Geschichte in Geschichten verstrickt: Von Astrachan nach Kairouan (über Jeruzalem) [1 ed.] 9783428475131, 9783428075133

Der Verfasser dieses Buches lehrt Öffentliches Recht an der Universität Tübingen. Aus Anlaß der Vollendung seines 65. Le

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German Pages 99 Year 1992

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Geschichte in Geschichten verstrickt: Von Astrachan nach Kairouan (über Jeruzalem) [1 ed.]
 9783428475131, 9783428075133

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ROMAN SCHNUR

Geschichte in Geschichten verstrickt

ROMAN SCHNUR

Geschichte in Geschichten verstrickt Von Astrachan nach Kairouan (über Jeruzalem)

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schnur, Roman: Geschichte in Geschichten verstrickt : von Astrachan nach Kairouan (über Jeruzalem) I Roman Schnur. - Berlin: Duncker und Humblot, 1992 ISBN 3-428-07513-7

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Fotosatz Voigt, Berlin 21 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-07513-7

Inhalt Vorwort .......................................................

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Kennen Sie Piatigorsk oder doch wenigstens Lermontow? Kaukasisches ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jerusalem, Jerusalem ......................................... 33 Ein ereignisreicher Tag: Sonntag, der 22. November 1942 ......................................................... 53 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

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Vorwort Grenzgängereien im Herodotschen Geist Über Absicht und Gegenstand seiner unangepaßten Reiseessays hat sich Roman Schnur im Titel ihrer ersten Buchausgabe deutlich erklärt:· "Transversale. Spurensicherungen in Mitteleuropa" (Wien 1988). W est-Ost-Perspektive also, doch keine der gängigen Systemvergleiche, sondern konkrete Ortstermine und historische Archäologie in einer voreilig abgeschriebenen Kulturregion. Dazu wäre manches anzumerken, hätte es Claudio Magris nicht schon in einem hinreißenden Vorwort zu jenem Band getan. Für die hier vorgelegte Nachlese dreier noch unpublizierter Texte wurde vom Autor eine ganz andere Überschrift gewählt, "Geschichte in Geschichten verstrickt", die die Aufmerksamkeit eher auf die Machart und den literarischen Geist seines U nternehmens lenkt. Schreibweisen indes, so glauben Literarhistoriker, erhellen sich am besten aus ihrer Tradition, die in diesem Fall weit zurückzureichen scheint, fast bis zu den Wurzeln der Historiographie, nämlich zu Herodot und seiner Manier, Geschichte durch Geschichten über kulturelle und 3

ethnische Grenzphänomene sinnfällig werden zu lassen. Jedem Herodot-Leser ist das vertraut. Für die Nicht-Kenner ein (fast) beliebiges Beispiel: Im vierten Buch der "Historien", dem Skythenbuch, wird uns gleich zweimal von wankelmütigen Barbarenfürsten berichtet, die von Zeit zu Zeit in hellenischen Städten untertauchten, um dort inkognito griechischer Lebensart zu frönen. Bis die Sache ruchbar wurde. Beide sollen für ihr kulturelles Fremdgehen von ihren erzürnten Stammesgenossen mit dem Tode bestraft worden sein. Eine andere Version der Geschichte, wonach die beiden in Wirklichkeit ausgesandt waren, um von den angesehenen Nachbarn zu lernen, verwirft Herodot als griechische Propaganda, weil sie mit der Sittenstrenge und dem Eigendünkel der Skythen schwer vereinbar sei. Piatigorsk, der bislang äußerste Punkt von Roman Schnurs mitteleuropäischer Spurensuche, liegt im alten Skythenland Transkaukasien, einer Grenzregion, in der sich offensichtlich damals wie heute die Ethnien und Kulturen berühren, vermischen und reiben. Von nichts anderem handelt, auch der Schreibweise nach, sein Essay. Und von nichts anderem handelt die obige Geschichte, nämlich von der Notwendigkeit, ja Unvermeidlichkeit kultureller Grenzgängerei, sei sie ein- oder beidseitig, verboten oder erwünscht, wirklich oder nur imaginiert, Tun von Überläufern, Kund4

schaftern oder Vertriebenen. Unter den Erfahrungen, die der notorisch reisende Herodot in seiner Welt machte, war ihm diese offensichtlich besonders wichtig. Nicht daß er dem großen Verächter und Gleichmacher von Grenzen, dem Krieg, seine Reverenz verweigert hätte. Beileibe nicht. Doch sah er in ihm so wenig den Vater aller Dinge wie das manichäische Gegenbild zur Kultur. Letzteres schon deshalb nicht, weil für ihn Kultur als die maßgebliche Vorgabe für die Identität und das Zusammenleben der Völker selbst von Spannungen, Geltungsfragen und Begehrlichkeiten geprägt ist. Daß Kultur den Krieg zu bannen verspricht, ändert für ihn nichts daran, daß sie an seiner Genese nicht unbeteiligt zu sein pflegt, sofern sie sich nur hinreichend fundamentalistisch versteht. Dies vorausgesetzt, läßt sich in Herodots Kulturmorphologie durchaus das Programm einer interkulturellen Bewußtseinsbildung für seine Zeitgenossen entdecken. Aber bekanntlich ist seine Aufklärungsarbeit weder von diesen noch von der späteren Geschichtstheorie sonderlich ernst genommen worden. Schon der nächsten Generation war seine Herleitung der griechischen Kultur aus der ägyptischen ein Ärgernis, und was die nationalstaatlich orientierte Historiographie der Neuzeit betrifft, so wurde bekanntlich nicht Herodot, der Kulturethnologe und Geschichtenerzähler, ihr Vorbild, sondern Thukydides, der faktenstrenge Dramaturg nationaler Interessenskonflikte. Sicherlich, 5

auch Herodot hat im Bewußtsein der Moderne seine Spuren gezogen, vor allem natürlich dank der Neuentwürfe eines Montesqieu und Herder. Aber trotz sich verbessernder Aktien wäre es wohl gewagt zu behaupten, daß seine Geschichtsanalyse der Kulturräume und der mentalen Transfigurationen mehr als ein Komplement der klassischen politischen Geschichtsschreibung darstellte. Von Herodots Monumentalwerk zu Roman Schnurs spielerischen Miniaturen, das ist, zugegebenermaßen, ein gewagter Brückenschlag. Doch nicht um Vergleich geht es ja, sondern um Kontinuitäten des historischen Blicks. Und hier ist, was beide unterscheidet, eher gering. Sicher dies, daß der eine Entdeckungs-, der andere Erinnerungsarbeit leistet, so wie der eine auf die misera ratio des großen Krieges voraus-, der andere zurückschaut. Ansonsten aber schreiben beide als chronisch Ortskundige am gleichen endlosen Geschichtenbuch über das gefährliche Geschäft der Koexistenz in der Vielvölkerlandschaft, sei es nun die Kleinasiens oder Ostmitteleuropas. Dementsprechend sind nicht wenige ihrer Geschichten solche über Grenzen und Grenzgängerei. Der verbannte Russe Lermontow, die deutschen Auswanderer und die Diaspora-Juden in Schnurs Piatigorsk sind, jeder auf andere Art, ebenso Grenzgänger wie die beiden Skythenfürsten Herodots und die beiden Autoren selbst. Als solche votieren sie für das Lebensprinzip der Vielfalt. Unter ver6

änderten Voraussetzungen könnten sie freilich auch Soldaten sein. Dann wären sie einem anderen Gesetz verpflichtet und hätten Grenzen zu ignorieren oder willkürlich neu zu ziehen. Roman Schnur hält in seinen Essays beide Modi menschlichen Handelns in ständiger Konfrontation, wie es die geschichtliche Erinnerung gebietet. Daß er dabei, ein Staatsrechtler, nichts der Theorie, wenig dem moralischen Kommentar, dafür fast alles der Schreibweise zutraut, weist ihn noch einmal als historiographischen Nachfahren Herodots aus. Ähnlich wie bei diesem haben seine kleinteiligen, montageartigen Texte durchaus Abbildcharakter. Als Rekonstruktionen eines vieldeutigen kulturellen Grenz- und Beziehungsnetzes wollen sie allerdings nicht nur Spiegelungen ihres halbversunkenen Gegenstandes, sondern auch Widerstandsund Rettungsappelle sein. Zieht man in Betracht, daß beides ursprünglich gegen die Willfährigkeit des Blockdenkens gerichtet war und auf Resonanz vor allem in den betroffenen Ländern stieß (wovon u. a. das Ehrendoktorat der Universität Warschau zeugt), wird man dem Mut des Autors schwerlich Verstiegenheit vorwerfen dürfen. Ob er sich auch gegen die neue Gefahr eines wiedererwachten Nationalismus bewährt, muß der Hoffnung anheimgestellt bleiben. Glückwünschend (auch zum Anlaß der Publikation) Conrad Wiedemann (Berlin)

Kennen Sie Piatigorsk oder doch wenigstens Lermontow? Kaukasisches Man kann die Geschichte so beginnen Die IL-62, von Moskau kommend, setzte auf dem Flughafen von Mineralnyje Vody recht unsanft auf. Der Flug in der lauten, ziemlich verschlissenen Maschine war ohnehin nicht angenehm gewesen. Die Touristen aus der Bundesrepublik Deutschland, die das berühmte nordkaukasische Bäderviertel um Piatigorsk besuchen wollten, waren froh, als sie das Flugzeug verlassen konnten. Zu ihnen gehörte der Reiseschriftsteller Alfred Renz (Der Kaukasus: Georgien I AserbaidschanI Armenien, München 1985). Die IntouristReiseleiterin brachte sie zum Omnibus nach Piatigorsk. Oder so Der soeben an die Front gekommene Jagdflieger Leutnant E. H. hatte sich gerade beim Komman9

deur (von Bonin) der IH. / JG 52 gemeldet, die in Mineralnyje Vody lag, als er im Lautsprecher des Funksprech-Gerätes hörte: "Flugplatz frei, ich bin angeschossen, Notlandung!" Da kam auch schon die Me 109 mit schwarzer Rauchfahne und machte eine Bruchlandung. Doch der Pilot rettete sich aus den Flammen. Zwanzig Jahre später waren der Pilot und E. H. Kameraden auch in der Luftwaffe der Bundeswehr. Eben deshalb konnten sie nicht zu der deutschen Reisegruppe gehören, die im September 1983 mit der IL-62 in Mineralnyje Vody so unsanft gelandet war. Oder vielleicht auch so Bereits im Jahre 1803 wurde Piatigorsk nebst Kislowodsk als Kurgebiet anerkannt. In Piatigorsk hatte man sehr wirksame Schwefelquellen entdeckt. Die Kursaison wurde offiziell 1809 eröffnet. Einer der ersten Badeärzte war Dr. Maier. Seitdem konkurrierte das nordkaukasische Bäderviertel mit dem böhmischen Bäderdreieck. Alsbald entwickelte sich hier ein reges gesellschaftliches Leben, mit vielen Gästen auch aus der Hauptstadt St. Petersburg. Man ergötzte sich am Blick auf die 5000er Gipfel des Elbrus und des Kasbek. Der berühmteste Dichter, der die schöne Landschaft beschrieb, war Michael Lermontow (18141841). Er fühlte sich in dieser Landschaft am Nordhang des Kaukasus wie zu Hause. Seine 10

Dichtungen enthalten auch interessante Beiträge zur Bäder-Soziologie jener Zeit. Schließlich könnte man auch so beginnen Im Jahre 1817 zogen 500 Familien aus Württemberg durch Piatigorsk. Es waren Auswanderer, welche die Absicht hatten, nach J erusalem zu ziehen. Als sie nach Piatigorsk kamen, um die grusinische Heerstraße durch den Kaukasus zu gewinnen, waren sie bereits 1 1/4 Jahr lang unterwegs. Dabei hatten sie viele Angehörige verloren. Für den Kurbetrieb in Piatigorsk hatten sie nichts übrig, der schwierigste Teil der Wanderung lag noch vor ihnen. Aber die Schwaben zogen nicht bis nach Jerusalem, sondern blieben in Transkaukasien, die meisten in Grusinien (Georgien). Doch siedelten sie auch im westlichen Aserbaidschan, in Helenendorf. Die Nachkommen der deutschen Kolonisten blieben hier bis zum Herbst des verhängnisvollen Jahres 1941. Weniger passend wäre dieser Beginn Am 9. August 1942 dringt die Kampfgruppe des Majors Pape von der 3. Panzerdivision (PD), die zum XXXX. PzKorps unter Freiherr Geyr von Schweppenburg gehörte, in Piatigorsk ein, während die württembergische 23. PD die Stadt Mineralnyje Vody einnimmt. Die 1. pzArmee des 11

Generalobersten von Kleist sollte die Öl-Stadt Baku am Kaspischen Meer erreichen und in Richtung Persien und Indien vorstoßen, "in den weichen Unterleib des britischen Imperiums". Die russischen Truppen wehrten sich hartnäckig. Die deutschen Soldaten fanden in Piatigorsk einige Ruhe und das Land "einfach herrlich". Es ist für sie ein Gefilde des ewigen Frühlings~ Das rasche Ende dieses Frühlings ist bekannt. Auch Pape konnte nicht zu den deutschen Touristen gehören, die 1983 in Piatigorsk eintrafen, weil er als Generalmajor der Bundeswehr angehört hatte..

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Einige Zeit nach der Anerkennung von Piatigorsk und Kislowodsk als Kurorte entdeckte man in Essentuki und in Schelesnowodsk ebenfalls ergiebige Mineralquellen. Nun gab es das kaukasische Bäderviereck. Das kleine Haus in Piatigorsk, in dem Lermontow gelebt hatte, ist heute als Museum hergerichtet. Im Alter von 27 Jahren fiel der Dichter hier im Duell. Es weilten auch andere große Russen zur Kur in Piatigorsk, so Puschkin, Tolstoj, Tschechow, Gorki u. a. m. Die Kurstadt wurde während der Kämpfe im Jahre 1942 erheblich beschädigt und hiernach großzügig, wenn auch nicht hübsch, wieder aufgebaut; heute hat sie 90000 Einwohner. Kislowodsk wiederum, 75 km von Mineralnyje Vody entfernt, ist heute ebenfalls eine ansehnliche Stadt. "Nirgends trinkt man soviel kachetischen Wein und Mineralwasser 12

wie hier", schrieb Lermontow. Später gab es hier das Sanatorium des Dr. Barth. Im Frühjahr 1927 war der Dichter Ossip Mandelstarn in Kislowodsk. Der Herzkranke lobte das Narsan-Mineralwasser: "Ein natürlicher Champagner - anregend, und ganz leicht berauschend ... ". "Ja, man hat es gut in Kislowodsk." (Mandelstarn starb 1938 in einem Lager am Pazifik.) .. Zwischen Kislowodsk und Piatigorsk liegt, an der Bahnlinie, das Bad Essentuki. Renz teilt mit, Gebiet und Quellen von Essentuki hätten bis zum Jahre 1847 dem Kosakenheer gehört, danach dem Zarenhaus. Essentuki ist ein besonders schöner Ort, noch stehen dort Badeanlagen im klassizistischen Stil. Schelesnowodsk hingegen gilt als der "grünste und jüngste" der nordkaukasischen Badeorte. Es sollen heute im kaukasischen Bäderviereck mit Hilfe von Intourist und unter nicht nur ärztlicher Beobachtung auch Leute aus Valuta-Ländern kuren. Vor nunmehr fast 50 Jahren hielten sich in diesen Badeorten viele Deutsche auf, teils Verwundete' teils Kranke. So lag, erkrankt, der später berühmt gewordene Jagdflieger Erich Hartmann aus Weil im Schönbuch (Württemberg) im November 1942 vier Wochen lang im Lazarett zu Essentuki, dann begann seine Karriere. Ebendort und in Kislowodsk lagen viele Kranke (vor allem Gelbsucht) der württembergischen 23. PD in den "gut ausgestatteten Lazaretten", wie die Divisionsgeschichte 13

zu vermelden weiß. Im Sommer 1944 kommt der Plenni Christian Strasser von den Gebirgsjägern hierher, ein Tiroler Bergbauer, der wußte: "Jetzt fahren wir mit der Bahn durch eine der schönsten Gegenden Rußlands." Neben dem Sanatorium "Zentro Sojus" auf dem Hügel in Kislowodsk jäten die Kriegsgefangenen auf dem Fußballplatz das Unkraut, zuletzt war der Platz im Sommer 1942 von den deutschen Siegern gepflegt worden (die Russen jäten ließen). Die Waffen-SS hatte in Kislowodsk ein eigenes Lazarett, nämlich für die Soldaten der (5.) Division "Wiking". Dort pflegte die finnische Freifrau Ruth von Munck die Verwundeten und Kranken des bei "Wiking" kämpfenden finnischen Freiwilligenbataillons, die schon im Jahre 1918 die finnischen Freiwilligen des 27. Jäg.-Bat. betreut hatte, als es um die Unabhängigkeit Finnlands vom nunmehr bolschewistisch regierten Rußland ging. Einhundert Janre vorher kurten in Piatigorsk Soldaten, die an der Kaukasus-Front des Zarenreiches verwundet worden waren: "Ein paar verwundete Offiziere saßen auf einer Bank, bleich und traurig, die Krücken zur Seite geschoben", so berichtet Lermontow. (Ob es hier nach Afghanistan auch so ist?) Von 1918 bis 1920 allerdings hatte der Badebetrieb in Kislowodsk geruht, nicht jedoch der Kriegsbetrieb, weil sich hier die Roten und die Weißen bekriegt hatten, das Land ausplündernd. 14

Der junge Kuban-Kosaken-Esaul A. Schkuro nahm Mitte Juni 1918 den Roten den Kurort ab, mußte dann zurück, um an Weihnachten desselben Jahres den Ort wieder einzunehmen. Schkuro verließ mit vielen Weißen im Jahre 1920 auf einem Kriegsschiff der Westmächte die Krim in Richtung Westen. Am Kriegsende 1945 lagerte der Esaul mit Kosaken und ihren Familien in Karnien / Friaul, bei Tolmezzo und Gemona (Operations zone Adriatisches Küstenland). Er zog mit General Krasnow über den Plöckenpaß nach Kärnten und wurde dort von den Briten den Sowjets übergeben, also von Jenen, die von 1918 bis 1920 Truppen im und um den Kaukasus hatten, weil sie nicht nur an die Ölfelder bei Baku, sondern auch (wie 1942 die Deutschen) an die im Nordkaukasus heranwollten. Die Briten hatten Schkuro am 2. Juni 1919 mit dem Bath-Orden ausgezeichnet: So ändern sich die Zeiten. (Schkuro wurde im Januar 1947 in Moskau hingerichtet.) Es wurde bereits erwähnt, daß die 3. PD Piatigorsk erobert hatte, es gibt Photos vom Einzug. Nach einer als sehr angenehm empfundenen Pause in diesem »Kurort ersten Ranges", wo Oberst Dr. Weissenbruch (pzAR 75) Ortskommandant geworden war, nahm die Kampfgruppe von Oberst Freiherr von Liebenstein die Kurorte Essentuki und Schelesnowodsk, dann auch noch Kislowodsk. Eine einzige Division also bemächtigte sich des kaukasischen Bäderviertels. Aber die 15

Mörder waren auch bald hier: Am 9. September, als die Soldaten bereits viel weiter östlich kämpften, wurden in Essentuki etwa 2 000, in Kislowodsk 1 800 Juden umgebracht. Das Einsatzkommando 12 der Einsatzgruppe D des SD unter Dr. Erich Müller (1945 untergetaucht) hielt sich im August teils in Piatigorsk, teils in Kislowodsk auf, wo übrigens Vertreter der deutschen Konti-Öl AG auf fette Beute warteten (vergebens). Die Sowjets hatten die Juden in die von den deutschen Kolonisten entleerten Dörfer geschickt: Ein ge-. lungener Doppelschlag des Diabolus . .Die Soldaten lobten in Piatigorsk die guten Sportplätze und Tennisanlagen; mit europäischem Komfort hatten sie nicht gerechnet. Sie stellten fest, daß bis kurz vor der Einnahme der Stadt der Badebetrieb aufrechterhalten worden war. Man hatte Konzerte veranstaltet, Operetten aufgeführt und Varietevorstellungen gegeben, wie es die Plakate erkennen ließen. Unter der deutschen Besatzung wurde der Theaterbetrieb fortgeführt, wie Oblt. Graf Kageneck berichtet, allerdings in ungewöhnlicher Besetzung: "Das hübsche kleine Theater wird von Schauspielern - auch ein Ballett aus Leningrad bespielt, die man im Winter aus der belagerten Stadt über den vereisten Ladoga-See evakuiert hatte." Dialektik der Geschichte, und die Kunst ist unvergänglich. Einhundert Jahre früher meldete in Kislowodsk ein Plakat, daß der berühmte Taschenspieler, Ma16

gier, Akrobat, Chemiker und Optiker Apfelbaum dem verehrten Badepublikum abends im Saal des Adelsklubs eine glänzende Vorstellung geben werde, Eintrittspreis zwei Rubel fünfzig Kopeken - Kontinuität des Badebetriebs ... Nahe der Stadt Piatigorsk, nur 7 km entfernt, liegt das Dorf Karras, wo schon zu Lermontows Zeit deutsche Kolonisten lebten. Der Dichter kannte den Ort, der ein beliebtes Ziel für Picknicks der Kurgesellschaft war. Er ließ seinen "Held unserer Zeit" in Karras verkehren. Lermontow selbst kehrte 1841 am letzten Tag seines kurzen Lebens mit der heiteren Offiziers gesellschaft von Piatigorsk in der deutschen Wirtschaft der Frau Roschke ein, um anschließend zum Platz des für ihn tödlichen Duells zu ziehen. Die Soldaten der 3. PD wiederum labten sich im August 1942 mit Wein aus einer Kellerei bei Karras. Sollte Frau Roschke in Karras Nachkommen gehabt haben, so konnten die Soldaten aus der Mark Brandenburg sie nicht mehr antreffen: Bereits im Herbst 1941 waren die deutschen Kolonisten nach Mittelasien transportiert worden. (Allerdings nicht alle: Im Februar 1943 wurden, nach dem Rückzug mit den deutschen Truppen, etwa 1 500 Personen im Generalgouvernement und im Warthegau angesiedelt, Ende Januar 1945 wurden sie dort von russischen Truppen überrollt.) Bis zur Jahreswende 1942/43 blieben die deutschen Soldaten im Nordkaukasus. Dann ging es 2 Schnur

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unaufhaltsam zurück, bis die 3. PD sich am Ende des Krieges in westliche Kriegsgefangenschaft (in Österreich) retten konnte. Alfred Renz unternahm mit Intourist einen ihn enttäuschenden Besuch des Staats gestüts Tersk (gegen Valuta) - daß der Stab der 3. PD am 16. August 1942 dort einzog, wußte er wohl nicht. Der Stab der 1. pzArmee seinerseits zog in Piatigorsk unter, also standesgemäß. General Köstring (ehedem Militärattache in Moskau) als Beauftragter General für Kaukasusfragen nahm ebenfalls Quartier in Piatigorsk, wo das Leben an die Zeit vor der Revolution erinnerte, wie sein Adjutant v. Herwarth bemerkt. Köstring konnte die »Bergjuden" mit der Behauptung retten, ethnisch seien sie keine Juden, und Hptm. Prof. Dr. Dr. Oberländer schützte in seinem »Verband Bergmann" ethnische Juden. ,Dem Vernehmen nach sollen Veteranen der brandenburgischen 3. PD als Bürger der DDR in Piatigorsk gekurt haben. So wie die 1. pzArmee zum Terek ziehen sollte, so zogen im Jahre 1817 die schwäbischen Auswanderer zum Terek, um den schwierigen Weg durch das Gebirge nach Transkaukasien zu nehmen. Es waren dies Schwaben, die sich für den langen Zug in zehn »Harmonien" gegliedert hatten, vornehmlich aus dem Großraum Stuttgart. Sie waren von der baltischen Pietistin Julie von Krüdener (geb. v. Vietinghoff) beeinflußt worden. Ursprünglich waren es 1 500 Familien gewesen. Sie fuhren, wie 18

so viele Auswanderer aus dem Südwesten, ab Ulm auf der Donau bis nach Ismail, dann nach Odessa. In dieser Gegend, in der bereits viele deutsche Kolonisten lebten (später auch Schweizer Weinbauern aus dem Waadtland), erhielten nur 500 der 1 500 schwäbischen Familien die Erlaubnis zur Ansiedelung in Transkaukasien. Sie wurden von der Regierung des Zaren, die sich im Jahre 1801 große Teile Transkaukasiens einverleibt hatte (unter Bruch von Verträgen, "brüderliche Hilfe"), tatkräftig gefördert. (Man sollte die engen Bindungen zwischen dem Hause Württemberg und dem Zarenhause nicht übersehen.) Im November 1818 überschritten die Letzten den Kaukasus, der Kreuzpaß liegt 2395 m hoch. Nach 1 1/4 Jahren hatten die Auswanderer das ersehnte Land erreicht. Mancherlei Unbill zum Trotz entwickelten sich die meisten Kolonien in ~ranskaukasien sehr ansehnlich. Im Jahre 1900 lebten dort etwa 8 000 Kolonisten (in Ciskaukasien waren es ca. 10000). Der Wert der meisten Kolonien lag in den Weingärten. Die Mehrzahl der Kolonien befand sich in der Umgebung von Tiflis. Von ihnen wurde Katharinenfeld besonders gut bekannt (und wohlhabend). Zwei Dörfer wurden später (1862) nach Tiflis eingemeindet. Am weitesten von Tiflis entfernt lag am Nordhang des Kleinen Kaukasus Helenendorf, nahe der Stadt Elisawetpol (früher Gandscha), heute Kirowabad, der zweitgrößten 2"

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Stadt von Aserbaidschan. Dort siedelten vor allem Kolonisten aus der Reutlinger und aus der Tübinger Gegend, sogar zwei Familien aus Wurmlingen, dessen Kapelle hoch droben auf dem Berge Ludwig Uhland besungen hat (und wo der Verfasser dieser Zeilen lebt). Besonders erfolgreich wurde in Helenendorf die Familie Vohrer aus Reutlingen. Um 1900 besaßen die Gebrüder Vohrer ein Gut in Helenendorf, ferner etwa 1 000 ha Weiden in den Bergen, 120 ha Weingärten, eine Kunstmühle, eine Kognak- und Branntweinbrennerei, eine Brauerei, auch ein elektrisches Kraftwerk. Sie verkauften ihre Produkte (auch vorzügliche Würste und Schinken, pro Jahr wurden etwa 500 Schweine geschlachtet) sogar in Moskau und in St. Petersburg. Von großer Bedeutung für den Absatz transkaukasischer Produkte war der Anschluß der transkaukasischen Eisenbahnen an das russische Eisenbahnnetz. Der Wohlstand der deutschen Kolonisten erlaubte einen hohen Grad an Geselligkeit. Fast jede Kolonie hatte einen Posaunenchor. In allen Gemeinden gab es einen Gesangverein, dessen Chor gemischt zu sein pflegte. Auch im Kreise der Familie wurden Musik und Gesang gefördert. So gab es im Jahre 1900 in Helenendorf 12 Klaviere und 40 Harmoniums, der dramatische Verein ebendort besaß eine Bücherei von rund 300 Bänden. Allerdings war der Weinkonsum im Jahr mit über 150 Litern pro Kopf Weltrekord. Kein Wunder, daß 20

auf der russischen Generalstabskarte von damals ein Ausflugsberg bei Katharinenfeld nahe Tiflis "Sauf-Hügel" hieß (in russischer Sprache). In Tiflis selbst lebten etliche Deutsche, dazu Beamte und Offiziere aus dem Baltikum, so daß die evangelisch-lutherische Gemeinde Tiflis vor 1914 rund 2 500 Mitglieder umfaßte. Die Pastoren der Kolonisten hatten durchwegs in Dorpat studiert, also auch bei Prof. D. Hahn gehört, den die Bolschewisten 1919 umbrachten. (Der Sohn wurde Theologe in Heidelberg und Kultusminister in Stuttgart.) Die Schulen der Gemeinden galten als mustergültig, ebenso das Krankenhaus in Tiflis. Helenendorf konnte sich zeitweise sechs Lehrer leisten. Daß es in Transkaukasien etliche Deutsche gab, wußten die deutschen Truppen, die 1917 unter General von Kreß von Kressenstein hierher kamen. Nach der Oktoberrevolution (1917) war Georgien wieder selbständig geworden. Es schloß sich 1918 mit Armenien und Aserbaidschan zu einer Föderation zusammen, die Georgier hatten eine sozialdemokratische Regierung. Diplomatischer Vertreter des Reiches bei der Republik Georgien (und einer ihrer Geburtshelfer) war Graf von der Schulenburg, bis zum Kriegsausbruch 1914 Konsul des Reiches in Tiflis. (Hitler ließ den späteren Moskauer Botschafter des Reiches nach dem 20. Juli 1944 in Plötzensee am Fleischerhaken aufhängen.) Nun gab es in Tiflis sogar ein deutsches Realgymnasium, das von vielen Nichtdeut21

schen besucht wurde. Helenendorf richtete bereits 1917 eine Oberrealschule ein, von welcher im Jahre 1923 rund 50 Absolventen in Deutschland studierten - dann kam Stalin. Helenendorf wurde nun »Thälmann" benannt, Katharinenfeld hingegen (Rosa) »Luxemburg". (Einige Jahrzehnte später wurden bei Gandscha Armenier von Aserbaidschanern umgebracht, kein Friede auf Erden.) Im Jahre 1918 war in Tiflis eine Universität gegründet worden. Auch soll vermerkt werden, daß der Gründer (1852) und erste Leiter des Historischen Museums Georgiens in Tiflis Radde hieß. Aber schon 1921 beendete die russische Rote Armee in Transkaukasien das Experiment einer parlamentarischen Demokratie - ganz scheint man dort dieses Experiment nicht vergessen zu haben. Der einzige deutsche Großgrundbesitzer in Transkaukasien war allerdings kein schwäbischer Kolonist, sondern Herr von Kutzschenbach, der sich der Förderung durch Großfürst Michail Nikolajewitsch erfreute. Er war der Bahnbrecher moderner Landwirtschaft in Transkaukasien, vor allem in der Viehwirtschaft, zu welchem Zwecke er einige Schweizer rief. So führte von Kutzschenbach in Transkaukasien die Erzeugung von Süßrahmbutter ein und den »Schweizer Käse". Seine Gattin bereitete, ebenfalls mit beträchtlichem Gewinn, vorzügliche geräucherte Gänsebrüste zu, die vor allem in Tiflis guten Absatz fanden. 22

Die deutschen Kolonisten stellten auch ausgezeichneten Kognak her. Damals meinten manche Leute, er erreiche die Qualität des französischen, vor allem derjenige der in Katharinenfeld gegründeten Genossenschaft »Konkordia", die ihre Erzeugnisse bis nach St. Petersburg bzw. Leningrad vertrieb. (Später wurde sie zu einer Kolchose degradiert, mit entsprechenden Folgen.) Heute behaupten Kenner, nunmehr sei der armenische Weinbrand besser als der aus Georgien. Jedenfalls war der vom Lubliner Kollegen und Freund Grzegorz Leopold Seidler, dessen Mutter eine Armenierin aus Czernowitz war, kredenzte armenische Kognak vorzüglich. (Gregor ist der Heilige der Armenier.) In der weiteren Umgebung von Tiflis (südlich) gab es sogar ein großes Industrieunternehmen, das vor dem Ersten Weltkrieg Deutschen gehört hatte. Es war das Hütten- und Grubenwerk in Kedabeg (Kupfer). Das Hüttenwerk war modernsten und größten Stils. Es gehörte den Erben des Geheimen Regierungsrats Dr. Werner von Siemens. Seine leitenden Angestellten waren gute Kunden der deutschen Kolonisten. Wie so viele Rußlanddeutsche (heute laut amtlicher Statistik rund 1,9 Millionen) mußten die meisten Kolonisten in Transkaukasien im Jahre 1941 ihre Heimat verlassen. (Der Rest folgte im Juli 1942 mit dem Beginn der deutschen KaukasusOffensive). Am 22. Oktober 1941 begann der Ab23

transport der Kolonisten in Helenendorf. Am 25. Oktober wurden sie in Baku auf Schiffe verladen, die sie nach Krasnowodsk am anderen Ufer des Kaspischen Meeres brachten. Von dort ging es per Bahn unter übelsten Umständen (z. B. lange Zeit kein Trinkwasser) ins asiatische Kasachstan. Viele blieben auf der Strecke. Die ersten Gruppen wurden in Frunse und in Alma Ata ausgeladen, die anderen mußten noch weiter ziehen, letztlich 4 000 km von Helenendorf entfernt. Kürzlich ist ein jüngerer Chemie-Ingenieur im Raum Tübingen als Aussiedler eingetroffen. Er hat in Alma Ata Chemie studiert, und nun haben ihn unsere Behörden als Dipl.-Ing. (FH) anerkannt. Er freut sich darauf, in der Heimat seiner Vorfahren arbeiten zu können. ImJahre 1942 gelang es den deutschen Truppen nicht, den Kaukasus zu überwinden. Sie kamen auch nicht nördlich an ihm vorbei bis nach Baku am Kaspischen Meer. Das XXXX. PzKorps sollte am Nordhang des Gebirges vorbei in Richtung Kaspisches Meer vorstoßen, das LII. Korps links davon. Die Stadt N altschik wird genommen, dann geht es am Terek vorbei, teils in Richtung Osten, d. h. nach der ÖIStadt Groznyi, teils nach Ordschonikidse, der wichtigen Stadt an der grusinischen Heerstraße durch den Kaukasus. (Hauptstadt der Nordossetisehen ASSR, die noch zur Russischen Föderation gehört.) Die Bluthunde des Sonderkommandos 24

10 b der Einsatzgruppe D schnüffeln in Naltschik und in Mosdok. Hatte kein deutscher Soldat sie gesehen? Hatte man sie wirklich für Kameraden von der Waffen-SS gehalten? Vorausabteilungen nähern sich dem Kaspischen Meer bis auf 60 km. Aber weiter unten, am Terek bei Mosdok und bei Malgobek, gibt es sehr verlustreiche Kämpfe, auch für" Wiking" und für das Kosakenregiment des Baltendeutschen von Jungschulz. Hier zeichnet sich das Saarbrücker IR 70 (l11.ID) unter Oberst Louis Tronnier aus, aber auch er kam nicht weiter. Hingegen ist der Saarbrücker Oberbürgermeister Oskar Lafontaine bis Tiflis gekommen, weil die Hauptstadt des nunmehr von ihm regierten Saarlandes eine intensive Partnerschaft mit der Hauptstadt Georgiens pflegt. Die bereits im Jahre 1851 gegründete Tifliser Oper hat schon mehrere Gastspiele in Saarbrücken gegeben. (Hitler hatte nach der Abstimmung am 13. Januar 1935 dem Saarland das Theater " gestiftet" .) Auch die 3. PD kämpfte am Terek. Oberleutnant Graf Kageneck dringt mit seinen Panzern in Mosdok ein. Kommandeur des PzRgt 6 war Oberst Munzel, der später ebensowenig in den Kaukasus reisen konnte wie Oberleutnant Ernst Rebentisch von der 23. PD, weil beide, im Generalsrang, der Bundeswehr angehörten. (Rebentisch zuletzt als Inspekteur des Sanitätswesens.) 25

Der Angriff hier blieb liegen wie hernach der Angriff auf Ordschonikidse, welcher Ort »Wladikawkas" (Beherrscher des Kaukasus) hieß, als 1817/18 die schwäbischen Harmonien gen Tiflis zogen. Katharina die Große hatte hier im Jahre 1784 ein Fort erbauen lassen; heute hat die Stadt 280000 Einwohner, sie heißt wieder Wladikawkas. Jetzt bauen türkische Firmen dort mit deutschem Geld Unterkünfte für ehedem sowjetrussische Soldaten, die aus Deutschland zurückgezogen werden. Die Soldaten der 111.ID, zu welcher das IR 70 aus Saarbrücken gehörte, wunderten sich, als sie in der Nähe von Mosdok Häuser sahen, die ihnen "wie deutsche" vorkamen. Noch mehr wunderten sie sich darüber, daß der ansehnliche Ort Gnadenburg hieß. Das war eine erst im Jahre 1879 gegründete Kolonie von Württembergern (vor allem aus Feuerbach bei Stuttgart) und von Bayern, die der pfarrer Cloeter aus Illenschwang angeführt hatte. Sie bewahrten lange Zeit eine strenge Kirchenzucht. Auch sie wurden im Herbst 1941 in den asiatischen Teil der UdSSR umgesiedelt. Königin Olga von Württemberg, Tochter des Zaren Nikolaus 1., hatte diese Auswanderung unterstützt. Das Königlich Bayerische Staatsministerium des Königlichen Hauses und des Äußeren hatte unter dem 20. Februar 1879 dem württembergischen Gesandten in München bescheinigt, daß Pfarrer Cloeter keine unlauteren Motive verfolge, viel26

mehr der von ihm betriebenen Sache bedeutende Geldopfer gebracht habe. Schon im Monat September 1942 kam die deutsche Sommeroffensive im Vorgelände des Kaukasus endgültig zum Stehen. Infolge Hitlers stümperhafter Strategie hatten sich die deutschen Kräfte hier als viel zu schwach erwiesen. Gleichwohl gab es dann noch über drei Monate hinweg harte, verlustreiche Kämpfe. Als die deutschen Truppen sich bereits auf die Festigung der Front für den Winter vorbereiteten, erhielt die 1. pzArmee den Befehl, vor dem Einbruch des Winters sowohl die ossetische Heerstraße bei Alagir als auch die grusinische Heerstraße bei Ordschonikidse zu sperren und die beiden strategisch wichtigen Städte zu nehmen. Die 23. PD konnte Alagir nehmen, doch der andere Angriff mißlang. Als Stalingrad eingeschlossen war, wurde klar, daß die 1. pzArmee den Rückzug antreten mußte, wohingegen die im westlichen Kaukasus kämpfende 17. Armee sich im Kuban-Brückenkopf zu halten hatte (sehr verlustreich). Bereits im November 1942 wurde die arg abgekämpfte 23. PD zur 4. pzArmee geschickt, die mit unzulänglichen Kräften die 6. Armee in Stalingrad entsetzen sollte - wieder große Opfer, wieder vergebens. Am 2. Februar 1943 überschreiten die Nachhuten der 3. PD die Don-Brücke in Rostow: Das Kaukasus-Abenteuer des Gröfaz war zu Ende. In der Geschichte der 3. PD (Berlin 1967) ist die Rede von einer "gewissenlosen Führung". 27

Doch ganz sind die Verbindungen von Deutschen mit Transkaukasien nicht abgerissen. Abgesehen von den Touristen aus Deutschland und der Partnerschaft zwischen den Städten Saarbrücken und Tiflis sowie von sportlichen Ereignissen (z. B. UEFA-Pokal-Spiel des 1. Fe Kaiserslautern in Tiflis und vice versa), gibt es Kontakte zwischen deutschen Wissenschaftlern und ihren Kollegen in Tiflis, auch mit der Akademie der Wissenschaften. So hat die Universität Jena gute Kontakte zur Universität in Tiflis. Wissenschaftler der beiden Universitäten veröffentlichen eine Zeitschrift in deutscher Sprache, "Georgica". (In Heft 9, 1986, der Aufsatz eines Georgiers über das Lutheranerturn in Georgien.) Die Tifliser Archäologen und Althistoriker wiederum genießen hohes Ansehen in der internationalen Fachwelt, vor allem im Hinblick auf die griechische und auf die römische Zeit. An ihren internationalen Symposien nimmt regelmäßig auch der Konstanzer Althistoriker (und Jurist) Wolfgang Schuller teil. Und so können wir auch mit Württemberg "hie gut allewege" schließen: Schuller erhält wertvolle Unterstützung bei der Förderung dieser Kontakte durch die Breuninger-Stiftung in Stuttgart.

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Anhang Betrifft: Gnadenburg

Man sollte den Ort Gnadenburg bei Mosdok am Terek näher betrachten. Schicksale von Menschen werden dann noch deutlicher: In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts siedelten sich auch Steiermärker Protestanten aus dem oberen Ennstal im Nordkaukasus an, insgesamt 56 Personen. Die meisten ließen sich in Gnadenburg nieder, wo im Jahre 1914 525 deutsche Kolonisten lebten. Ende der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts begann auch für die deutschen Kolonisten in Gnadenburg das große Elend. Einigen Familien, welche die deutsche bzw. die österreichische Staatsangehörigkeit behalten hatten, gelang es zwar, nach Deutschland bzw. nach Österreich auszureisen. Hatten jedoch z. B. Töchter Kolonisten geheiratet, die bereits russische Staatsbürger geworden waren, so mußten sie in Sowjetrußland bleiben. Aber die Familien wurden nochmals auseinander gerIssen: Am 1. September 1941 luden die Bolschewisten in Gnadenburg 75 Männer auf und schafften sie in die Gegend von Kiew, wo sie Panzergräben ausheben mußten. Bereits am 18. September waren sie bei den deutschen Truppen (Kessel von Kiew). Diese setzten sie sogleich als Dolmetscher in den 29

großen Gefangenenlagern ein. Am 2. Oktober 1941 wurden die übrigen deutschen Kolonisten in Gnadenburg nach Sibirien verfrachtet. Auf dem Transport starben einige alte Leute und 40 Kinder. Doch konnten die Überlebenden Nachrichten an ihnen bekannte Russen in Gnadenburg gehen lassen. Mehrere der als Dolmetscher für die deutschen Truppen tätigen Männer aus Gnadenburg zogen im Sommer 1942 mit der 1. pzArmee in den Nordkaukasus. Einige Männer kamen sogar bis nach Gnadenburg, wo zeitweise die Stäbe des LU. Korps und der 111.1D lagen. Einer von ihnen hieß Steiner, ein "Steiermärker" . (In der Nähe lag"Wiking" unter Felix Steiner, Ostpreuße und Abkömmling Salzburger Exulanten.) In Gnadenburg berichteten ihm russische Nachbarn vom Schicksal seiner Familie, auch vom Tode seines Schwiegervaters und seines einzigen Kindes. Ein anderer Dolmetscher aus Gnadenburg schrieb 1942 von dort an die Schwiegereltern, die im Jahre 1934 hatten weggehen dürfen und in Mainfranken einen Hof gepachtet hatten: Er mußte in Gnadenburg im Keller seines Hauses erleben, wie russische Bomber den Hof zerstörten. Noch im September begann er mit Hilfe von russischen Kriegsgefangenen, sein Haus wieder aufzubauen. Er wird nicht weit gekommen sein, denn im Dezember begann der Rückzug der 1. pzArmee aus dem Kaukasus. 30

Hoffen wir, daß diese Gnadenburger Männer mit den deutschen Soldaten in den Westen gelangten, dort von den westlichen Alliierten den Sowjets nicht ausgeliefert wurden und später ihre Familien aus Sibirien nach Deutschland holen konnten. Ein Steiermärker ist in Gnadenburg geblieben, der Major Johann Moshammer von der 111.ID. Er wurde Ende September des Jahres 1942 auf dem großen Soldatenfriedhof in Gnadenburg beigesetzt. Gott wird ihm gnädig gewesen sein, denn er wußte nicht, daß er für eine so schlechte Sache gekämpft hatte. Nachtrag: 1942/43 war Hauptmann Walther v. Kutzschenbach mit den deutschen Truppen im Kaukasus; siehe Joachim Hoffmann, Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion, Freiburg i. Br. 1991, Personenregister. (Auch: ders., Deutsche und Kalmyken 1942 bis 1945, 4. Aufl., Freiburg i. Br. 1986.)

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Jerusalem, Jerusalem I. Kenner behaupten, auf den Hügeln um Jeruzalern wachse der beste Weißwein Jugoslawiens, vielleicht der beste Welschriesling überhaupt. J eruzalem liegt in den Windischen Büheln. Diese beginnen südwestlich von Graz und laufen im östlichen Slowenien aus. Am leichtesten erreicht man Jeruzalem mit dem Auto über Luttenberg (Ljutomer). Wir waren von Kitzeck im steirischen Sausal gekommen, über Leibnitz, dann an Schloß Brunnsee vorbei, das den Nachkommen der Herzogin von Berry gehört, waren über Mureck gefahren und über Halbenrain, wo das Schloß der Stürgkhs steht. Danach hatten wir die Grenze an der Mur zwischen Bad Radkersburg und Oberradkersburg überschritten und waren durch das Heilbad Radein (Radenci) gekommen. Bald hinter Luttenberg, an der Straße nach Friedau (Ormoz), zweigt links die Straße hoch hinauf in die Weinberge ab. Vor uns ein Auto aus Vorarlberg. In Oberradkersburg waren wir Millionäre geworden: Für 3 Schnur

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DM 60,- gab es 1200000 Dinare, die 100000er Scheine noch druckfeucht. Oben das Ortsschild »Jeruzalem". Herrlicher, weiter Blick in die Landschaft mit den hohen Hügeln, mit Weinbergen, die wie Amphitheater aussehen. Aber hier oben kein Gasthaus. Die Vorarlberger helfen: "Etwa zwei Kilometer weiter unten gibt es ein gutes Gasthaus." Also etwas abwärts, dann kommt ein Weingut und daneben die Gostilna »Taverna". Neben dem Auto aus Österreich parkt ein Militärauto, in dem der Fahrer sitzt: Die Herren sozialistischen Offiziere möchten unter sich bleiben. Auch von hier ein herrlicher Blick in das Land. Oben auf den Hügeln stehen die Gehöfte der Weinbauern (nicht kollektiviert), umkränzt von Pappeln, die oftmals auch die Straßen säumen: Eine Toskana jenseits Italiens. Der Ober reicht eine Speisekarte in deutscher Sprache, die Preise ausgewiesen in Schilling-Beträgen. Vorzügliche Mahlzeit, auch vorzüglicher Welschriesling vom Weingut nebenan. Das Lokal ist sehr gepflegt, mit alten Möbeln und mit Geräten des Weinbaus. Aber kaum ein einheimischer Gast hier, die Inflation wirkt sich aus. Die Offiziere beschränken sich auf Wein. Der Fahrer des Autos aus Österreich spricht mit uns. Er ist schon einige Male mit den slowenischen Verwandten hier gewesen. Vielleicht ist er mit den Eltern im Jahre 1945 hier dem Pogrom an den Deutschen entgangen und trifft er sich nun mit den hiesigen Verwandten. Paradie34

sischer Frieden liegt über dem Land. Im anderen J erusalem ist es noch nicht so weit. Nein, leider, sagt der Ober, das Weingut verkauft keine Bouteillen zum Mitnehmen. Was nicht an Stammkunden und in den Export geht, wird für das Restaurant benötigt. Aber weiter unten könne man guten Wein kaufen. Allerdings ist es nicht mehr der Ort J eruzalem im geographischen Sinne, sondern Svetinje (Allerheiligen) - »Jeruzalem-Svetinje" hatte auf dem Etikett unserer Bouteille gestanden. So viel wußte ich: Die Weinberge von Svetinje sind umfangreicher als die von Jeruzalem. Hier dominiert wegen der Beschaffenheit des Bodens der Weiß burgunder, ebenfalls von großer Klasse. Der Sohn des Bauern führt in den Weinkeller am Hang, alles Holzfässer. Kurze Probe, die meine Frau leitet. Die Entscheidung: 87er Weißburgunder Spätlese wird aufgeladen. Hoffentlich bekommt ihm die lange Reise, unser Haus bei Brixen liegt 1 950 m hoch. 80 000 Dinare pro Flasche, auf Etikett und Kapsel verzichten wir. Über Friedau, Pettau und Marburg geht es zurück nach Kitzeck. Der 15 Kilometer langen Schlange vor der Grenze auf der Gastarbeiter-Rollbahn (die Türken kehren zurück) können wir mit Hilfe einer Nebenstraße über Leutschach entgehen.

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11. Auf den heutigen Landkarten ist Jeruzalem kaum zu finden. Ein weit abgelegener Winkel in Europa? Das kann man nur annehmen, wenn man der noch vorherrschenden Orientierung im freien Teil Europas folgt: Nord-Süd. Der Blick in die Geschichte belehrt uns eines Besseren: Diese Landschaft ist geschichtlich alles andere denn belanglos. Hier führte die Bernsteinstraße von der Ostsee zum Mittelmeer hindurch. Auch die Römer nutzten sie, von Aquileja bzw. von Triest über Emona (Laib ach), Celeia (Cilli), Poetovio (Pettau an der Drau), Savaria (Steinamanger) nach Carnuntum bei Wien. Schon die Römer hatten entdeckt, daß es hier gute Quellen gibt, bei Tüffer liegt auch heute "Römerbad", die Quellen bei Warasdin nannten sie Thermae Constantinianae. Unter Kaiser Caracalla (um 212 n. Chr.) verschwinden allmählich die keltischen Namen auf den Grabsteinen. Nun kommen die Germanen (im 4. Jahrhundert die Goten), die nach Italien ziehen, anschließend die Hunnen, dann rücken die Alpenslawen nach. Ihnen folgt das mongolische Reitervolk der Awaren, die Russen (Duljeben) mitbringen und sie bei Radkersburg und bei Friedau ansiedeln. Später erscheint im Raum Pettau als Grundherr das Erzbistum Salz burg, nachdem Karl der Große die Herrschaft der Awaren gebrochen hatte, bald 36

wird dem Erzbistum der Besitz von Weinbergen bei Pettau bestätigt. Aber dann kommen die mongolischen Ungarn hierher. Otto der Große vermag sie zurückzudrängen. Doch erst Friedrich von Pettau konnte um das Jahr 1200 die Ungarn aus diesem Raum weiter ostwärts drücken. Er rief den Deutschen Ritterorden ins Land. Im Jahre 1217 schon war Groß-Sonntag Kommende dieses Ordens. (In Friedau gibt es auch in unserem Jahrhundert Deutsch-Ordensschwestern.) Die Kreuzritter also waren es, die in Erinnerung an große Zeiten den Ort oben in den Weinbergen nach Jerusalern benannt hatten. Immer wieder gab es auch deutsche Siedler in Slowenien, meistens kamen sie aus Bayern. In den Städten behielten sie ihr Volkstum, auf dem Lande gingen sie durchweg im slowenischen Volk auf. Die langen Fehden zwischen den Habsburgern und den Ungarn, vor allem unter Matthias Corvinus, machten dem Lande viel zu schaffen. Dann kamen auch noch die Türken. Ab dem Jahre 1469 brandschatzten sie ständig hier, konnten freilich Stadt und Festung Pettau nicht einnehmen. Endlich stabilisierte sich die Front gegen die Türken weiter östlich. Csakathurn in der Mur-Au mit dem großen Schloß der Zrinyis wurde ein wichtiger Stützpunkt. Aber (Nagy) Kanizsa, das auch Hitler halten wollte (wegen des Erdöls), blieb lange in der Hand der Türken. Nach dem Sieg über die Türken blühte auch in diesem Teil Europas die 37

Kunst des Barock auf, mit vielen bedeutsamen Werken. Man kann von einer deutsch-slawischitalienischen Symbiose sprechen, sie ist noch heute wahrzunehmen. Was die Völker aus dem Osten immer wieder hierher trieb, beschrieb der Fugger-Manager Hans Dernschwam, jener berühmte Humanist, der im Jahre 1539 die Fugger-Niederlassung in Pettau besucht hatte, so: "Pettau ist ein Schlüssel und Pforte in Kärnten, Steiermark und Welschland." Durch Handel waren etliche Pettauer Bürger wohlhabend geworden. Um 1500 war im reichen Nürnberg der reichste Mann Hans Thumer, übrigens Schwiegervater Jakob Welsers. Das riesige Vermögen von 100000 Gulden hatte er zum größten Teil von seiner Heimatstadt Pettau nach Nürnberg mitgebracht. Dieses Vermögen hatte er im Handel mit ungarischem Vieh gemacht: Pettau war eine wichtige Station auf dem Handelsweg von Ungarn über Laibach und von dort durch das Wippachtal und über Görz (auch über Triest) nach Venedig. Der in Pettau ansässige Venezianer Lucas Bazin ließ über Pettau in den Jahren 1577 bis 1583 120 000 Ochsen aus Ungarn nach Venedig treiben, mithin pro Jahr über 17 000 Stück, in Murska Sobota war ein Hauptzollamt. Die Türken tolerierten diesen Export wegen der beachtlichen Ausfuhr-Abgaben. Unsere Gegend gehörte auch fortan zur Steiermark, das Land jenseits der Mur blieb bei Ungarn. 38

Der neue Staat Jugoslawien erhielt diesen Teil des Landes von Ungarn, von Österreich die sog. Untersteiermark. Im Jahre 1941 wurde Slowenien teilweise (z. B. »Südsteiermark") dem Reich angegliedert. Die Italiener bekamen, ohne Kampf, den westlichen Teil Sloweniens, mit Laibach als Hauptstadt. (Der Herzog von Spoleto wurde sogar zum König von Kroatien bestimmt.) Auch die Ungarn machten hier, wie in der Batschka, Beute, sie erhielten das Land jenseits der Mur und hinterließen auch dort Blutspuren. Nach 1945 wurden die alten Grenzen wieder hergestellt. Doch seit langem blicken die Slowenen viel mehr nach Norden als nach Süden, nach Bosnien, nach Serbien, nach Mazedonien oder sogar nach dem Kosovo. Bezeichnend dafür ist die enge Zusammenarbeit mit dem Bundesland Kärnten und mit der Region Friaul-Julisch-Venetien. Nein, sagte in seinem Buschenschank zu Mureck, wo er auch eine Brennerei mit geschätzten Frucht-Schnäpsen betreibt, Herr Kolleritsch (mit dem Grazer Schriftsteller verwandt): 1945 hatten wir mit den Slowenen und mit den Russen weniger Probleme als mit den Bulgaren und mit Titos Partisanen, die waren schon sehr schlimm. Jetzt werden die bisher obwaltenden geographischen Vorstellungen endgültig korrigiert: Als wir von Friedau auf der großen Straße (teilweise die Bernsteinstraße) auf den Spuren der Ochsentreiber durch das breite Drautal in Richtung Pettau 39

fuhren, fiel uns der überaus rege Gegenverkehr auf - als ob es sich um eine der großen europäischen Routen handele: Italienische LKW und PKW, viele bundesdeutsche Autos, auch etliche ungarische, ferner Autos aus Lothringen und aus dem Elsaß. Es ist die alte Hauptroute von Norditalien nach Ungarn, sie erreicht am Südufer des Plattensees die Autobahn nach Budapest. Daher also die ansehnlichen Gasthöfe und Hotels in Pettau und in Friedau. (Bis um 1800 war der Gasthof "Zum schwarzen Adler" die vornehmste U nterkunft in Pettau, wo auch die Kaiser abzusteigen pflegten.) Man fühlt sich wie auf altvertrauten Gefilden. In Pettau ist die Schranke an der Bahnlinie geschlossen: Hier führte früher, noch bis Anfang der 60er Jahre, eine wichtige europäische Linie vorbei, nämlich eine der Routen von Paris nach Budapest, über Basel, durch den Arlberg, über Innsbruck, durch das Pustertal, über Villaeh, Lavamünd, Marburg und Stuhlweißenburg, mit "Wagons-Lits". So konnte man bequem von London über Paris nach Budapest reisen, wenn man an den Herbstjagden um Gödöllö teilnehmen wollte.

III. Heute ist es schwer, mit Hilfe der Eisenbahn Jeruzalem zu erreichen. Die alte eingleisige Bahnlinie von Spielfeld ostwärts längs der Mur endet heute in Bad Radkersburg. Vor dem Jahre 1920 40

führte die Bahn noch bis nach Luttenberg (57 km), der Zug benötigte von Spielfeld her 2 1/2 Stunden. Er erreichte nach 39 km Radein, das Bad mit lithionhaltigem Sauerbrunnen, auch heute viel frequentiert. (Der Baedeker hatte das Kurhaus gelobt.) Die ÖBB betreibt nun die Linie bis Radkersburg mit dieselgetriebenen Wagen. Ab und zu sieht man Güterwaggons, mit Ladung aus dem Stürgkhschen Steinbruch in Klöch. (Bei uns wäre die Linie längst stillgelegt worden.) Andererseits führt eine Auto-Linie aus dem kroatischen Warasdin über Luttenberg nach Bad Radkersburg. Früher waren die Busse stets überfüllt. Aber nun, angesichts der wirtschaftlichen Misere in Jugoslawien, kommen nur noch wenige Käufer. Die Folgen für die österreichischen Geschäfte an der Grenze sind nicht zu übersehen. Hoch über der Mur in Oberradkersburg steht ein großes Schloß. Es hatte einst den Grafen Wurmbrand gehört. Heute ist der Ort stark industrialisiert, die Slowenen sind einfallsreich und tüchtig, nicht wenige Produkte können auf dem österreichischen Markt mithalten. Doch es besteht noch die Sektkellerei, die vor der Jahrhundertwende der aus dem Elsaß in die Steiermark gekommene Weingutsbesitzer Clotar Bouvier eingerichtet hatte. Bouvier züchtete eine Rebe, die nach ihm benannt wurde und die man heute auch im Burgenland antrifft. 41

Die Eisenbahnstrecke von Mureck nach Radkersburg ist manchen Deutschen nicht unbekannt: Mitte April des Jahres 1945 werden hier zwei Panzerzüge eingesetzt und dem 'PzArtRgt 128 der 23. PD unterstellt. Sie fahren im Abstand von 2 Kilometern hin und her. Im Sperrfeuerplan des PzArtRgt 128 spielen sie eine wichtige Rolle, so heißt es in der Geschichte der (württ.) 23. PD, die Ernst Rebentisch verfaßt hat, hernach Sanitätsinspekteur der Bundeswehr und Prof. Dr. med. Am 8. Mai 1945 kommt per Bahn in Mureck noch ein Transport mit 17 neuen Panzern IV an. Die Panzer bleiben auf den Waggons, die Verschlußkeile der Kanonen und die Optiken werden ausgebaut und in die Mur geworfen. Wie waren die deutschen Soldaten hierher gekommen? Es waren Einheiten, die während der Kämpfe am Plattensee im März 1945 zur 6. SSpzArmee, zur 6. Armee und zur 2. pzArmee gehört hatten. Sie zogen sich durch West-Ungarn zurück, häufig auf den uns nun schon bekannten Straßen, am 2. April ging Nagykanizsa verloren. Die 23. PD sicherte das Abfließen der eigenen Truppen und der vielen Flüchtlinge über die Lendava-Brücken und über die Mur-Brücken bei Mursko Sredisce; die Panzerpioniere sprengten dann sämtliche Brücken. Teile der 23. PD erreichen über F riedau den Raum Vitan südöstlich von Luttenberg: Sie müssen also auch Jeruzalem gesehen haben! Andere Teile der Division kommen 42

direkt nach Luttenberg und ziehen über Radein nach Radkersburg. Mit den Soldaten der 23. PD zogen die Soldaten von »Hohenstaufen" gen Westen, auch die von »Reichsführer-SS". In die Berge um Luttenberg kam anschließend eine seltsame Truppe, die 13. Waffen-Geb.-Div.-SS »Handschar" mit den Moslems (Fez!) aus Bosnien-Herzegowina unter Desiderius Hampel, einem Österreicher aus Kroatien. Also auch die Moslems werden J eruzalem erblickt haben. In diesem Teil Europas hatten sich über 280 Jahre früher ebenfalls württembergische Soldaten aufgehalten, nämlich als es hier gegen die Türken ging. Diese Württemberger gehörten im Rahmen des Reichsheeres zu den »Allianz-Völkern" (waren also Kontingent des im Jahre 1658 gegründeten Rheinbundes ), zu welchen auch französische Einheiten stießen. Befehlshaber dieser Truppen war Wolfgang Graf Hohenlohe. Im Dezember 1663 nahmen sie Winterquartier in Pettau. Im folgenden Frühjahr beteiligten sie sich an der (ergebnislosen) Belagerung der Türken-Festung Kanizsa, Generalissimus der ungarischen Truppen war Niklas Graf Zrinyi (Befehlshaber: Esterhazy, Batthyany, Herberstein und Draskovich). Als die Türken im Juli nordwärts zur Raab zogen, folgten ihnen Hohenlohes Truppen, um sich mit den Reichstruppen, zu denen ein schwäbisches KreisKontingent gehörte, bei Radkersburg zu treffen. Viel Nachschub kam aus Wien auf der Mur von 43

Bruck und von Graz über Radkersburg an die Front. Am 18. Juli traf die französische Infanterie, von Wien kommend, in Radkersburg ein, die Reiter aus Frankreich aber waren durch Norditalien über Marburg und Pettau hierher gezogen. Am 21. Juli 1664 wird bei Murska Sobota gesammelt. ("Sammeln, sammeln!") Die Franzosen treten unter Hohenlohes Befehl. Am 1. August kommt es zur Schlacht an der Raab bei St. Gotthard und Mogersdorf. Hier fällt der Feldzeugmeister Franz Graf Fugger, worüber der Generaladjutant des Reichsheers, J ohann Graf Stauffenberg, in einer gedruckten Relation berichtet. Ferner fällt hier der Cornet Christoph Rilke. Sogar das kaiserliche Regiment Kielmansegg wird in die Flucht geschlagen. Doch der Angriff der Türken wird letztlich abgewehrt. Die Franzosen schlagen sich tapfer, das Offizierskorps aus dem Hochadel entrichtet einen hohen Blutzoll. Die arg mitgenommenen Reichstruppen ziehen in Ruhequartieren unter, die Schwaben kommen am 9. August nach Radkersburg. In Radkersburg wurde im Jahre 1945 die MurBrücke von den Pionieren der "Hohenstaufen" gesprengt. Die 23. PD dehnte sich weiter nördlich und nordwestlich aus, das PzGrenRgt 128 setzte sich in und nördlich von Halbenrain fest. In dieser Gegend lag ferner das I. Kav.-Korps mit der 3. und 4. Kav.-Div., auch die bei Stuhlweißenburg beinahe zerschlagene "Reichsgrenadier Division 44

Hoch- und Deutschmeister". Im Wehrmachtsbericht nehmen die Kämpfe in diesem Raum die erste Stelle ein. Mitte April verlagert sich der Schwerpunkt der Berichte auf die Kämpfe um Wien und anschließend auf die um Berlin. Am 2. Mai 1945 wird unser Raum nochmals erwähntdie Kampfpause halte an. Es ist jener Bericht, der mit einer der schlimmsten Lügen eröffnet wurde: »An der Spitze der heldenmütigen Verteidiger der Reichshauptstadt ist der Führer gefallen. Von dem Willen belebt, sein Volk und Europa vor der Vernichtung durch den Bolschewismus zu erretten, hat er sein Leben geopfert. Dieses Vorbild ,getreu bis zum Tode' ist für alle Soldaten verpflichtend." Der Ia von Dietrichs 6. SS-pzArmee schrieb später: ». . . entschloß sich Hitler zum Selbstmord. Er entzog sich damit der Verantwortung, ebenso wie wenig später Himmler." Vermutlich hat damals keiner der Soldaten in der Steiermark gewußt, daß fast auf den Tag genau 4 Jahre vorher deutsche Soldaten siegreich aus W est-Ungarn in Richtung Westen gezogen waren: Soldaten der 8. PD, die über Heiligenkreuz an der Grenze ins verbündete, d. h. auf jugoslawische Beute scharfe Ungarn kamen, um von dort aus anzugreifen. (Die 3. PD konnte Heiligenkreuz bis zum 10. April 1945 halten, am 31. März aber war St. Gotthard gefallen.) Das I. / SchützenRgt. 28 unter Hauptmann Hans Frhr. von Wolff (Baltendeutscher) stieß Anfang April 1941 über die Len45

dava vor und bildete an der Mur bei MurskoSredisce einen Brückenkopf - auch damals sprengte der Verlierer hier die Brücken. Gemäß Divisionsbefehl für dczn 8. April sollte das Bataillon bei Csakathurn (Cacovec) einen Igel bilden. Ein Offizier der 8. PD von damals hätte vermutlich diese Landschaft im März 1945 wiedergesehen, eben der vorhin erwähnte baltische Freiherr. Er war im Frühsommer 1944 Kommandeur der 3. Kav.-Brig. in Weiß rußland, die, zur 3. Kav.Div. geworden, später in Ungarn kämpfte. Doch starb v. Wolff nach einem Unfall bei einer Truppenübung .nahe Pinsk. (Zwischendurch hatte er eine Brigade der 1. Kosaken-Div. unter v. Pannwitz befehligt, war also auch in Kroatien gewesen.)

Auf die heute so friedvolle Landschaft im breiten Murtal mit den Hügeln dahinter hat man einen herrlichen Blick vom Klöcherberg aus, oben über Halbenrain und über Klöch, dem bekannten Weinort. Wenn man an einem schönen Tag hoch oben in einem Buschenschank sitzt, dann schaut man über die Gegend um Leibnitz weiter ins Grazer Becken, auf das Murtal, auf Radkersburg, auf Murska Sobota, auf die Weinberge um Jeruzalem, und man glaubt, hinter Murska Sobota Ungarn zu erblicken: Großartige europäische Landschaft! Aber Winzer Otto Kurz und seine Frau unterlassen es nicht, die mit anscheinend dubiosem Verfahren geschaffene Mülldeponie unten inmitten 46

der herrlichen Auwälder zu kritisieren: "Die erreichen, was der Krieg damals nicht geschafft hat." Auch die Weinberge um Klöch sind etlichen Soldaten der 23. PD bekannt, einige der Württemberg er werden selbst Winzer gewesen sein. (Zu dieser Zeit waren die Amerikaner bereits in Heilbronn.) Die Front der Division reicht nun bis nach Straden, dem oben auf dem Berg gelegenen Ort mit den drei Kirchen und dem schönen Pfarrhof. Hier gab es harte Kämpfe. Benachbart war die 3. Kav.-Div. unter Generalmajor Peter von der Groeben, ferner eine seltsame Division, die 14. W affen-Division der SS mit den Ukrainern aus dem polnischen Ostgalizien. Am 1. 4. wird sie gegen die Russen eingesetzt, nimmt Straden, auch die beherrschenden Berge Stradner-Kogel und Gleichenberg-Kogel nahe Burg Gleichenberg, die seitdem Ruine ist. Besonders hart wird um Bad Gleichenberg gekämpft. Die beiden Kogeln wechseln ständig den Besitzer, die 3. Kav.-Div. muß bei den Ukrainern aushelfen. Mitte April wird die Front der Ukrainer-Division bis vor Feldbach verlängert, nördlicher Nachbar ist "Wiking". Die Wohltat der Quellen von Gleichenberg war schon seit langem bekannt (wohl auch den Römern), doch erst im Jahre 1834 gründete der Statthalter der Steiermark, Matthias Constantin Capel10 Reichsgraf Wickenburg, den Kurort Gleichenberg: Mit großem Erfolg. Bereits 1842 waren zwei 47

prominente Russinnen hier, die Großfürstinnen Helene und Katharina Michaelovna. Auch ein berühmter Pole schätzte Bad Gleichenberg, Sefer Pascha alias Graf Koscielski, hoch dotierter Reorganisator der ägyptischen Armee. Er kaufte Schloß Bertholdstein im nahen Fehring, von wo aus er im Lipizzaner-Viererzug den Badeort aufzusuchen pflegte. (Es gab dort ein kleines Theater, in dem auch der junge Alexander Girardi auftrat; später Kino.) Heutzutage hört man in Bad Gleichenberg ebenfalls Kugeln zischen. Aber das sind friedfertige, nämlich die auf dem 9-Löcher-Golfplatz zwischen dem Bad und der Burgruine. Vorher der würdige Friedhof mit interessanten Grabmälern. Man sieht ein merkwürdiges Denkmal: "Dem steten Gedenken der für die Freiheit in Kameradschaft gefallenen Söhne der Ukraine und der Steiermark gewidmet." An die Ukrainer wird man nochmals erinnert, wenn man weiter nördlich Feldbach an der Raab besucht, Bezirkshauptstadt. (1914 war Bezirkshauptmann: Louis Villavicencio Marquis d' Alcantara.) Über Feldbach fährt man zur Feste Riegersburg, die den Türken getrotzt hatte. Der Stadt sieht man keine Spuren des Krieges mehr an. Doch der Soldatenfriedhof erinnert an die Kämpfe und an die Opfer von damals. Viele Grabsteine auch für unbekannte Soldaten, Deutsche und Ukrainer. Für die Ukrainer gibt es noch ein besonderes 48

Denkmal, in deutscher und in ukrainischer Sprache. Die Würde der Toten bleibt gewahrt. IV.

Der geneigte Leser, der diese Landschaft noch nicht kennt, mag fragen, wo man Station machen solle, um von dort aus Rundreisen und Ausflüge zu unternehmen. Vielleicht sollte man eine Alternative vorschlagen: Man kann Quartier nehmen entweder südwestlich oder südöstlich von Graz. Das könnte bedeuten: Einerseits Kitzeck im Sausal, andererseits Kapfenstein südlich von Fehring. Kitzeck auf über 630 m Höhe soll der am höchsten gelegene Weinort Europas sein, mit herrlichem Blick rundum bis hinauf nach Graz und die Berge dahinter, vor denen das Zisterzienser-Stift Rein-Hohenfurth liegt. Man kann hier schöne Wanderungen unternehmen, stets auf den Höhen bleibend, z. B. nach St. Andrä-Höch. Dort steht das soeben hübsch renovierte Schlößchen Harrachegg, so benannt nach dem Salzburger Fürstbischof Graf Harrach, der es im 18. Jahrhundert erbauen ließ. Die Sausalberge waren alter Salzburger Besitz. Im Jahre 970 hatte Kaiser Otto der Große dem Bistum dieses Land geschenkt. Neben Harrachegg hat der weithin bekannte Winzer Hirschmugl einen neuen Hof gebaut, mit Buschenschank, von dem aus man einen besonders schönen Blick auf die Berge im Westen hat, davor .. Schnur

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liegen Stainz und Deutschlandsberg. Unweit von Kitzeck gibt es einige Badeseen. Von den beiden Badeseen an der Sulm blickt man auf die steirische Weinbauschule Silberberg und auf das Schloß Seggau mit den vielen eingemauerten Römersteinen aus Flavia Solva. Andererseits bietet sich Kapfenstein an, ebenfalls hoch oben gelegen, am ehesten wohl das kleine Burghotel der alten steirischen Familie (v.) Winkler-Hermaden. Das Haus wird unprätentiös geführt, aber um so wohltuender, mit eigenen Weinbergen. Auch hier ein herrlicher Blick auf das Land, sogar hinein nach Ungarn und nach Jugoslawien, am Horizont glaubt man die großen Staubwolken zu sehen, die damals die Kämpfer wider die Türken aufgewirbelt hatten. Das Publikum: Alles Liebhaber, darauf bedacht, die Ambiance nicht zu beschädigen, hier ist niemand fehl am Platze. Im vorigen Jahr war Gmj. a. D. Peter von der Groeben hier, gemeinsam mit Ehefrau und dem Ehepaar Klaus von der Groeben aus Kiel. Alle haben sich wohlgefühlt und dem, der die Reise empfohlen hatte, freundlichst gedankt. Die Kaserne im nahen Feldbach heißt GroebenKaserne, benannt nach Major von der Groeben, der 1866 bei Königgrätz jene österreichische Batterie kommandiert hatte, von welcher alle Soldaten starben. Als der Kommandeur in Feldbach von der Anwesenheit der von der Groebens er50

fuhr, improvisierte er im Kasino ein Essen zu Ehren der Gäste. Vielleicht kann man dem Dilemma der Wahl des besten Standortes für die Reisen durch die südliche Steiermark dadurch entgehen, daß man empfiehlt: Sowohl als auch. PS. Auf der Rückreise nach Südtirol machten wir noch einige Tage Station in Kärnten, in St. Veit an der Glan. Nördlich davon, bei Althofen, holte die Geschichte uns wieder ein: Der Gastwirt und Gutsbesitzer Karl Funder wies uns darauf hin, daß hier die Kosaken des Generals v. Pannwitz gelagert hatten, bevor sie von den Engländern in Judenburg den Sowjets übergeben wurden. Der General hatte die deutschen Offiziere von ihren Pflichten entbunden und war dann mit den Kosaken in den sicheren Tod gegangen. Aber das ist eine besondere Geschichte, eine besonders trauervolle Geschichte, eine ganz elende dazu. (Günter Dürig zum 70. Geburtstag gewidmet) Nachtrag: Seit kurzem gibt es im ungarischen St. Gotthard auf dem Gelände der Schlacht von 1664 ein AutomobilWerk von GM/Opel mit 1200 Arbeitsplätzen. Die deutschen Ingenieure und Meister wohnen, wegen der Schulen, in Heiligenkreuz und Umgebung, die Singles im vortrefflichen Landgasthof der Frau Kommerzialrätin Gibiser.

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Ein ereignisreicher Tag: Sonntag, der 22. November 1942 Im Raum südlich Stalingrad und im großen Don-Bogen stehen die deutschen und rumänischen Verbände im Zusammenwirken mit starken Nahkampffliegerkräften in schweren Abwehrkämpfen. Wehrmachtsbericht vom 23. November 1942

I. 1. Am Morgen gegen 7 Uhr erreichte Oberstleutnant Filippow mit der 14. Sturmgeschütz-Brigade das Ostufer des Don in Kalatsch. Dort grub er sich gegenüber den weit hinter der bisherigen Front überraschten Deutschen ein. Seine Einheit gehörte zu jenen russischen Truppen, die am 19. November die nordwestlich von Stalingrad liegende 3. Armee der Rumänen unter Generaloberst Dumitrescu angegriffen und zerschlagen hatten. Die Deutschen in Kalatsch waren so sehr überrascht worden, daß die Brücke über den Don von 53

den Russen unversehrt genommen werden konnte. Auf Filippows Einheit folgte die 26. PanzerBrigade. Sie stieß am folgenden Tage in Richtung Stalingrad bis nach Sowjetskij vor. Dort kamen ihr Truppen der Südfront entgegen, welche südöstlich von Stalingrad die 4. rumänische Armee unter General Constantinescu-Claps durchstoßen hatten. Panzer des 4. mech. Korps unter General W olski trafen auf die Soldaten der 26. PanzerBrigade. Fast hysterisch vor Freude, tanzten die Rotarmisten über den Schnee und feierten ihren unglaublichen Triumph. In weniger als 96 Stunden hatten sie den Ring um die 6. Armee des Generalobersten Paulus geschlossen. Mehr als 250 000 deutsche Soldaten saßen in der Falle, abgeschnitten auf einer riesigen Schneewüste. Bereits am 22. November hatte Paulus aus Gumrak an die Heeresgruppe B (Generaloberst v. Weichs) gefunkt: "Die Armee ist eingekesselt ... Erbitte Hand1ungsfreiheit ... ". Hitler wird sie ihm nie gewähren, und Paulus war nicht der Mann, sie sich selbst zu nehmen. Ebenfalls am 22. November 1942 focht bei der durchbrochenen 3. rumänischen Armee die deutsche 22. PD, die einzige deutsche Reserve, welche man den Rumänen zugebilligt hatte. Als ihre Soldaten an der am meisten gefährdeten Stelle ankamen, wurden sie sogleich von den russischen Truppen umzingelt. Das PzRgt. 204 (v. OppelnBronikowski), wiewohl sträflich schlecht ausge54

stattet, wirkte wie ein Rammbock in der Flut. In der Heeres-Flak-Abt. 289 kämpfte der Lt. d. R. Franz Josef Strauß. Nur mühsam konnte am Tschir eine feste Abwehr aufgebaut werden. An eben diesem 22. November 1942 flog Hauptmann Ernst Jünger, aus Paris kommend, von Kiew nach Rostow am Don. Er sollte sich in den Kaukasus zur 17. Armee des Generalobersten Ruoff begeben. (Früher hatte Jüngers Befehlshaber in Paris, Carl-Heinrich v. Stülpnagel, diese Armee befehligt; später hingerichtet.) In Rostow war für Jünger der Flug zu Ende. »Dort wurde das Wetter so unsicher, daß der Führer des Flugzeuges zwar das Kuriergepäck bis W oroschilowsk (Stavropol, Gorbatschows Heimat, R. S.) zu bringen, die Fluggäste aber zurückzulassen beschloß, umsomehr, als sich an den Profilen seiner Maschine bereits eine starke Eiskruste abzeichnete. Entschloß mich, ain nächsten Tage mit der Bahn nach W oroschilowsk weiterzufahren, und bezog im Offiziers heim Quartier.« Hier erfuhr Jünger am 23. November, daß die Russen nördlich von Stalingrad durchgebrochen waren. Von der Landung der Amerikaner und der Briten in Nordafrika hatte er bereits am 8. November in Kirchhorst bei Hannover erfahren, von wo aus er nach Berlin reiste, um sich mit Carl Schmitt zu treffen. In Berlin war Ernst Jünger auch beim preußischen Finanzminister J ohannes Popitz. Dort sah er für einige Minuten den Chirurgen Sauerbruch. (Des55

sen Sohn Peter, Hauptmann i. G., sollte sich ab dem 22. November 1942 bei Kalatsch am Don als Führer einer Kampfgruppe auszeichnen.) Es gab auch eine Unterhaltung »über die große Ausgabe antiker Klassiker, die der Minister beabsichtigt." (Popitz wurde am 2. Februar 1945 hingerichtet.) 2. Am 22. November 1942 steht noch tief im Lande der Kalmücken die westfälische 16. ID (mot.), die vor kurzem Generalmajor Gerhard Graf von Schwerin übernommen hatte. (Im Juli 1939 war der oppositionelle Oberstleutnant i. G., Abt. Fremde Heere West des OKH, zu Gesprächen mit führenden britischen Geheimdienstlern in London gewesen.) Die Deutschen (111. ID) hatten bereits am 12. August 1942 Elista, die Hauptstadt des seit 1920 autonomen Gebietes der Kalmücken, erobert. Sie näherten sich mit der 16. ID (mot.) der großen Stadt Astrachan am Unterlauf der Wolga nahe dem Kaspischen Meer, berühmt wegen der Kaviar-Produktion. Hinter ihr zog die rumänische 8. KavDiv. Die 16. ID (mot.) stellte das Bindeglied zwischen der Heeresgruppe A am Kaukasus (Generaloberst v. Kleist) und der Heeresgruppe B dar, der sie direkt unterstellt war. Im September waren Spähtrupps dieser Division bis dicht an die untere W olga herangekommen, wie schon am 22. August weiter südlich ein Fernspähtrupp der 111. ID die Bahnlinie AstrachanKisljar erreicht hatte, also die einzige noch bestehende Bahnlinie, auf welcher Öl von Baku trans56

portiert werden konnte. Aber die dauernde U nterbrechung dieser Linie gelang nicht. Viele Kalmücken arbeiteten mit den deutschen und den rumänischen Truppen zusammen. Sie stellten sogar freiwillige Reiterschwadronen und Transportkolonnen mit Kamelen auf. Später wurde diesem mongolischen Stamm buddhistischen Glaubens wegen der Zusammenarbeit mit den Deutschen die politische Autonomie genommen und die Masse der etwa 200 000 Kalmücken teils nach Sibirien deportiert, teils sogleich liquidiert. (1958 erhielten sie wieder die Autonomie.) Als die Sowjetrussen im November 1942 nordwestlich bei der 4. rumänischen Armee durchbrachen und auch die zwischen ihr und der deutschen 6. Armee stehende 4. pzArmee (Generaloberst Hoth) bedrohten, wurde Schwerins Division dieser Armee unterstellt. Sie konnte sich im Laufe des Monats Dezember der Umklammerung entzieheQ. Weiter nordwestlich von ihr schlug sich am 22. November das motorisierte Detachement des schneidigen rumänischen Obersten Korne (RK) nach Kotelnikowo durch. Neben ihm baute Oberst v. Pannwitz mit AlarmeinheiteQ eine erste feste Abwehrlinie auf. (Später wurde v. Pannwitz der "KosakenGeneral", Anfang 1947 in Moskau hingerichtet.) So konnte im Dezember der Versuch, Stalingrad zu entsetzen, von Kotelnikowo aus beginnen, abgeschirmt rechts in der Kalmückensteppe von der

16. ID.

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Mit den deutschen Truppen hatte sich eine besondere Einheit aus dem Lande der Kalmücken zurückgezogen: Das Sonderkommando 11 b der Einsatzgruppe D (diese seit Juli 1942 anstelle von Brigadeführer Dr. Ohlendorf von Oberführer Bierkamp geführt) hatte im September 1942 in Elista das »Sonderkommando Astrachan" aufgestellt. Hstf. Maurer ließ sogleich die etwa 100 Juden Elistas erschießen. Himmler hatte stets großräumig gedacht. So war der Oberführer Jürgen alias Josef Stroop, der Landvermesser aus Detmold, zum Höheren SS- und Polizeiführer Georgiens mit Sitz in Tiflis bestimmt worden. Mangels Gelegenheit konnte Stroop sich erst bei der Liquidierung des Warschauer Ghettos bewähren. (Später in Polen hingerichtet.) 3. Am Sonntag, dem 22. November 1942, hielt

Hitler sich nicht in seinem ostpreußischen Hauptquartier auf, sondern in Berchtesgaden, wiewohl der Generalstab des Heeres (Abt. Fremde Heere Ost unter Oberst i. G. Reinhard Gehlen) bereits am 7. November berichtet hatte, daß nach Agentenmeldungen am 4. November in Moskau ein Kronrat stattgefunden habe, bei welchem beschlossen worden sei, noch in diesem Jahr eine große Offensive entweder an der Don-Front oder in der Mitte durchzuführen. Am 7. November wußte Hitler auch bereits, daß von Gibraltar aus ein großer Geleitzug mit Truppentransporten ins Mittelmeer unterwegs und daher mit einer Lan58

dung zu rechnen war. Aber er hielt es für wichtiger, mit seinem Sonderzug und seiner nächsten Umgebung (Spitzen des OKW) von Rastenburg nach München zu reisen, um wie alljährlich am 8. November abends im Bürgerbräukeller zur Erinnerung an den 8.19. November 1923 zu seinen alten Mitkämpfern zu reden. Die Nachricht von der Landung der Alliierten in Nordafrika erreichte Hitler während eines Aufenthalts des »FührerZuges" auf einem Bahnhof in Thüringen. Im Münchner Bürgerbräukeller sagte Hitler den alten Gefährten, Deutschland habe im Jahre 1918 1/4 vor 12 aufgehört, er aber werde erst 5 nach 12 aufhören. Bereits am 10. November traf in München der französische Ministerpräsident Laval ein. Er begegnete dort dem italienischen Außenminister Graf Ciano. (Beide später hingerichtet.) Am 12. November dann befiehlt Hitler aus München, daß die in Ostpreußen verbliebene Feldstaffel des Wehrmachtsführungsstabes mit dem Sonderzug »Atlas" nach Salzburg zu kommen habe. In diesem Zug befand sich auch der Gefreite Dr. Felix Hartlaub vom Kriegstagebuch des OKW. Hitler wollte die nächste Zeit auf dem Berghof verbringen, wohingegen der Generalstab des Heeres, für die Ostfront zuständig, in Ostpreußen verblieb. Lediglich der Chef des Generalstabs des Heeres (General ZeitzIer) reiste mit Hitler nach Berchtesgaden.

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Am Morgen des 22. November 1942 übergab Hitler das Kommando der von ihm beiläufig geführten Heeresgruppe A an v. Kleist, dessen 1. pzArmee v. Mackensen übernahm. Mittags, nach der Eroberung von Kalatsch am Don durch die Russen, wird von Hitler befohlen, daß sich das OKW wieder in die »Wolfsschanze" bei Rastenburg zu begeben habe. Hitler selbst fährt sofort ab. Der Hauptteil des Wehrmachtsführungsstabes übersiedelt erst am Nachmittag des folgenden Tages von der Gebirgsjäger-Kaserne in Strub in den Sonderzug »Atlas", der auf dem Bahnhof Bischofswiesen wartet. Am 26. November schreibt der Gefreite Dr. Hartlaub, zurück in Ostpreußen, an Vater und (Stief-)Mutter: »... Vierzehn Tage anstrengendster Reiserei und Verlegungen liegen hinter mir, nicht ohne weiteres einleuchtendes Ausprobieren der Himmelsrichtungen, etwas haltloses Gleiten des Schwerpunktes. Eine Reihe schriller Rangiernächte, dauerndes Umziehen aus den rollenden in bald überholte feste Quartiere ... Jetzt wieder im alten, mittlerweile sehr nebligen und nassen Mischmaschwald ... ". Allerdings teilt Hartlaub, eindrucksvollster Chronist des Führerhauptquartiers (im April 1945 in Berlin verschollen), nicht mit, ob er den Major i. G. Claus Graf Stauffenberg kennengelernt hat, der damals in der Organisationsabteilung des OKH tätig war. Manche Deutsche hatten vermutet, daß Hitler am 22. November von Berchtesgaden über Stutt60

gart nach Rastenburg gefahren sei. Stuttgart war in der Nacht vom 22. auf den 23. November von britischen Bombern heimgesucht worden. Dabei wurde auch der Hauptbahnhof schwer beschädigt und der Zugverkehr für zwei Tage gesperrt. Im geheimen Lagebericht des SD (»Meldungen aus dem Reich") Nr. 338 vom 26. November 1942 heißt es u. a., daß gegenwärtig viele Gerüchte die Bevölkerung beunruhigten, so das Gerücht Nr. 1: »Der Luftangriff auf Stuttgart vom 22. 11. 1942 habe dem Führer oder dem Reichsmarschall gegolten, die mit ihren Sonderzügen z. Z. des Angriffs den Stuttgarter Hauptbahnhof bereits zwei Stunden vor dem Alarm wieder verlassen (Stuttgart, Augsburg)." Ferner wird vom SD aus dem Reich das Gerücht Nr. 10 berichtet, wonach die Kaninchenhalter, welche bei der allgemeinen Viehzählung am 3. 12. 1942 Kaninchen haben (zu ihnen gehörte der 15 Jahre alte R. S.), bei der Weihnachtssonderzuteilung ausgeschlossen werden bzw. kein Fleisch erhalten sollten. Vielleicht hätte die gemäß den Berichten des SD, für die Ohlendorf zuständig war (später hingerichtet), immer pessimistischer werdenden Volksgenossen die Lektüre jener Aufzeichnungen aufgemuntert, die Rüstungsminister Dr. Speer über die Besprechung mit dem Führer am Sonntag, dem 22. N 0vember 1942, in Berchtesgaden gemacht hatte. (Geheime Reichssache, vom 25. 11. 1942.) Manchen Volksgenossen allerdings hätte es gewundert 61

zu erfahren, mit welcher Akribie der Führer sich den technischen Details der Rüstung hingegeben hatte. (Speer notierte 37 Besprechungspunkte.) Am 2. Februar 1943 ist der Kampf in Stalingrad zu Ende. 91 000 Mann geraten in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Davon sind 6 000 Mann nach Deutschland zurückgekehrt.

11. 1. Am 22. November 1942 gab es auch viel weiter westlich von W olga und Don zahlreiche Opfer zu beklagen, nämlich im Generalgouvernement, genauer: im Distrikt Galizien. Im Städtchen Z61kiew nördlich von Lemberg wurden rund 2 500 Juden verladen und in das nahe, nordnordwestlich gelegene Vernichtungslager Bdzec gebracht, das bereits im Distrikt Lublin lag. Bdzec war per Bahn nur 54 km von Z61kiew entfernt, dieses wiederum nur 34' km von Lemberg (1914 mit dem größten Bahnhof Österreich-Ungarns, 1939 von Polen), der nördliche Stadtteil mit dem Burgberg hieß "Z61kiewer Vorstadt" . Der kleine Ort Bdzec war deutschen Soldaten vom September 1939 her bekannt, als polnische Truppen, die zwischen die Deutschen und die Russen geraten waren, hier ausbrechen wollten, um über die Karpaten ins noch neutrale Ungarn zu kommen. Bdzec ist erst nach 1945 einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden. Mitte März 1942 wur62

de im Lager der Vernichtungs betrieb aufgenommen, zunächst in einer mit Blech ausgeschlagenen Holzbaracke, ab August 1942 in einem massiven Steingebäude. Das nur 500 m neben dem Bahnhof errichtete Lager, mit Nebengleis, umfaßte lediglich 265 mal 275 m, weil es ein reines Vernichtungslager war. Der erste Kommandant war Hauptsturmführer Wirth, der "wilde Christian" aus Stuttgart, dem am 1. August 1942 Hstf. Hering folgte. Es gab deutsches Personal sowie Helfer ukrainischer und estnischer Herkunft. An besonders arbeitsreichen Tagen schaffte man 3 000 Opfer, im ganzen müssen es mindestens 500000 gewesen sein. Zunächst wurden die Opfer in Massengräbern verscharrt; Anfang November 1942 begann man mit der Exhumierung und der Verbrennung der Leichen. Das dauerte bis zum März 1943. Als das Lager im September 1943 geschlossen wurde und man versuchte, seine Spuren zu beseitigen, kam die deutsche Mannschaft (wie die meisten Angehörigen der "Aktion Reinhard") unter dem Kommando des Höheren SS- und Polizeiführers Odilo Globocnik aus Kärnten (Selbstmord 1945) ins adriatische Küstenland zur Partisanenbekämpfung. Wirth wurde Kommandeur der "Inspektion Einsatz R", die Gruppe R I in Triest leitete Hering. (Wirth fiel im Kampf mit Partisanen, Hering starb im Oktober 1945 in der Nähe von Stuttgart.) Im Oktober 1945 besichtigte der Untersuchungsrichter des Landgerichts Zamosc 63

das Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Bdzec. Er fand das Lagergelände teilweise aufgewühlt. Im Protokoll der Besichtigung heißt es: »Nach Auskunft der assistierenden Beamten der Bürgermiliz vom Milizposten Bdzec (das nicht zur UdSSR geschlagen worden war, R. S.) stammt die beschriebene Aufwühlung des Lagergebiets von der benachbarten Bevölkerung, die nach dem von den ermordeten Juden zurückgelassenen Gold und Brillanten suchte.« Z61kiew, von wo am 22. November 1942 die 2 500 Juden nach Bdzec transportiert worden waren, gehörte zu den interessantesten Städten Südostpolens. Es war im Jahre 1603 mit Magdeburger Recht vom Hetman Stanislaus Z61kiewski, dem berühmten Türkenkrieger und Feldherrn wider die Tataren, gegründet worden. Der Hetman war auch ein Mann von ho her Bildung. Die Stadt wurde von deutschen und von italienischen Künstlern gestaltet, in Stilen von der Spätrenaissance bis zum Hochbarock. Zeitweise war sie die Residenz von Z61kiewskis Urenkel, dem· großen König J ohann III. Sobieski, der maßgeblich am Entsatz von Wien im Jahre 1683 mitwirkte. In der römisch-katholischen Pfarrkirche (Kreuzkuppelkirche), einer der drei großen Kirchen der Stadt, befinden sich auch zwei Grabmäler, die Andreas Schlüter gestaltet hatte. Im Jahre 1687 ließ J ohann Sobieski hier auch eine Synagoge errichten. Viel Interessantes über Z61kiew erfährt man von Salcia Landmann (Erin64

nerungen an Galizien), die dort geboren wurde und seit dem Spätsommer 1914 in St. Gallen lebt. Sie erwähnt zwar das Militärbordell in Z61kiew, nicht aber, daß dort das Dragoner-Regiment Nr. 15 unter Otto Graf Huyn lag. (Im Frühjahr 1944 lag der Stab der 4. pzArmee des österreichischen Generals Raus hier.) Im Sommer 1944 forderte der Krieg hier auch Opfer von deutschen Soldaten, als die Russen von Nordosten auf Lemberg vorstießen, nämlich von den Soldaten der 16. PD, deren I c der Kunstkenner v. Alvensleben war. Dieser, der bereits Z61kiew besichtigt hatte, war am 20. Juli 1944 erneut in Z61kiew, als Oberst i. G. Graf Stauffenberg im Führerhauptquartier die Bombe legte. Am 23. Juli wurde bereits bei Wiesenberg gekämpft, zwischen Z61kiew und Lemberg gelegen. (Wie drei Jahre vorher, als es hier vorwärts ging.) Wiesenberg war bis zur Umsiedlung der aus Deutschland gekommenen Kolonisten im Winter 1939/40 die zweitgrößte Siedlung mit deutschen (pfälzischen) Kolonisten katholischen Glaubens gewesen. Die Umsiedler kamen in den Warthegau, von wo sie im Januar 1945 versuchten, weiter westwärts zu flüchten. Z61kiew wurde von der UdSSR annektiert und heißt heute Nesterow. Als solches kommt es in dem Bildhandbuch "Kunstdenkmäler in der Sowjetunion" (Ukraine und Moldawien, Darmstadt 1984, printed in the German Democratic Republic) mit mehreren Abbildungen vor. Von 5 Schnur

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der alten Synagoge in Z61kiew ist weder im Baedeker »Generalgouvernement" (1943) noch in v. AIvenslebens Aufzeichnungen die Rede, auch nicht in dem erwähnten sowjetrussischen Handbuch. Sie war bereits im Sommer 1941 angezündet worden. An diesem Sonntag, dem 22. November 1942, gab sich Generalgouverneur Dr. Hans Frank (hingerichtet in Nürnberg) der Sonntagsruhe hin. Er war Anfang November nach München gereist, um am 8. November Hitler im Bürgerbräukeller zu lauschen. Dieser Sonntag aber war der Kultur gewidmet. Zunächst gab es auf Schloß Kressendorf, einem Potockischen Schloß und derzeitigem Wohnsitz Franks, Hausmusik, dann fuhr Frank nach Krakau, um im Staatstheater das Schauspiel »Frau Inger auf Österor" von Henrik Ibsen zu sehen, in dem Hermine Körner ein Gastspiel gab. Die Kultur am Sonntag tat Frank gut, er mußte sich von den Strapazen des Machtkampfes mit der SS, vor allem mit dem Staatssekretär Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger (Selbstmord 1945), erholen. Erst am 24. November erfuhr Frank durch ein Fernschreiben von Reichsminister Dr. Lammers: Er habe am 22. November dem Führer Vortrag über sein (Franks) Rücktrittsgesuch gehalten, doch habe der Führer abgelehnt. Frank sah darin einen erneuten Vertrauensbeweis durch den Führer. Am 1. August 1942 hatte Frank auf einer Groß kundgebung der NSDAP im Lem66

berger Opernhaus hinsichtlich der Juden gerufen: "Übrigens habe ich heute gar nichts mehr davon gesehen. Was ist denn das? Es soll in dieser Stadt einmal Tausende und Abertausende dieser Plattfußindianer gegeben haben, es war keiner mehr zu sehen. Ihr werdet doch am Ende mit denen nicht böse umgegangen sein? (Große Heiterkeit)." 2. Nicht ganz wenige Deutsche wußten also Bescheid über das Schicksal, das auch den am 22. November 1942 in Z6lkiew verladenen Juden bevorstand. Doch im Westen wollte ebenfalls lange Zeit niemand etwas davon wissen, wiewohl dort schon vor dem 22. November 1942 zuverlässige Nachrichten vom Massenmord an den Juden vorlagen. Am 22. November 1942 aber veröffentlichte die Jewish Agency in Palästina eine Verlautbarung, wonach aus "autorisierten und zuverlässigen Quellen" Nachrichten eingetroffen seien, daß die Nazis in Polen eine systematische Ausrottungskampagne gestartet hätten. Diese Quellen waren in der Tat zuverlässig: Es handelte sich um Gruppen von Juden, die im Austausch gegen solche deutsche Staatsbürger von Polen nach Palästina gekommen waren, welche man zu Beginn des Krieges auf alliiertem Gebiet interniert hatte. Die aus Polen über Wien, die Türkei und Syrien Gekommenen erwähnten auch das Vernichtungslager Belzec. Die Folgen solcher Nachrichten außerhalb Deutschlands haben einen aus Breslau stammen5*

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den Emigranten, den Historiker Walter Laqueur, veranlaßt, seinem Buch den Titel zu geben: " Was niemand wissen wollte: Die Unterdrückung der Nachrichten über Hitlers ,Endlösung'". Erwähnen wir noch, daß zu dieser Zeit (November 1942) ein Kurier des polnischen " Untergrunds" mit Nachrichten über den Holocaust unterwegs nach London war: Karski reiste von Warschau durch das Reich nach Paris, von dort mit neuen Papieren nach Toulon, dann weiter über Perpignan, wo soeben deutsche Truppen eingerückt waren (worüber wir alsbald Näheres erfahren werden), nach Spanien und über Gibraltar nach London. Dort suchte er sogleich die polnische Exilregierung auf. Er informierte auch die britische Regierung und anschließend in den USA maßgebliche Politiker: Vergebliche Mühe. 3. Andere Polen wiederum hielten sich zu jener Zeit, also auch am 22. November 1942, im Irak auf. Es waren Angehörige der polnischen Streitkräfte, die im Westen kämpfen sollten und zunächst in Persien gesammelt worden waren, in welches Land bereits im August 1941 sowjetrussische und britische Truppen einmarschiert waren. Die polnischen Truppen wurden von General Anders befehligt. Ihm war es Ende September 1939 nicht gelungen, über die Karpaten ins neutrale Ungarn zu gelangen wie z. B. General Sosnkowski, der nach Sikorskis rätselhaftem Tod in Gibraltar die polnischen Truppen im Westen komman68

dieren sollte. Die Soldaten des General Anders waren aus Sowjetrußland gekommen. Die meisten von ihnen waren dort in Lagern für polnische Soldaten. Allerdings fehlten weit über 15 000 Offiziere, eben jene, die auf Befehl Stalins in Katyn und sonstwo in der Sowjetunion ermordet worden waren. Im Herbst 1942 überschritten 70 000 polnische Soldaten sowie 50 000 den Transporten angeschlossene Frauen und Kinder die russischpersische Grenze. Die Soldaten kamen nach dem von den Briten dominierten Irak, ebenso die wehrfähigen Jugendlichen. Für sie wurden in den Lagern (hernach ebenfalls in Palästina, Ägypten und Italien) Gymnasien und technische Schulen eingerichtet. Auch gab es Theater und Zeitschriften, sogar einen Jugendbuch-Verlag. Im Irak kamen andere polnische Soldaten in die Lager, nämlich die der Karpaten-Brigade des Generals Kopanski. Sie hatten sich in den Kämpfen um Tobruk ausgezeichnet. Anfang des Jahres 1944 wurde das 11. polnische Korps unter General Anders nach Italien verlegt. Bei der Landung in Italien umfaßte es 50000 Mann, am Ende es Feldzuges, in Kärnten, waren es über 100 000 Mann. Seine Verluste wurden zum Teil durch deutsche Überläufer ausgeglichen, nämlich durch Soldaten der Volks liste 111, von denen viele die deutsche Sprache nicht kannten. (So bei der 26. PD und der 98. ID.) Das 11. polnische Korps tat sich zunächst bei Cassino,· dann 69

bei Ancona und bei Rimini hervor, wo wir Gerhard Graf Schwerin wieder begegnen, der dort das LXXVI. PzKorps befehligte. (Nach dem Krieg war er der erste militärische Berater Adenauers.) Zu den polnischen Truppen in Italien gehörte ein besonders interessanter Mann: Adolf Bochenski, dessen Familie aus Ostgalizien stammte. (1914 war ein Bochenski Bezirkshauptmann in Skalat.) Er war ein auch literarisch hervorgetretener Befürworter der polnisch-ukrainischen und der polnisch-deutschen Verständigung, übrigens Malteserritter. Für ihn waren die Russen den Polen gefährlicher als die Deutschen. Hitlers Krieg unterbrach seine Hoffnungen. Er kämpfte im PolenFeldzug, kam alsbald nach Frankreich zu den polnischen Einheiten, focht mit ihnen in Norwegen, dann wieder in Frankreich, um mit seinen Soldaten über die Pyrenäen nach Spanien und Portugal und von dort nach England zu entkommen. Bochenski schmuggelte sich nach Syrien, wo er in die Karpaten-Brigade eintrat. Mit ihr kam er nach den Kämpfen bei Tobruk in den Irak. Dort sagte er Anfang 1944 einem Kameraden, nunmehr sei der Kampf gegen Deutschland sinnlos geworden. Bei Ancona wurde er zwar verwundet, wollte aber beim Minenräumen helfen. Dabei fand er den Tod. Das Korps Anders kam bis nach Kärnten. An der Außenwand der Klosterkirche zu Ossiach erinnert eine Tafel in lateinischer Sprache an das 11. polnische Korps (legio), der polnische Friedhof 70

am Calvarienberg bei Cassino an die 1 200 hier gefallenen Polen. Noch eine rühmenswerte Tat hat General Anders nach dem 8. Mai 1945 in Kärnten vollbracht: Im Gegensatz zu den Briten lieferte er nichtdeutsche Soldaten, die auf der deutschen Seite gestanden hatten, den Sowjetrussen nicht aus. Er ließ die Soldaten der 14. (1. ukrainische) Waffen-Division der SS, die aus dem polnischen Ostgalizien stammten und für ihn daher Polen waren, in Lager nach Italien bringen, also in Sicherheit. Am 16. August 1945 wird der zunächst geheim gehaltene polnisch-russische Grenzvertrag geschlossen, der die polnischen Ostgrenze festlegte.

IH. 1. Am 22. November 1942 heißt es im Kriegstagebuch des OKW: "Die Fernaufklärungsgruppe, die auf Sbeitla angesetzt ist, macht bei Kairouan 4 Gefangene, weitere Meldung steht noch aus." Am 24. 11. wird gemeldet:"Fernspähtrupp Kairouan-Sbeitla zurückgekehrt. Hat bei Sbeitla am 22. 11. zwei französische Spähwagen vernichtet. Sonst kein Feind festgestellt." Wie waren die Deutschen hierher nach Tunesien gekommen, und wieso kämpften sie gegen französische Soldaten, wo die Deutschen doch im Waffenstillstandsabkommen von 1940 den Franzosen in Vichy ihre Einheiten in Nordafrika und sonstwo belassen hatten? 71

Wir wissen bereits, daß Amerikaner und Briten am 8. November 1942 in Nordafrika gelandet waren, um Tunis zu erobern und um damit die deutschen und die italienischen Truppen in Libyen (Rommel) von Westen her einzukesseln. Zunächst hatten sich französische Truppen in Algerien wie auch in Marokko gegen die Invasoren gewehrt. Vorsorglich ließ Hitler vom OB West in Frankreich die Bewegungen zum Unternehmen "Anton" (Besetzung des bislang unbesetzten Teils Frankreichs) auslösen, jedoch die Demarkationslinie noch nicht überschreiten. Die Italiener ihrerseits trafen alle Vorbereitungen zum Einmarsch in die Provence und zur Besetzung von Korsika. Am 11. November trafen die ersten deutschen Fallschirmjäger (vornehmlich FJR 5) in Tunesien ein, um die Flugplätze zu sichern, wo dann schwere Waffen von" Giganten" (Me 323) gelandet wurden. Bereits am 9. November war General Nehring beauftragt worden, den Brückenkopf Tunesien aufzubauen. Mit ihm flog u. a. sein I a, Major i. G. Moll, später Generalleutnant und Inspekteur des Heeres in der Bundeswehr. Nehring stellte das xc. Armeekorps auf, mit nur wenigen Einheiten. (Am 9. 12. schon übergab er den Befehl an die neu gebildete 5. pzArmee unter Generaloberst v. Arnim.) Nun kam es darauf an, einerseits Tunis zu behaupten, andererseits zu verhindern, daß die Alliierten in Südtunesien zur Küste vorstießen, um die Verbindung zu den Truppen der Achse in 72

Libyen abzuschneiden. So war es zu dem Fernspähtrupp der Deutschen gekommen, der am 22. November 1942 über Kairouan bis Sbeida vorstieß. Eine wesentliche Verstärkung für N ehrings Truppen sollte die 10. PD bringen. Sie war nach schweren Kämpfen im Osten zur Auffrischung ins besetzte Frankreich verlegt worden und gehörte zum Kontingent für den Fall "Anton". Bereits am 11. November war die 10. PD in Avignon, am nächsten Tag mit vordersten Teilen in Marseille, wohin sich der Philosoph Alexandre Kojeve, der ab 1933 Hegel in Frankreich eingeführt hatte, aus Paris zurückgezogen hatte. (Sein Onkel Kandinsky war in Neuilly geblieben, während Kojeves Bekannter Eric Weil, deutscher Emigrant und Hegel-Forscher, in einem deutschen Kriegsgefangenenlager für französische Offiziere überlebte.) Ab dem 15. November 1942 fuhr die 10. PD per Eisenbahn nach Neapel, von wo aus sie mit Schiffen nach Tunis gelangen sollte. Mit ihr zog die s. Pz. Abt. 501 (Hptm. Lueder, zuletzt Brigadegeneral der Bundeswehr), so daß damit zum ersten Mal "Tiger" nach Afrika kamen. Bereits am 23. November standen die ersten Teile der 10. PD westlich von Tunis, weitere Teile dann Ende des Monats nördlich von Kairouan. Schon bald nach der Landung der Alliierten in Nordafrika waren auch Verbände der Luftwaffe nach Tunis verlegt worden (vor allem Jagdflieger), andere Verbände grif73

fen von Sizilien aus in die Kämpfe über Tunesien ein GG 53 und 77, Teile der JG 2, 27 und 51). Fliegerführer in Tunesien war Oberst i. G. Harlinghausen, hernach Generalleutnant in der Bundeswehr. Auch kamen über 10 Schnellboote der Afrika-Flottille in tunesische Häfen, ihr Chef war KKpt. Kemnade, später Konteradmiral in der Bundeswehr. Am 22. November schon fanden im Raum Kairouan heftige Luftkämpfe statt, später focht hier auch Johannes Steinhoff als Kommodore des JG 77. Ein berühmter französischer Schriftsteller konnte dies alles in Tunis aus der Nähe erleben, nämlich Andre Gide, der im Mai 1942 von der Cöte d'Azur hierher gekommen war. Von den deutschen Soldaten, die ihm in Tunis begegneten, hatte Gide eine gute Meinung: "Les Allemands se conduisent ici, force est de la reconnaitre, avec une dignite remarquable ... ", bemerkt er am 5. Dezember 1942 in seinem Tagebuch. Am 1. Dezember, als Ernst Jünger sich in Woroschilowsk aufhielt, notiert Gide nach der Lektüre' von Jüngers "In Stahlgewittern": "Le livre d'ErnstJünger sur la guerre de 14, Orages d' Acier, est incontestablement le plus beau livre de guerre que j'aie lu; d'une bonne foi, d'une veracite, d'une honnete parfaites. " (In Tunesien las Gide bereits die französische Übersetzung von" Gärten und Straßen" , deren Fahnenabzüge Jünger erst am 16. März 1942 in Paris korrigiert hatte.) 74

Jenen deutschen Soldaten, die mit der modernen Malerei vertraut waren, bedeutete "Kairouan" etwas Besonderes. Hier hatten sich nämlich im April 1914 die beiden deutschen Maler Paul Klee und August Macke aufgehalten, mit bedeutsamen Folgen für die moderne Kunst,· nachdem Klees Freund Kandinsky bereits 10 Jahre vorher in Kairouan gewesen war. Am 15. April waren Klee und Macke (sowie der schweizerische Maler Moilliet) in Kairouan angekommen, am 18. April waren sie wieder zurück in Tunis. Klee hat in Tunesien etwa 35 Aquarelle gemalt, später ist er auf diese Thematik zurückgekommen. Im Katalog von Sabine Rewald zur Klee-Ausstellung der Sammlung Berggruen (1989), die auch in Tübingen zu sehen war, heißt es zu der aquarellierten Ölfarbenzeichnung "Szene aus Kairuan": "Klees Tunesienfahrt ist zu einer der meistbeschriebenen Künstlerreisen geworden, vielleicht mit Goethes Italienischer Reise und Dantes imaginärer Reise im Inferno zu vergleichen. " Kairouan ist eine der ältesten Araber-Städte in Afrika. Ihr Kern ist von einer fast zehn Meter hohen Mauer umgeben. Die Stadt war im Jahre 670 gegründet worden (Qairwan = Ruheplatz) und einst Hauptstadt und religiöses Zentrum von Nordafrika (Ifrigiya). Von Tunesien aus wurde im 9. Jahrhundert Sizilien erobert (wie 1100 Jahre später), im Jahre 883 ging das Kloster des hl. Benedikt auf dem Monte Cassino in Flammen auf (wie 75

1061 Jahre hernach bei dem Angriff der alliierten

Bomber vom Typ mit dem zweideutigen Namen »Liberator"). Kairouan galt den Moslems als eines der vier Tore zum Paradies; den Christen und den Juden war der Zutritt verboten. Die im 7. Jahrhundert erstmals erbaute prachtvolle Moschee SidiOqba wurde berühmt. Zu ihr gehört das älteste Minarett der Welt. Angesichts dieser Stadt hält Klee in seinem Tagebuch fest: »Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer, ich weiss das. Das ist der glücklichen Stunde Siii: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler." Die Deutschen in Tunesien von 1942 konnten sich zunächst in Richtung Westen etwas Luft verschaffen, Italiener halfen ihnen. Doch die Alliierten führen immer mehr Kräfte heran. Im Dezember verschlechtert sich der Zustand der Straßen so, daß nordwestlich und westlich von Kairouan die Versorgung der Truppen notdürftig mit Kamelkarawanen aufrechterhalten wird, wie zur gleichen Zeit in der Kalmücken-Steppe. Jetzt greifen immer mehr französische Einheiten die Achsentruppen an. Rommels Truppen nähern sich auf dem Rückzug aus Libyen der 5. pzArmee in Tunesien. In Osttunesien sollte die Mareth-Linie verstärkt werden. Diese war im Spätherbst 1939 von den Franzosen gegenüber dem italienischen Libyen ausgebaut worden, als eine Art MaginotLinie in Nordafrika. (Mitwirkender in der Frem76

denlegion dort war Dr. Heinz Weil, etliche Jahre später Präsident des Landgerichts Ellwangen.) Doch die Truppen der Achsenmächte müssen immer weiter zurück, auch die Mareth-Linie kann nicht gehalten werden. Anfang März 1943 kämpft die 10. PD nördlich von Kairouan, am 7. April wird westlich von Tunis ihr I a beim Tieffliegerangriff schwerverletzt, also der Oberstleutnant i. G. Claus Graf Stauffenberg, Schwabe wie Heinz Weil. Am 10. April fällt Kairouan, das selbst die 15. PD nicht zu halten vermochte, wiewohl die britische 6. PD hier 39 Panzer verloren hatte. Die tunesischen Juden (50000) sind glimpflich davongekommen: Bereits am 14. November 1942 wurde ein Einsatzkommando des SD mit 7 Offizieren und 17 Mann nach Tunis entsandt. Doch zur Deportation der Juden reichte es nicht. Gleichwohl gab es Plünderungen ihrer Wohnungen und Zwangsarbeit (so in der Mareth-Linie), wobei viele Juden umkamen, ebenso bei den Luftangriffen der Alliierten. Am 12. Mai 1943 stellen die Reste der Heeresgruppe Afrika den Kampf ein, am Morgen des 13. Mai kapituliert die italienische 1. Armee. 130000 deutsche und fast 120 000 italienische Soldaten geraten in Kriegsgefangenschaft. (Dizzy Gillespie: Night in Tunesia.) 2. Am Sonntag, dem 22. November 1942, ver-

merkt die Redakteurin der DAZ Ursula v. Kar77

dorff in Berlin in ihrem Tagebuch: ,,]ürgen schreibt aus Perpignan. Die Bevölkerung hätte seine Soldaten freundlich aufgenommen." Es war dies der Oberleutnant ]ürgen v. Kardorff von der 7. PD, Ursulas Bruder. Die 7. PD gehörte zu jenen Truppen im besetzten Frankreich, die nach der Auslösung des Falles "Anton" ab dem 11. November die Demarkationslinie überschritten hatten. Die Schützen-Brigade 7 erhält Oberst v. ManteuffeI. Er scheidet bereits am 15. November aus, um in Afrika eine nach ihm benannte Division zu übernehmen; (Viel später wurde er Mitglied des Deutschen Bundestages für die FDP.) Vom 8. bis zum 12. November 1942 zog die 7. PD von der Atlantikküste bei Les Sables d'Olonne über Cognac in den Verfügungs raum zwischen Perpignan und Narbonne am Mittelmeer. Hier bleibt die Division bis zum 24. November; der Divisionsstab zieht in Perpignan unter, wo damals der Maler Dufy lebte und der polnische Kurier Karski durchreiste, um über Gibraltar nach London zu gelangen. Dann wird die Division in den Bereitstellungsraum um Aix-en-Provence gelegt. Am 26. November wird ihr befohlen, sich handstreichartig in den Besitz der Seefestung Toulon und der vielen dort befindlichen französischen Kriegsschiffe zu setzen. Diese werden fast sämtlich von den Franzosen selbst versenkt; die Panzersoldaten lassen sich auf den im Hafenbecken liegenden Schiffen photographieren. 78

Die 7. PD wird über die Jahreswende an die Ostfront verlegt. Dort fällt am 2. Februar 1943 der Oblt. Jürgen v. Kardorff vom pzRgt. 25 ("Rothenburg"). Der protestantische Divisionspfarrer Dr. Müller-Schwefe verfaßt zum Tode des beliebten Offiziers ein Gedicht. Den Tod des Bruders erfährt seine Schwester Ursula am 13. Februar 1943, nachdem sie am 7. Februar anläßlich der Feier des 70. Geburtstags von Onkel Siegfried v. Kardorff die früheren sozialdemokratischen Politiker Severing und Löbe kennengelernt hatte. "Er (Löbe, R. S.) sagte, die Arbeiter würden jeder Art von Verfassung zustimmen, wenn Deutschland nur wieder Rechtsstaat würde." Aus Bonn kondoliert Ernst Robert Curtius. Für wen war Jürgen v. Kardorff gefallen? Seine Schwester notiert am 3. März 1943, Frau Liebermann, die Witwe des Malers Max Liebermann, sei tot. "Tatsächlich kamen sie noch mit der Bahre, um die Fünfundachtzigjährige zum Transport nach Polen abzuholen. Sie nahm in dem Moment Veronal, starb einen Tag später im Jüdischen Krankenhaus, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben." 3. Am 22. November 1942 hatte die WaffenSS-Division (3.) "Totenkopf" die 7. PD im Raum Perpignan abgelöst. Diese Division war ebenfalls im besetzten Teil Frankreichs aufgefrischt und im Zuge des Unternehmens "Anton" ans Mittelmeer geschickt worden. Von dort wurde sie in den Raum Angouleme verlegt, wo sie sich mit den 79

beiden anderen Divisionen des neugebildeten 11. PzKorps der Waffen-SS unter Hausser (LAH und Das Reich) versammelte, um alsbald nach Rußland in die Schlacht um Charkow geworfen zu werden. Die Division"Totenkopf" war nach Perpignan über Limoges und Brive (rechts davon liegt Tulle) auf der Route nationale no 20 gekommen. Sie war in Limoges dicht an dem Ort Saint Leonard de Noblat vorbeigefahren. Dort wohnten der Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler und seine Frau. Das Ehepaar hatte Paris noch vor dem Waffenstillstand im Juni 1940 mitsamt seinen Bildern verlassen. Der aus Mannheim gebürtige WahlFranzose hatte vor den Deutschen in den unbesetzten Teil Frankreichs ausweichen wollen. (In Mannheim war Felix Hartlaubs Vater Direktor der Kunsthalle; 1933 entließen die Nazis ihn wegen Förderung der "entarteten Kunst".) Zunächst waren auch Kahnweilers Schwager Michel Leiris und Ehefrau Louise von Paris nach Saint Leonard de Noblat gegangen, doch kehrten sie bald nach Paris zurück. Kahnweiler schrieb in seinem Refugium das Buch über den Maler Juan Gris. Später notierte er über diese Zeit: "Es waren drei glückliche Jahre - das Paradies im Schatten der Verbrennungsöfen. Das Petain-Regime hatte mir die französische Staatsangehörigkeit aberkannt und mich somit als Jude der besonderen Aufmerksamkeit der Nazis ausgesetzt. Die Gefahr gehörte zum täglichen Brot. Wir waren beide jedoch sehr 80

glücklich." Picasso und Braque hingegen lebten in Paris, Hauptmann Ernst Jünger besuchte sie dort. Als am 5. September 1943 die Gestapo das Gebäude durchsuchte, in welchem die Kahnweilers lebten, flohen sie mit Hilfe von falschen Papieren. Kahnweiler erdreistete sich, am 19. März 1944 Michel und Louise Leiris in Paris am Quai des Grands-Augustins zu besuchen. Dort traf er anläßlich einer Lesung von Picassos Stück "Le Desir attrape par la queue" u. a. die Schriftsteller Sartre, Camus und Queneau sowie den Maler Braque. (Auf dem Photo von Brassai: fehlt Kahnweiler.) Kahnweilers Pariser Galerie war inzwischen von Louise Leiris gekauft worden, um sie vor der Beschlagnahme zu retten - die Deutschen (wer war das?) genehmigten diesen Kauf jüdischen Eigentums. Im Oktober 1944 kehrten die Kahnweilers nach Paris zurück. Im Mai 1945 starb Frau Kahnweiler. Bald danach nahm der Witwer den Betrieb der Galerie wieder auf. Sie trug von nun an den N amen von Louise Leiris. Dreißig Jahre vorher war der damals deutsche Kunsthändler Kahnweiler mit seiner Galerie in Frankreich nicht so gut davongekommen. Kahnweiler war insofern bereits berühmt, als er der hauptsächliche Förderer und Theoretiker des Kubismus war, beginnend mit der Betreuung von Picasso und Braque, es folgten Derain, de Vlaminck und Van Dongen sowie Gris. Vom Aus6 Schnur

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bruch des Krieges wurde Kahnweiler in Italien überrascht, Ende 1914 siedelte er in die Schweiz über. Seine in Deutschland befindlichen Bilder wurden beschlagnahmt (»Entziehung der Wehrpflicht"), wohingegen seine Pariser Galerie als feindliches Eigentum konfisziert worden war. Erst im Mai 1919 konnte Kahnweiler die Galerie in Paris wieder eröffnen, unter dem Namen seines Partners Andre Simon. In den Jahren von 1921 bis 1923 wurde die Sammlung Kahnweiler in Paris zwangsversteigert, ohnehin galt der Kubismus als unfranzösische Kunst. Aus Ärger wegen der kunsthändlerischen Manipulationen trat der Maler Braque dem Kunsthändler Leonce Rosenberg ins Gesäß. Bereits im Mai 1921 war in Paris eine andere Sammlung moderner Kunst als Kriegsgut versteigert worden, nämlich die des in Frankreich lebenden Kunstsammlers Wilhelm Uhde. Dieser hatte Kahnweiler auf Picasso und Braque aufmerksam gemacht, er selbst hatte den Zöllner Rousseau gefördert. Von 1914 bis 1924 lebte Uhde, übrigens geschulter Jurist (sein Vater war Generalstaatsanwalt in Posen), wieder in Deutschland, einige Jahre lang auf Burg Lauenstein in Nordfranken, einem Zentrum der Jugendbewegung (heute bekannt wegen der deliziösen Pralinen), wo im Jahre 1917 zwei Tagungen stattfanden, bei denen Max Weber referierte. (Im Frühjahr 1944 lebte ein anderer berühmter Gast im Hausarrest auf der Burg, Admi82

ral Canaris.) Uhde kehrte nach Paris zurück, wo er die erste Klee-Ausstellung in Frankreich organisierte. Im Jahre 1938 verlor er nach der Veröffentlichung seines Buches »Von Bismarck zu Picasso" (Zürich 1938), in welchem er Constantin Frantz bewunderte, die deutsche Staatsangehörigkeit. Er flüchtete im Juni 1940 mitsamt seinen Bildern als Staatenloser von Paris ins unbesetzte Frankreich. Im Jahre 1947 starb Uhde in Paris. 4. Am Sonntag, dem 22. November 1942, lebte ein bekannter französischer Schriftsteller in der Nähe von Brive und Tulle, nämlich Bertrand de Jouvenel. Nach der Besetzung von Paris durch die Deutschen war er auf einen Landsitz in der Nähe von Brive ausgewichen. Doch behielt er die Wohnung in Paris bei, um zwischen dem besetzt~n und dem unbesetzten Teil Frankreichs pendeln zu können. De Jouvenel war ein alter Bekannter (aus der Zeit der Ära Briand-Stresemann) des nunmehrigen deutschen Botschafters in Paris, also von Otto Abetz. Ab dem Juni 1942 aber blieb de Jouvenel ständig auf dem Landsitz bei Brive. In der Nähe hatte sein Freund Emmanuel Berl Zuflucht gefunden, im Gegensatz zu de J ouvenel ein reiner Nicht-Arier. Am 8. November, also am Tag der Landung der Alliierten in Nordafrika, begab sich de Jouvenel nach Brive, wo sein altes Regiment lag. Aber die Truppen des Vichy-Regimes kämpften nicht gegen die einmarschierenden Deutschen. »Ohne den geringsten Zwischenfall passieren wir 83

die Grenze und fahren in Südfrankreich ein", heißt es in der Geschichte der Waffen-SS-Division "Totenkopf", deren Marsch nach Perpignan de Jouvenel in Brive gesehen haben muß. Er nahm mit dem Maquis in der Gegend von Limoges Verbindung auf. Andre Malraux, der im bisher unbesetzten Teil Frankreichs gelebt hatte, suchte nun seinen Freund Emmanuel Berl auf. Berl und de Jouvenel lasen die Fahnenabzüge von Malraux' Buch "Les Noyers de l' Altenburg" , das noch 1943 in der Schweiz erschien. (Max Rychner besprach es im März 1944 in der "Tat", C. J. Burckhardt lobte die Rezension.) Im September 1943 wich de Jouvenel vor der Gestapo in die Schweiz aus, wohin sich bereits Hendrik de Man begeben hatte. Auf der Straße, auf welcher im November 1942 die Division "Totenkopf" über Limoges und Brive an die Mittelmeer-Küste gezogen war, bewegte sich Anfang Juni 1944 eine andere Division der Waffen-SS im umgekehrter Richtung, nämlich aus dem Raum Toulouse-Montauban mit dem Ziel Invasionsraum N ormandie. Der Division "Das Reich" waren als Ausgleich für die schweren Verluste im Osten 9 000 Mann Ersatz zugewiesen worden, hauptsächlich Elsässer und Volksdeutsche, die allermeisten keine Freiwilligen. Unterwegs zur Normandie sollte die Division den starken Maquis in der Dordogne und in der Correze bekämpfen. Das In. (gep.) Bataillon des Regiments "Der Führer" zog in Saint Leonard de N 084

blat unter, also dort, wo die Kahnweilers bis zur Flucht vor der Gestapo gewohnt hatten. Einige Tage später kam es zu den schrecklichen Ereignissen in Tulle und in Oradour-sur-Glane, an denen auch Soldaten der Waffen-SS aus dem Elsaß beteiligt waren. Bertrand de Jouvenel geriet nicht mehr in dieses Debakel, weil er sich in die Schweiz abgesetzt hatte. Aber Berl hörte in seinem Versteck die Ketten der Panzerfahrzeuge von »Das Reich" rasseln. Andre Malraux hatte sich ziemlich spät, aber sehr wirkungsvoll der Resistance angeschlossen. Bei Gramat wurde er verwundet und von Soldaten der Division »Das Reich" gefangen genommen, später von alliierten Truppen befreit, um dann die Brigade Alsace-Lorraine aufzustellen. (Über Gefangennahme und Befreiung hat er in seinen von Carlo Schmid übersetzten »AntiMemoiren" eine schöne Geschichte erzählt.) Im ersten Kabinett de Gaulle (November 1945) wurde Malraux Informationsminister, Raymond Aron sein chef de cabinet und der aus der schweizerischen Emigration zurückgekehrte Manes Sperber (aus Zablotow in Ostgalizien) Beauftragter für das Informationswesen in der französischen Besatzungszone. Alfred Döblin kam am 9. November 1945 als Offizier zur Direction de l'Education Publique in Baden-Baden, die der Tübinger Universitätsbibliothek ein Exemplar von Wilhelm Uhdes »Von Bismarck zu Picasso" schenkte. Später wurden mehrere Bücher de Jouvenels ins 85

Deutsche übersetzt. (Herausgeber des ersten Buches waren Wilhelm Hennis und R. S.) Viele Jahre danach erhielt Manes Sperber den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Er wurde wegen seiner Ablehnung des Kommunismus von einem bundesdeutschen Pamphletisten angerempelt. Am 22. November 1942, einem Sonntag, hatte der Schriftsteller Paul Leautaud zu Paris in sein Tagebuch eingetragen: »Nous allons encore voir des choses interessantes." (Herrn Dr. Erich Eyermann, Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes a. D., hochachtungsvoll gewidmet.)

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Nachwort Diese Texte sind zunächst als Privatdrucke erschienen, in Auflagen von 300 bis 500 Exemplaren. 1. Die erste Auflage von "Kennen Sie Piatigorsk oder doch wenigstens Lermontow?" hatte ich dem bereits unheilbar erkrankten Andreas Hillgruber gewidmet. Mit diesem so aufrichtigen Historiker war ich in briefliche Verbindung getreten, nachdem ihn J ürgen Habermas in widerlicher Weise angerempelt hatte. (Hillgruber war ein Nachfahr Salzburger Exulanten, die nach Ostpreußen gezogen waren.) Leser hatten den Text offenbar so vielen Freunden und Bekannten gezeigt, daß ich mich aufgrund der Anfragen veranlaßt sah, eine zweite, geringfügig erweiterte Auflage zu veranstalten. Einige Leser, die mich fragten, mit welcher Einheit ich im Kaukasus gekämpft hatte, mußte ich enttäuschen: Leider war ich noch nicht in diesem Teil unserer Erde, und die derzeitigen politischen Verhältnisse dort wirken wenig einladend. Doch sollten wir nicht vergessen, daß im Juli 1990 die Herren Kohl und Gorbatschow in Kislowodsk entscheidende Gespräche über die deutsche Wie87

dervereinigung geführt haben. Inzwischen hat Deutschland wieder eine diplomatische Vertretung in Georgiens Hauptstadt Tiflis. 2. Was den Text »Jerusalem, Jerusalem~' bzw. J eruzalem in Slowenien betrifft, so mochte es scheinen, als trete hier das Marottenhafte des Autors hervor (sehr wohl möglich). Dem war, wie ich meine, nicht ganz so. Die spätere politische Entwicklung in diesem Teil Europas zeigte, daß es auch hier darum ging, an eine der großen geschichtlich-politischen Bruchstellen zu erinnern, wie schon in dem Buch»Transversale - Spurensicherungen in Mitteleuropa" (Wien 1988, Karolinger Verlag), Kapitel »Laibach - Tübingen Wien". Konrad Wünsche hat im Jahre 1966 ein Schauspiel verfaßt: »Jerusalem, Jerusalem". In Reclams »Schauspielführer" (18. Aufl., 1990) heißt es über Wünsches Werk: »Poetisches Theater mit märchenhaft verspielten oder alptraumartig düsteren Szenen." 3. Der letzte dieser Texte ist anders als die beiden ersten Texte angelegt: Also nicht ein Ort zu verschiedenen Zeiten, sondern ein Tag an verschiedenen Orten, auch in Afrika und in Asien.

Zum französischen Teil dieses Textes darf ich bemerken: Landgerichtspräsident a. D. Dr. Heinz Weil fühlt sich dadurch geehrt, daß ich ihn in Zusammenhang mit dem Grafen Stauffenberg erwähne. (Sein Vater, ebenfalls Jurist, fiel bereits im 88

September 1914, seine Mutter starb in Theresienstadt.) Weils Buch "Am Rande des Strudels. Erinnerungen 1913-1983" hat im Jahre 1988 die zweite Auflage erlebt (Stuttgart, Kohlhammer) - das spricht nicht gegen das deutsche Publikum. Zu Daniel-Henry Kahnweiler: Über ihn habe .ich viel erfahren von Arnold Gehlen, der in Speyer (Hochschule für Verwaltungswissenschaften) das große Buch "Zeit-Bilder" (3. Aufl. Frankfurt 1986, Klostermann) schrieb, als ich dort bei Carl Hermann Vle als aus der Verwaltung abgeordneter Assistent tätig war. Gehlen hat weite Teile dieses Buches in Seminaren mit Rechtsreferendaren erörtert. Dort hat er die Bedeutung Kahnweilers gebührend herausgestellt. V m so mehr fühlte ich mich geehrt, daß ich an der Festschrift für Arnold Gehlen (Standorte im Zeitstrom, Frankfurt/Mo 1974, Athenäum) neben Henry Kahnweiler mitarbeiten durfte. Zu Bertrand de J ouvenel: Ihn habe ich bereits imJahre 1955 kennenlernen können (wie übrigens auch Alexandre Kojeve). Er hat mich mit interessanten Leuten bekannt gemacht. De Jouvenel pflegte sonntags Landsleute und Ausländer auf Chateau d' Anserville (Oise) einzuladen. Hier konnte man als junger Deutscher Toleranz lernen: Man traf Mitarbeiter des im Juni 1940 exilierten de Gaulle wie Raymond Aron, aber auch den Inhaber des Kollaborations-Verlages"Toison d'Or" (Didier) und seine Gattin, die im Mai 1944 eine 89

Büste von Ernst Jünger geschaffen hat, sowie den aus der Versenkung auftauchenden Verleger kollaborationistischer Zeitungen, Horace de Carbuccia. (Nicolaus Sombart erinnert sich vielleicht daran.) Später lernte man bei de J ouvenel in Paris Persönlichkeiten kennen wie Emmanuel Berl und Emile Mireaux, der am 10. Juni 1940 in Vichy für das Ermächtigungsgesetz zugunsten Petains gestimmt hatte, aber auch die deutschen Emigranten Alfred Frisch und Henry (Heinz) Kissinger. Es soll sogleich hinzugefügt werden, daß Wilhelm Hennis und ich nicht die erste deutsche Übersetzung eines Buches von de Jouvenel herausgebracht haben: Im Jahre 1941 erschien in Berlin "Nach der Niederlage". Im Text oben ist die Serie von vier wissenschaftlichen Büchern gemeint, die ab dem Jahre 1963 in deutschen Übersetzungen erschienen sind. In der von Wilhelm Hennis und mir gegründeten Reihe Politica (Luchterhand Verlag, Lektor: Dr. iur. Frank Benseler, heute Soziologe in Paderborn, Briefpartner auch von Gotdried Benn) ist 1967 erschienen: Leo Strauss, Über Tyrannis. Eine Interpretation von Xenophons "Hieron", mit einem Essay über Tyrannis und Weisheit von Alexandre Kojeve. Von Wilhelm Hennis führt der Weg zum Verlag Duncker & Humblot: Als Hennis (habilitierte sich bei Carlo Schmid in Frankfurt) hörte, Ernst-Wolfgang Böckenförde und ich seien dabei, eine Quartalszeitschrift (DER STAAT) ins Leben zu rufen, 90

riet er mir dringend davon ab - die Sache könne für mich üble Folgen haben. Ich bin seinem freundschaftlichen Rat nicht gefolgt, und heute, 30 Jahre später, ist Wilhelm Hennis froh, daß ich seinen Rat ausgeschlagen habe. Bis heute sind wir in vielem Wichtigen einig und in manchem Wichtigen uneins geblieben, letzthin einig darin: Der Freiburger Emeritus ging 1990/91 zu Vorlesungen nach Jena, während es mich nach Dresden zog.Mit der Veröffentlichung auch dieses meines Buches bleibt der Inhaber des berühmten Verlages, Herr Norbert Simon, in der Tradition seines Onkels, des großen Verlegers Johannes Broermann. Herzlichen Dank auch an ihn. Seit über vierzig Jahren führt mich eine unsichtbare weibliche Hand, leicht und immer sicher. Tübingen, im Juni 1992

Roman Schnur

PS: Erst während der Drucklegung sah ich, daß ein berühmter schwäbischer Dichter den Zug der Schwaben erwähnt: "Ich aber will dem Kaukasos zu!". (Hölderlin, Die Wanderung, in: Sämtliche Werke, Kleine Stuttgarter Ausgabe, 2. Bd., Stuttgart 1953, S. 145, 1. Zeile.)

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Roman Schnur Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des modernen Staates. 71 S. 1962. DM 12.60. Individualismus und Absolutismus. Zur politischen Theorie vor Thomas Hobbes (1600-1640). 89 S. 1963. DM 15.60. Vive la Republique oder Vive la France. Zur Krise der Demokratie in Frankreich 1939/40. 98 S. 1982. DM 28.-. Revolution und Weltbürgerkrieg. Studien zur Ouvertüre nach 1789. 146 S. 1983. DM 44.-.

Herausgeberschaft: Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou. Mit Einleitung und Bibliographie. 122 S. 1965. (Zur Zeit vergriffen, Neuauflage in Vorbereitung.) Hobbes-Forschungen (gemeinsam mit Reinhart Koselleck). 300 S. 1968. DM 68.80. Aktuelle Probleme der Ministerialorganisation. Referate und Diskussionsbeiträge der internationalen verwaltungswissenschaftlichen Arbeitstagung der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 1971. 486 S. 1972. DM 48.-. Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs. 612 S. 1975. DM 118.-. 93

Die Rechtsordnung. Von Santi Romano. Mit einem Vorwort, biographischen und bibliographischen Notizen. 177 S. 1975. DM 48.-. Probleme der Gesetzlichkeit im Staatsapparat der Volksrepublik Polen. Von A. Lopatka u. a. 167 S. 1977. DM 48.-. Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein, mit einer Bibliographie von M. Munding. 628 S. 1978. DM 168.-. Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates. 880 S. 1986. DM 298.-. Vom Verfasser in anderen Verlagen:

Polen in Mitteleuropa. Baden-Baden 1984, Nomos Verlagsgesellschaft. 152 S. DM 29.-. Einflüsse des deutschen und des österreichischen Rechts in Polen. Berlin 1985, Walter de Gruyter. 25 S. DM 18.-. Transversale. Spurensicherungen in Mitteleuropa. Eingeleitet von Claudio Magris. Wien 1988, Karolinger. 155 S. DM 32.- (Auslieferung über Brockhaus Kommission, Kornwestheim).

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