Geschlecht als Artefakt: Regulierungsweisen in Erwerbsarbeitskontexten [1. Aufl.] 9783839422267

Erwerbsarbeit und ein Feld multipler Körper - Karen Wagels konzeptualisiert Geschlecht aus einer subjekttheoretischen Pe

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German Pages 276 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Dank
KONZEPTUELLE AUSGANGSPUNKTE
Geschlecht in Arbeit
Der Fall Riviere
Analytische Dimensionen
Erwerbsarbeit, Geschlechterdifferenz und Heteronormativität
Gleichheitstabu, imaginäre Zeichen und Körper
sex/gender at work: Vereindeutigungen und ihr notwendiges Scheitern
Körper in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung
Das politische Terrain
Geschlecht als Konstruktion
doing gender…
…doing body?
Geschlecht denken
Geschlecht als Artefakt
sex/gender…
…und Sexualität
Geschlecht de/realisieren
(widerständige) Körperpraxen in Arbeit
Der eigene Blick
Grounded Theory
Datenerzeugung
Theoretisches Sampling
Expert_innen-Interviews
Rekursive Datenanalyse
Wissensgenerierung
TRANSFORMATIVES WISSEN
Selbstpositionierungen im geschlechtlichen Raum
„Ihr gebt mir keinen Raum, also nehm’ ich diese Nische für mich ein.“
Entwicklung und Suche
Imagearbeit und Leistung
„…diese Nische…“
„Der hatte ’ne Position, und ich hatte keine.“
Erweiterung in das Männliche
Wahrnehmung und Behandlung
„…’ne Position…“
„…lebendiges Beispiel für den Toleranzfaktor des Hauses“
Juristische Vollfrau
Vernünftige Selbstbeschränkung
„…lebendiges Beispiel…“
„…konform sozusagen sich zeigend verhalten musste, glaubte sie…“
Bewusste Entscheidung
Fremdkörper
„…sich zeigend verhalten…“
„Wie viel Weiblichkeit gesteh’ ich mir selbst zu?“
Blick von außen
Erotische Macht
„…Weiblichkeit…“
Kristallisationspunkte
Sichtbarkeit – Zugehörigkeit – Verletzbarkeit
Relationalität – Differenz – Aufwand
Arbeit an den Grenzen
Geschlecht als Artefakt
Literatur
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Geschlecht als Artefakt: Regulierungsweisen in Erwerbsarbeitskontexten [1. Aufl.]
 9783839422267

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Karen Wagels Geschlecht als Artefakt

KörperKulturen

Karen Wagels (Dr. phil.) hat an der Philipps-Universität Marburg promoviert. Sie forscht an der Universität Kassel zu einem diskurstheoretischen Zugang zu Gesundheit, Normalität und Geschlecht. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Körper und Materialität, Gender und Queer Studies, Differenz und Poststrukturalismus.

Karen Wagels

Geschlecht als Artefakt Regulierungsweisen in Erwerbsarbeitskontexten

Die Publikation wurde gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung – www.boeckler.de – und den Karl Heinrich Ulrichs-Fonds der Hannchen-Mehrzweck-Stiftung

Dissertation Philipps-Universität Marburg, 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: The Forsythe Company, 2005. Form: surfacegrafik.de Foto: Florian Jaenicke Lektorat & Satz: Karen Wagels Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2226-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Dank | 7

KONZEPTUELLE AUSGANGSPUNKTE Geschlecht in Arbeit | 11 Der Fall Riviere | 13 Analytische Dimensionen | 17

Erwerbsarbeit, Geschlechterdifferenz und Heteronormativität | 17 Gleichheitstabu, imaginäre Zeichen und Körper | 19 sex/gender at work: Vereindeutigungen und ihr notwendiges Scheitern | 22 Körper in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung | 24 Das politische Terrain | 27 Geschlecht als Konstruktion | 30 doing gender… | 30 …doing body? | 32 Geschlecht denken | 34 Geschlecht als Artefakt | 37 sex/gender… | 37 …und Sexualität | 39

Geschlecht de/realisieren | 41 (widerständige) Körperpraxen in Arbeit | 44

Der eigene Blick | 47 Grounded Theory | 48 Datenerzeugung | 52

Theoretisches Sampling | 55 Expert_innen-Interviews | 57 Rekursive Datenanalyse | 58 Wissensgenerierung | 61

TRANSFORMATIVES WISSEN Selbstpositionierungen im geschlechtlichen Raum | 67

„Ihr gebt mir keinen Raum, also nehm’ ich diese Nische für mich ein.“ | 69 Entwicklung und Suche | 70 Imagearbeit und Leistung | 82 „…diese Nische…“ | 93 „Der hatte ’ne Position, und ich hatte keine.“ | 96 Erweiterung in das Männliche | 97 Wahrnehmung und Behandlung | 111 „…’ne Position…“ | 124 „…lebendiges Beispiel für den Toleranzfaktor des Hauses“ | 126 Juristische Vollfrau | 127 Vernünftige Selbstbeschränkung | 146 „…lebendiges Beispiel…“ | 152 „…konform sozusagen sich zeigend verhalten musste, glaubte sie…“ | 155 Bewusste Entscheidung | 156 Fremdkörper | 169 „…sich zeigend verhalten…“ | 184 „Wie viel Weiblichkeit gesteh’ ich mir selbst zu?“ | 187 Blick von außen | 188 Erotische Macht | 210 „…Weiblichkeit…“ | 225 Kristallisationspunkte | 229

Sichtbarkeit – Zugehörigkeit – Verletzbarkeit | 233 Relationalität – Differenz – Aufwand | 240 Arbeit an den Grenzen | 244 Geschlecht als Artefakt | 249 Literatur | 255



Dank

Diese Arbeit wäre ohne politische Kontexte, kollegiales Feedback, freundschaftlichen Zuspruch und familiäre Unterstützung nie geschrieben worden. Zunächst danke ich den Menschen, die in queere Auseinandersetzungen um Geschlecht und Sexualität involviert sind und die Raum schaffen, kulturell hegemoniale Vorstellungen von Geschlecht wie auch von Beziehung zu hinterfragen und auf differente Weise lebbar zu machen. Mein Dank gilt insbesondere denjenigen, die bereit waren, mit mir gemeinsam über die Bedeutung und Wirkung von Geschlecht in verschiedenen Kontexten nachzudenken und die diese Arbeit in entscheidender Weise konturiert haben. Mein herzlicher Dank gilt dem interdisziplinären Team Prof. Dr. Karl Braun, Universität Marburg, und Prof. Dr. Mechthild Bereswill, Universität Kassel, für die Betreuung und Begleitung der Arbeit sowie für den Raum, den sie mit ihrem Blick auf Wissenschaft und auf forschende Subjektivität schaffen. Dank auch allen Beteiligten, die das Marburger Graduiertenkolleg Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Politik und Kultur mit viel Engagement und Intensität realisiert haben sowie der HansBöckler-Stiftung, die das Kolleg und die Promotion ermöglicht hat. Mein besonderer Dank an die Stipendiat_innen und die Koordinator_in der ersten Kolleg-Runde, mit denen ich drei Jahre gemeinsam arbeiten, diskutieren und reflektieren konnte: Lena Correll, Patrik Ehnis, Stefanie Janczyk, Simone Mazari, Ulrike A. Richter, Heidi Schroth, Almut Sülzle, Agnieszka Zimowska und Bettina Roß. Für ebenso schöne wie produktive Arbeitswochenenden und Workshops danke ich den Kolleg_innen des von der DFG geförderten Netzwerkes Praxeologien des Körpers: Bettina Brockmeyer, Karin Klenke, Susanne Lettow, Ulrike Manz, Karen Nolte, Heike Raab, Malaika Rödel, Eva Sänger, Uta

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Schirmer, Sigríður Þorgeirsdóttir und Mica Wirtz; auch meinen Kolleginnen der Lesben Informations- und Beratungsstelle LIBS e.V. – insbesondere Heike Beck, Doris Gruber und Elke Kreß – für die langjährige Zusammenarbeit und intensive Diskussionen mein herzlicher Dank. Ute Wessels hat mich einige Jahre bei dieser Arbeit und bei meinen eigenen Fragen begleitet und unterstützt; für weiteren kollegialen wie freundschaftlichen Zuspruch und Austausch danke ich Susan Banihaschemi, Iris Clemens, Franziska Engelhardt, Maya Mäder und Nadja Sennewald. Über viele Jahre konnte ich die dekonstruktiven Körperbewegungen in den Stücken von The Forsythe Company auf mich wirken lassen. Für das Motiv im Titelbild dieser Arbeit danke ich The Forsythe Company, Surface Gesellschaft für Gestaltung und Florian Jaenicke sowie Mechthild Rühl von The Forsythe Company für ihre Vermittlung. Stefanie Hanneken und Kai Reinhardt vom transcript-Verlag mein Dank für die professionelle Gestaltung und Geduld sowie der Hans-Böckler-Stiftung für die finanzielle Unterstützung der Veröffentlichung. Weitere Personen haben auf intensive Weise zur Realisierung dieses Buches beigetragen: Beatrix Schwarzer danke ich für das Lesen und kritische Herausfordern der gesamten Arbeit, für viele Diskussionen, schöne Pausen und lange Spaziergänge; Michael Fontana danke ich für das sorgfältige Redigieren der Arbeit. Tina Malorny und Mario Lutz mit Joe und Chandler und besonders Stephanie Rupprecht mit Lilli und Fini danke ich für das Zuhause und den Alltag, den wir teilen. Besonders danke ich auch meinen Eltern sowie Ralf und Bettina Schmidtchen, die mich auf vielfältige Weisen unterstützen; gewidmet ist das Buch Jannik Malte, der in eine andere Zeit wachsen wird.



Konzeptuelle Ausgangspunkte »Welcome to what you think you see« WILLIAM FORSYTHE 1984, ARTIFACT



Geschlecht in Arbeit

Im Lebens- und Arbeitsalltag ist eine Differenzierung nach Geschlecht selbstverständliche und in der Regel unhinterfragte Praxis. Darin wird auf einen Körper rekurriert, der als naturgegeben und in diesem Sinne als ebenso statisch wie erkennbar gedacht ist. Mit dieser Vorstellung einer vorausgesetzten Naturhaftigkeit re/produziert sich das heteronormative Konzept von zwei Geschlechtern, die sich in ihrem Ausdruck gegenseitig ausschließen und wechselseitig aufeinander beziehen (sollen) (vgl. insbesondere Butler 1991). Wie aber sieht es mit der empirischen Faktizität einer klaren zweigeschlechtlichen Ordnung aus? Und lassen sich Prozesse nachzeichnen, in denen die körperliche Konstituierung von Geschlechtlichkeit verschränkt ist mit den Kontexten, in denen Personen sich bewegen? Der Körper soll im Folgenden in seiner Medialität – als Medium der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung und Kommunikation – ins Zentrum der Betrachtung gerückt werden. Ausgangspunkt meiner empirischen Arbeit, in der ich mich mit den Herstellungs- und Veränderungsprozessen von Geschlechtlichkeit befasse, sind Transgender-Kontexte. Transgender ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die sich nicht eindeutig dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zuordnen oder zuordnen lassen (vgl. Bauer 2009). Transgender-Kontexte stellen insofern einen gesellschaftlichen Raum her, in dem naturalisierte Vorstellungen von Geschlecht über Umdeutungen und die Reproduktion von Bedeutungen hinterfragt werden. Sie stehen nicht nur für die Sichtbarkeit eines Jenseits der zweigeschlechtlichen Ordnung, sondern ermöglichen vielmehr ein anderes Sichtbar-Werden; Verkörperung erscheint hier als räumlich wie zeitlich situierter Prozess. Wann fühlt sich ein Sakko überhaupt erst gut an? Und wie viel Weiblichkeit gestehe ich mir selbst zu? Diese in den von mir geführten Inter-

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views aufgeworfenen Fragen verweisen auf den sichtbaren und damit öffentlichen Modus, in dem Geschlecht auf der Bildfläche erscheint. Die Reflektion dieses Gegeben-Seins, das Sich-ins-Verhältnis-setzen, ermöglicht – so meine These – eine Form der Selbstbearbeitung, oder in den Worten Foucaults der Selbstpraktik, in der Geschlecht hervorgebracht wie auch einer Umarbeitung unterzogen wird (vgl. insbesondere Foucault 2001/1984). Mit Blick auf diese Prozesse geht es mir darum, den Körper in seiner Medialität herauszustellen und so zu einer Kontextualisierung und Dezentrierung der Geschlechterdifferenz beizutragen. ‚Geschlecht in Arbeit‘ ist dabei in mehrfacher Hinsicht zu verstehen: Geschlecht kann – so wird nachzuzeichnen sein – als Prozess und produktives Geschehen begriffen werden, das die Möglichkeit einer Umarbeitung beinhaltet. Die gewusste Gestaltung dieses Prozesses – damit meine ich das implizite sowie explizite Wissen um diese Gestaltung – fasse ich als Arbeit mit dem und am Körper und wird hier im Zentrum der Betrachtung stehen. Auf einer gesellschaftlichen Ebene wiederum fungiert die Arbeitsteilung nach Geschlecht als ein Modus, Unterschiede in Form von gender – so die These Gayle Rubins (1975) – überhaupt erst hervorzubringen. Mein Untersuchungsinteresse bezieht sich demnach auf das Feld von Erwerbsarbeit und die hier stattfindenden Prozesse der Konstituierung wie auch Durchquerung von Geschlechtlichkeit. Schließlich hat auch der Begriff Geschlecht im Laufe feministischer Theoriearbeit eine Reihe von Transformationen durchlaufen, in denen das sex/gender-System unterschiedlich interpretiert und eingesetzt wird. Allen drei Dimensionen von ‚Geschlecht in Arbeit‘ werde ich zunächst exemplarisch anhand einer historischen Beobachtung und Fallbeschreibung nachgehen. Dabei geht es mir an dieser Stelle weder um eine Einordnung des Textes in zeitgenössische Diskurse noch um eine Diskussion des zur Anwendung kommenden psychoanalytischen Konzepts als theoretisches Erklärungsmodell. Vielmehr werde ich anhand dieser historischen Fallbeschreibung analytische Dimensionen herausarbeiten, die in der Konstituierung einer kohärenten Vorstellung von Geschlecht relevant sind und sich im Sinne eines sex/gender-Systems theoretisch rekonstruieren lassen: Demnach werden Konzepte ‚des Weiblichen‘ als ‚dem Männlichen‘ untergeordneter Pol beständig re/produziert – eine dichotome Vorstellung, die durch die Kopplung an körperliche Differenz zu relativer kultureller Autonomie gelangt. ‚Weiblichkeit‘ – als Amalgam eines so bezeichneten Körpers und

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seinem als natürlich angesehenen Ausdruck – erscheint nicht nur ‚dem Männlichen‘ entgegengesetzt und ist innerhalb einer heteronormativen Bedeutungsökonomie sexuell auf dieses bezogen, sondern: Körperliche Differenzierung erfährt eine Übersetzung in soziale Hierarchie. Daran anschließend entwickle ich die Fragen, denen ich in dieser Arbeit nachgehen werde: Welche Rolle spielt der Körper in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung – und welche Weisen der Durchquerung lassen sich auf dieser Ebene aufzeigen?

D ER F ALL R IVIERE 1 „Vor nicht allzu langer Zeit verbanden sich intellektuelle Zielsetzungen der Frau fast ausschließlich mit einem manifest maskulinen Frauentyp, der in ausgesprochenen Fällen aus seinem Wunsche, ein Mann zu sein, kein Geheimnis machte. Dies hat sich heute geändert. Es wäre schwer zu sagen, ob die Mehrheit der heute in Berufsarbeit stehenden Frauen in der Art ihrer Lebensführung und ihres Charakters weiblich oder männlich ist. Man trifft im Universitätsleben, im ärztlichen Berufe und im Geschäftsleben beständig Frauen, die jede Erwartung vollkommener weiblicher Entwicklung zu erfüllen scheinen. Sie sind vorzügliche Gattinnen und Mütter, tüchtige Hausfrauen; sie führen ein geselliges Leben und fördern die Kultur, sie ermangeln nicht weiblicher Interessen z. B. in ihrer persönlichen Entwicklung. Wenn es darauf ankommt, können sie auch die Zeit finden, um in einem weiten Kreise von Verwandten und Freunden die Rolle eines hingebungsvollen, selbstlosen Mutterersatzes zu spielen. Zugleich erfüllen sie die Pflichten ihrer Berufe nicht schlechter als der Durchschnittsmann. Es stellt wirklich ein Problem dar, wie man diesen Typ psychologisch klassifizieren soll.“ (Riviere 1996/1929, 103)

Diese Passage ist Teil eines wissenschaftlichen Texts aus dem Jahr 1929, der von Joan Riviere unter dem Titel Womanliness as a Masquerade2 veröf-

1

Die folgende Analyse wurde bereits veröffentlicht in der abschließenden Publikation zum Graduiertenkolleg Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Politik und Kultur, vgl. Wagels (2008b).

2

In: The International Journal of Psycho-Analysis, 1929, 10. Jg., 303–313; deutsche Übersetzung in: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 1929, 15. Jg.,

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fentlicht wurde. Die deutsche Übersetzung aus dem selben Jahr lautet Weiblichkeit als Maske3, wobei schon hier die komplexen Konnotationen, die in den Begrifflichkeiten liegen, zutage treten: Masquerade beinhaltet ein aktives, prozesshaftes Moment und referiert auf ein Tun, während Maske auf eine eher fixierte Oberfläche verweist, hinter der ‚etwas‘ – die Frage ist dann, was – verborgen wird. Auch wird heute Weiblichkeit – in der deutschen Fassung – eher mit femininity übersetzt und ist kulturell konnotiert, während womanliness – in der englischen Fassung – eher auf Frau-Sein und eine biologische Dimension referiert. Das begriffliche Spannungsfeld, das sowohl in Rivieres Text als auch in der Übersetzung angelegt ist, stellt einen Ausgangspunkt dar, nach dem Stellenwert und der Funktion des Körpers in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung und Kommunikation zu fragen: Gibt es ‚hinter‘ einer derartig gefassten Maske einen vorgängigen Körper, der geschlechtlich bestimmbar wäre? Und was sollte diese geschlechtliche Bestimmung implizieren? Welche Bedeutungen sind am Körper ablesbar – werden abgelesen oder ablesbar gemacht? Riviere spricht in ihrem Text von Berufsarbeit und bezieht sich dabei auf die Diskussion um den „Frauentyp“ (ebd., 103), der hier – in ihrer Aufzählung sind dies Berufe, die einer bürgerlichen Schicht zuzuordnen sind – tätig ist. Die Rede ist zunächst von einem Typ intellektueller Frau, dem zugeschrieben wird, einen „Wunsche, ein Mann zu sein“ (ebd., 103), nicht nur zu haben, sondern offen zu legen. Der Gedankengang ist komplex und lässt Fragen aufkommen: Woran wird der ‚Wunsch, Mann zu sein‘, festgemacht? Was bedeutet ‚ein Mann zu sein‘ – und wie zeigt sich, dass dieser Wunsch nicht verborgen wird? Die offensichtlich erwähnenswerte Tatsa-

285–296, sowie Almanach der Psychoanalyse, 1930, 190–204 (zitiert in Gast 1996a, 241). 3

Ich beziehe mich hier auf die Fassung der zeitgenössischen Publikation, wie sie von Lilli Gast (1996a) in ihrem Band Joan Riviere. Ausgewählte Schriften übernommen wurde. Es kann vermutet werden, dass Riviere selbst – als Übersetzerin der Freud-Schriften – diese deutsche Fassung zumindest autorisiert, wenn nicht gar übersetzt hat (vgl. Springer 2005). Zwei Jahre zuvor erschien die Anthologie Weiblichkeit als Maskerade, herausgegeben von Liliane Weissberg (1994), die eine von Ursula Rieth übersetzte – und schon im Titel neu akzentuierte – Fassung des Originaltextes enthält.

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che, dass dieser Frauentyp aus „seinem Wunsche, ein Mann zu sein“4 (ebd., 103), kein Geheimnis macht, kann dabei als Referenz auf ein Stigma gelesen werden: Im Sinne Erving Goffmans (1975) erscheint hier der ‚Wunsch, Mann zu sein‘ bei Frauen als Abweichung von normativen Erwartungen, die – gesellschaftlich als „rechtmäßig gestellte Anforderungen“ (ebd., 14) instituiert im Sinne von eingesetzt und für gültig befunden – in Prozessen der Stigmatisierung ihre machtvolle Wirkung entfalten.5 Im Folgenden wird eine Veränderung konstatiert: Frauen in diesen Berufen zeigen jetzt, dass sie – auch – ihre ‚als Frau‘ zu erfüllende gesellschaftliche Rolle ausüben. Die Rhetorik des Geheimnisses setzt sich nun in einer Metapher des Scheins fort: Sie scheinen Erwartungen zu erfüllen – wenn es darauf ankommt, können sie…, sie ermangeln nicht… – und es ist die Rede davon, die Rolle des Mutterersatzes zu spielen.6 Hier wird also eine Dimension der Außenwahrnehmung aufgemacht: Während zuvor ‚der Wunsch‘ auf eine Innerlichkeit referiert, geht es jetzt darum, ‚etwas‘ zu zeigen – wir könnten auch sagen, die Kommunikation von ‚etwas‘. Ohne hier konkrete historische Nachforschungen anstellen zu wollen, lässt sich spekulieren, in welchem Kontext sich diese Veränderung vollzogen hat: Sei es ein breiteres Spektrum an Frauen, die in Universitäten und in die Berufsarbeit Einzug gehalten haben, wodurch sich die Bandbreite möglicher ‚Typen‘ erweitert haben könnte, seien es veränderte gesellschaftliche Strukturen, die bestimmten Frauen – der weißen bürgerlichen Mittelschicht, so ist bei der Aufzählung so genannter geselliger Tätigkeiten zu vermuten – ein Berufsleben neben den gesellschaftlichen Aufgaben ermöglicht haben. Diese Deutung verweist auf die – einer bürgerlich-kapitalistischen Gesell-

4

Markanterweise ist hier die Rede von einem Frauentyp, was grammatikalisch zu der Formulierung führt, von seinem Wunsche, ein Mann zu sein, zu sprechen. Die Verwendung der maskulinen Form lese ich als Indiz einer Anerkennung dieses Wunsches, wie noch zu zeigen sein wird.

5

Zum problematischen Verhältnis von Stigmatisierung, Sichtbarkeit und Öffentlichkeit vgl. Phelan (2001); weiterführend zu einer Epistemologie des Verstecks vgl. Kosofsky Sedgwick (2003/1990).

6

Auch hier sei auf die pointiert zum Ausdruck gebrachte Distanz zwischen Selbst und gesellschaftlichen Erwartungen hingewiesen, die die gewählten Begrifflichkeiten der Rolle, des Ersatzes und des Spiels implizieren.

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schaftsorganisation inhärenten – Trennung von privater und öffentlicher Sphäre, wobei die öffentliche Sphäre Männern vorbehalten war und, so meine These, nach wie vor männlich kodiert ist. Riviere verfolgt zunächst einen anderen Gedanken, wenn sie betont, es stelle „wirklich ein Problem dar, wie man diesen [nun zu beobachtenden berufstätigen Frauen-, KW] Typ psychologisch klassifizieren soll“ (Riviere 1996/1929, 103). Es geht also um eine psychologische Klassifizierung und verbunden damit um die Einschätzung einer Person, die wesentlich an ihre geschlechtliche performance7 gekoppelt ist. Aufgrund des Kontexts, in dem der Text steht, lese ich diesen Satz mit einem ironischen Unterton: Der Text wurde als Antwort auf ein Klassifikationssystem verfasst, das Rivieres Kollege Ernest Jones hinsichtlich weiblicher Entwicklungstypen entworfen hatte. Mit diesem Kollegen verband sie nicht nur ein gemeinsames Arbeitsfeld – die psychoanalytische Wissenschaft –, sondern auch ein ungeklärtes persönliches Verhältnis zu Beginn ihrer Karriere. Aus dieser Situation heraus entstand eine lang anhaltende Konkurrenzbeziehung, in der der Kollege u. a. mit einem „wiederholt betonten Bestehen auf Rivieres männlich identifizierten Selbstentwurf“ (Gast 1996b, 83) auftrat. Auch hier erscheint das Öffentlichmachen eines männlich identifizierten Selbstentwurfs wieder als Stigma, das quasi als Waffe, als Mittel zur Abwertung bis hin zur sozialen Vernichtung einsetzbar ist. Aufgrund dieses Kontexts wird Womanliness as a Masquerade auch als selbstanalytische beziehungsweise autobiographische Schrift gelesen. Rivieres Ansatz, sich dieses Frauentyps anzunehmen und ihr Versuch, ihn zu klassifizieren, kann als – ironische – Erwiderung und Selbstermächtigung gelesen werden. In Form einer Fallanalyse versucht sie nun, „zu zeigen, dass Frauen mit Männlichkeitswünschen zur Vermeidung der Angst und der vom Mann gefürchteten Vergeltung eine Maske der Weiblichkeit anlegen können“ (Riviere 1996/1929, 102). Was hier zur Debatte steht, sind nicht die so genannten Männlichkeitswünsche von Frauen, wobei noch genauer zu eruieren sein wird, worin diese bestehen. Riviere problematisiert vielmehr die Folgen dieser Wünsche, die sie als Angst vor Vergeltung, an anderer Stelle als „Befürchtung, etwas Ungehöriges getan zu haben“ (ebd.,

7

An dieser Stelle verwende ich den Begriff performance im Sinne Butlers (1991) als Hervorbringung und Realisierung von Geschlecht.

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103), beschreibt. Eine Maske der Weiblichkeit anzulegen beziehungsweise sich die Fähigkeit der Maskerade anzueignen, erscheint in dieser Darstellung als eine Möglichkeit, die als bedrohlich wahrgenommene Situation zu bewältigen. Im Folgenden wird es um die Analyse dieser Situation und der darin relevanten Dimensionen gehen.

A NALYTISCHE D IMENSIONEN Erwerbsarbeit, Geschlechterdifferenz und Heteronormativität In ihrer Fallanalyse beschreibt Riviere eine Frau, die „trotz ihres zweifellosen Erfolges und ihrer Begabung – sowohl was ihre produktive Arbeit wie auch ihre Fähigkeit, mit einer Hörerschaft fertig zu werden und Diskussionen zu leiten usw. betraf – […] während der darauf folgenden Nacht aufgeregt und ängstlich“ (Riviere 1996/1929, 103) war. Riviere beobachtet bei dieser Frau einen – in ihren Worten – „außerordentlichen“ (ebd., 104) Widerspruch: den Widerspruch zwischen einer „hochgradig unpersönlichen und objektiven Einstellung während der intellektuellen Leistung“ (ebd., 104) und einer Haltung des „Kokettierens und Flirtens“ (ebd., 104) unmittelbar nach öffentlichen Auftritten, die sich auf einen spezifischen Männertyp richtete. Die Dichotomie, die hier aufgezeigt wird, bezieht sich auf eine intellektuelle Leistung und ein – heterosexuelles – Verhalten, das an diesem Ort seltsam deplaziert erscheint und von Riviere als „zwangsmäßige Umkehrung ihrer intellektuellen Leistung“ (ebd., 105) gedeutet wird. Während ersteres abgesichert ist durch das „räumlich-soziale Setting und das öffentliche Ritual des Vortrags“ (Benthien 2003, 38), verweist der nachfolgende Maskerade-Effekt auf einen Ort, an dem „die binäre und oppositive Ordnung der Geschlechter in der symbolischen Ordnung erscheinen soll“ (Funk 1995, 20, Herv. KW). Riviere setzt ihre Beobachtung in Bezug zu einem von Jones skizzierten Typus: einer „Gruppe homosexueller Frauen, welche die ‚Anerkennung‘ ihrer Männlichkeit durch andere Männer wünschen, ohne sich für andere Frauen zu interessieren, und den Anspruch darauf machen, den Männern gleich zu sein, in anderen Worten: Mann zu sein“ (Riviere 1996/1929, 104, Herv. KW). In ihrer Fallbeschreibung sei der Frau die „Erbitterung“ (ebd., 104) – über die „Zumutung, dass sie nicht ihres-

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gleichen sein könnte“ (ebd., 104) – zwar bewusst, aber sie hüte sich davor, ihr Ausdruck zu geben: „öffentlich anerkannte sie ihre Weiblichkeit“ (ebd., 104). Rivieres Text wurde von Judith Butler in Gender Trouble ausführlich und kritisch besprochen, insbesondere aber diese letzte Passage, wobei Butler die Frage stellt, ob Riviere die Homosexualität der maskierten Frau, die sie beschreibt, bewusst sei. Butler zufolge gebe es keine eindeutige Lesart von Rivieres „Darstellung einer Spielart weiblicher Homosexualität, die gerade kein Begehren in Bezug auf Frauen ist“ (Butler 1991, 87, Herv. i. O.). Wird der ‚Wunsch, Mann zu sein‘ dahingehend interpretiert, den Platz des männlichen Subjekts, also „die Stellung des Vaters als Sprecher, Leser und Schreiber innerhalb des öffentlichen Diskurses, d. h. als Verwender der Zeichen im Gegensatz zum Zeichen- oder Tauschobjekt“ (ebd., 85) einzunehmen, so erschöpfe sich dieser Wunsch bei Riviere in einer bloßen Verschiebung. Butler schließt hier mit der Frage an, „welcher sexuellen Phantasie diese Aggression [Mann zu sein, KW] dient und welche Sexualität sie autorisiert“ (ebd., 89). Diese Fragen bleiben in Rivieres Text, der dem Denkmodell des Kastrationskomplexes und einer heteronormativen Logik verpflichtet bleibt, offen. Da es mir nicht darum geht, tiefer in die Diskussion von Rivieres Text und seine komplexe psychoanalytische Argumentation einzusteigen, nehme ich an dieser Stelle nur einen Gedanken Rivieres auf, um daran weitere Überlegungen zur Bedeutung und Funktionsweise geschlechtlicher Selbstwahrnehmung anzuschließen: „Der Leser [sic! KW] mag nun fragen, wie ich denn Weiblichkeit definiere oder wo ich die Grenze zwischen echter Weiblichkeit und solcher Maskerade ziehe. Ich behaupte jedoch keineswegs, dass es einen solchen Unterschied gäbe; ob fundamental oder oberflächlich – es handelt sich um dieselbe Sache“ (Riviere 1996/1929, 106).

Weiblichkeit als fundamental und/oder oberflächlich – hier führt Riviere die Implikationen ihres Konzepts der Maskerade, das sich in einem Begriffsfeld von Sein und Schein, von Wahrheit und Lüge, von Wirklichkeit und Spiel bewegt (vgl. Bettinger/Funk 1995), wieder zusammen. Butler (1991) analysiert Rivieres Text als „eine Möglichkeit, die Frage nach dem, was durch die Maskerade maskiert wird, neu zu betrachten“ (ebd., 87). Auf diese Überlegungen, die in einer „diskursiven Erklärung der kulturellen

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Hervorbringung der Geschlechtsidentität“ (ebd., 88 ff.) münden, sei an dieser Stelle nur verwiesen. Mit Funk (1995) lässt sich festhalten: „Maskerade als Verhüllung heißt einerseits dasjenige, was sich hinter der Maske verbirgt, erst mit den Attributen der Eigentlichkeit und des Essentiellen auszustatten, andererseits wird die Verhüllung zum einzig Zugänglichen und Sichtbaren, das Uneigentliche wird zum Modus der (Re)Präsentation.“ (Ebd., 18 f.)

Wenn also die Möglichkeit einer wesenhaften Bestimmung von Weiblichkeit respektive Männlichkeit auf diese Weise ad absurdum geführt wird, worauf bezieht sich dann diese Kategorisierung? Wenn – wie von Riviere aufgezeigt – Weiblichkeit nicht mehr als eine Repräsentanz von etwas darstellt, eine „Schimäre“, wie Lilli Gast in ihrer Interpretation des Textes ausführt, „die letztlich nicht oder nur als Idee existent ist“ (Gast 1996b, 86), wie kommt es dann, dass sich diese Idee im Alltagsleben so hartnäckig hält? Ich lese den Text Rivieres als Beleg für die enorme Regulierungskraft, die gesellschaftliche Kategorien und Begriffe an und mit Körpern entfalten. Im Folgenden wird es darum gehen, die Wirkmacht und Beständigkeit gesellschaftlicher Vorstellungen von Geschlecht theoretisch – im Sinne eines sex/gender-Systems – zu rekonstruieren. Gleichheitstabu, imaginäre Zeichen und Körper Riviere scheint bemerkenswert genau zu wissen, wer hier Frau und wer Mann ist, trotz oder gerade wegen einer gezeigten – und von allen lesbaren – Kodierung als weiblich respektive männlich. Folgen wir einer poststrukturalistischen Interpretation, so bezieht sich der ‚Wunsch, Mann zu sein‘ auf den gesellschaftlichen Ort einer Sprechposition, und seine Einnahme durch Frauen wird – im Sinne systemtheoretischer Beobachtungen – abgedämpft durch ein gendering: das Aktivieren geschlechtsspezifischer Kodierungen (vgl. Pasero 2003). Die auf diese Weise re/produzierte bipolare Kohärenz von Geschlecht schafft in einer Art rekursiver Schleife erst die Bedingungen einer Unterscheidbarkeit und Asymmetrisierung.8 In diesem

8

Schon Maihofer (1994) verweist auf den „engen dialektischen Zusammenhang von Diskriminieren/Unterscheiden und Diskriminierung/Unterdrückung“ (ebd.,

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Sinne beschreibt Chantal Mouffe das empirische Phänomen der Geschlechterdifferenz nicht etwa als Ausdruck eines vorgängigen Antagonismus, sondern als Effekt eines – gesellschaftlich konstituierten – sex/gender-Systems, „which defines not only the characteristics of ‚masculinity‘ and ‚femininity‘, but also the type of relation between them“ (Mouffe 1983, 140). Die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern ist immer sozial konstruiert und kein Produkt biologischer Unterschiede – mit dieser These beruft sie sich auf die Anthropologin Gayle Rubin, die bereits 1975 in der Auseinandersetzung mit den strukturalistischen Theorien von Lévi-Strauss und Freud, gelesen durch Lacan, eine Theorie der politischen Ökonomie von Geschlecht entwickelt hat. Das sex/gender-System einer Gesellschaft stelle demnach „eine Reihe von Ordnungen dar, durch die eine Gesellschaft biologisches Geschlecht in Produkte menschlichen Handelns verwandelt und innerhalb dessen diese verwandelten geschlechtlichen Bedürfnisse befriedigt werden“ (Rubin 2006/1975, 70 f.). Sie spricht von der „Auferlegung sozialer Ziele auf einen Teil der natürlichen Welt“ (ebd., 85 f.)9 und beschreibt die Unterordnung von Frauen als „Produkt der Verhältnisse, unter denen Sex und Gender organisiert und produziert werden“ (ebd., 86). Eine dieser Ordnungen ist die nach Geschlecht organisierte Arbeitsteilung, die über verschiedene historische Zeiten und kulturelle Räume hinweg beträchtlich variiert. Schon Lévi-Strauss sehe dies als Indiz, dass die Teilung von Arbeit nach Geschlecht „nicht einer biologischen Spezialisierung entspricht, sondern einen anderen Zweck haben muss“ (ebd., 87). Die Arbeitsteilung nach Geschlecht wird nun von Rubin als Gleichheits-Tabu gelesen, „als Tabu gegen die Gleichheit von Männern und Frauen, als Tabu, das die Geschlechter in zwei sich gegenseitig ausschließende Kategorien aufteilt, und als Tabu,

260); auch systemtheoretische Ansätze im Anschluss an Luhmann (2003/1988) problematisieren das komplexe Verhältnis von Unterscheidung, Hierarchisierung und Asymmetrisierung (vgl. Pasero/Weinbach 2003), während sozialkonstruktivistische Ansätze auf der Basis wissenssoziologischer Arbeiten von einer Gleichursprünglichkeit von Differenz und Hierarchie ausgehen (vgl. Wetterer 2001). 9

Zur feministischen Aneignung dieser sex/gender-Unterscheidung und den gewaltvollen Implikationen siehe die differenzierte Analyse und kritische Genealogie von Dietze (2006).

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das die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zuspitzt und dadurch Gender hervorbringt. Die Arbeitsteilung ist auch ein Tabu gegen geschlechtliche Verbindungen, die anders sind als die, die aus einem Mann und einer Frau bestehen, und schreibt somit heterosexuelle Ehen vor.“ (Ebd., 87, Herv. KW)

Gender sei vor diesem Hintergrund keinesfalls Ausdruck natürlicher Unterschiede, sondern „Unterdrückung natürlicher Ähnlichkeiten“ (ebd., 88). Chantal Mouffe beschreibt – im Anschluss an Rubin – die diskursive Konstruktion des sex/gender-Systems als eine Kopplung gesellschaftlich konstituierter Bedeutung an Anatomie: „It clearly indicates that the problem is the way women are constructed qua women as necessarily subordinate because of the attribution of a devalorised conception of ‚femininity‘ to female anatomical differences.“ (Mouffe 1986, 141) Obwohl sie von einer Heterogenität an Praktiken, Diskursen und Institutionen ausgeht, in denen das sex/gender-System einer Gesellschaft kontinuierlich produziert und reproduziert wird, weist sie darauf hin, dass diese Vielfalt nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass all diese Konstruktionsprozesse sexueller Differenz darauf hinauslaufen, ‚das Weibliche‘ als untergeordneten Pol zu ‚dem Männlichen‘ zu konstruieren. Auf diese Weise werde eine Art „common effect” (ebd., 141) erzeugt: „Once the connotation between the female sex and the feminine gender has been established and the specific characteristics have been attributed to the feminine gender, this ‚imaginary signifier‘ produces very concrete effects in different social practices“ (ebd., 141). Mouffe unterscheidet hier zwischen Unterordnung als einer allgemeinen Kategorie, die das Ensemble von Bedeutungen, das ‚Weiblichkeit‘ konstituiert, durchzieht, und der autonomen und ungleichen Entwicklung unterschiedlicher Praxen, die konkrete Formen der Unterordnung hervorbringen: „The latter are not the expression of an immutable feminine essence but in their construction the symbolism linked in a given society to the feminine condition plays a fundamental role. In turn, the different forms of concrete subordination contribute to the maintenance and reproduction of that symbolism.“ (Ebd., 141)

Vor diesem Hintergrund betrachte ich Kodierungen als ‚weiblich‘ respektive ‚männlich‘ im Sinne Mouffes als imaginäre Zeichen, die sich auf der

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Ebene konkreter Praxen10 am und mit dem Körper realisieren.11 Meine These lautet, dass erst über die – gesellschaftliche – Zweiteilung eines Feldes multipler Körper (vgl. Gatens 1995) eine derart strenge und alle Ebenen durchwirkende Segregierung wie auch Hierarchisierung nach Geschlecht, wie sie in empirischen Studien beschrieben werden, überhaupt möglich ist – und wiederum, so wird zu zeigen sein, jene Zweiteilung bestätigt. Mir geht es darum, den Blick auf Regulierungsweisen dieser zweigeschlechtlichen Ordnung zu lenken, und – im Anschluss an Lorenz/Kuster (2007) – nach den Durchquerungen dieser Ordnung zu fragen. sex/gender at work: Vereindeutigungen und ihr notwendiges Scheitern Die von Riviere beschriebene Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass ‚Frau-Sein‘ hier – in einem professionellen, öffentlichen Kontext – unter Beweis gestellt beziehungsweise glaubhaft hergestellt werden muss. Das geschieht in diesem Fall über das Zeigen einer spezifischen Weiblichkeit, die die (sexuelle) Ausrichtung auf das andere Geschlecht umfasst. Die Beschreibung verweist auf die Wirkweise einer heteronormativen Anordnung, deren machtvolle Effekte Wagenknecht (2004) wie folgt definiert: „Die H[eteronormativität] drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. H[eteronormativität] wirkt als apriorische Kategorie des Verstehens und setzt ein Bündel von Verhaltensnormen. Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (so in der medizinischen Vernichtung der Intersexualität).“ (Wagenknecht 2004, 189 f.)

Zweigeschlechtlichkeit erscheint hier als – historisch konstituierter und kulturell spezifischer – Modus, der die gesellschaftliche Wissensproduktion beherrscht. Die Rede von der Natur des Geschlechtskörpers, abgesichert durch wirkmächtige Diskurse der Natur- wie auch der Sozial- und Geisteswissen-

10 Zum Praxis-Begriff sowie dem Entwurf einer Theorie sozialer Praktiken vgl. Reckwitz (2003); Hörning/Reuter (2004). 11 Zum Begriff der ‚Realisierung von Bedeutung‘ vgl. Braun (2006).

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schaften, stellt dabei eine Argumentationsfigur bereit, Zweigeschlechtlichkeit als natürliche und somit legitimierte soziale Ordnung zu re/produzieren. Sozialkonstruktivistische Ansätze der Geschlechterforschung sind angetreten, den Blick auf die Prozesse der Naturalisierung von Geschlecht zu lenken und darin die Herstellungsmechanismen einer zweigeschlechtlichen Ordnung zu fokussieren. So rekonstruieren ethnomethodologische und systemtheoretische Studien die kulturellen Prozesse, in denen eine zweigeschlechtliche Ordnung im Lebens- und Arbeitsalltag – in Form eines doing gender – beständig re/produziert wird. Diese Konzentration auf gender als sozial variabel und veränderbar hat jedoch dazu geführt, sex als zweigeschlechtlich organisierten Körper in der Domäne des Sozialen aufgehen zu lassen beziehungsweise in seiner Dynamik und seinem potentiellen Eigensinn (vgl. Karremann/Roder 2008) zu vernachlässigen. Demgegenüber richten queer-theoretische Perspektiven den Blick auf Prozesse der Aneignung und Umarbeitung von Geschlecht, die als körperliche Widerstandspraxen gegen die zweigeschlechtliche Ordnung gefasst werden und auf alternative geschlechtliche Wirklichkeiten verweisen (vgl. Schirmer 2010). Zeitgleich provozieren auf einer queerpolitischen Ebene künstlerische Aktionen und Ausstellungsprojekte wie auch dezentral agierende Gruppen und Initiativen eine Auseinandersetzung um die körperliche Eindeutigkeit und Bedeutung von Geschlecht. Das so konzipierte politische Feld fordert dazu auf, nach den Herstellungs- und Veränderungsprozessen von Geschlechtlichkeit zu fragen und den Körper in das Zentrum des (wissenschaftlichen) Interesses zu stellen. Die in sozialkonstruktivistischen Ansätzen angelegte Entnaturalisierung von Geschlecht ist also weiterzutreiben. Paradoxerweise ist hierzu die Ebene von Körperlichkeit oder Materialität in die Analyse von Konstruktionsprozessen einzubeziehen, ohne hinter die Erkenntnisse der gesellschaftlichen Konstituiertheit eines Begriffs von Natur zurückzufallen (vgl. Scheich/Wagels 2011). Mir geht es an dieser Stelle darum, den Blick auf die vielfach denkbaren Artikulationen des sex/gender-Systems zu lenken, die sich über Arbeit herstellen – und darin nach den widerständigen Potentialen auf der Ebene des Körpers zu fragen.

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K ÖRPER IN DER GESCHLECHTLICHEN S ELBSTWAHRNEHMUNG Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist das sex/gender-System als analytisches Konzept in der Geschlechterforschung, in dem die Konstruiertheit von Geschlecht gefasst wird: An der frühen Studie Rubins zur geschlechtlichen Arbeitsteilung und politischen Ökonomie von Geschlecht ansetzend arbeite ich zunächst den Einsatz des sex/gender-Systems in aktuellen sozialkonstruktivistischen Studien zum Feld von Erwerbsarbeit heraus. Hierbei stellt sich insbesondere die Frage nach der Bedeutung des Körpers in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung, der in der Zirkularität sozialer Konstruktionsprozesse aufzugehen scheint. Die forschungsleitende Frage bezieht sich demnach auf widerständige Körperpraxen, die die in sozialkonstruktivistischen Ansätzen perpetuierte Sichtbarkeit und Selbstevidenz des Geschlechtskörpers herausfordern. Heteronormativität kann dabei als zentrales Ordnungsprinzip angenommen werden, das die geschlechtliche Selbstwahrnehmung reguliert: „In der Subjekt-Konstitution erzeugt Heteronormativität den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung.“ (Wagenknecht 2004, 189 f.)

Vor diesem Hintergrund verstehe ich die Rede von Geschlecht und Sexualität im Foucault’schen Sinne als ein Machtdispositiv, das sich in performativen Alltagspraxen reproduziert – und die Möglichkeit einer produktiven Umarbeitung impliziert. Im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehen queerende Bewegungen der engen Kopplung von Körperlichkeit und sozialer Hierarchie sowie das Zusammenspiel unterschiedlicher Kontexte darin. Um den Prozessen geschlechtlicher Selbstwahrnehmung und queerenden Selbstpositionierungen im geschlechtlichen Raum nachzugehen, beziehe ich mich methodisch auf das theoriegenerierende Verfahren nach Corbin

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und Strauss (1996) und verstehe die geführten Expert_innen-Interviews12 als gemeinsame Arbeit an einer gesellschaftlich relevanten Problemstellung. Auf dieser Ebene arbeite ich die Effekte heraus, die in Form eines transformatorischen Wissens zur Wirkung gelangen und konzeptualisiere das Zusammenspiel von vergeschlechtlichter Erwerbsarbeit und dem Rezitieren geschlechtlicher Kodes mit Bezug auf José Esteban Muñoz (2007) schließlich als Körperpraxen an, mit und gegen Zweigeschlechtlichkeit. Das Fazit der Studie reetabliert den Stellenwert von Materialität in Prozessen kultureller Bedeutungskonstituierung und besteht in einer Reihe von Neujustierungen: zwischen dem Naturhaften und dem Künstlichen, dem Körperlichen und dem Intellektuellen, der Reproduktion und der Produktivität (vgl. Wagels 2009). Die geleistete Durchquerung dieser Grenzziehungen wird beispielhaft in der Reaktion auf eine meiner Interview-Partner_innen pointiert: „Ist das Natur – oder ist das Make-up?“

12 Ich beziehe mich mit dem Unterstrich „_“ auf einen Vorschlag von Steffen Kitty Herrmann (2003), mit dieser Schreibweise einen Raum für sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierungen zu öffnen, die in der zweigeschlechtlich strukturierten Sprache keinen Platz haben beziehungsweise unsichtbar gemacht werden. Dabei folge ich dem Moment der Abgrenzung, das Steffen Kitty Herrmann in dem Film Working on it (2008) betont, und nutze je nach Kontext den Unterstrich „_“, um ein Spektrum an Selbstpositionierungen denkbar zu machen, das große Binnen-„I“ oder auch eine eindeutig weibliche oder männliche Schreibweise hingegen, um auf vergeschlechtlichte Subjektpositionen zu referieren.



Das politische Terrain „Some differences are playful; some are poles of world historical systems of domination. Epistemology is about knowing the difference.“ DONNA HARAWAY

Die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern ist sozial konstruiert – mit dieser Aussage bewege ich mich in dem weiten und differenzierten Feld einer Geschlechterforschung, die Unterscheidungsmodus und -gebrauch in der Sphäre des Sozialen verortet. Das Denken und Wahrnehmen von Geschlecht resultiert demnach aus der sozialen Organisation dieser Kategorie. Ein im spezifischeren Sinne feministisches Erkenntnisinteresse fokussiert dabei die hierarchischen Verhältnisse, die über soziale Kategorien organisiert sind, oder, wie Rubin (2003/1984) es so treffend formuliert: „Es ist unmöglich, auch nur annähernd klar über die Politik von ‚Rasse‘ und ‚Geschlecht‘ nachzudenken, solange diese Kategorien als biologische Gegebenheiten statt als soziale Konstruktionen gelten.“ (36, Herv. KW) ‚Geschlecht‘, ‚Rasse‘ wie auch – darauf wird noch zurück zu kommen sein – ‚Sexualität‘ werden zu Kategorien der Macht, eingebunden in eine bestehende Ordnung des Sozialen, re/produziert in alltäglichen Praktiken, die den Anschein des Selbstverständlichen und Natürlichen annehmen. Es ist diese Ebene alltäglicher Praktiken, in denen das Selbstverständliche zum Ausdruck gebracht und gelebt wird, die aus einer epistemologischen Perspektive betrachtet werden soll. Mich interessiert der Bezug alltäglicher Praktiken zu hegemonialen Verhältnissen und die – auch wissenschaftliche – Arbeit an der Transformation des Wahrnehmens, Denkens und Spürens von Geschlecht. Als Ausgangspunkt wähle ich daher aktuelle

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sozialkonstruktivistische Ansätze innerhalb der Geschlechterforschung, die den Alltag beziehungsweise das Selbstverständliche – den common sense, wie es in ethnomethodologischen Arbeiten heißt – ins Zentrum ihrer Analyse stellen und dabei eine entnaturalisierende Perspektive auf Geschlecht konsequent vorantreiben. Hierzu greife ich Konzepte und Arbeiten im Bereich der Ethnomethodologie und der Systemtheorie auf: Vor dem Hintergrund eines sex/gender-Systems als analytischem Instrument wird die (soziale) Ebene der Wahrnehmung und Zuschreibung von Geschlecht fokussiert, um die Prozesse und Mechanismen der Herstellung von Geschlecht nachzuzeichnen. Der hier zum Einsatz kommende gender-Begriff soll dabei einer kritischen Revision unterzogen werden, indem ich die Frage nach der Rolle und dem (analytischen) Stellenwert des Körpers stelle: In rekonstruktiven Ansätzen scheint die zweigeschlechtlich organisierte Vorstellung von Geschlecht in Form alltäglicher Praktiken für eine in sich zirkulierende Reproduktion zu sorgen. Eine Intervention auf dieser Ebene – ein Aufdecken der „selbsttragenden Konstruktion“ (Hirschauer 2001a, 70) beziehungsweise eine „zunehmende Einsicht in den Herstellungsmodus von Geschlecht“ (Wetterer 2001, 219) – soll demnach mit einer Veränderung der gesellschaftlichen (Geschlechter-)Verhältnisse einhergehen oder sogar zu einer zunehmenden Irrelevanz der Geschlechterdifferenz beitragen, wie sie ohnehin – so die systemtheoretisch prominent diskutierte These – in einer funktional differenzierten Gesellschaft angelegt sei (vgl. Pasero/Weinbach 2003). In kritischem Anschluss daran diskutiere ich in einem ersten Resümee, ob die Fokussierung auf gender und die Arbeit an der Gleichheitsnorm nicht für eine fortwährende Reproduktion dessen sorgt, was gleich sein soll – die Unterscheidung auf einer körperlichen Ebene. Und führt nicht gerade diese Dethematisierung der körperlichen Unterscheidungspraxis zu einer Stabilisierung des zweigeschlechtlichen Systems und damit des Wahrnehmens und Denkens von Geschlecht? Im Zuge dieser Fragen geht es in einem zweiten Schritt darum, den Geschlechterbegriff aus einer poststrukturalistischen Perspektive zu beleuchten. Ich gehe zu Rubins früher Studie (2006/1975) zurück, in der das sex/gender-System zur Beschreibung einer Machtasymmetrie zur Anwendung kommt. So soll nachvollzogen werden, wie körperliche Unterscheidungen eine Übersetzung in soziale Hierarchie erfahren. Dieser Prozess – in den Worten Moira Gatens (1995) die gesellschaftliche „Zweiteilung eines Feldes multipler Körper“ (ebd., 49) – wird heute mit der Rede vom

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„Gender-Regime“ (Weinbach 2006, 82) auf einer Ebene der Stereotypisierung und Zuschreibung bearbeitet.1 Handelt es sich dabei um eine kognitivistisch verengte Perspektive, wie Hirschauer (1996; 2008) mit seinem Vorschlag eines zu erweiternden Wissensbegriffs auf die visuelle und körperliche Ebene nahe legt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sex und gender in eins gesetzt werden und – so könnte mit Butler (2006/1994) argumentiert werden –, dass dieses Verhältnis wiederum neu zu verkomplizieren ist? Schon Rubin (2006/1975) benennt – und das wird in heutigen Bezugnahmen auf das sex/gender-System häufig vergessen – normative Heterosexualität als institutionalisierte Beziehungsform, über die eine Arbeitsteilung nach Geschlecht abgesichert ist. In ihrer späteren Arbeit (vgl. Rubin 2003/1984) verschiebt sie den Fokus auf Sexualität als einen „zweier separater Schauplätze sozialer Praxis“ (ebd., 75), den sie in diesem Sinne zunächst von einer feministischen Analyse der Geschlechterunterdrückung, wie sie es nennt, trennt. An poststrukturalistische Problematisierungen des Verhältnisses von sex und gender anschließend fokussiere ich demnach Sexualität als Dimension, die in Bezug auf den Geschlechterbegriff relevant zu machen ist. Mit dieser erneuten Rekonstruktion des sex/gender-Systems als Ausgangspunkt geht es mir auch um eine Bearbeitung der in bundesdeutschen Debatten lange Zeit praktizierten Arbeitsteilung zwischen gender studies und queer studies, die nicht nur dem Gegenstand Geschlecht unangemessen, sondern für ein feministisches Erkenntnisinteresse vielmehr kontraproduktiv erscheint. Der theoretische Einsatz, den ich schließlich mache, ist eine Konzeption von Geschlecht als sinnlich fundierte Kategorie. Geschlecht erscheint unserer Wahrnehmung selbstverständlich gegeben, ist im Alltag unmittelbar präsent, und selbst in Situationen, in denen es vordergründig keine Rolle spielt, strukturiert Geschlecht Relationen und Empfindungen. Die Ebene, die es hier zu problematisieren gilt, ist die unmittelbar körperliche: Es wird zu zeigen sein, inwieweit Heteronormativität als Regulativ, über das Geschlecht funktioniert, an Verkörperung gebunden und dies zugleich Ort und

1

Zu einer grundlegenden Kritik an systemtheoretischen Ansätzen aus feministischer Perspektive und der systematischen Leerstelle auf gesellschaftstheoretischer Ebene vgl. Aulenbacher (2006); Müller (2003).

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Motivation transformierender Praxen ist. Das (epistemologische) Argument, das ich schließlich entwickeln werde, richtet sich auf die Transformation, die ein herrschender Begriff von Geschlecht durchlaufen muss, soll er neues Wissen ermöglichen. Ich beziehe mich dabei auf Geschlechterpraxen, die sich in Auseinandersetzung mit hegemonialen Vorstellungen von Geschlecht vollziehen. Diese Form der Wissensproduktion, die mit Muñoz (2007) als Arbeit der Dis-identifikation, als „gleichzeitiges Arbeiten an, mit und gegen dominante ideologische Strukturen“ (ebd., 35) beschrieben werden kann, konzipiere ich als politisches Terrain, auf dem der Begriff Geschlecht umkämpft ist, aber auch anders lebbar gemacht wird (vgl. Schirmer 2010). Mein Fokus liegt dabei auf der körperlichen Ebene und dem transformatorischen Potential widerständiger Körperpraxen. Diese Aspekte verweisen auf forschungsleitende Fragen, die im Rahmen dieser Arbeit – empirisch fundiert – beleuchtet werden: Welche Rolle spielt der Körper in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung? Auf welche Weise/n ist der Körper – sei es physisch, symbolisch und/oder sozial – in Rekonstruktionsprozesse von Geschlecht eingebunden? Und welche Dimensionen sind in diesen Prozessen der Verkörperung für ein Denken von Transformation relevant? Der Frage nach dem analytischen Stellenwert von Körper in den angeführten konstruktivistischen Forschungsperspektiven soll nun nachgegangen werden.

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doing gender… Das soziologische Konzept des doing gender wurde von Candace West und Don H. Zimmerman (1987) innerhalb eines ethnomethodologischen Forschungsansatzes entwickelt: Zurückgehend auf Studien zu Transsexualität (Garfinkel 2006/1967) und auf Analysen zur interaktiven Konstruktion von Geschlechtsstereotypen (Kessler/McKenna 1978; Goffman 1977; 1983) wird der Blick auf die Herstellungsprozesse von Geschlecht in sozialen Interaktionen gelenkt. Die Rede ist hier von Geschlechts-zugehörigkeit: Geschlecht wird zu einem Phänomen der Darstellung und Klassifikation, das in Interaktionen permanent hervorgebracht wird. Der Begriff des doing referiert dabei auf die aktive Herstellung – beschrieben als „ein fortlaufen-

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der Prozess, eine interaktive Praxis der Darstellung und Attribution, die ein Alltagswissen von den Strukturen der sozialen Wirklichkeit reproduziert“ (Hirschauer 2001b, 31, Herv. KW). Erweitert um die sozialen Teilungsdimensionen Klasse und Ethnie sprechen Sarah Fenstermaker und Candace West (1995; 2001) später von doing difference und fokussieren Interaktionen als Ebene, auf der individuelle und institutionelle Praxis ins Verhältnis gesetzt werden: „Menschen erzeugen Differenz durch ein aktives ‚Tun‘. […] Die Unterschiede, die eigentlich durch diesen Prozess erst erzeugt wurden, gelten nun als grundlegende und dauerhafte Merkmale von Personen […] und die soziale Ordnung als eine vernünftige Anpassung an die angeblich ‚natürlichen‘ Ungleichheiten zwischen Menschen.“ (Fenstermaker/West 2001, 238)

Tatsächlich wird aus einer doing gender-Perspektive aufgezeigt, dass es die sozialen Situationen und kulturellen Praktiken sind, die Menschen ihre Geschlechtszugehörigkeit verleihen; Kessler/McKenna (1978) sprechen in diesem Zusammenhang von kulturellen Genitalien. Hierzu gehören Körperstilisierungen, Kleidervorschriften und Redeordnungen, aber auch Höflichkeitsrituale, in denen Geschlecht artikuliert wird. Als zentrale These dieser Perspektive ist festzuhalten, dass Unterschiede – und somit Ungleichheiten – in Interaktionsprozessen permanent hergestellt werden und sich zu institutionellen Arrangements (vgl. Fenstermaker/West 2001) in Form von klassen-, ethnie- und geschlechtsspezifischen Erwartungen verdichten. Die Erkenntnisse zum doing gender werden vielfach innerhalb systemtheoretisch argumentierender Arbeiten zur Geschlechterdifferenz herangezogen, die neben der Interaktionsebene auch die Ebene der Organisation und der Gesellschaft konzeptualisieren. Wenn hier grundsätzlich argumentiert wird, dass die Geschlechterdifferenz im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen hin zu funktionaler Differenzierung sowohl auf der Gesellschafts- wie auch auf einer Organisationsebene zunehmend dysfunktional wird (vgl. zur Diskussion dieser These Pasero/Weinbach 2003; Heintz 2001), so wird die – in diesen Ansätzen als paradox bezeichnete – Persistenz der Unterscheidung zwischen zwei Geschlechtern auf der Interaktions-

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ebene angesiedelt.2 Christine Weinbach (2003) formuliert, dass „Geschlecht nur deshalb als Platzanweiser fungieren kann, weil es geschlechtlich definierte, stereotyp und spezifisch attribuierte Erwartungen bündelt“ (ebd., 165, Herv. KW). Sie greift hierfür auf die Stereotypenforschung zurück: Weiblichen Personen im Erwerbsarbeitsbereich etwa werden externe Rollenverpflichtungen (auf Haus und Familie) unterstellt – wobei auch das Nichtvorhandensein dieser Rollenübernahme mitregistriert wird. „Männlichen Personen dagegen fehlt diese spezifische Kontextualisierung, weshalb sie ein höheres Maß an Individualität (das heißt der Fähigkeit zu Selbstentwurf und Entscheidungsfindung) versinnbildlichen.“ (Ebd., 153, Herv. KW) Hieran anschließend formuliere ich die kritische Frage, wie in diesen Situationen Personen als ‚weiblich‘ respektive ‚männlich‘ identifiziert werden und lenke den Blick auf die Rolle des Körpers, wie er in den genannten konstruktivistischen Denkrichtungen konzeptualisiert ist. …doing body? Suzanne Kessler und Wendy McKenna verzichten in ihrer grundlegenden Arbeit Gender: An Ethnomethodological Approach (1978) auf den Gebrauch des Begriffs sex, indem sie argumentieren, dass alle Aspekte der sozialen Kategorie gender – inklusive der physiologisch-biologischen, die gemeinhin mit sex bezeichnet werden – sozial konstruiert seien. Innerhalb ethnomethodologischer Ansätze ist die körperliche Ebene also auf spezifische Weise in die Zirkularität der Konstruktion eingebunden: Sie kann entweder als irrelevant für die Konstruktion von Geschlecht angesehen werden oder aber in der sozialen Kategorie gender aufgehen – der Körper wird zum Objekt sozialer Kontrolle (gemacht). So konzipiert etwa Stefan Hirschauer (2001) den Körper als embodied practice, d. h. als ein praktisches Wissen, das in körperli-

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Demgegenüber kritisiert Aulenbacher (2006) die Reduktion einer Relevanz der Geschlechterdifferenz auf die Interaktionsebene und betont dabei ihre Einlassung in die Benennung und Bewertung unterschiedener Funktions-systeme, die sie auf einer Gesellschaftsebene verortet. Diese Perspektive wird auch in den von mir geführten Interviews relevant, wenn es darum geht, sich in den bestehenden Zuschreibungen, die über Arbeit vermittelt werden, zu bewegen und den damit verbundenen Zumutungen ausgesetzt zu sein.

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chen Routinen verankert ist: „Die Formung durch den kontinuierlichen Gebrauch von Darstellungsrepertoires spezifiziert den Körper als ein Darstellungsmedium. Er wird zu einem Nebenprodukt und Aktivposten kultureller Reproduktion.“ (Ebd., 34) In dieser Weise, Verkörperung zu denken, wird der Körper zu einem Medium, und seine Bildförmigkeit sorgt als mächtige Visualisierung „für eine ständige Augenfälligkeit der Realität“ (Hirschauer 1996, 247). In diesem Sinne gehören „Präsenz und Aktualität … im Alltagserleben zum Sosein der zwei Geschlechter“ (ebd., 249). Dieses Theorem der Sichtbarkeit – das den Körper als Darstellungsund Klassifikationsobjekt figuriert – kommt auch in systemtheoretischen Ansätzen, die den Körper thematisieren, zur Anwendung. So formulieren Ursula Pasero und Christine Weinbach in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Bands Frauen, Männer, Gender Trouble (2003) mit Bezug auf den Beitrag Armin Nassehis: „Wo Personen sichtbar werden, treten sie als Frauen und Männer auf. Dieser Zirkel der Sichtbarkeit zielt auf den Körper, dem keine Chance gelassen wird, selbst kontingent zu wirken, sondern dem geschlechtstypische, ethnische oder alterstypische Bedeutung anhaftet, die kaum dementiert werden kann. Auf diese Weise entstehen Plausibilitäten, die nicht dem Wahrgenommenen entstammen, sondern der Wahrnehmung, also immer schon auf der Grundlage von Sozialität operieren.“ (Ebd., 11)3

Die hier benannten Bestimmungsstücke einer Reproduktion von Geschlecht sind • • •

der Zirkel der Sichtbarkeit, die Plausibilität des Körpers sowie die Sozialität von Wahrnehmung.

Auf diese Weise liefern ethnomethodologische und systemtheoretische Studien mit ihrem Fokus auf das Alltagsgeschehen detaillierte Beobachtungen zur Produktion und Funktionsweise eines gesellschaftlichen common sense. In beiden Konzeptionen wird das Wahrnehmen und Denken von Geschlecht als kontingent beschrieben, was soviel heißt wie: Es ist so,

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Vgl. auch Pasero (2008), 247.

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könnte aber auch anders sein. Vor diesem Hintergrund erstaunt die Persistenz, mit der sich dieses Wahrnehmungsmuster fortzusetzen scheint; eine Beobachtung, die wiederum nicht unabhängig ist von der Perspektive, die Forschende auf Geschlecht – genauer formuliert: auf Körper – einnehmen. So beschreibt Nassehi (2003) die oben genannten Aspekte einer Reproduktion von Geschlecht als „eingespielte Praxis des Blicks“, als „kulturelle Selbstverständlichkeit“ und als „materielle Widerspruchslosigkeit des Körpers“ (ebd., 97), durch die die Konstruiertheit des Denkens und Wahrnehmens von Geschlecht verschwinde. Dieser Gedanke wird auch auf die Forschungssituation bezogen: „…die Körper sind einfach da. Und wie man – ohne auch nur den Anflug eines Biologismus – durchaus behaupten kann, dass es das schlichte Vorkommen von Frauen und Männern als weibliche und männliche Personen ist, das den Unterscheidungsgebrauch stabilisiert und für Ungleichheit generierende Praxen sorgt, so scheint das auch für die Gender-Forschung zu gelten.“ (Ebd., 97)

Dieses Argument zielt auf die Selbstpositionierung der Forschenden, die sich der Beobachtung des schlichten Vorkommens von Frauen und Männern, wie Nassehi es benennt, auch ohne Rückgriff auf Biologie schlecht entziehen können. Das Phänomen gilt als Indiz für die Herstellungsmechanismen und Funktionsweisen der zweigeschlechtlichen Ordnung, die sich in einer Art selbsttragenden Konstruktion ständig zu reproduzieren scheint. Nassehi verweist in diesem Zusammenhang auf den „kommunikativen Funktionssinn von Natur“, der als „außersoziales So-Seins-Kriterium sozial nutzbar“ gemacht werde (ebd., 97). Interessant ist der daraus gezogene Rückschluss, dass es sich bei der zweigeschlechtlichen Wahrnehmung – mit Natur als Begründungszusammenhang – um ein Muster handle, „dem offenbar keine konkurrierenden Schemata zur Verfügung stehen“ (ebd., 98) – ein Fazit, das im Laufe dieser Arbeit einer Revision unterzogen werden wird. Geschlecht denken Die Frage nach dem Stellenwert von Wahrnehmungsmustern – sowohl in der Alltagsevidenz als auch in der Forschung über Alltagsroutinen – führte in der feministischen Geschlechterforschung seit den 1990er Jahren zu

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einer differenzierten Debatte um die Reifizierung von Geschlecht im wissenschaftlichen Tun (vgl. Gildemeister/Wetterer 1992; Hagemann-White 1993 und 1994; Wetterer 1995).4 Wenn etwa Silke Gahleitner (2004) formuliert, „bei Forschenden wie Beforschten handelt es sich stets um Menschen, die sich selbst fundamental als Frauen bzw. Männer erleben“ (ebd., 289, Herv. KW), so kann diese Feststellung zum einen als Diagnose der Wirkmacht gelesen werden, die das Konstrukt zweier sich ausschließender und gegenseitig aufeinander bezogener Geschlechter in der – auch körperlichen – Selbstwahrnehmung entfaltet. Sie kann aber auch als subjektive Einschätzung einer Forschenden verstanden werden, die von einer spezifischen gesellschaftlichen Geschlechterposition aus spricht. Das beziehungsreiche Spannungsfeld, das hier zwischen Forschungssubjekt und Forschungsobjekt sichtbar wird, war und ist immer wieder Anlass für Problematisierungen des methodischen Zugangs wie auch der Position der Forschenden im Forschungsprozess (vgl. Althoff/Bereswill/Riegraf 2001). Dieser kritische und selbstreflexive Blick kann durchaus als Spezifikum einer – nicht nur feministischen – Forschung angesehen werden, deren Erkenntnisinteressen eng an gesellschaftlichen Verhältnissen und deren Veränderung orientiert sind und die auf diese Weise die Wissensproduktion anregt.5 Zu konstatieren ist eine denkwürdige Reifizierung aber nicht nur im Sinne einer Reproduktion oder Fortschreibung von Geschlecht, wie ich sie oben beschrieben habe, sondern auch in Form einer Vergegenständlichung oder Verobjektivierung. „ ‚Gender‘ versinnbildlicht insofern lediglich eine eigene Version des kategorialen Scheiterns von ‚Frau/en‘“ (Hark/Dietze 2006, 11). Dies kann dazu führen – wie Mechthild Bereswill (2005) in ihrer Analyse aktueller geschlechterpolitischer Programmatiken zeigt, dass die „Übersetzung von Differenz in Hierarchie zwar hinterfragt und umgewertet, an der Stereotypisierung der Geschlechter letztlich aber festgehalten“ wird (ebd., 223). Eine ähnliche Beobachtung macht Christine Weinbach (2006), die – im

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Ebenso die in Feministische Studien, Heft 2 (1993) sowie Heft 2 (2001) geführten Debatten um die soziale Konstruiertheit von Geschlecht wie auch um methodologische Implikationen dieser theoretischen Konzeptualisierung.

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Vgl. hierzu die kontrovers pointierte Diskussion zwischen Stefan Hirschauer und Gudrun-Axeli Knapp (Hirschauer/Knapp 2006).

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Rahmen eines Gender-Regimes – eine Diversifizierung von Geschlechterstereotypen beschreibt, während zugleich an der Geschlechterdifferenz selbst festgehalten werde. Angelika Wetterer (2003) spricht in diesem Zusammenhang von einer rhetorischen Modernisierung, die sie in den gegenläufigen Tendenzen von diskursivem Wissen und strukturellen Kontinuitäten verortet. Mit etwas anderem Fokus konstatiert auch Ulrike A. Richter (2007) in ihrer Organisationsethnographie die Funktionsweise einer Gleichheitsnorm, die dem common sense, dem Selbstverständlichen – und das heißt: einer als natürlich geltenden Zweigeschlechtlichkeit – eine Bühne für Hierarchisierungen verschafft. Diese Beobachtungen aus empirischen Untersuchungen verweisen auf den Stellenwert der zweigeschlechtlichen Ordnung als neuralgischem Punkt in dem Verhältnis von Differenz und Hierarchie. So gehen etwa Heintz/ Nadai/Fischer/Ummel (1997) wie auch Wetterer (2001; 2002; 2003) dem Zusammenspiel von Differenz und Hierarchie in Professionalisierungsprozessen empirisch nach. Während Gildemeister und Wetterer (1992) von einer Gleichursprünglichkeit von Differenz und Hierarchie sprechen, verweist Maihofer (1994) auf den „engen dialektischen Zusammenhang von Diskriminieren/Unterscheiden und Diskriminierung/Unterdrückung“ (ebd., 260). Ebenso widmen sich systemtheoretische Ansätze dem Verhältnis von Unterscheidung und Asymmetrien (vgl. Pasero/Weinbach 2003; Pasero 2008). Vor dem Hintergrund dieser Diskussion greift ein Begriff von Geschlecht, der zwar als sozial konstruiert gilt, der aber Prozesse der Verkörperung nicht – oder ausschließlich in seinen reproduktiven Aspekten – in den Blick nimmt, zu kurz.6 Vielmehr sind – so meine These – die Bewegungen und Variationen in der Konstituierung von Körpersubjektivitäten in Betracht zu ziehen, um das Zweigeschlechtermodell auch im Sinne eines Zweikörpermodells (vgl. Dietze 2003) herauszufordern. Den Grund für diese konzeptuelle Leerstelle verorte ich in der Dethematisierung einer materiellen Ebene, die wiederum in dem gedanklichen Ausschluss von Sexualität aus der Analyse zu verorten ist. So bezieht sich zwar Wetterer – die mit ihren differenzierten und innovativen Arbeiten als eine zentrale Protagonistin des sozialkonstruktivistischen Ansatzes innerhalb feministischer Frauen- und Geschlechterforschung zu bezeichnen ist –

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Vgl. zu diesem Aspekt auch Schirmer (2010).

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auf das Argument des Gleichheitstabus nach Rubin (1975), bricht aber ein wörtliches Zitat vor der Aussage, dieses schreibe heterosexuelle Ehen vor, ab (vgl. Wetterer 2001, 207). Ebenso rekurrieren Heintz/Nadai/Fischer/ Ummel (1997) auf das sameness-taboo nach Rubin (1975), aber auch sie gehen der in diesem Text zentral angelegten Spur von Heteronormativität als strukturierendem Prinzip gesellschaftlicher Arbeitsteilung nicht nach. Dieser gedankliche Ausschluss hat zwei Konsequenzen: Die in feministischen Analysen problematisierte Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Bereich wird durch die Dethematisierung von Sexualität und die damit verbundene Verlagerung von Sexualität ins Private beziehungsweise Subkulturelle reproduziert. Und: Heterosexualität bleibt als unmarkierte Norm at work. Um diese Aspekte in den Blick zu nehmen gilt es, das sex/genderSystem erneut zu konzeptualisieren und Sexualität als politischem Feld einen spezifischen Ort einzuräumen. Die folgenden Ausführungen zielen darauf, die Konstituierung einer kohärenten Geschlechtlichkeit im zweikörperlichen Sinne ebenso wie deren Transformation zunächst theoretisch und schließlich empirisch zu betrachten.

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sex/gender… Das Phänomen der Reifizierung von Geschlecht, wie ich es bisher formuliert habe, kann in der Konzeption der Kategorie gender verortet werden, wie Gabriele Dietze (2006) in ihrer kritischen Genealogie des Begriffs7 aufzeigt: „Die Kategorie Gender diente in ihrem Entstehungszusammenhang bei der Intersexualitäts‹korrektur› nicht – wie später in ihrer feministischen Adaptation – der Entmaterialisierung (Ent-Biologisierung) von Geschlecht, sondern sie bildete im Gegenteil die Legitimation von Eingriffen in die Materie.“ (Ebd., 55)

7

Vgl. auch Dietze (2003) im Themenheft Intersexualität und Geschlechterstudien, Die Philosophin, Heft 28 (2003) sowie die umfangreiche historische Studie von Ulrike Klöppel (2010).

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Hierbei bezieht sie sich auf die frühe Geschichte des Begriffs gender und die Funktionalisierung seiner sozialkonstruktivistischen Implikationen für medizinisch-chirurgische Eingriffe an als intersexuell und transsexuell bezeichneten Menschen. Zwar zeige der gender-Konstruktivismus die Produziertheit von gender-Attribuierungen, aber er sei „auch eine Theorie der medizinischen Produzierbarkeit von Geschlecht und damit indirekt Agent der Geschlechtszuschneiderei“ (ebd., 61). Im Zuge dieser „Renaturalisierungspotenz der Kategorie Gender“ (ebd., 65) problematisieren poststrukturalistische Ansätze die sex/gender-Trennung, indem sie die historisch und kulturell spezifischen Vorstellungen eines biologischen Geschlechts selbst beziehungsweise den zugrunde liegenden Begriff von Materialität ins Zentrum ihrer Analysen stellen (vgl. Butler 1991 und 1997; Grosz 1994; Gatens 1995 und 1996). Körpersubjektivitäten, Unsichtbarkeiten und – im Anschluss an die Philosophie Deleuzes – Prozesse des Werdens treten ins Zentrum der Aufmerksamkeit; Geschlechterpraxen werden zu einem Schauplatz sozialer Aushandlungsprozesse und Resultat gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Folgen wir einer poststrukturalistisch inspirierten Epistemologie, dann zeichnet sich Geschlecht als gesellschaftlich bedeutsames Konzept durch eine Zitatförmigkeit aus, wie Antke Engel (2002) in folgender Weise formuliert: „Bedeutung … entsteht aus der Anwendung sprachlicher und sozialer Regeln, Normen und Kodes. Als solche ist sie Teil sozialer Wirklichkeit und entfaltet eben dort Wirksamkeit – nicht zuletzt in Form materieller Effekte.“ (Ebd., 128) Dabei ist die materielle Dimension von besonderer Relevanz: Geschlecht wird nicht nur sprachlich-diskursiv zu einer sozialen Tatsache, sondern findet seinen Ausdruck in der Verkörperung.8 Es ist an die Selbstwahrnehmung und Inszenierung des Körpers gebunden; auch hier wird also dem Theorem der Sichtbarkeit eine prominente Rolle zugeschrieben. Stabilität und Kohärenz in der Erscheinung gelten dabei als Voraussetzung für Wahrnehmbarkeit und Denkbarkeit – von Butler (1991) als kulturelle Intelligibilität bezeichnet – und beziehen sich auf eine angemessene Passung von Körpern. Mit dem Begriff der Angemessenheit betone ich,

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Für eine Fokussierung der leiblichen Dimension von Verkörperung und den Versuch eines Zusammendenkens phänomenologischer und poststrukturalistischer Ansätze vgl. Jäger (2004).

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dass der Prozess des Wahrnehmens von Passung und die darin wirksame Norm kontextabhängig ist und in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären, kulturellen Räumen, historischen Situationen zu unterschiedlichen Ausformulierungen führt. Das heißt auch, dass das Konzept der Passung nicht nach einem dichotomen Prinzip – des entweder/oder – funktioniert, sondern eher einen Bereich des Möglichen absteckt.9 Passung in diesem Sinne unterliegt einer sozialen Bewertung – und somit machtförmigen Aushandlungs- und Veränderungsprozessen. Den Mechanismus dieser Formation zweigeschlechtlicher Ordnung beschreibt Butler (1997) als eine Funktion des Ausschlusses: Die Norm konstituiert sich über das, was kulturell verworfen ist und „beinhaltet zumindest zwei unartikulierte Figuren der verwerflichen Homosexualität, und zwar die des verweiblichten Schwulen [fag] und die der phallizisierten Lesbe [dyke]“ (ebd., 141). Und an anderer Stelle präzisiert sie: „…diese Figuren für Verworfenheit schließen genau die Art komplexer Verschränkungen von Identifikation und Begehren vorab aus, die über den binären Rahmen selbst hinausgehen und ihn in Frage stellen könnten.“ (Ebd., 150)

In dieser Logik stellt sich Intelligibilität nicht nur über einen Bereich des kulturell Verworfenen her, der konstitutiv ist für das, was denkbar erscheint,10 sondern vielmehr über die Dichotomisierung von Hetero- und Homosexualität selbst. Im Folgenden wird es darum gehen, den Blick auf die hier formulierte „Art komplexer Verschränkungen“ – also auf Sexualität als soziale Praxis – zu lenken und in diesem Sinne als politisches Feld in die Analyse von Geschlecht einzubeziehen. …und Sexualität Rubin (2006/1975) versucht in ihrer frühen Arbeit Traffic in Women Konzepte zu entwickeln, „die die soziale Organisation der Sexualität und die

9

Diesen Möglichkeitsraum habe ich anderer Stelle als „politischen Einsatz einer Fotoausstellung“ expliziert (vgl. Wagels 2008a).

10 Für eine kritische Diskussion des konstitutiven Außen bei Butler vgl. etwa Engel (2002).

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Reproduktion der Sex- und Gender-Konventionen adäquat beschreiben“ (ebd., 78). Rubins Einsatz des gender-Begriffs führte in dieser Zeit zu einer Mobilisierung des Denkens von Geschlecht, wie Butler in einem späteren Interview mit Rubin (1997/1994) bemerkt. Butler selbst nimmt dies zum Anlass, den Begriff Geschlecht in ihrer eigenen Arbeit Gender Trouble (1990) weiter zu verunsichern. Traffic in Women und die darin praktizierte sex/gender-Trennung hat demnach – in unterschiedlichsten Weisen – profunden Eingang in feministische Debatten gefunden. In einer späteren Arbeit verschiebt Rubin (2003/1984) ihren Fokus auf das Feld „sexueller Kulturen“ (ebd., 46) und plädiert in Thinking Sex für die – zunächst – getrennte Untersuchung von Geschlecht und Sexualität, denn „obwohl Geschlecht und Sex miteinander verknüpft sind, sind sie nicht identisch und bilden die Basis zweier separater Schauplätze sozialer Praxis“ (ebd., 75). Ihr Interesse gilt jetzt der Existenz und Funktionsweise sexueller Hierarchie. Die von ihr vorangetriebene Entwicklung einer „autonome(n) Theorie und Politik der Sexualität“ (ebd., 77) wiederum bildet einen Ausgangpunkt der queer studies. Rubins Stellungnahmen zu den Grenzen feministischer Theoriebildung in Bezug auf das soziale Feld der Sexualität wurden vielfach als Abkehr oder Revision ihrer früheren Arbeit gedeutet – eine Fehleinschätzung, wie Rubin in dem Interview mit Butler expliziert (vgl. Rubin 1997/ 1994). Hier betont sie die unterschiedlichen politischen Notwendigkeiten, die zu den jeweiligen Analysen geführt haben. Jenseits dieser Theorie- und Rezeptionsgeschichte11 hebe ich zwei Punkte aus den genannten Arbeiten hervor, die für meine weitere Analyse relevant sind: Rubin (2003/1984) benennt eine „semantische Vermischung“ (ebd., 74) von Geschlecht und Sexualität, wie sie im englischen Begriff sex angelegt ist. Dieser bezeichne „zum einen Geschlecht und Geschlechtsidentität, wie im Fall von ‚the female sex‘ oder ‚the male sex‘. Aber zum anderen bezieht sich ‚sex‘ auch auf sexuelle Aktivität, Lust, Geschlechtsverkehr und Erregung, wie in der Formulierung ‚to have sex‘“ (ebd., 74). Diese Komprimierung von Bedeutung in dem Begriff sex wird von Butler (2006/1994) weiter ausdifferenziert und in den jeweiligen Einsätzen analysiert, die feministische und queere Theoriebildung (diskursiv) separieren.

11 Vgl. hierzu Butler (2006/1994); Hark (2006); Schlichter (2005).

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Zudem betont Rubin (2003/1984) zwar die notwendige Autonomie einer Analyse sexueller Hierarchie, die sich von einer Vorstellung von Sexualität als Derivat von Geschlecht frei macht. Zugleich wird schon hier als Perspektive eröffnet: „Auf lange Sicht muss die feministische Kritik der Geschlechterhierarchie in eine radikale Theorie des Sex integriert werden, und die kritische Analyse sexueller Unterdrückung sollte den Feminismus bereichern“ (ebd., 77). Schlichter (2005) arbeitet an dieser Polarisierung heraus, dass es weniger der – dem Feminismus zugeschriebene – Fokus auf Geschlecht selbst als vielmehr das hier zum Einsatz kommende Machtmodell ist, das „der Analyse heteronormativ-binäre Grenzen steckt“ (ebd., 142). Diese selektive Rekonstruktion von als Gründungstexte bezeichneten Konzepten soll die Analyse für ein queering alltäglicher Praktiken öffnen. Während die Arbeitsteilung zwischen gender studies und queer studies12 eine Verlagerung von Sexualität – so meine These – in private respektive subkulturelle Räume bewirkt hat, geht es mir hier darum, den Begriff Geschlecht – in seiner vorgestellten Zweikörperlichkeit – in Bewegung zu bringen, indem ich Geschlechtlichkeit in ihrer Produktivität, Prozessualität und Relationalität in den Blick nehme. Geschlecht de/realisieren Wenn Rubin Geschlecht – in Traffic in Women – wie auch Sexualität – in Thinking Sex – als Unterdrückungsvektoren untersucht, so geht sie grundsätzlich von einem „Konzept positiver sexueller Variation“ (Rubin 2003/ 1984, 37) aus. Sie plädiert dafür, „die politischen Dimensionen des erotischen Lebens anzuerkennen“ (ebd., 79) und bezieht sich darin auf Foucault, der in Wille zum Wissen gezeigt hat, wie ein Allianzdispositiv zunehmend von einem politischen Dispositiv der Sexualität überlagert wird. Diese Analyse bedeute dabei nicht etwa „die Ausschaltung des Körpers, der Anatomie, des Biologischen, des Funktionellen“ (Foucault 1983, 180), was einem repressiven Machtmodell entspräche. Ziel der Untersuchung sei vielmehr, zu zeigen, „wie sich Machtdispositive direkt an den Körper schalten – an Körper, Funktionen, physiologische Prozesse, Empfindungen, Lüste“ (ebd.).

12 Vgl. hierzu auch Raab (2004; 2005).

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Dieser Gedanke findet sich in vielfältigen feministischen Körperkonzeptionen, die Variationen und Transformationen in Bezug auf hegemoniale Ordnungssysteme untersuchen. Gatens (1995) etwa fasst die gesellschaftliche „Zweiteilung eines Feldes multipler Körper“ (ebd., 49) als normative Organisation von Geschlecht: Diese „stellt Weiblichkeit (Frausein) als etwas dar, das körperlich (und affektiv) in ein nicht-wechselseitiges (passiv-aktives) Verhältnis der Gewalt gezwängt ist“ (ebd., 50). Auch Biddy Martin (1996/1992) verweist auf die spezifischen Verteilungen von Macht, Autonomie, Bindung und Verletzbarkeit, die performative Realisierungen oder Verkörperungen von Weiblichkeit respektive Männlichkeit bedeuten und die es in ihren restriktiven Bedingungen zu rekonfigurieren gilt (vgl. Martin 1996/1992, 74). Vor dem Hintergrund eines ethologischen Körperkonzepts, wie es Gatens (1995; 1996) entwickelt, zeigt sich die gesellschaftliche Organisation von Körpern etwa darin, dass typische Geschwindigkeiten beziehungsweise die Langsamkeit der Entfaltung einer Berufslaufbahn den Lebensrhythmen eines Mannes eher entspricht: „Die Geschwindigkeiten und Rhythmen des öffentlichen Bereichs und der Wirtschaft bevorzugen männliche Körper und ihre Affekte und sind der Geschwindigkeit/Langsamkeit der Frau, wie sie derzeit konkret gegeben sind, abträglich.“ (Gatens 1995, 50 f., Herv. KW)13

Hier verorte ich das kritische Potential einer Analyse der materiellen Ebene, ohne hinter die Erkenntnisse der gesellschaftlichen Konstituiertheit eines Begriffs von Natur zurückzufallen. Die gesellschaftliche Konstituiertheit ist vielmehr als „eine Organisationsstrategie der Körper und ihrer Mächte und Fähigkeiten“ (ebd., 36) zu beschreiben, wobei Gatens mit Bezug auf Fou-

13 Als Beispiel führt sie die gesellschaftliche Organisation von Phänomenen wie Schwangerschaft und Geburt an, die zu einer Zeit im Lebensverlauf stattfinden, in der Männer ihre Position im Berufsleben festigen. Zu diskursiven Praktiken und Wirkmacht eines gesellschaftlichen Konzepts des Stillens vgl. Ehnis (2008).

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cault „die Wechselbeziehungen der Biologie zu allen anderen Wissenschaften vom Menschen“ (ebd., 36) betont.14 Sexualität – im Sinne Foucaults als Machtdispositiv, das sich direkt an den Körper schaltet – ist je nach Analysefokus in unterschiedlichen Nuancen beschreibbar. Während Gatens ein relationales Modell zeichnet (im Sinne eines Affizierens und Affiziertwerdens), betont Butler mit Sexualität die öffentliche Dimension des Individuums (im Sinne eines ‚anderen ausgesetzt sein‘). Der Unterschied liegt in den zugrunde gelegten philosophischen Körperkonzeptionen: Butler orientiert sich bei ihrer dekonstruktivistischen Analyse von Materialität stark an Foucault und Derrida, Gatens wie auch Grosz/Probyn (1995) favorisieren Modelle, die sich auf den Begehrensbegriff bei Deleuze und Guattari beziehen. Zentrale theoretische Konzepte sind einerseits Intelligibilität/Performativität und andererseits Korporealität/Werden (vgl. Cheah 1996).15 In diesen Modellen wird davon Abstand genommen, Differenzen auf Relationen von Unterwerfung und Beherrschung zu reduzieren. Die mit diesem Denken verknüpfte Ethik – auf Spinoza zugreifend – bezieht sich eher auf eine Steigerung menschlicher Kapazitäten und darauf, „Begegnungen auf der Grundlage gegenseitig förderlicher Relationen auszuwählen“ (vgl. Gatens 1995, 52). Hier sehe ich das spezifische Potential einer queer-feministischen Analyse, die die Ebene des Materiellen in die Prozesse der sozialen Konstruktion involviert – und in Bewegung bringt. Empirisch konzipiere ich diese Prozesse als Modi der Selbstbearbeitung, denen in konkreten (Mouffe) und singulären Praxen (Probyn)16 nachzugehen ist.

14 Zum zentralen Stellenwert der Biologie siehe auch Fausto-Sterling (2002; 2000/1999) sowie die aktuelle Diskussion in Voß (2011). 15 Zu den unterschiedlichen Implikationen der Begriffe Lust versus Begehren in den Ansätzen Deleuzes und Foucaults vgl. Deleuze (1996). 16 Vgl. zu dieser Perspektive die Analysen von Lorenz/Kuster (2007) sowie die Untersuchungsstrategie von Precarias a la Deriva (2007).

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( WIDERSTÄNDIGE ) K ÖRPERPRAXEN

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Von Geschlecht als Konstruktion zu sprechen bedeutet, sowohl die regulierenden, einschränkenden wie auch die produktiven, ermöglichenden Momente dieser Kategorie zu fokussieren. Kulturelle Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit werden zu variablen Bezugsgrößen, die jedoch in Form gesellschaftlicher Anerkennungsprozesse ihre Wirksamkeit entfalten: Weibliche respektive männliche Attribute – in der Folge als Femininität beziehungsweise Maskulinität gefasst – bedeuten also in Abhängigkeit von ihrer Realisierung in einem als ‚männlich‘ respektive als ‚weiblich‘ bezeichneten Körper etwas anderes (vgl. Gatens 1996). Es gelten unterschiedliche Standards: „It is not masculinity per se that is valorized in our culture but the masculine male.“ (Gatens 1996, 15) Die Rede von der Natur der Geschlechter stellt eine Argumentationsfigur bereit, um Grenzziehungen zu legitimieren und in konkreten Praxen umzusetzen: „Das ‚biologische Geschlecht‘ ist demnach also ein regulierendes Ideal, dessen Materialisierung erzwungen ist, und zu dieser Materialisierung kommt es (oder kommt es nicht) infolge bestimmter, höchst regulierter Praktiken. Anders gesagt, das ‚biologische Geschlecht‘ ist ein ideales Konstrukt, das mit der Zeit zwangsweise materialisiert wird. Es ist nicht eine schlichte Tatsache oder ein statischer Zustand eines Körpers, sondern ein Prozess, bei dem regulierende Normen das ‚biologische Geschlecht‘ materialisieren und diese Materialisierung durch eine erzwungene ständige Wiederholung jener Normen erzielen.“ (Butler 1997, 21)

Verstehen wir Kodierungen als ‚weiblich‘ oder als ‚männlich‘ im Sinne imaginärer Zeichen, die sich am und mit dem Körper realisieren, so soll der Körper hier als Ort der Wissensproduktion und Transformation in den Blick genommen werden. Mit den differenzierten theoretischen Diskussionen um sozialkonstruktivistische Ansätze hat sich auch das politische Feld verändert, in dem Inter- und Transsexualität als Phänomene erscheinen und diskutiert werden.17 Geschlecht wird zum umkämpften Terrain, auf dem das Konzept

17 Vgl. hierzu die differenziert geführten Diskussionen in den Sammelbänden: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (2005) (Hg.): 1-0-1 intersex. Das Zweigeschlech-

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heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit18 herausgefordert wird. Transgender ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die sich nicht eindeutig dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht zuordnen – oder zuordnen lassen. Transgender-Kontexte lassen sich dementsprechend als gesellschaftliche Räume fassen (vgl. Haase/Siegel/Wünsch 2005; Halberstam 2005), die sich durch eine „offensive Politik der Überschreitung und der Leidenschaft“ (Herrmann 2003, Abs. 8) auszeichnen. In diesen Räumen wird nicht nur die Sichtbarkeit eines Jenseits der zweigeschlechtlichen Ordnung erzeugt – sondern wird auch ein ‚anders‘ Sichtbar-Werden, mit Betonung auf den Prozess des Werdens, möglich (vgl. Schirmer 2007; 2010). Aus dieser Auseinandersetzung heraus entstehen gesetzespolitische Initiativen, etwa um den gesellschaftlichen Umgang mit Inter- und Transsexualität (vgl. Neue Gesellschaft für Bildende Kunst 2005; Polymorph 2002). Die bewusste Auseinandersetzung, Aneignung und Umarbeitung von Geschlechtlichkeit und die Schaffung kollektiver öffentlicher Räume stellen dabei einen Ausgangspunkt dar, die in sozialkonstruktivistischen Ansätzen perpetuierte ‚Sichtbarkeit‘ des Geschlechtskörpers in den Blick zu nehmen: „Weil Verbote aber nicht immer ‚wirken‘ oder nicht immer den unterwürfigen Körper erzielen, der mit dem sozialen Ideal vollständig übereinstimmt, können sie Körperoberflächen umreißen, die nicht die konventionellen heterosexuellen Polaritäten zum Ausdruck bringen. Diese veränderlichen Körperoberflächen oder körperlichen Ichs könnten demzufolge zu Übertragungsstellen für Eigenschaften werden, die nicht mehr richtig zu irgendeiner Anatomie gehören.“ (Butler 1997, 99)

Kessler/McKenna (2000) beschreiben diese politischen Veränderungen anhand ihrer persönlichen Forschungserfahrung, indem sie betonen, Mitte der 1970er Jahre wäre ihnen nicht in den Sinn gekommen, dass es Personen ge-

tersystem als Menschenrechtsverletzung (2005) sowie Polymorph (Hg.): (K)ein Geschlecht oder viele? Transgender in politischer Perspektive (2002); siehe auch Klöppel (2010) und Voß (2011); ebenso die wissenschaftlichen wie politischen Aktivitäten im Transgender Netzwerk Berlin (http://www.tgnb.de, eingesehen am 30.9.2010) wie auch in dem Verein TransInterQueer e.V. in Berlin (http:// www.transinterqueer.org, eingesehen am 15.10.2012) 18 Vgl. zu den US-amerikanischen Debatten Wiegman (2006); Jackson (2006).

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ben könnte, die keine glaubhafte gender-Präsentation zeigen oder sogar andere mit Widersprüchlichkeiten und Inkohärenzen konfrontieren würden: „In other words, we did not address what has come to be called ‚transgender‘“ (ebd., Abs. 4). Trotz dieser Entwicklungen zeichnen sie ein eher pessimistisches Bild; zu hegemonial erscheint ihnen das gesellschaftliche Denken einer gender-Dichotomie. Wenn sie abschließend betonen, „the next challenge is understanding why“, so ist diese Frage – ganz im Sinne Haraways – nur auf einer epistemologischen Ebene zu beantworten: Wie bislang hergeleitet, reicht der Fokus auf gender als soziale – und veränderliche – Konstruktion nicht aus, um das hegemoniale Zweigeschlechtermodell, das in den machtvollen Begriffen eines Zweikörpermodells operiert, zu destabilisieren. Vielmehr gilt es, die Aufmerksamkeit auf die Modi der Selbstbearbeitung und die Potentiale widerständiger Körperpraxen zu lenken. Die gesellschaftliche Abwertung des Weiblichen stellt dabei einen kontinuierlichen Topos feministischer Forschung und Analyse dar und findet sich in Formen der gesellschaftlichen Organisation des Ökonomischen wieder. Transgender als Selbstbezeichnung und Praxis birgt das Potential, die gesellschaftlichen Organisationsstrategien von Körpern sichtbar zu machen – und zu einem queering im Sinne umfangreicher Durchquerungen beizutragen.



Der eigene Blick „The published word is not the final one, but only a pause in the never-ending process of generating theory.” GLASER/STRAUSS (1967, 40)

Prozesse der Wissensproduktion vollziehen sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten, von denen die Wissenschaft im engeren Sinne nur ein mögliches Feld darstellt. Ihre häufig auf das Sprachliche eingegrenzten Diskursarenen und institutionalisierten Publikations-weisen – in der Regel im geschriebenen Wort, das auf diese Weise zirkuliert – lassen den Umstand in den Hintergrund treten, dass auch die Forschenden selbst gesellschaftlich positioniert sind und von hier aus auf einen Phänomenbereich schauen. Dieser Blick ist bedingt durch (verkörperte) Erfahrungen und (theoretische) Entscheidungen, die ein Phänomen – als untersuchenswert – erst zum Erscheinen bringen. Diesem Prozess, der meine empirische Untersuchung anleitet, soll hier nachgegangen werden. Ausgangspunkt ist – wie vorangehend entwickelt – eine bemerkenswerte Vergegenständlichung oder Verobjektivierung des Denkens und Wahrnehmens von Geschlecht, auch innerhalb der Geschlechterforschung: Während einerseits sozialkonstruktivistische Ansätze den Fokus auf die Herstellungsprozesse von Geschlecht – im Sinne eines doing gender – lenken, scheint es andererseits ebenso notwendig wie schwierig, über das hegemoniale Konstrukt heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit hinaus zu denken. Begründet wird diese Schwierigkeit mit der gesellschaftlichen Wirkmacht, die das Konstrukt zweier sich ausschließender und wechselseitig aufeinander bezogener Geschlechter in der – auch körperlichen – Selbstwahrnehmung von Forschenden wie Beforschten entfaltet. Sie kann also – auch – in

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dem subjektiven Blick der Forschenden verortet werden, die von einer spezifischen gesellschaftlichen Geschlechterposition aus ‚wahr‘nehmen und sprechen. Das beziehungsreiche Spannungsfeld, das hier zwischen Forschungssubjekt und Forschungsobjekt sichtbar wird, führt – ganz in der Linie feministischer Wissenschafts- und Erkenntnistheorien – zu der Frage, wie ‚andere‘ Praxen des Umgangs mit Geschlecht in den wissenschaftlichen Diskurs eingespeist werden können, ohne als ‚das Andere‘ die Norm (der zweigeschlechtlichen Ordnung) wiederum zu bestätigen. Im Folgenden stelle ich das Potential der Grounded Theory als wissenschaftstheoretisch begründetem Forschungsstil sowie verschiedene Verfahren der Datenerzeugung zur Diskussion. Der Forschungsbeziehung kommt darin ein spezifischer Stellenwert zu: Wird diese Beziehung als eine konzeptualisiert, in der Forschende gemeinsam auf den Phänomenbereich – ‚Geschlecht in Arbeit‘ – schauen, dann sind gefragte Personen wie auch Fragende als aktiv Forschende an diesem Prozess der Wissensproduktion beteiligt. Ein so verstandenes Wissen schaffendes Tun – so das abschließende Resümee – ist eine soziale Aktivität, die im Feld gesellschaftlichen – und im engeren Sinne wissenschaftlichen – Wissens neue Konfigurationen aufruft. Die Effekte dieses Tuns können ebenso regulierend wie auch ermöglichend sein und hängen von gesellschaftlichen Kontexten ebenso wie von den Interessen der am Forschungsprozess Beteiligten ab. In diesem Sinne ist die empirisch-deskriptive Ebene nicht von einer theoretisch-konzeptuellen Ebene zu trennen (vgl. Rubin 1997/1994) – der Prozess des Zusammenwirkens ist vielmehr das, woran die Potentialität einer Grounded Theory zu messen ist.

G ROUNDED T HEORY „Am Anfang steht nicht eine Theorie, die anschließend bewiesen werden soll. Am Anfang steht vielmehr ein Untersuchungsbereich – was in diesem Bereich relevant ist, wird sich erst im Forschungsprozess herausstellen.“ STRAUSS/CORBIN (1996, 7 F.)

Wenn ich als Forschungsdesiderat den Körper als Ort der Wissensproduktion und Transformation – und im engeren Sinne die Modi der Selbstbe-

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arbeitung und Potentiale widerständiger Körperpraxen – bestimmt habe, so soll es hier darum gehen, einen methodischen Zugang zu diesem Untersuchungsfeld zu erlangen. Was ich in meiner Untersuchung vermeide, ist ein als deduktiv zu bezeichnender Ansatz, der darauf ausgerichtet ist, eine Auswahl unter bestehenden körpertheoretischen Konzeptionen zu treffen und diese an der Empirie zu ‚prüfen‘ oder auszudifferenzieren – auch wenn ein solches Vorgehen anregendes und erkenntnisförderndes Anliegen einer Untersuchung sein kann und vielfach in der Produktion herrschaftskritischen Wissens zum Einsatz kommt. Die von mir in der theoretischen Auseinandersetzung entwickelte Fragestellung ist allerdings anders gelagert: Ausgangspunkt meiner empirischen Studie ist, offen an den Phänomenbereich ‚Geschlecht in Arbeit‘ heranzugehen und ihn aus einer bestimmten Perspektive – im Sinne einer Generierung situierten Wissens (Haraway) – zu konzeptualisieren. Beziehen sich sozialkonstruktivistische Ansätze zum Themenfeld ‚Geschlecht in Arbeit‘ auf das Alltägliche – und darin auf die Reproduktionsweisen eines gesellschaftlichen common sense, so wird hier der Blick auf Ambiguitäten und Vieldeutigkeiten in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung wie auch auf gewusste1 Durchquerungen der zweigeschlechtlichen Ordnung gelenkt. Auch wenn dieser fragende Blick theoretisch geleitet ist, ist die Untersuchung selbst als induktiv-deduktives Wechselspiel angelegt und führt zu empirisch fundierten theoretischen Aussagen. Grounded Theory kann dabei zunächst als „wissenschaftstheoretisch begründeter Forschungsstil“ (Legewie 1996, VII) bezeichnet werden, der Empirie und Theoriebildung in ein spezifisches Verhältnis setzt. Die Komplexität dieses Ansatzes kommt zunächst in den vielfältigen Übersetzungen zum Ausdruck: Die Rede ist von ‚in empirischen Daten gegründeter‘ Theorie, von ‚gegenstandsbezogener‘ oder ‚datenbasierter‘ Theorie oder auch von ‚gegenstands- oder datenverankerter Theoriebildung‘. Die Doppelbedeutung von Verfahren forschenden Tuns einerseits und Resultat forschenden Tuns andererseits wird in einer Beschreibung Strübings (2004) akzentuiert, wenn er Grounded Theory mit Bezug auf den pragmatistischen Hintergrund Anselm Strauss‘ als „aktivistische, durch Handeln, d. h. Arbeiten, hervorgebrachte Bedeutung von Objekten“ (ebd., 13) konzipiert. Diese

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Im Sinne von implizitem sowie explizitem Wissen.

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Auffassung von empirischer Sozialforschung als „praktische, interaktiv zu bewältigende Tätigkeit“ (ebd., 14) beruht auf einem „von Strauss präferierten dialektischen Begriff von Arbeit: Gegenstand und sich damit forschend befassende Akteure stehen in einer Wechselbeziehung, in der beide einander verändern“ (ebd., 15). Strauss spreche auch von einer Kunstfertigkeit im wissenschaftlichen Forschen, womit „die Unabdingbarkeit der subjektiven Leistung in der Forschungsarbeit insgesamt (also nicht beschränkt auf das Verstehen) herausgestellt und zugleich die Möglichkeit einer methodischen Unterstützung und Rahmung kreativer Prozesse behauptet [wird].“ (Ebd., 17)

An dieser Stelle soll kurz auf die Ursprungserzählung zum großen gemeinsamen Werk von Glaser und Strauss eingegangen werden, wie sie von Strübing (2004) rekonstruiert wird, da sie einen zentralen Punkt in der Konzeptualisierung empirischer Forschungsarbeit benennt: Während The Discovery of Grounded Theory (1967) auf einer „pointierten und wohlbegründeten Kritik an einer positivistisch-funktionalistischen, an den Kriterien ‚objektiver‘ Wissenschaften orientierten Sozialforschung“ (Strübing 2004, 65) als kleinstem gemeinsamen Nenner der beiden Autoren basiert, trennen sich ihre Wege in der Folge. Das Zerwürfnis viele Jahre später bezieht sich insbesondere auf den Stellenwert von Theorie im Verhältnis zu Daten: Während Glaser von einem Emergenzmodell ausgehe, dessen Ziel sei, „Theorie aus den empirischen Daten – und nur aus ihnen – ‚ungezwungen‘ emergieren zu lassen“ (ebd., 65), entwickle Strauss „ein dialektisches Verhältnis von Theorie und Empirie und kann damit die Existenz und den notwendigen Gebrauch von theoretischem Vorwissen schlüssig in sein Verfahren integrieren“ (ebd., 72). Es gibt AutorInnen, die die polarisierende Darstellung der beiden Ansätze wiederum relativieren: So arbeitet Kelle (2005) heraus, dass bereits in der ersten Version von The Discovery of Grounded Theory zwei differierende Konzeptualisierungen des Verhältnisses von Daten und Theorie angelegt seien: „On the one hand the idea is stressed that theoretical concepts ‚emerge‘ from the data if the researcher approaches the empirical field with no preconceived theories or hypo-

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theses, on the other hand the researcher is advised to use his or her previous theoretical knowledge to identify theoretical relevant phenomena in the data.“ (Ebd., Abs. 48)

Er kommt zu der Einschätzung, dass die späteren Arbeiten beider Autoren als Versuche anzusehen sind, dieses Dilemma zu lösen – oder zumindest einen forschungspragmatischen Umgang damit zu finden. Wie Legewie (2006) in seiner Rezension Strübings (2004) betont, lädt diese „Kontroverse bezüglich der Grounded Theory“ (Legewie 2006, Abs. 61) zu weiteren – auch international zu führenden – Diskussionen ein, die an dieser Stelle nicht vertieft werden. Festzuhalten bleibt vielmehr, dass die unterschiedlichen Wege, die beide Wissenschaftler seit dem Erstwerk gegangen sind, im Zuge des von Strauss gemeinsam mit Corbin erarbeiteten Bands Basics of Qualitative Research. Techniques and Procedures for Developing Grounded Theory (1990; deutsch 1996) manifest werden. Dieser von Strauss repräsentierte Ansatz bleibt Referenzpunkt für das Design der vorliegenden Studie. Anschlussstelle bietet die gemeinsam mit Corbin konzeptualisierte Integration von wissenschaftlich-theoretischem und alltagspraktischem Vorwissen wie auch beruflichen und persönlichen Erfahrungen in den gesamten Forschungsprozess; nicht etwa als zu kontrollierende Größe, sondern als positiv bewertete Anregung und Sensibilisierung bereits in der Phase der Datenerzeugung.2 Demgegenüber birgt das Emergenzmodell nach Glaser die Tendenz eines selbstreferentiellen Systems in sich: Indem die in den Forschungsprozess eingehenden – auch kritischen – Prämissen erst zu einem späteren Zeitpunkt der Datenanalyse zum Thema gemacht werden, können sie an der Perpetuierung theoretischer wie auch alltagspraktischer Vorannahmen mitwirken. In diesem Sinne folge ich der pointierten Argumentation Strübings (2004), „dass Konzepte und Kategorien also nicht emergieren, sondern vielmehr in einem aktiven und – hoffentlich – kreativen Prozess durch Zutun der Forschenden erzeugt wird“ (55, Herv. KW).

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Diesem Punkt haben Strauss und Corbin (1996) mehrere Kapitel – unter den Titeln ‚Theoretische Sensibilität‘, ‚Der Einsatz von Literatur‘ und ‚Techniken zum Erhöhen der theoretischen Sensibilität‘ – eingeräumt.

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D ATENERZEUGUNG An dieser Stelle bieten sich einige Bemerkungen zum Wissenschaftsverständnis3 an, wie es in dieser Studie – gerade auch phänomenbezogen – angelegt ist. Bereits Schütz (2004/1953) unterscheidet Begriffe I. Ordnung, die zwar Alltagssprache und dennoch theoriegeladen sind, von Begriffen II. Ordnung, mit denen die Forscher_in Datenmaterial konzeptualisiert und in diesem Sinne theoretische Richtungen in die Darstellung respektive Rekonstruktion einbringt. Dabei stellt schon der common sense eine „Konstruktion höchst komplizierter Natur“ (ebd., 157) dar, die in der sozialwissenschaftlichen Tätigkeit zu einer Konstruktion II. Grades – „in Übereinstimmung mit den Verfahrensregeln seiner Wissenschaft“ (ebd., 159) – transformiert wird. Von Interesse ist die gezeichnete Figur des „Beobachters“ (ebd., 177 f.) und spezifischer des Sozialwissenschaftlers als desinteressiertem Beobachter (ebd., 188 f.): „Der Sozialwissenschaftler [sic! KW] löst sich […] von seiner biographischen Situation in der Sozialwelt mit dem Entschluss, die desinteressierte Einstellung des wissenschaftlichen Beobachters anzunehmen, […] was auf einer Ebene höchst relevant zu sein scheint, kann auf der anderen völlig irrelevant werden.“ (Ebd., 188)

Bemerkenswert ist die klare Scheidung der Ebenen, die Schütz damit erklärt, dass „der Sozialwissenschaftler kein ‚Hier‘ in der Sozialwelt hat, genauer gesagt, er betrachtet seine Position in der Sozialwelt und das daran geknüpfte Relevanzsystem für sein wissenschaftliches Unterfangen als irrelevant. Sein verfügbarer Wissensvorrat ist der corpus seiner Wissenschaft, und er muss diesen als selbstverständlich annehmen.“ (Ebd., 190)

Diese Denkweise fortführend separiert auch Luckmann (2003) ein wissenschaftliches Relevanzsystem von dem der Alltagswelt, in der Phänomene

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Meinen Dank an Mechthild Bereswill für den Hinweis auf den passgenauen Text von Elias und an Agnieszka Zimowska für den grundlegenden Text von Luckmann.

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zunächst in der ‚natürlichen Einstellung‘ – als unhinterfragte Wirklichkeit – wahrgenommen werden. Demgegenüber beschreibt er die Entwicklung einer ‚theoretischen Einstellung‘ als notwendig zu vollziehende Distanzierung vom empirischen Feld, was in der Folge „eine Befragung der pragmatischen Fraglosigkeiten in Gang setzen“ kann (ebd., 23). Das Verhältnis von ‚alltäglichem Wirklichkeitsbereich‘ und ‚Denken in Distanz‘ wird als graduelles gedacht, an dessen imaginiertes wissenschaffendes Ende die Ausklammerung alltäglicher Wirklichkeiten steht: „Für die Zeit des in dieser Einstellung vollzogenen Denkens kann sogar das eigene Selbst in seiner Leiblichkeit, Anfälligkeit und Endlichkeit ausgeklammert werden: Man denkt in Distanz. Damit wird die eigene Interessenlage, obwohl sie ursprünglich den Übergang in die theoretische Einstellung auf die eine oder andere Weise veranlasst haben mag, für das Denken und seine Ergebnisse ausgeklammert.“ (Ebd., 23)

Hier drängen sich kritische Fragen nach dem Einfluss der Forschenden auf – nicht nur in Bezug auf die Konstruktion eines Phänomenbereichs, sondern darüber hinaus auch als „unverzichtbares Erkenntnismittel qualitativer Sozialforschung“ (Bereswill 2003, 527). Diese Fragen werden innerhalb des Grounded Theory-Ansatzes auf spezifische Weise beantwortet, worauf ich im nächsten Abschnitt zurückkomme. An dieser Stelle werde ich zunächst einen Gedanken Luckmanns aufnehmen und fortführen: Analog zur ‚natürlichen Einstellung‘ „steht natürlich auch das theoretische Denken des einzelnen Menschen in Bezug zum gesellschaftlichen Wissensvorrat – mehr, es ist weitgehend aus ihm abgeleitet“ (Luckmann 2003, 23). Das Problem der Sozialwissenschaften verortet er nun in der „adäquaten Übersetzung von (umgangs-) sprachlichen Gegebenheiten in (wissenschafts-)sprachliche Daten“ (ebd., 26). Dieses Dilemma, das sich forschend Handelnden im Sinne unterschiedlicher Diskursarenen – mit eigenen, wenn auch nicht voneinander unabhängigen Logiken und Geschichten – stellt,4 wird in differenzierter Weise von Elias (2003/1956) diskutiert. Indem er den Begriff der Distanz in ein dynamisches Verhältnis zum Begriff des Engagements setzt und dieses in komplexer Weise ausleuchtet (vgl. ebd., 126 ff.), vermeidet er sowohl eine Stillstellung der forschenden Haltung in

4

Diesen Aspekt habe ich anderer Stelle weiter ausgeführt (vgl. Wagels 2010).

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die eine oder andere Richtung wie auch eine unilaterale – und implizit bewertete – Bewegung von alltäglichem hin zu wissenschaftlichem Denken. In der vorliegenden Studie macht es Sinn, die eigene Position im Feld mit Bezug auf Elias als engagierte Distanz offen zu halten. Zunächst gibt es Erfahrungen, die die Forscher_in mit den interviewten Personen teilt. Neben der allgemeinen Ebene, zu wissen, was es heißt, ‚sexuell zu arbeiten‘ (vgl. Lorenz/Kuster 2007), in diesem Fall: „unter dem Namen ‚Frau‘“ (Lorenz/Kuster 2007, 237) wahrgenommen zu werden und positioniert zu sein, ist die Untersuchung selbst aus einem Handlungsfeld heraus entstanden: Als Alltagsperson in queer-feministische Kontexte und spezifische Körperpraxen involviert, die ein Changieren wie auch einen Einblick in unterschiedliche geschlechtliche Selbstpositionierungen bedingen, haben sich meine Forschungsfragen – im Verbund mit politischen Aktivitäten und theoretischen Debatten – in eben diesem Handlungsfeld entwickelt. Dieses zeichnet sich durch hohe Reflexivität wie auch durch wissenschaftlichtheoretische Expertise aus: Gerade im Feld von Transgender ist ein sich verändernder gesellschaftlicher Umgang mit Transgeschlechtlichkeit zu verzeichnen, der mit kritischen Theorieproduktionen ebenso einher geht wie mit einer „offensive(n) Politik der Überschreitung und der Leidenschaft“ (Herrmann 2003, Abs. 8). Festzuhalten ist, dass eine Vielzahl relevanter Forschungsarbeiten aus dem Feld selbst hervorgeht.5 Um nun einem pointierten Anspruch an qualitativ Forschende im sozialen Feld nachzukommen, nämlich „die Dramaturgie des eigenen Handelns im Feld zu durchschauen“ (Bereswill 2003, 518), so ist für die vorliegende Untersuchung zu konstatieren, dass die Herausforderung an die Forscher_in weniger der Zugang oder die Nähe zum Feld war, sondern vielmehr in den

5

Vgl. hierzu die wissenschaftlichen Aktivitäten und politische Vernetzung der Protagonist_innen im Transgender Netzwerk Berlin (http://www.tgnb.de, eingesehen am 30.9.2010), ebenso in dem Verein TransInterQueer e.V. in Berlin (http://www.transinterqueer.org, eingesehen am 15.10.2012) sowie die zuvor genannten Publikationen zum Ausstellungsprojekt 1-0-1 intersex (NGBK 2005) und Polymorph (2002). Einen sehr differenzierten Überblick über Geschichte und aktuelle Diskussionen um Transsexualität, Posttranssexualität und Transgender als Kritik an einer zweigeschlechtlichen Ordnung verschafft Bauer (2009).

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Prozessen der Distanzierung lag. Engagierte Distanz als Selbstpositionierung meint hier, die Gradwanderung zwischen unterschiedlichen Relevanzsystemen wie auch – oder gerade – deren Ineinandergreifen zu reflektieren und gezielt einzusetzen. Wenn etwa Strauss und Corbin (1996) dazu auffordern, „Forschung zu betreiben, die sowohl für professionelles als auch Laienpublikum von Nutzen sein könnte“, sowie Theorie zu entwickeln, die eine „treffende Repräsentation der Wirklichkeit darstellt“ (ebd., 10), so verweisen sie bereits auf das Ineinandergreifen wissenschaftlich-theoretischer und alltagspraktischer Wissensweisen. „Die Spur der Arbeitsteilung, die sie als separate Wirklichkeit definiert“ (Rancière 2006, 86) wird dabei die folgende Darstellung meiner Vorgehensweise anleiten. Theoretisches Sampling Erkenntnisinteressen und Untersuchungsfragen entwickeln sich wie beschrieben aus persönlichen Erfahrungen, gesellschaftlichen Positionierungen wie auch theoretischen Auseinandersetzungen – wobei diese Ebenen aufeinander bezogen zu denken sind. Sie bilden den jeweils spezifischen Blickwinkel einer „theoriegeleiteten Datenerhebung (theoretical sampling)“ (Strauss/Corbin 1996, 35), die sich auf einen für die Forschungsfrage relevanten Phänomenbereich bezieht. Dabei „sampelt man Ereignisse und Vorfälle, die Indikatoren für theoretisch relevante Konzepte sind. Personen, Orte und Dokumente stellen lediglich die Mittel dar, diese Daten zu erhalten“ (ebd., 164 f.). In diesem Sinne ist das theoretische Sampling, wie es hier verstanden wird, nicht exklusiv an die sukzessive Auswahl von Interviewpersonen oder Dokumenten gebunden, sondern kann auch innerhalb eines vorhandenen Materialkorpus’ praktiziert werden: „Da wir nach Ereignissen und Vorfällen suchen, die Indikatoren für Phänomene sind und nicht etwa Individuen oder Orte an sich zählen, kann sich jede Beobachtung, jedes Interview oder Dokument auf vielfache Beispiele für diese Ereignisse beziehen.“ (Ebd., 161, Herv. KW)

Die vorliegende empirische Untersuchung widerständiger Körperpraxen umfasst Interviews mit Menschen, die ein Spektrum sexuell-geschlechtlicher Lebensweisen aufmachen. Die Auswahl vollzog sich zunächst über unterschiedliche Selbstpositionierungen im sexuell-geschlechtlichen Raum sowie

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über den aktiven Part, den sie in der Strukturierung eines politischen Feldes einnehmen: Die gefragten Personen initiierten und organisieren Gruppen und Treffpunkte wie etwa Stammtische, oder sie betreiben aktives Networking in lesbischen und/oder transgeschlechtlichen Kontexten. Trotz unterschiedlicher Motivationen, identitätspolitischer Ausrichtung und Positionierung kann die gewusste6 Auseinandersetzung mit Sexualität und/oder Geschlechtlichkeit und die Schaffung eines kollektiv instituierten, öffentlichen Raums als Gemeinsamkeit in den Interviews angesehen werden. Von Interesse sind dabei weniger die Körperpraxen in subkulturellen Settings – diese bestimmen eher die Auswahl – als vielmehr der Blick auf Regulierungsweisen und Transformationspotentiale von ‚Geschlecht in Arbeit‘, d. h. das Ineinandergreifen von Körpersubjektivitäten und Erwerbsarbeitskontexten. Das Sampling der ersten drei interviewten Personen, die alle einen Stammtisch (unter den Bezeichnungen Transmann-, Drag King-, FemmeStammtisch) initiiert haben, kann als theoriegeleitet angesehen werden, da an diesen Orten Raum für Selbstverständigungs-, Reflektions- wie auch Werdensprozesse in Bezug auf Geschlecht geschaffen wird. Die Bezeichnungen markieren spezifische Selbstpositionierungen, die allerdings erst in Aushandlungsprozessen ihre Bedeutung erlangen sowie Veränderungsprozessen unterliegen. Das berufliche Spektrum der drei Personen umfasst den sozialen Bereich mit Praxiserfahrungen in der Arbeit mit Jugendlichen sowie den klinischen Bereich aus der Perspektive einer körpertherapeutischen Tätigkeit. Diese Berufsfelder werden erweitert – sowohl hinsichtlich der sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierung wie auch der beruflichen Erfahrungen – um das Interview mit einer Person, die ‚als Mann‘ positioniert im höheren Managementbereich gearbeitet hat und an einem bestimmten Punkt ihres Lebens entscheidet, diese Geschlechterposition in ihrer Eindeutigkeit zu verlassen. Kontrastiert werden ihre Erfahrungen mit dem Interview einer fünften Person, die ebenfalls im höheren Managementbereich arbeitet, allerdings ‚als Frau‘ positioniert, und im Netzwerk lesbischer Managerinnen und Führungskräfte organisiert ist.

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Im Sinne von implizitem wie explizitem Wissen.

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Expert_innen-Interviews Das Datenmaterial der Untersuchung umfasst neben Feldnotizen und Memos, die nur vermittelt – als Hintergrundwissen – in die Analyse einfließen, ausführliche und detaillierte Expert_innen-Interviews, die ich nach Bogner/Menz (2005) als theoriegenerierend bezeichne. Im Vordergrund der Gespräche steht nicht das Wissen der Personen als Expert_innen für sich selbst, denn dies entspräche einem qualitativen „Interview mit einer besonderen sozialen Gruppe“ (ebd., 46) und würde eine Perspektive konstituieren, die an dieser Stelle nicht eingenommen werden soll. Das theoriegenerierende Expert_innen-Interview bietet vielmehr die Möglichkeit der „Rekonstruktion und Analyse einer spezifischen Wissenskonfiguration“ (ebd., 46). Die Autoren benennen in ihrer Diskussion des Expert_innen-Begriffs eine explizit politische Dimension, wenn sie konstatieren: „Nicht die Exklusivität des Wissens macht den Experten [sic! KW] für das deutungswissenorientierte Interview interessant, sondern seine Wirkmächtigkeit.“ (Ebd., 45) Als konstitutiv für den Expert_innen-Status wird bezeichnet, „dass er vermittels seines spezifischen Wissens politisch einflussreich wird“ (Ebd., 45). Alle von mir interviewten Personen sind aktiv in die Gestaltung eines politischen Felds im Bereich sexuell-geschlechtlicher Lebensweisen involviert. Das hier interessierende Wissen bezieht sich dabei auf die Arbeit mit dem und am Körper und soll in der Verschränkung verschiedener Kontexte untersucht werden. Die gemeinsame Arbeit an dem von der Interviewer_in eingebrachten Erkenntnisinteresse wird mittels problemzentrierter Interviews umgesetzt. Ein Leitfaden dient hier als Hintergrundfolie und Orientierungsrahmen, vor dem es zu einer „systematischen Entwicklung des Problemhorizonts“ (Witzel 2000, Abs. 6) kommt. Den Beginn kennzeichnet eine offene Einstiegsfrage, die zum Erzählen sowie zu Relevanzsetzungen der interviewten Person anregt. Im Laufe des Gesprächs reagiert die Interviewer_in auf angebotene Themen und bringt zunehmend eigene Relevanzen ein. Nach dieser Methode gibt es im Idealfall Interview-Sequenzen, in denen ein Dialog entsteht und gemeinsam an Bedeutungen von Situationen gearbeitet wird. Ziel ist es also, einen gemeinsamen Sinnhorizont in dem Interview zu entwickeln. Eine erste Analyse oder Interpretation findet bereits im Interview – mit der interviewten Person zusammen – statt. Das problemzentrierte Expert_innen-Interview ist in diesem Sinne als induktiv-deduktives Wech-

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selspiel organisiert. Hier schließt Witzel (2000) unmittelbar an Strauss an, wenn er konstatiert: „Das unvermeidbare und damit offen zu legende Vorwissen dient in der Erhebungsphase als heuristisch-analytischer Rahmen für Frageideen im Dialog zwischen Interviewern und Befragten.“ (Ebd., Abs. 3) Dieses diskursiv-dialogische Vorgehen (vgl. ebd., Abs. 13) beginnt bereits mit der Kontaktaufnahme und dem Benennen des Themas, um das es im Interview gehen soll. In der vorliegenden Untersuchung haben die politischen Aktivitäten der Interviewer_in, die sich in queer-feministischen Zusammenhängen bewegt, dazu beigetragen, die Kontakte nicht nur herzustellen, sondern die Interviews vielmehr zu einem Gespräch zwischen Expert_innen werden zu lassen – mit in dieser Situation unterschiedlichen Hintergründen und Relevanzsystemen. Es gibt detaillierte Memos sowohl vor den Interviews (zur Wahl dieser Person, zum Kontakt und Reaktion, Erwartungen der Interviewer_in, Vereinbarungen hinsichtlich Zeit und Ort des Interviews, gewünschte Aufnahme des Gesprächs und Zusicherung von Vertraulichkeit) wie auch nach den Gesprächen (zum Gesprächsverlauf, Eindrücken und Absprachen nach dem Interview). Die Gespräche dauerten in der Regel zweieinhalb bis drei Stunden, wurden digital aufgezeichnet und von der Interviewer_in transkribiert. Bereits in dieser Phase leitet das Schreiben detaillierter Memos wie auch die intensive Arbeit beim Verschriftlichen des Materials einen Prozess der rekursiven Datenanalyse ein. Rekursive Datenanalyse Was für den Prozess der Datenerzeugung in Form von problemzentrierten Interviews gilt, setzt sich in der Phase der Datenanalyse fort: Ziel ist der Dialog mit den Daten – konzipiert als eine Wechselbeziehung, in der sich Phänomenbereich wie auch Forschende verändern. Wenn bereits während des Interviews an einem Sinn- und Deutungshorizont gearbeitet wird, so findet eine erste Analyse schon im Interview – gemeinsam mit der interviewten Person – statt. Orientierungspunkt ist das Erkenntnisinteresse, das von der Forschenden eingebracht und gemeinsam bearbeitet wird. Diese Form der dialogischen – oder rekursiven – Analyse wird in der Auswertung des Interviewmaterials fortgesetzt, bis es zu einer theoretischen Sättigung von Kategorien kommt (vgl. Strauss/Corbin 1996, 164 f.). Ich bevorzuge für diesen Prozess den Begriff der dichten Beschreibung, wie ihn Muckel

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(2007) mit Bezug auf Geertz (1987) im Zusammenhang mit der Grounded Theory einsetzt: Demnach sind „Kategorien umso besser (dichter, prägnanter, integrativer), je mehr es den Forschenden gelingt, u. a. zwischen zwei Einstellungen/Haltungen den Daten gegenüber zu wechseln: Zum einen sollte man versuchen, eigenen Interpretations- und Lesartenideen nachzugehen und sie in verschiedenen Datenausschnitten zu belegen. Zum anderen sollte man immer wieder eine Gegenbewegung dazu antreten und sozusagen fragen, ob etwas auch anders sein könnte.“ (Muckel 2007, 229)

Diesen Doppelbezug fokussieren Berg und Milmeister (2008) unter dem prägnanten Titel Im Dialog mit den Daten das eigene Erzählen der Geschichte finden – ein Gedanke, anhand dessen ich im Folgenden mein eigenes Vorgehen explizieren werde: Beim Konzeptualisieren der Daten beziehungsweise der verdichtenden Beschreibung habe ich das Paradigma des offenen, axialen und selektiven Kodierens nach Strauss und Corbin (1996) eingesetzt und mich dabei an den Ausführungen von Berg und Milmeister (2008) orientiert. Beim offenen Kodieren geht es zunächst darum, den gesamten Text in thematische Abschnitte einzuteilen und Begriffe, Textstellen oder Segmente zu markieren, die für die Fragestellung relevant sein könnten. Diese Relevanzsetzungen entsprechen einer ersten Auswahl zentraler Interviewpassagen und Kernsätze, mit der die Interpretierende sich – entlang ihres Vorwissens und Erkenntnisinteresses – einbringt. Dass einzelne Kodes den Passagen zugeordnet werden, stellt einen ersten „Schritt auf dem Weg zum eigenen Erzählen dar. Die storyline ergibt sich also aus dem Prozess und wird nicht erst in den späteren Kodieretappen aufgesetzt“ (Berg/Milmeister 2008, Abs. 28). Die von mir eingesetzten Kodes sind ausschließlich in-vivoKodes, d. h. Begriffe oder kurze Statements, die die interviewten Personen selbst eingebracht haben und benutzen. In dieser Phase der Datenanalyse liegt der Schwerpunkt auf ersten Interpretationen, die darin bestehen, Begriffsassoziationen oder eine bestimmte Auswahl von Textstellen zu explizieren. Diese Detailinterpretationen, die jeweils unterschiedliche Aspekte der zu entwickelnden Geschichte umfassen, beleuchten und aufgreifen, werden immer wieder auf die Fragestellung ausgerichtet und in das Gesamtbild eingeordnet.

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In der Folge geht das offene in ein axiales Kodieren über, bei dem es um ein Entwickeln von Kode-Frames mit theoretischer Relevanz geht. Ziel dieses Analyseschritts ist es, über das empirische Material hinauszukommen: „Während beim offenen Kodieren die Geschichte nicht vollständig und explizit ausformuliert wird, […] werden jetzt versuchsweise Erzählrahmen angelegt, die eine sinnvolle und brauchbare Geschichte ergeben sollen“ (ebd., Abs. 37). Wichtig ist in dieser Phase der Analysearbeit, mit der ersten Konzeptualisierung nicht den empirischen Bezug zu verlieren: Der theoretische Kodierrahmen ist nicht vorgegeben, sondern wird im ständigen Dialog mit den Daten und mit Bezug auf das spezifische Erkenntnisinteresse entwickelt. Die Konzeptualisierung behält ihren erzählenden Charakter bei, es kommt jedoch zu ersten Entscheidungen, welche Linien fokussiert werden sollen und welche Aspekte möglicherweise in den Hintergrund treten. Schließlich werden die Interviews beim selektiven Kodieren noch einmal in Hinblick darauf durchgesehen, was sie für die sich entwickelnde Storyline bieten: „Das selektive Kodieren steht also wesentlich im Dienst der ‚Er-Findung‘ der Storyline“ (ebd., Abs. 42). In dieser Phase werden die Kernkonzepte festgelegt, es folgen einzelne Erzählungen und schließlich die Ausformulierung der Geschichte. Auch hier wieder findet sich ein ständiges Oszillieren zwischen dem Text und der Geschichte: „Um Verbindungen zu systematisieren und zu festigen, bewegt man sich dabei immer wieder hin und her zwischen Fragenstellen, Hypothesengenerieren und Vergleichen. Die analytisch-interpretative Arbeit wird auf diese Weise integriert und an den Daten validiert, die schlussendlich in eine analytische Geschichte übersetzt werden.“ (Ebd., Abs. 43)

Zentral in dieser Art von Analyse ist, dass sich das Sprechen der Akteur_innen im Feld zunehmend zu einem Sprechen der Interpretierenden verlagert. Es ist also keine Interpretation, die von außen an den einmal produzierten Text herangetragen wird, sondern es ist vielmehr so, als würde „über dem Zuhören und Dialogisieren die eigenen Aussagen und die ihnen angemessene Sprache gefunden“ (ebd., Abs. 40). Auf diese Weise wird die Darstellung quasi von innen – aus der Logik des Interviews heraus – aufgespannt und geht durch das Sprechen der Interpretierenden darüber hinaus. Kennzeichnend für die folgenden Ausführungen ist, dass jedes einzelne Interview mit einer zentralen Aussage und auch die einzelnen Abschnitte

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mit Begriffen und Formulierungen aus dem Interview überschrieben sind. Die Darstellung verbleibt in der Chronologie des Gesprächsverlaufs, weil sich auf diese Weise das je spezifische Moment in der Konstituierung und Funktionsweise von Heteronormativität als Ergebnis der Arbeit an einem gemeinsamen Sinnhorizont heraus kristallisiert. Die nun folgende Textproduktion ist Resultat des beschriebenen Dialogs mit den Daten und bindet Interview-Aussagen in eine theoretische, am Phänomenbereich und Erkenntnisinteresse orientierte Konzeptualisierung ein. Diese Perspektive betont die Positionierung und den Sprechakt der Forschenden, die an dem Prozess der Theoriegenerierung beteiligt sind und ihn vorantreiben. Das konzeptualisierende Schreiben in diesem Sinne basiert auf der Entwicklung und Verdichtung von Konzepten, wie es Strauss und Corbin (1996) so treffend formulieren: „Die zunehmende Sensibilität für Konzepte, ihre Bedeutungen und ihre Beziehungen ist es, die das Verweben der Datenauswahl mit der Datenanalyse so wichtig werden lässt. Jeder einzelne Aspekt führt zum nächsten und steigert dabei die Einsicht und das Erkennen der Parameter der entstehenden Theorie.“ (Ebd., 27)

Die entstehende Theorie wiederum bildet ihrerseits ein Raster für die Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit und ist in diesem Sinne als Intervention in – unter anderen wissenschaftliche – Diskursarenen anzusehen.

W ISSENSGENERIERUNG „Es wimmelt nur so von wilder GenderMultiplizität, und wir haben eine gewisse, wenn auch eingeschränkte Handlungsfähigkeit an den weichen, durchlässigen Rändern der multiplen überlappenden Geschlechterkategorien und inkommensurablen Geschlechtersysteme.“ HALE (2005, 144)

Fenstermaker/West (2001) weisen in ihrer neuerlichen Betrachtung des doing difference darauf hin, dass „gerade die Kontextabhängigkeit des

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Handelns die Voraussetzungen für eine allmähliche Unterminierung oder sogar für eine bewusste Opposition gegen institutionalisierte Herrschaftssysteme“ (ebd., 243) schafft. Queer-theoretische Perspektiven richten den Blick auf Prozesse der Aneignung und Umarbeitung von Geschlecht, die als körperliche Widerstandspraxen gegen die zweigeschlechtliche Ordnung gefasst werden; zeitgleich provozieren auf einer queer-politischen Ebene künstlerische Aktionen und Ausstellungsprojekte wie auch dezentral agierende Gruppen und Initiativen eine Auseinandersetzung um die körperliche Eindeutigkeit und die Bedeutung von Geschlecht. Das so konzipierte politische Feld fordert dazu auf, nach den Herstellungs- und Veränderungsprozessen von Geschlechtlichkeit zu fragen und Körperpraxen ins Zentrum des (wissenschaftlichen) Interesses zu stellen. Die in sozialkonstruktivistischen Ansätzen angelegte Entnaturalisierung von Geschlecht ist also weiter zu treiben. Paradoxerweise ist hierzu – wie bereits erwähnt – die Ebene von Körperlichkeit oder Materialität in die Analyse von Konstruktionsprozessen einzubeziehen ohne hinter die Erkenntnisse der gesellschaftlichen Konstituiertheit eines Begriffs von Natur zurückzufallen. Wenn in Bezug auf die exemplarisch skizzierte Geschlechterforschung als Forschungsdesiderat abzuleiten ist, „dass die Standpunkte derer artikulierbar werden, die gezwungen sind, in den Geltungsbereichen von Universalisierung und Standardisierungen zu leben, denen sie nicht entsprechen und nicht entsprechen können“ (Scheich 2001, 82), dann kommt dem Prozess des ‚Wissenschaffens‘ auf allen gesellschaftlichen Ebenen eine aktive Bedeutung zu: Dabei geht es weniger um die Generierung von ‚Wahrheit‘ als vielmehr darum, „zu einer Erfahrung zu gelangen, die eine Veränderung erlaubt, […] dort, wo wir bisher keine Probleme sahen (mit einem Wort, in unserem Verhältnis zu unserem Wissen)“ (Foucault 1996, 31). Mir geht es im Folgenden um einen spezifischen Blick auf vergeschlechtlichende Aspekte von Erwerbsarbeit und um Körperpraxen, die sich in, mit und gegen die vorherrschende Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit realisieren. In der Rekonstruktion von Erfahrungen und Sichtweisen, die ein Spektrum unterschiedlicher sexuell-geschlechtlicher Selbstpositionierungen aufspannen, geht es mir um die ermöglichenden Effekte, die eine Anerkennung innerhalb einer als hegemonial zu bezeichnenden Ordnung – im Sinne von Zugehörigkeit – nach sich zieht, wie auch um die Zumutungen, die ein heteronormatives Wahrnehmungsmuster für diejenigen entfaltet, die ihm

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nicht entsprechen (wollen). Dabei ist es die Verschränkung von Kontexten, die eine Umarbeitung gesellschaftlicher Zuschreibungen und Konnotationen bedingt und möglich macht – eine Arbeit der Disidentifikation, die mit José Esteban Muñoz (2007) als „gleichzeitiges Arbeiten an, mit und gegen dominante ideologische Strukturen“ (ebd., 35) beschrieben werden kann.



Transformatives Wissen „…das Zeichen in seiner Seinsweise als Zeichen, und nicht in einer Fähigkeit, den Sinn zur Erscheinung zu bringen.“ FOUCAULT (1987, 20)



Selbstpositionierungen im geschlechtlichen Raum „…that many of us experience as we struggle to continue the adventure of recognizing ourselves and being recognized in these problematic femininities and masculinities that constitute us and that we, in turn, constitute.” KOSOFSKY SEDGWICK (1995, 19)

Die nun folgende Konzeptualisierung der empirischen Daten konzentriert sich auf die Fragen, wie Geschlecht als Wahrnehmungsmuster wirkt, wie es im Alltag immer wieder hergestellt wird und welche Bewegungen es in eben diesen Prozessen der Reproduktion erlaubt oder sogar forciert. Dabei orientiere ich mich an dem analytischen Konzept Chantal Mouffes und betrachte Kodierungen als ‚weiblich‘ respektive ‚männlich‘ als imaginäre Zeichen, die sich am und mit dem Körper realisieren. Den Prozess der körperlichen Hervorbringung betonend spreche ich in der Folge von Feminität/en respektive Maskulinität/en. Weitergehende Forschungsfragen, die an dieser Stelle nur genannt werden können, beziehen sich darauf, wie Geschlecht mit weiteren sozialen Markern interagiert, die sich an Körper festmachen und über das Theorem der Sichtbarkeit reproduzieren. Zu denken ist an Alter, Klasse/Herkunft, zugeschriebene Ethnizität/‚Rasse‘ ebenso wie an geforderte Fitness von Körpern (vgl. Wirtz 2008), die im Kontext der disability studies als compulsory able-bodiedness diskutiert wird (vgl. Raab 2007 mit Bezug auf Robert McRuer).

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Der Fokus in dieser Arbeit liegt auf Geschlecht und auf Transgender als Methode, eine gewusste1 Performance aus Geschlecht zu machen (vgl. Volcano 2005). Mir geht es um die Prozesse, in denen sich Geschlecht realisiert, das heißt in und mit Körpern materialisiert, sowie um Transformationen, die sich in diesen Prozessen ereignen beziehungsweise vorangetrieben werden. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die asymmetrischen Verhältnisse in der gesellschaftlichen Bewertung von Femininität/en und Maskulinität/en zu richten. Ziel ist nachzuvollziehen, welche Formen von Femininität respektive Maskulinität sich in welchen Kontexten als überlegen herstellen beziehungsweise zur Darstellung gelangen und aufzuzeigen, welche Ambivalenzen und Widersprüche in diesen Verkörperungsprozessen am Werk sind. In diesem Sinn macht die Transgender-Perspektive auf Geschlecht nicht nur gesellschaftliche Organisationsstrategien von Körpern (im Sinne Moira Gatens’) sichtbar, sondern verweist auch auf Strategien und Einsatzpunkte von Transformation. Die Interviewpartner_innen unterscheiden sich in ihren sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierungen,2 die ein Spektrum an wahrgenommenen Femininitäten und Maskulinitäten aufmachen. Ihre Wahrnehmungen und Erfahrungen sind dabei nicht als repräsentativ für Praxen des Drag Kinging, Femme-ininität,3 transmännliche, transweibliche und/oder lesbische Lebensweisen anzusehen; vielmehr geht es mir darum, anhand der jeweiligen spezifischen Perspektiven und Bewegungen die Funktionsweisen von Heteronormativität als machtvolles und gewaltförmiges Wahrnehmungs- und Denkmuster im Lebens- und Arbeitsalltag herauszuarbeiten.

1

Im Sinne von implizitem wie explizitem Wissen.

2

Als Spannungsfeld, in dem Personen sich selbst positionieren und zugleich positioniert werden; Selbstpositionierung betont den Prozess, sich zu – oftmals gewaltförmigen – Zuschreibungen und Einordnungen in ein Verhältnis zu setzen.

3

Diesen Ausdruck entnehme ich der Einführung in den Femme-inismus von Fuchs (2009), die Femme-ininität als „queere Widerstandsform gegen Geschlechter- und Sexualitätsnormen“ (ebd., 11) definiert.

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Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Körperpraxen,4 mit und in denen sich Selbstpositionierungen im geschlechtlichen Raum realisieren. Sprache dient dabei einerseits dazu, ‚etwas‘ sichtbar und denkbar – intelligibel – werden zu lassen, und birgt andererseits die Tendenz, Bedeutungen festzuschreiben und neue Strukturen zu etablieren. Diesem Spannungsfeld von Benennen (wenn etwa in Bezug auf Transmännlichkeit von Transition die Rede ist) und dem Fokus auf Bewegungen darin (in den Weisen, Transmann zu werden und zu sein) begegne ich, indem ich die geschlechtliche Selbstpositionierung möglichst konkret anhand der Erfahrungen der Interviewpartner_innen rekonstruiere und auf diesem Weg versuche, Verallgemeinerungen – und Festschreibungen – zu vermeiden. Überschrieben sind die folgenden Analysen dementsprechend mit einzelnen Aussagen, die zentrale Aspekte des jeweiligen Interviews hervorheben. Die darin zum Ausdruck gebrachten geschlechtlichen Selbstpositionierungen sollen nun in ihrer Prozessualität wie auch in ihren kontextspezifischen Bedeutungen entfaltet werden.

„I HR GEBT

MIR KEINEN ALSO NEHM ’ ICH DIESE

R AUM , N ISCHE FÜR

MICH EIN .“

Tom5 wurde von mir als Experte angesprochen, weil er einen TransmannStammtisch initiiert hat und seit einigen Jahren organisiert. Einmal monatlich treffen sich hier Personen, für die Maskulinität ein Thema ist: In der Regel befinden sie sich in einem Prozess der Transition – von einer Zuschreibung ‚als Frau‘ hin zu einem Leben ‚als Mann‘ – und tauschen Informationen und Erfahrungen aus. Tom selbst hat sich an einem bestimmten Punkt seiner Biographie – am Ende seines Studiums und vor seinem Berufseinstieg – entschieden, sein ihm zugewiesenes Geschlecht Frau zu verlassen und im Zeichen von Mann-Sein zu leben. Den Einstieg in das Interview bietet der Stammtisch als politischer Ort und in seiner Bedeutung

4

Als körperliche Praxen, in denen sich gesellschaftlich konstituierte Bedeutungen des Körpers materialisieren beziehungsweise transformieren; Körperpraxen sind in diesem Sinn als gesellschaftliche Praxen zu verstehen.

5

Die Namen der Interviewpartner_innen wurden verändert.

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im Prozess der Transition; ein Prozess, den Tom für sich selbst als „Entwicklung und Suche“ bezeichnet. In der Chronologie des Interviews bleibend geht es in der Folge um die Selbstwahrnehmungen6 in seinem Erwerbsarbeitskontext, die er mit „Imagearbeit und Leistung“ umfasst. Abschließend soll die geschlechtliche Selbstpositionierung als – in seinen Worten – „diese Nische“ rekonstruiert werden. Entwicklung und Suche Wenn es in der Folge um Prozesse der Entwicklung und Suche geht, wie Tom seine Erfahrungen beschreibt, wird deutlich, dass einen gesellschaftlich vorgesehenen Ort zu verlassen nicht gleichsam bedeutet, an einem ‚anderen‘ Ort anzukommen.7 Entgegen dieser Vorstellung eines Weggehens, das Ankommen impliziert, wird hier der Fokus auf den Prozess der Transition in actu gelenkt. Als bedeutsame Dimensionen erweisen sich Toms Beschreibungen einer ‚Trans-Entwicklung‘, der Umgang mit ‚körperlichen Veränderungen‘ sowie die komplexen Verschränkungen aus ‚Sehen und Wissen‘, ‚Werden und Sein‘, ‚Leben und Alltag‘ sowie ‚Biographie und Beruf‘. Trans-Entwicklung Tom beschreibt den Stammtisch als einen Raum, der sich über Personen konstituiert, die „an verschiedenen Punkten quasi ihrer Trans-Entwicklung“ (Tom, 3)8 stehen. Diese Formulierung ist insofern interessant, als sie auf ein Ergebnis oder Ziel verweist beziehungsweise Anfang und Ende eines Transformationsprozesses zu umfassen scheint. Tatsächlich zieht sich die Benennung einer Zeitachse – in ihrer linearen Form – durch seine Beschreibung 6

Als Spannungsfeld, in dem Personen sich selbst wahrnehmen und zugleich wahrgenommen werden; Selbstwahrnehmung meint den Prozess, sich zum common sense – einem vorgeblich geteilten, hegemonialen Wissen – in ein Verhältnis zu setzen.

7

Vgl. diesen Gedanken – in Bezug auf die Begriffe Sprache, Politik und Zugehörigkeit – in den Ausführungen von Butler im Gespräch mit Spivak (Butler/ Spivak 2007, 16).

8

Die Zahlen in Klammern verweisen auf die Seitenzahl im jeweiligen Transkript.

SELBSTPOSITIONIERUNGEN

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von Gesprächssituationen beim Stammtisch. Als etwa von jemandem zum Thema gemacht wird, wie die eigene Entwicklung kommuniziert und nahen Bezugspersonen vermittelt werden kann, beschreibt Tom seine Reaktion folgendermaßen: „Du bist schneller in deinen Gedanken – für dich ist das ganz klar – und konfrontierst jetzt deine Umwelt damit. Und überleg’ mal, du hast das bestimmt – irgendwie – zehn Jahre mit dir rumgetragen – oder auch länger, je nach dem – und hast ja ’n Ergebnis gefunden. Und dann musst du diesen Zeitraum ja den Leuten auch lassen, da nach zu kommen.“ (4) Tom betont den langen Zeitraum, den es braucht, um überhaupt ein Ergebnis – zunächst für sich selbst – benennen zu können und Klarheit hinsichtlich der eigenen geschlechtlichen Positionierung zu gewinnen. Eine Mitteilung dieser Gedanken scheint erst möglich, wenn ein „Ergebnis gefunden“ wurde – wenn also „ganz klar“, d. h. benennbar ist, wohin die eigene Entwicklung führt. Die Kommunikation dieses Ergebnisses, das sich über einen langen Zeitraum geformt und in dieser Eindeutigkeit hergestellt hat, beschreibt Tom als eine „Konfrontation der Umwelt“: Sie wird gedanklich als aversiv vorweg genommen und das „Ergebnis“ als mindestens ungewöhnlich oder unbekannt vorausgesetzt, das Zeit braucht, um gedanklich nachvollzogen zu werden beziehungsweise in seinen Implikationen zu begreifen ist. Diese Konzeptualisierung macht nicht nur deutlich, dass in der Regel ein langer Auseinandersetzungsprozess stattgefunden hat, bevor ein – in Toms Worten – „Ergebnis gefunden“ wurde. Vielmehr verweist sie auf die gewaltförmige Tabuisierung, mit der ein Nachdenken über und Ringen um die eigene geschlechtliche Positionierung belegt ist. Was hier zunächst als Klarheit oder Ergebnis eines langen Auseinandersetzungsprozesses benannt wird, ist tatsächlich erst der Auftakt einer Entwicklung, in der der Stammtisch eine wichtige Funktion einnimmt, wie Tom betont: „Wo überhaupt anfangen. Ja. Denn wenn man schon ’ne Idee hat, dann – wo geht man überhaupt hin.“ (5) Der Stammtisch stellt für viele einen Raum dar, in dem überhaupt erst Gedanken und Vorstellungen mitteilbar werden. Gegenseitiges Verständnis und Interesse sind hier potentiell vorausgesetzt, so dass ein Erfahrungsaustausch hinsichtlich der Optionen einer Trans-Entwicklung möglich wird. An dieser Stelle öffnet sich ein Feld juristischer und medizinischer Schritte, die in der Legitimierung einer Lebensweise ‚als Mann‘ von Bedeutung sind. So koppelt sich die Änderung

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des Personenstands an eine Operation, die die – in biologischen Begriffen gefasste – Fortpflanzungsfähigkeit unterbindet.9 Die „so genannte kleine Lösung“ (30), die Vornamensänderung, läuft dagegen – wie Tom später ausführt – über zwei psychologische Gutachten. Schon hier wird deutlich, dass es bei der Trans-Entwicklung nicht etwa um einen vorgefassten, gleichförmigen Weg geht, sondern eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen und Bewertungen vorzunehmen sind, die – betrachtet man die körperlichen Dimensionen dieses Entwicklungsprozesses – sich um ein Vielfaches potenzieren. Körperliche Veränderungen Der Umgang mit körperlichen Veränderungen wird von Tom als zentrales Thema beim Stammtisch benannt: Jenseits einer einfachen Ableitung der geschlechtlichen Selbstpositionierung von körperlichen Veränderungen und Zuständen wird in den von Tom angestellten Analysen und Beschreibungen deutlich, dass die eigene Positionierung innerhalb eines vergeschlechtlichten Raums sich im Rahmen eines komplexen Selbstverhältnisses entwickelt. Zunächst erstaunen Formulierungen, die den Eindruck vermitteln, körperlichen Prozessen ausgeliefert zu sein, etwa in der offenen und angstbesetzten Frage, „was die Hormone mit einem machen“ (3), wenn Tom konstatiert: „…und dann passieren ja diese Verwandlungen, ja“ (6), oder wenn er sich in Bezug auf die Stimmlage fragt: „…also wo lande ich?“ (8) Dass diese körperlichen Veränderungen für Tom im Zentrum einer TransEntwicklung stehen, bringt die folgende Erklärung zum Ausdruck: „Medizinisch unterteilt sich das ja dann auch noch mal in diese Psychotherapie, oder in die Begutachtung, und dann in die tatsächliche – also jetzt sag’ ich mal: Hormonsubstitutionstherapie und in die OPs…“ (5) Als „die tatsächliche“ – oder das Wesentliche einer – Trans-Entwicklung werden körperliche Veränderungen benannt, die – einmal angestoßen – einen Umgang damit herausfordern, wie Tom an folgendem Ausschnitt einer Diskussion beim

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Gesa Lindemann hat im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema Transgender auf die gesellschaftlich gezogene Grenze verwiesen, bei deren Überschreiten – ganz im Sinne der Zweiteilung eines Feldes multipler Körper (Gatens) – bestimmte Körperteile abzugeben sind (für einen Rückblick auf diese Veranstaltung siehe Raab/Schwarzer/Wagels/Wirtz 2000).

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Stammtisch deutlich macht: „Also wart mal, du kriegst jetzt erst mal nix auf deine dritte Spritze. ’n bisschen Stimmbruch hast du, aber das was noch kommt – so wirklich an körperlichen Veränderungen, … damit musst du erst mal anfangen umzugehen, bevor du – irgendwie medizinisch noch irgendwas anderes anfängst anzupacken, ja.“ (4) Anhand dieser Formulierung stelle ich eine These auf, die auch in den folgenden Ausführungen von zentraler Bedeutung ist: Körperliche Veränderungen stehen in einem gesellschaftlichen Kontext, der dem Körper spezifische Bedeutungen zuweist. Demnach wird mit körperlichen Veränderungen ein Prozess in Gang gesetzt, in dem sich Zuschreibungen verändern und der dazu veranlasst, Selbstwahrnehmungen im geschlechtlichen Raum neu zu tarieren.10 Die Auseinandersetzung mit körperlichen Veränderungen ist für Tom zunächst von einer starken Sensibilität und Aufmerksamkeit geprägt, die er in dem häufigen Gebrauch von Verben wie „merken“ und „spüren“ zum Ausdruck bringt. Wenn er von seinen Erfahrungen vor und nach der Hormonzufuhr in Form von monatlichen bis dreimonatlichen Spritzen spricht, führt er eine Analogie zum prämenstruellen Syndrom an: „…ist schon so ’n bisschen wie prämenstruelles Syndrom …, werd’ so ’n bisschen gereizter, weil ich einfach merke, mir fehlt das gerade …, das spürt man schon.“ (7) Diese Analogie verweist zum einen auf die vergeschlechtlichte – und vergeschlechtlichende – Interaktion während des Interviews: Indem Tom mit seinem Verweis auf das „prämenstruelle Syndrom“ auf einen gemeinsamen Erfahrungshorizont ‚als Frau‘ referiert, schließt er an die vermeintlich gleichen Erfahrungen der als weiblich wahrgenommenen Interviewer_in an, um sich verständlich zu machen. Zugleich macht die Analogie zum naturalisierten prämenstruellen Syndrom die Wirkungen der Hormonzufuhr nicht nur vorstellbar – sie werden vielmehr zu ‚normalen‘ Begleiterscheinungen hormoneller Veränderungen. Dieser normalisierende Effekt kommt auch zum Ausdruck, wenn Tom den Gebrauch des Hormonpräparats mit der Einnahme einer Antibabypille vergleicht. Während diese jedoch ein für Frauen legitimiertes und breit eingesetztes Mittel darstellt, ist die Vergabe des so genannten ‚männlichen‘ Geschlechtshormons Testosteron tabuisiert und gesellschaftlich reglemen-

10 Die Materialität des Körpers erscheint hier als „eine Forderung in der Sprache und nach Sprache“, wie Butler (1997, 102) ausführt.

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tiert.11 Erst in der Analogisierung beider Hormonpräparate wird deutlich, dass die unterschiedliche gesellschaftliche Bewertung in den Funktionsweisen der Mittel liegt: Während ‚die Pille‘ auf Frau-Sein und einen heterosexuellen Beziehungsraum verweist – und somit innerhalb einer abgegrenzten Kategorie ‚Frau‘ operiert,12 geht die Wirkung beim crossing darüber hinaus. Wie Tom ausführt, wird „ja wirklich ’ne Umkehrung des ganzen Hormonhaushalts herbeigeführt, und das ist sehr feingliedrig, und das koppelt sich an total viele Faktoren. Und auch die Veränderungen, die eintreten, die sind ja bei jedem anders.“ (5) Tom betont die Ungewissheit, die mit den körperlichen Veränderungen einhergeht. Diese wiederum ist gekoppelt an die bewusste Entscheidung für diesen Schritt: „Man hat viel Angst. … Man entscheidet sich ja in dem Moment, von ’m Medikament den Rest seines Lebens abhängig zu sein. … Man muss das ja auch für sich selber irgendwie bewerten.“ (7) Die hier beschriebene Angst vor den nicht kontrollierbaren und nicht vorhersehbaren Konsequenzen steht in direktem Zusammenhang – so meine These – zu der Verantwortung, die ihm gesellschaftlich in dieser Entscheidung zugeschrieben wird: Während die Einnahme so genannter weiblicher Geschlechtshormone bei weiblichen Körpern gesellschaftlich anerkannt ist und sogar – mit den bekannten Nebenwirkungen – nahe gelegt wird, bedeutet die Einnahme so genannter männlicher Geschlechtshormone ein Wagnis und Risiko, das er selbst zu verantworten hat. Es ist die gesellschaftliche Form des Grenzmanagements – die heteronormative Vorstellung zweier Geschlechter, die an einen als vorgängig und natürlich gedachten Körper gekoppelt ist –, die ein spezifisches Abwägen von Konsequenzen forciert, wie er später im Interview ausführt: „Das war ja auch die Entscheidung, die ich ja damals getroffen habe, als ich gesagt habe, also wie möchte ich jetzt leben? Will ich wirklich an meinem Körper

11 So gilt Testosteron als – verbotenes – Doping-Mittel im Sport. Zum gesellschaftlichen Umgang mit drohender Vermännlichung weiblicher Körper im Sport vgl. Wirtz (2008). Zur Geschichte und Bedeutung der Rede von ‚Geschlechtshormonen‘ vgl. die kritischen Ausführungen von Ebeling (2006). 12 Hier ist anzuführen, dass dieses Mittel auch als Medikament, das heißt mit medizinischer Indikation, an sehr junge Frauen mit starkem Haarwuchs sowie zum Anstoß der Menstruation verschrieben wird und auf diese Weise im Herstellungsprozess normativer Weiblichkeit regulierend zum Einsatz kommt.

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rumschnippeln lassen und mich mit Hormonen voll pumpen lassen und vielleicht … meine Lebenserwartung mal um fünfzehn, zwanzig Jahre gleich runterdrücken? Aber hab’ ich dann die Zeit, die ich bis dahin noch habe, hab’ ich die dann glücklich erfüllt, ja? Und dann war die Entscheidung zu sagen: Ja, dann erfüll’ ich mir die lieber glücklich, ja.“ (28) Körperliche Veränderungen werden von Tom keineswegs idealisiert oder auch nur positiv konnotiert, sondern im Gegenteil als gewaltvoller Akt beschrieben. Sie werden jedoch an einem Leben gemessen, das er als „glücklich“ imaginiert. Was genau er damit meint und wie sich dieses Leben von seinem früheren Alltag unterscheidet, wird später eingehender zu betrachten sein. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass die Auseinandersetzung um körperliche Veränderungen begleitet ist von kontinuierlichen Bewertungsprozessen. Der Stammtisch bietet einen Ort der Auseinandersetzung und kollektiven Wissensproduktion, wenn etwa von „Tittenschau oder Schwanzschau“ (14) die Rede ist: „Also dann wird immer so – dann will einer sehen, dann verschwinden die auf ’m Klo, und dann heißt ’s immer [breit grinsend]: ‚Ja hier, aber – nicht so schnell, mach die Nummer mal – hier – macht alles sauber danach.’ … Und dann wird eben geguckt, also man begutachtet sich da auch gegenseitig, ja.“ (14) Tom sexualisiert diese Szene der gegenseitigen Begutachtung, indem er in seiner Beschreibung ein kulturelles Repertoire aus Schwulenkontexten aufruft. In dieser Sexualisierung ist nicht nur die Performanz von Männlichkeit angelegt, sondern sie ermöglicht vielmehr, als Subjekt in Erscheinung zu treten. Die von ihm geschilderte Szene unterscheidet sich von dem hierarchischen Verhältnis in Praxen und Kliniken, wo nur ein Körper zur Begutachtung steht – und dementsprechend verobjektiviert ist. Sie unterscheidet sich auch von einem klinischen Kontext, in dem die körperliche Veränderung vorwiegend unter der Perspektive von Krankheit – etwa als Narbe – in Augenschein genommen wird. Über die Referenz auf Sexualität wird ein Möglichkeitsraum geschaffen, die gegenseitige Begutachtung der körperlichen Veränderungen mit vermännlichenden Kodes zu versehen und kann somit als subjektivierendes Moment der Wissensproduktion betrachtet werden. Sehen und Wissen Sehen und Wissen bündeln sich in diesen Körperpraxen auf spezifische Weise, denn wie Tom in Bezug auf Transmännlichkeit konstatiert: „So

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sieht man ja sehr unauffällig [aus, KW] – man sieht das ja nicht auf den ersten Blick, ja.“ (18) Diese Unauffälligkeit „auf den ersten Blick“ zieht sich durch viele Beschreibungen und kann als grundlegende Dimension verstanden werden, von der aus Tom sich bewegt: „Einer, der jetzt quasi schon länger als Transmann lebt und in seinem Alltag, der denkt da überhaupt gar nicht dran.“ (15) Dieses Statement legt als Ergebnis einer so gefassten Trans-Entwicklung nahe, ungestört von Fragen zu Geschlechtlichkeit seinen Alltag leben zu können. Dies wiederum setzt voraus, in seiner Geschlechtlichkeit erkannt zu werden. Geschlecht wird zu einer Weise, in Erscheinung zu treten, intelligibel zu werden.13 Im Alltag als Transmann zu leben, bedeutet in Toms Augen, ‚als Mann‘ wahrgenommen zu werden, zumindest „auf den ersten Blick“ (18). Dieser rekurriert auf den common sense: ein vorgeblich geteiltes, mindestens aber hegemoniales Wissen, das sich aus einer – körperlich legitimierten – Zuschreibung ‚als Mann‘ herleitet. Nach der Bedeutung des Körpers in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung befragt, erinnert sich Tom an die „Zeit, wo ich ja auch noch keine Hormone bekommen habe, und das, was in dem ganzen medizinischen, therapeutischen, juristischen Kontext dann als Alltagstest gewertet wird. Der ist viel, viel mehr mit Ängsten besetzt, also man muss sich auch viel, viel mehr verkleiden und viel, viel stärker damit auseinandersetzen. Und eigentlich – das Größte, Entscheidenste ist immer die Stimme, und dann die Brüste. Also alles andere lässt sich irgendwie noch – modeln, sag ich jetzt mal, kann man irgendwie – verstecken und alles. Aber das ist wirklich das, was am aller schwersten dann fällt. Also, bei – gerade so, wenn jemand sehr große Brüste hat – und ’ne sehr fiepsige Stimme, ist es schwierig. Aber das sind so die zwei Hauptkriterien, wo man dann quasi, wenn man versucht zu passen – und noch keine Hormone hat und keine OP – oder als Drag King versucht zu passen – sind die zwei Punkte, an denen man enttarnt wird, sag ich immer so schön.“ (20) Deutlich wird an dieser Stelle, wie der ursprünglich im klinischen Kontext durch Garfinkel (2006/1967)

13 Vgl. die differenzierte Diskussion zum passing als Strategie des In-ErscheinungTretens bei Lorenz/Kuster (2007, 141 f.) sowie die komplexe Analyse zu den Ambivalenzen von Sichtbarkeit und den visuellen Strukturen von Anerkennung bei Schaffer (2008).

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geprägte Begriff des passing in die Alltagssprache Einzug gehalten hat. Während es in der von ihm analysierten und publizierten Agnes-Studie allerdings – aus Sicht des Forschenden – um die wunschbesetzte Wahrnehmung als ein imaginiertes Geschlecht geht, rücken in Toms Konzeptualisierung die Prozesse der Vereindeutigung und ein Zwang zu körperlicher Kohärenz ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die starke Verwendung defensiver Begriffe verweist auf die Gewaltförmigkeit, mit der sich das zweigeschlechtliche System in der Logik einer körperlichen Wahrheit reproduziert. Andeutungsweise findet sich schon hier – in der Formulierung: „wenn man versucht zu passen “ mit dem Nachsatz: „und noch keine Hormone hat und keine OP“, was später im Rahmen seiner Erfahrungen im Erwerbsarbeitskontext herauszuarbeiten sein wird: Auch jenseits einer TransEntwicklung, wie sie von Tom auf spezifische Weise geschildert wird, stellt sich vergeschlechtlichte Selbstwahrnehmung in Prozessen des passing – des Sichtbar-Werdens und In-Erscheinung-Tretens – permanent her. Während Tom sich an die männliche Performance vor den körperlichen Veränderungen vornehmlich in defensiven Begriffen erinnert, erlaubt die – körperlich legitimierte – Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘ neue Beweglichkeiten. In Abgrenzung zu Praxen des Drag Kinging betont er, „wie Leute richtig im Alltag – jeden Tag – mit quasi ihrer neu gefundenen Männlichkeit umgehen“ (19). Die „neu gefundene Männlichkeit“ vollzieht sich in einem als männlich legitimierten Körper und zeichnet sich als „neu gefunden“ dadurch aus, dass sie nicht in Frage gestellt wird. Die – körperlich legitimierte – Wahrnehmung ‚als Mann‘ ermöglicht ein neues SichEinrichten innerhalb dieses Musters, was Tom in folgende Worte fasst: „…noch mal ganz neue Ideen bekommen …, also wirklich so komplett Verhalten und Kleidung und nicht immer dieses – alles immer nur in den Anzug oder so pressen.“ (19) Tom beschreibt hier ein Aufgehen in der ‚Wahr‘nehmung ‚als Mann‘, die sich mit Butlers Konzept einer Performativität von Geschlecht lesen lässt: einem endlosen Zirkulieren von Zitaten, die in Form von Anrufungen subjektivierende Wirkungen entfalten. Während Tom vor den körperlichen Veränderungen den Platz ‚als Mann‘ zwar einnimmt, wie es im Rahmen der Transition als so genannter Alltagstest von ihm erwartet wird, scheint er ihn zugleich ‚nicht ganz‘ einzunehmen: So benennt er insbesondere Stimme und Brust als die Merkmale, anhand derer er – in der Logik einer an Körper gekoppelten Wahrheit – „enttarnt“ (20) werden könnte. Gegenüber dieser permanenten Drohung, „den Platz

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[nicht, KW] ausreichend gut einzunehmen“ (Lorenz/Kuster 2007, 142), bietet das Durchlaufen einer Transition – von der Zuschreibung ‚als Frau‘ hin zu einem Leben ‚als Mann‘ – eine Form sozialer Anerkennung,14 die ihm ein Feld neuer Erfahrungen öffnet. Werden und Sein Die Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘ ermöglicht in diesem Sinne eine neue Beweglichkeit. Tom schildert eine Vielzahl von Situationen, in denen neue Formen der Begegnung möglich werden und ihm wiederum ein Spektrum an Gefühls- und Seinsweisen eröffnen, wie etwa „in dem Moment so voll in so ’m Hochgefühl zu sein, mal so angemacht zu werden. Weil das ja mir noch nie passiert ist quasi. … Da hätt’ ich ja auch nie gedacht, dass mir das überhaupt jemals passieren wird. … Und ich steh’ da und denk’ mir: 27 Jahre alt und hab ’n Geschlechtswechsel hinter mir. … Also ich kann das für mich nicht in einen anderen Bezug setzen, ja. … Wo ich sage: Ich muss irgendwas jetzt an mir haben – dass das passiert, ja.“ (Tom, 22) Diese Szene macht den heteronormativen Rahmen sichtbar, innerhalb dessen sich das In-Erscheinung-Treten vollzieht: Tom spricht von Begegnungen mit jungen Frauen im öffentlichen Raum, die ihn ‚als Mann‘ wahrnehmen und ansprechen. Seine Reaktion, „so voll in so ’m Hochgefühl zu sein“, offenbart dabei eine Dimension sozialer Anerkennung, die als grundlegend und enorm wirkungsvoll zu bezeichnen ist: Es ist die Ansprache seiner Person, vermittelt über die Wahrnehmung ‚als Mann‘, die gerade in ihrer heterosexuellen Verfasstheit zur ultimativen Geltung gelangt.15 Deutlich wird in dieser Beschreibung, wie Heteronormativität nicht nur affektive Bezugnahmen und Ansprachen zwischen Menschen reguliert, sondern vielmehr den Ein- und Ausschluss von Körpersubjektivitäten organisiert: Über die Kohärenz der Erscheinung ‚als Mann‘ Intelligibilität erlangend, scheint

14 Mit Anerkennung betone ich die enge Verbindung von Wertschätzung und Respekt zu einem ‚Erkennen‘, das sich aus einer machtvollen Matrix der Intelligibilität herleitet; zu den visuellen Strukturen von Anerkennung vgl. Schaffer (2008). 15 Mit Lorenz und Kuster (2007) ließe sich diese Szene auch als ‚Anrufung‘ im Sinne Althussers konzeptualisieren.

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gerade die Heterosexualisierung der Szene zu einem Gefühl letztendlicher Anerkennung zu führen. Das hier beschriebene Hochgefühl ist Ausdruck einer Ermächtigungsposition, die die Anerkennung als heterosexueller Mann bietet. Sie resultiert für Tom aus einer „Kombination aus unglaublich vielen Faktoren …, die dazu führt, dass quasi dieser letzte Funken, der quasi dann noch gefehlt hat, um meinen Typ, den ich ja irgendwie schon darstellte …, aber jetzt ist irgendwie das Entscheidende dabei, dass es wirklich im Gesamten stimmt. … Und das ist irgendwie – zieht sich dann durch alles, ja.“ (24) Das Bild „im Gesamten“ verweist auf die Funktionsweise einer Intelligibilität, die körperliche Kohärenz einfordert: Die Selbstwahrnehmung seiner Person scheint in der Kombination nun „zu stimmen“ oder zu passen – während seiner Einschätzung nach vor den körperlichen Veränderungen in den Augen anderer etwas „gefehlt“ hat. In dieser Konzeptualisierung vollzieht sich die geschlechtliche Einordnung nicht allein über diskrete Zeichen, denn diese können auch modelliert werden; sie verläuft vielmehr in Form einer Gestaltwahrnehmung: Toms Erfahrung nach ist es das – körperlich, medizinisch und juristisch legitimierte – Wissen um das Gesamte, das Intelligibilität bewirkt und zu sozialer Anerkennung führt.16 Bezeichnend für diesen Prozess sozialer Anerkennung, der sich insbesondere auf affektiven Dimensionen menschlicher Begegnungen vollzieht, ist das Feedback einer Freundin, die Tom bereits seit vielen Jahren kennt und feststellt: „Wow, du wirst mein Typ, ja.“ (23) Leben und Alltag Das von Tom beschriebene Hochgefühl verweist zugleich auf den kategorialen Schnitt, mit dem er sein jetziges Leben ‚als Mann‘ von seinem früheren Leben unterscheidet: „Der Alltag bestand aus einer dauerhaften Rechtfertigung meiner Position.“ (28) Mit diesem kurzen Statement bringt Tom das Lebensgefühl zum Ausdruck, das seinen früheren Alltag bestimmt hat und das er beschreibt als „’ne unglaubliche Kampfansage. Mit allem, in alle

16 Vgl. zu Ansätzen der Gestaltwahrnehmung in Prozessen geschlechtlicher Einordnung von Personen die differenzierte Diskussionen bei Jäger (2004, 138 ff.) und Schirmer (2010, 198 ff.) sowie die analytischen Überlegungen bei Lindemann (2001).

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Richtungen. Jeden Tag von neuem. Also sobald ich die Haustür verlassen hab, hab ich das Gefühl gehabt, ich bin in ’ner Arena – wie so ’n Gladiator.“ (27) Die Haustür wird zum Symbol für den Eintritt in das öffentliche Leben, in dem er sich Blicken und Bewertungen ausgesetzt fühlt. Das von ihm gewählte Bild einer Arena setzt diesen Eindruck auf drastische Weise fort: Die Arena als öffentlicher Ort, an dem alle Augen auf ihn gerichtet sind und wo er sich als Gladiator, d. h. als Kämpfer in einer Art öffentlicher Schaustellung, behaupten muss. Diese Schilderung verweist auf die gewaltvollen und verletzenden Effekte, die eine Matrix der Intelligibilität im Sozialen zeitigt, wenn eine identitäre Position oder ein symbolischer Platz nicht – oder nicht den Erwartungen entsprechend – eingenommen wird.17 Sie steht in diametralem Gegensatz zu dem, wie er seine Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘ beschreibt: „Es wird überhaupt nichts in Frage gestellt! Es stellt keiner in Frage, wer ich bin, was ich bin, und welche Fähigkeiten ich habe.“ (28) Die Formulierungen bringen zum Ausdruck, dass es hier um nicht weniger als die Frage seiner Existenz geht: Sie rekurriert auf eine – zweigeteilte – Wahrnehmung von Körpern, eine Wahrnehmung, die durch den Prozess der Transition – zunächst – zur Kohärenz gebracht wird. Dieser Eintritt in die Intelligibilität oder vielmehr in das Leben, das die Intelligibilität stiftet, erst impliziert die soziale Anerkennung seiner Person. Tom beschreibt hier die öffentliche Dimension von Geschlecht, die einen „Blick von außen“18 darstellt und sich auf Sichtbarkeit bezieht: Es ist seine Erscheinung, die einem gesellschaftlichen common sense entspricht und ihn so – in seiner Unauffälligkeit – erst sichtbar werden lässt. Dabei thematisiert er sein Aussehen nicht im Sinne diskreter – körperlicher – Merkmale, sondern vielmehr als Wirkung, die er auf andere hat. Das Spannungsfeld zwischen öffentlicher Selbstwahrnehmung – „in der ersten Begegnung“ (28) – und dem, was sich an Bezügen in spezifischen Kontexten herstellt, bringt er in folgender Beschreibung zum Ausdruck: „Also z. B. meine Nachbarin, wenn die nicht gewusst hätte, dass – wir hätten zwar – so, sie hätte mich als netten jungen Schwulen empfunden, aber sie hätte nicht das Verhältnis, das sie jetzt zu mir hat, ja.“ (28) In dieser Situation

17 Vgl. hierzu insbesondere die differenzierten Analysen bei Butler (2006). 18 Diese Formulierung ist dem Interview mit Nadine entliehen und wird dort weiter differenziert.

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kommen Sehen und Wissen auf spezifische Weise zusammen, denn Tom verbindet ein freundschaftliches Verhältnis zu dieser Nachbarin. Da sich beide in lesbisch-schwulen Kontexten bewegen, geht er nicht davon aus, dass sie ihn für heterosexuell hätte halten können. Dennoch ermöglicht das Wissen um seine Transmännlichkeit eine Begegnung, die die vergeschlechtlichte Selbstwahrnehmung verschiebt. Wie er diese Differenz wiederum in seinem Alltag ‚als Mann‘ reguliert und zum Einsatz bringt, wird noch zu zeigen sein. Biographie und Beruf Die Biographie19 stellt einen gewichtigen Aspekt dar, mit dem Geschlecht transportiert und überzeugend geschaffen wird. Wenn Tom von seiner „Berufswegeplanung“ (30) erzählt und sich fragt, „wann ich das halt am besten einsetze“ (30), so erscheint sie wie ein Stützkorsett, das die Konstruktion ‚Mann‘ plausibilisiert. Zugleich benutzt er gerade in dieser Beschreibung Begriffe, die eher auf ein Zwangskorsett verweisen und auf eine Perspektive, in der die Notwendigkeit zur Vereindeutigung von zentraler Bedeutung ist: Er spricht von „Eingriff“ und „Korrektur“, die er „irgendwo untergebracht“ hat (30), und mit Bezug auf die – biographisch notwendigen – Änderungen seiner Diplome und Papiere: „Das hab’ ich gemacht. Das hat damals auch gut gepasst, ich hab’ ja noch studiert, also konnte ich das alles noch relativ unauffällig erledigen. … Also ich hab ’n neues Abiturzeugnis auf ’n neuen Namen bekommen – da steht nicht Kopie oder so drauf …, die müssen mir eine Version ausstellen, die wie das Original aussieht. Und auch mit dem Stempel und dem Datum von damals.“ (31) Eine „unauffällige“, d. h. biographisch glaubwürdige Geschichte ‚als Mann‘ muss sich durch Kontinuität und Eindeutigkeit ausweisen, so dass wichtig wird, die Geschlechtszuweisung ‚Mann‘ rückzudatieren. Interessant ist seine Formulierung einer „Version …, die wie das Original aussieht“, die ich mit Butlers Konzept von der Kopie ohne Original in Verbindung bringen will: Auch hier stellt sich die Frage, was denn das – ehemals verbriefte – Original ‚als Original‘ ausmacht und was die ‚neue‘

19 Ich verwende den Begriff der Biographie hier im alltagssprachlichen Sinn von Lebenslauf, ohne den Anspruch eines biographietheoretischen oder biographieanalytischen Zugangs zur Rekonstruktion einer Lebensgeschichte zu erheben.

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Version, „die wie das Original aussieht“, an Transformation ermöglicht. Tom berichtet, dass andere Behörden den Akteneintrag ‚weiblich‘ beibehalten: „der dann vernichtet wird, wenn ich mein Geschlecht, also meinen Personenstand dann geändert hab“ (32). Der Eintrag ‚männlich‘ ist nur zu haben, wenn die – körperlichen – Auflagen erfüllt sind und der bisherige Eintrag ‚weiblich‘ „vernichtet“ wird. Diese Erzählung bringt in besonderer Weise die Gewaltförmigkeit zum Ausdruck, mit der die Eindeutigkeit des sex/gender-Status als juridisches Konstrukt20 hergestellt wird. Deutlich geworden sein sollte, dass die von Tom gezogene Zeitachse einer „Trans-Entwicklung“ in diesen bürokratischen und medizinischpsychologischen Prozessen nicht nur ihr Pendant findet, sondern vielmehr in ihrer Linearität von diesen erst hervorgebracht wird: Die Vergangenheit ‚als Frau‘ muss anscheinend ausgelöscht werden. Dennoch bleiben Spuren in diesen Prozessen der Vereindeutigung von Geschlecht, die einer quasinatürlichen Kopplung an Körper widersprechen. Wie Tom diese Spuren thematisiert und für sich bewertet und welche Einblicke seine geschlechtliche Selbstpositionierung in die heteronormative Verfasstheit seines Erwerbsarbeitskontextes bietet, soll im Folgenden einer eingehenden Analyse unterzogen werden. Imagearbeit und Leistung Geschlechtlichkeit und die Wahrnehmung von Leistung hängen zutiefst miteinander zusammen.21 Wenn Berufe und Berufsfelder eine geschlechts-

20 Hale (2005) bezeichnet die Einheitlichkeit des sex/gender-Status’ als „juridische Fiktion“ (ebd., 141). Von einer analytischen Trennung zwischen Subkulturen und dominanter Kultur ausgehend, beschreibt er die Einheitlichkeit des sex/gender-Status’ als eine Konstruktion, die „an den mit Gender spielenden lederqueeren Körpern [scheitert], die in ‚Subkulturen‘ verortet sind, deren Gender-Orchestrierungen sich von denen der dominanten Kultur unterscheiden“ (ebd., 141). 21 Zur sozialen Konstruktion von Geschlecht in Professionalisierungsprozessen, aber auch zur Logik der Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit vgl. Wetterer (1995; 2001; 2002). Beaufaÿs (2003) untersucht in diesem Zusammenhang die wechselseitige Konstitution von Geschlecht und Wissenschaft.

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spezifische Logik aufweisen, sind auch Erwartungen, Anforderungen und Anreize für ‚als Frau‘ oder ‚als Mann‘ positionierte Personen geschlechtlich spezifiziert und werden in der Regel von Einzelnen balanciert. Die Erfahrungen, die Tom in seiner Erwerbsarbeit macht, werden nun anhand der Dimensionen ‚Wahrnehmung‘, ‚Kommunikation‘ und ‚Wirkung‘ herausgearbeitet. Wahrnehmung Tom hat seinen Berufseinstieg ‚als Mann‘ vollzogen und arbeitet im sozialen Bereich mit Jugendlichen. Dabei scheint allen Beteiligten klar zu sein: „Also da auf der Arbeit bin ich hetero und Mann.“ (37) Interessant ist seine Erklärung, wie er zu dieser Einschätzung kommt: „Also da sag’ ich auch nicht, dass ich vielleicht schwul [bin, KW] – oder auch schwule Tendenzen hab – das nicht.“ (37) Hier zeigt sich als wichtige Dimension in der Funktionsweise von Heteronormativität: Was nicht ausgesprochen oder benannt wird, bleibt inexistent – es wird in die allgemeine Erwartung, dass es genau zwei Geschlechter gibt, die sich wechselseitig aufeinander beziehen, subsumiert. Tom weiß um die Funktionsweise von Heteronormativität und bewegt sich in diesem Wahrnehmungsmuster. In einem Gespräch mit den Jugendlichen, die nach seinem Alter fragen und sich wundern, wie jung er aussieht, meint er: „’Das ist doch ’n Vorteil, ich krieg immer die jungen tollen Schnecken ab.’ – Und das [lachend] zieht bei den Jugendlichen.“ (33) Mit diesem Statement verortet er sich klar innerhalb einer heterosexuellen Matrix und stellt sich als heterosexuell männlich – in der überlegenen Subjektposition – dar. Meine anschließende Frage, ob es sich ausschließlich um männliche Jugendliche handelt, verdeutlicht dabei eine feministische Position, in der zunächst nicht mitgedacht wird, dass auch Frauen davon profitieren, sich in dieser Matrix zu verorten. Die von Tom beschriebene Situation bezieht sich tatsächlich auch auf weibliche Adressat_innen, die mit dieser Aussage innerhalb einer heteronormativen Anordnung situiert werden – und sich mit dem ‚Verstehen‘ selbst darin verorten. Zugleich beschreibt er Bewegungen, die er innerhalb dieses Musters vollzieht. Als er einer Kollegin, mit der er ein Büro teilt, Blumen mitbringt, ruft er damit zunächst eine heterosexuelle Szene auf: „[Sie] hat sich auch ausgelassen über ihren Freund, der ihr ja keine Blumen schenkt, und dann – zufällig … geht ja um die Symbolik in dem Moment, ja – hin und weg.“ (34) Die Symbolik, der Büro-Kollegin Blumen mit zu bringen, kann dabei

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als Zitat eines aufgeladenen Liebesbeweises gelesen werden. Was zum Verständnis der Zitatförmigkeit notwendig ist: Die Büro-Kollegin ist die einzige Person am Arbeitsplatz, die um seine Biographie als Transmann weiß. Die Beziehung zwischen ihnen wird gestiftet durch einen vertrauten Umgang, der zugleich ein Arrangement darstellt: „Die ist die Letzte, die was erzählen würde, weil sie selber auch genug Probleme hat, die ich weiß und auch nicht erzähle, also wir arrangieren uns da untereinander, ja.“ (38) Die Blumen-Aktion verläuft nicht nur in einem geschlechtlich legitimierten Rahmen, sondern stellt diesen in seiner heteronormativen Verfasstheit überhaupt erst her: Sein Mann-Sein wird in diesem Kontext nicht angezweifelt, sondern über die Heterosexualisierung der Szene noch verstärkt. Zugleich überschreitet er den heteronormativen Rahmen, indem er einen Schritt weiter geht als es in Erwerbsarbeitskontexten üblich ist: „Ich hab noch zwei männliche Kollegen, und es ist eben nicht typisch – für ’n Mann – dass er so versucht, auch – sagen wir mal – seinen Kolleginnen quasi ’n relativ angenehmes Arbeitsklima zu geben, ja… Und das ist sehr ungewöhnlich, und damit rechnet jemand anders dann in dem Moment nicht, ja.“ (34 f.) Seine eigene Erklärung für diese Überschreitung hört sich folgendermaßen an: „Ich arbeite ja auch mit dem Wissen, das ich von vorher hatte, und weiß, es kommt gut an, wenn man das mal macht, ja.“ (34) Er referiert auf die Zeitachse, um sich selbst zu erklären: Das Wissen um sein ‚Mann-Sein‘ steht weder für ihn selbst noch für andere in Frage, und dies ist die Position, von der aus er sich Handlungen leisten kann, die als „untypisch“ oder „ungewöhnlich“ wahrgenommen werden. Dies erklärt er mit „seinem Wissen von vorher“, das hier zum Einsatz kommt: Tom leistet ‚sexuelle Arbeit‘ im Sinne von Lorenz und Kuster (2007), indem er die herrschende Normalität wahrnimmt und sie zugleich durchquert: „damit rechnet jemand anders dann in dem Moment nicht“. Diese Art, sich souverän in einem heteronormativen Feld zu bewegen, gelingt in der Beziehung zu seiner weiblichen Büro-Kollegin, die die Zitatförmigkeit der Aktion versteht und unterstützt. Anders stellt sich die Situation mit den beiden männlichen Kollegen dar: Ein Kollege zeigt für das Blumen-Mitbringen „Verständnis“ und wird von Tom als „so ’n Überkorrekter“ (36) beschrieben, was er darauf zurückführt, dass dieser in einem Frauenhaushalt aufgewachsen sei: „ganz unbewusst, einfach von seiner Einstellung her … dann ist das eben einfach so“ (36). Demgegenüber bezeichnet er den zweiten Kollegen als „so ’n richtiges Macho-Arschloch“

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(36). Interessanterweise liefert Tom für die Einstellung des zweiten Kollegen keine Begründung: Innerhalb eines heteronormativen Erwerbsarbeitskontextes scheint sein Verhalten erwartbar zu sein und als ‚normal‘ zu gelten. Die gesamte Ambivalenz des Feldes kommt nun in Toms Darstellung folgender Geschichte zum Ausdruck: „Und da spielen sich natürlich auch so Sachen ab, über die muss ich dann schmunzeln, ja. Also dann auch in so diese Männersachen dann eingeführt zu werden, gerade dieser Kollege, der da auf diese – diese blonden Mädels steht – [stammelt] also es fällt mir ganz schwer, da meine Klappe zu halten, nicht zu sagen: ‚Das möchte ich nicht hören.’ Also, das sind so Sachen, die muss man irgendwie anscheinend, hab ich festgestellt, ertragen, weil das einfach so zu so ’nem männlichen Verhalten dazu gehört, ja. Aber das heißt nicht, dass ich da mitziehen muss. Also ich halt’ mich da raus.“ (36) In der Beziehung zu diesem Kollegen bleibt kein Raum, sich innerhalb einer heteronormativen Anordnung zu bewegen. Die Positionen sind festgelegt und die Grenzen scheinen eng gesteckt. Toms Wahrnehmung nach ist die Situation zu „ertragen“, soll die eigene Position nicht in Frage gestellt werden – eine Drohung, die er in seinem Leben kennen gelernt hat. Die Konsequenz, die er zunächst für sich zieht – „sich da raus zu halten“ – funktioniert nur begrenzt, denn tatsächlich gibt es kein Außen in einer Situation, in der die heteronormative Verfasstheit unangetastet bleibt. Zugleich wandert die Geschichte in der Folge durch verschiedene Kontexte, in denen die unterschiedlichen Dimensionen der Situation zum Vorschein kommen. Zunächst wird abgeklärt, wie die Interviewer_in auf sexistische Situationen reagiert, wenn er beispielsweise von diesem Kollegen sagt: „Der dann immer so den jungen Mädchen hinterher guckt, bevorzugt Mitte zwanzig, lange blonde Haare und dicke Brüste – dicke Titten wollt ich schon sagen. [lachend:] ’tschuldigung. [lacht] rutschte so raus.“ (36) Während er hier selbst ein heteronormatives Sprachspiel inszeniert und dabei eindeutig die überlegene Subjektposition einnimmt, die Interviewer_in aber nicht reagiert und damit das Performative der Situation anerkennt, kommt er in der Folge auf die damit verbundenen Ambivalenzen zu sprechen. Als er beschreibt, wie er die Szene seiner Büro-Kollegin erzählt, hört sich das folgendermaßen an: „’Und’, hab ich gesagt, ‚du – in dem Moment also – ich hab’ echt überlegt, ob ich gerade das Fenster runterkurbel’ und

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aus ’m Auto kotze, ja.’ Da hab’ ich aber auch so gemerkt, also, in mir steigt so ’n körperliches Unbehagen hoch. Und da hab’ ich gesagt – also da merk ich einfach, dass das – dass ich doch – sehr – viel – noch aus diesen Zeiten mitnehme – und sehr viel – meiner Wahrnehmung und meines Verhaltens aus dieser Zeit aufbau’. Was ja an sich ja nicht schlecht ist, ja – es genügt mir ja wirklich immer zum Vorteil. Aber wo ich sag’ – ist – da – krieg’ ich echt so – na ja. Das ist – sehr unangenehm, da so ’n Gespräch zu haben.“ (39) In dieser Erzählung wechselt er die Perspektiven: zwischen der Erinnerung an die Situation mit dem Kollegen, der Erinnerung an die Situation, in der er seiner Kollegin gegenübersitzt, sowie der aktuellen Gesprächssituation im Interview. Erst die Erzählung seiner Kollegin gegenüber ermöglicht ihm dabei, ein „körperliches Unbehagen“ zu spüren, das „in ihm hochsteigt“. Er scheint vorauszusetzen, dass sein weibliches Gegenüber – ebenso in der Interviewsituation – seine Ablehnung in dieser Situation teilt. In Bezug auf sich selbst referiert er auf die Zeitachse und erklärt die heftige Reaktion, die sich insbesondere körperlich zeigt, aus seiner Geschichte heraus: „dass ich … sehr viel meiner Wahrnehmung und meines Verhaltens aus dieser Zeit aufbau’“. Sein körperliches Unbehagen führt er auf frühere Erfahrungen zurück: Sie stellen eine Begrenzung seiner Seinsweise ‚als Mann‘ dar, die er zugleich in der sich anschließenden Bewertung relativiert: „Was ja an sich ja nicht schlecht ist, ja – es genügt mir ja wirklich immer zum Vorteil“. In diesem Moment aber wird deutlich, dass er nicht bruchlos in einer heteronormativ männlichen Position aufgeht oder an dem heteronormativen Spiel teilnimmt, wenn er etwa sagt: „das ist – sehr unangenehm, da so ’n Gespräch zu haben“. Die Ambivalenz seiner Position in diesem Feld zeigt sich darin, dass er in genau dem Moment, in dem er eindeutig ‚als Mann‘ wahrgenommen wird, mit körperlichem Unbehagen reagiert. Sein Versuch, sich „da raus zu halten“, wird konterkariert durch die Bedeutung, die diese Situation in Bezug auf die Anerkennung seines MannSeins hat – eine Facette, die wiederum in den Gesprächen beim Stammtisch betont wird: „Das sind dann auch so Stories, die ich beim Stammtisch erzähle. Dann sag ich so: ‚Hier hört mal zu, was mir wieder passiert ist, ja.’ Und dann die: ‚Wow, das ist ja hammerhart!’ Und dann aber so: ‚Na ja, aber eigentlich – ja, da sieht man ja, dass der dich echt als vollen und ganzen Kerl ansieht, ja.’ Man versucht das natürlich auch positiv zu bewerten, wie gesagt, aber – hab’ ich gesagt: ‚Ist mir egal, das macht nichts daran,

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dass ich das immer noch unglaublich [laut lachend] ekelhaft finde, ja.’“ (39) Auch hier wieder referiert er auf die Zeitachse, wenn er betont, dass er die Einstellung des Kollegen – jenseits der Deutungen und subjektivierenden Wissensproduktion beim Stammtisch – „immer noch“ ablehnt. Die Ambivalenz seiner Position im Feld drückt sich darin aus, dass er genau in dem Moment, in dem die Anerkennung ‚als Mann‘ sowohl in der Situation mit seinem Kollegen als auch in der Analyse der Situation beim Stammtisch so real wird, mit körperlichem Unbehagen reagiert. Sein wiederholtes Betonen, „also ich halt’ mich da raus“ (36) oder „hier, damit möchte ich nix zu tun haben“ (37), bringt die Sogkraft einer heterosexuellen Matrix zum Ausdruck, die zwar eine Sprechposition bereithält und Autorität verleiht, zugleich aber einen körperlich spürbaren Widerstand hervorruft: Es ist eine Ambivalenz aus Distanz und Ermächtigung, die an dieser Stelle auf den Punkt gebracht wird. Der Körper stellt dabei das Terrain, auf dem Plätze innerhalb einer heteronormativen Ordnung angewiesen wie auch durchquert werden. Kommunikation Wenn Tom seine eigene Arbeit mit den – vorwiegend männlichen – Jugendlichen im Vergleich zu der einer weiteren Kollegin beschreibt, die kurz vor ihm angefangen hat, dann überwiegt die Betonung von Ähnlichkeit mit den Jugendlichen: „Also bei mir reibt sich das auch eher, also diese Probleme, die Jugend-, männliche Jugendliche haben, die kommen bei mir dann eher zum Vorschein… Der kommt dann auch auf mich zu – also das ist auch ’ne unglaublich höhere Aggressivität dann auch – und dann muss man dann auch steh’n. Und dann steht man als Fels in der Brandung da und dann gibt man dem Kontra.“ (43) Mit der so konstatierten und wahrgenommenen Ähnlichkeit wird ein Raum hergestellt, in dem Tom ein gewisses Maß an Autorität zukommt und den Widerstand der Jugendlichen herausfordert. Während die Interaktionen seiner Kollegin mit den Jugendlichen seiner Wahrnehmung nach dadurch charakterisiert sind, dass sie sich auf endlose Diskussionen einlasse, scheint er selbst in den Begegnungen mit den Jugendlichen, die auf ihn zu kommen und ein hohes Maß an Aggressivität transportieren, stand zu halten – eine Haltung, die er in folgender Weise auf den Punkt bringt: „’Ich bin nicht auf dich angewiesen.’ Der diskutiert dann nicht mehr mit einem… Bei mir, wenn ich sag, nix – ist auch nix.“ (43)

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Tatsächlich kommt hier eine Erfahrung zum Ausdruck, die Tom an verschiedenen Situationen und für verschiedene Kontexte deutlich macht: Dass Heteronormativität nicht nur die Kommunikation zwischen den Geschlechtern strukturiert, sondern insbesondere in der Konstituierung einer nach Geschlecht homogenen Gruppe wirkt.22 Hierzu führt er seine früheren Erfahrungen in Frauenzusammenhängen an: „Was mir immer ’n schlechten Stand bei Frauen gemacht [hat], weil ich so zack zack zack zack und – nee. Und wo ich aber für mich gemerkt hab’: Ich zieh’ mich aus der Kommunikation raus – [sucht Worte] – da hätt’ ich dann wirklich – dann hätt’ es da geheißen: Ich reiß’ alles an mich, ja … Und das wollt’ ich in dem Moment nicht, also hab’ ich gesagt, ich – verlasse – die Gesprächssituation einfach.“ (47) Was er hier beschreibt, ist eine normative Situation, in der bestimmte Kommunikationsmuster erwartet werden und anschlussfähig sind, während andere unbeantwortet bleiben oder unerwünscht sind. Der Ein- und Ausschluss zu geschlechtlich homogenen Gruppen reguliert sich normativ, wobei er deutlich macht, dass nicht das zugeschriebene Geschlecht der Personen für die Art der Kommunikation verantwortlich ist: „Ich hab’s immer gehasst, mit Frauen in einer Arbeitsgruppe zu sein, ja… Und wo ist das Problem, einfach die Frage ’runterzuarbeiten. Nein – das hängt leider männlichen Pädagogen ja auch an – man diskutiert erst über die Fragestellung.“ (48) Das beschriebene Kommunikationsverhalten ist auf eine Weise normativ an als weiblich markierte Körper gebunden, dass Tom, der den Erwartungen an ‚Frau-Sein‘ schon nicht entsprochen hat, dieses Muster nun mit dem Geschlechtswechsel noch zusätzlich zementiert: „Das gab Reibereien früher, ja. Weil – das kann ja so quasi wie – was mir jetzt ab und zu auch noch angelastet wird: Ich verrate ja das weibliche Lager, ja. Jetzt natürlich dann mit dem Geschlechtswechsel erst recht, ja: ‚Hey, du wirst jetzt zum Feind.’… ‚I-c-h??’… Sag ich: ‚Seht’s doch so: Ihr habt jetzt ’n Spion da – seht das doch mal andersrum, ja.’ H-e-y- – aber das lastete mir eben an, und es ist auch heute so das, was dann an mir dran hängt, weil ich einfach dann eine andere, einfach ’ne andere Einstellung dazu [hab], ja.“ (48 f.)

22 Für eine weitergehende Betrachtung der Konstruktion von Männlichkeit mit dem Fokus auf die homosoziale Dimension vgl. die Diskussion der Ansätze von Raewyn Connell und Pierre Bourdieu bei Meuser (2006).

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Diese „andere Einstellung“ wiederum findet in homogen männlichen Gruppen ihre Entsprechung. Tom genießt die Kommunikation – und Anerkennung ‚als Mann‘ – unter männlichen Kollegen: „Ganz viel an Kommunikation unter uns Männern läuft auch ohne – nonverbal ab, ja… Der guckt nur ganz kurz, und innerlich sieht man so – dann – wir nicken uns gegenseitig zu: ‚Die Frauen sind wieder unterwegs… lassen wir die einfach machen.’… Ja, es ist [laut lachend] uns definitiv dann zu viel, ja.“ (44 f.) Deutlich wird, wie sich durch die Referenz und den Ausschluss von Frauen ein männliches ‚wir’ konstituiert und diese Zugehörigkeit mit Macht ausgestattet ist. Was in diesem Statement als Beschreibung geschlechtsspezifischer Kommunikationsmuster gelesen werden könnte – und insofern einen Geschlechtswechsel logisch erscheinen lässt – weist tatsächlich eher in Richtung einer homogenen Aufteilung zugestandener Kommunikationsmodi und Affektivitäten auf die verschiedenen Geschlechtskörper, wie es Gatens (1995; 1996) formuliert: Aus der Konstruktion von Weiblichkeit wird ein bestimmtes (als männlich kodiertes) Redeverhalten ausgeschlossen. Die rigide und normativ aufgeladene Zweiteilung von Körpern verunmöglicht auf diese Weise nicht nur eine Wahrnehmung von Differenzen und Ambivalenzen, sondern sie verhindert auch die Bezugnahme auf und das Werden differenter geschlechtlicher Seinsweisen, die eindeutige Zuordnungen – und die hierarchisierte Anordnung – durchqueren. Wenn Tom kritisch anmerkt, dass es „männlichen Pädagogen“ (48) ja auch anhänge, erst über die Fragestellung zu diskutieren, so kann dieses Verhalten als – öffnende, aufbrechende und problematisierende – Haltung rekonstruiert werden, die nicht nur in der Pädagogik, sondern in Geistesund Sozialwissenschaften generell gefordert und gefördert wird. Mit der Aufteilung von Haltungen entlang einer imaginären Geschlechtslinie – einer Markierung als ‚weiblich‘ respektive ‚männlich‘ – sind gesellschaftliche Wertungen verbunden, die unter dem Stichwort der ‚Feminisierung‘ die Degradierung des mit Weiblichkeit assoziierten zum Ausdruck bringen. Die gesellschaftliche Zweiteilung von Körpern wird dabei von Tom teilweise aufgebrochen (indem er männlichen Pädagogen eine als ‚weiblich‘ markierte kritische Haltung zuschreibt) und doch wieder in Anspruch genommen: „Früher konnte ich mich mit niemandem verbünden, heute sitze ich so da und weiß so – na ja… Ja, es ist wirklich gut, dass da noch jemand anders [laut lachend] genauso denkt in dem Moment wie ich, ja.“ (46) In dieser Situation beruft er sich auf den common sense, der als geteiltes Wissen

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voraussetzbar ist und auf diese Weise seine Inklusion – vermittelt über seine Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘ – absichert und vorantreibt. Die Erfahrungen aus früheren Kontexten, in denen Tom ‚als Frau‘ auftrat, betrachtet er somit auch unter folgender Perspektive: „Konkurrenzdenken – sehr stark. Also das ist ja dann auch unter Frauen… also dann denk’ ich so: ‚Ja hier, auf der einen Seite sprichst du von ’ner Frauensolidarität, und auf der anderen Seite hackst du noch stärker rum als das in dieser Geschlechterbinarität der Fall ist, ja.’“ (53) Dieser normativ aufgeladenen Situation, in der er für sich ‚als Frau‘ keinen Platz gesehen hat, kann er nun ‚als Mann‘ in neuer Form begegnen: „Die [Grenze] ist eben, die ist einfach gesetzt – gesellschaftlich, und die ist – wird einfach nicht angezweifelt in dem Moment. Für mich ist es ’ne Erleichterung, ja… Und das ist ja das, was ich erreichen wollte durch den Geschlechtswechsel… Was mir in der Uni begegnet worden ist: Ich wäre dominant, arrogant, nicht teamfähig… so eigenartig… weil ich galt als ober-cool und dominant und unnahbar. Und da dachte ich so: Komisch, so war ich noch nie!“ (53 f.) Interessant ist, dass seine Selbstwahrnehmung und die Art und Weise, wie andere ihn zu dieser Zeit beschrieben und wahrgenommen haben, vollkommen auseinander zu gehen scheinen. Deutlich wird, dass seine Seinsweise etwas Unterschiedliches bedeutet, je nachdem, ob sie in einem als weiblich oder als männlich markierten Körper realisiert wird. Dies ist die soziale Situation, aus der heraus er die Entscheidung trifft: „Ihr gebt mir keinen Raum, also nehm’ ich diese Nische für mich ein.“ (54) Was „diese Nische“ genau ausmacht, wird abschließend rekonstruiert. Zunächst jedoch soll der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise eine Vereindeutigung seiner geschlechtlichen Selbstpositionierung – oder in seinen Worten: eine Vervollständigung seines Typs – zu einer Verortung innerhalb der heterosexuellen Matrix führt, und welche Effekte der Ermächtigung und Privilegierung damit einhergehen. Wirkung Tom ist in sein neues Arbeitsfeld ‚als Mann‘ eingetreten. Von Interesse ist nun, wie er die Wirkung seiner Person beschreibt und welche Erfahrungen er dabei macht: „Es ist so,… eigentlich in meiner Haupttätigkeit sollte ich die Jugendlichen begleiten, aber dann gibt es so Sachen, die an mich herangetragen worden sind, die eigentlich meine Chefin machen sollte – die aber das aufgrund ihrer seltenen Anwesenheit dann nicht macht, die ich dann

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mache und entscheide. Dann wird das an mich herangetragen, und dann entscheide ich in dem Moment. Oder ich stell’ den Kontakt her.“ (63) In dieser Passage erscheint es als quasi naturwüchsiger Prozess, dass diese „Sachen, die eigentlich die Chefin machen sollte“, an Tom „herangetragen“ werden. Dies bringe ich – zunächst tentativ – mit einer spezifisch männlichen Kodierung seiner Person in Zusammenhang: Weder seine Kollegin, die wenige Monate vor ihm angefangen hat, noch seine beiden Kollegen, die hier seit vielen Jahren als Fachausbilder beschäftigt sind und einen handwerklichen Hintergrund haben, bekommen diese Entscheidungsbefugnis übertragen. Auch für Tom steht nicht in Frage, dass diese Entscheidungen von ihm getroffen werden: „Sie [die Chefin] hat eben jemanden gebraucht vor Ort, der auch mal einfach ’ne Entscheidung trifft, wenn sie nicht da ist… Das ist auch in Ordnung so. Also so wird das auch gehandhabt.“ (62 f.) Diese spezifische Selbstpositionierung resultiert aus verschiedenen Faktoren, denn die Wahrnehmung seiner Männlichkeit grenzt ihn von der fachlich gleich qualifizierten Kollegin ab, und sein Bildungshintergrund differenziert ihn von den beiden männlichen Fachausbildern. Zugleich kann als gewichtiger Faktor gelten, dass unter der Voraussetzung von Heterosexualität gearbeitet wird, die heteronormative Ordnung also nicht gefährdet erscheint. Was sich auf mein Nachfragen allerdings herausstellt, erfordert weitere Differenzierung, denn die Maskulinität, die bei Tom so nahtlos wahrgenommen und – in Form beruflicher Bestätigung – anerkannt wird, ist abgesichert durch sein ‚Mann-Sein‘. Auf meine Frage, ob das genauso reibungslos gelaufen wäre, wenn er ‚als Frau‘ in dieses Arbeitsfeld eingetreten wäre, formuliert er, er hätte den Job als Frau gar nicht bekommen. Seine Begründung für diese Vermutung liest sich wie folgt: „Weil ich so angenehmer wirke als wenn ich – als Frau hätt’ ich eben so schon gewirkt – obwohl ich mich nicht anders verhalten hätte in dem Moment – aber dann hätte man irgendwie das Gefühl gehabt, dass man sich da ständig knallt und sich an mir abarbeitet oder ich mich an irgendwas abarbeite. Und jetzt hat das irgendwie so – ich weiß nicht – wie so’n Flow einfach, da passt das eben. Das hat irgendwas mit der äußerlichen Erscheinung einfach zu tun: Da passen die Fähigkeiten zu dem, wie der Typ eben ist. Und passt auch zu dieser Vorstellung, die Menschen haben. Also die Gesellschaft ist einfach nicht so weit, damit Menschen – so wie ich vor drei, vier Jahren gelebt

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habe, in dieser Gesellschaft auch ihre Position bekommen mit den Fertigkeiten, Fähigkeiten, die sie haben, und auch den Qualifikationen.“ (63) Als männlich wahrgenommene Seinsweisen erscheinen als begrenzte – und umkämpfte – Ressource, die bestimmten Körpern vorbehalten ist.23 Auf diese Weise wird einer Macht-Diffusion durch Verkörperungen, die das zweigeteilte und hierarchisch angeordnete Muster durchqueren, Einhalt geboten. Dieser Eindruck entsteht in der Beschreibung der Reaktionen, die Tom erwartet hätte, wenn er – „wie … vor drei, vier Jahren“ – ‚als Frau‘ in dieses Arbeitsfeld eingetreten wäre: Man hätte das Gefühl gehabt, dass „man sich da ständig knallt und sich … abarbeitet“. Tom verortet diese Irritation – die er aufgrund seiner biographischen Erfahrungen antizipiert und in Metaphern des Kampfes zum Ausdruck bringt – nicht in seinem Verhalten (das sich nicht verändert habe), sondern in der Wirkung seiner Person, die er mit der „äußerlichen Erscheinung“ zusammen bringt. Auch hier wieder referiert er auf einen „Blick von außen“,24 der Eindeutigkeit verlangt: Die Fähigkeiten passen nun zu dem, „wie der Typ eben ist“, und das wiederum „passt zu dieser Vorstellung, die Menschen haben“. Dieser Zustand des Passend-Seins wird von Tom als „Flow“ bezeichnet und deutet auf ein Aufgehen in dieser Situation hin: „Und so ist es zumindest, passt – bis auf so ’ne bestimmte private Ebene – für alle Menschen, die mich irgendwie sehen, passt das, ja. Mein Redeverhalten, das ja schon immer so war… passt ja dann plötzlich zu dem, wie ich wirke und wie ich aussehe, ja.“ (69) Die anerkennende Wirkung seiner Person verläuft über eine normative Matrix der Intelligibilität, in der er eine geschlechtliche Positionierung ein- und annimmt. In seiner öffentlich sichtbaren Geschlechtlichkeit „passt“ jetzt etwas – es ist der Eintritt in die Intelligibilität, den er als „Flow“ und in diesem Sinne als ermächtigend beschreibt. Die Selbstwahrnehmung und Realisierung von Maskulinität im Zeichen von ‚Mann-Sein‘ ermöglicht eine erkennende – und anerkennende – Wirkung seiner Person. Dies drückt sich auch auf einer körperlichen Ebene aus: „Das mit dem Sakko – früher hätt’ ich das auch gerne gemacht, aber irgendwie hat sich das früher nicht gut angefühlt. Und jetzt: fühlt sich das auch ganz gut an, ja. Wird mir ja auch eher zuge-

23 Vgl. zu diesem Argument Halberstam (1998) und Engel (2000; 2002). 24 Ein Ausdruck aus dem Interview mit Nadine (vgl. Abschnitt IV.1.5).

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standen, diese Kombination: irgendwie so ’n Motto-T-Shirt oder ’n T-Shirt mit ’nem Aufdruck zu tragen, und dann das Sakko und dann ’ne Jeanshose, also dieser Stilbruch, das passt ja auch. Hab’ ich ja vorher eigentlich auch gemacht, aber jetzt sacht man, das is’ halt ’n modischer junger Typ. Also früher hab’ ich immer so versucht, mir eins zu kaufen, und dann: ‚Häh‘, und dann: ‚Ach, ’s war nicht so ganz‘, und jetzt: ja, fühl mich halt wohler drin.“ (66) Es kommt zu einer Kohärenz in der geschlechtlichen Selbstwahrnehmung, die körperlich spürbar ist: Das Sakko – Emblem hegemonialer bürgerlicher Männlichkeit25 – „fühlt sich jetzt überhaupt erst gut an“, denn es wird ihm „eher zugestanden“. Das Tragen eines Sakkos bedeutet also mehr als die Wahl eines Kleidungsstücks: Es ist verbunden mit gesellschaftlichen Anerkennungsprozessen, die an Körper gebunden sind – und sich zugleich körperlich bemerkbar machen. Während das Herrensakko bei Frauen als Anmaßung empfunden wird – oder zumindest irritiert –, wird es ihm ‚als Mann‘ zugestanden, was – auf einer körperlichen Ebene – zu einem entsprechenden Zustand des Wohlfühlens führt. Dass diese Eindeutigkeit immer wieder hergestellt und aufrechterhalten wird, zeigt sich in Situationen, in denen Tom von Kollegen ganz selbstverständlich in sexistische Gespräche ‚unter Männern‘ verwickelt wird: Sie dienen nicht nur dazu, Frauen als Objekte in ihre gesellschaftlichen Grenzen zu verweisen, sondern ermöglichen vielmehr, sich ‚als Mann‘ in der überlegenen Subjektposition zu konstituieren. Dass diese Situationen von Tom als „sehr unangenehm“ (39) wahrgenommen werden und für „körperliches Unbehagen“ (39) sorgen, verweist dabei auf die Ambivalenz dieser durch Vereindeutigung hergestellten Geschlechterposition. Den Umgang, den Tom zum Zeitpunkt des Interviews mit dieser Selbstpositionierung im geschlechtlichen Raum gefunden hat, soll nun abschließend rekonstruiert werden. „…diese Nische…“ Die Intelligibilität, in die Tom ‚als Mann‘ eintritt, geht einher mit einem neuen Ausloten von Optionen: „Ich werd’ zwar als Mann wahrgenommen,

25 Zu den konstitutiven Diskursen im viktorianischen England, in denen die Männlichkeit von Minenarbeiterinnen verhandelt wird, siehe Lorenz (2007).

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aber mach’, glaub’ ich, genau das, was Chefinnen machen würden.“ (58) Interessant ist an dieser Stelle, dass er sein Verhalten – obwohl Berufsanfänger – mit Chefinnen abgleicht und nicht etwa mit Kolleginnen oder mit der Büro-Mitarbeiterin, die er erwähnt. Auch beschreibt er sich selbstverständlich als jemand, „der sehr angenehm Arbeitsaufträge weitergibt“ (57) – in seiner Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘ scheint er eine Leitungsposition nicht nur anzustreben, sondern bereits umzusetzen. Seine Erklärung für die positive Resonanz auf seine Arbeit ist: „Sein Wissen von vorher und das Wissen, das man jetzt erlangt, ist man eigentlich immer in der vorteilhafteren Position. Und zwar, ohne dass die anderen das halt wissen.“ (58) Auch hier legt er wieder eine Zeitachse an, die „sein Wissen von vorher“ von seinem „jetzt erlangten“ Wissen trennt und ein fast additives Verhältnis differenten Geschlechterwissens nahe zu legen scheint: „Das geht auch nicht weg, das bleibt einfach, und das ist ’n erlangtes Wissen – das hat man, das sitzt einfach, und man weiß das einfach.“ (58) Diese zeitlich sequenzierte Darstellung verschiedener Wissensweisen von Geschlecht verweist auf die Eindeutigkeit, mit der er das crossing gerade vollzieht. Sie spricht für sein momentanes Aufgehen in der „neu gefundenen Männlichkeit“ (19), die sich in einem Prozess körperlicher Transformation realisiert. Erst diese Position des passing – die Unauffälligkeit, die die Anerkennung seines Mann-Seins garantiert – erlaubt ihm, gezielt Stilbrüche zu produzieren und kontrolliert Grenzen auszutarieren. Zentral in dieser geschlechtlichen Selbstpositionierung ist nicht Männlichkeit per se – an keiner Stelle des Interviews erwähnt er, sich ‚als Mann‘ zu fühlen oder immer schon ‚männlich‘ gewesen zu sein, sondern vielmehr die neue Erfahrung einer Ermächtigungsposition, die durch Intelligibilität gestiftet ist. Diese Intelligibilität bestimmt sich nicht allein durch sein Mann-Sein, sondern auch durch seinen Bildungshintergrund. Perspektivisch hat er somit auch „im sozialen Bereich mehr das Ziel, irgendwann mehr in die administrative Ebene zu gehen – also ich bin einfach besser im Organisieren. Dafür hab’ ich, merk’ ich, da kann ich auch weitaus mehr Energien aufbringen, da hab’ ich auch viel viel mehr Geduld als mit Klienten zu arbeiten.“ (71) Tom sucht nach einer Passung von Tätigkeit und dem, was ihm liegt. Wenn er dabei das ‚Organisieren‘ einer ‚Arbeit mit Klienten‘ gegenüberstellt und selbst für das Organisieren optiert, mutet diese Haltung auf den ersten Blick wie eine geschlechterdifferenzierende Perspektive an: Während die Arbeit mit Klienten weiblich konnotiert ist und zur – abgewer-

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teten – Sphäre des Sozialen gehört, ist das Organisieren männlich konnotiert und kann als höherwertiges Arbeiten Geltung beanspruchen. Diesen Zusammenhang rollt Tom von der anderen Seite her auf: In seiner Formulierung scheinen beide Tätigkeiten Energien und Geduld zu erfordern. Dabei zeigt seine Geschichte in eindrücklicher Weise, dass seine Seinsweise mit den „Fertigkeiten, Fähigkeiten … und auch den Qualifikationen“ (63) ‚als Frau‘ inakzeptabel war, ‚als Mann‘ aber durchaus erwünscht ist und gefördert wird. Indem als männlich markierte Seinsweisen durch die Kopplung an bestimmte Körper ‚Männern‘ vorbehalten bleiben, wird die Binarität der Geschlechterwahrnehmung – in ihrer rigiden hierarchischen Verfasstheit – reproduziert. Es ist deutlich geworden, wie die Wahrnehmung und Definition von erbrachter Leistung mit der Anerkennung von Geschlecht zusammenhängt. Dies formuliert Tom, wenn er unter Anerkennung Folgendes versteht: „Also in der Arbeit sowieso die Kombination von Beidem, also dass die [Leute, KW] sagen, das ist ’n guter Typ und er macht ’ne gute Arbeit. Und in der Freizeit eher so, das ist einfach ’n guter Typ.“ (72) Die Einschätzung seines „Typs“ – seine Wirkung – erfolgt dabei nicht nur durch die Geschlechterfolie, sondern auch vor dem Hintergrund seines Bildungswegs. Eine Bewertung als „gute Arbeit“ rekurriert zwangsläufig auf Erwartungen, die an spezifische Positionierungen gekoppelt sind. Tom bewegt sich in dieser Struktur, wobei das Motiv weniger das ‚Mann-Sein‘ an sich als vielmehr die mit Geschlecht verbundene – und ermöglichende – Intelligibilität ist. Dass diese Teilhabe ihren Preis hat, zeigt sich nicht nur in ambivalenten Situationen, in denen er mit körperlichem Unbehagen reagiert. Auch die Andeutungen einer „bestimmten privaten Ebene“ (69), die von seinen Schilderungen ausgenommen ist und auch nicht Thema des Interviews war, lassen eine Komplexität vermuten, die eine enorme Herausforderung dieser Subjektivierungsweise darstellt. Bezeichnend für die Herrschaftsförmigkeit von Heteronormativität als Wahrnehmungsmuster ist, dass Tom den offensiven Umgang mit seiner Transmännlichkeit außerhalb der Erwerbsarbeit verortet, wo er sich in Form eines Stammtisches für einen Ort und für die Sichtbarkeit dieser geschlechtlichen Selbstpositionierung einsetzt. Aber auch die Bewegungen innerhalb des hier beschriebenen Erwerbsarbeitskontexts machen die herrschaftsförmige Struktur sichtbar, in der Ermächtigungspositionen und Privilegien nicht nur nach zugeschriebenem Geschlecht, sondern auch nach

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Bildungshintergrund und vorausgesetzter Heterosexualität angelegt sind. Das gewusste passing wiederum produziert neue Optionen und lenkt den Blick auf Bewegungen und Begegnungen, die sich in einem Dazwischen ereignen. Es braucht ein Umfeld dazu, gesehen zu werden – in diesem Sinne bringt Tom das Verhältnis zu seiner Büro-Kollegin auf den Punkt: „Wir lachen halt viel mit’nander, wir sind so ’n ziemlich ähnlicher Typ“ (Tom, 77)

„D ER

HATTE ’ NE

P OSITION , UND ICH

HATTE KEINE .“

Ganz anders stellt sich die Situation für Karo dar, die ebenfalls im sozialen Bereich mit Jugendlichen – in diesem Fall als Praktikant_in – tätig war. Sie ist eine Person, die von sich sagt: „Eigentlich ist es – von meinem MenschSein her – mehr oder weniger egal, ob ich jetzt ein Mann oder eine Frau wäre, für mich selber. Natürlich – natürlich reagieren die Leute unterschiedlich auf einen“ (Karo, 16). Karo organisiert einen Drag KingStammtisch.26 Hier treffen sich Menschen, denen bei Geburt ein weibliches Geschlecht zugewiesen wurde, die aber – je nach Konstitution mit mehr oder weniger Aufwand – zeitweise als Mann ‚durchgehen‘, das heißt als solcher wahrgenommen werden (wollen). Karo selbst wird im Alltag – beim Einkaufen in der Bäckerei oder auf dem Markt – „oft als junger Mann eingeordnet“ (4). Ihren eigenen geschlechtlichen Auseinandersetzungsprozess, in dem auch der Stammtisch eine spezifische Rolle spielt, beschreibt sie als eine „Erweiterung in das Männliche“ (13) und wird nachfolgend rekonstruiert. Die Wirkung dieser erweiterten Selbstpositionierung in einem Erwerbsarbeitskontext – in der Position einer Praktikantin27 – lässt sich als

26 Im Folgenden verwende ich das als weiblich definierte Pronomen, um auf Karo zu referieren, weil die als weiblich markierte Subjektposition einen wichtigen Ausgangs- und Bezugspunkt dafür bildet, an ihrer geschlechtlichen Selbstpositionierung zu arbeiten. Zudem hat sie das Interview mit mir ‚als Karo‘ und nicht ‚als ihr Drag King‘ geführt, was ein gewichtiger Unterschied ist, wie im Abschnitt „mein Drag King“ dargestellt wird. 27 An dieser Stelle verwende ich das kleine ‚i‘ ohne Unterstrich, da Karo das Praktikum – eine signifikante Prämisse – ‚als Frau‘ antritt (siehe Abschnitt 1.2.2).

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ein Spannungsfeld von „Wahrnehmung und Behandlung“ darstellen. Schließlich werden die Bedingungen spezifiziert, die das Ringen um die Einnahme einer „Position“ (61) ausmachen. Erweiterung in das Männliche Eine Auseinandersetzung mit ihrer geschlechtlichen Selbstpositionierung und die Schritte hin zu einer Praxis des Drag Kinging beschreibt Karo – ebenso wie Tom – ausgehend von einer gesellschaftlich zugewiesenen Position ‚als Frau‘. Relevante Dimensionen in diesem Prozess einer „Erweiterung in das Männliche“ (13) sind die Erfahrung einer ‚Kleidungsumstellung‘, das Hineingehen in die Realisierung einer Form von Maskulinität, die sie als ‚mein Drag King‘ bezeichnet, wie auch die zum Zeitpunkt des Interviews konstatierte Selbstpositionierung als ‚in der Mitte eingependelt‘. Kleidungsumstellung Karo kennt die körperlichen Zeichen und Kodes, die für eine Wahrnehmung ‚als Mann‘ stehen. Dazu zählen Haare und Stimme in unterschiedlicher Gewichtung, wie sie in folgender Erzählung heraus stellt: „Man kommt automatisch … durch kurze Haare schon maskuliner rüber… Ich mein’, da braucht man vielleicht noch nicht mal ’n Bart, damit man – manchmal nur so mit Mütze auf oder auch ohne Mütze in die Bäckerei gehen, dann steht da so ein alter Mann und sagt [tief:]: ‚Der junge Mann ist vor mir dran.‘ [lachend] Und ich red’ dann so, und red’ ganz normal [lachend], und dann – berichtigt der sich aber nicht, so dass ich denke, der – der ist weiterhin, also…“ (4) Auch in einer weiteren Situation auf dem Wochenmarkt kommt es dazu, dass sich die beiden Personen hinter der Theke darüber austauschen, wie Karo anzusprechen sei. Nachdem der Mann sie mit „Und der junge Mann?“ (4) anspricht und Karo antwortet, berichtigt ihn die Frau: „Das ist ’ne junge Dame.“ (4) Auf die Frage der Interviewer_in, ob und wie sie die Situation aufgelöst habe, führt sie die Stimme an: „Dadurch, dass ich relativ hoch spreche – oder nicht relativ hoch, aber doch eher höher spreche, waren die dann doch eher der Meinung, dass ich eine Frau bin, [lachend:] glaub ich.“ (5) Karo trägt nur indirekt zur Lösung der aufkommenden Geschlechterfrage bei: Sie überlässt den beiden Personen hinter der Theke die Entscheidung, welche der verschiedenen sicht- und hörbaren, also wahrnehmbaren Zeichen als Referenz

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für eine Zuschreibung ‚als Frau‘ respektive ‚als Mann‘ Geltung beanspruchen sollen. Interessant ist hier, dass Karo ihrem ersten Impuls „ ‚ist doch egal, ist doch nicht so wichtig‘ zu sagen“ (4), nicht nachkommt: „Weil ich glaube, ich hätte die Leute sonst, glaube ich, schon irgendwie irritiert, dann, wenn ich das gesagt hätte.“ (4) Die Geschlechterfrage zu provozieren, scheint Karo zufolge weniger das Problem zu sein; vielmehr ist es die explizite Haltung, dieser Information die Relevanz abzusprechen, die eine Diskussion auslösen, zumindest aber irritieren würde. Wenn die beiden Personen hinter der Theke versuchen, Näheres über das Faktum Geschlecht bei Karo herauszufinden, verbinden sie damit die Vorstellung, Karo ‚als Person‘ bestimmbar zu machen – möglicherweise auch, ihr ‚als Person‘ gerecht zu werden. Diese Suche nach dem ‚wahren‘ Geschlecht hat Foucault in seinen historischen Studien28 als eine Machtdimension moderner Vergesellschaftung herausgearbeitet: Das Denken von Geschlecht und (Hetero-)Sexualität ist in dieser Vorstellung an Innerlichkeit und die wesenhafte Bestimmbarkeit einer Person gebunden – und konstituiert diese Dimensionen zugleich.29 Welche Informationen enthält nun die geschlechtliche Identifizierung und Vereindeutigung Karos? Es sind – augenscheinliche – Informationen zur Einschätzung Karos als Person, wozu auch die Bewertung gehört, inwieweit sie sich ihrem Geschlecht entsprechend verhält. Die mit einer geschlechtlichen Identifizierung einhergehenden Implikationen regulieren dabei Kommunikation und Ansprache und sind von zentraler Bedeutung in Prozessen sozialer Positionierung, wie sich später zeigen wird. Karo lässt die Frage nach ihrem Geschlecht offen und verweigert sich damit den Praktiken einer Vereindeutigung. In diesem Zusammenhang stellt sie fest, dass es eine Zeit gab, in der sie zu häufig ‚als Mann‘ wahrgenommen wurde, was sie folgendermaßen problematisiert: „Wobei es auch mal ’ne Zeit gab, wo mir das – wo ich zu oft als junger Mann eingeordnet worden war und mich das dann auch irgendwie – da war mir das dann auch

28 Vgl. insbesondere Foucault (1983); beeindruckend auch seine Analysen der Tagebücher von Herculine Barbin und der Arztberichte; vgl. Foucault (1998/ 1978). 29 Vgl. zur Diskussion dieses Sexualitätsdispositivs als neue Herrschaftsform Wagenknecht (2001).

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wieder zu viel, aber normalerweise…“ (4) Die Frage nach Geschlecht stellt sich für sie in dem Moment, in dem sie „zu oft als junger Mann eingeordnet“ wird – eine geschlechtliche Selbstwahrnehmung, die sie in dieser Eindeutigkeit nicht teilt. Dabei ist es nicht die Wahrnehmung per se, die sie irritiert, sondern die ausschließliche Wahrnehmung ‚als Mann‘ – eine Position, die sie nicht bereit ist, eindeutig und abschließend zu besetzen. Im Rekurs auf ihre Geschichte sieht Karo zunächst eine Kontinuität, wenn sie deutlich macht: „So richtig girlie-girl-mäßig war ich, glaub’ ich, noch nie. [Pause] Nee.“ (5) Mit „girlie-girl“ beschreibt sie ein feminines Auftreten von Mädchen oder jungen Frauen: ein als weiblich markiertes Sein, das sie in diesem Sinne nicht qua Mädchen- oder Frau-Sein voraussetzt. Wenn sie sich also der Erinnerung nach von einer als weiblich wahrgenommenen Seinsweise abgrenzt, so markiert die „Erweiterung in das Männliche“ (13) dennoch einen Schnitt in ihrem Leben: „Erst mal muss man ja auch auf den Gedanken kommen, dass man auch in die Männerabteilung [lachend] gehen kann.“ (6) Karo fängt an, die Geschlechterdifferenz als Gegebenheit zu reflektieren und entwickelt einen neuen Umgang damit. In ihrer Bemerkung werden die kulturellen Optionen deutlich, die nach Geschlecht unterschiedene Zugänge zu Kleidung und durch sie symbolisierte Subjektpositionen ebenso wie damit einhergehende Körperpraxen versinnbildlichen. Den Anlass zu ihrer eigenen veränderten – und sie selbst verändernden – Praxis sieht sie in ihrem Bezug auf Frauen: „Also das hat, glaub’ ich – die Kleidungsumstellung [hat] schon auch ein bisschen jetzt mit diesem – ja, mit diesem auf Frauen stehen zu tun. Weil ich find’ schon – ich weiß es nicht, … aber ich fände es jetzt – blöd, mich irgendwie schick anzuziehen, um ’nem Mann zu gefallen, glaub’ ich.“ (6) Zu dieser Zeit stiftet ein Begehren, das sie als „auf Frauen stehen“ bezeichnet, ein Beziehungsfeld, das quer zu einem heteronormativen Bezugsrahmen liegt, in dem als weiblich markierte Seinsweisen auf als männlich markierte bezogen gedacht sind. Die inhärente Hierarchie, die sich über den als männlich definierten Bezugspunkt herstellt, bringt Karo in folgender Bemerkung zum Ausdruck: „Weil das hat so was – … hat so ’n bisschen was Unterwürfiges, würde ich jetzt sagen.“ (6) Sich der Positionierung ‚als Frau‘ innerhalb dieser heterosexuellen Anordnung zu widersetzen und zugleich eine vereindeutigte Position ‚als Mann‘ zu verweigern bildet dabei – so wird zu zeigen sein –

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den Ausgangspunkt dafür, kontinuierlich an einer differenten geschlechtlichen Selbstpositionierung zu arbeiten. Dem Stellenwert von Kleidung in ihren Erfahrungen weiter nachgehend, geht Karo zunächst zurück in ihre Geschichte und erzählt von den Geschehnissen während ihres „Abi-Balls“ (6), bei dem sie die einzige „von den Mädels“ (6) war, die ohne Rock oder Kleid dort erschienen ist. Ihre Begründung hierfür liest sich zunächst ohne direkten Bezug auf Geschlecht: „Ich hatte einfach keine Lust, … extra jetzt noch mal was Neues für diesen Abi-Ball zu kaufen.“ (6) Dass sie sich für diesen Anlass „was Neues“ hätte kaufen müssen, verweist allerdings auf die Funktionsweise einer selbstverständlich vorausgesetzten heteronormativen Anordnung: Auch wenn Karo in der Regel keine Kleider und keine Röcke trägt, kann sie sich der vergeschlechtlichenden Wirkmacht, die der Abi-Ball als gesellschaftlicher Raum ausübt, kaum entziehen. Die heteronormative Struktur dieses Raums setzt sich um in der Kleidungsordnung; und auch wenn sich ihre Unlust noch nicht vor einem lesbischen Selbstverständnis vollzieht, wird die Macht einer heterosexuellen Matrix auf gewaltvolle Weise deutlich: Sie ist die Einzige ohne Tanzpartner, so dass schließlich eine der Mütter sie zum Tanzen auffordert. Im Nachhinein amüsiert es sie, den Abi-Walzer mit einer Frau getanzt zu haben – was sie als Zufall bezeichnet. Kein Zufall ist hingegen das Zusammentreffen der Bedingungen, die zu dieser Situation geführt haben: als einzige „von den Mädels“ ohne Rock und ohne Tanzpartner zu sein. Karo bewegt sich zu dieser Zeit in einem heteronormativen Rahmen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Das gesellschaftliche Ereignis „Abi-Ball“ bringt einen Raum hervor, der eindeutig heteronormativ strukturiert ist und der keine Option für Beziehungen enthält, die diesem Rahmen nicht entsprechen oder ihn durchqueren. Sie erinnert sich an weitere gesellschaftliche Räume, die ihre Erfahrungen als Jugendliche prägten, wie etwa den Tanzunterricht, den sie nicht besucht hat: „Weil ich entweder die Jungs – einige Jungs – einfach blöd fand, und die, die ich jetzt vielleicht interessant gefunden hätte, da hab’ ich, glaub’ ich, mich auch nicht getraut, die jetzt irgendwie anzusprechen.“ (7) Hier wird das heterosexuelle Bezugssystem, das über den Raum ‚Tanzunterricht‘ hergestellt wird und in dem Karo keinen Platz einnimmt, deutlich. Auch wenn es „Jungs“ gab, die sie „vielleicht interessant gefunden hätte“, erinnert sie das Gefühl, sich „nicht getraut“ zu haben, diese „anzusprechen“. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie dieses

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eigeninitiative Handeln zunächst für sich beansprucht, wird gebremst durch eine Situation, die eindeutig heteronormativ strukturiert ist und in der sie – als eine „von den Mädels“ – für diese Ansprache mit Ablehnung, mindestens aber mit Unverständnis, zu rechnen hat. Deutlich wird die spezifische Positionierung Karos in ihrer weiteren Erzählung, dass eine Freundin sehr wohl an diesem Tanzunterricht teilgenommen hat – mit einem Jungen, den auch Karo kannte und den sie folgendermaßen beschreibt: „Wir waren halt beide beim Karate, und der war auch nett, aber der war jetzt nicht irgendwie – attraktiv oder so, das war so ’n, es war einfach ’n Netter, ja.“ (7) Die Teilnahme am Tanzunterricht scheint ein heterosexuelles Begehren unter den Tanzenden nicht nur vorauszusetzen; es ist vielmehr so, dass die Teilnehmenden in diesem Raum in ein heterosexuelles Verhältnis zueinander gesetzt werden – eine Positionierung, der Karo sich widersetzt. Demgegenüber spricht sie vom Karate-Unterricht in einer nicht-sexualisierten Form, was die Vermutung aufkommen lässt, dass hier kumpelhafte30 Verhältnisse unter den Teilnehmenden möglich sind – oder zumindest denkbar erscheinen. Gleichzeitig erinnert sie sich an Gedanken und Gefühle, die sie aus heutiger Sicht als lesbisch bezeichnen würde: „Und im nachhinein betrachtet, ich mein’, ich hab’ mit 14 auch in meinem Tagebuch so Sätze stehen wie: ‚Wenn ich ’n Junge wäre, würde ich die Mädchen in dieser und dieser und dieser Reihenfolge gut finden‘ [lacht], ja.“ (7) Vorstellbar wird ihr Begehren zunächst über das Hilfskonstrukt „wenn ich ’n Junge wäre“, was die heterosexuelle Matrix zum Ausdruck bringt: „Also das ist schon auffällig, so… dann waren da schon welche, die ich schon wahrscheinlich aus heutiger Perspektive betrachtet interessant fand, aber ich hab’ das nicht verstanden.“ (7 f.) Ihr Interesse und ihr Bezug zu Mädchen waren für sie nicht einzuordnen; an späterer Stelle im Interview erwähnt sie, dass sie zum damaligen Zeitpunkt zwar Repräsentationen von Lesbisch-Sein kannte, diese aber nicht auf ihr eigenes Leben und auf ihren Kontext bezogen hat: „Lesben gab ’s – hatte ich mir nur so – irgendwo bei Promis oder in großen Städten, aber in Kleinstädten gab’s das für mich irgendwie – [lachend:]

30 Diesen Begriff benutzt Karo später, um ihr Verhältnis zu anderen Drag Kings, aber auch zu den männlichen Jugendlichen zu beschreiben, mit denen sie als Praktikant_in (hier im Sinne einer nicht-eindeutigen Selbstpositionierung) arbeitet.

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gab’s das für mich nicht irgendwie. Ja.“ (10) In diesem Sinne stellt sie Gedankenexperimente an, die dann beweisen würden, dass ihr Gespür oder ihre Ahnung sich nicht bewahrheiten würden: „Ich hab’ mir damals schon gesagt, ich probier’ das irgendwann mal mit ’ner Frau aus, um zu wissen, dass es nicht so ist.“ (8) Deutlich wird die Verunsicherung, die mit ihrem Begehren – und dessen Undenkbarkeit – einhergeht. Zugleich klingt in Karos Assoziation von „Promis“ und „großen Städten“ an, dass diese Imagination einen gewissen Reiz auf sie ausübt. Der Prozess ihrer Selbstverständigung setzt sich fort, als sie sich im Rahmen eines Austauschprogramms plötzlich – wie sie es nennt – von lauter Lesben umgeben sah: „Weil ich mir … dann schon Gedanken gemacht hab’, so: Was ist das mit diesem Verliebtsein, wo ist da – was ist der Unterschied zwischen ‚ich finde jetzt jemanden gut und interessant‘, und wo geht es dann schon wieder in irgendwas über, und sehr am Überlegen war, was dann jetzt bei mir eigentlich so – der Fall ist so.“ (9) Selbst in diesem Kontext dauert es, sich ein sexuelles Beziehungsfeld unter den Frauen, mit denen sie jetzt zu tun hat, einzugestehen: „Ich hatte eigentlich Beweise, aber ich hab’ das – ich hab’s lange Zeit nicht sehen wollen… Das kann nicht sein, die sind nur sehr gut miteinander befreundet.“ (9 f.) Die Undenkbarkeit einer lesbischen Beziehung – und des eigenen Begehrens, das sich auf Frauen richtet – selbst im persönlichen Kontakt und mit eindeutigen Hinweisen zeugt von der Unaussprechbarkeit, aber auch von der Faszination, die von dieser Möglichkeit ausgeht: Sie veranlasst Karo, sich auseinanderzusetzen, sich selbst ins Verhältnis zu setzen und innerhalb einer heterosexuellen Matrix (neu) zu verorten.31 mein Drag King Wenn es ihrer Erinnerung nach eine Kontinuität in ihrem Kleidungsstil gibt, den sie als „schon immer irgendwie so ’n bisschen – bequemer oder Jeans oder so, Jeans, Pulli, T-Shirt“ (13) beschreibt, so kommt mit der Praxis des Drag Kinging eine entscheidende Facette hinzu: „Die T-Shirts, die ich normalerweise trage, kommen, glaub’ ich, eher so unisex-mäßig rüber. Und die T-Shirts, die ich als Drag King trage, kommen dann schon noch mal –

31 Dies gilt auch für eine Verortung ‚als heterosexuell‘, die plötzlich thematisierbar und – als eine spezifische Subjektposition – sichtbar wird.

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maskuliner rüber, würde ich jetzt so sagen.“ (14) Die Selbstwahrnehmung als „schon noch mal maskuliner“ führt sie auf zwei Aspekte zurück: Zum einen auf eine kulturell gesetzte Unterscheidung und Zurechenbarkeit: „Die sind eindeutiger irgendwie – aus der – Herrenabteilung“ (16), zum anderen auf die Inszenierung ihrer Körperlichkeit: „Ja, und ich guck’ natürlich, dass es eventuell ’n bisschen – weiter ist, um – da – oben besser kaschieren zu können so.“ (16) Was mit der Inszenierung als Drag King neu hinzukommt, ist die Bewegung hin zu einer Selbstwahrnehmung als „schon noch mal maskuliner“, eine Realisierung maskuliner Kodes an und mit ihrem Körper, die sie selbst als „Erweiterung in das Männliche“ (13) bezeichnet. Ihr Selbstverständnis beziehungsweise ihre eigene Verortung bringt Karo schließlich in folgender Erklärung zum Ausdruck: „Ich finde es o. k., wenn ich so normal rumlaufe und dann mit meinem Drag King-Namen – benannt werde – … umgekehrt stört’s mich schon! … Weil mein Drag King zwar ein Teil von meiner Gesamtpersönlichkeit ist – aber meine Gesamtpersönlichkeit nicht ein Teil von meinem Drag King ist.“ (16) Die Verkörperung von Maskulinität ist durch die Praxis des Drag Kinging zu einem Teil ihrer Selbst geworden. Die Inszenierung ‚als Drag King‘ hingegen bedeutet eine gewusste32 Stilisierung und Selbstpositionierung, mit der sie sich von einer naturalisierten geschlechtlichen Positionierung ‚als Frau‘ distanziert. In solchen Momenten mit ihrem „normalen“ Namen angesprochen, wird sie in ihrer spezifischen Realisierung von Maskulinität verkannt: „Weil das dann irgendwie – nein, das passt nicht, da fühl’ ich mich irgendwie – vielleicht auch nicht ernst genommen… Das passiert ja häufig Leuten, dass die mich dann – Karo nennen, die das irgendwie nicht richtig sehen.“ (16 f.) Deutlich wird hier der Aufwand, den es bedeutet, sich von einer naturalisierten geschlechtlichen Positionierung ‚als Frau‘ zu distanzieren und ‚als Drag King‘ in einer spezifischen Maskulinität sichtbar zu werden.33 Deutlich wird aber auch die Wirkmacht, mit der Vorstellungen einer körperlich fundierten zweigeschlechtlichen Ordnung trotz widersprechender Zeichen immer wieder zur Geltung kommen – und gebracht werden.

32 Im Sinne von implizitem sowie explizitem Wissen. 33 Vgl. zu den mit Drag Kinging verbundenen geschlechtlichen Selbstverhältnissen und Wirklichkeiten die differenzierte Analyse von Schirmer (2010).

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Eine Sichtbarkeit im Namen des Drag King impliziert, aktiv in diese Bewegung hineinzugehen und an der eigenen Erscheinung – mit dem und am Körper – zu arbeiten: „Das heißt auch schon, ich muss in irgendein Geschäft gehen und mir Wollkrepp und Mastix34 kaufen, ja.“ (21) Über diese Investition und Arbeit an der eigenen Erscheinung hinaus spricht Karo von der Bereitschaft, sich auf einen – zunächst offenen – Prozess einzulassen: „Wie wichtig ist das, oder wie kann man das jetzt gerade schon so an sich ran lassen, weil es ja auch nicht – also ich würde jetzt sagen, es ist nicht vorhersehbar, was es mit dir macht. Ich glaube schon, dass es relativ wahrscheinlich ist, dass es irgendwas mit einem verändert, aber es ist nicht klar, es ist nicht klar, was, glaube ich.“ (22) Auch hinsichtlich ihrer eigenen Erfahrungen beobachtet sie eine Veränderung in der Selbstwahrnehmung: „Es hat erstens verändert, dass ich wieder nach Männern geschaut hab’ und festgestellt hab’, ich bin – [lachend:] doch nicht so ganz lesbisch wie ich dachte. Es hat verändert, dass es einfach dieses – ich hab dann auch überlegt, so, wie ist denn jetzt so meine Definition?“ (23) Die Praxis des Drag Kinging bietet Karo einen Rahmen, sich mit als männlich markierten Seinsweisen auf neue – auch identifizierende – Weise auseinanderzusetzen. Dieser Prozess bewirkt eine Öffnung ihrer Selbstdefinition als „lesbisch“ und soll hier als Bewegung einer Disidentifikation beschrieben werden. Darin kommt es nicht etwa zu einer Heterosexualisierung ihrer geschlechtlichen Selbstwahrnehmung, sondern ihr lesbisches Selbstverständnis stellt vielmehr den Ausgangspunkt dar, weiter an der Differenzierung ihrer geschlechtlichen Selbstpositionierung zu arbeiten. in der Mitte eingependelt Karo entwickelt eine zunehmend dezidierte Haltung zu Prozessen geschlechtlicher Vereindeutigung und dem gesellschaftlichen Zwang zu körperlicher Kohärenz, die sie in folgender Weise formuliert: „Und dann hab ich irgendwann festgestellt, für mich, dass es eigentlich mir nicht so wichtig ist und, was weiß ich, ich nicht der Mensch bin, der jetzt unbedingt an sich

34 Karo nennt hier Utensilien, die zum Bartkleben benutzt werden. Schirmer (2010) macht deutlich, dass es vielfältige Praxen gibt, ‚als Drag King‘ sichtbar zu werden, von denen das Bartkleben nur eine mögliche, wenn auch verbreitete und signifikante Praxis darstellt (ebd., 192 f.).

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etwas verändern möchte, sondern – mit dem jetzt so klar zu kommen.“ (23) Es würde einen Aufwand bedeuten, innerhalb der heteronormativen Ordnung in einer eindeutigen Position sichtbar zu werden. Diesen Weg, den Karo als „an sich etwas verändern“ beschreibt, ist sie nicht bereit zu gehen. Aus einer reflexiven Distanz, die sich in den Prozessen der Identifikation und Disidentifikation herstellt, entwickelt sie einen kritischen Blick auf die zweigeschlechtlich organisierte Struktur von Gesellschaft und ihre Mechanismen der Vereindeutigung. Wenn Tom sich für körperliche Veränderungen und damit für das permanente Verlassen einer Zuschreibung ‚als Frau‘ entscheidet – mit allen Ambivalenzen und Komplexitäten, die dieser Schritt beinhaltet – ist die Entscheidung bei Karo anders gelagert: „Mir würde es jetzt nichts bringen, mich jetzt irgendwie – körperlich oder, was weiß ich – jetzt irgendwie zu verändern, also – jetzt irgendwie OPs oder, was weiß ich – zu verändern. Sondern mir würde es was bringen, wenn dieses mehr gesellschaftlich, irgendwie dieses ‚Männer sind so, Frauen sind so‘, was ja gerade so, bei RTL und so, wieder so mega-in ist, wenn das irgendwie mehr – aufgeweicht werden würde.“ (23) Auch wenn Karo nicht bereit ist, sich in einer geschlechtlichen Positionierung ‚als Frau‘ zu vereindeutigen, so bedeutet das für sie ebenso wenig, eine Positionierung ‚als Mann‘ einzunehmen oder sich abschließend mit dieser Position zu identifizieren. Sie benennt vielmehr die gesellschaftliche Reproduktion eines common sense: die diskursiven Praxen der Differenzierung in zwei Geschlechter35 als Ansatzpunkt, an, mit und gegen das System der Zweigeschlechtlichkeit zu arbeiten. Ausgangs- und Bezugspunkt für Karos Selbstpositionierung ist dabei die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen und Ein-

35 Die Prozesse der Differenzierung erinnern an die inzwischen schon als klassisch zu bezeichnende Studie von Hausen (1976), in der sie die Polarisierung von Geschlechtscharakteren historisch nachvollzieht; vgl. hierzu auch Wetterer (2008), die diese Studie mit Bezug auf wissenssoziologische Ansätze anführt. Auch wenn sich die Bedingungen und die historische Situation verändert haben, ist die immer noch fortwährende Arbeit an einer Differenzierung als Indiz zu werten, das der These einer zunehmenden Irrelevanz der Geschlechterdifferenz in einer funktional differenzierten Gesellschaft – wie sie prominente VertreterInnen der systemtheoretischen Geschlechterforschung behaupten – zuwider läuft.

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schränkungen, die ihr qua Frau-Sein auferlegt sind: „Ich verstehe zum Beispiel auch nicht, wieso Männer oben ohne rumlaufen dürfen im Sommer und Frauen nicht, ja… Ich würde das auch gerne, so wie ich bin, mit Busen und so natürlichen Haaren am Bauch, so… [lacht] weil ich finde das einfach ein schönes Gefühl, wenn da so die Luft um einen herum ist, ja. Und zwar … ohne dann von irgendwelchen Männern blöd angemacht zu werden oder – [unverständlich], ohne dass dann irgendwelche Männer oder so selbst irgendwas Sexuelles darin sehen. Also so, wie Männer da halt auch oben ohne rumlaufen, so – das würd’ ich schon – ja – das fänd’ ich schon – das fänd’ ich schon schön, so, wenn das auch ginge, also das ist – ja, schwierig [lacht].“ (23) In dieser Aussage Karos lassen sich verschiedene Ebenen benennen, auf denen eine Segregierung vorangetrieben wird: Es ist zum einen die Einschränkung durch eine Sexualisierung des als weiblich markierten Körpers, der sie sich widersetzt. Wenn sie die sexualisierte Wahrnehmung beschreibt, die von außen an ihren Körper herangetragen wird, dann fokussiert sie die heterosexuelle Matrix, die es Männern ermöglicht, sich in ein spezifisch hierarchisches Verhältnis zu ihr zu setzen. Hinzu kommen idealisierte Bilder vom makellosen, insbesondere haarlosen weiblichen Körper, denen sie nicht bereit ist, Folge zu leisten. So widersetzt sie sich den bei Frauen erwarteten und verbreiteten Praxen der Haarentfernung, die Bilder eines haarfreien weiblichen Körpers erst hervorbringen und beständig reproduzieren. Schließlich benennt sie den heteronormativen Rahmen, innerhalb dessen sich eine Positionierung ‚als Frau‘ in Bezug auf und durch Männer vollzieht. Männer beschreibt sie als aktiv Handelnde, wobei an der Interpretation dieser kurzen Textpassage deutlich wird, dass auch Frauen sich innerhalb dieser Matrix bewegen und positionieren. Indem Karo sich in diesem System heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit bewegt und mit ihrer Praxis des Drag Kinging durchquert, ist sie dabei, neue Verbindungen zu schaffen: „Mein Bild von meinem Drag King ist eher so – ist eine Mischung, glaub’ ich, aus dem, was ich an Männern kenne und so, wie ich Männer gerne hätte… Mit dem wär’ jetzt so ’ne Partnerschaft möglich… Nicht unbedingt, in dem Moment daran jetzt irgendwie was Brüchiges zu zeigen, sondern einfach mehr so ’nen Mann eines etwas softeren und so – Typus zu zeigen.“ (24) Deutlich wird an dieser Stelle, dass mit der Arbeit an Geschlecht als naturalisierter Zuschreibung auch das Geschlechterverhältnis zur Disposition steht. Indem Karo neue vergeschlechtlichte Positionen entwirft und realisiert, kommt es zu

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Verschiebungen im hierarchischen Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Diese Entwürfe – die mit Deleuze (2007) als „Singularisierung durch bemerkenswerte, in jedem Fall zu bestimmende Punkte“ (ebd., 253) beschrieben werden können – vollziehen sich in ihren Erfahrungen als Drag King vornehmlich auf einer homosozialen Ebene. So erzählt Karo von den Begegnungen mit „so ’nem Kumpel-Drag King“ (Karo, 31): „Da war schon mal so ’ne Situation, wo das fast sogar – es war jetzt nichts Schwules oder so, aber es war so was – Freundschaftlich-Zärtliches fast. So ein freundschaftlich-zärtlicher Moment war das fast irgendwie so, das war nicht dieses Übliche: Ich klopf’ dir auf die Schulter… vielleicht war’s auch mal ’ne Umarmung am Ende statt auf die Schulter klopfen oder so. Aber es war – so ’n freundschaftlich-zärtlicher Moment, ja.“ (31) Karo referiert auf Erfahrbares und auf ein Gespür in einer als männlich markierten Begegnung, das in der Regel tabuisiert ist, und bringt Bezüge zum Ausdruck, die durch die Nähe zum bedrohlichen Schwul-Sein unter sich heterosexuell verstehenden Männern vermieden werden.36 Während Karo einerseits neue Erfahrungen in Begegnungen macht, die es ermöglichen, geschlechtliche Selbstwahrnehmungen neu auszutarieren und fortwährend zu differenzieren, bewirkt die Praxis des Drag Kinging andererseits, dass sich die Bedeutung von Geschlecht für sie relativiert: „Ja, und ich hab’ dann halt irgendwann festgestellt, dass es mir eigentlich nicht so – nicht so wichtig ist. Also – dieses – diese geschlechtliche Einordnung oder Geschlecht an sich.“ (24) Vor dem Hintergrund dieser Disidentifikation von rigiden geschlechtlichen Positionierungen ‚als Frau‘ respektive ‚als Mann‘ vermutet Karo, dass – im biologischen Sinne als Mann geboren – „wär’ ich, glaub’ ich, nicht viel anders“ (25). Allerdings räumt sie ein, dass sie im gegebenen gesellschaftlichen Feld andere Erfahrungen gemacht hätte: „Ich meine, ich hätte natürlich ein paar Vorteile.“ (25) In diesem Zusammenhang merkt sie an, ihr Vater hätte ihr mehr zugetraut und sie in

36 Vgl. zu diesem Aspekt ein Interview, das Foucault mit Redakteuren der Zeitschrift Gai Pied zum Thema Freundschaft als Lebensweise geführt hat. Darin spricht er von institutionellen Kodes, die „jene Beziehungen mit vielfältigen Intensitäten und wechselnden Schattierungen, mit kaum merklichen Bewegungen und veränderlichen Formen“ zwischen Männern nicht gelten lassen (Foucault 2001/1981, 124 f.).

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bestimmter Weise mehr gefördert; hier erwähnt sie die „Filmrichtung“ (25), in die sie gern gegangen wäre beziehungsweise immer noch gerne gehen würde: „Das hätte ich mich als Mann vielleicht eher – getraut, sag’ ich jetzt mal so. Oder es wäre als Mann vielleicht, wenn ich ein Junge gewesen wäre, eher bei mir gefördert worden – als jetzt als Mädchen. So. … Ja, ich glaub’ schon, dass zum Beispiel mein Vater mit mir anders umgegangen wäre als als Mädchen, ja… Ja, ich glaub schon, dass der – ja, mir vielleicht mehr zugetraut hätte… so.“ (25) Über die Ebene geschlechtsspezifischer Sozialisation hinausgehend, benennt sie die gesellschaftliche Ermächtigung, die mit einer eindeutigen Positionierung und Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘ einhergeht. Zugleich entsteht der Eindruck, dass die Imagination eines passings in dieser Position ein Begehren auslöst, dem Karo in Form von Prozessen der Identifizierung und Disidentifizierung nachgeht. In diesem Sinn vollzieht sich in der von Karo praktizierten „Erweiterung in das Männliche“ (13) nicht nur eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Positionierung ‚als Frau‘, sondern es ist das temporäre Aufgehen in der Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘, das neue Erfahrungen schafft und aus dem sie verändert hervorgeht: „Ich glaube, ich war am Anfang – als ich mit dem Drag King angefangen hab, würde ich jetzt sagen – vielleicht mal femininer oder so. Und dadurch, dass ich mich jetzt vielleicht ein bisschen mehr in der Mitte eingependelt habe, ist das Bedürfnis, jetzt als Drag King ’rauszugehen oder als Drag King unterwegs zu sein, das ist nicht mehr – das ist nicht mehr so groß.“ (28) Sie hat sich eine Selbstpositionierung erarbeitet, die sie als „in der Mitte eingependelt“ beschreibt. Der Begriff „Bedürfnis“, den Karo hier verwendet, lässt den Eindruck eines früheren Mangels entstehen, den sie ausgeglichen und damit eine Balance hergestellt hat. Auf die Frage der Interviewer_in, was gefehlt habe, beschreibt sie eine Erfahrung, die ihr die Praxis des Drag Kinging ermöglicht: „So ’ne gewisse mit Männlichkeit verbundene Stärke und – in Tüddelchen: Unverwundbarkeit oder weniger Verwundbarkeit, einfach dieses – mmh – ja, so ’n bisschen: Ich bin jetzt ’n bisschen stärker vielleicht, ich bin jetzt vielleicht – nicht mehr so – so verletzbar, so.“ (29) Karo verbindet ihr Gefühl, „weniger verwundbar zu sein, weniger verletzbar“, mit der Verkörperung von Maskulinität. Diese Aussage kann als Ausdruck eines hierarchisierten Geschlechterverhältnisses gedeutet werden, in dem Weiblichkeit mit

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Verletzbarkeit assoziiert und die Konstruktion von Männlichkeit auf eine Abwehr von Verletzungsoffenheit gerichtet ist.37 Diesen Gedanken fortführend – und das ist die Linie, der ich hier folgen werde – kann diese Aussage auch als Effekt eines gelingenden passings, als machtvolle und ermächtigende Wirkung der temporären Einnahme einer Subjektposition beschrieben werden. Es ist der Eintritt in die Intelligibilität – oder in das Leben, das die Intelligibilität stiftet – den das momentane Aufgehen in einer gesellschaftlich konstituierten Subjektposition bedeutet. Interessant ist in dem Zusammenhang, wie Karo ihr derzeitiges Befinden begründet: „Weil ich meine, wenn ich auch so irgendwo beim Bäcker oder so als Mann wahrgenommen werde, dann – oder so ganz zufrieden mit mir bin – dann brauch’ ich das vielleicht auch nicht.“ (28) Die Zufriedenheit mit sich selbst variiert dabei mit den Kontexten und den unterschiedlichen Graden des „Wahrgenommenwerdens“. Dass sie als Drag King noch nie „im Hetero-Bereich“ (17) unterwegs war, begründet sie mit „Bedenken, dass die dann irgendwie merkwürdig reagieren könnten“ (38). Auch in manchen Lesben-Zusammenhängen beschreibt sie die Erfahrung, ‚als Drag King‘ verkannt zu werden. Wenn etwa ein befreundeter Drag King und seine Femme-Partnerin als heterosexuelles Paar durchgehen, so spricht das für eine Verkennung der performativen Aspekte dieser Verkörperungen. Auch allein als Drag King unterwegs kann das passieren: „Dann wird man nicht Drag King genannt, sondern Frau mit Bart, ja!“ (37) Diese Ansprachen verweisen darauf, dass und wie auch manche Lesbenkontexte in heteronormativ strukturierte Wahrnehmungsweisen eingebunden sind: Während die Erwartungen an ein Sichtbarwerden im „Hetero-Bereich“ mit seinen als hegemonial zu bezeichnenden Geschlechterpraxen von vorneherein niedrig sind, besteht auch in manchen Lesben-Zusammenhängen die Möglichkeit, dass differente Realisierungen von Geschlecht verkannt werden. Deutlich wird auch hier die Wirkmacht naturalisierter Geschlechtervorstellungen, die wenig Raum für Wahrnehmung und Begegnung, für relationale Bezugnahmen lassen, in denen ein differentes Werden möglich ist.

37 Vgl. hierzu Bereswill (2007), die in ihrer rekonstruktiven Analyse die Abwehr von Verletzungsoffenheit als Modus einer gewaltsamen Stabilisierung von Männlichkeit beschreibt.

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Demgegenüber hat Karo bisher wenig Erfahrungen in schwulen Kontexten gemacht – eine Herausforderung an die Selbstwahrnehmung ihrer Person, die ihr reizvoll erscheint: „Um zu gucken, ob wir da rein kommen oder nicht.“ (38) In dem Zusammenhang erzählt sie von einer Begebenheit, bei der sie sich mit einer Gruppe von Drag Kings auf einer lesbischwulen Party gezeigt hat: „Dass dann irgendwelche schwulen Männer zu uns mal [tuntig]: ‚Ach, wie schnuckelig‘, also – [lachen gemeinsam].“ (36) Die unterschiedlichen Situationen und Facetten des passings können als Subjektivierungsprozess beschrieben werden, in dem sich die geschlechtliche Selbstwahrnehmung zunehmend differenziert. Die Referenz auf Sexualität stellt dabei einen Rahmen dar, Geschlechtlichkeit in vielfältigen Divergenzen hervorzubringen: Es ist die relationale Ebene der Begegnung, auf der geschlechtliche Selbstpositionierungen in Form subjektivierender Praxen austariert werden, wie in folgender Begebenheit zum Ausdruck kommt: „Neulich hab ich auch so ’m schwulen Mann wieder mal – meine Bilder gezeigt, und dann sagte er schon: ‚Ja, hm‘ – also er hatte dann so unterschiedliche Bilder, einige fand er jetzt nicht so, aber einige fand er schon – [lachend:] ganz ansprechend so. [lacht] Also immer von mir, aber in unterschiedlichen – Outfits und unterschiedliche – Bärte so.“ (36) Deutlich wird an dieser Szene, wie sich die geschlechtliche Selbstpositionierung Karos in der Begegnung nicht nur realisiert, sondern verändert und differenziert. Geschlecht wird zu einer relationalen Kategorie,38 die immer wieder zum Körperselbst zurückführt. Sexualität stellt dabei einen Möglichkeitsraum dar, an den Konturen ihres Körperselbst zu arbeiten. Jenseits einer Haltung, ihr momentanes Begehren in einer Identität zu fixieren, es für gegeben, selbstevident und unveränderbar zu halten, geht es in den beschriebenen Situationen um den Prozess des Werdens, um die Arbeit an einer differenten geschlechtlichen Seinsweise. Welche Spuren die hier aufscheinenden „politischen Dimensionen des erotischen Lebens“ (Rubin 2003/1984, 79) in Karos Alltag aufweisen und welche Perspektiven sie auf die Konstituierung heteronormativer Verhältnisse im gesellschaftlichen Feld öffnen, wird nun anhand ihrer Erfahrungen im Studium wie auch in einem Erwerbsarbeitskontext nachgegangen.

38 Im Gegensatz zur hegemonialen Vorstellung von Geschlecht als personaler Kategorie.

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Wahrnehmung und Behandlung Karo gelingt es, in unterschiedlichen subkulturellen Kontexten und sexuellgeschlechtlichen Begegnungen an ihrer Selbstwahrnehmung zu arbeiten. Auch wenn die von ihr benannten lesbischen und/oder schwulen Kontexte in unterschiedlichem Maße in heteronormative Strukturen eingebunden sind und diese zum Teil reproduzieren, unterscheiden sie sich deutlich von den Erfahrungen im öffentlichen Raum, wie sie sie während ihres Studiums wie auch während eines Praktikums in einem Jugendzentrum machte. Ihre Beschreibungen bewegen sich in einem Spektrum von „Wahrnehmung und Behandlung“, das bereits auf die verobjektivierende und fixierende Wirkmacht heteronormativen Denkens verweist. Diese Dimension wird nun anhand der zentralen Aussagen ‚an sich nicht vorgesehen‘, ‚über sich selber nachdenken‘ und ‚zu lange ausgehalten‘ rekonstruiert. an sich nicht vorgesehen Karo studierte an einer Hochschule und machte hier immer wieder die Erfahrung, dass Lebensweisen jenseits eines heterosexuellen Arrangements nicht nur nicht benannt werden, sondern in dem Blick auf das soziale Feld „an sich nicht vorgesehen“ (43) sind. Dies führte dazu, dass sie sich ständig mit Situationen konfrontiert sah, die als outing – im Sinne einer persönlichen Betroffenheit – gewertet werden,39 wenn sie interveniert, berichtigt oder vervollständigt: „Ich hab gehofft, erst noch gehofft, [lachend:] dass irgendjemand anders etwas sagt, ja… Ich hab auch nicht ewig Lust, mich jetzt dauernd irgendwie zu outen quasi, ja.“ (41) Dies ist etwa bei der Entwicklung von Fragebögen der Fall, wenn die Möglichkeit lesbischer, schwuler oder polyamouröser Beziehungen nicht mit gedacht und auf diese Weise ein enger heteronormativer Blick auf das soziale Feld auch in der Wissenschaft reproduziert wird. Doch schon hier deutet sich das ambivalente Verhältnis eines Begehrens nach Sichtbarkeit und den repressiven Effekten einer Benennung an.40 Denn jeder Name, der in die Reihe intel39 Das Phänomen des outing geht auf die „Trope des Verstecks“ zurück, wie es Kosofsky Sedgwick (2003/1990, 119) herausgearbeitet hat. 40 Zu den „Ambivalenzen der Sichtbarkeit“ vgl. weiterführend die differenzierte Analyse von Schaffer (2008).

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ligibler Positionen aufgenommen wird, produziert neue Ausschlüsse, die in der Bezeichnung nicht aufgehen. Die Konsequenzen dieser Einsicht für einen Blick auf das soziale Feld werden in Karos Beschreibungen zunehmend deutlich. Im Laufe der Jahre hat Karo unterschiedliche Umgangsweisen mit diesen Situationen entwickelt. Zum einen interveniert sie an verschiedenen Punkten, von denen sexuell-geschlechtliche Lebensweisen nur einer ist. Dazu gibt sie eine längere Interaktionssequenz aus einem Seminar wider: „Und dann hab ich gemeint: ‚Nee, da fehlt noch was.‘ Und hab dann, [lachend:] damit es nicht ganz so – outing-mäßig ist, gemeint: Nee, da würde ja noch ‚verwitwet‘ und ‚verpartnert‘ fehlen… Ach so, ja, und da sich ja zwei Sachen vermischen würden: Beziehungsstand und Familienstand. Also, ich mein’, man kann auch – ledig sein und in ’ner festen Partnerschaft sein, ja. – Und – o. k., dann wurde ledig in Single geändert. … Dann meinte der Prof noch irgendwie, dass das ja – dasselbe wär’ oder… die Verpartnerten da auch ‚verheiratet‘ ankreuzen – können. Und dann hab’ ich gemeint, das wäre halt nicht das gleiche, und ob man nicht zu mindestens ‚verheiratet‘ Schrägstrich ‚eingetragene Lebenspartnerschaft‘ hinschreiben könnte. – [lachend:] Und dass ich das schon sehr wichtig finde [lacht]. Und dann hat er das gemacht… Und das ‚verwitwet‘ war mir ja auch nicht so wichtig, das war mehr – [lachend:] so ’n Einsteiger halt [lacht].“ (41 f.) Deutlich wird hier das Ringen um eine Sichtbarkeit, die eben nicht in herkömmlichen Kategorien aufgeht. Zwar ist allen Beteiligten klar, dass es unterschiedliche Lebensweisen gibt, die auch vordergründig nicht bewertet werden; die Notwendigkeit und Bereitschaft aber, sich mit der sozialen Strukturiertheit und gesellschaftlichen Bewertung dieser Lebensweisen auseinanderzusetzen – auch und gerade auf einer sprachlichen Ebene – ist schwer umzusetzen. Auf diese Weise reproduzieren sich normativ aufgeladene und gesellschaftlich hegemoniale Bilder und Vorstellungen etwa zu ‚Familie‘ und ‚Partnerschaft‘, aber auch zu dem, was es heißen kann‚ ‚Single‘ zu sein, in einem endlosen Regress. Während Karo in dieser Beschreibung an der Diskussion um Fragebögen beteiligt ist und bei der Konstruktion regulierend eingreift, entwickelt sie auch als Adressat_in von Fragebögen Handlungsoptionen. Als eine Umgangsweise benennt sie eine Umkehrung des othering: „Weiterhin wird in so Fragebogen… kann man als Schwuler oder Lesbe auch nur mit – wenn man jetzt mal nett zu denen ist, richtig ankreuzen.“ (43) Indem sie die Etikettie-

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rung annimmt und von dieser Position aus die an sie gerichteten Fragen betrachtet, öffnet sich eine neue Perspektive: „Weil da steht dann immer so, ja, steht da: ‚Hattest du schon mal Sex?‘ oder so was, und dann steht da: ‚Wann hattest du den ersten – wie hast du beim Geschlechtsverkehr – dich vor einer Schwangerschaft geschützt?‘ – Ja, oder als erstes wird das Wort Sex benutzt, dann Geschlechtsverkehr, und dann dieses Schwangerschaftsverhütung, ja. – Wo ’s da noch nicht mal um HIV-Verhütung geht, ja.“ (43) Sie beschreibt eine systematische Engführung in den Fragen, die ihre Bedeutung vor ganz bestimmten Vorstellungen von Sexualität, aber auch Beziehungen und Lebensentwürfen entfalten, wie Karo auf den Punkt bringt: „Es ist ganz normal, dass ’n Mann dann irgendwann ’ne Frau findet und – die irgendwann – Kinder kriegen. Sag’ ich jetzt mal so.“ (44) Auch hier wieder sind es gesellschaftlich hegemoniale Vorstellungen, die ‚den Mann‘ als Referenzpunkt setzen und von hier aus konventionelle Beziehungsnetze denken. In welches Verhältnis unterschiedliche Lebensweisen gesetzt werden, und welcher Raum denjenigen eingeräumt wird, die den jeweils hegemonialen Lebens- und Beziehungsentwürfen nicht entsprechen, beschreibt sie an einem weiteren Fragebogen: „O. k. – da konnte man zu mindestens unter ‚sonstige‘ Co-Mutter schreiben, was natürlich dann – ich mein’, immerhin ist da ’n Platz für ‚sonstige‘, und es wäre schon noch blöder, wenn da gar nichts steht, aber es – es ärgert mich dann schon, wenn man nicht vorkommt.“ (43) Deutlich wird die Betroffenheit, mit der Karo von diesen Situationen berichtet; diese liegt jedoch weniger in der Identifizierung mit einer spezifischen – ausgeschlossenen – Subjektposition als vielmehr in der Allgegenwart heteronormativer Strukturierung, die Menschen in spezifische Verhältnisse zueinander setzt und in ihrem hegemonialen Anspruch alle Lebensweisen, die nicht in dieses rigide Raster passen, unter ‚sonstige‘ subsumiert oder unsichtbar macht. In der Konzeption dieser Fragebögen zeigt sich die Paradoxie einer Denkweise, die auf einem statischen und quasi-naturalisierten Konzept von Identität beruht: Es können nicht alle Lebensweisen und Einflussfaktoren in Form eines Rasters benannt – und somit festgeschrieben – werden. Karo entwickelt einen subversiven Umgang mit der Suggestivkraft von Kategorien und beschreibt die performativen Anteile, die sie in subjektiven Selbstpositionierungen durchaus haben können: „Ich mein’, wenn sie dann am Anfang sagen – zur Frage Geschlecht und – weiblich, männlich, und dann gibt es ja nur zwei – dann sag ich: O. k., da steht auch nicht, welches Ge-

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schlecht jetzt gemeint ist, das soziale oder das biologische, und dann wird man eben – … es ist noch ’ne Stufe weiter, sag’ ich jetzt, als ‚eingetragene Lebenspartnerschaft‘ rein tun oder so.“ (43) Inzwischen bewegt sie sich auf einer Ebene der Handlungssubjekte und plädiert für einen produktiven Umgang mit dem, was an Kategorien benannt ist: „Ich mein’, ’ne Transfrau, auch wenn die jetzt prä-OP [ist, KW], würde dann – ja, so wie sie – ich mein’, da das Ding eh anonym ist, so wie sie sich empfindet, – weiblich ankreuzen. Oder – würde ich jetzt denken. Dass die da einfach weiblich ankreuzt. Und da es ’n Ankreuzfragebogen ist, könnte man theoretisch auch noch beides ankreuzen – oder man lässt es weg. Kann man auch. Ich mein’, am Computer wird dann ja meistens nur noch eins anzuklicken sein, wenn man das online macht, aber – so ist das.“ (43) Karo beschreibt anhand des wissenschaftlichen Einsatzes von Fragebögen in einer fatalistisch zu nennenden Weise die Zumutungen, die gesellschaftlich hegemoniale Konzepte und Vorstellungen für diejenigen bedeuten, die ihnen nicht entsprechen (wollen). Deutlich wird dabei auch die Legitimität, die herkömmlichen Kategorien qua Natur zugesprochen wird, die Wirkmacht, mit der sie sich in Prozessen der Subjektivierung entfalten, wie auch der Zwang, sich dazu in ein Verhältnis setzen zu müssen. Der potentielle Eigensinn derjenigen, die diese Fragebögen ausfüllen, berührt dabei nicht die Hegemonie, mit der heteronormative Konzepte – als eine Weise, in Kategorien zu denken – weiterhin Geltung beanspruchen, wie Karo in der folgenden Beschreibung auf den Punkt bringt: „Ja, weil man kann ja auch nicht so – mega-viel jetzt von denen erwarten, sondern eher so – ich mein’, ich finde es schon gut, wenn sie so ‚eingetragene Lebenspartnerschaft‘ oder so was schon mal – mit denken“ (43 f.). Immer wieder bringt Karo die Dimension der Reflektion ein; daraus lässt sich ableiten, dass es ihr nicht um einen Betroffenheitsdiskurs, sondern um einen Blick auf das soziale Feld geht, das sehr viel vielschichtiger ist als es heteronormative Konzepte mit ihren naturalisierten Grundlegungen erscheinen lassen. Die Nicht-Thematisierung – und Relativierung – dieser wirkmächtigen und gewaltvollen Konstruktion bewirkt ein Fortschreiben heteronormativer Vorstellungen im sozialen Feld, wie Karo an folgender Situation verdeutlicht: Dass eine Transfrau, die sich in eben dieser Hochschule bewegt, von anderen als „ ‚der Mann, der ’ne Frau sein will‘ oder so, dann betitelt wurde. Wo ich mir denke, dass sie bestimmt nicht so betitelt werden möchte – als Mann, der ’ne Frau sein will. Sondern als Frau betitelt

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werden, oder meinetwegen als Transfrau betitelt sein möchte, aber wo dann schon – die so ’n bisschen aus, ich sag jetzt mal, Unwissenheit oder einfach noch nicht drüber nachgedacht, dann eben solche – also ich glaub’ nicht, dass die das unbedingt böse meinen, aber einfach nicht so drüber nachgedacht, so.“ (44) Dieses Setting bringt das Machtgefüge zum Ausdruck, in dem verkörperte Subjekte in je spezifischer Weise positioniert sind. Deutlich wird, wie die Vorstellung eindeutiger Geschlechterpositionen – auch und gerade in der eigenen Selbstwahrnehmung – ermöglicht und impliziert, einen verobjektivierenden und fixierenden Blick auf differente geschlechtliche Verkörperungen zu richten. Dem Aufwand, sich mit diesen Prozessen der Vereindeutigung und den darin praktizierten Ausschlüssen auseinanderzusetzen, wird im Folgenden weiter nachgegangen. über sich selber nachdenken Karo beschreibt eine Vielzahl von Situationen, in denen sie ihre geschlechtliche Selbstpositionierung relational austariert. So erzählt sie von einem „Männerforschungsseminar“ (50), das Raum für subjektivierende Praxen hinsichtlich ihrer Geschlechtlichkeit bietet: „Da hab’ ich auch mal demonstriert, wie man so als Mann läuft, oder wie ich so als Mann laufe.“ (50) Anfangs wurde dieses Seminar von Männern wie Frauen besucht, wobei Karo dabei ist, an einer Selbstwahrnehmung ‚als Mann‘ zu arbeiten: „Und da fand ich das schon irgendwie blöd, dass ich jetzt nicht – dass wenn sie [die Dozentin, KW] von den Männern gesprochen hat, immer nur die – biologischen Männer angesprochen hat und mich jetzt nicht so angesprochen hat.“ (50) Mit der Zeit wurde das Seminar kleiner, was Karo die Möglichkeit gab, stärker an ihrer Selbstwahrnehmung zu arbeiten: „Dadurch, dass das dann nachher so sehr geschrumpft ist… – dadurch war es einfach sehr familiär auch [lachend:] sag’ ich jetzt mal. Und – … ja, also die Frauen waren alle außer mir gegangen, und ich hab’ das dann schon auch so als – [lachend:] ‚Wir gehen jetzt wieder zu unserem Männer-Seminar‘ empfunden, also – ich hab’ mich dann schon auch mit diesen – Männern dort…“ (50) Das „Männerforschungsseminar“ entwickelt sich zunehmend zu einem Raum, in dem sich eine geschlechtliche Homogenität hinsichtlich der Teilnehmenden einstellt. Während „die Frauen alle gegangen waren“, empfindet Karo eine Zugehörigkeit zur Gruppe der verbleibenden Männer, die sie mehrfach betont: „Aber es war so immer dieses: ‚Ja, wir gehen jetzt zu unserem Männer-Seminar‘, und es hatte schon so was: ‚Ja, wir Männer

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gehen jetzt zu unserem [lachend:] Männer-Seminar‘, so.“ (51) Das Seminar als temporärer gesellschaftlicher Raum stellt in diesem Sinne einen Identifikationsrahmen dar, der Karo die Möglichkeit gibt, an der eigenen geschlechtlichen Selbstwahrnehmung zu arbeiten. Zu dieser Zeit verblieben in dem Seminar zwei schwule Männer, die von Karos Praxis des Drag Kinging wissen, außerdem „ein – sehr moderner Hetero-Mann [lacht] – oder nicht ’n sehr moderner, aber also – sehr aufgeschlossener Hetero-Mann [lacht]. Und die Dozentin“ (50). Interessant ist, dass obwohl die beiden schwulen Männer von ihrem Drag Kinging wissen und insofern bereits die Hälfte der Anwesenden in die Geschlechterpraxen Karos eingeweiht ist, wie sie selbst bemerkt, wird diese Verkörperung weiblicher Maskulinität in dem „Männerforschungsseminar“ nicht besprochen: „Es war schon eher theoretisch – aber es war – also wir haben das jetzt nicht wirklich verbalisiert.“ (51) Es lässt sich nur vermuten, dass die Angst vor Unkenntnis und Abwertung in dem öffentlichen Raum, den die Hochschule darstellt, so stark ist, dass es zwar in der Praxis zu Überschreitungen und Durchquerungen einer heterosexuellen Matrix kommt, diese aber in ihrer Bedeutung und Reichweite nicht expliziert werden. Auf die Frage der Interviewer_in, ob es nicht reizvoll gewesen wäre, eine weitere Form der Maskulinität einzuführen, beschreibt Karo ihre Überlegungen dazu: „Und ich hatte da am Anfang auch mal überlegt, ob ich da irgendwann mal als Drag King hingehe, aber ich hab’s dann – es lag dann zeitlich nicht so optimal, also dass da dann große Zeit zum Bartkleben gewesen wär’. Und ich hätt’s wahrscheinlich dann auch wieder eher gemacht, wenn ich jetzt zu zweit gewesen wär’. [Doch, wenn wir da –] zu zweit – hätte ich’s, glaube ich, o. k. gefunden, in diesen – ja, mit Bart hinzugehen. Aber ich hatte es, ich hatte es überlegt – ob ich das mache.“ (51) Als Drag King sichtbar zu werden hätte – in ihrer Vorstellung – einen hohen Aufwand bedeutet. Dies ist ein Hinweis auf die Wirkmacht, mit der naturalisierte Vorstellungen von Geschlecht zur Geltung gelangen, auch wenn Wahrnehmung und Praxis in eine andere Richtung weisen. In einem Kontext, in dem sie bereits ‚als Frau‘ eingeführt ist, hätte es einen hohen Aufwand bedeutet, ihren Drag King zu realisieren, wie ihre Überlegungen

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deutlich machen.41 Sie sind zudem ein Indiz dafür, wie viel Absicherung notwendig ist, um diesen Schritt zu wagen – selbst in einem überschaubaren Rahmen mit engem thematischem Bezug. Die Vorstellung, bei einer Inszenierung weiblicher Maskulinität „zu zweit“ zu sein, relativiert dabei die Gefahr einer Stigmatisierung oder pathologisierenden Zuschreibung auf Karo als Person – im Sinne der Individualisierung eines ‚Problems‘. In diesem Kontext jedoch scheint es nicht möglich, weibliche Maskulinität als eine Selbstpositionierung zu thematisieren, die den forschenden Blick auf ‚Männer‘ problematisiert und erweitert. Auf diese Weise nun schließt sie das Seminar mit der Einschätzung ab: „Es war ’n sehr netter Austausch einfach immer so irgendwo.“ (51) Wichtig sind an dieser Stelle die strukturellen Implikationen, die sich aus den beschriebenen Szenen ergeben: Karo unterscheidet das Feld, in dem sie sich bewegt, und die Seminare, die hier angeboten werden, nach dem Grad der Selbstreflektion, die sie implizieren: Während in empirischer Sozialforschung, Statistik und Seminaren mit politischen Themen, wie sie es nennt, der Männeranteil sehr hoch sei, ist er bei den Themen geschlechtsspezifischer Sozialisation, Mädchen- oder auch Jungenarbeit sehr niedrig: „’n Haufen Frauen und dann – ein oder zwei Männer. Von also 18, ich sag’ jetzt mal, 18 Frauen zwei Männer oder so. Oder 15 Frauen, zwei Männer – oder vielleicht war’s auch nur ein Mann. Es war jedenfalls so, es gab – selbst in dem Seminar über Jungenarbeit sehr wenig Männer.“ (54) Interessant ist die Erklärung, die Karo hierfür anbietet: „Wobei wenn – das dann schon auch eher Männer sind, die dann eventuell schwul sind oder zu mindestens jetzt mit Schwul-Sein kein Problem haben oder sich schon mal damit – schon mal irgendwie damit beschäftigt [haben] – jetzt nicht unbedingt für sich selber, aber schon mal irgendwie mit Schwul-Sein oder so in irgendwelcher, welcher Form auch immer, Kontakt hatten.“ (54) Die Rede ist hier von Seminaren, die eine Bereitschaft zur Selbstreflektion und ein SichEinlassen voraussetzen, zumindest aber einen interessierten, möglicherweise persönlichen Bezug zum sozialen Feld implizieren, in denen auch die Thematisierung der eigenen Position virulent wird.

41 Die Eindeutigkeit, mit der sie ‚als Frau‘ positioniert ist, macht sie vornehmlich an ihrem Vornamen, aber auch an ihrer Stimme und ihrer als weiblich markierten Brust fest.

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Karo zieht zunächst eine Verbindung zwischen Marginalisierung – etwa im „Schwul-Sein“ – und einem selbstkritischen Blick auf Geschlechterthemen. In ihrer Argumentation geht sie aber über diese Logik hinaus, indem sie auch hegemoniale Positionen als spezifisch markiert: „Weil es sind so, vielleicht so Seminare, wo man auch über sich selber nachdenken muss oder so, und da sind die Männer dann schon – oder zumindest die heterosexuellen Männer – schon seltener drin. Also die – ja, die gehen dann vielleicht lieber in so was Handfesteres. Straffälligenhilfe oder so, da sind, glaub’ ich, schon auch noch mal wieder mehr Männer.“ (54) Es sind die jeweils spezifischen Subjektpositionierungen, die bestimmte Zugänge und Auseinandersetzungen mit dem sozialen Feld wahrscheinlicher machen als andere. Wenn Karo die Position „heterosexuelle Männer“ mit einem Interesse an „was Handfesterem“ verknüpft und hiervon die Haltung eines „über sich selber nachdenken“ abgrenzt, betont sie die Ermächtigung, die mit hegemonialen Subjektpositionen einhergeht und die eine Selbstreflektion unwahrscheinlich macht. Die Einsicht in die grundsätzliche Konstruiertheit des sozialen Felds und die Prozesshaftigkeit subjektiver Selbstpositionierungen bedeutet im Umkehrschluss, Kontexte bereitzustellen, in denen Subjektpositionen und ihre gesellschaftliche Bedingtheit wie auch Veränderbarkeit reflektiert werden können. Selbstreflektion als entscheidende Dimension im Blick auf das soziale Feld zeigt sich auch in den Erfahrungen, die Karo während eines Praktikums machen musste und von denen sie sagt: „Es war ’ne Erfahrung, aber ich würde sie nicht noch mal machen [lachend] wollen, so.“ (60) zu lange ausgehalten Karo hat während ihres Studiums ein Praktikum gemacht „in so ’nem chaotischen Jugendzentrum“ (55), wie sie es selbst nennt. Die erste Beschreibung, die sie dazu macht, liest sich folgendermaßen: „Da waren fast nur Jungs, fast nur Migrantenjungs – und so zwei Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen, die schon – ich würde sagen, die waren schon so ’n bisschen burn-out-syndrom-mäßig oder so, also die waren – es war sehr unstrukturiert und es gab – zumindest keine festen Regeln…“ (55) Damit ist der Kontext umrissen, in dem sie sich über den Zeitraum mehrerer Monate an ein bis zwei Tagen in der Woche aufhält: Karo hebt zum einen hervor, dass es männliche Jugendliche mit Migrationserfahrung sind, die sich in diesem Jugendzentrum aufhalten. Hinzu kommt die Beschreibung „chaotisch“,

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„sehr unstrukturiert“, „zumindest keine festen Regeln“ – Formulierungen, die als Hinweis darauf gelesen werden können, dass es zwar Regeln gibt, nach denen das Miteinander in dem Jugendzentrum funktioniert, diese aber nicht expliziert werden – und somit auch nicht zur Disposition stehen. Dies ist der Rahmen, innerhalb dessen sich ein gesellschaftlicher common sense mit all seinen gewaltvollen Vorannahmen, Festschreibungen und Fixierungen entfalten kann. Diese These soll nun anhand verschiedener Situationen in diesem Kontext nachvollzogen werden. „Die Jungs haben dauernd versucht, irgendwie – zu testen, wie weit sie gehen können. Und da war das schon auch ziemlich hart, weil da hat einer mal ‚Mannweib‘ zu mir gesagt und – [irgendwelche anderen Sachen].“ (55) Dies ist die einleitende Erzählung zu ihrem Arbeitskontext, in der sie eine Bezeichnung wiederholt, die das Gewaltpotential dieser Situation zum Ausdruck bringt. Erst an späterer Stelle kommt sie auf diesen Begriff zurück und beschreibt den Umgang, den sie damit gefunden hat – und in dem auch ihre Erfahrungen als Drag King und beim Stammtisch eine zentrale Bedeutung haben. Zunächst jedoch tastet Karo sich in ihrer Erinnerung langsam an die damalige Arbeitssituation heran. An das Klientel erinnert sie sich als „so 13- bis 18-jährige Jungs halt. Wobei so die 13-, 14-Jährigen eigentlich schlimmer waren als die 17-, 18-Jährigen. Weil die 17-, 18Jährigen dann – mich schon eher – vielleicht eher als Frau wahrgenommen haben oder aber – schon auch – ja, mich zumindest als Frau behandelt haben, sag’ ich jetzt mal, und nicht so – ja, schon auch mit diesem: ‚Ich bin jetzt vielleicht interessiert‘ also so – behandelt haben und nicht so wie – ja, also da war das schon – das war schon krass da, ja.“ (55) Spürbar wird hier das Ringen um Worte, das erahnen lässt, wie verletzend und wenig fassbar die Situation für Karo gewesen sein muss. Virulent wird zunächst die Unterscheidung, die sie zwischen ‚Wahrnehmung‘ und ‚Behandlung‘ macht: Sie ist nicht sicher, ob sie tatsächlich ‚als Frau‘ wahrgenommen wird, allerdings fühlt sie sich als solche behandelt: Die sexualisierenden Praxen, mit denen sie von den 17-, 18-Jährigen adressiert wird, verweisen sie eindeutig in eine weibliche Subjektposition. Erstaunlich ist dabei, dass sie diese Sexualisierung und die damit verbundene Positionierung ‚als Frau‘ der Adressierung durch die 13-, 14-Jährigen vorzieht. Hierfür findet sie zunächst keine Worte, sondern bricht den angefangenen Satz „und nicht so wie –“ zweimal ab, um mit der Einschätzung zu enden: „Das war schon krass da, ja.“

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Sie leitet daraufhin ein weiteres Thema ein: „Wobei ich andererseits auch immer als Praktikantin so Putzarbeit machen sollte oder so – und dann natürlich bei den Jungs ankommt: Die Frau ist die, die putzt. Nehm’ ich an.“ (55) Karo führt ihre Aufgabe zunächst auf ihren Status – und nicht auf Geschlecht – zurück: Das Putzen sollte sie „als Praktikantin“ verrichten – und die Kopplung von Putzarbeit und Frau-Sein erfolge erst in einem zweiten Schritt, von den Jugendlichen. In ihren weiteren Beschreibungen verändert sich dieses Bild allerdings, als sie das Verhalten der Sozialarbeiter stärker in die Betrachtung einbezieht: „Und ich mein’, der eine [Sozialarbeiter, KW] hat auch mal zu mir gesagt, – der meinte das nicht, glaub’ ich, nicht böse, der hatte so ’ne flappsige Art – da haben wir dann vorher mal irgendwie geputzt – also bevor das Jugendzentrum auf machte – und dann hat er irgendwas gemeint: [tiefe Stimme:] Ja, du kannst schon – übst du hier schon mal für dein späteres Hausfrauen-Dasein, oder – dann kannst du das für später – oder irgend so ’n blöden Spruch gesagt, ich weiß nicht, also es war schon –“ (56) Als Zwischenfazit lässt sich zunächst festhalten, dass alle – männlichen – Beteiligten daran arbeiten, Karos geschlechtliche Position durch Praxen der Sexualisierung wie auch über als weiblich markierte und kommentierte Tätigkeiten zu vereindeutigen. Auf die Frage der Interviewer_in, wie sie reagiert habe, und ob es überhaupt Möglichkeiten zu reagieren gab, meint sie: „Ich hab’s ziemlich lange ausgehalten, eigentlich zu lange. Würde ich jetzt so sagen, ja. Ich hab’ zu lange – so – zu lange ausgehalten, glaub’ ich einfach, ja. Ja… es hat mir schon gezeigt, dass ich jetzt so, in so ’ner Einrichtung jetzt nicht mehr arbeiten wollen würde.“ (56) Dieses Fazit ihrer Erfahrungen in dem Jugendzentrum wird später in ihrer Selbstpositionierung von zentraler Bedeutung sein. Im weiteren Interview-Verlauf geht es darum, die verschiedenen Ebenen, auf denen sich die beschriebenen Situationen abspielen, zu klären. Dabei rücken zunehmend die Professionalität der dort Tätigen und die Strukturen des Berufsfeldes in den Blick: „Ich bin z. B. auch nie vorgestellt [worden, KW], also, oder ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, vorgestellt worden zu sein, und zwar – ja, es lag auch mit an diesen Sozialarbeitern, die so das Gefühl hatten, so: Die Jungs bringen ’s eh nicht oder so. Oder auch so ’n, so ’n bisschen so ’n negatives Bild von denen schon mal allgemein hatten.“ (57) Es werden gesellschaftliche Bilder von Jugendlichen re/produziert, die Karo eingangs als „Migrantenjungs“ bezeichnet hatte. Mit dieser Bezeichnung werden diejenigen, die sich im Jugendzentrum treffen,

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auf spezifische Weise im gesellschaftlichen Feld positioniert: als Jugendliche, die insofern nicht als gleichwertiges Gegenüber adressiert werden; als männliche Jugendliche, die damit in ein spezifisches Verhältnis zu Karo gesetzt werden; und als männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund oder -erfahrung, eine Information, die in der gegebenen gesellschaftlichen Situation in der Regel eine Problemperspektive transportiert. Die von Karo konstatierte Respektlosigkeit der Sozialarbeiter in ihrer Haltung und – so ist zu vermuten – im Umgang mit den Jugendlichen macht es schwer, in diesem Kontext intervenierend tätig oder überhaupt handlungsfähig zu werden: „Rückendeckung hat auch einfach so – gefehlt, würde ich jetzt sagen.“ (57) Es wäre nahe liegend, die Situation zu individualisieren und zu resümieren, die Sozialarbeiter hätten ihren Job nicht gemacht – dass diese Situation komplexer ist und insbesondere weitere Einsichten in die Zusammenhänge subjektiver Selbstpositionierungen und professionellen Handelns enthält, wird im Folgenden deutlich. Auch in diesem Kontext spielt die Referenz auf Sexualität in den sozialen Positionierungen eine herausragende Rolle: „Wobei die Jungs halt auch immer – also noch mal zu den Jungs so – sehr sexualisiert waren… Also die haben mich schon dann irgendwie schon auch als Frau – wahrgenommen, aber dann auch wieder nicht so. Ich pass’ da auch wahrscheinlich irgendwie nicht in ihr Bild von Frau, was sie so – hatten, ja.“ (57 f.) Karo war die einzige Person dort, die ‚als Frau‘ positioniert war. Die sexualisierte Ansprache durch die Jugendlichen kann als Indiz für die Irritation gelesen werden, die Karos geschlechtliche Selbstpositionierung in dem Jugendzentrum auslöste. Entscheidend ist, dass diese Dimension zwischenmenschlicher Beziehung nicht aufgegriffen und besprochen wird: „Ich war dadurch, dass ich die einzige Frau war, auch noch mal – und sie dauernd diese Pornos geguckt haben und – Sex sehr Thema war für die, aber nie wirklich – besprochen worden ist… sie haben mich dann schon so ’n bisschen, so, ich kam mir schon so ’n bisschen so vor, als wenn sie mich schon auch zum Teil als so ’ne Art Sexobjekt [empört] jetzt sehen, sag’ ich jetzt mal. Oder sehr sexualisiert sehen, quasi.“ (58) Die starke Sexualisierung verweist sie in eine als weiblich markierte Position und kann als Versuch gewertet werden, die Eindeutigkeit ihrer geschlechtlichen Positionierung herzustellen. Zugleich erlauben die sexualisierenden Praxen den Jugendlichen, sich in der männlichen Subjektposition zu verorten und einzurichten – eine Bewegung, die an der Ambivalenz von Karos Selbstpositionierung

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jedoch immer wieder scheitert: „Und dann andererseits so – dann andererseits aber auch wieder – mein Frau-Sein zum Teil wieder in Frage gestellt haben, so. Halt mit diesem Mannweib, oder mit – indem sie mich auf meinen ’n bisschen Oberlippenbärtchen hier, diesen natürlichen, ansprechen.“ (58) Auf Nachfrage der Interviewer_in, wie sie das genau gemacht haben, erzählt Karo von einer Begegnung im informellen Bereich: „Irgendwie bei so mal raus gehen. Und das war auch einer, den ich eigentlich kaum kannte. Und – der hat dann – „Öh, du hast ’n Bart“ oder irgend so was – also war auf jeden Fall abwertend.“ (58) Dass diese Situation von den Sozialarbeitern nicht aufgegriffen wird, erklärt Karo damit, „dass sie irgendwie – keine Lust mehr hatten, oder – ich mein’, die haben meistens auch da gesessen, dann halt ’ne Runde Kicker oder Billard mit denen gespielt, und ansonsten da gesessen, Zeitung gelesen, sich unterhalten oder halt im Büro irgendwie telefoniert oder so, ja.“ (58 f.) Interessant ist, dass durchaus informelle Gespräche stattfinden, die aber die aktuelle Situation vor Ort nicht thematisieren: „[laut] Nein, darüber nicht, nein. – Nein, so über andere – was ich Weihnachten mach’ oder so was, ja, aber nicht, nicht jetzt über die Situation, nein.“ (59) Die Beziehungen vor Ort – auch und gerade im informellen Bereich – sorgen für Selbstpositionierungen aller Beteiligten, die hegemoniale gesellschaftliche Verhältnisse re/produzieren. Die Gewaltförmigkeit bezieht sich dabei nicht nur auf Geschlecht, sondern ebenso auf die machtvolle Position der Sozialarbeiter, die sich im Verhältnis zu den Jugendlichen durch die Zuschreibung ‚Migranten‘ herstellt. Es entsteht der Eindruck eines Jugendzentrums, in dem sich gesellschaftliche Prozesse der Diskriminierung und Stigmatisierung ungebrochen re/produzieren: „Der [Sozialarbeiter, KW] hatte so was – einerseits so locker-lässig, und andererseits: ‚Die Jungs gehen mir irgendwie auf ’n Arsch‘, ja, ‚auf ’n Geist‘, ja.“ (59) Es sind gesellschaftlich hegemoniale Verhältnisse, die an diesem Ort fortwährend re/produziert werden – in diesem Sinne ist schwerlich zu unterscheiden, wo die professionelle Arbeit anfängt und wo sie aufhört: „Er [der Sozialarbeiter, KW] hat sich nicht so – wie er sich halt von seiner Aufgabe her so um mich kümmern soll, aber so das Zwischenmenschliche war schon – ich mein’, der hat schon auch mal gefragt, ob ich denn mal ’ne Runde kickern will, oder – keine Ahnung, so. Nein, der war schon – da war der schon – normal, würde ich jetzt sagen.“ (59 f.)

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Karo ist in diesem von Normalitätsvorstellungen durchsetzten Kontext auf sich allein gestellt. Wie auch bei Tom finden die eigentlichen Auseinandersetzungen und Aufarbeitungen des Erlebten in Kontexten außerhalb des Erwerbsarbeitskontextes statt: „Es wäre, glaub’ ich, vor der Drag KingPhase was anderes gewesen, wenn jemand Mannweib zu mir sagt, weil es ja auch – ich mein’, Mannweib ist als Begriff, ist – wenn man es jetzt nicht – wenn man den Fakt – den der eigentlich damit ausdrückt, nicht als Mannweib ausdrückt, sondern als Transgender oder so, ist es ja auch wieder was Positives, sag’ ich jetzt mal, ja. Und dann war es schon irgendwie so – mmh – vielleicht hat der, wenn er’s jetzt sagt, gar nicht mal so unrecht, aber es ist nicht – die Art, wie er’s sagt, ist nicht – die richtige, oder ist nicht – respektierend und annehmend. Sondern – ist halt so abwertend und – angreifend gemeint, ja.“ (60) Die Abwertung bezieht sich auf eine differente Verkörperung, auf das bedrohliche Außen einer durch Vereindeutigung hergestellten körperlichen Kohärenz, die diese über den Ausschluss zugleich konstituiert. Sich innerhalb dieses Machtgefüges erneut anerkennend auf die eigene geschlechtliche Selbstpositionierung zu beziehen, erfordert einen enormen Aufwand. Eine Umkehrung der Blickrichtung – im Sinne einer Problematisierung hegemonialer Subjektpositionen – etwa über den politischen Begriff Transgender funktioniert in bestimmten Kontexten. Die Situation während ihres Praktikums ist allerdings durch einen gesellschaftlichen common sense derart geprägt und auf eine Weise in ihren Bedeutungen fixiert, dass Karo keine Möglichkeit sieht, eine positive Umdeutung oder auch nur Bewegung in die festgeschriebenen und verobjektivierten Verhältnisse zu bringen. Die Erfahrungen in diesem Erwerbsarbeitskontext wirken zugleich in die politischen Zusammenhänge, bis in das Selbstverständnis Karos hinein: „Ja, das hatte noch irgend ’n Einfluss, ich hatte dann – ich fand ’s, glaub’ ich, schwierig, direkt nach dem Jugend-, ich glaube, ich fand es schwierig, direkt nach dem Jugendzentrum dann – zum Drag King-Treffen zu gehen. Weil, ich hatte in dem Moment das Gefühl, ich will mich jetzt von diesen – blöden – Jungs distanzieren. So. Und will dann – wirklich – einfach nur – Frau sein, und jetzt nicht unbedingt Mann sein. In dem Moment, so. Weil ich will nichts, jetzt nichts wirklich mit denen gemeinsam haben.“ (60) Die ‚Behandlung‘, Abwertung und Ausgrenzung durch die Jugendlichen bewirkt nicht nur eine Disidentifikation von als männlich wahrgenommenen

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Seinsweisen, sondern führt vielmehr zu einer Reidentifikation mit einer Position ‚als Frau‘. Dass Karo auch diese Selbstwahrnehmung nicht ungebrochen teilt, kommt zum Ausdruck, wenn sie sich selbst zu den männlichen Jugendlichen ins Verhältnis setzt: „Aber andererseits war es auch so, dass ich – dann zum Teil mich auch schon – mich zum Teil auf so ’ne Art männliche Kameradschaft oder männliche – so ’ne Zuneigung unter – heterosexuellen Männern, zu denen schon auch – von mir aus gesehen jetzt zum Teil verspürt habe, so was – kumpelhaftes, männlich-kumpelhaftes so. Aber das ist – ja, ich fand es dann halt blöd, immer so in diese sexualisierte Ecke geschoben zu werden, ja. Also das war – ja, nee, das war schon – es war ’ne Erfahrung, aber ich würde sie nicht noch mal machen [lachend] wollen, so.“ (60) Hier wird die Machtlosigkeit der Position deutlich, die Karo in diesem Jugendzentrum einnimmt. Gehen wir mit Foucault (2001/1973) davon aus, dass Macht nicht etwas ist, das wir besitzen, sondern „etwas, das ‚durchläuft‘, das wirkt, das bewirkt“ (ebd., 40), so ist es die heteronormative Ordnung, die die Beteiligten an diesem Ort in spezifische Verhältnisse zueinander setzt. Welche Bedingungen das Ringen um eine Position in diesem Kontext ausmachen, und welches Fazit Karo für sich daraus zieht, soll nun abschließend herausgearbeitet werden. „…’ne Position…“ Karo vergleicht ihre Position mit der einer männlichen Honorarkraft, die zur gleichen Zeit im Jugendzentrum arbeitet, und kommt zu dem Schluss, „dass sie [die Sozialarbeiter, KW] bis auf dieses ‚Hausfrauen‘ und so, jetzt schon mich nicht viel anders behandelt haben als jetzt diese männliche Honorarkraft da. Wobei die natürlich, dadurch dass es ’ne Honorarkraft war – der hatte ’n Schlüssel – der hatte auch andere Aufgaben, der hatte einfach – der hatte ’ne Position, und ich hatte keine.“ (Karo, 61) Karo führt diesen Eindruck zunächst auf den Statusunterschied zurück, den eine Honorarkraft im Vergleich zu einer Praktikantin hat. Auf mein Nachfragen jedoch, worin sich dieser Statusunterschied äußert, wird deutlich, dass es nicht etwa zugewiesene Kompetenzen und Tätigkeiten sind, sondern konkrete Praktiken wie das wöchentliche Fußballspielen mit den Jugendlichen, in denen sich die Position des Kollegen herstellt. In Bezug auf die Überlegung der Interviewer_in, ob Karo das nicht auch hätte machen können,

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stellt sich heraus, dass das gemeinsame Fußballspielen für sie vorstellbar war, sich der Ausschluss dann aber über die Vorstellung des anschließenden Duschens vollzog: „Ich hätte wahrscheinlich nicht in Ruhe in meiner Frauenumkleide duschen können oder so. Die hätten mich trotzdem auf diese sexuelle Art und Weise wahrgenommen, und deshalb wär’ das nicht gegangen.“ (61) In ihrer Imagination setzt die geteilte Praxis des Fußballspielens die Geschlechterdifferenz nur zeitweise außer Kraft, um sie später mit aller Gewalt wieder einzusetzen. Karo nennt verschiedene Gründe, die ihre spezifische Positionierung in diesem Erwerbsarbeitskontext bedingen könnten: „Da weiß ich nicht, ob es jetzt – das Frau-Sein war oder – also die – die Praktikanten-Sache… oder dieses, wie viel trau’ ich mir, ja, wie viel trau’ ich mir zu oder so.“ (61) Es ist – so meine These – die Kopplung aller drei Faktoren, die sich gegenseitig bedingen und auf diese Weise die Einnahme einer Subjektposition verunmöglichen. Karo spricht von der Zuschreibung ‚als Frau‘, die bei den Jugendlichen für Irritation sorgt. Da der Kontext keinen Raum bietet, an den subjektiven Selbstpositionierungen der einzelnen zu arbeiten und auf das gesellschaftliche Feld zu beziehen, werden Bewegungen in diesen Positionierungen, das Herstellen von Verbindungen wie auch Begegnungen verhindert. Ein Hinweis auf das in Identitätskategorien fixierte Feld ist das von Karo entworfene Gedankenspiel, wie sie hätte sein müssen, um sich bei den Jugendlichen durchzusetzen: „Als großer kräftiger Mann hätte ich wahrscheinlich schon ’n Vorteil gehabt. Und wahrscheinlich am besten als großer kräftiger – türkischer Mann. Der dann zwar reflektiert ist und so, und denen vielleicht ’n anderes – Rollenbild vorlebt, aber der halt – von denen mehr akzeptiert wird.“ (62) Deutlich wird das soziale Gefüge, in dem Subjektpositionen entlang verschiedener interdependenter Achsen angeordnet sind. Die Einsicht in die Konstruiertheit des gesellschaftlichen Feldes stellt dabei einen Ausgangspunkt dar, mit den Jugendlichen gemeinsam an Positionierungen – und möglichen Bewegungen darin im Sinne von Selbstpositionierungen – zu arbeiten. Es braucht entsprechende Räume und die Bereitschaft, sich auf diesen Blick und die damit verbundenen Prozesse einzulassen, um eine Ebene der Selbstreflektion und das darin implizierte Handlungspotential auch in Bezug auf das gesellschaftliche Feld zu realisieren. Dies ist ein Fazit, das sich aus den Erfahrungen Karos ziehen lässt und das ein Spannungsfeld von Passung und Anpassung aufmacht: „Ich würde dann mir eher einen andern

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Ort oder andere Leute suchen als mich da irgendwie groß – anzupassen“ (52). Ein solcher Ort müsste Raum bieten nicht nur für je spezifische Selbstpositionierungen, sondern für Begegnungen und für Prozesse des Werdens. Deutlich wird, dass erst die grundlegende Anerkennung der Beweglichkeit und Multiplizität des sozialen Feldes eine veränderte Sichtweise – und weiter führende Fragen – ermöglicht. Die Herausforderung an das Denken zeigt sich in einer Szene, die die naturalisierende Kraft hegemonialer Kategorien zum Ausdruck bringt. Nachdem Karo mit „ihrem Drag King“ eine „Erweiterung in das Männliche“ (13) vollzogen hat, wird auch eine ‚Erweiterung in das Weibliche‘ für sie denkbar. Als sie dem aufkommenden Wunsch, ein Kleid anzuprobieren, folgt, ergeben sich Schwierigkeiten bei der Anprobe beziehungsweise beim Ausziehen des ungewohnten Kleidungsstücks. Die Gefahr einer naturalisierenden Festschreibung bringt Karo dabei in einem kurzen Schreckmoment auf den Punkt: „Ich komm’ aus diesem Kleid nicht mehr raus!“ (Karo, 14)

„… LEBENDIGES B EISPIEL FÜR DEN T OLERANZFAKTOR DES H AUSES “ Auch in dem folgenden Interview geht es um Prozesse der geschlechtlichen Selbstpositionierung und um die Frage, welcher Stellenwert dem Feld von Erwerbsarbeit darin zukommt. Doris wurde von mir um ein Interview gebeten, weil sie ihre eigenen Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt und ihre Expertise in Form informeller wie auch beratender Gespräche in TransgenderKontexte einbringt. Sie selbst ist in das Feld der Erwerbsarbeit ‚als Mann‘ eingetreten und war zunächst sehr erfolgreich „im gehobenen Management tätig“ (Doris, 4), was in den jährlich stattfindenden Karriereplanungsgesprächen zum Ausdruck kam. Mit jeder neu erreichten Stufe allerdings wurde ihre Situation schwieriger, denn Doris hat damals schon – im Privaten – eine als weiblich markierte Seinsweise gelebt. In ihrer beruflichen Position ist der Handlungsraum dermaßen eng, dass nur ein Entweder-oder denkbar erscheint: Es ist die Entscheidung für ein Doppelleben, das heißt, die fortgesetzte Ausgrenzung von Femininität in die Sphäre des Privaten – oder ein differentes Sichtbarwerden im Feld ihrer Erwerbsarbeit, mit allen

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unvorhersehbaren Konsequenzen, die dieser Schritt nach sich ziehen kann. Während Doris sich in dieser Situation auf das Transsexuellengesetz beruft und infolge dessen ihre Erfahrungen als „juristische Vollfrau“ macht, entwickelt sie auf ihrem weiteren beruflichen Weg eine Haltung, die sich als ‚vernünftige Selbstbeschränkung‘ rekonstruieren lässt. Ihre Selbstpositionierung und die sich daraus ergebenden Perspektiven auf das gesellschaftliche Feld der Erwerbsarbeit werden abschließend nachvollzogen. Juristische Vollfrau Wenn Doris von ihren beruflichen Erfahrungen spricht, greift sie immer wieder einzelne Begegnungen und Aussagen auf, die einen gesellschaftlichen common sense in Bezug auf Geschlecht pointiert zum Ausdruck bringen. In der Rekonstruktion wird deutlich, wie die sich darin entfaltende heteronormative Ordnung in Prozesse ihrer Selbstpositionierung im geschlechtlichen Raum involviert ist. Der Schritt, sich in einer bestimmten Phase auf den Status als „juristische Vollfrau“ zu beziehen, soll nun anhand der Aussagen: ‚„Wir möchten das einfach nicht“’, ‚Es ging eben nicht mehr’, ‚Das war ’ne Panikreaktion’, ‚nie so ausgesprochen’ und ‚als fremd angesehen’ nachvollzogen werden. „Wir möchten das einfach nicht.“ Doris stellt die Frage nach beruflicher Integration und Erfolg grundsätzlich in Bezug zur allgemeinen Arbeitsmarktsituation: „Wenn über 20 % generell arbeitslos sind, wird es für Menschen, die aus dem üblichen Rahmen ’rausfallen… müssen die schon ganz extrem überdurchschnittliche Leistungen mitbringen, dass sie unverzichtbar werden. Und sonst wird man sich in der Regel für jemand anders entscheiden.“ (1) Als Rahmen und Grundlage für diese Entscheidungsprozesse nennt sie zunächst „gewisse Mehrheitskonventionen“ (2), die das soziale Feld entlang machtvoller Kategorien strukturieren und ein bestimmtes Maß an individueller Anpassung erfordern: „Wenn das überhaupt möglich ist. Bei manchen geht das auch nicht.“ (2) Aus ihrer eigenen Erfahrung verweist sie auf einige Beobachtungen: „Je ungewöhnlicher die Erscheinung in – gerade in – nach außen wirkenden Berufsfeldern und… je höher die Position, desto unwahrscheinlicher das Bestehen des Arbeitsverhältnisses.“ (3) Doris nennt zwar das Antidiskriminierungsgesetz, das in Strukturen mit gewachsenem Kündigungsschutz eine

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mögliche Schutzfunktion übernehmen könne – allerdings ist ihre Einschätzung hier durchaus ernüchternd: „Man hat viele Möglichkeiten, das so zu machen, dass jemand dann sagt, dann – will ich das auch nicht mehr.“ (3) Entscheidend in dieser Einschätzung ist das benannte Verhältnis von Norm und Abweichung, innerhalb dessen Ein- und Ausschlüsse produziert werden. Wenn es darum geht, sich die Entscheidungsprozesse genauer anzuschauen, die zur Auflösung oder Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – wie es bei Doris der Fall war – führen, liefern die Begründungen von Seiten der Leitungsebene zunächst kaum relevante Informationen: „Dann ist gesagt worden: ‚Wir möchten das einfach nicht‘ … oder: ‚Wir sind noch nicht so weit‘. Und solche Sprüche, die ich nie, nie verifizieren kann jetzt.“ (4) Auffallend ist der Gebrauch eines ‚wir‘, das darüber entscheidet, ob Doris weiterhin in dem Unternehmen tätig sein wird. Daran schließt sich die Frage an, wie sich dieses ‚wir‘ konstituiert, wer sich zugehörig fühlen kann und wer aus diesem ‚wir‘ herausfällt. Wenn Doris in einem fiktiven Szenario formuliert, dass „jemand … sich aus dem üblichen Rahmen raus bewegt“ (3), referiert sie mit „dem üblichen Rahmen“ auf einen common sense, dessen wirkmächtige Konstruktionen selbstverständlich erscheinen und keiner weiteren Legitimation bedürfen, wie die Aussage „Wir möchten das einfach nicht“ zum Ausdruck bringt. Sichtbar wird der „übliche Rahmen“ in dem Moment, in dem sich eine Person „raus bewegt“ – mit der gewaltsamen Macht, die „Mehrheitskonventionen“ für diejenigen, die ihnen nicht entsprechen oder nicht (mehr) entsprechen wollen, haben. Diese Situationsbeschreibung widerspricht der deklaratorischen Absicht, mit der Programme wie das diversity management sich auf das soziale Feld beziehen, in Doris’ Worten: „Auf homosexuelle Menschen, und aber eben auch auf Transgender-Menschen aller – Variationen – wird dort ganz ausdrücklich gesagt, dass das – zumindest wird das erst mal deklariert, dass das keinerlei Behinderung mit sich bringen soll.“ (4) Während einerseits Identitäten angerufen und somit in den Bereich des Denk- und Sagbaren eingeschrieben werden, dient eben diese Markierung, wie Doris’ Erfahrungen zeigen, als Moment der Einhegung und des Ausschlusses von als abweichend definierten Körpersubjektivitäten. Dabei geht Doris in ihrer Formulierung über diese Binarität von Norm und Abweichung hinaus – eine Blickrichtung, die auch in den disability studies diskutiert wird: Dass die hier angesprochene „Behinderung“ kein persongebundenes Merkmal ist, aufgrund dessen Menschen eingeschränkt sind, sondern dass es gesell-

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schaftliche Strukturen, Institutionen und Vorstellungen „des Üblichen“ sind, die zur Barriere und Einschränkung für Menschen werden. „Wir sind noch nicht soweit“ verweist auf eben die Frage nach Denkbarkeit, mit der gesellschaftlich konstituierte Kategorien erst ihre Geltung erlangen und lebbar werden. Im Zusammenhang mit sexuell-geschlechtlichen Lebensweisen spielen körperliche Normierungen und das Theorem der Sichtbarkeit eine zentrale Rolle. So stellt Doris sich die Frage, „ob eine Person, die noch soviel männliche Elemente hat und nichts an der Stimme hat machen lassen und irgendwie – also, ob die dann auch wieder im gehobenen Management nun ausgerechnet da – wenn es dann auch noch darum geht, vielleicht Neukunden zu gewinnen und irgendwelche 5.000 Mitarbeiter-Unternehmen – ob man da sagt, das sei nun gerade passend.“ (4 f.) Sie führt eine Argumentation an, die zirkulär verläuft und die häufig zum Einsatz kommt, wenn es um die Auswahl von Mitarbeitenden und die Regulierung ihres Auftretens im Dienstleistungsbereich geht: Dass es gilt, sich den Wahrnehmungskonventionen potentieller KundInnen anzupassen, sollen Geschäfte erfolgreich zum Abschluss gebracht werden.42 Mit diesem Argument werden Körpersubjektivitäten, die im hegemonialen Diskurs qua Natur vorausgesetzt werden, erst geschaffen und immer wieder reproduziert. Insofern kommt es zunächst auf die Wirkung an: „Wenn eine Transgender-Person in einem solchen Konzern – oder sonst wo – auftritt, mit Außenwirkung, Verhandlungen führt oder sonst wie, und man merkt das gar nicht – dann ist das ja auch in Ordnung“ (5). Die „Ordnung“ bleibt unangetastet, so lange als abweichend definierte sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierungen nicht sichtbar werden beziehungsweise auf die Konstituierung der Ordnung selbst zurück weisen. In diesem Sinne ist zu

42 Interessante Ergebnisse zur Darstellung von Geschlecht und Heterosexualität am Arbeitsplatz finden sich bei McDowell (1999), die hierzu eine empirische Studie im Milieu Londoner Handelsbanken durchgeführt hat. Darin bezieht sie sich unter anderem auf Fiske (1993), der sich aus kulturwissenschaftlicher Perspektive und vor einem Foucault’schen Theoriehintergrund mit dem Verhältnis von Macht, Verkörperung und Arbeit beschäftigt. Zur Regulierung von Körpersubjektivitäten am Arbeitsplatz siehe auch die Ergebnisse einer sexuellen Betriebsanalyse, die Lorenz und Kuster (2007) in einem Berliner Hotel durchgeführt haben (in Bezug auf Körpervorschriften vgl. dort insbesondere Seite 174 ff.).

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vermuten, dass die Person in diesem Szenario nicht ‚als Transgender‘ eingeführt ist, denn allein dieses Wissen würde eine Differenz und eine Veränderung im Setting produzieren. Hier hingegen beschreibt Doris die Situation eines passings: die machtvolle und ermächtigende Einnahme einer Subjektposition – mit allen Implikationen und Vorannahmen, die diese Einordnung wiederum nach sich zieht. In diesem Prozess des In-Erscheinung-Tretens kommt den spezifischen Körperpraxen inklusive medizinischer Möglichkeiten eine besondere Bedeutung zu, wie Doris weiter ausführt: „Vielleicht weil sie entsprechende Voraussetzungen hat – wenn es eben ’n Mann ist, vielleicht nur ein Meter fünfundsechzig groß, schmale Schultern, gut operiert – Stimme schön gemacht, und – feines Gesicht, Nase noch operiert oder sonst wie, keine Hände wie ’n Klodeckel oder so – dann – ja, ich sag’s jetzt mal überspitzt: Wenn eine Person so gut rüberkommt – und sich dann auch entsprechend noch benehmen kann und da rumstöckelt oder dann auch, sagen wir mal, das Businessmäßige drauf hat, dann ist das ja o. k., weil es würde ja vielleicht auch gar keiner mitkriegen, ne.“ (5) Deutlich wird der verobjektivierende Blick, den Doris zitiert, und der körperliche Zeichen als ‚weiblich‘ respektive ‚männlich‘ im Sinne einer dominanten Fiktion43 unentwegt hervorbringt. Die glaubwürdige Herstellung von Geschlecht erscheint in dieser Beschreibung als achievement, als eine interaktive Leistung, wie sie in Ansätzen des doing gender fokussiert und konzeptualisiert wird.44

43 Das Konzept der ‚dominanten Fiktion‘ führt Renate Lorenz mit Bezug auf Kaja Silverman aus, die wiederum mit Jacques Rancière konstatiert, die dominante Fiktion sei „eine privilegierte Form der Repräsentation, die den Angehörigen einer sozialen Formation das Bild eines gesellschaftlichen Einverständnisses nahe legt, innerhalb dessen sie sich selbst verorten sollen“ (Silverman, zitiert nach Lorenz 2007, 255 f.). Demnach reproduzieren die „üblichen Bilder von Mann und Frau […] performativ eine dominante Fiktion. […] Sie produziert wirkmächtige Erzählungen und Bilder, von denen die Konstitution der Subjekte abhängt und die zugleich mit darüber bestimmen, auf welche Realität sich die Subjekte beziehen, welche Körper, Bilder und Texte überhaupt intelligibel werden.“ (Lorenz 2007, 256 f.; vgl. auch Lorenz 2009, 73–90) 44 Zu den aktuell und kontrovers geführten Diskussionen vgl. Gender & Society (2009).

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Wenn Doris dabei die körperlichen Zeichen benennt, die zu einer kohärenten Wahrnehmung ‚als Frau‘ oder ‚als Mann‘ führen, so können eben diese Markierungen dafür sorgen, dass eine überzeugende Darstellung ‚als Frau‘ oder ‚als Mann‘ auch nicht gelingt: „Sobald es aber eben aus Gründen vielleicht der körperlichen Grundkonstitution…, aber auch wo es aus anderen Gründen nicht so gut gelingt, es anzupassen von den ganzen medizinischen Mechanismen – da wird’s schwierig. Und es wird natürlich dann auch schwierig, wenn eine Person sagt, ich mache diese Möglichkeiten auch gar nicht alle. Weil ich will mein Gesicht ja nicht verlieren.“ (5) Doris verweist damit auf ein Feld multipler Körper (vgl. Gatens 1995), die innerhalb einer heteronormativen Ordnung in spezifischer Weise positioniert sind. Sie benennt vielfältige Entscheidungsprozesse, in denen immer wieder eine Passung an „Mehrheitskonventionen“ virulent wird. Dabei nimmt die Auseinandersetzung mit dem, was dem Körper gesellschaftlich an Bedeutung zugeschrieben wird, eine zentrale Rolle ein. Wenn sie benennt, dass bestimmte medizinische Möglichkeiten einer Anpassung an hegemoniale Vorstellungen auch nicht genutzt werden, ist dies eine Entscheidung für das eigene Geworden-Sein: „Ich bin ja als Person irgendwie gewachsen und bleibe ja immer sowieso dieselbe Person. Und meine innere Haltung war im Grunde, egal wie ich aussehe oder so, war immer irgendwie so.“ (6) Doris beschreibt zwar die gesellschaftliche Relevanz eines Theorems der Sichtbarkeit, das die Wahrnehmung einer Person, ihrer Kompetenzen und Einstellungen, an ihre Erscheinung und die Einordnung in gesellschaftlich konstituierte Kategorien koppelt, zugleich erteilt sie diesem als Kriterium für sich selbst und ihre Selbstpositionierung eine klare Absage, wie noch zu zeigen sein wird. Was es heißt, in ihrem beruflichen Kontext auf einer Führungsebene eine eindeutige Geschlechterposition – in diesem Fall ‚als Mann‘ – zu verlassen, wird nun weiter nachgegangen. Es ging eben nicht mehr. In dem Versuch, als „gewachsene Person“ in Erscheinung zu treten, habe Doris „nur diesen Bruch – nur so hingekriegt“ (6), wie sie formuliert. In der Rückschau bringt sie Bedauern und Zweifel zum Ausdruck: „Wobei ich mich natürlich fragen kann, hätte man nicht mit – Phantasiebegabung – erhöhter – auch anders irgendwie wurschteln können.“ (6) Auf die Frage der Interviewer_in, wie das hätte aussehen können, antwortet Doris: „Ja, ’n

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Doppelleben oder irgendwie…“ (6) Eine Fortsetzung des Doppellebens allerdings ist eine Option, die an der enormen Wirkmacht von Heteronormativität in diesem Kontext scheitert und die sie verwirft: „Es war ja schon so, dass ich – wie ich in meinem Doppelleben dann, oder dann im Anzug da auftrat, dass dann hinterher nach dem Outing viele gesagt haben: ‚Ja irgendwie haben wir ja immer gedacht, du hältst dir da ’ne Freundin als A[libi, KW], du bist schwul. Also das muss vom Gehabe irgendwie doch effeminiert gewesen sein. Wobei es eben so vom Äußeren – war das dann eben so, wie sich das so üblicherweise gehört. Und abends trug ich dann Perücken und Schminke und – pfffh, ja.“ (6) Die massive Ausgrenzung einer Realisierung von Femininität führt dazu, dass Doris tagsüber – in der Ausübung ihrer Erwerbsarbeit – ein Auftreten entwickelt, das zumindest dem Äußeren nach „dem üblichen Rahmen“ entspricht. Dazu gehört ganz selbstverständlich ein Anzug, wobei schon hier in der Verkörperung Brüche auftreten und wahrgenommen, aber nicht angesprochen werden. Die Wahrnehmung dieser Differenz als Zeichen von Schwul-Sein verweist auf den Rahmen des Denkbaren, in dem Schwul-Sein als ein ausgeschlossenes Anderes situiert – und eingehegt – ist. Demgegenüber scheint eine TransgenderLebensweise in diesem Kontext gar nicht erst bekannt zu sein und in Betracht zu kommen. Auch wenn die Differenz nie Thema der expliziten Kommunikation war, wird die Situation auf einer körperlichen Ebene für Doris untragbar, wie sie im Folgenden an einer längeren Erzählung deutlich macht: „Es ging eben nicht mehr. Das war also so, dass ich, wenn ich morgens dann in der Firma dort war und hatte da irgend ’ne Sitzung zu leiten, und ich saß dann noch so, es gibt ja eben so – Verhaltensmuster – wie man ’ne Zigarette hält. Wie man vielleicht die Beine überschlägt. Und ich kam ja praktisch aus einer solchen Art, die gar nicht mal übertrieben – aber es is’n bisschen anders. Und hab dann da so – gesessen, aber mit Schlips und Kragen, und hab dann gemerkt: Oh, die gucken alle so komisch. Und dann hab ich – mich so hinge[unverständlich] [spielt – haut laut auf den Tisch – mit sehr tiefer lauter Stimme:] Und jetzt müssen wir hier – [wieder mit weicher Stimme:] und hab dann also – [lachen beide] ne? Also praktisch die Rolle dann noch mal, die andere, überdramatisiert.“ (6) Doris beschreibt, wie ihre Präsenz in diesem Kontext – noch dazu in einer leitenden Funktion – Irritationen hervorruft. Die Körperpraxen des „Beine-Überschlagens“ und „wie man ’ne Zigarette hält“ rufen Bilder einer entspannten bis lasziven Femi-

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ninität auf. In dieser Verbindung wirken „Schlips und Kragen“ aufgesetzt, sie stehen für Steifheit und Enge und wecken eher das Gefühl des HalsAbschnürens.45 Die entstehende Differenz, die Doris durch die Blicke der anderen wahrnimmt, kompensiert sie mit einem eindeutig männlich konnotierten Verhalten. Mit dieser „Überdramatisierung“ versucht sie, jeglicher Verunsicherung hinsichtlich ihres ‚Mann-Seins‘ zuvorzukommen: „Damit da eben dieser Verdacht – ja, das wird eben – wenn du als Mann gekleidet bist und gibst dich – so mit ’nem Hauch, wie du dich vielleicht – üblicherweise als – gesellschaftlich deminiertes [Wortkombination aus dominiert + determiniert? KW] Frau-Verhalten – an den Tag legst, dann bist du – ’ne Tun-te! Kommste in die Nähe. … Aber selbst diese Kleinigkeiten sind, wenn du da sitzt, in einem blauen Anzug mit Schlips, ist das – auffällig.“ (6 f.) Deutlich wird, wie eng der Rahmen gesteckt ist, in dem Doris sich bewegt. Innerhalb dieser Organisation männlicher Körper muss Femininität auf massive Weise ausgegrenzt bleiben: Eine in diesem Kontext abwertende und verletzende Bezeichnung (vgl. Butler 2006) erscheint, auch wenn sie nicht ausgesprochen wird, als Mittel, Personen in ihre Schranken zu verweisen und die Grenzen des Passenden aufzuzeigen – zumal auf einer Ebene des höheren Managements, auf der sich die beschriebene Szene abspielt. Das Dilemma, in das Doris mit ihrer in Tag und Nacht unterschiedenen Seinsweise gerät, resultiert aus einer Verkennung ihrer Person, die sich auch auf einer Beziehungsebene bemerkbar macht: „Ja, die denken, da sitzt ’n Schwuler eben halt, ne? Und das ist auch – das war mir auch zu doof.“ (7) Deutlich wird ein Blickregime, in dem ihre differente Verkörperung zu ständigen Projektionen anreizt, während die eigene – hegemoniale – Position unhinterfragt und gewahrt bleibt.46 Doris hält diese Situation lange Zeit aufrecht, was sie in folgender Weise begründet: „Ich hatte ja auch – Angst-

45 Mit Josch Hoenes (2007) ließe sich dieses Bild als Modus einer „entkörperten geistigen Elite von Anzugträgern“ (142) lesen. 46 Kosofsky Sedgwick (2003/1993) spricht von einem „System des Wissens“ (ebd., 113), das in jedem neuen Kontext und in jeder neuen Begegnung „wenigstens von schwulen Menschen neue Überprüfungen, neue Berechnungen, neue Dosierungen und Anforderungen der Geheimhaltung oder Enthüllung“ verlangt (ebd., 114).

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gefühle im Grunde mein ganzes Leben lang, dass ich irgendwie erwischt werde in dieser Doppelgeschichte. Das ging ja – lange Zeit ging das ja irgendwie, aber mein Wunsch war ja immer schon irgendwie – da – was Anderes draus zu machen. Ich hab’ mich ja nur nicht getraut. Oder hab’ eben gesoffen. Soviel wie ich konnte. Bis es dann nicht mehr ging. Und als ich aufgehört habe zu trinken, ist dann das dabei ’rausgekommen.“ (7) Während Doris den gesellschaftlichen Druck einer sexuell-geschlechtlichen Eindeutigkeit ‚als Mann‘ austariert und lange Zeit mit Alkohol kompensiert, beschreibt sie zugleich den immer schon anwesenden Wunsch, „da was Anderes draus zu machen“. Während Alkohol zunächst eine Möglichkeit bot, die dazu notwendigen Schritte aufzuschieben und die Situation auszuhalten, stellt sich tatsächlich die Frage, welche Handlungsoptionen ihre berufliche Position bietet. Denn innerhalb ihres Erwerbsarbeitskontexts scheinen es quasi naturwüchsige Prozesse zu sein, in denen sich Laufbahnen – und darin die Vereindeutigung von Geschlecht – vollziehen. Dies zeigt sich bei Doris in den regelmäßigen Gesprächen zur „Karriereplanung für ’s nächste Jahr und so… Ich hatte sowieso schon irgend ’n andern Posten abgelehnt, irgend so ’ne Direktion, da irgendwie so was, weil ich dachte, je mehr ich jetzt noch in Strukturen … und wollte an sich ja auch – sowieso vorher noch was ganz anderes –. Aber jetzt war ich ja noch in der Firma, und dann sollte wieder irgendetwas Richtung Beförderung gehen“ (7). Zu diesem Zeitpunkt läuft die Beförderung fast automatisiert, denn die Wahrnehmung ihrer Leistung korrespondiert mit dem Mann-Sein, das sie an den Tag legt. Der Druck in Richtung Vereindeutigung steigt allerdings, je mehr sie sich in die Strukturen hinein begibt. Dieser Eindruck wird in einem weiteren Planungsgespräch dermaßen deutlich, dass sie aus diesem Moment heraus ihr „Outing“ (6), wie sie es nennt, vollzieht. Die Komplexität und der extrem hohe gesellschaftliche Druck dieser Situation kommen in folgender längerer Textpassage zum Ausdruck: „Und da hab’ ich gedacht, das steh’ ich alles nicht durch. Dann komm’ ich – wie komm’ ich aus so ’ner Zwickmühle raus? Und da hab’ ich mich spontan in dem Moment, weil ich gar nicht wusste, dass da erst mal sich da was – also es war sowieso überfällig. Aber als das dann kam, hatte ich dann – hatte ich einfach so dabei: Erstens hatte ich mir mal so ’n Zettel ausstellen lassen von meinem Arzt, so für Polizeikontrollen, hab’ ich dann nie gebraucht, so: transsexuelles Syndrom, weil ich ja dann eben so immer mit – die Papiere

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waren ja nicht identisch, und ich fuhr ja viel herum – so ’n Zettel hatte ich. Und ich hatte ’n Foto von mir – als Blondine – und mit einer anderen – Frau – das war auch noch auf der Reeperbahn aufgenommen, aber ist ja egal. Und das hab’ ich dem einfach da hingelegt, ne, hab’ ich gesagt: Das ist – die Zukunft von – oder – was hab’ ich gesagt? Der Herr [Nachname] – wird das Jahr – [Jahreszahl] nicht überleben. Und hab’ ihm das da hingelegt.“ (8) Es ist ein radikaler Schritt, den Doris ihrem Vorgesetzten, einem Repräsentanten des Unternehmens, in dem sie arbeitet, ankündigt. Denn es geht nicht nur um die Preisgabe ihres Doppellebens, das sie führt und das möglicherweise weiter verheimlicht werden könnte, wenn sie tagsüber – in ihrer männlichen Performance – weiter funktioniert. Genau diese Option schließt sie aus, indem sie sagt: „Der Herr [Nachname] wird das Jahr [Jahreszahl] nicht überleben.“ Zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, welche Konsequenzen dieser Schritt haben wird und wie es aussehen könnte, „was Anderes draus zu machen“. Wenn sie die Vorkehrungen beschreibt, die sie damals – in der Zeit ihres „Doppellebens“ – getroffen hatte, werden die regulierenden Instanzen deutlich, die die Identität einer Person an Geschlecht festmachen. Doris hatte sich für diese Situationen bereits bei einer medizinischen Autorität eine Diagnose besorgt, die ihr Auftreten erklären sollte. Ein Foto von sich „als Blondine“ dient als Beleg und Veranschaulichung einer Lebensweise, die in Worten erst mal nicht beschreibbar erscheint.47 „So, und da war der ja, der dachte, ich wär’ besoffen oder irgendwas. Der hat dann, dann hat der gefaselt vom [Name eines Clubs], wo er mal drin war, und der hat überhaupt nix mehr kapiert. Der musste, der war ja fassungslos… Der konnte ja auch damit nichts anfangen. Und dann hab’ ich gesagt: Dann lassen wir das, Herr – Dings, lassen wir das erst mal so stehen. Ich werde Ihnen das – ich werde das schriftlich ausformulieren.“ (8) Beschrieben wird der Ver-

47 Die Differenz dieser Praktik wird deutlich, wenn die nicht markierte heterosexuelle Norm als eine Konstellation von Praktiken in den Blick genommen wird, wie Annette Schlichter (2006) mit Bezug auf Berlant und Warner ausführt: „…solch banale Dinge wie ‚Steuern zahlen, angewidert sein, flirten, eine Leiche loswerden, Photos im Portemonnaie tragen, Haushaltspackungen kaufen, Vetternwirtschaft betreiben, für die Präsidentschaft kandidieren, sich scheiden lassen oder etwas für IHN oder für SIE besitzen‘.“ (Ebd., 235)

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such des Vorgesetzten, in irgendeiner Weise einen Bezug zu dem gerade Erfahrenen herzustellen – wobei deutlich wird, dass die von ihr beschriebene Seinsweise vollkommen außerhalb des Denkhorizonts ihres Gegenübers liegt. Während die Irritation auf die Grenzen des Denkbaren verweist, findet sie ihren Ausdruck auf einer Beziehungsebene: Mit ihrer Eröffnung und dem Foto, das Doris zur Veranschaulichung und Sichtbarmachung ihrer differenten Selbstpositionierung einsetzt, verschiebt sich das Verhältnis zwischen Doris und dem Vorgesetzten, und die Verunsicherung ist dem Gegenüber deutlich anzumerken. Beschrieben wird der Versuch des Vorgesetzten, einen Anknüpfungspunkt für die eigene relationale Selbstpositionierung zu finden, die ansonsten – in einer geschlechtlich homogenen Gruppe, aber auch gegenüber einer eindeutig gegengeschlechtlich positionierten Person – mühelos vonstatten geht. Die starke Verunsicherung scheint in dieser Situation nicht auflösbar, so dass Doris mit dem Vorschlag, ihren Schritt und die damit verbundene Veränderung schriftlich zu formulieren, einen zeitlichen Aufschub und persönliche Distanz einzieht. Das war ’ne Panikreaktion. Doris geht zunächst davon aus, dass sie in diesem Unternehmen bleiben und eventuell in einem anderen Einsatzbereich arbeiten kann. Hierzu versucht sie, eine Eindeutigkeit in die andere Richtung – ‚als Frau‘ – herzustellen, um sich auf diese Weise erneut in eine Matrix der Intelligibilität einzuschreiben: „Und ich wollte mich ja nie auf das TSG [TranssexuellenGesetz, KW] berufen. Und dann ist mir das alles – und da hab’ ich ja – in dem Moment hab’ ich – durch dieses – ungeplante – Outing – Angst gekriegt, dass ich vielleicht schon morgen, dass die sagen, ich wäre nicht zurechnungsfähig und ich flieg’ fristlos – also irgendwie Angst und – hab’ mich deshalb auf dieses Gesetz berufen, was ich nie wollte. Muss ich ganz ehrlich sagen.“ (8) Was sie zuvor als differente Geschlechtlichkeit lebt und verkörpert, ruft in diesem beruflichen Kontext existenzielle Ängste hervor. „Aus sich herauszugehen“, wie Foucault (2001/1981, 130) den Begriff des coming out umschreibt, bedeutet hier die Gefahr, als „nicht zurechnungsfähig“ beurteilt zu werden, was soviel heißt wie: den Status ‚als Person‘ aberkannt zu bekommen und in diesem Kontext ausgeschlossen zu werden. Die Berufung auf das Transsexuellengesetz, das ihr Verhalten und ihr Sein offiziell erklärt und in hegemoniale Kategorien reintegriert, beschreibt sie

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als „’ne Panikreaktion“ (9). Es stellt eine Möglichkeit dar, sich in eine Matrix der Intelligibilität, wenn auch in einer höchst prekären Position, wieder einzuschreiben. Heute resümiert sie in Bezug auf den juristischen Status ‚als Frau‘, in bestimmten Situationen habe es „einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass da ’ne gewisse Eindeutigkeit da ist“ (9). In Begegnungen, in denen ihre Identität angezweifelt wird, bezieht sich Doris auf ihre rechtlich abgesicherte Position und nimmt diese als „Schutzgeschichte“ (10) wahr. Üblicherweise geschieht eine Verkennung – aufgrund ihrer Positionierung ‚als Frau‘ in Kombination mit ihrer tiefen Stimme – am Telefon, woraufhin sie kontert: „Wer sind Sie denn überhaupt? … Sie können vermerken: tiefe Stimme. Aber Zarah Leander hatte auch ’ne tiefe Stimme.“ (10) Eine Existenz jenseits der beiden hegemonialen Geschlechterpositionen in ihrer erzwungenen und immer wieder reproduzierten Kohärenz scheint kaum denkbar und muss immer wieder neu legitimiert werden. Doris positioniert sich in Bezug auf Körperpraxen innerhalb eines Feldes multipler Körper, indem sie sich einer Vereindeutigung verweigert und betont: „Ich hab’ aber keine Lust, da reinzuhauchen“ (10) und „Ich hab’ nun mal diese – diese Stimme“ (11). Ihr Status als „juristische Vollfrau“ (23), wie sie später formuliert, stellt dabei einen Ausgangspunkt innerhalb einer Ordnung der Intelligibilität her, von dem aus sie an den Grenzen arbeitet. In dem Moment, in dem Doris die eindeutige Position ‚als Mann‘ verlässt, wird deutlich, wie sich Norm und Abweichung konstituieren und was es bedeutet, sich aus dem Bereich des Intelligiblen herauszubewegen: „Dann haben die sogar noch ’ne Aktennotiz gemacht, die hat er anfertigen lassen, weil er noch dachte, es wäre alles vielleicht wirklich nur ’n Witz, ich wollte da irgendwie – ich würde die auf ’n Arm nehmen oder ich wäre geistesgestört oder was, ob ich denn eben auch dann dauernd immer so leben würde. Und da sage ich, ja. Und dann habe ich das auch so gemacht, und dann bin ich ja … auch ständig so ’rumgelaufen, wie ich mir ’ne Frau vorstellte.“ (15) Mit der Eindeutigkeit in die andere Richtung versucht Doris, einen Grad an Intelligibilität wiederzuerlangen und somit ihre – nicht nur berufliche – Existenz zu wahren: „Dienstlich muss ich so rumlaufen, hab’ ich gesagt, so blöde…, wenn ich also anders rumlaufen würde, dann gefährde ich jetzt meinen Job ganz endgültig [lacht schallend]. Das war aber so, die wollten mich aber gar nicht in der Berufsausübung haben, sondern ich habe dann so ’n paar andere Sachen da abgewickelt, die da

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nicht unbedingt mit direkten, persönlichen Verhandlungen zu tun hatten.“ (16) Es ist ein sukzessiver Prozess des Gewahrwerdens ihrer Umgebung und der Situation, die Doris hier durchläuft. Zunächst geht sie noch von einer Zukunft in diesem Unternehmen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie als Person – mit ihren Kompetenzen – sich ja nicht verändert habe. Auch als ihr klar wird, dass sie nach dem outing nicht in demselben Arbeitsbereich eingesetzt werden wird, entwickelt sie Perspektiven, die eine Kontinuität herstellen sollen: „Ich hatte dann viele Vorschläge gemacht, was ich in dem Gesamtunternehmen ja sonst noch alles machen könnte. Es pflegte ja das Image zu Kultur, Kunst und Theater, da könnte ich mir sehr wohl vorstellen, dort als Repräsentantin da irgendwie Türen zu öffnen und hab’ da alles Mögliche dann verfasst. Hab’ das immer direkt dem Vorstand –, das ist immer auf einer mittleren Ebene – ist gar nicht weitergeleitet worden, weil ich damals halt auch noch dachte, warum eigentlich nicht da bleiben.“ (16) Oder auch: „…wieso soll das denn dann eigentlich zu Ende sein mit so einem gut dotierten Posten.“ (17) Erst mit der Zeit wird deutlich, wie eng die Wahrnehmung von Leistung an ihre geschlechtliche Performance ‚als Mann‘ gekoppelt ist und was es bedeutet, diesen Status verlassen zu haben und zugleich mit einer Anerkennung ‚als Frau‘ – zudem in einem Kontext, der ausschließlich über heterosexuelle Bezugnahmen verläuft – nicht rechnen zu können. Im Nachhinein stellt Doris fest, dass die Vorhaben, die sie damals entwickelt hat und in denen sie sich eine Tätigkeit hätte vorstellen können, nicht ihrer Überzeugung entsprochen hätten: „Also so die Toleranz rüberbringen, ja, und hätte dann da so das Alibi gemacht. Und hätte mich da dann prostituiert mit ’nem hohen Gehalt [lacht], wie ja nun das häufig in der Wirtschaft ist.“ (17) Das Bild der Prostitution wirft auf, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereit war, das Zeichen ‚Transfrau‘ in und für Geschäftsbeziehungen erfolgreich zum Einsatz zu bringen. Ihre eigene Vorstellung dieser Tätigkeit liest sich wie folgt: „Kunden in den Kreisen zu gewinnen, und ich wäre nur als Imagepfleger – und hätte da irgendwie Vorträge gehalten oder irgendwas in dieser Art, das hätte ich mir schon – weil ich wäre dann das lebendige Beispiel für den Toleranzfaktor dieses Hauses gewesen“ (17) Doris parodiert die Logik von Unternehmen, indem sie das ökonomische Argument anführt, ihre differente geschlechtliche Seinsweise könne gewinnbringend eingesetzt werden.

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So weit kommt es jedoch in diesem Unternehmen nicht, dessen Repräsentanten feststellen: „Wir sind noch nicht so weit“. Die Wahrnehmung von Leistung und Kompetenz ist in diesem Kontext gekoppelt an bestimmte Weisen sexuell-geschlechtlicher Eindeutigkeit, so dass es für eine Kontinuität unter veränderten Zeichen keine Position und kein Tätigkeitsfeld zu geben scheint. Der Ausschluss aus der „Berufsausübung“ ist zugleich der Ausschluss aus einer geschlechtlich homogenen Gruppe von Managern, die eine bestimmte Weise, Maskulinität zu leben, permanent relational hervorbringen. Die Beziehungen untereinander sind formalisiert und eng gesteckt, sie unterstehen „Gesetz, Regel oder Gewohnheit“, wie Foucault (2001/ 1981, 125) in Bezug auf die institutionellen Codes für Beziehungen zwischen Männern schreibt. Das heteronormative Gefüge wird dermaßen offensichtlich, dass ein Ausschluss keiner weiteren Begründung bedarf. Diese Erfahrung macht Doris auch in einem Folgeprojekt, mit dem sie sich selbständig macht und in dem sie Akquise betreibt: „Und da ist dann wie aus heiterem Himmel von einer höheren Instanz ein einfaches bloßes ‚Nein‘ gekommen.“ (Doris, 19) Interessant ist, dass sie die einzelnen Berater und Ansprechpersonen auf einer persönlichen Ebene durchaus von ihren Kompetenzen überzeugen kann: „Da hat der [Berater] mir empfohlen damals, schon wieder den Vorstand anzugehen. Und dann wurde es zwar zu einem Gespräch, dass sie [die Vorstandsfrau] wenigstens dann der Höflichkeit halber dann auch mal aufkreuzte, und ist einfach dabei geblieben. Und sie hat gesagt, das interessierte sie auch alles gar nicht, welche Programme, sie müsste nicht jedes Programm kennen, ich kriegte nichts, es wäre eben ’ne Entscheidung und die wäre so gefallen und dabei blieb ’s, sie wären nicht gezwungen, es zu machen.“ (20) Deutlich wird die Machtposition, die die Vorstandsfrau gegenüber Doris einnimmt, die nicht unbedingt in der Entscheidung an sich, sondern in der fehlenden Begründung und Nachvollziehbarkeit zum Ausdruck kommt: „Also das sind so –, so Dinge, wo ich jetzt nie genau weiß, wieso lehnen die das denn ab.“ (20). Ein Ermessensspielraum, der im formalen Sinne als ungeregelt gilt,48 kann als Bereich

48 Lorenz und Kuster (2007) führen mit Bezug auf Marie-Louise Pratt das Konzept der „Kontakt-Zone“ (ebd., 189) an und beobachten, wie es in diesem Raum zu permanenten Aushandlungsprozessen relationaler Positionierung kommt, „gera-

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beschrieben werden, in dem nicht-explizierte normative Vorstellungen ihre volle Wirkmacht entfalten. nie so ausgesprochen Nachdem Doris ernsthaft krank wurde, begab sie sich in eine Behandlung, die einen reflexiven Raum außerhalb ihres Alltags konstituierte. Durch die dort gemachten Erfahrungen gewann sie weiteren Aufschluss über die Funktionsweisen von Intelligibilität, indem sie sich eingesteht, dass, „obwohl es nie so ausgesprochen wurde, aber gewisse [Personen, KW] doch wohl Probleme auch mit mir hatten“ (23). Während sie Irritationen beim Gegenüber zunächst noch, wie sie selbst sagt, ironisch kontert: „Ich bin eine juristische Vollfrau, ich bitte, das zu bedenken“ (23), gelangt sie in diesem Kontext zu weiteren Einsichten: „Dann hab’ ich mich dann selber ausgegrenzt und wäre fast abgehauen, und dann bin ich aber hinterher in diesen Begegnungen dann doch aufgegangen wiederum … mit einer [habe ich, KW] noch Telefonkontakt, die sagt auch: ‚Wir waren da doch schon ziemlich verblüfft jetzt erst mal.’ Und wenn ich das wieder alles so in einen Zusammenhang stelle – und bin dann auch noch bei meinem anderen Arzt gewesen, hab’ dem das auch noch mal so erzählt, da sagte er: ‚Ja, vielleicht bist du dann doch noch mal auf deine – ist dir die Realität vielleicht auch vor Augen geführt worden, wo die Grenzbereiche liegen könnten’.“ (23) Deutlich wird auch hier die Differenz, die Doris’ Verkörperung zu einem vorgestellten ‚wir‘ aufmacht. Entscheidend ist dann die Prozesshaftigkeit und die relationale Ebene, auf der sich eine Intelligibilität und Selbstpositionierung herstellen kann. Während sich ihre vorherige Laufbahn ‚als Mann‘ quasi naturwüchsig ereignet, indem eine Passung von geschlechtlicher Eindeutigkeit und Leistung wahrgenommen – und vorausgesetzt – wird, ist es nun in diesem Prozess des In-Erscheinung-Tretens – in dem Versuch, „was Anderes draus zu machen“ – eher ein Ringen um die Selbstpositionierung, denn das ‚nie so Ausgesprochene‘ „ist nie beweisbar richtig, ja, das ist auch nicht über dieses – über diesen Weg auch nicht juristisch zu argumentieren“ (23). Der Prozess des In-Erscheinung-Tretens findet auf

de weil dort die sozialen Verhältnisse nicht streng reguliert und fixiert werden“ (ebd., 194).

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einer Ebene der Relationierung, der gegenseitigen Bezugnahmen, statt, die sich nach und nach einstellt. Zum Zeitpunkt des Interviews bilanziert Doris: „Da bin ich schon … in einer Situation, wo ich sehr stark mal wieder über mich und meine Umgebung nachdenken muss und auch will… Andersrum find’ ich’s auch ganz gut, weil ich jetzt einfach mal so sage: Ich will das sowieso alles nicht mehr, ich will sowieso was ganz anderes machen, was ich immer machen wollte, ich will Sachen entwickeln, … das kann ich an und für sich ganz gut.“ (23) In dieser Reflektion geht es nicht mehr ausschließlich um ihre Transgender-Lebensweise und um die Realisierung in dem bisher konstituierten Rahmen, sondern die gemachten Schritte und Erfahrungen berühren weitere Aspekte ihres Lebens und führen zu grundlegenden Fragestellungen. Während das Versprechen einer machtvollen gesellschaftlichen Ordnung vergeschlechtlichte Positionen bereithält und darüber Autorität wie auch eine Sprechposition verleiht, hat Doris nun – mit dem Ausschluss aus ihrer „Berufsausübung“ – den Eindruck, sich dem zuwenden zu können, was sie „immer machen wollte“. Sich eine gesellschaftliche Position als Transfrau zu erarbeiten bedeutet dabei einen enormen Kraftaufwand, der sich insbesondere auf einer Ebene persönlicher Begegnungen abspielt. Vor diesem Hintergrund wird die Schwierigkeit deutlich, sich in gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen zu bewegen, in denen die Möglichkeiten zu persönlicher Begegnung mit jeder Hierarchiestufe abnehmen und die Strukturen des Passenden zunehmend enger werden, wie Doris beschreibt: „Und dann ist ein Nein da und das wird auch nicht revidiert… Der [Berater, KW] fand mich ja dann an sich extrem kompetent und in jeder Hinsicht und was weiß ich, nur – das ist sowieso – das hat auch alles nichts genützt, er hat sich ja teilweise noch nicht mal durchsetzen können als Vorstandsmitglied.“ (23) Die gesellschaftliche Organisation durch ein heteronormatives Denkmuster ist dermaßen wirksam, dass trotz gegenteiliger Einschätzungen eine Unterstützung nicht zu realisieren ist. Der Ausschluss vollzieht sich über die Wahrnehmung von Leistung und Kompetenz, in der ihre geschlechtliche Selbstpositionierung – als Teil von erwartbarer Leistung – einbezogen ist. Über das passing reproduzieren sich in diesem Sinne fortwährend Ein- und Ausschlüsse in einem endlosen Regress: In den Tätigkeiten und Aufstiegswegen wird kontinuierlich an der eigenen Selbstpositionierung – und bestimmten vergeschlechtlichten Subjektpositionen – gearbeitet.

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Dies ist der Hintergrund, vor dem Doris mit ihrer selbständigen Tätigkeit zunächst den Beweis antritt, Erfolge aufweisen zu können: „Ich hab’ einfach dieses blöde Geschäft… das hab’ ich so wichtig genommen, auch diesen Beleg zu liefern: Das kann man als eine solche Person… Und das ist auch gelungen, das ist ja auch da gewesen, aber jetzt kann ich nicht mehr.“ (24) In ihrem Kampf um Anerkennung und um eine gesellschaftliche Position „als eine solche Person“ nimmt sie die Stigmatisierung auf und versucht, sie produktiv zu wenden. Dabei verbleibt sie in der Dichotomie des Ausschlusses, wenn sie die Bestätigung zunächst in dem Bereich sucht, den sie kennt und verlassen musste: „Dass ich dann einfach auch noch so gesagt habe, so sehr prononciert: Ich hab’n Geschäft, und ich habe an jeder Stelle diese Sache und muss dafür sorgen, dass das ins Laufen und im Laufen bleibt.’ Und das war übrigens auch ein Grund, warum sich [Name der Partner_in] lieber ’ne andere Person gesucht hat, weil das wollte sie so nicht mitmachen.“ (24 f.) Zu diesem Zeitpunkt nimmt der bisherige berufliche Bereich in ihrer Suche nach Anerkennung noch eine so zentrale Stellung ein, dass alle weiteren Lebensbereiche und Beziehungen in dieser Hinsicht nachgeordnet erscheinen und auch zerbrechen. „Und jetzt bin ich mal wieder so, dass ich mir sage, so, jetzt fährst mal drei Gänge runter und, ja, machst – gehst da mal hin, wo du wirklich vielleicht sein willst, auch beruflich, also auch von dem Talent beruflich, und versuchst mal, ob du da nicht was hinkriegst.“ (25) Doris befindet sich in einem Prozess der Reflektion und der Selbstverständigung, den auch Karo nach ihrer Zeit im Jugendzentrum benennt: Die Erfahrungen in und mit heteronormativen Kontexten werden als dermaßen aversiv erlebt, dass es zu einer Umorientierung kommt. Während heteronormative Kontexte voraussetzungsvolle Positionen bereitstellen, die das Versprechen einer Ermächtigung beinhalten, stellt Doris nun zunehmend Überlegungen an, „wo sie wirklich vielleicht sein will“. Die mit der Bewegung innerhalb dieser Strukturen verbundenen Privilegien stehen dabei auf dem Prüfstand: „Es kann sein, dass … irgendwie ein gewisser Scheinlebensstandard, den man nicht braucht, sich reduziert, aber was soll ’s.“ (25) Doris ist an einem Punkt, an dem sie Grundlegendes in ihrem Leben überdenkt. Dabei zeigt sich erst im Nachhinein, wie ambivalent sie ihre berufliche Laufbahn empfunden hat: „Also das ist sowieso, das hat mich immer geekelt, dass man mit dem Management in Zusammenhang gebracht wird. Das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was ich denke oder was ich überhaupt je wollte… das Transen-

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tum, wie ich das dann immer nenne, mal weg, ich hab’ so was nie gewollt, niemals, das wäre das aller letzte.“ (25) Die Reflektion ihrer Erfahrungen bezieht sich nicht mehr allein auf ihre geschlechtliche Selbstpositionierung. Diese bietet vielmehr einen Zugang, die eigenen Verstrickungen in die Versprechungen der Macht wahrzunehmen und produktiv zu wenden. Was sich zeigt, ist die Verführungskraft machtvoller und ermächtigender Subjektpositionen, die sich über Zugehörigkeiten und Ausschlüsse konstituieren. Dass ihr beruflicher Werdegang keine bewusste Entscheidung war, sondern gesellschaftliche Strukturen bestimmte Laufbahnen bereithalten, wird deutlich, wenn Doris ihren Einstieg mit „Zufall, Quereinstieg, weil ich das auch noch teilweise studiert hatte“ (25) erklärt. Genauer nach ihrem Werdegang befragt, beschreibt sie den Prozess folgendermaßen: „Ich hab’ mich beworben, dann war da was und dann suchte da jemand, und dann bin ich irgendwie mit denen ins Gespräch gekommen. Das lief dann – ich musste erst mal – war ich teilweise im […], und hinterher saß ich dann im Management, in der Leitung.“ (26) Es kann vermutet werden, dass die von ihr an den Tag gelegte Vereindeutigung ihrer geschlechtlichen Existenz ‚als Mann‘ Teil der wahrgenommenen Kompetenz ist und ihr den Weg in die Leitungsposition ebnet. Analog zu den Erfahrungen Toms, der in eben einer solchen Situation des passings, das heißt der gelingenden Geschlechterperformance, mit körperlichem Unbehagen reagiert, beschreibt auch Doris die empfundene Ambivalenz auf einer körperlichen Ebene: „Also ich konnte schon irgendwie Management, aber es ist alles nur Ekel erregend, weil es ist – ich steh’ da vom System überhaupt nicht dahinter.“ (25) Vor diesem Hintergrund empfindet sie ihr outing als Moment der Befreiung: „Als ich dieses Outing da hatte, da hatte ich für ’nen kurzen Moment, als ich nach Hause gegangen bin, da hatte ich so ’n Gefühl, so, jetzt bist du, jetzt bist du frei, das war so – ich hab’ so was nie genommen, Kokain oder Heroin, aber so könnte das sein. Also es war so ’n Gefühl, was man auch nicht hat, wenn man betrunken ist oder – dass ich dachte, ich bin auf 100.000 Wolken, weil jetzt ist endlich – jetzt kannst du – es ist egal, jetzt wissen es alle, jetzt können es alle – jetzt ist – jetzt ist dieses Versteckspiel, was du Jahrzehnte betrieben hast, ist weg. So, und damit bist du im Grunde so frei, wie du noch nie in deinem Leben warst.“ (26) Die Beschreibung erinnert an das Hochgefühl, das Tom in Situationen des passings anführt und das er als flow bezeichnet. Auch Doris scheint in diesem Moment eins mit sich zu

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sein, allerdings stellen sich die Bedingungen anders dar: Es ist eben nicht die anerkennende Wirkung einer gelingenden Geschlechterperformance, die zu einem Hochgefühl führt, sondern es ist gerade die Freisetzung aus einem ständigen, für sie unpassenden passing, das sie als Befreiung erlebt. Diese Situation nimmt sie in Gedanken als eine Realisierung ihres Selbst vorweg: „Wenn ich dann wirklich vielleicht da mal ausscheiden sollte, dann wirst du diese Freiheit auch nutzen, um endlich mal auch wieder das zu sagen, was du wirklich politisch denkst. Und was mache ich? Ich mache ein Geschäft auf.“ (27) Die erwartete Freiheit relativiert sich zunächst an ihrem Geworden-Sein: Sie bewegt sich weiterhin in ihrem gewohnten Metier, wenn auch außerhalb institutionalisierter Strukturen. Zum Ausdruck kommt die Kraft, mit der gesellschaftliche Strukturen ein Begehren nach Anerkennung auslösen, das einlösbar erscheint und von dem Doris – zunächst – eingeholt wird. als fremd angesehen Heteronormativität ist ein Denk- und Wahrnehmungsmuster, das in seiner Hegemonie ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird und über Zugehörigkeit funktioniert. Das Problem stellt sich, wenn es zu einer Dissonanz kommt, wie Doris feststellt: „Das ist alles viel, viel schlimmer, als ich es damals nur geahnt habe, und es ist sowieso alles nur – also etwas, was ich schlicht weg sowieso nicht stützen möchte in der Form, obwohl ich in so einem System natürlich lebe.“ (28) Es gibt kein Außen zu diesem System – es gibt nur Widersprüche und Bewegungen innerhalb des Systems. Der Widerspruch zeigt sich, als sie versucht, ihren Interessen nachzugehen und zunächst scheitert: „Als ich vom Gymnasium abging, habe ich mal kurz in ’nem Handwerksbetrieb gearbeitet, das war aber die Hölle, weil in diesem männlichen Milieu habe ich mich nicht sehr gut zurecht gefunden.“ (30) Auf Nachfrage der Interviewer_in führt Doris eine Reihe von Eindrücken an: „Weil ich eben einfach gut war und viel wusste und gut reden konnte, aber ich war ziemlich unbeliebt… Ja, weil ich da nicht richtig rein passte in das Ganze…, diese Atmosphäre, dieses Gebrülle…, dass das nicht so ganz deine Atmosphäre ist.“ (30) Es ist die „Atmosphäre“ – also das, was den informellen, zwischenmenschlichen Bereich ausmacht – die dem Nachgehen ihrer Interessen Grenzen setzt. Als Problem benennt sie, „dass die Gesellschaft einfach in – sich aufgeteilt hat oder aufgeteilt ist meinetwegen auch in eine zweigeschlechtliche

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Struktur, und gewisse körperliche Merkmale und Verhaltensmerkmale werden immer dem jeweiligen einen oder anderen Geschlecht zugeschrieben. Und wer dort Verwischungen hervorkommen lässt, der oder die ist dann häufig – ja, weil sie eben aus der Norm, was ja immer so ’n Mehrheitskonsens ist, herausfällt, ich sag’ mal, verdächtig oder ungewöhnlich, fremd oder wie auch immer.“ (33) Mit „Verwischungen einer zweigeschlechtlichen Struktur“ referiert sie auf differente Verkörperungen, die sich einem Zwang zu Vereindeutigung und zu Kohärenz sperren. Interessant ist die Formulierung „hervorkommen lässt“, denn damit geht sie von einer Multiplizität des sozialen Feldes aus, das durch Ausschlüsse in seiner zweigeschlechtlichen Gestalt – und den damit verbundenen gesellschaftlichen Positionierungen – abgesichert und immer wieder hergestellt wird. Die „Norm“ repräsentiert dabei einen scheinbaren „Mehrheitskonsens“, der durchaus Veränderungen unterliegt, wie Doris in Bezug auf gesellschaftliche Rollen und Positionen von Frauen ausführt: „Dass es schon Veränderungen gegeben hat, was Frauen anbelangt, was Durchlässigkeiten anbelangt… Da sind ganz viele Rollen aufgeweicht worden, aber … wenn so weit die Eindeutigkeit der Zuordnung nicht mehr gegeben ist, ist das bei einer Mehrzahl von Menschen, jetzt zumindest hier in dieser Gesellschaft, in der wir leben, dass das als fremd angesehen wird. Es sei denn, ich bewege mich in Kreisen, wo eben eher das andere fremd ist, und das gibt ’s ja auch, da kann man sich ja dann selber so einglucken, oder ich überwinde die Fremdheit durch meine eigene soziale Ausstrahlung, Kompetenz oder sonst wie, dann löst sich das auch wieder ganz gut häufig auf.“ (33) Es bedeutet einen erheblichen Mehraufwand – an „sozialer Ausstrahlung“ und „Kompetenz“ – um eine möglicherweise aufkommende „Fremdheit“ zu kompensieren. Die verwendete Metapher der Fremdheit verweist auf die Hegemonie einer Norm, die das Gewohnte repräsentiert, das Selbstverständliche als das, was in einer herrschenden Denkordnung zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht hinterfragt wird. Doris führt die Kontextabhängigkeit dieser Wahrnehmung an: Dass es durchaus (politische) Orte gibt, an denen die herrschende Ordnung reflektiert und die Zuschreibung ‚als fremd‘ produktiv gewendet werden kann. Ihren eigenen Reflektionen auf das gesellschaftliche Feld von Arbeit wie auch den daraus gezogenen Konsequenzen für ihre Selbstpositionierung soll nun weiter nachgegangen werden.

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Vernünftige Selbstbeschränkung Doris ist nach vielen Erfahrungen im beruflichen Bereich und Phasen intensiver Reflektion an einen Punkt gekommen, sich wieder – auf neue Weise – in ein Projekt zu involvieren. Auf diesem Weg entwickelt sie zunehmend eine Haltung, die sich als ‚vernünftige Selbstbeschränkung‘ rekonstruieren lässt. Ihre Einsichten in das gesellschaftliche Feld sollen nun mit den Aussagen ‚indirekt vorausgesetzt‘, ‚das kann nur er‘ und ‚Selbstläufer‘ nachvollzogen werden. indirekt vorausgesetzt Im Zusammenhang mit dem informellen Bereich und den hier zur Geltung kommenden gesellschaftlichen Normen beschreibt Doris die Bedeutung von als privat erachteten Lebensweisen für die berufliche Positionierung im höheren Management: „In fast allen Unternehmen, zumindest in gewissen Hierarchiestufen, hat das ’ne Bedeutung: Dass über das reine Kompetenztechnische, was sich also in dem Dienstverhältnis im engeren Sinne abspielt, man etwas pflegt, eine darüber hinausgehende Kommunikation, ich sag’ mal plakativ, das Betriebsfest, das nennt man heute ja auch teilweise anders, aber dass man halt zusammenkommt oder dass sich Ehepaare untereinander einladen… Das kommt ja auch fast in jedem Fernsehspiel noch so vor. Und in diesen Ebenen und in diesen Strukturen setzt man dann auch wieder einen gewissen Konsens gegenüber dem Firmenkonsens voraus, der natürlich wieder völlig sozialkonform läuft, im Zweifel dann eben ein kapitalistisches Unternehmen.“ (38) Es ist die Zustimmung zu einem „Firmenkonsens“, den Doris hier im weiteren gesellschaftlichen Kontext als einen Konsens gegenüber kapitalistischen Produktions- und Lebensweisen bezeichnet, der das Versprechen einer anerkannten Position und Zugehörigkeit mit sich trägt. Lebensweisen werden zu einem Teil des Produktionsprozesses, zu einem Aspekt wahrnehmbarer Leistung, was sich wiederum bei denjenigen bemerkbar macht, die diesem Bild nicht entsprechen (wollen): „Und wer da nicht so richtig mithalten kann, der muss Sonderkompetenzen haben. Man nimmt also gerne Singles, wo man auch nicht nachfragt, für Knochenjobs, wo sie nur im Flugzeug sitzen und irgendwelche Sachen machen oder so. Dafür ist das dann immer gut oder für andere Ausnahmeerscheinungen.“ (38) Es entsteht der Eindruck, dass Lebensweisen, die einem heteronormativen Muster nicht entsprechen, nur als Mangel oder

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Defizit wahrnehmbar werden und durch hohen Einsatz und extreme Leistungsbereitschaft zu kompensieren sind.49 Entscheidend ist, dass diese Regel nicht explizit ist, sondern sich in Praktiken realisiert, wie Doris illustriert: „Aber für so ’ne andere Geschichte, da wird vielleicht eine Beschreibung oder es wird ein Vorstandschef nachher noch gesucht oder so, wird dann schon so irgendwie indirekt vorausgesetzt, auch wenn das an sich keine Rolle spielen soll, dass der verheiratet ist und drei Kinder [hat], die auch schon grade ihren Doktor gemacht haben oder irgend so ’n Murks.“ (37 f.) Deutlich zum Ausdruck kommt die Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse über einen gesellschaftlichen Konsens: als heteronormativ strukturierte Vorstellungen des Zusammenlebens wie auch eng an Leistung orientierte Kriterien für Erfolg, die sich in wirkmächtigen Diskursen und Bildern re/produzieren. Widersprüche treten nur als Ausnahmen in Erscheinung, die die Regel wiederum bestätigen: „Wie das … der Berliner Bürgermeister zwar dann macht, aber es gibt keinen Konzernchef, der mit seinem Freund, oder keine Konzernchefin, die mit ihrer Freundin auf irgendeinen Empfang eines andern Konzerns geht, das gibt’s da tatsächlich nicht. Oder wüsstest du das? … Zumindest nicht sichtbar.“ (38) Diese hegemonialen Bilder – so Doris – konstituieren sich an institutionalisierten Orten und finden sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen: „Beim Golf, Segeln…, dann diese Benefizklamotten…, aber ’runtergebrochen gibt es das überall ein wenig, das gibt ’s sogar im Handwerksbetrieb oder sonst wo.“ (38) Das kann nur er. Es stellt sich die Frage, welche Bedeutung eine so gefasste heteronormative Ordnung für die berufliche Selbstpositionierung von Frauen – gerade in höheren Führungsebenen – hat. Doris benennt als Figur, die im öffentlichen Diskurs präsent ist, zunächst „die typische Karrierefrau, wenn man das so sagen kann, die dann auch in dem Kostümchen und die dann sogar viel-

49 Zugleich – und produktiv gewendet – bietet dieses System Anreize, bestimmte Lebensweisen zu realisieren und transformiert somit, wie Foucault (2001/1973) so treffend formuliert, „diese ganze explosive, augenblickhafte und diskontinuierliche Energie […] in kontinuierliche und fortlaufend auf dem Markt angebotene Arbeitskraft“ (ebd., 45).

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leicht noch mit beiden Elementen arbeitet, einerseits knallhart und andersrum Männer einwickelt. Es gibt ja diesen Typus auch, der kommt auch manchmal hoch bis zu einer gewissen Stelle.“ (38 f.) Die geschlechtliche Selbstpositionierung innerhalb einer heteronormativen Matrix fungiert also auch bei Frauen als Teil von Professionalität. Als die Interviewer_in auf den Hinweis, dieser Typ Karrierefrau komme „manchmal hoch bis zu einer gewissen Stelle“, reagiert und nachfragt, gibt Doris zunächst keine eindeutige Antwort: „Das ist die Frage, wie hoch es da geht.“ (39) Tatsächlich gibt es nur wenige Frauen in höchsten Führungspositionen, die in der Öffentlichkeit präsent sind, und auch die jährlich veröffentlichten Zahlen belegen eine Unterrepräsentanz weiblicher Führungskräfte, wie Doris feststellt: „Aber wie viel gibt ’s denn sonst als Konzernchefin? Die sind ja nicht da.“ (39) Ein konkretes Bild aus den Medien aufrufend, liest sich Doris’ Beschreibung in folgender Weise: „Das war dann eben eine, ja, da würde ich mal sagen, Karrierefrau mit den üblichen Attributen, ohne dass sie übertrieben jetzt waren…, so ’n typisches Weibchen, aber so überangepasst, überstilisiert und sicherlich aber ganz knallhart, aber so richtig, die dann aber auch Kerle einwickelt von dieser Filiale da.“ (40) Entscheidend ist die Passung mit als weiblich markierten Erscheinungsweisen, die umgekehrt ein „knallhartes“ Vorgehen ermöglichen. Dazu gehört auch – wie Doris sehr deutlich macht – die Heterosexualisierung eines Umgangs unter Kollegen. Genau darin jedoch liegen die Grenzen ihrer Professionalisierung: „Und bis dahin wird sie auch kommen und vielleicht kommt sie ja auch weiter. Aber das – im Endeffekt weiß ich das nicht, denn so dieses – in den Unternehmensstrukturen, das ist doch grade in den gehobenen – das ist so was von durchmännlicht und in der Art und was da für Zoten und – das ist ja alles unfassbar, das ist auch heute noch so.“ (40) Doris erscheint tatsächlich fassungslos, wenn sie an ihre Erfahrungen im höheren Management anknüpft. Der Begriff „Zoten“ verweist dabei auf einen Heterosexismus,50 der es Männern ermöglicht, sich durch den sexualisierten Bezug auf Frauen und den Ausschluss von Femininität permanent in der dominant männlichen Subjektposition relational hervorzubringen und darin zu bestätigen.

50 Zur signifikanten Funktion von heterosexistischen Witzen in der relationalen Positionierung und Hierarchisierung im Milieu Londoner Handelsbanken vgl. McDowell (1999).

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Auf die Frage, woran Doris eine Durchmännlichung fest macht, benennt sie einen Kodex, dem Männer ‚als Männer‘ zustimmen und den sie folgendermaßen beschreibt: „Das mache ich daran fest, dass sie für sich einen gewissen Kodex haben, dass sie als Männer eben diese Rolle spielen müssen…, das sind ja so manchmal die Gespräche, die man so mitkriegt, dass dann letztlich – Frauen sind nötig, sind auch Objekte und man hat sie zur Beglückung und zur – dass man sie schön findet, aber ansonsten haben sie zu funktionieren… Sie werden auch vielleicht verehrt, das will ich ja gar nicht dem – dem Mann da abstreiten…, aber er würde das nie für möglich halten, dass sie dasselbe tut, was er tut, weil das kann nur er.“ (40) Den „Kodex“ benennt Doris als eine Art Übereinkunft, in die Männer ‚als Männer‘ einwilligen. Es ist zugleich ein System sozialer Praktiken, das Männern erlaubt, sich ‚als Mann‘ permanent relational hervorzubringen und sich als handelndes Subjekt darin zu bestätigen. In diesem System wird Frauen eine Positionierung zugewiesen, die im Verhältnis zu – und in Bezug auf – diese als männlich konzipierte Subjektposition gedacht ist. Die heteronormative Struktur dieser Matrix bringt Doris auf den Punkt, wenn sie als zentrale Anforderung an Frauen in Führungspositionen formuliert: „Die müssen weiblich sein, sie müssen weiblich rüberkommen.“ (41) Während sie zunächst von „sein“ spricht, relativiert sie diesen Begriff mit dem Ausdruck „rüberkommen“. Es ist das passing im Sinne einer gelingenden Geschlechtsdarstellung, das den Weg einer Professionalisierung im höheren Management rahmt und verspricht – und über permanente Ein- und Ausschlüsse reproduziert. Selbstläufer Nachdem Doris zunächst im Angestelltenverhältnis, dann selbständig tätig war, steht sie erneut vor der Herausforderung, ihre beruflichen Perspektiven zu reflektieren und auszutarieren. Neu an der Situation ist, dass sie aufgrund ihrer Erfahrungen nicht mehr auf den ihr vertrauten Bereich zurückgreifen kann und will. In diesem Sinne erlaubt das Projekt, in das Doris momentan involviert ist, Prozesse der Selbstpositionierung, in denen sie die Verhältnisse reflektiert und eine Verschiebung von Prioritäten vornimmt. Die Projektidee und den darauf folgenden Entstehungsprozess beschreibt sie als eine Chronologie von Begegnungen: „Ich hatte mal selber so was überlegt, und hab’ da dran rumgebastelt, und bin dann mit jemand anders zusammengekommen, der auch so ’n Projekt hatte. Und dann haben wir uns

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zusammengeschlossen sozusagen, und ich hab’ so überlegt, wie man das so hinkriegen kann, dass man das konzern-unabhängig hinkriegt und so interaktiv mehr macht und auch mit sehr viel, also wofür ich mich interessiere.“ (41) Während es nach ihrer Schulzeit zunächst keinen passenden Kontext gab, in dem sie ihren Interessen hätte nachgehen können und wollen, knüpft sie an eben diese Interessen an und versucht, diese nun unter veränderten Vorzeichen zu realisieren. Ausgangspunkt sind nicht mehr „gewachsene Strukturen“ mit ihren normierenden Ein- und Ausschlüssen, sondern Interessen und Vorlieben, die nach und nach Gestalt annehmen: „Also ich interessiere mich im Moment mehr für die Sozialkomponente, weil daran kann ich viel deutlich machen. Und zum andern hätte ich noch meine eigenen Vorlieben daran befriedigt, weil deshalb bin ich dazu gekommen.“ (41) Was den Ausgangspunkt in ihrem persönlichen Interesse hat, wird jedoch schnell zu einer geschäftsträchtigen Idee, wie Doris schildert: „Jetzt ist das Ganze aber so zu einem solchen Selbstläufer geworden, dass das ja zu Verhandlungen geführt hat mit Standortfragen und so weiter. Das ist ein sehr großes Projekt, da liegt ein riesiger Businessplan und was weiß ich vor… Und da sind nun – also es waren eben drei Personen, eine [Name der Profession], dann der [Name des Kollegen] und meine Person, das waren die Aushängeschilder und die Macher dieses Dings. Ich hab’ mich dann Ende letzten Jahres davon – ich hab’ gesagt, ich möchte das nicht mehr.“ (41) In dem Moment also, in dem das Projekt Anerkennung findet und zu einem ‚Selbstläufer‘ wird, führt es in eben die Kontexte und Verhältnisse zurück, die Doris verlassen hat – und die sie in ihren Erfahrungen grundlegend reflektiert. Die dezidierte Entscheidung, in dieser Phase des Projekts in den Hintergrund zu treten, hat weit reichende Folgen für die Chancen auf Realisierung, wie sie beschreibt: „Es ging schon immer mal dann darum, dass ich subtil – ja, wenn man das dann merkte, es gab schon mal mit gewissen Leuten wieder Gespräche, Financiers, wo der [Name des Kollegen] dann das irgendwie so schon gemacht [hat, KW]… Und dann ging ’s aber auch weiter.“ (41) Indem Doris sich aus den repräsentativen Aufgaben zurückzieht, gewährleistet sie einen erwartbaren linearen Projektverlauf. Ihre Entscheidung begründet sie mit dem Argument der Sachdienlichkeit: „Es haben ja dann weitere Kontaktpflegen stattgefunden, und in dem Zusammenhang hab’ ich auch gesagt, da werde ich nicht mitfahren, das ist der Sache mit Sicherheit nicht dienlich … Hab’ ich gesagt, ich geh’ mal aus

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dem Leitungsding raus.“ (42) Gerade ihre berufliche Expertise ist es, die sie zu diesem Schritt bewegt. Wenn sie der Realisierung des Projekts Priorität einräumt, versucht sie, dieses Ziel durch zu erwartende Irritationen im informellen Bereich bis hin zu dem Risiko eines Abbruchs der Geschäftsbeziehungen nicht zu gefährden: „Es hat schon auch was damit zu tun, sag’ ich ganz ehrlich, dass ich meine, es ist besser, wenn ich da erst gar nicht mit auftauche. Weil wenn du da zwei Stunden bekommst bei einem Vorstand von einem Unternehmen oder drei, und der muss sich erst mal zwanzig Minuten oder dreißig Minuten dran gewöhnen oder so, dann ist das – das ist schon – oder der – da laufen auch Mechanismen ab und es ist einfach nicht – nicht vernünftig. Selbstbeschränkung in diesem Falle, weil dann kommt es ja vielleicht doch.“ (42) Während sie zuvor noch stark an Strukturen orientiert und in einem Begehren nach Anerkennung gefangen scheint, das diese auslösen und versprechen, wird ihre Selbstpositionierung nun als aktive Bewegung sichtbar: Selbstbeschränkung meint an dieser Stelle, innerhalb des Projekts eine Position einzunehmen und Bedingungen zu schaffen, die ihr erlauben, sich selbst, ihre Kompetenzen und Interessen zu realisieren. Doris betont jedoch, dass es keine freiwillige Entscheidung ist, die sie hier trifft. Es sind die gemachten Erfahrungen, die sie diesen Schritt gehen lassen. Zugleich haben diese Erfahrungen eine Distanz eingezogen, die sie Grundlegendes reflektieren lässt. Sie ist über den Punkt hinaus, sich in diesen Situationen „als eine solche Person“ – wie sie sich aus Sicht einer Gesellschaft benennt, die ausschließlich zwei, noch dazu sehr eng gefasste Geschlechter kennt – beweisen zu wollen. Ihre derzeitige Selbstpositionierung resultiert demgegenüber aus einer weit reichenden Reflektion der Verhältnisse und einer fundierten Einschätzung, wie sie sich – mit ihren Interessen und Kompetenzen – innerhalb des Projekts realisieren kann: „Wobei ich auch gar nicht – ich will auch gar nicht an vorderster Front da stehen in dem Ding, ich hab’ da sowieso gewisse Vorstellungen, wenn es denn dann da wäre, was ich da will, will ich die Operettenabteilung da leiten sozusagen oder eine besondere historisch-kritische Abteilung, wo ich grade sehr viel Material sammele…“ (42) Während sie dabei ist, eine Passung ihrer Tätigkeiten zu ihren Vorlieben herzustellen, sieht sie zunehmend von der Hierarchisierung ab, die mit einer nach außen gerichteten, auf Repräsentation abzielenden Tätigkeit – im Vergleich zu einer im Inneren des Projekts angesiedelten Aktivität – verbunden ist: „Und zum andern mag ich

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natürlich auch gerne tralala und einfach nur Halligalli, und das kann man auch ganz gut da drin machen.“ (42 f.) Deutlich wird, wie die Differenz, die zuvor aus ihrer nach außen gerichteten Tätigkeit innerhalb ihres Erwerbsarbeitskontextes ausgeschlossen war, nun auf neue Weise in die Realisierung eines Projekts nicht nur involviert ist, sondern es in seiner spezifischen Form überhaupt erst hervorbringt. Ihre Selbstpositionierung innerhalb des Projekts liest sich in folgender Weise: „Ich bin ja nicht draußen, ich hab’ ja im Grunde, auch wenn ich da oben nicht mehr stehe, ich bin Miterfinderin dieses Dings, draußen bin ich nicht, da gibt’s ja noch so ’ne andere – ’ne ganze Kompetenzliste. Aber es ist für die Sache, wenn man jetzt die Unterstützung, dass man’s überhaupt erst mal auf die Beine kriegt, bringt das, glaube ich, nichts, wenn ich da bin.“ (43) Es ist eine Neujustierung nicht ihrer sexuell-geschlechtlichen, sondern ihrer beruflichen Selbstpositionierung, die Doris zu diesem Zeitpunkt vornimmt. Sie ermöglicht ihr, die Aufmerksamkeit weg von einer externen Anerkennung, die immer auch sexuell-geschlechtliche Normierung in die Beurteilung ihrer Person und ihrer Kompetenzen einbezieht, auf inhaltliche Qualitäten zu lenken: „Also ganz können sie ja auch wiederum ohne mich nicht, weil ich bin schon kompetent auch in dem Bereich, auch historisch sehr gut drauf, was das anbelangt… Und aber das ist eine Aufgabe, die da reingehört und die ich ganz wichtig finde, das andere, so ’ne Kalkulation, die kann ich sowieso.“ (44) Mit dem wachsenden Erfolg des Projekts geht es Doris zunehmend darum, sich auf Aufgaben zu konzentrieren und Bedingungen zu schaffen, die eine Realisierung ihrer Kompetenzen möglich machen, und nicht darin zu verharren, sich an den Erwartungen einer heteronormativ strukturierten Ordnung abzuarbeiten. Was in der Haltung einer ‚vernünftigen Selbstbeschränkung‘ sichtbar wird, ist eine veränderte Beziehung zu sich selbst wie auch zu dem Projekt, in und an dem sie arbeitet. Mit dieser Veränderung sollen abschließend die gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich aus ihrer Perspektive darstellen, noch einmal in den Blick genommen werden. „…lebendiges Beispiel…“ Die Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt, die sie selbst gemacht hat wie auch von weiteren transsexuellen Menschen kennt, stellt Doris in einen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang: „Ich führ’ schon vieles einfach erst

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mal auf die generelle Arbeitsmarktsituation zurück, und auf die Art und Weise des Jobs, den ich ausübe.“ (46) Als die Interviewer_in in diesem Zusammenhang die Relevanzmachung von Kundenkontakten anspricht, gibt Doris dem Gespräch eine vollkommen neue Wendung: „Ja, oder wenn ich aber im Transenpuff arbeite, muss ich ganz viele Kundenkontakte haben.“ (46) Mit diesem Argument benennt sie einen gesellschaftlich stark tabuisierten Bereich, der auch in dem Interview bislang nicht zur Sprache kam. Wenn nun die Interviewer_in die Vorstellung einbringt, Dienstleistungen mit Kundenkontakt erforderten – und förderten – normgerechte Körpersubjektivitäten, so muss diese Aussage differenziert werden. Doris weist darauf hin, dass es durchaus Bereiche gibt, in denen transsexuelle Menschen tätig sind und differente Verkörperungen nachgefragt werden: „Nicht, das ist ja auch wieder bei unserer Spezies so, dass es eben, wenn dann die sexuelle Orientierung auch damit übereinstimmt, ist für manche, die dann finanzielle Probleme haben, doch mal eben – wird zumindest teilweise in irgendeiner Form mal anschaffen gegangen.“ (46) Doris verweist auf das „Anschaffen“ als gängige Praxis und gesellschaftliche Option, den Lebensunterhalt zu verdienen und in diesem Sinne ein Überleben zu sichern. Mit der naturalisierenden Formulierung „bei unserer Spezies“ bezieht sie sich auf eine Stigmatisierung und zeigt daran die Funktionsweise einer Gesellschaft, die Körpersubjektivitäten über Arbeit strukturiert und hierarchisiert: „Das ist doch, na, es ist schon verbreitet, es geht natürlich nicht in ’ner Kleinstadt, aber in so Großstädten kommt das zutage.“ (46) Doris rekurriert mit der Tag/Nacht-Metapher auf unterschiedlich sichtbare und bewertete Arbeitsbereiche und bringt damit die Stigmatisierung differenter Seinsweisen zum Ausdruck: „So dass also es da wieder Bereiche gibt, wo also eine ganz, ganz besondere – da wird etwas gesucht in dieser Personengruppe, die eine übliche Frau gar nicht bietet, während du tagsüber von demselben möglicherweise noch eine in die Fresse gehauen kriegst.“ (47) Es sind diese gewaltförmigen Ausbrüche einer gesellschaftlich regulierten Ordnung, die eine heteronormative Realität überhaupt erst konstituieren und darin ihre Funktion haben. Doris spielt mit dem Begriff der „üblichen Frau“ auf die Positionierungen innerhalb einer heteronormativen Ordnung an, die über Konvention und Sichtbarkeit reguliert werden – und ihr spezifisches Außen in Form von Fetischisierung mit sich tragen. Eine so funktionierende Gesellschaft rufe eine „Sucht nach Anpassung“ (51) hervor, der sie entgegnet: „Warum das nicht annehmen, das Unge-

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wöhnliche und das ganz Individuelle. Alle streben Individualität an, das ist ein Ding, was in der Werbung, überall einen ganz hohen Stellenwert hat, und da dann auf einmal nicht.“ (51) Die allseits gefeierte Vielfalt51 – ein Diskurs, der mittels diversity management in Organisationen und Unternehmen zum Einsatz kommt – funktioniert in engen Grenzen: Es sind nicht die „lebendigen Beispiele“, diejenigen, die „das Ungewöhnliche“ verkörpern, die der Diskurs der Vielfalt meint. Es ist vielmehr der Zugriff auf ökonomisierbare Aspekte,52 mit denen die Individualität ansonsten Gleicher angerufen – und marktförmig hergestellt – wird: „Aber die Gründe sind klar, weil eben diese Art Individualität zur wirklichen Ausgrenzung führt, denn wenn einer kommt und hat einen – fährt ’nen Rolls Royce, was auch, sagen wir mal, exklusiv und sehr individuell ist, weil sich eben kaum einer den leisten kann, dann wird er – in manchen Kreisen wird gesagt, oh, toll. Oder wenn sich jemand in manchen Kreisen ein tolles Haus baut, vielleicht mit ganz andern verwinkelten Fenstern, wo eben alle Leute ein Haus haben und der hat ein besonderes, was dann aber auch besonders teuer noch ist, dann kann das sogar etwas ganz tolles sein, diese Art Individualität.“ (51) Individualität zählt dort, wo sie marktförmig sichtbar wird, wo sie nutzbar oder zumindest anschlussfähig ist: „Und meistens natürlich auch in der Form, wenn man so ’nen Erich-Fromm-Begriff nimmt, der Unterscheidung zwischen Haben und Sein, dann eben halt auf der Haben-Seite, nicht auf der Seins-Seite.“ (52) In ihren Bewegungen und Reflektionen der gesellschaftlichen Verhältnisse entwickelt Doris eine kritische Distanz und zunehmend differente Selbstpositionierung – und relativiert diese zugleich an der Erzwungenheit ihres Werdegangs: „Dass da auch noch so was Emanzipatorisches sein könnte, schwingt ja dann doch da rein, das dient aber vielleicht auch ’ner Selbstrechtfertigung, denn ich finde, es ist ja nicht – es ist ja kein frei gewähltes Ding, was ich hier mache, was ich hier abziehe sozusagen, das ist schon da und geht nicht weg, so. Und da muss ich mir ja

51 Dies ist der Titel, unter dem Engel (2008) eine ökonomiekritische Perspektive auf sexuelle Lebensformen in spätmodernen Gesellschaften einnimmt. Auch Mesquita (2008) betont in ihrer medienkritischen Analyse die Grenzen einer Politik der Sichtbarkeit. 52 Zur kritischen Diskussion von Tendenzen der Ökonomisierung in Debatten um Geschlecht als Humanressource vgl. Bereswill (2005).

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irgendwie meine eigenen Krücken bauen, um durch das nicht immer Angenehme durchzukommen.“ (56) Es ist die Suche nach einem Ort zwischen Anpassung und Anerkennung, die Doris beschreibt und die ihren Weg ausmacht. Produktiv gewendet ließe sich mit Kosofsky Sedgwick (2005/1997) von einer wachsenden Kontur des Selbst53 als Projekt der Selbsterkenntnis sprechen: als ein Prozess, der eben nicht willkürlich oder sich endlos vervielfältigend ist, sondern tief greifende und weit reichende Folgen für die Subjekte hat. Deutlich werden die gesellschaftlichen Verhältnisse, ihre Strukturierung und Bewertung über Arbeit, die in die Prozesse der Selbstpositionierung involviert sind. Die Konstruktion eines ‚wir‘, mit dem die Ordnung beständig reproduziert wird, sowie die Empörung über die Anmaßung, die Frauen – und Transfrauen – zugeschrieben wird, wollen sie den mit einer spezifischen Männlichkeit ausgestatteten Platz eines Subjekts einnehmen, bringt der machtvolle Ausspruch ihres ehemaligen Vorgesetzten auf den Punkt: „Eine Position, die Sie haben, hat ja noch nicht mal eine normale Frau in unserm Unternehmen“ (zit. von Doris, 4)

„… KONFORM SOZUSAGEN MUSSTE , GLAUBTE SIE …“

SICH ZEIGEND VERHALTEN

Wie bei Doris geht es auch im folgenden Interview um Körperpraxen und damit verbundene Ein- und Ausschlüsse, die sich auf einer höheren Führungsebene abspielen. Birthe spricht von ihren Erfahrungen in einem gro-

53 „Diese Wege der Identität scheinen einen spiralförmigen Verlauf zu nehmen: Momenten der kühnen Vermutung und kognitiver Brüche – Momenten, in denen neue Spekulationen darüber aufkommen, was denn nun die wachsende Kontur des Selbst konstituiert – können Momente der erfahrungsorientierten Reflexion, der Vorausprojektion, des Ausprobierens und des Realitätstests solcher Vermutungen folgen: Kann dies, zu diesem Zeitpunkt, eine mögliche Ebene für einen konsequenten Wechsel sein, der sich als irgendwie bedeutungsvoll für die eigene Geschichte erweisen wird?“ (Kosofsky Sedgwick 2005/1997, 147)

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ßen Unternehmen, in dem sie seit mehr als 25 Jahren als Führungskraft tätig ist. Erst in den letzten Jahren ist sie dazu übergegangen, ihre lesbische Lebensweise in diesem Kontext zu thematisieren. Dabei betont sie, dass diese Bewegung zunächst unintendiert war, denn sie sah sich immer als starke Vertreterin einer Haltung, in der Privates und Berufliches strikt getrennt ist. Sich im Rahmen eines diversity programs politisch zu engagieren bedeutete für Birthe aber im Umkehrschluss, sich hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung selbst zu positionieren, was sie im Nachhinein als befreiend beschreibt. Birthe schildert, wie sie in diesem beruflichen Kontext sukzessive eine reflektierende Haltung einnahm. Ihre „Entwicklung weg aus diesem Hamsterrad“ (12), wie sie es nennt, bezeichnet sie als „bewusste Entscheidung“ und wird im Folgenden rekonstruiert. Dies ist die Perspektive, aus der Birthe die Positionierung von Frauen auf einer höheren Führungsebene betrachtet und die Wahrnehmung als „Fremdkörper“ beschreibt, wie sie sie in diesem Kontext beobachtet. Ihre derzeitige Selbstpositionierung, die sich in Abgrenzung zu Praxen vollzieht, die sie als „sich zeigend verhalten“ umschreibt, wird abschließend nachvollzogen. Bewusste Entscheidung Wenn Birthe auf ihre mehr als 25-jährige Berufserfahrung blickt, wird deutlich, dass ihre sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierung in unterschiedlicher Weise in die verschiedenen Phasen ihrer Laufbahn Eingang findet. Ob und wie ihre Lebensweise in die „bewusste Entscheidung“, auf dem einmal erreichten Level stehen zu bleiben, involviert ist, soll im Folgenden anhand der Aussagen ‚sozusagen offen‘, ‚ganz ganz sein‘ und ‚verändert drin bleiben‘ rekonstruiert werden. sozusagen offen Birthe wurde von mir als Interviewpartnerin angesprochen, weil sie gemeinsam mit einer Kollegin an der Initiierung einer Regionalgruppe innerhalb eines bundesweiten Netzwerkes lesbischer Managerinnen und Führungskräfte beteiligt war. Die Beziehung zu dieser Kollegin beschreibt sie wie folgt: „Wir hatten zunächst beruflich nur Kontakt und irgendwann ist es uns gegenseitig dann doch aufgefallen, dass wir nebenbei auch beide Lesben sind.“ (Birthe, 2) In dieser Formulierung kommt zum Ausdruck, dass die lesbische Identität oder Lebensweise im beruflichen Kontext zunächst

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nachrangig erscheint. Im Vordergrund steht die Professionalität des Kontakts, sogar wenn dieser in einem informellen Rahmen situiert ist. Wie Informationen zur Lebensweise des Gegenübers dennoch aktiv gesucht und sukzessive zu einem Bild zusammenfügt werden, macht die folgende Äußerung deutlich: „Also wir haben uns vielfach getroffen und dann waren es eben nicht nur Fachtreffen, sondern es waren immer eigentlich Mittagesseneinladungen. Und, ja, über das, was nicht gesagt wurde, und das, was gesagt wurde oder weggelassen wurde, habe ich mir dann Gedanken gemacht, habe das schon vermutet und dann haben wir uns auf dem CSD gesehen und damit war es klar. Sie war mit ihrer Freundin da und ich war mit meiner Frau da und dann war es klar, dann war es sozusagen offen.“ (2) Der jährlich stattfindende Christopher Street Day als gesellschaftlicher Ort für Lesben, Schwule und Trans*Menschen bietet einen Rahmen, mit der als privat erachteten Lebensweise sichtbar zu werden. Dies geschieht in der Regel gegenüber Kolleg_innen, die selbst am CSD teilnehmen und von denen aus diesem Grund eine Anerkennung erwartet werden kann. Interessant ist die Formulierung, dass es damit „sozusagen offen“ ist, denn offen wird die lesbische Lebensweise zunächst nur für die Beteiligten. Es ist ein Insider-Wissen, das sich hier herstellt und über einen bestimmten Begriff von Professionalität, wie noch zu zeigen sein wird, gepflegt wird. Dass dies durchaus eine verbreitete Praxis darstellt, zeigt die Entwicklung der Regionalgruppe lesbischer Managerinnen, die – einmal initiiert – von Anfang an großes Interesse weckt und sehr schnell auf eine hohe Zahl von Teilnehmerinnen kommt. Während es bei den Treffen um Vernetzung, aber auch um inhaltliche Expertise geht, die einzelne in Form von Fachvorträgen einbringen, konkretisiert Birthe ihr Anliegen in folgender Weise: „Es war mir auch ein spannendes Thema, dass ich mal mit Gleichgesinnten mich treffen kann. Also da geht es ja nicht nur immer ums Geschäft, sondern es geht auch über andere Themen. Und ich habe mich in der Gruppe mal – also aufgehoben gefühlt als jemand, der sich nicht dauernd erklären muss, dass er Karriere gemacht hat und Geld verdient, als jemand, der eben auch nicht mehr ein junger Hüpfer ist, sondern Mittelalter.“ (3) Auffallend ist, dass Birthe ihren Wunsch, sich mit „Gleichgesinnten“ zu treffen, nicht etwa auf die berufliche Sphäre und Vernetzung im Sinne eines ‚als Lesbe im Erwerbsarbeitskontext sichtbar werden‘ bezieht, sondern auf den Kontakt mit Lesben, die ebenso wie sie „Karriere gemacht haben“. Zur Veranschaulichung ihrer spezifischen Positionierung und des Gefühls, „sich auf-

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gehoben zu fühlen“, beschreibt sie, wie das Thema Urlaub bei einem der Vernetzungstreffen besprochen wird: „Und da ging es eben dann drum, dass man gesagt hat, also dass wir nicht mehr zelten gehen und auf Luftmatratzen schlafen. Das ist bei mir sowieso so ein Thema [lacht]. Und da habe ich so ein Gefühl gehabt von noch mal mehr auch – in der Lesbenszene noch mal mehr irgendwo gleichgesonnene Menschen zu finden und habe mich da gleich zu Hause gefühlt. Und das war mir dann fast wichtiger am Anfang als alles andere, was beruflich … ist.“ (3 f.) Deutlich wird, dass Birthe die Vernetzung in einer als privat erachteten Sphäre verortet: Die Regionalgruppe stellt einen Raum innerhalb „der Lesbenszene“ her, in der – so der Eindruck – Karriere, Geld und eine Etablierung auf beruflicher Ebene wenig zum Thema oder sogar zum Ausgangspunkt einer Organisierung werden. In diesem Sinn bedeutet die Vernetzung für sie weniger, ihre sexuelle Lebensweise in den beruflichen Kontext einzubringen als vielmehr, mit ihrer beruflichen Lebensweise in der Lesbenszene sichtbar zu werden. Es lässt sich nur vermittelt eruieren, inwieweit diese Vernetzung in die jeweiligen Erwerbsarbeitskontexte einfließt, denn die lesbische Lebensweise oder das Selbstverständnis als Lesbe bilden zwar den Ausgangspunkt und die Basis der Vernetzung, sind aber in Bezug auf den beruflichen Bereich kein Thema mehr: „Ja, es ist was Verbindendes. Worüber wir nie gesprochen haben, jedenfalls nicht per Vortrag, ist das Thema, hat das Lesbisch-Sein einen Platz am Arbeitsplatz, ja, sind die alle out, sind die nicht out.“ (5) Auf die erstaunte Nachfrage der Interviewer_in: „Da habt ihr nicht drüber gesprochen?“, erklärt Birthe: „Ja, das ist – würde ich als typisch bezeichnen, weil die Haltung ist, man ist sozusagen gestandene Karrierefrau, Managerin, ja, so ein Managerinnen- und Führungskräftenetzwerk, und dann ist so dieser Schritt – dann ist dieses ganze Coming-outThema, das ist ein Thema der Vergangenheit.“ (5) Diese Haltung, die Birthe als typisch bezeichnet, hat sie selbst viele Jahre praktiziert und beinhaltet einen wichtigen Aspekt der Funktionsweise von Heteronormativität: Was nicht ‚als anders‘ sichtbar wird, geht in die allgemeine Vorannahme einer Existenz zweier abgrenzbarer Geschlechter, die sich über Sexualität wechselseitig aufeinander beziehen, ein. Von dieser Annahme wird ausgegangen, solange es keine Hinweise gibt, die dieser Vorstellung zuwiderlaufen – oder solange die Beteiligten selbst nicht ein Leben führen, das einen Blick auf differente Lebensweisen bedingt und ermöglicht.

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Vor diesem Hintergrund ist vorstellbar, dass es lesbisch lebenden Frauen gelingt, ihre Karriereziele zu verfolgen und zu realisieren, ohne die eigene Lebensweise zu thematisieren. Dass diese Weise, Professionalität zu leben, weder für die Frauen selbst noch innerhalb des Netzwerkes Fragen aufwirft oder unpassend erscheint, bestätigt Birthe aus ihrer eigenen Erfahrung: „Ich habe 20 Jahre da gearbeitet, ohne out zu sein, jedenfalls in der Breite. Ich hätte auch immer bestritten, dass das einen Unterschied macht, ja [lacht] … vehement, so ganz toll und, ja, hat da gar nichts zu suchen und lauter so die üblichen Kommentare, die jetzt auch im Netzwerk kommen, wenn man das mal so anspricht. Also die üblichen Antworten, die man da so kriegen kann, die hätte ich auch gegeben, habe ich auch gegeben.“ (6) Es ist ein bestimmter Begriff von Professionalität, der hier gelebt und realisiert wird und der insbesondere auf den Kontext höherer Führungskräfte verweist, wie Birthe erklärt: „Und das einfachere an dem Führungskraft-Sein ist ja, dass, wenn man Führungskraft ist, man in der Regel weniger in solche Gespräche verwickelt wird wie: Wie war denn dein Wochenende? Und: Seid ihr weggefahren? Weil man als Führungskraft eigentlich über so einen persönlichen Bereich, wenn man das nicht möchte, auch leicht zum Nichtthema wird. Von daher ist so diese potenzielle Gefährdung oder dieses Unwohlsein, das tägliche, wenn man über private Dinge spricht, eigentlich für eine Führungskraft gar nicht so relevant, von daher kann man das auch wegtun.“ (6) Das hier angesprochene Unwohlsein bei alltäglichen Gesprächen am Arbeitsplatz geht auf das herrschende Paradigma einer Heteronormativität zurück, das heterosexuelle Lebensweisen als Norm (voraus)setzt – und unentwegt re/produziert. Eben diese Ebene der Kommunikation wird in einer Konzeption von Professionalität umgangen, die das Persönliche oder Private ausschließt: Die Führungskraft erscheint als ‚abstracted worker‘ im Sinne Joan Ackers – der ‚gendered subtext‘ wird dann spürbar, wenn jemand den ‚üblichen Rahmen‘, wie Doris es im vorherigen Interview formuliert hat, verlässt. Birthe verlässt den üblichen Rahmen, indem sie ihre lesbische Lebensweise beziehungsweise die Dimension sexueller Orientierung im Rahmen des diversity programs thematisiert. Die Erfahrung dieses Schritts beschreibt sie als Erleichterung: „Und, ja, ich hätte nie gedacht, dass es wirklich so was Entscheidendes ist, also mir sind – ohne dass es dann wirklich mir klar war – mir sind dann Zentner von den Schultern gefallen.“ (6) Auf die Frage der Interviewer_in, woran sie das gemerkt habe, benennt sie

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verschiedene Situationen: „Es sind nur Kleinigkeiten, ich bin nie mit meiner Frau Händchen haltend über die Straße gegangen oder so, was sie mir heute so erzählt und spiegelt, wie sehr ich da unter Druck war, dass uns jetzt niemand sieht oder so, das ist so praktisch außerhalb der Firma. Und in der Firma, ja, ich musste mir nicht mehr überlegen, was ich jetzt sagen soll, ich konnte alles sagen, wie es ist. Und ich meine, es ist ja nicht so, dass ich jetzt täglich über irgendwelche – über meine Frau spreche oder mein Privatleben spreche oder so. Aber wenn es so ist, dann sage ich das, ja: ‚meine Frau hat’ – jetzt vor allem nachdem wir verpartnert sind, das kann ich natürlich sagen, ‚meine Frau’, weil es ja so ist. Und, ja, also ich hätte es nie für möglich gehalten, aber es war einfach so. Also das ganze Mäntelchen, was ich mir gestrickt hatte im Zusammenhalten meiner selbst, das konnte ich – eben wie so eine Zwangsjacke – konnte ich abstreifen, da war ich frei, konnte freier atmen. Also es war wirklich – es war befreiend.“ (6 f.) Wenn Birthe als Erfahrung beschreibt, alles sagen zu können, „wie es ist“, dann bezieht sich die Befreiung weniger auf eine neue Erfahrung des passing, wie es bei Tom der Fall war, noch auf die vorhergehende Verkennung ihrer Person, wie Doris es für ihren beruflichen Kontext beschrieben hat. Birthe benennt vielmehr einen als privat erachteten „persönlichen Bereich“, den sie komplett aus dem, was für sie ihre Erwerbsarbeit darstellt, ausgeklammert hat. Dass dies weder ihr selbst noch anderen aufgefallen ist, weist zurück auf die strukturelle Anlage einer Führungsposition, von der sie sagt: „Von daher kann man das auch wegtun.“ (6) Erst im Nachhinein wird klar, dass diese Weise, eine Führungsposition einzunehmen, kein quasinaturwüchsiger, einer Führungsposition inhärenter Vorgang ist. Deutlich wird vielmehr, wie sehr Birthe ihr Verhalten danach ausgerichtet hat, nicht gesehen zu werden, das heißt: mit dem „wie es ist“ nicht sichtbar zu sein. In ihrer Beschreibung der Situation nach dem outing wird deutlich, dass es weniger der Bereich der Erwerbsarbeit ist, in dem sich Veränderungen vollziehen. Es ist vielmehr die Gestaltung ihrer als privat erachteten Lebensweise, in die Birthe nun investiert. ‚Als Lesbe‘ innerhalb ihres Erwerbsarbeitskontextes in Erscheinung zu treten ermöglicht ihr, auch und gerade diese Lebensweise neu und weiter zu gestalten, indem sie etwa ihre Beziehung offiziell als Partnerschaft eintragen lässt. Interessant ist die Haltung innerhalb ihres Erwerbslebens, die sich aus dem outing ergibt: Sie spricht weiterhin nicht unbedingt über ihr „Privatleben“. Dies legt den Schluss nahe, dass das befreiende Moment nicht darin besteht, ihr Privatle-

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ben offen zu legen, sondern darin, entscheiden zu können, ob und was sie von sich erzählt. Deutlich wird das konstitutive Moment, das der Ausschluss des Privaten in diesem Kontext für die Konstituierung einer Führungsposition darstellt. In welchen Prozessen sich dieser Ausschluss vollzieht und wie sich darin eine heteronormative Ordnung re/produziert, soll nun weiter rekonstruiert werden. ganz ganz sein Die Fragen der Interviewer_in richten sich in der Folge auf die Reaktionen und die Wirkung, die ihr outing in ihrem Erwerbsarbeitskontext hervorgerufen hat, woraufhin Birthe zunächst beschreibt: „Also ich konnte damit durchaus offensiv umgehen und hatte dann auch keine Schwierigkeiten, so meine Zeit dafür herzugeben, zu rechtfertigen, und, und, und, also das war wunderbar. Also ich konnte mich dann richtig einbringen, ich habe mich da auch sehr zu Hause gefühlt, da in der Zeit.“ (7) Die Legitimation durch die offizielle Politik des Unternehmens bildet den Rahmen, innerhalb dessen Birthe sich bewegt und „richtig einbringen“ kann. Ebenso wird deutlich, womit diversity programs werben und umgesetzt werden: Dass die Anerkennung der Beschäftigten in ihren vielfältigen Subjektpositionen zu größerer Zufriedenheit, erhöhter Effizienz und – voraussichtlich – zu Gewinnmaximierung führen wird. Die Interviewer_in verfolgt den Gedanken einer möglichen Diskriminierung und fragt nach den Reaktionen ihrer Vorgesetzten auf ihr Engagement, woraufhin Birthe erklärt: „Also ich meine, das Thema Diversity war bei uns zu der Zeit ganz groß, ja. Und ich wollte ihn [den Vorgesetzten, KW] nur drauf vorbereiten, falls er angesprochen wird, dass er eben weiß, was in seinem Bereich läuft, dass da jemand aus seinem Bereich ist, der sich engagiert oder die sich engagiert. Aber es war kein Okay, also ich habe auch von meinem Chef kein – ich habe mich gefreut natürlich. Na gut, von meinem Chef wusste ich, dass er schwul ist, was er sehr geheim gehalten hat, was ja keiner wusste aus seiner [zwei Wörter?]. Also von daher hatte ich nie eine – bei ihm keine Befürchtungen. Es wäre eigentlich – ich hätte eigentlich nie Anlass gehabt, mir da irgendwie Sorgen machen zu müssen chefseitig, auch vorher nicht bei anderen Chefs, nee, das war – ja, das war nicht meine Sorge, glaube ich, damals.“ (8) Auch hier wieder referiert Birthe auf ein Insider-Wissen, das sich trotz der Praxis des „Geheimhaltens“ bei denjenigen, die dafür einen Blick haben oder aktiv nach Informationen suchen, einstellt.

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Vor diesem Hintergrund ist interessant, welche Erklärung sie dafür findet, ihre Lebensweise über den Zeitraum von 20 Jahren nicht sichtbar werden zu lassen: „Darüber habe ich ja nicht nachgedacht, das hatte ja damit nichts zu tun, ich arbeite da ja, also es war ja so dieses – ich meine, diese Argumentation der Abspaltung, ja, das eine ist mein Privatleben, das andere ist mein Berufsleben.“ (8) Innerhalb dieser Haltung von Professionalität ist das, was an so genanntem Privatleben in der Regel sichtbar wird und werden darf, sehr eng gesteckt – es ist ein heteronormativer Rahmen, der diesen Bereich des Denkbaren und Sagbaren ausmacht und sich auf diese Weise permanent re/produziert. Die „Abspaltung“ des Privaten, wie Birthe es nennt, ist zu diesem Zeitpunkt noch dermaßen selbstverständlich, dass sich nicht einmal auf einer Gefühlsebene – etwa in Form eines Unbehagens – Fragen auftun: „So habe ich mich auch gefühlt und deshalb habe ich gar keine Notwendigkeit gesehen, irgendwie mir da drüber Gedanken zu machen, ob das jetzt wer akzeptieren könnte oder nicht, weil das hatte da ja nichts zu suchen, ja, also die Gedanken habe ich mir gar nicht gemacht. Also ich habe mir keine Gedanken gemacht, gehe ich jetzt raus oder gehe ich nicht raus, weil könnte es mir Nachteile bringen oder nicht, die Gedanken habe ich mir nie gemacht.“ (8) Aus dieser Perspektive erscheint die Frage eines outings zunächst vollkommen irrelevant: Wenn als privat angenommene Lebensweisen generell keinen Platz in diesem Erwerbsarbeitsbereich haben (sollen), dann gibt es auch keine Adressaten oder Publikum für ein outing. Dennoch – und hier liegt ein Widerspruch, dem es weiter nachzugehen gilt – empfindet Birthe den Schritt, den sie mit ihrem outing vollzieht, als immense Veränderung in ihrer Selbstwahrnehmung: „Also ich kann ganz sein sozusagen, immer ganz sein, und das ist, glaube ich, das ist der unschätzbare Wert an der Stelle, und das kann man sich – und das stellt man sich vorher nicht so vor. Da war ich immer – vorher immer gesagt, natürlich, ich bin doch ganz, ich bin immer ganz da: Hier mache ich ganz meinen Beruf und da bin ich ganz privat. Aber dass man ganz ganz sein kann, das hätte ich vorher – ich hätte das immer bestritten, ich hätte immer gesagt, nee, das ist so nicht, ja.“ (9) Das Berufsleben erscheint in dieser Beschreibung als relativ monolithischer Bereich, der einem privaten Bereich diametral gegenübergestellt ist – zwei Lebensbereiche, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. „Ganz ganz sein“ bedeutet hingegen, alles sagen

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zu können, „wie es ist“ – wie sich dies in beiden Lebensbereichen ausdrückt, wird weiter zu eruieren sein. In diesem Zusammenhang berichtet Birthe von einer aktuellen Studie zu Homosexualität am Arbeitsplatz, in der es vornehmlich um informelle Gespräche geht, und setzt diese in Bezug zu ihrer spezifischen Position als Führungskraft: „Aber wie gesagt, also als Führungskraft hat man es ja auch leichter. … Und da kamen lauter so Fragen wie, ja, was sagt man denn, wenn die Kollegen dann da drüber sprechen, wie das Wochenende war oder solche Sachen, also das hatte einen ganz breiten Raum da eingenommen in diesem Interview. Und wo ich dann immer so gedacht habe: In diese Verlegenheit kam ich eigentlich nicht, ich bin – relativ schnell habe ich Karriere gemacht, also was heißt relativ schnell, nach zehn Jahren, vorher habe ich nur geschafft, geschafft, geschafft, da hatte ich sowieso keine Zeit für nichts. Und dann ist man einfach sozusagen rausgelöst, ja, da guckt man – also diese Mobbingthematik im Sinne von Kollegenmobbing hat es bei mir eigentlich nie gegeben. Das Potential war mal da, aber zu einer Zeit, wo ich einfach so beschäftigt war, dass es dann auch wieder kein Thema war, ja.“ (9) Birthe beschreibt, wie es gerade über den Prozess des Abspaltens und über die alleinige Konzentration auf die Erwerbsarbeit zu einer Absetzung von den „Kollegen“ kommt. Das Ergebnis dieser Haltung benennt sie als „einfach sozusagen rausgelöst“, als einen auch auf körperlicher Ebene sich realisierenden Prozess, mit dem sie ihren Weg zur Führungskraft beschreibt. Sie sagt zugleich, dass bis dahin „keine Zeit für nichts“ blieb – es gab also zu jener Zeit kein Privatleben, um das sie sich hätte Gedanken machen müssen oder das gegen sie hätte vorgebracht werden können. Hier schließt sich die Frage an, ob sich diese Situation für männliche, heterosexuell lebende Führungskräfte – die innerhalb eines heteronormativ strukturierten Skripts in der Regel mit der Unterstützung einer Partnerin rechnen können54 – in gleicher Weise darstellt.

54 Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie zum Karriereverlauf von Akademikerinnen, in der ein empirisch fundierter Begriff von ‚professioneller Lebensführung‘ entwickelt wird: Dabei ist nicht ausschlaggebend, ob sich die Akademikerinnen in einer Partnerschaft befinden oder allein lebend sind. Vielmehr zeigt sich, dass diejenigen mit Partnerschaft auf gleichem Karriereniveau stehen bleiben wie diejenigen ohne Partnerschaft, wenn die PartnerIn selbst eine

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verändert drin bleiben Der Frage nachgehend, ob den Lebensweisen der verschiedenen Beteiligten – auch auf einer Führungsebene – eine Bedeutung im Berufsleben zukommt, bemerkt Birthe vor dem Hintergrund ihrer eigenen Selbstpositionierung: „Ja und nein, und da kommt wieder das Thema Frau zum Tragen, ja. Also so diese ganzen Inner Circles und Geschichten, da hast du dann viel, wo einfach Männer unter sich sind.“ (10) Diese Aussage lässt den Eindruck aufkommen, ihre lesbische Lebensweise sei in diesem Kontext gar nicht relevant, da sie bereits ‚als Frau‘ von den ernsten Spielen des Wettbewerbs, wie Bourdieu sie beschrieben hat, ausgeschlossen ist. Tatsächlich scheint eine Thematisierung der als privat erachteten Lebensweise nebensächlich oder umgehbar zu sein, selbst auf Dienstreisen, bei denen sich Gelegenheiten zu informellen Gesprächen ergeben: „Also ich kam nicht in die Verlegenheit, man redet dann über Geschäftliches, also [man will?] die Zeit ja sozusagen auch nutzen. Man kriegt dann vielleicht mit, ob jemand verheiratet ist oder Kinder hat, wenn man eben sagt, man hat keine Kinder und ist nicht verheiratet, dann ist das auch ein Thema, das sozusagen dann abgehakt ist, ja. Da geht es dann drum, was weiß ich, ob man irgendwelche Interessen hat oder – Musik, Theater, blablabla, solche Dinge.“ (10) Dieser Form von Regulierung, in der nicht nur Geschlecht und Sexualität verhandelt, sondern auch Klassenpositionen hergestellt werden, weiter nachgehend stellt sich allerdings heraus, dass sie sich bestimmten Kontexten und Praktiken – etwa die Partnerin einzubeziehen und auf Dienstreisen mitzunehmen – verwehrt: „Ja, da gehe ich ohne, bin ich ohne gegangen, ja. Außerdem [Name der Partnerin] würde auch nicht wollen… auch heute, ja… Zweimal, wie ich auf Auslandsreisen gegangen bin, ja: ‚Das wäre doch schön, Ehefrauenbegleitprogramm dann zu machen…’ Aber so Veranstaltungen habe ich ja nie besucht, also wo wirklich, was weiß ich, dann die Partner mit eingeladen waren und hatten dann ihr Unterhaltungsprogramm.“ (10) Es ist eine aktive Steuerung, die Birthe bezüglich

Karriere verfolgt. Im Umkehrschluss zeigt die Studie, dass tatsächliche Karrieresprünge (ab einem Zeitbudget von über 50 Wochenstunden) durch die Zuarbeit einer PartnerIn – und das sind in der Regel immer noch die weiblichen Parts innerhalb heterosexueller Paarkonstellationen – realisiert werden (vgl. Könekamp 2008).

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ihrer Dienstreisen beschreibt, und es ist zu vermuten, dass die heteronormative Strukturierung dieser beruflichen Praxis dermaßen stark ist, dass weder sie noch ihre Partnerin den Wunsch verspüren, an „so Veranstaltungen“, bei denen Partnerinnen und – wahrscheinlich in geringerem Ausmaß – Partner einbezogen sind, teilzunehmen. Eine Erklärung bietet Birthe, wenn sie dieses Vorgehen mit einer persönlichen Schwerpunktsetzung begründet: „Sagen wir mal so, ich habe mich mal entschieden, auf meinem Level stehen zu bleiben und nicht weiter zu gehen, weil dann diese – dieses – also weil ein Großteil meiner Zeit in Politisches hätte gehen müssen und eben auch in solche Geschichten, ja, so nach dem Motto, ich hätte Golf spielen lernen [müssen, KW] oder was weiß ich was. Und in dem Moment, wo es dahin ging, an diese Levels, habe ich gesagt, okay, das ist eine bewusste Entscheidung, hier bleibe ich stehen, also hier will ich nicht weiter.“ (10) Es entsteht der Eindruck einer Tendenz zur Homogenisierung, der sie sich kaum entziehen kann – eine Einschätzung, die auch Doris geäußert hat: Dass der heteronormative Rahmen des Möglichen immer enger wird, je weiter sie sich in Erfolgs- und Karrierestrukturen hineinbegibt. An diesen Stellen re/produzieren sich Ein- und Ausschlüsse, denn für Birthe hätte es mit ihrer Selbstpositionierung einen extremen Aufwand bedeutet, diesen Weg weiterzugehen: „Weil einfach dann zu viel meiner Arbeit in Dinge gegangen wäre oder meiner Zeit in Dinge gegangen wäre, die ich für nicht wirklich hilfreich halte und nicht hilfreich auch für mich, ja. Und das war dann relativ auch zeitgleich, wo ich dann gesagt habe, ich möchte eigentlich was ändern.“ (11) Im Gegensatz zu Toms Erfahrungen, der bei seinem Berufseinstieg in der Selbstwahrnehmung einer ‚neu gefundenen Männlichkeit‘ aufgeht, steht Birthe vor der Herausforderung, an ihrer Selbstpositionierung sehr stark arbeiten zu müssen, soll es in diesem beruflichen Kontext weiter gehen.55 Deutlich wird auch hier, wie die Strukturierung und die Erfordernisse ihres Erwerbsarbeitskontextes in ihre Selbstpositionierung involviert sind: Tendenzen der Homogenisierung ermöglichen – und erzwingen – die Aneignung bestimm-

55 In diesem Sinne hinterfragt auch Hofbauer (2008) die gängige Argumentation, Karrierebrüche bei Frauen seien auf eigene Entscheidungen und differente Prioritätensetzung zurück zu führen.

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ter Repertoires wie auch gesellschaftlicher Räume, was für sie einen Aufwand bedeutet, den sie als „nicht hilfreich auch für mich“ verwirft. Birthe hat zum damaligen Zeitpunkt begonnen, sich ein zweites, freiberufliches Standbein aufzubauen. Den Anstoß zu dieser Veränderung geben körperliche Beschwerden, die das Ausmaß ihres Arbeitspensums anzeigen: „Ja, ja, also es war viel, viel Arbeit, es war auch funktionieren, und wie ich hier dazu gekommen bin [ihre selbständige Tätigkeit, KW], war ja letztendlich, ich habe mir ja meine Krankheit erarbeitet…, jeder Mensch hat ja einen Schwachpunkt, wenn er es übertreibt… Ich habe mir ein richtig schönes Asthma in der Firma erarbeitet durch sieben Tage die Woche rund um die Uhr arbeiten.“ (11) Der Begriff des Funktionierens verweist auf die strukturelle Anlage dieser Arbeitsweise. Sie erscheint Birthe dermaßen selbstverständlich, dass erst eine Freundin sie auf die Beobachtung von Zusammenhängen hinweisen muss: „Ob mir das schon mal aufgefallen wäre, dass das immer nach diesen Terminen ist, da sagte ich: ‚Nee, das ist mir nicht aufgefallen.‘ Also ich war so in meinem Rädchen drin. Ja, gut, also Leistung gibt natürlich dann Gegenleistung und deshalb bin ich ja so schnell auf die Karriereleiter ’raufgefallen. Und im Zuge dieser sukzessiven Bewusstwerdung auch mit meinem Thema Krankheit dann, ich habe ja immer gesagt: ‚mein Asthma‘ – da fing es dann an, dass ich mich damit auseinandergesetzt habe, erst mal meine Arbeitszeit auf die Wochentage zum Beispiel zu beschränken.“ (11) Der von Birthe als „natürlich“ bezeichnete Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung vollzieht sich im Rahmen institutionalisierter Zeitstrukturen: Die ‚Karriereleiter ’rauffallen‘ verläuft auch hier quasi naturwüchsig, und das Muster des Gebens und Nehmens scheint vorbestimmt zu sein. Mit der Bezeichnung „mein Asthma“ allerdings bezieht Birthe sich auf einen Teil ihres Körperselbst, der sich dieser Arbeitsweise sperrt und den damit verbundenen Aufwand bezeichnet: Es ist diese Wahrnehmung eines Widerstands, der eine Reflektion schließlich anregt. Als die Interviewer_in nach der Motivation für die verändernden Schritte fragt und dabei die möglichen Gründe im Außen vermutet – verursacht durch eventuelle Fehlzeiten, die negativ sanktioniert gewesen sein könnten – korrigiert Birthe diesen Eindruck: „Nein, nein, überhaupt nicht, Spray und Mittelchen, das nicht. Ich hatte nur, sagen wir mal, in diesen Stressphasen hatte ich meine Grippe, ansonsten habe ich schön funktioniert.“ (12) Entscheidend in dieser Phase des Arbeitens ist die ständige Wiederherstel-

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lung eines funktionsfähigen Zustands. An einem Punkt allerdings wird dieser quasi selbstregulierende Prozess durchbrochen: Da Birthe mit schulmedizinischen Behandlungsmethoden nicht einverstanden ist, beschäftigt sie sich zunehmend mit alternativen Heilmethoden: „Ja, und seitdem habe ich eben ganz viel probiert und das war der Startpunkt parallel meiner Beschäftigung mit alternativen Heilmethoden, mit Energiearbeit einerseits, auf der anderen Seite eben die Entwicklung weg aus diesem Hamsterrad, ja, das hat relativ gleichzeitig angefangen.“ (12) Die „Entwicklung weg aus diesem Hamsterrad“ wird angestoßen durch Veränderungen, die sich im so genannten Privaten ereignen, in der Sphäre der Reproduktion ihres Körperselbst: Die Wiederherstellung eines funktionstüchtigen Zustands gerät ins Stocken, woraufhin Birthe Wege einschlägt, die nicht in das bisherige System des Funktionierens passen. Die Praktiken der Wiederherstellung verschieben sich – und damit der Blick auf die Relevanz und die Mechanismen ihres Erwerbslebens. Der Weg, den sie damit einschlägt, wird gemeinhin für nicht realisierbar gehalten, zumindest was die Tätigkeit auf einer Führungsebene betrifft. Entgegen dieses Mythos’ hat Birthe eine Weise gefunden, „verändert drin zu bleiben“ (12), die sie in folgender Weise beschreibt: „Ich habe dieses relativ hohe Niveau, was ich in der Firma habe, das habe ich gehalten. Ich habe jetzt ein Projekt, eine Projektverantwortung, die relativ bedeutend ist für die Firma, weil das mit den neuen Regeln zu tun hat, die die Firma erfüllen muss. Das heißt, ich habe so eine richtig schöne Nische, in der ich 50 % arbeiten kann einerseits, auf der anderen Seite aber finanziell immer noch auf einem ganz angenehmen Niveau bin, das mir eben erlaubt, eben 50 % zu arbeiten und nicht mehr dann 100 % arbeiten zu müssen in der Firma.“ (12) Sie bewegt sich weiterhin in denselben professionellen Strukturen, allerdings hat die Reproduktion ihres Körperselbst im Sinne einer Beschäftigung mit sich selbst dazu geführt, nicht nur „drin zu bleiben“, wie die Interviewer_in formuliert, sondern „verändert drin zu bleiben“ (12), wie Birthe ergänzend betont. Interessanterweise macht sich die Veränderung vor allem in dem als privat erachteten Lebensbereich bemerkbar, in dem sich ihr berufliches Funktionieren in vielfältigen Situationen niederschlug: „Das sind so Beispiele, wir haben dann irgendwie von einem Wochenende aufs andere Wochenende geplant, und ich habe mich dann drauf eingestellt, wir machen dann Samstag das und das. Das musste ich dann einplanen und ich musste

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mich drauf vorbereiten. Und sie [die Partnerin, KW] ist halt relativ spontan, wenn sie dann irgendwie samstags gesagt hat, ja, wollen wir nicht das und das machen, dann bin ich ausgeflippt… Also es ging bis ins Privatleben hinein, dass ich völlig starr war und eigentlich überhaupt keinen Handlungsspielraum hatte. Und das Arbeiten mir auch nicht leicht fiel, weil es immer was mit halten zu tun hatte, mit funktionieren, mit leisten müssen und so weiter. Und ich würde nicht sagen, dass ich heute weniger leiste, ich bin, glaube ich, sehr viel effizienter mit den 50 % und mir macht es Spaß und ich finde es toll.“ (12 f.) Birthe beschreibt, wie sich Veränderungen für sie auch und gerade körperlich bemerkbar machen. Interessant ist dabei die Einschätzung, dass sie mit den 50 % nicht weniger leiste, sondern ihre Arbeit im Gegenteil als effizienter wahrnimmt.56 In der Beschäftigung mit sich selbst und dem Abstand, den sie durch diese Selbstpraktik zu ihrer Erwerbsarbeit gewonnen hat, wird es ihr möglich, die Kriterien „Leistung“ und „Effizienz“ neu auszutarieren. Die Energie oder der Aufwand also, den sie in die Reproduktion ihres Körperselbst investiert, erlaubt ihr eine Distanz, in der sie sich neu einrichtet und selbst positioniert. Mit der Entscheidung, auf dem einmal erreichten Level stehen zu bleiben, entsteht ein Potential an Gestaltung in ihrer Arbeit und ihrem Leben: „Das ist ja die große Lehre aus meinem Leben…, diese Entwicklung vom funktionierenden Hamsterradläufer hin zu einer, ich sage mal, selbst reflektierenden Person, die eben sich zurücksetzen kann und kann auf ihre Arbeit gucken und kann gucken, geht es mir da gut oder geht es mir da nicht gut, und die Freiheitsgrade hat, zu sagen, also das ist jetzt nicht gut, so und so und so und so, ich möchte es ändern, oder zu sagen, ja, ich bin damit zufrieden. Und das ist meine Geschichte, aber die hat natürlich auch immer einen lesbischen Anteil der Entwicklung, ja.“ (14) Als Zwischenbilanz lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass Birthe sich eine Selbstpositionierung erarbeitet hat, von der aus es möglich wird, Entscheidungen zu treffen und in die Bedingungen ihres Lebens gestaltend einzugreifen. Entscheidend für diesen Schritt ist, sich von der Verführungskraft vorgegebener Strukturen zu distanzieren. Der Bedeutung ihrer lesbischen Lebensweise in dieser erarbei-

56 Zu einer Analyse von Zeithandeln in Organisationen als inkorporiertes Geschlechterwissen vgl. Hofbauer (2008).

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teten Selbstpositionierung, dem „lesbischen Anteil der Entwicklung“, wie sie selbst formuliert, soll im Folgenden weiter nachgegangen werden. Fremdkörper Weiter nach den Strukturen ihres beruflichen Kontexts befragt, stellt Birthe insbesondere die Position ‚als Frau‘ ins Zentrum ihrer Betrachtungen. Wie es aus ihrer Perspektive zu einer dominanten Wahrnehmung von Frauen als „Fremdkörper“ kommt und welche Mechanismen für eine ständige Reproduktion dieses Eindrucks sorgen, wird im Folgenden anhand der Dimensionen ‚Frauen als Frauen‘, ‚Berufskleidung‘, ‚Die sind immer anders‘, ‚reflektiertes Leben‘ und ‚im System immanent‘ nachvollzogen. Frauen als Frauen Birthe bezeichnet es zunächst als den „normale[n] Status quo“ (16), dass die extreme Aufspaltung in Berufliches und Privates für Lesben und Schwule, nicht aber im selben Maße für Heterosexuelle gilt: „Nee, die sind immer ganz – ganz ganz – ja, so eine Aufspaltung geschieht eigentlich nur bei uns, ja, weil es ja da was im Zweifel zu verstecken gibt.“ (16) Die heteronormative Struktur ermöglicht – so der Eindruck – heterosexuell lebenden und sich verstehenden Personen eine relativ reibungslose Artikulation ihrer selbst und ihres Lebens – in den Worten Birthes: sagen zu können, „wie es ist“.57 Demgegenüber bedeutet es für sich als lesbisch oder schwul verstehende Menschen einen Aufwand, mit ihrer Lebensweise sichtbar zu werden, was zudem mit dem Risiko einer bedrohlichen Abwertung bis hin zum Ausschluss aus diesem beruflichen Kontext verbunden ist. Dabei geht Birthe tendenziell davon aus: „Bei Lesben wird es in der Regel noch viel weniger wahrgenommen, ja.“ (16) In diesem Zusammenhang nennt sie das Symbol der „Doppelaxt“, das als Erkennungszeichen für ein lesbisches Selbstverständnis getragen wird. Doch auch hier stellt sich die Frage, ob dieses Symbol über lesbische Kontexte hinaus bekannt ist und als solches

57 Die mit diesem „System des Wissens“ einhergehenden paradoxen Anforderungen an lesbische und schwule Seinsweisen hat Kosofsky Sedgwick (2003/1990) eingehend beschrieben.

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erkannt wird – oder ob es nicht eher der Konstituierung eines InsiderWissens um die sexuelle Lebensweise des Gegenübers zuarbeitet. Birthes Einschätzung einer Wahrnehmbarkeit und eines SichtbarWerdens lesbischer Lebensweisen verschiebt sich, wenn sie Kleidung und „so einen Kurzhaarschnitt“ (16) als spezifische Stilisierung und Praxen der Verkörperung hinzunimmt. Zu vermuten ist, dass Birthe hiermit auf eine als männlich wahrgenommene Stilisierung des eigenen Körpers und Auftretens anspielt, die zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch als Zeichen einer lesbischen Lebensweise gilt.58 Die Position von Schwulen innerhalb ihres Erwerbsarbeitskontextes beschreibt Birthe analog, wenn auch leicht verschoben: „Bei den Schwulen ist es so, es kommt immer drauf an, wie sie sind, ja. Also ich kenne viele Schwule bei uns in der Firma, da weiß ich, dass sie schwul sind, weil sie immer mit einem anderen Schwulen, den ich kenne, essen gehen, da würde man es so nicht merken. Also wenn sie nicht grade sehr, sehr tuntig daherkommen, können die das auch sehr gut verstecken, da merkt man es erst mal nicht so.“ (16) Auch hier wieder ist es das geschlechtlich als auffallend gerahmte Auftreten, das eine Wahrnehmung ‚als schwul‘ bestimmt. Entscheidend in dieser Schilderung ist, dass die Person selbst die Möglichkeit einer Steuerung zu haben scheint, ob und inwieweit sie mit ihrer sexuell-geschlechtlichen Verkörperung in Erscheinung treten will oder nicht. Birthes allgemeine Einschätzung ist: „Die Leute haben eigentlich da keine Wahrnehmung dafür, ja, und ich würde meinen, bei Frauen ist es noch stärker so. Also bis die das checken, da müssen sie wirklich mit der Nase drauf gestoßen werden, die Männer, die Männer müssen mit der Nase draufgestoßen werden, dass es eine Lesbe ist.“ (16) Sie beschreibt die allgemeine Selbstverständlichkeit, mit der Frauen eine heterosexuelle Orientierung in der Regel unterstellt wird – anders formuliert: Es ist die kulturelle Undenkbarkeit lesbischer Sexualität und Beziehung, die dazu führt, Frauen unter das allgemeine Diktum einer (sexuellen) Bezogenheit auf Männer zu subsumieren. Zugleich wird an dieser Stelle eine vergeschlecht-

58 Dieses Bild, das die verschiedensten Verkennungen impliziert, führt unter anderem dazu, dass sich insbesondere in Femininitäten bewegende Lesben einen hohen Aufwand betreiben müssen, um in ihrer differenten Selbstpositionierung sichtbar zu werden.

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lichte Hierarchie deutlich: Es ist eine männliche Perspektive, von der aus Birthe ihr Argument entwickelt. Aus einer Position ‚als Mann‘ geraten Frauen zunächst ‚als Frau‘ ins Blickfeld, womit ein heteronormatives Beziehungsfeld nicht nur reproduziert wird, sondern sich überhaupt erst konstituiert: „Also bei den Männern ist es auch Wurst, ob das jetzt nun eine Lesbe ist oder nicht, es ist dann nicht Wurst, wenn sie wahrscheinlich um dieselbe Stelle sich streiten.“ (16) Diese Einschätzung entspricht einer Konzeption von Professionalität, die Birthe für die Ebene von Führungskräften entwickelt hat: „Einfach sozusagen rausgelöst“ (9) aus sozialen Bindungen und dem unmittelbaren Beziehungsnetz vor Ort wird erst in einer Konkurrenzsituation die sexuelle Lebensweise zu einem Argument, das gegen die jeweilige Person in Anschlag gebracht werden kann. Vor diesem Hintergrund eines als männlich definierten Bezugssystems stellt sich die Situation in Bezug auf Schwule anders dar: „Die Männer haben Angst vor Schwulen und wehren sich da sehr stark dagegen.“ (17) Birthe erklärt diese Reaktion mit den vergeschlechtlichten Subjektpositionen: Während eine Selbstpositionierung ‚als Mann‘ dem Selbstverständnis nach mit Aktivität, Offensivität und Selbstbestimmung verbunden ist, wird diese Position in einem Beziehungsfeld, das sich nicht eindeutig heteronormativ organisiert, prekär: „Und das macht vielfach Angst, ganz vielfach Angst, und deshalb wehren sich viele so gegen Schwule, viele Heteromänner. Andere gibt es natürlich dann auch wieder, die haben dann so auch beide Seiten in sich und wehren sich aber gegen ihren – den anderen bisexuellen Teil. Aber ich führe die Abwehr der Männer von Schwulen darauf zurück… Und je tuntiger sie sind, je offensichtlicher sie sind, je stärker ist dann Abwehr.“ (17) Entscheidend ist wieder die Offensichtlichkeit, mit der ein heteronormatives Beziehungsfeld überschritten wird – erst in dieser Situation kommt es zu Unsicherheiten in einer Interaktion, die sich ansonsten offen homophob59 gestaltet: „Die reden auch über das Thema, wenn ein Schwuler dabei ist, von dem sie es nicht wissen, und machen dann ihre Witzchen da drüber, wie mein Chef, ja… Und da fühlen sie sich aber in keiner – fühlen sich aber in keiner Weise bedroht, weil sie wissen es von dem ja nicht. Wenn die es wüssten, oooh, dann wäre das dann gleich wieder

59 Zum offen homophoben Milieu in Londoner Handelsbanken vgl. die empirische Untersuchung von McDowell (1999).

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was anderes.“ (17) Der Eindruck einer persönlichen Bedrohung entsteht erst, wenn eine Selbstpositionierung ‚als schwul‘ – oder in der Steigerung ‚als tuntig‘ – beim Gegenüber wahrgenommen wird. Dies verschiebt die Beziehung von Männern untereinander – nicht nur im jeweiligen Bezug aufeinander, sondern auch in Bezug auf Frauen als notwendiges Außen einer sich durch Aktivität und Autonomie auszeichnenden Selbstpositionierung: „Also Lesben werden wie Frauen auch mit dem Thema Sexualität eigentlich nicht wahr-/ernst genommen, und da trifft eben die Lesben das Frauenthema, also da sind die Lesben halt auch Frau. Und das gilt für den gesamten Kontext Betrieb, Unternehmen, da zieht auch viel dieses Frauending, da wird auch nicht so genau hingeguckt, weil die sind da nicht so … ernst zu nehmen.“ (17 f.) Innerhalb dieser Matrix, die in hegemonial männlichen Subjektpositionen ihren Bezugspunkt hat, wird Frauen der Subjektstatus abgesprochen. Die Ebene, auf der sich das so beschriebene Geschlechterverhältnis organisiert, ist eine sexuelle: Es sind subjektivierende Praktiken, die über das Feld der (Hetero)Sexualität realisiert werden und Subjekte in bestimmte vergeschlechtlichte Positionen verweisen. Dementsprechend beobachtet Birthe in ihrem Erwerbsarbeitskontext eine starke Strukturierung durch die Geschlechterdifferenz. Während sie zunächst den glass ceiling-Effekt benennt und beschreibt als eine „Glasdecke, wo es irgendwie unklar ist, warum die Frauen da nicht weiterkommen“ (18), führt sie ihren Gedanken weiter: „Es gibt einzelne Frauen, die dann weiterkommen noch, die dann für mich aber auch viel übernehmen von dem, was eben als männlich-, männliche Führungsstile und so weiter ist.“ (18) Als Abgrenzungsfolie führt sie Frankreich an: „Das ist da viel, viel selbstverständlicher als bei uns. Und da können auch die Frauen als Frauen dann ganz anders sich ausdrücken. Und, ja, ich kenne aber viele Frauen, die dann auch eben sagen, ja, ich möchte dieses Spielchen nicht mitmachen, ich möchte eben nicht Golf spielen müssen oder nicht das und das und das machen müssen.“ (18) Vorgegebene Strukturen scheinen Frauen zwei Optionen zu bieten: sich in die Strukturen einzupassen und somit einiges von dem zu übernehmen, was an – in Birthes Worten: männlichem – Verhalten und Habitus erwartet wird, oder aber sich von diesem Weg in die Strukturen abzuwenden und an einem bestimmten Punkt auszusteigen oder auf einem gewissen Level stehenzubleiben, wie Birthe selbst es getan hat. Sie verzahnt dabei die Geschlechterdifferenzierung und ihre Erfahrungen in und mit dem System auf spezifische Weise: „Ich definiere natürlich

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weibliche Führung dann auch in einer gewissen Weise, ja… Nicht eben so zu tun, als wären das alles so Funktionsrädchen, also funktionierende Teile, die man halt hin- und herschieben kann auf einem Schachbrett und austauschen kann, die beliebig sind… Wenn eben dann schachbrettmäßig agiert wird und – dann ist das für mich eben Übernahme von – sagen wir mal, sehr pauschal natürlich … von männlichem Führungsverhalten.“ (19) Deutlich wird an dieser Beschreibung die Annahme, dass Frauen das von ihr beschriebene und als männlich wahrgenommene Verhalten erst übernehmen müssen, während sie es Männern von vorneherein zu spricht. Produktiv gewendet könnte diese Schilderung aber auch bedeuten, dass es für Frauen einen ungleich höheren Aufwand bedeutet, in den bestehenden Strukturen ein Führungsverhalten zu realisieren, während es Männern eher zugestanden wird. Im gleichen Sinne wird eine Aneignung dieses – von Birthe beschriebenen und als männlich bezeichneten – Führungsverhaltens von ‚als Mann’ positionierten Personen eher erwartet. Berufskleidung Zur Veranschaulichung beschreibt Birthe zwei Frauen, die es tatsächlich in die „oberste Verantwortungsstufe“ (19) geschafft haben: „Die waren sehr unterschiedlich von ihrem Typus her… Die eine war – die ist kräftiger, so ein bisschen Mami, gutmütig, und, würde ich sagen, eine weibliche Führungskraft in einem Feld, und die andere eben auch, und die war schmal, hager, sehr selbstbezogen und die hatte so eine typische männliche Attitüde, also nicht richtig zugehört, um sich selbst zirkulierend … und die waren ganz, ganz unterschiedliche Frauen eigentlich. Und die eine ist für mich ein typisches Beispiel dafür, wie eine Frau eigentlich, wenn sie Frau sein darf, normalerweise nicht agiert. Und die ist sicherlich – hat viel von diesen Dingen übernommen.“ (20) Birthe zieht die Geschlechterdifferenz heran, um unterschiedliche Führungsstile, aber auch Seinsweisen zu beschreiben. Während sie beim ersten Typus, den sie als mütterlich bezeichnet, weder eine Begründung anführt noch in Frage stellt, wie es zu diesem Auftreten in einem Erwerbsarbeitskontext (noch dazu auf höchster Führungsebene) kommt, spricht sie im zweiten Fall davon, sie habe „viel von diesen Dingen übernommen“. Diese Beschreibung unterstellt eine Entwicklung hin zu einem als männlich wahrgenommenen Stil, den Birthe auf Systemzwänge zurückführt: „Und die ist sicherlich – hat viel von diesen Dingen übernommen,

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weil sie sich in dem Bereich, in dem sie auch gearbeitet hatte, konform sozusagen sich zeigend verhalten musste, glaubte sie, um tatsächlich so weit zu kommen.“ (20) Hier ist interessant, genauer zu betrachten, was Birthe mit Konformität meint, und die Frage der Interviewer_in geht in Richtung Dethematisierung von Geschlecht: „Hat sie damit das Geschlecht, man könnte sagen, dethematisiert, indem sie so geworden ist, also hat sie ihr Frau-Sein immer mehr unwichtig gemacht?“ Die Überlegung von Birthe ist aufschlussreich: „Ja, ich weiß es nicht, sie ist immer akkurat und fraulich zurechtgemacht…, also optisch und so ist schon ganz – sitzt alles am rechten Platz. Sie trägt auch, glaube ich, immer Röcke, keine Hosen, immer Kostüm, ja, keine Hosen.“ (20) Die Dethematisierung besteht – ähnlich wie bereits in den Beschreibungen Toms herausgearbeitet – in einem straighten60 passing: Gerade indem sie ‚als Frau‘ intelligibel wird, kann Geschlecht in diesem Szenario in den Hintergrund rücken. Ihre geschlechtliche Positionierung ist dermaßen eindeutig, dass sie nicht über Praktiken der Sexualisierung unentwegt hervorgebracht werden muss – weder in ihrer Selbstwahrnehmung noch beim Gegenüber. Welche Effekte hat diese Selbstpositionierung ‚als Frau‘ auf einer höchsten Führungsebene? Birthes Einschätzung klingt ernüchternd: „Ja, ich weiß nicht, ich glaube nicht, dass man das jemals erreichen kann, egal wie man sich gibt und egal wie man den Führungsstil kopiert von Männern, ich glaube nicht, dass man auch damit sozusagen wirklich in diese Inner Circles reinkommt.“ (20) Diese „Inner Circles“ konstituieren sich durch einen Ausschluss von Frauen, der über vielfältige Praktiken hergestellt wird: „Für Frauen bringt es halt nichts, wenn sie irgendwie in Stripteaselokale mitgenommen werden … oder irgendwie Zigarren rauchend in irgendwelchen Clubs sitzen, wo sie eigentlich – wo sie dann auch nicht Zutritt haben teilweise, ja, immer noch nicht.“ (20) Die Formulierung „mitgenommen werden“ ist aufschlussreich, denn den Maßstab und den aktiven, definierenden Part in ihrer Beschreibung stellt eine als männlich vorausgesetzte Subjektposition.

60 Mit straight referiere ich in diesem Zusammenhang auf multiple Bedeutungen: Es bezeichnet Geradlinigkeit, vermittelt Direktheit und wird zugleich als Synonym für Heterosexualität eingesetzt.

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Es sind dabei nicht nur die ‚für Frauen‘ unpassenden Orte, die die anerkennenden Effekte eines passings obsolet machen, wie Birthe weiter ausführt: „Es ist auch ab einem gewissen Punkt ganz egal, wie sehr man versucht, das zu tun, irgendwann bleibt das Thema da: Man macht eben mit einer Frau keine Witze über – weiß ich nicht, über Frauen. Oder man kann sich mit einer Frau nicht austauschen über seine Probleme mit seiner Frau zu Hause und den Kindern. Ja, also da gibt es einfach bestimmte Ebenen, die zwischen Mann und Frau nicht gehen, egal wie sehr sich die Frau da angleicht.“ (20) Deutlich wird in dieser Beschreibung nicht nur das heterosexuelle Arrangement, das den Maßstab in einer Vielzahl möglicher Lebensweisen vorgibt, sondern auch die Konstituierung einer männlichen Subjektposition, die über das weibliche Außen hergestellt wird. Die hier angeführten Situationen erinnern an den Eindruck einer Durchmännlichung, den Doris beschrieben hat: als einen Kodex, in den Männer ‚als Männer‘ einwilligen und sich somit in einer ‚als männlich‘ wahrgenommenen Subjektposition relational hervorbringen und permanent bestätigen. Auch hier kommt die mit Autorität und Definitionsmacht ausgestattete Perspektive einer männlichen Selbstpositionierung zum Ausdruck, die über den Ausschluss von – und die sexualisierende Bezugnahme auf – Frauen funktioniert. Diesen Mechanismus, den Birthe als „Inner Circle“ bezeichnet, spüren diejenigen, die sich zwar einen Karriereweg über eine Selbstpositionierung ‚als Frau‘ gebahnt haben, an dieser Grenzziehung allerdings scheitern müssen. Auch eine Bewegung hin zu als männlich wahrgenommenen Körperpraxen scheint Birthes Erfahrungen nach nicht gangbar: „Ich meine, dann sollen Dinge kommen wie – ob sie sich dem eher aussetzt oder so – das ist dann so was wie Mannweib, ja, oder so, das kann ich nicht sagen. Bei ihr [der vorher beschriebenen Führungskraft, KW] bietet es sich von der Figur her an, sie ist klein und zierlich. Aber bei mir hat es eine Zeit lang – in mir hat es auch einer Überzeugung bedurft, dass ich – ich bin immer im Kostüm in die Firma, ich habe niemals Hosen angezogen. Irgendwann habe ich mir erlaubt, Hosen anzuziehen, aber das war für mich erst mal ein Entwicklungsschritt.“ (21) Die körperbezogene Beschreibung einer der beiden weiblichen Führungskräfte als „klein und zierlich“ verhindert die Bewegung hin zu einem eindeutig als männlich wahrgenommenen Sein, für das wiederum eine bedrohliche Bezeichnung als Sanktion im Raum steht. Wie auch von Doris betont, wird auf körperliche Marker Bezug genommen, um

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Menschen in eindeutig vergeschlechtlichten Bahnen und Positionen zu halten. Wenn Birthe sich selbst in Differenz zu der als „klein und zierlich“ beschriebenen Führungskraft setzt, so betont sie den hohen Aufwand, den es für sie in diesem Kontext bedeutet, ‚sich irgendwann zu erlauben, Hosen anzuziehen‘. Was sie selbst als einen „Entwicklungsschritt“ bezeichnet, kann als eine Souveränität gedeutet werden, die sie sich in den Jahren ihrer beruflichen Tätigkeit erarbeitet hat und nun leisten kann. Wenn Birthe konstatiert: „Jetzt ziehe ich zum Beispiel nie mehr Röcke an“ (21), dann ist dies Resultat einer Veränderung, die sie in ihrer Berufslaufbahn vollzogen hat. Interessant ist die Begründung, die sie aktuell heranzieht: „Weil ich ziehe so auch keine Röcke an.“ (21) Ihr Erwerbsleben scheint durchlässiger geworden zu sein für das, was sie lange Zeit als ihr Privatleben angesehen und aus der Sphäre ihrer Erwerbsarbeit ausgeschlossen hat. Birthe benennt dabei die Selbstverständlichkeit, mit der sie vormals ihre als weiblich markierte Kleidung innerhalb ihres Erwerbsarbeitskontexts getragen hat: „Nee, das war meine Berufskleidung, man geht ja auch nicht mit dem Smoking ins Schwimmbad, das war meine Berufskleidung. Das erste, was ich gemacht habe, wenn ich nach Hause kam: Ich habe das von mir geworfen und mich normal angezogen für mein Privatleben.“ (21) Die Geschlechterdifferenz ist in die Berufskleidung eingeschrieben und erscheint an diesem Ort – auf der höheren Führungsebene eines großen Unternehmens– funktional und passend. In diesem Sinne kann eine gelingende Geschlechterperformance – mit ihren heteronormativen Implikationen – als Teil der erwartbaren beruflichen Leistung angesehen werden. Die sind immer anders. Birthe räumt der Wahrnehmung von Geschlechterdifferenz eine hohe Priorität in den Praktiken auf Führungsebenen ein: „Ich denke, Lesben werden im Wesentlichen in erster Linie als Frau wahrgenommen, nicht als Lesbe, weil wenn es dann – also speziell in Führungsbereichen dann um Positionen geht, dann geht es nicht mehr um das Thema Sexualobjekt sozusagen.“ (21) Auf die erstaunte Nachfrage der Interviewer_in relativiert und kontextualisiert Birthe ihre Beobachtung: „Also vielleicht irgendwo, ich sage mal, auf unterer Ebene, aber, ich sage mal, in dem Moment, wo man wirklich auf einer Augenhöhe und auf eine Konkurrenz dann auch ganz deutlich klar für alle, dann geht es nicht mehr darum.“ (21) Birthe verortet Praktiken der Sexualisierung auf unteren Hierarchieebenen – was die Vermutung zulässt,

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dass relationale Positionierungen hier durch gegenseitige Bezugnahmen hergestellt werden. Auf einer Führungsebene hingegen scheinen heteronormative Maßstäbe nicht ausschließlich in relationalen Selbstverortungen, sondern vielmehr gegenüber Dritten als Argument zum Einsatz gebracht zu werden: „Es ist immer das Argument, was weiß ich, ich habe eine Familie zu ernähren, Kinder und hmhmhm, und die ist ledig und Frau und so oder hat noch einen Mann, der arbeitet, ich kann mir durchaus vorstellen, dass solche Argu-, solche Dinge kommen.“ (21 f.) Deutlich wird die Legitimität, mit der das männliche Ernährermodell als Norm – aller Vervielfältigung von Lebensweisen zum Trotz – in diesem Kontext weiterhin Geltung beansprucht. Während dieses Bild ganz selbstverständlich Sorgebeziehungen und Verantwortlichkeiten hinsichtlich eines als männlich markierten Bezugspunktes anordnet und aktualisiert, ist an dieser Stelle nur abzuleiten, dass lesbische oder schwule Lebensweisen in diesem Zusammenhang als Zeichen individueller Autonomie ohne konkrete Verbindlichkeiten eingesetzt werden.61 In diesem Sinn spielen als privat erachtete Lebensweisen durchaus eine entscheidende Rolle in der professionellen Selbstpositionierung. Dass sie zumindest als legitimes Argument angeführt werden, ist dabei eher eine Vermutung als eine Erfahrung, denn Birthe ist nicht in einer Position, in der diese Praktiken für sie sichtbar werden: „Also es ist einfach, wenn man in einer Führungsebene ist, dann gibt es so dumpes Mobbing, sichtbares Mobbing nicht, würde ich behaupten. Ja, also für mich ist dieses Gleichstellungsgesetz praktisch gar nicht handhabbar im Sinne von: Wen soll ich anklagen? Also – ich kriege es ja gar nicht mit.“ (22) Die hier beschriebenen Ausschlüsse finden in einem wenig regulierten informellen Bereich statt: Wie im Interview mit Doris herausgearbeitet, lassen sich formale Anhaltspunkte für bestimmte Karriereverläufe und Personalentscheidungen kaum rekonstruieren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob es auf einer Führungsebene überhaupt den Raum gibt, sich in sexuell-geschlechtlich differenter

61 Dass und auf welche Weise diese heteronormativ gerahmte Wahrnehmung lesbischer und/oder schwuler Lebensweisen im Kontext neoliberaler Strukturierungsprozesse mit einer „Verführung in die privatisierte Verantwortung“ einhergeht, analysiert Engel (2009); vgl. auch Lorenz/Kuster (2007b).

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Weise zu bewegen. Birthe betont zunächst die Selbstverständlichkeit, mit der sich Geschlecht in konkreten Körperpraxen artikuliert: „Ja, gut, ich meine, es gibt natürlich, dass man Hosenanzüge an hat, ja, aber die sind immer anders. Also – Frauen ziehen sich einfach anders an, auch wenn sie Hosenanzüge an haben, also das ist – Die wenigsten, die ich kenne, sind dann genauso dunkelblau, grau, schwarz. Oder da sind noch andere Accessoires dran, entweder die hochhackigen Schuhe oder ein nettes Tuch oder eine bunte Bluse. – Ich meine, das ist ja auch – also die Frauen sind einfach als Frauen sozialisiert und dazu zählt eben auch die Kleidung und deshalb sind sie anders, sehen sie anders aus.“ (23) Wenn Birthe die Kleidung von Frauen in ihrem Erwerbsarbeitskontext als „immer anders“ wahrnimmt, führt sie dieses ‚Anders-Sein‘ zunächst auf Sozialisation zurück. Aus dieser Perspektive bringen Frauen ein Anders-Sein in den Erwerbsarbeitskontext ein. Zugleich aber verweist die Wahrnehmung eines Anders-Seins immer auf die Funktionsweise einer Norm, die in diesem Kontext durch eine kulturell definierte hegemoniale Männlichkeit bestimmt ist. Es ist der heteronormative Subtext, der sie ‚als Frau‘ auf spezifische Weise – als Gegenüber einer männlich markierten Subjektposition – platziert. Birthe beschreibt ihren Umgang mit diesem Arrangement in folgender Weise: „Ich habe mir zum Beispiel immer das Recht herausgenommen, sehr bunt da einzulaufen, ich habe keine grauen Jacketts oder braune, ich habe nur bunte.“ (23) Wenn sie auf diese Weise in die Geschlechterdifferenz hineingeht, „überdramatisiert“ sie – um einen treffenden Ausdruck von Doris (6) zu verwenden – die Performance, die ihr ‚als Frau‘ in diesem Kontext zugestanden wird.62 Während Doris allerdings versucht, ihre Position ‚als Mann‘ abzusichern, begibt Birthe sich in die Rolle ‚als Frau‘ aktiv hinein und setzt sich verstärkt von der Norm – einer durch neutrale Farben hergestellten Wahrnehmung von männlicher Professionalität – ab. Dieses Verhalten versteht sie als Recht, das sie sich herausnimmt, während sie den Spielraum bei Männern als sehr viel enger einschätzt, wie sie an einer aufschlussreichen Erzählung aus ihrer eigenen Erfahrung verdeutlicht: „Würde für einen Mann nicht gehen, nee, der kann sich durch seine Krawatten und seine Hemden etwas abheben, aber da wird er dann auch zur

62 Zu einer Interpretation dieses Verhaltens als eine Strategie der Selbstermächtigung gerade bei erfahrenen weiblichen Führungskräften vgl. McDowell (1999).

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Zielscheibe. Zum Beispiel mein Vorstand damals, mit dem ich gut bekannt war, der hatte immer sehr – der hatte immer ein passendes Einstecktuch zu seiner Krawatte, und er hatte immer sehr farbige Krawatten, der hatte auch mal eine rosa Krawatte angehabt, so richtig schön knallig. Und da ist dann schon auch mal was gesagt worden… Ja, so nach dem Motto – er hat ja einen besonderen Geschmack. Ich meine, er war eine besondere Person, also wer die Person nicht angreifen wollte, die halt eben – hhm, er hatte seine Wesenszüge, ja, er hatte auch eine gewisse – er war auch narzisstisch in einer gewissen Weise, wer ist das nicht mit so einem Level, aber auch extrovertiert narzisstisch sozusagen [lacht]. Ja, da wird dann nicht gegen den Mensch argumentiert, sondern da hängt man es an der rosa Krawatte auf. Oder dass er die und die Schuhe trägt, ja – es ist ja dann immer nur Vehikel. Ich glaube, natürlich, wenn eine Frau das machen würde mit dem Anzug und sich so angleichen würde, dann würde das sehr wohl auffallen, das würde einfach irritieren, es würde ihr nicht zum Vorteil gereichen in irgendeiner Form.“ (Birthe, 23) Fokussiert wird in dieser Einschätzung nicht Männlichkeit per se, sondern vielmehr die Differenz, in der sich ein Sein ‚als männlich‘ zunächst über neutrale Farben und Kleidung konstituiert, die aber wiederum nur bestimmten Körpern zugeschrieben wird und vorbehalten ist. Interessant ist die Beobachtung, dass „eine besondere Person“, wie Birthe ihren Vorgesetzten beschreibt, über ihren – immer geschlechtlich wahrgenommenen – Ausdruck in Form von Kleidung kritisierbar wird. Durch die Involviertheit der sexuell-geschlechtlichen Performance in die Wahrnehmung von Leistung stellt diese Ebene der Passung in der Konsequenz eine Möglichkeit dar, die Person in ihrer Professionalität in Frage zu stellen. Deutlich wird eine Differenzierung nach Geschlecht, die sich über bestimmte Vorstellungen des Angemessenen und Passenden beständig re/produziert, wie Birthe in Bezug auf die Realisierung von Maskulinität ‚als Frau‘ konstatiert: „Ja, sie würde auffallen und in dem Moment, wo man auffällt, sind ja sozusagen andere Verhaltensmuster gefragt auf der anderen Seite, das ist ja das, was es so schwierig macht“ (24). Es ist die Ebene der Relationierung, die in den Momenten schwierig wird, in denen bestimmte geschlechtliche Positionierungen nicht den Erwartungen entsprechend in eindeutiger Weise eingenommen werden. Darüber hinaus macht Birthe deutlich, dass sich gerade über vereindeutigte Positionen Räume herstellen, in denen kontinuierlich an bestimmten Ein- und Ausschlüssen gearbeitet

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wird: „Ja, das ist ja auch das, was die Frauen so unangenehm macht in den Männerzirkeln, ja, da lernt so ein Mann, welche Verhaltensregeln er an den Tag legen muss unter seinesgleichen, um voranzukommen, und dann tritt in so einer Zigarrenplauderstunde plötzlich eine Frau rein, und dann verändert sich ja grundlegend das, was da abläuft. Dann müssen sie irgendwie ein anderes Programm anschalten nach dem Motto, wie verhalte ich mich jetzt Frau gegenüber…, das ist einfach ein Fremdkörper.“ (24) Gesellschaftliche Räume stellen sich darüber her, dass bestimmte Verhaltensweisen gepflegt und artikuliert und Positionen eingenommen werden. Deutlich wird dabei, dass auch Männer, die sich in dieser Weise ‚als männlich‘ positionieren und in diesem Raum bewegen, die hier erwarteten und gepflegten „Verhaltensregeln“ lernen und sich diese Form hegemonialer Männlichkeit aneignen müssen. Reflektiertes Leben Frauen, die in höheren Führungspositionen arbeiten, sind mit einem Regime an Handlungsanweisungen konfrontiert, die als gesellschaftlichen Erwartungen an ‚Frau-Sein‘ zuwiderlaufend gerahmt werden. Der Aufwand, den es demnach für Frauen bedeutet, den Anforderungen einer Führungskraft auf höherer Managementebene zu entsprechen, scheint so hoch, dass Birthes Einschätzung zufolge viele Frauen sich an bestimmten Punkten gegen ein Weiterverfolgen der Karriere entscheiden: „Wenn man sich sein FrauSein bewahrt und nicht es schafft, nicht Hamster zu sein in seinem Hamsterrad, dann kann ich mir vorstellen, dass die überwiegende Anzahl der Frauen hier in Deutschland eigentlich auch ab einer bestimmten Ebene dann sagt, ich möchte das nicht so, und so lange das sozusagen Gesetz ist, möchte ich das nicht so. Weil ich meine, man kann nicht wirklich sich selbst verwirklichen.“ (25) Birthe spricht von der Vorstellung, sich im Beruflichen selbst verwirklichen zu können – ein Anspruch, der in einem als männlich markierten Feld gerade für Frauen einen hohen Aufwand zu bedeuten scheint, wie Birthe hervorhebt. Zugleich ist an dieser Formulierung interessant, dass das „Gesetz“, von dem sie spricht, nicht etwa als männlich gekennzeichnet ist, sondern vielmehr als „Hamsterrad“. Dieses bezeichnet ein Funktionieren im System – was zunächst für Frauen wie Männer immer auch heißt: als Teil von Leistung bestimmten Anforderungen an ‚Frau-‘ beziehungsweise ‚Mann-Sein‘ zu genügen.

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Eine Selbstverwirklichung in dem Sinn, das eigene Potential in und durch Arbeit zu realisieren, gelingt in diesem Bereich – auf der Ebene des höheren Management – aber nicht nur in vergeschlechtlichten, sondern in nach Geschlecht hierarchisierten Grenzen. Die auf diese Weise regulierte und in Bahnen gelenkte Produktivität sorgt schließlich für eine immer enger werdende und fokussierte Verteilung von Jobs und Ressourcen: „Und bis zu einer bestimmten Ebene sind wir [Frauen, KW] sozusagen jetzt gekommen, aber jetzt geht es sozusagen ans Eingemachte, jetzt geht es ja wirklich daran, dass die Pfründe geteilt werden müssten…, da gibt es zu viel Angst, ja, ich meine, die Angst ist ja Teil ihres Systems, der Männer, und dann freiwillig zu sagen, ja, ja, ich gebe jetzt mal einen Teil weg von dem, was sie sich hart erarbeiten, das ist ja in sich unsinnig.“ (25) In dieser Aussage wird deutlich, dass eine als spezifisch männlich markierte Positionierung Teil des Erarbeiteten ist und eine zentrale Stellung innerhalb eines heteronormativen Bezugssystems einnimmt. Auf die Frage der Interviewer_in, worauf sich die Angst bezieht, benennt Birthe: „Ja, nicht der beste, schnellste, hmhm zu sein, meine Frau, mein Haus, mein Boot, mein Pferd.“ (25) Eine als männlich definierte Subjektposition stellt sich in diesem Sinne über einen verobjektivierenden Blick auf Beziehungen her, sei es die Partnerin, seien es Prestigeobjekte oder auch die Vorstellung und Präsentation der eigenen – privilegierten – Lebensweise. In diesen Prozessen der Verobjektivierung, die auch Doris als zentrales Moment in der Konstituierung einer männlichen Subjektposition anführt, sind Frauen nur bestimmte, darauf bezogene Plätze vorbehalten. Diese Haltung, in der sich eine spezifische Lebens- und Arbeitsweise konstituiert, die Birthe als männlich bezeichnet, hat ihr zufolge einen Preis, den sie selbst für sich abwägt: „Ich finde es aber persönlich nicht wirklich schlimm, so lange ich meine freie Entscheidung habe, ob ich da mitspiele oder nicht, das ist mir viel, viel wichtiger. Es ist mir viel wichtiger, dass ich so sein kann, wie ich bin, als hinter etwas herzulaufen, was mir nicht entspricht.“ (26) In dieser Aussage kommt die Verführungskraft zum Ausdruck, die machtvolle und ermächtigende Subjektpositionen innerhalb einer symbolischen Ordnung entfalten. Vergeschlechtlichte Positionen in diesem Kontext fordern ein hohes Maß an Effizienz und Leistungsbereitschaft, das Birthe nicht mehr bereit ist, weiter voranzutreiben. Wenn sie von „freier Entscheidung“ spricht, führt sie diese Option auf ihre Positionierung als Frau zurück: „Und da sehe ich auch einen Vorteil drin oder ein Privileg der

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Frauen, weil wir kommen durch die Situationen, in die wir kommen, die eben nicht vorgezeichnet sind, immer wieder in Situationen, wo wir uns reflektieren müssen, und das gilt dann halt für Lesben und Schwule noch mal mehr, und andere kommen eben nicht da rein.“ (26) Deutlich wird in dieser Beschreibung das heteronormative Bezugssystem, in dem Menschen auf unterschiedliche Weise positioniert sind. Die Notwendigkeit, sich selbst in diesem System zu reflektieren, entsteht aus dem Abstand, den einzelne zu dem als Zentrum definierten Bezugspunkt einnehmen, wie auch aus dem Aufwand, der aufzubringen ist, wollen sie in diesem System eine Position einnehmen (vgl. Wagenknecht 2004). Dieses Prinzip gilt ebenso für Männer, die angehalten sind, sich Formen hegemonialer Männlichkeit anzueignen beziehungsweise in diese hineinzugehen und zu realisieren: „Ich habe gute, liebe Kollegen, der eine zum Beispiel, der ist – der sprießt vor Neurodermitis. Glaubst du mal, der würde irgendwie auf die Idee kommen, dass das was damit zu tun hat, dass er zu viel arbeitet, dass er zu viel Druck hat, dass er 100.000 Zigaretten pro Tag raucht, Kaffee trinkt, der kommt da gar nicht drauf, dass er daran was ändern könnte, dass er drauf achten könnte überhaupt, dass es ihm besser geht als Mensch mit seinem Körper und dass er damit ein bisschen vorsichtiger und liebevoller umgeht, der kommt da gar nicht drauf.“ (26) In Birthes Beschreibung scheint auf, was Josch Hoenes (2007) als Modus einer „entkörperten geistigen Elite von Anzugträgern“ (ebd., 142) bezeichnet. Der Gedanke, „dass er daran was ändern könnte“, ist ein Hinweis darauf, dass es konkrete Praktiken sind, in denen sich Lebens- und Arbeitsweisen herstellen. Die Form des Arbeitens und beruflichen Seins wird dermaßen selbstverständlich, dass sie als Teil des Selbst nicht mehr zur Reflektion steht. Dieses Selbst, das sich im Rahmen des beruflichen Lebens formt, konstituiert sich über Vergeschlechtlichung ebenso wie über Positionierungen, in denen Vorstellungen von Bildung, Klasse und Ethnizität transportiert und verhandelt werden. Körperliche Grenzen und Barrieren – die Birthe bezogen auf sich selbst als „mein Asthma“ (Birthe, 26) bezeichnet – geben Anlass, den notwendigen Aufwand, den es bedarf, um bestimmte Subjektpositionen einzunehmen, nicht nur zu reflektieren, sondern überhaupt erst wahrzunehmen. Die Chance auf ein reflektiertes Leben, wie Birthe es nennt, liegt in dem Abstand zu normativen Idealbildern, was sie zu folgendem Resümee veranlasst: „Im Sinne von Gleichberechtigung,

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Geld, Ruhm, Macht ist es wahrscheinlich nicht so toll, ja, aber es ist die Frage, wie man das halt gewichtet für sich.“ (27) im System immanent Subjekte unterscheiden sich in der Einnahme gesellschaftlicher Positionen durch den Aufwand, der ihnen innerhalb eines Systems gesellschaftlicher Normvorstellungen und hegemonialer Idealbilder abverlangt wird.63 Birthe benennt für ihren Erwerbsarbeitskontext zunächst ihr Frau-Sein, das diesen Aufwand durch die darauf bezogene Außenwahrnehmung bestimmt: „Ja, also ich meine, in jedem Falle ist es so, man muss mehr tun – man muss mehr tun und besser sein und dann kann man vorankommen. Man muss den richtigen Chef erwischen, man muss die richtige Situation erwischen, das gilt für alle so, aber ich sage mal, es gibt auch genügend Chefs, die auch Frauen fördern, man darf aber an keinen geraten, der dann mal zwei eingestellt hat, die dann beide hintereinander schwanger wurden, ja, das ist immer noch ein Thema, ja, wo es sozusagen an den Komfort des Chefs geht, der dann plötzlich auf jemand verzichten muss.“ (27) Der „Komfort des Chefs“ stellt sich relational über die Leistungen der Mitarbeitenden her. Schwangerschaft als körperlicher Prozess und gesellschaftlich gerahmtes Ereignis bildet das Außen des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Die Formulierung, „wo es … an den Komfort des Chefs geht“, macht deutlich, dass Schwangerschaft einer Mitarbeiterin oder Lebens- und Familienplanung als defizitäre Größen im System auftauchen. Interessant ist die Bewertung, die Birthe aus ihren Beobachtungen im beruflichen Bereich ableitet: „Das ist völlig absurd, weil wenn er Männer gut ausbildet, die sind dann weg, weil sie eben einen besseren Job irgendwo finden, weil sie weiter Karriere machen wollen. Das wird aber im System immanent angesehen und das ist dann auch okay, blöd, aber okay, während eine Frau, wenn sie schwanger wird, ist es einfach unbequem, ja. Ich weiß nicht, wo der Unterschied ist, aber von der Wahrnehmung her ist da ein Unterschied von den Chefs. Und deshalb sagen sie, ich nehme lieber Männer, finde ich gaga, weil die sind auch weg, nur halt nicht, weil sie schwan-

63 Lorenz (2007; 2009) arbeitet in diesem Zusammenhang mit dem Konzept der Anrufungen von Althusser und dem Begriff der dominanten Fiktion von Kaja Silverman.

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ger sind, aber so ist das.“ (27) Die Möglichkeit einer Schwangerschaft wird zum expliziten Mittel, eine Wahrnehmung und Markierung als ‚weiblich‘ aufzurufen und zugleich eine Ungleichbehandlung zu legitimieren. Auch wenn Birthe die daraus abgeleitete Logik ad absurdum führt, bescheinigt sie ihr nach wie vor eine hohe Relevanz in den jeweiligen Einstellungs- und Laufbahnpraktiken. Diese wiederum sind in Birthes Darstellung ganz selbstverständlich mit einer männlichen Subjektposition assoziiert. Demgegenüber werden Fragen von Familienplanung ganz selbstverständlich Frauen zugeordnet, während sie bei Männern nicht abgefragt zu werden scheinen: „Ja, es heißt, viel leisten, mehr leisten, möglichst nicht schwanger sein oder sagen, meine Familienplanung sieht so und so aus, ja, das ist es. Das bringt mal – zumindest bis zu einem bestimmten Level bringt einen das. Und wenn man dann sagt – wenn man sich dann dafür entscheidet, dass man sich auf die Spiele nicht einlässt, limitiert man sich ja selbst. Wenn man sagt, ich will es probieren, dann irgendwann, denke ich, ist das System schon auch da und stoppt einen. Ist natürlich branchenspezifisch, ja, aber im Finanzsektor ist es sicherlich so.“ (27 f.) Entscheidend sind die Aspekte von Produktivität, die diese Passage enthält: Über das Konzept der Familienplanung wird ‚Frau-Sein‘ in diesem Kontext in erster Linie aufgerufen und markiert. Für Frauen bedeutet es einen hohen Aufwand, dieser Wahrnehmung entgegenzuarbeiten und sie über Leistung zu kompensieren. Werden an dieser Stelle die innerhalb des Systems hoch bewerteten und zu erwartenden Inhalte transportiert, kann mit diesem Vorgehen eine bestimmte Ebene erreicht werden. Eine weiterführende Frage ist dann, ob eine Beteiligung an den ernsten Spielen des Wettbewerbs möglich und gewollt ist. Dies suggeriert eine Entscheidungsmöglichkeit der beteiligten Subjekte, die so von vornherein nicht gegeben ist. Die Bemerkung, sich gegen diesen Weg zu entscheiden bedeute eine Limitierung seiner_ihrer selbst, bringt die Produktivität und die Verführungskraft zum Ausdruck, mit denen die Einnahme einer Subjektposition als Wunsch nach und als Versprechen von Selbstverwirklichung belegt ist. „…sich zeigend verhalten…“ In den Ausführungen Birthes wird klar, dass eben nicht alle Subjekte gleichermaßen an diesen Spielen teilnehmen. Die verführerische Kraft der Gleichheitsrhetorik verleitet dazu, sich an diesem Wettkampf der Produkti-

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vität zu beteiligen und zu verausgaben. Dennoch scheint es eine Grenze zu geben, die Frauen stoppt – und zu vermuten ist, dass der neuralgische Punkt der Entwurf einer weiblichen Subjektivität auf höchster Führungsebene ist. Dass dieses Desiderat auch auf der rechtlichen Ebene nicht einzuholen ist, führt Birthe für die USA aus: „Dass die halt klagen können, dass das sehr viel schneller Konsequenzen hat, was aber auch nicht wirklich weiterbringt, dann sind sie raus, ja.“ (28) Wie nun kann eine als weiblich markierte Subjektivität auf höchster Führungsebene aussehen? Erleichtert möglicherweise die Form einer female masculinity die Bewegung und Anerkennung in einem durch hegemoniale Männlichkeit markierten Feld? Birthes Einschätzung ist aufschlussreich und eindeutig: „Die Frage ist ja, was kann ich da tun, um der Konkurrentin zu schaden – und da wird dann alles das, was eben nicht die Norm ist, genutzt, da bin ich hundert Pro sicher, und da würde eben auch das eine Rolle spielen. Und wenn es dann drum geht, Positionen zu besetzen, die dann auch mit einer gewissen Repräsentation oder Außenwirkung oder so zu tun haben, und man kriegt dann gesagt, na ja, da hast du aber ein Mannweib dann da sitzen, dann überlegt sich natürlich der Vorgesetzte auch, okay, ist das dann mit den Aufgaben und auch Repräsentationspflichten und Außenwirkung so günstig oder nicht. Ob das jetzt nun bewusst abläuft, ob das unbewusst abläuft, aber sicherlich wird das genutzt. Deshalb glaube ich nicht, dass sozusagen wenn eine Frau sich versucht, auch äußerlich irgendwie den Männern anzugleichen, dass es irgendeinen Nutzen hätte, im Gegenteil, sie haben dann eher Schwierigkeiten mit Frauen, die Frauen sind, gut sind, da zu argumentieren als sozusagen jemand, der sich dann außerhalb des Systems stellt, da wird das eben so benannt.“ (28 f.) Das straighte passing scheint in diesem Kontext die Voraussetzung für die Arbeit an einer als weiblich markierten Subjektivität zu sein beziehungsweise dazu gemacht zu werden. Es sind gerade „Frauen, die Frauen sind“, die für einen Ausschluss aus dem System nur noch schwer Argumente bieten. Auffallend an dieser Passage ist die Relationalität, mit der vergeschlechtlichte Realisierungen eines Selbst auf jeweils andere – in diesem Fall „den Vorgesetzten“, wiederum in männlicher Form – verweisen. Die vergeschlechtlichte Performance in ihrer heteronormativen Form ist somit Teil der zu erwartenden Leistung: Differente Selbstpositionierungen im sexuell-geschlechtlichen Raum wirken als potentielles Defizit oder Manko in den Kontext zurück und werden – so ist zu vermuten – mit Ausschluss sanktioniert.

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Vor diesem Hintergrund beschreibt Birthe ihre Entscheidung, auf dem einmal erreichten Level stehenzubleiben, als „ein ganz hohes Gut, was sich aber auch erst über die Zeit entwickelt hat in meiner Wahrnehmung auch, in meiner Veränderung“ (29). Wenn sie ihren persönlichen Weg rekonstruiert, verortet sie sich eindeutig ‚als Frau‘, denn: „Also tendenziell spreche ich es Frauen eher zu, dass sie eben mit einem Abstand auch draufgucken können und können sagen, ich setze mich halt zurück und frage mich mal, was treibe ich denn hier eigentlich.“ (29) Die Identifikation ‚als Frau‘ erscheint in diesem Kontext als eine Möglichkeit, Distanz zum Geschehen einzuziehen und das eigene berufliche Tun mit den herrschenden Erwartungen abzugleichen. Für Birthe bedeutete das weitere Verfolgen einer Laufbahn: „Ich hätte mich mehr noch den Konventionen und dem Üblichen angleichen müssen.“ (29) Mit diesem „Angleichen“ beschreibt sie Prozesse der Subjektivierung, die im sozialen Miteinander, im informellen Bereich statt finden: „Wenn man dann eben auf so große Events geht, da gibt es dann eben Tagesprogramm, Abendprogramm, Nachtprogramm, und ich gehe um zehn ins Bett, wenn ich müde bin. Und dann gehe ich nicht, weil mein Chef bis um vier Uhr gerne in der Disco rumhängt, mit dem in die Disco. Aber viele machen das, die versuchen, so lange da zu sein wie der, damit sie nichts verpassen. Die lernen Golf spielen, weil sie wissen, der spielt Golf, ja, oder viel wird dann eben beim Golf spielen dann doch mal besprochen. Man legt sich dann das und das Auto zu, man tut das und das und das, also.“ (29 f.) Birthe beschreibt – so der Eindruck, der entsteht – das Geschehen, das sie zuvor als „socializing“ (29) bezeichnet hat, aus einer Außenperspektive: „Also man muss ja versuchen, dahin zu kommen, wo die anderen auch sind, und da muss ich natürlich mit machen, ja.“ (30) Ein so gefasstes Arbeitspensum gilt es, auch auf einer körperlichen Ebene mitzutragen, wie folgende Anekdote auf den Punkt bringt: „Und die waren alle völlig geplättet, nur dieser Chef-Chef, der hat also – der kann wahrscheinlich nicht schlafen, wahrscheinlich gar nicht, der hat dann, nachdem alle schon irgendwie mit Jet Lag und so – die waren schon alle tot und waren schon am Einschlafen wirklich, die konnten sich schon nicht mehr berappeln, dann sagt er: ‚Ja, dann fahren wir jetzt noch in die Disco.’ Und dann sind die noch mitgefahren… Und das müsste man tun, die Spiele muss man mitspielen, so weit man sie als Frau mitspielen darf.“ (30 f.) Es ist die Frage, ob sich auf diesen Ebenen des höheren Managements spezifische Formen weiblicher Subjektivität herausbilden, die ein Mitspielen ‚als Frau‘ in und

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mit heterosexualisierten Verhältnissen, die vergeschlechtlichte Positionen mit einem als männlich definierten Bezugspunkt voraus- und einsetzen, möglich machen. Als politisches Ziel formuliert Birthe aufgrund eigener Aktivitäten und Erfahrungen sowohl in ihrer beruflichen Laufbahn als auch in der Vernetzung lesbischer Managerinnen: „Eigentlich sollten sie dann mehr eben in die Richtung gehen, dass man sich ganz ganz fühlen darf am Arbeitsplatz, und dafür ist zu wenig out in dem Kreis und zu wenig Wirken am Arbeitsplatz zu dem Thema – also da bin ich dann auch eine Ausnahme gewesen an der Stelle.“ (33) Was sie als „Ausnahme“ bezeichnet, bezieht sich weniger – so meine These – auf die gemachte Erfahrung des outings in ihrem Erwerbsarbeitskontext. Es ist vielmehr der Abstand, den ihre sexuellgeschlechtliche Selbstpositionierung in diesem Kontext bedeutet, der eine Verschiebung des Blicks bewirkt: Die Laufbahn, die auf strikte Homogenisierung und Verobjektivierung der eigenen Lebens- und Arbeitsweise angelegt ist, wird durchlässiger. Diese Verschiebung ereignet sich im Prozess der Reproduktion ihres Körperselbst und wirkt von hier aus in die Organisation ihres Erwerbslebens zurück: „Und eben in dieser Zeit dank meines Asthmas damals habe ich eben nach mir gucken gelernt, habe nein sagen gelernt, habe gelernt, ich kann auch mal eine Hose anziehen, ohne dass irgendwie was Schlimmes passiert. Es war eher dieser Phase zuzuschreiben, also deutlich früher als das Thema Lesbe.“ (34) Es ist dieser durch das Körperselbst eingezogene Abstand, der sie nach Phasen der Entwicklung und Veränderung das Paradox einer geschlechtsspezifischen Normierung auf den Punkt bringen lässt: „Also ich bin ja nicht die einzige, die Hosen trägt.“ (Birthe, 34)

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VIEL W EIBLICHKEIT GESTEH ’ ICH MIR SELBST ZU ?“ Die in den bisherigen Interviews beschriebenen Strategien der Auseinandersetzung mit einem als weiblich markierten Körper sollen nun ergänzt werden durch die Perspektive, die sich aus einer Selbstpositionierung ‚als Femme‘ ergibt. Nadine bezeichnet sich selbst als Femme und beschreibt in dem von mir geführten Interview ihren Weg einer selbstbewussten Aneig-

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nung femininer Kodes – trotz und mit ihrem als weiblich markierten Körper. Weibliche Femininität als gewusste Inszenierung – so meine These – bricht mit der Naturform ‚Frau‘, indem der eigene Körper zum Medium der Transformation wird. Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Zuschreibungen ist der „Blick von außen“, den Nadine präzise und differenziert zu artikulieren und zu durchqueren vermag. Was diese Form der Selbstpositionierung innerhalb eines im klinischen Kontext situierten Berufsfeldes bewirkt und wie sie die Dimensionen sichtbar macht, auf denen sich eine Herstellung von Hierarchien vollzieht, wird unter „Erotische Macht“ zusammengeführt. Die Konsequenzen dieser Perspektive für die Beschreibung und Bewertung ihrer mit „Weiblichkeit“ assoziierten Tätigkeit werden abschließend herausgearbeitet. Blick von außen Wenn Nadine sich selbst als Femme bezeichnet, wendet sie sich zugleich gegen eindeutige Definitionsversuche, die diese Identität festschreiben würden.64 Demgegenüber geht sie von ihren Erfahrungen und Begegnungen mit weiteren Frauen aus, die sich selbst als Femme bezeichnen, und sucht darin nach Gemeinsamkeiten und Aspekten, die diese Selbstpositionierung beschreiben könnten. Deutlich wird, dass Nadine sich seit vielen Jahren in Lesbenzusammenhängen bewegt und involviert ist. Diese Verortung stellt den Kontext für Auseinandersetzungsprozesse mit einem „Blick von außen“ (Nadine, 33) dar, die im Folgenden über eine Rekonstruktion der zentralen Dimensionen ‚eigenes Gender‘, ‚erotische Formsprache‘, ‚von außen an mich herangetragen‘, ‚bewusstes Reflektieren‘, ‚Reinform einer Femme‘ und ‚Manko, Frau zu sein‘ nachvollzogen werden. eigenes Gender Nadine wurde von mir um ein Interview gebeten, weil sie einen FemmeStammtisch initiiert und lange Zeit organisiert hat. Das Ziel, das sie mit der Initiierung des Stammtischs verbunden hatte, formuliert sie sehr konkret: 64 Auch Sabine Fuchs (2009) hebt in der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Femme-Band hervor, dass „allgemeine Uneinigkeit darüber [besteht], wie ‚Femme‘ zu definieren ist – oder ob sie überhaupt definiert werden sollte“ (ebd., 12).

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„Also ich dachte irgendwie, ich will jetzt mal wirklich andere Femmes auch mal kennen lernen und will mal so den persönlichen Austausch irgendwie suchen.“ (2) Über Mailing-Listen und punktuelle Workshops weiß sie von der Existenz „anderer Femmes“, die sie im Rahmen eines Stammtischs persönlich kennen lernen will. Allerdings bleiben Zuspruch und Zulauf zunächst sehr gering, was Nadine in folgender Weise begründet: „Viele Frauen schreckt das ab, so diese scheinbar festen Kategorisierungen, oder fühlen sich viele so ’n bisschen von vereinnahmt, und wollen sich da nicht so festlegen.“ (3) Beschrieben wird die Ambivalenz von Kategorien oder Bezeichnungen: Während sie einerseits einen Raum öffnen und die Möglichkeit für persönlichen Austausch und Kennenlernen bieten, scheinen andererseits weitergehende Implikationen damit verbunden zu sein, sich ‚als Femme‘ zu bezeichnen, auf die viele sich „nicht festlegen wollen“. Mit einem Mal gibt es dann doch Interessent_innen, die sich monatlich in einem größeren Kreis zum Stammtisch zusammenfinden: „Aber auch mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon, was Femme dann eigentlich bedeutet, mit sehr sehr unterschiedlichen Identifikationsansätzen und Selbstdefinitionen, also das war ganz spannend auch.“ (4) Deutlich wird die offene und im gleichen Zuge problematisierende Haltung hinsichtlich der Selbstbezeichnung und wie diese jeweils von den einzelnen mit Bedeutung versehen wird. Der Stammtisch bietet einen Raum, diese Prozesse der Signifikation gemeinsam zu betrachten, zu verhandeln und eine Sichtbarkeit als sexuellgeschlechtliche Selbstpositionierung voranzutreiben. Diese Haltung wiederum führt dazu, dass die Teilnehmer_innen „schlechte Erfahrungen gemacht haben mit Frauen, die kamen und dann da also sehr üble Diskussionen vom Acker gezogen haben auch“ (4). Da die Interviewer_in derlei Vorkommnisse bei keiner der Stammtisch-Erzählungen bisher gehört hatte, fragt sie dezidiert nach, woraufhin Nadine zunächst hervorhebt: „Wir sind da ja schon auch offen, also wir haben auch gesagt, wir sind auch offen für Frauen, die jetzt sagen, ich bin zwar selbst keine Femme, aber ich find das mal ganz interessant, oder würde mich einfach gerne mal unterhalten, was ihr darunter versteht.“ (5) Die Offenheit bezieht sich auf die Selbstidentifizierung und Selbstbezeichnung durch den Begriff der Femme, der hier nicht einfach vorausgesetzt wird. Vielmehr scheint es darum zu gehen, sich Prozesse der Signifikation, wie sie von einzelnen Frauen praktiziert und eingebracht werden, gemeinsam anzuschauen. Dieses Setting umfasst auch Frau-

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en, die sich selbst (noch) nicht ‚als Femme‘ identifizieren – allerdings geht Nadine dabei von einem grundsätzlichen Interesse und einer Wertschätzung hinsichtlich unterschiedlicher „Gender-Ausdrücke“ (23), wie sie später im Interview formuliert, aus. Diese politische Haltung führt zu Szenen, die Nadine in folgender Weise schildert: „Das hat’s aber eben auch mit sich gebracht, dass wir wirklich mehrfach Abende hatten, wo Frauen … also teilweise auch in ’ner sehr aggressiven Grundhaltung da reingegangen sind: Also was wir für ’n Schaden anrichten würden für die Frauen- und Lesbenbewegung, und wie rückschrittlich das alles wäre. Und so nach dem Motto: … Wir würden versuchen, die Lesbenszene wieder zu unterteilen, so dass es nur diese beiden Identitäten gibt. Also es waren auch oft so ganz schwer nachvollziehbare Vorwürfe, weil wir sind ja eigentlich sehr offen gewesen, also wir hatten gar kein festes Konzept nach außen, oder keine Definition, dass wir gesagt haben: Zu uns dürfen nur die und die Frauen kommen. Oder: Wir sehen die Welt aufgeteilt in tralala – das hatten wir ja gar nicht.“ (5) Die aktive Aneignung femininer Kodes und die selbstbewusste Inanspruchnahme eines eigenen Raums für die Realisierung dieser Form weiblicher Femininität stößt nicht nur auf Unverständnis, sondern provoziert vielmehr offensive Interventionen in das Geschehen. Nadine beschreibt ihre Reaktion auf diese unerwarteten Angriffe durchaus selbstbewusst: „Also es ist o. k., wenn das deine Meinung ist, aber wir wollen hier eigentlich so ’n Raum für uns auch mal haben, wo wir uns nicht immer wieder rechtfertigen müssen und erklären müssen und also schon wie so ’n kleiner Schutzraum auch, sag ich mal, ja … Also wo dann auch klar war, da ist eigentlich keine Kommunikation mehr möglich… Wir lassen uns den Raum jetzt auch nicht nehmen, und wir sind schon offen für Diskussionen, aber wir sind nicht hier, um uns beleidigen zu lassen, um uns irgendwie grundsätzlich jetzt in Frage stellen zu lassen.“ (6) Deutlich wird in Nadines Erfahrungen, dass Femme-Sein als eine Lebens- und Beziehungsform auch oder gerade in manchen Lesbenkontexten keine Selbstverständlichkeit darstellt oder zumindest Interesse hervorruft, sondern im Gegenteil erklärungsbedürftig erscheint. Die Anfeindungen und In-Frage-Stellungen wie auch der Rechtfertigungsdruck machen den Raum, der zunächst zum persönlichen Austausch und Kennenlernen gedacht war, zu einem „Schutzraum“, wie Nadine es bezeichnet. Fraglich bleibt, warum es zu diesen heftigen Auseinandersetzungen kommt, wo „eigentlich keine Kommunikation mehr möglich“ ist.

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Nadines Erklärung für diese Vorkommnisse, die weder beim Transmann- noch beim Drag King-Stammtisch ein Thema waren, liest sich wie folgt: „Also ich denke, dass da die Hemmschwelle einfach größer ist, in so ’n Raum reinzugehen, wo Leute sich mit Männlichkeit in irgend ’ner Form auseinandersetzen, als Inszenierung oder auch als Identität, als in so ’n Raum, wo Frauen sind, die zumindest nach außen wirklich so als klassische Frauen wahrgenommen werden, ja.“ (7) Bereits hier fällt auf, dass Nadine von einer „scheinbar klassischen“ Weiblichkeit spricht, die nach außen vermittelt wird beziehungsweise so wahrgenommen werden kann. In diesem Außen – das als gesellschaftlicher common sense zu bezeichnen ist – werden mit einer Markierung als weiblich Bilder von Schwäche und Offenheit, von Lenkbarkeit und Beeinflussbarkeit aufgerufen: Die „Hemmschwelle, in so ’n Raum reinzugehen“, ist geringer, was sich de facto von den Interventionen und Angriffen ableiten lässt. Es ist eine Provokation, die von diesem Femme-Stammtisch auszugehen scheint und die Nadine wie folgt erklärt: „Ich hab da schon viel drüber nachgedacht, ich denke, dass das schon daran liegt, dass auch innerhalb der Lesben- und der Frauenszene ’n sehr stark verinnerlichter – ich nenn das jetzt mal ’n bisschen platt – schon so ’ne Respektlosigkeit vor Weiblichkeit – generell – auch herrscht, ja.“ (7) Vor diesem Hintergrund wird die aktive Aneignung und Realisierung weiblicher Femininität als Rückschritt empfunden, als das SichEinrichten in einer als heteronormativ wahrgenommenen Geschlechterdifferenz, die Frauen eindeutig den schwächeren Part zuschreibt. Dass diese Wahrnehmung die restriktiven Bedingungen, die Frauen gesellschaftlich qua Geschlecht aufgezwungen werden, reproduziert, verdeutlicht Nadine im Vergleich zur Reaktion auf Transmännlichkeiten: „Also dass wir da alle sehr geprägt sind durch unsere Sozialisation, dass man einfach Grenzen von Frauen respektloser und schneller überschreitet, als man das jetzt bei Männern oder bei so scheinbar männlich besetzten Gebieten irgendwie macht… Die natürlich auch Anfeindungen erleben und Ausgrenzungen erleben, aber auf ’ne ganz andere Art, als wenn du dich in dem Rahmen als Femme outest. Also das hab ich selbst erlebt in so ’nem Workshop, und das war sehr interessant zu sehen, also bei mir wurde erst mal gelacht, als ich das sagte, während über die Transmänner oder Transgender hat nie irgendjemand gelacht.“ (8) Die gewusste Form weiblicher Femininität wird weder als aktive Identifizierung noch als ernst zu nehmender Ausdruck einer sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierung wahrgenommen,

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während eine Identifizierung beziehungsweise die Realisierung weiblicher Maskulinität durchaus vorstellbar und denkbar erscheint, wenngleich auch sie stark kritisiert wird. Nadines Erfahrungen zeigen, dass die performative Hervorbringung von Femininitäten respektive Maskulinitäten sehr unterschiedliche Reaktionen in Lesbenkontexten hervorruft. In diesen Wahrnehmungen und Bewertungen kommt dem Theorem der Sichtbarkeit eine zentrale Bedeutung zu: „Also dass Femmes oft als solche, denk ich, gar nicht so wahrgenommen werden, während Transmänner als solche natürlich sehr deutlich wahrgenommen werden, einfach durch ihr äußeres Erscheinungsbild, [schnell, vehement:] auch nicht immer! Nicht immer! Aber oft, ja – und dass es auch viel weniger ernst genommen wird, also so nach dem Motto: ‚Ach, na ja, komm, du bist so ’n Mädchen mit Lippenstift‘ oder so, in die Richtung, ne?“ (9) Es ist das aktive Moment und Durchqueren einer heteronormativ strukturierten Geschlechterdifferenz, das an dieser Stelle nicht transparent zu werden scheint, denn die beschriebene Abwertung weiblicher Femininität macht deutlich, dass sie ausschließlich in ihren heteronormativen Implikationen wahrgenommen wird. Das aktive Moment in der Aneignung femininer Kodes – als ein bewusster Umgang mit und ein Durchqueren der Geschlechterdifferenz – scheint nicht vorstellbar: „Ich glaub, es ist ’ne Identität, die als solche für Außenstehende schwer zu greifen ist. Also ich glaub, vielen Lesben ist gar nicht klar, dass du als Femme – dass das überhaupt ’ne eigene Identität, oder ich würde sogar sagen, ’n eigenes Gender eigentlich darstellt.“ (9) Die von Nadine beschriebenen Reaktionen innerhalb von manchen Lesbenkontexten lassen sich auf zwei Dimensionen verorten: Es ist zum einen die Kopplung von Femininitäten respektive Maskulinitäten an bestimmte Körper, die der Wahrnehmung einer performativen Realisierung von Geschlechtlichkeit und den sich darin ereignenden Verschiebungen entgegensteht. Zum anderen verharren die Reaktionen in einem heteronormativen Denksystem, innerhalb dessen die hier praktizierte Form weiblicher Femininität nicht nur nicht wahrnehmbar, sondern in Folge dessen auch nicht wünschens- oder gar begehrenswert erscheint, wie Nadine ausführt: „Das ist halt eine von denen, die’s einfach noch nicht kapiert hat, wie ’ne Lesbe eben zu sein hat und aufzutreten hat, so eine von denen, die’s noch nicht geschafft hat, sich von so klassischen weiblichen Rollenbildern zu lösen, während das ja, wie gesagt, bei Transgendern, die jetzt von ihrem, zumin-

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dest von ihrem äußeren Ausdruck her eher in die maskuline Richtung gehen, da ist dieser Schnitt einfach klarer, ne, allein schon vom äußeren Auftreten her, und ich denke, bei Femmes ist es oft so, dass für viele Leute ist der Schnitt, oder, ja – diese Identitätskante – diese Schwelle – die wird überhaupt nicht wahrgenommen, weil du dich so scheinbar nahtlos doch immer noch so in dieses Konzept von Weiblichkeit einfügst.“ (10) Der „Schnitt“ oder die „Schwelle“ ist meines Erachtens im Modus der Selbstbearbeitung zu verorten und vollzieht sich in der Auseinandersetzung – und produktiven Umarbeitung – der vorgeblichen Naturhaftigkeit von Geschlecht: „Das ja merkwürdigerweise doch, glaub ich, die meisten lesbischen Frauen für sich auch noch irgendwo zugrunde legen, die schon von sich auch sagen, also wir sind Frauen, aber die auch ’ne sehr genaue Vorstellung davon haben, wie eben eine lesbische Frau ganz bestimmt nicht zu sein hat, und da gehörst du halt als Femme dann auch nicht wirklich dazu. Also du wirst schon, du wirst einfach als Frau irgendwie so subsumiert, aber nicht als eigenständige Identität.“ (10) Das Verharren in der Wahrnehmung einer körperlich fundierten Geschlechterdifferenz – die dann wiederum in Abgrenzung zu als „klassisch“ wahrgenommener Weiblichkeit zu gestalten ist, wie etwa der emphatisch besetzte und umkämpfte Begriff von ‚lesbischer Frau‘ zeigt – verunmöglicht, die von Nadine beschriebene Auseinandersetzung mit den und die Umarbeitung der gesellschaftlichen Bedingungen wahrzunehmen, die den Prozess des Frau-Werdens und des Frau-Seins in der Regel anleiten. erotische Formsprache Wenn Nadine beschreibt, was Femme-Sein als Realisierung einer spezifischen Form weiblicher Femininität ausmacht, so kommt der Dimension von Sexualität eine entscheidende Bedeutung zu: „Also das ist so ’n Vorwurf, den du ganz oft hörst, so nach dem Motto: ‚Ihr macht’s euch einfach, ihr gebt euch nach außen hin wie Heteras…, ihr habt ja keine Probleme im Alltag‘.“ (10) In dieser Vorwurfshaltung scheint das sexuelle Beziehungsfeld im Ausleben und Realisieren der eigenen Identität nachrangig zu sein. Demgegenüber nähert sich Nadine einer Beschreibung dessen, wie die unterschiedlichen Frauen beim Stammtisch ihr Femme-Sein realisieren, über eben diese Dimension: „Also als einen der größten Unterschiede hab’ ich, glaub ich, erlebt, dass sehr viele Frauen sich identifizieren über das was sie begehren. Also dass für viele Frauen, die kommen, von Anfang an

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eigentlich klar ist, also als Femme hast du ’ne ganz klare Affinität zu Butches oder zu Transmännern oder Frauen, die in so ’ner – sag ich jetzt mal – in so ’n maskulinen Gendertyp eher reinpassen. Was für mich jetzt persönlich überhaupt keine Voraussetzung, also das ist – natürlich triffst du das häufig an, aber das wäre für mich jetzt kein Definitionskriterium, falls es so was überhaupt hat für Femmes.“ (11) Mit dieser Selbstdefinition vieler Femmes, die sich auf ihr Begehren und ihre sexuelle Identität bezieht, wird deutlich, dass im Alltag als heterosexuelle Frau wahrgenommen zu werden ein kontinuierliches Verkennen des Selbstverständnisses und der Identifizierung als Femme beinhalten muss.65 Über das Begehren als nicht nur beziehungs-, sondern identitätsstiftendes Moment hinaus stellt Nadine fest: „Für viele gehört auch so ’n explizit weibliches Aussehen oder Auftreten nach außen dazu. Das ist zwar jetzt was, was ich für mich persönlich auch bevorzuge, weil das einfach so meine Art, sag ich mal, von erotischer Formsprache auch ist…, aber … ich könnte das jetzt auch akzeptieren, wenn ’ne Frau von sich sagt, sie ist ’ne Femme und sieht überhaupt nicht so aus, wie man sich klassischerweise ’ne Femme vorstellt.“ (11 f.) Auch an diesem Punkt wird deutlich, wie Nadine sich einem Theorem der Sichtbarkeit widersetzt. Ihren eigenen Erfahrungen entsprechend ist nicht die größtmögliche Übereinstimmung mit einer als klassisch zu bezeichnenden „Vorstellung“ das Entscheidende, sondern die Selbstidentifizierung als Femme, die wiederum sehr unterschiedlich gelebt werden kann: „Also für mich ist die Frau ’ne Femme, die sich selbst so identifiziert. Und irgendwo gibt es da wohl so ’n kleinsten gemeinsamen Nenner. Und ich glaube, dass der kleinste gemeinsame Nenner schon ist, dass die Frauen, die sich als Femmes identifizieren, die ich jetzt so kennen gelernt hab, dass wir – ich sag jetzt mal – so ’ne scheinbar nach außen hin eher – traditionelle – weibliche – Symbolik, Formsprache, Erotik benutzen, um in Kontakt mit andern Lesben oder Transgendern zu treten.“ (12) Die Orientierung hin zu „andern Lesben oder Transgendern“ ist das entscheidende Moment ihrer Selbstdefinition als Femme. Die „scheinbar nach außen hin eher traditionelle weibliche Symbolik“ ist für Nadine eine „Art erotischer Formsprache“, die sie benutzt, um in Kontakt zu treten und sich

65 Diesen Aspekt der Fehldeutung führt Fuchs (2009) im Sinne eines „nicht für möglich gehalten zu werden“ (ebd., 28 f.) auch für Lesben-Kontexte aus.

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in einem Beziehungsfeld zu bewegen, das sie selbst als lesbisch oder transgender bezeichnet. Diese Realisierung oder der Einsatz einer als weiblich markierten Symbolik ist aber der Punkt, an dem die Kritik von außen ansetzt, und die Nadine sehr differenziert beantwortet: „Die Leute sehen irgendwie, also du siehst klassisch weiblich aus, du hast lange Haare, du trägst vielleicht Make-up, du kleidest dich eher feminin, und damit werden dann auch gleich so ganz klassische weibliche Eigenschaften, die meistens als sehr negativ wahrgenommen werden, verbunden, wie zum Beispiel du bist eher unterwürfig, anschmiegsam, du lässt dir eher was sagen als dass du jemand anders was sagst, du bist eher die Passive, die Empfangende, du bist eher die, die – keine Ahnung – darauf aus ist, zu gefallen und da auch eher zurücksteckt und so, und das ist für mich total fremd.“ (12 f.) Deutlich wird die Auseinandersetzung mit einer Wahrnehmung und Markierung als weiblich, von denen einige Praktiken realisiert und übernommen werden, die aber durchaus nicht mit – wie Nadine es immer wieder ausdrückt – „klassisch“ als weiblich bezeichneten Eigenschaften einhergehen müssen. In der aktiven Aneignung und Realisierung weiblicher Femininität kommt es demgegenüber zu einer Umarbeitung dessen, was die Kategorie Frau in der Regel an Implikationen aufruft: „Also das gehört für mich jetzt überhaupt gar nicht dazu, zu meinem Selbstverständnis als Femme, ja. Also ich fülle da nicht so ’ne riesige komplexe Rolle aus, sondern für mich bezieht sich das wirklich relativ eng so auf das erotische Spiel oder auf die erotische Aussage.“ (13) Erotik oder Sexualität versteht Nadine dabei „immer“ als „’ne Form von Kommunikation, also ich kann mir das gar nicht anders vorstellen“ (12). In diesem Sinn wird mit, an und gegen den als weiblich markierten Körper eine feminine Symbolik genutzt, um in Kontakt zu „andern Lesben oder Transgender“ zu treten und Beziehungen aufzubauen, die quer liegen und so „Diagonalen ins soziale Gewebe“ (Foucault 2001/1981, 128) einzuzeichnen vermögen. Die Dekontextualisierung von als weiblich markierten Zeichen aus einem heteronormativen Bedeutungszusammenhang ist dabei entscheidend: „Also gerade dieses bewusste Umgehen damit, das ist für mich das, was ich eigentlich bei allen Femmes erlebt hab. Das ist eigentlich immer ’ne bewusste Auseinandersetzung mit so ’ner sexuellen Identität oder eben, wie’s manche für sich halt auch sagen, mit ’ner Rollendefinition einhergeht. Dass es also ’ne bewusste Entscheidung auch dafür ist, so zu leben. Und ich

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denke, das ist schon auch, also für mich zumindest, ’n wichtiges Kriterium. Wenn mir jetzt vorgeworfen wird, du lebst ja so ganz unreflektiert diese althergebrachten Rollenmuster – wo ich sagen muss, also ich hab wirklich die Wahl zu sagen, so und so gestalte ich meine Identität, und so und so will ich das leben, in diesen und jenen Beziehungen, ich kann ja sagen, ich kann nein sagen an bestimmten Punkten. Weil ich’s reflektiere. Und ich glaube, dass es viele Frauen gibt, die immer noch so aufwachsen und immer noch so leben, dass sie diesen Rahmen der Reflektion überhaupt gar nicht zur Verfügung haben. Dass sie einfach das übernehmen, was ihnen vorgelebt wurde, und dass da kein Spielraum besteht, und keine Entscheidung dafür oder dagegen. Und das ist ein großer Unterschied, glaub’ ich.“ (Nadine, 13 f.). Nadine beschreibt Prozesse der Disidentifikation, in denen eine Distanz entsteht zu der Identität, die gesellschaftlich als natürlicher und selbstverständlicher Ausdruck ihrer Körperlichkeit gesetzt ist. Deutlich wird dabei die Bewegung – hin zu einer Entnaturalisierung von Geschlecht – als eine spezifische Form der Selbstpraktik: Die Auseinandersetzung mit sexueller Identität, dem eigenen Begehren und dem darin entstehenden Beziehungsfeld zieht einen Raum ein, in dem bestimmte Aspekte und Implikationen einer Bezeichnung – als weiblich – reflektierbar werden und eine Umarbeitung von Bedeutung möglich wird. von außen an mich herangetragen Den Weg ihrer Auseinandersetzung mit dem, was gesellschaftlich als weiblich bezeichnet und verstanden wird, bezeichnet Nadine als „’n ganz schwere[n] Prozess“ (14). Dabei sind insbesondere die Erfahrungen in ihrer Familie prägend: „Also ich muss dazu sagen, ich komm aus ’ner Familie, wo Weiblichkeit sehr stark abgewertet wurde. Also dass ganz klar war, also Weiblichkeit ist eigentlich immer mit negativen Eigenschaften konnotiert – von Geburt an. Und du hast da auch wenig Möglichkeiten, da irgendwie auszubrechen.“ (14) Der gesellschaftlich gängige Ausdruck „von Geburt an“ ist ein deutlicher Hinweis auf die körperliche Fundierung der Geschlechterdifferenz, die eine starke Festschreibung beinhaltet und wenig Gestaltungs- und Bewegungsraum lässt. Spürbar werden die Implikationen einer Zuweisung als weiblich für Nadine in der Beziehung zu ihrem Vater. Sie bezeichnet sich als „so ’ne ganz klassische Vatertochter“ (15) und meint damit ihren Wunsch, „von ihm Anerkennung zu bekommen … als Mädchen auch, aber trotzdem war mir klar, also ich bekomm’ diese Anerken-

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nung nur, wenn ich mich sozusagen weitgehend entsexualisiere. Also dieses Weibliche nicht so in den Vordergrund stelle, sondern da ging es sehr viel so darum, über intellektuelle Leistungen seine Anerkennung zu gewinnen… Also über diese Schiene lief da viel, also wo mir schon klar war, wenn du seine Anerkennung haben willst, und wenn du als Mensch respektiert werden willst, dann musst du deine Weiblichkeit in den Griff kriegen.“ (15) Dieses „in den Griff kriegen“ bezieht Nadine lange Zeit relativ eng auf „Leistung“ und „Intellektualität“. Mit Butler (1991) kann das entworfene Szenario als Indiz für die männliche Kodierung einer Sprechposition gelesen werden, in dem „die Stellung des Vaters als Sprecher, Leser und Schreiber innerhalb des öffentlichen Diskurses, d. h. als Verwender der Zeichen im Gegensatz zum Zeichen- oder Tauschobjekt“ (ebd., 85) aufgerufen und re/produziert wird. In diesem – gesellschaftlich konstituierten – Rahmen eine Subjektposition einzunehmen, bedeutet zunächst, „Weiblichkeit“ ‚in den Griff zu bekommen‘ respektive zu kontrollieren, was den alten Topos von Weiblichkeit, Emotionalität und – so wird zu zeigen sein – Sexualität als das Körperliche, ‚Naturnahe‘, zu Beherrschende aufruft. Die Linien, die hier gezogen werden, beziehen sich auf die bekannte Verknüpfung von Leistung und Intellektualität, die als ‚dem Weiblichen‘ entgegengesetzt erscheint. Dass die gesellschaftliche Kopplung von Weiblichkeit und Sexualität nicht im Körperlichen aufgeht, verdeutlichen die folgende Passagen: „Ich hätte dir natürlich gesagt, ja ich bin ’n Mädchen, aber von meinem ganzen Körpergefühl her, glaub’ ich, war ich eher wie ’n Junge. Also ich war eher so ’n Wildfang, bin immer sehr burschikos aufgetreten, jetzt mal abgesehen von den langen Haaren, aber so mein ganzes Verhalten und so, das war eher so wie die Jungs, glaub ich, sich verhalten haben – also klassischerweise.“ (Nadine, 16) Das Wissen um die geschlechtliche Zuweisung bei Geburt und ihr Körpergefühl, das sie als „wie ’n Junge“ beschreibt, driften zu diesem Zeitpunkt auseinander, was aber nicht zum Problem (gemacht) wird. Die Sexualisierung im Sinne einer Regulierung in ein Frau-Werden hinein erlebt Nadine erst mit Eintritt in die Pubertät, die sie als starke Krise wahrnimmt: „Ich sag mal, ich war aktiv so ungefähr bis zum Zeitpunkt, wo ich in die Pubertät kam. Und als ich mich dann auseinandersetzen musste mit meinem Körper, der auf einmal so weiblich wurde…, da fing ich auf einmal an, ganz arg zu kämpfen mit dem, was von außen an mich herangetragen wurde.“ (17) Die Veränderungen ihres Körpers beschreibt Nadine als „sehr deutlich vonstatten“ (17) gehend, was eine Auseinandersetzung mit den

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evozierten Geschlechterbildern und assoziierten Identifikationsangeboten wie auch -zwängen anstößt. Hier sind es die Bemerkungen und Reaktionen in der Familie, die Nadine als sehr abwertend wahrnimmt und die in diesem Sinn eine Sozialisierung ‚als Frau‘ begleiten: „Das ist auch bei meiner Mutter auf ganz krasse Ablehnung gestoßen…, für sie ist also Schlank-Sein, das ist also nicht nur ’n Schönheitsideal, sondern ich glaub’, das ist für sie auch ’ne Charakterstärke. Und in dem Moment, wo dein Körper sich verändert, wo du nicht mehr schlank bist, wo du nicht mehr androgyn bist, nicht mehr so geschlechtslos, sag’ ich jetzt mal, in Anführungszeichen, da ist das für sie so ’n ‚Also du hast dich nicht im Griff‘ – so, das wurde mir ganz oft vermittelt.“ (17 f.) Weiblichkeit als Charakterschwäche spiegelt eine der gesellschaftlichen Konnotationen, die mit dem Begriff Frau assoziiert sind und aufgerufen werden. Nadines Auseinandersetzung in und mit ihrer Familie ist dementsprechend ein Kampf um weibliche Subjektivität, in den sie zunächst hineingeworfen wird: „Leistung ist sehr stark – in der Zeit – abgefallen – das war so dieses Konglomerat aus: ‚Na ja, also jetzt entwickelst du dich irgendwie, du wirst aber hässlich und dumm‘ – war also keine gute Richtung, in die das also ging. Und ich konnte das so gar nicht verarbeiten und hab mich deshalb dann sehr stark in mich selbst zurückgezogen auch. Also das war ’ne sehr sehr schwierige Zeit. Bin dann im Grunde genommen – also aus heutiger Sicht würde ich sagen, ich war damals eigentlich schwer depressiv.“ (18) Deutlich wird die Irritation durch das, was „von außen an sie herangetragen wird“, wie auch der damit verbundene Prozess einer Prekarisierung,66 der Nadine zunächst veranlasst, „sich sehr stark in sich selbst zurückzuziehen“. Diese Form des Rückzugs indiziert genau die Distanz, die ihr später ermöglicht, die an sie herangetragenen gesellschaftlichen Zumutungen produktiv zu wenden. bewusstes Reflektieren Nachdem sich die Konflikte insbesondere mit ihrem Vater zuspitzen – „mein Vater war auch ein sehr cholerischer Mensch – also es war sehr

66 Als Moment einer neuen Subjektivierungsweise, das Lorenz und Kuster (2007) wie auch Lorenz (2009) als „sexuelle Arbeit“ bezeichnen und konzeptuell herausarbeiten.

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unangenehm, so sich mit ihm auszutauschen“ (19) –, erlebt sie es als Erleichterung, nach dem Abitur von zu Hause ausziehen zu können. Zu Beginn ihres Studiums knüpft Nadine dann erste Kontakte zur Schwulenszene, was sie aus heutiger Sicht als logisch wahrnimmt: „Also ich glaub’, ich hab’ damals immer noch so um meine Heterosexualität gekämpft, und hab’ irgendwie den Zugang zu Männern gesucht, und hab’ aber festgestellt, dass der Zugang zu schwulen Männern für mich viel leichter war als der Zugang zu heterosexuellen Männern. Und dann über die Schwulenszene, dann kam so nach und nach auch der Einstieg in die Lesbenszene.“ (19) Doch auch in diesem Feld nimmt sie einen starken Druck zur Anpassung wahr: „So nach dem Motto: ‚Also wenn du zu uns gehören willst, und wenn du willst, dass irgendeine dich attraktiv findet, dann muss da auch ’n bisschen was passieren.‘“ (20) Während Nadine die hier gepflegte Art der Inszenierung und den Umgang miteinander durchaus reizvoll findet, bleibt eine Differenz, die sie in folgender Weise schildert: „Ja, dann ging das relativ schnell, ganz klassischer Weg, Haare abgeschnitten, Kleiderschrank umgekrempelt [lachend], und das Komische war aber, dass ich immer als – also viele von meinen Freundinnen haben damals gesagt, du bist wie so ’ne Tunte [lacht] also… Ich hatte zwar dann ’n sehr burschikoses Äußeres, ich wurde auch oft von fremden Leuten für ’n Jungen gehalten, also auch so angesprochen, aber meine ganze Art zu kommunizieren, mich zu bewegen, zu reden wie auch immer, das wurde anscheinend doch als deutlich feminin wahrgenommen, und das – also dieser Kontrast zwischen dem Äußeren und dem Rest meiner Persönlichkeit – der wurde mir auch oft gespiegelt von andern Lesben. Das wurde schon wahrgenommen auch.“ (20) Deutlich wird die Prozesshaftigkeit, mit der Nadine ihren damaligen Weg in diese spezifische Lesbenszene beschreibt, wie auch die damit einhergehenden Körperpraxen, die als Arbeit an sich selbst beschrieben werden können: „ ‚Na ja, das kann ja noch werden‘, sagte mal ’ne Freundin zu mir. ‚Du bist ja noch nicht lang dabei, das kann ja noch werden.‘“ (21) Während Nadine sich „äußerlich“ in eine „sehr burschikose“ Richtung entwickelt und inszeniert, wird ihre „ganze Art zu kommunizieren“ als deutlich feminin kodiert wahrgenommen – eine Kombination, die in diesem Kontext zu einer Wahrnehmung und Bezeichnung ‚als Tunte‘ führt. Der Körper ist in diesem Prozess nicht außen vor – es ist vielmehr das Zusammenspiel aus einer Arbeit an ihrem „Äußeren und dem Rest der Persönlichkeit“, das zu dieser spezifischen Wahrnehmung führt.

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Die Differenz von Außenwahrnehmung und eigener Aussage wird schließlich zum Modus für die kontinuierliche Arbeit an ihrer sexuellgeschlechtlichen Selbstpositionierung: „Ich selbst hab’ nur relativ schnell dann auch gemerkt, dass ich mich auch nicht wirklich wohl gefühlt hab’ so mit diesen kurzen Haaren und mit der Kleidung, also irgendwie war ich das nicht. Ich hab’ gemerkt, ich brauch’ es, um Anerkennung zu finden, auch um Partnerinnen zu finden, also auf feminine Frauen stand kein Mensch im ganzen Umfeld – also ich hab’ auch nie Paare irgendwie gesehen in so ’ner Konstellation, und ich dachte dann halt, na ja gut, das ist halt der Preis, den du dafür zahlst – also das ist halt einfach so, Lesben sind halt so. Fertig. Und wenn du halt ’ne Lesbe sein willst, dann muss man halt so sein.“ (21) Deutlich wird, wie ein spezifischer Raum in kollektiven Körperpraxen entsteht, die sich in Abgrenzung zu dem, was generell als weiblich wahrgenommen wird, realisieren.67 Die Beschreibung Nadines, wie sie in die Kategorie ‚Lesbe‘ hineingeht, erinnert an die Einsicht Toms, die er bei seinen Flow-Erlebnissen in der Wahrnehmung ‚als Mann‘ schildert: Dass gewisse Erfahrungen und Aspekte zu „ertragen“ sind, soll das passing ‚als‘ oder das machtvolle und ermächtigende In-Erscheinung-Treten nicht gefährdet werden. Auch Nadine bemerkt den Reiz und das beziehungsstiftende Moment einer Bezeichnung und Wahrnehmung ‚als Lesbe‘, wenngleich sie ein gewisses Unbehagen und eine Differenz zum Ausdruck bringt. Die Anerkennung in diesem spezifischen Raum hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung im öffentlichen Raum, die Nadine als durchaus angenehm empfindet: „Ich sag’ mal, das hatte schon, also jetzt in der HeteroWelt, hatte das den Vorteil, dass ich für Männer nicht mehr in dem Sinne attraktiv war. Das war mir ganz recht. Also dass ich einfach von Männern nicht mehr angemacht wurde, oder dass ich zum Beispiel, also wirklich so ganz profane Sachen, dass ich mich auf der Straße tatsächlich anders bewegen kann. Also ich bin wirklich nachts durch die Stadt gelaufen und hatte keine Angst. Weil ich wusste, ich werde überhaupt gar nicht als Frau wahrgenommen. Das war ’n sehr angenehmes Gefühl.“ (21) Mit ihrer Inszenierung ‚als Lesbe‘ fällt sie zunächst innerhalb eines heteronormativen Wahr-

67 Fuchs (2009) spricht in diesem Zusammenhang von der radikalen Weigerung von Femmes, „sich dem dominanten geschlechtslosen, androgynen oder maskulinen Look in der Lesben- oder Queer-Szene anzupassen“ (ebd., 15).

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nehmungsmusters als Begehrensobjekt für Männer aus. Auf ihrem weiteren Weg einer aktiven Aneignung femininer Kodes jedoch wird sie wieder deutlich ‚als Frau‘ wahrgenommen – und sieht sich mit der Anforderung konfrontiert, sich wieder neu in einem heteronormativen Wahrnehmungsmuster zu bewegen: „Da kann ich mich auch noch gut dran erinnern, dass ich das später, als sich das dann wieder geändert hat, dass ich dieses Gefühl auf einmal vermisst hab, und dass mich das sehr irritiert hat, dass ich dann auf einmal auch von Männern wieder als Frau wahrgenommen wurde. Das war ’n ganz merkwürdiges Gefühl auf einmal.“ (21) Es ist dieses Wahrnehmen und Austarieren der Effekte, die ihre sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierung in verschiedenen Kontexten hervorruft, die eine Reflektion heteronormativer Verhältnisse ermöglichen. Ihre Selbstpositionierung gelingt in einem Beziehungsfeld, in dem die Differenz zu einer als naturgegeben vermittelten Geschlechtlichkeit wahrgenommen und bestätigt wird: „Und diese erneute – ja, Änderung, sag’ ich mal, also zumindest, was das Äußerliche anging, also ich denk’ so, von meinem inneren Gefühl her hat sich da eigentlich gar nicht so viel geändert, auch von meiner Selbstwahrnehmung, also [da] mich auch zu trauen, das wieder in so ’ne äußere Formsprache zu übertragen. Das war damals so ’ne richtige Befreiung, das hab’ ich als große Befreiung empfunden, allerdings erst in dem Moment, wo ich ’ne Frau kennen gelernt hab’, die das auch sehr positiv bewertet hat. Also so ’ne richtig klassische Butch, die dann auch mir da sehr positive Rückmeldung drüber gegeben hat, ‚ach Mensch toll, die langen Haare, und wie du dich kleidest‘ und so. Wo ich dann auch gemerkt hab’, dass da ’ne sehr starke erotische Dynamik [ist], nach der ich eigentlich die ganze Zeit gesucht hab’, und die irgendwie nie stattgefunden hat, mit den Freundinnen, die ich vorher hatte, und auf einmal war da ’ne Antwort.“ (21 f.) Dies ist Nadines erste Erfahrung, mit einer Form weiblicher Femininität im lesbischen Kontext sichtbar zu werden. Während sie durchaus auch in heterosexuellen Räumen wieder ‚als Frau‘ angesprochen wird, liegt die Bestätigung, die sie sucht und die sie zum damaligen Zeitpunkt für die Realisierung ihres Femme-Seins braucht, eben in dieser spezifischen erotischen Dynamik: „Hat ganz viel in Gang gesetzt… Das war ganz klar damals das, was mir so, sag’ ich mal, auf die Sprünge geholfen hat, oder was mir diesen Weg erleichtert hat, sozusagen: ‚O. k., also jetzt ist es mir wirklich mal egal, was alle andern denken, sondern jetzt mach’ ich einfach mal das, was ich will, womit ich mich gut fühle.‘“ (22) Deutlich wird hier

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die transformierende Kraft, die in der „erotischen Dynamik“ dieser Beziehung liegt und die Nadine als „auf die Sprünge geholfen“ und „diesen Weg erleichtert“ beschreibt. Für sie bedeutet es einen Schritt, das zu realisieren, „womit sie sich gut fühlt“. Die Bestätigung findet sie in einem Gegenüber, das die Realisierung weiblicher Femininität nicht nur als eine bewusste Performance wahrnimmt, sondern sich als Teil dessen begreift und sie anreizt. Nadine beschreibt diesen Modus der Selbstbearbeitung als bewusstes Reflektieren und positioniert sich darin in Abgrenzung zu „einfach nur femininen Lesben“ (22). Auf Nachfrage der Interviewer_in, was den Unterschied ausmache, führt sie aus: „Ich glaub’, dieses bewusste Reflektieren darüber, also wirklich dieses bewusste Umgehen mit so ’ner weiblichen Formsprache und dem, was von außen als weiblich empfunden wird, also dieses bewusste Einsetzen von so ’ner erotischen Dynamik auch. Das wär’ für mich, glaub’ ich, einer der Unterschiede. Und – schon – auch – also mittlerweile würde ich auch sagen, dass Femmes für mich schon auch Frauen sind, die respektvoll mit dieser ganzen Gender-Thematik umgehen… Also als Femme hab’ ich, auch wenn ich selbst meine eigene Identität hab’, aber das gehört für mich dazu, dass ich ’n großen Respekt gegenüber anderen Gender-Ausdrücken, gegenüber anderen sexuellen Identitäten hab’, und dass ich da auch bewusst drüber reflektiere. Ich glaub’, das wäre für mich ’n Unterschied jetzt so zur gemeinen femininen Lesbe, sag’ ich mal, ja.“ (22 f.) In dieser Abgrenzung bringt sie den „bewussten“ Umgang mit gesellschaftlichen Bedeutungszuschreibungen – und ihre Resignifizierung – ein. Die Möglichkeit der Reflektion ergibt sich dabei aus der Distanz, mit der Nadine sich selbst betrachtet: Indem sie sich ins Verhältnis zu dem setzt, was ihrem als weiblich bezeichneten Körper an Bedeutung zugeschrieben wird, gelangt sie zu einer gewussten Gestaltung ihres Ausdrucks. Den in diese Körperpraxen involvierten Aufwand nimmt sie auch in „anderen Gender-Ausdrücken“ wahr, die sich in Differenz zu hegemonialen Sexualitäts- und Geschlechternormen konstituieren. Ihr lesbisches Selbstverständnis bietet den Rahmen, innerhalb dessen es ihr gelingt, feminine Kodes so einzusetzen, dass sie erkannt und beantwortet werden – in einer Form, die zwar in eine erotische Dynamik, nicht aber in eine Naturalisierung ihres „Gender-Ausdrucks“ münden. Demnach definiert sie Weiblichkeit nicht als Emotionalität, sondern als die „unvoreingenommene Bereitschaft, sich mit seinen Emotionen auseinander zu setzen“ (24).

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Es ist eine Haltung, die sie beschreibt, reflektiert und konsequent realisiert: „Wird immer als sehr negativ wahrgenommen, wenn Frauen Emotionen zeigen, dass sie überhaupt Emotionen zeigen – und wo ich irgendwann merkte, das ist aber für mich ganz wichtig, also dieses sehr emotional sein, in jeder Hinsicht, da gehört auch Wut dazu, da gehört auch Aggression dazu – nur dass das bei Frauen ja oft ganz anders bezeichnet wird, ne? Also bei ’ner Frau heißt es, die ist hysterisch, beim Mann heißt es, ‚Mensch, der kann sich aber durchsetzen‘.“ (24) Während sie mit dieser Beschreibung gängige feministische Analysen aufruft, ist der Umgang, den Nadine mit dieser Situation findet, ein durchaus offensiver: „Wenn man schon so ’ne Festschreibung hat, in der Gesellschaft, dann nehm’ ich mir raus, genau diese Eigenschaften, die man generell als weiblich bezeichnet und die oft so abgewertet werden, und von denen ich aber weiß, die sind für mich wichtig, und ich schätze sie, und ich will die pflegen, die dann auch wirklich stolz für mich zu beanspruchen und zu sagen: ‚Ja, so bin ich, und so lebe ich, und das gibt euch kein Recht, mich irgendwie abzuwerten oder mich irgendwie als Mensch dritter Klasse einzustufen.‘“ (24 f.) Deutlich wird der produktive Umgang, den Nadine mit der Zuschreibung ‚weiblich‘ gefunden hat; es ist eine aktive Aneignung von Eigenschaften, die sie für sich bewertet und die in manchen lesbischen Räumen provozieren: „Da sind viele ganz aufgebracht und finden es ganz unglaublich, dass ich mit solchen Begriffen arbeite.“ (25) Der Arbeitsbegriff an dieser Stelle beschreibt den Aufwand, der mit dem Modus einer gewussten sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierung einhergeht. Reinform einer Femme In Bezug auf den Stammtisch wird deutlich, welchen Stellenwert Bilder – auch historische Vorbilder68 – für die eigene Identifikation und Selbstposi-

68 Nadine nennt hier den autobiographisch geprägten Roman „Stonebutch Blues“ von Leslie Feinberg (deutsch: Träume in den erwachenden Morgen, Berlin 1996) als für sie selbst sehr bedeutsam. Feinberg selbst bewegt sich in den 1960er Jahren in der von der Arbeiterklasse geprägten Butch-Femme-Bar-Szene in den USA, nimmt in den 1970er Jahren Hormone und lässt sich die Brüste entfernen, um ‚als Mann‘ zu leben und zu arbeiten. Jahre später setzt er_sie die

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tionierung haben: „Also ich denk’, ich hatte zu diesem frühen Zeitpunkt – hätte ich mich selbst auch noch nicht als Femme bezeichnet, weil ich da noch nicht so ’n Bild von hatte. Aber was ich gemerkt habe, war, dass diese spezielle Art von erotischer Dynamik, die ich so attraktiv fand oder die ich bevorzugt hab’, dass es dafür schon Namen gab…, dass mir einfach klar geworden ist: Es gibt anscheinend viele lesbische Frauen, für die das wirklich ’n Thema ist – diese Dynamik, und die das auch benennen können, und wo ich dann dachte, o. k., ich arbeite jetzt einfach mit diesem Begriff Femme. Warum nicht?“ (26) Wieder verwendet Nadine den Begriff Arbeit, um den Prozess ihrer Auseinandersetzung mit der Selbstbezeichnung als Femme, aber auch mit den Reaktionen darauf zu verdeutlichen: „Und dann aber das Selbstbewusstsein zu haben und zu sagen: ‚Ist o. k., seht ihr das so – ich füll’ den Begriff für mich ganz anders aus.‘ Und trotzdem weiß ich, es geht so in die Richtung. Also es hat irgendwie ’n gemeinsamen Nenner – was ja noch lang nicht heißt, dass da alle Einzelheiten übereinstimmen müssen…, dass ich das heute unreflektiert übernehme, oder dass man da aus der Geschichte auch nichts gelernt hat, aber trotzdem kann ich sagen, ich glaub’ so ’ne emotionale Verbindung oder die Bevorzugung von ’ner bestimmten erotischen Dynamik, das verbindet mich historisch gesehen mit diesen Frauen – ganz bestimmt.“ (26 f.) Nadine beschreibt den Prozess der Suche nach einem Ausdruck dessen, was sie an „erotischer Dynamik“ bevorzugt, und benennt dabei die Bezeichnung Femme als einen für sie passenden Ausgangspunkt, um weiter an ihrer Selbstpositionierung zu arbeiten. Auch wenn sie betont, dass die historischen Kontexte der Figuren Butch und Femme sich über die Zeit verändert haben – insbesondere was die sexuellen Dynamiken und die denkbaren Beziehungskonstellationen betrifft – bietet der Begriff Femme einen Rahmen, innerhalb dessen sie sich bewegt und an ihrer Selbstpositionierung arbeitet. Nadines Haltung liegt dabei ein pragmatisches und produktives Verständnis zum Umgang mit Bezeichnungen zugrunde: „Menschliches Denken, menschliche Kommunikation funktioniert ohne Kategorisierungen gar nicht. Du kannst gar nicht kommunizieren, wenn du nicht Begriffe verwendest. Und dass das immer nur Hilfskonstruktionen sind, das ist für mich

Hormone wieder ab, um sich explizit zwischen den Geschlechtern zu positionieren (vgl. Feinberg 1996; Bauer 2009).

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ganz klar.“ (25) Während sie für sich selbst eine bestimmte Lebens- und Beziehungsform in und mit dem Begriff der Femme realisiert, geht es beim Stammtisch um die Kommunikation und das Aushandeln der Bedeutungen, die die verschiedenen Frauen aus ihren Erfahrungen und Kontexten einbringen. In diesen Prozessen stellen sich Ansprüche und Erwartungen her, die sehr schnell in eine Suche nach Wahrheit oder Wirklichkeit münden, wie Nadine beschreibt: „Und dann, glaube ich, war schon so der Anspruch von vielen Frauen so nach dem Motto: [ironisch:] ‚Also du kannst uns jetzt bestimmt erklären, was ’ne Femme ist. Weil wenn du diejenige bist, die das hier organisiert, dann bist du doch bestimmt so die Reinform einer Femme.‘“ (28) Während Nadine diesen Repräsentationsstatus zunächst von sich weist, kann sie sich dem mit diesen Erwartungen einhergehenden Druck nicht ganz entziehen: „Es war so, ich kann’s [lacht] nicht leugnen, dass ich ganz oft überlegte, wenn ich morgens auf die Arbeit fuhr, dachte ich: ‚Ach Mensch, heute Abend haste Femme-Stammtisch, da musst du überlegen, was du anziehst… Weil du kannst da jetzt nicht einfach in Jeans und T-Shirt hingehen, sondern du musst irgendwas anziehen, was dich so als Femme auch äußerlich so ’n bisschen erkennbar macht‘.“ (28) Die Wirkmacht eines Theorems der Sichtbarkeit führt auch in diesem – selbst gewählten und von ihr initiierten – Kontext dazu, dass Zuschreibungen und Anforderungen „von außen“ an sie herangetragen werden. Ihre eigene Auseinandersetzung mit der Frage nach Sichtbarkeit führt dazu, dass sie diese Anforderungen zwar reflektiert, die darin angelegte Ambivalenz für sie aber nicht aufzulösen ist: „Und das war oft so ’n Kampf – wo ich mir dann dachte, also eigentlich hab ich überhaupt keine Lust, heute ’n Rock anzuziehen, ja. Das Wetter war gar nichts dafür, und meine Stimmung überhaupt nicht – und wo ich dann mit der Zeit bemerkte: ‚Au weia, ich rutsch da so ’n bisschen in mein eigenes Klischee eigentlich gerade so rein.‘ Das hat mir überhaupt nicht gefallen.“ (28) Es ist eben dieser Kampf um die eigene Selbstpositionierung, die kontinuierlich mit dem Außen – in Form hegemonialer Bilder, Vorstellungen und damit einhergehender Ansprüche – vermittelt werden muss, die aber auch das Potential für Verschiebungen und Aushandlungsprozesse beinhaltet. Die Suche nach einer Sprache für das, was Personen leben, wie sie wahrgenommen werden und in Beziehung treten wollen, kann auch eine Suche nach Orientierung sein, wie Nadine an ihren Erfahrungen beim Stammtisch verdeutlicht: „Und oft hab’ ich auch gemerkt, dass viele Frau-

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en – suchen ganz stark nach ’nem Vorbild. Also es war interessant, dass viele Frauen zu mir kamen und sagten: ‚Ich glaub’, ich bin ’ne Femme, aber ich weiß gar nicht genau, was das eigentlich wirklich ist.‘“ (31) Dieser Bezug auf Kategorien, Vorstellungen und Bilder, der aktiv gesucht und immer wieder hergestellt, aber auch verschoben oder verworfen wird, veranlasst auf der einen Seite zu einer Auseinandersetzung und Selbstbefragung und bietet auf der anderen Seite Raum für eine selbst/bewusste und reflektierte Aneignung: „Ich denke, es hilft ja auch, ’ne Persönlichkeit auszubilden einerseits, weil du einfach erst mal so ’n Leitfaden hast, an dem du dich orientieren kannst. Der Trick ist dann, zur richtigen Zeit auch wieder loszulassen und zu sagen: ‚Es ist ’n Leitfaden, es ist keine Fessel.‘ Und ich muss da dynamisch bleiben, ich muss mich bewegen können, und vielleicht komm’ ich irgendwann mal an den Punkt, wo ich sage – kann ich mir zwar jetzt im Moment nicht vorstellen [lächelnd], aber ich mein’, vielleicht ist das ja irgendwann mal so – wo ich sage: ‚Ach dieses Femme-Sein, das ist mir gar nicht mehr wichtig. Oder mich jetzt selbst so zu bezeichnen, ist mir vielleicht gar nicht mehr wichtig, da bin ich drüber weg. Oder ich arbeite jetzt an ganz anderen Aspekten.‘“ (32) In Prozessen der Disidentifizierung wird auch hier die Distanz deutlich, die eine Arbeit an und mit den Implikationen im gesellschaftlichen Feld erst möglich macht. Nadine betont die Veränderbarkeit dessen, was als relevante Bezeichnung oder Aspekt ihrer Selbst im Fokus ihrer Aufmerksamkeit steht und einer Bearbeitung unterzogen wird. Die beschriebene Dynamik vollzieht sich dabei immer in spezifischen Kontexten. Wenn sie in Bezug auf die Figuren von Butch und Femme auf die historisch spezifischen Zwänge und Möglichkeiten eingeht, die zu bestimmten Konstellationen ebenso wie Erwartungen führen, so bezieht sie auch ihr eigenes Selbstverständnis immer wieder auf den Kontext, in dem sie sich bewegt: „Also weil ich auch merke, dass, was ich früher für mich, glaub’ ich, nicht so akzeptiert hätte, dass – find’ ich durchaus – auch Transgender oder auch Transmänner erotisch sehr interessant sind und dass das ja so ’ne Richtung ist, wo ich schon merke, o. k., also wenn ich jetzt als immer noch selbstdefiniert lesbische Frau auf einmal mit ’nem Transmann zusammen wäre, was würde das eigentlich für meine eigene Identität bedeuten? Wär’ ich dann immer noch ’ne Lesbe? Wär’ ich immer noch ’ne Femme? Also das sind schon so Aspekte, wo ich im Moment – da reib’ ich mich sehr stark dran, ne, wo ich auch merke, da passiert im Moment ganz viel, da ist ganz viel im Umbruch,

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und da merk’ ich dann eben auch, da muss ich auch loslassen können von so ’ner festen Beschreibung meiner selbst, und muss einfach sagen können: ‚Guck doch einfach, was es mit dir macht. Halt dich doch jetzt nicht daran so fest, hab doch keine Angst‘ – weil im Endeffekt ist es ja wieder so ’n Blick von außen, den man da drauf wirft‘.“ (32 f.) Während lange Zeit ihr lesbisches Selbstverständnis den Rahmen für ihre Selbstbearbeitung bietet, ist sie nun dabei, sich von diesem Ort aus wieder neu innerhalb einer heteronormativen Matrix zu positionieren. Die Auseinandersetzung mit dem „Blick von außen“ wird in dem Moment auf neue Art und Weise virulent, in dem ein passing als heterosexuelle Paarkonstellation eben nicht als passende Wahrnehmung – weder für die Beziehung noch für die eigene Selbstpositionierung – angesehen wird: „Und das sind aber auch so viele Sachen, find ich, die man ja gar nicht so in Worte fassen kann, also ich denk’, dass die erotische Dynamik zwischen ’ner lesbischen Femme und ’nem Transmann immer noch ’ne völlig andere ist als zwischen ’ner biologischen heterosexuellen Frau und ’nem biologischen heterosexuellen Mann. Also das ist für mich ’n Riesenunterschied, den ich schwer in Worte fassen kann, aber wo ich mir einfach denke, dass da emotional und energetisch ganz ganz andere Sachen passieren, und deshalb würde ich das nie auf eine Ebene stellen, also weder bei mir selbst noch bei andern Paaren, die ich jetzt auch mittlerweile kennen gelernt habe. Also wo ich denke, ich empfinde die nicht ansatzweise als Heteropaar, sondern das ist ganz klar ’ne andere Dynamik, die da vor sich geht.“ (33) Nadine versucht, eine Differenz innerhalb eines heteronormativen Wahrnehmungsmusters aufzumachen, die „schwer in Worte zu fassen“ ist, die als „Dynamik“ beschreib- und wahrnehmbar, nicht aber in Worten fassbar – und damit wieder festschreibbar – ist: „Und das aber eben auszuhalten, also dass man vielleicht dann doch von der Umwelt als Heteropaar gesehen wird, obwohl man selbst weiß, das ist was ganz anderes, und es ist mir auch wichtig, dass es was anderes ist – aber das auszuhalten, ich glaub’, da muss man schon ’ne ganz schön starke Persönlichkeit sein auch.“ (33) Zentral in dieser Argumentation ist das Insistieren und die Wichtigkeit, die Nadine der spürbaren Differenz beimisst, wie auch der selbst/bewusste Umgang mit dieser Differenz. In diesem Sinn ist es gerade das Aufgehen innerhalb eines heteronormativen Wahrnehmungsmusters, das in diesem Szenario des passings problematisch wird.

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Manko, Frau zu sein Die Differenz, die Nadines Selbstpositionierung innerhalb eines heteronormativen Wahrnehmungsmusters aufmacht und die spürbar, wenn auch nicht unbedingt benennbar ist, wie auch die Dynamik, die sie in Bezug auf die eigene Identifizierung immer wieder betont, zeigen ihre Wirkung zunächst auf einer Beziehungsebene: „Also du musst dich immer bis ins letzte Glied definieren können, damit andere Frauen sich dir gegenüber irgendwie verhalten können und sagen können: Find’ ich gut oder find’ ich nicht gut. Also die Bereitschaft, da auch so ’n bisschen Offenheit und Flexibilität und Dynamik zuzulassen, was ja dann auch wieder ’ne gewisse Verunsicherung reinbringt, diese Bereitschaft, die ist nicht besonders groß.“ (34) Entscheidend an diesem Gedankengang ist die Verunsicherung in der eigenen Positionierung, die entsteht, wenn etwas mehr Offenheit und Dynamik in der Wahrnehmung des Gegenübers zugelassen wird. Während ein „Blick von außen“ in der Regel unberührt bleibt und eine Bewertung – im Sinne einer objektivierenden Bewegung – uneingeschränkt zulässt, verändert sich in einer Beziehung, in der Offenheit und ein sich Einlassen auf einen gemeinsamen Prozess praktiziert wird, das Selbst als Teil des Geschehens. In diesem Sinn versteht Nadine Transgender als eine Selbstpositionierung, die sich eben dieser eindeutigen Beschreibung und Verortung entzieht, was immer Auswirkungen auf die Kommunikation und das Gegenüber hat: „In dem Moment, wo ich von mir sage, ich bin Transgender oder Transmann, da fangen ja viele Probleme erst an… Ich beweg’ mich so zwischen diesen einzelnen Feldern.“ (35) Es ist also nicht etwa die Bewegung von einer Kategorie ‚Frau‘ oder ‚Lesbe‘ in eine andere, wie Nadine deutlich macht, sondern es ist vielmehr die Komplexität der Selbstwahrnehmung und Selbstpositionierung, die immer wieder neu vermittelt und in Kommunikation hervorgebracht und realisiert werden muss. In diesem Zusammenhang kritisiert Nadine die häufig gemachten Vorwürfe gegen Transmännlichkeiten, die sich auf das Verlassen einer Position ‚als Frau‘ beziehen und die Nadine aus ihrer eigenen Erfahrung heraus differenziert: „[Zitat:] ‚Also ihr müsst ja mit diesem Manko, Frau zu sein, in der Gesellschaft gar nicht mehr kämpfen, euch gar nicht mehr auseinandersetzen, ihr macht’s euch ja einfach, ihr geht diesen Schritt zur mächtigeren Position, ihr macht euch zu Männern und sichert euch damit bestimmte – ja Errungenschaften, oder bestimmte Privilegien auch, und macht’s euch damit einfach leichter.‘ Und ich finde, das wird oft sehr sehr undiffe-

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renziert und sehr unreflektiert gehandhabt in der Lesbenszene auch.“ (35) Auch wenn der Platz ‚als Lesbe‘ in dieser Eindeutigkeit und hermetischen Geschlossenheit verlassen oder vielfach auch herausgefordert wird, ist damit kein Aufgehen innerhalb einer heterosexuellen Matrix verbunden. Vielmehr ist der Platz ‚als Lesbe‘ eingebunden in eine heteronormative Wahrnehmung als ‚das Andere‘ – er verbleibt in der Dichotomie des ausgeschlossenen Anderen, das Heterosexualität konstituiert und als Norm immer wieder mit hervorbringt. Demgegenüber bedeutet diesen Platz zu verlassen eben nicht, einen anderen innerhalb einer heterosexuellen Matrix einzunehmen. Es heißt vielmehr, dass die gesellschaftlichen Plätze, von denen hier die Rede ist, prekär sind (Lorenz 2009) und somit einer Umarbeitung zugänglich werden. Um auch bei Femmes dieses Potential der Umarbeitung gesellschaftlicher Implikationen zu verorten, bezieht Nadine sich auf Prozesse der Entnaturalisierung: „Wo ich dann die kühne Prognose gewagt habe zu sagen, also eigentlich könnte man Femme auch als Transgender bezeichnen. Weil in dem Moment, wo ich zwar von meiner äußeren Formsprache her mich weiblich gebe, auch ’ne Selbstdefinition als Frau habe, aber insofern nicht dem Gender entspreche, als ich nicht heterosexuell bin. Sondern ich bin in meiner erotischen Dynamik ganz klar auf ein Lebewesen, sag’ ich jetzt mal, ausgerichtet, was biologisch gesehen kein Mann ist. Das ist für mich auch ein Aspekt von Transgender. Weil ich in dem Moment mit diesem GenderBegriff breche, der meiner weiblichen Biologie und meinem weiblichen Äußeren zugeordnet ist, und da tret’ ich aber raus und sage: ‚Nee, ich bin ja eigentlich von meiner Ausrichtung her eben gerade nicht auf Männer ausgerichtet, und erwarte auch nicht, von Männern akzeptiert zu werden und such’ da keine Reflektion‘.“ (35) Nach einer Sozialisation als Lesbe und der auch körperlichen Realisierung eines „burschikosen“ Ideals bedeutet die Bewegung hin zur aktiven Aneignung einer femininen Formsprache, sich wieder neu innerhalb eines heteronormativen Wahrnehmungsmusters zu positionieren und sich auf andere Weisen mit den Implikationen auseinander setzen zu müssen. Es ist kein Platz, der das Außen, das Andere von Heterosexualität markiert, es ist vielmehr die Bewegung und Verschiebung innerhalb dieser Matrix, die den Aufwand – aber auch den Reiz – dieser Arbeit ausmacht.

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Erotische Macht Den Effekten ihrer sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierung und der Wahrnehmung von Differenz im heteronormativen Feld der Erwerbsarbeit nachgehend, ist von entscheidender Bedeutung, dass Nadine in dieses Feld zunächst ‚als Frau‘ eintritt, was bedeutet: „Ich glaube, also in dem Moment, wo du als Femme in ’nem heterosexuellen Umfeld nicht geoutet bist, also meiner Erfahrung nach wird das nicht wahrgenommen, der Unterschied. Weil du wirst einfach als heterosexuell wahrgenommen. Und fertig.“ (39) Wie an verschiedenen Stellen bereits nachgezeichnet, funktioniert Heteronormativität über die uneingeschränkte Vorannahme heterosexueller Lebensweisen – es sei denn, eine Differenz zu dieser Norm wird im Sprechakt eines outings explizit gemacht. Wie Nadine sich mit ihrem Selbstverständnis als Femme in diesem Kontext bewegt und welche Mechanismen der Reproduktion heteronormativer Strukturen durch die Wahrnehmung ihrer „erotischen Macht“ (65) sichtbar werden, soll im Folgenden anhand der Dimensionen ‚lockeres Zusammensitzen‘, ‚Quadratur des Kreises‘, ‚erotische Aussage‘, ‚offen sein können‘ und ‚schöner Beruf‘ herausgearbeitet werden. lockeres Zusammensitzen Nadine spricht zunächst von kollegialen Kontakten, die sich im informellen Bereich ereignen: „Also was ich manchmal merke, dass Männer irritiert reagieren. Also ich mach’ mir da auch so ’n bisschen auch so ’n Spaß draus – hab’ ich jetzt mal mit meinem männlichen Kollegen oder auch mit meinem Chef, das ist so ’n ganz Netter, so ’n netter junger Mann – mit dem so ’n bisschen auf so ’ner asexuellen Ebene zu kokettieren.“ (39) Entscheidend auf dieser Interaktionsebene ist ihre Performance ‚als Frau‘, die dennoch eine Verschiebung beinhaltet, wie Nadine beschreibt: „Also da so ’n sehr ironischen Unterton ’reinzubringen. Und ich glaube, dass die den Unterschied dann schon irgendwie merken, aber das nicht benennen zu können. Also ich denke, sie merken – sie kokettiert, auf ’ne klassisch weibliche Art und Weise, aber trotzdem ist irgendwie jetzt klar, das ist keine Anmache, oder da ist keine unterschwellige Sexualität jetzt mit drin, die auf die Männer gerichtet ist.“ (40) Der „sehr ironische Unterton“ sorgt für die Wahrnehmung dieser Szene ‚als Performance‘ – es ist die Zitatförmigkeit des Kokettierens, die Irritation auslöst. Nadines Beschreibung zufolge ruft sie zwar eine heterosexuelle Kommunikation auf, „aber die eigentliche

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Richtung ist nicht der Mann, auf die das gerichtet ist“ (40). Sie interveniert damit in das selbstverständlich vorausgesetzte Beziehungsfeld, in dem Frauen und Männer je spezifisch positioniert sind und das Nadine in seinen heteronormativen Implikationen durchquert. Dieser Effekt entsteht eben dadurch, dass die Irritation nicht auf eine gängige Erklärung rückführbar ist: „Die nehmen den Unterschied wahr, jetzt im Gegensatz zu ’ner richtigen Anmache, sag’ ich mal, aber ich glaub nicht, dass sie das jetzt irgendwie also auf Lesbisch-Sein oder gar FemmeSein zurückführen… Interessant ist dann immer zu sehen, wie so ’ne Wahrnehmung oft kippt, wenn du dann geoutet bist. Weil dann ist natürlich der Fokus der Wahrnehmung in 90 % der Fälle immer auf deine sexuelle Identität, das wird dann immer mitgedacht.“ (40 f.) Der Prozess des otherings im Falle einer Selbstbeschreibung ‚als Lesbe‘ wird hier sehr deutlich: Während zunächst versucht wird, eine Erklärung für die eigene Irritation, möglicherweise auch einen passenden Umgang mit der Situation zu finden, liegt der Fokus der Wahrnehmung nach einem outing auf der „sexuellen Identität“ des Gegenübers, wie Nadine es ausdrückt. Es ist die Einhegung einer Vielfalt persönlicher Aspekte, die in dem Moment sehr einfach auf die sexuelle Positionierung zurück- – und von der eigenen Position weg- – geführt werden können. Im Gegenzug beschreibt Nadine das Kokettieren am Arbeitsplatz aus ihrer Selbstpositionierung als Femme heraus: „Ich glaub’, vorher haben sie das einfach so ‚Ach ja, ist ja ganz nett, so ’n bisschen Koketterie am Arbeitsplatz, so‘ – sie werden als Männer wahrgenommen, ja, sie bekommen so ’n bisschen ’ne Rückmeldung über ihre Männlichkeit – ‚Jo, das ist ja so ganz angenehm‘. Aber wenn sie dann auf einmal von ’ner Frau, von der sie wissen, das ist ’ne Lesbe, so ’ne Rückmeldung bekommen, da konnten viele gar nicht damit umgehen. Nach solchen Situationen kamen dann oft so Fragen wie: [sehr trocken, theatralisch:] ‚Hattest du eigentlich mal ’n Freund?‘“ (42) Deutlich wird, wie das Wissen um die vermeintliche Sexualität des Gegenübers die alltägliche Kommunikation und darin die relationalen Positionierungen strukturiert und organisiert. Das Kokettieren, das von einer Frau ausgeht, wird als Bestätigung der eigenen Männlichkeit gelesen, solange diese Ansprache sich in einem heteronormativen Rahmen bewegt. An der neuen Arbeitsstelle, die Nadine vor kurzem angenommen hat, ist sie bisher nicht geoutet. Diese Erklärung zeigt bereits, dass sie mit der Anforderung eines ständigen Abwägens konfrontiert ist – eine Herausforde-

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rung, die Annett Losert (2009) mit Bezug auf die angloamerikanische Debatte als umfassendes und kontinuierliches „Informations-Management“ (192) beschreibt und die Nadine folgendermaßen für sich löst: „Ich handhabe das so, dass ich sage, also wenn mich jemand konkret drauf anspricht und fragt, hast du eigentlich ’n Freund, dann sag ich: ‚Nein, ich hab ’ne Freundin.‘ Also ich lüge nicht, wenn ich drauf angesprochen werde – aber ich oute mich jetzt auch nicht von mir aus, und setz’ mich nicht beim Mittagessen hin und erzähl’ einfach munter drauf los von meiner Freundin oder so. Das ist für mich so ’n ganz gangbarer Weg, eigentlich, ja.“ (Nadine, 45) Nadine begreift das outing als einen Prozess, der sich in Beziehungen herstellt. Zu diesem frühen Zeitpunkt laufen daher die Interaktionen an ihrer Arbeitsstelle noch unter der Voraussetzung von Heterosexualität der Beteiligten ab: „Also zum Beispiel mein Chef, wie gesagt, ist ja ’n relativ junger Mann noch, der ist, also ich glaube sogar, dass der jünger [ist] als ich, ich weiß es nicht genau, aber ich glaube es. Er weiß, dass ich von ihm weiß, dass er a) heterosexuell ist, b) verheiratet und in wenigen Wochen sein erstes Kind erwartet. Wir verstehen uns einfach, also ich glaub’, wir sind uns einfach beide unheimlich sympathisch und verstehen uns sehr sehr gut – haben auch beide so ’n bisschen dieselbe Art von Humor. Und wenn wir dann, wir saßen letztens zusammen, das war so ’ne Situation – also wir machen immer, wenn jemand Geburtstag hat, gibt’s bei uns ’n Geburtstagsessen, das ist dann also so ’n bisschen, sag’ ich mal, so ’n etwas lockeres Zusammensitzen, so ’ne erweiterte Mittagspause – und er erzählte dann, dass er eben so aufgeregt ist wegen dem Kind und so, und er wär’ noch schlimmer aufgeregt als bei seiner Hochzeit. Und dann kokettierte ich halt so ’n bisschen, sagte [kumpelhaft + bewundernd]: ‚Och Mensch [Name], also du bist doch so ’n toller Kerl, und wenn du auch die Hochzeit weggesteckt hast‘, und so.“ (42 f.) Nadine benennt einige Aspekte in der Kommunikation, die in der Konstituierung und Wahrnehmung von Hierarchie relevant sind: Sie schätzt ihren Chef jünger ein als sich selbst, und sie hat einen Wissensvorsprung im Hinblick auf seine Lebensweise. Von dieser Position aus erlaubt sie sich zu kokettieren, ohne dass dies als ernstzunehmende sexuelle Ansprache ankommt: „Ich denke, dass auch so die letzte, dass er gemerkt hat, dass so diese letzte Spitze für ’ne Anmache, die hat irgendwie gefehlt.“ (43) Nadine verortet die Irritation in der Ausnahme, die diese Situation in eine Regelhaftigkeit bringt, mit der auch – oder gerade – in informellen

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Kontakten Hierarchie hergestellt wird: „Es hat ihn gleichzeitig irritiert, es hat ihm aber auch Spaß gemacht. Und ich glaube, dass das für heterosexuelle Männer eher ungewöhnlich ist, so mit heterosexuellen Frauen umgehen zu können.“ (43) Deutlich wird auch hier die Vorannahme selbstverständlicher Heterosexualität, die Frauen und Männer am Arbeitsplatz in ein hierarchisches Verhältnis setzt. Das Verhältnis ihrer Kolleginnen zu diesem Leiter beschreibt sie dementsprechend als „klarer, reservierter irgendwie, da macht man auch nicht mal so ’n Flax miteinander. Also ich denke, er merkt, dass da was anders ist, nur ich glaub’ nicht, dass er’s benennen kann.“ (44) Interessant an dieser Beschreibung ist, dass es Nadine ist, die die Initiative in diesem Hierarchieverhältnis ergreift. Zugleich weiß sie sehr genau, wie sich Hierarchie im Erwerbsarbeitskontext herstellt und welche Regeln der jeweiligen Bezugnahme damit einhergehen: „Er hat mich auch noch nie gefragt, ob ich irgendwie ’ne Beziehung hab’…, also wäre jetzt auch nicht angemessen, wenn er als Chef mich das fragt, aber – also ich denke, dass er sich da nicht so recht ’n Bild von machen kann, ja. Was da jetzt – warum das so anders ist.“ (44) Sowohl von ihrem Chef als auch im Kreis ihrer Kolleginnen, so ist Nadines Einschätzung, wird sie fraglos als heterosexuell wahrgenommen – und genau hier verortet Nadine die Differenz, die sich in der Interaktion festmacht: „Und ich glaube aber schon, dass das für die sehr viel – von ihrer Eigenwahrnehmung, von ihrem Selbstverständnis her – sehr viel gefährlicher wäre, sich in solche Situationen zu begeben…, und das ist ja für mich kein Thema, für meine Eigenwahrnehmung kein Thema, ja.“ (44) Die „Gefahr“ liegt für sich als heterosexuell verstehende Kolleginnen Nadine zufolge darin, sich in eine Kommunikation zu involvieren, die möglicherweise wenig Abstand zu ihrem Selbstverständnis bereithält. Wenn Nadine eine heterosexuelle Szene aufruft und zitiert, liegt der Unterschied in der Distanz, die sie zu diesem Geschehen einnimmt. Diese Situation stellt sich innerhalb ihres Teams, in dem sie vorwiegend mit Frauen zusammenarbeitet, wiederum anders dar: „Und ich merke aber schon, dass ich irgendwie denke, also an dem Tag, wo ich hier mal offiziell bei allen geoutet bin, könnte es sein, dass es schwieriger wird mit der Zusammenarbeit. Weil das auch durch unseren Beruf einfach bedingt ist, dass wir sehr sehr eng, auch körperlich, zusammenarbeiten, also in sehr engem körperlichen Kontakt mit den Patienten – aber auch wir Körpertherapeuten untereinander – sehr sehr eng.“ (45) Wenn Nadine betont: „Bis auf einen

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männlichen Kollegen sind wir ’n reines Frauen-Team“ (45), dann bezieht sich ihr Unbehagen hinsichtlich der Konsequenzen eines outings auf das Verhältnis ‚als Kolleginnen‘ untereinander. Während sie einerseits in ihrem Beruf einen starken Begriff von Professionalität vertritt und diesen zur fraglosen Grundlage einer Zusammenarbeit macht, liegen ihre Bedenken in einer Verunsicherung des zwischenmenschlichen Bereichs, die ein outing bedingen könnte: „Wo du eigentlich gar nicht mehr drüber reflektierst, weil das einfach so zu deinem Berufsalltag gehört – dass das auf einmal mit anderen Augen betrachtet wird, und dass das vielleicht auch manchen unangenehm ist, weil sie irgendwie denken: ‚Was denkt die denn jetzt von mir, wenn wir da ganz eng zusammenarbeiten, oder womöglich auch mal berühren, gegenseitig festhalten‘, solche Sachen – ich denke, das wird ’n andern Stellenwert bekommen. Da hab’ ich schon so ’n bisschen Angst vor, und andererseits weiß ich, es wird auf Dauer gar nicht anders gehen, also der Zeitpunkt wird kommen – wo ich irgendwann überall geoutet bin, ja.“ (46) Während die enge körperliche Zusammenarbeit der Kolleginnen miteinander unter der Prämisse von Heterosexualität ebenso wenig wie mit dem Kollegen ein Problem zu sein scheint, taucht Sexualität hier als ein Moment auf, an dem die Professionalität des Kontaktes plötzlich in Frage steht. Das Verhältnis untereinander muss neu austariert werden, oder wie Nadine es formuliert: „Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ist in der Hinsicht klarer. Und ich glaub’, viele machen sich kein Bild davon, wie zwei Frauen sexuell miteinander umgehen. Ich glaub’, die interpretieren dann sehr schnell in jede Berührung, in jeden Blick, in jede Äußerung was Sexuelles rein, weil da einfach sehr viel Unkenntnis und sehr viel Ängste und Vorurteile einfach auch da sind.“ (47) Deutlich wird, wie heteronormative Verhältnisse in gegenseitigen Bezugnahmen und in Alltagspraxen kanalisiert und transportiert werden. Der Frage, ob und vor allem wie sie in die Positionierungen am Arbeitsplatz eingehen, soll nun in der Konstituierung hierarchischer Verhältnisse nachgegangen werden. Quadratur des Kreises Aus den Beschreibungen Nadines zu ihrem Erwerbsarbeitskontext wird schnell klar, dass ihr Chef – oder der Teamleiter – männlich ist. Als die Interviewer_in auf den Widerspruch hinweist, dass es bei einem „bis auf einen männlichen Kollegen reinen Frauenteam“ – wie Nadine sagt – einen männlichen Teamleiter gibt, meint sie: „Ja aber das ist ganz klar… Also

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wenn du als Mann im sozialen Bereich arbeitest, dann hast du ganz schnell Führungspositionen… Also auch im Pflegebereich hat man das sehr oft, da gibt’s ja auch sehr wenig Männer, und wenn, sind das oft die Pflegedienstleiter oder die Stationsleiter oder so, also das hat man sehr sehr oft.“ (48) Um diese Beobachtung, die sich mit den Erfahrungen Toms im sozialen Bereich deckt, zu erklären, zieht Nadine unterschiedliche Ansätze und Möglichkeiten in Erwägung: „Also man könnte das jetzt ganz platt natürlich ganz, ganz klassisch versuchen zu interpretieren und zu sagen, also dass Männer eigentlich noch mehr – also einmal mehr danach streben, und aber vielleicht auch da einfach mehr rein investieren, ’ne Führungsposition zu übernehmen.“ (48) Nadine betont hier das aktive und zielorientierte Moment im Sinne eines „Strebens“ oder „Investierens“, mit dem graduelle Unterschiede zwischen den Geschlechtern hervorgebracht werden. Die Beschreibungen und Vermutungen werden konkreter, als sie weitere Beobachtungen anführt: „Dass Frauen da vielleicht auch oft nicht genug Interesse oder Energie auch rein investieren, um solche Führungspositionen anzustreben. Also ich kenn’ sehr viele Frauen, die sagen: ‚Oah, das wäre nie was für mich, also Leitungsfunktion, das könnt’ ich nicht, das wäre mir entweder zuviel Stress oder da hätte ich, da wüsste ich gar nicht, wie ich das machen soll‘, also auch viel Unsicherheit – dass Männer sich das auch einfach viel mehr zutrauen, so ’ne Leitungsfunktion zu übernehmen, und da auch Spaß dran haben zu sagen, so wo’s lang geht – das wär’ jetzt ’ne sehr klassische Interpretation, ja.“ (48) Während sie einerseits sehr deutlich macht, dass es einen enormen Aufwand an „Energie“ bedeutet, bestimmte Subjektpositionen wie eine Leitungsfunktion ‚als Frau‘ einzunehmen, lässt sich an dieser Beschreibung auch die Produktivkraft von Kategorien – im Sinne eines „Zutrauens“ oder „Spaßhabens“ an einer Leitungsposition ‚als Mann‘ – ablesen. Hergestellt wird dieses Verhältnis in sehr konkreten Praxen, die mit einem bestimmten vergeschlechtlichten Selbstverständnis einhergehen: „Aber es ist schon auffällig, finde ich, dass also Männer sehr oft in Bereichen, die eigentlich klassisch weibliche Bereiche sind, also wie jetzt zum Beispiel der soziale Bereich, also wenn sie dort auftauchen, dann tauchen sie oft sehr schnell in Führungspositionen auf oder zumindest versuchen sie sehr schnell, sich innerhalb vom Team so ’ne besondere Stellung zu erarbeiten, auch durch Fortbildung, Weiterbildung. Das ist – find’ ich schon, das hat man sehr häufig. Also mich wundert das überhaupt nicht, dass bei

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’nem Team von 14 Frauen oder 16 Frauen und einem Mann, dass da ’n Mann die Leitung hat, das wundert mich gar nicht. Also das find’ ich recht klassisch.“ (49) Die Betonung des „klassischen“ Moments ist Ausdruck einer empirisch beobachtbaren Häufigkeit, aber auch der Selbstverständlichkeit, mit der sich dieses Verhältnis immer wieder herstellt. Auf die Frage nach den Möglichkeiten einer Frau, die eben diese als männlich markierten Anforderungen einer Leitungsfunktion für sich beansprucht und ausfüllt, liest sich Nadines Einschätzung wie folgt: „Ich würde das wahrnehmen, und ich glaube, ich könnte das auch akzeptieren. Also was, was ich glaube, dass so ’ne Frau – [leise:] niemals so ’ne Position bekommen würde.“ (52) Die Formulierung „so ’ne Frau“ bringt bereits die Besonderung zum Ausdruck, die in der Realisierung einer als männlich wahrgenommenen Subjektivität bei Frauen auf einer Führungsebene wahrgenommen wird. Diesem Gedanken weiter nachgehend kommt Nadine zu folgender Erklärung: „Also ich sag’ jetzt einfach mal: Wenn ’ne sehr männlich agierende, sehr – ich sag’ jetzt mal in meiner Wortwahl: butche – oder sehr burschikose – Frau, die würde in so ’nem Posten nicht lange bleiben… Weil das nicht akzeptiert werden würde, denk’ ich mal – von außen – also du musst dich – [sehr schnell:] von außen musst du klar erkennbar sein, entweder du bist ’ne Frau oder du bist ’n Mann, damit andere Leute dir gegenüber klar Position beziehen können. Und ich glaub’, dass viele das nicht akzeptieren können, die würden das als Anmaßung empfinden.“ (52) Die „Anmaßung“ besteht in der Inanspruchnahme einer als männlich definierten Seinsweise, die sich auf einer körperlichen Ebene realisiert. Es ist eben gerade nicht die rein kognitive oder Verhaltensebene, die hier als Provokation imaginiert wird, sondern eine differente Verkörperung, die das zweigeschlechtliche Ordnungssystem in seiner hierarchischen Verfasstheit überschreitet und in Frage stellt. Wenn Nadine resümiert: „Das würde man ihr nicht verzeihen, dass sie da bricht einfach mit den Regeln“ (53), dann wird klar, dass die Vorstellung einer naturgegebenen und damit legitimierten Geschlechterdifferenz jeden Ausdruck, der darüber hinausgeht, sanktioniert. Es ist zudem ein Verweis auf hegemoniale Verhältnisse, in denen sehr deutlich ist, wo – und bei wem – die Definitionsmacht von Regeln innerhalb eines Systems heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit liegt. Der Frage weiblicher Subjektivität auf einer Führungsebene in diesem Sinn weiter nachgehend, kommt Nadine zu der Einschätzung: „Ich glaub’, du hast ’n ganz ganz schmalen Grad, auf dem du dich da bewegen kannst,

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was Weiblichkeit angeht. Du musst einerseits klar als Frau zu erkennen sein, was dein Äußeres angeht. Also ich behaupte jetzt mal, das heißt heute in den meisten Fällen immer noch eher längere Haare als kürzere, Make-up zu tragen, Kleidung zu tragen, die zwar schon büromäßig, aber immer noch deutlich als weibliche zu identifizieren ist. Aber es darf trotzdem, glaub’ ich, nicht so ’ne sexuelle Komponente da mit rein rutschen. Also wenn das dann zu weiblich wird, so dass es so ’ne sexuelle Intention bekommt, dann bist du glaub’ ich auch draußen. Ich glaub’, dass dieser Grad so was von schmal ist, dass da auch die meisten Frauen dran scheitern. Weil die ständig entweder links oder rechts von diesem Grad runter rutschen. Du musst das im Grund genommen – musst du eigentlich die Quadratur des Kreises schaffen.“ (54 f.) Die Subjektposition einer weiblichen Führungskraft unterliegt engen Grenzen, was die Wahrnehmung und die Anforderungen an ihre Weiblichkeit betrifft. Interessant ist die Beobachtung, dass es weder ein Zuwenig noch ein Zuviel sein darf. Der hier gezeichnete Begriff von Professionalität umfasst ein bestimmtes Konzept von Weiblichkeit, das eindeutig heterosexuell konnotiert ist. Es ist die Andeutung oder das Zitat einer heterosexuell deutbaren Weiblichkeit, auch wenn sie nicht ausgelebt wird. Zentral ist damit die Verortung innerhalb einer heteronormativen Matrix, in der die weibliche Subjektposition auf die männliche bezogen gedacht ist. Diesen Grad an Professionalität zu erreichen, in der das Sexuelle auf eine bestimmte Weise präsent gehalten wird und heteronormative Verhältnisse sich re/produzieren, bedeutet für Frauen einen enormen Aufwand: „Und das ist ja fast nicht zu schaffen. Und ich glaub’, deshalb ist es wirklich so, dass Frauen so selten in Führungspositionen anzutreffen sind. Sondern ihnen so ’n engen Raum nur zugesteht, dass es fast gar nicht möglich ist, den Punkt genau auszufüllen. Also irgendwo rutschst du, glaub’ ich, auf einer Seite rutschst du immer raus. Entweder du bist zu weiblich oder zu wenig weiblich, aber dieser ganz schmale Grad, wo’s genau stimmt, der ist kaum zu treffen, und auch kaum zu halten. Ganz schwierig.“ (55) In diesem Sinn liegt der Aufwand nicht nur im Erreichen einer Führungsposition, sondern vielmehr darin, diese Position ‚als Frau‘ auch zu halten. Hier wiederum schließt eine weitere Erwartung an, die auf das heteronormative Funktionieren von Erwerbsarbeitskontexten verweist: „Ich glaub’ schon, dass Männer erwarten, auch von Frauen in ’ner Führungsposition, dass sie in ihrer Männlichkeit bestätigt werden von diesen Frauen. Also dass da schon so was rüber kommt [charmant]: ‚Mann, bist du ’n

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Toller‘, ja – dass aber trotzdem irgendwo gleichzeitig klar ist: ‚Du bist zwar ’n Toller, aber wir begegnen uns hier irgendwie auf so ’ner beruflichen Ebene.‘“ (56) Deutlich wird, wie über Sexualität hierarchische Verhältnisse geschaffen und immer wieder re/produziert werden. Sich eben dieses Systems bemächtigend ist die selbstbewusste Aneignung femininer Kodes von Nadine gerade nicht auf Männer gerichtet – was in heteronormativ strukturierten Kontexten ihre Wirkung zeigt. Der hier thematisierte „Blick von außen“ ist Nadine durchaus bewusst, wie sie ausführt: „Was ich jetzt gerade entwerfe, ist wieder ’n Bild, was sehr stark auf Außenwirkung achtet, aber ich glaube, davon bist du als Frau in dieser Gesellschaft nie frei. Du wirst immer mit diesem Außenblick betrachtet, und das ist immer das, was dir als Frau, glaub’ ich, im Endeffekt auch das Genick bricht im entscheidenden Moment.“ (56 f.) Die drastische Wortwahl macht deutlich, wie stark der Bezugspunkt männlicher Subjektivität in ihrer heteronormativen Verfasstheit in unserer Gesellschaft nach wie vor ist – oder wie Gayle Rubin in ihrem Text von 1975 (2006) so treffend und umfassend formuliert hat: „Wir leben immer noch in einer ‚phallischen‘ Kultur.“ (Ebd., 98) erotische Aussage Nadine übt einen körpertherapeutischen Beruf in einem klinischen Kontext aus – ein Bereich, der weiblich konnotiert ist und in dem vorwiegend Frauen tätig sind. In diesem Kontext stellt das Tragen von „Einheitsdienstkleidung“ für sie „eigentlich sogar eher das Problem“ (Nadine, 57) dar: „Es ist ganz klar, in dem Moment sind wir, was das angeht, alle so ’n Stück weit auch entsexualisiert, ja. Also auch unseres Geschlechtes schon irgendwo so ’n bisschen beraubt.“ (57 f.) Das Geschlecht der Arbeitenden – obwohl so durchgehend präsent – scheint unsichtbar zu sein. Weiblichkeit wird hier auf einen als natürlich wahrgenommenen Körper reduziert, so dass das Tragen von Make-up eine Sichtbarkeit erzeugt, die irritiert. Nadine leistet sexuelle Arbeit, indem sie weibliche Femininität in diesem Arbeitsfeld unentwegt aktiv hervorbringt und sich zugleich von den – heterosexuellen – Implikationen distanziert: „Und ich merk’, an den Tagen, wo ich die Haare offen hab’, werd’ ich von denen ganz anders angeguckt, ganz anders wahrgenommen, viel länger, also viel länger angeschaut – da kommt dann auch mal ’n Lächeln oder auch mal ’ne Bemerkung, so in die Richtung: ‚Ach, tragen Sie heute Ihre Haare offen? Sieht ja ganz anders aus.‘ Und so – das ist hochinteressant. Und das ist wirklich, das ist der Unterschied zwischen

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einem Haargummi! Ja. Und es ist einfach mal ’ne veränderte Aussage, die du damit machst, ja.“ (58) Nadine ist sehr klar, was die hierarchischen Beziehungen zwischen Ärzten und Pflegenden beziehungsweise Therapeutinnen an sexueller Arbeit erfordern. Sie schildert vielfältige Situationen, in denen sie die unausgesprochenen Regeln – wer wen wie anspricht (vgl. Goffman 1994) – durchkreuzt. Als etwa einer der Ärzte sie darauf aufmerksam macht, dass sie ja heute die Haare offen trage, meint sie: „Da hab’ ich ihm so auf ’n Kopp gegriffen und hab’ die so ’n bisschen verwuschelt und … gesagt: ‚Guck mal, du ja auch.‘“ (Nadine, 61) Offene Haare werden hier als Signal gewertet – in den Worten Nadines: „Du wirst auf einmal explizit als Frau wahrgenommen.“ (58) Die hier zum Einsatz kommende sexualisierte Ansprache zielt darauf, Weiblichkeit innerhalb einer heteronormativen Bedeutungsökonomie zu produzieren – eine Positionierung, der Nadine nicht nur widersteht, sondern derer sie sich bedient – und in ihren Implikationen umarbeitet: „Also da kam auf einmal was Erotisches rein. In diesen Blick. Also so wie Männer Frauen einfach angucken, wenn sie denken, so: ‚Ach guck mal.‘ Ja – also, und dass wirklich [lachend] dieser eine Handgriff, den ich morgens nicht gemacht hab’, komplett die Wahrnehmung verändert, ne. Ist schon spannend.“ (61) Demgegenüber unterscheiden sich die Reaktionen auf die langen Haare des einzigen männlichen Kollegen im Team kategorial. Die abwertenden und negativen Kommentare zielen nicht auf eine Sexualisierung, sondern auf eine Entmännlichung seiner Person, wie Nadine pointiert: „Nicht ernst zu nehmen, und auch auf keinen Fall jetzt irgendwie ’ne Steigerung seiner erotischen Attraktivität.“ (59) Beide Reaktionen machen die heteronormative Matrix sichtbar, innerhalb der Arbeitsbeziehungen ausgehend von körperlichen Differenzierungen sozial hierarchisiert re/produziert werden. Während Nadine daran arbeitet, weibliche Femininität in diesem Arbeitskontext aktiv hervorzubringen und darin als Subjekt in Erscheinung zu treten, distanziert sie sich von der ‚Naturform Frau‘: „Ich find’s fast so ’n bisschen ironisch eigentlich. Das ist da jetzt auf der Arbeit die einzige Lesbe, und das ist dann gerade die, die das Make-up trägt [schmunzelnd]. Das find’ ich – das hat auch irgendwie was, also mir gefällt der Gedanke irgendwo auch, ja.“ (63) Während diese Situation unter den Kolleginnen durchaus Beachtung findet und Nadine darauf angesprochen wird – etwa in Bezug auf den morgendlichen und alltäglichen Aufwand, den das Schminken bedeutet, oder mit der Frage nach der Relevanz von Make-up bei der

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Arbeit – stellt Nadine für sich fest: „Also es beeinträchtigt mich in keinster Weise in meiner Tätigkeit.“ (62) Nadine entkoppelt damit einen als weiblich markierten Aspekt – das Schminken – von ihrer beruflichen Tätigkeit. Was kulturell in der Regel auf selbstverständliche Weise Eingang in die Konnotation von Tätigkeiten findet, wird hier auf explizite Weise zueinander ins Verhältnis gesetzt. Wenn sie konstatiert, „es [das Schminken] beeinträchtigt mich in keinster Weise in meiner Tätigkeit“ (62), so setzt sie ihre gewusste Realisierung weiblicher Femininität ins Verhältnis zu einer Profession, die sie auf diese Weise von einer quasi-natürlichen Konnotation als weiblich entkoppelt. Die Differenz, die sich zu den Fragen und der Haltung der Kolleginnen ergibt, besteht in dem bewussten Umgang, den Nadine mit einer als weiblich wahrgenommenen und in der Regel abgewerteten Symbolik pflegt. Die Vorbehalte ihrer Kolleginnen verortet sie in der starken Erwartungshaltung, die das Schminken innerhalb eines heteronormativen Kontextes aufruft, verbunden mit der „Angst, dann so festgelegt zu werden, so nach dem Motto: ‚Na ja, so ’ne Frau, die Make-up trägt, das ist so ’n Püppchen.‘ … Also dass man sich gerade auf der Arbeit da bewusst zurücknimmt, ne.“ (63) Nadine zufolge ist es eben diese Abwertung, die mit einer Realisierung von Femininität in der Regel verbunden ist, die die Gefahr einer Disqualifizierung birgt und so zu einer Distanzierung von dieser ‚als weiblich‘ gerahmten Praxis führt. Wenn Nadine selbst ein erotisches Moment in der Praxis des Schminkens verortet, verweist sie auf die Paradoxie in ihrer Selbstpositionierung: „Das Ironische an der Geschichte ist ja eigentlich sogar, dass du dich [lachend], sag’ ich mal, in der Lesbenszene nicht unbedingt attraktiv machst, wenn du dich schminkst. Die meisten Lesben finden’s ja total doof. Also nicht nur generell dieses weibliche Auftreten, sondern noch dazu Makeup – das ist ja dann der Gipfel der Geschmacklosigkeit für die meisten Lesben, ja. Das ist auch das, also wo ich mir oft denke, das hat eigentlich so was Super-Ironisches, dass du als Femme eigentlich so ’ne erotische Aussage auch irgendwo machen willst, und gerade diese Aussage kommt ja bei 99 % der Lesben überhaupt nicht an, ne.“ (64) In ihrem Erwerbsarbeitskontext stellt die bewusste Aneignung und Realisierung weiblicher Femininität für Nadine eine Möglichkeit dar, als Subjekt in Erscheinung zu treten und sich bewusst und aktiv innerhalb einer heteronormativen Matrix zu bewegen: „Das ist, denk’ ich, sicherlich so, dass du als Frau in deiner Sexualität oder auch in deiner erotischen Macht oft erst wahrer [sic!, KW] genommen

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wirst, wenn du viel nachgeholfen hast. … Also wenn du so das, was von der Gesellschaft als weiblich angesehen wird, wenn du das noch mal so ganz verstärkt inszenierst oder auch in dich selbst rein interpretierst, erst dann wirst du als Frau auch auf so ’ner sexuellen erotischen Ebene wahrgenommen.“ (65) Nadine gelingt über die aktive Aneignung femininer Kodes eine Subjektivierung ‚als Frau‘, deren Bedingungen sie in ihren Implikationen und Effekten umarbeitet: „Ich glaub’, das ist genau das Problem, mit dem du als Frau in der heterosexuellen Gesellschaft eigentlich täglich konfrontiert wirst. Dass es fast gar nicht machbar ist, die erotische Komponente da raus zu nehmen…, de facto ist es, glaub’ ich, fast unmöglich zu verhindern, dass man unter dem Blickwinkel betrachtet wird.“ (66 f.) Eine erotische Aussage, die quer zum heteronormativen System liegt und dieses durchkreuzt, birgt dabei einen Subjektstatus, den Nadine sich in Form ihrer Selbstpositionierung kontinuierlich erarbeitet. offen sein können Wenn Nadine von ihrem Erwerbsarbeitskontext spricht, bewegt sie sich in einem heteronormativen System, in dem sie punktuell immer wieder sichtbar wird, wenn es etwa um die Frage des Make-ups geht. Den Prozess ihres outings auf diese Weise graduell vorantreibend, verbindet sie damit die Hoffnung: „Wenn das outing vielleicht mal irgendwann weiter fortgeschritten ist [lachend] oder so, ja, dass dann auch offener darüber auch gesprochen werden kann.“ (68) An dieser Stelle wird deutlich, dass das outing für Nadine eine diffizile Beziehungsarbeit darstellt: Es ist nicht das Eröffnen einer bestimmten sexuellen Orientierung, die dann die Wahrnehmung ihrer Person und ihre Positionierung am Arbeitsplatz bestimmt, es ist vielmehr die differenzierte Arbeit daran, als Person sichtbar zu werden – mit allen widersprüchlichen Aspekten, die ihre Selbstpositionierung bedingen und ausmachen: „Aber ich glaube, was viele, glaub’ ich, so ganz sympathisch finden, also was mehr so zwischen den Zeilen rüber kommt, ist so nach dem Motto: ‚Na ja, du bist zwar so eine, du trägst irgendwie Make-up, und du kokettierst mit dem Chef, und trotzdem bist du nicht irgendwie so ’ne Tussi…, irgendwie so ’ne Tante, die da auf die Arbeit kommt‘, sondern ich glaub’ schon, dass das auch differenziert wahrgenommen wird. Dass da also trotz dieser scheinbaren Klischees, die ich erfülle, dass da trotzdem auch noch ganz andere Aspekte mit dabei sind, und dass da auch so ’n Bruch irgendwo ist, so zu dem Klassischen. Also ich kann zum Beispiel, was bei mir

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auch, ich hab’ teilweise wohl ’n sehr derben Humor, also ich bin teilweise sehr sarkastisch und derbe, und ich glaub’, so dieser Bruch, den finden auch viele ganz spannend einfach. Also das krieg’ ich auch schon öfter mal gesagt, so das: ‚Mensch, du hast manchmal Sprüche drauf, das glaubt man von dir gar nicht!‘ oder so, das kommt schon, dass da irgendwie so ’ne Differenz wahrgenommen wird.“ (68 f.) Es bedeutet Arbeit und Aufwand, sich auf diese Weise kontinuierlich selbst zu positionieren. Zu dieser Einschätzung gelangt Nadine insbesondere im Vergleich zu ihrer vorherigen Arbeitsstelle, wo sie in einem Team mit überwiegend lesbisch und schwul lebenden Kolleg_innen zusammen gearbeitet hat: „Was mir wirklich fehlt, ist einfach so dieses offen sein können – auch im Team, und dann auch wissen, ich hab’ da einfach gleiche [Leute?] an meiner Seite, also da waren wirklich einfach sehr viele Lesben und Schwule, und das ist natürlich ’n Riesen-Unterschied, ne, wenn du jetzt in ’n Team kommst.“ (78) Es scheint so, dass das sexuelle Beziehungsfeld im neuen Team neu auszudifferenzieren ist, um sich innerhalb einer vorausgesetzten heteronormativen Anordnung selbst zu positionieren: „Ich bin an dieser einen Kollegin oder so ’n bisschen am Arbeiten, also wo ich immer so denke – also ich bin mir schon relativ sicher, dass das ’ne Lesbe ist.“ (78) Auf die Frage, woran sie diese Wahrnehmung festmacht, meint Nadine: „Einfach so von ihrer ganzen Ausstrahlung her. Also sowohl vom Aussehen als auch von ihrer Ausstrahlung und von ihrer Dynamik her empfind’ ich sie als sehr lesbisch.“ (78) Gleichwohl fängt mit dieser Empfindung die Herausforderung an die Kommunikation erst an: „Aber das ist so, also ich weiß jetzt, ich wüsste so überhaupt keinen Weg, wie ich sie da mal drauf ansprechen könnte oder wie ich das mal abtesten könnte, ob ich da richtig liege mit meiner Meinung. Ich spann’ natürlich schon immer die Ohren auf, wenn sie so erzählt, denk’ ich immer: Na ja, vielleicht hör’ ich ja mal in so ’m Nebensatz so ‚meine Freundin‘ oder irgendwas, und aber gerade weil sie das Thema auch so geschickt vermeidet, denk ich manchmal, vielleicht ist das noch ’ne besondere Bestätigung dafür, dass es tatsächlich so ist, ja. Also, kann vielleicht noch spannend werden [lacht].“ (78) Im Umgang mit ihren Kolleg_innen pflegt Nadine also eine Kommunikation des genauen Hinsehens, des Hinspürens, wie das Gegenüber auf sie wirkt und in welcher Weise sie sich selbst dazu ins Verhältnis setzen kann. Diese Haltung des Begegnens, in der sie selbst bereit ist, „Offenheit und Flexibilität und Dynamik zuzulassen“ (34), bringt sie auch in die professionelle Arbeit mit den

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Patient_innen ein – eine Professionalität, in der ihre differente Selbstpositionierung reflexiv auf ihr Berufsfeld zurückweist. schöner Beruf Nadine hat sich nach Abschluss ihres Studiums bewusst für eine weitere – nicht-akademische – Ausbildung in einem körpertherapeutischen Beruf entschieden. Dieser Schritt bedeutet jedoch nicht, dass sie sich mit dieser Tätigkeit völlig identifizieren oder darin aufgehen würde: „Ich bin jetzt auch niemand, glaub’ ich, der sich sehr über seine Arbeit definiert so. Aber dadurch, dass sie einfach viel Raum in meinem Leben einnimmt und sehr viel Energien auch bindet, ja, lässt sich das fast nicht vermeiden, zu sagen, sie ist mir – also sie ist mir zwangswichtig. Mehr oder weniger, ja.“ (79) Nadine benennt ein pragmatisches Moment in der Bewertung ihrer Erwerbsarbeit, wenn sie betont, dass diese einfach „viel Raum“ in ihrem Leben einnimmt und „Energien bindet“. Diesen Fakt nimmt sie nicht als persönliche Entscheidung, sondern als gesellschaftlich reguliert wahr: „Es müsste nicht unbedingt so sein. Also wie gesagt, wenn’s nach mir ginge, also wenn ich von ’ner halben Stelle leben könnte, wäre ich jemand, ich würde sagen, ich arbeite dann lieber nur halb und hab’ mehr Zeit für mich und auch für andere Menschen und Dinge in meinem Leben.“ (78) Jenseits einer Trennung von Arbeit und Leben sieht sie ihre Erwerbstätigkeit als Teil ihres Lebens, der „Energien bindet“ und durch die geringe Bezahlung viel Zeit in Anspruch nimmt, will sie ihr Leben damit absichern. Die gesellschaftliche Abwertung ihres Arbeitsfeldes – wiederum symbolisiert in der Position ihres Vaters – ist ihr dabei durchaus bewusst: „Also das mit der Therapiearbeit, das macht ihn bis heute nicht glücklich [lacht] – und, ja, das ist ein schöner Beruf.“ (79) Dass es Nadine gelingt, mit und gegen diese gesellschaftliche Abwertung ihren Beruf als „schön“ wahrzunehmen, ist Zeichen des Aufwands, der in dieser zunächst mit Leichtigkeit formulierten Umdeutung enthalten ist. In dem Versuch, genauer zu eruieren, was diese Tätigkeit für sie ausmacht, versucht Nadine Worte zu finden für die Affinität, die sie aufgebaut hat und weiter pflegt: „Es ist auch wirklich schwer zu vermitteln, was eigentlich der Inhalt in dem Beruf ist, aber was, also, ich sag immer: Im Grunde genommen bist du als Körpertherapeutin – ist es deine Aufgabe, Menschen mit Beeinträchtigungen wieder zu ’ner größtmöglichen Selbstständigkeit in ihrem Leben zu verhelfen.“ (79) In all ihren Beschreibungen

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hinsichtlich ihres Berufs nimmt sie eine Position ein, die das Gegenüber als Subjekt anspricht und auf dieser Ebene einen Kontakt sucht: „Also so ganz pragmatisches Arbeiten ist das eigentlich auch. Und das ist eigentlich ’n sehr schöner Gedanke, find’ ich, also, dass du da jetzt nicht irgendwie so ein festgelegtes Ziel hast, auf das du hinsteuerst, sondern du suchst mit dem Patienten selbst die Ziele, die für ihn wichtig sind, ne. Und das find ich irgendwie so – also einfach schön, so zu gucken, also wie kann ich jemand darin begleiten, eigentlich wieder er selbst zu werden oder sie selbst, oder so einfach zu gucken so, wo will der Patient hin, wie kann ich ihn dabei unterstützen? Und das find’ ich das Schöne an dem Beruf.“ (80) Wenn sie die Ebenen differenziert, auf denen sie mit den Patient_innen arbeitet, zeichnet sie ein komplexes Bild aus psychologischen, motorischen, kognitiven und emotionalen Facetten. Ebenso betont sie die zentrale Bedeutung von Alltagskompetenzen, die oft neu erlernt werden müssen. Neben dieser differenzierten Beschreibung ihrer Tätigkeit macht sie deutlich, dass es „auch körperlich wirklich einfach ’n sehr sehr anstrengender Beruf [ist], weil du natürlich bei jemand, der schwer betroffen ist, ja sehr schwer arbeiten, also heben und jemanden passiv bewegen, das sind einfach sehr anstrengende Tätigkeiten“ (80). Bei diesem Argument führt sie neben ihrer eigenen Tätigkeit die Aufgaben und Anforderungen in der Pflegearbeit an: „Da machen sich viele kein Bild von, das wird oft so ’n bisschen als so ’n Pillepalle-Job dargestellt…, [der] wenn man’s qualifiziert macht, ein unglaublich hohes Niveau der Ausbildung erfordert… Also ’ne gute Pflege ist wirklich extremst selten, und um ’ne gute Pflege zu machen, musst du sehr sehr sehr viel wissen, du musst wirklich ’ne richtig gute fundierte Ausbildung haben.“ (80 f.) Trotz dieser Anforderungen in der konkreten Tätigkeit betont Nadine die Diskrepanz, die zu der gesellschaftlich vorherrschenden Abwertung besteht: „Ich find’ das sehr sehr schade, dass dieser Beruf so ’n super-schlechtes Image hat und auch so schlecht bezahlt wird. Weil das wirklich eigentlich, sag’ ich mal, fast die größte Aufgabe ist, die du an ’nem Menschen vollziehen kannst, ja. Also jemand wieder, wieder ins Leben zurück zu bringen, und wirklich so an der Basis zu arbeiten, ja. Aber wird leider sehr wenig anerkannt, ja.“ (81) Was Nadines Selbstpositionierung ‚als Femme‘ und ihre Weise, weibliche Femininität zu leben und zu realisieren, für eine Reflektion dieses als weiblich markierten – und gesellschaftlich stark abgewerteten – Berufsfeldes impliziert, soll im Folgenden abschließend herausgearbeitet werden.

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„…Weiblichkeit…“ Nadine nennt verschiedene Dimensionen, auf denen die gesellschaftliche Abwertung des von ihr gewählten Berufs und der damit verbundenen Tätigkeit, die sich „an Menschen“ vollzieht, zu verorten ist: „Er hat ’ne sehr stark emotionale Seite, er hat sehr viel mit Intimität, mit Körperlichkeit zu tun – du kannst es schlecht intellektualisieren, was du da tust, sondern du musst dich mit ganz profanen [leicht lachend] Basisfunktionen des Menschen auseinandersetzen.“ (81) Wie in ihrer persönlichen Auseinandersetzung mit dem, was „von außen“ an ihren als weiblich markierten Körper herangetragen wird, entscheidet sie sich auch hier mit und gegen die gesellschaftliche Abwertung für eine Tätigkeit, die sie dezidiert als „emotional, intim und körperlich“ beschreibt. Neben der emotionalen und körpernahen Seite nennt sie als weitere Dimension, die ihre Tätigkeit ausmacht, die Ortsgebundenheit: „Es ist einfach was, wo du dir wenig Lorbeeren erarbeiten kannst, ja. Also wenig, weil du ja auch, sag’ ich mal, in diesen Berufen bist du ja sehr stark auch an so ’n Ort gebunden, wo dieser Beruf ausgeübt wird. Wir fahren selten auf Kongresse und halten da irgendwelche Vorträge, also wir können unser Wissen oder unser Können, können wir selten aus diesem begrenzten Raum auch raustragen. Es passiert sehr nah am Menschen, und ist sehr nah jetzt an diesen Ort, also sei es ’ne Klinik oder ’ne Praxis gebunden, wo das eben stattfindet. Und deshalb ist einfach die Außenwahrnehmung von dem Beruf ist sehr sehr begrenzt.“ (81) Wieder referiert sie auf einen „Blick von außen“, der gesellschaftlich konstituiert ist und in dem sich Macht- und Herrschaftsverhältnisse artikulieren: „Also du kannst dich schlecht – dein Wissen und Können irgendwie darstellen, ja. Wir halten keine Vorträge, wir machen keine großen Erfindungen, die jetzt irgendwie die Welt bewegen oder so.“ (82) Nadine spricht in diesem Zusammenhang von einer „scharfen Trennlinie“, mit der akademische Berufe von Tätigkeiten, die sich mit „pragmatischen menschlichen Dingen“ beschäftigen, unterschieden wird: „Also alles, was du nicht irgendwie intellektualisieren kannst, wo du nicht irgendwie ’n Riesen-Theorie-Gebäude drum bauen kannst, das ist nix wert.“ (82) Die hier beschriebene Abwertung äußert sich sowohl in der Bezahlung wie auch in den Arbeitsbedingungen, wie Nadine betont: „Also in der Pflege ist es ja ganz dramatisch, dass du ja wirklich unter also unglaublich katastrophaler personeller und materieller Ausstattung wirklich deinen

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Beruf bewältigen musst.“ (82) Deutlich wird, dass Nadine diese Arbeit nicht etwa höher bewertet – im Sinne einer Umkehrung der Dichotomie –, sondern vielmehr den Unterschied in der gesellschaftlichen Wertung grundsätzlich in Frage stellt: „Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum du mehr Geld dafür bekommst, ’n Computer zu programmieren als ’n Menschen zu versorgen. Das ist für mich nicht gerechtfertigt.“ (83) In ihrer eigenen Auseinandersetzung, in der sie an ihrem – als weiblich bezeichneten – Körper eine Umarbeitung eines heteronormativen Konzepts von Weiblichkeit vollzieht, ist der Körper weder Objekt noch Subjekt. Auch in Bezug auf ihre Tätigkeit – so meine These – widersteht sie sowohl Versuchen einer Objektivierung, wie sie ja aktuell im Gesundheitssystem forciert und nun wieder zurückgenommen werden: Pflege-Arbeit kalkulierbar und in Einheiten beschreibbar zu machen – und auf diese Weise zu entsubjektivieren. Ebenso widersteht sie Tendenzen einer Subjektivierung: Dass es hier um zwischenmenschliche Tätigkeiten gehe, die keine intellektuellen Fähigkeiten erfordern – und die Frauen ‚qua Natur‘ für diese Arbeit prädestinierten. Wenn Nadine die Frage stellt: „Du kannst sagen, das Eine fordert dich vielleicht mehr intellektuell, das Andere fordert dich mehr körperlich und psychisch, aber warum wird das so gewertet?“ (83), dann greift sie in Bezug auf Pflegearbeit den bekannten Topos der Körperlichkeit und Naturnähe auf, beschreibt ihre Tätigkeit jedoch als hochkomplexe Situation. Umgekehrt ließe sich fragen, ob bei der Programmierung eines Computers tatsächlich Pflege- und Care-Tätigkeiten sowie eine Interaktivität – im Sinne eines Affizierens und Affiziert-werdens – auszuklammern sind.69 In den hier beschriebenen Körperpraxen werden Differenzierungen entlang gesellschaftlich gezogener Geschlechtergrenzen nicht etwa umgekehrt, sondern – in Prozessen der Aneignung, Umarbeitung und Disidentifizierung – produktiv gewendet. „Das ist so eingefahren in der Gesellschaft, auch so von der Achtung, weil das fängt schon damit an, dass alle Leute für ihre Kinder mal mindestens das Abitur haben wollen, und wenn die Kinder dann nicht studieren, ist

69 Vgl. hierzu die interessante Analyse der affektiven Konfigurationen von Medium und Geschlechtskörper in der Entwicklung der Telegraphie bei Stäheli (2003), der sich insbesondere auf die ethologische Körpertheorie von Moira Gatens (2000) bezieht.

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das ja schon ’ne nationale Katastrophe eigentlich, ja.“ (84) Die „nationale Katastrophe“ macht den Umfang und das Ausmaß einer gesellschaftlichen Haltung deutlich, die sich an einem „Blick von außen“ orientiert – eine Haltung, die Nadine konsequent durchquert, indem sie die Verhältnisse nicht etwa verkehrt, sondern im Gegenteil versucht, „Diagonalen ins soziale Gewebe“ (Foucault 2001/1981, 128) einzuziehen. Diese Haltung eines queerings gesellschaftlicher Bedeutungszuschreibungen, die nicht mehr auf Natur zu reduzieren sind und sich dennoch auf diese beziehen, wird in der Frage einer Kollegin auf den Punkt gebracht: „Ist das Natur – oder ist das Make-up?“ (zit. von Nadine, 67)



Kristallisationspunkte1 „Es ist falsch […] zu sagen, dass die konkrete Existenz des Menschen die Arbeit ist. Denn das Leben und die Zeit des Menschen sind nicht von Natur aus Arbeit, sie sind: Lust, Unstetigkeit, Fest, Ruhe, Bedürfnisse, Zufälle, Begierden, Gewalttätigkeiten, Räubereien etc. Und diese ganze explosive, augenblickhafte und diskontinuierliche Energie muss das Kapital in kontinuierliche und fortlaufend auf dem Markt angebotene Arbeitskraft transformieren.“ (FOUCAULT 2001/1973, 45)

Wenn es in der empirischen Erhebung und Analyse um situierte Perspektiven auf Herstellungs- und Veränderungsprozesse von Geschlecht in Arbeit geht, so betrachte ich die körperliche Ebene in Deutungs- und Diskriminierungsprozessen mit besonderer Aufmerksamkeit. Während einerseits Pro-

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Kristallisierung beschreibt Deleuze (2007) als den fortwährenden Austausch zwischen einem Aktuellen und einem Virtuellen, in dem „sie untrennbar werden und ein jedes die Rolle des anderen einnimmt“ (ebd., 252). Dabei bezeichnet er die Aktualisierung des Virtuellen als Singularität, während das Aktuelle selbst die Individualität ist. Diese Unterscheidung zwischen Singularität als Prozess – als „Individuierung in actu“ (ebd., 253) – und Individualität als Zustand soll im Folgenden fokussiert und als Metapher für die Funktion der Stammtische im gesellschaftlichen Feld entwickelt werden.

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zesse der Reproduktion gesellschaftlich konstituierter Wahrnehmungs- und Denkmuster gerade in Bezug auf Geschlecht über ein Theorem der Sichtbarkeit und „Techniken der Verobjektivierung der Subjekte“ (Caixeta 2007, 82) verlaufen, gilt es andererseits, Ambivalenzen und Widersprüche herauszuarbeiten, die in eben diesen Verkörperungsprozessen am Werk sind und sie stören, umleiten, transformieren. Diese Ereignisse stellen keine Entfaltung vorher angelegter Möglichkeiten dar, was einer Essentialisierung und erneuten Einkerkerung in das Individuum gleich käme. Sie sind vielmehr als Aktualisierung im Kontext wirksamer Strukturen zu fassen, die immer Anreiz wie auch Wirkort von Umarbeitungen sind.2 Beide Ebenen – die gesellschaftliche „Zweiteilung eines Feldes multipler Körper“ (Gatens 1995, 49) als normative Organisation von Geschlecht wie auch die darin wirksam werdenden Einsatzpunkte von Transformation – sind im Folgenden herauszuarbeiten. Die sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierungen, die in den Interviews zum Ausdruck gebracht und von den fünf Personen verkörpert werden, spannen einen Bogen, in dem Heteronormativität als machtvolles Denk- und Wahrnehmungsmuster aus verschiedenen Perspektiven in Erscheinung tritt. In Toms Erfahrungen stellt sich insbesondere der flow als verführerisches Moment einer Ordnung dar, die sich über machtvolle und ermächtigende Kategorien konstituiert. Dieses Moment findet seinen Ausdruck in dem Wohlgefühl, das er beim Tragen eines Sakkos verspürt und das er mit der Erfahrung in Verbindung bringt, es werde ihm nun „eher zugestanden“. Zugleich müssen aufkommende Ambivalenzen hinsichtlich seiner Positionierung ‚als Mann‘ auch oder gerade auf einer affektiven Ebene kontinuierlich austariert werden; so reagiert er mit körperlichem Unbehagen in eben der Situation, die ihn „echt als vollen und ganzen Kerl“ auszeichnet. Demgegenüber zeigt die Geschichte Karos, wie die Verweigerung

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In diesem Sinne verstehe ich Foucault (2001/1981), wenn er darauf insistiert: „Es geht nicht so sehr darum, die Wahrheit seines Geschlechtslebens an sich aufzudecken, als darum, seine Sexualität nunmehr zum Aufbau vielfältiger Beziehungen zu nutzen […] Wir müssen also leidenschaftlich daran arbeiten, homosexuell zu werden, und dürfen uns nicht hartnäckig darauf versteifen, dass wir es schon sind.“ (Ebd., 122, Hervorhebung KW) Vgl. zu dem hier verwendeten Strukturbegriff Deleuze (1992/1973) sowie Derrida (1997).

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einer durch Vereindeutigung hergestellten Position in eben diesem beruflichen Kontext zu scheiternden Bezugnahmen führt. Dieses Scheitern wiederum birgt das Potential eines veränderten und verändernden Blicks auf das soziale Feld.3 In diesem Sinne fordert und praktiziert sie als Teil ihres professionellen Selbstverständnisses ein „über sich selber nachdenken“, in dem Subjektpositionen reflektier- und verhandelbar werden. Während an dieser Stelle – im sozialen Bereich – mögliche Interventionen und Handlungsoptionen zumindest denkbar werden, verweisen die Erfahrungen von Doris auf ein Feld, in dem heteronormative Praxen der Wahrnehmung und der gegenseitigen Bezugnahme dermaßen mit den beruflichen Anforderungen und der Wahrnehmung von Leistung verwoben sind, dass eine Bewegung oder Öffnung der durch Vereindeutigung hergestellten Geschlechterpositionen – im Sinne eines „was anderes draus machen“ – weder denkbar noch wünschenswert erscheint.4 Hier zum Einsatz kommende Programme wie das diversity management betonen zwar die Vielfalt menschlicher Subjektivitäten, operieren aber mit dem normativ grundlegenden Denken eines individualisierenden Leistungsprinzips, wie es Wagenknecht (2001) so treffend formuliert: „Die formale Gleichheit der Marktsubjekte verdeckt ihre reale Ungleichheit und ihre tatsächliche Einzigartigkeit.“ (Ebd., 817) Dies reproduziert – wie sich in den Ausführungen Birthes zeigt – ein heteronormatives Feld mit seinen als hegemonial zu bezeichnenden Positionie-

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So hinterfragt Judith Halberstam (2008) die Bedeutung von Scheitern als Gegenbegriff von Erfolg: „The under-privileged category actually sustains purposive and intricate modes of oppositional knowledge, many of which can be associated with and linked to forms of activity that we have come to call ‚queer‘.“ (Ebd., 141) Auch Sylka Scholz (2008) beschäftigt sich mit Ansätzen der diskursiven Neudeutung von Scheitern und sucht darin nach Momenten der Transformation in der engen Kopplung von Erwerbsarbeit und Männlichkeitskonstruktionen.

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Es ist die Hypermaskulinisierung dieses gesellschaftlichen Kontexts, die kaum Handlungsraum bietet und ein outing ‚als transsexuell‘ forciert, wie Robin Bauer (2009) betont: „Das bedeutet für Transsexuelle, dass Transfrauen schneller an die Grenze ihrer Möglichkeiten stoßen, wenn sie weiterhin als Männer leben und dadurch möglicherweise die Entscheidung zum transsexuellen Coming Out eher forciert wird.“ (Ebd., 36, Endnote 14)

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rungen, dessen gesellschaftliche Strukturiertheit dethematisiert bleibt. Lebensweisen fungieren als Teil des Produktionsprozesses, wobei ihr Lesbisch-Sein in diesem Kontext lediglich das Andere innerhalb einer heterosexuellen Anordnung darstellt, das die hierarchisierende Funktion von Geschlecht unberührt lässt.5 Die Beschreibungen Nadines in einem eindeutig als weiblich markierten Erwerbsarbeitskontext schließlich zeigen eine heteronormative Struktur auf, die sich nicht nur durch als natürlich gedachte, binär organisierte Körper herstellt, sondern insbesondere durch die Bezogenheit einer kulturell als weiblich kodierten Position auf einen als männlich definierten Bezugspunkt. Deutlich wird, wie stark heteronormative Vorannahmen in Begriffe von Professionalität und die Definition von Arbeitssubjektivitäten eingehen: Sie strukturieren professionelle Verhältnisse, indem sie Ansprachen – etwa unter den vornehmlich weiblichen Mitarbeitenden – und Subjektivierungsweisen regulieren. Um eine Reifizierung von Heteronormativität im Sinne eines verobjektivierenden und verdinglichenden Denkens zu vermeiden, ohne aber den Strukturcharakter dieses Denk- und Wahrnehmungsmusters zu vernachlässigen, soll der Fokus im Folgenden auf den Prozessen liegen, in denen sich eine heteronormative Ordnung durch die Marginalisierung von Differenzen wie auch den Ausschluss von Widersprüchen allererst und immer wieder konstituiert. Diese Ausgrenzungen haben primär die Funktion, die Struktur eines heteronormativ organisierten Felds eben nicht zu verändern und die Akkumulation von Macht an bestimmten Positionen aufrecht zu erhalten. Auch wenn es möglich wird, mit einer lesbischen oder schwulen Identität im Feld von Erwerbsarbeit sichtbar zu werden, so vollzieht sich dieses Sichtbarwerden in den engen Grenzen, die ein heteronormatives Denken vorgibt. Statt einer Durchlässigkeit oder Diffusion zeigt sich eine weitge-

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Sushila Mesquita (2008) spricht in diesem Zusammenhang von Teilerfolgen, die auf „Transformationen von Heteronormativität und ihren Wirkweisen unter neoliberalen Bedingungen zurückzuführen“ sind (ebd., 134). Auch Antke Engel (2008) formuliert, dass sexualpolitische Kämpfe „die differentielle Integration, die neuen Ein- und Ausschlussmechanismen neoliberaler Gesellschaften problematisieren müssen“ (ebd., 60). Dabei betont Gundula Ludwig (2006) eine Fortschreibung weiblicher Subjektkonstruktionen im Neoliberalismus, an die meine Befunde anschließen.

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hende Konzentration von Macht in der männlichen Markierung von Positionen.6 Die Möglichkeit individueller und punktueller Überschreitungen dieser Ordnung bedeutet dabei nicht, die Struktur in Frage zu stellen oder gar zu überwinden; dies käme einer Bagatellisierung des Zwangs und der inhärenten Gewalt gleich, die Heteronormativität im Feld von Erwerbsarbeit auf diejenigen ausübt, die sich darin bewegen. Vielmehr geht es darum, die relevanten Dimensionen einer Reproduktion der heteronormativen Ordnung wie auch die Möglichkeit widerständiger Praxen, die zu einer Dezentrierung und Prekarisierung machtvoller Positionen beitragen können, zu rekonstruieren. Beide Perspektiven werden im Folgenden als Komplexe von ‚Sichtbarkeit – Zugehörigkeit – Verletzbarkeit‘ sowie ‚Relationalität – Differenz – Aufwand‘ herausgearbeitet und schließlich als ‚Arbeit an den Grenzen‘ aufeinander bezogen diskutiert.

S ICHTBARKEIT – Z UGEHÖRIGKEIT – V ERLETZBARKEIT In allen Interviews lässt sich eine Sichtweise rekonstruieren, die das Feld der Erwerbsarbeit durch naturalisierte Vorstellungen von Geschlecht und hegemoniale Sichtbarkeiten strukturiert hervortreten lässt. Heteronormativität als machtvolle Struktur einer sozialen Ordnung lässt sich dabei als „die Gesamtwirkung ihrer strategischen Positionen“ beschreiben, wie Deleuze (1977/1975, 104) mit Bezug auf den Machtbegriff Foucaults formuliert. In dieser Konzeption ist Macht nicht etwas, das Individuen besitzen oder voluntaristisch ausüben, sondern es sind mit Souveränität ausgestattete und hierarchisch angeordnete Subjektpositionen, die Individuen einnehmen und die zur Artikulation eines wir Anlass geben, wie die in den Interviews beschriebenen Erfahrungen in eindrücklicher Weise zum Ausdruck bringen. So gelingt es Tom nach existenziellen Diskriminierungs- und Ausschlusserfahrungen, sein Leben in einer Weise zu organisieren, die es ihm erlaubt,

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Zu diesem Fazit gelangt auch Raewyn Connell (2010) in ihrer Untersuchung zum modernen Finanzkapital, das zwar „die bourgeoise Männlichkeit von früheren Generationen ersetzt hat“ (ebd., 21), sich aber weiterhin über „Autorität, heterosexuelle Heirat und die Kontrolle von Emotionen“ (ebd., 22) als unternehmerische Männlichkeit konstituiere.

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seine Erwerbsarbeit als Terrain subjektivierender Erfahrungen zu erleben, wenn er formuliert, die Geschlechtergrenze sei „einfach gesetzt – gesellschaftlich“. Werden und Sein kommen hier in einer Weise zusammen, die er als „Nische“ bezeichnet – inklusive der negativen Affekte in Form eines körperlichen Unbehagens, das eine Wahrnehmung als „ganzer Kerl“ mit sich bringt. Auch Karo ist es in Grenzen und je nach Kontext unterschiedlich möglich, sich als Teil eines wir zu fühlen. Die Räume innerhalb ihres Studiums sind dabei offener für Imaginationen, die eine hegemoniale Zweigeschlechtlichkeit – trotz und mit ihrem als weiblich markierten Körper – überschreiten als der Platz, den sie während ihres Praktikums in einem Jugendzentrum einnimmt. Hier wird die Geschlechtergrenze trotz – oder gerade wegen – gegenteiliger körperlicher Zeichen und Empfindungen immer wieder neu gezogen und aufrechterhalten, so dass ein Denken und Spüren jenseits einer vereindeutigten geschlechtlichen Positionierung in diesem Kontext kaum möglich scheint. Doris schildert die explizite Formulierung eines wir von Seiten der Unternehmensleitung in dem Moment, in dem sie selbst sich „aus dem üblichen Rahmen raus bewegt“. Statt als „lebendiges Beispiel für den Toleranzfaktor des Hauses“, das mit diversityProgrammen wirbt, zu fungieren, folgt an dieser Stelle ihr Ausschluss. Entscheidend ist dabei, dass sie ihre Laufbahn ‚als Mann‘ begonnen und problemlos – quasi automatisiert – ihren Weg nach oben genommen hat. Vor diesem Hintergrund impliziert die Öffnung ihrer sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierung zugleich das Infragestellen eines wir, das sich in diesem Feld als „Verkörperung von unternehmerischer Männlichkeit“ (Connell 2010, 18) konstituiert. Auch Birthe macht sehr deutlich, dass trotz eines Engagements im diversity-Bereich ihre lesbische Lebensweise keine Veränderung in diesem beruflichen Feld bewirkt. Zwar führt ihr Engagement dazu, dass sie sich sowohl in der Lesbenszene als auch in der Firma mehr „zuhause fühlen“ kann, dennoch führt sie als Desiderat einer Vernetzung ‚als lesbische Managerinnen‘ ein Wirken hin zu einem sich „ganz ganz fühlen“ am Arbeitsplatz an – was eben nicht mit dem Aufführen einer weiteren Identität getan ist, sondern mit einer Veränderung des heteronormativ organisierten Feldes einhergehen müsste. Wenn Nadine sich schließlich an ihrem neuen Arbeitsplatz ‚als Frau‘ bewegt, führt sie kontinuierlich Differenzen in das soziale Gefüge ein. Während sie zunächst an der Konstituierung eines wir in lesbischen Kontexten mitwirkt und sich diese Zugehörigkeit auch oder gerade auf einer körperlichen Ebene erarbeitet, stellt die-

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ses Feld schließlich den Rahmen, ihre Positionierung in Auseinandersetzung mit den Anforderungen an eine neu inszenierte „Weiblichkeit“ – im Sinne eines sichtbaren Frau-Seins – weiter zu differenzieren. Subjektpositionen werden nicht immer ganz oder eindeutig eingenommen; Lorenz/Kuster (2007) sowie Lorenz (2009) sprechen in diesem Zusammenhang von Prekarisierung als neuer Subjektivierungsweise, die sie mit dem Begriff der sexuellen Arbeit fassen. Sie führen Althussers Konzept der Anrufung in einer Weise fort, die es ihnen ermöglicht, Widersprüche zu konzeptualisieren: Gesellschaftliche Plätze werden demnach nicht durchgehend und eindeutig eingenommen, sondern die Beobachtungen in verschiedenen historischen und geopolitischen Kontexten zeigen vielmehr, dass gesellschaftliche Plätze ‚genügend gut’ und temporär eingenommen werden, um sie gleich darauf wieder zu verlassen.7 Interessant ist ihre Schlussfolgerung, dass es nicht die Positionen sind, die prekär werden, sondern die Prozesse der Subjektivierung selbst das Moment der Prekarisierung beinhalten. In diesem Sinn sind Individuen in unterschiedlicher Weise widersprüchlichen Anrufungen ausgesetzt, die einen jeweils spezifischen Aufwand an Bearbeitung sowie ein Potential der Umarbeitung implizieren. Heteronormativität erscheint vor diesem Hintergrund als wirkmächtige Denk- und Wahrnehmungsstruktur, in die Menschen über Subjektivierungsprozesse involviert sind, in die sie sich einfädeln oder eingefädelt werden. Sie reproduziert sich über spezifische Sichtbarkeiten respektive Ausgrenzung differenter Seinsweisen: Wenn Tom von einer Sichtbarkeit bis auf „’ne bestimmte private Ebene“ spricht, so formuliert er einen gesellschaftlich konstituierten Widerspruch, der ihm eine individuelle Lösung abverlangt.8 Seine Sichtbarkeit ist gekoppelt an „normative Konventionen der Lesbarkeit“ (Mesquita 2008, 144), die wiederum historisch bedingt und in diesem Sinne kontingent sind. Die Konstruktion eines öffentlichen und eines privaten Bereichs hält eine Nische bereit, die für Tom lebbar ist und

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Diese Perspektive einer beständigen „Bewegung zwischen den Plätzen“ entwickeln Lorenz/Kuster 2007 (234 f.) mit Bezug auf Kaja Silverman.

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Dieses Argument betonen Jannick Franzen und Nico J. Beger mit Bezug auf Corinna Genschel, die als Desiderat formuliert, die Erfahrung von Transsexualität als in und durch gesellschaftliche Widersprüche konstituiert zu denken (vgl. Franzen/Beger 2002; Genschel 2001).

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die er zunehmend besetzt. Die in einer zweigeschlechtlichen Ordnung auftretenden Widersprüche bearbeitet er außerhalb des Erwerbsarbeitskontexts – an Orten wie dem Stammtisch und in Beziehungen, die ihm erlauben, seine Transmännlichkeit nicht nur zu realisieren, sondern weiter an einer Differenzierung zu arbeiten. Der Stammtisch ist dabei nicht nur ein Ort subjektivierender Wissensproduktion, sondern treibt eine Sichtbarkeit dieser Seinsweise – mit allen Brüchen und Ambivalenzen, die es mit sich bringt, unter einem identitären Namen zu arbeiten – kontinuierlich voran. In den Bewegungen Karos wiederum, in denen sie Subjektpositionen innerhalb eines Feldes von Maskulinitäten temporär einnimmt, vollzieht sich nicht nur eine Differenzierung ihrer geschlechtlichen Selbstpositionierung, sondern zugleich eine Relativierung der Bedeutung von Geschlecht, die sie als „in der Mitte eingependelt“ beschreibt. Auch wenn sich in diesen Prozessen der Disidentifikation, wie Muñoz (2007) sie konzeptualisiert, die naturalisierende Wirkung von Geschlecht relativiert, muss Karo sich in verschiedenen Kontexten immer wieder neu den Zumutungen einer geschlechtlichen Bestimmung wie den damit einher gehenden Zuschreibungen und Einschränkungen stellen. In den Erfahrungen von Doris wird deutlich, wie die heteronormative Ordnung nicht nur in Prozesse der sexuellgeschlechtlichen Selbstpositionierung, sondern in ihren beruflichen Werdegang und ihre Verortung involviert ist. Auf dem Weg hin zur Realisierung eines neuen Projekts findet Doris’ differente geschlechtliche Selbstpositionierung nicht nur einen Ausdruck, sondern bringt das Projekt in dieser spezifischen Form überhaupt erst hervor. In verschiedenen Phasen gelingt es ihr zunehmend, ihre beruflichen Perspektiven mit ihrer sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierung abzustimmen, was ich mit Kosofsky Sedgwick (2005/1997) als „wachsende Kontur des Selbst“ (ebd., 147) lese. Dass diesem Weg keine freie Entscheidung zugrunde liegt, kommt in der existenziellen Verunsicherung zum Ausdruck, die der Verlust von Zugehörigkeit – und Privilegien – bedeutet. Für einen analogen Kontext betont Birthe den Aufwand, den sie ‚als Frau‘ zu betreiben hat, will sie in eben diesem Arbeitsfeld bestehen. Ihrer körperlichen Präsenz, die sie mit dem Begriff „Fremdkörper“ belegt, sind in diesem Bereich – auf einer Ebene des höheren Managements – enge Grenzen gesetzt. Sich dieser Subjektivierungsweise widersetzend beziehungsweise sich darin bewegend hat sie sich irgendwann „erlaubt, Hosen anzuziehen“. Dass dies zugleich eine Entscheidung ist, auf dem einmal erreichten Level stehenzubleiben, beschreibt

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sie als „verändert drin bleiben“. Körperliche Grenzen verweisen auf ihre spezifische Positionierung und den Aufwand, der ihr ‚als Frau‘ in dieser historisch gewachsenen Struktur abverlangt wird. Ihre lesbische Lebensweise bildet dabei lediglich das notwendige Außen, in dem sich die heterosexuelle Norm und ein als männlich markierter Bezugspunkt konstituieren.9 Nadine schließlich vollzieht eine Bewegung von einem ‚Außen‘ der heteronormativen Ordnung, einer eindeutig lesbischen Subjektposition, hin zu einer erneuten, dezidierten und selbst gewählten Sichtbarkeit ‚als Frau‘, die sie in differenzierter Weise gestaltet. Die Zugehörigkeit zu einer als weiblich markierten Seinsweise beschreibt sie als bewusste Entscheidung, die einen neuen Handlungsraum öffnet. Selbstreflektion ist der Modus, in dem Nadine kontinuierlich an Differenzen ihrer sexuell-geschlechtlichen Selbstpositionierung arbeitet. Indem sie einen „Blick von außen“ konsequent als gesellschaftlich konstituiert wahrnimmt, gelingt es ihr, die augenscheinliche Zugehörigkeit ‚als Frau‘ produktiv zu wenden und gesellschaftliche Bewertungsdimensionen nicht nur aufzuzeigen, sondern zu durchqueren. Fassen wir mit Butler (2010) Intelligibilität als „allgemeines historisches Schema oder als Reihe historischer Schemata, die das Erkennbare als solches konstituieren“ (ebd., 14), so erscheint Geschlecht als eine Weise, in Erscheinung zu treten respektive intelligibel zu werden. Tom verortet das damit einhergehende Gefühl der Ermächtigung in der fraglosen Zugehörigkeit, die sich mit der Wahrnehmung als weißer heterosexueller Mann einstellt, wie er betont: „Es wird überhaupt nichts in Frage gestellt! Es stellt keiner in Frage, wer ich bin, was ich bin, und welche Fähigkeiten ich habe.“ Während Tom den öffentlichen Bereich der Erwerbsarbeit nutzt, um als Subjekt in Erscheinung zu treten und sich in diesem Sinne ein Feld neuer Erfahrungen auftut, nutzt auch Karo unterschiedliche Kontexte innerhalb einer heteronormativen Struktur, um ihre sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierung in Prozessen der Differenzierung voranzutreiben. Es ist die

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Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch Raewyn Connell (2010), wenn sie konstatiert: „Die letzte Modernisierungswelle beinhaltete Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben am Arbeitsplatz; die Akzeptanz von Frauen in Autoritätspositionen und die Fähigkeit, in einer computerreichen Umgebung komfortabel arbeiten zu können. Doch diese Änderungen haben strikte Grenzen; der gläserne Turm ist kein Ort von Geschlechtergleichheit.“ (Ebd., 22)

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zunehmende Disidentifikation von einem ‚naturalisierenden Evidenzdenken‘ (vgl. Fuchs 2002), das es Karo ermöglicht, die anerkennende Wirkung von Intelligibilität trotz und mit ihrem als weiblich markierten Körper wahrzunehmen und umzusetzen. So gelingt es Karo in ihrer Realisierung von Maskulinität auf eine Weise sichtbar zu werden, die sie mit „weniger Verwundbarkeit“ verbindet. Das ermächtigende Moment ist eben darin zu verorten, „dass die Wahrnehmung materielle Auswirkungen hat“ (Butler 2010, 31). Die temporäre Einnahme verschiedener Subjektpositionen – das differente Sichtbarwerden in ihrer Maskulinität in unterschiedlichen Kontexten – ermöglicht ihr eine disidentifizierende Bewegung hin zu einem relativierenden Bezug auf Geschlecht. In den Erfahrungen von Doris zeigt sich als relevante Dimension von Intelligibilität der Zeitaspekt. Während sie sich auf den Status als „juristische Vollfrau“ vornehmlich in anonymen Geschäftsbeziehungen beruft, gelingt es ihr im Aufbau persönlicher Beziehungen, ihre differente sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierung zunehmend einzubringen und auf diese Weise ein neues Projekt voranzubringen. In diesen Prozessen stellt sich eine Intelligibilität her, die nicht auf Geschlecht beschränkt bleibt: Es ist vielmehr der reflexive Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse, der durch ihre differente Selbstpositionierung zugleich angestoßen wie auch bedingt ist. Birthe wiederum ist mit einer Sichtbarkeit ‚als Frau‘ in einem Feld markiert, das ihr in diesem Sinn nur einen engen Raum zugesteht. Die Kompensation dieser Positionierung vollzieht sich zu einer Zeit, in der sie Arbeit als ihren Lebensmittelpunkt benennt und von der sie sagt, sie habe „geschafft geschafft geschafft“. Das Fortführen ihrer Karriere unter dem Zeichen ‚lesbische Frau‘ hätte in den bestehenden Strukturen einen solchen Aufwand bedeutet – in ihren Worten: „ich hätte mich mehr noch den Konventionen und dem Üblichen angleichen müssen“ –, dass sie sich gegen diesen Weg entscheidet. Auch Nadine bewegt sich in Wahrnehmungsmustern, mit denen sie ‚als Frau‘ – allerdings in einem als weiblich markierten Berufsfeld – konfrontiert ist. Während ihr als weiblich markierter Körper in diesem Rahmen eine Sichtbarkeit ‚als Frau‘ aufruft und garantiert, gestaltet Nadine die Bedingungen dieses InErscheinung-Tretens kontinuierlich um. Als relevante Dimension nennt sie die „erotische Macht“, die sie in diesem feminisierten Berufsfeld zum Einsatz bringt und es in seinen heteronormativen Implikationen durchquert. Wenn Butler (2010) den Körper als Modus, anderen ausgesetzt zu sein, und als „per definitionem verletzlich“ (ebd., 39) definiert, so macht sich in

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diesem Moment die fixierende und verobjektivierende Wirkmacht heteronormativen Denkens fest. In ihrer aktuell zusammengestellten Publikation, in der sie sich mit „Raster[n] des Krieges“ auseinandersetzt, geht es ihr um „eine neue Ontologie des Körpers, eine Ontologie, die mit einem neuen Verständnis von Gefährdung, Schutzlosigkeit, Verletzlichkeit, wechselseitiger Abhängigkeit, Exponiertsein, körperlicher Integrität, Begehren, Arbeit, Sprache und sozialer Zugehörigkeit einhergeht“ (ebd., 10). So zeigen vielfältige in den Interviews geschilderte Erfahrungen auf eindrückliche Weise, wie in einem heteronormativen Blickregime differente Verkörperungen zu ständigen Projektionen anreizen, während die eigene – als hegemonial gesetzte – Position unhinterfragt und gewahrt bleibt. Zum Ausdruck kommt, wie sich der Zwang und der gesellschaftliche Druck hin zu einer sexuellgeschlechtlichen Eindeutigkeit auf einer Beziehungsebene manifestiert. Erklärbar wird so, was Doris als eine „Sucht nach Anpassung“ beschreibt: Die Herstellung von Passung mit als weiblich respektive männlich markierten Erscheinungsweisen, die Heterosexualisierung des Umgangs unter Kolleg_innen, die signifikante Funktion von heterosexistischen Witzen bis hin zu einem offen homophoben Milieu. Hier zeigt sich der heteronormative Deutungsrahmen, der – und das ist entscheidend – den Praxen selbst vorausgeht. Es sind Subjektpositionen, die – eindeutig oder auch nur genügend gut – eingenommen und auch verlassen werden können oder müssen. Wenn Doris betont, „es ist ja kein frei gewähltes Ding, was ich hier mache“, wird das Begehren nach Anerkennung deutlich, das Strukturen in Prozessen der Subjektivierung auslösen und versprechen. „Was anderes draus zu machen“ schafft zugleich Raum, eine zunehmend differente sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierung zu realisieren, die ihr neues berufliches Projekt in dieser Form überhaupt erst hervorbringt. Deutlich wird, wie die Disidentifikation sich nicht auf Geschlecht beschränkt, sondern vielmehr zu einer Neujustierung der beruflichen Perspektive und zu einer tief greifenden Reflektion der gesellschaftlichen Verhältnisse führt. Prekarität in diesem Sinne als politisch bedingten und zu verantwortenden Zustand zu begreifen (vgl. Butler 2010, 31 f.), verweist auf die differenzielle Verteilung und Akkumulation von Macht in einer heteronormativen Ordnung, die es zu verunsichern gilt.

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R ELATIONALITÄT – D IFFERENZ – A UFWAND Auf welchen Ebenen nun lassen sich Bewegungen, Verschiebungen und Umarbeitungen der so konstituierten Ordnung beschreiben? Wenn Butler (2010) die „konstitutive Sozialität des Körpers“ (ebd., 58) betont, in der er als „an andere gebunden“ (ebd., 64) erscheint, so gewinnt die Ebene der Relationierung an Bedeutung. Während Geschlechterverhältnisse innerhalb einer heteronormativen Ordnung durch einen engen Begriff von (Hetero)Sexualität und hierin sich institutionalisierende Beziehungen reproduziert werden und mit Privilegien ausgestattet sind, machen die Interviews deutlich, wie sich beständig „Diagonalen in das soziale Gewebe“ (Foucault 2001/1981, 128) einziehen und neue Verbindungen schaffen. Versuchen wir etwa, Geschlecht und Sexualität nicht als personale, sondern als relationale Kategorien zu denken, dann konstituiert ein „auf Frauen stehen“, wie Karo es beschreibt, ein Beziehungsfeld, das zu einem heteronormativen Bezugsrahmen quer liegt. In diesem Sinne geht es im Sprechakt des coming out, den Foucault (2001/1981) als „aus sich heraus gehen“ (ebd., 130) beschreibt, nicht lediglich um die Preisgabe oder Enthüllung einer Information, wie der Begriff des Informations-Managements in der angloamerikanischen Debatte suggeriert (vgl. Losert 2009). Es ist vielmehr die erotische Identität der Adressat_in, die in die Enthüllung involviert ist und potentiell verstört wird.10 Sexualität stellt in diesen Prozessen der Subjektivierung einen Möglichkeitsraum dar, an den Konturen des Selbst zu arbeiten.11 Während sie zunächst als das Private gerahmt und aus dem öffentlichen Bereich wie auch aus Konzeptionen von Professionalität ausgeschlossen ist, wird sehr deutlich, wie Sexualität in ihrer heteronormativen Form Sichtbarkeiten und Subjektpositionen im öffentlichen Raum strukturiert. Dabei ist

10 Vgl. zu diesem Aspekt der Relationalität Eve Kosofsky Sedgwick (2003/1990), die darauf verweist, dass „erotische Identität sich niemals allein aus sich selbst definieren, niemals nicht relational sein kann, niemals von jemandem erfasst oder erkannt werden kann, der sich außerhalb einer wechselseitigen Übertragungsstruktur befände“ (ebd., 131). 11 Vgl. zu diesem Aspekt die empirische Untersuchung von Robin Bauer (2005), der BDSM-Praktiken hinsichtlich ihres Potentials, die Geschlechter-Binarität zu queeren, untersucht.

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es die homogene Aufteilung zugestandener Kommunikationsmodi und Affekte auf eindeutig bestimmte Geschlechtskörper, die Zugehörigkeit verspricht und über vorgefertigte Ähnlichkeiten anreizt: „Unsere Affekte sind niemals ausschließlich unsere eigenen: Affekte werden uns von Anfang an von anderswoher übermittelt. Sie vermitteln uns eine bestimmte Wahrnehmung der Welt, sie veranlassen uns, bestimmte Dimensionen der Welt wahrzunehmen und andere auszuschließen.“ (Butler 2010, 54) In allen Interviews lässt sich aufzeigen, wie die geschlechtliche Selbstwahrnehmung über eine Heterosexualisierung von Szenen verstärkt werden kann. Deutlich wird darin die Verführungskraft einer heterosexuellen Matrix, die zwar eine Sprechposition bereithält und Autorität wie auch Handlungsfähigkeit verleiht, im gleichen Zuge aber körperliche Widerstände hervorruft. Der Körper stellt in diesem Sinn das Terrain, auf dem Plätze und Zugehörigkeiten innerhalb einer heteronormativen Ordnung angewiesen wie auch durchquert werden. Heteronormativität reguliert die affektiven Bezugnahmen und Ansprachen, sie sorgt für ein Hochgefühl, wie Tom es beschreibt, oder dafür, sich weniger verwundbar zu fühlen, wie Karo es erfährt. Erst vor diesem Hintergrund ist die queerende Dimension zu verstehen, wenn Tom das Verhältnis zu seiner Büro-Kollegin als „Wir lachen halt viel mit’nander, wir sind so ’n ziemlich ähnlicher Typ“ beschreibt. Es ist die Ähnlichkeit auf einer affektiven Ebene, die in, mit und gegen die zweigeschlechtliche Ordnung auf einer körperlichen Ebene hergestellt und wahrgenommen wird. Ebenso ist Karos Gefühl eines kumpelhaften Verhältnisses zu lesen, das sie zu den männlichen Jugendlichen aufbaut und als eine „Zuneigung unter heterosexuellen Männern“ beschreibt. Dieses queering gesellschaftlicher Strukturen findet seine Grenzen in der Anerkennung von Gefühlen wie auch Beziehungen, die permanent ausgegrenzt bleiben müssen. Wenn Doris den Moment ihres outings als „auf 100.000 Wolken“ beschreibt, so wird deutlich, wie stark der gesellschaftliche Druck wie auch die Wirkmacht ist, die heteronormative Wahrnehmungsmuster in Subjektivierungsprozessen entfalten. Auch in Birthes Beschreibungen erscheinen heterosexuelle Lebensweisen dermaßen normativ, dass ihre lesbische Lebensweise keinerlei Eingang in Struktur und Definition – im Sinne einer Veränderung – des heteronormativ organisierten Berufsfeldes mit seinen vereindeutigten Geschlechterpositionen und Beziehungspraxen findet. Demgegenüber nutzt Nadine in ihrem feminisierten und abgewerteten Tätigkeitsbereich ihre erotische Macht, um als Subjekt in Erscheinung zu

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treten. Signifikant ist dabei die Umarbeitung der Bedingungen, die ihr gesellschaftlich qua Frau-Sein auferlegt sind. Mit Bezug auf eine ethologische Konzeption von Geschlecht, wie sie Gatens (1995; 1996) formuliert, wird es möglich, Differenzen auf einer körperlichen Ebene über das Potential „zu affizieren und affiziert zu werden“ (Gatens 1995, 40) in die Analyse einzubeziehen. Prozesse sexuellgeschlechtlicher Selbstpositionierungen lassen sich als Verkörperungsprozesse fassen, in denen sich Verschiebungen ereignen und die eine Reflektion gesellschaftlicher Bedeutungszuschreibungen möglich machen. In diesem Sinn vollziehen sich die subjektivierenden Wirkungen eines Sichtbar-Werdens, wie Tom es im Kontext seiner Erwerbsarbeit – im Verbund mit den differenzierenden Praktiken beim Stammtisch – beschreibt, auf einer körperlichen Ebene. Wenn Tom etwa in einer Alltagssituation an seiner Arbeitsstelle von einem Kollegen in ein heterosexistisches Verhältnis gesetzt wird, so evoziert das Wandern dieser Geschichte in unterschiedlichen Kontexten jeweils unterschiedliche Affekte. Erst in dieser Komplexität stellt sich für Tom ein Abstand zur naturalisierten Wahrnehmung einer durch Vereindeutigung hergestellten Geschlechterposition her, die in ihren heteronormativen Implikationen auf einer affektiven Ebene Widerstand hervorruft und reflektierbar wird. Auch Karos Erfahrungen zeigen, dass ein Sichtbar-Werden als Drag King einen Abstand zu naturalisierten geschlechtlichen Positionierungen organisiert. Provoziert wird damit ein offener Prozess, in dem eine Disidentifizierung ‚als Frau‘ eben nicht in eine Identifizierung ‚als Mann‘ mündet.12 Vielmehr sind es sich situativ herstellende Konstellationen vornehmlich im homosozialen Bereich, die Karo auf einer affektiven Ebene als das Gefühl einer „Zuneigung unter heterosexuellen Männern“ beschreibt. Die Erfahrung und Bestätigung von Maskulinität findet sie dann in Begegnungen, die sich in einer Referenz auf schwule Sexualität realisieren. Ein Wahrnehmen dieser Affekte führt zu einer zunehmenden Differenzierung wie auch Relativierung von Geschlecht als naturalisierte Kategorie. Doris vollzieht eine Bewegung hin zu einer differenzierten Selbstpositionierung, in der es ihr zunehmend gelingt, Vorlieben und Interessen innerhalb eines beruflichen Projekts zu realisieren. Während ihre differente Verkörperung in einem sich durch hegemoniale Männlich-

12 Vgl. zu diesem Aspekt auch Schirmer (2007b).

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keit auszeichnenden Erwerbsarbeitskontext Irritationen hervorruft und zu Projektionen anreizt, verschieben sich Doris’ Prioritäten hin zu einer Passung ihrer Tätigkeiten auf einer affektiven Ebene, wenn sie erklärt: „Und zum andern mag ich natürlich auch gerne tralala und einfach nur Halligalli, und das kann man auch ganz gut da drin [in dem Projekt, KW] machen.“ Birthe wiederum zieht es vor, nach diversen Reflektionsschleifen zunächst in ihrem Berufsfeld zu bleiben. Während dieses ihr anfangs eine Lebensweise abverlangt, die sie mit „funktionieren“ und „sieben Tage die Woche rund um die Uhr arbeiten“ beschreibt, machen sich körperliche Grenzen bemerkbar, die sie in der Folge als „mein Asthma“ bezeichnet. Indem Birthe zunehmend Kontexte außerhalb ihrer Erwerbsarbeit für eine Reproduktion ihres Körperselbst relevant macht, kommt es zu einer Durchlässigkeit ihrer beruflichen Lebensweise. Der Aufwand, in diesem Kontext weiterhin erfolgreich tätig zu sein, artikuliert sich auf einer körperlichen Ebene und führt zu einer differenten Selbstpositionierung, die sie als „verändert drin bleiben“ beschreibt. Nadine hingegen nutzt die affektive Ebene, die sie als „erotische Macht“ bezeichnet, um Beziehungen und Verbindungen zu evozieren, die zu einem heteronormativen Bezugssystem quer liegen. Dabei geht es ihr gerade darum, sich nicht auf eine Identität festzulegen, sondern sich zunehmend different in eine heteronormative Ordnung zu involvieren und diese in ihren Implikationen umzuarbeiten. Indem sie Differenzen auf einer affektiven Ebene präsent hält, gelingt es ihr, in der selbstbewussten Aneignung von Weiblichkeit gesellschaftliche Bedeutungen – und inhärente Bewertungen – zu verschieben. Diskursive Praxen der Differenzierung in zwei Geschlechter stellen einen Ausgangspunkt dar, an, mit und gegen das heteronormative System der Zweigeschlechtlichkeit zu arbeiten. Indem Butler (2010) betont, „diese Kategorien, Konventionen und Normen … liegen dem Akt der Anerkennung voraus“ (ebd., 13), kommt die gesellschaftliche Dimension zum Ausdruck, die Körperpraxen sowohl in ihren reproduzierenden als auch in ihren intervenierenden Wirkungen bedingt. Die Auseinandersetzung mit Bedeutungszuschreibungen an als weiblich respektive männlich bezeichnete Körper auf einer affektiven Ebene bedeutet dabei einen Aufwand, der immer wieder zu gesellschaftlichen Verhältnissen zurückführt, wie Deleuze (1993/ 1990) in Bezug auf die theoretischen Verschiebungen im Denken Foucaults anmerkt: „In den letzten Büchern ist es schließlich die Entdeckung eines Denkens in Form von ‚Subjektivierungsprozessen‘. Es ist dumm, darin eine

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Rückkehr zum Subjekt zu sehen, es handelt sich um die Bildung von Existenzweisen.“ (Ebd., 138) Die Prozesse, in denen differente Realisierungen sichtbar werden, zeichnen Geschlecht als relationale Kategorie. Sexualität stellt darin einen Möglichkeitsraum für differente Bezugnahmen dar. Die Effekte relationaler Körperpraxen in gesellschaftlich konstituierten Kontexten wie auch ihre Grenzen werden im Anschluss abschließend diskutiert.

A RBEIT

AN DEN

G RENZEN

Die im Eingangszitat von Foucault (2001/1973) benannte „Transformation“ (ebd., 45) von Energie in Arbeitskraft bezieht sich zunehmend auf eine Abschöpfung von Differenzen und Beweglichkeiten, auf eine In-Wert-Setzung des Lebendigen und Subjektiven, die Michael Hardt und Antonio Negri mit den Begriffen der affektiven und immateriellen Arbeit zu fassen versuchen.13 In diesem Sinne habe ich in meiner empirischen Analyse sechs Dimensionen herausgearbeitet, um nicht nur Ein- und Ausschlüsse, sondern vielmehr das bewegliche Feld von Passungen und Realisierungen zu beschreiben, die in Subjektivierungsprozessen am Werk sind. Vor diesem Hintergrund kann ich bestätigen, was Lorenz und Kuster (2007) in ihren historisch und geopolitisch unterschiedlich situierten Untersuchungen aufgezeigt haben: Dass es zu einer zunehmenden Prekarisierung nicht etwa von Subjektpositionen, sondern von Subjektivierungsweisen kommt. Auch Volker Woltersdorff (2010) extrapoliert den Begriff der Prekarisierung von entgarantierten Arbeitsverhältnissen auf „entgarantierte Subjektivierungsweisen“ (ebd., 229) und fordert die Analyse von Ausschluss- und Ermächtigungsmechanismen in ihren jeweiligen Verschränkungen. Fassen wir also „prekär sein“ mit Lorenz (2009) als „ohne feste Identität zu sein, für eine neue Konstitution offen zu sein“ (ebd., 16), so bedeutet dies eben nicht für alle Individuen dasselbe. Der Aufwand liegt bei denjenigen, die herausgefordert sind, sich auf differente Weise in einem historisch gewachsenen Feld zu bewegen, was zu Verhältnissen führt, die Doris treffend als „Sucht nach Anpassung“ beschreibt.

13 Vgl. Hardt (2004) und Negri (2007) sowie im Anschluss daran die differenzierten und auch kritischen Bezugnahmen in Pieper/Atzert/Karakayali/Tsianos (2007) (Hg.).

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Es spricht für die Herrschaftsförmigkeit gegenwärtiger Erwerbsarbeitskontexte, dass die Bearbeitung von Widersprüchen in der eigenen sexuellgeschlechtlichen Selbstpositionierung ausgelagert wird. Dabei ist es nicht nur die soziale Ebene, auf der Wahrnehmungen von Leistung und Kompetenz austariert werden und wirken. Es ist vielmehr eine nach Geschlecht strukturierte und wechselseitig aufeinander bezogene Organisation von Arbeit, die zu einer bestimmten Form und einem bestimmten Begriff von Leistung führt.14 Die Effizienz dieser Organisation eines Feldes multipler Körper kann auf die fehlende Begegnungen zurückgeführt werden, die persönliche Bezugnahmen und die Präsenz differenter Verkörperungen bedeuten würden.15 Während etwa im höheren Management eine massiv maskulinisierte Kultur herrscht, die über Kategorien des Natürlichen abgesichert ist und die Frauen spezifische Positionen – in Bezug auf Männer – zuspricht, zeichnet sich der Pflege- und körpertherapeutische Bereich durch Beschreibungen aus, die – unterstützt durch den heterosexuellen Bezug auf hier angesiedelte Leitungs- und von der Pflege entkoppelte ärztliche Positionen – eine dezidiert feminisierte Kultur einsetzen.16 Es ist diese Struktur, die sich über Ausschlüsse und Vereindeutigungen konstituiert, die auf der einen Seite zu einer dermaßen vermachteten und mit Macht ausgestatteten Organisation des höheren Management führt, auf der anderen Seite ein outsourcing über den abgewerteten und – auch finanziell – entmachteten Bereich der Pflege und der Beziehungen erst ermöglicht.

14 Vgl. zu einer fundierten Analyse dieses Aspekts Hofbauer (2010), die das Phänomen sozialer Homogenität und kultureller Hegemonie in Organisationen aus einer Bourdieu’schen Perspektive betrachtet. 15 Oder wie Foucault (2001/1981) formuliert: „… jene Beziehungen, die sich gleichsam kurzschließen und dort Liebe einführen, wo es Gesetz, Regel und Gewohnheit geben sollte“ (ebd., 124 f.); interessant und weiterführend ist in diesem Zusammenhang die Verbindung von Ansprechbarkeit und Verletzbarkeit, wie sie Butler im Gespräch mit Jill Stauffer formuliert (2009, 74 ff.). 16 Diese Prozesse untersucht Angela McRobbie in ihren Arbeiten zu jungen Frauen für den Bereich der Kreativwirtschaft (vgl. McRobbie 2010); zur Diskussion einer Fortschreibung weiblicher Subjektkonstruktionen im Neoliberalismus vgl. insbesondere Ludwig (2006).

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Heteronormativität als machtvolles Denk- und Wahrnehmungsmuster wirkt in diesen Kontexten über Begriffe von Professionalität und strukturiert auf diese Weise das Feld. Während es nach wie vor eingängig und passend erscheint, ‚als Mann‘ wahrgenommenen Personen Entscheidungsbefugnis zu übertragen, zeigen die Erfahrungen im gleichen Feld Optionen auf, eine heteronormative Strukturierung aufzubrechen, indem subjektive Selbstpositionierungen hinsichtlich verschiedener Dimensionen einer Reflektion zugänglich gemacht und als veränderbar, mindestens aber verhandelbar gerahmt werden.17 Sexuell-geschlechtliche Selbstpositionierung als Teil von Professionalität anzuerkennen bedeutet dabei, Gegenbewegungen zu vorherrschenden Objektivierungen anzutreten und an der Dezentrierung machtvoller Positionen zu arbeiten, die über Prozesse der Naturalisierung ihre eigene Geschichtlichkeit wie auch Interessen-Basiertheit verbergen. Wenn es demgegenüber bei aktuellen diversity-Programmen um einen Abschöpfungsprozess geht, der Subjektivitäten in Arbeitskraft transformiert, wird auf die Individualität ansonsten Gleicher rekurriert – und diese zugleich hervorgebracht. Vor diesem Hintergrund beziehen sich Differenzen auf „warenförmige Verschiedenheiten“ (Wagenknecht 2001, 812), die Doris so treffend auf der Haben-Seite verortet. Im Rahmen eines historisch gewachsenen Felds reproduzieren sich Strukturen über eine allgemeine Gleichheitsrhetorik, die Machtverhältnisse nivelliert und nicht als eigene reflexive Größe in den Blick nimmt. Auch wenn diversity-Programme und vergleichbare Ansätze einen Zugang zum Feld der Erwerbsarbeit ermöglichen und erleichtern können, ist die entscheidende Frage, wie viel Differenz das Feld tatsächlich verträgt. In diesem Sinne lassen sich in den Interviews verschiedene Möglichkeitsräume, aber auch Grenzen aufzeigen, die Erwerbsarbeitskontexte gegenwärtig auszeichnen. Plausibel wird diese Ambivalenz anhand eines Begriffs von Sexualität, der als Identität oder „in der Warenform verdinglicht ist“, wie Wagenknecht (2001, 817) es formuliert. So bedarf es eines Aufwands, entgegen der vorherrschenden heteronormativen Weise, Professionalität zu leben, eine lesbische Lebensweise als erkennbar different geltend zu machen, um eine Veränderung im Feld zu bewirken und sich auf andere Wei-

17 Zu einer in diesem Sinne ausgearbeiteten Konzeption von queerer Professionalität „im Modus reflexiv-kritischer Haltung“ vgl. Schütte-Bäumner (2007, 241 ff.).

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sen darin zu bewegen. Dabei geht es darum, „die Identität als Überdeckung der Differenz und der Differenz der Differenzen zu denken“ (Foucault 1973/1969, 11). Der Fokus liegt auf der Sein-Seite, wenn Nadine die Wichtigkeit betont und auch praktiziert, Differenzen – etwa in der Verkörperung von Transmännlichkeit und lesbischer „Femme-ininität“ (Fuchs 2009, 11) im Verhältnis zu einem heterosexuellen Paar – präsent zu halten. Die Festschreibung von Differenz in Identität kann zwar Türen öffnen und auf diese Weise den Zugang zu einem Feld ermöglichen; es bedarf allerdings einer kontinuierlichen Relationierung, um die Effekte von Differenz offen zu halten und an einer Veränderung des Felds – im Sinne einer Dezentrierung und Prekarisierung hegemonialer Positionen – zu arbeiten. Hierarchisierungen lassen sich über Geschlecht als kritische Folie wahrnehmbar machen.18 Demnach scheitert Birthes Sichtbarwerden ‚als Lesbe‘ in ihrem Erwerbsarbeitskontext zunächst an einer machtvollen Ordnung, die ihr Außen – in Form stillgestellter und marginalisierter Identitäten – mit sich bringt. Die Norm einer heteronormativen Organisation von Professionalität bleibt intakt, die Differenz zu dieser Norm ist von Birthe selbst zu kompensieren. In diesem Moment jedoch machen ihre Erfahrungen auch deutlich, dass es der reproduktive Bereich ist, dem eine zentrale Bedeutung für das Erbringen von Leistung zukommt. Diesen Bereich – sie nennt als Beispiel die Wahrnehmung von Schwangerschaft – nur als defizitäres Moment anzuerkennen, widerspricht der Erfahrung Birthes, 50 % effektiver zu arbeiten und mehr zu leisten. Die Durchlässigkeit ihrer beruflichen Lebensweise bewirkt nicht etwa ein Abfallen ihrer Leistung, sondern sie selbst schätzt ihre Arbeit als wirkungsvoller ein. Vor diesem Hintergrund könnte eine Diskussion um die Bedeutung des reproduktiven Bereichs in seinen ökonomischen Aspekten neu aufgelegt werden, im Sinne einer Frage danach, ob ein Mehr – das in der Regel in heteronormativen Strukturen ermöglicht

18 In diesem Sinne verstehe ich Mechthild Bereswill (2005), die in ihrer kritischen Diskussion geschlechterpolitischer Maßnahmen unter Bedingungen neoliberaler Ökonomisierung darauf insistiert, trotz oder gerade wegen widersprüchlicher Dynamiken Analysen wie Handlungskonzepte nicht in die eine oder andere Richtung aufzulösen, sondern vielmehr den gesellschaftskritischen Implikationen der Kategorie Geschlecht weiter nachzugehen.

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wird – immer auch besser heißen muss.19 Ähnliches lässt sich für die Erfahrungen von Doris explorieren, die sich nach diversen Reflektionsphasen zunehmend von der Verführungskraft einer vorgegebenen und eindeutig nach Geschlecht organisierten Tätigkeit – im Sinne repräsentativer Funktionen nach außen – distanziert und sich auf neue Weise in ein Projekt involviert. Was sie als „vernünftige Selbstbeschränkung“ umschreibt, ist dann vielmehr das Resultat einer Disidentifikation mit herrschenden Strukturen, in denen ihre differente Verkörperung zunehmend Eingang findet. Es ist deutlich geworden, dass die Geschlechterdifferenz eine hochrelevante Struktur in unserer aktuellen Gesellschaft darstellt, die nicht zu negieren ist; ebenso wenig ist sie über ein Gleichheitstheorem zu nivellieren, da sie als kulturelle Option im Symbolischen angelegt und in ihren Realisierungen wirksam ist. Es geht also vielmehr darum, in den so konstituierten Verhältnissen Spuren der Veränderung nachzugehen und Räume zu schaffen, in denen sich eine Aktualisierung des Virtuellen zu kristallisieren vermag, wie Deleuze (2007) formuliert: „Die aktuellen Elemente schließen Individuen ein, die bereits konstituiert sind, und Bestimmungen durch gewöhnliche Punkte; die Beziehung zwischen dem Aktuellen und dem Virtuellen bildet dagegen eine Individuierung in actu oder eine Singularisierung durch bemerkenswerte, in jedem Fall zu bestimmende Punkte.“ (Ebd., 253) Vor diesem Hintergrund lassen sich Prozesse der Disidentifikation, der Differenzierung und Relativierung von Geschlecht im Sinne von Körperpraxen anführen, die wiederum in gesellschaftliche Verhältnisse zurückführen. Wie ich gezeigt habe, sind die verschiedenen Stammtische und Vernetzungen als Orte subjektivierender Wissensproduktion relevant zu machen. Unter einem identitären Namen zu arbeiten bedeutet dabei, sich in einem vermachteten Feld zu bewegen – dies zeigt sich in der Vorbildfunktion und dem Repräsentationsstatus, der an alle von mir interviewten Personen herangetragen wird. Sich in diesem Feld offen zu halten für differente Relationierungen und Verkörperungen, fasse ich als Existenzweise, die nun abschließend diskutiert werden soll.

19 Zu einem ähnlichen Fazit gelangt Johanna Hofbauer (2008), die das Zeithandeln in Organisationen als eine Stilisierung männlicher Führungspositionen herausarbeitet und auf die Wirkmacht eines alten Leitbildes verweist, das „die erfolgreiche Managerkarriere als Opferfest des Privatlebens“ (v)erklärt (Ulf Kadritzke, zitiert in Hofbauer 2008, 260).



Geschlecht als Artefakt „Das hat nicht nur eine individuelle, sondern eine gesellschaftliche Bedeutung, da, wie Foucault 1983 sagt, ‚eine Gesellschaft nur von der Arbeit leben kann, die sie an sich selbst und ihren Institutionen verrichtet‘. Diese Arbeit ist immer die Sache von Individuen; Institutionen arbeiten nicht.“ (SCHMID 1997, 21)

Heteronormativität ist eine Denkstruktur, die Menschen in ein spezifisches Verhältnis zueinander setzt. Die Subjektpositionen, die sie bereithält, finden ihren Ausdruck in der naturalisierten Vorstellung von zwei Geschlechtern, die über normative Heterosexualität aufeinander bezogen gedacht sind. Von zentraler Bedeutung ist der historisch konstituierte, als männlich definierte Bezugspunkt: Geschlecht wird somit zu einer Analysefolie, über die Hierarchisierungen entlang als weiblich respektive männlich bezeichneter Zuschreibungen wahrnehmbar werden. In diesem Sinne verstehe ich Elvira Scheich (2006), die in Auseinandersetzung mit Naturwissenschaften und deren Bedeutung für Gender Studien als Desiderat formuliert, „die entwickelte Aufmerksamkeit für Formen von Gewalt, Deklassierung, Diskriminierung und Identitätszwang, die mit der Geschlechtszugehörigkeit verbunden sind, auf die Gestaltung der stofflich-materiellen und körperlichen Verfasstheit menschlicher Verhältnisse und Naturverhältnisse zu beziehen“ (ebd., 197). Der Körper stellt das Terrain, auf dem gesellschaftliche Positionen angewiesen wie auch durchquert werden. Diese Positionierungen verlaufen über ein Theorem der Sichtbarkeit, in das kulturell wie gesellschaftlich konstituierte Bedeutungszuschreibungen einfließen und reproduziert wer-

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den. Selbstpositionierung referiert in diesem Zusammenhang auf Prozesse, sich zu einem gesellschaftlich hegemonialen common sense ins Verhältnis zu setzen. Passing als permanenter Prozess des In-Erscheinung-Tretens und Intelligibel-Werdens ist in diesem Sinn nicht auf Transgender-Kontexte beschränkt: Es sind vielmehr die sich alltäglich ereignenden Entsprechungen, die im Rahmen einer Aufteilung zugestandener Kommunikationsmodi und Affektivitäten evoziert werden und mit Macht ausgestattet sind. An diesem Punkt problematisiert Angela McRobbie (2010) die zunehmende Einbindung junger Frauen in post-fordistische Formen der Produktion: „However this process is far from a story of success and of growing gender equality. Instead gender struggles take on new intensity, and at present what can be seen are new forms of compliance and acquiescence to prevailing sexual norms – i. e. the conservative culture of post-feminism.” (Ebd., 226) Deutlich geworden ist, was auch Precarias a la Deriva im Gespräch mit Renate Lorenz und Brigitta Kuster (2007a) formulieren, „dass Sexualität bei den meisten Jobs eine entscheidende Rolle spielt und dass es wichtig ist, sich die Erwartungen anzuschauen, die sich an Arbeitsplätzen auf unser Verhalten richten“ (ebd., 271). Fassen wir Sexualität in einem weiten Sinne als Machtdispositiv, das sich direkt an die Körper schaltet, „an Körper, Funktionen, physiologische Prozesse, Empfindungen, Lüste“ (Foucault 1983, 180), so ist die vorliegende Arbeit ein Versuch, nicht nur den Festschreibungen und Stillstelllungen in Prozessen der Subjektivierung, sondern den vielfältigen Verkörperungen und Singularitäten nachzugehen, die sich in dieser Struktur ereignen. Nicht als ein freies Spiel der Möglichkeiten, wie Eve Kosofsky Sedgwick (2005) in Bezug auf postmoderne Artikulationen polemisiert, nämlich „dass es eine Million – wenn nicht unendlich viele – verschiedene Wege gibt, in denen ich mein Selbst und meinen Körper tragen kann, aber nun mal zufällig in diesem gelandet bin“ (ebd., 147). Vielmehr geht es um ein Denken der Überschreitungen und Durchquerungen von Heteronormativität, die sich empirisch vollziehen und in diesem Sinne auf die Struktur zurückweisen. Hierzu habe ich Geschlecht als eine relationale Kategorie gezeichnet, in der das Körperselbst sich in Begegnungen konturiert. Begegnungen verweisen nicht lediglich auf einen zwischenmenschlichen Bereich, sondern sie beziehen sich auf gesellschaftliche Felder, in denen Individuen sich bewegen. In diesen Feldern – hier aufgespannt über Erwerbsarbeit und Stammtische – tragen Kontextwissen wie auch sich darin realisierende Beziehungen

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auf jeweils spezifische Weise zu einer Konturierung des Körperselbst bei. Diese subjektorientierte Perspektive hat Auswirkungen auf die Ebene, auf der das Politische verortet wird, oder wie Butler (2010) fragt: „Wie verstehen wir, was es heißt, ein Subjekt zu sein, das in seinen Beziehungen oder als seine Beziehungen konstituiert ist und dessen Überlebensfähigkeit Funktion und Effekt seiner Relationalität ist?“ (Ebd., 53) Jenseits einer persongebundenen Wahrnehmung gerät so die grundlegende Abhängigkeit wie auch die Verletzbarkeit jeglichen Seins in den Fokus der Betrachtung. Der Eintritt in das Leben, das die Intelligibilität stiftet, geschieht immer im Rahmen gesellschaftlich konstituierter Kategorien, die Wahrnehmung wie auch Affekte strukturieren. In dieser Perspektive geht es darum, (hegemoniale) Positionierungen in ihrem Gewordensein zu adressieren. In der Wiederholung liegen die Potentiale einer Politik, die auf eine egalitärere Verteilung von Unsicherheiten und Lebbarkeiten abzielt. Dabei ist es gerade nicht die unendliche Vervielfältigung, von der hier die Rede ist, sondern es geht darum, subjektive Ausgangspunkte und Situiertheiten in ihren machtvollen Dimensionen anzuerkennen und davon ausgehend an einer Veränderung zu arbeiten: „Eben weil die Iterativität jeden Voluntarismus umgeht, steht es mir nicht frei, mich einfach von der Geschichte meiner Formierung zu dispensieren.“ (Ebd., 157) In dieser Form der Selbstpraktik geht es nicht um ein Fortschreiben von Individualisierung oder Privatisierung, sondern im Gegenteil um einen Selbstbezug, der auf Gesellschaft zurückweist – um eine Reflektion der Verhältnisse und eine Intensivierung der gesellschaftlichen Beziehungen.1 Differenzen produktiv machen heißt, aus verschiedenen Perspektiven auf die Herstellungsmechanismen privilegierter Subjektpositionen und die darin wirksamen Normen aufmerksam zu werden. Einsatzpunkt könnte ein Körperbegriff sein, wie ihn Gatens (1995) als Potential „zu affizieren und

1

Vgl. zu diesem Verständnis kritischen und dekonstruktiven Denkens als politische Praxis Ganz/Gerbig (2010), die sich in ihrem kapitalismuskritischen Text „auf die Suche begeben nach Möglichkeiten, die Spuren gesellschaftlicher Transformation, die in unseren Alltagspraxen stecken, zu erkennen, zu reflektieren und zu intensivieren“ (ebd., Abs. 3); zum Gedanken einer „Kultur seiner selber“ als Intensivierung der gesellschaftlichen Beziehungen vgl. Foucault (1993/1984, 53–94).

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affiziert zu werden“ (ebd., 40) formuliert, um den grundsätzlichen Konstruktionscharakter, aber auch Veränderungen auf einer materiellen Ebene denkbar zu machen. In dieser theoretischen Annahme sind Körper weder statisch noch Ausdruck einer inneren, essentiellen Wahrheit; Körper sind Teil gesellschaftlicher Felder: Sie bewegen und konstituieren sich in ihren Beziehungen wie auch Tätigkeiten und zugleich in Auseinandersetzung mit dem, was ihnen gesellschaftlich an Bedeutung zugeschrieben wird. Verschiebungen gerade auf einer körperlichen Ebene hervorzubringen und präsent zu halten, bedeutet eine unentwegte Arbeit an Zuschreibungen und deren Dekonstruktion. Wenn sich Nadine etwa auf neue Weisen immer weiter in eine heteronormative Matrix involviert, so heißt dies nicht, in einer der bereitgehaltenen Positionen aufzugehen; es ist vielmehr eine zunehmend differente Arbeit an den Grenzen, die nicht bei einem Denken der Opposition stehen bleibt.2 Ein so gefasstes Denken des Vielfältigen schafft einen Raum, in dem es möglich wird, hegemoniale Sichtbarkeiten auf einer affektiven Ebene nicht nur wahrnehmbar zu machen, sondern anzufechten. Der Aufwand besteht darin, in die Prozesse und Wirkungen von Macht involviert zu sein. Sichtbarkeit zu problematisieren heißt dann, einen Erkenntnisprozess zu initiieren, in dem Geschlecht als sinnlich fundierte Kategorie aufscheint: „Handelt es sich bei der Wahrnehmung um eine Form der Erkenntnis, so ist diese Erkenntnis jedenfalls mit sinnlicher Wahrnehmung verbunden, ohne bereits konzeptuelles Wissen zu beinhalten.“ (Butler 2010, 12) Begegnungen in diesem Sinne zu organisieren hieße, immer wieder Raum für subjektivierende Praxen zu schaffen, in dem machtförmige Ansprachen und Kommunikation zeitweise außer Kraft gesetzt beziehungsweise produktiv gewendet sind.3 Es hieße, eine Praxis des realistischen Blicks zu entwickeln, wie sie Gesa Ziemer (2008) in Bezug auf verletzbare Körper als

2

Oder wie Foucault (1973/1970) formuliert: „Um die Differenz zu befreien, braucht es ein Denken ohne Widerspruch, ohne Dialektik, ohne Verneinung: Ein Denken, das zur Divergenz ja sagt; ein affirmatives Denken, dessen Instrument die Disjunktion ist; ein Denken des Vielfältigen – der gestreuten und nomadischen Vielfältigkeit, die von keinem der Zwänge des Selben begrenzt und zusammengefasst wird.“ (Ebd., 43)

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Vgl. zu dem Versuch der Umsetzung eines solchen Raums Wagels (2008a).

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verletzbare Orte konzipiert: „Wer realistisch blickt […] blickt verletzbar und damit wach, denn nur so kann ein gleichberechtigter Blick hergestellt werden, der einem ethischen Appell, der auf der Anerkennung der Gefährdetheit eines jeden Lebens beruht, gerecht wird.“ (Ebd., 122) Die vorliegende Arbeit zeichnet ein Bild von der nach wie vor überwältigenden Selbstverständlichkeit, mit der in unserem Alltag eine „phallische Kultur“ (Rubin 2006/1975, 98) aufscheint. So kommt Angela McRobbie (2010) mit Bezug auf ihre eigene Analyse zu jungen Frauen in der Kreativwirtschaft zu dem Schluss: „Women in the new creative economy must actually adopt a macho attitude without jeopardising their femininity. They become in effect phallic women in work and phallic ‚girls‘ in leisure.“ (Ebd., 224) Aussagen wie „das kann nur er“ (Doris) oder die Rede von einem „Manko, Frau zu sein“ (Nadine) sind Zeichen eines als männlich definierten Bezugssystems, das auf spezifische Weise an körperlich fundierte Geschlechterdifferenz gebunden ist und sich darüber reproduziert. Wir alle bewegen uns in diesem System, das sich über „Techniken der Verobjektivierung der Subjekte“ (Caixeta 2007, 82) und über das Denken in Binaritäten konstituiert. In diesem Sinne ist die Forderung von Sabine Fuchs (2009) zu verstehen: „Es genügt nicht, die Grenzen der Zweigeschlechtlichkeit zu hinterfragen, wenn die Verbindung von Maskulinität mit Stärke und Unabhängigkeit und die Verbindung von Femininität mit Schwäche und Abhängigkeit ungebrochen wirksam bleibt. Geschlechtergerechtigkeit kann nur erreicht werden, wenn auch die Verkörperung von Femininität – ganz gleich durch welche Geschlechter – als eine Form der Selbstermächtigung Anerkennung findet.“ (Ebd., 22) Nicht nur die Geschlechterdifferenz ist in die Sphäre des Ökonomischen, ist in Prozesse der Kommodifizierung wie auch in die Definition von Leistung eingeschrieben. Das Symbolische strukturiert sich vielmehr über weitere machtvolle Begriffe, die an Körper gebunden sind. Vor diesem Hintergrund ist das Argument von Luzenir Caixeta (2007) zu verstehen, dass die Inklusion junger, vornehmlich weißer Frauen mit Bildungshintergrund in das Feld der Erwerbsarbeit nicht etwa zu einem egalitäreren Verhältnis zwischen den Geschlechtern führt. Das Problemfeld der ungeliebten Reproduktionssphäre wird vielmehr auf bezahlte Dritte ausgelagert. Es kommt zu einer Verschiebung reproduktiver Verantwortlichkeit, die weniger auf eine Vereinbarung der beiden vergeschlechtlichten Sphären von Erwerbs- und Hausarbeit – und damit auf eine Dezentrierung hegemonialer

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Positionen – als vielmehr auf eine neue Asymmetrie verweist, die „auf geschlechtsspezifischer Segregation und auf politischem, ökonomischem und gesellschaftlichem Ausschluss aufgrund von Herkunft beruht“ (ebd., 80). Unter diesen Bedingungen setzt sich eine heteronormative Ordnung der Geschlechter, die nicht lediglich eine normative Praxis, sondern einen „normal way of life“ (Jackson 2006, 107) bezeichnet, auch unter geschlechtermodernisierten Vorzeichen fort. Es gilt also, eine Reihe von Neujustierungen vorzunehmen: zwischen dem Naturhaften und dem Künstlichen, dem Körperlichem und dem Intellektuellen, der Reproduktion und der Produktivität. Mit einem Statement von Armin Nassehis (2003) komme ich auf den Beginn dieser Arbeit zurück: Dass es sich bei der zweigeschlechtlichen Wahrnehmung – mit Natur als Begründungszusammenhang – um ein Muster handle, „dem offenbar keine konkurrierenden Schemata zur Verfügung stehen“ (ebd., 98). Vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit gilt es, Alternativen zu einem Zweikörpermodell (vgl. Dietze 2006) zu erarbeiten und die Vorstellung des Sozialen in den Bereich von Materialität zu verschieben. Wenn Steffen Kitty Herrmann (2005) Möglichkeiten und Prozesse der Derealisierung von Geschlecht betrachtet, kommt dem Körper ein zentraler Stellenwert zu. Selbstpositionierungen in diesem Sinne entwickeln sich im Rahmen eines komplexen Selbstverhältnisses. Es sind kontinuierliche Bewertungs- und Kommunikationsprozesse, in denen sich gesellschaftliche Zuschreibungen an und mit dem Körper realisieren wie auch verschieben. Wie ich in dieser Arbeit aufgezeigt habe, ist dieses System ein wirkmächtiges Gefüge, das in unsere Beziehungen und Wahrnehmungen involviert ist. Dabei ist es „die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden“ (Foucault 1992/1990, 12), die Diagonalen in das soziale Gefüge einzuziehen vermag. Der Dominanz, die aus einer kulturell definierten Kopplung von Maskulinität an Mann-Sein resultiert, gilt es, in den vielen Kapillaren und Verästelungen, in denen sich diese Macht zeigt, entgegenzutreten und sie zu wenden. Körperpraxen implizieren demnach für alle ein Handlungspotential, sich einem kulturell vorherrschenden, als männlich definierten Bezugspunkt zu entziehen, wie folgende Zeile aus einem Songtext so treffend zu formulieren vermag: „It’s the question of male domination that makes every/body angry“ Lesbians on Ecstasy: We know you know (2007)



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KörperKulturen Anke Abraham, Beatrice Müller (Hg.) Körperhandeln und Körpererleben Multidisziplinäre Perspektiven auf ein brisantes Feld 2010, 394 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1227-1

Aubrey de Grey, Michael Rae Niemals alt! So lässt sich das Altern umkehren. Fortschritte der Verjüngungsforschung 2010, 396 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1336-0

Elk Franke (Hg.) Herausforderung Gen-Doping Bedingungen einer noch nicht geführten Debatte März 2013, ca. 270 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1380-3

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KörperKulturen Robert Gugutzer Verkörperungen des Sozialen Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen April 2012, 256 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1908-9

Sabine Mehlmann, Sigrid Ruby (Hg.) »Für Dein Alter siehst Du gut aus!« Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels. Multidisziplinäre Perspektiven 2010, 278 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1321-6

Charlotte Ullrich Medikalisierte Hoffnung? Eine ethnographische Studie zur reproduktionsmedizinischen Praxis August 2012, 356 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-2048-1

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KörperKulturen Karl-Heinrich Bette Sportsoziologische Aufklärung Studien zum Sport der modernen Gesellschaft 2011, 260 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1725-2

Karl-Heinrich Bette, Felix Kühnle, Ansgar Thiel Dopingprävention Eine soziologische Expertise März 2012, 232 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2042-9

Nicholas Eschenbruch, Dagmar Hänel, Alois Unterkircher (Hg.) Medikale Räume Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit 2010, 254 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1379-7

Mischa Kläber Doping im Fitness-Studio Die Sucht nach dem perfekten Körper 2010, 336 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1611-8

Franz Bockrath (Hg.) Anthropotechniken im Sport Lebenssteigerung durch Leistungsoptimierung?

Swen Körner, Peter Frei (Hg.) Die Möglichkeit des Sports Kontingenz im Brennpunkt sportwissenschaftlicher Analysen

2011, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1868-6

August 2012, 354 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1657-6

Julia Diekämper Reproduziertes Leben Biomacht in Zeiten der Präimplantationsdiagnostik

Britta Pelters Doing Health in der Gemeinschaft Brustkrebsgene zwischen gesellschaftlicher, familiärer und individueller Gesundheitsnorm

2011, 416 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1811-2

Karen Ellwanger, Heidi Helmhold, Traute Helmers, Barbara Schrödl (Hg.) Das »letzte Hemd« Zur Konstruktion von Tod und Geschlecht in der materiellen und visuellen Kultur 2010, 360 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1299-8

November 2012, 392 Seiten, kart., zahlr. Abb., 44,80 €, ISBN 978-3-8376-2225-6

Susanne B. Schmitt Ein Wissenschaftsmuseum geht unter die Haut Sensorische Ethnographie des Deutschen Hygiene-Museums Juli 2012, 272 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2019-1

Martin Stern Stil-Kulturen Performative Konstellationen von Technik, Spiel und Risiko in neuen Sportpraktiken 2010, 302 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1001-7

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