Beauvoir bereits in den 1940er Jahren auf den Einfluss sozialer Zuschreibungen in der Herstellung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen hingewiesen (vgl. de Beauvoir 1949). In den 1970er Jahren wurde die Theoriebildung u.a. durch Gayle Rubins sex/ gender-System weitergetrieben, in welchem zwischen einem biologischen Geschlecht (sex) und einem sozialen Geschlecht (gender) unterschieden wird (vgl. Rubin 1975). Diese Trennung zwischen biologischen bzw. körperlichen Aspekten und der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht/erverhältnissen eröffnete analytisch wie politisch neue Perspektiven. Die grundsätzliche Veränderbarkeit von Geschlecht/erverhältnissen und die damit einhergehende gesellschaftliche, organisationale und individuelle Verantwortung bei der Herstellung von Geschlecht/erverhältnissen wurden so begreifbar. Dementsprechend wurde in der Theorieentwicklung dem Aspekt des (Alltags-)Handelns zunehmende Aufmerksamkeit zuteil. Autor_innen wie West und Zimmerman arbeiteten einige Jahre später unter dem handlungstheoretisch fundierten Begriff „doing gender“ die Her- und Darstellungsweisen von Geschlecht im alltäglichen Tun heraus (vgl. West/ Zimmerman 1987; West/ Fenstermaker 1995). Geschlecht – Männlichkeit und Weiblichkeit – wird demnach durch Handlungen und in Interaktionen reproduziert. Diese Re-Produktion von Geschlecht beruht auf dem vorherrschenden Geschlechterwissen, das auch den Charakter praktischen Wissens bzw. alltagsweltlicher Selbstverständlichkeiten haben kann; also aus dem für jede Gesellschaft spezifischem Wissen, was einen Mann bzw. eine Frau ausmacht – und was nicht, besteht. Folgt man differenzierteren Sichtweisen, lassen sich aber immer auch zugleich Formen des kollektiven, biografischen oder feldspezifischen Geschlechterwissens ausmachen.9 Die
8 Siehe weiterführend Hofmann 2017: 370. 9 Dazu liegt eine Vielzahl von Konzepten vor: So unterscheidet z.B. Hirschauer (vgl. Hirschauer 1996) zwischen diskursivem, visuellem und praktischem Wissen, während Andresen und Dölling – in Anlehnung an Bourdieu – zwischen 1. objektiviertem, gesellschaftlichem, 2. subjektivem bzw. individuellem und 3. feldspezifischem Geschlechterwissen differenzieren (vgl. Andresen/ Dölling 2008).
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Geschlechterdifferenz wird demnach durch die Beziehung zwischen Geschlechterwissen und Handlungen reproduziert und stellt zugleich eine habitualisierte und inkorporierte Form von Alltags- und Erfahrungswissen dar, die im praktisch alltäglichen Handeln ‚unbewusst‘ ins Spiel kommen kann (vgl. Dölling 2005; Andresen/ Dölling/ Kimmerle 2013). Gleichzeitig wird diese Beziehung über eine Vielzahl an institutionellen Arrangements wie Interaktionsregeln, Rituale, Gesetze abgesichert bzw. naturalisiert (vgl. auch Dölling 2005: 44ff.; Wetterer 2008: 18ff.; Gildemeister 2008: 137ff.). Erwähnt sei hier noch, dass im Rahmen der Debatte über ‚doing gender‘ auch weitere Ansätze entwickelt wurden, wie etwa das Konzept des ‚undoing gender‘10, wodurch die Omnirelevanz von Geschlecht in jeder Situation in Frage gestellt wurde (vgl. u.a. Funder 2004; Wetterer 2007). 11 Die angeführten Konzepte und Erklärungsansätze bieten eine Reihe an Überlegungen zum Thema Geschlecht als Institution an. Eine bis heute bemerkenswert komplexe Ausarbeitung von Geschlecht als soziale Institution12 hat Judith Lorber bereits in den 1980er Jahren entwickelt (vgl. hierzu Lorber 1999). Darin entscheidet sie sich bewusst dafür, „gender“ als Institution zum Startpunkt ihrer Analysen zu machen. Sie betont ausdrücklich, dass es ihr um das Zusammenspiel von Mikro-, Meso- und Makro-Ebene geht, ein Gedanke, der auch in aktuellen Theoriekonzepten (wieder) eine große Rolle spielt (vgl. u.a. Acker 2012; Lenz 2017; Müller 2017; Funder/ Walden 2017). Lorber fasst diesen Gedanken wie folgt zusammen: „Gender13 ist eine menschliche Erfindung wie Sprache, Verwandtschaftsbeziehungen, Religion und Technologie; wie diese regelt gender das menschliche Sozialleben nach kulturell bedingten Mustern. Gender regelt die Sozialbeziehungen im Alltag wie auch die umfassenderen sozialen Strukturen wie soziale Klassen und die Hierarchien bürokratischer Organisationen (…). Die vergeschlechtlichte Mikrostruktur und die vergeschlechtlichte Makrostruktur
10 Im Unterschied zu undoing gender bezeichnet ein not-doing gender das gänzliche Fehlen eines Deutungshorizonts Geschlecht (vgl. auch Hanappi-Egger/ Eberherr 2014). 11 Einige Konzepte bestreiten sowohl die Annahme der Omnipräsenz als auch der Omnirelevanz von Geschlecht (vgl. z.B. Hirschauer 2013). Sie weisen also über die Vorstellung einer kontextuellen Kontingenz von Geschlecht hinaus (vgl. u.a. Heintz 2001, 2008). 12 In späteren Arbeiten stellt Lorber Geschlecht („gender“) gleichwertig neben andere Institutionen wie Ökonomie, Religion oder Politik (vgl. Lorber 2005: 13f.). 13 In der deutschen Übersetzung wurde für Geschlecht der Begriff „gender“ beibehalten.
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reproduzieren und verstärken einander wechselseitig. Die soziale Reproduktion von gender in Individuen reproduziert auch die vergeschlechtlichte Gesellschaftsstruktur, konstruieren die Individuen doch, indem sie gender-Normen und -Erwartungen in der direkten Interaktion in Handeln umsetzen, die vergeschlechtlichten Herrschafts- und Machtsysteme. Gender hat sich in der Vergangenheit verändert und wird sich in Zukunft verändern, aber ohne eine bewußte Neustrukturierung wird diese Veränderung nicht unbedingt in Richtung einer größeren Gleichheit zwischen Frauen und Männern gehen“ (Lorber 1999: 47; Hervorhebung i.O.).
Bemerkenswert ist hier nicht nur der bei Lorber angelegte Mehr-EbenenBezug, sondern auch ein Verständnis von Geschlecht bzw. Gender als Institution, die immer zugleich beides ist: Handlung und Strukturbildung, „process“ und „outcome“, wie Teubner und Wetterer (1999) hervorheben. Dabei sind Parallelen zu Giddens‘ (1997) Konzept der Dualität von Struktur offensichtlich, denn „Prozesse der sozialen Konstruktion von gender (werden, d.V.) hier ebenso einbezogen (…) wie der Sachverhalt, daß gender als Strukturmoment in jeder historisch spezifischen Situation immer schon vorgefunden wird“ (Teubner/ Wetterer 1999: 21). So weist Gender bei Lorber stets einen Doppelcharakter als Struktur und Praxis, soziale Institution und individuellen Status auf, der sich aus vielen Komponenten konstituiert. Lorber verbindet hiermit nicht mehr und nicht weniger als einen „Paradigmenwechsel“, der den seinerzeit vorherrschenden konstruktivistischen Ansätzen die Möglichkeit eröffnet, aus der „mikrosoziologischen Schublade“ herauszukommen und dem Vorwurf entgegenzutreten, „die Analyse sozialer Strukturen zu vernachlässigen“ (Teubner/ Wetterer 1999: 22), indem nunmehr ein Theorieangebot vorliegt, das darauf abzielt, Gender-Praxis und Gender-Struktur miteinander zu verzahnen. Sie begründet ihr Verständnis von Geschlecht als Institution damit, dass es sich um „eines der wichtigsten Ordnungsprinzipien für die Lebensgestaltung der Menschen“ (ebd.: 57) handelt, nämlich um einen „Prozeß zur Schaffung von unterscheidbaren Ausprägungen des sozialen Status zum Zwecke der Zuweisung von Rechten und Pflichten. Als Teil eines Schichtungssystems, in dem diese Ausprägungen nicht gleichrangig sind, ist Gender einer der wichtigsten Bausteine der sozialen Strukturen, die auf diesen Statusungleichheiten aufbauen“ (ebd.: 78). Gender als soziale Institution ist folglich eine soziale Konstruktion und zugleich ein sozialer Prozess, der sich in gesellschaftliche Strukturen einschreibt (und daher immer mehr ist als nur ein (flüchtiger individueller Status). Um den Facettenreichtum dieser Prozesse darzulegen, arbeitet Lorber im Weiteren unterschiedliche konsti-
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tutive Komponenten von Gender als sozialer Institution heraus. Als besonders einflussreiche Komponenten nennt sie: a) den Gender-Status in seinen (jeweils historisch vorherrschenden) Ausprägungen, womit die jeweils in einer Gesellschaft als sozial anerkannten Normen und Erwartungen, aber auch bestimmte Formen des Verhaltens, der Gestik, der Sprache, Gefühle und Physis gemeint sind; b) eine vergeschlechtlichte Arbeitsteilung (Zuweisung und Übernahme von Erwerbs- und Hausarbeit durch Angehörige eines bestimmten Gender-Status); c) vergeschlechtlichte Verwandtschaftsverhältnisse, also die familialen Rechte und Pflichten des Gender-Status; d) vergeschlechtlichte sexuelle Skripte (normative Muster des jedem Gender-Status vorgeschriebenem sexuellen Begehrens und Verhaltens); e) die vergeschlechtlichte Persönlichkeit (Erfüllen von Erwartungshaltungen gegenüber einem spezifischen Gender-Status durch normgerechtes Verhalten in Interaktionen); f) die vergeschlechtlichte soziale Kontrolle (formelle und informelle Bestätigung und Belohnung bei Gender-konformem Verhalten und Stigmatisierung, Isolierung, Bestrafung, Pathologisierung bei nicht-konformem Verhalten); g) Gender-Ideologien (Rechtfertigungsmechanismen, die unterschiedliche Bewertungen des Gender-Status stützen und naturalisieren); h) die Gender-Metaphorik, Symbolsprache und Gender-Repräsentationen (Kultur als Hauptstütze herrschender Gender-Ideologien) (vgl. ebd.: 76f.). In ihren Arbeiten „Gender Paradoxien“ (1999) und „Breaking the Bowls“ (2005) vollzieht Lorber die Entstehung und die Wirkweisen von Geschlecht als dichotom-normative Institution, die durch ihre Einbettung in der Mikro- sowie auch der Meso- und Makroebene hohe Tragfähigkeit entwickelt hat, nach. Zugleich macht sie aber unter Bezugnahme auf queer-theoretische bzw. dekonstruktive Positionen deutlich, dass die der Institution Geschlecht zugrundeliegende Normativität ständiger Veränderungen ausgesetzt ist. So wird beispielsweise die gesellschaftliche Legitimation der Geschlechterdualität durch die verstärkte Thematisierung von Trans-Identitäten und Intersexualität herausgefordert. Die polymorphe Charakteristik der Institution Geschlecht wird demnach zunehmend sichtbarer. Es spricht somit viel dafür, hieran anzuknüpfen, um Geschlecht als Institution in machtkritischer differenzierter Weise an den NI heranzufüh54
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ren. Was mit Blick auf unsere eigene Zielsetzung, nämlich zu einer geschlechtertheoretisch informierten Weiterentwicklung des NI zu gelangen, vor allem gewichtig ist, sind die zentralen konzeptionellen Überschneidungen zwischen den von Lorber ausgearbeiteten Kerneigenschaften von Institutionen und dem in der neo-institutionalistischen Theoriebildung angelegten Institutionenverständnis. Führt man beide Perspektiven zusammen, ergeben sich folgende Verschränkungen: • In Anlehnung an den sich auf Berger/ Luckmann rekurrierenden NI kann konstatiert werden, dass auch Geschlecht als „taken for grantedRoutine“ verhaltensregulierend (z.B. bezogen auf Identitätsbildung, Rollenübernahme) und ordnungsgenerierend (z.B. hinsichtlich einer ‚Vereindeutigung‘ von Geschlechtlichkeit) wirkt und zudem eine hohe Beständigkeit aufweist; • Im Hinblick auf das Drei-Säulen-Modell von Scott lässt sich feststellen, dass sich Geschlecht entlang regulativer (z.B. Zuweisung eines Geschlechts bei der Geburt,), normativer (z.B. normativer Geschlechteridentität – vgl. Teil 2.4) und kulturell-kognitiver Elemente (z.B. sind Geschlechterverhältnisse im Symbolsystem einer Gesellschaft verankert, ebenso in Geschlechterdiskurse, wie etwa Farbcodierungen bei Kinderbekleidungen und Spielzeugen zeigen) konstituiert. Auf der Basis dieser analytischen Differenzierung entlang des oben genannten Drei-Säulen-Modells lässt sich auch vertiefend erklären, warum wir von Geschlecht als widersprüchlicher Institution sprechen, denn die Ausgestaltung der Kategorie Geschlecht kann jeweils recht unterschiedlich ausfallen. Während Geschlechtergerechtigkeit auf der regulativen und normativen Ebene beispielsweise schon längst den Status eines Leitprinzips haben kann, heißt dies noch nicht, dass auch die kulturell-kognitive Ebene hiermit kompatibel sein muss. Hieraus ergeben sich Spannungen und Reibungspunkte, die wiederum Anstöße für Wandlungsprozesse liefern können. Das bringt uns zu unserem nächsten Punkt. • Wenn mit einer Institution sowohl ein Zustand als auch ein Prozess bezeichnet wird, dann gilt dies ebenso für das Geschlecht. Auch das Geschlecht wird ständig performiert und ist daher als prozesshaft zu verstehen. Zudem beeinflusst das Geschlecht (genauer die hier vielfach immer noch zu beobachtende Geschlechterungleichheit) die gesellschaftliche Ressourcenverteilung und damit die Verteilung von Macht und Sanktionsmöglichkeiten.
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An diese erste Annäherung von geschlechtertheoretischen und neo-institutionalistischen Positionen kann nun eine geschlechtertheoretisch fundierte Weiterentwicklung ansetzen. 1.3 Weiterentwicklungen: Ein queer-theoretisch informiertes Verständnis von Geschlecht als Institution Die Konzeptualisierung von Geschlecht als Institution erfuhr in den letzten beiden Jahrzehnten, insbesondere entlang dekonstruktivistischer sowie queer-theoretischer Positionen, eine Ausdifferenzierung.14 Dabei geriet das erwähnte sex/ gender-System und die darin angelegte Trennung von zweigeschlechtlicher Körperlichkeit und sozialen Normengefüge in den Fokus machtkritischer, praxeologischer Analysen (vgl. u.a. Butler 1991, 1993; Butler/ Athanasiou 2014; Bourdieu 1979). Queer-theoretische Arbeiten machen darin die durch Naturalisierung abgesicherte Norm der Zweigeschlechtlichkeit in Verschränkung mit der Norm der „Heterosexualität“ als machtvolles soziales Konstrukt sichtbar, also das normative Zusammenspiel von Geschlecht und Sexualität. Queer-theoretische Perspektiven betonen zudem, wie Geschlecht als soziale Institution sich mit anderen Differenzlinien (sexuelle Identität, sexuelle Orientierung) verschränkt und dadurch zu einer „natürlichen“ und „normalen“ Institution wird, welche Subjektwerdungen und die gesellschaftliche Hierarchisierung von Geschlechterverhältnissen über Naturalisierungs- und Normalisierungspraxen reguliert. Butler bezeichnet die normative Verschränkung von Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuellem Begehren als „heterosexuelle Matrix“ und definiert diese als „Raster der kulturellen Intelligibilität, durch das die Körper, Geschlechteridentitäten und Begehren naturalisiert werden“ (Butler 1991: 219f.). Dieses Raster der heterosexuellen Matrix umfasst somit ein bestimmtes, diskursiv getragenes Geschlechterwissen über die Natürlichkeit und Normalität von Geschlecht und Geschlechterverhält-
14 Weitere Bezüge finden sich auch in Diskussionen zum „New Materialism“, in denen u.a. in Verbindungen mit Bourdieus Habitus-Theorie körperliche Materialisierungen von Institutionen Thema sind (vgl. u.a. Schmidt 2012). In diesem Zusammenhang spricht beispielsweise Ahmed von „institutional incorporation“ (Ahmed 2012: 198).
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nissen.15 Als ‚natürlich‘ und in Folge ‚normal‘ gilt, wer den normativen Vorstellungen von Männlichkeit bzw. Weiblichkeit entspricht. Andere Formen von geschlechtlichen Existenzweisen werden sozialen Sanktionen unterzogen, wie z.B. die Unsichtbarmachung und Abwertung aller von der zweigeschlechtlichen Norm abweichenden Formen von Geschlechtlichkeit. Geschlechter werden, so Butler, demnach performativ konstruiert. Im Unterschied zur oben skizzierten handlungstheoretischen Sicht auf Geschlecht (doing gender) ist dieses Tun jedoch keines eines Subjekts, „von dem sich sagen ließe, daß es der Tat vorangeht“ (Butler 1991: 49, siehe auch Butler 2009). Die Geschlechteridentität eines Subjekts und die Bedingungen für deren soziale Anerkennung werden vielmehr durch sich wiederholende performative Äußerungen (Performativität) erst hervorgebracht und gefestigt. So hängt die Anerkennung, als legitimes Mitglied einer Organisation wahrgenommen zu werden, beispielsweise mit dem Tragen von konformer Berufsbekleidung zusammen (vgl. Brewis/ Hampton/ Linstead 1997), wodurch über diesen Weg normative Geschlechterordnungen aufrechterhalten werden. Das damit etablierte Machtverhältnis, in welchem Eindeutigkeiten hinsichtlich biologischer und sozialer Geschlechteridentität wie auch der Sexualität konstitutiv für die Subjektwerdung und Subjekt-Sein ist, beschreibt Warner (1993) als „Heteronormativität“ (vgl. auch Wagenknecht 2007). Die genannten queer-theoretischen Perspektiven beschreiben Geschlechterverhältnisse zum einen als ein machtvolles Normgefüge, das so grundlegende gesellschaftliche und soziale Prozesse wie Subjektivierungsweisen und das Werden von Institutionen prägt. Lorber (2005) hat hierauf ebenfalls schon hingewiesen: „Gender may be fragmenting, but (…) the reason for its stability is that it is codified by laws, like the economy and the family, Western society’s main institutions (both of which are gendered)“ (Lorber 2005: xiif.). Zum anderen wird in queer-theoretischen Positionen darüber hinausgehend deutlich, dass Geschlecht, soll es in seiner Konstitutionsweise tiefergehend erfasst werden, als mit anderen Differenzkategorien verschränkt zu betrachten ist. So funktioniert die immer noch vorherrschende dichotome Geschlechterordnung nicht ohne die Normativität von Begehren (sexueller Orientierung). Interessant ist in diesem Zusammenhang mit Blick auf Organisationen die nach wie vor noch recht
15 Vgl. hierzu u.a. auch die bereits ausgeführten Überlegungen von Wetterer 2008 und Andresen/ Dölling 2008.
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weitgehende Ausblendung des homosozialen Begehrens (vgl. Sedgwick 1985). Gemeint sind hiermit die affektiven Beziehungen zwischen Männern bzw. zwischen Frauen, die in heteronormativ geprägten Gesellschaften strikt geregelt sind und vielfach noch immer tabuisiert werden; was folglich ebenfalls zur Hierarchisierung von Geschlechterverhältnissen beiträgt. In der neueren queer-theoretischen Forschung wird jedoch nicht (mehr) nur dieser Zusammenhang adressiert, sondern beispielsweise auch die Differenzkategorie Dis-/Ability (vgl. Jacob/ Köbsell/ Wollrad 2010) oder Ethnizität/ Race oder Klasse (vgl. Gamson/ Moon 2004). Neben der identitätsbezogenen und institutionellen Wirkweise und der grundlegenden intersektionellen Charakteristik von Geschlecht betonen queer-theoretische Positionen zudem – und dies ist ein zentraler Faktor in Bezug auf die Frage nach gesellschaftlichen und organisationalem Wandel – deren Kontingenz, die sich in unterschiedlichem Ausmaß und in Abhängigkeit heteronormativer Relevanzsetzungen über Hierarchisierungs- und Bewertungsprozesse manifestiert. So weist Butler darauf hin, dass die Geschlechterperformativität durch ihr inhärentes relationales soziales Werden und dabei stattfindenden Umdeutungen Verwerfungen und Widersprüche aufweist und daher immer brüchig ist (vgl. Butler 1991, 2009). Die Institution Geschlecht erweist sich daher zumindest in zweifacher Hinsicht als äußerst polymorph, also vielgestaltig in seinen Re-/Produktions- und Erscheinungsweisen: Zum einen ist die polymorphe Eigenschaft der Institution Geschlecht dadurch inhärent, weil ihre Relevanz im Generellen und die mehr oder weniger erwartete Normkonformität kontextuell und situativ variiert, wie auch ihre Interdependenz mit anderen Differenzlinien (vgl. Hofmann 2017). Zum anderen zeigt sich die Vielgestaltigkeit des Geschlechts bzw. ihr polymorpher Charakter in kulturellen Varianzen, die sich sowohl auf der Meso- als auch der Makroebene ausmachen lassen, wie vergleichende gesellschaftskulturelle wie organisationskulturelle Studien eindrucksvoll belegen. Wandel wird dabei z.B. am Umgang mit Homosexualität erkennbar. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass eine queer-theoretisch informierte sozial-konstruktivistische Sicht auf Geschlecht auf das Zusammenwirken machtvoller regulativer, normativer, kognitiver und körperlicher Aspekte verweist, die in der Reproduktion und Veränderung von Geschlechterverhältnissen Wirkungsmacht entfalten. Dabei ist zentral, dass dieses Zusammenwirken von Normen, Wissen und Verkörperungen, gerahmt durch das Begehren, nicht auf die Subjektebene beschränkt ist, sondern sich in unterschiedlichen Bereichen (wie etwa in der Wirtschaft, Poli58
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tik oder im Recht) und auf unterschiedlichen Ebenen (Gesellschaft, Organisationen) institutionalisiert hat. Eine queer-theoretische Sicht gibt somit ausgehend von einer neu gewendeten sozial-konstruktivistischen Sicht weitere Aufschlüsse über die komplexen Re-Produktionsweisen, aber auch Formen der De-Naturalisierung von normativen Vergeschlechtlichungsweisen und damit verbundenen Geschlechterverhältnissen in Gesellschaften (bzw. ihren unterschiedlichen Bereichen) und Organisationen, wobei der Wirkungsmacht von Strukturierungsprozessen eine zentrale Bedeutung zukommt. Die De-Naturalisierung geschieht im Grunde über die Diskursivierung von Geschlechternormen und heteronormativen Verhältnissen und deren Effekte auf Menschen mit unterschiedlichen Geschlechteridentitäten, die sich wiederum in Institutionalisierungsprozesse einschreiben. 1.4 Schlussfolgerungen mit Blick auf das Verständnis von Geschlecht als Institution Was gewinnen wir nun durch eine solche queer-theoretische Konzeption von Geschlecht als vielgestaltige und widersprüchliche Institution für eine geschlechtertheoretisch informierte neo-institutionalistische Theoriebildung? Die Institution Geschlecht betont in dieser Auslegung als widersprüchliche Ordnungs-, Struktur- und Prozesskategorie, die historische Kontextualisierung von Institutionen und deren Wandelbarkeit. Geschlecht als polymorphe und widersprüchliche Institution zu verstehen hebt somit konzeptionell die Unabgeschlossenheit vergeschlechtlichter Bewertungsund Normierungsprozesse hervor und überschreibt die in neo-institutionalistischen Theoriebildungen eingeschriebene Schwäche (vgl. z.B. Powell/ DiMaggio 1991) Neu- und Umdeutungsprozesse konzeptionell zu fassen. Zudem zeigt die Institution Geschlecht einmal mehr das bis heute vielfach recht widersprüchliche Zusammenwirken regulativer, normativer und kulturell-kognitiver Faktoren in Institutionalisierungsprozessen, wodurch die Gleichzeitigkeit von Persistenz und Wandel sowie die damit verbundenen paradoxen Effekte – so z.B. die Erfolge in Sachen Gleichstellung und die gleichzeitige Beharrungskraft von organisationalen Geschlechterhierarchisierungen – sichtbar und erklärbar werden. Die im NI schon bisher für Institutionalisierungsprozesse als grundlegend geltenden Faktoren werden in einer queer-theoretischen Betrachtung zudem um die Körperdimension er-
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weitert16, welche Dynamiken auf der Akteur_innenebene, wie beispielsweise die Identifikation von Performativitätsmustern in Organisationen, vertiefend erfassbar macht. Auf makro-analytischer Ebene wiederum kann durch die Konzeption von Geschlecht als polymorphe und zugleich widersprüchliche Institution deutlich werden, dass eine kontextuelle und situative Betrachtung der Institution Geschlecht gewinnbringend ist, beispielsweise durch eine Betrachtung von Vergeschlechtlichungsweisen des ‚globalen Nordens‘, die auch internationale Wechselwirkungen abbildet. Wir haben erste Konturen einer solchen Perspektive aufgezeigt, die vor allem mittels des Wissens über Wechselbeziehungen zwischen Geschlecht und anderen Differenzsetzungsdimensionen, wie sie die Queer Theory herausstellt, erweitert werden konnte. Hierdurch kann das analytische Verständnis für Machtverhältnisse und das Zustandekommen, die Reproduktion und vor allem die Persistenz von Geschlechterverhältnissen im globalen Kapitalismus, z.B. im Hinblick auf die Produktions- und Arbeitsverhältnisse (vgl. u.a. Hochschild/ Ehrenreich 2002; Lenz 2017) und ihre organisationale Ausgestaltung, geschärft werden. Für die Analyse bietet eine Sichtweise auf Geschlecht als polymorphe und widersprüchliche Institution die Chance der Sichtbarmachung von Vergeschlechtlichungsprozessen in seinen multiplen Ausprägungen und kontextuellen sowie situativen Abhängigkeit. Die queer-theoretische Perspektive wirft zudem zwingend Fragen in Bezug auf jene heterogenen Dynamiken von Geschlechterperformanz auf, die soziale Anerkennung und Sichtbarkeit von Akteur_innen in Organisation betreffen, die eng mit einer Intersektionalitätsperspektive verwoben werden kann. Gewonnen wird so eine neue Perspektive auf die Geschlechterverhältnisse in Organisationen, die von vornherein eine hohe Sensibilität für die Vielgestaltigkeit, Widersprüchlichkeit und Flexibilität von Geschlecht aufweist. Nicht zuletzt wird mit der Konzeptualisierung von Geschlecht als polymorphe und widersprüchliche Institution der vermeintliche Stabilitätsimpetus der sozialen Institution Geschlecht im legitimierten Geschlechterwissen dadurch neu gewichtet, dass die Prozess- und Dynamisierungskomponente, aber auch die identitäts- und statusbezogenen Aspekte von Geschlecht gestärkt werden. So wird die zirkuläre und dynamische Figur der Rekursivität betont, was wiederum gleichzeitig zumindest konzeptionell Wege für ein partielles – wie es Lorber nennt – Degendering (Lorber
16 Vgl. dazu vertiefend Kap. 2 in diesem Buch.
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2005) eröffnet. Mit der Strategie des Degendering kann in Organisationen aktiv an Bedeutungszuschreibungen und Anerkennungsverhältnissen gearbeitet werden. Im Sinne der Umdeutung heteronormativer Normalisierungspraktiken werden Handlungsperspektiven eröffnet, die Institutionen die hierarchisierende, binäre Übersetzung von Geschlecht entziehen. Dies bedeutet auch, Prozesse der Re/De-Institutionalisierung entlang von sozialen Praktiken, Handlungsroutinen und Machtverhältnissen neu zu analysieren und damit hartnäckigen Institutionalisierungsformen von hierarchisierenden Bewertungsprozessen entgegen zu wirken. Wie diese Prozesse – in ihren oft auch widersprüchlichen Erscheinungsformen – veränderte organisationale Institutionalisierungen hervorbringen, wird in den empirischen Fallstudien noch ausführlich thematisiert. Literatur Acker, Joan 1992: From Sex Roles to Gendered Institutions. In: Contemporary Sociology 21 (5), 565-599. Acker, Joan 2012: Gendered Organizations and Intersectionality: Problems and Possibilities. In: Equality, Diversity and Inclusion: An International Journal 31, 214-224. Ahmed, Sara 2012: On Being Included: Racism and Diversity in Institutional Life. Durham. Andresen, Sünne/ Dölling, Irene 2008: Umbau des Geschlechter-Wissens von ReformakteurInnen durch Gender Mainstreaming? In: Angelika Wetterer (Hg.): Geschlechterwissen und soziale Praxis. Theoretische Zugänge – empirische Erträge. Königstein/Taunus, 204-223. Andresen, Sünne/ Dölling, Irene/ Kimmerle, Christoph 2013: Verwaltungsmodernisierung als soziale Praxis: Geschlechter-Wissen und Organisationsverständnis von Reformakteuren. Wiesbaden. Aulenbacher, Brigitte/ Riegraf, Birgit/ Völker, Susanne 2015: Feministische Kapitalismuskritik. Einstiege in bedeutende Forschungsfelder. Münster. Berger, Peter/ Luckmann, Thomas 1980: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a.M. Bourdieu, Pierre 1979: Entwurf einer Theorie der Praxis – auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a.M. Brewis, Joanna/ Hampton, Mark P./ Linstead, Stephen 1997: Unpacking Priscilla: Subjectivity and Identity in the Organization of Gendered Appearance. In: Human Relations 50 (10), 1275-1304. Butler, Judith 1991: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M. Butler, Judith 1993: Bodies that Matter: On the Discursive Limits of „Sex“. New York. Butler, Judith 2009: Die Macht der Geschlechternormen. Frankfurt a.M.
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2 Körper: Ein Verhandlungsort organisationaler Institutionalisierungsprozesse Roswitha Hofmann/ Ortrun Brand
2.1 Einleitung Akteur_innen spielten in der Theoriegeschichte des NI bis in die 2000er Jahre nur bedingt eine Rolle (vgl. u.a. Senge 2015; Eberherr 2017). Dies hat dazu beigetragen, dass Geschlecht und damit auch die Vergeschlechtlichung von menschlichen Körpern entlang heteronormativer Strukturen (siehe Kap. 1) bislang kein Thema waren.1 Die Rolle des Körpers als Verhandlungsort von Macht und Normativitäten in Organisationen und damit für die Ausgestaltung organisationaler Geschlechterverhältnisse blieb somit im NI weitgehend unreflektiert und eine diesbezüglich machtkritische Perspektive ausgeblendet. Die Frage nach der Bedeutung von Akteur_innen im organisationssoziologischen NI hat allerdings in der vergangenen Jahren an Schwung gewonnen und neue Antworten produziert, die sich beispielsweise in den Arbeiten zu institutional work (vgl. u.a. Lawrence/ Leca/ Zilber 2013) oder institutional entrepreneurs (vgl. u.a. Weik 2011) abbilden (vgl. Kap. 3). Allein mit einer Sensibilisierung des NI für die Relevanz von Akteur_innen, etwa hinsichtlich ihres Mitwirkens am Herstellen, am Abbau und an der Veränderung von verfestigten Routinen, ist es aus unserer Sicht jedoch noch nicht getan. Vielmehr bedarf es sowohl einer stärkeren Integration praxistheoretischer Elemente, um das Wie dieser Veränderung näher beleuchten zu können, als auch einer Offenheit für Prozesse der Vergeschlechtlichung, die die Körper der Akteur_innen einbezieht. Hierzu ist anzumerken, dass sich neben dem zunehmenden Interesse an Akteur_innen im neo-institutionalistischen Diskurs in der Soziologie bereits seit den 1970er Jahren ein „body turn“ (Gugutzer 2015) entwickelt
1 Die Normativität von Körper bezieht sich selbstverständlich nicht nur auf Geschlechternormativität, sondern auch auf andere Differenzdimensionen wie Klasse oder „Race“ (vgl. dazu u.a. Villa 2010 und Ahmed 2012). In diesem Artikel wurde der Schwerpunkt auf Geschlecht und die Intersektion mit Sexualität gelegt.
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Roswitha Hofmann/ Ortrun Brand
hat, so dass die Körpersoziologie mittlerweile zu einem unverzichtbaren Forschungsfeld herangereift ist.2 Eine große Rolle haben dabei die engen Verflechtungen zur Geschlechter- und Organisationsforschung gespielt, die sich schon seit den 1960er Jahren mit alltäglichen Praktiken der Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit und Interaktionen zwischen Körpern auseinandersetzen (vgl. u.a. Garfinkel 1967; Goffman 1994; Witz 2000; Sinclair 2011; de Souza/ Brewis/ Rumens 2016). Vor diesem Hintergrund widmen wir uns der Frage, inwiefern Erkenntnisse der Geschlechterforschung zum Thema Körper und Organisationen zu einer geschlechtersensibleren neo-institutionalistischen Analyse von Organisationen beitragen können und welche theoretischen und analytischen Konsequenzen sich daraus ergeben. Als geschlechtertheoretischer Bezugspunkt dienen neben praxistheoretischen insbesondere post-strukturalistische bzw. queer-theoretische Perspektiven, da diese durch ihr nicht-dichotomes Verständnis von Geschlechterdifferenz und ihre radikale Normativitätskritik über ein hohes transformatives Potential im analytischen Zugang zur Kategorie Geschlecht verfügen (vgl. Hofmann 2017). Dabei gehen wir grundsätzlich davon aus, dass es sich bei Geschlecht um eine vielgestaltige und widersprüchliche Institution handelt (vgl. u.a. Kap. 1). In einem ersten Schritt werfen wir einen Blick auf bestehende und aktuelle neo-institutionalistische Theorie-Komponenten und zeigen, inwiefern Geschlecht in seiner Normativität und damit der vergeschlechtlichte Körper blinde Flecken im NI darstellen. In einem weiteren Schritt ziehen wir ausgewählte, praxistheoretisch fundierte Erkenntnisse aus der körperorientierten Geschlechterforschung in die Betrachtungen mit ein, um zu zeigen, warum und wie Körper von Normativität betroffen sind bzw. Normativität entfalten. Im dritten Schritt werden diese Erkenntnisse auf den organisationalen Kontext bezogen und die Körperthematik mit einem ausgewählten Institutionenkonzept des NI verknüpft. Abschließend diskutieren wir, welche transformativen Perspektiven eine solche Verknüpfung und die daraus folgende theoretisch-konzeptionelle Erweiterung des NI liefern.
2 Vgl. hierzu u.a. Goffman 2001, Meuser 2002, Gugutzer/ Klein/ Meuser 2017.
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2 Körper: Ein Verhandlungsort organisationaler Institutionalisierungsprozesse
2.2 Blinde Flecken: Geschlecht und Körper im Neo-Institutionalismus Geschlecht als soziale Institution, die wiederum andere Institutionen prägt, wurde im neo-institutionalistischen Diskurs nahezu gänzlich ausgeblendet (vgl. Kap. 1). Müller formuliert es so: „Neo-institutionalistische Ansätze beziehen sich auf Geschlecht bisher allenfalls als Beispiel, das die These der organisationalen Sensitivität gegenüber Veränderungen in relevanten Umwelten der Organisation illustrieren soll; Geschlecht wird aber nicht zentrales Element ihrer Analysen“ (Müller 2010: 41). Mit der mikrosoziologischen Ausrichtung neo-institutionalistischer Theoriestränge (vgl. Weik 2011; Lawrence/ Leca/ Zilber 2013) interessieren sich Forscher_innen nun zunehmend dafür, wie sich Akteur_innen am Auf- und Ausbau sowie an der Veränderung von Institutionen beteiligen und wie diese von Institutionen beeinflusst werden. Bislang standen dabei vor allem kognitive Faktoren im Zentrum der Betrachtung. An nicht-kognitiven Aspekten, wie Wirkweisen von Emotionen (vgl. Senge 2015: 206), und an Geschlechternormen bestand bisher hingegen kaum Interesse. Mit der Betonung kognitiver Aspekte sozialen Handelns wurde in neoinstitutionalistischen Diskursen stattdessen bislang im Grunde die seit der Aufklärung forcierte Dichotomie von Geist (Ratio) und Körper reproduziert. Demgegenüber kritisierten feministische Wissenschaftstheoretiker_innen und Forscher_innen bereits von Beginn an diese Dichotomie, da sie in hohem Maße vergeschlechtlicht ist (vgl. u.a. Harding 1990; Singer 2005; Barad 2012). So werden in dieser dichotomen Denkweise der Geist und die damit verbundene Fähigkeit, rational und kreativ zu denken, mit Männern verknüpft und der Körper in seiner Materialität und reproduktiven und emotionalen Funktion mit Frauen verbunden. Geist und Körper und damit Männer und Frauen werden so grundlegend in ein hierarchisches Verhältnis gestellt, mit höchst problematischen Folgen, wie die relativ große Beharrungskraft des Gender Cage in Organisationen zeigt. Richtet sich der Blick auf die Organisationsforschung, dann ist inzwischen unstrittig, dass Körper ein relevanter Untersuchungsgegenstand sein sollten, wenn es um Fragen der Konstitution und (Re-)Produktion von Organisationen geht (vgl. u.a. Gärtner/ Ortmann 2017). Dennoch hat das lange ‚Nebeneinander‘ von Körper- und Organisationssoziologie – von Ausnahmen abgesehen (vgl. u.a. Hassard/ Holiday/ Willmott 2000) – bis heute noch Bestand. Unabhängig davon werden in organisationswissenschaftlichen Studien Körper durchaus zum Thema, z.B. Körpereigenschaften von 69
Roswitha Hofmann/ Ortrun Brand
Organisationsmitgliedern (Muskelkraft, Schönheit, Körpergröße usw.), die Verwertbarkeit von Körper (vgl. u.a. Hochschild 1983; Heaphy/ Dutton 2008) oder der Zusammenhang zwischen Körpergröße, Wertschätzung, Durchsetzungskraft und Gehalt (vgl. u.a. Judge/ Cable 2004). Sucht man nach ersten Überlegungen zum Thema Körper in der neo-institutionalistischen Theoriebildung, die über rein (neuro-)biologische Betrachtungen hinausweisen, sind Reflexionen von Senge zur Relevanz von Emotionen recht aufschlussreich (vgl. Senge 2015; siehe auch Lok et al. 2017). Die Autorin verweist darauf, dass Institutionen nicht nur, wie Scott in seiner vielzitierten Konzeption von Institution anführt, regulative, normative und kulturell-kognitive Dimensionen besitzen (vgl. Scott 2014), sondern eben auch eine emotionale Grundlage haben, die auch „inkorporiertes Handlungswissen“ (Senge 2015: 206) umfasst. Senge zeigt, wie sich neben der regulativen, normativen und kulturell-kognitiven Säule von Institutionen auch Emotionen als gewichtig für die Konstitution von Institutionen verstehen lassen, die somit einen eigenen Wirkmechanismus darstellen (vgl. ebd.: 220). Emotionen bilden aus dieser Perspektive sowohl Motive als auch Konsequenzen von Institutionen. Auch wenn Senge dabei die körperliche Basis von Emotionen mit dem Hinweis auf die Existenz inkorporierten Handlungswissens nur am Rande streift, lässt sich aus ihrem Vorschlag zur Integration von Emotionen in Institutionenkonzepte folgern, dass die Körper von Akteur_innen in diesem Zusammenhang Relevanz besitzen. Allerdings bleiben auch in ihren Betrachtungen explizite Erkenntnisse zum Körper in Organisationen und zu seinem vergeschlechtlichten Werden außen vor, die in der Geschlechterforschung bereits seit längerem als ungleichheitsgenerierend problematisiert werden (vgl. u.a. Acker 2013). Zu konstatieren ist somit nicht nur, dass Geschlecht bislang in neo-institutionalistischen Konzeptionen zum Kernbegriff Institution ausgeblendet wurde, obwohl es – wie bereits in Kapitel 2 gezeigt – eine in Institutionalisierungsprozessen wirkmächtige Ebene darstellt, sondern auch, dass der Relevanz von Körpern – genauer vergeschlechtlichten Körpern – bislang keine Bedeutung zugemessen wurde. Wer die Vergeschlechtlichung von Organisationen entschlüsseln will, kann unseres Erachtens die Wirkungsmacht von Geschlecht und Körper jedoch nicht einfach ignorieren. So gilt es, sich nicht nur von der überkommenen Dichotomie der Moderne Natur versus Kultur bzw. Geist versus Körper zu verabschieden, sondern auch ein mit dem NI kompatibles Körperkonzept zu finden, um damit verbundene organisationale Wandlungsprozesse zu erfassen. Für die weitere An70
2 Körper: Ein Verhandlungsort organisationaler Institutionalisierungsprozesse
näherung an das Thema Körper werden in Folge geschlechtertheoretische Grundlagen skizziert, welche die neo-institutionalistische Theoriebildung substanziell vorantreiben können. 2.3 Das Werden von Körpern aus geschlechtertheoretischer Sicht Geschlechtertheoretische Grundlagen In der Genealogie der Geschlechtertheorien nehmen – über geografische Grenzen hinweg – die soziale Konstruktion von Geschlecht und die Vergeschlechtlichung von Körper einen zentralen Stellenwert ein (vgl. u.a. de Beauvoir 1949; Young 1980; Duden 1987, 2010; Laqueur 1992; Butler 1993; Villa 2008a; Lorber/ Moore 2011). Geschlechtertheoretiker_innen entwickelten dazu mehrere einflussreiche Zugänge, wie beispielsweise West und Zimmerman (1987) mit ihrer handlungstheoretischen Konzeption des doing gender (vgl. auch Gildemeister 2010: 137ff.) oder Butler (2009) mit ihrer diskurstheoretischen Konzeption von Geschlechterperformanz. Trotz konzeptioneller Unterschiede, institutionelle Arrangements und die damit verbundenen Regulierungen von Vergeschlechtlichungsprozessen entlang eines normativ geprägten Geschlechterwissens theoretisch zu fassen (vgl. u.a. Dölling 2003; Hirschauer 2008; Wetterer 2010), stimmen alle in einem Punkt überein, dass Geschlechtertheorien Körper nicht ignorieren können. So erfolgt – unabhängig von allen theoretischen Unterschieden – eine Antwort auf die soziale Konstruktion von Geschlecht nicht mehr ohne eine Bezugnahme auf Körper. Villa (2006) spricht sogar von „Geschlechtskörpern“ als Analysekategorie. Young zeigte dies bereits in den 1980er Jahren am Beispiel des Ballwerfens. Sie analysierte, wie sich geschlechtsspezifische Erwartungen im Umgang von Kindern mit Bällen auswirken, wie sich Mädchen Bälle anders als Jungen zuwerfen, sich also rollenspezifisches Geschlechterwissen bereits sehr früh in den Körper einschreibt und wie dieses Wissen über den Körper wiederum kommuniziert wird (vgl. Young 1980). Dabei weist Young – ähnlich wie später Butler – darauf hin, dass diese Aneignungsprozesse nicht immer gleich ablaufen und sich über Handlungsvarianten Verschiebungen im Geschlechterwissen ergeben, wodurch sich nicht nur eine Varianz innerhalb der Genusgruppen ergibt (vgl. auch Mraz/ Hofmann/ Bernhofer 2013; All-
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Roswitha Hofmann/ Ortrun Brand
hutter/ Hofmann 2014), sondern auch die historische Wandelbarkeit von Perspektiven auf Geschlecht und Geschlechterkörper markiert wird.3 Wie Young denkt auch Butler Körper als grundsätzlich durch soziale Verhältnisse und Kontexte mitkonstruiert. Nach Butler entstehen vergeschlechtlichte Körper im Rahmen der Konstitution von Geschlechteridentitäten durch die wiederholte Anrufung von Subjekten als Frauen oder Männer (vgl. Butler 1991, 1997). Nicht nur die binäre Geschlechteridentität ist damit sozial konstruiert, sondern auch die Vorstellung körperlicher Zweigeschlechtlichkeit. Diese Verhältnisse sind geprägt durch die Verknüpfung zwischen der Vorstellung einer Geschlechterbinarität (Frau/ Mann, vgl. dazu auch Hirschauer 1994, 1996) mit heterosexuellem Begehren. Die Verknüpfung dieser Normvorstellungen und damit die Verknüpfung von Geschlecht und Begehren bezeichnet Butler als heterosexuelle Matrix (Butler 1991: 219f.). Diese zieht eine Geschlechterordnung nach sich, die Warner (1993) als heteronormativ beschreibt. Diese Ordnung ist in alle zentralen gesellschaftlichen Institutionen – wie beispielsweise in Rechts-, Medizin-, Religions- und Bildungssysteme – eingeschrieben bzw. wird durch diese reproduziert. Heteronormativität ist zudem in institutionelle Arrangements, wie Ehe, Familie, Recht, Erwerbsarbeit oder auch Sport, eingelassen, wo sie sich über Normalitätsvorstellungen zu Geschlechtlichkeit legitimiert. Geschlecht ist folglich nicht nur eine individuelle Frage der Identität, sondern eine – durch die Verankerung von Geschlechternormen in Institutionen – strukturelle Frage. Demnach ist auch das gesellschaftlich dominante Wissen über den Geschlechterkörper grundlegend heteronormativ geprägt und produziert konkrete Handlungsanweisungen, was in welchem Kontext als sozial angemessenes Körperverhalten und damit als gesunde und natürliche Körperlichkeit gilt. Dies geht – um noch einmal an Young anzuknüpfen – weit über das Beispiel des Ballwerfens hinaus. So zählen die Inkorporierung von Weiblichkeits-/ Männlichkeitsidealen über unterschiedliche Formen des Körpertrainings und operative Eingriffe der sogenannten Schönheitschirurgie oder geschlechtsspezifische Mode bei Kleidung, Schuhe und Frisuren dazu. Das heteronormativ geprägte Körperwissen ist demnach kein ‚neutrales‘, folgenloses kognitives Wissen. Vielmehr ist es, wie das Beispiel des Ballwerfens zeigt, auch in körperlichen Handlungspraxen und -routinen verankert 3 Diese Perspektive steht auch im Zentrum post-struktureller, queer-theoretischer Ansätze, in welchen die Möglichkeit des Wandels programmatisch an die Kritik von Geschlechternormen geknüpft ist.
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2 Körper: Ein Verhandlungsort organisationaler Institutionalisierungsprozesse
(vgl. auch Bourdieu 1997; Wetterer 2010: 10) und wirkt sich normalisierend und damit normverstärkend bzw. -setzend auf Geschlechteridentitäten aus. Es dient dazu, Geschlecht körperlich wie sozial im Rahmen heteronormativer Vorstellungen zu vereindeutigen und diesen Vorstellungen zugleich Dominanz zu verleihen.4 Fasst man die bisherigen geschlechtertheoretischen Erkenntnisse zusammen, so lassen sich Körper als Effekte heteronormativ geprägten Körperwissens und damit verbundener Vergeschlechtlichungspraxen lesen. Aufbauend auf diesen geschlechtertheoretischen Grundlagen stellt sich nun die Frage nach der Konkretisierung der Rolle von Körper im NI. Dies erläutern wir im nachfolgenden Abschnitt entlang der Konzepte Habitus, Hexis (vgl. Bourdieu 1982) und Mimesis (vgl. Gebauer/ Wulf 1998). Diese Konzepte bieten sich für die weitere Konzeptualisierung von Verkörperung im Rahmen des NI insofern an, als sie praxistheoretische und performative Ansätze verbinden und damit die Akteur_innenebene in Beziehung zur gesellschaftlichen und organisationalen Ebene setzen. Die Praxis der Verkörperung entlang von Habitus, Hexis und Mimesis Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, lässt sich die Vergeschlechtlichung von Körper als ein Normierungs- und Normalisierungsprozess begreifen, der auf körperliche Vereindeutigung entlang der heteronormativen Geschlechterordnung abzielt. Das dafür nötige Körperwissen liefert eine normative Folie, die in Sozialisationsprozessen vermittelt wird (vgl. u.a. Keller/ Meuser 2011: 9). Das konkrete Wie der Verkörperung von Geschlechterwissen beschreibt demnach die somatische Dimension von Vergesellschaftung (vgl. Villa 2008b: 204), also die Art und Weise, wie auf Körperebene eine soziale Ordnung verinnerlicht und wirkmächtig wird. Villa erklärt diesen Vorgang entlang der Konzepte Hexis und Mimesis im Anschluss an Bourdieu. Als Teil seines Habituskonzepts umreißt Bourdieu mit dem Begriff Hexis das körperlich-verinnerlichte ästhetische Empfinden, Geschmack, Normen und Werte (vgl. Bourdieu 1982) – etwa die Art und Weise der körper-
4 Dadurch werden in zweifacher Hinsicht hierarchische Machtverhältnisse etabliert. Zum einen werden Subjektpositionen ausgeblendet, die nicht in die Zweigeschlechternorm passen, und zum anderen werden über die Unterscheidungspraxen auch Wertigkeiten in das Geschlechterverhältnis ein- und fortgeschrieben.
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lichen Haltung, Schritte, Kleidung, Frisur, körperliche Konstitution bzw. Fitness, selbst Gestik und Mimik sowie körperliche Reaktionen in unterschiedlichen sozialen Situationen. Im Zusammenhang mit Vergeschlechtlichungsprozessen beschreibt die Hexis somit das körperliche Verhalten, das soziale Normvorstellungen über den richtigen, den angemessenen (Geschlechts-)Körper widerspiegelt. Nach Villa transferieren sich mit und in der Hexis zudem Mythen in (körperliche) Dispositionen (vgl. Villa 2008b: 205). Zu diesen Mythen ist auch die heteronormative Vorstellung des Zusammenhangs zwischen Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuellem Begehren zu zählen. Die Dichotomie von Männlichkeit und Weiblichkeit beschreiben eine sehr wirkmächtige körperliche Hexis, die zugleich besonders schwer zu hinterfragen ist, weil körperliche Unterschiede und Verhaltensweisen von Frauen und Männern entlang der erwähnten heteronormen Zweigeschlechtlichkeit und des heterosexuell ausgerichteten Begehrens durch Biologisierung und Naturalisierung Legitimation erfahren. Der Begriff Mimesis beschreibt die Aneignung einer Hexis über performative Akte, also Akte der „Anähnlichung“ an eine beobachtete körperliche Praxis anderer (vgl. Gebauer/ Wulf 1998). Dadurch werden die heteronormative Ordnung und die daraus resultierenden Geschlechterungleichheiten auf besonders radikale Weise in den Körpern ein- und festgeschrieben, denn viele Menschen verwenden ihre Körper aufgrund der normativen Setzung der heterosexuellen Matrix in normadäquater Weise. Tun sie dies nicht, so rufen sie Irritationen hervor, die zu sozialer Ablehnung und zu Ausschluss führen können, was die frühe Geschlechterforschung bereits klar herausgearbeitet hat (vgl. u.a. Garfinkel 1967). Brower (2013) beschreibt dies beispielsweise entlang von Bekleidungs- und Erscheinungscodes in Organisationen. Die Einordnung und Kategorisierung von richtigen Körpern gerinnt so zu einem Modus, über den Verhalten gesteuert werden kann. Anhand dieser richtigen Körper, die zugleich hegemoniale Männlichkeit (vgl. u.a. Connell/ Messerschmidt 2005; Connell 2005) und Weiblichkeit im Erwerbsleben repräsentieren, werden die Normen der Zweigeschlechtlichkeit sowohl im privaten Alltag als auch im Erwerbsleben durch ihre Materialität und ihre scheinbare Natürlichkeit geradezu unübersehbar gemacht (vgl. u.a. Connell 2013). Die geschlechterbezogene Regulierung von Körpern zeigt sich auch in den jeweils aktuellen Körperpolitiken. Diese rücken das Arbeiten am eigenen Körper in den Mittelpunkt: Die Verbesserung der Fitness, gesunde Ernährung, Pflege und kosmetische Behandlung des eigenen Körpers, wie beispielsweise Enthaarungspraxen (vgl. Hofmann 2009), geraten geradezu 74
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zur Pflicht (vgl. Villa 2008b: 203f.). Die jeweilig aktuelle Körperpolitik diktiert der/ dem Einzelnen, wie sie/ er am Körper zu arbeiten und wie sie/ er diese als dichotom konstruierten Geschlechtskörper zu präsentieren hat. Die wachsenden Dienstleistungen am Körper und körperlichen Behandlungsmöglichkeiten (z.B. plastische Chirurgie) beschleunigen so die mimetische Aneignung und den bereits erwähnten Akt der ‚Anähnlichung‘ an ein bestimmtes (geschlechtlich kodiertes) Schönheitsideal (vgl. u.a. Villa 2008b: 207; Sinclair 2011). Das Arbeiten am eigenen Körper und die Verkörperung verändern sich dabei in aktuellen Körperpolitiken in zunehmendem Maße insofern, als nach Witz (2013) vor allem die Performanz einer bestimmten Ästhetik bzw. mit Villa die Verkörperung bestimmter sozialer Normen im Vordergrund steht, wie aktuell beispielsweise die „Verkörperung sozialer Anerkennungsnormen wie Flexibilität, Mobilität, Selbstmanagement“ (Villa 2013: 69; Foucault et al. 1993). Es geht dabei also nicht mehr nur darum, ein bestimmtes, biologistisch begründetes Körperbild zu verkörpern, so etwa die nährende und/ oder gebärende Mutter oder die schwache Frau, sondern Körper, gerade auch als Frauen und als Männer, werden dann sozial anerkannt, wenn sich an ihnen der „Wille zur sichtbaren Körperarbeit“ (Villa 2013: 69) erkennen lässt. Spätestens an dieser Stelle stellt sich die Frage, ob und wie auch in Organisationen Prozesse der Vergeschlechtlichung von Körpern stattfinden und welche Relevanz ihnen zugeschrieben wird. So werden wir im nächsten Schritt Erkenntnisse zur Verkörperung in den organisationalen Kontext übertragen. 2.4 Verkörperung als zentrales Element der Vergeschlechtlichung in Organisationen Auch die Organisationsforschung hat – da sie lange Zeit dem oben erwähnten Rationalitätsparadigma einer Trennung von Körper und Geist verhaftet geblieben ist – Körper und Körperlichkeit wie auch Begehren lange Zeit ignoriert (vgl. u.a. Jeanes/ Knights/ Martin 2011; Gärtner/ Ortmann 2017). Auf diese Auslassungen verweisen Organisationsforscher_innen bereits seit den 1980er und 1990er Jahren (vgl. u.a. Hearn/ Parkin 1995). Acker beschreibt es so: „The abstract, bodiless worker, who occupies the abstract, gender-neutral job has no sexuality, no emotions, and does not procreate“ (Acker 2013: 95). Dies ist, wie sie meint, kein Zufall, denn „the absence of sexuality, emotionality, and procreation in organiza-
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tional logic and organizational theory is an additional element that both obscures and helps to reproduce the underlying gender relations“ (ebd.). Mittlerweile verdeutlicht eine Fülle an Studien zu Körper, Organisation und Geschlecht, dass die heterosexuelle Matrix und die heteronormative Ordnung wesentlich über Körper in die Organisationen hineingetragen werden und zugleich Körper die tragenden und sichtbarsten Elemente der formellen oder informellen Hierarchien in den Organisationen darstellen. So legt etwa Sinclair (2011) dar, dass Frauenkörper und Männerkörper in Führungspositionen oft sehr unterschiedlich wahrgenommen und repräsentiert werden (vgl. auch Mavin/ Grandy 2016). Männer erscheinen oft als körperlos, wohingegen Frauen häufig über ihren Körper, dessen Attraktivität, definiert werden (vgl. Sinclair 2011: 118). Der männliche Körper als Norm wird somit der Wahrnehmung entzogen, solange er sich an der hegemonialen Norm von Männlichkeit orientiert, die über den Habitus Professionalität, Autorität und Macht signalisiert (vgl. u.a. Connell 2005). Der weibliche Körper hingegen erfährt als die Nicht-Norm Aufmerksamkeit im Hinblick auf die normative Repräsentation von ‚Weiblichkeit‘ und seine potenzielle Reproduktionsfähigkeit – allesamt Eigenschaften, die im Kontext von Führung nach wie vor als potenzielle Schwächen ausgelegt werden. Die körperliche Abweichung von Frauen von der männlichen Norm stellen demnach immer noch ein Karrierehindernis dar (vgl. Kenny/ Bell 2011; Jeanes/ Knights/ Martin 2011). Frauen, die betrieblich aufsteigen wollen, adaptieren deshalb oft maskuline Normen im Hinblick auf die Wahl ihrer Kleidung und ihres körperlichen Ausdrucks im Sinne von Gestik, Mimik und Stimme. Die Wahrnehmung als Führungskraft hängt – das führen auch Rastetter und Jüngling (2014) in ihren Arbeiten zu Mikropolitik und Emotionsarbeit aus – von körperbezogenen Aspekten, wie beispielsweise Körperkontrolle, ab, die eben ‚männlich‘ oder ‚weiblich‘ konnotiert sind. Aber auch jenseits von Führungspositionen ist die Performanz des richtigen Männer- und Frauenkörpers in Organisationen von hoher Bedeutung. Deutlich wird dies insbesondere an Standards und Erwartungen hinsichtlich Dresscode, Erscheinung und Verhalten, die zwischen Frauen und Männern entsprechend heteronormativer Stereotype nach wie vor differieren (vgl. Brower 2013). Haynes (2012) verweist zudem auf die Verknüpfung zwischen Kleidung, Verhalten und der Wahrnehmung von Professionalität. So legitimiert sich eine Organisation als Teil einer Gesellschaft beispielsweise dadurch, dass sie gegenüber ihren Beschäftigten auf die Einhaltung geschlechtsspezifischer Körpernormen hinsichtlich Kleidung 76
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und Verhalten im Kund_innenkontakt besteht und dadurch gesellschaftliche Konformität beweist und Vertrauenswürdigkeit signalisiert. Bei all dem darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die Verkörperung von Männern und Frauen in Organisationen historisch laufend verschiebt. In Zeiten des Lean Managements und des „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2002) wird mittlerweile von beiden Geschlechtern ein hohes Maß an Selbstdisziplinierung und eine entsprechende Körperperformanz gefordert, die sich z.B. in durchtrainierten, schlanken Körpern widerspiegelt. Müller (2010) weist anhand einer Studie zur Integration von Frauen in der bundesdeutschen Polizei auf eine weitere wichtige Verschiebung hin. Zwar könne die physische Präsenz von Frauen in diesem Berufsfeld heute nicht mehr offen diskreditiert und/ oder abgewertet werden, allerdings hätten sich in der Polizei dafür andere Mechanismen eingeschlichen: So wird etwa die Abwesenheit von Frauen durch die Vermutung, dass sie physisch für bestimmte Einheiten und/ oder Spezialkräfte ungeeignet sind oder mit Hinweis auf ‚kulturelle Umstände‘ indirekt legitimiert. Beispielsweise werden ausschließlich weiblich besetzte Streifen mit dem Verweis auf türkische Familienkonflikte oder die russische Mafia abgelehnt, weil in beiden Fällen durch die kulturelle Situation eine Aushandlung mit ausschließlich weiblichen Streifen in der Organisation als unmöglich erachtet wird. Vorgestellte ‚kulturelle Hürden‘ ersetzen hier auf gewisse Weise das Argument der körperlichen Ungeeignetheit von Frauen. Es sind demnach zunehmend informelle Exklusionsprozesse, die regulieren, was in Organisationen sagbar bzw. nicht sagbar ist. In Bezug auf den Körper bedeutet dies einen Rückgang offener Abwertung von Körpern, die nicht den heteronormativen Vorstellungen entsprechen, und eine Zunahme des informell Tragbaren bzw. nicht Tragbaren. Die Darstellung der wesentlichen Eckpunkte zur Vergeschlechtlichung von Körpern in Organisationen zeigt grundlegend auf, dass die Analyse von Institutionalisierung in Organisationen nicht denkbar ist, wenn nicht zugleich die Verfestigungen und Routinisierungen der (Geschlechts-)Körper in den Organisationen einbezogen werden. Die Körper sind neben der psychisch-emotionalen Ebene quasi die ‚letzte Instanz‘ und die letzte Ebene, die – oftmals verdeckt und nur schwer sichtbar zu machen – die geheimen Regeln der Hierarchien in den Organisationen inkorporieren (vgl. Villa 2008a: 207). Welche Bedeutung diese geschlechterbezogenen Erkenntnisse zum Thema Körper für eine diesbezügliche Weiterentwicklung der
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neo-institutionalischen Theoriebildung haben können, führen wir im Folgenden aus. 2.5 Körper im geschlechtertheoretisch informierten NeoInstitutionalismus Die bisherigen Ausführungen zeigen, wie die Herstellung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen über die Verkörperung heteronormativ geprägten Geschlechterwissens und dementsprechender Körperpraxen in Organisationen erfolgt. Zieht man nun als Beispiel das in der neo-institutionalistischen Theoriebildung einflussreiche Institutionenkonzept von Scott (2014) heran, so lässt sich dieses Institutionenverständnis nunmehr mit Blick auf Verkörperung schärfen. Scott beschreibt Institutionen als „multifaceted, durable social structures made up of symbolic elements, social activities and material resources” (Scott 2013: 57) und geht davon aus, dass Institutionen auf regulativen, normativen und kulturell-kognitiven Säulen beruhen.5 Nimmt man die vorangehenden Erläuterungen zur Bedeutung des Körpers für die gesellschaftliche Einbindung der Subjekte in eine heteronormative Geschlechterordnung ernst und zieht die Konzeptualisierung von Geschlecht als Institution heran (vgl. 2.1), so zeigt sich, dass vergeschlechtlichte Körper und die damit einhergehenden vergeschlechtlichten Verkörperungspraxen stets mitgedacht werden müssen, wenn das Scott‘sche Institutionenmodell geschlechtersensibel weiterentwickelt werden soll. Körper und die dazugehörigen heteronormativ geprägten Praxen der Verkörperung müssen demnach als Einschreibung in die regulative, normative und kulturell-kognitive Säule betrachtet werden (siehe Abbildung 1).
5 Indirekt bezieht Scott zwar die Körperdimension bereits in seine Betrachtungen mit ein (vgl. Scott 2013: 70), allerdings sieht er diese als habituelle Disposition in der kulturell-kognitiven Säule aufgehoben und thematisiert sie daher auch nicht weiter.
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Abbildung 1: Vergeschlechtlichte Körper als konstitutiver Bestandteil des Scott’schen Institutionenmodells regulative Dimension heteronormativ geprägte Regularien: z.B. Zuordnungsnotwendigkeit im Rahmen der Zweigeschlechternorm, z.B. Geschlechterangabe in Formularen
normative Dimension Ordnungsheteronormative basis Erwartungen: z.B. Verhalten entlang der heteronormativen Ordnung, Selbstrepräsentation als ‚Mann‘ bzw. als ‚Frau‘, heterosexuelles Begehren Legitimagesellschaftlicher heteronormativ getionsbasis Konsens: prägte Geschlechz.B. ausgedrückt in terordnung und Gesetzen und ande- Sexualitätsmoral ren Regularien, welche die heteronormative Geschlechterordnung begründen und affirmieren GrundZwang Performativität mechanismus zur geschlechtlichen Vereindeutigung Indikatoren Regeln, Gesetze, Erwartungen hinLeitlinien, die der sichtlich der körRegulierung von perlichen ErscheiKörpern dienen, nung, Dresscodes, z.B. Bekleidungs- etc. (branchenspevorschriften für zifisch) Männer bzw. Frauen Basis der Zweckmäßigkeit soziale VerpflichBefolgung tung Logik
Zweckdienlichkeit
Angemessenheit
Wirkung
Konformität
soziale Anerkennung
kulturell-kognitive Dimension heteronormativ geprägte Denk- und Handlungsschemata: z.B. Fähigkeiten, die Männern oder Frauen zugeschrieben bzw. aberkannt werden Normalitäts- und Natürlichkeitsvorstellungen hinsichtlich Männer- bzw. Frauenkörper
Performanz Habitus, Hexis und Mimesis kollektive Glaubenssätze, geteilte Handlungslogiken in Bezug auf Vergeschlechtlichungspraxen common sense/ geteiltes Verständnis zum Thema ‚Geschlecht‘ Orthodoxie, Anpassung Zugehörigkeit
Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Scott (2014: 59); eigene Übersetzung.
Die Ordnungsbasis bilden hierbei heteronormative Prägungen auf regulativer, normativer und kulturell-kognitiver Ebene. Legitimation wird aus
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dem gesellschaftlichen Konsens aus einer heteronormativen Geschlechterordnung gezogen sowie aus gesellschaftlich dominanten Normalitäts- und Natürlichkeitsvorstellungen zu Männer- und Frauenkörpern. Auf regulativer Ebene besteht demnach der Zwang zur ‚Vereindeutigung‘ des eigenen Geschlechterkörpers im Rahmen des Systems der Zweigeschlechtlichkeit. Die Vereindeutigung erfolgt über die soziale Anrufung dieser Ordnung (Performativität) und durch Performanz auf der Handlungsebene. Gesetzt wird diese Ordnung über Regeln, Gesetze und Leitlinien sowie über soziale Erwartungen und kollektiv geteilte Denk- und Handlungslogiken den vergeschlechtlichten Körper betreffend. Diese gestalten sich allerdings höchst kontextabhängig, wie beispielsweise Bekleidungserwartungen in unterschiedlichen Branchen. Konformes Verhalten gegenüber den Regularien, die zweckmäßige und zweckdienliche Erfüllung sozialer Erwartungen und das Mittragen kulturell-kognitiv geteilter Geschlechtsschemata gewährleisten so soziale Anerkennung und Zugehörigkeit und schreiben die Heteronormativität fort. Eine solche Erweiterung des Scott’schen Institutionenmodells kann unseres Erachtens dazu beitragen, die körperlich-materielle Verankerung von organisationalen und gesellschaftlichen Phänomenen analytisch in den Blickpunkt zu rücken und damit der gängigen Entkörperung von Akteur_innen entgegenzuwirken. Geschlecht würde zudem einmal mehr als Institution erkennbar, die auf andere Institutionen einwirkt (vgl. 2.1),6 wenn die Vergeschlechtlichungspraxen von Körpern als Teil organisationaler Institutionalisierungsprozesse greifbar werden. 2.6 Zusammenfassung und Ausblick Der vorliegende Beitrag rückte die Frage ins Zentrum, inwiefern die Thematisierung von Körper und vergeschlechtlichter Verkörperung die neo-institutionalistische Theorie bereichern und zu einer vollständigeren und geschlechtersensiblen neo-institutionalistischen Analyse von Geschlechterverhältnissen in Organisationen beitragen können. Damit einher gingen Überlegungen zu neuen Perspektiven, die sich aus der Verknüpfung geschlechtertheoretischer Analysen von Körperpraxen in Organisationen mit 6 Die vermehrte Betrachtung solcher Verschränkung von Institutionen wäre im Übrigen generell für die neo-institutionalistische Theoriebildung ein lohnendes Unterfangen.
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dem Institutionenbegriff des Neoinstitutionalismus ergeben können. Gezeigt wurde, dass der Körper durch heteronormative Praxen geprägt ist und damit zum Ausdruck der normativen Interpretation von Geschlechterdifferenz gerinnt. Verkörperung unterliegt dabei der Hexis und dem dazugehörigen Habitus und wird durch Mimesis verbreitet. Aktuelle Körperpolitiken regulieren nicht nur in hohem Maße wie der gesellschaftlich hergestellte Körper der Individuen den Normvorstellungen angepasst wird, sondern auch die Ausgestaltung vergeschlechtlichter Substrukturen und geschlechtlicher Ungleichheit in Organisationen. Entschlüsselt werden kann dieser Wirkungszusammenhang, so unser Vorschlag, durch eine Erweiterung von Scotts Institutionenmodell um die Körperdimension. Das ist dringend geboten, denn institutionsbezogene Analysen ohne den Einbezug der körperlichen Dimension sind unvollständig. Körperbezogene Phänomene fußen allesamt auf institutionellen Machtverhältnissen. Körper destabilisieren bzw. transformieren diese institutionellen Machtverhältnisse ja geradezu mittels der durch sie repräsentierten ‚Normalität‘ und ‚Natürlichkeit‘. Dies macht sie für die Analyse von in Organisationen und Institutionen eingelassenen persistenten Phänomenen und Möglichkeiten des Wandels überaus interessant. So haben wir z.B. herausgearbeitet, dass Körper zu Legitimationsfolien von Organisationen gegenüber gesellschaftlichen Erwartungen (Professionalität, Vertrauenswürdigkeit etc.) und gegenüber organisationsinternen Erwartungen hinsichtlich Verhalten und Erscheinung in bestimmten Positionen und Funktionen werden können. Aus einer neo-institutionalistischen Perspektive ist es daher lohnenswert, z.B. weitere Forschungen darüber anzustellen, inwiefern Vergeschlechtlichungsprozesse von Körpern – und im Weiteren auch deren intersektionellen Bezüge zu anderen Differenzlinien, wie u.a. Klasse, sexueller Orientierungen und Disability, die Etablierung von „Egalitätsmythen“ (Funder/ May 2014) in Organisationen stützen und damit zur Fortschreibung von Ungleichheitsverhältnissen beitragen. Es stellt sich aber gleichwohl die Frage, inwiefern und unter welchen Umständen es zur De-Naturalisierung heteronormativer Auslegungen von Habitus, Hexis und Mimesis kommen kann und Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität als Norm unterlaufen werden. Dieses Potenzial des Körpers zur Aufrechterhaltung und zur Erschütterung von hierarchisierten Geschlechterverhältnissen in Organisationen birgt demnach, so ließe sich neo-institutionalistisch schlussfolgern, die Chance, Rationalitätsfassaden, Egalitätsmythen und mithin Gleichstellungsansprüche forscherisch neu zu adressieren. Damit könnten Analysen von in Organisationen als legitim bzw. ille81
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3 Soziale Agency: Arbeit an der (De-)Institutionalisierung von Geschlecht Nathalie Amstutz/ Melanie Nussbaumer/ Ortrun Brand
3.1 Einleitung Die Beschäftigung mit der organisationalen Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen wirft die Frage nach Möglichkeiten der Einflussnahme durch Akteur_innen auf die ‚Institution Geschlecht’ auf. Der Handlungsspielraum (Agency)1 von Akteur_innen im organisationalen Wandlungsprozess der Institution Geschlecht (siehe Kap. 1) ist theoretisch wie politisch relevant. In diesem Kapitel diskutieren wir kritisch Vorschläge von Akteurskonzepten des Institutional Entrepreneurs und des Institutional Work und schlagen vor, Handlungsspielraum bezüglich der Institution Geschlecht als soziale Agency zu skizzieren. Im Neo-Institutionalismus (NI) sind Konzeptualisierungen von Handeln, Akteur_innen sowie von Agency und ihrem Verhältnis zueinander erst in Ansätzen geleistet (vgl. u.a. Kirchner et al. 2015). Grund dafür ist das Forschungsinteresse des NI. Seine Gründungsgeschichte, die auf eine Abgrenzung von den in den 1970er Jahren omnipräsenten Rational Choice-Ansätzen zurückgeht, versuchte gerade nicht den Einfluss von rationalen und autonomen Akteur_innen auf Institutionen nachzuzeichnen, sondern kehrte „die Argumentationskette in der Organisationsforschung“ (Walgenbach 2014: 331) um: der NI interessierte sich für die Abhängigkeit von Akteur_innen von Institutionen. Die zentrale Bedeutung der Makro- und Mesoebene in dieser Perspektive ist als kritische Reaktion auf die
1 Antke Engel klärt die Verwendung des englischen Begriffs „Agency“ folgendermaßen: „Anstatt von Handlungsfähigkeit oder Handlungsmächtigkeit ist in deutschsprachiger Theorie mittlerweile auch von agency die Rede. Das englische agency verweist stärker auf die Relationen und Beziehungsgefüge, in denen sich Handlungsmöglichkeiten entfalten, während die deutschen Begriffe Handeln als Konzept eines Individuums fassen“ (Engel 2015: 193). Der Begriff der „sozialen Agency“ (vgl. Meyer/ Jepperson 2000) macht das Beziehungsgefüge zur Bedingung von Agency.
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Rational Choice-Theorie zu verstehen, die ihren Fokus auf die Mikroebene und das autonome Subjekt legte, allerdings ohne diese Subjektkonstruktion zu hinterfragen (vgl. Jepperson 2002). Einzelne neo-institutionalistische Positionen kritisieren dieses autonome individuelle Akteursverständnis und diskutieren stattdessen soziale Agency als Ergebnis einer kulturellen Konstruktion (vgl. Meyer/ Jepperson 2000).2 Die Ergänzung neo-institutionalistischer Positionen um eine Mikroperspektive erfolgte aus der Kritik heraus, die frühen NI-Texte hätten Veränderungsmöglichkeiten von Institutionen sowie Fragen zu Interessen und insbesondere zur Macht von Akteur_innen vernachlässigt. Außerdem sei der wenig beleuchtete Handlungsspielraum individueller und organisationaler Akteur_innen angesichts von einflussreichen Institutionen hervorzuheben. Der neo-institutionalistische Fokus auf Strukturen und Routinen lässt Konzeptionen menschlichen Handelns tatsächlich wenig Spielraum (vgl. Willmott 2011; Meyer/ Jepperson 2000). DiMaggio (1988) hat deshalb schon früh versucht, auf die Frage nach Akteur_innen in der Organisation erste Antworten zu finden und zwar insbesondere mit Blick auf die von ihnen ausgehenden Impulse für die Arbeit an Institutionen und damit für (De-)Institutionalisierungsprozesse. Seine Konzeption von Agency ist an den machtvollen und ressourcenreichen Typus des ,Institutional Entrepreneurs’ geknüpft. Theoretische Weiterentwicklungen des Konzepts des Institutional Entrepreneurs (vgl. DiMaggio 1988) – wie Institutional Work (vgl. u.a. Lawrence/ Suddaby 2006; Lawrence/ Suddaby/ Leca 2009a) und Institutional Entrepreneurship (vgl. Maguire/ Hardy 2009; Hardy/ Maguire 2017) – haben den Akteursbegriff und Vorstellungen von Agency weiter ausdifferenziert. Trotz dieses zunehmenden Interesses an der Handlungsmächtigkeit von Akteur_innen hat die Geschlechterperspektive erst in wenigen Ansätzen Eingang gefunden (vgl. Chappell 2006; Eberherr 2017; Trenkmann 2017; Rybnikova/ Lang 2017; Styhre 2014). Zudem wurde das Vakuum um die Klärung von Machtpositionen zwar moniert, allerdings
2 Wie Walgenbach feststellt, geht es in dieser Perspektive nicht darum, individuellen Akteur_innen ihre Relevanz abzusprechen (vgl. Walgenbach 2014). Jedoch hinterfragen Meyer/ Jepperson das Alltagsverständnis von Akteur_innen als natürliche Einheiten, denn: „Die Perspektive, dass Gesellschaften aus Akteuren bestehen, ist nach Meyer und Jepperson (2000) so dominant und so umfassend legitimiert, dass sie weder in der Praxis noch in sozialwissenschaftlichen Theorien als implizite Grundannahme hinterfragt wird“ (Walgenbach 2014: 332).
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ohne dass dazu ein umfassender Vorschlag vorläge (vgl. Walgenbach 2014). Konzeptionelle Ansätze wie Institutional Entrepreneur oder Institutional Work, die nach Möglichkeiten der ‚Arbeit an der Institution’ und nach dem Handlungsspielraum von Akteur_innen in Organisationen fragen, sehen sich vor mindestens zwei Herausforderungen gestellt: • Erstens befinden sie sich mit ihrer Frage nach dem individuellen Handlungsspielraum von Akteur_innen in einer gesellschaftstheoretischen Grundsatzdiskussion zum Verhältnis von Struktur und Handlung, die der NI eher auf der Makroebene abhandelte, ohne Akteurshandeln auszudifferenzieren. Sie stehen also vor der Aufgabe, angesichts machtvoller Institutionen in Organisationen ein Akteursverständnis zu definieren, das sich in Beziehung zu einem ausformulierten Verhältnis von Handlung und Struktur setzen lässt. Das Dilemma von Struktur und Handlung – als „Paradox of Embedded Agency“ diskutiert (vgl. Battilana/ D’Aunno 2009) – besteht in der kontextuellen Eingebundenheit von Akteur_innen in Strukturen einerseits und der Veränderung von Strukturen und Institutionen durch eben diese darin eingebundenen Akteur_innen andererseits (vgl. u.a. Eberherr 2017). Vertreter_innen des Institutional Entrepreneur- und des Institutional Work-Ansatzes (vgl. u.a. Lawrence/ Suddaby/ Leca 2009b; Hampel/ Lawrence/ Tracey 2017) nehmen Bezug auf Giddens’ Gesellschaftstheorie (1976, 1997) und seinen Vorschlag der Dualität von Struktur, um dieses Paradox zu fassen. Auch wird auf Bourdieus Konzept des Habitus (1976) rekurriert, um deutlich zu machen, dass die Ressourcen von Akteur_innen selbst Teil sozialer Strukturierung sind (vgl. Everett 2002). Das Interesse des Institutional Entrepreneurs und des Institutional Works bezieht sich aber weniger auf eine theoretische Fundierung des Verhältnisses von Struktur und Handlung, sondern auf die Frage, wie institutioneller Wandel durch Akteur_innen auf der Mikroebene zu gestalten ist. • Damit ist die zweite Herausforderung, die fehlende Klärung des individuellen Akteursverständnisses dieser Ansätze auf der Mikroebene, benannt (vgl. Powell/ Rerup 2017). Das Konzept individueller Handlungsfähigkeit setzt implizit ein emanzipiertes Subjekt voraus, das gerade jenen Handlungsspielraum beherrschen kann, der die machtvollen Institutionen herausfordern soll. Für die Diskussion um Einflussmöglichkeiten auf (De-)Institutionalisierungsprozesse wäre diese Klärung
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jedoch entscheidend, denn die Dekonstruktion des Subjekts war gerade mit Butlers Kritik der ‚Metaphysik des Subjekts’ ein zentrales Ergebnis der geschlechtertheoretischen Machtkritik der 1990er Jahre (vgl. Butler 1993). Die Setzung eines autonomen, individuellen und nicht-problematisierten Subjektbegriffs gibt machtkritische Instrumente der Geschlechterforschung aus der Hand, die insbesondere auch für die Konzeptualisierung von Agency im institutionellen Kontext von Organisationen wichtig wären. Insofern führen uns diese Herausforderungen von Institutional Work und Institutional Entrepreneurship dazu, Überlegungen zu einem kritischen Begriff sozialer Agency (in Anlehnung an Meyer/ Jepperson 2000) anzustellen, der auf einen autonomen Subjektbegriff verzichtet. Dies verschiebt den Fokus von der Akteurs- zu einer Prozessperspektive (vgl. Hardy/ Maguire 2017; Maguire/ Hardy 2009). Prozesse der (De-)Institutionalisierung werden als Aushandlungsprozesse um Wissensbestände und Subjektpositionen3 skizziert. Im folgenden Kapitel erläutern wir zunächst überblicksartig, wie sich verschiedene Verständnisse von Akteur_innen und Agency im NI entwickelt haben (3.2). In einem weiteren Schritt legen wir den Schwerpunkt auf die Subjektproblematik des Akteursbegriffs in den derzeit meistdiskutierten Ansätzen, dem Institutional Work und dem Institutional Entrepreneur (3.3). Daran anschließend loten wir erste Möglichkeiten aus, die prozessbezogene Spielart sozialer Agency (Meyer/ Jepperson 2000) mit Überlegungen zu Wissensbeständen und Geschlechterwissen zu verknüpfen (3.4). Daraus lässt sich ein Ansatz sozialer Agency priorisieren, bei dem weniger Fragen individueller Handlungsmacht als soziale Prozesse von Ermächtigung im Fokus stehen. Die Arbeit an der Institution Geschlecht lässt sich schließlich als sozialer Aushandlungsprozess um ,Geschlechterwissen’ und Subjektpositionen beschreiben (3.5).
3 Der Begriff der Subjektposition verdeutlicht den sozialen Konstruktionsprozess, der Handlungsmächtigkeit bedingt. Butler unterscheidet Individuum und Subjekt folgendermassen: „Die Genealogie des Subjekts als kritische Kategorie jedoch verweist darauf, dass das Subjekt nicht mit dem Individuum gleichzusetzen, sondern vielmehr als sprachliche Kategorie aufzufassen ist, als Platzhalter, als in Formierung begriffene Struktur“ (Butler 1998: 15).
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3.2 Handlungsspielräume und Agency im Neo-Institutionalismus Die Autor_innen des NI haben bereits in ihren ersten Texten die Frage nach Einflussmöglichkeiten auf Institutionen aus einer Akteursperspektive aufgegriffen und dabei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Im Folgenden werden paradigmatisch ausgewählte Diskussionsstränge dieser Debatte aufgegriffen: (a) das Spannungsfeld von Institutionsmacht und Akteurshandeln (vgl. Zucker 1977; Oliver 1991) (b) der Vorschlag des Institutional Entrepreneurs (vgl. DiMaggio 1988) und (c) die individuelle Handlungsfähigkeit im Institutional Work-Ansatz (vgl. Lawrence/ Suddaby/ Leca 2009a). a) Lynne G. Zucker analysierte in ihrem Aufsatz aus dem Jahr 1977, der auch als ein Meilenstein des NI gilt, den Einfluss von Institutionen in Organisationen auf das Handeln von Akteur_innen und bearbeitete damit die Schnittstelle von Meso- und Mikroperspektive. Eine zentrale Erkenntnis der diesem Aufsatz zugrundeliegenden Studie war, dass individuelle Akteur_innen dazu neigen, dem Ansinnen und der Meinung einer formal höhergestellten Person zu folgen. Nach Türk (1997) belegen Zuckers Laborexperimente die „zurichtende Macht“ (ebd.: 127) von Organisationen, die das Handeln von Individuen steuert. Zucker fokussiert vorrangig auf die Wirkung unterschiedlicher Grade von Institutionalisierung (insbesondere von Autorität) auf eine ganz bestimmte Handlung und gerade nicht auf den Handlungsspielraum einzelner Organisationsmitglieder. So geht es ihr in erster Linie um „the processes through which institutions govern actions“ (Lawrence/ Suddaby/ Leca 2009b: 1). Hier ist es nicht von Bedeutung, ob die einzelnen Individuen die Institutionalisierung struktureller Elemente als ‚taken for granted’, also als gegeben annehmen. Viel bedeutsamer ist, dass sie wissen und davon ausgehen, dass dies für die anderen Mitglieder der Organisation so ist und sich daraus die entsprechende institutionelle Bedingtheit des Handelns ergibt (vgl. Meyer/ Rowan 1977). Ein Vorschlag zum besseren Verständnis der Relevanz des Akteurshandelns auf der Mesoebene findet sich bei Christine Oliver (1991). Sie kritisiert an bisherigen NI-Ansätzen die passive Rolle von Organisationen gegenüber Institutionen und dass Widerstand und politische sowie aktive Einflussnahme vernachlässigt werden. Die Autorin schlägt ein Set von Strategien vor, mit denen Organisationen auf organisationsexterne Regeln und Erwartungen reagieren können. Sie führt ihre Überle-
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gungen in einer Typologie zusammen, welche fünf strategische Antworten im Umgang mit institutionalisierten Prozessen aufzeigt: Duldung, Kompromiss, Vermeidung, Trotz und Manipulation (Oliver 1991: 151f.). Der Handlungsbegriff, den Oliver hier ins Feld führt, ist als strategischer organisationaler Akteursbegriff konzipiert, denn es geht ihr um „organisationale Eigeninteressen“ (ebd: 145), die sie nicht an eine individuelle Handlungsebene anknüpft. Ihr Vorschlag der organisationalen Strategie der ‚Vermeidung’ verweist auf erste Überlegungen der Entkopplung oder losen Kopplung von Meyer/ Rowan (1977: 356; vgl. Hericks 2011, 2017 sowie Kap. 6). Das Verhältnis von organisationaler und individueller Handlungsfähigkeit wird in Entkopplungsansätzen jedoch kaum thematisiert. Scott (1995) erklärt diese Beziehung folgendermaßen: Die neo-institutionalistische Organisationstheorie sei „not at all inconsistent with an activist view of human actors. Individuals do construct and continuously negotiate social reality in everyday life, but they do so within the context of wider, preexisting cultural systems: symbolic frameworks, perceived to be both objective and external, that provide orientation and guidance“ (ebd.: 41). In der Konsequenz verzichtet die ursprüngliche neo-institutionalistische Position auf die Konzeption eines autonomen Akteursbegriffs, unter anderem als Abgrenzung zum theoretischen Repertoire des Rational Choice-Ansatzes (vgl. Walgenbach 2014). b) Weil der NI die Frage nach einer Akteursposition lange ausgeklammert hat, wurde kritisiert, dass er damit eine politische Perspektive vernachlässige. Darauf antwortet DiMaggio (1988) mit dem Vorschlag des Institutional Entrepreneurs. Er verwahrt sich in „Interest and Agency in Institutional Theory“ gegen den Vorwurf, Interesse und Agency deterministisch zu konzipieren, räumt aber ein, dass die Metapher des ‚Iron Cage’ die Menschen angesichts von Institutionen als bedeutungslos erscheinen lasse, als „powerless and inert in the face of inexorable social processes“ (DiMaggio 1988: 9f.). Deshalb ist seiner Meinung nach nicht nur die Frage nach dem Zustandekommen von Autorität und Macht im Prozess der Institutionalisierung zu stellen, sondern auch nach der Rolle der organisationalen Akteur_innen: „Institutionalization is a product of the political efforts of actors to accomplish their ends and that the success of an institutionalization project and the form that the resulting institution takes depend on the relative power of the actors who support, oppose, or otherwise strive to influence it“ (ebd.: 13). DiMaggio unterscheidet Institutionen als Ergebnis und Institutio92
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nen als Prozess (ein Befund, der auch für Geschlecht gilt, vgl. Kap. 1), wobei letzterer eine politische Dimension angesichts von machtvollen organisierten Interessen verzeichnet. DiMaggio spricht hier bereits von „Institutional Work“ (ebd.: 14), worunter er drei Formen von Arbeit an Institutionen fasst: die institutionelle Reproduktion, die Erschaffung von Institutionen und die De-Institutionalisierung. Diese ,Arbeit an der Institution’ wird von Institutional Entrepreneurs geleistet – und zwar von Akteur_innen, die mit Ressourcen ausgestattet sind, die Interessen repräsentieren und vertreten und die von unterstützenden Akteur_innen flankiert werden. Eine feministische Anleihe beim Institutional Entrepreneur als akteurszentrierte Position schlägt die Politikwissenschaftlerin Louise Chappell (2006) mit dem Begriff des Gender Equity Entrepreneurs vor. Dieser Begriff bezieht sich auf strategisch handelnde gleichstellungspolitische Akteur_innen, die von innen wie von außen auf die Organisation wirken und denen in gleichstellungspolitischen Fragen und im institutionellen Wandel erhebliche Bedeutung zukommt. Diese ‚Unternehmer_innen’ konstruieren und formulieren Reformforderungen und versuchen existierende Gender-Normen zu durchbrechen: „Less lawbreaking than norm-breaking, these feminists have challenged, discomforted, and provoked, unleashing a wholesale disturbance of long-settled assumptions, norms and practices“ (Katzenstein 1998: 7, zitiert nach Chappell 2006: 230). Bereits früh wurde Kritik an der Figur des wohlausgestatteten, männlich konnotierten Institutional Entrepreneurs laut, denn hiermit verwoben ist die Vorstellung, dass Handlungsmacht in erster Linie aus etablierten Machtverhältnissen hervorgeht. Der Versuch, emanzipatorische Handlungsmacht jenseits der etablierten, institutionalisierten Machtstrukturen zu denken, wird mit der Figur des Institutional Entrepreneurs, so die Kritik vor allem vonseiten des Institutional Work-Ansatzes, nicht realisiert. Nicht mit formeller Macht ausgestattete Akteur_innen würden damit nochmals ‚entmächtigt’ (vgl. u.a. Meyer/ Hammerschmid 2006). Vorgeworfen wird diesem Akteursverständnis also, dass Akteur_innen nur dann als Institutional Entrepreneurs verstanden werden, wenn sie mit genügend formaler Macht und Ressourcen ausgestattet sind, und dass gerade mit dieser Voraussetzung Akteurshandeln an etablierte, institutionalisierte Macht geknüpft ist und somit Widerstand oder Wandel aus subalterner Position nicht vorkommen (vgl. Martí/ Mair 2009; Lawrence/ Suddaby/ Leca 2009b). Selbst 93
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im feministischen Konzept der Gender Equity Entrepreneurs werden Individuen nur dann als institutionelle Unternehmer_innen verstanden, wenn sie mit genügend Macht und Ressourcen ausgestattet sind. c) Aus dieser Kritik heraus befassen sich deshalb Autor_innen des Institutional Work-Ansatzes mit der Konzeptualisierung der Handlungsmächtigkeit subalterner oder auch als ,schwach’ bezeichneter Akteur_innen. Dafür wird an eine Mikroperspektive angeknüpft, die den Rahmen für eine Konzipierung ‚individueller Agency’ bilden soll (vgl. Martí/ Mair 2009; Mair/ Martí/ Ventresca 2012; Martí/ Fernández 2013). Diese akteurszentrierte Konzeption von Institutional Work basiert auf drei Hauptannahmen: Der Handlungsspielraum ist erstens durch die Reflexionsfähigkeit von Akteur_innen und deren zielorientiertes Handeln definiert. Zweitens fokussiert das Konzept auf die Handlungen der Akteur_innen (nicht auf das Ergebnis) und drittens nimmt es die Beziehung zwischen institutioneller Struktur und Handlung in den Blick (vgl. Lawrence/ Leca/ Zilber 2013). Im Zentrum der Analysen stehen „activities rather than accomplishments, success as well as failures, acts of resistance and of transformation“ (Lawrence/ Suddaby/ Leca 2009b: 11). Entscheidend sind in jedem Fall der beobachtbare Aufwand und die Intentionalität des institutionellen Arbeitens: „Institutional work can be understood as physical or mental effort done in order to achieve an effect on an institution or institutions“ (ebd.: 15). Ohne spezifische kognitive Fähigkeiten und persönlichen Aufwand ist es in dieser Sichtweise nicht möglich, von automatisierten Kognitionen zu einer anderen, reflektierten und selbstkontrollierten Denkweise zu gelangen. Dieses Engagement ist laut Lawrence et al. (2013) nötig, damit den individuellen Akteur_innen die soziale Konstruktion der Institutionen bewusst wird. Der Ansatz geht also davon aus, dass die ‚arbeitenden’ Akteur_innen fähig sind, ihre Beziehung zu einer gewissen Institution und deren Konstruktionscharakter wahrzunehmen und zu bearbeiten (vgl. Hampel/ Lawrence/ Tracey 2017). Die Problematik dieser akteurszentrierten Perspektive, des „bringing actors back in“ (Meyer/ Jepperson 2000: 117), liegt darin, dass Akteur_innen als individuelle Agent_innen definiert werden „whose motivations, behaviors, and relationships are of direct, rather than indirect, interest and attention“ (Lawrence/ Suddaby/ Leca, 2011: 55). Die vorausgesetzte ‚Direktheit’ von individueller Handlungsfähigkeit setzt das Argument der Bedingtheit von Struktur und Handlung
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(bzw. den Dualismus von Struktur) außer Kraft, indem ein autonomes Subjekt vorausgesetzt wird, ohne diesen Begriff zu klären. 3.3 Kritik am autonomen Akteursverständnis Im Institutional Entrepreneur- wie auch im Institutional Work-Ansatz bezieht sich das akteurszentrierte Verständnis auf Individuen und Organisationen (vgl. Lawrence/ Suddaby/ Leca: 2011). Der Wunsch dieser Ansätze, „to put agency back into institutional analyses of organizations“ (Hardy/ Maguire 2017: 276), favorisiert allerdings einen Handlungsbegriff, der eine individuelle, heroische Konzeption von Akteur_innen stärkt und eine Vorstellung des „heroic entrepreneurs and great ‚leaders’ who bring about change intentionally, strategically and creativiely“ (ebd.) fördert und re-essentialisiert. Gleichzeitig will der Ansatz aber auch in einem normativen Sinn ‚schwachen’ Akteur_innen zu ihrem Recht verhelfen. Die Suche nach einem unproblematischen individuellen Agency-Begriff setzt implizit einen ebensolchen Subjektbegriff voraus. Zwei Probleme scheinen uns hier gerade mit Blick auf Geschlecht und Agency bedeutsam: Erstens klärt der Bezug zu Giddens (1976, 1997) und zu Bourdieu (1976)4 zwar das ,Paradox of Embedded Agency’, nicht aber den Subjektbegriff, auf den sich die Ansätze implizit beziehen.5 Zweitens ist die versuchte ReEtablierung des Subjekts im Institutional Work-Ansatz sowie im Konzept des Institutional Entrepreneurs gerade mit Blick auf die feministische Theoriebildung als Rückschritt hinter machtanalytische und subjektkritische Ansätze zu lesen, wie wir gleich erläutern werden.
4 Bei Bourdieu (1976; vgl. Hofbauer/ Striedinger 2017) stehen gesellschaftliche Akteur_innen mit ihren Ressourcen-, Kapital- und Machtausstattungen im Mittelpunkt (vgl. Hasse/ Krücken 2005). Das heißt, eine individuelle Akteursperspektive ist daraus nicht ohne Weiteres für einen Institutional Work-Ansatz abzuleiten. 5 Beide Theorien werden gewinnbringend für Fragestellungen zum Verhältnis von Struktur und Agency mit Blick auf Geschlecht genutzt. Die Verknüpfung von Giddens gesellschaftstheoretischem Ansatz mit Geschlecht hat Kahlert (2012) ausgearbeitet, indem sie den,’Dualismus von Geschlecht’ entwickelt (vgl. auch Dörhöfer 2014). Auch Bourdieus’ Habitustheorie hat mehrere Weiterentwicklungen aus geschlechtertheoretischer Sicht erfahren, so gelangen Jäger/ König/ Maihofer (2012) zu einer Beschreibung eines männlichen und weiblichen Geschlechtshabitus (vgl. dazu auch Hofbauer/ Striedinger 2017).
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Mehrere Versuche, das Problem der „embedded human agency“, der „interrelationship (…) between individuals and their institutional environments“ (Battilana/ D’Aunno 2009: 43) zu klären, beziehen sich, wie erwähnt, auf Giddens Strukturationstheorie (1976, 1997). In seinem praxistheoretischen Ansatz wird „the potential of fantastic theoretical clarity“ vermutet (Hampel/ Lawrence/ Tracey 2017: 560), das als Grundlage für ein akteurszentriertes Konzept von Institutional Work dienen könne. Die Dualität von Struktur bezeichnet entsprechend auch die kontextuelle Eingebundenheit von Akteur_innen in Strukturen einerseits, andererseits die Veränderung von Strukturen und Institutionen eben dieser darin eingebundenen Akteur_innen. Sie verweist auf den sowohl beschränkenden als auch ermöglichenden Charakter von Strukturen. Das heißt, dass Strukturen und Institutionen die Handlungsfähigkeit nicht nur einschränken, sondern diese auch erst ermöglichen (vgl. Giddens 1976). Institutionen werden damit durch Handlungen (re-)produziert (vgl. Battilana/ D’Aunno 2009; Eberherr 2017). Die weitere Klärung von Handlung begründet Giddens (1976) mit der Ausdifferenzierung von diskursivem und praktischem Bewusstsein, einer Unterscheidung, die zwischen reflexivem, diskursivem Wissen und zur Routine gewordenem, nicht-reflexivem Wissen differenziert (vgl. auch Dörhöfer 2014; Eberherr 2017). Ein reflexives Bewusstsein wird im Institutional Work-Ansatz als Bedingung von Handlung und Arbeit an der Institution bezeichnet. Damit wird an eine Vorstellung eines autonomen, kritischen und handlungsfähigen Subjekts angeknüpft. Battilana/ D’Aunno (2009) gehen z.B. davon aus, dass Akteur_innen, wenn sie habitualisierte Routinen und Praktiken reproduzieren, dies oft in Kenntnis davon und mit Absicht tun. Nicht nur Battilana/ D’Aunno plädieren daher verstärkt für eine ‚relationale Perspektive’ (vgl. u.a. Emirbayer 1997; Emirbayer/ Mische 1998), welche die stetigen Interaktionen zwischen individuellen Akteur_innen und institutioneller Umwelt, in die sie eingebettet sind, einbezieht. Um die Beziehung zwischen den individuellen Akteur_innen und Institutionen genauer fassen zu können, fragen sie nach den „enabling conditions“ (Battilana/ D’Aunno 2009: 38f.), also nach den ermöglichenden Bedingungen für Handlungsmacht: Auf der Feldebene eröffnen Krisen, eine hohe Heterogenität an Institutionen sowie unvollständige Institutionalisierungsprozesse Handlungsspielraum. Auf der Ebene der Organisationen wird vor allem die Position der Organisation innerhalb eines Feldes, z.B. am Rande eines Feldes oder in Schnittstellen unterschiedlicher Felder, als Erklärung für nicht-institutionenkonformes Verhalten angeführt. Förderliche Bedingungen für die Entwicklung von Hand96
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lungsmacht auf der individuellen Ebene werden bezeichnenderweise nur im Zusammenspiel der drei Ebenen Individuum, Organisation und Feld betrachtet (vgl. ebd.). Die Autor_innen plädieren somit für eine relationale, multidimensionale Perspektive, um zu einer noch differenzierteren methodologischen Konzeption zu gelangen und das theoretische Problem der analytischen Trennung von Struktur und Handlung noch besser in den Griff zu bekommen. Warum erscheinen uns nun diese Annahmen von individueller Handlungsfähigkeit trotz Verweis auf die Dualität von Struktur problematisch? Battilana/ D’Aunno (2009) erwähnen zwar, dass Giddens’ „excessive subjectivism“ (ebd.: 44) kritisiert wurde. Sie führen jedoch die Konsequenzen für ihren Begriff von Subjekt nicht weiter aus. Ebenfalls fehlt eine Auseinandersetzung mit essentialisierenden Interpretationen des Subjektbegriffs. Wir schließen uns hier Willmott (2011) an, der zu Recht auf Ergebnisse der Kritischen Theorie und des Poststrukturalismus verweist und subjektkritische Reflexionen zur Konzeptualisierung von Institutional Work für notwendig hält. Willmott nimmt an, dass das Interesse an der Verknüpfung von Handlung und Individuum mit der Vorstellung zusammenhängt, dass Macht angesichts von Institutionen doch auf einer individuellen Ebene verortet werde und attestiert den Ansätzen, einen ,Kult des Individuums’ zu betreiben (vgl. ebd.: 69). Er moniert hier eine kritische Perspektive auf Konstruktionsprozesse von Individuum und Subjekt und gelangt zum Schluss, dass Institutional Work die Kritik des Subjektbegriffs einbeziehen sollte. Meyer und seine Weggefährten sprachen bereits 1994 vom „institutionellen Mythos des Individuums“ (Meyer/ Boli/ Thomas 1994: 21). Meyer/ Jepperson (2000: 100) entwickelten dann die These der institutionell eingebetteten Akteur_in in ihrer ausführlichen Diskussion zu „Actorhood“ und „Agency“ im NI weiter: Darin beschreiben sie die Geschichte des historischen und sozialen Konstruktionsprozesses der „modern actors“. Diese werden als ,autorisierte Agenten’ zahlreicher Interessen historisch und sozial hergestellt. Akteur_innen wie Individuen, Organisationen und Nationalstaaten, aber auch das Konzept von Agency selbst, sind Ergebnisse von Autorisierungsprozessen. Die Akteursposition entsteht, indem sie mit Autorität und Legitimation ausgestattet wird. Damit bringen Meyer/ Jepperson eine prozessorientierte und machtkritische Perspektive in die Konstruktionsprozesse von Agency ein. Sie verweisen explizit darauf, dass sich dieser Konstruktionsprozess über „age, sex, race, ethnicity, sexuality, physical limitation“ ausbildet (ebd.: 105). Diese Dimensionen sind wesentliche Bestandteile des Ausstattungsprozesses von Akteursposi97
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tionen mit Autorität und Legitimität. Die Autoren gelangen so zum Begriff der sozialen Agency, in dem Geschlecht Teil des Autorisierungsprozesses ist. Soziale Agency ist folglich erstens hochgradig konstruiert, sie ist zweitens das, was Meyer/ Jepperson „scripted” (einem Drehbuch folgend) nennen, und sie ist drittens legitimiert (ebd.: 101). Agency ist somit keine Qualität von Individuen angesichts von Institutionen, sondern Ergebnis eines Strukturierungsprozesses, bei dem Geschlecht, Alter, ‘Race’, (Dis)Ability, Class und weitere Dimensionen Teil der Konstruktion von Autorität sind.6 Insofern kann soziale Agency als eine neo-institutionalistische Antwort auf das ‚geschlechtslose’ Akteursverständnis des Institutional Work-Ansatzes verstanden werden. Die Annahmen von Meyer/ Jepperson (2000) zeigen Parallelen zur Dekonstruktion des autonomen Subjektbegriffs als Analyse von Machttechniken in Diskursen und bieten einen Anknüpfungspunkt für den von Willmott eingeforderten Einbezug kritischer Positionen.7 Aus einer Geschlechterperspektive möchten wir diese Kritik des Subjekts mit Judith Butlers Kritik am ,Mythos des Subjekts’ verknüpfen (Butler 1993: 47).8 Das Zustandekommen von Agency über die Konstruktion einer Subjektposition erlaubt eine kritische Perspektive auf den Zusammenhang von Geschlecht, Subjekt und Macht. Die Machtbeziehungen sind, wie Butler schreibt, immer in Bezug auf die „Matrix der geschlechtsspezifischen Beziehungen“ (Butler 1997: 29) konstituiert. Handlung wird nicht bestritten, ist aber in diese Matrix eingelassen (vgl. Kap. 1). Wir fassen drei für unsere Diskussion relevante Punkte zusammen: Erstens ist das Subjekt somit nicht der Handlung vorgängig, sondern Handeln ist an eine Subjektposition geknüpft. Zweitens ist die Konstruktion von Subjektpositionen durch Macht gekennzeichnet. Der Zusammenhang von Handlungsmöglichkeit, Subjekt und Macht besteht darin, dass „Macht die Bildung und Erhaltung der Subjekte orchestriert“ (Butler 1997: 32). Drittens ist Geschlecht Teil der Ausgestaltung der Machtbeziehungen im Konstruktionsprozess der Subjektposition.
6 Hier liegt der Bezug zu Butlers ,heteronormativer Matrix’ (Butler 1991: 38), aber auch zu Collins ,Matrix der Dominanz’ (Collins 2000: 246) nahe (vgl. Amstutz/ Spaar 2014). 7 Es zeigen sich hier auch Anknüpfungsmöglichkeiten an Michel Foucault (1980) sowie auch an Hardy/ Maguire (2017). 8 An anderem Ort verhandelt Butler die Dekonstruktion des Subjekts als Auseinandersetzung mit dem,Tod des Subjekts’ (vgl. Butler 1993: 47).
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Für die Diskussion von Agency und Geschlecht im institutionellen Kontext von Organisationen wird damit klar, dass ein nicht-problematisierter Subjektbegriff auf zentrale machtkritische Instrumente verzichtet. Butlers Dekonstruktion des Subjektbegriffs hat ihr den Vorwurf eingebracht, dass damit Handlungsvermögen und politische Praxis unmöglich würden. Diese Diskussion der 1990er Jahre ist exemplarisch im Dialog von Benhabib und Butler festgehalten (vgl. Benhabib 1993; Balzer/ Ludewig 2012). Auf die Frage, „wie denn das Projekt weiblicher Emanzipation ohne ein (...) regulatives Prinzip der Handlungsfähigkeit, der Autonomie und der Ichidentität überhaupt denkbar wäre“ (Benhabib 1993: 14), grenzt Butler ihren Vorschlag vom emanzipatorischen Modell der Handlungsfähigkeit ab (vgl. Butler 1993). Sie schlägt vor, „Handlungsfähigkeit als Umdeutung (resignification) neu zu definieren“ (ebd.: 125). Handlungsfähigkeit ist, so ihre leitende These, „kein spezifisches Charakteristikum des Subjekts, kein inhärenter Wille oder eine Freiheit“ (ebd.: 197), sondern, wie oben dargelegt, ein „Machteffekt“ (Butler 1998: 198) und Produkt der Subjektposition (Butler 1993). Hier liegt aus unserer Sicht das Interesse dieses Ansatzes für die Diskussion von Agency im Kontext von Machtbeziehungen: Die Subjektposition ist bereits Effekt von Macht und stellt „anerkennungswürdige bzw. intelligible (Re)Präsentationen von Personen“ bereit (Villa 2010a: 259). Individuen müssen, wie Villa (2010b) formuliert, Subjekte sein und „danach streben, Subjektpositionen gerecht zu werden (weil es) einfach keinen anderen Weg (gibt), der zum Akteursstatus führt“ (ebd.: 212): Die Subjektpositionen werden entlang der heteronormativen Matrix konstruiert, als Vater, Frau, Schwuler oder Migrantin wird die Subjektposition geschaffen und mit weiteren sozialen Attributen der Unterscheidung ausgestattet, wie Titel, Aufenthaltsstatus, Nationalitäten etc. Vor diesem Hintergrund verschiebt sich unser Blick weg von der ursprünglichen Stoßrichtung des akteurszentrierten Institutional Entrepreneur- wie auch Institutional Work-Ansatzes, in deren Zentrum vor allem die Frage steht, wer wie auf Institutionen einwirken kann, hin zu Überlegungen, wie Prozesse der Ausgestaltung von Subjektpositionen in Organisationen bzw. in Feldern vonstattengehen (können) und handlungswirksam werden. Deshalb schlagen wir nun nicht vor, subalterne politische oder organisationspolitische Handlungsmächtigkeit mit einer Mikroperspektive zu begründen, obwohl hier auch Vorschläge vorliegen (vgl. u.a. Rybnikova/ Lang 2017), sondern vielmehr Agency als Ergebnis kultureller Konstruktion, also als soziale Agency (vgl. Meyer/ Jepperson 2000), zu verstehen. Dies ermöglicht uns, auf die implizite Voraussetzung eines ungeklär99
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ten Subjektbegriffs sowie auf die problematische Unterscheidung von kompetenten (‚reflektierenden’) Akteur_innen und implizit inkompetenten (,nicht-reflektierenden’) Akteur_innen verzichten zu können. Weiter verlagert sich unser Interesse von der Akteurs- zur Prozessebene (vgl. Maguire/ Hardy 2009; Hardy/ Maguire 2017). Damit rücken (De-)Instutionalisierungsprozesse in den Fokus, die als Arbeit an Subjektpositionen und Geschlechterwissen skizziert werden können. 3.4. Soziale Agency und Geschlechterwissen Mehrere Ansätze des Institutional Work und des Institutional Entrepreneurs versuchen, die Darstellung der „humans as powerless and inert in the face of inexorable social processes“ (DiMaggio 1988: 10) in der Metapher des ‚Iron Cage’ zu korrigieren. Uns geht es hingegen darum, den als sozial und historisch konstruierten Begriff von Agency zu nutzen, um (De-)Institutionalisierungsprozesse von Geschlecht in Organisationen als Prozesse sozialer Agency zu reflektieren. Der prozessbezogene Ansatz, den Hardy und Maguire (2017) vorschlagen, ist für die Ausdifferenzierung der sozialen Agency unseres Erachtens vielversprechend, obwohl ‚Geschlecht’ auch in ihrer Arbeit nicht vorkommt. Sie beziehen ihre Überlegungen nicht explizit auf die Institutional Work-Ansätze, sondern auf das Konzept des Institutional Entrepreneurs, den sie von der personifizierten Unternehmerfigur und damit von der Akteurszentrierung loslösen und durch eine prozessbezogene „Entrepreneurship“ ersetzen (ebd.: 273, Hervorhebung i.O.). Die Autor_innen diskutieren, wie ein ‚Thema’ im Feld und in der Organisation an Legitimation gewinnt und sich (de-)institutionalisiert. Maguire und Hardy (2009: 151) benennen mit Verweis auf Oakes et al. (1998) und Covaleski et al. (1998) zwei zentrale Mechanismen von (De-)Institutionalisierungsprozessen: (a) die Legitimation neuer Subjektpositionen und (b) die Einführung neuer Wissensbestände, sogenannter ‚bodies of knowledge’. Hierzu ist Folgendes anzumerken: (a) Die Subjektpositionen sind nicht an Individuen geknüpft, sondern bezeichnen sowohl bürokratische Positionen (z.B. das Schaffen von neuen Funktionen oder Hierarchiestufen in Organisationen) wie auch sozial konstruierte und legitimierte Identitätsdimensionen oder ‚Stimmen’ (z.B. die Kommission der Gleichstellungsbeauftragten).
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(b) Damit verbunden ist der zweite (De-)Institutionalisierungsmechanismus, die Einführung neuer ‚bodies of knowledge’. Neue Wissensbestände stützen neue und de-legitimieren bestehende Diskurse. Mit diesen Wissensbeständen sind akademische wie auch rechtliche, politische oder zivilgesellschaftliche Wissensbestände sowie Alltagswissen gemeint. Gerade die Anerkennungsprozesse dieser ‚bodies of knowledge’ sind auch für die Frage nach der Legitimation von neuen Diskursen rund um Geschlecht zentral. Hier lässt sich an das geschlechtertheoretische Konzept des ‚Geschlechterwissens’ anknüpfen (vgl. Dölling 2007; Wetterer 2008; Riegraf/ Vollmer 2014; Kerner/ Saar 2015). Das Konzept des Geschlechterwissen geht von einem Verständnis von ,Geschlecht’ aus, das durch unterschiedliche Wissensbestände definiert ist; so gehen z.B. Andresen und Dölling (2008) von kollektiven, individuell-biografischen und feldspezifischen Wissensbeständen aus, die das alltagsweltliche Geschlechterwissen kontextbezogen formen. Das heteronormative Geschlechterwissen der Zweigeschlechtlichkeit, in dem Männlichkeit und Weiblichkeit relational und hierarchisch aufeinander bezogen sind, ist das aktuell dominierende Geschlechterwissen. Das Konzept des Geschlechterwissens impliziert historisch und lokal unterschiedliche Wissensformen (wie das Geschlechterverständnis des Staates, der Bildung, der Kultur, der Politik etc.), insofern ist das heteronormative binäre Geschlechterverständnis als historische, wenn auch langlebige Variante von Geschlechterwissen zu verstehen. Das Konzept des Geschlechterwissens trägt weiter dazu bei, zwischen alltagsweltlichem Geschlechterwissen und Expert_innen-Wissen unterscheiden zu können und so zu einem besseren Verständnis gleichstellungspolitischer Diskurse und z.B. der Beharrungskraft von Zweigeschlechtlichkeit beizutragen (vgl. Wetterer 2009; Riegraf/ Vollmer 2014). Mit diesem Blick auf Geschlechterwissen lassen sich die gegenwärtigen Debatten in Medien und Öffentlichkeit zu Geschlecht als Aushandlungsprozesse um die Definitionshoheit von Wissensbeständen verstehen (vgl. Kerner/ Saar 2015).9 Diese machtvollen Aushandlungsprozesse um Wissensbestände können mit dem neo-institutionalistischen Begriff der Institution verbunden wer-
9 Hardy/ Maguire (2017) beziehen sich nur am Rande, Kerner/ Saar (2015) in ihrer Diskussion des Geschlechterwissens im Neoliberalismus ausführlich auf Michel Foucault (1994).
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den (vgl. Kap. 1). Die Wissensbestände können anhand von Scotts DreiSäulen-Modell (1995) analysiert werden (vgl. Maguire/ Hardy 2009; Rybnikova/ Lang 2017). Unter Bezugnahme auf die regulative, normative und kulturell-kognitive Säule (vgl. Kap. 1) sowie auf die mit den drei Säulen verwobene körperliche Dimension (vgl. Kap. 2) schlagen wir vor, die ‚Arbeit an der Institution Geschlecht’ als Partizipation am Aushandlungsprozess um Wissensbestände und Subjektpositionen zu konzeptualisieren. Die drei Säulen und die damit verwobene Körperdimension können als jene Ebenen bezeichnet werden, auf denen die Legitimität von Wissensbeständen und Subjektpositionen immer wieder ausgehandelt werden. Die Verwendung der geschlechtersensiblen Sprache in Organisationen kann diesen Aushandlungsprozess veranschaulichen: Einige Verwaltungen, Bildungsinstitutionen und vereinzelte Betriebe in der Schweiz haben die geschlechtersensible Sprache und Schreibweise eingeführt. Diese hat aufgrund der Verbreitung konstruktivistischer Forschungsperspektiven, also auch hier bestimmter neuer Wissensbestände, Eingang in den Sprachgebrauch gefunden: Die Anerkennung der Performativität von Sprache und deren machtorganisierender Funktion haben aufgrund kritischer Diskussionen zur Einführung der geschlechtersensiblen Sprache in diesen Feldern geführt. Im empirischen Teil unseres Forschungsprojekts wurde deutlich, dass die geschlechtersensible Sprache feldspezifisch umgesetzt wird: in der Umweltschutzorganisation wird sie weitgehend erwartet. Mit Bezug auf Scotts Modell ist die geschlechtersensible Sprache dort als normative Dimension präsent, beispielsweise wenn sie in Human Ressource-Dokumenten des Unternehmens durchgängig verwendet wird. Die Human Ressource-Verantwortliche plant mit dem Bereitstellen eines Sprachleitfadens die Etablierung dieser Sprachpraxis auf der regulativen Ebene. Diese Formulierungspraxis bedient weiter die kulturell-kognitive Dimension, indem sie weibliche wie männliche Formen in alle Formulierungen einbringt, sie bestätigt aber zugleich das kulturell-kognitive Schema der Zweigeschlechtlichkeit. Im zweiten Kapitel dieses Buches wird Scotts Modell der Institutionalisierung noch um die Dimension des Körpers ergänzt. Dass „geschlechtsspezifische Normen nicht reproduziert werden können, ohne dass sie körperlich inszeniert werden“, verdeutlicht auch Judith Butler (2016: 46) erneut in ihrem jüngsten Buch. Die gegenwärtige Debatte um ein ‚Drittes Geschlecht’, die aufgrund queer-feministischer Forderungen zu *, x oder _ Schreibweisen geführt hat, zeigt eine weitere Veränderung dieses Institutionalisierungsprozesses: Der Wandel findet über die Anerkennung neuer Wissensbestände und Subjektpositionen sowie über Ver102
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körperungen durch queer-feministische Aktivist_innen statt und findet Eingang in Argumentationen und Repräsentationen. Die ‚Bodies of Knowledge’ entsprechen in diesem Beispiel sowohl akademischem als auch queer-feministischem und politischem Geschlechterwissen. Im Fall des jüngsten Entscheids des deutschen Bundesverfassungsgerichts zum Dritten Geschlecht10 erhielten diese Positionen im Legitimationsprozess von rechtlich-regulativer Seite Unterstützung. Die drei Säulen und die darin verwobene Dimension Körper, auf denen Institutionen beruhen, können als analytische Unterscheidung der Ebenen dienen, auf denen Legitimität von Wissensbeständen und Subjektpositionen immer wieder ausgehandelt werden. Die vehement geführten Diskussionen zur Praxis geschlechtersensibler Sprache und Schreibweise zeigen das Seilziehen um die Autorität von Wissensbeständen, von Subjektpositionen und körperlichen Repräsentationen. Es wird zudem deutlich, dass auch gleichstellungspolitische Errungenschaften wie die geschlechtersensible Sprache von neuen Positionen wiederum herausgefordert werden, die Reproduktion der Zweigeschlechtlichkeit zu reflektieren. Diese prozessorientierte Perspektive auf (De-)Institutionalisierung von Geschlecht basiert auf einem Verständnis sozialer Agency, das durchaus nützliche Hinweise für die Gleichstellungspolitik liefern kann. 3.5 Fazit Der Wunsch vonseiten Vertreter_innen der Institutional Work- und Institutional Entrepreneur-Ansätzen, Einflussmöglichkeiten auf mächtige Institutionen zu beschreiben, ruft die Frage nach Agency sowie ihre Verschränkung mit Macht auf den Plan. Die ursprünglichen NI-Annahmen liefern hierzu nur bedingt Anknüpfungsmöglichkeiten. So interessierte sich der NI in seinen Gründungsjahren für die Abhängigkeit von Akteur_innen von Institutionen und gerade nicht für den Handlungsspielraum von Akteur_innen innerhalb von Institutionen. Institutional Work wie auch Institutional Entrepreneur-Ansätze verfolgen mit ihrem Ziel „bringing actors back in“ (Meyer/ Jepperson 2000: 117) eine normative Stoßrichtung, die
10 Im November 2017 hat das deutsche Bundesverfassungsgericht ein drittes Geschlecht für den Eintrag im Geburtenregister gefordert. Siehe bspw.: http://www. zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-11/bundesverfassungsgericht-fuer-drittesgeschlecht-im-geburtenregister.
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individueller Agency zu ihrem Recht verhelfen soll. Ausgehend von der geschlechtertheoretischen Kritik am Konzept des autonomen Subjekts (vgl. Butler 1993; 2016) haben wir dagegen eine prozessbezogene Spielart von Agency diskutiert: Agency beruht in diesem Verständnis auf sozialen Aushandlungsprozessen um die Autorisierung von Wissensbeständen, Subjektpositionen und Verkörperungen. Dabei geht es weniger darum, individuelle Handlungsmacht auszuloten, sondern soziale Prozesse von Ermächtigung und Autorisierung zu beschreiben. (De-)Institutionalisierung von Geschlecht kann in diesem Verständnis sozialer Agency die Herausforderung etablierter und die Setzung neuer Formen von Geschlechterwissen bedeuten. Als verschiedene Formen von Geschlechterwissen können wissenschaftliche, rechtliche und politische Wissensbestände, aber auch sogenanntes Alltags- und Erfahrungswissen in die Konstruktion von Agency eingebunden werden. Für die Arbeit an Institutionen braucht es in der Tat Ressourcen, wie dies DiMaggio (1988) mit dem Institutional Entrepreneur beschreibt. Entfaltet sich Agency auch dort, wo finanzielle Mittel oder formal-hierarchische Positionen fehlen, dann baut eine Subjektposition auf weiteren Ressourcen wie neue Wissensbestände, Kollektivität, aber auch auf Zugang zu Machttechniken und Kommunikationsmitteln auf. Hier lässt sich eine Forschungsperspektive für empirische Studien zum Einfluss von Wissensbeständen auf die Institution Geschlecht bzw. das Geschlechterwissen weiterverfolgen und damit verbundene (organisations-)politische Prozesse in Organisationen nachzeichnen. Damit eröffnet sich zudem eine Perspektive, die für die organisationale Gleichstellungsarbeit Ansatzpunkte liefert. Das ‚Paradox of Embedded Agency’ trifft für organisationale Gleichstellungspolitik hochgradig zu: Die Absorption von Gleichstellungs- und Diversitypolitiken durch die organisationalen Diskurse und Institutionen sind in diesem Buch ausführlich dokumentiert. Gestärkt werden kann die Arbeit an der Institution Geschlecht durch die aktive Konstruktion von Subjektpositionen, indem akademische, aktivistische, rechtliche, alltagsbezogene und politische Wissensbestände aktiv in die organisationalen Argumentationen einbezogen werden.
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4 Isomorphie: Machtvolle Angleichungsprozesse bei der Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen Nathalie Amstutz/ Hanna Vöhringer
4.1 Einleitung Isomorphie gehört zu den Kernthesen des Neo-Institutionalismus (NI) und befasst sich mit Angleichungsprozessen von Organisationen: Organisationen gleichen sich in Innovations- und Wandlungsprozessen innerhalb eines Feldes aneinander an. Dies tun sie aufgrund von Legitimationsbedarf, Unsicherheit und aufgrund von Standardisierungsprozessen durch Professionen. In diesem Kapitel gehen wir der Frage nach, inwiefern das Konzept der Isomorphie einen Beitrag zur Erklärung des Umgangs von Organisationen mit Gleichstellungserwartungen und dabei zu beobachtenden Beharrungs- und Transformationsprozessen von Geschlechterarrangements leisten kann. Wir knüpfen an DiMaggios und Powells (1983: 147) Konzept an und greifen ihre Frage auf: „What makes organizations so similar?“ Differenziert wird dabei zwischen verschiedenen Formen der Angleichung bzw. „isomorphen Mechanismen“, bei denen Organisationen bestimmte „Modelle“1 übernehmen, die sich im Feld2 durchsetzen (vgl. Kap. 5). Die Autoren deuten die Angleichung zwischen Organisationen zum einen als Antwort auf technische Anforderungen des Marktes, also aus Effizienzbedarf heraus, aber zugleich auch als Mittel, um Legitimation zu erlangen (vgl. DiMaggio/ Powell 1983; Meyer/ Rowan 1977). Damit wird die Beziehung von Organisation und Gesellschaft, die den Zugang von Organisationen zu Ressourcen regelt, neu definiert: Sie ist nicht mehr
1 Mit Modellen bezeichnen DiMaggio/ Powell z.B. Managementkonzepte, -praktiken und -strukturen, die Organisationen zur Erfüllung gesellschaftlicher Erwartungen und zur Herstellung von Legitimität voneinander kopieren und übernehmen (vgl. DiMaggio/ Powell 1983). 2 Nach DiMaggio und Powell entsteht ein Feld über den Austausch von Organisationen, „that, in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life: key suppliers, resource and product consumers, regulatory agencies, and other organizations that produce similar services and products“ (DiMaggio/ Powell 1983: 148).
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nur primär als technische, sondern – und dies ist für die folgende Argumentation wesentlich – auch als Sozial- und Kulturbeziehung zu verstehen (vgl. Lawrence 2008; Senge 2011). Teil dieser Sozial- und Kulturbeziehung sind auch Gleichstellungserwartungen. DiMaggio/ Powells Frage, was Organisationen so ähnlich mache, beantworten sie bekanntermaßen mit einem Set an isomorphen Mechanismen. Diesen Grundgedanken greifen wir auf und fragen nach organisationalen Angleichungsprozessen im Hinblick auf Gleichstellungserwartungen. Wir diskutieren in diesem Kapitel, ob ausgehend vom Isomorphiekonzept auch Angleichungen zwischen Organisationen bezüglich ihrer Verarbeitungsformen von Gleichstellungserwartungen zu beobachten und überdies auch Mechanismen der Reproduktion organisationaler Geschlechterverhältnisse zu erkennen sind. Die Ähnlichkeit organisationaler Geschlechterverhältnisse zeigt sich in den Asymmetrien, die Acker (2009) als „Gendered Organization“ oder „Gendered Subtext“ oder Connell (2006) als „Organizational Gender Regimes“ bezeichnen. Damit sind die bekannten Muster der horizontalen und vertikalen Geschlechtersegregation angesprochen, die paradigmatisch am Gender Pay Gap, an der Übervertretung von Frauen im unteren und ihrer Unterrepräsentanz im obersten Lohnsegment von Organisationen sowie an geschlechtersegregierten Berufen und Tätigkeitsfeldern ablesbar sind (vgl. u.a. Busch-Heizmann 2015; Häfeli et al. 2015). Organisationale Geschlechterverhältnisse unterscheiden sich zwar voneinander, diese Unterscheidung ist aber stark von der Branche und Größe der Organisation, vom Internationalisierungsgrad oder der lokalen Verankerung abhängig. Insofern ist der Kontext des Feldes für diese Ausprägung von organisationalen Geschlechterverhältnissen mitbestimmend. Vergleichende Studien dokumentieren durchaus Wandel in Richtung Gleichstellung der Geschlechter (so beispielsweise jüngst Eriksson-Zetterquist/ Renemark 2016), es zeigt sich aber gleichzeitig eine erstaunliche Ähnlichkeit in der Persistenz der horizontalen und vertikalen Segregation (vgl. u.a. Europäische Union 2017). Unsere These ist, dass sich auch Organisationen in der Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen aneinander orientieren und angleichen. Gemäß der Isomorphiethese von DiMaggio/ Powell beobachten Organisationen einander und übernehmen voneinander bestimmte, als innovativ oder erfolgreich eingeschätzte Managementmodelle. Wir gehen davon aus, dass sich solche Modelle auch für die Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen durchsetzen. Diese beinhalten neben einer technischen Seite auch soziale und kulturelle Aspekte. Mit diesen ‚(Vorzeige-)Modellen‘, so 112
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unsere Annahme weiter, werden jedoch auch bestimmte, meist nach wie vor heteronormativ geprägte Vorstellungen von Geschlecht transportiert (vgl. u.a. Hofmann 2017), die sich dann als das vorherrschende Geschlechterwissen (vgl. Dölling 2007; Wetterer 2009) in Organisationen etablieren. Die Vorstellungen von Geschlecht können durchaus divergieren und zu konflikthaften Aushandlungsprozessen um die Definitionsmacht von Geschlecht führen. Gerade die Aushandlungsprozesse um Interessen und letztlich um Macht diskutiert der NI kaum, was mehrfach kritisiert wurde (u.a. Munir 2015). Mit der Verbreitung bestimmter organisationaler Lösungen als Antwort auf Gleichstellungserwartungen, wird auch die Reproduktion vergeschlechtlichter Machtverhältnisse unterstützt. Diese Angleichungsmechanismen können die emanzipatorische Stoßrichtung von Gleichstellungsmaßnahmen erheblich konterkarieren. Unser Interesse an einer Erweiterung des Isomorphiekonzepts liegt darin, diese Prozesse aufzudecken. So ist das Isomorphiekonzept nicht nur um eine Geschlechterperspektive zu erweitern, es muss auch unter die Lupe genommen werden, welche Modelle sich gerade im Kontext gleichstellungsbezogener Maßnahmen im Feld durchsetzen und damit als legitim gelten. Deshalb scheint es uns bei allen organisationalen Differenzen gerechtfertigt, dem Isomorphiekonzept erst einmal zu folgen, um den bis heute zu beobachtenden Trend zur Homogenisierung von organisationalen Konzepten im Umgang mit Gleichstellungserwartungen zwischen Organisationen im Feld erklären zu können. Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: In einem ersten Schritt (4.2) geben wir einen Überblick über das von uns verwendete Isomorphiekonzept und fassen kurz zentrale Forschungspositionen dazu zusammen. Vorgestellt werden die drei einschlägig bekannten Isomorphie-Varianten, die Angleichungsprozesse bewirken: erstens die coersive Isomorphie, die Effekte von rechtlichen Vorgaben auf Organisationen beschreibt; zweitens die mimetische Isomorphie, mit der Organisationen sich aneinander orientieren und durch die Übernahme von etablierten Modellen Unsicherheiten absorbieren; und drittens die normative Isomorphie, die angleichende Effekte aufgrund von professionellen Standardisierungsprozessen beschreibt. Wir verknüpfen in einem zweiten Schritt (4.3) diese isomorphen Prozesse mit einer geschlechtertheoretischen Perspektive und diskutieren die widersprüchlichen Effekte der Angleichungsprozesse bezüglich ‚Geschlecht’. Damit rücken Angleichungsmechanismen in den Blick, mit denen nach wie vor heteronormative Geschlechtervorstellungen im Feld transportiert werden. Hier schließen wir mit einigen ersten machtkritischen Überlegun113
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gen zur Reproduktion der heteronormativen Institution in isomorphen Prozessen an (4.4). Das Kapitel schließt mit einem Fazit und einem Blick auf dessen mögliche Relevanz für organisationale Gleichstellungspolitiken (4.5). 4.2 Zum Konzept der Isomorphie Isomorphie – ein Begriff, der zunächst ‚von gleicher Gestalt’ meint – wurde vor über vierzig Jahren organisationstheoretisch gewendet und spätestens seit der intensiven Rezeption des NI in der Organisationsforschung etabliert (vgl. u.a. Schiller-Merkens 2008; Boxenbaum/ Jonsson 2017; Wedlin/ Sahlin 2017). Dabei geht es um die Frage, weshalb sich Organisationen gerade in Prozessen des Wandels stark aneinander angleichen. Meyer/ Rowan (1977) gehen davon aus, dass sich Organisationen durch die Adaption entsprechender formaler Strukturen und Managementpraktiken als rational ausweisen und dadurch Legitimität erzielen. Dieser Legitimationsbedarf erklärt den Druck auf Organisationen, sich aneinander zu orientieren. DiMaggio/ Powell konkretisierten 1983 den Gedanken der Isomorphie, nachdem sie eine weitere wichtige Einheit innerhalb der neo-institutionalistischen Theorie, das Feld, definierten (vgl. Kap. 5). So konnten sie eine starke Ähnlichkeit von Organisationen in ihrem jeweils spezifischen organisationalen Feld beobachten. Die Isomorphiethese nach DiMaggio/ Powell (1983) weist damit zwei charakteristische Merkmale auf: Angleichungsprozesse zwischen Organisationen (Homogenisierung) und Ähnlichkeit von Organisationen (Homogenität) im Feld. Meist wird in der Forschung Isomorphie als eine Ähnlichkeit in Bezug auf organisationale Strukturen und Praktiken respektive als eine Struktur- oder Praxisangleichung definiert (vgl. u.a. Walgenbach/ Meyer 2008). Diese entsteht durch vier Formen des Austauschs: 1. die verstärkte Interaktion unter Feldmitgliedern, 2. die Ausbildung klar definierter Status-Ordnung und Koalitionsmuster, 3. ein verstärkter Informationsaustausch und 4. die gegenseitige Wahrnehmung und das Bewusstsein voneinander (vgl. Powell/ Oberg 2017). Über diesen Austausch im Feld werden Institutionen übernommen und reproduziert. Hier knüpfen wir an und legen unseren Fokus auf die Reproduktion der heteronormativen Institution Geschlecht (vgl. Kap. 1). Darüber hinaus erzeugen rechtliche Vorgaben (coersive Isomorphie)
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Druck auf Organisationen, Anpassungen vorzunehmen und bringen sie dazu, sich in der Umsetzung dieser Vorgaben aneinander zu orientieren. DiMaggio und Powell bezeichnen den Prozess der gegenseitigen Angleichung von Organisationen als Modellierung: „Modeling, as we use the term, is a response to uncertainty“ (DiMaggio/ Powell 1983: 151). Was kopiert oder übernommen wird, sind bestimmte Managementkonzepte, -strukturen und praktiken, die als innovative Lösungen für bestimmte Probleme gelten. Die Autoren bezeichnen diese übernommenen Lösungen als Modelle. Beispiele dafür sind etwa Qualitätsmanagement, New Public Management, aber auch, wie wir sehen werden, Konzepte wie Diversitätsmanagement. Auch Arbeitszeiterfassungssysteme, der Einsatz von Social Media in Rekrutierungsprozessen oder Work-Life-Balance-Konzepte können als innovationsversprechende Modelle in DiMaggio/ Powells Sinn verstanden werden. Diese übernommenen Konzepte, Strukturen und Praktiken, so die Isomorphiethese, setzen sich als Lösung im Feld durch und werden laufend von Feldmitgliedern übernommen (vgl. DiMaggio/ Powell 1983; Walgenbach 2014). Zentrales Kriterium für die Übernahme solcher ‚Modelle’ ist – neben Effizienz – die Legitimität dieses Modells und der Erfolg, der ihm zugeschrieben wird (vgl. Knoll 2012).3 Das Isomorphiekonzept von 1983 blieb nicht ohne Kritik und wurde in der Folge stetig weiterentwickelt. Zum einen erfuhr die Fokussierung auf Homogenisierungsprozesse, insbesondere in der sogenannten zweiten Phase des NI4, Kritik. Moniert wurde auf der interorganisationalen Ebene unter anderem eine fehlende dynamische Ausrichtung des Feldbegriffs sowie auch die Ausblendung der Frage, wie Wandel möglich ist (vgl. u.a. Walgenbach/ Meyer 2008).5 Ein zweiter zentraler Kritikpunkt betrifft das weitgehende Ausblenden von Machtverhältnissen in der Konzeption der
3 Siehe hierzu beispielsweise auch die Studie von Dobbin/ Kalev 2017. 4 Die sogenannte zweite Phase bezieht sich auf die Forschungstätigkeit seit der Veröffentlichung von Powell und DiMaggios Buch „The New Institutionalism in Organizational Analysis“ 1991, die zentrale Begriffe und Konzepte kritisierte, präzisierte und weiterentwickelte (vgl. u.a. Koch 2009). Ab dann standen institutioneller Wandel, ebenso wie Fragen von Heterogenität, Vielschichtigkeit und Komplexität von Organisationen im Forschungsfokus. 5 Seither hat sich auch das Konzept institutioneller Feldlogiken durchgesetzt (vgl. u.a. Walgenbach 2014; Thornton/ Ocasio/ Lounsbury 2012; Greenwood et al. 2011). Organisationen beziehen sich auf verschiedene Logiken wie Marktlogik oder Finanzlogik, die eigene Felder ausprägen und so ein Muster für Entscheidungen, Interpretationen und Verhalten darstellen (vgl. u.a. Thornton/ Ocasio/ Lounsbury
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Isomorphiemechanismen (vgl. u.a. Fligstein/ McAdam 2012). Machtverhältnisse und organisationale politische Prozesse erfuhren nur marginale Beachtung im Konzept der Isomorphie, was unter anderem in Zusammenhang mit dem vernachlässigten Akteur_innenbegriff gebracht wird (vgl. u.a. Boxenbaum/ Jonsson 2017; vgl. Kap. 3). Ein weiterer Forschungszweig widmete sich aus einer innerorganisationalen Perspektive der Frage von Homogenität und Heterogenität von Organisationen, die oft aus einer Vielzahl von Sub-Einheiten bestehen (vgl. u.a. Hambrick et al. 2005). Diese Perspektive befasst sich mit der Reaktion von Organisationen auf unterschiedlichste Umwelterwartungen. Sie reagieren gerade nicht, so die Kritik am Isomorphiekonzept, mit homogener Anpassung oder Angleichung, sondern auf vielfältige Weisen und entwickeln dabei, je nach Sub-Einheit, verschiedene innerorganisationale Logiken (vgl. u.a. Dacin/ Goodstein/ Scott 2002; Kostova/ Roth 2002). Die für die Isomorphiethese zentralen Kopiermechanismen wurden als zu mechanistisch kritisiert; was z.B. den ‚Translation‘-Ansatz dazu veranlasst hat, die jeweiligen Veränderungen und organisationsspezifischen Anpassungen der ‚Modelle’ zu betonen (vgl. Czarniawska/ Sevón 1996). Die Kritik wurde teilweise jedoch wieder relativiert. Becker-Ritterspach/ Becker-Ritterspach (2006) erinnerten z.B. daran, dass DiMaggio und Powell (1983) auch organisationale Vielfalt und Veränderung thematisiert haben, wenngleich sie zur Bestimmung organisationaler Felder Kriterien der Ähnlichkeit festlegten, die sie als Effekte isomorpher Prozesse zu bestimmen versuchten.6 Dies bringt uns zu der Frage: Welchen Beitrag leistet das Konzept der Isomorphie, um die – trotz aller Vielfalt – über unterschiedliche Organisationen hinweg sichtbare und persistente Ähnlichkeit in der Bearbeitung von Gleichstellungserwartungen fassbar zu machen? Diese geht über in eine zweite Frage, die damit eng verknüpft ist: Inwiefern sind übernommene Modelle verge-
2012; Weber/ Petal/ Heinze 2013). Das Konzept der Feldlogiken fragt u.a. nach „(…) the socially constructed, historical patterns of cultural symbols and material practices“, welche „assumptions, values, and beliefs“ sowohl von Individuen als auch von Organisationen miteinschließt und eine Bedeutung für Alltagsaktivitäten, Routinen und Erfahrungen generiert (Thornton/ Ocasio/ Lounsbury 2012: 2). 6 Weiter wurden auch isomorphe Prozesse Gegenstand der jüngeren neo-institutionalistischen Forschung, wie die Verbreitung von Innovationen, Regeln und (neuen) Standards (vgl. u.a. Tempel/ Walgenbach 2007). Ein Beispiel dafür ist die Forschung zu Corporate Social Responsibility (vgl. u.a. Hiß 2006; Haack/ Schoeneborn/ Wickert 2012).
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schlechtlicht und fördern so die Persistenz von Geschlechterasymmetrien in Organisationen? Im Folgenden werden die drei Typen der Isomorphie nochmals aufgegriffen, wobei es uns darum geht, deren Bedeutung in der organisationalen Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen und Reproduktion von Geschlechterungleichheiten zu diskutieren. Dabei können wir auf ausgewählte Ergebnisse der Geschlechterforschung zurückgreifen.7 Insbesondere die normative Isomorphie, die als dritter Typus vorgestellt wird und sich mit Standardisierungsprozessen von Professionen, Netzwerken und Einstellungs- und Beförderungspraktiken befasst, bietet, wie wir zeigen werden, Anknüpfungsmöglichkeiten an geschlechtertheoretisch relevante Forschungsergebnisse. Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass es sich bei den isomorphen Mechanismen, die der frühe NI vorgeschlagen hat, um analytische Unterscheidungen handelt, die sich weder konzeptionell noch in der Empirie eindeutig voneinander trennen lassen. 4.3 Isomorphe Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen a) Coersive Isomorphie Das Konzept der coersiven Isomorphie bezeichnet Angleichungen zwischen Organisationen durch die Wirkungsmacht von Regeln, Gesetzen und Verträgen. Für die Diskussion der Verarbeitungsformen von Gleichstellungserwartungen ist die organisationale Wahrnehmung der rechtlichen Vorgaben von großer Bedeutung, geht es bei den rechtlichen Vorgaben doch darum, wie gesellschaftlich ausformulierte Erwartungen der Geschlechtergleichstellung von Organisationen wahrgenommen und interpretiert werden. Druck auf Organisationen üben in erster Linie staatliche Regelungen aus, es kann sich aber auch um Vorgaben wirkungsmächtiger Organisationen wie der Muttergesellschaft eines Konzerns handeln (vgl. u.a. Kostova/ Roth 2002). Beispiele dieses Drucks sind technische Vorgaben oder Umweltstandards, die Industriebetriebe erfüllen müssen, um bestimmten, ge-
7 Die Wirkung und Gestaltung der rechtlichen Vorgaben (coersive Isomorphie) führt in Debatten der Legal Gender Studies (vgl. u.a. Arioli et al. 2008; Lempen/ Voloder 2017). Entsprechende Studien mit Bezug zur mimetischen Isomorphie sind hingegen noch kaum vorhanden.
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setzlich vorgeschriebenen Standards zu entsprechen. Bezüglich Geschlechtergleichstellung fallen unter diese coersive Form der Isomorphie unter anderem die Angleichung von Organisationen hinsichtlich ihrer Umsetzung der Gleichstellungsgesetze (Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann, GlG, für die Schweiz; Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, AGG, für Deutschland; und Bundesgesetz über die Gleichbehandlung, GlBG, für Österreich).8 Ein Beispiel sind Geschlechterquoten, wie sie in mehreren Mitgliedstaaten der EU für börsennotierte Unternehmen vorgeschrieben sind. Weitere Beispiele sind die Lohngleichheitsprüfung, die Unternehmen für die Bearbeitung staatlicher Mandate vorlegen müssen, oder die Regelungen von Mutterschaftsurlaub und Elternzeit.9 Der Druck zur Angleichung zwischen Organisationen ist bei diesem Isomorphietypus meist über explizite Standards formalisiert und deren Erfüllung ist verpflichtend. Die Instanz der Verbreitung coersiver Isomorphie ist im Fall von rechtlichen Vorgaben oder Verordnungen meist transparent. Damit ist die Autorität und Geltungsmacht der Vorgaben nachvollziehbar und deren Nicht-Befolgung kann – in bestimmten Fällen – mittels Sanktionen geahndet werden. Dieser Isomorphietypus erlaubt nun, die Art und Weise, wie Organisationen Gleichstellungsgesetze und Nichtdiskriminierungsrichtlinien wahrnehmen und für sich ausdeuten, in den Blick zu nehmen und dabei insbesondere die Rolle des Feldes einzubeziehen. Mit dem Isomorphiekonzept wird deutlich, dass der Interpretationsspielraum bezüglich Verbindlichkeit, Sinnhaftigkeit und Opportunität der Erfüllung der rechtlichen Vorgaben feldspezifisch geprägt ist. Überlegungen zu diesem Interpretationsspielraum stellt der bereits erwähnte Translation-Ansatz an.10 Dieser betont mit der Weiterentwicklung des Isomorphiekonzepts nicht die Angleichung im Feld, sondern die unterschiedlichen Übersetzungen, welche Modelle (der Translation-Ansatz spricht von ‚Ideen’) in Organisationen erfahren. ‚Ideen’ werden zwar nachgeahmt, im Übersetzungsprozess aber „lokal jeweils neu hervorgebracht“ (Offenberger/ Nentwich 2017: 312). Offenberger/
8 Vgl. Anhang. 9 Vgl. Anhang. 10 Der Translation-Ansatz befasst sich mit den jeweiligen unterschiedlichen organisationalen Adoptionsformen von ‚Modellen’. Die Eingrenzung der Diskussion auf innerorganisationale Prozesse ergibt für unsere Fragestellung jedoch wenig Sinn, da mit dem Isomorphiekonzept gerade die Relevanz des Feldes in den Blick genommen wird.
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Nentwich (2017) weisen auf die ‚Abflachung’ hin, welche ‚Ideen’ im Translation-Prozess erfahren. Diese Perspektive auf Umdeutungsprozesse scheint uns in Bezug auf rechtliche Vorgaben für Analysen der praktischen Wirksamkeit der Gesetzgebung relevant. Organisationen schaffen sich in ihrer Wahrnehmung und Deutung rechtlicher Vorgaben einen Interpretationsspielraum hinsichtlich der Verbindlichkeit und dem Bedeutungsgehalt, der den Vorgaben zugeschrieben wird. Dies ist für die Wirkungsentfaltung der Gesetze eine Herausforderung (vgl. Arioli et al. 2008; Wrase 2013). Evaluationen des AGG in Deutschland (vgl. Berghahn et al. 2016) und des GlG in der Schweiz (vgl. Stutz/ Guggisberg 2005; Lempen/ Voloder 2017) untersuchen die Wirksamkeit der Gesetze. Eine zentrale Rolle spielen dabei der Bekanntheitsgrad der Gesetzgebung in den Betrieben sowie die Sensibilisierung von Justiz und Schlichtungsstellen für die Instrumente und Ziele der Gesetzgebung. Die Evaluationen ziehen daraus Schlüsse für die Rechtsentwicklung wie auch für eine Verbesserung der praktischen Wirksamkeit der Gesetze. Mit dem Isomorphieansatz lässt sich hierzu ein wichtiger Aspekt in den Blick nehmen: DiMaggio und Powell (1983: 150) bezeichnen den Effekt der coersiven Isomorphie als „force, as persuasion, or as invitations to join collusion“. Der Druck, den rechtliche Vorgaben erzeugen, ist also nicht nur als Zwang („force“) zu begreifen, sondern entwickelt sich, je nach Standpunkt der Organisation, auch aufgrund ihrer Überzeugung. Diese ist zu einem hohen Maße vom relevanten Feld abhängig. Die ‚Einladung im Feld’, sich rechtliche Vorgaben zu eigen zu machen, beeinflusst die Relevanz, die Organisationen rechtlichen Vorgaben zuschreiben. Dies zeigt sich beispielhaft in den empirischen Ergebnissen des DACH-Projekts (vgl. Teil III): Für eine Non-Profit-Organisation bedeutet die Gleichstellungsgesetzgebung z.B. eine „Bottom Line“, die für die Ausarbeitung der Gleichstellungspolitiken einen wesentlichen Bezugsrahmen bildet, der übertroffen werden soll. For-Profit-Organisationen hingegen thematisieren weniger das Recht als Ressource ihrer Gleichstellungsarbeit, denn als Aufgabe der Rechtsabteilung, Klagen zu vermeiden. Insofern ist die Art und Weise der Rezeption und der Arbeit mit der Gesetzgebung in organisationalen Gleichstellungspolitiken vom Feld der Organisationen mitbestimmt. Berghahn et al. (2016) kommen in ihrer Evaluation des AGG unter anderem zu dem Schluss, dass in einem nächsten Schritt ein verbindlicherer Rahmen durch Betriebsvereinbarungen und Gleichstellungspläne geschaffen werden sollte. Das heißt implizit, dass die organisationale Wahrnehmung und der Interpretationsspielraum bezüglich der Gesetze geklärt wer119
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den soll. Dadurch erhoffen sich die Autor_innen der Evaluation eine Stärkung der praktischen Wirksamkeit des Gesetzes. Die Evaluation nach zehn Jahren GlG in der Schweiz strich ebenfalls hervor, dass der Bekanntheitsgrad des Gesetzes unter Personalverantwortlichen in den Betrieben zu verbessern sei (vgl. Stutz/ Guggisberg 2005). Ist der Bekanntheitsgrad der Gesetze, die wahrgenommene Verbindlichkeit, aber auch die Operationalisierung der Umsetzung von isomorphen Prozessen im Feld mitbeeinflusst, so stellt sich die Frage nach der Ausdifferenzierung dieser Prozesse der Angleichung im Feld: Der coersive isomorphe Druck wird durch mimetische und normative Isomorphien feldspezifisch verstärkt oder konterkariert. b) Mimetische Isomorphie Die mimetische Isomorphie, Angleichung durch Nachahmung, bildet den zweiten, von DiMaggio/ Powell (1983) benannten Typus. Die Autoren verstehen darunter, wie ausgeführt, das bewusste oder unbewusste Kopieren und Imitieren von Managementkonzepten, Strukturen und Praktiken durch Organisationen im Feld. Die Gründe für die Imitation werden auf Unsicherheiten der Organisationen in Prozessen des Wandels oder angesichts von Innovationsbedarfen zurückgeführt. Das heißt, je größer die Unsicherheit, desto eher tendieren Organisationen dazu, sich an anderen zu orientieren. Dies erst recht, wenn sie davon ausgehen, dass sie durch das Kopieren von Strategien, Prozessen oder Managementpraktiken ihre eigenen Erfolgschancen erhöhen können. Das Konzept der mimetischen Isomorphie zeigt jedoch nicht auf, warum eine Organisation zur Trendsetterin und ihr Managementkonzept zum Modell geworden ist und eine andere nicht. Ebenso bleiben die Kriterien, die ein Modell als ‚erfolgreich’ und deshalb kopierwürdig auszeichnen, aber vor allem auch die Aushandlungsprozesse um diese Vormachtstellung im Feld, weitgehend im Dunkeln. Eine entscheidende Rolle für die Übernahme von Modellen spielt aber die Notwendigkeit für Organisationen, als Mitglieder eines Feldes erkennbar zu sein und darüber Legitimation zu erlangen (vgl. Almandoz/ Marquis/ Cheely 2017). Das heißt, dass die Angleichung nicht nur über die Orientierung an Modellen funktioniert, mit denen Problemlösungsstrategien erzielt werden sollen, sondern dass damit ausdrücklich auch Ähnlichkeit mit dem Feld angestrebt wird, um als ein feldspezifisches Mitglied erkennbar zu sein und qua Mitgliedschaft Legitimität auszuweisen. 120
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Übertragen auf die Wahrnehmung und Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen erlaubt das Konzept der mimetischen Isomorphie bestimmte, unter Organisationen weit verbreitete Lösungen zu Gleichstellungsfragen als Effekte isomorpher Prozesse bzw. machtvoller Kopiervorgänge in den Blick zu nehmen. So ist beispielsweise das ‚Modell Teilzeitarbeit‘ als Förderinstrument der Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz besonders verbreitet (vgl. u.a. Offenberger/ Nentwich 2017; Amstutz 2015), wie auch unser empirisches Material bestätigt (vgl. Teil III). Dies hat unter anderem mit strukturellen Aspekten, wie der hohen gesetzlich geregelten Wochenarbeitszeit und den noch nicht flächendeckend zur Verfügung stehenden Kinderbetreuungsangeboten zu tun. Unsere empirische Studie zeigt, dass die Maßnahme der Teilzeitarbeit zwar zur Vereinbarkeit beiträgt, dass aber genau dieses Lösungsangebot entlang einer heteronormativen Vorstellung von Geschlecht organisiert ist, welche Vereinbarkeit vor allem an Mütter richtet und von diesen wahrgenommen wird. Damit wird das Prinzip der Zuständigkeit von Frauen für (unentgeltliche) Care-Tätigkeit implizit reproduziert, bei gleichzeitig erst punktuellen Angeboten von Teilzeitarbeit und Elternzeit für Väter (vgl. von Alemann 2017). Diese Befunde zeigen sich in den von uns untersuchten ForProfit-Organisationen, während die Non-Profit-Organisationen Teilzeit allen Organisationsmitgliedern zugänglich machen wollen und darin ein Spezifikum ihrer gleichstellungsorientierten Organisationskultur sehen. Die empirischen Ergebnisse veranschaulichen, dass sich Organisationen im Feld aneinander orientieren und ‚Modelle’ wie Teilzeitarbeit als Lösung des Work-Life-Balance Problems verbreiten. Weiter zeigt sich, dass mit dem kopierten ‚Modell’ nicht nur dessen ‚technische’ Seite (Teilzeitarbeit) übernommen wird, sondern dass das Feld auch eine bestimmte Interpretationsweise dieser Lösung anbietet: Diese betrifft die Wahrnehmung des Problems (Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben), den Lösungsansatz (Angebot von Teilzeitarbeit) sowie die heteronormative Interpretation dieser Lösung (Mütter in Teilzeit, Väter in Vollzeit). So lässt sich mit dem Ansatz der ‚kopierten Modelle’ nicht nur die Nachahmung von Organisationen bezüglich einer Problemlösungsstrategie beschreiben, sondern es wird ebenfalls deren Interpretation und zugrundeliegendes Geschlechterverständnis durch isomorphe Prozesse im Feld reproduziert. Die Tradierung eines bestimmten, in vielen Fällen traditionellen, heteronormativen Geschlechterverständnisses verdeutlicht auch das Beispiel des Diversitätsmanagements, das eine aktuelle Antwort von Organisationen auf Gleichstellungserwartungen darstellt und das wir im Sinne von 121
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DiMaggio und Powell als ‚Modell’ deuten. Wie auch andere Studien bereits gezeigt haben, wird Diversitätsmanagement von zahlreichen globalen, aber auch öffentlich-rechtlichen Organisationen als innovative Antwort auf Gleichstellungserwartungen eingesetzt. Es soll Organisationen dabei unterstützen, Gleichstellungsfragen effektiv und adäquat zu bearbeiten und dies sichtbar zu machen. Die jeweiligen Konzepte unterscheiden sich sowohl in ihren Formulierungen als auch in ihren Umsetzungspraktiken. Auch die Typologie, die wir als Ergebnis unserer Fallstudien am Schluss dieses Buchs vorschlagen, zeigt Varianz auf. Trotzdem ist, wie bereits angemerkt, eine verblüffende Ähnlichkeit der Konzepte, insbesondere hinsichtlich der angeführten Diversitätsdimensionen, Zielsetzungen und Maßnahmenkataloge festzustellen. Gemäß Isomorphiethese ist davon auszugehen, dass sich Organisationen bei der Konzipierung des Diversitätsmanagements an Feldmitgliedern orientieren. Für die Einführung von Diversitätsmanagement werden unterschiedliche Argumente angeführt. So wird oft bei privatwirtschaftlichen Organisationen das Argument der gesteigerten Effizienz und des ‚Business Case’, bei dem das ökonomische Nutzenversprechen zentral ist, hervorgestrichen (vgl. u.a. Amstutz/ Spaar 2014; Kamphans 2014; Mensi-Klarbach 2012). Begründet werden Diversitätspolitiken darüber hinaus bei allen von uns untersuchten Organisationen mit Chancengleichheit und Fairness sowie mit der Erfüllung rechtlicher Vorgaben. Insofern sind Diversitätspolitiken auch eine organisationale Antwort auf die coersive Isomorphie, den Druck der Nichtdiskriminierungsgesetzgebung. Innerorganisational ist hingegen, wie u.a. Lederle (2007) gezeigt hat, von einer Orientierung an Vorreiter_innen in der Branche die Rede, das heißt, dass Wettbewerbsdruck, aber auch Angleichungsdruck an andere Feldmitglieder zu einem mimetischen Angleichungsprozess führen. Die verschiedenen offiziellen Begründungsdiskurse lassen sich somit ebenfalls als Angleichungsprozesse im Feld verstehen. Diversitätspolitiken stehen aber auch immer wieder in der Kritik bezüglich ihrer Wirksamkeit. Ein Problem, welches von mehreren Studien (vgl. u.a. Süß 2007; Dobbin/ Kalev 2017) herausgestrichen wurde, ist mit ihrer Funktion der Legitimation verbunden. Diversitätspolitiken errichten, so die Kritik, Legitimitätsfassaden, deren Wirksamkeit aufgrund von Entkopplungsprozessen beschränkt bleibe (vgl. Kap. 6). Die Weiterentwicklung des Isomorphieansatzes ist nun aber aus unserer Sicht nicht nur zur Erklärung der Legitimitätsfassade als Ergebnis von Nachahmung interessant. Vielmehr ist zu fragen, wie, unter welchen Bedingungen und mit welcher Konsequenz sich Diversitätsmanagement als legitimes Modell or122
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ganisationaler Gleichstellungspolitiken etabliert. Wird Diversitätsmanagement kopiert, so geschieht das nicht nur als „Window Dressing“ (vgl. Bromley/ Powell 2012) oder Fassade im Leitbild der Organisation, sondern es hat stets auch Konsequenzen für das Verständnis von ‚Geschlecht’ und ‚Gleichstellungspolitik’ der jeweiligen Organisation (vgl. Kap. 6). Das eingesetzte Modell bringt, und das ist für die Reproduktion organisationaler Geschlechterverhältnisse entscheidend, einen weitreichenden Interpretationsprozess mit sich. Das heißt, dass isomorphe Prozesse die Deutungsweise von ‚Geschlecht’ und von ‚Gleichstellung’ in der Organisation prägen. Dies reicht von der Art und Weise wie das Problem ‚Gleichstellung‘ gestellt wird, welcher Handlungsbedarf definiert wird, bis hin zur Auswahl, Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen. Offenberger und Nentwich (2017: 322) weisen darauf hin, dass es „immer eines normativen Rahmens für Gleichstellung bedarf, um den ‚Erfolg‘ von Gleichstellungsmaßnahmen beurteilen zu können“. Der „Erwartungshorizont“ (ebd.), vor dem Diversitätspolitiken formuliert werden, ist nun im Licht der mimetischen Isomorphie als Teil der feldspezifischen Deutung des tradierten Modells zu verstehen. Damit konkretisiert sich die Relevanz der Sozial- und Kulturbeziehung, die über Isomorphien bei der Übernahme von Managementpraktiken mitbestimmend ist. Anders formuliert: Das jeweilige ‚Modell‘ transportiert mit den Interpretationsvorschlägen von Gleichstellung auch ein bestimmtes Verständnis von Geschlecht. DiMaggio/ Powell zitieren Selznick (1957) und schreiben, die neuen Praktiken seien „infused with value beyond the technical requirements of the task at hand“ (Selznick 1957: 17, zit. nach DiMaggio/ Powell 1983: 148). Diese ‚Werte’ lassen sich folgendermaßen verdeutlichen: Der organisationale oder feldspezifische Erwartungshorizont, vor dem Diversitätspolitiken eingeführt werden, gestaltet sich hinsichtlich eines bestimmten Geschlechterverständnisses. Heteronormativität als Institution regelt weitgehend die Vorstellung von Geschlecht, auf dessen Basis organisationale Diversitätskonzepte nicht nur interpretiert, sondern erst zugelassen werden. Damit wird ein bestimmtes Geschlechterwissen je nach Feld, implizit, mit dem Konzept transportiert und reproduziert.11 Diese Überlegung findet sich auch bei Horwath: „Durch die jeweils geltende Logik des Feldes (…) wird vor-
11 Wir können hier auch an den Begriff des Geschlechterwissens anknüpfen (vgl. Dölling 2007; Wetterer 2009; Kerner/ Saar 2015; Kap. 3). Dieser umfasst je nach Perspektive eine engere Ausdeutung (nämlich Geschlechterwissen als geschlechtertheoretisches und geschlechterpolitisches Expert_innenwissen, das Fach- und
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strukturiert ob und welches Geschlechterwissen bei Reformen ins Spiel gebracht werden kann, welches Wissen in diesem Kontext als legitim angesehen oder als der Organisation und ihren Zielen unangemessen wahrgenommen wird“ (Horwath 2017: 134). In diesen impliziten und expliziten Annahmen über Geschlecht, aber auch in der Einschätzung des organisationalen Handlungsbedarfs und der Angemessenheit von Maßnahmen, orientieren sich Organisationen im Feld aneinander und etablieren dabei einen machtvollen Rahmen, der über die Legitimität von Diskursen und Maßnahmen entscheidet. Feldspezifische Praktiken spielen somit eine gewichtige Rolle bei der Interpretation des ‚Modells’ und der Legitimität des spezifischen Geschlechterwissens, das damit transportiert wird. c) Normative Isomorphie Die normative Isomorphie bezeichnet einen weiteren Mechanismus der Angleichung, der auf den ersten Blick auf einer anderen Ebene als mimetische oder coersive Isomorphie anzusiedeln ist, denn es geht um Fragen von Professionalisierung, um professionelle Netzwerke sowie professionelle Standards (auch in Bezug auf Rekrutierung und Beförderung). Professionen und Berufsverbände bilden für ihre Berufsgruppen einen maßgebenden Orientierungs- und Bezugsrahmen, der zu bestimmten Problembearbeitungsstrategien führt. DiMaggio/ Powell (1983:147) bezeichnen Professionen als „great rationalizers of the second half of the twentieth century“, sie haben demnach eine große Bedeutung für die Strukturierung von Organisationen (vgl. Scott 2008; Leicht/ Fenell 2008) – aber auch für ‚Geschlecht’ in Professionalisierungsprozessen. Der NI reflektiert die Vergeschlechtlichung dieses Rahmens nicht, obwohl hierzu zahlreiche Studien vorliegen. Professionen stehen laut DiMaggio/ Powell (1983), wie Organisationen auch, selber unter coersivem und mimetischem Druck, sie unterstehen und verhandeln rechtliche Vorgaben, nehmen aber auch an mimeti-
Alltagswissen einschließt) oder der Begriff wird breit als normativer politischer Diskurs verstanden: Unterschiedliche Verständnisse von Geschlecht konstruieren bestimmte Formen des Wissens, die Politiken und Praktiken von Organisationen oder staatlichen Institutionen prägen (z.B. mit Bezug auf Michel Foucault dazu Kerner/ Saar 2015). Wir meinen, dass sich beide Verständnisse nicht ausschließen, sondern gerade das Expert_innenwissen an der (De-)Institutionalisierung von politischen Wissensformen teilhaben (vgl. Kap. 3).
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schen Prozessen der Angleichung teil. Der normative Druck, der von Professionen ausgeht, beruht auf zwei Besonderheiten: Er entsteht durch die kognitive Begründung einer Profession, kurz gesagt durch die Autorität ihrer Expertise, sowie durch professionelle Netzwerke, welche Organisationen ‚umspannen’ und damit einen Bezugsrahmen oder ein Feld schaffen (vgl. DiMaggio/ Powell 1983: 152; Leicht/ Fenell 2008). Die Bedeutung von Netzwerken in der Strukturierung von Feldern ist in der jüngeren Forschung hervorgestrichen worden (vgl. u.a. Greenwood/ Suddaby/ Hinings 2002; Ebers/ Maurer 2014; Powell/ Oberg 2017). So bilden Netzwerke nicht nur die Arenen, in denen Organisationen sich präsentieren und miteinander interagieren, sie sind Kanäle, die „Affiliation“, Zugehörigkeit und Mitgliedschaft regeln (vgl. Powell/ Oberg 2017: 446). Analog zur mimetischen und coersiven Isomorphie wird mit der normativen Isomorphie ein Prozess beschrieben, der Wandel und Angleichung von Organisationen im Feld in den Blick nimmt. Professionalisierungsprozesse und deren Netzwerke sind demnach zentrale Orte von Innovation und Wandel und haben gleichzeitig eine homogenisierende Wirkung im Feld. Sie sind normativ, was die Definition von Professionsstandards anbelangt, das heißt sie regeln die Zugehörigkeit zu Netzwerken, welche wiederum – so das Konzept der normativen Isomorphie – unter anderem Personalauswahlprozesse prägen. Diese Perspektive der normativen Isomorphie erscheint uns nun für unsere Frage nach Verarbeitungsformen von Gleichstellungserwartungen und nach Reproduktionsprozessen von Geschlechterverhältnissen in mehreren Hinsichten besonders relevant. Die Geschlechterforschung hat mehrfach nachgewiesen, dass Professionalisierungsprozesse12 und deren Netzwerke vergeschlechtlicht und in Relation zu horizontaler und vertikaler Geschlechtersegregation organisiert sind. Dazu gehört die Trennung von Erwerbs- und Reproduktionstätigkeit (vgl. u.a. Acker 2009, 1992), die Geschlechtersegregation in der Berufswahl (vgl. u.a. Teubner 2010) und in Ausbildungs- und Berufsverläufen (vgl. u.a. Maihofer et al. 2014) sowie die geschlechterkonstruierende Differenzierung von Professionalisierungsprozessen und Berufen. Auch wenn durchaus Wandel beobachtet wird (vgl. u.a. Sander 2009), herrscht doch Einigkeit darüber, dass die Geschlechtersegregation der Berufswelt nach 12 Mit den sich laufend verändernden Professionalisierungsprozessen ist eine klare Abgrenzung einzelner Professionen heute problematisch. Deshalb sprechen wir in Anlehnung an Riegraf/ Vollmer 2014 von Professionalisierungsprozessen.
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wie vor ein Grundmuster mit großer Beharrungskraft darstellt (vgl. u.a. Hausmann/ Kleinert 2014; Bereswill/ Ehlert 2012).13 Der NI betont weiter die Bedeutung von Professionsnetzwerken für Rekrutierungsprozesse. So ist die „Filterung von Personal“ (vgl. DiMaggio/ Powell 1983: 153) durch Personalauswahlprozesse in allen Stadien des Beschäftigungsverhältnisses ein zentraler Bestandteil mimetischer und normativer Isomorphie. Dies reicht von Rekrutierungspraxen bei bestimmten Ausbildungsstätten, stark selektiven Eintrittskriterien für ausgewählte Laufbahnen bis hin zu engen Definitionen von Karrierepfaden. Dabei wird Verhalten reguliert, was von Kleidung über spezifisches Vokabular bis hin zu „methods of speaking, joking, or adressing others“ (ebd.) reicht. Obwohl Kanter (1977) die Filterung des Personals als „homosexual reproduction of management“ bezeichnet, und DiMaggio/ Powell (1983: 153) darauf Bezug nehmen, arbeitet der NI die Konsequenzen dieser Beobachtung nicht aus. Dabei wurde dieses Ähnlichkeitsprinzip bekanntlich von der Geschlechterforschung ausführlich als „Old Boys Network“ und „homosoziale Kooptation“ (vgl. u.a. Müller 1999; Blome et al. 2013) beschrieben; diese Ansätze rekurrieren meist auf informelle Netzwerke mit spezifischen Ein- und Ausschlussmechanismen entlang heteronormativer Geschlechterkonstruktionen. Gerade für Frauen haben diese Ausschlussmechanismen einen erschwerten Zugang zu Machtpositionen zur Folge, wie die Forschung aufgezeigt hat (vgl. u.a. McGuire 2002). Sind arbeitsteilig hauptsächlich Männer Entscheidungsträger in Organisationen, die Administration hingegen vorwiegend von Frauen besetzt, dann ist damit ein strukturelles Muster reproduziert, das bereits Ende der 1980er Jahre beschrieben wurde (vgl. Pringle 1989). Darüber hinaus ist aber auch folgende Überlegung aufschlussreich: Gerade weil „managers and key staff“ (DiMaggio/ Powell 1983: 153) meist
13 Besonders deutlich geschlechtersegregierte, ‚weibliche’ Berufe wie beispielsweise der Lehrberuf, Pflegeberufe oder die Soziale Arbeit sind in mehreren Hinsichten Thema dieser Reflexionen um Professionalisierungsprozesse geworden: Erstens verfügen sie über eine bekannte und explizit vergeschlechtlichte Gründungsgeschichte. Sie weisen zweitens einen hohen Frauenanteil auf und sind drittens im Feld der Betreuungsberufe anzusiedeln. Die Kriterien der professionellen Anerkennung dieser Berufe werden immer wieder zur Debatte gestellt (vgl. Bereswill/ Ehlert 2012; Stach 2016). Dies gilt nicht für ‚männlich’ dominierte Berufe, wo die „Assoziation von anerkanntem, beruflichem Status, großer Handlungsautonomie und standesbewusster Professionspolitik mit sozialen Konstruktionen von Männlichkeit“ (Bereswill/ Ehlert 2012: 98) konnotiert ist.
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von einer begrenzten Auswahl an Ausbildungsinstituten und unter Zuhilfenahme eines spezifischen Kriterienrasters im Netzwerk rekrutiert werden, gelangen spezifische Problembearbeitungsstrategien in die Organisation und werden als unhinterfragte Standards ‚professioneller’ Strategien gesetzt. Professionelle Netzwerke sind somit bedeutsame Orte der Verbreitung von professionellen Standards. Insbesondere über sie wird festgelegt, welche organisationalen Akteur_innen als einflussreich gelten und welche Kriterien zu den maßgebenden Regeln und Bedeutungssystemen gehören. Sie bilden im Orientierungs- und Bezugsrahmen eines Feldes eine entscheidende Rolle und tragen zu spezifischen, gemeinsamen Lösungsstrategien, Entscheidungen und Kommunikationsweisen bei: „to view problems in a similar fashion, see the same policies, procedures and structures as normatively sanctioned and legitimated, and approach decisions in much the same way“ (ebd.). Professionalisierungsprozesse und Netzwerke kanalisieren damit die Einschätzung, Beurteilung und Kommunikation von Organisationen bezüglich ihrer eigenen Professionalität im Feld. Das Verständnis von Geschlecht, das sich im Feld als legitim durchgesetzt hat, wird, wie die Forschungsergebnisse zu vergeschlechtlichten Berufen und Netzwerke zeigen, mit normativen Professionalisierungsansprüchen verbunden. Insofern sind Netzwerke gerade in ihrer normativen Stoßrichtung wichtige Reproduktionsorte organisationaler Geschlechterverhältnisse. Die vergeschlechtlichten Annahmen darüber, was als professionell gilt, prägen ihrerseits professionelle ‚Normalität’ in Bezug auf Anerkennung von Berufen, Statushierarchien und Personalauswahl, aber auch wahrgenommener Kompetenzen (im Sinne von Machtbefugnissen und Autonomie) sowie Karrierewege in Organisationen und Feldern. Die berufspolitische Anerkennung ist wesentlicher Teil dieser Statusdefinition. Gerade Professionalisierungsprozesse, die die klare Abgrenzungen zwischen Berufen relativieren, wie das gegenwärtig beispielsweise zwischen Pflege und Medizin der Fall ist14, tangieren auch geschlechterpolitisch relevante Aushandlungsprozessen um Autonomie und professionelle Anerkennung. Der Blick auf die normative Isomorphie verdeutlicht die Relevanz von Professionalisierungsprozessen und Netzwerke für die Reproduktion von
14 Die Pflegeinitiative in der Schweiz ist gegenwärtig ein Beispiel eines Aushandlungsprozesses um Anerkennung des Berufes: Sie fordert im Kern, dass Pflegefachleute Leistungen in eigener Verantwortung erbringen und bei den Kassen abrechen können. Weiter werden anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen und bessere berufliche Entwicklungsmöglichkeiten gefordert.
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Vergeschlechtlichungsprozessen. Zur Bedeutung von Netzwerken und Professionalisierungsprozessen bezüglich geschlechterspezifischer Eintritts- und Zugehörigkeitsregulierungen betont das Isomorphiekonzept zusätzlich die Wirkmächtigkeit der Normativität von Netzwerken und Professionalisierungsprozessen im Feld. 4.4 Zur Macht der Modelle Der NI wurde mehrfach für das Ausblenden von Machtfragen kritisiert: Gerade beim Fokus auf isomorphe Homogenisierungsprozesse blieben interessengeleitete Aushandlungsprozesse und damit Machtkonstellationen bei der Bestimmung von sich durchsetzenden Modellen unberücksichtigt (vgl. u.a. Munir 2015; Hofbauer/ Striedinger 2017; Lawrence/ Buchanan 2017).15 Die Diskussion von Macht in Aushandlungsprozessen um legitime Strukturen, Prozesse und Praktiken wird zwar moniert, ein Machtbegriff wird aber nicht weiter definiert.16 In der jüngeren Forschung wird in Anlehnung an die Machtproblematik die Frage danach gestellt, wer Gestaltungsmacht im organisationalen Feld besitzt.17 Einen weiteren Ansatz unternehmen Lawrence und Buchanan (2017) und schließen an einen systemischen Machtbegriff an, der Macht in sozialen und kulturellen Systemen verortet.18 Macht entfaltet sich in dieser Perspektive durch die Wiederholung von Routinen und Praktiken und somit auch in isomorphen Prozessen. „From an institutional perspective, it seems important to embrace
15 Bereits 1999 wurde der NI als unpolitisch bezeichnet, was unter anderem als Folge der damaligen zeitgenössischen Rezeption gedeutet wird, die auf die Herausarbeitung einer machtkritischen Perspektive verzichtete (vgl. Mizruchi/ Fein 1999). 16 Willmott 2015 stellt grundsätzlich infrage, ob Institutional Theory kritisch sein kann. 17 So fragt beispielsweise Rojas (2017: 789) in seinem Beitrag zu Rassismus und Institutionalismus: „Do forms of capital take the characteristics of certain groups for granted? That is to say, are ‚right behaviors’ the behaviors of dominant racial groups?“ 18 Lawrence/ Buchanan (2017: 484) halten Foucaults Begriff der ‚Disziplin’ für das Konzept von Macht, das am engsten mit einer Perspektive von institutioneller Kontrolle verbunden ist. Über Disziplinierungs- und Dominanzprozesse werden Agency und Handlungsoptionen geschaffen – damit zugleich aber auch Handlungsoptionen ausgeschlossen. Die Weiterentwicklung dieser Ansätze zu ‚Techniken des Selbstregierens’, der Gouvernementalität, zeigen hier produktive Anknüpfungsmöglichkeiten (vgl. Bargetz/ Ludwig/ Sauer 2015).
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a definition of power that recognizes the power of the courts, professional associations, language and social customs, as well as the actors that occupy roles within these structures and who enact these routines“ (Lawrence/ Buchanan 2017: 484). Diese Perspektive auf Macht kann auf isomorphe Prozesse bezogen werden und wir möchten sie daher nochmals aufnehmen: Ausgehend von isomorphen Prozessen lassen sich spezifische, geschlechtertheoretisch relevante Phänomene in Bezug zueinander setzen. Modelle, also Strategien, Konzepte und Praktiken, werden kopiert und transportieren, wie eingangs erwähnt, Institutionen über vier Formen des Austauschs im Feld (vgl. Powell/ Oberg 2017): Die Institution Geschlecht, als heteronormatives Verständnis von Geschlecht, wird über verstärkte Interaktion unter Feldmitgliedern, über die Ausbildung klar definierter Status-Ordnung und Koalitionsmuster, über verstärkten Informationsaustausch und über gegenseitige Wahrnehmung und Bewusstsein voneinander mittransportiert. In diesen intensiven Austauschprozessen zwischen Organisationen im Feld wirken die drei Isomorphietypen als institutionelle Kontrolle, als „three sources of institutional control“ (Lawrence 2017: 483) im Feld. Diese Prozesse institutioneller Kontrolle regeln Machtverhältnisse: Nach DiMaggio und Powell geschieht dies in zweierlei Hinsichten: Die erste ist „the power to set premises“ (DiMaggio/ Powell 1983: 157), also die Macht, Standards und Normen zu setzen und zu verbreiten, die Verhalten regulieren. Der zweite Bezug von Isomorphie zu Macht ist „the point of critical intervention“ (ebd.), an dem neue organisationale Modelle als angemessen gesetzt werden, die daraufhin für längere Zeit mehr oder weniger unhinterfragt Geltungsmacht besitzen. Lawrence/ Buchanan (2017) sehen hier am ehesten einen Ansatzpunkt zu Michel Foucaults Begriffen der ‚Disziplinierung’ und der ‚Dominanz’. Diese Machttechniken etablieren bestimmte Positionen und definieren Handlungsoptionen, während andere Handlungsoptionen gerade wiederum ausgeschlossen werden. Das heißt in Bezug auf die Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen, dass isomorphe Prozesse zugleich an Kontinuität und Wandel mitwirken und sowohl Veränderung (neue Modelle) wie Persistenz (vergeschlechtlichte Machtkonstellationen) mitprägen. Ein Ergebnis unserer Überlegungen ist nun, dass mit der Adoption von Modellen zur Förderung der Geschlechtergleichstellung (wie Diversitätsmanagement, Work-Life-Balance oder Karriereförderpläne) die im Feld tradierten heteronormativen Geschlechtervorstellungen nicht nur den intendierten Gleichstellungszielen entgegenstehen, sondern dass diese Wi129
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dersprüchlichkeit gleichermaßen Teil isomorpher Prozesse ist. Organisationen verständigen sich über „shared cultural rules and meaning systems“ (Scott/ Davis 2007: 118) im Feld und passen sich diesen bei Unsicherheit mimetisch-isomorph an. Ein reziprok geteiltes Verständnis von ‚angemessenem Verhalten’ (vgl. Chappell 2006) vereinfacht wiederum den Austausch von Organisationen untereinander (vgl. DiMaggio/ Powell 1983; Greenwood/ Suddaby/ Hinings 2002) und bietet einen Rahmen, bzw. „scaffolds“ (Powell/ Oberg 2017: 447), für die Reproduktion von Institutionen, zu denen auch organisationale Geschlechterverhältnisse gezählt werden müssen, wie der Blick auf Segregation und vergeschlechtlichte Professionalisierungsprozesse und Berufe gezeigt hat. Hierbei handelt es sich um einen machtvollen Prozess: Obwohl also organisationale Felder heute als dynamisch verstanden werden (vgl. Fligstein/ McAdam 2011; Kap. 5), weisen sie aus einer geschlechtertheoretischen Perspektive ein reproduktives Moment auf, das eine machtvolle Prägung der Verarbeitungsformen von Gleichstellungserwartungen bedeutet. Diese erfolgt in der Orientierung im Feld, wenn Organisationen miteinander nach bestimmten Regeln interagieren und eine gemeinsame Vorstellung über die Ziele, Regeln und Machtinhaber_innen des Feldes teilen (vgl. u.a. Fligstein/ McAdam 2011, 2012). Gerade mit der Präzisierung von „relationships to others in the field (including who has power and why), and the rules governing“ (Fligstein/ McAdam 2012: 9) rückt Macht in den Blick. Die weitgehend heteronormativen Vorstellungen, die mit den ‚Modellen‘ als legitim transportiert und erwartet werden, reproduzieren, anknüpfend an Butlers (2009) heteronormative Matrix, hierarchisierende Zuweisungen und somit auch implizit Macht in der Organisation zwischen ‚Frauen’ und ‚Männern’. 4.5 Fazit In Zeiten, in denen ‚der Wandel’ an allen Enden gesichtet wird, fragt dieses Kapitel nach Prozessen, welche die Beharrungskraft organisationaler Geschlechterungleichheiten fördern: Was macht Organisationen bezüglich ihrer Verarbeitungsformen von Gleichstellungserwartungen ähnlich und welche Relevanz hat dies für die Reproduktion von organisationalen Geschlechterungleichheiten? Auch wenn die Gründungstexte des NI weder Geschlecht noch Macht in den Blick nehmen, liefert das Isomorphiekonzept doch eine Reihe Anknüpfungspunkte an die These der Angleichungs130
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prozesse zwischen Organisationen im Feld. Wir plädieren also dafür, auch Angleichungs- und Homogenisierungsprozesse nicht auszublenden, sondern vielmehr als Heuristik ins Zentrum der Diskussion zu stellen, obwohl die Homogenisierungsthese des NI, wie wir gesehen haben, Kritik erfahren hat. Mit der gegenseitigen Orientierung und Angleichung von Organisationen eines Feldes und der Übernahme legitimierter Modelle bestätigen Organisationen ihre Mitgliedschaft im Feld. Sie weisen damit ihre Teilnahme an ihrer Professionalisierung aus und nehmen an Prozessen des Wandels teil. Organisationen antworten auf Gleichstellungserwartungen, indem sie Modelle übernehmen, die im Feld als legitime Antworten auf Gleichstellungserwartungen gelten. Die Modelle, wie z.B. Diversitätsmanagement, umfassen zwar durchaus innovative und emanzipatorische Ziele, gleichzeitig transportieren sie aber weitgehend heteronormative Interpretationen von Geschlecht mit sich, die für die Etablierung und Bestätigung von traditionellen Machtkonstellationen relevant sind. Somit sind die neuen Modelle zwar zum einen ein Treiber von Innovationen im Feld, sie beinhalten aber keinesfalls von vornherein geklärte emanzipative Vorstellungen von Geschlecht, sondern verharren weitgehend in einem binären Geschlechterverständnis. Insofern sind die im Feld als innovativ geltenden Modelle stets machtvolle Aushandlungsorte des Verständnisses von Geschlecht. Das Beispiel Diversitätsmanagement illustriert, dass ein solches ‚Modell’ nicht nur eine ‚technische Lösung’ im Feld darstellt, sondern dass auch seine kulturelle und soziale Ausdeutung für den Innovationsgrad des Modells relevant ist. Das Diversitätsmodell stellt somit nicht nur die ‚Lösung der Aufgabe’ Diversität und Gleichstellung bereit, sondern implizit auch die Problemdefinition, die Deutung der organisationalen Geschlechterverhältnisse, die Konzipierung des Lösungsangebots sowie die Interpretation dieser Lösung. Mit einer feldspezifischen Ausdeutung des Modells Diversitätsmanagement wird ein bestimmtes, in der Regel heteronormatives Verständnis von Geschlecht, also ein bestimmtes Geschlechterwissen, nicht nur weiterverbreitet, sondern auch als legitim tradiert. Die Lösungsstrategien eines Diversitätsmanagements üben einen Homogenisierungsdruck im Feld aus, sind aber jeweils auch selber diesem Homogenisierungsdruck ausgesetzt. Die widersprüchlichen Erwartungen, Gleichstellung zu befördern und gleichzeitig die heteronormative Norm nicht herauszufordern, scheinen Teil des isomorphen Programms zu sein. Die These der Nachahmung der als legitim geltenden Modelle lässt sich, wie wir gezeigt haben, auch auf rechtliche Vorgaben und Regelungen 131
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beziehen. Die Nichtdiskriminierungsgesetzgebung wird feldspezifisch wahrgenommen und trifft nach wie vor auf die soziale und kulturelle ‚Leitplanke’ einer heteronormativen Geschlechterordnung. Die Setzung rechtlicher Vorgaben mag explizit sein, dennoch wird auch sie in Bezug auf geteilte implizite Regeln und Bedeutungssysteme wahrgenommen. Die Frage, wie ein Gesetz interpretiert wird, welche Verbindlichkeit ihm zugestanden wird und welche Konsequenzen daraus abgeleitet werden, sind Fragen machtvoller Aushandlungsprozesse um die Vorstellungen von Geschlecht – auch hierbei orientieren sich Organisationen im Feld aneinander. Die normative Isomorphie hat in unserem Kapitel besondere Aufmerksamkeit erhalten, da über Professionalisierungsprozesse und Professionsnetzwerke Statusdefinitionen, Autoritäten sowie implizite und explizite Bewertungskriterien von ‚Professionalität’ ausgehandelt werden. Mit Professionalisierungsprozessen werden normative Vorstellungen über das ‚richtige und gute Arbeiten’, über die Ausgestaltung von Jobs und über angemessene Stellenbesetzungen transportiert. Aus der Geschlechterforschung kennen wir die Vergeschlechtlichung dieser Professionalisierungsprozesse. Dies geschieht nach wie vor auf der Grundlage eines weitgehend heteronormativen Bezugsrahmens, in dem Geschlecht – dies wäre weiter zu diskutieren – mit weiteren Kategorien wie Nationalität, Ethnizität und Behinderung hierarchisierend verortet wird. Die Diskussion um isomorphe Prozesse und deren Umsetzungspraktiken zeigt, dass es nicht darum gehen kann, Homogenität gegen Wandel auszuspielen. Das gegenseitige Nachahmen von Organisationen findet aber in einem Bewertungs- und Bezugssystem statt, das soziale und kulturelle Interpretationsangebote gerade auch für die Bearbeitung von Gleichstellungserwartungen bereitstellt. Dieses Bewertungs- und Bezugssystem ist der Ort der machtvollen Aushandlungsprozesse um das ‚legitime’ Verständnis von Geschlecht. Im dritten Teil des Buches betrachten wir drei Organisationen aus drei unterschiedlichen Branchen näher. Bei allen drei Organisationen zeigt sich, dass die Beschäftigung mit Geschlechterungleichheiten eine Antwort auf den gesellschaftlichen Gleichstellungsdruck ist. Zugleich gehen aber die Bearbeitungen dieser Gleichstellungserwartung kaum über eine binäre Geschlechterordnung hinaus. Dies hat Relevanz für gleichstellungspolitische Interventionen: Die Berücksichtigung der interorganisationalen Orientierung und der isomorphen Prozesse liefert Anknüpfungsmöglichkeiten
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Einleitung Organisationalen Feldern wird im Neo-Institutionalismus (NI) ein großer Stellenwert beigemessen, um den Zusammenhang zwischen Organisation und Umwelt konzeptionell erfassen zu können.1 So taucht der Feldbegriff bereits in den frühen Arbeiten von DiMaggio und Powell (1983, 1991) auf, die an die Idee der Isomorphie von Meyer und Rowan (1977) anknüpfen und diese weiterentwickeln (vgl. Kap. 4). Sie gelangen zu der Annahme, dass die formale Adaption institutioneller Vorgaben in organisationalen Feldern erfolgt, also in „areas of institutional life“2 (DiMaggio/ Powell 1983). Es sind demnach staatliche Einflüsse, Vorgaben und Gesetze, Spielregeln des Wettbewerbs oder Professionalisierungsprozesse, die Felder strukturieren und so eine Wirkungsmacht auf Organisationen ausüben, der sie sich nicht ohne weiteres entziehen können. Organisationale Felder bilden sich – so die frühe Sichtweise – durch isomorphe Anpassungsprozesse von Organisationen an ihre institutionelle Umwelt. Sie stellen eine Art ‚Übersetzer‘ gesellschaftlicher (Umwelt-)Erwartungen dar, d.h. eine „important intermediate unit“ (Scott 1994: 207), die dazu beiträgt, dass Organisationen mittels ihrer Strukturen auf institutionelle Umwelten reflektieren (vgl. Meyer/ Rowan 1977: 346). In Anbetracht der den organisationalen Feldern zugeschriebenen Übersetzungsfunktion stellt sich die Frage, welche Relevanz ihnen im Hinblick auf die Ausgestaltung des organisationalen ‚Gender Cage‘ (siehe Teil I Einführung) zukommt. Bereits ein erster Blick auf die einschlägige Litera-
1 Einen Rückblick sowie einen Überblick zu Weiterentwicklungen geben Wooten und Hoffman (2017); siehe auch Scott 2017. 2 Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass organisationale Felder sich nicht nur aus feldspezifischen Kernorganisationen, den „key suppliers“, wie DiMaggio und Powell (1991: 64) sie nennen, zusammensetzen. Vielmehr gehören zum Feld zahlreiche weitere Akteur_innen, wie z.B. Kund_innen, Konsument_innen, Spender_innen/ Kreditgeber_innen, staatliche Kontrollbehörden usw.
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tur zeigt, dass die Frage der Geschlechterverhältnisse bislang im Kontext der Analyse organisationaler Felder noch untergeordnet behandelt wird.3 In diesem Beitrag beleuchten wir diesen blinden Fleck näher. Wir konzentrieren uns dabei auf die Frage, wie das Verhältnis von organisationalen Feldern und Organisationen in Bezug auf Vergeschlechtlichungen konzeptionell zu fassen ist, d.h. wie eine Integration der „Institution Geschlecht“ (vgl. Kap. 1) in organisationale Feldkonzeptionen denkbar ist. Im Fokus der Analyse steht damit, wie sich die Bedeutung von organisationalen Feldern und die darin vermuteten Verhandlungs-, Ausdeutungs- und Strukturierungsprozesse organisationaler Geschlechterverhältnisse beschreiben lassen und welche Schlussfolgerungen sich hieraus für die Reproduktion organisationaler Vergeschlechtlichungsprozesse sowie Degenderingprozesse4 ergeben. Im Kern geht es darum, zu konzeptionellen Verknüpfungen des organisationalen Feldverständnisses mit Erkenntnissen der Geschlechterforschung zu gelangen, basierend auf dem Grundkonstrukt der heteronormativen Geschlechterordnung. Denn, so unsere Argumentation, Machtverhältnisse im organisationalen Feld werden zentral durch eine heteronormative Geschlechterordnung bestimmt: Unter einer heteronormativen Geschlechterordnung ist, wie im Kapitel ‚Geschlecht als Institution‘ dargestellt, ein gesellschaftliches Konstrukt der Klassifizierung und Zuordnung der Menschen zu einer dichotomen Konstellation der Geschlechter zu verstehen, auf deren Basis sämtliche gesellschaftliche Bereiche strukturiert sind (vgl. u.a. Hofmann 2017), so etwa auch Erwerbsarbeit und die gendered substructure von Organisationen (vgl. Acker 1990). Wir skizzieren nachfolgend Rahmenbedingungen für die Idee eines ‚Gendered Field‘, das wir als eine Art ‚Transmitter‘ zwischen Organisation und Gesellschaft sehen und das perspektivisch als aufschlussreiche Analyseperspektive zur Entschlüsselung von Geschlechterverhältnissen in Organisationen dienen kann. Der Beitrag verfolgt entlang der formulierten Fragen vor allem zwei Ziele: Erstens soll eine kompakte Rekonstruktion der Grundzüge des Feldbegriffs vorgenommen werden, um auszuloten, welche Bedeutung das organisationale Feld grundsätzlich für den organisationalen Gender Cage haben könnte. Zweitens werden analytische Ver-
3 Eine frühe Annäherung an diese Thematik nehmen Sutton et al. (1994) vor, die mit neo-institutionalistischem Ansatz organisationsübergreifend die Effekte von staatlich induzierten Vorgaben zu Gleichstellungspolitiken auf Personalführungsmethoden sowie auf die Beschäftigten untersucht haben. 4 Siehe zum Begriff „Degendering“ insbesondere Lorber 2005.
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knüpfungen des Feldbegriffs vorgeschlagen, die auf Erkenntnisse der Geschlechterforschung rekurrieren und in der Begrifflichkeit Gendered Field verdichtet werden. 5.1 Das organisationale Feld und der Gender Cage Von der institutionellen Umwelt zum organisationalen Feld In den frühen institutionellen Analysen der 1950er Jahre (vgl. z.B. Selznick 1949, 1957) spielt das organisationale Feld noch keine große Rolle, sieht man von Warrens Ausführungen ab, auf den letztendlich auch der Begriff „organizational field“ zurückgeht (vgl. Warren 1967). Frühe Arbeiten bezeichnen diese zentrale Analyseeinheit noch als institutionelle Umwelt, wobei ein eher diffuser Umweltbegriff vorherrscht (vgl. Meyer/ Rowan 1977; Schaefers 2002: 840f.). Allerdings wurde bereits davon ausgegangen, dass in der institutionellen Umwelt Erwartungen entstehen, die an Organisationen herangetragen werden und in gewisser Weise einen Anpassungsdruck erzeugen, dem sich Organisationen nicht ohne weiteres entziehen können. Hierin spiegelt sich eine Grundidee des NI wider, die „connection between organizations and their environments“ (Kluttz/ Fligstein 2016: 190) zu theoretisieren. Aus der anfänglich noch recht unbestimmten institutionellen Umwelt entwickelte sich in Folge der Begriff des organisationalen Feldes5, der sich theoriegeschichtlich durchsetzt. In den 1980er Jahren gewinnt das Konzept – im Anschluss an DiMaggios und Powells (1983) zentralen Beitrag zum „organizational field“ – an Bedeutung und avanciert zu einem Kernkonzept neo-institutioneller Forschung
5 Im NI findet auch der Begriff ‚gesellschaftlicher Sektor‘ (Scott/ Meyer 1991) Verwendung, der zwar eine große Nähe zum Feldbegriff von DiMaggio/ Powell (1983) aufweist, sich aber durch eine größere Offenheit im Hinblick auf die zu einem Sektor gehörenden Organisationen auszeichnet; Sektoren können folglich auch aus funktional unähnlichen Organisationen bestehen. Zudem wird die internationale Ebene als eine Form der geografischen Ausdehnung weitaus stärker hervorgehoben als in den Erklärungskonzepten zum organisationalen Feld. Wenngleich sich der Feld- vom Sektorbegriff auch unterscheidet, werden beide Begriffe häufig synonym verwendet. Wir präferieren den Feldbegriff, weil sich dieser klarer differenziert, deutliche Anleihen an den soziologischen Feldbegriff – samt der damit verbundenen (Aus-)Handlungsperspektive – aufweist, und letztlich auch, weil ihm in den aktuellen Debatten eine größere Relevanz zugemessen wird.
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(vgl. u.a. auch Scott 1991, 1994; Wooten/ Hoffman 2008, 2017). DiMaggio/ Powell (1983, 1991) präzisieren die vormals noch diffuse institutionelle Umwelt wie folgt: „By organizational field, we mean those organizations that, in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life: key suppliers, resource and product consumers, regulatory agencies, and other organizations that produce similar services and products“ (DiMaggio/ Powell 1983: 148). Mit der Begrifflichkeit des organisationalen Feldes ist folglich ein Beziehungsnetzwerk von Akteur_innen gemeint, das eine spezifische Struktur aufweist und für die darin versammelten organisationalen Akteur_innen eine verbindende Wirkung sowie eine gewisse Verbindlichkeit für ihr Handeln entfaltet. Das organisationale Feld ist mehr als die Summe seiner Teile: Es umfasst die Gesamtheit der relevanten kollektiven Akteur_innen aus der organisationalen Umwelt, einschließlich der Wechselwirkungen und Konstellationen zueinander sowie ihres Einflusses auf Einzelorganisationen (vgl. Schaefers 2002: 840f.). Entscheidend ist für diese frühe Definition zudem, dass sie auf beobachtbaren Verbindungen zwischen den Feldakteur_innen fußt, d.h. Zuliefernde, Produzierende und Konsumierende, aber auch Regulierungsinstitutionen. Dieser Feldbegriff lehnt sich dieser Konzeption nach stark an die Idee einer Branche bzw. Wertschöpfungskette mit vor- und nachgelagerten Unternehmen an. Ein organisationales Feld als Gesamtheit ist nicht unstrukturiert, sondern beinhaltet – wie bereits erwähnt – eine spezifische Konstellation der organisationalen Feldakteur_innen. So gehen die früheren Konzeptionen des Feldbegriffs neo-institutionalistischer Forschung eher von einer im Zentrum stehenden Organisation – der Fokalorganisation – aus, um die herum sich das organisationale Feld gruppiert (vgl. u.a. Senge 2011: 103). Wie noch zu zeigen sein wird, sind für die Ausgestaltung der jeweils spezifischen Feldkonstitution die Konstruktionsleistungen durch Interaktionsund Bedeutungssysteme entscheidend. Folgt man Scott (1994: 207), dann zeichnet es sich vor allem durch spezifische „cultural and behavioral elements“ aus. Zentral für Beobachtungen und Diagnosen zur institutionellen Umwelt in dieser frühen Phase des NI sind drei Aspekte: • Erstens sind Organisationen – und dies kann wohl als die Grundidee des NI bezeichnet werden – in ihrer Form und in ihrem Wirken durch ihr gesellschaftliches Umfeld bestimmt, das die Gestalt eines Feldes annehmen kann.
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Zweitens sind die ‚sichtbaren‘ Verbindungen zwischen den Feldakteur_innen zu nennen, die ein Beziehungsnetzwerk ergeben und damit zugleich die Grenzen eines Feldes abstecken. Organisationale Felder können sich nach diesem frühen Verständnis entlang von Branchen, Professionen, der Eingebundenheit in eine globale Wertschöpfungskette und auch über geographische Nähe konstituieren. • Drittens lässt sich in diesen organisationalen Feldern eine „startling homogeneity of organizational forms and practices“ (DiMaggio/ Powell 1983: 148) ausmachen: Organisationale strukturelle Merkmale, aber auch die Vorgehensweisen von Organisationen sind sich ähnlich und passen sich aneinander an. Diese Isomorphiethese (vgl. auch Kap. 4) stand zunächst im Fokus der Forschung zu organisationalen Feldern. Erst später weitete sich die Fragestellung auf die Strukturierung von Feldern (z.B. Machtungleichgewichte) sowie Analysen zu Mechanismen und Prozessen aus, die maßgeblich dazu beitragen, dass Felder sich reproduzieren und auch verändern (vgl. u.a. Wooten/ Hoffman 2008, 2017). Das organisationale Feld als ein komplexes Bedeutungssystem War es – wie beschrieben – anfangs vor allem die Idee der Isomorphie bzw. Strukturähnlichkeit, die im Zentrum neo-institutionalistischer Feldanalysen stand, entzündete sich recht bald Kritik an der Betonung von Homogenität6, so dass nicht nur das Interesse an einer stärkeren Prozessorientierung stieg, sondern auch an Fragen des Wandels und der Heterogenität von Feldern. Seitdem wird feldinternen Konflikten und damit vor allem dynamischen Feldkonzeptionen zunehmend mehr Beachtung geschenkt.7
6 Gleichwohl werden wir in Kap. 4 den Gedanken der Homogenität in den Fokus unserer Analyse stellen, denn so ist es z.B. möglich, nach wie vor in vielen Organisationen auszumachende organisationale Geschlechtersegregationen zu plausibilisieren. 7 Neben der hier benannten und für unsere Überlegungen entscheidenden Entwicklungen hat sich eine Vielzahl an weiteren Erkenntnissen zum organisationalen Feld herausgeschält. Diese seien hier kurz benannt: In jüngeren Entwicklungen der neoinstitutionalistischen Theoriebildung wird davon ausgegangen, dass jedes Feld von einer spezifischen, ihm inhärenten institutionellen Logik geprägt ist (vgl. u.a. Scott 2014; Senge 2011; Thornton/ Ocasio/ Lounsbury 2012). Die im Feld versammelten Organisationen können dabei allerdings sowohl miteinander kooperieren wie auch
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Während DiMaggio und Powell (1983) sich im Hinblick auf ihre Feldkonzeption noch primär von der Idee der Isomorphie leiten ließen, wird in einem anderen Schlüsseltext des NI – dem Beitrag von Scott zur Konzeptualisierung von organisationalen Feldern aus dem Jahre 1994 – insbesondere die Bedeutung von kulturellen-kognitiven Regeln betont. Das organisationale Feld wird hier verstanden als „a community of organizations that partakes of a common meaning system and whose participants interact more frequently and fatefully with one another than with actors outside of the field“ (Scott 1994: 207f.). Scott hat sein Feldverständnis in den vergangenen Jahren schrittweise weiter konkretisiert und noch stärker als zuvor die geteilten ‚kulturellen Regeln‘ und Bedeutungssysteme hervorgehoben (vgl. hierzu auch Scott/ Davis 2007; siehe auch Scott 2017). Entscheidend ist hier vor allem ein Aspekt: Organisationale Felder bilden sich entlang „the socially acceptable patterns of organizational structures and actions“ (Kostova/ Roth/ Dacin 2008: 997) heraus. Gleichzeitig wurde auch die Annahme einer einseitigen Wechselbeziehung zwischen organisationalem Feld und Organisationen, also die eindimensionale Determinierung der Organisationen durch das organisationale Feld, zunehmend hinterfragt. Kritiker_innen – wie Greenwood et al. (2008) – monieren vor allem die fehlende Handlungsperspektive von Organisationen gegenüber dem Anpassungsdruck der institutionellen Umwelt. Damit trat – wie erwähnt – die Frage der internen Feldbeziehungen verstärkt in den Fokus der Forschung: „Fields must be seen, not as containers for the community of organizations, but instead as relational spaces that provide an organization with the opportunity to involve itself with other actors“ (Wooten/ Hoffman 2017: 64).8 Entscheidend für die Weiterentwicklung der Idee des organisationalen Feldes ist – jenseits der wechselseitigen Verschränkungen und Beeinflussungen von Organisation und organisationalen Feldern – jedoch ein Feldverständnis, das dem Gedanken Rechnung trägt, Felder als geteiltes kolmiteinander konkurrieren; organisationale Felder beinhalten somit durchaus auch Konfliktpotentiale (vgl. ebd.). Weiterführend zu Veränderungen organisationaler Felder und widerstreitender institutioneller Logiken siehe etwa Reay/ Hinings 2005; zu heterogenen sowie dynamischen Feldkonzeptionen siehe etwa Wooten/ Hoffman 2008, 2017; Besharov/ Smith 2014; Nicolini et al. 2016; zu Prozessen der Übersetzung (‚Translation‘) von feldspezifischen institutionalisierten Normen und Regeln in Organisationen siehe insbesondere Czarniawska-Joerges/ Sevón 1996. 8 Verwiesen wird in diesem Zusammenhang u.a. auch auf Emirbayer/ Johnson (2008).
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lektives Bedeutungssystem zu betrachten (vgl. Scott 1994; Wooten/ Hoffman 2008: 131). Damit rücken nicht nur Organisationen und hier insbesondere die Frage ihrer Eigenlogik, sondern auch Feldakteur_innen stärker ins Visier der Forschung, denn sie sind es, die über das ‚Bewusstsein‘ verfügen sollen, Teil eines gemeinsamen Bedeutungssystems bzw. Feldes zu sein. Die Rolle von Akteur_innen im Zusammenhang mit Stabilität und Veränderung von Institutionen – und hier vor allem das so genannte Akteur_innenparadox9 – sind besonders in jüngeren neo-institutionalistischen Forschungen verstärkt bearbeitet worden (vgl. Battilana D’Aunno 2009; Lawrence/ Leca/ Zilber 2013; Leca/ Battilana/ Boxenbaum 2008; Eberherr 2017). Es ist bis heute eine andauernde intensive konzeptionelle Debatte über die Akteursperspektive im NI zu beobachten (vgl. hierzu auch Hardy/ Maguire 2008; Kluttz/ Fligstein 2016). Für ein aktuelles Verständnis der Grundzüge des organisationalen Feldes ist dies insofern bedeutsam, als nach Scott (2014, 2017) organisationale Felder durch komplexe, wechselseitige Akteurs- und Institutionenkonstellationen geprägt werden. Um organisationale Felder untersuchen und feldinterne Institutionalisierungsprozesse und Akteursbeziehungen erfassen zu können, sollte sich – wie Scott vorschlägt – die Analyse auf institutionelle Logiken, institutionelle Akteure und vorherrschende Governancestrukturen konzentrieren (vgl. ebd.). Mit institutionellen Logiken sind z.B. die sich aus den bereits erwähnten Glaubenssystemen und Leitvorstellungen ergebenden sozialen Praktiken gemeint. Folgt man Fligstein und McAdams (2012) so orientieren sich individuelle wie kollektive Akteur_innen demnach an vorherrschenden kulturell-sozialen Handlungsmustern und reproduzieren somit zugleich die Governancestrukturen organisationaler Felder.10 Diese benannten ausgewählten jüngeren Wendungen sind für die hier behandelten Fragen deshalb bedeutsam, weil sie vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für die Analyse von Geschlecht in Organisationen bieten; in diesem Zusammenhang ist auch nicht zu ignorieren, dass der NI bezogen auf seine Feldkonzepte eine grundlegende kritische Reflexion gesellschaftlicher Konstellationen, insbesondere von Machtungleichheiten, die sich in die Ausgestaltung von Feldern eingeschrieben haben, vermissen
9 Damit ist das klassische Problem der Verknüpfung zwischen Handlungs- und Strukturperspektive gemeint, die z.B. zu Brückenschlägen zu Giddens’ Strukturationstheorie beigetragen haben (vgl. u.a. Wooten/ Hoffman 2017: 61f.). 10 Fligstein/ McAdam (2012) sehen hierin eine Möglichkeit, die konzeptionellen Schwachstellen des NI etwa zu Akteur_innen konstruktiv zu wenden.
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lässt. Die Leistung bestand und besteht vielmehr darin, so Wooten/ Hoffman, dass die neo-institutionalistische Forschung zu organisationalen Feldern nunmehr soweit sei: „to instead explain why the field remains integral to understanding how organizations construct solutions to the problems of the twenty-first century“ (Wooten/ Hoffman 2017: 70). Entsprechend stehen nicht nur kritische Analysen zur Relevanz von Feldern, sondern auch konzeptionelle Überlegungen zur Weiterentwicklung von Feldkonzeptionen aus einer Geschlechterperspektive noch aus. Überlegungen hierzu werden im nächsten Abschnitt angestellt. Das organisationale Feld – Potenziale zur Erklärung des Gender Cage Aus der kompakten Rekonstruktion der konzeptionellen Grundzüge des organisationalen Feldes leiten wir im Folgenden vier Anknüpfungspunkte ab, die die Bedeutung des organisationalen Feldes für den organisationalen Gender Cage in ersten Zügen benennen. 1) Idee der Ähnlichkeit: Der erste Anknüpfungspunkt setzt an der (frühen) Idee der relativen ‚Ähnlichkeit‘ organisationaler Strukturen, Prozesse und (Be-)Deutungssysteme an, die sich in organisationalen Feldern ausmachen lassen, einer Perspektive, die im Kontext der Isomorphiethese zu verorten ist (vgl. u.a. Leicht/ Fenell 2008; DiMaggio/ Powell 1983). Zwar ist die Kritik am Isomorphiekonzept in vielerlei Hinsicht berechtigt, d.h. es gilt auch die Heterogenität des organisationalen Feldes zu thematisieren (vgl. u.a. Lounsbury 2001; Dacin/ Goodstein/ Scott 2002; Quirke 2013). Dennoch offeriert die Idee der Homogenität von Formen und Strukturen zunächst einmal einen Anknüpfungspunkt für die Frage, warum in Organisationen Geschlechterungleichheiten weiterhin fortgeschrieben werden (vgl. Kap. 4). Geschlechterungleichheiten fortzuschreiben bedeutet aus Sicht der Organisation, vereinfacht formuliert, die (bislang existente) Homogenität von Form und Struktur mit anderen Feldakteur_innen zu wahren, d.h. die Homogenität der Ungleichheit fortzuschreiben. Gleichzeitig ergeben sich hierdurch auch einige Anhaltspunkte für eine relative Ähnlichkeit von Strukturen, Prozessen, Managementsystemen und Deutungen im Umgang mit Gleichstellung in den Organisationen. 2) Idee der Vorreiterorganisation: Die Idee des organisationalen Feldes beinhaltet – nimmt man die aktuelle Kritik und die entsprechenden
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Weiterentwicklungen des NI auf – zweitens einen Anknüpfungspunkt für die Suche nach Quellen organisationalen Wandels in Bezug auf den Gender Cage. Die Eingebundenheit der Organisation in das organisationale Feld verdeutlicht, dass die Geschlechterverhältnisse in Organisationen auch durch Konstellationen in und Erwartungen aus dem organisationalen Feld geprägt werden. Impulsgeber für Prozesse organisationalen Wandels in Bezug auf den Gender Cage sind damit nicht nur organisationsintern zu finden. Vielmehr sind es immer auch Veränderungen im Feld, die Organisationen nicht einfach ignorieren können. Organisationen übernehmen beispielsweise Innovationen, wie ein Diversitätsmanagement, um ihre Legitimität zu erhöhen und zu demonstrieren, dass sie – ebenso wie andere, ‚erfolgreiche‘ Organisationen – verantwortungsvolle Akteur_innen im relevanten organisationalen Feld sein wollen oder sich hierdurch ‚Wettbewerbsvorteile‘ auf dem feldspezifischen Arbeitsmarkt (z.B. eine bessere Platzierung in Rankings um die Position eines ‚attraktiven Arbeitgebers‘) erwarten. Organisationen wandeln sich also in Bezug auf Geschlecht, weil sie in ein organisationales Feld eingebunden sind, dessen Konstellationen und Beziehungen diese Adaptions- bzw. Wandlungsprozesse von ihnen erwarten. 3) Idee der organisationalen Übersetzung: Die Feldidee liefert drittens einen Anknüpfungspunkt dafür, wie es zu jeweils feldspezifischen Ausgestaltungen kommen kann, sich also sowohl innerhalb als auch zwischen Feldern Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Hinblick auf den Gender Cage ausmachen lassen. So existieren zwar gesellschaftliche Vorstellungen, regulative Vorgaben und Erwartungen zu Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze sowie wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen hinsichtlich ‚equality‘, gleichzeitig werden diese in Organisationen keineswegs unverändert übernommen. Es erfolgt stets eine feldspezifische Form der Übersetzung und Adaption, und entsprechend bietet die Feldkonzeption einen Anknüpfungspunkt, um diese Differenzierungen entschlüsseln zu können.11 Die Idee des organisationalen Feldes liefert damit einen ‚missing link‘ zwischen Gesellschaft und Organisation. Im Sinne eines solchen ‚missing link‘ ist das organisationale Feld als jener Bereich zu verstehen, in dem Bedeutungs- und
11 Siehe hierzu auch die Debatten zum Thema Translation (vgl. u.a. CzarniawskaJoerges/ Sevón 1996; Czarniawska/ Joerges 1996; Czarniawska 2009).
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Zuweisungsverhältnisse interaktiv konstituiert und je spezifische Feldlogiken ausgebildet werden. 4) Idee des geteilten Bedeutungssystems: Ein vierter Anknüpfungspunkt eröffnet sich über die jüngeren Wendungen der Felddefinition (vgl. u.a. Scott 2014; Kostova/ Roth/ Dacin 2008). In diesen wurde, wie aufgezeigt, das kulturelle Element stärker hervorgehoben, indem die Konstitution des Feldes als über „shared cultural rules and meaning systems“ (Scott/ Davis 2007: 118) hergestellt begriffen wurde. Organisationen verhalten sich hinsichtlich des Gender Cage also deshalb ‚ähnlich‘, weil sie ein ähnliches Bedeutungssystem zu Geschlecht bzw. zum Umgang mit dem Gender Cage übernehmen bzw. bereits aufweisen. Dieses Bedeutungssystem zu Geschlecht prägt wiederum den innerhalb der Feldgrenzen akzeptierten organisationalen Umgang mit Geschlechterverhältnissen und gibt damit auch vor, welcher „Egalitätsmythos“ (Funder/ May 2014; vgl. auch Funder/ Dörhöfer/ Rauch 2006) im - für die jeweilige Organisation relevanten - Feld akzeptiert ist und welche nicht. 5.2 Organisationale Felder – Gendered Fields: Analytische Verknüpfungen Eine gendersensible Bestimmung organisationaler Felder Im Folgenden konzentrieren wir uns darauf, eine Annäherung an eine geschlechtersensible Bestimmung organisationaler Felder vorzunehmen. Hierzu werden Grundideen des organisationalen Feldes und ausgewählte jüngere Wendungen des Feldbegriffs eingehend entlang bisheriger Erkenntnisse zu Organisation und Geschlecht reflektiert. Ebenso, wie Acker (1990, 1997 [1992]) für Organisationen eine gendered substructure diagnostiziert hat, gilt es, diese gendered substructure auch für das organisationale Feld freizulegen. Dazu bearbeiten wir näherungsweise die bislang wenig thematisierte, grundlegende Vergeschlechtlichung des organisationalen Feldes durch die heterosexuelle Matrix, welche die normative Verschränkung von Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuellem Begehren bezeichnet (vgl. Butler 1991; auch Kap. 1). Denn die heterosexuelle Matrix prägt nicht nur die Organisation, sondern ebenfalls die gesellschaftliche und institutionelle Umwelt von Organisationen und mithin das organisationale Feld. Entsprechend wird zunächst die Strukturierung von organi148
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sationalen Feldern durch die nach wie vor vorherrschende Heteronormativität aufgezeigt. Diese Strukturierung, die auf Setzungen von Bedeutungen basiert, ordnet zugleich Machtrelationen an, die bis heute entlang der heterosexuellen Matrix organisiert werden (zur Kritik siehe Kap. 2). Zur (Be)Deutung heteronormativer Institutionalisierung im Feld Unser Versuch, organisationale Felder aus Geschlechterperspektive konzeptionell näher zu fassen, hat sich soweit konkretisiert, dass diese als ‚missing link‘ zwischen gesellschaftlicher Geschlechterordnung und vergeschlechtlichter Organisation gelten können und sich durch geteilte Bedeutungssysteme konstituieren. Weiterführend gehen wir davon aus, dass sich heteronormative Bedeutungssysteme in Organisationen und organisationalen Feldern über wechselseitige Austauschprozesse stabilisieren und (re-)produzieren sowie stabilisierend oder auch destabilisierend in Hinblick auf je spezifische Geschlechterordnungen wirken. Um das Zusammenwirken von organisationalem Feld und Heteronormativität zu erläutern, ist zunächst ein Rückgriff auf wissenssoziologische Grundlagen und deren Bedeutung für Institutionalisierungsprozesse in organisationalen Feldern nötig. Ausgangspunkte sind dabei folgende Überlegungen: Organisationale Felder bestimmen – als relevante organisationale Umwelten – Form und Handeln von Organisationen maßgeblich mit. Umgekehrt sind auch organisationale Felder nicht ohne das Handeln von Organisationen denkbar, wobei eine generelle Einbettung in gesellschaftliche Kontexte ebenfalls Berücksichtigung finden muss. Anknüpfend an der von Berger/ Luckmann (1969) formulierten Vorstellung, Form und Handeln von Organisationen nicht funktional zu begründen, sondern vielmehr als Ergebnis gesellschaftlich ausgehandelter Deutungen und Klassifizierungsleistungen zu betrachten, rücken im Feldverständnis Prozesse und Wirkungszusammenhänge in den Fokus. So werden Erwartungen und Vorstellungen darüber hergestellt, welche Akteur_innen auf welche Weise sinnvoll und angemessen handeln. Das Ergebnis dieses Prozesses sind Institutionalisierungen, die verfestigte Handlungs- und Interpretationsroutinen darstellen (siehe dazu ausführlicher Kap. 1). Sind die im alltäglichen Prozess durch wechselseitige Typisierung entstandenen Wissensbestände einmal etabliert, treten sie den individuellen und den organisationalen Akteur_innen als objektive „soziale Fakten“ (Berger/ Luckmann 1969: 64) gegenüber. Dadurch werden sie als externe, 149
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objektivierte Sachverhalte durch die Einbindung in bereits bestehende Sinnwelten legitimiert und bekommen für soziale Akteur_innen den Charakter von Handlungsregeln. Akteur_innen handeln, wenn sie normkonform agieren, grundsätzlich – laut Berger/ Luckmann (1969) – regelkonform, weil sie sich auf eine gemeinsame Vorstellung von Welt beziehen, die den Charakter des Selbstverständlichen und Faktischen annimmt. Die Wirksamkeit institutionalisierter Erfahrungen, Vorstellungen oder Anforderungen beruht also darauf, dass sie im Alltagshandeln als erprobt „bzw. als unabänderlich gegeben unterstellt und nicht weiter thematisiert“ (Koch 2009: 112) oder hinterfragt werden. Dabei spielen geschlechtsspezifische, heteronormativ geprägte Wissensbestände, Ein- und Zuschreibungen eine zentrale Rolle. Sie führen über Prozesse wechselseitiger Typisierungen zu Deutungs- und Einordnungspraktiken, die zur Fortschreibung der bekannten geschlechtlich geprägten asymmetrischen Bewertungen, zur Aufrechterhaltung von Geschlechterhierarchien und somit zur Reproduktion von Ungleichverhältnissen führen (vgl. u.a. Eberherr/ Hanappi-Egger 2016; Hanappi-Egger/ Eberherr 2014). Aus diesen Deutungs- und Einordnungspraktiken und aus dem kollektiv geteilten Wissen, zum Beispiel über Geschlecht, ergeben sich zwei Folgen: Erstens findet sich die aus diesen Deutungspraktiken resultierende Reproduktion von Ungleichheitsverhältnissen nicht nur in Organisationen – etwa in Form der gendered substructure – wieder, sondern auch im organisationalen Feld. Denn das jeweilige organisationale Feld und die Reproduktion von Ungleichheiten stellen sich über Praktiken der Deutung und Einordnung von Akteur_innen wie auch in der Verbindlichkeit von Regeln, Vorgaben und Standards rekursiv her. Eine zweite Folge des kollektiv geteilten Wissens über Geschlecht ist, dass es im Konstellations- und Beziehungsgefüge der institutionellen Akteur_innen des organisationalen Feldes verbindend wirken kann. Es stellt gerade aufgrund seiner Nichthinterfragbarkeit der dichotomen Geschlechterordnung ein Paradebeispiel für ein shared cultural rules and meaning system dar, über das nach Scott/ Davis (2007: 118; Scott 2014, 2017) wesentlich organisationale Felder sowie ihre Grenzen und Logiken konstituiert werden (vgl. auch Lounsbury/ Crumley 2007). Beispielsweise kann mit dieser Perspektive – worauf im dritten Teil des Buches noch näher einzugehen sein wird – die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen als geschlechtsspezifischer Institutionalisierungsprozess gedeutet werden. Faktisch ist diese nicht nur in vielen Organisationen anhand der Per150
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sistenz geschlechtlicher Segregation abzulesen, sondern gilt in vielen Organisationen als unhinterfragtes Faktum. Die heteronormative Ordnung ‚verselbstverständlicht‘ und naturalisiert die dichotome Zweigeschlechtlichkeit dergestalt, dass sie kaum hinterfragbar wird, ebenso wie die daraus abgeleiteten Bereiche geschlechtlicher Arbeitsteilung, Symbole u.a.m. Wenn also über Entlohnungssysteme, Arbeitsteilung und Arbeitszeitgestaltung in Organisationen oder im organisationalen Feld entschieden wird, schwingt auch immer die heteronormative Ordnung mit. Die feldspezifische Institutionalisierung z.B. der ‚richtigen‘ Arbeitsteilung greift somit in der Regel auf kollektives Wissen über die ‚richtige‘ Arbeitsteilung zurück, die wiederum binär-geschlechtlich strukturiert und codiert ist. Hierfür gibt es viele Beispiele Zu nennen ist etwa die aktuell geringe Integration von Frauen in technisch geprägte Arbeitsbereiche, was darauf zurückgeführt wird, dass Frauen eben nicht ‚technikaffin‘ seien und sich daher nicht in diese Bereiche begeben wollen.12 Ein weiteres Beispiel ist die nach wie vor verbreitete heteronormative Zuordnung von Kinderbetreuung und Pflegeaufgaben an Frauen, was dazu führt, dass Frauen aufgrund der sich daraus ergebenden Verfügbarkeitsdynamiken für viele Positionen nicht in Frage kommen bzw. sich selbst aus dem Spiel nehmen. Prozesse der Institutionalisierung in organisationalen Feldern, die wesentlich auf der Etablierung kollektiven, nahezu unhinterfragbaren Wissens basieren, folgen, so lässt sich festhalten, unhinterfragten Vorstellungen der heteronormativen Geschlechterordnung. Abgesichert werden diese Prozesse durch die Akteur_innen und deren persönliche Auslegung von Geschlechterwissen – im beruflichen, wie privaten Bereich. Die Bedeutung einer heteronormativen Geschlechterordnung für Prozesse der Institutionalisierung in organisationalen Feldern stellt sich – überträgt man sie auf den Gegenstand Gleichstellung – damit als grundlegend heraus. Der Umgang von Organisationen mit feldspezifischen Erwartungen an eine Gleichstellung von Frauen und Männern beruht demnach auf sozial ausgehandelten und institutionalisierten Klassifizierungen darüber, wie Gleichstellung sinnvoll und angemessen zu gestalten wäre und wer sie wie mit welchen Ressourcen ausführen sollte. Diese feldspezifischen Erwartungen existieren nicht nur in abstrakter, allgemeiner Form, 12 Dass es historisch betrachtet nicht immer so war, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle; zum Geschlechterwechsel von Berufs- und Tätigkeitsfeldern siehe u.a. Wetterer 2002.
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beispielsweise als rechtliche Vorgaben, sondern auch als konkrete Handlungskonzepte – im Sinne von ‚Rezepten‘ – zur Ausgestaltung von Gleichstellung in Organisationen. Gleichstellungspolitisch bedeutet dies, dass sich quasi-naturalisierte Regeln und ‚Rezepte‘ in ganz unterschiedlichen Bereichen wiederfinden; so etwa Diversitätsmanagement, E-QualityManagementsysteme/ Total-Equality, projektförmiges Arbeiten, Gleichstellungsmaßnahmen, Mentoring-Programme und Ähnliches. Untersuchungen in der Diversity-Forschung vertiefen diese Diskussion, indem etwa analysiert wird, wie sich auf Basis solcher Umwelterwartungen über organisationale Felder und darin verankerte Netzwerke Wissensbestände und Mythen herausbilden, die so unhinterfragt sind, dass eine organisationale Bearbeitung von Diversity geradezu unumgänglich erscheint. „Durch die Verwendung ähnlicher Argumente kristallisiert sich eine gemeinsame ‚story line‘ mit annähernd identischen ‚Geschichten‘ heraus“ (Lederle 2007: 34). Für die Forschung zu Geschlecht und Organisation und zum Umgang von Organisationen mit Gleichstellungserwartungen steht eine ähnliche Analyse mit Bezug auf organisationale Felder noch aus bzw. wurde erst in Ansätzen begonnen (vgl. u.a. Elg/ Jonnergard 2010; Dobbin/ Kalev 2017). Dabei ist davon auszugehen, dass sich diese Klassifizierungen, Deutungsergebnisse und Erwartungen feldspezifisch unterscheiden. Zumindest deuten die unterschiedlichen Regelungen zur Gleichstellung, die z.B. für öffentliche und private Unternehmen sowie das Feld der Politik und der Wirtschaft gelten, auf Differenzen hin (vgl. u.a. Wiechmann 2016). Analysen über feldspezifische Vorstellungen zur Wahrnehmung der Relevanz und Umsetzung von Gleichstellung könnten somit Auskunft darüber geben, wie und auf welche Weise in einem Industriekonzern, in einer Beratungsfirma oder aber in einem gemeinnützigen Unternehmen der Sozialwirtschaft mit dem Thema Gleichstellung umgegangen wird (vgl. hierzu Teil III). Organisationale Felder: heteronormativ basierte Macht- und Kräfteverhältnisse Wer aber kann diese Bedeutungen und Sinngebungen so beeinflussen, dass sie sich in organisationalen Feldern und Strukturen sedimentieren und zu quasi-objektiven sozialen Fakten werden? Diese Frage zielt darauf ab, Aufschluss darüber zu erlangen, inwiefern die heteronormative Matrix platzzuweisend ist und sich damit als machtrelevantes Organisationsprin152
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zip entfaltet. Die grundsätzliche Frage nach Macht in organisationalen Feldern ist im NI allerdings durchaus umstritten (vgl. dazu u.a. Meyer/ Rowan 1977; DiMaggio/ Powell 1983; Scott 2014). Nichtsdestotrotz kann auch mit der jüngeren Debatte (vgl. u.a. Scott 2014; Fligstein/ McAdam 2012; Kluttz/ Fligstein 2016) festgehalten werden, dass in organisationalen Feldern – aber auch zwischen organisationalen Feldern – Macht- und Kräfteverhältnisse13 eingelassen sind, die das Feld und die darin angelegten Aushandlungsprozesse strukturieren. Machtverhältnisse werden unseres Erachtens im organisationalen Feld jedoch in besonderem Maße durch eine heteronormative Geschlechterordnung bestimmt. Organisationale Felder, die organisationale Geschlechterverhältnisse prägen, sind nicht nur außerhalb der Organisation zu finden. Vielmehr ist bei der Suche nach einem die organisationalen Geschlechterverhältnisse prägenden Feld gerade auch die kulturell und durch Bedeutungszuweisung getragene Wechselwirkung zwischen Subeinheiten einer Organisation zu berücksichtigen. Wir beziehen uns u.a. auf Kostova/ Roth/ Dacin (2008) und deren Ergebnisse zu Feldern komplexer multinationaler Organisationen (MNC).14 Die Autor_innen weisen darauf hin, dass unter Berücksichtigung der globalen Entwicklung von Organisationen die Konzeption des organisationalen Feldes weiter ausdifferenziert werden muss (vgl. ebd.). Ein Effekt organisationaler Ausdifferenziertheit von MNC besteht nämlich darin, dass diese neben den organisationsübergreifenden Feldern auch ihre eigenen intraorganisationalen Felder kreieren. Diese intraorganisationalen Felder konstituieren eine organisationale Umwelt sui generis, weil es diejenige organisationale Umwelt ist, an der sich die Subeinheiten der multiund transnationalen Organisationen orientieren. Ein bedeutsamer Anknüpfungspunkt für eine Geschlechteranalyse liegt also darin, dass sich im intraorganisationalen Feld zwischen Einheiten einer Organisation geteilte Regulierungen, kognitive Strukturen und Normen inklusive der organisationalen Kultur als prägend für das intraorganisationale Feld erweisen 13 Anknüpfungsmöglichkeiten zur Integration von Machtkonzeptionen in die neoinstitutionalistische Theoriebildung bieten auch praxistheoretische Ansätze, wie sie etwa bei Florian (2008) diskutiert werden. 14 Kostova/ Roth/ Dacin (2008) zeigen auf, dass die Komplexität des organisationalen Feldes einer multinationalen Organisation weitaus höher eingeschätzt werden muss als bislang angenommen. Sie erläutern, dass multinationale und transnationale, global agierende Organisationen von einer solchen organisationalen Komplexität sind, sodass auch ihre externe organisationale Umwelt höchst komplex und wenig konsistent ist.
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können (vgl. u.a. Kostova/ Roth/ Dacin 2008: 998). Darüber hinaus sind hier Überlegungen von Calas/ Smircich (2011) zu berücksichtigen, die auf die Relevanz transnationaler Felder für organisationale Geschlechterverhältnisse durch die permanenten Austauschprozesse zwischen organisationalen Einheiten aufmerksam machen. Intraorganisationale Felder entwickeln nach Kostova/ Roth/ Dacin (2008) zudem aufgrund der gleichzeitig strukturellen Eingebundenheit in eine zwar ausdifferenzierte, aber dennoch als Einheit existierende multinationale Organisation wegweisenden Orientierungscharakter für die Subeinheiten der Organisation. So können sich ‚ähnliche‘ Geschlechterstrukturen in unterschiedlichen organisationalen Einheiten herausbilden, was wesentlich auf die Wirkungsmacht fokaler Einheiten im Hinblick auf die Verankerung von organisationalen Regeln sowie auch von Leitnormen und Programmen bzw. Maßnahmen zurückzuführen ist. Auch hier zeigt sich deutlich, wie relevant für Organisationen bzw. Sub-Einheiten die Verfügung über Ressourcen und die Ausbildung von Machtpositionen in Feldern ist. In der konstruktivistischen Fundierung neo-institutionalistischer Theoriebildung sind zwar Machtkonzeptionen bereits angelegt (vgl. u.a. Walgenbach/ Meyer 2008: 136). Allerdings gilt für weite Teile des NI, dass dieser, so Müller (2010: 53), Strategien von Herrschaft und Dominanz beschreibe, ohne diese als solche zu benennen. Beispielsweise beschreibt das Kernargument des NI, die Herstellung von (organisationaler) Legitimität gegenüber einer organisationalen Umwelt, den Zweck der Erhaltung von Macht und Kontrolle über die Organisation als Entität – dies wird aber im NI nicht so konzipiert und benannt (vgl. auch Willmott 2014). Wir gehen davon aus, dass die heteronormative Geschlechterordnung in organisationalen Feldern als Teil eines Schichtungssystems wirksam wird, dem unterschiedliche Bewertungssysteme und Statuszuschreibungen ‚eingeschrieben‘ sind und werden.15 Organisationale Felder und ihre jeweils wirksamen geschlechtsspezifischen Ordnungsprinzipien und Machtverhältnisse sind prozessual konzipiert und somit immer auch Umschreibungen, Umdeutungen und Veränderungen unterworfen. Als machtvolles geschlechtsspezifisches Ordnungssystem kann beispielsweise auf horizontale Segregation verwiesen werden. Mit geschlechtsspezifisch segregierten und konnotierten Berufsfeldern gehen unterschiedliche Statuszuschreibungen ein-
15 Vgl. hierzu auch Funder/ Sproll (2012, 2015), die geschlechtliche Feldasymmetrien unter Bezugnahme auf Burawoy und Bourdieu erklären.
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her, die sich z.B. in Leistungsbewertungen bzw. Tarifeinstufungen materialisieren können, wie prototypisch bei technischen Berufen im Unterschied zu Pflegeberufen beobachtet werden kann (vgl. u.a. Heintz et al. 1997; Wetterer 2002; Mucha 2014). Mit Blick auf vertikale Segregationen werden heteronormative Wirkmechanismen ebenfalls deutlich, wenn beispielsweise auf die Bedeutung homosozialer und machtreproduzierender Netzwerke bei der Rekrutierung von Machteliten verwiesen wird. So führt z.B. Connell (2010) in einer Untersuchung eines spezifischen organisationalen Felds (Finanzbranche) vor, wie hegemoniale und machtvolle Positionszuschreibungen an Männlichkeitszuschreibungen geknüpft werden. Der Homosozialität, also der Reproduktion des Ähnlichen, kommt hierbei eine zentrale Rolle zu (vgl. auch Holgersson 2013). Connell zeigt beispielsweise anhand des Felds der Finanzwirtschaft, dass die Managementebenen der Finanzberatung homosozial männlich geprägt sind und somit die Reproduktion der Führungseliten einer Logik der heteronormen „modernisierten patriarchalen Männlichkeit“ (Connell 2010: 21) entspricht. Trotz Änderungen auf den mittleren und unteren Hierarchieebenen wird hier deutlich, dass mit ansteigender Hierarchieebene Organisationen zunehmend homogener werden und die Führungspositionen durch „männliche Angehörige der kulturellen Mehrheit repräsentiert“ (ebd.: 25) werden. Gerade Homogenität auf der Führungsebene ist damit für die Frage, wer den Rahmen des sozial Akzeptablen im organisationalen Feld (vgl. Kostova/ Roth/ Dacin 2008: 997) beeinflussen kann, von zentraler Bedeutung, denn: „Merkmale und Verhaltensweisen von Mitglieder der Führungsebene haben Signal- bzw. Vorbildwirkung. Sie prägen Vorstellungen von Normmitgliedschaft, die andere Organisationsmitglieder in Form von Erwartungen an Leistungsverhalten zu spüren bekommen – konkret und bewusst wohl vor allem dann, wenn sie diesen Erwartungen nicht gerecht werden können oder wollen“ (Connell 2010: 25f.).16 Denn gerade weil sich Führungsebenen in Feldern qua vertikaler Segregation so ähnlich sind, und gerade weil sie mehr als andere in der Lage sind, Vorstellungen von Normmitgliedschaft zu beeinflussen, wird damit über ihre Macht der Rahmen des (heteronormativ) Akzeptablen hinsichtlich Führung im organisationalen Feld abgesteckt (vgl. hierzu auch Kap. 4).
16 Zu Paradoxien der Prinzipien Leistung und Gleichstellung siehe weiterführend Eberherr/ Bendl (2017).
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Die Macht zur Definition der ‚richtigen‘ und legitimen Deutungen, d.h. der Rahmen des sozial Akzeptablen, ist an die im jeweiligen Feld gültigen Vorstellungen bis heute vielfach noch immer als hegemonial geltende heteronormativ fundierte Männlichkeit und Weiblichkeit geknüpft (vgl. auch Butler 2009). Diese definiert, wer entscheiden kann und wer Standards setzt, ohne dass die individuellen Mitglieder der Organisation sich darum bemühen müssten, denn „diese Hegemonie ist nicht etwas, wofür sie (die Vertreter hegemonialer Männlichkeit, d.V.) kämpfen mussten in direktem Wettbewerb mit anderen Männern oder Frauen. Die Maschinerie des Managements liefert Macht und Prestige unpersönlich in ihre Hände“ (Connell 2010: 21). Kondensiert werden diese Machtressourcen in den geschlechtlich zumeist homogen zusammengesetzten Führungsebenen. Über Professionen und andere einflussreiche Netzwerke (vgl. auch Rastetter 2013 [1994]; Apelt/ Scholz 2014) wird ihre definitorische Macht in das organisationale Feld hineingetragen. Macht wird damit, wie sich insbesondere am Beispiel der Führungsetagen zeigt, einerseits entlang heteronormativ fundierter, dichotomer Trennlinien von (hegemonialer) Männlichkeit und Weiblichkeit verteilt. Andererseits wird diese Macht über homogen aufgestellte und homosoziale rekrutierte Führungsebenen und deren Verbindungen über Professionen und Netzwerke über organisationale Felder verhandelt und stabilisiert. Diese Führungsebenen haben damit mehr als andere Organisationsmitglieder die Macht, den Rahmen des sozial Akzeptablen hinsichtlich Gleichstellung und damit die Grenzen des Gendered Field zu definieren. 5.3 Fazit: Gendered Field Organisationale Felder weisen immer auch – latent oder manifest – vergeschlechtlichte (Sub-)Strukturen, Werte und Normen auf. Dergestalt konstituiert sich, wie gezeigt, ein Gendered Field, das einerseits die Grenzen akzeptierter Strukturen und Handlungen von Organisationen mit Blick auf Geschlecht markiert, andererseits als ‚Transmitter‘ zwischen Organisation und Gesellschaft fungiert. Die Merkmale eines solchen Gendered Field lassen sich in der Zusammenschau wie folgt skizzieren: Institutionalisierte Umwelten konfrontieren die Organisationen mit unterschiedlichen Umwelterwartungen, die aber zumeist nicht eins-zu-eins vermittelt werden, sondern aufgrund der Einbettung von Organisationen in organisationale Felder vielfach Transla156
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tionsprozesse erfahren. Weder können organisationale Felder ohne Geschlechterbezug gedacht werden noch sind die sich jeweils konstituierenden Gendered Fields ohne Wirkung auf Organisationen und damit beispielsweise auf die Produktion (ggf. auch Re-Stabilisierung) von „Egalitätsmythen“ in Organisationen (vgl. Funder/ Walden 2017). Gendered Fields sind es somit, die Orientierungspunkte setzen und (Anpassungs-)Druck auf Organisationen entfalten. Organisationale Felder können eine große Relevanz für die Übersetzung gesellschaftlicher Erwartungen in Organisationen entwickeln, angefangen von der Abkehr von Heteronormativität bis hin zur Verankerung einer auf ‚equality‘ abzielenden Geschlechterpolitik. Gendered Fields stellen damit wirkungsvolle ‚Übersetzer‘ dar, die es konzeptionell und empirisch näher auszuleuchten gilt. Organisationen (re-)agieren schließlich im Hinblick auf ihre Geschlechterpolitik (Strategien, Maßnahmen, Leitbilder usw.) sowohl auf das Feld als auch auf an sie herangetragenen Erwartungen aus der institutionalisierten gesellschaftlichen Umwelt, indem sie beispielsweise ihre Strukturen, Deutungen und Handlungen an andere Organisationen anpassen. Organisationen sind damit zwar prinzipiell der regulativen gesellschaftlichen Dimension ausgesetzt, wenn sie sich etwa an die Vorgaben des Elternzeitgesetzes in Deutschland halten müssen. Das ‚Wie‘ der organisationsinternen Umsetzung von Elternzeit und die organisationalen Normen der Verteilung von Elternzeit zwischen Müttern und Vätern gestalten sich jedoch auch in Reflexion zu dem, wie andere Organisationen im gleichen (gegenderten) Feld diese bearbeiten. Über eine ähnliche organisationale Bearbeitung von Elternzeit bilden sich wiederum organisationale, durch in der Regel heteronormative Deutungen geprägte Felder von shared cultural rules and meaning systems. Ihre Ausgestaltung trägt zur Ausbildung spezifischer organisationaler Felder bei, in dem sich z.B. gemeinsam geteilte Bedeutungssysteme im Umgang mit Geschlecht entwickeln. In ein Gendered Field eingebunden zu sein bedeutet für die Organisation, auf ein ähnliches Bedeutungssystem zurückgreifen sowie sich rekursiv darauf beziehen zu können. Ziel ist die Herstellung und Sicherung eines als legitim geltenden Umgangs mit Geschlechterverhältnissen. Dieser Umgang ist jedoch nicht beliebig, denn auch organisationale Felder weisen spezifische Charakteristika auf, die sie zu spezifischen Gendered Fields machen. Die jeweils vorherrschenden feldspezifischen Gender-Logiken, die sich u.a. in Formen der Interaktion und der Ausgestaltung von Machtbeziehungen (Beteiligungsformen) oder über Arbeitsteilung und Arbeitszeitgestaltung konstituieren, formen auch die Konstitution spezifischer 157
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Gendered Fields. Diese dürften sich in konkreten (Analyse-)Dimensionen materialisieren, die im Zuge weiterführender Forschung noch zu differenzieren wären. Wir gehen somit davon aus, dass die von Scott (1994) formulierten, als Felder konstituierten „Glaubenssysteme“, die sich in feldspezifischen kulturellen Werten und Leitbildern ablesen lassen, auch eine Geschlechterkomponente aufweisen. Ob und wie sie ‚aktiviert‘ wird, ist daher eine spannende Frage, die eine empirische Klärung erfordert. Letztendlich ist die Vergeschlechtlichung von „Glaubenssystemen“ immer auch eine Frage feldspezifischer Macht und Governance (vgl. hierzu auch Scott 2014, 2017). So können sich nicht nur Organisationen, sondern auch organisationale Felder als ein Ort der Genese und Reproduktion von Geschlechterungleichheiten bzw. -asymmetrien erweisen. Wir haben unter Bezugnahme auf das Konzept heteronormativer Geschlechterordnungen gezeigt, dass organisationale Felder in hohem Maße als machtgeladen zu verstehen sind. Oder anders formuliert, die Macht zur Definition und Durchsetzung von Glaubens- bzw. Deutungssystemen ist unter diesen Vorzeichen geprägt durch hegemoniale (und ggf. subalterne) Formen von Männlichkeit und Weiblichkeit. Die Vorteile der Idee des Gendered Field besteht unseres Erachtens vor allem darin, besser verstehen zu können, wie welche kulturellen Werte und Leitbilder von Geschlecht und Egalität zwischen Organisationen ‚reisen‘. Denn es sind, wie aufgezeigt, gerade die (Gendered) Fields, in denen diese Austauschprozesse durch wechselseitige Verschränkungen von Erwartungen und Reaktionen auf dieselben vollzogen werden. Über die ‚Ähnlichkeit‘ von Organisationen hinsichtlich ihrer Prägung organisationaler Geschlechterverhältnisse können diejenigen Gendered Fields identifiziert werden, die jeweils ausschlaggebend wirken. Am Ende ist es auch eine empirische Frage, ob Gendered Fields an den Grenzen von Branchenfelder bzw. Wertschöpfungsketten abzulesen sind. Zu erwarten ist, dass die Trennlinien von Gendered Fields anderen Logiken folgen und z.B. eher abhängig sind von institutionellen Einflüssen des Staates bzw. transnationalen Kräftefeldern, die auch die Strukturierung von globalen Wertschöpfungsketten so nachhaltig prägen. Des Weiteren dürften sich die Grenzen des Gendered Field im Unterschied zu anderen Feldern dadurch definieren, dass innerhalb der Grenzen ein gleiches oder zumindest ähnliches Deutungssystem zum Umgang mit Egalitätserwartungen vorherrscht. Die Berücksichtigung von organisationalen Feldern in der spezifischen Deutung als Gendered Fields schafft einen Mehrwert für die 158
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empirische Analyse des Gender Cage in Organisationen. Denn einerseits ist die Unhinterfragbarkeit bestimmter Vorgehensweisen im Bereich von Gleichstellung und bestimmter Mythen oder Fassaden von Egalität nicht nur in organisationalen Einzellogiken verankert, sondern auch und gerade an organisationale (gegenderte) Felder gekoppelt. Es ergibt sich somit eine zusätzliche analytische Ebene, die bei der Untersuchung von Geschlecht und organisationalen Geschlechterverhältnissen zu berücksichtigen ist, um Beharrungskräfte gleichermaßen wie Veränderungen adäquat zu lokalisieren (vgl. hierzu auch Funder/ Walden 2017). Weil Institutionalisierungsprozesse von Geschlecht auch über Felder ‚funktionieren‘, sind sie nochmals anders gesellschaftlich verankert und damit schwieriger ‚auszuhebeln‘. Denn selbst wenn eine Organisation für sich Deutungspraktiken bearbeitet und ein modernisiertes Geschlechterregime entwickeln will, so ist diese Organisation nach wie vor immer auch in vergeschlechtlichte FeldZusammenhänge eingebunden, die in unterschiedlichen Dimensionen diejenigen nahezu unhinterfragbaren Wissensbestände transportiert, die die organisationalen Geschlechterverhältnisse prägen (vgl. ebd.). Doch letztlich gilt auch hier: Es ist und bleibt – ganz im Scott’schen Sinne – Aufgabe einer komplexen empirischen Analyse, diese Gendered Fields, ihre spezifischen Logiken, die Rolle von Akteur_innen sowie die dynamischen Feldgrenzen zu eruieren, abzustecken und ihre Wirkungseffekte auf die Geschlechterverhältnisse, insbesondere die Genese von Ungleichheiten, genauer auszuloten. Erst dann lassen sich fundiert Strategien entwickeln, die ungleiche Geschlechterverhältnisse in ihren grundlegenden Mechanismen adressieren. Literatur Acker, Joan 1990: Hierarchies, Bodies, and Jobs: A Gendered Theory of Organisations. In: Gender and Society 4 (2), 139-158. Acker, Joan 1997 [1992]: Gendering Organizational Theory. In: Albert J. Mills (Hg.): Gendering Organizational Analysis. Oxford, 248-260. Apelt, Maja/ Scholz, Sylka 2014: Männer, Männlichkeit und Organisation. In: Maria Funder (Hg.): Gender Cage – Revisited. Handbuch zur Organisations- und Geschlechterforschung. Baden-Baden, 294-316. Battilana, Julie/ D’Aunno, Thomas 2009: Institutional Work and the Paradox of Embedded Agency. In: Thoma B. Lawrence/ Roy Suddaby/ Bernard Leca (Hg.): Institutional Work: Actors and Agency in Institutional Studies of Organizations. Cambridge, 31-58.
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6 Kopplungs- und Entkopplungsprozesse: Reflexionen zur organisationalen Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen Hanna Vöhringer/ Helga Eberherr
Im Zentrum dieses Beitrages steht einer der Kernbegriffe des Neo-Institutionalismus (NI): Entkopplung. Entkopplungsprozesse nehmen, kurz gefasst, in den Blick, wie Organisationen Umwelterwartungen in ihren innerorganisationalen Strukturen und Prozessen bearbeiten bzw. gerecht werden (können). Entkopplung oder auch Kopplung rückt also Fragen nach organisationaler konsistenter oder auch inkonsistenter struktureller Übersetzung von Umweltanforderungen in den Fokus (vgl. u.a. Meyer/ Rowan 1977; Scott 2001, 2014). Unsere Überlegungen zielen darauf ab, zum einen auszuloten, welche Relevanz Entkopplungsprozessen sowie Kopplungsprozessen im Hinblick auf die organisationale Verarbeitung von sowie den Umgang mit Gleichstellungserwartungen zukommen und zum anderen damit einhergehende Varianten der Entkopplung zu identifizieren. Dabei gilt es ganz grundsätzlich zu diskutieren, ob neo-institutionalistische Konzeptionen von Ent-/Kopplung eine Bereicherung für die Geschlechterforschung sein können, um widersprüchliche Organisationsphänomene – speziell die Gleichzeitigkeit von Wandel und Beharrung von Geschlechterasymmetrien – entschlüsseln zu können. Uns interessiert, ob mit dem Entkopplungstheorem die Sicht auf den Zusammenhang von Organisation und Geschlecht bereichert werden kann. Oder anders formuliert: Trotz aller erkennbaren Veränderungsprozesse, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat, kann nicht von einer massiven Auflösung von Geschlechterungleichheiten und Segregationen in Organisationen gesprochen werden (vgl. u.a. Gildemeister/ Wetterer 2007; Müller 2010; Eberherr/ Hanappi-Egger 2016; Funder 2017). Folglich wird die Auseinandersetzung mit dem Thema Organisation und Geschlecht wohl auch noch in den nächsten Jahren auf der Tagesordnung stehen, was die Weiterentwicklung theoretischer Konzepte einschließt. Vorgestellt werden zwei Lesarten von Entkopplung, welche sich bereits als gewinnbringend für die Analysen von Persistenz sowie Veränderungen von Geschlechterverhältnissen in Organisationen erwiesen haben (vgl. hierzu auch Teil III): Eine Lesart greift die stärkere Beachtung von inner165
Hanna Vöhringer/ Helga Eberherr
organisationaler Entkopplung bzw. Kopplung in Bezug zum ‚Kern‘ der Organisation auf. Damit ist die organisationale Genese und Priorisierung eines Kerngeschäfts gemeint, dem alles ‚andere‘ – folglich auch die Gleichstellung – untergeordnet wird (vgl. u.a. Amstutz/ Wetzel 2017). Die zweite Lesart knüpft an Brunssons (1989) Unterscheidung zwischen Talk (Außendarstellung), Decision (Entscheidung) und Action (Handlung) an, mit der sich Ent-/ Kopplungsprozesse differenzierter analytisch fassen lassen. In diesem Beitrag geben wir zuerst einen kompakten Überblick zur Entstehung und kritischen Weiterentwicklung von Konzeptionen zu Entkopplung (6.1). Daran anschließend diskutieren wir Ent-/ Kopplung als Prozess formaler und informeller Strukturen in Bezug auf Gleichstellungserwartungen (6.2) und stellen im Anschluss daran zwei Lesarten von Ent-/ Kopplung zur Analyse widersprüchlicher Geschlechterverhältnisse zur Diskussion (6.3). In den Schlussfolgerungen verdichten wir drei Konzeptionsstränge von Ent-/ Kopplung, die Aufschlüsse über die anhaltende Reproduktion von Geschlechterungleichheiten in Organisationen – wie auch ihre Überwindung – geben können (6.4). 6.1 Entkopplung: Ein Überblick Das Konzept der Entkopplung stellt sich in der einschlägigen Literatur gegenwärtig keineswegs als konsistent dar, sondern als vielschichtig und uneinheitlich. Seit seiner Entstehung in den 1970er Jahren hat es umfangreiche Kritik sowie Weiterentwicklungen, insbesondere auch mit Fokus auf Kopplung, erfahren (vgl. u.a. Brunsson 1989; Bromley/ Powell 2012; Boxenbaum/ Jonsson 2008, 2017), die hier kurz skizziert werden sollen. a) Entkopplung im NI: Die Grundthese Als historischer Schlüsseltext für das Konzept der Entkopplung gilt der Aufsatz von Meyer und Rowan aus dem Jahr 1977: „Institutionalized Organizations. Formal Structure as Myth and Ceremony“. Bahnbrechend war seinerzeit die Annahme, dass die Ausbreitung spezifischer formaler Strukturen, organisationaler Verfahren und Praktiken nicht in erster Linie auf
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6 Kopplungs- und Entkopplungsprozesse
ihre Effizienz (Rationalität) zurückzuführen sei1, sondern es vielmehr um das Streben nach Legitimität geht, also um Konformität mit Normen und Leitbildern der institutionellen Umwelt. Die Begründung von Meyer und Rowan für die hohe Gewichtung von Legitimität ist auf den ersten Blick durchaus plausibel: Nur Organisationen, die gesellschaftlich legitimierte und als rational geltende Strukturen aufweisen, können damit rechnen, notwendige Ressourcen (angefangen von Kapital/ Krediten bis hin zum Kund_innenvertrauen) zu erhalten, die wiederum für ihr Überleben unerlässlich sind. Gemäß dieser Annahmen ist es nicht Effizienz, die die Entstehung spezifischer Formalstrukturen erklärt, sondern vielmehr das Streben nach gesellschaftlicher Legitimität. Dementsprechend gehen Meyer und Rowan davon aus, dass es für Organisationen wichtig ist, Rationalitätsmythen aufzubauen, denn diese können dazu beitragen, Legitimität in relevanten organisationalen Feldern zu gewinnen, ohne permanent innerorganisationale Abläufe bzw. Prozesse verändern zu müssen. Organisationen reagieren demnach auf die an sie adressierten Anforderungen, z.B. den neuesten Managementmoden und -konzepten folgen zu sollen, indem sie institutionalisierte Rationalitätsmythen generieren und zugleich die von ihnen erwartete Konformität mit vorherrschenden Erwartungen auf der formalen Ebene (Formalstrukturen) erfüllen, während sie gleichzeitig versuchen, ihren Organisationskern weitgehend abzuschotten. Entkopplung besagt also zunächst, dass Beobachter_innen sich von der Vorstellung zu lösen haben, dass die formalen Strukturen einer Organisation weder zwingend effizient sein, noch Auswirkungen auf andere Bereiche der Organisation haben müssen. Mit steigender gesellschaftlicher Komplexität nehmen die Anforderungen an Organisationen bestimmte Standards zu erfüllen, wie etwa technische (z.B. einen bestimmten technischen Standard einzuführen), administrative (z.B. bestimmte hierarchische Formen auszubilden) oder moralisch-ethische, zu. So wird von For-Profit-Organisationen heute nicht nur ein Corporate Social Responsibility-Konzept2 erwartet,
1 Dabei geht es jedoch nicht darum, dass Organisationen ineffektive Strukturen übernehmen; die Diskussion um Effizienz wird deshalb auch in jüngeren Veröffentlichungen stärker berücksichtigt (vgl. u.a. DiMaggio/ Powell 1991). Es geht vielmehr darum, dass ein geteilter Glaube an Effizienz aufrechterhalten wird, diese aber nicht unbedingt an erster Stelle stehen muss, sondern Vorgaben, Nachahmungsprozesse, Gesetze, Normen, Werte, Traditionen und unhinterfragte Routinen eine mindestens ebenso große Rolle für organisationale Legitimität spielen können. 2 Siehe etwa Meyer/ Höllerer 2016.
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Hanna Vöhringer/ Helga Eberherr
sondern auch, dass sie Chancengleichheit von Frauen und Männern ermöglichen respektive zur Umsetzung des Diversitätsgedankens3 beitragen. Da jedoch nicht auf alle Erwartungen der Umwelt vonseiten der Organisation immer gleich konsequent und konsistent reagiert werden kann und viele Anforderungen zudem recht widersprüchlich sein können, gewann der Entkopplungsgedanke von Meyer/ Rowan (1977) zunehmend an Aufmerksamkeit. Der Grundgedanke des Konzepts ist zweifelsohne zunächst einmal sehr einsichtig: Argumentiert wird, dass zumindest die Formalstrukturen einer Organisation den Umwelterwartungen entsprechen müssen. Da sich Organisationen nicht permanent verändern wollen oder können, werden ‚Fassaden‘ aufgebaut, so dass am Ende lediglich auf der ‚Vorderbühne‘4, nicht aber auf der ‚Hinterbühne‘ vorherrschende Anforderungen an die Ausgestaltung von Organisationen erfüllt werden; wobei darauf zu verweisen ist, dass Meyer und Rowan den Begriff der Fassade nicht in einem wertenden Sinne verwendeten.5 b) Entkopplung: Weiterentwicklung und Kritik Die Annahme der strikten Entkopplung von Formalitäts- und Aktivitätsstruktur, wie sie bei Meyer/ Rowan (1977) angedacht wird, wurde und wird vielfach weiterentwickelt, aber auch kritisch hinterfragt. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren vermehrt prozessuale Dynamiken von Entkopplung sowie Kopplung in den Blick rückten und damit von Entkopplung als statischem Konzept Abstand genommen wurde. Ebenso gelangten innerorganisationale Prozesse von Entkopplung/ Kopplung sowie widersprüchliche Verarbeitungsformen vermehrt in den
3 Zu Untersuchungen zur Verbreitung von Diversitätsmanagement siehe aus diskursanalytischer Perspektive z.B. Zanoni/ Janssens 2004 sowie aus neo-institutionalistischer Perspektive Lederle 2007 und Litvin 2002. 4 Zur Verwendung der Metaphern „Vorderbühne und Hinterbühne“ in der Geschlechterforschung siehe Wobbe 2003. 5 So verweist beispielsweise Hansmeyer 2010 darauf, dass Entkopplung aus soziologischer Sicht eine vielfach auftretende, aber wertneutrale Erscheinung ist. Im Alltagsverständnis hingegen wird es oftmals mit professionellem „Heucheln“ gleichgesetzt und zieht Vorwürfe mangelnder Konsistenz nach sich. Am Beispiel von NGOs wie Greenpeace zeigt sich, so Hansmeyer weiter, dass diese Entkopplungserscheinungen im Bereich des Umweltschutzes öffentlich zu machen seien, um so auf ihre Beseitigung hinzuwirken.
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Fokus der Forschung. So geht u.a. Scott (2001, 2014) davon aus, dass die Annahme einer Entkopplung von Formalitäts- und Aktivitätsstruktur allenfalls temporär funktionieren kann, langfristig aber nicht aufrechtzuerhalten sei (vgl. auch Haack/ Schoeneborn/ Wickert 2012; Boxenbaum/ Jonsson 2008, 2017). Kritik erfolgte auch an einem Modell von Entkopplung, welches implizit Organisationen als strategische Akteur_innen6 (also einem ausschließlich rationalem Entscheidungsmodell folgend) betrachtet. Denn eigentlich liefere der NI selbst das Hauptargument dagegen, indem Institutionen als unhinterfragte verhärtete Handlungsroutinen kaum Spielraum für alternative Handlungswege gäben (siehe hierzu Kap. 1; vgl. u.a. Walgenbach/ Meyer 2008; Boxenbaum/ Jonsson 2008, 2017; Battilana/ Leca/ Boxenbaum 2009; Hertwig 2014). Ein weiterer Entwicklungsstrang kritisiert, dass im Rahmen des Entkopplungskonzepts oft nur Entkopplung in den Blick gerückt und weniger Kopplung bearbeitet wird und zudem viel zu strikt zwischen Politik und Praxis, zwischen ‚Fassade‘ und ‚Realität‘, „smoke and mirrors“ (Bromley/ Powell 2012) getrennt wird (vgl. auch Müller 2010; Haack/ Schoeneborn/ Wickert 2012). Bromley und Powell (2012) etwa kritisieren, dass ein ausschließlicher Fokus auf Entkopplung erstens nicht nur zu eng gefasst ist, sondern zweitens in Anbetracht der Vielzahl von zu beobachtenden Kopplungsvarianten auch empirisch nicht haltbar ist.7 Brunsson’s (1989) Differenzierung zwischen den Ebenen des Talk, der Decision und Action, versucht diesen spezifischen Formen der Ent-/ Kopplung begriffsanalytisch mehr Gewicht zu verleihen; wir kommen hierauf an anderer Stelle noch zu sprechen. Vielversprechend ist auch die in den vergangenen Jahren entwickelte konstruktivistische, dynamische Perspektive auf Entkopplungsprozesse, die vermehrt auch innerorganisationale Prozesse in den Blick nimmt. So
6 Siehe weiterführend zur Akteur_innenperspektive des NI aus einer geschlechtertheoretischen Sicht u.a. Eberherr 2017; Horwath 2017; Trenkmann 2017. 7 Bromley/ Powell 2012 entwickelten ein Verständnis von Entkopplung, welches von zwei möglichen Entkopplungsarten ausgeht, nämlich von der Entkopplung zwischen Politik und Praxis und von der Entkopplung zwischen Mittel und Zweck. Mit letzterem umschreiben die Autor_innen den Sachverhalt, dass wenn organisationale Maßnahmen und Strategien implementiert sind, dahinter liegende organisationale Ziele jedoch unklar bleiben können. Andere Autor_innen erweiterten das Konzept hingegen um Annahmen der partiellen Entkopplung (vgl. u.a. Walgenbach/ Meyer 2008) oder auch um Entkopplung zwischen Struktur Struktur, Handeln Struktur und Handeln Handeln (vgl. Hertwig 2014).
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untersuchen beispielsweise Haack/ Schoeneborn/ Wickert (2012) diskursive Prozesse, durch die soziale Realität normiert wird. „Talking the Talk“ kann – wie sie betonen – wichtig sein, um organisationale Veränderungen hervor zu rufen. Denn so können Diskrepanzen zwischen tatsächlicher und idealer Realität diskursiv zum Thema gemacht und dadurch reduziert werden. Dies ist – wie wir meinen – nicht nur anschlussfähig an weitere Diskussionen, insbesondere zum Thema Kopplungs- bzw. auch Rückkopplungsprozesse („recoupling“)8 (vgl. Bromley/ Powell 2012), sondern gerade auch mit Blick auf die Geschlechterproblematik (insbesondere die Gleichstellung) in Organisationen. c) Organisationale Gleichstellungspolitiken als Prozesse von Ent-/ Kopplung Im Kontext zur Untersuchung organisationaler Gleichstellungspolitiken wurde der Entkopplungsgedanke bereits vielfach aufgegriffen, um Diskrepanzen und widersprüchliche Organisationsphänomene im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse zu beleuchten (vgl. z.B. Funder/ May 2014; Hericks 2011, 2017; Müller 2010). So beobachten z.B. Funder, Dörhöfer und Rauch (2006) sowie Funder/ Sproll (2012, 2015), dass selbst in wissensbasierten, modernen IT- und Biotech-Unternehmen, in denen gut qualifizierte Frauen tätig sind, traditionelle Formen der Geschlechterhierarchie keineswegs bedeutungslos geworden sind. Vielmehr entpuppen sich z.B. Maßnahmen der Arbeitszeitflexibilisierung, insbesondere die Vielzahl von Teilzeitangeboten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, als ein Beitrag zur Stabilisierung der geschlechtlichen Arbeitsteilung sowie auch – in Anbetracht einer ‚Rund-um-die-Uhr-Arbeitszeitkultur‘ als eine Karrieresackgasse. Funder/ May (2014) greifen zur Erklärung den Entkopplungsgedanken auf, um damit die anhaltende Reproduktion geschlechtlicher Differenzierungen entschlüsseln zu können; einerseits sind zwar zahlreiche Maßnahmen und Strategien zu mehr Flexibilität und Chancengleichheit auszumachen, andererseits bestehen aber organisationale Geschlechterasymmetrien fort. Entkopplung meint hier also die Existenz von Vorder- und Hinterbühnen: Während auf der Vorderbühne Geschlecht als
8 Weiterführend zu „recoupling“ siehe auch Spillane/ Parise/ Sherer 2011; Hallett 2010; Pache/ Santos 2013.
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Distinktionsmerkmal diskursiv als unbedeutend vorgestellt wird (‚Geschlecht spielt bei uns keine Rolle, nur Leistung zählt‘), reproduzieren sich auf der organisationalen Hinterbühne dieser als modern geltenden Organisationen vielfach immer noch eine Reihe altbekannter vergeschlechtlichter Muster (wie etwa horizontale und vertikale Segregationen, Entgeltungleichheiten, Geschlechterstereotypisierungen). Dies wird durch die vorherrschende normative Setzung eines als geschlechtsneutral imaginierten Leistungsprinzips (vgl. auch Hericks 2017; Eberherr/ Bendl 2017) gestützt. Über die Setzung von Leistung als prioritäres Bewertungskriterium werden Geschlechterzugehörigkeit neutralisiert und de-thematisiert. Geschlecht oder andere askriptive Merkmale, wie Hautfarbe oder sexuelle Orientierungen, haben gegenüber Leistung und Qualifikation irrelevant zu sein und demnach keine Rolle zu spielen. Damit wird Strategien und Maßnahmen gegen Ungleichbehandlung grundsätzlich die Legitimation entzogen. Der Glaube an eine geschlechtsneutrale Meritokratie hat zur Entstehung eines „Egalitätsmythos“ beigetragen, der nur schwer zu überwinden ist (vgl. u.a. Funder/ Dörhöfer/ Rauch 2006; Funder/ Sproll 2012; Funder/ May 2014). Müller (2010) hat unter Bezugnahme auf neo-institutionalistische Thesen eine Analyse der Geschlechterverhältnisse am Beispiel der deutschen Polizei vorgenommen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Geschlechterverhältnisse bei der Polizei vor allem durch die Neuanstellungen von Frauen auf immerhin 40 Prozent verändert haben. So ist es zu einer Aufweichung der lange Zeit stark segregierten Arbeitsbereiche gekommen. Frauen sind mittlerweile in fast allen Bereichen tätig, d.h. der Grad der horizontalen Segregation ist schwächer geworden. Allerdings lassen die anhaltende vertikale Segregation sowie bestimmte Geschlechterdiskurse innerhalb der Polizei, insbesondere Legitimationsdiskurse zum notwendigen Fortbestand reiner Männerbereiche9, darauf schließen, dass Geschlecht im Organisationsalltag immer noch eine Rolle spielt. Müller stellt somit Widersprüchlichkeiten in Bezug auf Geschlecht, Organisation und Wandel fest. Durch widersprüchliche Umweltanforderungen in Kombination mit komplexen Organisationsrealitäten wird begünstigt, dass Regeln in der Organisationspraxis nicht eingehalten werden. So ist es heute für
9 So wird bei Polizeieinsätzen etwa immer noch eher Männern aufgrund der ihnen zugeschriebenen körperlichen Stärke eine höhere Effizienz bzw. Kompetenz zur Bewältigung von körperlichen Auseinandersetzungen zugemessen (siehe zur Relevanz von Körper auch Kap. 2).
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große Organisationen unverzichtbar Gleichstellungsstrategien einzuführen. Intern können jedoch, so Müller (2010), Regeln wie Gleichstellungsrichtlinien mit andern Regeln und Organisationspraktiken konfligieren. Deshalb sieht sich das Management einer Organisation oft mit der Anforderung konfrontiert, eine Grenze zwischen unterschiedlichen organisationalen Zielen und unterschiedlichen Praktiken zu ziehen. Dementsprechend wird Entkopplung von Müller definiert als „Regeln verletzen, Entscheidungen nicht umsetzen, Evaluationen vermeiden oder manipulieren und die bereits vorab sichtlich zweifelhafte Effizienz der vorgesehenen Problemlösungen verschleiern“ (ebd.: 43). Einen weiteren Beitrag zur Frage von Geschlechterverhältnissen in Organisationen und Entkopplung bietet Hericks (2011, 2017), die anhand einer privatwirtschaftlichen Organisation (Konzern) untersucht, wie das Gleichstellungspostulat innerorganisationale Bedeutung entfaltet. In ihrer Arbeit nimmt sie innerorganisationale Prozesse und Wahrnehmungen in den Blick und fragt nach dem Verständnis und Stellenwert von Gleichstellung/ Chancengleichheit im Arbeitsalltag. Entgegen ihrer ersten Annahme konnte sie nicht bestätigen, dass zwischen der Orientierung an Gleichheit und der Praxis im Arbeitsalltag Brüche bestehen, da diese Unterscheidung, so Hericks (2011:11), zu „schlicht“ sei. Vielmehr lassen sich nach Hericks’ Erkenntnis zahlreiche innerorganisationale Widersprüche auf unterschiedlichen Ebenen erkennen, die sich in sechs Entkopplungsarten – angefangen vom Aufbau eines Puffers zwischen Gleichstellungspolitik und Ergebnissen bis hin zur Trennung normativer Ansprüche von der Handlungsorientierung10 – widerspiegeln und mögliche Umgangsweisen mit Inkonsistenzen in Bezug auf Gleichstellung/ Chancengleichheit zum Ausdruck bringen. Halten wir bis hierher fest: Zieht man die klassische Sichtweise des Entkopplungsgedankens heran, entwickeln Organisationen zwar Gleich-
10 (1) Die Herauslösung des Leitbildes ‚Durchsetzung der Gleichberechtigung‘ aus dem ökonomisierten Konzept von ‚Förderung der Chancengleichheit‘; (2) Das Puffern zwischen Gleichstellungspolitik und Ergebnissen; (3) Ein Auseinanderklaffen der Konzeption von Diversity Management und der Wahrnehmung in der Organisationsöffentlichkeit; (4) Die Beschneidung der Wirkmacht der Betriebsvereinbarung gegen Mobbing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung im Arbeitsalltag; (5) Die Trennung widersprüchlicher normativer Ansprüche: ‚Chancengleichheit muss bestehen‘ (Egalitätsnorm) und ‚Chancengleichheit muss hergestellt werden‘ (Gleichstellungsnorm); (6) Die Trennung normativer Ansprüche von der Handlungsorientierung (vgl. Hericks 2011: 287)
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stellungskonzepte (auch gefasst unter Diversitätskonzepten) auf der Leitbildebene und implementieren zudem Maßnahmen zur Gleichstellung.11 Diese entfalten jedoch faktisch in organisationalen Handlungspraktiken und -routinen bis heute keine allzu große Handlungsrelevanz. Mithilfe des klassischen Entkopplungsansatzes könnte also erklärt werden, dass Organisationen auf ihrer ‚Schauseite‘ mit Chancengleichheit – etwa im Hinblick auf Arbeitsmärkte – werben, diese in ihrem ‚Inneren‘ jedoch zumeist nicht eins-zu-eins umsetzen bzw. sogar zu umgehen verstehen. Dass sich Entkopplungen als komplexe Prozesse begreifen lassen, es sich also nicht ganz so einfach verhält, geht aus den bereits genannten Studien sowie aus Debatten zur kritischen Weiterentwicklung von Ent-/ Kopplungskonzeptionen hervor. So wird beispielsweise organisationaler Wandel durch proaktive Diversitäts-Akteur_innen denkbar, die organisationale Diskurse aktivieren. Diese können bestehende Geschlechterverhältnisse zementieren, aber auch notwendigen Handlungsbedarf hin zu mehr Chancengleichheit zum Thema machen. Nachhaltige Veränderungen dürften sich jedoch nur dann erzielen lassen, wenn die in Institutionalisierungsprozessen eingeschriebene hierarchisierte dichotome Geschlechternorm (Frau-Mann/ männlich-weiblich) sichtbar und verhandelbar gemacht werden können (vgl. u.a. Hofmann 2017; Offenberger/ Nentwich 2017). 6.2 Ent-/ Kopplung als Prozess der Verarbeitung von Gleichstellungserwartungen Knüpft man an aktuelle Überlegungen zum Entkopplungstheorem an, zeigt sich, dass es sich bei Entkopplung nicht nur um ein äußerst komplexes Phänomen handelt, sondern auch eine Vielzahl von Konzeptionen der
11 Im Hinblick auf Gleichstellungspolitiken sowie -programmatik lassen sich historische Entwicklungslinien ausmachen, die organisationale Verarbeitungsformen prägen. Diese lassen sich in drei Hauptrichtungen einteilen (vgl. u.a. Bendl 2012; Cordes 2008). Die Anfänge strategischer Gleichstellungsbemühungen in Organisationen können auf die 1970er Jahre rückdatiert werden, die insbesondere unter dem Diskurskontext der Frauenförderung Eingang in Organisationen fanden. In den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde dieser Zugang teilweise vom Konzept des Gendermainstreaming abgelöst bzw. erweitert. Mit Anfang der 2000er Jahre zeichnet sich eine dritte Entwicklungslinie ab, nämlich eine Erweiterung oder auch eine Überlagerung mit Konzepten, die gegenwärtig unter der Bezeichnung Diversitätsmanagement gefasst werden (vgl. Bendl 2012).
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Ent-/ Kopplung entwickelt wurden (vgl. u.a. Seo/ Creed 2002; Knoll 2012). Während in den frühen Konzepten der Dreh- und Angelpunkt noch primär die Idee war, dass die Formalstruktur oder die Vorderbühne einer Organisation nicht viel mit der Aktivitätsstruktur oder der Hinterbühne zu tun haben müsse, d.h. entkoppelt sind, haben sich – wie gezeigt – die jüngeren Erklärungsansätze von dieser Vorstellung bereits weitgehend verabschiedet. So gehen wir davon aus, dass Entkopplung sowie Kopplung im Grunde keine organisationale Strategie und auch kein statischer Zustand ist, der nur die ‚Fassaden-Seite‘ berührt. Vielmehr handelt es sich um einen Prozess, der formale und informelle Strukturen zugleich tangiert – und folglich das Organisationsinnere stets ebenfalls auf die eine oder andere Art verändert. Entkopplung kann also unbeabsichtigt geschehen und auch innerhalb von unterschiedlichen organisationalen Ebenen oder Bereichen stattfinden, wobei es sich, um es nochmals zu betonen, stets um einen Prozess handelt, der wiederum zugleich Kopplungs- bzw. Rückkopplungsprozesse auslösen kann. Ein Beispiel für – nicht primär intendierte Kopplungsprozesse – liefert die Studie von Dobbin/ Kelly (1998), in der die Implementierung von Antidiskriminierungsgesetzen in den Jahren 1961 bis 1996 untersucht wurde. Beobachtet werden konnte, dass, obwohl Organisationen zunächst eher symbolisch auf Anforderungen und staatliche Kontrollen reagierten, es dennoch auch faktisch zu Veränderungen kam. So entwickelte das für Kontrollprozesse eingestellte Personal ein ‚Eigenleben‘ und nahm Einfluss auf die Organisation, indem es z.B. neue Richtlinien einführte (vgl. Dobbin/ Kelly 1998; Dobbin/ Kalev 2017; Bromley/ Powell 2012; siehe auch Kap. 3). Individuellen Akteur_innen kommt demnach eine Doppelrolle zu: Einerseits sollen sie Umwelterwartungen umsetzen, indem sie sie in die eigene (Organisations-)Sprache ‚übersetzen‘ und andererseits sollen sie organisationale Belange nach ‚außen‘ – also mit Blick auf die Umwelt – vertreten (vgl. Scott 2014). Das kann jedoch, wie Walgenbach und Meyer (2008) argumentieren, Folgen haben, denn mit der Besetzung von Stellen durch handlungsfähige und -mächtige Akteur_innen können durchaus Wandlungsprozesse einhergehen. Mit ihren Worten: „Stellen, die ursprünglich nur eingerichtet werden, um den externen Anforderungen zu genügen, werden mit motivierten und engagierten Personen besetzt, die dann oftmals zu Promotoren des Wandels werden und innerhalb der Organisation die auch betriebswirtschaftlich rationalen Argumente für Veränderungen liefern“ (Walgenbach/ Meyer 2008: 82). Ein weiteres Beispiel zur Rolle handelnder Akteur_innen lieferte Lederle (2007), die aufzeigen 174
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konnte, dass sich organisationale Diversitätsbeauftragte in professionellen Netzwerken austauschen, um nicht nur ihr fachliches Wissen zu erhöhen, sondern sich auch über Erfahrungen, Grenzen und Chancen von Diversitätsarbeit in Organisationen zu informieren. Dadurch wird das eigene Argumentations- und Handlungsrepertoire erweitert, sodass neue Strategien formuliert und in die eigene Organisation hineingetragen werden können, die wiederum Veränderungsprozesse in Gang setzen können. Ähnlich argumentieren andere Studien, in denen ebenfalls davon ausgegangen wird, dass Organisationen selbst darum bemüht sind, ihrem eigenen Talk gerecht zu werden (vgl. u.a. Christensen/ Morsing/ Thyssen 2013), weil sie ansonsten z.B. ihr Ansehen und Vertrauen im organisationalen Feld (vgl. Haack/ Schoeneborn/ Wickert 2012) oder bei den eigenen Organisationsmitgliedern verlieren könnten (vgl. MacLean/ Litzky/ Holderness 2015). Wenn wir also davon ausgehen, dass Organisationen ihrem eigenen (Gender-) Talk entsprechend handeln wollen und dass organisationale Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte zu Veränderungsprozessen beitragen können, stellt sich die Frage, weshalb die Wirksamkeit von Gleichstellungspolitiken in Organisationen hinter den gewünschten Effekten zurückzubleiben scheint. Wir schlagen deshalb im Weiteren zwei Lesarten von Entkopplung vor, die wir für die weitere Analyse von Geschlechterverhältnissen in Organisationen als gewinnbringend erachten: Erstens das widersprüchliche Zusammenspiel von Sub-Einheiten und Organisationskerns und zweitens das komplexe Zusammenspiel von Talk, Decision und Action. Mithin bieten sie Antworten auf die aufgeworfene Frage der Widersprüchlichkeit von Geschlechterungleichheiten, insbesondere der Gleichzeitigkeit von Wandel und Beharrung. 6.3 Zwei Lesarten von Ent-/Kopplung zur Analyse von widersprüchlichen Geschlechterverhältnissen in Organisationen a) Organisationale Sub-Einheiten und die Nähe/ Distanz zum ‚Kern‘ der Organisation Trotz einer Vielzahl an Studien zu Entkopplung12, die zu Weiterentwicklungen des Konzepts beigetragen haben, fand ein Gedanke von Entkopp12 Für einen Überblick zu Studien zu Entkopplung siehe u.a. Walgenbach/ Meyer 2008; Bromley/ Powell 2012; Boxenbaum/ Jonsson 2008, 2017; Hertwig 2014.
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lung – wie Bromley und Powell (2012) betonen – bislang zu wenig Beachtung, nämlich die entsprechende Berücksichtigung von Un-/ Gleichzeitigkeiten von Ent-/ Kopplung. Bereits Meyer/ Rowan haben Entkopplung nicht nur als Entkopplung zwischen Formalstruktur und Aktivitätsstruktur verstanden, sondern schon seinerzeit eine weniger beachtete Definition von Entkopplung ins Spiel gebracht: „Although it is largely overlooked, Meyer and Rowan’s (1977) classic theorization was not limited just to policy–practice decoupling. It also described decoupling as an internal buffering of organizational units from one another to protect an organization’s technical core from practices that are imposed by wider institutional demands. Hence, the buffering of internal practices is similar to policy– practice decoupling in that it protects core activities, but it differs in that within each subunit policies and practices may be largely implemented“ (Bromley/ Powell 2012: 498f.). Dieser Hinweis ist für uns aus zwei Gründen entscheidend: Zum einen, weil hier darauf verwiesen wird, dass der ‚Kern‘ einer Organisation trotz unterschiedlicher Maßnahmen und Praktiken, die auf Veränderung abzielen, bestehen bleiben kann, dies aber zum andern nicht aufgrund strategischer Abschottung von ‚Vorder-‘ versus ‚Hinterbühne‘ geschieht, sondern weil moderne Organisationen vielschichtige soziale Gebilde sind. Vor allem größere Organisationen bestehen aus unterschiedlichen Sub-Einheiten, die nur bedingt miteinander zu tun oder Einfluss aufeinander haben müssen. Nimmt man hier zudem noch den Gedanken auf, dass auch Akteur_innen von Relevanz sind, dann ergibt sich hieraus eine prozessorientierte und vieldimensionale Sicht auf Entkopplung. Verknüpfen wir die ausgeführten Überlegungen zur Rolle von Akteur_innen wie etwa von Diversitätsbeauftragten, lässt sich wie folgt argumentieren: Gleichstellungs- bzw. Diversitätsbeauftragten als mögliche Akteur_innen kommen verschiedene Rollen zu und diese können – zumindest theoretisch – zu Promotor_innen des Wandels werden, indem sie beispielsweise Einfluss auf Diskurse nehmen. Entscheidend sind für ihre Wirkungsmacht allerdings letztendlich die vorherrschenden organisationalen Machtverhältnisse und die ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsressourcen und -spielräume. Wandel geschieht zunächst innerhalb organisationaler Sub-Einheiten, wobei externe Impulsgeber_innen hier eine Rolle spielen können. So können z.B. Gleichstellungs- oder Diversitätsbeauftragte – soweit sie in Expert_innennetzwerke involviert sind – im Rahmen von Tagungen, Workshops und auf sonstigen Foren Informationen über neue Konzepte, Strategien und Standards erfahren. Werden
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die neuen Ideen in den eigenen Arbeitsbereich ‚übersetzt‘13, können sie für Veränderung sorgen. Anders herum bedeutet dies, dass sie auch wirkungslos bleiben können, wenn sie keine Akzeptanz innerhalb der Organisation finden. Damit eine Organisation insgesamt Veränderungen erfährt, müssen sich Ziele, Maßnahmen und Praktiken von Diversitäts- und Gleichstellungsarbeit auch an andere organisationale Einheiten und SubEinheiten richten und nicht nur in der eigenen Sub-Einheit der Diversitätsarbeit verbleiben. Mit andern Worten: Der ‚eigentliche Kern‘ von Organisationen muss adressiert und mit Gleichstellungsfragen konfrontiert werden (vgl. Amstutz/ Wetzel 2017). Dieser kann in Organisationen jedoch durchaus diskursiv von Gleichstellungsanliegen abgeschottet werden (siehe dazu ausführlicher unsere empirischen Ergebnisse im Teil III). Wie Müller (2010) feststellt, ist es für die Untersuchung von Geschlechterverhältnissen im Organisationswandel deshalb zielführend, diese sowohl auf der Ebene der Organisationsstruktur als auch auf der Ebene organisationaler Diskurse zu untersuchen. So erweisen sich vor allem institutionell normative Regulierungen von Geschlecht in Organisationen (Geschlecht als Institution) als oftmals nur schwer überwindbare Barrieren für Veränderungsprozesse (vgl. auch Kap. 1). Hinzu kommt, dass sich die Ebenen (Struktur – Diskurse) entsprechen und verstärken, aber auch widersprechen und sogar gegenseitig verleugnen können, was einen Wandel am Ende sogar gänzlich verhindert. Hier zeigt sich deutlich, dass die Analyse stets mehrere Ebenen berücksichtigen muss, also sowohl die aktuellen Diskurse als auch die bereits zur Struktur geronnenen Geschlechterverhältnisse. Das heißt aber auch: Rücken Gleichstellung/ Diversität näher an das Kerngeschäft und die Selbstdefinition einer Organisation heran, können sich die Chancen in Richtung Wandel erhöhen. Denn: „Decoupling a policy or program that is central, distinct, and enduring (Albert and Whetten 1985) to the organization’s self-definition“ (MacLean/ Litzky/ Holderness 2015: 363) kann bei den Organisationsmitgliedern für innere Distanzierung bis hin zur Kündigung sorgen. Als Auslöser wird hierfür die beschriebene Diskrepanz zwischen Leitbild und wahrgenommener Alltagsrealität angeführt. Mit der Nähe der Gleichstellungsarbeit oder Diversitätsarbeit zum Kern von Organisationen dürfte also zumindest der Handlungs-
13 Weiterführend hierzu der Translation-Ansatz in der neo-institutionalistischen Theoriebildung (vgl. u.a. Offenberger/ Nentwich 2017).
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druck in Richtung faktische Chancengleichheit größer werden, wie unsere Befunde nahelegen (vgl. Teil III).14 Die (fehlende) Nähe zum Kerngeschäft einer Organisation könnte zumindest ein Erklärungsbaustein dafür sein, weshalb es trotz vermehrter Ansprüche an organisationale Chancengleichheit immer noch deutlich sichtbare Geschlechterasymmetrien gibt, welche sich u.a. in horizontaler und vertikaler Segregation widerspiegeln. Gleichwohl besteht die Chance, dass Akteur_innen als Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte oder geschlechtersensible Personen organisationale Veränderungsprozesse auslösen können, gerade weil sie wie keine andere Akteur_innengruppe dafür prädestiniert sind, innerorganisationale Diskrepanzen zwischen Leitbild und Alltagsaktivität, Normen und Praktiken sowie Zielen, Maßnahmen und deren Interpretationen, kurz: zwischen Talk, Decision, Action (vgl. Brunsson 1989), ‚aufzudecken‘. Wie groß die Reichweite dieser so angestoßenen möglichen Veränderungsprozesse ist, hängt, wie bereits betont, allerdings maßgeblich von der innerorganisationalen Verortung von Gleichstellung/ Diversität in der jeweiligen Organisation ab, also ihrer organisationalen Wirkungsmacht (Ressourcenausstattung, Verantwortungsbereich, Entscheidungsmacht usw.). Was die Erfassung von Ent-/ Kopplungsprozessen zudem nicht einfacher macht, ist deren Vielschichtigkeit, da Kopplungsprozesse (z.B. Durchsetzen von Maßnahmen und Praktiken zu mehr Diversität/ Gleichstellung) und Entkopplungsprozesse (des Organisationskerns und Gleichstellungspolitiken) auch gleichzeitig stattfinden können. Berücksichtigt man zudem, dass es auch zwischen und innerhalb von organisationalen Sub-Einheiten Prozesse der Ent-/ Kopplung gibt, wird deutlich, wie komplex Entkopplungsprozesse sein können. Grundsätzlich ist jedoch nicht auszuschließen, dass Organisationen selbst bestrebt sein können, ihren Talk zur Richtschnur ihres Handelns zu machen (vgl. u.a. Christensen/ Morsing/ Thyssen 2013; MacLean/ Litzky/ Holderness 2015). Ob es zu einer konsistenten, alle Sub-Einheiten durchdringenden Gleichstellung und Diversity-Ausrichtung kommen kann, hängt in hohem Maße davon ab, ob Gleichstellungsarbeit in Organisationen als relevant erachtet wird – also im Grunde als ein Teil des ‚Kerngeschäfts‘ verstanden wird. Oder anders formuliert: Je weiter die Gleichstellungs- und Diversity14 Damit bestünde auch die Chance, die Trennung normativer Ansprüche von der Handlungsorientierung (einer der von Hericks 2011 ausgemachten Entkopplungsarten) in Bezug auf Chancengleichheit aufzuheben.
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thematik vom ‚eigentlichen Kern‘ entkoppelt wird und je geringer zudem die Wirkungsmacht der hiermit betrauten Akteur_innen ist, desto eher sinken die Chancen für Fortschritte im Feld organisationaler Geschlechterpolitik. b) Talk, Decision und Action als organisationale Verarbeitungsmodi von Gleichstellungserwartungen Eine weitere Lesart von Ent-/ Kopplung hat sich ebenfalls als gewinnbringend für unsere Analyse von Geschlechterverhältnissen in Organisationen erwiesen: die Unterscheidung in organisationalen Talk, Decisions und Action (vgl. Brunsson 1989). Brunsson entwickelt die drei Verarbeitungsmodi – Talk, Decision und Action – entlang der Schnittstelle Organisation und Umwelt, indem er sie als spezifische Elemente der organisationalen Verarbeitungsform von Erwartungen konzipiert, wobei auch Inkonsistenzen und Widersprüche zum Ausdruck kommen.15 Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass Brunsson dieses Konzept im Kontext der Politik- und Verwaltungsforschung entwickelt hat, wo spezifische Formen von Legitimitätsanforderungen und Umwelterwartungen bedeutsam sind. Hierzu gehört, dass es sich gerade bei Verwaltungseinheiten um Organisationen handelt, die mit vielen widersprüchlichen Anforderungen und Erwartungen (inklusive Inkonsistenzen zwischen Ideologien und Praktiken) umgehen müssen. Zur Begriffsbestimmung von Talk, Decision und Action führt Brunsson aus, dass Talk als kommunikative Aktivität von Organisationen verstanden werden kann, die sowohl nach innen als auch nach außen, also an die organisationale Umwelt, adressiert ist. D.h.: „Talk, in the broader sense of the spoken or written word, is produced not only for internal purpose but also and more importantly for the environment“ (Brunsson 1989: 26). De-
15 Brunsson’s Konzeption ist vielfach zur empirischen Untersuchung von inkonsistenten Reaktionen auf inkonsistente Anforderungen aus der jeweiligen Umwelt angewendet worden (für neuere Untersuchungen siehe z.B. Lipson 2007; Zimenkova/ Hedtke 2008; Bromley/ Powell 2012; Christensen/ Morsing/ Thyssen 2013). Das Auftreten von Inkonsistenzen in innerorganisationalen Übersetzungen verstehen z.B. Zimenkova und Hedtke 2008 in ihrer Untersuchung über „Citizenship Education“ unter Bezugnahme auf Brunsson als ein unvermeidliches Ergebnis, welches in Folge widersprüchlicher und heterogener Umweltanforderungen auftritt.
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cision wiederum versteht er als Form des Talks, welche sich insbesondere hinsichtlich ihrer zeitlichen Materialisierung in Form von z.B. Zielen (etwa Implementierungsziele, Deadlines etc.) und dem Grad der Konkretisierung von Talk unterscheiden: „Decisions can be seen as a special type of talk that indicates a will to act and a choice of action“ (Brunsson 2003: 201). Action wiederum wird im Hier und Jetzt verortet. Es knüpft an unmittelbares Handeln und Tun an: „Action takes place in the here and now, while talk and decisions are often associated with the future, particulary if they are to be inconsistent with existing production“ (Brunsson 1989: 28). Die Beziehungen zwischen diesen drei Elementen werden von Brunsson dahingehend gefasst, dass er Decisions als Bindeglied zwischen Talk und Action und deshalb als eine Art Kopplungsmechanismus („coupling mechanism“) bestimmt. Decisions können, abhängig von der jeweiligen Situation, näher dem Talk oder näher der Action sein, sind also dynamisch zu denken (vgl. ebd.: 173). Dabei ist jedoch zu beachten, dass es nicht immer starke Verbindungen zwischen den drei Verarbeitungsformen Talk, Decision und Action geben muss, weder für Individuen noch für Organisationen: „To talk is one thing; to decide is a second; to act is yet a third“ (Brunsson 2007: 112). So ist es möglich zu agieren, ohne darüber zu sprechen und ohne (betriebliche oder individuelle) Entscheidungen zu fällen und anders herum. Dadurch können Diskrepanzen oder unterschiedlich starke Arten von Kopplung zwischen Talk, Decision und Action entstehen. Um konzeptionell Prozesse von Entkopplung, also organisationale Inkonsistenzen von Talk, Decision und Action, zu fassen, führt Brunsson (1989, 2003, 2007) den Begriff der ‚Hypocrisy‘ ein. Dabei betont er jedoch, dass es sich hierbei nicht um eine moralische Bewertung im Sinne von ‚Scheinheiligkeit‘ handelt, sondern vielmehr um unterschiedliche Funktionalitäten. „Talk and decisions follow rules for what can be said, actions follow rules for what can be done, and we cannot expect that these rules will always be consistent. There are things that we can say but not do, and there are other things that we can do but not say“ (Brunsson 2007: 123). Talk und Decisions haben dabei typischerweise eine größere Reichweite als Action. Im Normalfall haben nur wenige Personen Kenntnis über organisationale Action, da es mitunter schwierig ist, hier konkrete Einblicke zu gewinnen. Die gesellschaftliche Norm ist, so Brunsson weiter, dass Organisationen konsistent in ihrem Sagen, Entscheiden und Tun sein sollten, weshalb eine Diskrepanz oft als Problem wahrgenommen wird. Dabei kann Diskrepanz aus organisationaler Sicht manchmal sogar eine Lösung – und weniger ein Problem – darstellen. Denn bestimmte Umwelterwar180
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tungen können mit Talk, andere mit Decisions und wieder andere mit Action erfüllt werden (vgl. Brunsson 2007: 115). Zu betonen ist, dass dies nicht primär als gesteuerte oder intentionale Konfliktstrategie zu denken ist, sondern Diskrepanzen auch auftreten können, ohne von individuellen Akteur_innen innerhalb von Organisationen (wie beispielsweise von Manager_innen) intendiert zu sein. Ebenso wichtig für unsere Fragestellung ist die Voraussetzung für mögliche Diskrepanzen zwischen Talk, Decision und Action. Gemeint ist hiermit, dass Organisationen von der Umwelt auch danach bewertet werden, was sie sagen und entscheiden und etwa weniger danach, was sie tun. Oder anders ausgedrückt: Aus geschlechtertheoretischer sowie gleichstellungspolitischer Sicht kann bereits das Aufdecken von Diskrepanzen zwischen Talk, Decision und Action schon wichtig sein, zumindest wird hierdurch ein Problem sichtbar gemacht. Eine öffentlichkeitswirksame Sichtbarmachung ist zwar noch kein Wandel, aber zunächst einmal ein wichtiger erster Schritt: „It appears that organizations are often valued not merely for their actions but also for what they say and the decisions they make. Publicity is often as important as, if not more, important than the product“ (Brunsson 2003: 204). Organisationen sind nicht nur von Konsument_innen umgeben, sondern ebenso von „Publikum“, so dass moderne Organisationen „a great deal of talk and decisions“ (Brunsson 2007: 114) produzieren. Spätestens an dieser Stelle schiebt sich eine im Rahmen unserer Analyse zentrale Frage ins Zentrum (vgl. auch Teil III), nämlich: Welche Bekenntnisse zu betrieblicher Gleichstellung/ Diversität nehmen Organisationen in ihren Talk auf und wie setzen sie diese auf der Ebene der Decisions und schließlich der Action um? Die unterschiedlichen Verarbeitungsformen, Talk, Decision und Action sind als Umgang mit und Reaktion auf sich schnell wandelnde Anforderungen an Organisationen oder als organisationale Lösungen für organisationale zu verarbeitende Widersprüche zu begreifen. „Hypocrisy is not merely an active answer to conflict; it also arises as a result of conflict“ (Brunsson 2003: 210). Organisationen sehen sich demnach stets mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert, Entkopplung kann dabei ein Ergebnis des Bearbeitens von Widersprüchen darstellen. So sollen Organisationen beispielsweise nicht nur profitabel arbeiten, sondern auch Arbeitsplätze sichern und angemessene Löhne zahlen sowie auch darüberhinausgehende gesellschaftliche Erwartungen erfüllen – wie etwa ökologische Standards einhalten und dem gesellschaftlichen Anspruch der Chancengleichheit und Diversität gerecht werden (vgl. u.a. Brunsson 2007: 181
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113). Konflikte und Widersprüche können also zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen, unterschiedlichen Zeiten, unterschiedlichen organisationalen Sub-Einheiten und auch zwischen unterschiedlichen Rollen, die Individuen zu erfüllen haben, entstehen. In modernen Gesellschaften existieren z.B. viele Ideen und Vorstellungen darüber, was als angemessen, rational oder ‚gut‘ zu gelten hat, worunter auch Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oder der Möglichkeit von Teilzeitarbeit in Führungsfunktionen zu verstehen sind (vgl. hierzu Teil III). Mit einer in Anlehnung an Brunsson konzipierten Forschungsheuristik, in der zwischen Talk, Decision und Action unterschieden wird, ist es möglich, der Entschlüsselung der Geschlechterpolitik in Organisationen einen Schritt näher zu kommen (vgl. hierzu Teil III und Kap. 11). 6.4 Schlussfolgerungen Der Blick auf das Entkopplungstheorem ist – wie gezeigt – ausgesprochen produktiv für die Analyse organisationaler Gleichstellungsarbeit. Zunächst erweist sich der Blick auf die theoretische Weiterentwicklung des Konzepts sowie die Rolle von Akteur_innen als fruchtbar für die theoretische Analyse zum organisationalen Umgang mit Gleichstellungserwartungen. Wir haben gezeigt, dass insbesondere jene Konzeptionsstränge von Ent-/ Kopplung, die die Un-/ Gleichzeitigkeiten von Ent-/ Kopplung entsprechend berücksichtigen, in der Lage sind, organisationaler Komplexität gerecht zu werden. Ent-/ Kopplung ist ein prozesshaftes, dynamisches Phänomen, auf das das Handeln von Akteur_innen einwirkt. Rückkopplung („recoupling“) ist dabei ebenso nicht auszuschließen wie gegenläufige und widersprüchliche Prozesse von Entkopplung, die es in der Konzeption von Ent-/ Kopplung zu integrieren gilt. Mit der Differenzierung von Verarbeitungsformen, erreicht durch einen fokussierten Blick auf die Beziehungen zwischen den drei Aktivitäten, Talk, Decision und Action, können die prozessualen Dynamiken von Entkopplung bzw. Kopplung heuristisch weiter aufgeschlüsselt werden. Zusammenfassend lassen sich unsere Überlegungen wie folgt verdichten: 1) Um den Entkopplungsgedanken für die Geschlechter- und Organisationsforschung weiter nutzbar zu machen – und umgekehrt, mithilfe des Fokus auf Geschlechterfragen das Entkopplungskonzept weiter zu schärfen – haben wir den Blick auf Un-/ Gleichzeitigkeiten von Ent-/
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Kopplung gerichtet und diese Prozesse in Verbindung mit organisationaler Gleichstellungs-/ Diversitätsarbeit und potenziellem Wandel beleuchtet. Dabei wurde – wie nicht nur unsere Befunde anschaulich belegen (vgl. Teil III) – sichtbar, dass, wenn Gleichstellungs- oder Diversitätsbeauftragte in Organisationen eingesetzt werden, diese zwar durchaus Impulse zu einem Wandel liefern können, jedoch oft nicht den gewünschten Aktionsradius erreichen. Ausschlaggebend hierfür muss keineswegs eine intentional gesteuerte Strategie sein, die darauf abzielt, Chancengleichheit lediglich auf einer symbolischen Ebene bzw. auf der ‚Vorderbühne‘ zu belassen. Vielmehr kann die Umsetzung einer Chancengleichheitspolitik auch an der Entkopplung zwischen Sub-Einheiten bzw. einer inkonsistenten innerorganisationalen Verarbeitung scheitern. Dieses Nebeneinander von Widersprüchlichkeiten, verbunden mit der Verortung von Gleichstellungs- und Diversitätspolitik abseits vom eigentlichen ‚Kern‘ der Organisation, stellt ein großes Problem für die Durchsetzung von Maßnahmen und Praktiken von Gleichstellung und Diversität dar. Positiv gewendet heißt das aber auch: Werden in der Selbstdefinition einer Organisation Gleichstellung/ Diversität näher an das Kerngeschäft angebunden, können Chancen in Richtung Wandel verbessert werden. 2) Die Relevanz von Akteur_innen: Die ‚Reichweite‘ der Arbeit von Gleichstellungsbeauftragten oder Stabsstellen für die Diversitätspolitik einer Organisation ist in hohem Maße abhängig vom organisationalen Kontext, insbesondere von der generellen Ausrichtung von Organisationen und ihrer Affinität zur Gleichstellungspolitik. Ein differenzierteres Bild kann durch die von uns als zweite Lesart von Ent-/ Kopplung diskutierte Perspektive, nämlich durch eine Talk, Decision und ActionHeuristik, erreicht werden: Organisationen sind gewissermaßen an ihren eigenen Talk gebunden, um ihre Legitimität nicht zu verlieren. Werden aufgrund des organisationalen Talks Gleichstellungs-/ Diversitätsbeauftragte in den Organisationen eingesetzt und weitergebildet, besteht die Möglichkeit, dass diese auch intern Änderungen bewirken können. Es gilt: Entdecken Akteur_innen (interne oder auch externe), dass eine zu große Diskrepanz zwischen Talk, Decision und Action besteht, kann dies zum Thema gemacht werden und den Anstoß für Wandlungsprozesse bilden. Das analytische Potenzial des Entkopplungstheorems liegt also gerade in der Aufhebung der strikten Trennung von Formal- und Aktivitätsstruktur und im „Talking the Talk“, getragen durch – in der Regel eher machtvolle – Akteur_innen. Dies 183
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setzt aber auch voraus, dass Diskrepanzen zwischen Talk, Decision und Action im Gleichstellungsbereich erst einmal zum Thema gemacht werden und ein Weg gefunden wird, um Gleichstellungs- sowie Diversitätsziele auf allen Ebenen und in allen Sub-Einheiten auf den Weg zu bringen. 3) Konkret kann mit dem Modell von Talk, Decision, Action (vgl. Teil III) untersucht werden, ob und wie Organisationen bzw. Sub-Einheiten verstärkt Talk ausbilden (beispielsweise als Bekenntnis zu Familienfreundlichkeit) und wie sich innerorganisational Kopplungs- und Entkopplungsprozesse manifestieren. Dazu kann die Ebene der Decisions herangezogen werden. Hier zeigt sich, welche spezifischen Gleichstellungsregelungen Organisationen festlegen, welche Ziele sie vorgeben und ob ihre Nicht-Erreichung sanktioniert werden kann. Auf diese Entscheidungen können sich Organisationsmitglieder und externe Fachpersonen folglich argumentativ stützen. So kann dann auf einer weiteren Ebene untersucht werden, wie einzelne Akteur_innen den organisationalen Talk und die Decisions interpretieren und umsetzen. Wie hilfreich diese Forschungsheuristik sein kann, belegen unsere empirischen Befunde, denn sie zeigen, dass Organisationen durchaus über eine recht große Bandbreite an Regelungen und Zielen der Gleichstellungspolitik verfügen, die jedoch als Action nicht entsprechend institutionalisiert werden können. Und umgekehrt: Es kann auch vorkommen, dass Organisationen in ihrer Praxis (d.h. Action) bereits aktive Gleichstellungspolitik betreiben, diese jedoch (noch) nicht auf der Ebene der Decisions und im Talk institutionalisiert wurden und damit auch nicht verbindlich sind. Hinzu kommt, dass Talk und Decisions nicht nur von organisationalen Sub-Einheiten unterschiedlich interpretiert, sondern auch recht unterschiedlich umgesetzt werden können. D.h. während die eine Sub-Einheit sich als Vorreiterin erweisen kann, können andere weit hinterherhinken. Die Talk, Decision und Action-Heuristik erweist sich als eine hilfreiche konzeptionelle Rahmung, um organisationale Ambivalenzen und Widersprüche auszumachen und bietet, gekoppelt mit einer Sichtweise auf Geschlecht als polymorphe und widersprüchliche Institution (vgl. Kap. 1) die Möglichkeit, Vergeschlechtlichungsprozesse in ihren multiplen Ausprägungen analytisch zu erfassen (vgl. auch Kap. 11). Denn Geschlecht ist nach wie vor eine recht wirksame Institution, die sich in Organisationen eingeschrieben hat und sich bis heute eher im Gewand einer heteronorma-
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tiv geprägten Institution zeigt, deren Überwindung noch auf sich warten lässt. Dazu gehört auch, dass Gleichstellungs- respektive Diversitätsarbeit ihrer radikalen Wirkungsmacht enthoben wird, wenn sie vom ,Kerngeschäft‘ entkoppelt wird. Literatur Amstutz, Nathalie/ Wetzel, Ralf 2017: Die Funktion des Kerngeschäfts. Eine Besichtigung der ‚Null‘ der Organisation und ihre Folgen für betriebliche Gleichstellungsdiskurse. In: Maria Funder (Hg.): Neo-Institutionalismus – Revisited. Bilanz und Weiterentwicklungen aus Sicht der Geschlechterforschung. Baden-Baden, 439-466. Battilana, Julie/ Leca, Bernard/ Boxenbaum, Eva 2009: How Actors Change Institutions: Towards a Theory of Institutional Entrepreneurship. In: The Academy of Management Annals 3 (1), 65-107. Bendl, Regine 2012: Das Verhältnis von Chancengleichheitsprogrammen und Gender Mainstreaming zu Diversitätsmanagement – eine vergleichende Darstellung. In: Regine Bendl/ Edeltraud Hanappi-Egger/ Roswitha Hofmann (Hg.): Diversität und Diversitätsmanagement. Wien, 237-264. Boxenbaum, Eva/ Jonsson, Stefan 2008: Isomorphism, Diffusion and Decoupling. In: Royston Greenwood/ Christine Oliver/ Kerstin Sahlin/ Roy Suddaby (Hg.): The SAGE Handbook of Organizational Institutionalism. London, 78-98. Boxenbaum, Eva/ Jonsson, Stefan 2017: Isomorphism, Diffusion and Decoupling. In: Royston Greenwood/ Christine Oliver/ Kerstin Sahlin/ Roy Suddaby (Hg.): The SAGE Handbook of Organizational Institutionalism. London, 77-101. Bromley, Patricia/ Powell, Walter W. 2012: From Smoke and Mirrors to Walking the Talk: Decoupling in the Contemporary World. In: The Academy of Management Annals 6 (1), 483–530. Brunsson, Nils 1989: The Organization of Hypocrisy. Talk, Decisions and Actions in Organizations. Chichester. Brunsson, Nils 2003: Organized Hypocrisy. In: Barbara Czarniawska/ Guje Sevón (Hg.): The Northern Lights: Organization Theory in Scandinavia. Oslo, 201-222. Brunsson, Nils 2007: The Consequences of Decision-Making. New York. Christensen, Lars Thøger/ Morsing, Mette/ Thyssen, Ole 2013: CSR as Aspirational Talk. In: Organization 20 (3), 372-393. Cordes, Mechthild 2008: Gleichstellungspolitiken: Von der Frauenförderung zum Gender Mainstreaming. In: Ruth Becker/ Beate Kortendiek (Hg.): Handbuch Frauenund Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. Wiesbaden, 916-924. DiMaggio, Paul J./ Powell, Walter W. 1991: The New Institutionalism in Organizational Analysis. Chicago.
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Teil III Fallstudien zum Umgang mit Gleichstellungserwartungen – Empirische Befunde zu For-Profit und NonProfit-Organisationen
7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen: Organisationale Wahrnehmungen, Verarbeitungsfelder und -formen Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann/ Melanie Nussbaumer/ Hanna Vöhringer
Einleitung In diesem Teil des Buches schließen wir an die im zweiten Teil vorgestellten geschlechtertheoretisch gewendeten neo-institutionalistischen Konzepte an und stellen ausgewählte Ergebnisse des Forschungsprojekts „Gender Cage – Revisited: Zur Rekonfiguration von Geschlechterdifferenzierungen in Organisationen postmoderner Gesellschaften“ vor. Die Studie zielte nicht nur darauf ab, der widersprüchlichen Gleichzeitigkeit von Beharrung und Wandel asymmetrischer Geschlechterverhältnisse in und durch Organisationen nachzugehen, sondern auch Antworten auf die Frage zu finden, ob neo-institutionalistische Konzepte dazu beitragen können, neue Einsichten zum Zusammenhang von Organisation und Geschlecht zu gewinnen. Untersucht wurden insgesamt sechzehn (mehrheitlich international tätige) For-Profit und Non-Profit Organisationen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich mit unterschiedlicher Branchenzugehörigkeit. Für diesen Beitrag haben wir aus dem Gesamtsample drei Organisationen ausgewählt, zwei For-Profit und eine Non-Profit-Organisation, die zu Fallstudien verdichtet wurden. Anhand dieser drei Fälle soll nun exemplarisch gezeigt werden, wie sich die Geschlechterverhältnisse in modernen Organisationen in den letzten Jahren entwickelt haben, wobei wir vor allem mehr über die Intensität organisationaler Transformationsprozesse wissen wollten. Um die Vielschichtigkeit von Organisationen analysieren zu können, bot sich die Brunssonsche Talk-Decision-Action Heuristik an (vgl. Kap. 6), worauf im Weiteren noch näher einzugehen sein wird. Bereits an dieser Stelle ist somit hervorzuheben, dass sich unser Blick auch auf Formen des Gender Cage richten wird. Den Ausgangspunkt für unsere Analyse bildet
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der Umgang mit Gleichstellungserwartungen. Im Fokus stehen vor allem zwei forschungsleitende Fragen: 1. Wie nehmen Organisationen Gleichstellungsdruck wahr? 2. Wie verarbeiten sie diesen Gleichstellungsdruck? Untersucht wird zum einen, welche Gleichstellungserwartungen Organisationen überhaupt als relevant bewerten und dementsprechend ‚bearbeiten‘. Zum anderen fokussieren wir darauf, die sich in den untersuchten Organisationen herauskristallisierenden ‚Varianten‘ der Verarbeitung zu identifizieren, also genauer zu bestimmen, ob und inwieweit sich moderne Organisationen auf den Weg gemacht haben, traditionelle Geschlechterdifferenzen abzubauen – oder ob es am Ende doch nur, um es anders zu formulieren, zu neuen Formen der Legitimation gekommen ist. Wir sind von der Annahme ausgegangen, dass es durchaus Prozesse der Transformation gibt, wobei ‚moralische’ Non-Profit-Organisationen und (spät)moderne Organisationen als Vorreiterinnen gelten könnten, während traditionelle Organisationen wohl eher für Beharrungstendenzen stehen, was auch ein Grund für die Auswahl unserer Fälle war. Um zu einer vergleichenden Analyse zu gelangen, haben wir uns in allen drei Fällen auf organisationale Kernfelder konzentriert, die in der Geschlechterforschung bis heute im Fokus stehen, wenn es um die Identifizierung von Geschlechterdifferenzierungen geht. Hierbei handelt es sich: erstens um das Zeitregime, zweitens die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und drittens die Karriereentwicklungen. Gleichstellungserwartungen können je nach Kontext unterschiedlich wirksam werden. Wir unterscheiden hier zwischen: Erstens dem gesellschaftlichen Kontext im weitesten Sinn, der normativen und regulativen Druck ausübt, wozu mediale Debatten oder Gesetze einen entscheidenden Beitrag leisten. Zweitens den interorganisationalen Kontext, insbesondere dem für die Geschäftstätigkeit relevanten Umfeld der Organisation. Bei For-Profit Organisationen treten als relevante organisationale Feldakteur_innen beispielsweise Kundinnen und Kunden oder die unmittelbare Konkurrenz in Erscheinung. Im Hinblick auf Non-Profit Organisationen geraten stärker Spender_innen oder auch staatliche Akteur_innen in den Blick. Drittens dem intraorganisationalen Kontext, der die Beschäftigten(gruppen) und – soweit vorhanden – Interessenvertretungen umfasst, aber auch die verschiedenen Subeinheiten der Organisation und die jeweilige innerorganisationale Gleichstellungspolitik.
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7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen
Wiewohl davon auszugehen ist, dass For-Profit und Non-Profit Organisationen jeweils unterschiedliche Organisationszwecke verfolgen sowie unterschiedlichen Legitimationsnotwendigkeiten unterliegen, weisen sie durchaus auch Ähnlichkeiten sowie Gemeinsamkeiten auf. Es lassen sich also, trotz einer prinzipiellen Unbestimmtheit von Organisationen, über einen systematischen Vergleich strukturelle Muster bestimmen. So halten etwa Apelt und Tacke fest: „Unterläuft einerseits also die strukturelle Selbstbestimmung von Organisationen die Vorstellung einer Typenordnung und damit auch die Angemessenheit von kompakten Typologien, schließt andererseits die Unbestimmtheit der Organisationsbildung nicht aus, dass sich – im Zusammenhang mit gesellschaftlich einschlägigen Umwelteinschränkungen und den wiederkehrend damit für Organisationen eröffneten Möglichkeiten – strukturelle Muster beobachten lassen, die sich auf der Grundlage von fallbezogenen Vergleichen dann im Einzelnen (!) als Typen der Organisation beschreiben lassen“ (Apelt/ Tacke 2012: 11).
Über den Fallstudienvergleich zielen wir darauf ab, trotz großer Heterogenität von Organisationen, Varianten der „Verarbeitung“ von Gleichstellungserwartungen zu identifizieren, die sich als Typen von Organisationen beschreiben lassen, welche sich im Kontext bestimmter Einschränkungssowie Ermöglichungsbedingungen der organisationalen Umwelt herausbilden. Kurz zum Aufbau der weiteren Ausführungen: Im ersten Teil (7.1) wird zunächst (a) der theoretische Bezugsrahmen erläutert. Daran schließt (b) eine kurze Bezugnahme auf die rechtlichen Regelungen bzw. gesellschaftlichen Kontextbedingungen, mit denen sich die untersuchten Organisationen grundsätzlich konfrontiert sehen (rechtliche Rahmenbedingungen und Gleichstellungsdebatten in Deutschland und der Schweiz). Im dritten Schritt wird näher auf (c) die Fallauswahl eingegangen (Gesamtsample und Begründung der Fallauswahl). Der zweite Teil (7.2) konzentriert sich auf die methodologische und methodische Konzeption. Hier finden sich Erläuterungen (a) zum gewählten Methodenmix, (b) zur Auswertung und eine Skizze zentraler Charakteristika der drei Fallstudien.
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7.1 Theoretische Rahmung, Kontextbedingungen und Fallauswahl a) Theoretischer Bezugsrahmen Um eine Brücke zwischen dem theoretischen und dem empirisch ausgerichteten Teil des Buches zu schlagen, werden an dieser Stelle kurz die wesentlichen theoretischen Bezugspunkte dargelegt, entlang derer die Analyse und Interpretation der Fallbeispiele vorgenommen wurde. Vertiefendes dazu ist in den jeweiligen Kapiteln des zweiten Teils nachzulesen. Schon unsere forschungsleitenden Fragen nach dem Umgang von Organisationen mit Gleichstellungserwartungen beziehen sich auf die neo-institutionalistische Prämisse, dass Organisationen auf gesellschaftliche Umwelterwartungen nicht nur reagieren, sondern auch Legitimität erlangen wollen (vgl. DiMaggio/ Powell 1983; Meyer/ Rowan 1977). Handlungsdruck wird in Organisationen allerdings nur dann entstehen, wenn diese Umwelterwartungen als relevant erachten (vgl. u.a. Hasse/ Krücken 2005: 67). Welche Umwelterwartungen Organisationen überhaupt wahrnehmen und für die eigene Legitimität für relevant erachten, hängt von zahlreichen Faktoren ab, angefangen von der Organisationsgeschichte, über den Organisationszweck und die Organisationstruktur und -kultur, bis hin zur Organisationsgröße und dem Grad an Internationalität sowie der eng damit verwobenen Einbettung in spezifische organisationale Felder. Aber auch welche Akteur_innen mit welchen Funktionen und Machtpositionen in diese Prozesse involviert sind, hat Einfluss auf die Relevanzsetzung von Gleichstellungserwartungen und damit Folgen für deren Verarbeitung in der Organisation. Zudem spielt die Art der Umwelterwartungen eine Rolle. Handlungsdruck kann in Organisationen auf vielfache Weise erzeugt werden. Wie bereits an anderer Stelle (vgl. u.a. Kap. 4) ausgeführt, kann der Druck auf Organisationen coersiv, mimetisch oder normativ ausgerichtet sein. Coersiver Druck umfasst insbesondere gesetzliche Vorgaben, zwingende staatliche Auflagen oder Richtlinien. Mimetischer Druck kann z.B. durch Branchenvorreiter_innen oder Beratungsorganisationen ausgelöst werden, die als Trendsetter für die Verbreitung neuer Managementkonzepte gelten und beispielsweise Mentoring-Konzepte in der Personalentwicklung einsetzen und zur Nachahmung empfehlen. Normativer Druck wiederum bezieht sich auf feldspezifische Erwartungen, z.B. im Hinblick auf professionelle Standards. Die Analyse erfolgte in mehreren Schritten: Einer der ersten Analyseschritte bestand darin, die Art des wahrgenommenen Drucks zu identifi194
7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen
zieren. Dem schloss sich, in einem zweiten Schritt, die Untersuchung des organisationsspezifischen Umgangs mit den von ihnen wahrgenommenen Erwartungen im Hinblick auf Gleichstellung an. Als Heuristik für die Untersuchung der Verarbeitung des wahrgenommenen Gleichstellungsdrucks diente das Talk-Decision-Action-Konzept (TDA) von Nils Brunsson (vgl. Brunsson 1989; vgl. auch Kap. 6). Dabei verstehen wir unter Talk alle sprachlich-symbolischen Äußerungen im Umgang mit dem wahrgenommenen Gleichstellungsdruck. Hierzu zählen alle nach innen wie nach außen gerichteten Aussagen, die Auskunft über die Sichtweisen der Organisation auf den wahrgenommenen Gleichstellungsdruck geben. Mit Decisions sind alle formal getroffenen betrieblichen Entscheidungen einer Organisation gemeint, mit denen auf den wahrgenommenen Gleichstellungsdruck reagiert wird, wie beispielsweise Arbeitszeitregelungen, Home-Office-Vereinbarungen, Maßnahmen zur Karriereförderung. In Einzelfällen kann es sich auch um informelle, aber bindende Entscheidungen pro Organisationssubeinheit handeln. Action zielt in Abgrenzung dazu auf die Ausdeutung der Decisions und der nicht-formal geregelten Bereiche. Hier geht es darum, wie der organisationale Diskurs im Zusammenhang mit dem wahrgenommenen Gleichstellungsdruck und die dazu getroffenen Entscheidungen jeweils interpretiert und in Handlungen übersetzt werden. Die Talk-Decision-Action-Heuristik ermöglicht uns somit, bereits auf einer analytischen Ebene zwischen drei Arenen der Verarbeitung zu unterscheiden. Unser Analysekonzept umfasst dadurch sowohl das Verhältnis Organisation und Umwelt als auch innerorganisationale Prozesse und die Art und Weise der Legitimation von Handlungen. Die Empirie liefert uns – in einem weiteren Schritt – eine weitergehende Differenzierung des Umgangs mit internen wie externen Gleichstellungerwartungen, die wir im Anschluss zu drei Varianten des Gender Cage verdichtet haben (vgl. Kap. 11). Ziel unserer Ausführungen ist es, Aufschluss darüber zu geben, wie Organisationen den wahrgenommenen Gleichstellungsdruck auf den Ebenen Talk, Decision und Action verarbeiten und wie es um (Ent-)Kopplungsprozesse zwischen diesen Ebenen bestellt ist. Es stellt sich also die Frage nach den Kongruenzen, Widersprüchen und Paradoxien zwischen Gesagtem, getroffenen Entscheidungen und Handlungen. Wir werden anhand der Fallbeispiele zeigen, dass Widersprüche und Paradoxien nicht nur zwischen den drei Verarbeitungsebenen bzw. -arenen (Talk, Decision, Action) entstehen, sondern auch innerhalb einer Verarbeitungsarena (vgl. hierzu u.a. auch Oliver 1991; Hericks 2011). Besonders deutlich lassen sich diese 195
Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann/ Melanie Nussbaumer/ Hanna Vöhringer
Differenzen in Organisationen beobachten, in denen Gleichstellungsstandards (einschließlich der hiermit eng verwobenen Regelungen) und mithin die Ebenen Decision und Talk auseinanderfallen. Aber auch die Diskurse (hier der Talk über Gleichstellung) erweisen sich keineswegs als in sich konsistent, sondern als durchaus recht widersprüchlich. D.h. auch, dass diese sich zum Teil widersprechenden Diskurse in Sachen Gleichstellung innerhalb einer Organisation unterschiedlich wahrgenommen werden können. Dementsprechend können getroffene Maßnahmen (Decisions) von organisationalen Akteur_innen – etwa von den Mitarbeiter_innen einzelner Sub-Einheiten bzw. Abteilungen – als unterschiedlich relevant bewertet und ‚verarbeitet‘ werden (vgl. u.a. Bromley/ Powell 2012; Scott 2014). Die innerorganisationalen Übersetzungen von Gleichstellungserwartungen werden entlang der drei von uns priorisierten thematischen Schwerpunktsetzungen, nämlich Zeitregime1, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Karriereentwicklungen2, recht unterschiedlich in den untersuchten Fallorganisationen ‚bearbeitet‘. Wie bisherige Forschungen zeigen, sind die Erwerbsarbeitszeit (Dauer und Verteilung), der Ort der Leistungserbringung und zeitliche Verfügbarkeitsansprüche eng mit Vereinbarkeitsfragen, und hier insbesondere mit der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit verknüpft. Diese bilden gemeinsam mit Karriereentwicklungsprogrammen wirkmächtige organisationale Handlungsfelder von Gleichstellung, weshalb wir uns in der nachfolgenden Analyse auf diese Handlungsfelder konzentrieren werden. Hiervon versprechen wir uns Aufschluss über jene Mechanismen, welche die Gleichstellung in den Organisationen fördern bzw. hemmen. Von Interesse sind insbesondere Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den drei expemplarisch gewählten For-Profit- und Non-Profit-Organisationen. Zudem geht es uns auch um die Frage, wie tiefgreifend die Beharrungs- und Transformationsprozesse sind, wobei die Scottschen Säulen – erweitert um Geschlechterkomponenten (vgl. Kap. 1) – als Analysematrix genützt werden. D.h. um zu einer vertiefenden Betrachtung der Verarbeitungsfor-
1 Zeitregime bezeichnen Arbeitszeitregelungen, aber auch organisationskulturelle Erwartungen im Hinblick auf die Anwesenheit am Arbeitsplatz und zeitliche Verfügbarkeitsansprüche. 2 Sicherlich wäre auch die Leistungs- und Entgeltpolitik ein aufschlussreiches, allerdings äußerst schwer zugängliches Forschungsfeld. Wir gehen aber davon aus, dass sich die zentralen Dynamiken auch in den Befunden zu den ausgewählten gleichstellungsrelevanten Bereichen zeigen.
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7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen
men entlang der TDA-Heuristik zu gelangen, wird nicht nur auf das neoinstitutionalistische Entkopplungstheorem (vgl. Kap. 6) und Feldaspekte (vgl. Kap. 5), sondern auch auf das von uns unter einer Geschlechterperspektive re-formulierte Institutionenverständnis des NI (vgl. Kap. 1) Bezug genommen. Bevor wir jedoch im Weiteren näher die Methodik vorstellen, werden wir zunächst kurz auf rechtliche Rahmenbedingungen eingehen sowie einige konzeptionelle Überlegungen zur Fallauswahl darlegen. b) Rechtliche Rahmenbedingungen und Gleichstellungsdebatten in Deutschland und der Schweiz Da wir Organisationen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich3 analysiert haben, sind für den organisationalen Umgang mit Gleichstellungserwartungen unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte, die u.a. in rechtlichen, institutionellen, normativen und kulturellen Besonderheiten zum Ausdruck kommen und sich in spezifischen übergreifenden Mustern von Geschlechterordnungen widerspiegeln, zu berücksichtigen. Wenngleich wir in erster Linie die Analyse von Organisationen in den Fokus stellen, sind gerade die Einbettung von Organisationen in historisch gewachsene soziale, politische und kulturelle Kontexte (vgl. u.a. Funder/ Walden 2017) bedeutsam. Im Anhang werden daher in aller Kürze rechtliche Rahmenbedingungen und gegenwärtig aktuelle politische Diskurse bezüglich der oben genannten drei Themenfelder Zeitregime, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Karriereentwicklungen in Deutschland und in der Schweiz skizziert. c) Gesamtsample und Begründung der Fallauswahl Das Gesamtsample bestand aus sechsehn Organisationen, davon zehn aus dem For-Profit und sechs aus dem Non-Profit-Sektor mit Niederlassungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die untersuchten Organisa-
3 In diesem Buch werden zwei ausgewählte Organisationen aus der Schweiz und eine Organisation aus Deutschland vorgestellt. Daher wird in Folge auf weitere Ausführungen zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Gleichstellungsdiskursen in Österreich verzichtet.
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Helga Eberherr/ Roswitha Hofmann/ Melanie Nussbaumer/ Hanna Vöhringer
tionen sind in den Bereichen Technologie-Industrie, Beratung, Pharmakologie, Wohlfahrt und Umweltschutz tätig, wie der folgenden Übersicht zu entnehmen ist. Tab. 1: Übersicht Organisationen Gesamtsample
Bereiche TechnologieIndustrie TechnologieIndustrie TechnologieIndustrie Beratung Beratung Beratung Pharmakologie Pharmakologie Pharmakologie Informationstechnologie Umweltschutz Umweltschutz Umweltschutz Wohlfahrt Wohlfahrt Wohlfahrt
Art der Organisation ForNonProfit Profit x
International Standort D
x
A
x
CH D A CH D A CH
x x x x x x x x x x x x x
A D A CH D A CH
Ja
Gesamt
Nein
16
x x x x x x x x x
10
x x x x x x x
6
Die Organisationen wurden mithilfe eines multi-level-mixed Methodendesigns aus qualitativen und quantitativen Erhebungsinstrumenten untersucht. Neben den Dokumentenanalysen (Geschäftsberichte, Kennzahlen, Leitbilder, Programme etc.) wurden insgesamt 75 leitfadengestützte Expert_innen-Interviews und 13 Gruppendiskussionen sowie 951 Befragungen mittels Online-Fragebogen durchgeführt (siehe Anhang).
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7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen
Für die folgenden drei Fallanalysen wurden zwei Organisationen aus dem For-Profit-Bereich ausgewählt; eine davon ist dem Industriesektor und eine dem Beratungsbereich zuzuordnen. Die dritte Organisation ist dem Non-Profitbereich zuzurechnen und im Bereich Umwelt tätig. Die Auswahl der drei Fallbeispiele erfolgte mit Blick auf folgende These: Der jeweilige Organisationszweck, der damit verbundene Feldkontext der Organisation, innerorganisationale Strukturen und nicht zuletzt die wahrgenommene Relevanz rechtlicher Vorgaben und gesellschaftspolitischer Debatten beeinflussen entscheidend die organisationalen Geschlechterverhältnisse sowie die Bedingungen, Treiber und Hemmnisse von Wandel und Persistenz. So wurden die drei Fallbeispiele entlang möglichst großer Ähnlichkeit als auch möglichst großer Unterschiedlichkeit ausgewählt (Minimal-Maximal Kontrastierung – vgl. Kelle/ Kluge 1999). Als Ähnlichkeitskriterien weisen die ausgewählten Fälle alle einen bestimmten Grad an organisationaler Sensibilisierung hinsichtlich Gleichstellung und Geschlechterfragen auf. So finden sich in allen drei Organisationen schriftlich fixierte Strategien und Vereinbarungen zu Gleichstellungsmaßnahmen in Bezug auf Zeitregime, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie Karriereentwicklung (siehe Tabelle 2). Unterschiede hingegen weisen die Organisationen hinsichtlich Größe (Anzahl der Beschäftigten) und der Branchenzugehörigkeit auf. So wurde eine Non-Profit-Organisation aus dem Bereich des Umweltschutzes, eine For-Profit-Organisation aus dem Beratungsbereich und ein Produktions- und Handelsunternehmen aus einem technischen Bereich ausgewählt. Diese drei Organisationen weisen zudem ihrem Organisationszweck und damit ihrem Feld gemäß eine erkennbare Heterogenität hinsichtlich ihrer Legitimationsdiskurse zu Gleichstellung auf. Folgende Kurzbeschreibung benennt zentrale Charakteristika – Differenzen und Gemeinsamkeiten – bezüglich Gleichstellung: •
Die erste Organisation – wir haben sie als ALPHA bezeichnet – kann als politisch und sozial engagiert bezeichnet werden, d.h. das Organisations-Selbstverständnis orientiert sich an Prinzipien von Gerechtigkeit und Partizipation. Gleichstellung kann in dieser politisch und sozial engagierten Organisation deshalb zum Prüfstein organisationaler Legitimität werden. • Die zweite Organisation – BETA – orientiert sich stark an marktwirtschaftlichen und meritokratischen Prinzipien sowie auch verstärkt an Erfolgskriterien und sieht sich in einem hochkompetitiven Marktumfeld. Die Legitimität von Gleichstellung wird in dieser internationalen
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Beratungsfirma primär an den sogenannten ‚Business Case for Diversity‘ geknüpft, d.h. Gleichstellungsstrategien werden in einen Mehrwertbzw. Nutzen-Diskurs eingebettet. • Die dritte Organisation – GAMMA – zeichnet sich ebenfalls durch eine starke Orientierung an marktwirtschaftlichen Prinzipien aus. Legitimität für Gleichstellung wird neben der Nutzenorientierung, im Verweis auf das Selbstverständnis des Traditionsunternehmens, von einem Anspruch flankiert, eine gesellschaftlich-verantwortungsvoll handelnde Organisation zu sein. 7.2 Methodologische und methodische Konzeption a) Methodologie und Methode der Fallstudien Methodologisch sind die Fallanalysen im (de)konstruktivistischen Paradigma verortet. Sie orientieren sich am Forschungsansatz der Dispositivanalyse (vgl. u.a. Bührmann/ Schneider 2008) und damit an einer Heuristik, die diskursive und nicht-diskursive Praktiken in Organisationen, materielle und symbolische Objektivationen und Formen der Subjektivierung erfasst (vgl. ebd.) und so unterschiedliche Praktiken, Einflussfaktoren und wirkmächtige Verschränkungen sichtbar macht. Im Fokus stehen Reund Dekonstruktionen von Bedeutungsmustern, normative Setzungen, Grenzziehungen und Normalitätskonstruktionen sowie deren Funktion und Wirkmächtigkeit für die Herstellung von Legitimität in den untersuchten Organisationen. Das analytische Vorgehen folgt einem triangulativen Forschungsdesign, das auf systematische Vergleiche hin angelegt ist. Dafür wurde ein MultiMethodendesign entwickelt, das Dokumenten- und Artefaktanalysen, Expert_inneninterviews, Gruppendiskussionen und eine quantitative Befragung umfasst. Dieser Methodenmix sollte Unterschiede in den organisationalen Realitäten von Akteur_innen in verschiedenen Hierarchiestufen sowie Kongruenzen, Widersprüchlichkeiten und Paradoxien im Sprechen, Entscheiden und Handeln im Umgang mit Gleichstellungsanforderungen sichtbar machen. Im Folgenden werden die eingesetzten Methoden kurz erläutert.
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7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen
Dokumenten- und Artefaktanalyse Die Dokumenten- und Artefaktanalyse eignet sich dazu, Aussagen zur organisationalen Selbstwahrnehmung zu erfassen (vgl. u.a. Wolff 2008). Dafür wurden ausgewählte Dokumente der letzten fünf Jahre analysiert, um so prozessuale Veränderungen und organisationalen Wandel aufschlüsseln zu können. Durch die Untersuchung von Dokumenten und Artefakten (etwa auch Bilder) der Organisation konnte in einem ersten Schritt die formale Struktur rekonstruiert werden. Zudem ergaben sich erste Hinweise auf Geschlechterkonstruktionen. Weiter diente sie „im Rahmen eines explorativen Einstiegs“ (Lueger 2000: 143) auch zur Orientierung und zur systematischen Erweiterung des Wissens über die jeweilige Organisation. Die Dokumente, die pro Organisation analysiert wurden, umfassten – sofern vorhanden und zugänglich – Geschäftsberichte der letzten fünf Jahre, Imagebroschüren, Organisationsstrategie, Organigramm(e), Zielvorgaben zu Gleichstellung, HR-Strategiepläne, Frauenförderpläne, Personalregelungen, Leitbilder etc. Im Rahmen der Gesamtauswertung wurden die Ergebnisse der Dokumenten- und Artefaktanalyse mit den weiteren Erhebungsinstrumenten vergleichend kontrastiert. Leitfadengestützte Expert_innen-Interviews4 Die leitfadengestützten Expert_inneninterviews zielten darauf ab, Legitimitäts- und Bewertungsdiskurse zu Gleichstellung aus der Sicht organisationaler Mitglieder in leitenden bzw. verantwortungsvollen Positionen zu erfassen. So ist es durch eine erzählgenerierend angelegte Konzeption des Interviewleitfadens möglich, die handlungsleitenden Orientierungsrahmen der jeweiligen Expert_innen sowie Praktiken des Alltagshandelns zu erfassen. Im Anschluss an Gläser und Laudel (2009: 105) haben wir somit die Interviewpartner_innen „als Experten für die zu rekonstruierenden sozialen Prozesse angesehen und nach Informationen über diese Prozesse“ betrachtet, um Legitimitäts- und Bewertungsdiskurse zu rekonstruieren. Befragt wurden jeweils – sofern möglich – drei bis vier Personen aus der oberen Führungsebene (Geschäftsleitung, HR-Verantwortliche) und/ oder eine Person aus dem Gleichstellungs- bzw. Diversitätsbereich sowie eine
4 Siehe Fallübersicht zu den Interviews im Anhang.
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Person aus dem Betriebsrat/ der Personalvertretung. Die Fragen zielten darauf ab, Meilensteine und Eckpfeiler der Gleichstellungsarbeit sowie Begründungen und Bewertungen zu eruieren. Thematisiert wurden entsprechend der ausgewählten Analysefelder – zum Teil in Form eines Rückblicks – Arbeitszeit-, Vereinbarkeitsmodelle und Karriereprogramme. Im Fokus standen organisationale Entwicklungen (u.a. zur Problematik der geschlechtlichen Segregation), Ziele, Strategien und Fragen zur internen Gewichtung der Gleichstellungspolitik, Möglichkeiten der Einflussnahme bzw. Partizipation, aber auch die Wahrnehmung der vorherrschenden Organisationskultur, angefangen von alltäglichen Umgangsformen bis hin zu Kleiderordnungen (Outfit-Kultur), die Aufschluss über das Gleichstellungs- und Geschlechterverständnis geben sollten. Außerdem wurden Fragen zum organisationsrelevanten Umfeld, wie u.a. zu wirkungsmächtigen individuellen, kollektiven und korporativen Akteur_innen, Netzwerken, Branchenstrukturen sowie auch zur Wahrnehmung von Gleichstellungsgesetzgebung gestellt. Gruppendiskussionen5 In allen Organisationen wurden Gruppendiskussionen durchgeführt. Beteiligt waren jeweils fünf bis sechs Personen aus der mittleren Führungsebene6 sowie mindestens ein Vertreter bzw. eine Vertreterin aus dem Betriebsrat bzw. der Personalvertretung (wenn in der Organisation vorhanden). Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass der Teilnehmer_innenkreis der Gruppendiskussion nicht bereits im Rahmen der Expert_innen-Interviews befragt wurde und dass Personen mit unterschiedlichen Funktionen, aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen, mit mehrjähriger Zugehörigkeit zur Organisation sowie unterschiedlichen Geschlechts teilnehmen. Die Gruppendiskussion zielte vor allem auf die vertiefende Erhebung kollektiver Orientierungen (vgl. u.a. Bohnsack et al. 2007), auf handlungsleitende Orientierungsrahmen und auf Widersprüchlichkeiten in Argumentationsmustern. Die Diskussion brachte einen diskursiven Aushandlungsprozess hervor und ermöglichte es, zusätzlich zu den Expert_innen-Interviews zu
5 Siehe Fallübersicht zu den Gruppendiskussionen im Anhang. 6 Da nicht alle untersuchten Organisationen gleich viele Hierarchiestufen aufweisen, waren teilweise auch Personen aus der unteren oder zusätzlich aus der oberen Führungsebene anwesend.
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erfassen, was hinsichtlich Gleichstellung organisational als legitim betrachtet wird und welche Begründungsnarrationen als durchsetzungsfähig wahrgenommen werden. Strukturierte Online-Befragung7 Die Befragung zielte darauf ab, mittels eines standardisierten Instruments zu untersuchen, wie angesichts des wachsenden Gleichstellungsdrucks Gleichstellung im Unternehmen aus der Sicht der unteren und mittleren Hierarchieebenen wahrgenommen und bewertet wird und welche Deutungsmuster sich dabei zeigen. Dies betrifft sowohl die Wahrnehmung und Bewertung von Gleichstellung im Allgemeinen als auch die Umsetzung von Gleichstellungsmaßnahmen im Besonderen. Zum Bereich Gleichstellung zählen dabei neben expliziten Maßnahmen (z.B. Audit, Quoten) auch der Umgang mit Karriereförderung sowie der Umgang mit Arbeitszeit. Hierdurch war es möglich, neben der Gleichstellung im engeren Sinne, auch solche Bereiche näher zu betrachten, in denen hinsichtlich Gesagtem und den gesetzten Handlungen entscheidende Unterschiede bzw. Widersprüche im Umgang mit Gleichstellungsanforderungen im Unternehmen bestehen. In jedem der vorgestellten Fälle wurde die Auswahl der jeweils zu Befragenden in Hinblick auf die jeweiligen organisationalen Gegebenheiten8 vorgenommen. Im Fallbeispiel ALPHA wurde die gesamte Belegschaft in die strukturierte Online-Befragung einbezogen, da die Organisation selbst eine Vollerhebung des Standortes durchführen wollte. Im Fall BETA und im Fall GAMMA wiederum wurde, wie im Forschungsdesign vorgesehen, die untere und mittlere Führungsebene befragt, da davon ausgegangen werden kann, dass diese Zielgruppe spezifische Wissensträger_innen organisationsinterner Aushandlungsprozesse ist. Im Fall GAMMA waren dies jene Personen, die am Karriereprogramm des Unternehmens teilnahmen, sich also im Übergang von einer niedrigen in eine höhere Führungsebene befanden.
7 Siehe Fallüberblick zur standardisierten Online-Befragung im Anhang. 8 Manche Frageformulierungen, wie etwa zu Arbeitszeitmodellen, wurden jeweils den entsprechenden organisationalen Regelungen bzw. entsprechend des organisationalen Wordings angepasst.
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b) Auswertungsmethoden Die Dokumente und Artefakte, die Expert_innen-Interviews sowie die Gruppendiskussionen wurden nach einem organisationsübergreifenden Kategorienschema inhaltsanalytisch ausgewertet (vgl. Gläser/ Laudel 2009). Das Kategoriensystem wurde sowohl deduktiv als auch induktiv entwickelt, um im Analyseprozess Raum für Nichtantizipiertes zu lassen ohne die Systematik der theoretischen Vorarbeit aufzugeben. Die Daten des quantitativen Fragebogens wurden deskriptiv ausgewertet und mit den qualitativen Ergebnissen systematisch vergleichend in Beziehung gesetzt. Zunächst wurde jeder Fall für sich analysiert. In einem zweiten Schritt wurden die Fälle einer vergleichenden Analyse unterzogen, die Ähnlichkeiten, Gemeinsamkeiten, Unterschiede sowie Widersprüchlichkeiten rekonstruiert. c) Übersicht zu den Fallstudien Vorgehen In den drei Fallanalysen wird zuerst kurz die untersuchte Organisation sowie die Datengrundlage vorgestellt. In der Ergebnisdarstellung wird im ersten Teil auf die Wahrnehmung von Gleichstellungsdruck sowie zentrale Treiber eingegangen. Diese orientieren sich dabei entlang drei zentraler Wirkungsfelder, nämlich der Makroebene (gesellschaftlich-normative und rechtliche Geschlechterdiskurse und Regulative), der Mesoebene (Felderwartungen und Einflussfaktoren) sowie der inner- und intraorganisationalen Ebene, die alle auf unterschiedliche Weisen Einfluss auf die untersuchten Organisationen üben. Im zweiten Teil der Ergebnisdarstellung werden schließlich Verarbeitungsformen von Gleichstellungsdruck entlang der drei organisationalen Handlungsfelder von (Arbeits-)Zeitregime, Vereinbarkeit Beruf und Privatleben und Karriereentwicklung vorgestellt. Nach dem jeweiligen fallspezifischen Resümee werden die Analyseerkenntnisse als Varianten des Gender Cage fallvergleichend verdichtet.
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7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen
Tabelle 2: Übersicht zu den drei Fällen9
Beschäftigte Leitungsebenen Betriebsrat/ Personalvertretung10 Gleichstellungs-/ Diversitätsbeauftragte Maßnahmen zu Gleichstellung und Diversität
Organisation ALPHA
Organisation BETA
Organisation GAMMA
Umweltschutz Schweiz < 250 3
Beratungsunternehmen Schweiz 2000 – 3000 5
Industriekonzern Deutschland >3000 4
Personalvertretung
-
Betriebsrat
-
ja
ja
Mentoring-Programme, Teilzeitarbeit11, Job-Sharing (das Teilen einer Arbeitsstelle),Top-Sharing (das Teilen einer Führungsfunktion), interne Personalentwicklung, transparentes Lohnsystem12, Jahresarbeitszeit13,
Mentoring-Programme, Teilzeitarbeit, Diversitätstrainings, JobSharing (das Teilen einer Arbeitsstelle),Top-Sharing (das Teilen einer Führungsfunktion), Jahresarbeitszeit (siehe FN 13), Regelungen zu Rekrutierung
Karriereförderprogramme, Teilzeitarbeit, flexible Arbeitszeit, Arbeitszeitkonten, Vertrauensarbeitszeit, Home-Office, Kinderbetreuung, Wäschedienst
9 Erhebungszeitraum 2014-2015. 10 Die Bezeichnungen der Arbeitnehmer_innenvertretungen variieren zwischen Deutschland und der Schweiz. Betriebsrät_innen sind in Deutschland verankert und Personalvertretungen in der Schweiz; letztere sind freiwillig. 11 Teilzeitarbeit meint bei dieser Organisation ein Arbeitsvolumen von durchschnittlich 80% einer ansonsten in der Schweiz üblichen wöchentlichen Normalarbeitszeit von 42 Stunden, d.h. rund 34 Wochenstunden. In der Schweiz gibt es jedoch keinen Anspruch auf Teilzeitarbeit – anders verhält es sich in Deutschland, wo das „Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge“ u.a. besagt: „Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmern, auch in leitenden Positionen, Teilzeitarbeit nach Maßgabe dieses Gesetzes zu ermöglichen“ (§ 6 Teilzeit- und Befristungsgesetz). Deshalb ist Teilzeitarbeit von 80% für alle Mitarbeiter_innen in einer Schweizer Organisation durchaus als freiwillige, gleichstellungsrelevante Maßnahme zu bezeichnen. 12 Alle Mitarbeiter_innen können die Löhne von allen einsehen. 13 Es wird pro Jahr eine festgelegte Anzahl von Stunden gearbeitet, die Arbeitszeitgestaltung ist flexibel.
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Organisation ALPHA
Organisation BETA
Umweltschutz Schweiz Vertrauensarbeitszeit14, Home Office, Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen15, Babysitter auf Kosten der Organisationen in begründeten Ausnahmefällen 46% Frauen, 54% Männer
BeratungsunterIndustriekonzern nehmen Schweiz Deutschland (wie Erhöhung des Diversitätsanteils), Home Office, Vaterschaftsurlaub von 5 Tagen, Urlaub bei Adoption
Frauen/ Männer gesamt (in %) Frauen/ Män- Rund 90% der Belegner in Teilzeit16 schaft nutzen TZ (da(in %) von 48% Frauen und 52% Männer) Frauen/ Männer auf Leitungsebenen (in %)
40% Frauen, 60% Männer
13,8% der Belegschaft nutzen TZ (davon 76,5% Frauen und 23,5% Männer) Obere Leitungsebene: Obere Leitungszum Zeitpunkt der Un- ebene: 10% Frautersuchung paritätisch en, 90% Männer; besetzt; mittlere Leimittlere Leitungstungsebene: 0% Frau- ebene: 31% Frauen, 100% Männer; un- en, 69% Männer; tere Leitungsebene: untere Leitungs33% Frauen, 66% ebene: 37% FrauMänner en, 63% Männer
Organisation GAMMA
20% Frauen, 80% Männer 6% der Belegschaft nutzen TZ (davon 80% Frauen und 20% Männer) Obere Leitungsebene: 16 % Frauen, 84 % Männer; mittlere Leitungsebene: 11% Frauen, 88 % Männern; untere Leitungsebene: 0% Frauen,100% Männer
14 Die Mitarbeiter_innen sind selbst für die Gestaltung und Erfassung ihrer Arbeitszeit verantwortlich. 15 Vaterschaftsurlaub ist in der Schweiz nicht gesetzlich verankert. Einige private oder öffentliche Organisationen gewähren jedoch auf freiwilliger Basis einen Urlaub von ein paar Tagen bis zu einigen Wochen. 16 Wie bereits erwähnt, wird Teilzeitarbeit in Deutschland und der Schweiz unterschiedlich geregelt. In Deutschland gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit, welche als kürzere Arbeitszeit als die eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers (sic) definiert ist (vgl. TzBfG). Die wöchentliche Normalarbeitszeit (Vollzeit) variiert in Deutschland nach Branche und Position. Für den öffentlichen Dienst gilt beispielsweise aktuell eine 39-Stunden Woche. Gesetzlicher Anspruch auf Mindesturlaub in Deutschland sind 24 Werktage. In der Schweiz ist eine wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden in der Privatwirtschaft üblich, ohne gesetzlichen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Der gesetzliche Anspruch auf Mindesturlaub umfasst 20 Werktage.
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7 Fallstudien zu Gleichstellung in For-Profit und Non-Profit Organisationen
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8 ALPHA – Die Umweltorganisation (CH) mit dem Vorbildanspruch Hanna Vöhringer
8.1 Einleitung: Kurzvorstellung der Organisation Organisation ALPHA ist eine Non-Profit-Organisation (NPO) aus dem Bereich Umweltschutz in der Schweiz, die sich mit internationalen Aktionen und Kampagnen für Nachhaltigkeit einsetzt. Finanziert wird sie größtenteils durch Spenden, die ein breitgestreuter Kreis umweltorientierter Unterstützer_innen aufbringt. Bei ALPHA handelt es sich um eine aus sozialen Bewegungen hervorgegangene Organisation, die noch relativ jung ist. Sie ist weitgehend netzwerkförmig strukturiert und zeichnet sich durch eine flache Hierarchie und projektorientierte Arbeitsorganisation aus. Von großer Relevanz ist bis heute die ausgeprägte Beteiligungsorientierung. ALPHA agiert nicht nur mit ihren Kampagnen und Aktionen global, sondern verfügt weltweit über internationale und regionale Niederlassungen, die miteinander vernetzt sind, dabei jedoch selbstständig tätig sein können. Größenmäßig lässt sich die von uns untersuchte Organisationseinheit kleinen und mittleren Unternehmen zuordnen (