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German Pages 257 [237] Year 1862
Gesch
ichte
BRA
ZY
des
von
Feldzugs
1815
nach neuen Aktenstücken
von
Edgar
Quinet.
Aus dem Französischen
von
einem
deutschen
Officier .
Mit 1 Uebersichtskarte.
Caffel. August
Freyschmidt.
1862.
BILA
MIAEB
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Vorwort des Ueberſeßers.
Gefesselt von dem Geiſte des ächten Geschichtsforschers , der das nachfolgende Werk durchweht , begann ich die Uebersetzung desselben lediglich im eigenen Intereſſe.
Da es mir bruchstückweiſe in die
Hände kam , vermochte ich anfangs seinen Umfang nicht zu übersehen und glaubte es nur mit einem Auffaße zu thun zu haben.
Beim
Fortschreiten des Werkes erkannte ich immer mehr seinen Wert. Dieß und die in einer einmal angefangenen Arbeit selbst liegende Nötigung zu ihrer Fortsetzung und Vollendung ließen mich die Uebersezung
MAR 15 19 Har rassowitz .
fortführen.
Der mir hierbei gewordene Genuß legte den Gedanken
nahe, das Quinet'sche Werk durch Veröffentlichung zugänglicher zu machen, da doch immerhin ein in französischer Sprache geschriebenes von unserer Nation weniger gelesen werden wird , schon weil es weniger bekannt iſt. Quinet's Geschichte des Feldzugs von 1815 iſt ein würdiges Seitenstück zu der so verbreiteten und mit Recht hochgeschätten des Obersten Charras , dessen Verdienste Niemand so sehr anerkennen kann als Herr Quinet selbst.
Troß dieser ausgezeichneten Schrift
indeſſen ſcheint mir die Quinet'ſche durchaus nicht überflüssig zu sein ,
da sie , wenngleich den Anschauungen und Ergebnissen der
ersteren nahe verwandt , doch in eigenthümlicher Art den großen Stoff behandelt und manches Neue bringt.
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Ja , dieser Stoff dürfte
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noch nicht erschöpft sein , da auch Quinet's Darstellung noch manche dunkle oder zweifelhafte Stellen übrig laſſen muß. Mit größter Gewissenhaftigkeit , wo es anging wörtlich , habe ich Sinn und Geist des französischen Originals zu übertragen mich bemüht.
Ich habe dasselbe ohne Aenderung durch Abkürzungen oder
Zusätze wiedergegeben und nur einige mir zweckmäßig erscheinende Anmerkungen beigefügt. Möge das Werk selbst für sich reden !
Der Ueberseher .
COLUMBIA
LIBRARY
Der Feldzug von
1815.
Die Geschichtschreiber des Kaiserreichs.
Erster Theil.
1. Das unvermeidliche Schicksal. Derjenige würde der öffentlichen Vernunft einen wahrhaften Dienſt leisten, der die Logik und Verkettung der Dinge in Napoleons Geschichte ohne Furcht , ohne Verblendung und ohne Leidenschaft herstellen wollte. Wir haben so viel Geschmack an Mährchen , daß wir zu wunderbaren Ereigniſſen Wunder hinzufügen. Wir lieben so sehr die Stärke , daß wir immer bereit sind sie zu unterstüßen , sie mit der Macht unserer Einbildungskraft zu vergrößern.
Jeder Mensch , der die Andern unter seine
Hand gebeugt hat , zieht eine Legende nach sich , die ihn über die Grenzen der menschlichen Natur vergrößert , sei es daß wir glauben , es bedürfe, um unser Haupt zu beugen , durchaus der Halbgötter , sei es daß wir von Natur so sehr Höflinge sind , daß unsere Phantasie beim bloßen Sehen des Stärkern aufgeregt wird.
Wir leihen ihm um die Wette
unsere Leichtgläubigkeit und unſern Aberglauben zur Unterſtüßung. Napoleon kannte uns wohl , als er beim Berichte über sein Glück und sein Mißgeschick , immer nur vom Sterne , dem Schicksal , Donnerschlägen sprach , wie wenn es sich nicht um eine unter unsern Augen entstandene Geſchichte handelte , ſondern um eine höhere Welt , bei der Quinet, Feldzug von 1815.
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unsere Vernunft nicht zu entscheiden hat.
Diese Sprache, welche mehr
dem heidnischen Akterthume, als unserer Zeit der Kritik und Philoſophie angemessen ist, haben wir bewahrt. Und welche Mühe haben wir , uns davon loszumachen ! Bei andern Epochen der neueren Zeit laſſen wir uns herbei , eine einfache und natürliche Erklärung der Dinge , zu suchen; aber bei dem was wir die Epopoe des Kaiserreichs nennen , verwerfen wir diese vernünftige Methode , wir lieben es den Grund der Ereigniſſe im Geheimniß zu lassen. Es scheint , als würden wir diese Epopoe herunterſehen , wenn wir die Wirkungen einfach wieder auf ihre Ursachen zurückführten. Wir zerbrechen die Kette, welche sie verbindet , und finden, ich weiß nicht welches Vergnügen , das etwas von Schwindel hat , daran, dieses Glück und dieses Mißgeschick , dieſe Höhen und dieſe Abgründe anzusehen , als ob kein Band ſie miteinander verknüpfte und der Zufall, oder was wir unerklärliches Schicksal nennen , eine Bizarrerie des Ge= schicks , allein das Aussehen der Dinge geändert hätte. Die bedeutendsten Werke unserer Zeit über die Geſchichte des Kaiserreichs haben sich noch nicht ganz von dieser asiatischen Methode freigemacht. Warum soll man darüber erstaunen ? Diese Methode ist die Napoleons selbst ; sein Geist drückt noch auf die unſrigen. Nicht nur hat er während 20 Jahren die Geschichte gemacht , er hat sie auch nach ſeiner Weiſe erzählt. Niemals hat ein Mann der That so viel über das , was er gethan , geredet , geurtheilt und geſchrieben , und so , wie er die Welt durch ſeine Thaten blendete , hat er sie in eine andere Verblendung durch die Art getrieben , wie er dieselben commentirte, so daß wir unter dem zweifachen Joch seiner Handlungen und seines Gedankens blieben. Napoleon war keiner jener Schweigſamen , welche die Erde meiſtern ohne etwas zu sagen. Er allein im Gegentheil redete in einer stummen Welt, und ſeine Erklärungen hallten überall wider. So lange er im Siege sprach , vertrugen sich seine Betrachtungen mit der Natur der Sache. Er zeigte bewundernswürdig , warum er bei Lodi , Arcole, Rivoli , Marengo siegte; aber vorzugsweise hat er nach der Niederlage zu der Welt geredet, und es iſt unglaublich , wie viel Hartnäckigkeit er zeigte , um zu beweiſen, daß das Glück Unrecht hatte , daß die Könige und Völker sich täuschten, denn man sieht nicht, daß er eine einzige Lehre des Unglücks angenommen hätte. Im Gegentheil hat er dasselbe bis zulezt als eine Schuldige heruntergemacht , die durch weibliche Launen die besten Combinationen der Weisheit und des Genies zerstörte.
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In einer so falschen Lage, entschloffen dieſen Kampf bis zum Aeußersten gegen Himmel und Erde durchzusehen , bewundere ich , daß er die Art seines Geistes unversehrt bewahrt hatte. Wenn man nur das Drama ſucht , so ist es sicher eines , Napoleon auf seinem Felsen die Lehren des Mißgeschicks wie eine Schmach zurückweisen und sich lieber mit Fiktionen umgeben zu sehen , als eine einzige der Wahrheiten anzunehmen , welche es mit sich brachte. Dieſe Hartnäckigkeit der Selbsttäuschung hat ihm in den Augen der größern Zahl gedient. Sich unfehlbar zu erklären bis in die Tiefe des Abgrunds , ist eine Größe , welche nie verfehlen wird die Welt zu blenden. Und sie blenden heißt , sie auch unterjochen. Aber können , dürfen wir diese Unbeugsamkeit in einem unmöglichen Systeme nachahmen ? Wollen wir , arme Heloten , trunken von dem Ruhme des Andern , für unsere Rechnung diesen Widerstand gegen die Evidenz, die Wahrheit verlängern ? - Sicherlich nicht !
Wenn Napoleon ohne
Gefahr für seinen Ruhm den Grund der Thatsachen unter dem Namen Schicksal verurtheilen konnte , so würden wir ihm hierin nicht ohne Schaden für unsere Intelligenz nachahmen können . Machen wir uns also von der Dienstbarkeit eines großen Geistes frei , wenn er sich selbst verblendet ; arbeiten wir wenigstens die Geschichte zu befreien.
Die
Wahrheit , die Wahrheit ! das iſt das Reich dauerhafter Freiheit. Suchen wir dahin wieder zu gelangen. Es wird Allen in Frankreich sichtbar , wie der franzöſiſche Geiſt im Bereich der Geschichte eine ernſte Anstrengung machi , um der Legende zu entgehen und zu verhindern , daß eine gewisse Mythologie die Wahrheit vertrete. Nach und nach entfaltet sich die wirkliche Gestalt Napoleons aus den trügerischen Ueberlieferungen , welche sie mehr oder minder verschleiert haben. Reifere Intelligenzen führen dieselbe gezwungenerweise auf rein historische Verhältnisse zurück. Es scheint mir als könne man kein bedeutendes Werk über diesen Stoff anführen , welches nicht Napoleon von seinem Piedestal von Wolken heruntersteigen ließe , um ihn den Bedingungen und Gefeßen gewöhnlicher Kritik zu unterwerfen. Ohne von den Memoiren des Königs Joseph zu reden , gelangen alle neueren Werke , die Erinnerungen Villemains , die Parlamentsgeschichte von Duvergier de Hauranne, die letzten Bände von Thiers , der Feldzug von 1815 von Oberst Charras , auf verschiedenen Wegen zu gleichem Resultate , der förmlichen Kritik des Heros , einer Art Auflehnung gegen die Tyrannei seines An-
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denkens , oder mindestens einem offenbaren Bedürfniß , der Blendung durch den Ruhm zu entgehen. Es ist das ein Zeichen der Zeit , sicherlich noch schwach, aus dem es aber gestattet ist , mit einiger Sicherheit in der Zukunft zu lesen. Man kann hieraus bereits schließen , daß der französische Geist nicht befangen , von den Strahlen Napoleons geblendet bleiben werde , wie dies bei andern Völkern geschah , welche sich nicht bei Zeiten von dem Uebergewichte eines großen Mannes loszumachen verstanden. Der griechische Geist ist unwiederbringlich von Alexander verdorben worden und hat mit ihm das orientalische Gewand angenommen . Nach Cäsar ist der italiſche Geiſt bis in das Mittelalter cäsarisch geblieben. Nach Karl dem Großen verbreitete sich die karolingische Legende. Sie wuchs , herrschte, besaß die Einbildungskraft Jahrhunderte lang. Sie setzte sich an Stelle der Wahrheit , der. Geschichte , des Lebens selbst , ohne daß die Intelligenzen eine ernstliche Anstrengung gemacht hätten , die Wahrheit wieder zu ergreifen. Jeder dieser großen Männer hat nach sich einen großen Schatten geworfen , in welchem ganze Nationen verschwanden ; durch zu gewichtige Andenken verdunkelt , hatten sie weder die Kraft , dieſelben zu ertragen , noch sie zu verstoßen. Napoleon wird nicht dieſe abſolute Herrschaft über die Geister ausüben. Schon mehr als einer hat sich erhoben und gewagt ihm ins Gesicht zu ſchauen. Sei es daß unsere ganze Epoche diese Art von Aberglauben zurückweist , sei es daß der französische Geist ihr besonders widerstrebe, jeder Tag führt eine neue Anstrengung herbei , um unparteiisch die Geschichte zu erreichen und der Legende den Play streitig zu machen ; aber diese Bemühungen müssen unterstützt werden , es ist vor Allem erforder= lich daß sie sich auf die Ereignisse erstrecken , bei denen das öffentliche Gewissen am leichtesten Mitschuldiger der Kunstgriffe oder der Fabel wird. 1 Erklären wir uns hierüber deutlich.
2. Legende und Geschichte. Was ist die napoleonische Legende ?
Es gibt mehre Arten der-
selben. Zuerst die , welche einfach aus Unwissenheit entstanden , die Geschichte für die großen Massen des Volkes bildet. Dieser Art gehört die fabelhafte Ueberlieferung an, welche zum Beispiel Napoleon alle nüßlichen Akte , alle wohlthätigen Geseze , alle Schlachten der franzöſiſchen Revolution
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zuschreibt. Diese Fiftion tritt in die Classe derer des Mittelalters über Karl den Großen , Attila , Dietrich von Bern.
Man kann in ihr ein
treuherziges Streben der Maſſen erblicken , in unserer Zeit eine MythoLogie hervorzubringen , welche Alles unmöglich macht. Von dieser Gattung des Fabelhaften werde ich nicht reden. Es gibt eine andere napoleonische Legende , die der gebildeten Claſſen, der Gelehrten , der Geschichtschreiber selbst.
Sie entsteht nicht treuherzig
wie die der Menge ; aber , um fast ebenso unhaltbar vor der Vernunft wie jene zu sein , ist sie nicht weniger zähe. Ich begreife hierunter den festen Vorsah , die Geschichte Napoleons troß Daten , Zeitabschnitten , Orten, Entfernungen , Geographie, den authentischsten Dokumenten zurechtzulegen , eine gewisse Manier die Dinge darzustellen , von der man nicht abgehen will , ungeachtet des entgegenstehenden Augenscheines ; die großen Grundsäge des menschlichen Geschlechts , welche alle andern Völker beherrschen , auszuschließen und für nicht anwendbar zu halten ; einen feſten Willen den Gemeinſinn zurückzuweisen, sobald er sich unsern Zurichtungen entgegenstellt ; bei größerer Kenntniß als die Maffe dieselbe Mißachtung des Geistes , der Auseinanderfolge bei dem Geschehenen , dieselbe phantastische Logik , oft die gleiche Vergessenheit wirklicher Thatsachen , ohne die Einbildungskraft oder Poesie der Fabel zur Entschuldigung zu haben. Zum Beispiel, wir wiederholen zum Ueberdruß , daß der 18. Brüs maire nothwendig wàr , um Frankreich vor der fremden Invasion zu retten , und wiſſen doch zum Verwundern gut , daß Frankreich durch die Schlacht bei Zürich ſo eben gerettet war.
Vor einigen Tagen besuchte
ich dieses Schlachtfeld. Als ich beim Passiren Dietikon's die weitläufigen Arbeiten der Armee an seinem Brückenkopfe fast unversehrt , von einer dichten Vegetation bedeckt fand , konnte ich mich nicht enthalten auszurufen : „ Wer diese Arbeiten , dieſe für einen Tag gebauten Redans und Bastionen sehen wird , von einer Festigkeit , die einem halben Jahrhundert trohte (denn sie scheinen von gestern zu sein) , der wird von der hohen Klugheit urtheilen können , die den kühnsten Unternehmungen der republikanischen Armeen beiwohnte und nicht mehr denken , daß diese Armeen ein großes Bedürfniß nach dem 18. Brümaire hatten , um bei ſich die Disciplin oder die Ueberlieferungen militairischer Kunſt zu retten. “ Unsere Geschichtschreiber nehmen den 18. Brümaire in seinem Principe an , sie machen daraus den Grundstein des Gebäudes ; in ihren Augen ist dies das Heil und die Größe Frankreichs. Ich gebe dies zu ;
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aber dann mögen sie eine gewiſſe Conſequenz mit sich selbst bewahren, ohne welche die Geschichte ihre Würde verliert. Wenn es gerecht , wenn es ein Glück ist , daß ein einziger Mann am 18. Brümaire die Verantwortlichkeit der Bestimmung Frankreichs auf sich nahm ; wenn es weise und rühmlich ist , daß alle Andern sich vor ihm zurückzogen und mit geschlossenen Augen wieder im Staube verschwanden ; wenn es ein Glück ist , daß er von Anfang an jedes Hinderniß seiner Phantasie umſtürzte und zerstörte ; wenn man für diesen Tag nur Lob und Beifallsbezeigungen hat : so bedenke man , daß man dadurch sich des Rechtes beraube , dieſen ſelben Mann zu tadeln , wenn er aus dieser Besizergreifung des Vaterlandes und der Geseze die nothwendigen Consequenzen zieht.
Warum ihn anklagen , wenn er als Gebieter handelt ?
Nachdem er über das Gefeß gestellt , warum ihm vorwerfen , daß er ein Spiel daraus mache ? Man stellt ihn auf die Zinne über alle geschworenen Eide ; darf man ihn da verdammen , wenn Schwindel ihn erfaßt ? Wo ist da Logik ? wo das Gewissen , der einfache Gemeinsinn ? Ihr habt ihn allein zum Richter seiner Größe und eures eigenen Heiles gemacht. Ihr selbst habt diesen Alexander entfesselt. Mit welchem Rechte scheltet ihr ihn , wenn er sich in dem Kelche des Darins berauscht ? Warum wollt ihr ihn an der Elbe anhalten ? warum am Niemen ? warum ihm die Pyrenäen verschließen , ihn länger zu Witepsk zurückhalten, ihn sobald über den Rhein zurückführen ?
Ihr habt ihm den
Zügel gelaſſen und beklagt euch , daß er euch weiter führe als ihr gehen wolltet. Was bedeuten diese Klagen über seine Härte, seine Tyrannei, seine Verblendung , wenn er eure Meinung nicht hört ? Wolltet ihr ihm Allmacht geben , damit er ihrer sich nicht bediene ?
Was seid ihr um
in seinen Rath einzutreten ? Ihr habt ihn mit eigenen Händen zu der Art der Cambyses geformt. Solche Männer nehmen keine Räthe. Sie gehen , treiben die Andern vor sich her ; sie begraben sie nach ihrem Belieben im Schnee oder im Sande des Jupiter Ammon.
Niemand hat
daher von ihnen Rechenschaft über das zu fordern , was sie gethan. Das ist die Logik der Geschichte.
Auch kann ich einen Geſchicht-
schreiber nicht begreifen , der , nachdem er selbst einem jener Männer die Barrieren geöffnet und die Geseze unter seine Füße gebracht hat, plößlich verlangt , ihn zurückzuhalten , ihm das Weiterdringen zu verwehren und einen gemäßigten Despoten aus ihm zu machen.
Der un-
geheure Abſtand , den ihr zwiſchen euch und diesem Manne_geſchaffen,
kann nicht mehr ausgefüllt werden , denn er entsteht nicht allein aus seiner Größe sondern auch aus eurer Erniedrigung ; was ihr jetzt seine Verirrung , feine Thorheit nennt , wer sagt euch , ob dies nicht eine der eurigen überlegene Weisheit sei ?
Wie die Franzosen von 1799 unter dem Gewicht der gegenwär tigen Stunde , unter dem unmittelbaren Eindrucke der Gewalt , überdies in Unwiſſenheit über die der Zukunft vorbehaltenen Folgen , ein Werk der Gewalt und der durch Ruhm überdeckten Schlauheit blindlings an genommen haben , läßt sich nicht wohl verstehen ; aber daß wir nach einem halben Jahrhundert , da keine Nothwendigkeit uns drängt , das Licht erschienen ist , jeder Fehler seinen Antheil von Unglücksfällen und Schmach erzeugt hat , daß wir die Augen dem Himmelslichte verschließen, um uns auf den , den Zeitgenossen nothwendig begrenzten , Gesichtspunkt zu stellen ; daß wir von der so schwer erworbenen Erfahrung auf die vergangenen Ereignisse keinen Schimmer der Gerechtigkeit oder selbst der Vernunft fallen laſſen , das ist eine wahrhaft außerordentliche Sache. Wenn unsere Väter nach dem ersten Aufgeben der eroberten Freiheit unter ein hartes wenn auch ruhmreiches Regiment fielen , was verdienen denn wir , die wir nach 60 Jahren der Erfahrung noch diesem Aufgeben der Freiheit am 18. Brümaire Beifall rufen und uns ihm von Neuem anschließen , ohne die Entschuldigung der Unwissenheit oder Ueberraschung für uns zu haben ? Was ist uns vorbehalten , wenn wir in dieſem von guten Lehren erfüllten Zeitraume nichts gelernt haben ? In der Geschichte fügen wir zu der Knechtschaft vergangener Zeiten die Ser vilität unserer Seelen ; aus allem Dieſen bildet sich in unsern Erzählungen ein Ganzes , das hundertmal schlimmer ist als die von uns zu beschreibende Wirklichkeit. Ahmt Napoleon nicht mehr nach in dem Bericht, den er vom 18. Brülmaire macht ! Dieser nackte , arme , zerhackte , erbärmliche Bericht ist das einzige seiner Werke , bei dem man nicht einmal die Tugend der Kraft empfindet.
Die Nothwendigkeit , wozu er sich verurtheilt hat , selbst seine
gelernten Rollen , feine falschen Liebkofungen , seine Verstellung bei Tafel, im Bette , im Rathe auszuplaudern , bringen seinen Geist über das Maß herab. Cäsar hat nicht die ungezwungenen Anekdoten des Uebergangs über den Rubikon erzählt. Diese Art die Geschichte Napoleons zu verstehen ist nicht nur die Zerſtörung der Logik , es ist überhaupt die Zerstörung der Idee von Würde
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und Gerechtigkeit ; denn wenn es wenig vernünftig ist, ohne Gnade den Schwindel der absoluten Macht zu verdammen , die man ſelbſt ge= schaffen hat, so ist es wenig gerecht und würdig sich zu beklagen , daß man davon zu leiden hatte.
Es wäre zu bequem , wenn man nach Be=
lieben solche Gebieter entfesseln oder zurückhalten könnte und die Welt mit diesen Hämmern Gottes zerschmettern könnte , ohne davon selbst einen Schaden zu empfinden.
Dies kann und darf nicht sein.
Das
Beispiel würde für die Welt sehr schlimm sein , wenn ein Volk sich den Phantasieen eines Einzigen überlaſſen könnte , ohne in seiner Würde, seinem Frieden , seiner Wohlfahrt leiden zu müssen. So wankt unsere Auffassung der Geschichte Napoleons von Anfang an in ihrer Grundlage. Diese Auffaſſung hat keine logische Kraft , sie gehört nur der Phantasie, nicht der Vernunft an. Wir wollen den Keim und wollen nicht den Baum.
Wir wollen wohl die Knechtschaft , aber
wir wollen , daß sie nach unserer Laune ausgeführt werde. Wir willigen gern ein , Sclaven zu sein , aber wir wollen den Herrn zügeln. Wir nehmen die Ursache an und verwerfen die Wirkung. Sehen wir , ob es kein Mittel gebe , eines mit dem andern zu vereinigen.
3. Grundsätze der Feldzüge von 1812 , 1813 , 1814. Wenn man die Geschichte Napoleons auf die Bedingungen jeder andern menschlichen Geſchichte zurückführt , so muß man wohl erkennen , daß der 18. Brümaire das Kaiserreich in sich begreift und daß das Kaiſerreich alles enthält , was bis zu seinem Sturze erfolgte , der wiederum Ursache der beiden Invasionen von 1814 und 1815 ist. Dieſer Vorderſatz ist so einfach , daß man erstaunt , ihn in unserer Geſchichte wiederherstellen zu müssen , weil er nichts anderes ist als die abgekürzte Darlegung der Thatsachen. Gleichzeitig , indem sie den 18. Brümaire als die Quelle annehmen, aus der ihre Berichte entspringen , erklären unsere Geſchichtschreiber , daß Frankreich unfähig war sich selbst zu regieren ; es hätte sich in die Hände eines Retters geben müssen , der für es denken und handeln sollte. Die ganze nächste Zukunft sollte also von dem Charakter und Temperament dieſes Retters abhängen , und wenn die Natur aus ihm den größten. Krieger der neueren Zeit und den Herrschbegierigsten gemacht hatte, so iſt es offenbar , daß Eroberungen die Beschäftigung seines Lebens , das
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Gesez seiner Bestimmung werden mußten. Wenn er außerdem durch seinen Ursprung , seine fremde Abstammung in seinem Geiste ein gewisses Ideal von Macht hat , das er allein besißt , so ist es nicht weniger offenbar , daß er sich aller Kräfte Frankreichs bedienen wird , um diese eigenthümliche Idee zu verwirklichen. Wenn weiter diese Idee sich als falsch und unausführbar erweiſt , ſo iſt es auch klar , daß er sich Frankreichs wie eines Werkzeuges bedienen werde , bis dieses Werkzeug in seiner Hand bei einem unmöglichen Werke zerbricht.
Die Logik wird
in der Geschichte erhalten bleiben , weil man in ihr die Ursachen ihre Wirkungen hervorbringen sehen wird , und die Gerechtigkeit wird gleichfalls gerettet werden , weil ein großes Volk für ſeine Nachgiebigkeit gegen einen Einzigen und ein Mann für seine Zerstörung Aller gezüchtigt werden wird. Hierdurch werden die Dinge miteinander verknüpft werden. Sie werden die Lehre der Ereignisse enthalten.
Dies wird eine feste
und verständige Baſis ſein , auf welche man den Bericht des Geschehenen ſtellen kann , ohne Furcht , in fortwährendem Widerspruche mit ſich ſelbſt zu sein und das eigene Werk nach Maßgabe seines Fortschreitens sich ruiniren zu sehen. Wenn dies wahr ist , so bleibt übrig zu wissen , welches Napoleons cigene Idee gewesen sei , die nur ihm angehörte
zu welcher Form er
durch seinen Ursprung naturgemäß hinstrebte. Hier ist nicht zu antworten , er strebte nach Herrschaft , nach abſoluter Gewalt , wie so viele andere Eroberer. Nein , man muß sich bestimmter ausdrücken.
Die Form
der Macht, nach welcher Napoleon strebte, hatte nichts Unbeſtimmtes ; sie hatte einen beſondern Charakter und Namen , eine bestimmte Ueberlieferung. Sie hieß das Weltreich. Denn welcher französischen Tradition gehört die Idee dieser Art von Macht an ?
Sie gehört keiner Epoche des Frankreichs im Mittelalter
noch des neueren Frankreichs an. Unter allen Männern , welche bei uns die unbeschränkte Gewalt träumen konnten , Ludwig XI. , Richelieu, Ludwig XIV. , ist keiner , der diese Form gedacht oder gefunden hätte ; sie ist nicht französisch. Woher stammt sie denn ? Ich habe anderswo *) gezeigt , daß Napoleon unerklärlich bleibt , wenn man in ihm nicht seinen italienischen Ursprung erblickt , der seinen Geist mit dem Siegel der großen Italiener gezeichnet
*) Die Revolutionen von Italien, liv. IV. , chap. II.
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hat.
In seiner florentinischen ghibellinischen Abstammung fand er dieses
bei sich eingewurzelte Ideal des großen ghibelliniſchen , karolingiſchen Reiches , welches ihm keine der Formen , keiner der Magistrate der französischen Revolution , selbst nicht die moderne Monarchie geben konnte. Dieses Reich ohne Grenze, „ das selbst vom Ocean nicht umschrieben wird “, findet sich im Grunde der Seele fast aller bedeutenden Männer Italiens; dieser selbe Gedanke fand sich wieder und entwickelte sich in Napoleon in dem Maße , als er sich in der Macht fand , seiner Phantasie durch Lossagung von Frankreich freien Lauf zu geben. Das ghibelliniſche , karolingische Reich aufzubauen , so wie es von dem wiederauflebenden Genius Italiens geträumt wurde, ihm seine imaginairen Grenzen zu erobern , dieſem unmöglichen Reſultat die Kräfte der französischen Revolution dienstbar zu machen , das ist es , was das Ziel des großen Italieners wurde , der sich des Armes von Frankreich bediente. Und da diese Idee mehr der Einbildung als der Vernunft angehört , so sieht man diese überraschende Erscheinung , eine so phantastische, so unmögliche Politik bei einem Manne von so großer Berech= nung ; denn dieser Gedanke des ghibellinischen Reiches , der. bei ihm eine Tradition der Race war , hatte deren Zähigkeit ; es schien ihm rechtmäßig, das Glück Frankreichs für diese Einbildung einzuſeßen. Wenn man sich nicht in den Heerd des italischen Geistes selbst verseht , ist es unmöglich , sich die Auffassung Napoleons zu erklären in dem was ſie für uns Chimäriſches hat , was sie für ihn Ergreifendes , Fortreißendes , Unwiderstehliches besaß.
Die "/ Weltmonarchie “ , dieser Ge=
danke, der sich bei dem geringſten italieniſchen Chroniſten findet und welcher den Grund der Politik Dante's ausmacht , wird auch der Grund der Unternehmungen Napoleons ; aber wenn diese verderbliche Phantasie das Werk des Dichters auch nicht zerstörte , so konnte sie doch nicht fehlen das Werk des Eroberers zu vernichten. Wir begreifen nicht , daß Napoleon an der Grenze nicht innehalten, den Rath nicht hören wollte , welchen die gewöhnlichste Weisheit angenommen haben würde.
Wenn wir in seinem Gedanken weiter hinauf-
steigen wollten , würden wir die Erklärung des Schwindelns finden; wir würden gewahren , daß er mit den Augen des Geistes dieſes ſagenhafte Reich sah , daß er sich mit diesem Traume einer Menschenrace identificirt hatte und fühlte , er werde untergehen , wenn er das Geringste davon fahren ließe.
Befremdliche Erscheinung ! es ist gerade dieſer chimä-
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rische Grund , welcher am meiſten die Einbildung der Menschen verführt hat , wie wenn es ihnen als ihre Bestimmung erschienen wäre , für einen Rauch geopfert zu werden! Nichts Erschreckenderes gibt es als eine falsche Idee , die sich zur Herrin eines großen Geistes macht ; sie nimmt da gigantische Verhältnisse an. Zuerst wurde in Napoleon der Staatsmann verlegt. Er bildete sein Reich dem legendenhaften , nicht des Alterthums , sondern des Mittelalters nach , und wie er Barone und Herzoge hatte , wollte er Könige und einen Papst zu Vasallen haben , was seinen Eroberungen die Festigkeit nahm ; denn da er seine Gegner in Verzweiflung trieb und sie nicht vernichtete , da er die Völker erniedrigte und sie nicht besaß , so konnte es nicht ausbleiben , daß er dahin gelangte , alle seine Feinde die er be stehen ließ , bei der ersten Gelegenheit sich gegen ihn erheben zu sehen. Baylen machte ganz Spanien aufstehen , Moskau ganz Europa. Das Entscheidende dabei war , daß die falschen Ideen , welche seine Politik störten , schließlich seine kriegerischen Combinationen störten. Von da an verderbte der Kaiser den Feldherrn.
Dies läßt sich schon bei
Beginn der spanischen Angelegenheiten erkennen. Wenn man diese 3 oder 4 Armeen von Andalusien , des Centrums , von Aragon , von Portugal getrennt , faſt ohne ein Band unter sich handeln sieht , sucht man, ohne sie zu finden , die Grundsäße der früheren Feldzüge : sie beginnen zum Feinde überzugehen. Unserseits führt das Bedürfniß , das Ansehen des Besizes zu haben , wo wir nicht besißen , uns dahin alle Povinzen zu besehen auf die Gefahr keine zu behalten. In den Feldzügen von Italien bewundert man einen Feldherrn, der nichts dem Schein , leeren Einbildungen überläßt. das Nüßliche aufbewahrt.
Alles wird für
Er verweigert , nach Nom zu ziehen , was
doch eine große Gelegenheit zu leerem Aufsehen und unnüßem Ruhme war. Wie weit ist man bereits in Spanien von dieser maßvollen Weisheit entfernt ! Das ist nicht mehr ein zum Siegen entschlossener Feldherr, dies ist vor Allem ein Monarch , der die Welt glauben machen muß , daß er alle seine Provinzen in der Hand habe. ruinirt bereits den Krieger.
Die Politik
Um das Unglück von Baylen zu mildern , den Vorläufer von Moskau und Leipzig , erfindet die Sage , daß dieses Schlachtfeld ein Engpaß , ein zerklüfteter Schlund inmitten unzugänglicher Gebirge sei und diese fabelhafte Geographie wird die Grundlage fast aller Berichte.
Jch
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habe diese verderbenbringenden Stellen gesehen : es ist eine kaum wellenförmige Ebene , mit von allen Seiten offenen Gehölzen von Olivenbäumen beſäet.
Troz des Augenscheins wird die Sage auf ihrer eingebildeten
Topographie bestehen.
Was würde man von einem Geschichtschreiber
ſagen, der sich darauf steifte unzugängliche Sierras zwiſchen Paris und St. Denys aufzurichten ? Wenn Napoleon in dem Feldzuge von 1812 den Winter angeschuldigt hat , so konnte er in dem von 1813 nur sich selbst anklagen , denn das mals sind seine schönsten kriegerischen Combinationen , seine glücklichsten Inspirationen sichtbar durch die falschen Einbildungen , welche seinen Geiſt zu der Zeit beherrschten , beschädigt und verdorben . Man fragt, warum die Strategie durch sich selbst intereſſire , unabhängig von der Sache an welcher sie angewendet wird.
Der Grund
ist dieser : die Kriegskunst ist eine lebendige Geometrie , bei der der Verstand in seiner ganzen Fülle auftritt.
Der geringste Irrthum des Kal-
küls , das geringste Mißverhältniß zwischen der Auffassung und der Wirklichkeit werden in dieser Kunſt durch zerschmetternde Züchtigungen gestraft.
Jedes Vorherrschen der Einbildung über das Mögliche , jeder
Mißklang zwischen Zweck und Mittel zerstören Werk und Meister zugleich. Napoleon begnügt sich nicht mehr mit dem Möglichen , er will mit einem einzigen Wurfe der Würfel Alles wiedergewinnen , was er verlor. Er läßt den Zufall in einer Weise in seine Berechnungen eintreten, wie er dies früher ihm nie gestattet. Und dann müſſen , um die Viſion des großen Reiches zu erfüllen und dessen imaginaire Grenzen zu halten , 190,000 seiner besten Soldaten , die er nie wieder sehen soll , in den Garnisons der Weichſel, der Oder und der Elbe eingeſchloſſen werden , 30,000 in Danzig , 40,000 in Hamburg , 30,000 in Dresden , 20,000 in Magdeburg , ebensoviele in Torgau.
Dieſe fehlerhafte ,
chimärische Basis für seine allgemeine ·
Auffassung des Feldzugs wird durch keinen einzelnen Erfolg , weder bei Lützen, noch bei Baußen verbessert werden. Von diesem Augenblicke an sehen wir einen unerschöpflichen Geist , der unter dem Drucke der Noth großartige Pläne gebiert , und dieſe prächtigſten Pläne kehren sich gegen ihn , weil er ihnen die feste Basis benommen hat , welche sie möglich machte. Je höher seine Gedanken sind , je mehr fallen sie mit Macht auf ihn zurück , um ihn zu zerschmettern.
Da wo ein mittelmäßiger
Geist große Trümmer hätte retten , sich zeitig zurückziehen , vielleicht
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einen ehrenvollen Frieden hätte auferlegen können , kann der größte Berechner der Welt nur seinen Fall beschleunigen , denn er läßt da seine ganze Kraft wirken.
Er bedarf ein Marengo , ein Austerlik , das was
er einen Vernichtungsschlag nennt.
Um sich dieses Donners wieder zu
bemächtigen , dessen Gedächtniß ihn beherrscht und blendet , wird er seine eigenen Regeln unter die Füße treten , und seine Pläne höher spannen. Wir wollen gern , wenn es nöthig ist, den Gedanken bewundern , sich wieder gegen die schlesische Armee zu werfen , nachdem bei Dresden die böhmische geschlagen war ; aber dies übermäßige Unternehmen ist nicht weniger die Ursache , daß er den Sieg bei Dresden unvollendet läßt und Vandamme in den Abgrund von Culm stürzt. Es gibt noch ein anderes Unglück in diesem Feldzuge ; die Feinde haben endlich von ihm die Kunst gelernt , durch welche er sie besiegte. Sie sind es , die durch den concentrischen Marsch auf Leipzig seine Marimen anwenden.
Er verleht sie durch die Zerstreuung seiner Kräfte
an den äußersten Theilen seines eingebildeten Reiches ,
nicht daß er
nicht besser als irgend Jemand wußte , daß er ſiegen müſſe , ſondern weil er die Beute einer falschen Idee war , weil er auf den Stern des Kaiserreichs , auf die Sonne von Austerlit rechnete und seiner starken Einbildungskraft einen zu großen Antheil in einer Kunst einräumte, welche dieselbe ausschloß. Wenn er in den Feldzügen von Italien 1796 und 1797 wie in dem von 1813 gehandelt , wenn er , statt sich um Verona zu concentriren , gleichzeitig Mantua belagern , Rom einnehmen, Neapel bedrohen , sich Toskanas versichern gewollt hätte, das heißt blenden anstatt zu schlagen : er hätte 1797 Leipzig bei Arcole und Nivoli gefunden. Wenn nach Napoleon jedes kriegeriſche Ereigniß ein Drama iſt, welches seinen Beginn , ſeine Mitte und ſein Ende hat , ſo war der Feldzug von 1812 der erste Act der Invasion in Frankreich ; der Feldzug von 1813 war der zweite. Der von 1814 hat einen beſondern Charakter , den man auch bestimmen muß. Wie alle Männer, die in einer Wissenschaft oder Kunst hervorragten, deren Grenzen sie überschritten, endigte Napoleon 1814 damit, von seiner Kunſt zu fordern , was sie in keinem Falle geben kann , die Macht, ein Volk in der Vertheidigung seines Gebiets gegen die verschworene Welt zu ersehen.
Napoleon beharrte in diesem Feldzuge bei dem Glauben , daß die
Kriegswissenschaft dies Geheimniß beſize, daß sie das Wunder bewirken könne, eine Nation in Waffen zu ersehen. Er hat an die Allmacht der Strategie ge-
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glaubt; dies hat nicht wenig dazu gedient, ihn zu verderben und uns durch ihn und mit ihm . Beim geringsten Erfolge rechnete er auf die plötzliche Wiederherstellung des chimäriſchen Reiches von Hamburg bis Nom. Zu Chatillon sah er sich wieder an der Weichsel , und es ist ausgemacht, daß nie ein Volk in solcher Unwissenheit über die ihm drohende Todesgefahr eingeschläfert erhalten wurde.
In Spanien , Rußland , Deutſch-
land waren die fremden Völker zur Vertheidigung ihres Heerdes bewaffnet worden ; wir waren bereits umringt und ahnten noch nicht einmal , daß es sich um uns handeln könne. Kein Anrufen , keine Benachrichtigung, kein Wort des Zutrauens an diese Nation , gegen welche man den Zorn der Welt entfesselt hatte. stimmt.
Man erwartete dennoch etwas , aber unbe-
Ich erinnere mich , daß ich, halb aus kindlicher Sorglosigkeit,
halb aus Erwartung , mich auf der großen Straße auf den Weg begab. Es regnete. Ich sah Reiter in weißen Mänteln , die ſich näherten und eine lange Reihe bis zum äußersten Horizonte bildeten : dies war die Invasion , welche sich schweigend über unsern Flecken ausdehnte ! Frankreich war in Feindes Händen , ehe wir noch davon wußten.
4. Berichte Napoleons.
Die neuern Geschichtschreiber.
Hier sind wir auf unaufhaltsamen Abhange zur zweiten Invaſion gelangt ; wir kommen an 1815 und Waterloo. Dort will ich anhalten, weil ich seit sechs Jahren * ) dieſes Schlachtfeld zum alleinigen Horizonte und in dieſem langen Zeitraume mehr Gelegenheiten als irgendwer gehabt habe , über dieses Unglück nachzudenken und seine Ursachen aufzusuchen. Auch ich kenne dieses Grab , da ich es bewohne. Wenn ähnliche Unfälle sich Schlag auf Schlag erneuern , so ist es wenig verständig zu glauben , daß sie durch einen zufälligen Umstand, einen vergessenen oder vernachlässigten Befehl , einen Sturm , einen anhaltenden Regen erzeugt seien. Nein , das Glück , so launenhaft man es darstellt , ist es nicht bis zu diesem Punkte. Es ist wandelbar , es ist nicht unfinnig. Wenn ähnliche Niederlagen sich wiederholen , gestehen wir, daß ein tiefer unverbesserlicher Mangel in den Dingen und in dem Menschen war. Es war nicht nur ein Fehler (denn das Glück ist mit-
*) Geschrieben 1857.
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unter gut genug , sie nicht alle zu strafen) , sondern eine Anhäufung von Fehlern , welche unverbesserlich wurden , eben aus Grund ihrer Zahl. Napoleon hat mit sichtbarem Gefallen seine ersten Feldzüge erzählt : Toulon , Italien , Aegypten , Marengo bilden in seinen Memoiren eine fortlaufende Erzählung.
Augenscheinlich gefiel er sich, mit Heiterkeit , in
der durchsichtigen Sprache der Mathematiker , diese heroische Geometrie zu beschreiben , in welcher jedes Theorem eine Schlacht ist. Zum Unglück hat er bei der ersten Hälfte ſeines Lebens inne gehalten ; er hat Marengo als Grenze gesezt , sei es daß das Leiden der Verbannung , welches er so viele Andere kosten ließ , ihn nach der Reihe ergriff und ihm selbst den Ruhm zuwider machte , sei es daß die Krankheit ihn hinderte länger zu dictiren. Man kann auch annehmen , daß er auf diesem Gipfel von Marengo anhalten wollte , wo sich noch keine Wolke zeigte ; er wird es zurückgewiesen haben , seinen Geist und seine Augen zu lange auf dem reißenden Abhange des Kaiserreichs weilen zu lassen , das ihn durch die Allmächtigkeit hindurch so schnell zu der Entwickelung von St. Helena führte.
Wie dies auch sei , man findet in seinen Erzählungen keine
Spur des zweiten Abschnitts seiner Laufbahn.
Der lange Raum von
1800 bis 1815 , das ganze Kaiserreich nämlich , bleibt in seinen Memoiren leer , wie wenn er die schon zu ſehr erkauften Siege bei Eßlingen, Wagram , Friedland , an der Moskwa verschleiert hielte.
Ohne Zweifel
näherten sich diese Siege zu sehr der Katastrophe ; sie verbargen ihm diese zu wenig. Und aus diesem Grunde band er sich in seinem Berichte ausschließend an die beiden äußersten Epochen seines Lebens : an die erste, weil er hier einen Ruhm ohne Schatten und ohne Besorgniß kostete , an die lezte , weil er in ihr seinen Untergang fand und sich darüber vor sich selbst und der Nachwelt rechtfertigen mußte. Der Feldzug von Waterloo hat auch einen großen Theil in seinen Arbeiten als Geschichtschreiber eingenommen.
Nach dem langen über das
ganze Kaiserreich bewahrten Schweigen gelangt er nach verschiedenen Abfäßen wieder zu diesem Feldzuge.
Er hat darüber zwei vollendete
Berichte entworfen , ohne die nicht auf uns gelangten Versionen zu rechnen. Der erste derselben ist durch General Gourgaud von St. Helena gebracht worden , und selbst unter dessen Namen erschienen. die Meinung über den Gegenstand festgestellt.
Dieser hat
Alle Thatsachen , welche
er hinstellt , sind ohne Untersuchung zugelassen worden.
Alle Männer,
welche er anschuldigt , sind ohne Prüfung verurtheilt geblieben.
Die
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Menge, das Volk , die Leute von Welt , die Schriftsteller , die Geschichtſchreiber sind von der gleichen Leidenschaft der Leichtgläubigkeit und bisweilen der Ungerechtigkeit ergriffen worden. Niemand , um es zu sagen, " ist noch davon zurückgekommen , so sehr ist ein großer Krieger , der ſeine eigene Rechtfertigung schreibt , von Anfang an unbesiegbar ! Denn bei der ersten Lesung dieser nervigen , frühreifen , herrscherischen Seiten , welche das Schicksal brandmarkten , ist keiner von uns , der nicht die Hand erkannte , von welcher sie kamen , und nicht ausrief: das ist er! Indessen war dieser erste noch vom Feuer der Schlacht glühende Bericht nur ein erster Wurf , ein Versuch Napoleon's.
Er hat eine
zweite Geschichte des Feldzugs von 1815 verfaßt und diesesmal langfamer , wobei er , mit einer Geduld , deren man ihn nicht fähig gehalten hätte , auf den Grund und die Gestalt der Dinge kommt.
Wie schlecht
haben ihn doch die gekannt , welche annahmen , daß er sich wenig um die Bedingungen des Schriftstellers beunruhigt habe ! Hätte es nur Gott gefallen , daß er diese Kunst nicht in ihrer Vollendung besessen hätte ! Er hätte die Nachwelt weniger leicht über seine Fehler geblendet , er hätte eine vollkommnere Freiheit des Urtheils gelassen , denn in dem Colorit, der Kraft der Entwickelung der Bewegung , der Kunst die Vernunft einzunehmen , die Ereigniſſe der Strategie zum Drama umzuwandeln , hat Napoleon keinen Meister.
Wie sollte ich über die Verblendung
erstaunen , welche diese Erzählung hervorgebracht hat ?
Jedesmal wenn
ich sie wieder lese , gewinnen mich wieder die majestätische Größe des Berichtes , die Bewegung der Details , das Erschütternde der Dinge von Neuem.
Auch ich bin , in der Falle des Genies gefangen , bereit , nur
das blinde Schicksal anzuklagen. Ich finde keinen Fehler an dem , welcher sich mit diesem Zauber umgibt ; ich vergesse die Vernunft , ich vergesse die Wahrheit , ich verschiebe die Gerechtigkeit , die Freiheit ; dennoch muß man dahin zurückgelangen. Uebrigens ging dieſe zweite Erzählung , so überlegen in jeder Hinsicht sie auch der ersten war , unbemerkt vorüber. Eine kleine Zahl Männer von Fach lasen sie ; das Publikum beachtete sie nicht , es beachtet sie auch heute noch nicht. Wieviel aufgeklärte , selbst unterrichtete Personen verschmelzen noch die Memoiren Napoleons mit dem Tagebuche von Las Caſes !
Der Eindruck , den die Welt empfangen hatte , war be-
festigt , sie wollte sich nicht mehr von ihm losmachen. Napoleon ſelbſt hätte
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nichts an dieſer durch seine erſte Schrift zu St. Helena verursachten Aufregung ändern können. Außer dem Bedürfniß der Rechtfertigung gab es noch einen Grund, welcher die Geschichte dieses Feldzugs tief beeinträchtigen mußte.
Der
Feldherr hatte seine Unterbefehlshaber seit dem Augenblicke des Unſterns nicht wiedergesehen ; er hatte nicht aus ihrem Munde den Bericht der Ereignisse , an welchen sie Theil genommen , ihre Erklärungen , ihre Entschuldigungen, welchen Schwierigkeiten ſie begegneten, zu welcher Zeit fie die Befehle erhielten, zu welcher sie dieselben ausführten. Zum ersten Male auf die Kenntniß der Dinge beschränkt , welche unter seinen Augen unmittelbar geschahen , blieb er über alle andern in Ungewißheit.
Er war
genöthigt, die Leere auszufüllen , indem er annahm , was er nicht kennen konnte.
Oft waren seine Annahmen , durch das Mißgeschick vergiftet,
der Wahrheit ganz entgegengesett.
So und durch andere derartige
Gründe hat diese an Colorit und Bewegung so reiche , mit unendlicher Kunst zusammengesezte Erzählung die Geschichtschreiber verleitet , wie sie mit Orten , Zeiten und Entfernungen zu spielen ; denn alle thaten nichts , als sie zu wiederholen oder zu umschreiben , ohne daß bei uns Jemandem der Gedanke kam , ihr die einfachsten Regeln gewöhnlicher Kritik anzulegen . Erst 1840 , also 25 Jahre nach dem Ereigniß , machte ein Mann, welcher zu kurz lebte und der Armee schon theuer war , von frommem Gefühl für einen berühmten Vater getrieben , einen ersten Versuch , Frankreich zu enttäuschen.
Der Herzog von Elchingen , der einen Theil seines
Lebens angewendet hat , gründlich den Tag von Quatrebras zu erforschen, in dem man das Andenken des Marschalls Ney hat begraben wollen , veröffentlichte ein wichtiges Werk in einem kleinen Bande.
Es
waren
keine Gegenbeschuldigungen , wie man erwarten konnte , sondern die Pa= piere des Generalstabs vom Marschall Ney selbst , die Ordres über Marsch , Bewegung und Angriff , die Briefe , die Inſtruktionen Napoleons während der 4 Tage des Feldzugs von 1815.
Der Herzog von Elchin-
gen hatte die glückliche Idee , eine Art Untersuchung bei den Corpscommandanten , Reille , Erlon , den Adjutanten des Kaisers , Flahaut, Dejean , die mit Ueberbringen von Befehlen beauftragt waren , beim Major - General Soult anzustellen , und er gab die Original - Antworten dieser Generale auf die bestimmten Fragen , die er ihnen gestellt hatte. Dadurch sicherte er der Geschichte das Zeugniß einiger der vornehmsten Quinet, Feldzug von 1815.
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Mithandelnden , während sie noch lebten.
Mit einer Diskretion und
Mäßigung , die ich in einer so gewichtigen Sache nicht genug bewundern kann, begnügte sich der Herzog v. Elchingen , dieſen klaren Dokumenten, diesen officiellen Stücken in wenigen Zeilen einen Commentar über die Daten , die zurückzulegenden Entfernungen beizugeben. Es ist dabei keine der zweischneidigen Beweisführungen , in denen die Strategie mitunter sich gefällt , denn auch sie hat ihre Sophismen. Es war ein einfacher Anruf an den Augenschein , an den Gemeinſinn. Diese Sammlung authentischer Dokumente war die erste sichere Grundlage für eine militairische Geschichte des Feldzugs von 1815 . Und hier bewundere man die eingewurzelte Macht der Legende, selbst in den gelehrten Claſſen. Es scheint, als hätte alle Welt betroffen sein müssen , Napoleons authentische Befehle vom 15. , 16. und 17. Juni 1815 des Deftern in vollem Widerspruche mit den Berichten Napoleons von St. Helena zu sehen.
Es scheint wenigstens als hätten die Ge-
schichtschreiber von Fach diesen so schweren Thatsachen einige Aufmerkſamkeit leihen sollen , die ſo plößlich erweckt waren , wenigstens sie erwägen , sie annehmen oder abweisen.
Damit war es nichts.
Den offi=
ciellen , authentischen Dokumenten , die ihnen vor Augen gelegt wurden, zum Troße verharrten die Geschichtschreiber dabei , sie nicht einmal zu erwähnen ; sie betrachteten sie nicht , ſie widersprachen ihnen nicht. Ihre Augen waren durch die Auslegung von St. Helena geblendet , ihr Gericht war geschehen ; sie fuhren fort dieselbe abzuschreiben, ohne ein Wort zu ändern. Ein einziger Militairschriftsteller , freilich einer der bedeutendsten, General Jomini , der ein großer Bewunderer Napoleons ist , selbst nachdem er lange im feindlichen Lager sich befand , wurde durch dieſe ans Licht gelangten Thatsachen bewegt , erschüttert.
Er erkannte , daß dieselben
ein neues Tageslicht über den Feldzug von Waterloo verbreiteten. War auch sein Urtheil für ihn vollendet gewesen , wurde sein » Précis historique et militaire « bereits gedruckt : er zauderte nicht , seine Ansichten zu verbessern ;
er hatte die seltene Gewissenhaftigkeit , wichtige Aende-
rungen darin vorzunehmen , wie man aus seiner Correspondenz mit dem Herzoge v. Elchingen sehen kann , auf die ich genöthigt sein werde, später zurückzukommen. So sind also einige Worte , einige bescheidene Noten Alles , was Wahrheit und offener Augenschein bei uns in einem Vierteljahrhundert
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über die Auslegung und die Erfindungen von St. Helena gewinnen konnten ; so sehr fürchtete man , Napoleon zu verkleinern , oder eher , ihm zu widersprechen , in der Gewißheit , man werde den Aberglauben der Menge gegen sich haben , die ihre Blindheit liebt und davon nicht ge= heilt sein will. Dennoch mußte man endlich aus dieser Art Verzauberung heraustreten, wenn es wahr ist , daß die Geschichte kein Spiel , sondern eine Wahrheit sei.
Nach 40 Jahren war es Zeit , dieser großen Katastrophe
ins Gesicht zu sehen , und wenn Napoleon dabei Schuld trägt , so war der Augenblick gekommen , es zu sagen , zu zeigen und zu veröffentlichen, ohne schwach nachzugeben. Was mich anlangt , so geſtehe ich , daß ich ungeduldig erwartete , ein Schriftsteller werde sich dieser Arbeit der Kritik unterziehen , welche mir seit der Veröffentlichung des Herzogs von Elchingen eine der Nothwendigkeiten unserer Epoche schien.
In
meiner Ungeduld hatte ich seit 1844 selbst einige Punkte darüber entworfen.
Ich rechnete überdies auf den hellen Blick des Herrn Thiers,
um dieſes Bedürfniß der Wahrheit zu befriedigen , welches alle Berichte über Waterloo in mir erregt hatten , ohne ihm zu genügen .
Als ich
zu meinem Verdrusse gehört hatte , daß Thiers nicht von dem Feldzuge von 1815 handeln werde , verzweifelte ich fast , bei meinen Lebzeiten diese ersehnte Wiederherstellung der Geschichte der 100 Tage zu sehen, bis ich erfuhr , daß ein vollkommen geeigneter und vorbereiteter Mann, der Oberst Charras , diese Aufgabe übernommen habe. Er scheint mir, sie mit der zu einem solchen Stoffe erforderlichen Kraft des Geistes erfüllt zu haben. Hierin bedurfte es Bedingungen , welche sich selten vereinigen ; denn man findet hier nicht Napoleons ungeheure Correspondenz , um sich daran zu leiten , welche bei andern Epochen uns fast sicher führt.
Inmitten
dieser Klagen , Anschuldigungen , Rechtfertigungen zwischen Napoleon und seinen Unterbefehlshabern , zwischen den Vertheidigern Ney's und Gourgaud's , zwischen Grouchy und Gérard , zwischen den Engländern und ihren Verbündeten , die sich über ihren Antheil am Siege streiten , wie die Andern sich ihren Theil an der Niederlage zuschieben , iſt militairiſche Beurtheilungskraft fast so nothwendig , wie auf dem Schlachtfelde.
Es
mußte also ein Schriftsteller sein , der einen Theil seines Lebens im Felde, in der Schule unserer besten Generale zugebracht hatte. Officier in Afrika seit 1841 ,
Als
Chef der arabischen Angelegenheiten,
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nachdem er sich im Gefechte von Djida ausgezeichnet hatte , sowie in der schönen Operation , welche das Chalifat Sidi - Embarek unterwarf, erfüllte der Verfaſſer die erste dieſer Bedingungen.
Sie reichte nicht
hin ; er mußte außerdem die Zweige der Verwaltung einer großen Armee gehandhabt haben.
Die Umstände gewährten dem Verfasser auch
diesen Vortheil, da er in der Eigenſchaft als Unterſtaatssekretair mitwirkte, die Armee auf Kriegsfuß zu ſehen und auf jedes Ereigniß vorzubereiten. Nachdem die Wahrheit bemerkt war , handelte es sich darum, zu wagen , sie auszusprechen. Hierzu war es nöthig , daß die Liebe zur Wahrheit und zu Frankreich ihn über alle gewöhnlichen Betrachtungen der Gefälligkeit , Lebenserfahrung oder Eitelkeit hinwegbrachte. Endlich und vor Allem mußte er von der Anbetung Napoleons frei sein. Jedem dieser Gesichtspunkte nach konnte die kritische Geschichte des Feldzugs von 1815 in keine bessern Hände , als die des Obersten Charras fallen. Ich habe seinem Werke zwei Einwürfe machen hören.
Der erste
ist eigenthümlich. Es ist der Gegenstand selbst , den man anficht. Warum, ſagen Einige, ein solches Unglück , wie das von Waterloo , erzählen ? Ist es nicht eine Pflicht , es in Vergessenheit zu begraben ? Ist es nicht Patriotismus , mit dem Dichter zu sagen : „ Nie wird sein Name meine Verse traurig machen " ? — Ich gestehe , daß ich einer ziemlich entge gengesezten Ansicht bin.
Ich denke , daß wir genug über dieſen Tag
geseufzt haben , um das Recht , seine Ursachen abzuhandeln und seinen Urheber zu suchen , erlangt zu haben. Es dünkt mich , als wäre die ganze Generation , der ich angehöre , durch fast gleiche Gründe zu einem ähnlichen Resultate geführt worden.
Ist es nicht ein Anzeichen von
Kraft bei einem Volke , seine größten Wunden zu sondiren ? Es ist wenigstens die nüßlichste Sache , wenn der Zeitpunkt gekommen ist , es mit Reife zu thun.
Es liegt ein großer Muth darin , seine Wunden
stoisch zu untersuchen , und Frankreich darf keiner Art des Muthes ermangeln.
Wer hat es je Thucydides vorgeworfen , daß er in zwei
Büchern das Unglück des Feldzugs auf Sicilien beschrieben hat , des Waterloo der Athener ? Der zweite Einwurf ist fast ebenso sonderbar. Man möchte , daß der Autor mit militairischen Details sparsamer gewesen wäre , daß er der Strategie weniger und der Politik mehr gewährt hätte. denn die Sache mit der Sache selbst beschnitten werden ?
Sollte
Die neue
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Seite dieser Geschichte , welche für einen soliden Geist geschaffen ist, iſt gerade die militairische. Hier gerade ist Alles in Zweifel , ausgenommen die unvergleichliche Tapferkeit der Kämpfer. Ist Napoleon für das Unglück der französischen Armee verantwortlich , ja oder nein ?
Das
ist die Frage : ein weiter , noch nicht erschöpfter , kaum bei uns angeregter Stoff. Ich sehe voraus , daß der Autor mehr als einmal versucht sein mußte , sich über das Maß in allgemeinen Betrachtungen über die 100 Tage zu verbreiten ; ich glaube, er würde wenig Anstrengung be durft haben , um sich diesem Triebe zu überlassen. daß er widerstand.
Ich lobe ihn dafür,
Er hat wohlgethan , sich vorzüglich an den Nerv
seines Gegenstandes zu halten , und das , was er an stoischer Energie und Schärfe im Geiſte beſißt , zu bewahren , um ihn gründlich zu behandeln.
Durch diese Zurückhaltung ist er dem Vorwurf entgangen,
eine Parteischrift verfaßt zu haben.
Selbst die , welche am meisten ge-
neigt wären , ihm dieſen Vorwurf zu machen , werden , wie ich glaube, genöthigt sein , anzuerkennen , daß die praktische Kenntniß der Thatsachen, die genaue Erforschung des Details , die Ansicht des Ganzen , die Kenntniß der großen Operationen , die geduldige Annäherung an die Wahrheit, schwerlich weiter gebracht werden können , und sie werden daraus schließen , daß der Verfaſſer ſich durch dieses Werk zum ersten Range unter den Militairſchriftstellern unserer Zeit erhoben hat. Ich habe alle Orte, von denen er redet , gesehen und wieder gesehen ; ich habe lange Entfernungen , über die man noch streitet , messen lassen ; ich habe ihn in keinem Punkte von Wichtigkeit auf einem Fehler ertappen können. Was die Genauigkeit in Auseinandersetzung der kriegeriſchen Details anlangt, so haben andere sie bereits bestätigt : „ Es ist das erste Mal , daß ich eine Schlacht beim Lesen verstehe " , sagte ein General , der mehre gewonnen hat. Man kann bestimmt behaupten, daß künftig Niemand über den Feldzug von 1815 handeln werde , ohne dieses Buch zu kennen und gründIch wünschte es zu zergliedern ; der Ueberfluß der
lich zu studiren.
Dinge hat mich daran gehindert.
Eine lebendige , farbenreiche , beredte,
fortreißende Darstellung läßt sich nicht kurz zusammenfassen.
Was ich vermag ist , an die entscheidenden Punkte dieſes Feldzugs anzuknüpfen, die Hauptfragen darzustellen , welche in ihm auftreten , sowie die verz schiedenen Lösungen , welche Zeit und Scharfsinn der Geschichtschreiber
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bei den am meisten betheiligten Völkern , den Franzosen , Engländern, Preußen , Holländern , Belgiern , gebracht haben. Ich würde Bedenken tragen , auf Punkte zurückzukommen , welche so eben mit unwidersprechlicher Ueberlegenheit gründlich untersucht und aufgeklärt sind , wenn ich nicht wüßte , daß ähnliche Werke sich vorbereiten und nicht zögern werden , zu erscheinen.
Frankreich , denke ich , will
nicht , kann nicht länger der großen Untersuchung fremd bleiben , die seit fast einem halben Jahrhundert in Europa über Ereignisse eröffnet ist , bei denen es doch auch betheiligt ist.
Ueberdies liegt in der Natur
unerschöpflicher Ereignisse selbst : ſie nehmen die Gestalt jedes der Geister an, welche sie erzählen. Der eingewurzelte Irrthum wird nicht mit einem Schlage zerstört ; es bedarf mehr als einer Anstrengung , um ihn wegzuschaffen.
Der beste Beweis des Verdienstes und der Lebenskraft eines Buches , wie das des Obersten Charras , wird immer der sein,
daß es, nicht einen unfruchtbaren Beifall , sondern andere Arbeiten hervorbringt , welche im selben Geiste der Hingebung für Frankreich und der Billigkeit gegen die übrige Welt unternommen werden *).
5.
Die Restauration von 1814.
Im Anfange von 1814 verwunderten sich die Franzosen noch darüber , daß sie besiegt waren ; sie suchten , wem sie die Verantwortlichkeit für ihre Niederlage zuwälzen könnten. Bald erschien das Haus Bourbon,
* Außer dem Hauptwerk von Oberst Charras sind die vorzüglichsten von mir benuzten : General Gourgaud , Feldzug von 1815 ; Paris 1820. - Napoleon, Memoiren zur Geschichte Frankreichs , 9r Band ; Paris 1830. Der Herzog von Elchingen, unveröffentlichte Dokumente über den Feldzug von 1815 ; Paris 1840.Correspondenz zwischen General Jomini und dem Herzog v. Elchingen ; December 1841. - General Gérard , einige Dokumente über die Schlacht von Waterloo, Lezte Bemerkungen ; Paris 1829.- General Jomini , politische und militairische Darstellung des Feldzugs von 1815 ; Paris 1839. -- v. Grouchy , Bemerkungen über die von General Gourgaud veröffentlichte Darstellung des Feldzugs von 1815 ; Paris 1829. - E. van Löben - Sels , Darstellung des Feldzugs von 1815 in den Niederlanden; Haag 1849. — v. Damitz , Geschichte des Feldzugs von 1815 ; Ber= lin 1837. - v. Clausewit, hinterlassene Werke, 8r Band ; Berlin 1835 . Carl v. Plotho , der Krieg des verbündeten Europa; Berlin 1818. Gurwood, Depeschen des Feldmarschalls Herzog v. Wellington , 12r Band ; London 1838. -W. Siborne, Geschichte des Krieges in Frankreich und Belgien 1815 ; London 1844. -General Rénard , die englischen Angaben , Brüſſel 1857.
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welches am meisten Vortheil von dem Unglück gehabt hatte , als der erste Mitschuldige. Nun konnte diese Dynastie sehen , welch' verderbliches und schwer zu behauptendes Geschenk das eines aus der Hand der Fremden erhaltenen Thrones sei.
In wenig Monaten hatte die Nation die Ent-
deckung gemacht , daß ihr hauptsächlichster Feind ihre eigene Regierung sei. Jeder fühlte schon , was ein auferlegter Frieden Unerträgliches habe. Die gehofft hatten , unter der Reſtauration wenigstens Ruhe zu finden, erstaunten , in Allem einen innern Krieg , das Fremde , andere Sitten, eine andere Zeit und fast eine andere Menschenrace zu finden , die man nicht mehr kannte.
Die Legitimität ihrerseits warf den Menschen der
Revolution die an ihre Erinnerungen und Interessen bewahrte Anhänglichkeit wie eine Felonie vor. Selbst die Aufrichtigkeit der Neigungen der Restauration war für sie eine Ursache der Schwäche. Keine Regierung hat so viel Rechtschaffenheit und Freimuth in ihrem Hasse gezeigt ; sie hat mit offenem Visir die neue Zeit bekämpft , daher entfernte sie sich am weitesten von dem politischen Geiste, der endlich überwog. Die Restauration hat stets das große Geheimniß unbeachtet gelassen , welches wir so gut begriffen haben , daß, indem man den Menschen unserer Tage Worte und den Schein gewährt, es möglich ist , ihnen die Sache zu nehmen , faſt ohne daß sie es bemerken. Der Charakter der legitimen Regierung bestand darin , daß sie den Worten , Farben , Kokarden , dem Flitterwerk , dem , was die Augen der Menge blendet , eben solche Wichtigkeit beilegte , wie den Angelegenheiten selbst.
Die geringste Concession der Sprache in diesen Punkten
war ihr verhaßt ; sie zog so alle Welt ins Vertrauen über den Abscheu, den sie den Wohlthaten der Revolution bewies.
Daraus ging hervor,
daß Alles zum Zeichen der Vereinigung gegen eine Dynastie wurde, welche mit der Kühnheit eines andern Zeitalters inmitten der Berech nung des unsrigen verfuhr. Wenn das Volk selbst sich hätte täuschen wollen , es wäre ihm nicht gelungen. Die Reſtauration , die ihren Sieg überall ankündigte , zeichnete ihn dem öffentlichen Haffe.
Die Regierung der Bourbons wagte jeden
Augenblickt ihre Existenz für das leere Vergnügen , ihre alten Gegner zu demüthigen. Sie setzte für eine Kokarde den Thron von Frankreich ein. Selbst die Nummern der Regimenter wurden diesen genommen , als ob man ihnen damit ihre Erinnerungen genommen hätte !
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Wie groß war der Einfluß der an Stelle der Revolutionsfahne gesezten weißen ! Das Volk , welches nicht lies't , urtheilt nach Zeichen, nach dem Scheine , und dann hatte eine gewisse Einfalt , welche der Grundzug des französischen Geistes war , es bis dahin gegen Spitzfindigkeiten bewahrt : die Nation brachte dieselbe Loyalität in den Kampf, wie ihre Regierung. Beide folgten nur ihren leichtgläubigen Neigungen, ohne einen Kunstgriff beizumengen. Da sie das Banner des alten Regimes aufgerichtet sahen , erblickten die Massen in der Einbildung bereits die Rückkehr der Zehnten , der Frohnen , der feudalen Rechte , des Adels und des Clerus , das heißt alles Deſſen , was man seit einem Vierteljahrhundert zu haſſen und zu fürchten gelernt hatte.
Im Gegentheil
erweckten die verpönten Farben in einem Augenzucken die entfernteſten Hoffnungen. Man muß in jener Zeit gelebt haben , um zu wissen , was die Erscheinung eines verborgenen und durch Zufall geretteten Fehens von Fahne auf die Menge hervorbrachte.
Schicksalsgunst , die Ehre,
glückliches Leben kehrten zurück , denn man hatte bereits das vergoſſene Blut vergessen. Was wäre es erst gewesen , wenn diese Fahne wunderbarerweise von der Insel Elba gebracht wäre ! So fühlte sich die Nation in kleinen Dingen ebenso verlegt , wie in den großen , und da für erstere nie die Gelegenheit fehlt , kam die Verlegung jeden Augenblick ; die Erregung wuchs sichtbar. Die Scham, die Erbitterung über die Niederlage , bei einem damals so stolzen Volke, welches Unglücksfälle , aber noch keine Erschlaffung erduldet hatte , die fortwährend drohende Gefahr , Alles zu verlieren , was man gerettet hatte , das Intereſſe , die Furcht , Alles , was den Geiſt einer Nation erregen kann , vereinigte sich nach und nach gegen die Regierung der Restauration ; Manche nannten sie bereits die Regierung der Invaſion. Mit seiner erstaunlichen Beweglichkeit hatte Paris schon vergessen , daß es die Farben des Feindes aufgespannt hatte , wenigstens bestrebte es fich, es vergessen zu machen. Unter solchen Umständen waren die Keime der Leidenschaften und des Hasses , welche diese Regierung durch die Hand der Nation selbst 1830 stürzen sollten , bereits gebildet. Als sie sich entwickelten , konnten diese Keime nicht verfehlen einen so schlecht verkitteten Bau zu zerstören, der , kaum begonnen , schon seinem Untergange zuneigte ; aber es konnte auch geschehen , daß dieser Untergang vor der Zeit durch die Wirkung eines einzigen Willens beschleunigt wurde.
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Wenn sich , bevor die Nation zum Losbruche bereit ist , ein Mann findet , der den neuen Leidenschaften zum Vereinigungspunkte dient , der in seinem Falle das Blendwerk der Wohlfahrt bewahrt hat ; wenn er mit dem Geschicke , das den Bourbons mangelt , sich mit den Zeichen, dem Schein , den Fahnen umgibt , welche sie verwarfen und so seine Sache mit der Frankreichs verschmilzt : so wird dieser Mann dem Werke der ganzen Nation um 15 Jahre zuvorkommen. Er komme , er zeige sich nur !
Ohne ein Unterpfand von ihm zu
fordern , werden Alle ihn sogleich wie eine Befreiung empfangen , weil es sich nur um eine Aenderung handelt. Der Groll wird sich einigen, ihm den Weg zu öffnen. Es wird nicht der naive Beifall eines Volkes sein , das nie betrogen wurde ! es wird das Schweigen eines Volkes ſein, das einen Rächer erwartet ; und da der Haß und nicht die Liebe das vorzugsweise Bewegende in der Handlung sein wird , so wird sich die Eintracht nur einen Augenblick zeigen.
Alle werden einig bleiben , bis
das auferlegte Regiment gestürzt sein wird ; der , welcher es zerstören soll, wird keine Hindernisse finden. Die Schwierigkeiten werden für ihn erſt wieder beginnen , wenn er wieder der Herr geworden sein wird . Unterdessen machten zu Wien die Kaiser von Rußland und Deſterreich , die Könige , Fürsten und Bevollmächtigten aller Staaten Europas unter Festen die neue Karte der Welt. England , welches am gierigsten war, machte sich auf allen Gestaden für seine Subsidien bezahlt , durch Malta , das Cap , Isle de France. Frankreich verlor seine Rheingrenzen ; es lag Preußen , Oesterreich und Bayern offen. Polen verschwand , obwohl man ihm den Namen ließ ; Italien wurde Desterreich , Sicilien Neapel zurückgegeben , die Spanier wurden mit gebundenen Händen Ferdinand VII. überliefert. Und bei diesem Aufgeben alles Rechtes war es das liberalste Volk , die Engländer , welches als seine Belohnung die Knechtschaft der Welt forderte.
Sie sezten durch die Leichtigkeit , ihre
Versprechungen zu vergeſſen , in Erstaunen. Ihr ganzer Haß zeigte sich , als man sie, die protestantische Macht , gebieterisch verlangen sah , daß Frankreich der weltlichen Gerichtsbarkeit des Katholicismus unterworfen werde , ohne eine Beimischung von Freiheit für die andern Bekenntnisse. Die Abneigung war an dem Tage aufrichtiger , als der Glaube.
Ein so großer
Wunsch , zu schaden und zu beleidigen , unter frommen Worten , ſette in Erstaunen , obwohl man darauf gefaßt war.
Uebrigens schien bei
diesem noch blutigen Frieden ein Punkt zu drohen. In den Wogen ver-
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borgen , schreckte die Insel Elba durch ihre Nachbarschaft. Einige ſuchten einen Verbannungsort , der von keinem Gestade zu sehen wäre ; sie hatten bereits den Namen St. Helena ausgesprochen.
6.
Rückkehr von Elba.
Busahakte.
„ Napoleon ist in Cannes am 1. März gelandet ! " Ich höre noch den Wiederhall dieser Worte im Ohr , als sie zum ersten Male vor mir ausgesprochen wurden.
Während einiger Tage blieben die Nachrichten
unterbrochen. Man wußte nicht , was man denken sollte , als man vernahm , daß der Kaiser zu Grenoble und fast alsbald zu Lyon , Maçon, Chalons war. Man fühlte ihn unsichtbar auf einige Stunden vorübergehen , wie einen Wirbelwind , der Alles mit ſich fortreißt. Abtheilungen, Bataillone , Regimenter , die man von ihm entfernen wollte , halten an, wenden um, wechseln die Kokarde und treten in seine Bahn ein. Es war eine unwiderstehliche , blinde Anziehungskraft ; zuerst Erstaunen , dann Blendung und dann Bewunderung nahmen uns fast Alle im selben Momente gefangen. Aber dieser Moment war kurz ; er dauerte so lange , als der wunderbare Marsch von Cannes nach Paris.
Sobald der Erfolg
gesichert war und man nicht mehr für das Unternehmen zu fürchten hatte, fiel die Täuschung ; die größten Enthuſiaſten gaben der Reflerion nach. Napoleon und Frankreich betrachteten sich von Angesicht und fanden sich verändert , wie wenn sie durch neue Generationen getrennt gewesen wären. Sie hatten Mühe , sich einander zu erkennen. Napoleon kehrte nicht als Der zurück , als welcher er abgereist war ; er hatte Großes in der Verbannung gelernt : sein Genie allein , unterstüzt von seiner außerordentlichen Kunst , reichte nicht aus , das Gewicht der Schwierigkeiten zu tragen. Um dieſen entgegen zu treten , bedurfte es der Mitwirkung , des Willens und der Thatkraft der französischen Nation. Kehrte er zurück zur Freiheit bekehrt ?
Es hieße zu leichtgläubig sein,
dies zu denken ; aber er hatte errathen , daß sie eine Macht sein kann ; unter diesem Titel willigte er ein , damit den Versuch zu machen. Wir aber hatten die Freiheit noch nicht gekostet , sondern als eine Hoffnung erblickt , und diese so neue Sache hatte uns schon durch ihren Schatten verführt. Es scheint nun , als hätte die Vereinigung zwischen dem alten Gebieter , welcher vorschlug , sich mit der Freiheit auszuföhnen, da sie ihm nüzlich werden konnte, und der Nation , welche sie ebenfalls
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wollte , weil sie dieselbe für das erste und nothwendigste der Güter , für das hielt , ohne welches alle andern nichts sind , leicht werden müſſen. Aber diese Vereinigung war im Gegentheil der unmöglich zu verwirklichende Punkt. Jeder sollte bald auf seine Kosten gewahren , daß es nichts Trüglicheres gibt , als die Natur der Dinge ändern zu wollen. Am Tage von Napoleons Rückkehr nach Paris glaubte Benjamin Constant , der ihn am Tage vorher angegriffen hatte , sich verloren. Ich weiß von Dem, welcher damals ihm eine Zuflucht verschaffte , daß Benjamin Conſtant dieſe nur mit ſeinem Leben endigen wollte ; bereits hatte er seine Vorbereitungen getroffen , überzeugt , daß er die Strafe nur um einige Stunden verfrühe. Eine Sendung befiehlt ihn in die Tuilerien. Er gehorcht nicht ohne Furcht. Napoleon empfängt ihn mit lächelnder Miene. „ Er wolle über Freiheit und Verfassung reden ; er wolle sich eröffnen. Zuerst wolle er ihm sagen , was er noch gegen Niemanden ausgesprochen, daß der Krieg unvermeidlich sei. Sodann , warum solle er der Freiheit entgegenstehen ? Er will sie , weil Frankreich glaubt sie zu wollen ; aber es hat nicht immer sie gewollt. "
Und im Bewußtsein , daß er sich an
einen Schriftsteller wende , ruft er die Freiheit der Presse an ; er ist in dieser Hinsicht vollkommen bekehrt. Sie zu untersagen wäre Thorheit. Im Uebrigen möge Benjamin Constant ihm seine Ideen , seine Ansichten vortragen ; er sei bereit , das Mögliche anzunehmen. Alles dieſes gemiſcht mit Lächeln und Schmeicheleien , wie sie die Herren der Welt haben. Diese Gespräche dauerten nicht weniger als zwei Stunden. Der Tribun zog sich zurück, geblendet von dem Vertrauen und der Verwandlung des Gebieters.
Er denkt nicht mehr an Sterben.
Von dieser Verblendung
sollte der Umschweif der Zusahakte ausgehen , ein unheilvolles Compromiß , welches zugleich die Freiheit und den Despoten verderben wird. War es wirklich für Napoleon cine Nothwendigkeit , sich 1815 mit der Freiheit auszusöhnen ? Mußte er es ? konnte er es ? Warum begnügte er sich nicht , anstatt die Kammern zuſammenzurufen , die Heere zu vereinigen ? Was konnte er durch Aenderung seiner Natur gewinnen ? Würde es ihm gelingen ? War es weise , die Freunde der Freiheit zur Stüße zu nehmen , nachdem er sie 15 Jahre in Verzweiflung getrieben hatte ?
Hieß es nicht Alles verderben , indem er der absoluten Macht
entsagte , welche bis dahin die Richtschnur seines Lebens gewesen war ? Jedesmal , wenn diese und ähnliche Fragen dem Geiſte Napoleons erſchienen , hat er , um darauf zu antworten, auf das verwiesen , was er
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das 10. Buch seiner Memoiren nennt , wo, wie er sagt , diese Materien gründlich und ausführlich abgehandelt wären ; aber dieses 10. Buch, welches das Geheimniß seiner Gedanken enthalten soll , wo ist es ? es eristirt nicht.
Napoleon hat nicht eine Zeile desselben geschrieben.
Um
zu erfahren , was es enthalten sollte , find wir auf unsere Vermuthungen 1allein hingewiesen. Heute , wo wir erfahren haben , wie sehr die Menſchen lieben , sich mit dem Scheine zufrieden zu stellen , wie sehr sie Worte der Wirklichkeit vorziehen , dürfen wir erstaunen , daß die von Napoleon unter dem Namen Zusahakte " ertheilte Verfassung von den Zeitgenossen so schlecht aufgenommen wurde. Es scheint , sie hätten dem aus solcher Ferne gekommenen Despoten für seine Conceſſionen Dank wissen sollen , da alle Worte, welche dazu dienen , die Menschen zu packen , in jeder Zeile der Zuſazakte verschwendet find. Einige Geschichtschreiber glauben , daß das Uebel aus gewissen Bestimmungen entstanden sei , welche leicht zu ändern gewesen wären. Hierin täuschen sie sich. Die Zusahakte hätte die vollkommenſte der Verfaſſungen ſein können , das Widerstreben des Publikums würde faſt dasselbe gewesen sein ; denn es pflanzte sich ohne Prüfung von Mund zu Mund fort ; der ärgste Gegner der bonapartischen Charte hatte keine Zeile derselben gelesen. Es war nicht das Werk , welches Zweifel und Argwohn einflößte : es war der Urheber. Von welcher Formel der Freiheit er auch Gebrauch gemacht hätte , die Ungläubigkeit wäre die gleiche geblieben , weil ein gewisser gesunder Sinn Allen sagte , daß der Despotismus sich nicht beffert. Je glänzender seine Versprechungen waren , um so weniger hätte man geglaubt , daß er sie halten werde.
Also nicht die Akte verlezte,
sondern der Mann , welcher nicht die Eigenschaft hatte, sie zu machen. Es war selbst wenig Fähigen sichtbar , daß der Gebieter von 1809, 1810 , 1811 fein milder König werden konnte.
Troß seines Willens
leuchtete diese Unmöglichkeit Aller Augen ein , so gut als ihm selbst. In der Freiheitscharte dachte man ein Werkzeug der Unterdrückung zu sehen, und dies benahm der Situation alle Kraft ; es konnte kein Princip der Energie und des öffentlichen Wohles daraus hervorgehen. Im Gegentheil schloß dieses Spiel , wenn es eines war , nur Gefahren ein. Wenn die Generation von 1815 , Enthusiasten für den großen Feldherrn , ernst und ungläubig gegen den bekehrten Gebieter blieb , wenn es ihm unmöglich war , sie durch den Schein zu blenden , wenn sie mit einem
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Scharfsinn , der uns wunderbar scheinen muß , den alten Despotismus unter den neuen Farben herausfand , so kommt dies , wie ich glaube, daher , daß diese lange der Freiheit entwöhnte Generation gierig danach war ; sie hatte den Instinkt deſſen bewahrt , was ihr am meisten gefehlt hatte.
Im Gegentheil verlieren Generationen , die von einer Freiheit
übersättigt sind , welche zu bewahren sie unfähig waren , mitunter in dieser Uebersättigung das Bewußtsein und selbst den Instinkt der klarſten Dinge. Dieſer Hervorruf der Freiheit , den alle Welt für illusorisch hielt, verlieh Napoleon keine wirkliche Kraft. Vom ersten Tage an hinderte er seine Schritte; in den folgenden mußte er seinen Fall beschleunigen. Was vermochte ein lügnerischer Aufruf an die Kräfte der Revolution ? Im lehten Augenblicke erinnerte sich Napoleon an die Conventsmänner , welche noch lebten ; er bat sie, aus der Dunkelheit zu treten , um die Meinung für einen Augenblick zu erregen. Ich sehe noch einen dieser Männer auf dieſe Aufforderung abreisen , um sich mit dem zu verbinden , was er die Principien nannte. Er war es , der Hoche zum Oberbefehl berufen und Frankreich das linke Rheinufer gegeben hatte. Was machte man mit den Fähigkeiten dieſes Mannes von gutem Willen ? Man steckte ihn in , ich weiß nicht welche Untiefe der Polizei , von wo er nur herauskam, um in der Verbannung zu sterben.
Ich führe dies Beispiel an , weil es
klar zeigt , wie wenig diese angebliche Umkehr zu den großen Trieben der Revolution gemacht war , die Maſſe mit fortzureißen. Gewiß ist es erstaunlich , daß ein so großer Geist , wie Napoleon, sich über den Vortheil , den er von der Freiheit ziehen konnte, täuſchte und nicht von vornherein bemerkte , daß der bloße Name ihm unheilvoll werden mußte.
Ich vermuthe , daß in dem geheimnißvollen 10. Buche
seine hauptsächlichste Entschuldigung dafür , daß er seine Natur beeinträchtigt , den Despotismus verworfen , den Arm des Kaisers entwaffnet, durch Geseze , Kammern , die Presse , persönliche Garanticen seine unumſchränkte Gewalt entnervt habe , die gewesen wäre , daß er nicht anders handeln konnte ; ohne Zweifel stüßte er sich auf dieses Gefühl der Unmöglichkeit , um bei der Nachwelt Vergebung dafür zu erbitten , daß er die unbeugſame Einheit seines Charakters und seines Lebens verleugnet hatte. Er glaubte an ein Erwachen der europäischen Freiheit ; er sah nicht , daß er auf alle Fälle nichts damit gemein haben konnte. Ihr Andenken wieder zu beleben hieß sich selbst verdammen. Die Auflehnung
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der Kammern zögerte nicht , ihm dies zu beweisen , weil er es noch nicht wußte ; denn die innern Ereignisse von 1815 haben gezeigt , daß es nicht so leicht sei , als man glauben könnte , sich mit der Freiheit zu versöhnen, nachdem man sie einmal bis zu diesem Punkte beleidigt hat. Man kann sie nicht wieder aufwecken , um sich ihrer zu bedienen , nachdem man ſelbſt sie begraben hat. Sie hat ein besseres Gedächtniß der Beleidigungen , als es scheint. Es ist also , wenn man sie zu Falle gebracht hat , das Klügste, sie bis zum Aeußersten zu verfolgen , bis man sie aus dem Andenken der Menschen vertilgt hat. Die Zeitgenossen sind einstimmig über die verfehlte Wirkung des Maifeldes.
Man hatte es auf den 1. Juni angesetzt.
Das Wort
selbst , welches dem alten Frankreich entlehnt war , diese falsche Nachahmung einer fränkischen Versammlung , das feudale Costüm , der mittelalterliche Mantel , welcher den Kaiser umgab , waren in vollem Mißklang mit dem Zustande der Geiſter und der Dinge ; es gab da nichts Ergreifendes , als die Regimenter der Garde , die in den Tod zogen. Der von Napoleon auf die Verfaſſung des Kaiserreichs geleistete Eid schien ein Eid auf den alten Despotismus ; es bedurfte nicht des Evangeliums zum Zeugen , daß der Gebieter sich selbst treu bleiben werde. Napoleon, der von den byzantinischen Zuthaten ermüdet war , mit welchen er sich umgeben hatte , warf heftig den kaiserlichen Mantel von sich. sich dem Rande der Erhöhung und zeigte den Krieger.
Er näherte
Die Truppen
erkannten ihn , sie grüßten ihn mit ihrem Zurufe inmitten eines großen Waffenlärms. Diese Aenderung der Scene gab allen Beiwohnenden das Gefühl der Lage zurück. Der Schleier fiel ; die Wahrheit erſchien drohend und schrecklich nach den Täuschungen des Fürsten und der Unterthanen.
Während sich so das Mißtrauen in Frankreich bereits bei einem Theile des Volkes zeigte , zögerte der Haß der Könige und der Häupter der fremden Regierungen keinen Augenblick , loszubrechen; ihre Völker waren ebenso ungeduldig als sie , den zu stürzen , der soeben wieder auf den Schild erhoben war.
Man nahm sich nicht mehr die Mühe , den
Angriff unter dem Scheine der Wiederherstellung der Freiheit zu verbergen. Diese Worte hatten ihre Macht verloren , seitdem die Siege und Versprechungen von 1814 nur dazu gedient hatten , überall das Joch derer noch drückender zu machen , welche zu befreien man sich rühmte ; aber wenn schon getäuscht , glaubten die Völker doch nicht , es zu ſein,
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und sie waren es auch nur halb , denn ſie wurden durch denselben Haß, dieselbe Begier der Wiedervergeltung , wie ihre Häupter , getrieben , und wenn nur diese Begier befriedigt wurde , forderten sie nichts weiter ; so blind ist der Wunsch nach Nache. Es einigte alſo eine Leidenschaft Könige und Völker ; sie ließ alle Ursachen der Mißstimmung zwischen ihnen vergessen. Denselben Unglauben , welchen Napoleon bei einem Theile der Franzosen fand , fand er bei den Fremden. Die Einen konnten nicht glauben , daß der Despot plötzlich ein Mann der Freiheit , die Andern , daß der Eroberer der Welt deren Friedebringer geworden sei. in
Die Könige fahen ihn schon
ihren Hauptstädten Vergeltung suchen ; überdies , wenn
er auch
aufrichtig in seinen Friedenserklärungen war , konnten sie ihm ihre lange Demüthigung , ihre Furcht , ihr Eril , ihr umherirrendes Königthum vergeben , darauf verzichten , Rache zu haben ? Man war von Leipzig und der Einnahme von Paris nur durch einige Monate getrennt ! Sollte man sich durch Ueberraschung die Sicherheit , den unverhofften Ruhm des vorhergehenden Jahres nehmen lassen ? Die Bewegung einer Million Männer , die ganze aus ihren Grundfesten gehobene Welt , der Einbruch in Frankreich , die Einnahme von Paris , die Deportation Napoleons nach einer Insel , sollten sich nur zum Ruhme Napoleons wenden , zur Schmach der fremden Könige und Mächte ! Hatte man schon vergessen, daß er besiegbar war ? Ohne weiter zu berathſchlagen , mit einmüthiger Zustimmung vereinigten Alle sich im gleichen Entschluß. Die Friedensvorschläge Napoleons werden nicht einmal gehört , seine Couriere an den Grenzen angehalten werden ; für die Völker ist Napoleon die Tyrannei , für die Könige die Usurpation , für Alle der Krieg.
Am
selben Tage , an dem die Nachricht seiner Landung bekannt wird , erhalten die russischen Garden den Befeht , den Marsch nach Paris wieder anzutreten. Das Gros der Armee ist noch 30 Märsche entfernt , aber die Desterreichs sammelt sich.
Die Engländer und Preußen cantonniren in
Belgien ; sie sind am ungeduldigſten. Linie.
800,000 Verbündete treten in
Die zwei unternehmendsten Generale, welche am meisten im Ver-
trauen der Monarchen sind , der Herzog von Wellington und der Marschall Blücher , berathen sich ; sie versprechen , spätestens in den ersten Tagen des Juli in Frankreich einzudringen.
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7. Feldzugsplan.
Militairischer Zustand von Frankreich.
Napoleon bewahrte lange das Geheimniß der Gefahr und des so sehr angesammelten Haſſes für sich. In seiner Umgebung glaubte man noch an die wiedererstehende Freundschaft Alexanders , an das Wohlwollen des Kaisers von Oesterreich , an die Rückkehr der whiggistischen Meinung in England und selbst an den guten Willen der Völker , als er bereits wußte, daß er alles Dieses nur durch einen zerschmetternden Schlag werde wiedererlangen können.
Um den Kreis zu brechen , welcher sich um ihn wiederhergestellt hatte , zeigten sich ihm zwei zu ergreifende Entſchlüſſe , und Napoleon hatte sie beide reiflich abgewogen , zur selben Zeit , als er aller Welt von den Wohlthaten des Friedens sprach. Er konnte Zeit gewinnen, vor Paris den Angriff der verbündeten Mächte erwarten ; man würde dann dem Feinde eine regelmäßige Armee von 300,000 Mann entgegen= stellen , die ganze Masse des Volkes würde unter die Waffen gerufen werden. Man würde einen Volkskrieg über das ganze Gebiet organisiren ; nach Maßgabe , daß der Feind auf dem geheiligten Boden vordränge , würde er angefallen , einzeln durch den Widerſtand jedes Fleckens, jedes Departements , jeder Provinz aufgerieben.
Wenn er ins Herz
des Landes gelangte , würde er eine wohlgebildete , von Napoleon befehligte Armee finden und man würde unzweifelhaft die freilich zahlreichen , aber durch die Anstrengungen von ganz Frankreich erschöpften Massen ohne Mühe aufreiben. Solches waren die Vortheile , welche dieser erstere Entſchluß darbot ; die Nachtheile desselben sind diese : jenes System hatte bei den Spaniern , den Ruſſen Erfolg gehabt ; würde es ebenso bei den Franzosen sein ? hatten sie den diesem Krieg der Vertheidigung eigenthümlichen Geist ? man mußte dann ohne Augenzucken die Invasion der Hälfte der Provinzen , Artois , Picardie , Burgund , Elsaß , Dauphiné , mit ansehen. Und wenn nun , anstatt den höchsten nationalen Enthuſiasmus hervorzubringen , die Besehung eines so großen Theils des Gebietes im Gegentheil Entmuthigung verbreitete ? Diese Schwierigkeiten gingen aus der Natur des französischen Geistes hervor. Andere lagen in der Situation und der Natur des Geistes Napoleons.
War er der Ergeben-
heit Frankreichs ſo ſicher , um es dem auszusehen , ſich zerriſſen zu ſehen, ohne daß es in Bewegung geriethe ? So lange er Krieg nach Außen
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führte , konnte er bis zu einem gewiſſen Punkte auf den öffentlichen Geist zählen ; wenn er aber das Gebiet verlezen ließe , würde man begreifen , daß er es freiwillig und nach einem Syſtem thäte ? Würde mán nicht im Voraus ihn für beſiegt halten , und wäre er dieses nicht in der That, wenn er nur einen Augenblick es glauben ließe ? Ein lehter Grund überwog alle andern.
Wenn er in einem Volkskriege die
Maſſen entfesselte , war er wohl sicher , sie unter seiner Abhängigkeit zu behalten , selbst wenn sie siegten ?
Hieß dies nicht , das Schicksal Frank-
reichs in die Hände Frankreichs legen ? Und von da an war nicht er der einzige Befreier , er verschwand in dem Siege des Volkes , er zerstörte so sein System sowohl wie die so schwer zurückeroberte Macht. Dieser Grund , in Verbindung mit den vorhergehenden , läßt keinen Zweifel über die Meinung , bei welcher Napoleon bei seinem Vertheidigungssystem beharren werde. Es gab ein Zweites , welches verschiedene Vortheile bot : den Feind nicht zu erwarten , ihm zuvorzukommen , ihn in seinen Cantonnirungen zerstreut zu überraschen , ihn durch einen wüthenden Angriff aus der Fassung zu bringen , dann alle seine Combinationen über den Haufen zu werfen. Man würde freilich Alles auf einen Tag sehen , auf eine große Schlacht , nach welcher die Frage entschieden sein würde , und man müßte nur mit den Kräften handeln , die man zur Hand hätte ; aber hatte man nicht neunzigmal von hundert die Aussicht , diese Schlacht zu gewinnen ? Sie würde die Parteien einigen , Frankreich elektriſiren ; sie würde zahllose Legionen der Erde entlocken ; sie würde die Coalition zertrümmern , das blutige Getümmel endigen , in welchem das Kaiserreith fast verschwunden wäre.
Und was wäre außerdem dem stürmischen
Geiste Frankreichs angemessener ?
So und nicht durch eine vom kleinen
Kriege gefolgte Erhebung in Maſſe war die Coalition bei Marengo, bei Austerlitz und Wagram gesprengt worden.
Man durfte also nicht
länger in der Wahl des Vertheidigungssystems zaudern. Napoleon wird bei dem stehen bleiben , welches er sein ganzes Leben hindurch ge= führt hat ; ihm verdankt er Ruhm und Thron , und das kaiserliche Frankreich sein Heil. Dieser Entschluß sezt voraus , es ist wahr , daß man bei den Vorbereitungen eine der Gefahr gleichkommende Energie entfalte, und ist dies möglich, wenn der Kaiser während des ersten Monats Frankreich verbirgt , daß der Krieg bevorstehe ? Wie soll die Nation übermenschliche Quinet, Feldzug von 1815.
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Anstrengungen machen , um sich auf den Krieg vorzubereiten , wenn die Regierung im März , April und selbst im Mai versichert , daß der Friede befestigt bleiben werde ? Im April befiehlt ein Dekret die Bildung von 3130 Bataillons Nationalgarde , welche 2,250,000 Mann betragen werden. Dies Defret macht einen tiefen Eindruck auf das Ausland.
Man sieht ganz Frankreich sich noch ein Mal gegen Europa er-
heben ; aber ob nun dieses Aufgebot in Masse unmöglich ins Leben zu sehen war , ob die Mittel zur Bewaffnung fehlten , oder ob dieser direkte Anruf an die Nation der Beschaffenheit des Kaiſerreichs zu ſehr widersprach : diese großen Maßnahmen wurden fast ebenso schnell aufgegeben als sie ausgeschrieben waren.
Es ist gewiß , daß während die Könige
des alten Europa sich vollkommen auf ihre Völker verließen und bei ihnen die Waffenerhebung als Landsturm ausriefen , Napoleon , der sich den Kaiser der Demokratie nannte , die Masse der Nation selbst nicht auf die Beine bringen wollte : er fürchtete , sie nicht mehr leiten zu können. Die 3130 Bataillone , die kurze Zeit für Europa ein Schreckbild waren, beschränkten sich im Mai auf die Mobiliſirung von 417 Bataillonen. Diese bildeten nur eine Reserve von 146,880 Nationalgarden , welche zur Vertheidigung der festen Plähe des Ostens bestimmt waren. Man weiß , in welchen unwiderstehlichen Massen die Franzosen sich 1793 und 1794 erhoben hatten. Etwas Aehnliches sah man 1813 in Preußen. Durch die Landwehr war die Armee in 4 Monaten um 150,000 Mann vermehrt worden * ).
Nach 1812 war die franzöſiſche
Armee in 7 Monaten um 200,000 Mann , nach Leipzig in 3 Monaten um 150,000 Mann vermehrt worden. 1815 nicht.
Man erreichte diese Zahlen
Die Stärke der Armee unter der Restauration betrug
155,000 Mann fürs Feld Verwendbare.
Die Linien - Armee war also
in 22 Monaten , welche Napoleon zur Vorbereitung für den äußersten Kampf hatte, nur um 43,000 Mann verstärkt.
Dieses Ergebniß ist
weit entfernt von den Angaben über die Lage , welche sich in den Aufzeichnungen von St. Helena finden ; es ist vor Allem weit entfernt von dem Außerordentlichen , was die französische Revolution leistete , als sie gezwungen war , Alles in einigen Tagen aus Nichts zu schaffen. Um von vornherein auf dieſen unvermeidlichen Vergleich zu antworten, versichert Napoleon , daß wenn die Revolution wie er von einer
*) C. v. Clausewitz , der Feldzug von 1815 ; S. 5.
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Million Menschen angegriffen worden wäre , sie wie er besiegt sein würde. Diese Annahme vernichtet sich selbst. Die französische Revolution konnte in keinem Falle eine Million Feinde gegen sich entfesseln ; sie hatte nur die Cabinette gegen sich aufgebracht , sie hatte nicht die Leidenschaften der Fürsten mit denen der Völker gegen sich vereinigt , welche jest aus sich heraus eine Sündfluth von Menschen hervorbrachten. War Napoleon seiner Aufgabe gewachsen ? Einige behaupten es mit Nachdruck.
Ich lese in dem neuesten Geschichtschreiber , daß „ bei
den Vorbereitungen Thätigkeit und Energie mangelten , denn die Hälfte der außerordentlichen Armee war unbekleidet , ein Drittheil ohne Waffen. Die Entblößung , die Scham , sogar die Furcht , vom Feinde nicht als Soldaten behandelt zu werden , vermehrten täglich die Deſertion. "
Und
man sage nicht , daß der Autor hier zu stark anklage ,, denn er führt unverwerfliche bisher wenig berücksichtigte Zeugen an , die Briefe von Süchet, die Situations - Etats von Rapp und Lecourbe.
Wenn es
zu schwer fällt , Napoleon über diese Thatsachen zu verurtheilen , so be= gnügen wir uns anzuerkennen , daß es Dinge gibt , welche für einen Einzigen unmöglich sind.
Wenn es gilt , die Zeit zu unterdrücken oder
zu ersehen, so ist dessen nur eine Nation fähig. Man wird in dem Werke , welches ich angeführt habe , lichtvolle Seiten, lesen , die von Thatsachen , Bemerkungen , Ansichten über Frankreichs Hilfsmittel und die Zusammensetzung der Armeen von 1815 er: füllt sind.
Diese Blätter sind eine reiche Fundgrube , aus welcher die
Geschichtschreiber öfters schöpfen werden.
Nie ist die Entzifferung der
verschiedenen Streitkräfte , welche miteinander gerungen haben , mit mehr Schärfe und Festigkeit erwogen worden.
Da ist ein bewährter Scharf-
blick erforderlich , um den Anschein von dem zu unterscheiden , was wirklich war , das , was geschehen ist , von dem, was hätte geleistet werden können so geschickt ist Napoleon zu zeigen , daß er nichts von dem unterlassen hat , was möglich war.
Inmitten dieser Zahlen sondern
sich bestimmt und kräftig die Bilder und Charaktere der Führer der Armee ab. Ich selbst werde , ohne auf eine künftig erschöpfte Darlegung einzugehen , mich auf ein kurzes Gemälde der auftretenden Kräfte beschränken.
36
8.
Busammensetzung und Stellung der französischen , englischen und preußischen Armeen.
Gegen welchen Theil der feindlichen Linie werden die ersten Stöße geführt werden ? Diese Frage war zum Voraus durch die Stellung der fremden Armeen entschieden. Napoleon wird alle die vernachlässigen, welche noch von den Grenzen entfernt sind ; er wird ihnen nur einen Vorhang entgegen sezen.
Rapp wird mit 20,000 Mann die ungeheure
Ostgrenze decken ; Süchet mit 16,000 Mann Lyon , Dauphiné und die Deboucheen der Alpen ; Brüne mit 6000 Provence und den Var ; Clauzel mit 4000 die Deboucheen der östlichen und westlichen Pyrenäen. Lecourbe wird den Oberrhein mit seinem Namen und den Erinnerungen seiner Alpenfeldzüge mehr decken als mit seiner Armee , denn er wird Desterreich nur 5000 Mann entgegenzustellen haben ; 25,000 Mann der besten Truppen werden Lamarque anvertraut werden , um die royalistischen Erhebungen der Vendeer zu ersticken : es wäre zu unflug , dieselben sich entwickeln zu lassen. Die Abwesenheit dieser 25,000 Mann, zum Theil Elite, wird eine tiefe Lücke in dem Vertheidigungssysteme lassen.
Vielleicht wäre ihre Dazwischenkunft in der Stunde der
Schlacht entscheidend ! Anstatt dieses Scheinbildes von Streitkräften , so führen mehre aus , wäre es besser gewesen , die Grenzen unbesezt , ohne einen Mann zu laſſen und Älles in der Operations - Armee zu vereinigen.
Dieses Urtheil ist ausschweifend und schlecht begründet , denn
diese mit großen Namen ausgestatteten schwachen Corps haben den Feind lange getäuscht , der ohne dieſe Vorsicht nicht verfehlt haben würde , sich schon am ersten Tage auf das französische Gebiet zu werfen. Die schwachen Divisionen von Rapp , Lecourbe , Süchet , Clauzel waren Spizen von Armeen , welche sich nach Maßgabe , daß die Aufgebote zu Stande kämen , bilden sollten , und wenn die Conscription das lieferte, was man von ihr erwartete. Sie gaben dem öffentlichen Geiste einen Stüßpunkt ab , sie verliehen den Bataillonen der Nationalgarde , welche sich mit ihnen in den festen Grenzplägen vereinigen sollten , Zuſammenhalt , und wie konnte man vernünftigerweise den 800,000 Feinden , welche ſich mit Gewaltmärschen in der Nichtung von Osten , Süden und Weſten gegen Frankreich wälzten , weniger als 49,000 Mann entgegenstellen ? Diese wenigen Leute müssen freilich außer Stande sein , den neuen Ein-
37 bruch der Barbaren *) zurückzuwerfen ; aber sie reichen hin , um deren Annäherung zu verzögern. Nachdem diese Maßregeln getroffen sind , entscheidet sich Napoleon, unversehens mit dem , was ihm an Streitkräften bleibt , sich auf die nächsten Armeen zu werfen : die englische und die preußische , beide in Belgien cantonnirend.
Sie gehörten den Völkern an , welche den Fran-
zosen den meiſten Haß bewiesen , ihnen 1814 das größte Uebel zugefügt hatten.
So brachten Glück oder Wahl des Oberhauptes die Franzosen
denen gegenüber , welchen auf dem Schlachtfelde zu begegnen sie am begierigsten waren. Die englische Armee in Belgien war 105,950 Mann stark **) mit Inbegriff von 9000 Mann hannoversche Reserve , die als Garniſon in Antwerpen und den flandrischen Städten gelassen waren. Man zählte dabei 82,062 Fußsoldaten , 14,482 Reiter , 8166 Artilleristen , 1240 Geniesoldaten.
Die Armee war in 2 Corps getheilt :
das erste von 40 Bataillonen und 23 Schwadronen unter dem Prinzen von Oranien ; das zweite von 38 Bataillonen und 12 Schwadronen unter dem General - Lieutenant Lord Hill.
Die Hauptreserve war an
Infanterie 23,748 Mann in der Hand des Herzogs von Wellington, an Reiterei 9913 Mann stark , " so gut wie es deren nur in der Welt gab ", unter Lord Urbridge.
Die unter die verschiedenen Corps ver-
theilte Artillerie bestand aus 196 Feuerschlünden. Mindestens die Hälfte dieser Armee bestand aus alten , im spanischen.
*) Barbaren ist hier offenbar nur , wie in der alten Welt, als Feinde zu verstehen ; der Geist des Werkes widerspricht der jezt darunter meist gemeinten Bedeutung. (Anmerkung des Ueberſeyers.) **) Man weicht sehr über die genaue Feststellung dieser Armee ab. Napoleon, gibt 104,200 Streiter an , Jomini 99,000 , v. Damit 100,000 , Oberst Charras 95,503 , van Löben - Sels 91,000. Die Ziffer , welche ich hier gcbe , wobei die hannover'sche Reserve mitbegriffen ist , die der Herzog v. Wellingten hätte an sich ziehen können , kommt derjenigen gleich , welche Oberst Charras im Einklange mit den Depeschen des Herzogs v. Wellington und den in den Archiven des nicderländischen Kriegsministeriums enthaltenen officiellen Dokumenten angibt. Es ist auch die Schäßung des englischen Geschichtschreibers Siborne. Was die so sehr geringere Zahl von 91,000 Mann bei van Löben- Sels betrifft , so kommt der Unterschied daher, daß dieser so genaue und gewissenhafte holländische Geschichtschreiber die Stärke der Artillerie, des Genie und des großen Parks nicht mitgerechnet hat ; übrigens benachrichtigt er so klar darüber , daß jeder Irrthum ausgeschloſſen ist.
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Kriege erprobten Truppen , und für diese eine unversöhnliche Disciplin, wie sie die Aristokratie aufzuerlegen versteht : keine Hoffnung , keine Möglichkeit der Beförderung für die Unterofficiere , welche , was sie auch thun mochten, für immer in den niedern Graden zurückgehalten wurden. Daher Kriege ohne Hoffnung , ohne Freude , ohne Belohnung , aber auch ohne Ehrgeiz und Verrechnung , für die Beſſern das Pflichtgefühl, für die Andern die Furcht vor Züchtigung die Stelle der Zukunft vertretend. Ein blinder Gehorsam knüpft diese Truppen an ihren FeldHerrn , dessen Temperament sie zu haben scheinen. Kalt , voll Verstand, umsichtig , ließ der Herzog v. Wellington niemals sich hinreißen , noch niederschlagen.
Da er niemals persönlich Napoleon gegenüber Krieg ge=
führt hatte , so hatte er , um sich so auszudrücken , nichts in seiner Schule gelernt.
Er führte den methodischen Krieg der Marlborough,
Prinz Eugen ; er brachte dahin die unerschütterliche Geduld einer alten Aristokratie mit. Nicht Alles in seiner Armee war gleichartig.
Man zählte darin
höchstens 32,700 Mann von englischer Abstammung ; die größere Zahl waren nach der Gewohnheit brittischer Armeen Ausländer. Die deutsche Legion lieferte 7500 Mann , Hannover 15,800 , Naſſau 7300 , Braunschweig 6700 Mann , welche durch den Herzog Friedrich Wilhelm geführt wurden.
Die Mehrzahl hatten ihre Treue auf Schlachtfeldern
besiegelt ; in Englands Solde hatten sie deſſen Geiſt mit gewiſſen taktischen Gewohnheiten angenommen , durch welche dessen Truppen sich noch von denen des Continents unterschieden. Eine andere Masse von Fremden bildete das Contingent Belgiens und Hollands , welche 30,000 Mann in die Linie brachten. Die eng lischen Geschichtschreiber haben gegen diese Verbündeten eine Härte ge= zeigt , welche an Undankbarkeit grenzt.
Als Antwort haben dieſe ihre
Todten genannt und aufgezählt * ). Diese Truppen oder wenigstens viele ihrer Officiere haben lange mit Ehren in der französischen Armee gedient , und wer weiß , ob nicht im entscheidenden Augenblicke sie sich dessen erinnern werden ? wer weiß , ob nicht das Andenken an so viel gemeinschaftlich erkämpfte Siege die Abneigung der lezten Jahre ersticken werde ? Der Anblick der alten Waffengefährten , wie der Fahne,
*) Siehe General Rénard , die englischen Angaben; van Löben - Sels 1854; an verschiedenem Orte.
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unter welcher man so oft gekämpft : werden sie nicht die alten Soldaten erschüttern ? Werden die Holländer und Belgier , welche Alles trennt, nicht die Unordnung des Krieges benüßen , um eine gestern geschlossene und bereits verhaßte Vereinigung zu zerbrechen ? Was den Einen als eine Gefahr erscheint , wird es nicht den Andern Befreiung dünken ? Das sind noch so viele zweifelhafte Dinge , welche erst die Ereignisse aufklären können. Uebrigens kommt die Voraussicht des Feldherrn diesen Beweggründen zur Besorgniß zuvor. Indem er im nämlichen Corps englische , holländische, belgische, hannoversche , sächſiſche Brigaden vereinigt und sie die Einen an der Seite der Andern kämpfen läßt , wird er verhindern , daß ein Racengeist vorherrsche , ausgenommen den englischen , welcher mit seiner starken Disciplin soviel verschiedene Elemente umfassen wird. Der große Name Oranien bürgt ihm für die Treue der Niederländer. Was die Andern angeht , so werden , wenn es noch Unsichere gibt , die Noth, die Gefahr , die Unmöglichkeit der Umkehr und vor Allem die reißende Schnelle des Angriffs sie bald entscheiden. Die Einheit , welche der englischen Armee abging , fand sich im höchsten Grade in der preußischen.
Da ist Alles deutsch in Sprache,
Herz und Leidenschaft. Diese Armee von 124,074 Streitern , welche in 4 Corps , das erste unter Ziethen , das zweite unter Pirch , das dritte unter Thielemann , das vierte unter Bülow , eingetheilt war , zählte 136 Bataillone , 129 Schwadronen , 312 Feuerschlünde. Man kann in dieser Eintheilung der Armee den Mangel einer allgemeinen Reſerve bemerken, wie wenn Alles an den Ungeſtüm des Angriffs und Nichts für das Hinhalten gegeben wäre. Es war dabei eine große Zahl mobiliſirter Nationalgarden , unter dem Namen Landwehr. Bei diesen Truppen , welche die Feldzüge von Leipzig und in Frankreich durchgemacht hatten , ging der düstere Enthusiasmus der Jahre 1813 und 1814 bis zur Wuth. Die Rache erſchien als eine Pflicht , denn ganz Deutschland hatte sie beauftragt , seine Schmach zu fühnen , und der Oberfeldherr , Feldmarschall Blücher , theilte die Leidenschaften der Soldaten ; er steigerte sie noch.
Seine 70 Jahre
hatten seine Hize in Nichts gemildert. Im Gegentheil , das Alter verdoppelte in ihm die Ungeduld nach Wiedervergeltung und nach Ruhm. Es würde schwer sein zu sagen , ob in ihm mehr Begeisterung für das deutsche Vaterland , oder mehr Haß gegen Frankreich lebte. Ich glaube
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jedoch , daß der Haß ihn antrieb. In allen Fällen war er dem Herzog von Wellington entgegengesetzt. Gewaltsam , zügellos , ohne Maß im Angriff, immer bereit seine Niederlagen in Siege zu verwandeln , hatte er sich auf den Schlachtfeldern von Lüzen , Baußen , Leipzig mit der Taktik Napoleons vertraut gemacht , dessen Anlauf , Raschheit und Ungeſtüm er wenigstens nachahmte , was ihm bei seinen Soldaten den Beinamen des Marschall Vorwärts verschaffte. Bei so entgegengesetzten Eigenschaften der beiden Oberbefehlshaber kann man voraussehen , daß sie miteinander in Widerspruch gerathen werden. Aus diesem tiefen Unterschiede werden Zwischenfälle hervorgehen, deren sich zu bemächtigen Napoleon nicht versäumen wird ; im Gegentheil aber , wenn sie einverstanden sind , wenn die gleiche Leidenschaft sie vereinigt, was wird nicht die Umsicht des Einen angespornt vom Ungeſtüm des Andern vermögen ! Also waren die beiden Armeen von Wellington und Blücher beschaffen. Napoleon stellte ihnen die folgende entgegen : am 10. Juli zählte die Nord - Armee in ihren Reihen 89,415 Fußsoldaten , 22,302 Reiter, 12,371 Artilleristen und Genietruppen , 3500 Mann in dem großen Park , im Ganzen 128,088 Mann und 346 Geſchüße.
Diese Armee
war in 5 Corps eingetheilt , das erste befehligt von Erlon , das zweite von Reille , das dritte von Vandamme , des vierte von Gérard , das lezte von Lobau. Außer der bei ihnen vertheilten Reiterei hatte man vier ReserveReitercorps gebildet unter Pajol , Ercelmans , Kellermann und Milhaud. Diese Masse von 103 Schwadronen oder 11,826 Reitern , fast sämmtlich Elitetruppen , wird unter dem Befehl des Marschalls Grouchy vereinigt. Die Garde zählte in Linie 12,941 Mann zu Fuß , 3689 Reiter, 52 Geschüße.
Dank der weisen Vertheilung seiner Kräfte hat sich Na-
poleon so eine Reserve von 30,000 Mann aufbewahrt , die er zu gelegener Zeit in die Wagschale werfen wird. Die Artillerie ist mit einer einfachen Ausrüstung versehen , denn die Pferde mangeln und man hat sogar Postpferde requiriren müſſen , um den großen Park zu beſpannen. Die jüngsten Soldaten datiren von Lüzen , die ältesten von Marengo , mehre Führer von Jemappes. Wenn man im Einzelnen die Leute , die Waffen, die Ausrüstung betrachtet , so ist dieses eine der schönsten Armeen , welche Frankreich besessen hat. Es hatte seit der Revolution , wo das Moralische aufgeregter war , nicht eine so bewundernswürdige Stimmung dafür ge-
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habt , welche durch ihr Uebermaß selbst eine Gefahr werden kann ; denn man hatte seit langer Zeit nicht ſo feurige , argwöhnische und raiſonnirende Truppen gesehen. Diese gaben sich ängstlich von allen befohlenen Bewegungen Rechenschaft , als wenn sie ebensowohl zu befehlen als zu gehorchen gehabt hätten.
Nachdem die Armee die Revolution von 1815 gemacht
hatte , blieb ihr das Temperament einer aufgeregten Menge zurück. Sie war Volk mehr als irgend eine andere. Unruhig , argwöhnisch bis zum Uebermaß wachte sie , weil sie allein das Kaiserreich wiederhergestellt hatte und dafür verantwortlich war , über dieses ihr Werk. Vor Allem erinnerte sie sich besiegt worden zu ſein , ohne das begreifen zu können . Sie hatte ihre Häupter mit einer unerhörten Geschwindigkeit in die entgegengesetzten Lager übergehen sehen , und was ſie ſich nicht zu crklären vermochte, nannte sie Verrath. Ein einziger Mann hatte das volle Vertrauen der Soldaten bewahrt : der Kaiser. Das Wunder der Rückkehr von Elba hatte den Zauber seiner Ädler noch vergrößert. Was alle Uebrigen betraf, so genügte der geringste Anschein , daß man Verdacht gegen sie hegte.
Die berühmtesten waren Soult , Ney,
Lobau. Einige fürchteten , daß der Herzog von Dalmatien , welcher seit Langem an eine Art militairischen Königthums gewöhnt gewesen war, welches er in der Ferne und ohne Aufsicht ausgeübt hatte , die Einzelnheiten des Generalſtabes nicht achten werde , welche früher der erprobten Geduld Berthiers überlassen waren. Und was würde geschehen , wenn, da Alle zu befehlen verstanden , Niemand sich um die pünktliche Uebermachung der Befehle bekümmerte ?
Die größten Operationen konnten
durch eine Vernachlässigung des Generalstabes in Gefahr kommen. Eine vergessene Depesche würde der Verlust Frankreichs sein. Man war übrigens sicher , daß kriegerische Charaktere , wie der Ney's, sich im Kanonenfeuer unverwundbar zeigen würden.
Die
Soldaten
grüßten ihn vertraulich mit dem Beinamen „ Rougeot ", wenn er die Reihen herunterkam ; sie vergaßen bei seinem Anblicke ihr Mißtrauen, fie fühlten sich unüberwindlich. Lobau und er hatten ihren alten Ruf zu bewahren , Vandamme den ſeinigen wiederherzustellen , Alle ihre Namen selbst zu retten , ohne von ihren im Voraus proscribirten Köpfen zu reden.
Kellermann , der während des Glückes vernachlässigt war , hatte
endlich Marengo abgebüßt , man hatte ihm verziehen , daß er einen Augenblick einen Ruhm getheilt hatte , welcher keinen Nebenbuhler haben durfte.
Im Mißgeschick erinnerte man sich seiner ; eine glückliche Gele-
1.
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genheit für einen solchen Mann, sich über der Ungerechtigkeit ſtehend zu zeigen und die letzte Stunde von Marengo zu wiederholen ! Seines Rufes ungeachtet hat er als einfacher Diviſionsgeneral nur ein kleines Corps von 8 Regimentern schwerer Reiterei zu führen ; aber er weiß , daß eine geringe Zahl mitunter hinreicht , um an einem großen Tage das Geschick zum Guten zu entscheiden. Andere , wie Marschall Grouchy , haben die noch neue Gunst zu rechtfertigen , deren Gegenstand sie waren ; endlich Andere , wie General Foy, General Gérard sind durch die Achtung der Armee wie durch Napoleons noch geheime Wahl dazu beſtimmt , die jungen Marschälle des Reichs zu werden ; aber das Gefühl des Vaterlandes am Rande des Abgrundes läßt kaum dem Ehrgeize einen Raum , welcher ihm in ruhmreichen oder gesicherten Zeiten gestattet ist.
9.
Belgien vom strategischen Gesichtspunkte aus.
Die engliſchen
und preußischen Cantonnirungen. Das Terrain , auf welchem die Armeen aufeinanderstoßen werden, theilt sich von selbst in drei Theile : im Norden zuſammenhängende , durch die Lys und die Schelde vertheidigte Ebenen , oder vielmehr ein weiter Strand , niedrige , leicht überschwemmte Landstrecken , und wenn man weiter vorgeht , gekrümmte Flüsse , Meeresarme, welche Holland zerstücken ; im Süden , auf der Rechten der Maas , ein bergiges , schwieriges , von Navins , Gehölzen durchschnittenes Land , das sich bis zu den Ardennen erhebt ; in der Mitte , angesichts Charleroi , Hochflächen , die anfangs eben , bald wellenförmig sind , welche die Sambre kaum deckt , und jenseits ihrer sumpfigen Ufer zahlreiche Straßen , welche sämmtlich nach Brüssel, der Hauptſtadt der Niederlande , zuſammenlaufen. Dieses zwischen Schelde und Maas gelegene Land ist fast immer die große Straße ge= wesen , welcher die Armeen in den Kriegen Ludwigs XIV. und der französischen Revolution folgten. Weder Natur noch Kunst sehen einem unternehmend Vordringenden ein Hinderniß entgegen. Ein entscheidender Grund wird Napoleon diese selben Stellen wählen lassen , um den Feldzug zu eröffnen. Die Cantonnirungen der englischen Armee beweisen , daß der Herzog von Wellington kein Vorgefühl der Pläne hat , welche ihn bedrohen ; sei es Mißachtung , sei es natürliche Anlage des Engländers , sich auf das
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Meer zu stüßen , und Besorgniß , von demselben getrennt zu werden : der Herzog von Wellington verlängert seine Cantonnirungen sehr weit gegen die Schelde. Von dieser Seite erwartet er den Feind ; durch dieſe Idee getäuscht , welche bei ihm lange Zeit dem offenbaren Gegentheil widerstehen wird , hat er seine Truppen auf der ungeheuern Linie von Nivelles über Mons , Ath , bis Oudenaarde zerstreut. Seine Reserve steht in der Umgegend von Brüssel , wo er sein Hauptquartier genommen hat. Es wird ihm unmöglich sein , seine Armee in weniger als vier Tagen zu versammeln. Blücher nimmt im Süden eine fast ebenso ausgedehnte Linie ein : von Charleroi über Namur , Ciney bis nach Lüttich. Sein Hauptquartier befindet sich zu Namur. Er wird 36 Stunden bedürfen , um seine vier Corps zu vereinigen. Die Ursache davon ist die Unmöglichkeit , ſeinen Truppen in einem kleineren Umkreise Unterhalt zu verschaffen , hervor gebracht durch die heimliche Feindseligkeit der Einwohner. Dieſes bildet die Entschuldigung des preußischen Generals. Was den englischen General angeht , so hat dieser nicht daran gedacht , sich zu rechtfertigen , aus Vergeßlichkeit , Geringſchäßung , oder weil in seinen Augen der Sieg Alles zugedeckt hat. Wie dem auch sei , es war für Napoleon eine große Versuchung, so über alles Maß verlängerte Linien zu durchbrechen. Es ist schwer, daß er nicht von den faſt ſichern Aussichten Nußen ziehe , welche ihm der Mangel an Voraussicht bei dem Feinde darbietet ; aber wo wird er diese lange Kette von Cantonnirungen durchbrechen ? Wenn er über Mons auf die äußerste Rechte der Engländer debouchirt , so wird er ohne Zweifel dieselben von dem Meere , ihrem Vaterlande , ihrem Zufluchtsorte abschneiden ; aber er wird sie auf die Preußen zurückwerfen und dergestalt nur die Vereinigung beschleunigen , welche er zu fürchten hat. Daſſelbe Resultat entsteht , wenn er die preußische Linke an der Maas angreift. Blücher würde auf Wellington zurückgeworfen werden ; die feindlichen Streitkräfte werden noch einmal , gleich beim Beginne des Feldzugs , ge= sammelt sein. Napoleon wird weder gegen die englische Rechte noch • gegen die preußische Linke debouchiren. Er wird sich zwischen die beiden Armeen stellen , in die Mitte der Linie , nämlich gegen die äußerste Rechte der preußischen Cantonnirungen. Dadurch werden der Herzog von Wellington und der Marschall Blücher von der ersten Stunde an getrennt sein. Die
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Gelegenheit und der Moment werden entscheiden , gegen welche der beiden Armeen die ersten Stöße zu führen sein werden. Wenn nur die beiden feindlichen Maſſen von Haus aus getheilt sind , so wird man gegen sie das so vielmal mit Erfolg gekrönte Manöver von Castiglione nacheinander wiederholen. Diese Bewegung wird die französische Armee von der andern Seite der Sambre auf die große Straße von Brüssel bringen ; man wird hier überall befreundete Bevölkerungen finden , die ohne Zweifel bereit sind , bei dem geringsten Erfolge sich auszusprechen.
Und dann,
etwas von guter Vorbedeutung ! beim ersten Schritte wird man auf Fleurus treffen , welches zwei Siege Ludwigs XIV. und der Republik aufzuweisen hat.
Sie werden beim Vorüberziehen die kaiserliche Armee
grüßen. So marschirt denn Napoleon mit 110,000 Mann gegen die englischholländische und preußische Armee , welche 220,000 Mann zählen. Ein Mann ficht gegen zwei. Hierin kann nichts eine von dem Besieger Europas geführte französische Armee in Erstaunen sezen ; aber der Feldherr wird vor Allem das Gleichgewicht zu Gunsten der geringeren Zahl herzustellen haben. Er wird nicht nur derselben Fruchtbarkeit der Gedanken (und Niemand zweifelt , daß er sie bewahrt habe) , sondern auch desselben Vertrauens auf sein Glück , desselben zermalmenden Feuers , es zu er greifen , derselben Divinationsgabe ,
das Geheimniß des Feindes zu
durchdringen , derselben plötzlichen Inspiration wie bei Arcole, Ulm und Regensburg bedürfen. Wenn Napoleon die hundert Siege zählt , von welchen umgeben er marschirt , wenn er sich dessen erinnert , was er bei Dresden und im vergangenen Jahre in dem Feldzuge in Frankreich gethan hat , so bringt er in Anschlag , daß seine Gegenwart bei der Armee 100,000 Mann aufwiegen werde ; vor Allem fühlt er einen gerechten Stolz gegenüber den beiden feindlichen Feldherren. Vielleicht sogar achtet er sie zu gering. Bei dem Wiederholen gegen Andere , daß Wellington ein General ohne Talent , Blücher ein Huſaren - Offizier ſei , gelangt er schließlich dahin, dies zur Hälfte zu glauben : welch' ein verderbenbringender Abhang , ſolch' eine große Neigung zum Mißachten ! Wenn man den Feind zu ſehr geringschäst, sich selbst zu sehr über ihn stellt , lauft man Gefahr , dessen Entwürfe nicht mehr zu bemerken. Schon beklagt er sich darüber , daß seine Unterfeldherren durch die Unfälle erschüttert worden seien ; aber hat er denn selbst keine Einbuße
45 durch sie erlitten ? ist er so sicher , noch das geblieben zu sein , was er war ? Einige behaupten (und unter ihnen General Lamarque und Oberst Charras) , daß der Feind in diesem Feldzuge nur noch einen Schatten , Napoleons vor sich habe. Prüfen wir von diesem Gesichtspunkte aus, indem wir uns das Vergnügen der Unparteilichkeit machen , die vier Tage , welche folgen sollen , weil der Feldzug nicht länger gedauert hat. Zählen wir die Stunden , die Minuten ; jeder Augenblick trägt das Schicksal Frankreichs in ſich. Wird man sagen , daß die Unfehlbarkeit des Führers einen Theil des nationalen Ruhmes ausmache , dann würde man Gözendienerei an Stelle der allgemeinen Vernunft ſezen. War denn der Ruhm der Römer, alle Fehler Cäsars zu heiligen ?
galt es denn , Dyrrhachium an die
Seite von Pharsalus zu sehen ? — Besteht der Ruhm Preußens darin, keinen Unterschied zwischen dem Feldzuge von Torgau und den andern Feldzügen Friedrichs zu machen? Die Alten , die Neuern : Cäsar , Friedrich, Napoleon selbst , haben das Gegentheil gedacht.
Zweiter Theil.
Ligny
1.
und Quatrebras.
Eröffnung des Feldzugs.
Uebergang über die Sambre.
Dem Gebrauche gemäß eröffnet eine Proklamation Napoleons den Feldzug. Alles , was eine Armee entflammen kann , ist in wenig Zeilen zuſammengedrängt : die Erbitterung über die Beleidigungen der Preußen, die Erinnerung an die englischen Pontons * ) . Und diese Worte wurden nicht allein an die Franzosen gerichtet , sie wurden es auch an die Belgier , die Holländer , die Hannoveraner , die Soldaten des Rheinbundes, an Alle , welche gezwungen , aus Trägheit oder durch freie Wahl die Reihen der Coalition verstärkt hatten.
Ein einziges Wort war ver-
gessen, dasjenige , mit welchem der Feind sich gegen uns bewaffnet hatte : die Freiheit ; aber wer vermochte sich darüber zu beschweren oder davon Vorurtheile in den Kopf setzen zu lassen , wenn man bei den lezten Worten anlangte : „ Für jeden Franzosen , der ein Herz hat , ist der "I Augenblick gekommen , zu ſiegen oder unterzugehen ! Zu einem verzweifelten Kampfe also muß man sich bereiten.
Da-
durch unterscheidet sich der Krieg von den früheren : es handelt sich nicht mehr um Ruhm oder Macht , sondern um das Wohl Aller. Am 14. Juni Abends war die französische Armee in fünf Corps eingetheilt , hinter der Sambre vereinigt , ohne daß der Feind es wußte. Sie kam in Eilmärſchen von Paris , Mezieres , Meß , Laôn , und be=
*) Die Engländer hatten französische Kriegsgefangene in Pontons gesperrt, wo fie grausam behandelt wurden. (Anmerkung des Uebersezers.)
47
fand sich in folgender Stellung : die Rechte (das vierte Corps unter General Gérard) vorwärts Philippeville , die Mitte , aus dem dritten Corps (Vandamme) , dem sechsten (Lobau) und der Garde gebildet, unter dem unmittelbaren Befehl Napoleons zu Beaumont, die Linke (das erste und zweite Corps unter Erlon und Reille) zu Ham für Eure und Solre für Sambre. Diese Concentration der Streitkräfte war bewirkt worden , ohne daß bei einer so großen Bewegung von Menschen und Sachen Denen eine Warnung zugegangen wäre , welche man überraschen wollte.
Um 22 Uhr Morgens soll sich die Armee , welche
sich in ihren Bivouaks ohne Feuer schweigend gehalten hat , in 3 Colonnen in Bewegung sehen.
Der Befehl zum Vorrücken ist voll Vorsichtsmaß-
regeln , welche in den lezten Kriegen ungewohnt waren.
Alles ist vor-
gesehen , um Verwirrung in dem Marsche dieser Colonnen zu vermeiden, welche ein zahlreiches Material mit sich führen *). Napoleon beabsichtigte die Sambre um Mittag zu überschreiten ; es war nach 3 Uhr , als der Uebergang durch Reille zu Marchiennes für Pont , durch Gérard zu Châtelet ausgeführt war.
Die Befehle waren
nichts destoweniger pünktlich vollzogen worden , mit Ausnahme deſſen, welcher General Vandamme vorschrieb , seine Bewegung um Morgens zu beginnen.
22 Uhr
Der Officier , welcher diesen Befehl überbringen
sollte , hatte bei einem Sturze mit dem Pferde das Bein gebrochen ; er war nicht ersetzt worden.
Vandamme war nur zufällig und spät
von dem , was er zu thun hatte , in Kenntniß geſeht.
Obwohl die
allgemeine Bewegung der Armee ihn hätte belehren können , verließ er die Bivouaks erst um 712 Uhr , indem er den Ungeduldigen den unerschütterlichen Entschluß entgegensezte , einen bestimmten Befehl abzuwarten. Uebrigens wird die Versäumniß des dritten Corps ohne üble Folgen bleiben , da die Garde es ersetzt , indem sie die Spite der Armee bildet. Voraus die leichte Reiterei Pajols , rückt das Centrum , fast ohne Widerſtand zu finden bis an die Vorſtädte von Charleroi vor.
Hier trifft
man auf einen Damm von 300 Schritten , welcher an die Brücke stößt, deren Ausgang paliſſadirt ist.
Die französische Reiterei hat nur einen
Augenblick vor den feindlichen hinter ſpaniſchen Reitern versteckten Tirailleurs angehalten.
Das schwäche Hinderniß ist bald durch die Sap-
peurs der Garde weggeräumt ; zu Mittag zogen die Franzosen in Charle-
*) Siehe das klassische Werk des General Düfour , Taktik, S. 18.
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roi ein, indem sie das preußische Regiment vor sich hertrieben , welches hier stand und sich hinter Gilly zurückzog. Die Colonne der Linken war nicht weniger glücklich gewesen , sie drang , das zweite Corps unter Reille an der Spiße , über Thuin auf Marchiennes vor.
Anfangs hatten die Vortruppen Ziethens sich zurückgezogen , aber in Thuin begann der Widerstand , welches westphälische Bataillone zu vertheidigen suchten. Ein Theil dieser Infanterie war durch die Sambre abgeschnitten und ergab sich ; der von den Unsrigen lebhaft verfolgte Rest machte sich über Dampremy los und marſchirte auf Fleurus , welches dem ganzen Corps Ziethens als Sammelpunkt gegeben war. Ein unheilvolles Ereigniß , in welchem manche ein ſchlimmes Vorzeichen erblickten , hatte die Colonne der Rechten einen Augenblick aufgehalten ; der Befehlshaber einer der Divisionen des vierten Corps, General von Bourmont , hatte sich mit seinem Stabschef und drei seiner Adjutanten den Vorposten genähert , wie um sie zu beobachten , hier aber seine Begleitung verabschiedet. In den ersten Stunden des Tages sah man ihn seine Truppen verlassen und in die Reihen des Feindes treten.
Er wurde vor Marschall Blücher geführt und man berichtet *),
daß , als Jemand darauf aufmerkſam machte , daß der französische General bereits die Kokarde gewechselt habe , der preußische Marschall mit rauhen Worten die Handlung als Soldat verdammte, von der er als Führer der Armee Nußen zog. Nach einem halben Jahrhundert , in dem wir Alles geehrt und gekrönt haben , was Erfolg hatte , iſt dieſer Abfall vielleicht der einzige , welcher keine Vertheidiger unter uns gefunden hat. Das Gerücht davon verbreitete sich alsbald im vierten Corps ; bei den Argwöhnischsten stieg das Mißtrauen.
Entrüstet und nicht wissend , auf
wen sie ihren Argwohn richten solle , rückte dieſe Colonne vor , ohne auf den Feind zu treffen ; da sie aber den längsten Weg zu machen hatte, erreichte sie zuletzt die Sambre , welche sie ohne Hinderniß Abends bei Châtelet überschritt. Napoleon befand sich zu Charleroi an der Spize des Winkels, deſſen eine Seite die englische , und dessen andere die preußische Linie bildete. Auf der Route von Charleroi nach Brüssel konnte er mitten in die Cantonnirungen des Herzogs von Wellington einbrechen ; auf
*) Siehe Siborne.
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der nach Fleurus in diejenigen des Marschalls Blücher.
Den ersten
Augenblick der Ueberraſchung benüßend , wird er ohne Zweifel die Theilung des Feindes vollenden ; das Resultat wird Zurückwerfen der Engländer gegen die Schelde , der Preußen gegen den Rhein sein.
Als letztere
auf den beiden Routen sich davon machten , war eine der Diviſionen Ziethens auf den Weg von Goſſelies gerathen ; sie befand sich dadurch von der übrigen Armee abgeschnitten. Napoleon läßt sie durch die Brigade Clary verfolgen , welche alsbald die leichte Reiterei der Garde unterſtüßen soll , der wieder ein Regiment der Diviſion Duhesme folgt. Der Rest der engagirten Truppen Ziethens , nämlich die zweite Diviſion , hatte sich , nachdem sie Charleroi verlaſſen , nach Fleurus hin zurückgezogen , welches der preußischen Armee als Sammelpunkt bezeichnet war; bald aber hielt diese Division an , als sie sah , daß sie nicht verfolgt wurde.
Um 2 Uhr hatte sie bei dem Dorfe Gilly , die Rechte
in der Abtei Soleilmont , die Linke gegen Châtelineau , nommen.
Stellung ge-
Durch diese sichere Haltung gab sie der preußischen Armee
Zeit , sich zu erkennen und zu sammeln .
Ueberdies lief die in der fal-
schen Richtung auf Gosselies verirrte erste Diviſion Gefahr , vernichtet zu werden , wenn das Hauptcorps , indem es anhielt , ihr nicht gestattete sich auf den Seitenwegen auf Gilly oder Fleurus zu werfen. In dieser Zwischenzeit hatte Marschall Grouchy mit einem Corps Dragoner sich rasch gegen Gilly gewendet.
Er glaubte die Truppen
Ziethens in vollem Rückzuge ; er findet sie in guter Stellung, zum Ge=` fechte bereit. unter sich.
Diese Kühnheit imponirt ihm ; auch hat er nur Reiterei Konnte er ohne einen Fußsoldaten ein von zahlreichen Ver-
hauen geschütztes Dorf überwältigen ? Er kehrt persönlich zu Napoleon zurück , berichtet , was er gesehen hat : Infanteriemaſſen ſind vorwärts der Gehölze von Lambüſart und Fleurus in Hinterhalt gelegt.
Vielleicht
ist in der Richtung , in zweiter Linie in den weiten Terrainfalten , welche hier den Horizont begrenzen , die ganze Schlachtordnung verborgen. Der Kaiser hat hierüber durch Augenschein zu entscheiden. Napoleon geht mit Grouchh ; er thut es etwas langsam , begleitet von 4 Dienstschwadronen , um selbst die Stellen zu rekognoſciren. Nicht die ganze preußische Armee , wie man anfangs glaubte , sondern nur 18,000 20,000 Mann sieht er vor sich. Er befiehlt , mit der Infanterie Vandammes anzugreifen , sobald sie da sein werde.
Dieses lange
erwartete Corps kommt wirklich zum Debouchiren ; aber es ist bereits Quinet, Feldzug von 1815.
4
50
fast 6 Uhr Abends.
Vandammes Colonnen gehen in Staffeln nach
der Rechten hin vor , um das Dorf Gilly einzuschließen. Der Angriff wird von 2 Dragonerbrigaden Ercelmans' unterſtüßt , welche bereit sind, die preußische Linke zu überflügeln und von der Seite anzugreifen. General Ziethen hatte Zeit gewonnen ; dies war das Einzige , was er wünschen konnte. Er zieht seine Truppen über Lambüsart gegen Fleurus zurück. Ein Bataillon wird gebrochen und fast ganz gefangen ; aber die Division seht ihren Rückzug fort , ohne ferner beschädigt zu werden.
Sie erreicht den Saum des Gehölzes vor Lambüſart , wo sie Ungeduldig über die Langsamkeit dieses
ihre Tirailleurs entwickelt.
Rückzugs und fühlend , daß die Zeit schon dränge , ſendet Napoleon , wie in einem äußersten Falle , seine Dienstschwadronen zum Angriffe. Bei dieser Charge erhielt sein Adjutant , General Letort , die Wunde, an der er den zweitfolgenden Tag starb. Kein franzöſiſcher Officier hatte mit mehr Entrüstung als er die Fremden 1814 als Herren Frankreichs ge= sehen. Von Solchen , welche ihn näher kannten , habe ich erfahren daß er mehr als einmal nahe daran war , vor russischen und preußischen BaEr repräsentirte Alles,
taillonen , die in Paris einzogen , loszubrechen. was an edelm Zorne in der Armee war. fich zu rächen oder zu sterben.
Niemand war ungeduldiger
Das Resultat dieſes ersten Tages war : der Uebergang über die Sambre , 1200-1500 Mann gefangen oder getödet , die beiden feindlichen Armeen getrennt , Alles was einen entſcheidenden Erfolg vorbereitet, und wenn man sich auf die Meinung der Fremden bezieht , so hätte es nur an Napoleon gelegen , sie in eine fast verzweifelte Lage zu bringen ; denn was sie in der nächsten Zeit nach 1815 nicht eingestanden , sprachen sie später aus. Durch Zeit und Erfahrung zur Wahrheit zurückgeführt, geben sie heute zu, daß der plötzliche Einbruch vom 15. sie außer Fassung brachte , daß der Beginn des Feldzugs für die Franzosen besonders glücklich war ; sie hatten nur noch mit Kraft das auszuführen , was mit Geschicklichkeit combinirt war.
In der That war von den 4 Corps
des Marschalls Blücher das Ziethens das einzige , welches sich vereinigen konnte ; am Morgen noch war es zerstreut , seine Vorposten hielten eine Linie von mehr als 16 Lieues , von Dinant bis Binche.
Ein Theil
ſeiner Truppen war während des Tages fast ganz abgeschnitten und erſt um 11 Uhr Abends concentrirte sich dies Corps zwiſchen Ligny und St. Amand, 5 oder 6 Lieues rückwärts der Linie , welche es am Morgen hielt.
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Das zweite Corps , Pirch , welches von Namür kam , hatté Mazy nicht überspringen können ; es befand sich also 2 Lieues von der Stellung Ziethens.
Thielmann verließ seine Cantonnirungen zu Ciney erst um
712 Uhr Morgens.
Er brachte die Nacht zu Namür zu , nämlich
5 Lieues weiter als Pirch. Das vierte preußische Corps , Bülow , war noch weniger im Stande , einem ersten und kräftigen Angriffe der Franzosen zu begegnen. Es sammelte sich zu Lüttich , fast 20 Lienes vom Schlachtfelde entfernt *). Die preußischen Corps schienen denn sich selbst den Schlägen Napoleons einzeln in den ersten Momenten darzubieten , wo sie keine Stüße von einander erwarten konnten ; hierzu bedurfte es aber , daß , nicht ein Augenblick verloren wurde. Die Preußen fragen heutzutage , warum der französische Feldherr sie habe zu Athem kommen , sich ohne Hinderniß von 11 Uhr Morgens bis 6 Uhr Abends zuſammenziehen lassen.
Es war
dies für Ziethen und die Division Pirch ein sehr schwieriger Moment. Die Gefahr für sie war gewiß. Sie wurde nicht benüßt. Warum ? War die Verspätung des Vandamme’ſchen Corps die Ursache ? Dieſe Entſchuldigung wird meistens angegeben ; aber genug andere Truppen hatten bei Charleroi die Sambre überschritten. Warum verwendete man nicht diese ? Vielleicht wollte Napoleon die Garde nicht gleich beim Eröffnen des Feldzugs ins Gefecht bringen ; aber er hatte das ganze Corps Lobau's, das sechste , zur Hand. Man sagt auch , Marschall Grouchh beschuldige Vandamme, seine Mitwirkung bei dem Angriffe von Fleurus verweigert zu haben. So beklagen sich bereits die Generale einer über den andern, bis der Feldherr sich über alle beklagt. Das Sicherste ist, daß Unentschlossenheit im Oberbefehl war , sobald Napoleon sich abwesend befand. Nichts geschah , wo er nicht war. Vielleicht hielt man auch die Preußen für zahlreicher und wollte den Feldzug nur unfehlbar eröffnen. Gewöhnlich finden Menschen , welche einer großen Gefahr entronnen find , ein Vergnügen darin , Alles aufzufüchen , was ihnen noch Schlimmeres hätte zustoßen können , und sie verschaffen sich so den Genuß der Sicherheit in der Gefahr. Dieſes ſieht man heutzutage bei den vornehmſten Geschichtschreibern jenes Feldzugs , Engländern wie Preußen. Sie fragen sich, was geschehen wäre , wenn Napoleon an dem Tage der Napoleon von 1807 oder 1809 gewesen wäre.
*) Siche Damiz , Clausewitz.
Wenn an dem Abend
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oder am folgenden Morgen auf die noch nicht gesammelten Corps von Ziethen und Pirch ein heftiger Angriff gerichtet wäre , so ist es , wie sie sagen , wahrscheinlich , daß dieſe Corps geſchlagen und vernichtet worden wären. Das von Thielmann , welches erst später von Namür ankam, hätte dasselbe Schicksal getheilt.
Die Trümmer der Armee hätten sich
in der Richtung auf Hannüt oder Lüttich zurückziehen müſſen , um die Vereinigung mit Bülow zu bewirken.
Dies wiederholen die fremden
Militairgeschichtschreiber ; sie entnehmen ein Motiv der Genugthuung allen diesen sie bedrohenden Uebeln , denen sie entgingen.
Durch die
Freude welche sie zeigen , bestätigen sie , was sie zu fürchten hatten. Ein eigenthümlicher Triumph ! Sie verschaffen sich das Schauſpiel ihrer eingebildeten Zerstörung und genießen nun mit Wolgefallen die Stunden des Aufschubs , welchen ihnen Napoleon an jenem 15. Juni gewährte, welcher ihrer Ansicht nach hätte entſcheidend sein können. Wir werden , ohne unsere Hoffnungen schon . an diesem Tage so weit zu treiben , als jene ihre Furcht , die Entschuldigungen wiederholen, welche über die Langsamkeit Napoleons gemacht sind . Seine Vertheidiger führen an , daß die Franzosen , welche von 2 Uhr Morgens , als sie ihre Bivouaks bei Solre für Sambre, Beaumont , Philippeville verließen, im Marsch waren , Ruhe und Nahrung bedurften. Nur die Spißen der Colonnen waren angesichts des Feindes , die Maſſen waren noch zurück. Während das zweite Corps (Reille) Goſſelies erreichte , war das erste (Erlon) noch zu Marchiennes.
Vandamme bivouakirte in dem Gehölze
von Fleurus , die Garde und Lobau zu Charleroi ; General Gérard hatte trot seiner Ungeduld nicht über Châtelet hinauskommen können , um das vorgeschobene preußische Corps im Rücken zu faſſen. Ohne Zweifel hat die Ausführung nicht ganz der Geschicklichkeit des ersten Planes entsprochen ; man findet in dem Angriffe jenseits der Sambre die Entschloſſenheit , den gewohnten Ungestüm des franzöſiſchen Feldherrn nicht wieder ; soll man aber eilig eine vielleicht nothwendige Klugheit verdammen ?
Das Auf-
treten war nicht der Vernichtungsschlag , den die Feinde befürchteten ; aber muß denn jeder Feldzug mit einem Triumphe beginnen ?
Geduld
ist auch eine kriegerische Tugend , und das Wunder wird später dafür, daß es auf sich warten ließ , mit um so größerer Gewalt auftreten. Die sich nähernde Nacht wird einen jener großen Entschlüſſe ſich bilden sehen, welche schon so viele Male die Welt in Erstaunen ſeßten. Die französischen Corps werden ihre Concentrirung vollenden , der Feldherr wird
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seinen Entschluß faſſen und bei Tagesanbruch mit gut geſammelten und ausgeruhten Truppen leicht durch einen raschen , unvorgesehenen Schlag die Langsamkeit des vorhergehenden Tages ausgleichen. Ferner muß man diese nicht wegzuleugnenden Verzögerungen den bei einem erſten Angriffe auf einer so ausgedehnten Linie , wie die von Marchiennes bis Châtelet, unvermeidlichen Zufällen beimessen ; vor Allem hat man dafür die Generale anzuklagen , Vandamme zuerst , der noch nicht sich von seinem Mißgeschicke bei Culm erholt hatte , Grouchy , der vielleicht für so große Commandos noch zu neu war , Reille und Erlon , welche kaum von dem Tage von Vittoria wiederhergestellt waren.
Die Einen haben sich vom
Feinde imponireh laſſen , die Andern ließen aus Mangel an Wachsamkeit ihre Colonnen sich zu sehr ausdehnen ; aber inmitten so vieler Verzögerungen , Vernachlässigungen ist ein Einziger unfehlbar geblieben , er ist nicht durch das Unglück berührt. Er wird die Fehler aller Uebrigen wieder gut machen.
2. Prüfung der dem Marschall Ney vom Beginn des Feldzugs an gemachten Vorwürfe. Marschall Ney erreichte zu Charleroi das Hauptquartier.
Er war
bis zum 11. in Unkenntniß deſſen , was sich vorbereitete , auf seinem Landgute des Coudraur geblieben , und wußte nicht einmal, ob er bei dem nahen Feldzuge ein Commando führen solle.
Die Zurückgezogen-
heit eines solchen Mannes auf das Land , fern von der Armee , verbarg die drohende Kriegsgefahr noch länger.
Erst am 11. benachrichtigt , kam
er schleunig an , mit einem einzigen Officier , ohne Ausrüstung , lange aus Mangel an Pferden aufgehalten. zwei von Marschall Mortier zu kaufen.
Zu Beaumont gelang es ihm, Es war immer bei Annähe-
rung des Feindes derselbe Michel Ney , unverwundbar , stolzen Wuchſes, mit dem Antlitz des ruhenden Löwen. Ganz bei der Sache , war Niemand der Hoffnung so zugänglich als er.
Er kam mit Ungeduld zu handeln ,
sicher , das Unheil oder die Vorwürfe der letzten Monate durch eine neue Heldenthat der Festigkeit und Kühnheit zu verdecken , welche ihn an einem Lage mit seinem alten Ruhme aussöhnen würde. Napoleon traf ihn , als er Charleroi verließ, auf der großen Straße gegen 412 Uhr.
Er empfängt ihn mit Freude , gibt ihm den Befehl
über die beiden ersten Corps (Erlon und Neille), denen er die leichte Reiterei
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von Piré und die schwere von Kellermann zufügt. Dies bildet ein Armeecorps von 48,000 Mann. " Geht und stoßt den Feind zurück ! " so endigt er seine kurze Instruktion , ohne vom Pferde zu steigen.
Der
Adjutant Heymès , der sich zu Pferd an des Marschalls Seite befand, hörte keine andere. Ney eilt, seine Truppen auf der großen Straße von Brüssel zu erreichen. Nach 3 Lieues trifft er zu Gosselies den General Reille mit 2. Divisionen ; eine Lieue weiter beſeßten die Diviſion Bachelu und die leichte Reiterei Frasnes ; das erste Corps , Erlon , ist aber noch zurück und die Division Girard auf der Rechten gegen Heppignies zur Verfol gung einer preußischen Division entsendet. Der auf Rekognoſcirung entsendete General Piré berichtet , daß Quatrebras von der Brigade des Prinzen von Sachsen- Weimar besetzt sei und die Armee des Herzogs von Wellington gegen diesen Punkt hin sich zusammenziehe. Es war 10 Uhr Abends , die Nacht schon tief; Marschall Ney läßt, durch die Dunkelheit aufgehalten , seine Truppen auf dem Terrain , welches sie innehaben , Stellung nehmen. Er ist kaum angekommen ; er kennt noch nicht die Stärke seiner Regimenter , die Namen ihrer Obersten , selbst die der Generale.
Er
hat erst den kleineren Theil seiner Truppen zur Hand ; die Nacht nöthigt ihn , zu halten , und schon in diesen ersten Momenten entstehen gegen ihn die härtesten Beschuldigungen , welche die öffentliche Meinung mit der größten Bereitwilligkeit angenommen hat und von denen dieselbe schwer abzubringen scheint , selbst wenn man den Augenschein für sich hat. Dennoch muß es hier versucht werden. Ich werde es kalt nach Art der Mathematiker thun.
Das Andenken eines Mannes wie Ney ist wohl
von Seiten der Leser eines Augenblickes der Aufmerksamkeit werth. Die Legende knüpft in der That an jenen Ort ein System von Fakten , welche alle Welt annimmt , ohne auf Prüfung der Wahrheit derselben einzugehen.
Besser als irgend jemand wußte Napoleon , daß
ein solches Unglück , wie das bei Waterloo , entferntere Ursachen habe. Er hat auch mit seinem fruchtbaren Geiste den Ursprung desselben in den Anfang des Feldzugs zurückverlegen wollen ; um jede andere Nachforschung kurz abzuschneiden bedurfte er eines großen Opfers , welches von der ersten Stunde an die Verantwortlichkeit und Bürde des Unheils trüge. Marschall Ney war dieses der leichtgläubigen Meinung zur Sühne hingeworfene Opfer.
Auf sein noch warmes Grab wurden Schlag auf
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Schlag die Beschuldigungen und Verdammungsurtheile von St. Helena geschleudert : fie dauern noch fort , sie lasten noch heute mit demselben Gewicht auf dem Urtheil der Mehrzahl. Man frage nur auf gut Glück Einen von uns über die Einleitung des Feldzugs und besonders über die ersten Schritte Marschall Ney's. Wir Alle haben unsere Ansicht empfangen ; wir Alle werden ohne Zögern erwidern , daß Ney bereits im Beginne die Angelegenheiten in Gefahr gebracht habe.
Er hielt das Schicksal Frankreichs in Händen und durch
seine Schuld hat er es verderbt. Hatte er nicht vom Kaiſer den beſtimmten, gebieterischen Befehl , am Abend des 15. , oder wenigstens am 16. mit Tagesanbruch die Stellung von Quatrebras einzunehmen ?
Dies war
der Schlüffel des ganzen Feldzugs : es war genug , zu gehorchen , um den Sieg zu sichern , aber mit von den Erinnerungen von 1814 und dem März 1815 verwirrtem Kopfe führte Marschall Ney den vorgeschriebenen Befehl nicht aus , als es von ihm in dem Augenblicke abhing, die englische Armee einzeln zu vernichten ,
ehe sie sich vereinigt hatte.
Er that nichts von Dem , was befohlen war ; zum Uebermaß der Verirrung hatte er , indem er eines seiner Armeecorps einen ganzen Tag lang hinter sich vergaß , von vornherein die Erfolge gelähmt , welche man von einem so lebhaften , so plößlichen , der Zeiten von Arcole und Lodi so würdigen Eintritte in den Feldzug erwarten konnte.
So die Legende,
wie wir sie gelehrig empfangen haben , wie die größte Zahl unserer Geschichtschreiber sie wiederholen. Erste Frage.
Prüfen wir sie einmal unparteiisch.
An welchem Tage hat Marschall Ney den Befehl
erhalten , Quatrebras zu besezen ?
Napoleon versichert in einem seiner
ersten Berichte , daß Ney am 15. , um 10 Uhr Morgens , sich zum Herrn davon hätte machen müſſen. Napoleon hatte alſo vergessen , daß der Marschall sein Commando erst um 5 Uhr Abends desselben Tages erhielt ?
Verlangte man von ihm , daß er eher Stellung nahm , als
er mit seiner Person bei der Armee angekommen war ?
Ein Beispiel
dieser Hast , anzuklagen , blindlings zu beschuldigen in dem ersten Groll der Niederlage !
Folgendes im Gegentheil hat sich zugetragen.
Ney war , nachdem er seinen Vorposten die größte Wachsamkeit empfohlen hatte , um Mitternacht von Frasnes nach Charleroi zum Kaiser zurückgekehrt.
Der Marschall theilt mit Napoleon das Abendessen. Beide berathen zusammen , während die Armee in ihren Bivouaks in tiefem Schlafe ruht.
Was ging in dieser nächtlichen Conferenz vor ? ist ein
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großer Entschluß aus dieſen feierlichen Stunden entstanden ?
Hat Ney
den lebhaften und entſchiedenen Antrieb mitgenommen , den er hier ſuchte ? Kein Zeuge wohnte diesem Gespräche bei , dennoch ist es nicht unmöglich, wenigstens das Hauptresultat desselben in den Erklärungen , den Briefen , welche ihm faſt unmittelbar folgten , zu erfaſſen. Feind auf der Straße von Brüssel errathen. Mannes der That verlangt er ,
Ney hat den
Mit dem Feuer eines
daß die Armee
ihm nachmarschire.
Gegen die Engländer müſſe man sich in Maſſe werfen , auf derselben Straße, welche er besichtigt hat.
Diese Armee ist die furchtbarere , der
auf sie geführte Schlag wird mehr widerhallen. Preußen auf der Rechten zurückzuhalten.
Es wird genügen , die
Diese Meinung hat Marſchall
Ney immer gehabt und man darf sie ihm auch in diesem Momente zuschreiben. nicht gefaßt.
Napoleon ist weniger ungeſtüm ; sein Entschluß ist noch Wenn er die Preußen trifft , will er ihnen die Schlacht
liefern ; aber er glaubt nicht , daß sie dieselbe zu erwarten wagen. Das Angemessenste wäre nach seiner Ansicht , daß er sich entschlöſſe , am folgenden Abend mit der Garde gegen Brüssel zu marſchiren , nachdem die Route auf Gemblour abgeſucht sei.
In dieser Ungewißheit kann
er unmöglich seiner Linken einen entscheidenden , unwiderruflichen Anstoß mitgetheilt haben, da er noch nicht weiß , was seine Rechte thun soll. Alles hängt von den Nachrichten ab , die man über die Preußen erhalten wird.
Marschall Ney verläßt den Kaiser am 16. , um 2 Uhr Morgens,
und begibt sich zu seinen Vorposten.
Um 7 Uhr sagt er in Gosselies
zu General Neille , er erwarte die versprochenen Befehle. Das Einzige , was man aus dieser Zuſammenkunft herleiten kann, ist also , daß der Entschluß des Kaisers noch nicht vollendet war ; er wird es erst am Morgen des 16. sein.
Napoleon instruirt nun Ney
durch eine Depesche von dem Plane, welcher in der lettern Hälfte der Nacht entstanden war. Er theilt seine Armee in zwei Flügel ; er gibt den linken Ney , den rechten Grouchy. Er behält unter seinem unmittelbaren Befehl eine mächtige Reserve , welche er nach Umständen gegen den Einen oder den Andern werfen wird.
In allem Dieſem handelt
es sich nur noch um das Hauptprincip des Feldzuges. Einen bestimmten Befehl , eine Bestimmung des Einzelnen anlangend , so ist der Name Quatrebras zum ersten Male in einer Ordre des Major-General vom 16. ausgesprochen : „ Der Kaiſer befiehlt , daß
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Sie das erste und zweite Corps in Marsch sezen , um sie gegen den Durchschnittspunkt der genannten Wege , Trois Bras , zu dirigiren. " Das ist ein förmlicher Befcht , aber es ist der erste derartige , den man entdecken konnte , und es handelt sich nicht darum , gesenkten Hauptes auf den Feind zu stürzen , oder gegen die Stellung , mit der man sich noch so wenig beschäftigt hat , daß selbst ihr Name unvollkommen ge= schrieben wird.
Es heißt nur , sich gegen Quatrebras zu dirigiren. Man wußte also , daß diese Stellung nicht von Ney besezt war , und bezeugt in Nichts das Erstaunen , die Unzufriedenheit , welche man später affectiren wird. Zweite Frage.
Weder Vorwürfe , noch Erstaunen , noch Eile. Zu welcher Stunde ist dieser entſcheidende Befehl
gegeben , zu welcher empfangen worden ? Napoleon nähert sich in seiner zweiten Darlegung der Wahrheit nicht mehr als in der ersten. „Marschall Ney" , sagt er, empfing in der Nacht den Befeht , sich Quatrebras' zu bemächtigen. Graf von Flahaut , Generaladjutant , überbrachte dieſen Befehl."
Durch diese Bezeichnung hatte man ein Mittel , sich über die
Genauigkeit des Berichtes zu vergewissern.
General von Flahaut, welcher
über diese Einzelheiten befragt wurde , antwortete , daß er jenen Befehl zu Charleroi nach dem Dictate des Kaisers zwischen 8 und 9 Uhr Morgens geschrieben habe.
Nun sind es von Charleroi bis Frasnes,
wo sich Marschall Neh befand , 4 « Lieues.
General Reille fah den
Grafen von Flahaut um 11 Uhr zu Gosselies durchkommen ; letterer hatte noch eine Lieue , um den Marschall zu erreichen. " Da sind wir denn ziemlich entfernt von den Berechnungen von St. Helena. Die erſte Ordre , sich gegen Quatrebras zu dirigiren , ist vom 16. und nicht vom Abend des 15.; sie ist am Morgen angelangt und nicht in der Nacht , gegen 11½ Uhr und nicht bei Tagesanbruch. Bei allem Diesem ist , um bei dem offenbaren Thatbestande anzulangen, keinerlei Beweisführung erforderlich. Die Daten , die Stunden , die Thatsachen reden von selbst. Aber, sagt man, er hat eine mündliche , ohne Zeugen gegebene Instruktion gehabt haben können , welche dem Marschall am Abend oder in der Nacht vom Kaiser direkt ertheilt wurde ; denn wie könnte man so schnell einer so leicht angenommenen Idee entsagen ? - Marschall Soult , der Major-General der Armee , der doch Kenntniß der wichtigen Bewegungen haben mußte , leugnet förmlich die Existenz dieſer Ordre.
58 Das macht nichts aus , man bleibt dabei , man beschuldigt ; man überhäuft Ney mit imaginairen Instruktionen , welche Niemand weder gesehen, noch gekannt , noch gehört hat.
Hierüber stelle ich die Frage, ob die
Kriegsgeschichte sich allen Regeln der Kritik entziehen darf, welche in den andern Gattungen der Geschichte durch die Wahrheit geboten sind. Kann es von einem Feldherrn abhängen , das Andenken eines seiner Unterfeldherren zu vernichten , indem er vorgibt , eine mündliche Inſtruktion ertheilt zu haben , während alle geschriebenen Ordres , alle bedeutenden Zeugen seiner Behauptung widersprechen ? In diesem Falle liegt die Ehre der Generale im Gutdünken des Chefs ; die Kriegsgeschichte ist dann nur eine der Nachwelt gegebene Anweisung , welche von Jahrhundert zu Jahrhundert wiederholt werden muß , ohne sie zu prüfen oder zu verstehen. Weiß man nicht , daß Napoleon nach dem Unglücke bei Culm nachträglich Befehle schmiedete , welche den wirklich von ihm gegebenen entgegengesezt waren ?
Was er nach Culm that , warum sollte er dies
nicht nach Waterloo thun ?
War das Bedürfniß jezt geringer , das
Mißgeschick einem Andern zuzuwälzen ? Weit gefehlt ! Man kann daher nicht mit geschlossenen Augen seine Erklärungen als die unbedingte Richtschnur der Wahrheit nehmen. Auch konnte Napoleon in seinem zweiten Berichte das nicht aufrecht erhalten , was er im ersten vorgegeben hat. Was bleibt denn nun dem Geschichtschreiber übrig , angesichts , nicht von Zeugnissen und Fakten , sondern von grundlosen Annahmen ?
Sobald
man sich außer der positiven Thatsachen stellt , genügen die Dinge nicht mehr. Um Annahmen zu widerſprechen , sind Raiſonnements nothwendig. Der Befehl ist nicht gegeben worden ; dies ist durch das Vorhergehende bewiesen.
Konnte er gegeben werden ?
Dies bleibt noch zu prüfen.
Bei dieser zweiten Art , die Frage zu stellen , ist Denen von Niemand widersprochen worden , welche die Schwierigkeit auf folgende Betrachtung zurückführten :
Napoleon befand sich , wie wir sagten , zu
Charleroi an der Spiße eines Dreiecks , deffen eine Seite die durch Quatrebas führende Straße von Charleroi nach Brüssel , deffen andere die Straße von Charleroi über Sombref nach Namür war. Die Grundlinie dieses Dreiecks war die Straße von Nivelles nach Namür , über Quatrebras; sie diente zur Verbindung zwischen dem Herzog von Wellington und Marschall Blücher : woraus man ersieht , daß , indem man Quatrebras
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einnahm , man die englische Armee verhinderte,, sich mit den Preußen * zu vereinigen , so wie man durch Beseßung Sombrefs die Preußen hinderte, sich mit den Engländern zu verbinden.
Um die Vereinigung
unmöglich zu machen , war es unumgänglich nothwendig , beide Passagen zugleich zu beseßen. Wenn die Linke der französischen Armee unter Ney sich nach Quatrebras geworfen hätte , ohne daß Sombref besezt wurde , so konnte sie durch die Engländer und Preußen gleichzeitig angefallen werden. Daffelbe war zu befürchten , wenn die französische Rechte vorgeschoben wurde, ohne daß den Engländern an dem Knotenpunkte der Straßen durch die Linke der Weg verlegt wurde : hieraus folgt unwiderleglich , daß die beiden Deboucheen zugleich besezt werden mußten , damit die Manöver der französischen Armee eine solide Grundlage hätten. Einzige , was Napoleons Verſtand annehmen konnte.
Dies ist das Hierdurch ergibt
sich ein neues Mittel , in das Geheimniß der nächtlichen Berathung Napoleons mit Marschall Ney einzudringen. Um zu erfahren , ob dieſem der Befehl gegeben wurde , bis Quatrebras vorzudringen , genügt es zu wiſſen , ob der Rechten der Befehl gegeben wurde , sich nach Sombref zu werfen. Da findet sich denn die so umgewandelte Frage abgeschlossen. Es reicht hierzu hin, folgende Erklärung anzuführen , welche , ich weiß nicht wie , den so klarsehenden Augen des Generals Jomini entgangen iſt. Die Antwort ist diese: „ Am 15. Abends blieb die Armee nicht zu Charleroi , es war unmöglich Sombref zu besezen.
Die Absicht Na-
poleons war , daß seine Avantgarde Fleurus beseßte , wobei sie ihre Truppen hinter den Gehölzen in der Nähe der Stadt verbarg.
Er
hütete sich , Sombref zu nehmen ; dies allein hätte alle seine Bewegungen ſcheitern laſſen. “ Wer sagt dieses ? -- Napoleon. Und man bemerke, daß es sich nicht allein um eine Thatsache , eine Einzelnheit handelt , welche leicht vergessen oder mit andern zusammengeworfen werden kann ;
es
handelt sich um den Schlüſſel zu des Kaiſers Operationen ſelbſt. „ Dies allein konnte alle seine Bewegungen scheitern lassen !" Welcher Zweifel ist nun noch übrig ?
Die Militairſchriftsteller führten die Frage darauf
zurück , zu wiſſen , welches Napoleons Absichten auf Sombref_waren. Er selbst gibt die Antwort ; er sagt , was er allein wiſſen konnte , seinen Plan , seine Absichten , seine in dieser Hinsicht überdachten Endzwecke.
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Man darf daher sagen , daß das Problem von Quatrebras *) , wie es von den vorzüglichsten Schriftstellern dieses Feldzuges aufgestellt wurde, mit geometrischer Schärfe gelöſ't sei , weil , nachdem die nothwendige Gleichzeitigkeit in Besetzung der beiden Punkte Quatrebras und Sombref hergestellt ist und Napoleon selbst erklärt , daß er letteres nicht habe nehmen wollen , sich daraus die eingebildete und falsche Annahme auflös't , daß er das andere habe nehmen wollen. Marschall Ney hätte, wenn er sich am Abend des 15. bis zu diesem Punkte vorschob , keinen Grund gehabt , sich von der Rechten mit einer analogen Bewegung unterſtüßt zu halten.
Hätte er es gethan , so hätte man ihn , und
nicht ohne Grund , der Verwegenheit beschuldigt ; die Gleichzeitigkeit der beiden Operationen war Napoleons Plänen so angemessen , daß es bei dem ersten Befehle , durch den er die Linke auf Quatrebras ſchiebt , zugleich sich darum handelt , die Rechte auf Sombref zu werfen , und umgekehrt. Die ſtrategiſche Raiſon ſchließt sich so dem Augenschein der Dokumente an und man sieht , wie die Militairſchriftsteller , welche diesen Namen verdienen , durch ihre ausgezeichnete Methode ein so zu sagen sicheres Mittel besigen , um die Wahrheit hervorquellen zu machen, wenn sie sich noch so sehr verbirgt.
Hören wir denn auf, die Aus-
legungen zu wiederholen , welche Napoleon selbst verworfen haben würde, wenn Zeit und Macht der Dinge ihm deren Falschheit enthüllt hätten, wie uns.
Belaſten wir nicht mehr so leichtfertig das Andenken Michel
Ney's ; hat er nicht die Fehler eines Andern theuer genug bezahlt ? mußte man ihn auch noch mit so vielen eingebildeten Ordres und Instruktionen zu Boden drücken ? Durfte auf ihn der Zorn über das besiegte Frankreich von St. Helena aus entladen werden ? Die Geschichte wird mit den nicht herausgegebenen Dokumenten, der Correspondenz Jominis , dem weiſen und unparteiiſchen Autor des holländischen Berichtes , Löben - Sels , dem Oberst Charras wiederholen, daß Ney bei Quatrebras das war , was er in seinen großen Tagen gewesen , daß er in der Verzweiflung eine übermenschliche Energie fand, daß er , weil sein Handeln dem Napoleons untergeordnet war , die wenn auch verzögerte Entscheidung des Feldherrn erwarten mußte , daß er hinderte , daß ein einziger Engländer zu den Preußen bei Ligny stieß,
*) Es handelt sich hier nur vom 15. und der Nacht vom 15. auf den 16. Juni.
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während dies die ganze Berechnung der feindlichen Armeen war , daß er also Napoleon Zeit verschaffte zu ſiegen und das Glück zu erfaſſen. Sind das Beweise von „ Geistesverwirrung " , wie der erste Bericht sagt ? Aber greifen wir nicht vor *).
3.
Verzögerungen des Herzogs von Wellington. preußischen Armee.
Concentration der
Napoleons Baudern.
Der Herzog von Wellington hatte unterdessen am 15. um 4 Uhr Nachmittags zu Brüssel das erste Lärmzeichen in einer Depesche Marschall Blüchers erhalten. Der englische General überredete sich irrthümlich , daß der Angriff der Franzosen die Engländer in der Nichtung von Mons bedrohe. Auf dieser Seite unbeſorgt , ändert er nichts in seinen Anordnungen.
Um 10 Uhr Abends zweite dringendere Depesche
Blüchers ; ´er gibt die Stärke der Franzosen an , wie den Uebergang über die Sambre an drei Stellen. Bei dieser Nachricht begnügt sich Wellington seinen Truppen den Befehl zum Zusammenziehen zu geben, die Linke (Divisionen Perponcher und Chaſſé) zu Nivelles , die Mitte (Divisionen Clinton und Colville) zu Grammont , die Rechte (Divisionen Stedmann und Anthing) zu Sotteghem , das braunschweigſche Contingent zu Vilvorde , die Reserve und die Division Picton zu Brüssel. Nachdem diese Vorsichtsmaßregeln getroffen sind , begibt sich der Herzog zum Ball der Herzogin von Richmond.
Da vergehen mehre Stunden inmitte
der Musik und des Tanzes , sei es , daß er nicht an einen so ungeſtümen Angriff auf einem einzigen Punkte glauben konnte , oder auch der Wunſch, eine affektirte oder wirkliche Sicherheit zu zeigen.
*) Ich habe früher gesagt, daß der Briefwechsel zwischen dem Herzog von Elchingen und dem General Jomini ein Muster der Kunſt ſei , die mathematiſche Methode bei Erforschung einer wichtigen Wahrheit in der Kriegsgeschichte anzuwenden. Als dieser Briefwechsel 1841 erſchien , erstaunte ich , daß General Jomini im Zweifel war , weil er annahm, daß Napoleon die Absicht hatte , Sombref am 15. Abends einzunehmen. Vom Gegentheil überzeugt , suchte ich den Beweis ; ich hatte keine Mühe, ihn zu finden , weil Napoleon selbst ihn geliefert hatte. Hierdurch begann ich meine Nachforschungen über den Feldzug von Waterloo. Ich bildete daraus eine Denkschrift , welche ich 1844 dem Herzog von Elchingen gab. Durch welchen Zufall ist die bestimmte Erklärung Napoleons , welche das so geschickt zwischen den beiden Urhebern des Briefwechsels verhandelte Problem endigte, ihnen
62 Um Mitternacht langt die Depesche des Generals Dörnberg an ; ſie meldet bestimmt , daß die Franzosen Mons liegen lassen , die Sambre überschreiten und in Maſſe auf ihrer äußersten Rechten debouchiren. Erst jezt macht das Feſt ernstlichen kriegerischen Anordnungen Plaz. Die englische Armee erhält Befehl , sich auf Quatrebras zuſammmenzuDie Division Alten soll sich von Braine la Leud gegen Nivelles, Cooke von Enghien nach Braine le Comte dirigiren ; die Diviſion die Divisionen Clinton und Colville von Ath , Grammont und Audenaarde
ziehen.
nach Enghien.
So verliert gleich am ersten Tage der Herzog v. Wellington , ohne zu wissen , wo er den Feind erwarten solle , 13 Stunden mit Zögern und thörichter Zurſchaustellung. Da er noch nie gegen Napoleon befehligt hatte , errieth er seinen Gegner in Nichts ; was ihn hinderte , sich früher zu entscheiden , war die zweifach falsche Idee , er werde vor den Preußen und auf seiner Rechten angegriffen werden. Man wird sehen, wie hartnäckig dieſe Idee bei ihm war , da sie sich noch in den einleitenden Maßregeln der Schlacht von Waterloo zeigt. Diese falsche Berechnung hatte mehre Folgen , von denen der Verlust von 13 Stunden nicht die bedauerlichste war ; die große Ueberlegenheit an Zahl gestattete aber den feindlichen Generalen , ungestraft Fehler zu begehen. Napoleon hingegen darf keinen einzigen begehen , ohne daß er ihm verderblich würde. Man sagt , daß Wellington troß so vieler Benachrichtigungen noch gezögert haben würde , sich aufzuraffen , wenn nicht der Herzog von Braunschweig , derselbe , welcher am folgenden Tage so ruhmvoll sterben sollte, ihn mitten im Ball seiner Ungewißheit entrissen hätte. Beim Anbruch des Tages , 24 Stunden nach der ersten Bewegung der Franzosen , verlassen endlich die Truppen um Brüssel ihre Cantonnirungen. Der um 8 Uhr Morgens abgegangene englische General geht seiner Armee nach Quatrebras voraus. In dieser Nacht , vom 15. zum 16. , hatte Napoleon sein Hauptquartier zu Charleroi , Blücher zu Sombref. Die Franzosen hatten am 15. beim Eintritte in den Feldzug ei-
entgangen ? Durch einen jener Zufälle, welche bewirken, daß die besten Kenner einer Sache bisweilen bei ihr eine wichtige und entscheidende Einzelheit vergessen. Der Herzog von Elchingen bedauerte beim Erblicken dieſer förmlichen Erklärung Napoleons , fie in seiner Correspondenz vergessen zu haben; er glaubte, daß General Jomini sich der mathematiſchen Evidenz ergeben haben würde. Oberst Charras gelangt auf anderm , nicht weniger ſicherm Wege zu gleichen Schlüſſen.
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nige Stunden verloren ; wie man gesehen , hat man schon daraus einen schweren Vorwurf gemacht, aber die Engländer haben durch ihre eigene Langſamkeit dafür gesorgt , die unsrige auszugleichen. auf unsere Seite.
Die Wage neigt noch
Der Tag des 16. beginnt und man ist in der Zeit
der längsten Tage des Jahrs. Die Sonne geht um 2½ Uhr auf. Dies ist der Monat der Schlachten. Napoleon weiß das besser , als ein Anderer.
Man wird an dieſem Tage die Wunder von Thätigkeit,
Wachsamkeit , Entſchiedenheit wieder ſehen , welche das Schicksal der glücklichen Feldzüge gestalteten. Bereits bieten sich zu seiner Rechten die von ihrer Hize fortgerissenen Preußen kühn seinen Schlägen dar. Sie ziehen ſich jenſeit Fleurus auf 2 Lieues von seinen Vorposten zuſammen. Weit entfernt ſich davonzumachen , wie er besorgen konnte , erwarten sie die Schlacht, rufen sie herbei und reizen dazu , allein , ohne ihre Verbündeten ; denn obwohl sie auf diese Mitwirkung rechnen, so ist es doch sicher , daß sie ihnen abgehen werde und man auf Neh zählen könne , um sie bei Quatrebras zu verhindern. Napoleon hat daher mit der Rechten der Armee einen ganzen Tag , um dieses unverhoffte Glück zu nüßen ; aber es muß ohne Schwanken wie eine Gunſt ergriffen werden , denn wer kann versichern , daß es wiederkehren werde und die englische und preußische Armee, deren ganzer Gedanke ihre Vereinigung ist , nicht schon am folgenden Tage dazu gelangen werden ? Es ist deshalb nothwendig, daß jede Stunde dieses Tages ausgefüllt werde , vor Allem daß die Schlacht beginne, sobald die Armeen sich gegenüberstehen können , endlich daß man Zeit habe , nicht nur zu ſiegen (denn daran zweifelt Niemand) ſondern auch alle Vortheile aus dem Siege zu ziehen.
Und dies wird
nur möglich sein unter der Bedingung , dem Feinde nicht die ersten Stunden der Nacht zu seiner Erholung , Sammlung , vielleicht zu seinem Entweichen zu laſſen. Zum Unglücke glaubt Napoleon noch nicht recht an so viel Kühnheit von Seite der Preußen.
Wie sollte er annehmen , daß sie allein
ihn herausfordern würden ? Dieſer Gedanke lag ihm so fern , daß er Eile unnüt hielt.
Eine andere unerklärliche Sache ist ,
daß er erst um
10 Uhr Morgens und ohne Beeilung sein Hauptquartier zu Charleroi verließ. Er ging nach Fleurus vor , um sich mit eigenen Augen über die Lage der Dinge aufzuklären.
Dieß war derselbe Augenblick , in welchem
Wellington auf den Höhen bei der Mühle von Büssy Blücher getroffen
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hatte.
Die beiden feindlichen Generale würden von hier Napoleon haben
sehen können , welcher seinerseits die Bewegungen zur Concentration der preußischen Armee beobachtete. Bis zu diesem Zeitpunkte hatte Wellington dabei beharrt , zu glauben , daß er allein bedroht ſei. Das Zeugniß seiner Augen , das Feld voller Feinde , die Stellung der französischen Massen konnten ihn erst überzeugen , daß der Sturm sich gegen die Preußen wendete , so sehr widersteht eine in den Geist eines Generals gedrungene erste Idee selbst dem Augenschein lange Zeit.
Es war
nicht mehr daran zu zweifeln , daß ein großer Angriff sich vorbereite ; Wellington verspricht dem Marschall Blücher die Mitwirkung der englischen Armee in der Schlacht , die nun unvermeidlich war.
Er sagt
seine Unterstützung auf 4 Uhr zu und kehrt zu seinen Truppen zurück. Ungeachtet einer so förmlichen Zusicherung hat man die Preußen getadelt , daß sie die Verwegenheit hatten , allein , noch ihres vierten Corps , Bülow , beraubt , welches weiter zurückgeblieben war , die Schlacht bei Ligny anzunehmen.
Um ihre Kühnheit zu entschuldigen , führen sie
an, daß sie sich von Sombref nicht hätten zurückziehen können , ohne auf ihre Operationslinie zu verzichten , etwas woran sie nur für den Fall einer Niederlage denken durften *) . Als sie in die Schlacht von Mont St. Jean zogen , hätten sie im Falle des Mißlingens keinen andern Rückzug als nach Holland gehabt.
Die Schlacht vorwärts von
Brüssel annehmen hieß , die Hauptstadt Belgiens bei der geringsten Schlappe Napoleon überliefern und seine Kräfte durch alle die des eroberten Landes vermehren.
Dies ist ein Theil der Gründe , welche sie
angeben, ohne von dem bestimmten Versprechen des Herzogs von Wellington an Blücher , ihm bei Ligny nach Ueberrennung des Ney'ſchen Corps zu Hilfe zu kommen , zu reden. Vielleicht muß man diesen Gründen hinzufügen , daß ein ungemäßigter Wunsch nach Ruhm , nachh Wiedervergeltung , nach Nache , die Ungeduld , sich allein mit Napoleon zu messen , ihm zuerst die Stirn zu bieten und vor Allem die Hoffnung, den Koloß zu stürzen , ohne mit Jemand die Ehre zu theilen , auch in Etwas bei dem Entſchluſſe des Marschalls Blücher mitwirkten. Diese Auseinanderseßung wird durch die von der preußischen Armee in den Feldern von Fleurus genommene Stellung bekräftigt ; Blüchers Gedanke zeigt sich hier offen , denn diese Stellung war nicht nur defensiv,
*) Man sehe Damiz.
65 sie war kühn offensiv.
Die feindliche Armee hätte, wenn sie nur an
Sicherung ihres Rückzugs dachte , bei Sombref und Boigne , quer über die große Straße von Namür , Sellung nehmen können : dadurch wäre ſie gesammelter geweſen ; aber die zahlreichen Reſultate , welche man verfolgte, brachten in diesen Plan eine große Aenderung. Es waren für die Preußen vorzüglich zwei wichtige Zwecke zu erreichen : erstens die Operationslinie auf Namür zu bewahren , und hierzu mußten Sombref und Tongrenelle auf der Linken besetzt werden ; zweitens den Engländern die Hand reichen , hierfür ist es nicht nur erforderlich die Mitte bei Ligny stark zu stüßen , sondern auch die Rechte gegen St. Amand und Wagnelée zu verlängern. Man muß sich an diese Dörfer klammern, welche man Fuß um Fuß vertheidigt , bis die unversehens auf dem Plateau von Bry erscheinenden Verbündeten den Tag entscheiden. Der eingeschnittene, aber zu überschreitende Bach von Ligny dehnt sich über die Front der Armee aus ; er tritt zu den Schwierigkeiten der Stellung hinzu , welche durch sechs Dörfer gedeckt ist , die mit ihren Häusern von Stein ebensoviele Bastionen bilden. Der einzige Mangel dieser Linie ist ihre außerordentliche Aus-´ dehnung von Tongrenelle nach Sombref , von hier nach Ligny , von Ligny nach St. Amand , und doch versichert man daß wenn das vierte preußische Corps angekommen wäre , es noch weiter auf der Rechten vorgeschoben worden wäre , um das Debouchiren der Engländer besser zu sichern und die Linke wie den Rücken der französischen Armee direkter zu bedrohen.
Dieſe verſchiedenen Zwecke sind gleich wichtig ; aber läuft
man nicht , wenn man zu viele Dinge auf einmal will , Gefahr keines zu erreichen ?
Und sollte diese ungeheuere fast kreisförmige Linie nicht
von einem Gegner wie Napoleon durchbrochen werden ? Es genügte für ihn die hölzerne Treppe einer Windmühle am Ausgange von Fleurus zu besteigen , um diese bis dahin ihm verborgen gebliebenen Menſchenmasſſen plößlich seinem Blicke zu zeigen. Er verbarg nicht sein Erstaunen über so viel Kühnheit , als er diese auf weiten Abhängen aufgestellten 80,000 Mann entdeckte. Keiner derselben entzog sich dem Blicke, mit Ausnahme unter den Gehölzen , mit denen die Dörfer umgeben sind. Was die Franzosen betrifft , so hatten sie das Glück , daß das Terrain , wo sie aufgestellt waren , weite Falten bildete in welchen ihre Reserven bis zu dem Augenblicke , wo sie zum Auftreten in der Handlung berufen würden , unversehrt gehalten werden könnten. Quinet, Feldzug von 1815.
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Die ganze feindliche Linie zeichnete sich mit der Klarheit einer topographischen Karte. Die spißen Glockenthürme von St. Amand , Wagnelée, Bry , Ligny zeigten sich weithin über das Blattwerk der Bäume und deuteten die Lage der Dörfer an , welche sich nicht ganz zeigten. Napoleon konnte keinen Zweifel mehr haben.
Nicht nur wagten
die Preußen ihn zu erwarten , sie hatten auch die Anmaßung ihn auf seiner Linken bei
St. Amand zu überflügeln und ihn wenn er an
dieſem Punkte im Geringsten wiche , zu umfassen.
Er erwartete , fie
vor sich auf der Straße von Namür zurückzutreiben ; er sieht sie in seiner Flanke entwickelt.
Er mußte seine Colonnen im Marsche an=
halten und plößlich seine Schlachtordnung ändern , was er durch eine große Frontveränderung der ganzen Armee , die Rechte vor , bewirkte. Die Drohung ihn von der Sambre abzuschneiden , durfte nicht verachtet werden ; sie nötigt ihn zur Beobachtung das Corps Lobau in der Richtung von Fleurus zurückzulaſſen.
4. Schlachtplan Napoleons.
Die weiten Ebenen Belgiens sind nirgends so einförmig daß sich nicht eine Anhöhe , ein Hügel , ein bewaldeter niedriger Berg hier und da erhöben , und die geringste Ungleichheit des Bodens verbirgt bei einer so flachen Oberfläche den Horizont.
Zwei Armeen von 80,000 Mann können sich einander entziehen und erst im Momente des Treffens bemerken.
Dies geschah hier. Diese selbe Bodenbeschaffenheit hat zu ähnlichen Ueberraschungen in faſt allen auf Belgiens Boden geführten Kriegen Anlaß gegeben. Keine Gegend ist geeigneter zu Hinterhalten als diese vom Meere verlassenen Flächen , wo man Alles zu sehen glaubt und die doch hinter einem Rande von einigen Fußen Menschenmaſſen verbergen können.
Der Marschall von Luremburg hat es bei Steen-
kerken erfahren. ' Cäſar iſt nur ein Mal überrascht worden ; es war an dem Tage wo er den Fuß auf die weit ausgehöhlten Ufer der Sambre sette. Am Ausgange von Fleurus auf der großen Straße nach Namür im Norden þreitet sich die Ebene in ungeheuern kaum gewellten Flächen aus. Ohne Hecken , ohne Gräben , ohne Mauern bildet das Land nur ein einziges von allen Seiten offenes Feld. Auf der Linken neigen zwei dieſer weiten Flächen sich glacisförmig gegen einander An der
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Stelle wo sie sich am meisten nähern , endigen sie an ihrer Basis nicht mit einem Ravin, sondern in einen weiten Grund in welchem der Lignybach fließt.
Dieser kleine Bach von 7-8 Fuß Breite bei 3 Fuß
Tiefe schlängelt sich so langſam dahin , daß man Mühe hat zu erkennen, wie er von Südwesten nach Nordosten fließt und seine Langsamkeit zeigt wie wenig fühlbar der Abfall dieser Stellen ist. Die beiden Armeen hatten auf den beiden Seiten dieſes ſchlammigen Baches einander gegenüber jede eine der großen geneigten Flächen besetzt . Heutzutage ist diese Ebene überall von Spalten und tiefen Schachten zur Gewinnung der Eisenerze durchlöcherk ; damals aber unterbrach keine Rauhheit dez Bodens die Gleichförmigkeit der Hänge, auf denen die Bataillone sich entwickeln konnten ohne ein
anderes Hinderniß zu
finden als das
Getraide , welches in voller Höhe stand und sie oft bis zum halben Leibe deckte. Die Front der preußischen Stellung in diesen ausgedehnten Becken war hauptsächlich durch drei Dörfer bezeichnet.
Zu ihrer Rechten am
Fuße der Höhenlinie St. Amand mit Backsteinmauern , welches drei Weiler bildet indem die Häuſer hier durch Wiesen , kleine Gehölze und unbedeutende Ravins getrennt sind , durch welche der Riz von St. Amand fließt.
In der Mitte eine Viertellieue weit in einer Terrainfalte das
Dorf Ligny , welches hauptsächlich aus zwei Straßen besteht , eine von der andern durch Felder , Verzäunungen und den Todtenhof getrennt. Diese langen , endlosen Straßen , welche zu jeder Jahreszeit dicker Koth bedeckt der den Durchgang erschwert , sind mit dicht aneinander liegenden Vor diesen Häusern Häusern von Stein mit Strohdächern beseßt. dehnen sich kleine ummauerte Höfe aus welche durch Kreneliren zu kleinen Forts werden können.
Dieses Dorf von Granit , welches damals
von einem Schloſſe flankirt war , muß offenbar das Haupthinderniß bilden ; aber der Lignybach deckt das Dorf nicht nach Seite der Franzosen hin : er durchschneidet nur den niedrigern Theil welcher gegen die preußische Armee zu liegt. Endlich beherrscht auf des Feindes äußerster Linken, ein wenig rückwärts auf dem Plateau , der große Flecken Sombref die Ebene und verbindet die preußische Armee kräftig mit der Straße nach Namür, ihrer Operationslinie. Dieses war um 10 Uhr Morgens die Stellung der feindlichen Armee.
Sie war , nach Napoleons Ausdruck, auf friſcher That ertappt
worden.
Was ging damals in seinem Geiſte vor ? wer wird jemals
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dieß wissen ?
Warum wartete er noch 5 Stunden bis er den Angriff begann , denn er entschied sich erst um 3 Uhr Nachmittags dazu ? Welche
gewichtigen Gründe nötigen ihn die Schlacht unmäßig zu verzögern, da er doch so sehr des ganzen Tages bedarf, um die Zerstörung der preußischen Armee zu vollenden ?
Er hat es verschmäht sich in diesem
Punkte zu entschuldigen wie bei so vielen andern , da er stets nur sich zu rechtfertigen suchte indem er anklagte und hier Niemand für die Verzögerung verantwortlich sein kann.
Wollte er dem Marschall Ney Zeit
geben die Engländer zu zerschmettern und mit ausholender Fauſt in den Rücken der Preußen zu fallen , indem er sich in der letzten Stunde zu ihm hinzöge , wie dieß dem Gedanken entspräche auf welchen Napoleon so oft in seinen Erläuterungen zur Schlacht bei Ligny zurückgekommen ist ? Aber diese Mitwirkung Ney's , welche so spät in Anspruch genommen wurde , konnte leicht illusorisch werden ; überdieß hatte Napoleon Alles in der Hand was er bedurfte um die entgegenstehenden Streitkräfte zu schlagen. Einige haben ausgesprochen daß er leidend war , Andere daß er ganz mit dem beschäftigt war was er das Benehmen der Jakobiner in Paris nannte , denn diesen Namen gab er der Freiheit , seit er eine Armee um sich hatte ;
Andere geben an daß die Freiheit , wenngleich
entfernt , ſein Genie lähmte.
Wie , dem auch sei , diese Verzögerung
wurde eine erste Ursache des Unterganges, und ich denke daß die beßte zu gebende Erklärung die sei , daß das Mißgeschick das Genie zaghaft und zaudernd macht , weil es zuerst den Menschen , auch den gewaltigſten, den Glauben an sich selbst benimmt. Nach Verlust dieses Glaubens, der nicht das Genie selbst aber doch dessen notwendiger Begleiter iſt, wird das Handeln schwieriger und langsamer. Es folgt dem Plane nur von Weitem ; wenn es anlangt ist es zu spät , um das Wunder zu vollenden. Napoleon ist selbst mehre Jahre später mit allem Diesem einver-
standen gewesen und hat sein Geheimniß offenbart indem er sagt *) : „" Es ist gewiß daß ich unter diesen Umständen nicht mehr das Gefühl des entscheidenden Erfolges in mir hatte. Es war nicht mehr mein Es ist sicher daß ich fühlte , es fehle mir Diese Erklärung ist die wahre , sie schließt alle andern ein.
früheres Vertrauen. . . . Etwas. "
*) Memorial von St. Helena, t. VII. , p. 162.
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Uebrigens hat er , wenn er am 16. Juni auch im Handeln zauderte, bei Fassung seines Angriffsplanes nicht gezaudert.
Nachdem er die
feindliche Stellung erkannt hatte , bestimmte er diesen Plan durch folgende Betrachtungen : wenn er die Preußen auf ihrer Linken angreife , werde er mehr Hindernisse finden ,
da man ungedeckt den Abhang bis zum
Dorfe Sombref überschreiten muß ; ferner wird man die Bewegung der Preußen gegen die Engländer hin und ihre Vereinigung nur beschleunigen. Auf die Rechte und die Mitte alſo muß man die Hauptschläge führen, wenngleich der Feind auf dieser Seite wolvorbereitet ist.
So wird man
die Vereinigung unmöglich machen ; man wird die besiegte Armee gegent die Maas zurückwerfen , in der ihren Verbündeten am meisten entgegengesezten Richtung. Die Handlung wird sich in der Terrainfalte von St. Amand und Ligny entscheiden die man beherrscht ; man wird dahin gelangen indem man hinabſteigt. Nach dem oben Gesagten kann man voraussehen welches der vorherrschende Charakter dieses Tages sein werde : Dorfangriffe , Straßenkämpfe , die mörderiſchſten aller kriegeriſchen Handlungen , Regimenter und Divisionen welche zusammenschmelzen und verschlungen von den engen Defileen der steinernen Häuser verschwinden , bis der Sieg dem bleiben wird welcher es verstand
eine Reserve zu bewahren und sie
zur richtigen Zeit in dieses Gemenge von Sterbenden und Todten zu werfen. Wer wird diese Reserve sich zu erhalten wissen ?
Das war die
ganze Frage. Auf preußischer Seite vertheidigen 40 Geſchüße zu Ligny , 32 zu St. Amand , 48 auf ihrer Linken , zu Mont Potriaur und Tongrenelle, den Zugang der Dörfer ; eine gleiche Geschützzahl wird ihnen von Seite der Franzosen antworten. Die Armeen werden , weiter zurück amphitheatralisch aufgestellt, nach und nach mit Brigaden´und Regimentern in die Dörfer hinabsteigen , wie zwei Ströme von Eisen , um die Todten zu ersehen und die Schlacht zu unterhalten. Und in diesen engen Straßen werden es nicht nur Kämpfe von Soldaten mit Soldaten unter der Fahne sein, nein es wird ein wilder Krieg von Volk gegen Volk , Race gegen Race sein, in Umzäunungen , Höfen und Hütten.
Jeder möge sich einen
Gegner suchen wie bei einem Zweikampfe auf Leben und Tod.
Kein
Pardon ; Niemand fordert ihn , Niemand gibt ihn. Keine andere Taktik als die am besten der Wut zusagt : die blanke Waffe , das Bayonnet,
70 sobald man sich erreichen kann.
Dieß sind die Instruktionen welche
die Soldaten selbst sich geben ; sie gehen von Glied zu Glied. Unter solchen Umständen wird die Reiterei schwerlich eine hervorragende Rolle spielen : auf beiden Seiten wohnt sie durch die Höhen maskirt dem sich unter ihr Ereignenden als Zuschauer bei. Wolken von Rauch ,
Durch die
aus denen die Flammen der Feuersbrunſt empor-
lecken , sucht sie zu erspähen auf welche Seite das Glück sich wende und je nachdem die Dörfer genommen oder verloren werden , stößt sie Zorn- oder Freudengeſchrei aus , auf den Augenblick der Kriſis harrend um sich in die Ebene zu stürzen und die Besiegten vollends zu zerschmettern. Aber die Reiterei wirkt ,
wenn auch unbeweglich , durch die von
ihr eingenommenen Stellungen doch mit großem Nachdruck auf den Ausgang des Tages ein , ohne selbst zu kämpfen. Marschall Blücher hat auf seiner Rechten gegen St. Amand 48 Schwadronen angehäuft ; hierdurch zeigt er klar seine Absicht die französische Linke zu umfassen und Ein so offen gezeigter Plan wird schwerlich gelingen. Napoleon thut ganz das Gegentheil. Er hat seine Reiterei, 57 Schwadronen , auf der entgegengesezten Seite , auf seiner Rechten in Masse geschlossen , angesichts von Tongrenelle und Sombref , wo er gegen die Sambre zu stürzen.
keine Absicht hat etwas Ernstliches zu unternehmen. Diese Anhäufung von Reiterei ist geschehen um den Feind zu täuschen. Dieser glaubt daß auf der Seite ihn eine große Anstrengung bedrohe , er hält dort unnüßerweiſe das ganze dritte preußische Corps , von Thielmann , zurück ; aber die Stelle wo Napoleon die preußische Armee durchbrechen will ist gerade die, wo er weder Reiterei noch Reserven zeigt. Die Truppen welche den letzten Stoß führen sollen , werden den ganzen Tag fern vom Schlachtfelde gegen Fleurus zurückbehalten ; sie werden erst im letzten Momente aufbrechen und sich zeigen ; dann werden sie die Linke verlassen um sich plöglich auf die Mitte zu stürzen. Ihre Bewegung wird so reißend sein daß sie alle Voraussicht des Marschalls Blücher täuschen wird. Er wird ohne Zweifel , durch diese Demonstrationen hintergangen , seine leßten Reserven auf seiner Rechten gegen St. Amand geworfen haben : das wird der Moment sein ihn über den Haufen zu werfen indem man die Mitte bei Ligny durchbricht. Napoleon zeigt Gérard von fern den Thurm dieſes Dorfes : das ſei der entscheidende Punkt , welchen zu nehmen er ihm aufgibt.
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Dieses ist der Gedanke der Schlacht bei dem franzöſiſchen Feldherrn. Diese Dispositionen haben meines Wissens keine Kritik gefunden. In der Art wie Napoleon während des größten Theils der Handlung seine Absicht verbirgt haben seine entschiedensten Gegner den Kaiser erfannt.
5. Schlacht bei Ligny. Um 2½ Uhr läßt Vandamme die Division Lefol gegen St. Amand vorrücken , die von Berthezène folgt ihr. Man berichtet daß die Unſrigen fingend vordrangen *) .
Ihr Feuer ist so groß daß die Preußen über
den Haufen geworfen werden. Zwei Regimenter Verſtärkung eilen zu ihrer Unterſtüßung herbei , sie werden ebenso geworfen. In diesen ersten Augenblicken hat die preußische Division Steinmetz schon 46 Officiere und 2300 Soldaten verloren ; aber sowie die Franzosen auf der andern Seite von St. Amand am Anfange des Ravins debouchiren wollen, werden sie von den Batterieen Ziethens zerschmettert und genötigt in ihre Zufluchtsorte zurückzukehren.
An ihrer äußersten Linken greift die
Division Girard das Dorf an ; sie geht in Colonnen gegen das Ende der preußischen Linie vor.
Marschall Blücher wirft ihr die Diviſion
von Pirch II. entgegen. Dieser gelingt es nur bis zur Mitte des Dorfes vorzudringen ; sie weicht den Truppen Girards. Blücher führt sie ins Feuer zurück. Er galopirt vor den Bataillonen ; man hört ihn wütend schreien : "! Vorwärts , im Namen Gottes ! " Er führt die Seinigen in das Dorf zurück.
Vandamme , welcher in Gefahr kommt übermannt
zu werden , erhält Colberts Lanciers und eine Diviſion der jungen Garde zur Verstärkung.
Neuer Sturm der Franzosen auf Front und zwei
Seiten des Dorses.
Colberts Lanciers fallen über die Batterieen her ;
sie werden durch die Dragoner der Königin angegriffen.
Zu gleicher
Zeit debouchiren von den Höhen von Wagnelée 9 preußische Bataillone und 3 Reiterbrigaden. Unsere im Getraide versteckten Tirailleurs halten fie auf und werfen sie zurück. Die große Zahl gestattet indessen den Preußen ihre erschöpften Truppen aus dem Feuer zurückzuziehen , welche sie durch andere erseßen. Auf unserer Seite dagegen gibt es keine Ruhe für irgend Jemand. Die-
Vaulabelle.
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selben Brigaden welche den Angriff begonnen haben , ſehen ihn fort und vollenden ihn.
Zerriſſen und aufgelöſ't bleiben sie in erster Linie.
Die Truppen von Pirch II. welche sich gegen Vandamme erſchöpft haben, bilden sich wieder außerhalb des Feuers hinter Bry.
Ihre Stelle wird
durch eine frische Truppe von 3 Regimentern Infanterie und der Reiterei von Jürgaß eingenommen.
Schon haben sich 39 preußische Ba-
taillone nach St. Amand geworfen und abgenutzt.
Unserseits bleibt die
Division Girard , welche den vorspringenden Punkt des Angriffs auf der äußersten Linken hält , in erster Linie gegen einen sich stets erneuernden Feind.
In diesem ungleichen Kampfe hat die Division ihren
Führer, General Girard , verloren , der von einer Kugel in dem Augenblicke erreicht wird , wo er zum dritten Male jenseits des Ravins debouchirt.
Die zwei Brigadegenerale sind verwundet und außer Gefecht
gesezt. Ein Oberst befehligt , Tiburce Sebaſtiani. Ein Drittheil dieſer Division bedecken mit ihren Leibern die rauchenden Trümmer des Dorses ; aber General Girard hinterläßt sterbend seinen Soldaten seinen unbesieg= baren Charakter.
Er fällt , doch sein Geist bleibt zurück.
Zur selben Zeit war in der Mitte das Dorf Ligny von 3 CoLonnen angegriffen worden.
Die Preußen sahen hier im Rauch eine
tiefe Masse sich von denen ihnen gegenüberliegenden Höhen herabbewegen. Dieß ist das 4. franzöſiſche Corps unter Gérard.
Die Seite des Dorfes
welche sich ihm darbietet , zeigt nur eine lange Linie die wie eine Mauer aneinanderhängt und crenelirt ist.
Der Zugang derselben ist schwieriger
als bei St. Amand. Außerdem sind zwei preußische Batterieen an den beiden Enden der langen Straße aufgestellt , die man im Rücken nehmen muß.
Die Unsrigen dringen hauptsächlich durch die beſondern Eingängé
jedes Hauses in das Dorf.
Es sind hier nicht wie bei St. Amand
weite offene Räume in die man in Masse eindringen kann und von wo die Preußen und Franzosen sich wechselweise herauswerfen. Zu Ligny haben die Preußen mehr Stüßpunkte , um in jedem eingeſchloſſenen Plaze zu widerstehen und einmal Herren eines Theils des Dorfes bleiben ſie es länger. Bei einem Blutbade von 3 Stunden vermag das Auge nicht der Schlacht ins Innere der Höfe , folgen.
Schoppen und Gemäuer zu
Unter dem Krachen des Musketenfeuers , den verdoppelten Art-
schlägen auf die Thüren, dem Klirren der Bayonette , mit Geschrei, Verwünschungen und ſelbſt kurzem Schweigen untermischt , wie bei einer
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mit Sturm genommenen Citadelle , muß man den Wechselfällen des Gefechts folgen und erraten wer der Sieger , wer der Besiegte sei. Gérard hat schon zwei Angriffe auf die beiden Enden und die Mitte des Dorfes versucht.
Vier Bataillone der Division Henckel ver-
Lassen ihre Zufluchtsorte und zeigen sich an allen Deboucheen ; sie rufen ihre Reserven heran , es gelingt ihnen sich wie in einer großen Festung zu halten.
Gérard erneuert seine Stürme und richtet jezt seinen Haupt-
angriff gegen die Mitte und das niedrigste Ende von Ligny , welches er mit seiner Rechten zu umgehen droht.
Die Haubizen haben das
alte Schloß in Brand gesteckt , welcher sich reißend auf den ſich nahestehenden Strohdächern fortpflanzt , aber die starken Mauern von Granit widerstehen den Flammen.
Unsere im Korn versteckten Tirailleure drin
gen bis zu den Hecken , in die Gärten , den Hinterthüren der Häuſer vor ; sie dringen hinein , die Preußen ziehen sich in das Innere zurück. Nachdem sie einmal ins Erdgeschoß der Gemäuer eingedrungen ſind , haben die Soldaten Zeit sich Leib an Leib anzufallen bis die Dächer und die obern Stockwerke sie im Herabstürzen begraben.
Während der Kampf
sich dem Blicke entzieht, faſſen die Batterien auf den Höhen von beiden Seiten schräg die herabsteigenden Massen , welche sich den Kämpfenden anschließen wollen , die das Innere der brennenden Straßen verbirgt. , Ein ungeheuerer Rauch steigt vom Schlosse von Ligny auf , das zusammenstürzt ; die Flamme der Strohdächer stralt immer lebhafter auf die Häupter der Kämpfenden. Die Preußen haben den vorgeschobenen Theil des Dorfes wiedergenommen ; die Division Jagow unterstützt die von Henckel. suchen zu debouchiren.
Beide ver-
Am Ausgange stoßen sie auf die in Massen ge-
schlossenen französischen Bataillone.
Alle machen Halt , da sie auf dieſem
engen Raume sich nicht entwickeln können : die Colonnenspißen greifen sich an und beschießen sich in größter Nähe ; aber die Preußen hören das Feuer in ihrem Rücken , sie wenden sich ; von vorn beschossen , im Rücken Kartätschfeuer , brechen sie ab und entfernen sich.
Die Franzosen
bemächtigen sich des Kirchhofs und stellen daſelbſt 2 Geſchüße auf. Der preußische General Krafft erhält Befehl das Dorf wieder zu nehmen.
Artillerieverstärkung geht ihm voran ; die achte Division , von
Langen , marschirt mit ihm.
Sechsmal wiederholt das 21. preußische
Regiment seine Angriffe , alle werden zurückgewiesen ; die Franzosen bleiben Herren von dem , was rechts des Baches liegt.
General Krafft
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sendet einen Adjutanten zum Feldherrn ; er meldet daß das Dorf ihm entriſſen werde , daß er daran sei zerbrochen und über den Lignybach zurückgeworfen zu werden. Antwort des Generals Gneisenau : "1 Man halte noch eine halbe Stunde aus ! " In derselben Zeit läßt General Pirch I. dem Marschall Blücher melden daß seine Brigaden aufgerieben sind , daß sie bei dem Kampfe um St. Amand ihre Munition erschöpft haben, sogar die den Todten abgenommene. Antwort : „ Das zweite Corps halte sich auf seinem Posten , es greife mit dem Bayonet an." Der Augenblick ist gekommen , ein Ende damit zu machen. Während Blücher seine Reserven verwendete , sparte Napoleon die feinigen auf.
Des Sieges gewiß hat er bereits seiner Garde den Befehl zur
Bewegung gegeben ; er täuscht seinen Gegner durch einen falschen Rückzug einiger vorgeschobenen Truppen Gérards.
Blücher glaubt an die
Niederlage der Franzosen ; er befiehlt allen disponibeln Bataillonen den Marsch auf St. Amand. Während so der Feind seine Mitte bloßstellt hat Napoleon nur noch zuzuschlagen ; aber ein Zufall hält ihn auf : dieses sonderbare Ereigniß läßt Alles aussehen.
Bis es aufgeklärt iſt
muß der Moment der Krisis hinausgeschoben werden. General Vandamme bemerkt rückwärts der äußersten Linken ein Armeecorps welches sich eilig nach dem Schlachtfelde hin dirigirt.
Wer
ſind dieſe Truppen ? Sind es Franzosen oder Feinde ? Der Theil des Horizonts von welchem her sie kommen , ist von einer Reihe von Hü geln gebildet , welche dem Blicke nicht gestatten sich über eine kleine Lieue auszubreiten. Das Corps Vandammes hat , als es diese Armee sich so nahe sieht , unsicher und überrascht einen Theil des eroberten Terrains aufgegeben ; die Division Girard welche noch mehr ausgesezt war hat sich weiter zurückgezogen.
Vandamme meldet daß , wenn er
nicht unterstützt werde, er gegen Fleurus werde zurückweichen müſſen. Ein Adjutant Napoleons jagt hin , um das in Sicht befindliche Corps zu rekognoſciren.
Nach einer Stunde ist die Ungewißheit zu Ende.
Die Truppen welche sich einen Augenblick auf dem Nande eines Beckens zeigten , sind französische.
Napoleon weiß dieß , hat sichere Kenntniß da-
von und gibt keinen Befehl um diese unverhoffte Verstärkung an sich zu ziehen. 20,000 Mann aller Waffen ſind in ſeiner Hand ; machen fie noch einen Schritt in derselben Richtung , so umfassen sie die preußische Rechte. Schon erschüttert ist diese Armee bis auf den lezten Mann verloren ; aber hierzu bedarf es eines Wortes , eines einzigen des Kai-
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ſers.
Dieses Wort wird nicht ausgesprochen.
Da diese Truppen vom
Kaiser keine bestimmte Richtung erhielten , sah man sie bald Kehrt machen, den Abhang wieder erſteigen und ihren Weg zurücknehmen.
Es war
Napoleons Glück welches noch einmal wie in ſeinen schönsten Tagen sich ihm zeigte.
Die Gelegenheit von Marengo , Jena , Eylau , Baußen
bietet sich ihm , ohne gerufen zu ſein.
Er erfaßte sie nicht beim Schopfe,
sie verschwand. Ist es weise zu hoffen , sie werde in demselben Feldzuge wiederkehren ? Während dieser Erwartung sind mehre Stunden ohne Reſultat vergangen. Der Tag nähert sich dem Ende ; es ist 8 Uhr. Es bleiben nur noch einige Augenblicke vor der Nacht um die Pläne des Morgens auszuführen.
Napoleon läßt die furchtbare Reserve vorgehen welche er
ſeit mehren Stunden bereit gehalten hat , ohne daß der Feind wissen konnte , welchen Punkt sie bedrohe.
12 Bataillone der Garde zu Fuß,
die ganze schwere Reiterei Milhauds , nämlich 8 Regimenter Cuirassiere, die Dragoner und die Grenadiere zu Pferd Guyots , bilden dieſe Reserve ; sie durchschreitet die Hälfte des Schlachtfeldes und plötzlich wendet sie sich und richtet sich gegen Ligny. der Garde ihr Feuer.
Gleichzeitig nähern die Batterieen
Unter dem Schuße dieser Kanonade wirft Ge-
neral Gérard die Division Pécheur vor um die Preußen vollends aus dem Theile des niedern Dorfs zu vertreiben wo sie noch sich anklammern. Die Preußen sehen auf ihrer Linken eine Colonne aus dem dichten Rauche vordringen.
Das Dorf Ligny ist umgangen.
Milhauds Cui-
rassiere gehen den Hohlweg entlang , der es einfaßt ; sie werfen sich gegen den Bach den sie mit Todten füllen ; das von Blut gerötete Waſſer verschwindet unter den Leichnamen. Der Feind zicht sich in Carrés zurück. Unterdessen hat Marschall Blücher , der selbst seine Reserven an seine äußerste Rechte geführt hatte , erkannt daß er sich getäuscht und ſein Centrum in Gefahr ist. Wird er die Zeit haben dieſen lezten Angriff zurückzuweisen ? Er stürzt sich von den Höhen bei St. Amand mit 3 Reiterregimentern gegen Ligny. auf die französischen Colonnen ein. Blücher sie wieder.
Diese brechen mit verhängtem Zügel Dreimal zerrissen , sammelt der alte
Er seht sich an ihre Spiße und führt sie von Neuem
zum Angriffe. Da wird sein Pferd von einem Schuffe verwundet , trägt ihn noch einige Schritte und stürzt todt über ihn hin. "/ Ich bin verloren , Nostit ! " ruft Marschall Blücher im Fallen seinem Adjutanten zu. Dieser springt ab und bleibt unbeweglich bei seinem General. Die
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franzöſiſchen Cuirassiere kommen im Galopp´an ihnen vorüber ohne ſie zu sehen , da es schon dunkel wurde.
Bald werden die Cuirassiere durch
einen letzten Angriff der preußischen Uhlanen wieder vorüber getrieben. Der Adjutant hatte Mühe sich zu erkennen zu geben.
Sechs abgeſeſſene
Reiter tragen den alten Marschall fast bewußtlos fort.
Man brachte
ihn zwei Lieues rückwärts des Schlachtfeldes nach Gentinnes. Die preußischen Geschichtschreiber verhehlen nicht die Not der Armee in diesem Augenblicke.
Die Corpsbefehlshaber kamen selbst von allen Seiten um Befehle zu holen. Gezwungen zu weichen , wußte Niemand wohin sich zurückzuziehen. Sollte man die Operationslinie von Namür aufgeben ? allen gemachten Combinationen entsagen ? Einige sprachen bereits davon sich unter die Kanonen Antwerpens zurückzuziehen. Der Generalstabschef Gneisenau machte dieser Verwirrung ein Ende indem er Befehl gab , die Operationslinie zu ändern und auf Wavre zurückzugehen um sich mit den Engländern zu vereinigen. Dieser kühne, rasch befolgte Befehl hebt wieder die Hoffnung und das Moraliſche der feindlichen Armee. Besiegt bereitet man sich zur Rache für die Niederlage. Mittlerweile ist die Nacht eingebrochen. Es fehlen 2 Stunden Tag um sich der Fliehenden zu bemächtigen und die Resultate des Sieges zu vervollständigen.
Die Kaisergarde hält auf den Höhen einige
hundert Schritte von Bry , welches die Truppen Pirch's fortwährend besezt halten.
Einzelnes Tirailleur- und Geschützfeuer läßt sich noch in
Zwischenräumen auf dem Plateau während der ersten Hälfte der Nacht hören , wie um den Sieger am Schlafe zu hindern.
Zu sicher gesiegt
zu haben nimynt Napoleon keine Maßregel um die Bewegungen der Preußen zu überwachen und in ihre Pläne einzudringen.
Bei den Be-
siegten ist Alles Bewegung , Thätigkeit ; beim Sieger Allez Ruhe und Schlaf. Vandamme bivouafirt vorwärts von St. Amand , Grouchy hinter Sombref , welches man dem Feinde überläßt , Gérard vorwärts Ligny, Lobau dahinter ; Napoleon verläßt für seine Person das Schlachtfeld und zieht sich nach Fleurus zurück.
Man benachrichtigt nicht einmal
Ney am linken Flügel von dem Erfolg des Tages , ſei es Vergeſſenheit, oder Ermüdung , oder auch daß man für den folgenden Tag größere Nachrichten erwartete. Die Resultate verdienten indessen , ohne Zögern bekannt gemacht zu werden ; die feindliche Armee auf dem Rückzuge , 10,000 Todte , 8000 Mann von den Contingenten vom Rhein , aus Westphalen und von Berg zerstreut , welche die Nachricht von der Auflösung der
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Preußen bis nach Löwen und Aachen trugen ; 16 Geſchüße freilich nur und keine Gefangene , da man sich nicht ergeben wollte ; so groß war der Haß zwischen beiden Armeen. Verwundete.
Auf unserer Seite 6800 Todte und
Es ist dieß ein ruhmvoller Tag , der sich so vielen andern anſchließt; aber drei Gründe können hindern , daß er seine Früchte trägt : erstens die Verspätung im Angriffe , dann die entschlüpfte Gelegenheit , das gemißachtete Glück welches sich dafür rächen wird , daß 20,000 Mann welche es dem Schlachtfelde zuführte , vernachlässigt und unnüß gemacht wurden.
Diese beiden Fehler können noch gut gemacht werden wenn
man eine außerordentliche Thätigkeit entwickelt die beschädigte Armee zu verfolgen ; wenn man aber statt dessen , indem man sie entmutigter und geſchwächter hält , als sie wirklich ist , ihr die ganze Nacht überläßt um sich wiederherzustellen , so wird diese Täuschung des Siegers sich theuer bezahlen und dieser dritte Fehler wird wenn er zu den beiden andern kommt , sie unverbesserlich machen.
6. Bewegungen und Contremarsch des Erlon'schen Corps. war die Ursache davon ?
Welches
Es war lange eine unerklärliche Sache um die plöhliche Erschei= nung des ganzen Corps des General Erlon in der Nähe des Schlachtfeldes von Ligny. Napoleon scheint niemals die wahre Ursache davon gekannt zu haben. Ueber die Thatsachen getäuscht ermangelte er nicht, darin einen neuen Grund der Anklage gegen Marschall Ney zu finden. Nach dem Berichte von St. Helena hatte dieser Marschall , der immer der Erste im Feuer war , die Hälfte seiner Truppen , das Corps Erlon, vergessen , welches 2 Lieues zurück war ; er erinnerte sich erst daran als er mit dem Feinde handgemein war. Da schickte er in aller Eile dem Corps Befehl vorzugehen ; aber es war zu spät und dieß ist eine der Ursachen weßhalb diese 20,000 Mann Erlons am Tage des 16. zwiſchen Quatrebras und Ligny spazieren gegangen sind ohne irgendwie engagirt } zu werden: gewiß ein großes Unglück welches nicht eingetreten sein würde ohne die Geistesverwirrung in welcher sich Marschall Neh feit den Ereignissen von 1814 befand. Diese historische Fiktion über ein so wichtiges , so leicht herzustellendes Ereigniß dauerte bis zu dem Augenblicke als General v. Erlon
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ſelbſt das Geschehene erklärte.
Zum Unglücke that er es erst 1829,
als die Fiktion sich bereits im Geiste der Menge eingewurzelt hatte und es schwer war sie verschwinden zu machen. General Erlon erklärte damals , er habe vom Marschall Ney am Freitag den 16. Juni gegen 11 Uhr oder Mittags den Befehl erhalten sein Corps auf Frasnes und Quatrebras zu dirigiren. Seine bereits in Waffen stehenden Truppen hätten sich unmittelbar eiligst in Bewegung gesetzt.
Er ſelbſt ſei ihnen
nach Frasnes vorgeeilt. Hier habe er einen Adjutanten Napoleons , den General Labédoyère getroffen.
Dieser zeigte ihm eine Ordre mit Blei-
stift , die er dem Marschall überbrachte , welche diesem einschärfte sein erstes Corps gegen Ligny zu richten.
Labédoyère benachrichtigte über-
dieß Erlon , er habe schon Befehl gegeben diese Bewegung auszuführen und die Richtung der Colonnen zu ändern.
Dieſer Weiſung zufolge
habe Erlon die angegebene Route eingeschlagen , seine Truppen nach dem Feuer von St. Amand geführt , bis er gebieterisch von Marschall Ney zurückgerufen wurde , welcher mit dreifachen Kräften im Kampfe war, die sich zusehends verstärkten und ihn zu erdrücken drohten. Da Napoleon nichts that um das erste Corps an sich zu ziehen , als dieſes das Schlachtfeld berührte , glaubte Erlon seinem unmittelbaren Chef gehorchen und sich dem Marschall bei Quatrebras anschließen zu müſſen. Er nahm wenigstens auf sich , zu Napoleons Verfügung die Diviſion Durutte und 3 Regimenter von der Reiterei Jaquinots zu laſſen ; der Kaiser zog aber von dieser Abtheilung nicht mehr Nußen wie von dem ganzen Corps. Die Generale hatten auch hier lebhaft mit einander verhandelt ; die Einen wollten mit General Brue , daß man ins Feuer ginge und die Preußen über Wagnelée schräg und im Rücken angriffe, Andere daß man sich begnüge in Beobachtung zu bleiben und den Willen des Kaiſers abzuwarten.
Der lettere Entschluß war von General Du-
rutte angegeben worden, welchen eine größere Verantwortlichkeit aufregte. Diese Abtheilung welche so nützlich hätte sein können , mußte sich be= gnügen den Feind von weitem durch einige Kanonenſchüsse zu beunruhigen. Die Nacht machte diesen bedeutungslosen Demonstrationen ein Ende. Das ist die Wahrheit , wie man sieht ziemlich entfernt von dem was Napoleon sich vorstellte als er die Erzählungen von St. Helena schrieb.
Marschall Ney hat nicht seine Truppen vergeſſen ; ein Adjutant
des Kaisers nahm es auf sich , den Marsch dieser Colonnen zu ändern und sie , anstatt nach Quatrebras , nach Villers - Peruin und St. Amand
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zu schicken.
Hatte er Auftrag ihre Bewegung zu ändern ?
mehr als zweifelhaft.
Dies ist
Vermutlich besagte die mit Bleistift geschriebene
Ordre daß Marschall Ney ,
nachdem er die Engländer geworfen hätte,
sein erstes Corps nach Ligny entsenden solle um die Preußen im Rücken zu nehmen , und überließ es ihm zu beurtheilen was von der Erfüllung dieser Instruktion möglich sei ; General Labédoyère aber hatte in dem außerordentlichen Eifer , Napoleon eine Unterstüßung , freilich eine entscheidende , zuzuführen , indem er sich nur von seinem Eifer beraten ließ , selbst die Bewegung auf Ligny ausführen laſſen. Dadurch nahm er Ney die Hälfte seiner Truppen , ohne abzuwarten , daß der Marschall davon benachrichtigt wurde und darüber entscheiden konnte.
7. Quatrebras. Wie sieht es um diese Stellung von Quatrebras aus , der Gegenstand so vieler Erörterungen und bitterer Vorwürfe seit bald einem halben Jahrhundert ? Folgendes ist die genaue Beschaffenheit der Stellen . Am Ausgange der lezten Häuser von Frasnes , welche über die Höhe zer= ſtreut sind , zieht die große Straße über eine weite Ebene bis Quatrebras, dessen Pachthof auf einer kleinen Anhöhe auf eine Lieue weit schimmert. Die Ebene ist kaum an einigen Stellen wellenförmig ; nirgends die geringſte Unebenheit , das geringste Hinderniß ; hier und da ein Abzug in den Wiesen ; überall ein fetter dunkeler Boden , oder vielmehr ein einziges Arbeitsfeld.
Auf eine Entfernung von 1500 Meter von ein-
ander große Meierhöfe mit niedern Dächern , welche sich mitten im Getraide erheben : auf der Linken Pierrepont ; in der Mitte Gémioncourt, zur Rechten das Dorf Pyraumont.
Gegenwärtig wird die Einförmig-
keit dieser Gegend durch keine größere Vegetation unterbrochen.
1815
stieß ein Holzschlag , Gehölz von Bossü genannt , zum Theil an die Seitdem das Schlachtfeld durch ein Linke der gepflasterten Straße. öffentliches Geschenk Eigenthum des Herzogs von Wellington geworden ist , hat er das Gehölz ausrotten lassen , welches er wie das Uebrige in Getraidefelder verwandelte.
Jenseit des Pachthofes von Gémioncourt
ein kleiner langſamer Bach , der einzige welchen man antrifft und eine halbe Lieue weiter Quatrebras .
Dieß ist kein Dorf, sondern eine
Gruppe von einigen Höfen an den vier Straßenzweigen , nach Charleroi, Nivelles , Brüffel und Namür.
Da dieser Durchschnittspunkt höher als
80
die übrige Ebene liegt , so kommt man auf den vier Straßenstücken steigend daselbst an , und weiterhin entrollt ſich dasselbe Plateau , dehnen sich dieselben weiten Becken aus.
Nur 3/4 Lieues weiter beginnen die
Flächen sich zu brechen und von Anhöhen und Hügeln eingerahmt zu werden , bis zu dem Defilee von Génappes an der Dylebrücke , wo die breiten Wellenformen beginnen und sich in der Richtung von Waterloo verlängern.
Die Stellung auf diesem Schlachtfelde hat an sich keine
besondere Stärke ; aber allerdings verleiht ihr das Zuſammentreffen der Straßen eine große strategische Wichtigkeit.
Dieß war wie gesagt der
Punkt , nach welchem die englische Armee sich zusammenzog ; hier war auch ihre Verbindungslinie mit der preußischen Armee. Wir haben den Marschall Neh am 16. Juni um 1112 Uhr bei seinen Vorposten zu Frasnes verlassen , in dem Augenblicke , als ihn der Befehl erreicht sich gegen Quatrebras zu richten.
Er ertheilt sofort
seinen beiden Corpschefs , Reille und Erlon , den Befehl zur Bewegung. Schon sind die Anordnungen getroffen , sich bis nahe Génappes vorzuschieben ; einige Bataillone ſollen sich sogar auf der Straße von Brüffel weiter wagen. Mittlerweile hatte General Girard , der gegen Fleurus ensendet war , gemeldet daß die Preußen um 10 Uhr Morgens diesen Flecken noch besezt hielten und daß sie ungehindert fortführen vorzugehen. Bei dieser Nachricht zögert Reille , welcher sich auf seiner Rechten und von hinten umfaßt sieht , sich noch mehr auszusehen . Er hält seine Truppen zuſammen und gefechtbereit ; aber ehe er vordringt , wartet er die Wirkung der Nachricht auf Marschall Ney ab und verlangt einen zweiten Befehl, so sehr ist es wahr daß Napoleons Langſamkeit im Angriffe auf die Preußen sich der ganzen Linie mittheilte. Die bessern Generale be= trachteten die Bewegung vorwärts der Linken unter Ney als notwendig einer entsprechenden der Rechten unter Napoleon untergeordnet. Ney erneuert seinen Befehl an Reille und diese so lange durch die Unbeweglichkeit der Rechten zurückgehaltene Linke stößt endlich auf den Höhen bei Frasnes auf den Feind. Die Streitkräfte Ney's bestanden damals aus 15750 Mann zu Fuß , 1865 Reitern , im Ganzen 17615 Streitern Der Prinz von Oranien den er vor sich hatte,
mit 38 Geschützen.
konnte ihm nur die holländisch- belgische Division Perponcher , 6832 Mann mit 16 Geschützen entgegenstellen. Die Unruhe welche General Reille empfand , war auch dem Mar-
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schall Ney nicht fremd . Er glaubte , nicht sich gesenkten Hauptes gleich in der ersten Stunde in den Kampf begeben zu dürfen , so lange das Feuer Napoleons sich noch nicht zu seiner Rechten hören ließ. Dieß erklärt seinen vorsichtigen Marsch bei Beginn des Angriffs und weßhalb er nicht unmittelbar einen größern Vortheil aus seiner Ueberlegenheit an Kräften zog.
Hierzu füge man , daß der Prinz von Oranien mit
viel Geistesgegenwart in allen Richtungen ziemlich starke Colonnenſpißen zeigte.
Er hatte deren am Debouché aus dem Gehölze , auf der Straße
von Nivelles , auf der von Sombref.
Dadurch gelang es ihm glauben
zu machen , daß von allen Punkten des Horizontes Maſſen debouchirten. Wenn Marschall Ney gewußt hätte , was wir jet wiſſen , ſo würde er ohne Zweifel den Prinzen für eine solche Zersplitterung seiner Kräfte grausam bestraft haben: er hätte sie durchbrochen und auseinandergeworfen, und den Knotenpunkt der Straßen befeßt. Was aber wäre das große Resultat dieser Operation gewesen ? Hätte er sich bei Quatrebras halten oder diesen Ort überschreiten können ohne umringt zu werden ?
In allen
Fällen , wenn es ein Fehler war , vom ersten Schritte an zu ſehr mit Sicherheit marschiren zu wollen , so wird man bald sehen daß derselbe übertrieben und verkehrt wurde , bis er ganz seinen Charakter änderte. Nach Maßgabe daß Ney vorrückt , eine Tirailleurlinie voran , zieht der Prinz von Oranien seine Posten ein und gibt langsam Terrain auf. Zur Rechten marſchirt die Diviſion Bachelu gegen das Dorf Pyraumont ; zur Linken wird das Gehölz von Boſſü durch General Foy angegriffen, dessen Name nur erst mit kriegerischem Glanze stralte.
Er sollte später
uns durch die Eigenthümlichkeit eines alten Soldaten bezwingen , der den Ehrgeiz der Freiheit über die Gunſt ſeines Oberherrn ſezt. Jerôme ist in Reserve.
Die Diviſion
Ney hat so geschickt die Dertlichkeiten benut
um seine beiden aus Infanterie gebildeten Flügel da anzulehnen , wo sie eine Stüße finden konnten , an Gehölze , Höfe , Dörfer ; in der Mitte aber hatte er seine zahlreiche Reiterei vereinigt , weil dort das Terrain offen ist und dieselbe sich ohne Hinderniß auf den geneigten Flächen wird vorstürzen können.
Der überraschte , durch Zeit und Notwendigkeit
gedrängte Feind hat keinen andern Schlachtplan in diesem Augenblick als die Truppen ins lebhafteste Feuer zu werfen , je nachdem sie außer Athem beim Rendezvous ankommen. Schon bemerkt der Prinz von Oranien um 3/4 3 Uhr englische Colonnen welche sich beeilen ihn im Laufschritte zu erreichen. Quinet, Feldzug von 1815.
6
Es sind
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die 3 Infanteriebrigaden der Division Picton ; sie stellen die Gleichheit an Zahl wieder her.
Diese Division entwickelt sich rasch in zwei Linien
vorwärts der Straße von Sombref , um den Preußen die Hand zu reichen. Fast gleichzeitig kommt der Herzog von Wellington an ; ihm folgt die holländisch - belgische leichte Reiterbrigade. Nach Picton kommen der Herzog von Braunschweig und sein Corps an , was die feindlichen Streitkräfte auf 18090 Mann zu Fuß , 2000 Pferde , 28 Geschüße bringt. Die Ueberlegenheit an Zahl ist bereits auf Seite des Feindes. Die Belgier griffen zuerſt an und Augenzeugen berichten nachſtehendes über diesen Gegenstand : die Chevaurlegers formirten sich zur Attake,. sobald sie debouchirt waren. Ein franzöſiſches Regiment , Chaſſeurs von Piré , marschirt vor ihnen im Schritte. Man sieht von Weitem die Franzosen , nicht wie zum Angriffe , sondern eher wie zu einer Parade vorrücken. Den Säbel gesenkt und herunterhängend reichten sie den Belgiern die Hand entgegen und sobald man im Bereiche der Stimme war riefen sie ihnen zu in ihre Reihen zu kommen , wo sie gut empfangen würden , daß sie alte Freunde seien , in Spanien unter denselben Generalen zuſammen gedient hätten und in demselben Corps , jenigen mit Namen welche sie erkannten . um so mehr verdoppelten sich die Bitten.
auch riefen sie die-
Je mehr man sich näherte, Man traf aufeinander ; aber
anstatt sich den Bitten zu ergeben fingen die Belgier an einzuhauen. Da wurden die Franzosen aus alten Freunden wüthende Feinde. Jeder suchte sich einen Gegner und da man sich schon vermengt hatte , faßte man sich Leib an Leib.
Dieser erste Zusammenstoß war furchtbar , aber
er dauerte nicht lange.
Ueber den Haufen geworfen fliehen die Belgier
in Unordnung vom Schlachtfelde.
Sie lassen einen großen Theil der
Ihrigen todt und verwundet zurück. Während auf den beiden Flügeln die Infanterie Neille's Terrain gewinnt , sest in der Mitte die leichte Reiterei ihre Angriffe längs der großen Straße fort. Der Herzog von Braunschweig fällt an der Spike seiner Uhlanen über die französischen Colonnen her.
Er wird auf seine
Infanterie unten an der Straße von Nivelles zurückgeworfen.
Als er
fich tapfer bemühte seine Truppen wieder zu sammeln , wird er von einer Kugel getödtet , die seinen Körper durchdringt. Sein Pferd trägt ihn weiter , leblos über den Sattelknopf hängend , mitten in die zweite Linie.
Ihm nach dringt die leichte Reiterei Piré's bis Quatrebras ;
die Colonnenspizen wirbeln an dem Straßenkreuze durcheinander.
Die
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Neiter ſchwingen den Säbel unter dem wolgenährten Feuer der Hochländer, welche hinter Hecken und in Gräben liegen. Ney unterstüßt diesen Erfolg durch die schwere Reiterei Kellermanns , die zu ihm stößt.
Beim Anblicke dieser Reiter bilden sich die
englischen Carrés ; es sind zuerst das 44. und 42. Regiment. Picton unterstüßt sie durch Carrés seiner Division und der Garden. Drei englische schließen vollends die Lücke , das 32. , 79. und 95te.
Schach-
brettförmg aufgestellt ist diese Infanterie zum Theil durch das Korn versteckt ; aber die französischen Lanciers pflanzen unerschrocken die Schäfte ihrer Lanzen nach Art von Jalons vor der Front der feindlichen Bataillone in geringer Entfernung von den Bayonnetten in die Erde ; die Schwadron greift an indem sie die Fahne der Lanze als Richtpunkt nimmt.
Die englischen Tirailleurs ziehen sich zurück ; sie legen sich im
Schuße der gekreuzten Bayonnette ihres Regiments auf die Erde nieder. Die ihnen entgegenstehenden französischen Batterieen schweigen.
Man
hört das dumpfe Geräusch der Pferdetritte über die Furchen , durch das zerstampfte Getraide. Es war wie ein Vorſpiel zu den großen Reiterangriffen , welche sich am zweitfolgenden Tage inmitte des Plateaus von Mont St. Jean wiederholen sollten.
Die Fremden haben dieſe Schwadronsangriffe mit
Falken und Sperbern verglichen welche den Augenblick , aus der Höhe auf ihre Beute zu stürzen , ausspähen und ergreifen.
Kaum ist eine
Schwadron durch das convergirende Feuer zurückgetrieben , so stürzt sich eine andere auf dieselbe Seite des Carrés ;
aber meistens begegnet der
Anlauf demselben Hinderniß : die Spize der Colonne bricht sich und weicht rechts oder links aus nachdem sie das Feuer erhalten hat. folgenden Diviſionen machen diese Bewegung nach.
Die
Nachdem die Reiterei
in den Zwischenräumen der Carrés hin und hergedrungen ist , wobei sie deren Feuer aushält , geht sie zurück um sich herzustellen und Athem zu schöpfen.
Alsbald beginnen die verstummten Batterieen zu donnern,
bis die Schwadronen sich von Neuem in Bewegung setzen. So folgen sich dieſe Wogen von Eiſen , ohne die dichten Mauern der feindlichen Infanterie sprengen zu können.
Es ist dieß gewiſſer-
maßen der ungleiche Kampf der blanken Waffen der Alten mit den Fernwaffen der Neuern und es scheint daß die eigenthümliche Formation der englischen Armee bedeutend zu dem Erfolge beitrug. Die Geſchicht-
84 schreiber dieses Krieges haben nicht genug bemerkt * ) daß die englische Linie , welche sich gegen einen Chok vorbereitete , sich verdoppelte und auf vier Glieder stellte , anstatt auf zwei. Ich kann nicht umhin zu glauben daß diese Stellung ihre Widerstandskraft gegen den Chok vermehrte , entweder weil die so aufgestellte Infanterie mehr aufgeſpartes Feuer hat , oder auch eher weil das vierte Glied ſelbſt ohne zu feuern das Vertrauen und die Festigkeit der drer vordern vermehrt **). Marschall Ney ist indessen auf der ganzen Linie Sieger. Auf beiden Flügeln ist seine Infanterie bis auf die Straßen von Nivelles und Sombref vorgedrungen , in der Mitte hat die Reiterei furchtbare Verwüstungen angerichtet.
Zwei englische Regimenter , das 42. und 44.
zuſammen , bilden nur noch ein Bataillon. Das holländisch - belgiſche Corps ist geworfen , der Hof Gémioncourt besezt : es ist 5 Uhr , aber jest langen von Brüssel der Rest der Brigaden Kempt und Pack, auf der Straße von Nivelles zwei Infanteriebrigaden der Division Alten und zwei Batterieen an.
Diese Verſtärkung bringt die engliſche Armee
auf 26238 Mann und 40 Geſchüße.
Ney bleibt auf dieselbe Stärke
beschränkt , denn Kellermann hatte kaum die Zahl der Todten wieder ersezt.
Auch werden in Kurzem auf der Straße von Nivelles die Bat-
terieen von Lloyd und Cleeve debouchiren : sie werden dem Feinde die ihm mangelnde Ueberlegenheit an Geschütz verschaffen. Da war es wo Oberst Laurent Ney mittheilt daß sein erstes Corps abgewendet worden sei ; wenige Augenblicke danach zweite Depesche Napoleons , von 2 Uhr datirt : Händen."
Fast
„ Das Schicksal Frankreichs ist in Ihren
unmittelbar folgt dieser Depesche eine dritte noch
dringendere, welche Oberst Forbin - Janson überbringt.
Des Kaisers
Befehle regnen also auf Ney , je mehr es ihm unmöglich wird sie auszuführen.
Napoleon handelt jezt wie ein Mann der zu lange zögerte
seine Befehle zu geben.
Er erneut sie, vervielfacht sie , als wenn da-
durch er die verlorene Zeit wiedergewänne. Der Herzog von Wellington erhält eine neue ganze Diviſion , die von Cooke. Sie bringt seine Kräfte auf 31643 Mann von denen ein *) Diese wichtige Einzelheit ist Oberst Charras nicht entgangen. **) Die Schweizer haben diese Stellung der englischen Infanterie entlehnt : die Erfahrung des Feldzugs von 1815 beweist daß diese Formation mit Vortheil ſelbſt in den Staaten des Festlandes eingeführt werden könnte, in denen die Waffen der Vollkommenheit nahe kommen. 1857.
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großer Theil frische Truppen und 68 Geschüße.
Ney hat immer nur
ſeine 20000 Mann welche schon durch sechs Stunden des Kampfes ab= gemattet sind und von denen man die Todten und Verwundeten abrechnen muß. Man stelle sich vor , was im Geiste des Marschalls Ney angesichts dieser steigenden Flut von Feinden und dieſer immer dringenderen Be= fehle Napoleons vorging , als er , nachdem er das Erlonsche Corps zu sich berief und von Minute zu Minute erwartete , von dem GeneralStabschef Delcambre die Antwort erhielt : das ganze Corps sei mehr als 22 Lieue entfernt dirigirt und man dürfe nicht mehr auf diese 20000 Mann rechnen welche die Hälfte seiner Truppen ausmachten ! Das ist einer der Augenblicke wo ein Charakter von Eisen erschüttert werden kann.
Es steht fest daß Marschall Ney bei dieſer Nachricht von
Verzweiflung erfaßt wurde. Unter den um ihn herum aufschlagenden Kugeln schrie er : " Sie sehen diese Kugeln ; ich wollte daß sie alle mich durchbohrten. " Und was bei solch' einem Manne diese Verzweiflung hervorbrachte war nicht die Notwendigkeit in die er kommen konnte bis Frasnes zurückzuweichen , sondern die Furcht , dem Feinde die Verbindung zwischen Quatrebras und Sombref offen zu lassen. Denn nicht nur konnte er dem Kaiser die von ihm verlangte Mitwirkung nicht leisten, sondern er war auch in Gefahr , ihn durch Dazwischenkunft der englischniederländischen Armee erdrücken zu lassen. Anstatt der französischen Abtheilung welche bei Ligny den entscheidenden Sieg bringen sollte, würde alſo Napoleon auf seiner Linken die englischen , holländischen und . belgischen Colonnen debouchiren sehen , deren Einbruch zu hindern Ney unmächtig war. Ney fühlte daß er für ein ungeheures Unglück verantwortlich sein würde. Er erblickte am 16. eine Art von Waterloo dessen Grouchy er war.
Dieſes düftere Vorgefühl verdoppelte aber seine
Energie ; er sagte zu Kellermann :
„ Mein theurer General , hier ist eine
große Anstrengung notwendig ; Sie müſſen in dieſe Maſſe Infanterie einbrechen , es handelt sich um das Heil Frankreichs. Gehen Sie , ich werde Sie durch die ganze Reiterei Pirés unterstützen laſſen. “ Kellermann greift an der Spize seiner Cuirassiere auf der Straße an , welche eine englische Batterie enfilirt ; er durchbricht mehre Linien, aber die Straße ist bald mit den Leichen der Anstürmenden bedeckt. Die große Anstrengung ist unnüß. Der Angriff bricht sich. Kellermann, deſſen Pferd getödet wird , bleibt einige Zeit in der Gewalt des Feindes.
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Er entgeht zu Fuß , indem er sich in die Zäume der Pferde zweier seiner Cuirassiere hängt. Die Sonne ging unter ; der Sieg wird den Unsrigen in dem Augenblicke entrissen wo ihre Colonnenspißen auf drei Punkten die Straße von Namür berührten. Wellington zieht endlich Nußen aus seiner außerordentlichen Ueberlegenheit an Zahl ; er geht zur Offensive über.
Die
Infanterie von Foy , Bachelu , Jerôme zieht sich langſam aus dem Gehölze, Gémioncourt , Pyraumont zurück. Die Reiterei deckt sie im Schritte.
Beim Debouché aus dem Gehölz von Bossü versuchen die
englischen Garderegimenter , den Rückzug zu stören. griffen und zurückgewiesen.
Sie werden ange-
Ney zieht sich zurück , aber Schritt vor Schritt und erst als die Nacht eingetreten ist ;
auch gibt er nur das Terrain auf , welches er
erobert hat ; er wendet sich sobald der Feind ihn belästigt.
Ruhig und
ſtolz führt er ſeine bis dahin siegreichen Truppen zurück , in ihre Stellungen vom Morgen auf den nämlichen Höhen von Frasnes.
Seine
Vorposten halten eine halbe Flintenschußweite vom Feinde und haben · noch einen Zipfel des Schlachtfeldes inne. Die Engländer wagen nicht den Vortheil der lezten Stunde weiter zu verfolgen , damit zufrieden das Verlorene wiedererlangt zu haben.
Die Truppen des Generals Erlon stoßen erst gegen 9 Uhr, als Alles beendigt ist ,
dazu ;
sie lösen die Reilles ab , welche in zweite
Linie treten. Die ganze Nacht zeigt Ney eine bewundernswerte Wachſamkeit ; in der Dunkelheit gab es einen falschen Lärm welcher durch das Zusammentreffen zweier Patrouillen veranlaßt wurde , und beide Armeen eilten zu den Waffen. Das Schweigen der übrigen Nacht wurde nur durch das Feuer der französischen Vedetten bei der geringsten Bewegung des Feindes oder die Ankunft der englischen meist aus Reiterei bestehenden Verstärkungen unterbrochen. So lief das blutige Gefecht bei Quatrebras ab.
Es kostete den
Franzosen 4000 , den Anglo - Niederländern fast 5000 Mann.
Es
handelte sich für die beiden Feldherrn darum , daß nicht einer von ihnen ſeine Unterſtüßung in die große Schlacht bringe , welche am nämlichen Tage in den Feldern bei Ligny geſchlagen wurde , im selben Augenblicke ,
22 Lieues von dort entfernt.
Wellington hatte Blücher ver-
sprochen zeitig zu seiner Hilfe einzutreffen.
Ney hatte , ohne etwas zu
versprechen , den Befehl erhalten sich mit einem Theil seiner Kräfte gegen
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Ligny zu werfen , wenn es möglich wäre. Nach 9 Stunden des Kampfes wird Ney gezwungen zu weichen ; aber er bringt zwei Stunden zu, sich auf Frasnes zurückzuziehen. Mit 20000 Mann sett er der engliſchen Armee eine eherne Mauer entgegen : er hindert den Herzog von Wellington , sein Wort zu halten , während auf dieses Wort hin die Schlacht bei Ligny eingegangen ist ;
er hindert daß auch nur ein Mann der
englischen Armee zu der preußischen stoße , als diese Vereinigung die ganze Berechnung der feindlichen Generale war. Er gibt Quatrebras auf, aber erst , als dieß Terrain keine Wichtigkeit mehr für den Feind hat und die Vereinigung der englischen und preußischen Armeen an diesem Punkte unmöglich geworden ist.
Er verschafft Napoleon neun
Stunden , nicht nur zum Siegen , sondern auch zum Benüßen des Sieges, ohne Besorgniß für seine Flanken , ohne Furcht vor Dazwischenkunft des Herzogs von Wellington , mit den Preußen allein auf dem Felde abgeschlossen, wobei er noch das ganze Corps Lobaus das keinen Schuß that , und die ganze Division Durutte und die Reiterei Jaquinots in Reserve hatte , welche fast in seiner Hand gelassen waren als Erlon sich zurückzog.
Das that Ney an diesem Tage.
Dienste in Schmach verkehrt werden ?
Sollten seine vorzüglichen
Möchte es Gott gefallen daß
ein Fehler der Art am zweitfolgenden Tage begangen würde und die Rechte am 18. das thäte was die Linke am 16. gethan ! Falle würde Waterloo ein Austerlit.
In diesem
Wollte man daß Ney mit seinen im flachen Felde um Quatrebras stehenden 20000 Mann einzeln gleich anfangs das Corps des Prinzen von Oranien vernichtete , zuerst die Division Picton , dann das Corps des Herzogs von Braunschweig , dann die Diviſion Cooke , mit einem Worte das ganze Haupttreffen des Herzogs von Wellington , um sich dann auf die Armee Blüchers zu werfen und sie zu vernichten ?
Ez
gibt Geſchichtſchreiber welche so weit gegangen sind und zwar sind dieß die größere Zahl.
Andere haben sogar Ney vorgeworfen ,
daß er sich
nicht durch eine seiner Schwadronen des Herzogs von Wellington , des Prinzen von Oranien und des Generals Perponcher bemächtigte. Beffer wäre es noch , dem Marschall vorzuwerfen daß er nicht allein den Feldzug gegen die verbündeten Armeen gehalten habe. Noch einmal , was man vernünftiger Weise vom Marschall Ney erwarten konnte ist daß er der englischen Armee die Stirn bot und sie hinderte sich mit den Preußen zu vereinigen.
Dieß war der Zweck.
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Es macht wenig aus , um denselben zu erreichen , ob er sich diesseit oder jenseit , oder auch quer über den Knotenpunkt der Straßen aufstellte.
Es war nicht die Besehung dieses Plateaus um welche es sich
handelte , es galt die feindliche Berechnung zu durchschneiden.
Es lag
wenig daran ob Ney auf der Straße war , wenn er nur den Feind verhinderte sie zu passiren.
Aber der Kunstgriff der Einbildung bestand
darin glauben zu machen , daß das Mittel der Zweck war , daß Alles darauf ankam das Straßenkreuz zu besetzen und daß der Erfolg gefehlt haben würde wenn man nicht an diesem Orte stand ; als wenn Quatrebras eine Festung , ein Lager , der Schlüffel der Stellung gewesen wäre. Ein schlagendes Beispiel der Leichtigkeit mit welcher man den Menschen, ſogar Generationen , den Schatten für den Gegenstand , das Mittel ſtatt des Zweckes , den Schein statt der Wirklichkeit bieten kann !
8. Rückzug der Preußen. Woher kommt Napoleons Unthätigkeit am Morgen des 17. ?
Instruktionen des Marschalls Grouchy.
Die zwei Flügel der französischen Armee brachten die Nacht 2½ Lieues von einander entfernt zu Ligny und Frasnes zu.
Napoleon war zum
Schlafen nach Fleurus zurückgekehrt , fern von dem lästigen Geräusche des Schlachtfeldes. In den frühern Feldzügen hätte er nicht ermangelt, inmitte der Carrés ſeiner Garde zu Ligny zu bivouakiren. Dort wäre ihm keine Bewegung der feindlichen Armee entgangen ; er war keine Viertellieue von Bry , von den hierhin zurückgeworfenen preußischen Maſſen nämlich. Um Mitternacht hätte er die Arrieregarde , den Corps von Ziethen und Pirch folgend , das Lager verlassen hören.
Wenn er diese Armee nicht
bis aufs Aeußerste verfolgen wollte, warum hielt er nicht wenigstens ſie unter seinen Augen ? sie sich hüllte.
Er hätte die Finsterniß durchblickt in welche
Zu Fleurus ist Alles ganz anders ; zu entfernt wird
er Alles nur durch Vermittlung hören und ohne Zweifel wird es zu spät zum Handeln , selbst zum Entſchließen sein.
Er wird Alles nur
durch langsame Berichte erfahren , die nicht einmal verlangt werden. Auch kann Marschall Grouchy als er am Abend im Hauptquartier seine Inſtruktionen empfangen will , keinen bestimmten Befehl erlangen als den, die Reiterei von Pajol und die Division Teste auf die Straße von Namür zu senden. Dieß war die gerade entgegengesette Richtung von der, welche die Preußen eingeschlagen hatten.
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Dieser ruhige Schlaf zu Fleurus ist bei Napoleon etwas Neues ! Er sollte ihm verderblich werden , denn die Neigung einer siegreichen Armee zur Ruhe nach dem Siege ist natürlich ; sie wird unüberwindlich wenn der Feldherr sie theilt. Die Sieger sind geneigt zu schlafen weil sie ebenso ermattet sind als die Besiegten und nichts mehr zu fürchten haben.
Die Besiegten im Gegentheil haben dann eine fieberhafte Thä-
tigkeit ; die Furcht spornt sie an und hindert sie die Augen zu schließen. Diese unglaubliche Schlafſucht ist am meisten von denen verurtheilt worden, welche davon den größten Nußen zogen.
Napoleon ", sagen sie ,,, erin-
nerte sich damals zu sehr des Kaisers und zu wenig des Generals der italienischen Kriege. " Nur der Feind also nühte die Nacht vom 16. zum 17.; er wußte aber großen Vortheil daraus zu ziehen und man kann sagen daß in dieser langen Nacht der Unthätigkeit das Glück begann zu ermüden und von den Franzosen ins entgegengesette Lager überzugehen. Während bei den Franzosen Alles ruht , ist bei den Preußen Alles in Bewegung. Das 1. und 2. Corps ziehen über Tilly zurück , bivouakiren hier einige · Stunden, wobei sie sich bis Gentinnes und Mellery ausdehnen , dem Hauptquartier Marschall Blüchers. Die Arrieregarde verläßt Bry erſt um Mitternacht. Der Tag war angebrochen als das 3. Corps von Thielmann von Sombref in einer einzigen Colonne sich davon machte, nicht 1000 Schritte von unsern Vorposten , die es nicht zu bemerken schienen. Dieses Corps kommt zu Gemblour um 7 Uhr an ; als es sich nicht verfolgt sieht ruht es hier bis 2 Uhr Nachmittags aus. Diese Bewegungen geschehen mit solcher Uebereinstimmung , sie werden so wenig erschwert daß der Feind die Zeit hat alle Spuren derselben verschwinden zu lassen.
Als man endlich daran dachte die Preußen zu
verfolgen , konnte man weder einen Wagen , noch ein Ueberbleibsel eines Munitionswagens , noch einen Gefangenen noch einen Verwundeten antreffen , noch irgend ein Anzeichen des Marſches finden , welchen sie eingeschlagen hatten.
Diese Armee von 80,000 Mann , welche noch blutete
und die man ganz zerstreut wähnte , vereinigte sich auf den großen Ebenen von Marbais und zieht jezt eilig dahin , indem sie hinter sich ihre Fußtapfen auslöscht.
Als der Sieger erwachte , brachten die verspätet
zum Absuchen Entſendeten keine bestimmte Nachricht ; General Pajol den man auf die Straße von Namür geschickt hatte , nahm durch seine Streifparteien einige Geschütze weg.
Dieß diente sogar dazu über die
90 vom Feinde genommene Richtung zu täuschen. Man wird später sehen, welche verderbliche Folgen die Idee hatte , ihn auf der Seite von Namür zu suchen , welche sich von da an des Geistes Napoleons und des Marschalls Grouchy bemächtigte. Die detaillirte Kriegsgeschichte würde unfruchtbar für die Intelligenz bleiben , wenn man nicht in den großen Bewegungen der Armeen Alles von der geheimen Arbeit des Geistes der Generale abhängen sähe. Die vorzüglichste Lehre liegt darin , dem innern Rathe beizuwohnen den sie mit sich selbst halten und wenn es Männer wie Napoleon betrifft, so ist sicher daß , wenn sie in Unthätigkeit verfallen , dieſes von gewiſſen Irrthümern des Geistes herrührt , welchen selbst das Genie nicht entgeht. Folgende.zwei Ursachen erklären Napoleons Thatlosigkeit nach dem Siege : erstens die Gewohnheit , Alle die er geschlagen , für vernichtet anzusehen.
Er sieht in der Einbildung bereits die Preußen zerstreut
die Ufer der Maas und des Rheins erreichen.
Auch hört er seit dem
Abend von Ligny auf sie als furchtbar zu betrachten und thut ihnen kaum die Ehre an sie zu rechnen.
Deßhalb zeigt er eine so unbegreif-
liche Sorglosigkeit in ihrer Verfolgung.
Dieser erſte Irrthum wird durch
einen zweiten beſtärkt , die geringe Wichtigkeit welche er seinem Gegner beilegt.
Er glaubt daß der alte Marschall Blücher sich nicht von der
gewöhnlichen und veralteten Kriegführung der östreichischen Generale lossagen werde , nach welcher er klug und methodiſch sich nach seinen Vers ſtärkungen über die Maas zurückziehen müßte. Er vermag nicht zu denken daß dieser alte Husarengeneral , wie er ihn nennt , die Kühnheit haben werde eine neue Operationslinie über Löwen , Maestricht zu schaffen. Mit einem Worte , Napoleon handelt als ob er es mit der alten Schule Alvinczys und Wurmsers zu thun hätte.
Er wollte nicht erkennen daß
Blücher in der Schule Napoleons Etwas gelernt hatte.
Man wandte
jezt die Lehren seines eigenen Genies gegen ihn an und er bemerkte dieß nicht : ein schwerer Fehler , der schwerste eines Feldherrn , er mißkannte den Charakter und die Absicht seines Gegners und da sich diese falsche Idee alsbald seinem Unterfeldherrn mittheilte , so war sie eine Quelle von Gefahren , ein Princip des Verderbens , wenn man nicht zeitig durch einen jener plöhlichen Schimmer Hilfe brachte , die zu andern Zeiten so manche noch tiefere Finsternisse durchleuchtet hatten. Für den, welcher die Ideenfolge Napoleons zu beobachten sucht, ist es wichtig zu wissen , welches die erste am Morgen des 17. von ihm
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ertheilte Instruktion gewesen sei.
In seinem Briefe an Marschall Ney
glaubt er daß die englische Armee auf dem Rückzuge sei.
Man wird
Quatrebras ohne Schwierigkeit beſehen ; man muß die Munition ergänzen, die versprengten Soldaten sammeln , die entsendeten Abtheilungen an sich ziehen.
Diese Anwendung will er von dem letzten Tage machen
der ihm vor Waterloo bleibt ; man sieht hieraus daß er weit entfernt von dem Gedanken war an diesem Tage eine zweite Schlacht zu liefern, was man auch hierüber in den von ihm einige Jahre danach diktirten Berichten lesen möge. An demselben Morgen des 17. wollte Marschall Grouchy im Hauptquartier zu Fleurus seine Befehle holen , da er voraussicht er werde mit Verfolgung der Preußen beauftragt werden , welche Verantwortlichkeit bereits auf ihm liegt. Ohne ihm einen Befehl zu ertheilen , nimmt Napoleon ihn im Wagen mit sich auf das Schlachtfeld von Ligny.
Die
Hindernisse des Weges nötigen Napoleon zu Pferde zu steigen.
Er
kommt um 9 Uhr an Ort und Stelle an , und von diesem Zeitpunkte bis Mittag kein Entschluß , aber langes Schweigen , Revuen der Truppen in den Wieſen von St. Amand , öftere Unbeweglichkeit und immer Marschall Grouchy an seiner Seite , stumm , seine Instruktionen erwartend.
Es scheint daß Napoleon selbst darauf wartete einen Entschluß
zu fassen, für welchen er sich noch nicht entschieden hatte. feindlichen Armeen sind durch eine Niederlage getrennt.
Die beiden
An welche wird
er sich jest heften ? Dieselbe Ungewißheit , welche er am Morgen des Tages vorher zeigte , nimmt noch seinen Geiſt ein.
Um sie sich selbst und Andern zu
verbergen zeigt er sich den Soldaten die ohne Waffen vor ihren Bivouaks aufgestellt sind.
Er belobt sie für das was sie gethan , ermuntert sic
zu dem was noch zu thun sei ; er bemerkt anerkennend daß auf einen todten Franzosen fünf Preußen kommen.
Er läßt Verwundete aufsuchen,
besucht und verbessert die Ambulanzen : eine ausgezeichnete Sorgfalt wenn ſie nicht die Zeit nähme die zur Rettung eines Reiches verwendet werden müßte.
Zu St. Amand steigt er vom Pferde.
Ein Kreis von Gene-
ralen bildet sich um ihn , eine lange Unterhaltung beginnt und unter allem dem Nichts was den Krieg betrifft , sondern heftige dem was man vor sich hat fremde Worte : Nachrichten aus Paris , die Debatten der Kammern , die Opposition der Liberalen in denen er die alten Jakobiner ſieht, und bereits Drohungen , Anklagen gegen sie , als wenn sie die
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nächsten , die gefährlichsten Feinde wären.
So benußte er das Bivouak
um seinen bis dahin verhaltenen Zorn gegen die Freiheit auszulaſſen und den Ton des alten Kaisers wieder anzunehmen. Er bringt die wenigen Augenblicke , welche das Schicksal ihm noch läßt , um die äußern Feinde abzuwehren , damit hin die innern Faktionen anzuklagen. Indeß verfließen die Stunden und Grouchy bleibt an seine Schritte ge= heftet , geblendet oder verdußt und nicht wagend ihn zu unterbrechen. Ein unfehlbares Kennzeichen der Männer oder Parteien die sich dem Falle nähern. Groß oder klein , man wird sie alle an dieſem Zeichen erkennen. Ihr Geist sucht sich zu zerstreuen ; sie entziehen sich , gehen zu andern Dingen über.
Die Krisis ist da , der Abgrund geöffnet : ſie
neigen bereits dahin , aber sie sehen ihn nicht oder wollen ihn nicht sehen.
Sie wendeu in fernliegenden Gesprächen ihre Augen , ihre Ge=
danken , ihre Einbildung von dem dunkeln anschwellenden Punkte ab. Wenn dieß geschieht , so sage man , daß diese Männer , diese Parteien sich selbst überliefern , denn ihre freiwillige Unthätigkeit werden sie morgen Fatalität nennen. Diese Langsamkeit , dieß Hinhalten entgeht dem Soldaten , den der Anblick des Feldherrn und seine Vertraulichkeit im Bivouak nach dem Siege mit Begeisterung erfüllen ; die Generale aber trifft eine so außerordentliche Unthätigkeit , da sie durch die Niederlagen der vorhergegangenen Jahre erschüttert sind in ihrem Aberglauben an des Kaiſers Glück.
Sie
erwarteten Befehle zur Bewegung ; sie erstaunen über diese dem Kriege fremden Unterhaltungen. Der treue Drouot ſelbſt wird traurig ; er gibt an daß man an dem Tage in Brüssel sein konnte und was wäre die Wirkung einer raschen Besetzung der Hauptstadt gewesen ! Einige murren leise.
Gérard , Ercelmans
gehören zu dieser Zahl ;
bricht aus und sie vertrauen sich ihr Erstaunen an.
ihre Ungeduld
"/ Hatte man so
Krieg geführt in den glücklichen Feldzügen ? Wo waren die Entſchloſſenheit , die Raschheit , das zermalmende Genie welches weder Sieger noch Besiegte zu Athem kommen ließ ? Man hatte früher die Coalitionen gebrochen , den Feind geschlagen als er Drei gegen Einen stand bei Castiglione , Zwei gegen Einen bei Eckmühl , bei Regensburg ; aber wie geschah dieß ? Durch Wunder der Thätigkeit , ungestüme Schläge , Eilmärsche , Kämpfe bei Tag wie Nacht , welche die Gleichheit zu Gunsten der kleinern Zahl herſtellten. Jezt hatte man es mit mehr als 200000 Feinden zu thun und ließ ihnen außer dem Vortheil der Zahl auch den der
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Entschiedenheit und der Manöver , denn man dürfe sich nicht verhehlen daß am Tage vorher 6 Stunden verloren wurden , als man um 3 Uhr anstatt um 9 Uhr angriff. verschlimmert.
Jezt wurde derselbe Fehler wiederholt und
Die ganze Nacht und die Hälfte des Tages wären be-
reits verloren , sei es nun daß man sich gegen die Engländer werfen oder die Preußen zur Annahme einer zweiten Schlacht zwingen wolle, wie Beaulieu nach Montenotte. So verfuhr der Feind nicht ; er schläferte sich nicht über die Gefahr ein.
Schon war er durch seine Flucht
den Franzosen entgangen und der Sieg von Ligny , welcher ohne Früchte geblieben , würde bald zu wiederholen sein. Man sähe wol daß der Feind von uns gelernt hat sich auf einem Schlachtfelde zu benehmen ; wir aber , hätten wir es vergessen ? " Dieß wurde erst im Stillen von Einigen ausgesprochen.
Van-
damme ging , von den Urtheilen die ihm ſein Angriff von St. Amand eingetragen gereizt , weiter.
Es begegnete ihm daß er sagte :
„ Napo-
leon ist nicht mehr der Mann den wir kannten " ; aber auf dieſe Läſterung erwiderten fast alle daß man nach Nachrichten über die Engländer und Preußen ausgeschickt habe , daß man nicht blindhinein marſchiren könne , daß Marschall Ney zu allen seinen Fehlern den hinzugefügt habe, keine Depeschen zu schicken (was ungenau war) . Man habe bei St. Amand Vandammes gewohnte Kraft nicht erkannt ; seine Ungeduld rühre von Mißvergnügen her.
Ueberdieß werde die Entscheidung des Feldherrn
sich zu erkennen geben , sobald die Rekognoscirungen einige Nachrichten ergäben. Man sei sicher daß sie nicht zögern werde. . So betrog man die Stunden in den Bivouaks bei St. Amand und Ligny.
Diese dumpfe Unruhe der Geister in einer so leidenschaft-
lichen , viel redenden Armee war nicht der geringste Nachtheil einer so langen Unthätigkeit. Der Feind hatte unterdeſſen keine dieser Verzögerungen gehabt. Zur selben Zeit
wo Napoleon dieser Ungewißheit
zur Beute
fiel , hatte der kaum vom Pferde erhobene Marschall Blücher den Tag des 17. mit folgendem Tagesbefehl an seine Armee eröffnet : „ Ich werde euch unmittelbar gegen den Feind führen ; wir werden ihn schlagen, denn dieß ist unsere Schuldigkeit “ , und marſchirte zu diesem Rendezvous. Gegen 10 Uhr Morgens erreichten Ziethen und Pirch über Vilrour und Mont St. Guibert Wavre.
Thielmann hatte sich zu Gemblour
mit Bülow vereinigt welcher von Lüttich kam und an der Schlacht von
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Ligny keinen Theil genommen hatte. Sein Corps war 30000 Mann stark. Es füllte die Lücken der preußischen Armee mehr als aus , die jezt ganz gesammelt , begierig ihre Niederlage zu rächen , bei Wavre eine Masse von 90000 Streitern zu vereinigen im Begriffe ſtand. Dieß waren 10000 Mann mehr als in der Schlacht bei Ligny. In welchem Zeitpunkt hat Napoleon sich endlich entschlossen, diese Armee durch eine beträchtliche Maſſe ſeiner Truppen verfolgen zu laſſen ? Nichts ist wichtiger als dieſes Detail.
Wenn man sich hierbei an den
von ihm zu St. Helena diktirten Bericht hält so muß man wahrhaft die Kunst bewundern mit welcher er den Augenblick des Tages verhüllt hat in dem er den Marschall Grouchy mit der Sendung beauftragte welche seinen Namen so traurig unsterblich gemacht hat.
In den vor-
hergehenden Zeilen hat mit Tagesanbruch General Pajol sich in Marsch gesezt , mit Tagesanbruch hat Marschall Ney seinen Befehl erhalten ; auf einmal folgen die Worte welche zuerst die Aufmerksamkeit anregen : „Marschall Grouchy zog mit dem Reitercorps Ercelmans' , dem 3. und 4. Infanteriecorps ab um General Pajol zu unterſtüßen und Blücher das Schwert in der Seite zu verfolgen. " Wer sollte nicht nach der ge= schickten Fassung dieser Erzählung glauben , daß Marschall Grouchy faſt bei Tagesbeginn ſein Commando erhielt und abmarſchirte oder wenigstens um 6 oder 7 Uhr Morgens , da er doch den General Pajol unterſtüßen soll , welcher wirklich in den ersten Tagesstunden mit einer Division leichter Reiter und der Infanteriedivision Teſte vom 6. Corps abgezogen war? Dennoch ist gewiß daß dieser Bericht so geschickt er auch sei vor der überzeugenden Kraft der Thatsachen nicht bestehen kann. Erst zu Mittag und nicht bei Tagesanbruch hat Marschall Grouchy mit dem Befehl über 33000 Mann den Auftrag erhalten die Preußen zu verfolgen. Man erfuhr durch General Ercelmans daß er auf der Seite von Gemblour eine Arrieregarde bemerkt habe. In dieser Richtung soll der rechte französische Flügel marſchiren um Blücher zu verOhne Zweifel bemerkte Marschall Grouchy vom ersten Augen-
folgen.
blick an die Schwierigkeit der Aufgabe die ihm so verspätet zufiel. Er war darüber erschreckt und wollte sie ablehnen. Ich weiß durch die Person *) welcher er seine eigenen Worte wiederholt hat , daß er sich dem Kaiser zu Füßen' warf und zu ihm sagte : „ Sire , geben Sie dem Mar-
*) Der Herzog von Elchingen.
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schall Ney dieses Commando und nehmen Sie mich mit sich. Nein , erwiderte Napoleon , ich bedarf Ney bei mir. " Nun stellte Marschall Grouchy bange die fast unübersteiglichen Schwierigkeiten seines Auftrags vor , er war im Voraus davon erdrückt. Er hielt entgegen daß die preußische Armee um Mitternacht abgezogen sei daß man sie also einen Vorsprung von 12-15 Stunden habe ge= winnen lassen.
Könne er hoffen diese zwei Märsche ihr wieder abzu-
gewinnen ? Man wisse noch nicht in welcher Richtung das Gros der Armee sich zurückziehe und da es sich darum handele die Preußen in der Richtung der Maas aufzusuchen , fügte Grouchh hinzu , sei es sehr gefährlich sich so weit von dem Hauptcorps zu entfernen das die französische Linke bilde. Sodann seien die Truppen noch nicht versammelt. Die Soldaten hätten darauf rechnend daß der Tag zu Ende sei , ihre Gewehre zum Reinigen auseinandergenommen. Wieviel Zeit bedürfe es bis die Leute vereinigt seien und sich in Marsch sezten ! Man könne nicht vor 2 , vielleicht 3 Uhr aufbrechen.
In dieser Zeit würde man
vollends jede Spur der Preußen verlieren. Diese Vorstellungen wurden in einer Weiſe von Heftigkeit gemacht, welche bei einem sonst so unterwürfigen Manne in Erstaunen sette. Sie mißfielen durch die in ihnen enthaltene Wahrheit.
Napoleon schloß die
Unterredung durch ein bitteres Wort welches keine Erwiderung mehr zuließ : " Wolle man ihm Lehren geben ? " Es blieb Grouchy nur übrig zu gehorchen.
Er zog sein Armeecorps zusammen , welches aus
dem 3. Corps (Vandamme) , dem 4. Corps ( Gérard) , der Reiterei Excelmans' und 100 Geschützen bestand. Als die Truppen sich in Marſch sehen konnten , war es zwischen 2 und 3 Uhr wie Grouchy vorausgesehen hatte.
Die preußische Armee hatte sich über Tilly und Gembloux
zurückgezogen. Ein außerordentlicher Vortheil lag im Einschlagen der Route über Tilly , weil man so Napoleon näher blieb und in sicherer Verbindung mit ihm.
Man nahm im Gegentheil die Route über Gem-
blour welche mehr abwich.
Der Grund dieser Wahl wird sich bald zeigen.
Ein von Hause aus auffallender Umstand ist daß das Corps Grouchys 7 Stunden brauchte den Weg von Sombref nach Gemblour zurückzulegen , welchen das Thielmannſche Corps in 4 Stunden machte. Man klagt das Regenwetter , einen Sturm , die grundlosen Wege an und wahr ist es , daß diese Straße nicht gepflastert war. Als Grouchy zu Gem= blour ankam war die Nacht finster und er hatte jede Spur des preußischen
96 Generals verloren. Schon sehr beunruhigt hielt er an , schickte Schwadronen in die Richtung nach Wavre und besonders nach Pervez. Dieser unglückliche General tastete in der Finsterniß nach allen Seiten und erfaßte kein Anzeichen , da er sie hauptsächlich da ſuchte wo er sie nicht finden konnte. Das größte Unglück ist daß eine irrige Idee sich in seinem Geiste eingewurzelt hat.
Er glaubte daß Blüchers Plan sei die
franzöſiſche Armee durch eine concentrische Bewegung der preußischen Linken über Namür , Fleurus und vielleicht Charleroi im Rücken zu fassen.
Er erwartete die preußische Armee auf die Operationslinie der Franzosen gelangen und sie von der Sambre abſchneiden zu sehen. Von dieser unglücklichen Idee besessen gab er nur ungern den wenigen Thatsachen nach , welche ihm die Dinge zeigten. Da er den Sinn des Feindes falsch beurtheilte und ihm Absichten zuschrieb die den wirklich ausgeführten gerade entgegengesezt waren, so war es unmöglich daß er durch die Gewißheit seiner Märsche , die Raschheit seiner Bewegungen den ungeheuern Fehler Napoleons wieder gut machte , jenen 15stündigen Blücher
gelassenen Vorsprung.
Der
Unterfeldherr konnte nur den Fehler des Feldherrn vergrößern. Gleichzeitig daß Grouchy in der Richtung auf Wavre marfchirte , stellte er sich vor daß die Gefahr von der entgegengesetzten Seite , drohe.
"
von Namür,
Wie hätte er in solcher Verblendung eine bestimmte energische
Bewegung machen können ? Die Truppen wurden durch die Schwierigkeiten der Wege aufgehalten , der General durch eine irrige Idee welche so zu sagen bei jedem Schritte ihn umstrickte und wie gegen seinen eigenen Willen riß er sich von den Feldern bei Ligny und Fleurus los. Er suchte in der Finsterniß den Feind auf seiner Rechten und in ſeinem Rücken nach der Seite von Pervez , während er sich im Gegentheil sich auf seine Linke hätte ſtüßen müſſen um sich mit Eins der französischen und der preußischen Armee zu nähern.
Der Gedanke des Führers ist es ja welcher den Truppen Sicherheit und Raschheit verleiht und sie Wunder thun läßt. Wenn dieser lichtvoll ist so haben die Truppen Flügel ; ist er ungewiß so werden selbst die Reiter schwerfällig und können sich nicht bewegen. Dieselben Wege sind gut für die Einen , schlecht für die Andern je nach dem Genie welches sie führt. Im Grunde eines jeden militairiſchen Unglücks gibt es einen großen Irrthum des Geistes ; man suche keine andere Schicksalsfügung.
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Welche positive Instruktion hat Marschall Grouchy für diese durch so viel Versäumnisse fast schon unmöglich gewordene Sendung erhalten ? Ohne Zweifel ist er ein tapferer vom beßten Willen beseelter General; aber er kann vielleicht hinter seiner Aufgabe zurückbleiben , wenigstens befürchtet er dieß.
Und was ist geschehen um ihn aufzuklären , ihn
sicherzustellen , ihn in der tiefen Nacht zu leiten , in welcher er sich seinem eigenen Lichte überlassen befindet ?
Napoleon hat von Hause aus
an der Täuschung Theil genommen , daß die Preußen sich über Namür auf die Maas zurückzögen und man erſieht aus Nichts daß er bei Marschall Grouchy diese Idee bekämpft habe. Als dieser General in jener unentwirrbaren Nacht von Gembloux auf seine Instruktionen drang , was wurde ihm zu Theil ?
Der Befehl die Preußen zu verfolgen : nichts
weiter ; aber in welcher Richtung hauptsächlich sie suchen ? welches kann die Absicht des feindlichen Generals sein ? auf welcher Seite liegt das Sichere, wenigstens das Wahrscheinliche ? hierin hätte Grouchh nötig gehabt von Napoleons höherer Einsicht geführt zu werden , aber über alles Dieses hat Napoleon ihn sich selbst überlassen , ohne ihm irgend einen Antrieb zu geben , irgend einen Lichtschimmer , der ihn unter den sich kreuzenden ihn beſtürmenden Ungewißheiten hätte zurecht weiſen können. Wahr ist daß nach den Berichten von St. Helena Grouchh der Befehl gegeben wäre sich auf einer mittleren Linie zwiſchen der franzöſiſchen und der preußischen Armee zu halten. Nun hat Marschall Groucht dieses bis ans Ende seines Lebens peremptorisch geleugnet , mit einer Beharrlichkeit, einer auffallenden Erbitterung in einer Menge von Schriften und Bemerkungen jeder Art , in denen er unaufhörlich gegen die Erzählungen von St. Helena protestirte.
Ich habe handschriftliche Noten
gesehen mit denen der Marschall seine Bücher bedeckte ; er kommt be ſtändig auf den Punkt zurück : „ daß der Befehl vom 17. nur beſagte, die Preußen zu verfolgen , daß man sie auf dem Rückzuge gegen die Maas glaube.
Ich wüßte nicht , sezt er in den Bekenntnissen die er
sich selbst zu machen scheint , hinzu , wie ich die Preußen verfolgen und mich mit dem Kaiser verbinden könnte. “ Marschall Grouchy geht hiervon nicht ab ; sein ganzes Leben hat er dasselbe mit einer Festigkeit wiederholt , welche alle Merkmale der Ueberzeugung und der Wahrheit hat, und man muß gestehen daß keine Spur einer Instruktion des Kaisers über diese mittlere Linie zu finden ist , welche da die nachfolgenden Ordres aufbewahrt worden sind , eine Quinet, Feldzug von 1815.
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nach den Ereignissen gekommene Idee zu sein scheint. Die Ordres beſtätigen den Marsch auf Wavre und sind in vollem Widerspruche mit dieser vorgegebenen Instruktion welche den Weg über Mont St. Guibert bezeichnet haben würde.
Unter den Augen des Kaisers selbst und mit seiner Zu-
stimmung war die abweichende Route über Gembour gewählt worden. Warum ließ Napoleon Grouchy sich in dieser Richtung verwickeln ? warum hielt er ihn nicht an ? warum ließ er ihn nicht die Route von Bry nach Tilly nehmen ?
Die Verbindung hätte sich von selbst her-
gestellt ; aber bereits vom Punkte des Abmarsches an , zu Sombref, befanden sich die beiden Flügel durch einen weit geöffneten Winkel von einander getrennt.
Napoleon sah Alles , billigte Alles.
Darf er nun
auf einen Andern die Verantwortung dieser unglücklichen Wahl zwischen der nähern und entferntern Richtung wälzen ?
Das sind die Erklärungen
welche Marschall Grouchy unter tausend Gestalten hinsichtlich dieser ersten falschen Bewegung wiederholt hat , welche alle andern erzeugte. Es gibt noch einen andern Beweis dafür , daß der Befehl auf einer innern Linie zu marschiren , nicht ertheilt wurde *) : daß ein so gehorsamer General wie Marschall Grouchy , der in seiner Not nur eine Instruktion , ein Wort seines Herrn verlangte um sich dadurch zu decken , sicherlich nicht verfehlt haben würde, die mittlere Linie einzuschlagen, wenn ihm dieß förmlich vorgeschrieben gewesen wäre. fernte sich höchst ungern , mit Schrecken von Napoleon.
Er ent-
Von welcher
schweren Bürde hätte ihn der Befehl , sich näher zu halten , befreit !
9. Rückzug des Herzogs von Wellington auf Mont St. Jean. Man erstaunt darüber ,
daß zwei Armeen von 100000 Mann
welche nur durch einen Zwischenraum von zwei Lieues von einander getrennt find , nach zwei großen Schlachten eine von der andern nichts wissen könnten. Nichtsdestoweniger ist es unwiderſprechlich daß der Herzog von Wellington die ganze Nacht das Reſultat der Schlacht bei Ligny nicht
*) Diese angebliche Instruktion ist sogar im Widerspruch mit den Berichten Napoleons selbst. In seinen Schriften von St. Helena ſieht man daß er fortwährend den Marsch auf Wavre billigte und auch selbst von dem Gedanken eingenommen war, die preußische Armee könne sich von Gemblour auf Quatrebras , der französischen Armee in den Rücken, verseßen. (Siehe Noten und Vermischtes.)
99 Als er am Morgen keine Nachricht erhielt prüfte er den Gesichtskreis ; er sah in der Ferne eine französische Vedette auf der Route, von welcher die Preußen hätten herkommen müssen. Er sendet eine
erfuhr.
Husarenabtheilung zum Rekognoſciren und erfährt dann daß die Preußen in vollem Rückzuge auf Wavre sind und Napoleon unbeweglich zu Ligny geblieben ist. Diese Nachricht wird ihm durch eine zweite Depesche des Marschalls Blücher bestätigt (die erste war aufgefangen). Alsbald unterrichtet Wellington den Marschall Blücher davon , daß er sich auf Waterloo zurückziehen werde. Hier wolle er anhalten , und am 18. die Schlacht annehmen , vorausgeseht daß er auf die Mitwirkung von zwei Corps der preußischen Armee rechnen dürfe.
Nachdem diese Abrede getroffen wäre,
hätte der englische General mit seinen nunmehr versammelten Kräften bei Behauptung von Quatrebras keinen andern Zweck mehr als noch einige Stunden zu gewinnen ; hierdurch gewähre er dem preußischen General diesen ganzen Tag und wenn es anginge den Morgen des folgenden , um seine Bewegung zu vollenden und sich mit ihm vorwärts des Waldes von Soignes zu vereinigen , wo sie beide darauf rechneten die bei Ligny verlorene Gelegenheit wieder zu ergreifen. 0 Marschall Ney befand sich seinerseits in derselben Unkenntniß wie der Herzog von Wellington.
Er fandte den seit dem vorhergehenden
Tage bei ihm gebliebenen General Flahaut an den Kaiser. inständig um Nachricht über die Schlacht. erscheint unglaublich.
Er bat
Die Nachricht langte an , sie
Ich glaube indeſſen “, schreibt der Major - General
Soult , „ Ihnen Mittheilung von dem Siege gemacht zu haben , welchen der Kaiser errungen hat. "
Man erinnert sich also beim Generalstabe
nicht , ob man dem linken Flügel Nachricht vom Siege des rechten gegeben habe. Während diese Ungewißheit über das bei Ligny Geſchehene dauerte, ließ Marschall Ney seine Truppen unter den Waffen unbeweglich auf den Höhen bei Frasnes und in der That konnte er etwas Anderes thun ?
Wenn Napoleon , wie es wahrscheinlich war , die Schlacht ge-
wonnen hatte , welchen Grund gab es für Ney allein die englische Armee anzugreifen , die nun ganz in Linie stand ? es war kein Vortheil dabei sich allein mit ihr einzulassen.
Je länger diese Armee sich bei Quatre-
bras aufhielt , um so mehr Gefahr lief sie durch den doppelten Angriff des Kaiſers und Neys vernichtet zu werden.
Wenn im Gegentheile die
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Schlacht bei Ligny verloren war und die französische Rechte sich zurückzog , war es dann richtig daß die Linke in ein sicheres Verderben rannte, indem sie sich blindlings mit Tagesanbruch zwischen 200000 siegreiche Feinde stellte ? Dieß sind die Beweggründe aus welchen sich Marschall Neys Unthätigkeit am Morgen des 17. erklärt. Endlich erschienen die ersten Colonnen Napoleons , aber erst um 2 Uhr.
Sie würden leicht um 7 Uhr Morgens von Ligny nach Quatre-
bras gebracht sein können und dieß ist wieder eine Gelegenheit , wo die Erzählungen von St. Helena , indem sie Vorwürfen zuvorkommen um zu verhindern daß Napoleon dieses neuen Verlustes von sechs Stunden angeklagt würde , sich beeilen den Marschall Ney deſſen zu beſchuldigen. Als wenn es nicht dem entfernteren Corps zugekommen wäre , sich zuerſt in Marsch zu sehen , während das zu Quatrebras stehende zu warten hatte !
Aber die zu Ligny in ungewohnten Paraden verbrachte Zeit ließ
sich grausam vermissen ; der Fehler wurde handgreiflich , man mußte ihn einem Andern zuschieben. Ney wurde noch einmal mit dieser Bürde belastet.
Man beschuldigte ihn am 17., wie man es am 15. und 16 .
gemacht hatte ; Napoleon jedoch war der Beweger , von ihm ging der Antrieb aus ; die Langsamkeit seiner Bewegungen erzeugte die Langſamkeit seiner Unterfeldherren.
Das wollte er nie anerkennen.
Der Herzog von Wellington gibt Befehl sich auf Waterloo zurückzuziehen.
Während seine Truppen um ihn herum abziehen legt er sich
auf die Erde , das Gesicht mit seinen Depeschen bedeckt und scheint zu schlafen.
Die Infanterie zieht sich von 11-11½ Uhr zurück.
Dieſe
Bewegung wird durch die Reiterei maskirt , welche in zwei ausgedehnten, der Straße von Namür parallelen Linien unbeweglich stehen bleibt. Bei der Annäherung der Truppen Napoleons ziehen sich diese zwei großen Vorhänge in drei Colonnen auf der Straße von Brüssel zurück. Sie werden von der leichten Reiterei des General Subervie nahe verfolgt und beunruhigt. Der Tag war heiß, der Himmel drückend. Einer der sündflutlichen in den Sommern Belgiens häufigen Regen begann zu fallen ; in einigen Augenblicken war der fette Boden den man zu durchziehen hatte in Sumpf verwandelt. Die Pferde warfen sich auf die Kniee, mit jedem Schritte wurde die Verfolgung schwieriger. Ueberdieß war es nicht der Rückzug einer erschütterten Armee welche das Gefecht verweigert , sondern die Bewegung einer Armee die mit kaltem Blute
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ihr Schlachtfeld suchen will , welches seit langer Zeit ſtudirt und vor: bereitet wurde. Die französische Reiterei heftete sich auf beiden Seiten der Straße an ihre Schritte , die Lanciers von Sübervie an der Spize , die Cuiraſſiere Milhauds auf den Seiten. Die Fußsoldaten hatten Mühe fortzu-= kommen und doch machten sie das Doppelte vom Wege Grouchys an diesem Tage , ohne Zweifel weil sie auf einem gepflasterten Wege marschirten , aber auch weil sie klar wußten wohin ſie gingen. Beim Durchzuge des Defilés von Génappes wendet sich die nahe gedrängte englische Arrieregarde um.
Lord Urbridge entwickelt auf dem
Plateau quer über die Straße die schwere Reiterei von Somerset und Ponsonby.
Die Unsrigen debouchiren von der langen engen und ge-
wundenen Straße von Génappes ; sie treffen auf diesen Wall von Reitern. Das 2. Lancierregiment war an der Spize , es seßte dem 7. englischen Huſaren- und 1. Garderegimente einen undurchdringlichen Lanzenwald entgegen.
Oberst Sourd erlangte in diesem Handgemenge durch ein
vielleicht einziges Beiſpiel von Stärke einen volksthümlichen Ruf : verwundet steigt er , nachdem ihm der rechte Arm amputirt worden , eine Stunde darauf wieder zu Pferd und seht die Führung des Angriffs fort.
Eine französische Batterie machte diesem Reitergefechte ein Ende.
Von da an bis zum Eintreffen auf dem Schlachtfelde von Waterloo schien die französische Armee die englische eher zu begleiten als zu verfolgen : man hörte auf sie zu necken , wie es beim Herannahen des entscheidenden Augenblicks geschieht , aber als er la Belle Alliance erreichte, wollte Napoleon sich vergewissern ob dieß das vom Feinde gewählte Terrain sei. Die Cuirassiere Milhauds formiren sich wie zum Angriffe, vier leichte Batterieen eröffnen das Feuer. mit 50-60 Geschützen. Waterloo.
Die Engländer erwidern es
Sie halten an : das war die Stellung von
Es war 6 Uhr Abends ; die Zeit fehlte um dieſe Armee anzugreifen. Napoleon hat ausgesprochen er möchte für diesen Abend Jofuas Macht gehabt haben um den Lauf der Sonne zwei Stunden aufzuhalten. Diese Macht hatte er am Morgen auf den Feldern Lignys gehabt ; jezt war es zu spät um zu bedauern , daß er keinen Gebrauch davon ge= macht hatte. An diesem Abend erhielt Wellington Blüchers Antwort : " Ich werde nicht nur mit zwei Corps sondern mit meiner ganzen Armee
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kommen ; wolverstanden daß wenn die Franzosen am 18. nicht uns angreifen , wir am 19. fie anfallen. " Auf diese Zusicherung hin legte der Herzog sein Hauptquartier nach dem großen Flecken Waterloo eine halbe Lieue rückwärts seiner Schlachtlinie ; Napoleon in den kleinen Pachthof Caillou oberhalb des Weilers Maison dü Roi. Dieses Gemäuer sollte sein leztes Bivouak sein.
10. Die Nacht vor der Schlacht. Der 17. Juni ging zu Ende.
Seine erste Hälfte hatten die Fran-
zosen gänzlich verloren. Auf Seiten der Feinde wurden dieſelben Augenblicke von den Preußen mit fieberischer Hiße angewendet. Ihre Armee wurde wie auf Flügeln von Bry nach Mont St. Guibert, von Sombref nach Wavre geführt ; hier bivouakiren sie jezt mit Eintritt der Nacht. Welchen Gebrauch wird Napoleon von den lezten ihm bleibenden
Augenblicken machen ? sie sind kurz , aber vielleicht reichen sie noch hin wenn er eine seiner gewohnten Inspirationen findet oder wenn er nur endlich in den Plan der Feinde eindringt. Während der Regen herabströmt und die Soldaten ihre Bivouakfeuer anzünden , zieht er sich in den Pachthof von Caillou zurück; Alles hängt von Dem ab was jezt in diesem gewaltigen Geiste vorgeht.
In dieser äußersten Nacht bes
fürchtete Napoleon nur Eines : daß die Engländer die Finsterniß benüßten um aufzubrechen und sich seinen Schlägen zu entziehen indem sie durch den Wald von Soignes gingen ; denn dann würden sie ihre Vereinigung mit den Preußen unter den Mauern Brüssels bewerkstelligen. Sie würden ihn an den Ausgängen des Waldes , verschanzt und auf 180000 Mann versammelt , erwarten. Wie sollte er sie in dieser Stellung beim Austritte aus dem Defilé angreifen ?
Dennoch müßte er es , unter der
Sorge den Ruffen , Oestreichern , Baiern Zeit zu laſſen um den Rhein zu passiren und sich des von Soldaten entblößten Frankreichs zu be mächtigen. Dieß war die einzige Beunruhigung jener Nacht. Napoleon nahm nicht einen Augenblick an , daß Blücher die unerhörte Kühnheit haben könne , vorwärts dieses Waldes von Soignes einen Flankenmarsch zu machen um in den Feldern von Planchenoit und Frichermont in seine Rechte zu fallen. Jedesmal wenn er auf seiner Rechten den Horizont prüfte, argwöhnte er nicht , ahnte und sah keine Gefahr von dieser Seite,
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So war die einzige Stelle welche ihn bedrohte die , welche ihm keine Furcht einflößte.
Dennoch war es kein ruhiger Schlaf wie vor Auſter-
liz und Jena. Napoleon konnte nicht schlafen. Um 1 Uhr Morgens stieg er zu Pferde mit dem bei welchem er sich am wenigsten Zwang anthat , dem General Bertrand.
Er folgte der Straße bis zu den
Feldwachen ; der Regen strömte unaufhörlich. Niemals brachten Soldaten am Vorabend einer Schlacht eine schwierigere Nacht zu , ohne Lebensmittel , ohne Schuß , in flüssigem Kothe gelagert oder was noch schlimmer war in von Wasser durchnäßtem Korn ; aber die Ermattung war stärker als alles Andere und die zwei vom Hunger , den Märschen und Ge fechten der vorhergegangenen Tage entkräfteten Armeen ruhten in tiefem Schlafe.
Ein feierliches Schweigen herrschte weithin ; der Horizont schien
auf der Linie der Bivouaks ganz in Feuer zu stehen. Napoleon lauschte ; er hörte ein Geräuſch von marſchirender Reiterei.
Dieß erneuerte die
Befürchtung daß die Engländer zurückwichen ; aber Deserteurs welche man ihm vorführte und andere Nachrichten verminderten diese Besorgniß. Beruhigt erreichte er vor Tagesbeginn wieder den Pachthof Caillou. Alles ging ihm so nach Wunsche.
Nur einen Vorwurf hätte er
damals gerechterweise dem Schicksal machen können : daß es ihm bei der Rekognoscirung jener Nacht keine jener plöglichen Erleuchtungen sandte, welche unter andern Umständen ihn so klar die Pläne des Feindes hatten durchschauen lassen.
Denn in der That , welche Anzeichen , die ihn zu
andern Zeiten seines Lebens unfehlbar betroffen und aufgeklärt hätten ! Die berechnete Langſamkeit im Rückzuge Wellingtons , die ungezügelte Eile in dem Blüchers , des leztern Operationslinie an der Maas aufgegeben , ein sicherer Beweis daß er sich mit der englischen Armee vereinigen wolle!
Zu andern Zeiten wären diese Zeichen für den Kaiser
ebensoviele Lichtstralen gewesen ; aber weil er im Gegentheil für jeden Schimmer der ihn retten könnte die Augen verschlossen hat , muß man wol in dieser Verblendung die plößliche Finsterniß erkennen welche den Geist des farblickendsteu Mannes umhüllt , wenn seine Stunde naht und das Schicksal mit ihm endigen will. Sicherlich war es , als er um 7 Uhr Abends im Pachthofe Caillou sein Hauptquartier nahm , ziemlich spät um die begangenen Fehler wieder zu verbessern und dennoch , wer vermag zu sagen , ob dieß unmöglich war, wenn er endlich des Feindes Gedanken erraten hätte ? Er hätte Grouchy mit Instruktionen und Voraussichten des Kommenden überhäuft,
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eine wichtige Sache wäre es gewesen sich durch sichere unaufhörliche Verbindungen mit ihm in Berührung zu erhalten.
Nun , in dieser letzten
Nacht hat Grouchy von Napoleon nicht eine einzige Ordonnanz , keine Depesche , kein Wort erhalten !
Allerdings hat nach den Erzählungen
von St. Helena Napoleon zwei Officiere an Grouchy geschickt , einen um 10 Uhr Abends , den andern um 4 Uhr Morgens ; sind aber diese Angaben genau ? Mehre bestreiten dieses und folgendes find die Gründe ihres Unglaubens : Grouchy hat nie diese Officiere gesehen , niemand hat je ihre Namen angeben können.
Die Befehle welche sie gebracht
haben sollen finden sich nicht in dem Register des Generalstabes eingetragen.
Noch mehr , in den folgenden Depeschen erwähnt Napoleon
dieser Befehle nicht , welche er in der Nacht gegeben haben würde.
Er
dringt nicht auf ihre Ausführung , er erinnert nicht einmal daran, gegen den unabänderlichen Gebrauch unter ähnlichen Verhältnissen !
Aus allem
Diesem schließen mehre Geschichtschreiber , insbesondere Oberst Charras, daß die Depeschen von welchen man keine Spur findet , die Grouchy vorschrieben 7000 Mann nach der Linken zu entsenden , nie existirt haben.
Sie scheinen nach den Ereignissen erdacht zu sein.
In jedem
Falle ist es augenscheinlich , eben durch die Schwäche dieser Abtheilung von 7000 Mann , daß der Gedanke der Bewegung in Masse , welche die Prenßeu vorbereiteten , nicht ernstlich in Napoleons Geiſte entſtand. Er hielt dieß nicht für möglich ;
er that nichts Entscheidendes um es
zu hindern oder nur sich darüber zu vergewissern. Nach Allem zweifelte man stark daran , daß der Zuſammenstoß am folgenden Tage stattfinden werde ; dieß erklärt vielleicht am Beßten , daß keine große Maßregel für eine äußerste Schlacht ergriffen wurde , an die man noch nicht glaubte. In der That verschmähte Napoleon seine Rechte bei Annäherung an das Defilé von Lasnes absuchen lassen , während schon eine englische Reiterdivision bis Ohain ging , den Preußen entgegen um ihnen das Schlachtfeld zu öffnen.
In dem Augenblicke als die franzöſiſchen Bi-
vouaks bezogen wurden , beobachtete sie bereits der preußische Major von Falkenhausen in geringer Entfernung von den Höhen. Belieben diese ruhigen Feuer zählen. zu benachrichtigen.
Er kann nach
Er eilt den Marschall Blücher
Er berichtet die Sicherheit des französischen Feld=
herrn , die Unvorsichtigkeit dieser Bivouaks , daß keine Maßregel am Eingange des Defilés und Gehölzes von Paris getroffen und daß sicher ein Angriff von dieser Seite nicht vorgesehen sei.
Eine einzige fran-
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zösische Patrouille sei am Morgen gegen Maransart hin angetroffen worden. Der Major Witowsky beſtätigt diese Nachrichten durch einen ähnlichen Bericht und sie bestärken Blücher in dem Plane, die ganze preußische Armee oder mindestens drei Corps gegen das Gehölz von Frichermont in die Flanke der französischen Armee zu werfen. So beschäftigen Napoleon die Engländer allein : das Uebrige vernachlässigt er , aber hierdurch ist noch nichts verloren.
Selbst ohne
Grouchy an sich zu ziehen , selbst ohne eine neue Instruktion zu senden bleibt ihm noch eine Möglichkeit zu siegen. Er , der so oft die Dunkelheit durchdrang , wird wenn endlich er mit Tagesbeginn ahnt , was sich auf seiner Rechten zusammenzieht , in aller Eile die letzten Augenblicke benüßen die ihm noch gewährt sind ; er wird um jeden Preis der Ankunft und dem Angriffe der Preußen zuvorkommen. 18. beginnt.
Der Tag des
Der Regen hat aufgehört , der Himmel klärt sich gegen 5 Uhr auf. Es ist ein leztes Lächeln des Glücks und wie ein Zeichen daß man eilen müſſe. Warum noch länger die Sonne von Austerlit erwarten, da sie zu erscheinen verweigert ? Es genügt daß sie es Tag werden lasse. Die Gefahr fühlend wird Napoleon sich durch keine Betrachtungen über die Unbestimmtheit des Wetters , das aufgeweichte Terrain , die Schwierigkeit , die Geschüße zu bewegen , hinhalten lassen , welche Art von Beobachtungen Untergeordnete niemals zu machen unterlassen , die aber vor der Notwendigkeit eines unbeugſamen Willens verschwinden. möge nur sich seiner selbst erinnern.
Er
Hat er nicht bei Dresden in fal-
lendem Regen gesiegt , bei Eylau troß des ſeine Armee blendenden Schnees ? Hat er nicht bei Jena im Oktober die Schlacht vor Tage in undurchdringlichem Nebel begonnen , wo er sich mit Fackeln leuchten ließ ? Wenn der Regen das Feuer der Infanterie unmöglich macht wie an dem Tage an der Kazbach, so wird dieß ein Vortheil des Angreifers und der blanken Waffe sein.
Auch kommt in diesem Augenblicke das in der
Nacht von Génappes abgezogene Corps von Reille an. Es formirt sich zuerst auf dem Schlachtfelde ohne nach dem Zustande des Terrains zu fragen.
Was dieses Corps vermochte nachdem es drei Stunden mar-
schirt war , können die andern noch leichter ausführen. In allen Fällen gebietet die Notwendigkeit : es ist nichts mehr zu erwägen.
Eine ein-
zige Aussicht bleibt noch , es hängt von Napoleon ab sie zu ergreifen. Hierzu müssen die Truppen ihre Bivouaks verlassen sobald es heller
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Tag ist; er muß um 7 Uhr , oder wenigstens um 8 Uhr Morgens angreifen. Im Gegentheile aber , wenn er , durch ein falsches Vertrauen betrogen , zum ersten Male und [bis zum letzten Augenblicke verblendet, glaubt nicht nötig zu haben mit der Zeit zu rechnen , wenn er nachdem er den Morgen des 16. und 17. verlor , auch noch den des 18. verliert , wenn er glaubt erwarten zu können daß die Sonne das Gewölk zerstreue, daß der Regen aufhöre , die Erde abtrockne , so daß kein Hinderniß ihn hindere zu siegen , dann mag dieß der lezte Aufschub werden, der ihm gewährt wird.
Sehen wir , welche von beiden sich ihm noch
bietenden Möglichkeiten Napoleon wählen werde.
11. Schlachtordnung der beiden Armeen.
Napoleons Plan.
Mit der Nacht ist die lezte Besorgniß geschwunden , die Engländer den Kampf vermeiden zu sehen.
Die ersten Stralen des Tages am
18. Juni zeigen sie unbeweglich in ihrer Stellung vom vorigen Tage. Napoleon äußert darüber eine lebhafte Freude. Er läßt von neuem seine Blicke über das Schlachtfeld schweifen. Als er auf seiner Rechten im Osten in voller Beleuchtung das durchschnittene von Ravins durchzogene , hügelige , bewaldete Terrain entdeckte , argwöhnte er nicht mehr als am Abend vorher , daß eine Gefahr in jenen engen Defileen ver borgen sein könne , welche auf der Seite den Horizont abschlossen.
Un-
terdessen näherte sich bereits gegen 10 Uhr ein preußisches Huſarenregiment unter Major von Lüzow schweigend dem Saume des Gehölzes von Frichermont.
Sie lösten die englischen Vorposten ab , ohne nur
einen Mann zu treffen , der sie beunruhigt oder überwacht hätte.
Sie
waren hier eine Kanonenschußweite von der französischen Armee und noch regte sich bei Niemandem der Gedanke daß hier etwas von den Preußen zu befürchten sei .
Wenn nur eine Reiterbrigade abgeschickt
wäre um diese Richtung abzusuchen , so würde sie bald unfehlbar die Anwesenheit des Bülowſchen Corps aufgedeckt haben , denn deſſen Avantgarde erſtieg in diesem Augenblicke schon die den Höhen von St. Lambert entgegengesetzten Abhänge.
Es herrschte aber dieselbe Sicherheit
bei den Unsrigen wie am Abend zuvor.
Napoleon ließ , des Sieges
gewiß , nicht einmal diesen schon in seiner Flanke verborgenen Feind rekognosciren ; so sehr unterschäßte er die , welche ihm den lehten Schlag
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beibringen sollten ! Er schien jezt sie nicht nur zu mißachten , sondern sogar sie zu vergessen. Ein wenig früher , während der Kaiser frühstückte , war Marschall Ney herzugeeilt ; er hatte so eben die Vorposten abgeritten und meldet schon an der Schwelle , daß die Gelegenheit entwische , daß die Engländer zurückgingen. Wenn man nur einen Augenblick warte, so würden sie sich entziehen und bald der Wald von Soignes sie decken.
Napoleon
theilt weder diese Befürchtung noch dieſe Ungeduld ; er hat beſſer geſehen wie sein Unterfeldherr und antwortet ihm daß es jezt für die Engländer zu spät ſei und ihnen nichts übrig bleibe als die Schlacht zu liefern. Hierin täuschte er sich nicht : aber wie wenn in dieſem Moment ſelbſt ſein Licht dazu dienen sollte ihn blind zu machen , so fand er in dieſer Gewißheit einen Grund um noch zu zögern. Man bemerkte daß er sich darin gefiel vor Denen welche ihm zuhörten mathematiſch die Aussichten dieses Tages zu bestimmen.
Sie waren ihm zufolge 90 von 100 für
den Sieg ; nicht 10 waren dagegen : und es ist noch gewiß daß er unter diesen 10 entgegenstehenden Aussichten die Dazwischenkunft der Preußen auf dem Schlachtfelde für Nichts rechnete. daran , als er sie mit Augen sah.
Er glaubte kaum
Das Vertrauen der Armee war nicht geringer als das des Feldherrn.
70000 Franzosen , von Napoleon und Ney geführt , hielten sich
80000 Feinden , unter denen nur 40000 Mann alte Truppen und das Uebrige zum Theil Landwehr waren , unbedingt überlegen.
Nie war
man sicherer zu siegen ; und dieß verursachte unzweifelhaft (noch mehr als das üble Wetter) daß die Schlacht noch einmal hinausgeschoben wurde ; denn an diesem Morgen gab es zwei von einander sehr vers schiedene Tagesbefehle Napoleons . Nach dem ersten sollte die Armee um 9 Uhr Morgens schlachtbereit stehen und jeder zu dieser Zeit die am Abend vorher bezeichnete Stellung einnehmen .
Ein zweiter etwas
später den Corpsbefehlshabern mitgetheilter Tagesbefehl schiebt den Mo ment der Handlung bedeutend hinaus ; dieſer befiehlt daß die Armee etwas nach 1 Uhr Nachmittags in Schlachtordnung stehe und der Angriff alsbald beginne.
Zwischen diesen beiden Befehlen zum Angriff ist ein
Unterschied von 4 Stunden , und der Grund davon ist die vollkommene Sicherheit, welche sich der Geister bemächtigte , nachdem die Engländer keinerlei Anstrengung gemacht hatten , sich dem Kampfe zu entziehen. Im Uebrigen wurde keine der beiden Instruktionen nach dem Wortlaute
108 ausgeführt ; wahrscheinlich wurden sie beide durch mündlich gegebene Befehle ersetzt. Man suchte lange einen Landeseinwohner um Napoleon als Führer zu dienen. Ein Bauer welcher wie alle andern in die Gehölze geflüchtet war, kam am Morgen nach Planchenoit zurück ; er begab sich in die Kirche, denn es war Sonntag. Generale schickten ihn zu Napoleon welcher ihn auf den Höhen von Rossomme bei sich behielt.
Dieser Mann der
Felder blieb den ganzen Tag zu Pferd an seiner Seite in den verschiedenen Standorten welche er während der Schlacht einnahm. Um dieſent Bauern zu beruhigen , sagte Napoleon zu ihm : „ Sprecht zu mir mit 1 Freimut , mein Freund , als wenn ihr bei euern Kindern wäret " ; und da er sah daß er bestürzt war , gab er ihm von seinem Tabak und frug ihn über die Orte die er in seiner Jugend gesehen hätte.
Später
verwies er ihm daß er vor den Kugeln sich bückte, was in der Ferne glauben machen könne daß der Kaiser getroffen sei , wobei er hinzufügte daß man sie weder stehend noch liegend vermeide. Der Bauer bemerkte daß Napoleon seine Befehle mit großer Sanftmut seinen Adjutanten gab ; von da an wagte er zu reden , nannte die benachbarten Dörfer wie sie der Kaiser mit der Hand andeutete , zur Linken zwiſchen Ravins die spißigen Thürme von Braine la Leud , Merke Braine , zur Rechten Planchenoit , Lasnes , Ohain , und über das vergoldete Laub der Gehölze hin auf einer Höhe Chapelle St. Lambert , welches damals noch keinen Verdacht erregte. Das Schlachtfeld *) auf welchem das Schicksal der Welt sich entſcheiden sollte , war damals im Norden und Nordosten von Wäldern begrenzt wie ein großes geschlossenes Feld. Eine Niederung trennte die beiden Armeen ; sie nahmen einander gegenüber Höhen ein , welche faſt parallel in der Richtung von Osten nach Westen liefen ; die Reihe von Hügeln auf welchen die Franzosen aufgestellt waren , bildete eine etwas convere Linie und umfaßte die entgegengesezte Seite. Der höchste Theil dieser beiden gleichlaufenden Linien ist ihre Mitte , so daß die beiden niedrigern äußersten Enden einander entzogen sind ; die beiden Flügel derselben Armee können sich nicht bemerken. Die höchsten Punkte werden von der großen Straße geschnitten , welche sich fast senkrecht gegen die
*) Man sehe die detaillirte Beschreibung , welche ich in der Revue des deur Mondes vom 1. Oktober 1836 veröffentlicht habe.
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Stellung auf diesen Höhen hinzieht , wobei sie den Wellenformen des Bodens folgt. Auf Seite der Engländer war der Rand des Plateaus in seiner Ausdehnung durch einen Hohlweg bezeichnet , welcher geeignet war , der Front ihrer Armee einen Schuß abzugeben.
Vorwärts dieser
Art von Graben erhob sich das Terrain jäh in einer schwer zu erſteigenden Kante oder Böschung , hauptsächlich in der Mitte. Unterhalb dieses verlängerten Randes waren drei Posten , wie vorgeschobene Forts der feindlichen Linie.
Der erste , an unserer äußersten Linken , war
das Schloß Hougoumont , ein großer vierseitiger Thurm , der von Scheunen und Ställen flankirt , von Gehölz , Obstgärten , Gärten und Umfriedigungen umgeben war.
Der zweite unterhalb der Mitte ist der große
Pachthof la Haie Sainte , in der Mitte des Abhangs am Rande der Straße ; ein von hohen Mauern umschlossener Hof , ein großes von einer Art Zinne überragtes Thor liegen davor , der terraſſenförmige Garten schüßt ihn von hinten.
Nach der Rechten wird das Thal durch das
Dorf Smohain und das Schloß Frichermont geschlossen; es bildet das Gegenstück zu Schloß Hougoumont an dem entgegengesezten Ende. Ein langes , tief gewelltes Plateau also , mit einer Kante bekleidet, unterhalb des Plateaus
in ausgedehnten Niederungen drei ländliche
Festungen , Hougoumont , la Haie Sainte , Smohain , dieſer Raum zur Linken mit Holzschlägen bewachsen , außerdem überall mit Kornfeldern bedeckt, ohne Hecken , ohne Bäche , von zwei großen gepflasterten Straßen durchschnitten , welche sich an der Spite des Winkels im Flecken Mont St. Jean' vereinigen — so war das Schlachtfeld beschaffen. Die EngLänder hatten unmittelbar hinter sich das Dorf Mont St. Jean , welches sich zu beiden Seiten der Straße wie eine Vorstadt ansdehnt , weiter zurück Waterloo , endlich den Wald von Soignes , welcher ohne Buſchwerk und hemmenden Pflanzenwuchs aus Buchen bestand. Man streitet noch darüber ob er beim Rückzuge ein Schuß oder ein Hinderniß gewesen sein würde.
Die äußerste Linke der englischen Stellung stieß an ein Gehölz von Fichten und Eichen , das auf dieser Seite das Schlacht-
feld beherrschte. Eine Armee welche sich in diesen dichten Gehölzen , die von einigen Lichtungen durchschnitten sind , verbergen wollte , könnte heranschleichen und unversehens debouchiren ; sie würde erst in dem Augenblicke demaskirt sein , wo sie Theil an der Handlung nähme.
Der englische General hatte von diesem Terrain Nußen gezogen, welches er seit langer Zeit studirt hatte. Seine erste Linie krönte den
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Rand des Plateaus ; man sah sie wie ein langes rothes Band sich von dem Grün der Hecken abheben. Die Linke wurde aus der leichten Reiterei von Vivian und Vandeleur , der Infanteriedivision Picton , der holländisch - belgischen Division Perponcher und der 8. Brigade unter Kempt gebildet.
Diejenigen der Verbündeten auf welche der Herzog
von Wellington am wenigsten rechnete , befanden sich so zwischen den Reihen der Engländer , umgeben und eingefaßt.
Auf der englischen
Rechten von der großen Straße breiteten sich die Divisionen Alten , Cooke, die 1. und die 2. Brigade der Garden aus. Diese Truppen , welche die Mitte bildeten , waren mit Divisionen in Colonne gesezt , ober- und unterhalb der Krete und reichten bis zur Straße von Nivelles.
Von
da stüßte das Corps des Lord Hill sich auf die Ravins hinter Merke Braine ; an der äußersten Rechten hielt die belgische Division von Chaſſé Braine la Leud besezt. Vorwärts der Stellung war das Schloß Hougoumont durch 4 leichte Compagnieen von Naſſau , eine Compagnie Hannoveraner , einen Theil des Bataillons Lüneburg und die 2. Brigade der Garden besetzt , welche die Reserve bildete ; der Pachthof la Haie Sainte durch das 2. Bataillon von Hannover unter Major von Baring ; der Pachthof Papelotte durch eine belgische Abtheilung ; Smohain durch das Regiment Oranien - Nassau , welches
vom Prinzen von Sachsen-
Weimar befehligt wurde. Dieß war die erste englische Linie.
Die zweite bestand ganz aus
Reiterei. Die mit Escadrons gebildeten Colonnen hielten geschlossen rückwärts auf dem Plateau mit Zwischenräumen zur Entwickelung ; sie waren dem Auge der Franzosen entzogen.
Hinter der Division Picton
stand die 2. Brigade unter Ponsonby. Die Reserven bildeten eine dritte Linie : auf der Linken und in der Mitte die niederländische Reiterdivision unter Collaerts , die 10. eng lische Brigade in dem Winkel des Straßendurchschnittes , die Brigade Lambert nahe den Höfen von Mont St. Jean ; an der äußersten Rechten das Corps von Braunschweig zwischen Merke Braine und der Straße von Nivelles. Die Belgier , Holländer , und die Milizen von Hannover und Deutschland waren überall durch die alten brittischen Truppen flankirt und wie beobachtet. Bei diesen war die Infanterie auf zwei Glieder gestellt, jedoch vorbereitet sich zu verdoppeln , sobald ſie bedroht würde. Die Artillerie deckte die Front der Divisionen. Oberhalb la Haie
Sainte befand sich eine Batterie von 24 Geschüßen.
Als diese Anord-
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nungen getroffen waren , nahm der Herzog von Wellington für ſeine Perſon 100 Schritte vom Rande des Plateaus durch die Böschung gedeckt Stellung. Er befand sich hier im hißigsten Gefechte ; er hielt seine Armee in der Hand , keine Einzelheit der Ausführung konnte ihm entgehen. Napoleon hatte bei der von ihm vorgenommenen Rekognoſcirung mit seinem gewohnten Ueberblicke die Beschaffenheit des Schlachtfeldes beurtheilt er sah daß die Rechte und die Mitte des Feindes durch die Schwierigkeiten des Terrains gedeckt und außerdem durch zwei große von der Schlachtlinie kaum 400
500 Meter entfernte Hinderniſſe,
Hougoumont und la Haie Sainte , beschüßt waren ; aber als er sich angesichts der französischeu Rechten aufgehalten hatte , bemerkte er daß die Krete des Terrains an dieser Stelle sanfter geböscht sei. Außerdem war die erste Linie vor dem Schlosse Frichermont durch einen leerge lassenen Raum von 1600 Meter getrennt , wodurch sie ohne Anlehnung schwebte.
Seine Angriffscolonnen werden leicht in diesen Zwischenraum
eindringen können. Offenbar wird er von dieser Seite am leichtesten der englischen Linie beikommen können. Auch besteht kein Zweifel über den Angriffsplan welchen er in dieſem Momente faßte ; er diktirte ihn zwei auf der Erde bei ihm fizenden Generalen auf einem Hügel von welchem sein Blick das Terrain umſpannte , das die beiden Armeen sich streitig machen sollten. Er wird den Feind durch falsche Angriffe auf Hougoumont und Demonstrationen gegen Merke Braine täuschen.
Wenn der Feind seine Verstärkungen
nach dieser Seite hin geworfen haben wird , führt Napoleon ſeinen wirklichen Angriff auf die entgegengesezte , die englische Linke. Durch Ueberwältigung dieser Linken , welche sie ohne Unterſtüßung finden werden, werfen sich die Franzosen gegen Mont St. Jean an dem Kreuzpunkte der Straßen. Den Sapeurcompagnieen des Corps von Erlon wird Befehl gegeben sich bereit zu halten um sich in diesem Dorfe zu verbarrikadiren.
Auf dieser Seite wird die Schwierigkeit geringer und der Sieg
unfehlbar größer sein.
Die Engländer werden sich nachdem sie besiegt
sind , nicht mehr auf die Preußen zurückziehen können ; sie werden sogar von der Straße nach Brüffel abgeſchnitten ſein , es werden ihnen nur die Defileen von Braine und in der Entfernung die Schelde bleiben, dann das Meer in welches man sie stürzen wird. plane findet man Napoleon ganz wieder.
In diesem Schlacht-
Warum wurde er , nachdem
112
er in der ersten Phase der Schlacht versucht wurde , so schnell aufgegeben ? Dieß wird die Folge der Ereignisse bald zeigen. Während Napoleon seinen Unterfeldherren seine letzten Instruktionen. ertheilte , formirte sich die franzöſiſche Armee unter seinen Augen.
In
der Erzählung von St. Helena bezeichnet er die Bereitschaftsstellung nicht nur jedes Corps , ſondern jeder Diviſion , jeder Brigade , mit einer Sorgfalt für das Einzelne , die er in keiner andern seiner Erzählungen gezeigt hat.
Man möchte sagen daß er , indem er so genau die Stelle
eines jeden vor der Schlacht beschrieb , für alle die Momente der Hoffnung verlängern , seine noch intakte Armee vor sich vorüberführen und fie ein leztes Mal die Revue paſſiren laſſen wollte. Die Truppen ordneten sich in der That wie zu einer Revue auf einer Front von 4000 Metern , zwischen den Höhen von Frichermont, der Straße von Charleroi und der von Nivelles.
11 Colonnen sezten
sich gleichzeitig in Marsch um ihre Stellungen einzunehmen.
Während
sie alle zusammen über die Höhe der Hügel zogen , entwickelten sie sich wie ungeheure mit glänzenden Schuppen bekleidete Schlangen ; aber aus diesem scheinbaren Chaos sollte die Ordnung nicht säumen hervorzugehen: Unbeweglichkeit trat an Stelle der Bewegung , feierliches Schweigen lagerte über dem Schlachtfelde. Der Feind konnte mit Muße diese neue Ordnung betrachten , welche einem militärischen Feste ähnlich sah. Die beiden ersten Linien waren 30 Toisen von einander von der Infanterie Neys gebildet.
Zuerst auf der Rechten war es General von
Erlon , welcher noch kein Zusammentreffen mit dem Feinde gehabt hatte. Er war versezt aufgestellt , ohne Zweifel in Folge der Contremärsche des Tages von Qutrebras * ) ; ſeine 4. Diviſion war an der Spiße , angesichts Smohain , seine 1. zur Linken auf die Chauſſee von Charleroi geſtüßt. An dieses Corps reihte sich das von Reille , ebenfalls in zwei Linien von den Höhen von la Belle Alliance bis zur Straße von Nivelles , Bachelü zur Rechten , Foy in der Mitte , Jerôme zur Linken. Die beiden Reitercorps von Jaquinot und Piré dehnten sich in 3 Linien weithin auf beiden Flügeln aus , das eine Frichermont beobachtend und Posten gegen Ohain werfend , das andere die Ebene bis Braine
*) Ich finde keine andern Gründe für diese Formation und Verwirrung als sie bereits General Jomini angegeben hat. Précis , p. 204.
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la Leud absuchend.
Dieß waren die Linien welche die feindlichen Stel-
lungen angreifen sollten. 100 Toisen hinter dieser ersten Front der Schlachtordnung entwickelten sich vier ungeheure Linien Reiterei.
Da waren zuerst die
Cuirassiere von Kellermann und Milhaud , welche hinter Reille und Erlon standen ; sie waren bereit die Infanterie bei ihrer Attake zu unterſtüßen. Dann kamen noch 100 Toisen weiter zurück als sie und wie um die ersten Früchte des Sieges zu pflücken , die Grenadiere zu Pferd , die Dragoner der Garde Güyots und die Lanciers unter Lefebvre- Desnouettes. Diese ganze im Glanze der Helme und der Cuirasse funkelnde Reiterei hatte in einer Entfernung von 100 Toiſen das Corps von Lobau als eine erste Reserve bei sich.
Dieses Corps allein hatte sich in geschlossenen
Colonnen zu beiden Seiten der Straße von Charleroi geordnet , seine Infanterie zur Linken , die Reiterei von Domon und Sübervie zur Rechten. Auf der Höhe dieser Schlachtordnung entwickelten sich in sechs Linien die 24 Bataillone der Garde zu Fuß. Diese ernsten , geschlossenen Bataillone waren hier in der Ferne , in der lezten Linie dem Feldherrn zur Hand , um den Kampf zu endigen.
250 Feuerschlünde waren auf
der Front der Divisionen , in den Zwischenräumen oder auf den Flanken vertheilt ; die Artilleriereserve hinter den Linien. In den einleitenden Maßregeln war es schwer ein sicheres Anzeichen des Angriffsplanes zu entdecken. Alle Punkte der feindlichen Linie werden bedroht. Der Herzog von Wellington wird jedenfalls lange Zeit über die Absichten seines Gegners ungewiß bleiben . Mehre Geschichtschreiber haben in Zweifel gezogen , daß dieſe vorbereitenden Anordnungen wirklich so ausgeführt worden seien wie ich sie nach den Berichten von St. Helena aufgeführt habe. Sie wenden ein daß diese Formation eher ein militairisches Schauſpiel als eine Aufstellung für die Schlacht sei.
Das wellenförmige Terrain erlaube sich
zu concentriren und die Maſſen zu decken.
Sie fügen hinzu daß es
unmöglich sei , daß Napoleon eine so kostbare Zeit verloren habe um unmäßig lange Linien zu entwickeln welche man wieder zu Colonnen abbrechen mußte sobald man handgemein wurde.
Andere begnügen sich
zu tadeln ; aber sicher ist es nach den glaubwürdigsten Zeugnissen , daß diese Anordnungen wirklich ausgeführt wurden.
Napoleon hatte sich
unzweifelhaft durch diese ungeheuern Entwickelungen einen Zweck gesezt, welchen die äußersten Umstände erklären. Er wollte der Armee das Quinet, Feldzug von 1815.
8
114 Schauspiel der Armee gewähren , durch dieses Schauspiel das Vertrauen des Soldaten vermehren , ihn durch den Pomp und die Größe dieser kriegerischen Scene begeistern. Es ist sicher , daß durch das Uebergreifen dieser concentrischen Linien , welche die Schwadronen der leichten Reiterei auf beiden Flügeln weithin verlängerten , er den Feind bereits zu umfassen und überflügeln schien. Nicht allein ist es bewiesen daß er so die ganze Armee entwickelte, sondern er passirte auch die Linien vorbei während die Tambours schlugen und die Musikcorps inmitten der begeisterten Zurufe der Soldaten spielten. Diejenigen welche dieſem militairischen Feste beigewohnt haben sind einmütig : es gab hier nicht einen Mann der bei diesem Anblicke am Siege zweifelte.
Wahr ist , daß die Stunden verflossen ; aber wer konnte
damals glauben daß diese Stunden der Begeisterung dem Feinde Nußen brächten ?
Dieser bewahrte das Schweigen.
Seine durch das Terrain
verdeckten , in Masse geschlossenen , schweigenden Colonnen entzogen sich zum Theil trübselig dem Auge.
Da gab es kein Trompetengeſchmetter,
keine Trommelwirbel , keinen Vivatruf , aber eine finſtere Unbeweglichkeit. So erschien , diesen einleitenden Maßregeln zufolge, die englische Armee der französischen bedeutend untergeordnet. Die Unsrigen hatten , außer allen den andern Beweggründen zur Zuversicht , noch das Vertrauen auf die Zahl. Napoleon stieg auf der Höhe von Noſſomme vom Pferde : er befand sich etwas über 1500 Meter rückwärts der Schlachtlinie ; aber sein Blick konnte von da das Ganze des Terrains umfaſſen welches die beiden Armeen sich streitig machen wollten. Man brachte aus einer Hütte der Nachbarschaft einen kleinen Tisch und einen Strohſtuhl.
Er sezte
sich und entrollte seine Karten ; die Handlung sollte beginnen. Bei einer Handlung wie die bei Waterloo scheint es , daß die entscheidendsten Zwischenfälle heutzutage hinlänglich genau gekannt wären um es unmöglich zu machen daß die Geschichte sich darin irren könne, und doch ereignet sich das Gegentheil. Wenn man nur etwas ernstlich in die Geschichte jenes Tages eindringt , so erstaunt man zu sehen , wie viel Dunkelheiten , Widersprüche , Ungewißheiten noch in dem Berichte über die wichtigsten Ereignisse übrig geblieben sind. Ist diese Phase der Schlacht jener anderen Phase vorangegangen oder gefolgt ? ist dieſes Dorf genommen worden ? dieser Pachthof besetzt ? zu welchem Zeitpunkte verloren und wiedergenommen ?
Jeder Bericht weicht über jeden dieser
115
Punkte ab und doch hängt von dieser Verkettung der Ursachen und Wirkungen der wahre Charakter einer Schlacht ab.
Es gibt in dieſen
Tagen eine unversöhnliche Chronologie ; wenn man einen Augenblick ſie stört, so entwischt uns Alles.
Ich nehme mir hier vor , nicht die
Schauer des 18. Juni wieder zu erwecken , sondern die hauptsächlichen Phaſen der Handlung in der genauen Ordnung zu bezeichnen , in welcher sie sich zugetragen haben.
Ich suche die Wahrheit so wie eine Prüfung
von 46 Jahren , welche von den Herren Oberst Charras und General Jomini bewundernswürdig wieder eröffnet und fortgesetzt worden ist, fie einem unparteiischen Geiste zu enthüllen vermag - wenn es in derartigen Dingen solche' gibt.
Dritter Theil.
Die Schlacht von
Waterloo .
Erste Phase der Schlacht. Es war bereits 112 Uhr.
Auf der äußersten Linken knattert
das Gewehrfeuer im Gehölz von Hougoumont.
Jeden Augenblick breitet
es sich aus und gewinnt dieſen Theil der Linie.
Die weißen Rauchwolken
erheben sich über das Gehölz.
Nach Napoleons Absicht sollte dieſer
Angriff nur eine Finte sein.
Von Baum zu Baum treiben Reilles
Tirailleurs die naſſauiſchen und hannoverschen Bataillone vor sich her, in einem unebenen Terrain voll Ravins . Foy marſchirt an der Spize seiner Division gerade auf Hougoumont.
Die englischen Garden ziehen
sich wieder zuſammen , ein Theil auf dem Fußsteige rechts des Schloſſes, ein andrer auf dem Zugang und dem großen Obstgarten zur Linken. Die Unsrigen stürzen sich auf die Einfassungen.
Sie erreichen die be-
rühmte Hagebuchenhecke welche sie für die Grenze des Gartens anſehen. Sie suchen sie zu stürmen.
Von einem Kugelregen dicht auf dem Leibe
empfangen , treffen ihre Schüsse nicht. So leiden sie lange nulos ohne zu bemerken daß diese Hecke eine lange Mauer maskirt , welche in der Nacht crenelirt war. Von der Höhe dieser Mauer unterhalten die durch Vorrichtungen geschützten englischen Garden ungestraft ein Feuer gegen sie, dem sie nicht antworten können.
Schon bedecken sie mit ihren
Leichen die Zugänge zu dem Erlengehölz ; der verschanzte Feind leidet fast keinen Schaden.
Während sie eine Lücke in dieser Art Festung
ſuchen , haben die Soldaten Reilles vom Instinkt geleitet , die Coldstreamcompagnieen nach der westlichen Ecke des Schloſſes verfolgt ; ſie
117
dringen mit ihren Gegnern gemengt in den großen Hof ein , aber das Thor wird geschlossen und die Unſrigen , welche die Schwelle überſchritten, werden massacrirt.
Auf der Ostseite wird der von lebenden Hecken
begrenzte Obstgarten mit gleicher Wut angegriffen und vertheidigt.
Nach
verschiedenen Zufällen des Kampfes ziehen sich die Franzosen in das Gehölz und sammeln sich ; sie dringen von neuem vor , werfen sich auf dieselben Umzäunungen , die sie nehmen , verlieren und wiedernehmen, mehremale in wenigen Stunden. Das ganze Infanteriecorps Reille, 12000 Mann ist mit diesem Gefechte um Hecken , Mauern , Gehölz, éinem Kampfe der Ueberrumpelung und der Hinterhalte , beschäftigt. Die massiven Gebäude des Schlosses und der Wirthschaft sehen den Kugeln unserer Tirailleure einen unbesiegbaren Widerstaud entgegen. Napoleon will damit zu Ende kommen : er sendet 12 Haubißen. von Kellermanns Artillerie. Die Geschosse regnen auf Hougoumont und ſehen es in Feuer.
Das Schloß brennt , die Flammen verzehren
die Vertheidiger , welche nicht fliehen konnten ; aber der Kampf dauert überall , wo eine Einschließung , ein Stall , ein Hof übrig ist.
Durch
die Rauch- und Aschenwolken welche sich aus den Trümmern erheben, antworten die Batterieen von Piré , Jerôme und Foy denen der Divisionen Alten und Cooke auf dem gegenüberliegenden Hügel. Der General Bauduin , Chef der 1. Brigade fällt mit einem Drittel seiner Leute. Bald mußte General Foy , von einer Kugel an der Schulter getroffen, sich zum Verbandplate begeben. Jerôme wird auch am Arm verwundet und läßt General Guilleminot das Commando *). Anstatt einer Finte ist es ein blutiger Kampf , dessen größtes Resultat darin besteht , mehrere der beßten Truppen des Feindes hier ' zu beschäftigen. Seine Aufmerksamkeit ist auf seine Rechte gerichtet ; dieß ist der Augenblick seine Linke zu vernichten , übereinstimmend mit Napoleons Plan. Dieser große Angriff bereitet sich vor ; er wird durch das Feuer von 74 Geschützen eröffnet , welche den Feind von der Höhe der vor la Belle - Alliance gelegenen Hügel beschießen.
Hier ziehen sich die
langen Linien des Corps von Erlon in Colonnen auf den Höhen zusammen , von wo sie sich in die Niederung stürzen sollen um den gegenüberliegenden Abhang zu ersteigen und die feindliche Linie in Stücke zu
*) Faktisch hatte dieser überhaupt das Commando der Division, auch bei Quatrebras. (Anmerkung des Ueberseßers.)
118
schneiden.
Jede dieſer Colonnen wird den Punkt faſſen , der ihr be-
zeichnet ist ; die Commandirenden besichtigen ihn zuvor und merken sich die Annäherungswege. Bewegung ;
Neh , auf der großen Straße , überwacht die
er schreibt mit Bleifeder unter einem Kugelregen , seine
letzten Instructionen : „ Daß es wol verstanden werde , daß das Echelon der Linken an der Spize marschire. " Der Befehl zum Beginne der Bewegung wird erwartet. - Während aber dieſe Formation ſich vollendet, zieht ein ernstes Ereigniß Napoleons Aufmerksamkeit in die Ferne. Bevor er das erwartete Zeichen gibt , hat er den Horizont überſchaut und da bemerkt er senkrecht auf seine Rechte , eine starke Lieue vom Schlachtfeld auf der Höhe , welche der weiße Thurm von St. Lambert bezeichnet , etwas wie eine Wolke , was er für Truppen hält.
Das
Wetter war sehr trübe , die Gegenstände unterschieden sich schlecht in einiger Entfernung. Nichtung
Die Generale seiner Umgebung blickten nach dieser
einige hielten es für Bäume, andere für Truppen.
zum Major - General :
Er sagte
Marschall, was sehen Sie über St. Lam-
bert? " " Ich glaube dort 5-6000 Mann zu sehen. Es iſt Es war 1 Uhr. vielleicht eine Abtheilung Grouchys. . . . “ Dieß war nach allen Berichten , Napoleons erste Bewegung beim Anblick dieser Truppen.
Es war auch für ihn die Vorhut Grouchys .
Er
wiederholte es , sei's daß er es glaubte , sei's daß er sich so stellte. In jedem Falle war die Täuſchung kurz. Einer seiner Adjutanten , General Bernard , galoppirte vor zur Recognoscirung dieser Colonne. Beim Eintritt in das Gehölz von Lasnes steigt er vom Pferd und dringt zu Fuß in das Buſchwerk vor. Truppen und erkennt sie. zurück.
Nach einigen Augenblicken nähert er sich Außer Zweifel , kehrt er eilig zum Kaiser
Napoleon ging ein wenig zur Seite umher , der Schlacht den
Rücken wendend , auf den Höhen von Rossomme. „ Sire, es sind Preußen! Ich zweifelte daran. " Und bald , indem er sich den Officieren des Stabes näherte , mit lauter Stimme und zuversichtlicher Miene : "1 Meine Herren , da kommt Grouchy. " Napoleon dachte damals daß es nur ein geringes Corps sei ; er steifte sich auch darauf , daß Grouchy dieſem Feinde auf der Spur folge. Der Sieg wird nur vollkommener sein , wenn diese preußische Abtheilung von Grouchy gefolgt ist , während er sie von vorn angreife.
So wandte
er selbst diesen Zufall zu seinem Vortheil , weil er Hoffnung und Aussicht des Sieges bedurfte bei den härtesten Drohungen des Schicksals. -
119 Durch diese Höhen von St. Lambert welche das Schlachtfeld überhöhen, waren die preußischen Colonnen am äußersten Horizonte sichtbar; sie werden nicht unvorgesehen auf das Schlachtfeld gelangen. Die Nachricht ist so weit der Blick reicht , zum voraus gegeben. Wie wird sie Na― Es ist zweifellos , daß seine einzige Maßregel in poleon nügen ? diesem Augenblick war , durch die Reiterei von Sübervie und Domon seine Rechte absuchen zu lassen.
Diese nahm zur Seite diesseits des
Gehölzes von Paris Stellung ; der Feind konnte sich ohne Widerstand dort festsehen.
Die Ausländer gestehen heutzutage , daß eine Diviſion
Fußvolk in diesem Gehölze genügt haben würde , Bülow lange im Passiren der Defileen aufzuhalten und ihn zur Rechten auf die Marſchlinie des Zietenschen Corps zu werfen , welches erst um 7 Uhr das Schlachtfeld erreichte. Es war so wichtig , sagen sie , die Mitwirkung der Preußen zu verzögern oder zu hindern , daß der Kaiser selbst das ganze Corps Lobau hätte senden können ; aber nachdem man die Preußen sich ohne Hinderniß in das Defilée hatte verwickeln lassen , ließ man sie auch sich sammeln , sich in aller Sicherheit unter dem Schuße des Pariser Wäldchens formiren und ihre Bewegungen wie auf einem Manövre felde vorbereiten.
Nach den Erzählungen von St. Helena scheint es , daß an Lobau der Befehl gegeben sei , die Linie zu verlassen und seine 10000 Mann gegen das Corps von Bülow gleichzeitig mit der Reiterei von Sübervie und Domon zu wenden ; aber man verwirft jezt dieſen Theil der Aufzeichnungen. Die Engländer und Preußen haben genau die Bewegungen Alle Welt stimmt überein , daß die Bedes Corps Lobau gesehen. wegung des Fußvolks sehr lange nach der Reiterei geschah und als es zu spät war , die Defiléen streitig zu machen.
Außerdem wäre es
unbegreiflich daß Lobau , wie er that , in der offenen Ebene ohne Stüßpunkt diesseit des Ravins blieb , wenn er zeitig entsendet wurde um das Debouchiren aus dem Gehölze und über den Bach von Lasnes zu hindern ; der Feind überschritt aber ohne Hinderniß diesen Bach, der damals in Sumpf verwandelt war. Der beßte Grund , den man für diese Versäumnisse angeben kann , ist daß Napoleon nur in der äußersten Noth eine Entſendung von 10000 Mann seiner beßten Truppen zur Rechten machen wollte. Er zögerte sich sobald dieser starken Infanteriereſerve zu berauben , um sie gegen die Preußen zu verwenden , während er im
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Begriffe war in seiner Front den entſcheidenden Angriff gegen die Engländer zu führen. In der That war während dieser Erwägung das Corps Erlon mit seiner Formation zu Stande gekommen.
Es hatte noch kein ernſt-
liches Zusammentreffen mit dem Feinde gehabt.
Es war ungeduldig
für den Tag von Quatrebras Revanche zu nehmen, wo es ohne einen Schlag zu führen zwischen zwei Schlachten umher geirrt war. Napoleon auf dem Hügel von Rossomme war etwas zu entfernt um die Vorbereitungen bemerken zu können ; aber er konnte seinen Generalen die Sorge ihre Colonnen zu bilden überlassen : sie waren alte Taktiker , in allen Mitteln der Kunst geschickt. Warum sollte er glauben , daß das geringste Unzweckmäßige dabei geschehen könne , wenn er sie gewähren ließ ohne sie zu überwachen , wie sie hundertmal mit gleicher Unfehlbarkeit gethan hatten ? -Seit zwei Stunden schmetterten vorwärts la Belle ፡ Alliance zehn Divisionen Artillerie von Erlon , Lobau und der Garde das Centrum und die Linke der Engländer nieder.
Diese furchtbare Kanonade von
74 Feuerschlünden hatte dem Fußvolk den Angriff bereitet.
Den Be=
fehlen gemäß sollten die vier Diviſionen Quiot (General Alir , der dem Namen nach das Commando dieſer Division hatte , war auf einer Miſſion abwesend) , Donzelot , Marcognet und Durutte in Staffeln , die Linke voran , marſchiren , um den Feind besser über den wahren Punkt des Angriffs zu täuschen.
Während das linke Echelon den ersten Feind
angreifen und ſeine Kräfte nach der Seite hinziehen wird , stürzen sich die andern auf die äußerste englische Linke ; sie werden sie vernichten. Durch die einzelnen Maßnahmen wird der Plan ausgeführt auf welchem die erste Anordnung der Schlacht beruht. Man seht sich in Bewegung.
Der Befehl wird gegeben.
Hier treffen wir auf eine der dunkelſten und außerordentlichſten Phasen dieses Tags.
Was ging in dieſem Augenblicke vor ?
Welcher
Fehler hat in der Ausführung der Befehle stattgefunden ? Es ist sicher daß hier einer der befremdlichsten Irrthümer vorging und vielleicht der einzige dieser Art in der ganzen Reihe unsrer großen Kriege. Napoleon mehr als 1500 Meter entfernt , kannte nicht die diesem ersten großen Angriffe widrigen Umstände ; der Mut ſollte sich da ohnmächtig finden infolge eines Fehlers , von dem man noch nicht weiß , wem er zuzuschreiben ist. Eins ist erwiesen.
Die Engländer , auf den Höhen stehend , ge-
121
ſchüßt wie durch eine Schulterwehr oder am Rande des Hohlwegs liegend, sahen inmitten des Kartätschfeuers vier französische Colonnen langſam niedersteigen , groß , unbehülflich , eine Art antiker Phalanren , tief ohne Zwiſchenräume , so wie sich Nichts seit der Einführung der neuern Taktik dem Feuer gezeigt hatte.
Es waren Colonnen von acht Bataillonen,
alle entwickelt und in Masse aufeinander geschlossen , ohne einen Zwischenraum. Der Feind zeigte großes Erstaunen bei der Annäherung dieser Massen und doch brachten sie durch sich keine Gefahr , denn sie hatten keinen der gewöhnlichen Vortheile in einer Schlachtordnung. Man sagt indessen daß dieselbe Ordnung bei Albuera und an der Moskwa angewendet wurde. Sie konnten weder sich entwickeln um von ihrem Feuer Gebrauch zu machen , noch sich theilen um sich in Carrés zu bilden und nach allen Seiten zu vertheidigen , wenn sie angegriffen würden.
Ihre ganze Stärke bestand in ihrer Anhäufung ; aber dieſe ſo
gehäufte Menge mußte von dem Geschütz durchwühlt und in Unordnung gebracht , oder bei dem ersten Reiterangriffe niedergefäbelt werden , da die Flanken dieser Ordnung vertheidigungslos waren. Wie dem auch sei, die so formirten vier Divisionen Erlons überschritten die Linie der fie schützenden Batterieen ; sie steigen in das Thal und beginnen die Höhen gegenüber zu ersteigen. Die Diviſion Donzelot war zur Linken. Eine ihrer Brigaden wendet sich um den Pachthof la Haie Sainte anzugreifen ; der Rest sezt den Marsch fort , gestüßt auf die große Straße und läßt zur Linken eine Blänkerkette. Der Feind wartete , längs des Hohlweges auf dem Bauche liegend ; es war in erster Linie die niederländische Brigade Bylandt , ihre Blänker vor der Front.
Die Engländer
erzählen , daß bei der Annäherung dieser französischen Colonne , welche den Waffenlärm mit ihrem : vive l'Empereur übertönte , die Niederländer das Feld räumten ; sie flohen in Unordnung gegen die englischen Reihen , unter den Verwünschungen der Armee : die Franzosen drangen durch diese Lücke von der andern Seite des Hohlwegs in die Linie ein. Aber die Belgier erwidern auf diese Anschuldigung , daß mehre ihrer Bataillone , welche hinter dem Wege lagen , sich erhoben als die Franzosen auf Pistolenschußweite angekommen waren. Diese, anstatt mit dem Bayonnet anzugreifen , hielten an um zu schießen.
Man be=
schoß sich so nahe daß die Pfropfen der Ladungen mit den Kugeln in die Wunden drangen.
Gleichzeitig überflügelt der General Picton mit
den Brigaden Kempt und Pack die französische Colonne und umringt sie
122
mit Feuer.
Die Colonne sucht vergebens ihre schwere Masse zu ent
wickeln , es gelingt ihr nicht. Bald zerschmettert , ohne Mittel zu widerstehen oder sich zu rächen , geht sie in Unordnung durch den Hohlweg zurück und den Abhang hinab , den sie erstiegen hatte.
Picton geht
vor , um sie zu verfolgen ; er wird durch eine Kugel die ihm die Schläfe durchbohrt getödet. Etwas nach Donzelot langen die Divisionen Quiot , Marcognet und Durutte nach und nach am Rande des Plateau an ; sie überſchreiten denselben Hohlweg , debouchiren in größter Ordnung ; aber da treffen fie auf die entwickelten Hochlandregimenter , welche sie mit Kreuzfeuer überschütten , sie können es nur auf einem Punkte erwidern , an der Front.
In die Zwischenräume der schottischen Bataillone ſehen sich die
schottischen Schwadronen der schweren Reiterei Ponsonbys. sie als sie sich erkennen , schreien : es lebe Schottland !
Man hört Die Spitzen
der Colonnen von Quiot , Marcognet und Durutte , welche vom Gros ihrer Divisionen durch das Terrain getrennt sind , werden niedergeschossen und gehauen.
Sie weichen.
Der Rest der Colonnen welche die äußere
Seite des Plateau erſtiegen , glauben indem sie das Gefecht vorn 1 hören, es nur mit Infanterieangriffen zu thun zu haben ; sie rücken weiter vor ohne Vorsicht gegen die Reiterangriffe.
So kam es daß Spike
und Schweif in entgegengeseztem Sinne marſchirten , erstere zurückweichend , lettere vordringend ; sie trafen aufeinander und begannen sich selbst aufzureiben. Am Ausgange des Hohlwegs drangen die engliſchen Dragoner vor ; sie werfen sich auf Seiten und Front dieser Infanterie , die schon in Unordnung war. Sie hatten noch den Vortheil des abhängigen Bodens.
Ihr Stoß war unwiderstehlich , als sie sich von der Höhe der
Abdachung auf diese Maſſen warfen , die sich nach dem Thalgrunde zogen , ohne Gebrauch von ihrem Feuer oder ihren Bayonnetten machen zu können.
Die feindliche Artillerie vollendete die Zerstörung dieser
großen Mauern von Menschen , wo sie eine Stelle für ihre Schüsse fand. So hatten die vier Divisionen von Erlon nach nuhlosen Anstrengungen des Muthes aus gleicher Ursache ein gleiches Schicksal. Als sie die Höhen der französischen Linie wieder erreichten , von wo sie ausgegangen , war es nur noch eine verwirrte Anhäufung ; es kamen kaum einzelne Schüffe heraus. Die Reiterei Ponsonbys , in die Verfolgung der 4 Diviſionen verbiſſen , nahm oder tödtete ihnen in kurzer Zeit 5000 Mann ; es war
123 Was wäre geschehen,
ein Drittel der Infanterie des ganzen Corps .
wenn die Cuirassiere von Milhaud , die Lanciers von Jaquinot , beim Anblicke dieses Unglücks sich nicht hingestürzt hätten um die Trümmer zu retten und den Feind zu züchtigen ?
General Sübervie eilt auch
persönlich hin ; ich habe ihn sagen hören , daß ohne die schnelle Hilfe unserer Reiter kein Mann entkommen wäre. Die englische Reiterei bezahlte ihren Triumph theuer.
Sie hatte
ſich kühn bis an die große Batterie gewagt , „ Alles wie ein Heuschreckenschwarm zerstörend " *) ; sie hieb die Kanoniere nieder, und hatte schon 30 Geschüße außer Gefecht gesetzt.
In einem Mo-
ment änderte sich die Scene : Milhauds Cuirassiere fallen über Ponsonbys Dragoner her , die Lanciers von Jaquinot auf Vandeleurs leichte Reiter. Erlons Infanterie wird gerächt ; ein ganzes Regiment von Ponsonbys Brigade wird niedergehauen , dieser General fällt von ſieben Lanzenstichen durchbohrt. Der Reiterhaufe wird über das Plateau gefegt , bis gegen die Reserven. Bei diesem ersten Angriffe der Cuiraſſiere Milhauds haben die Engländer das bemerkt , was sie die Heiterkeit (gaieté) des Herzens unserer Soldaten nennen , ein sicheres Vorzeichen des Siegs.
Unsere mit längern Säbeln bewaffneten Reiter,
stießen den Feind mit der Spiße in die Eingeweide. sich über diesen leichten Triumph.
Sie lachten unter
Obgleich so schnell gerächt , bleibt dieser erste Schlag doch bedeutend.
Das ganze Corps Erlon bleibt davon erschüttert und fäſt
aufgelöst für mehre Stunden.
Es mußte hinter die Höhen von Belle-
Alliance zurückgehn um sich wiederherzustellen.
Die Division Durutte
allein stellte sich schnell wieder her um zum Angriff von la Haie Sainte vorzugehen. Sie mußte hierzu fast allein genügen.
Der Rest des Corps
unternahm nichts Entscheidendes weiter an dem Tage.
Es war ohne
Zweifel ein großer Uebelstand : der große auf die englische Linke beabsichtigte Angriff war mißlungen und wurde nicht erneuert ; was aber ein wahres Unglück bei diesem Schlage war , ist daß er Napoleon nötigte , bedeutend seinen Schlachtplan zu ändern.
Es ist daher wahr , daß
ein einfacher taktischer Fehler den Fall eines Reiches entſcheiden kann **). *) Bericht des Oberst Heyniès. **) Es ist heutzutage eine große Frage zu wissen , was der Grund der ungewöhnlichen und unheilvollen Formation des 1. Corps war. Es war eine Thorheit, sagt der neueste und vollständigste Schriftsteller dieses Feldzugs , Oberst Charras,
124
2.
Veränderung des Schlachtplans.
Beim Anblick der die Truppen Erlons verfolgenden englischen Reiterei verließ Napoleon die Höhen von Rossomme ; er erreichte im Als er ankam war der Schlag ge=
Galopp die von Belle- Alliance.
rächt ; die Cuirassiere und Dragoner kehrten in ihre Stellung zurück, nachdem sie das Schlachtfeld gereinigt. Ohne in der Nähe die Unmit militairischem Accent, aber durch welches Zusammentreffen von Dingen, durch welchen Zufall war diese Thorheit bei so kriegserfahrenen Chefs möglich , als es die des 1. Corps waren ? General Jomini beantwortet diese Frage, daß es vielleicht der Mangel der militairischen Sprache war, die nur ein Wort hat, Diviſion , um so verschiedene Dinge auszudrücken , wie es eine einfache Compagnie und die Gesammtheit von 4 oder 6 Regimentern sind. Diese Vermutung erklärt gut , weßhalb jede Colonne aus einer ganzen Division bestand ; aber sie gibt keinen Grund für die ungeheuerliche Formation von Bataillonen , die eines auf das andere gehäuft waren und ohne Zwischenräume im Geschüßfeuer entwickelt wurden . Beim Nachdenken hierüber scheint es mir als könne man wenigstens den entferntern Grund davon finden ; hierzu muß man bedenken , daß Napoleon als er Abends in der Mitte die am Morgen auf der Linken verfehlte Attake erneuerte , ſelbſt persönlich die Colonnen stellte. Er legte dieser Formation soviel Wichtigkeit bei , daß er nach mehren Jahren in der Beschreibung ihrer Einzelheiten Vergnügen fand. Diese außerdem oft angewandte Ordnung war folgende : 2 Bataillone entwickelt und an den Flügeln 2 Bataillone in Diviſions colonnen. Dieß vorausgeseht , ist es nicht wahrscheinlich und denkbar , anzunehmen , daß er am Morgen etwas Aehnliches mit der Abends selbst eingerichteten Formation beabsichtigte , und was nach ihm alle Vortheile vereinte, die der dünnen und der tiefen Stellung ? Ohne Zweifel wollte er dieß gegen 2 Uhr bei der Anordnung der Angriffscolonnen Erlons : eine Redoute , ein lebendes Bollwerk, dessen beide Flanken sich nach Bedürfniß in zahlreiche Carrés theilen konnten, um sich mit Feuern und Bayonetten zu decken , wenn sie angegriffen würden. Durch irgend ein Mißverſtändniß in der Uebertragung seiner Befehle wird nur die Hälfte ausgeführt sein. Die Bataillone werden sich eins hinter dem andern entwickelt haben, ohne sich auf den Flügeln zu brechen. Man wird so die 24 Glieder tiefe Stellung gehabt haben ohne eine Mischung mit der dünnen ; ſei es Uebereilung , sei es Furcht , von einem so berühmten Führer eine Erklärung zu verlangen, sei es blindes Vertrauen in den kleinsten Theil seiner Befehle , selbst wenn sie unvollkommen verstanden waren , denn es muß ein sehr hoher Wille auf der Bildung dieſer Colonnen bestanden haben ; dieß war kein Irrthum , Zufall , Versehen der Verwirrung, ſondern ein von vornherein bewahrter Entschluß. Einer der Bataillonschefs , der sein Bataillon in Angriffs colonne sezen wollte, nach dem in solchen Fällen gebräuchlichen Herkommen , wurde von General Durutte mit den Worten daran gehindert: „ Deployirt, das ist der Befehl. “ So verderbt sich die Kriegskunst , wie alle andern Künſte, durch ihre Uebertreibung.
125
ordnung des Fußvolks gesehen zu haben , sieht er den Erfolg dieser Reiter ; er lobt sie , er lächelt sie an indem er ihre Reihen paſſirt und im selben Augenblicke erwägt er einen neuen Angriffsplan. Mehre Bedingungen in der That mangelten dem eben versuchten. Das sechste Corps von Lobau , welches nach der ersten Absicht des Feldherrn Erlon unterstüßen sollte , konnte ihm nicht folgen.
Man mußte
Lobau in Reserve halten um ihn den Preußen entgegenzustellen , wenn fie debouchirten.
Von nun an zeigt sich der Gedanke , die englische
Linke zu brechen und zu überflügeln , in keiner der Anstrengungen des Tages. Von jezt wird Napoleon auf das Centrum und die Rechte seine Schläge führen. Unglücklicher Weise findet sich keiner der Vortheile , welche sich beim ersten Plan darboten , auf diesem andern Theile des Schlachtfeldes.
Zuerst unterhalb der Höhen von Belle - Alliance ein
tiefes Ravin ; dann auf der Mitte des Abhangs der Hof von HaieSainte, der schon mehrmals beſtürmt war und deſſen Widerſtand zähe ist ; höher hinauf der Weg durch einen Verhau unterbrochen , und auf der Höhe jener Rand des Terrains der sich über die ganze Front_ver= längert , sehr schwierig für Fußgänger , fast unübersteiglich für Reiter. Bei dieser Aenderung des Plans ist der Hof Haie Sainte , diese Ländliche Citadelle , der erste Punkt , der genommen werden muß. Ney wird damit beauftragt.
Erlons linke Flügeldivision , Quiot , bald von
2 Bataillonen Donzelots unterſtüßt , umringt auf 3 Seiten die Ge= bäude von Haie Sainte.
Donzelots Soldaten dringen im ersten An-
lauf in Obstgarten und Garten ein ; sie werden daraus vertrieben , sie kehren zurück.
Am Fuß der crenelirten Mauern angelangt , fassen sie
die Flinten in den Schießlöchern und suchen sie den Gegnern zu entreißen.
Auf der Straße wird das große Thor von den Unsern mit Artschlägen erschüttert ; es widersteht. . Milhauds Cuirassiere stürmen
gleichfalls diese Mauern von Ställen und Scheunen ; sie unterstützen die Bataillone bis an die Schwelle.
Die Schieferdächer schüßen den Hof
gegen Feuer , aber es entzündet sich im Innern. Die Belagerten löschen es.
Schon haben 2000 der Unſern mit ihren Körpern die Umgebung
des Hofs bedeckt.
Endlich wird das Westthor , welches vom Hofe in
den Obstgarten führt , eingebrochen , obgleich es innen vermauert iſt. Der Hof wird zerstört , die hannoverschen und Landwehrbataillone , die ihn hielten , verjagt oder vernichtet.
Der Major von Baring und was
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ihm von der Besayung blieb , ziehen sich durch den Garten und rechtz der Straße zurück. Es ist 32 Uhr.
Das große Hinderniß des Centrums ist ver-
schwunden ; es ist in unsern Händen.
Jezt hat die französische Linie
einen großen Fortschritt gemacht. Sie ist von den am Morgen eingenommenen Höhen herabgestiegen. Die neue Stellung erstreckt sich etwas schräg von den Umgebungen Hougoumonts nach Haie Sainte und von da zum Hofe Pagellotte. Dieser große Erfolg kann nicht fruchtlos bleiben. Die erste Erschütterung der feindlichen Linie erzeugt in der französischen einen unwiderstehlichen Anlauf : jeder glaubt daß der Zeitpunkt der Kriſis gekommen sei. Marschall Ney wiederholt Drouot der ihm Befehle bringt, daß man einen großen Sieg davontragen werde. Ohne Zweifel bedurfte es zur Vollendung des Durchbruchs starke Colonnen Fußvolk ; indeß waren die Lobaus , auf welche man rechnete, nach der Rechten entsendet , auf Planchenoit und gegen einen andern Feind. Schon haben sie zweimal aus gleicher Ursache dem notwendigen Angriffe gefehlt. Zwar ist die Infanterie Erlons in Neys Hand ; aber kaum hergestellt von dem großen Angriffe , mit dem sie in Thätigkeit trat , ist diese in Blänker bis gegen Smohain aufgelöste Infanterie nicht zu einer solchen Anstrengung gegen die englischen Reserven , welche noch nicht im Kampfe waren geeignet. Auf der Linken genügen die fast ganz um Hougoumont concentrirten 3 Divisionen Reilles kaum , dessen Ruinen zu behaupten .
Sie zeigen von Seite Haie Saintes nur schwache
Linien , oft unterbrochen und vom Geschütz gelichtet. Diese Truppen haben die erste Stellung des Feindes besetzt ; aber in diesem Kampfe haben sie sich aufgerieben.
Es bedarf neuer um ihre Vortheile zu ver-
folgen , oder nur die Lücken auszufüllen welche sie in diesem Theile der Schlachtlinie lassen. Wie vermißte man jezt die 3000 Mann der Dis viſion Girard und die 5000 in Ligny und Fleurus zurückgelaſſenen *). Aber wenn schon zu dieser Stunde keine Infanterie außer der Garde mehr verwendbar ist , so bleiben noch hinter den 2 erschöpften Linien Fußvolk die 4 ungeheuern ſtolzen Linien Reiterei , welche am nämlichen Orte in derselben Ordnung unbeweglich geblieben sind. Von diesen zahlreichen Reitern , alle Elite , sind die Cuirassiere Milhauds und die Lanciers Jaquinots die einzigen welche in einen raschen und ruhmvollen
*) Memoiren Napoleons , liv. IX. , p. 126.
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Angriff verwickelt waren.
Die andern sind ohne einen Schritt zu thun
an ihrer Stelle geblieben , Zuschauer der Handlung in dem Ravin und auf den Höhen gegenüber.
Unter den Lagen der Batterieen ſchütteln
die Pferde die Köpfe und erzittern mit lautem Klange des Eiſens ; aber die Reiter bleiben unbewegt und schweigend , den Säbel in der Scheide. Da sind die alten Reserven von Lefebvre - Desnouettes , Guyot und Kellermann.
Kaum hat eine verlorene Kugel sie gestreift ; nie haben sie sich
in Bewegung gesezt als um den lezten Stoß auf Armeen zu führen, welche die Infanterie halb in Unordnung gebracht und zerstört ihnen überließ. Sie erwarten in der Ruhe der Kraft das Signal , nicht um zu siegen , sondern den Besiegten vollends zu vernichten. Während dessen erneuert die französische Artillerie mit 200 Feuerschlünden auf der ganzen Front den Angriff.
Da nach der Stellung
dieſe Artillerie den Bogen der von der englischen Armee gebildeten Sehne inne hat , so concentriren die Franzosen ein überlegenes und umfassendes Feuer auf die Stellung Wellingtons.
Die ältesten Soldaten haben nie
einer so furchtbaren Kanonade beigewohnt. Um sich diesem Kugelregen zu entziehen , hat sich die englische Infanterie hinter den innern Rand des Plateaus zurückgezogen.
Auf der Erde liegend war sie nicht zu
sehen ; aber sie entging nicht den Kugeln , die inmitten der geschlossenen Colonnen aufschlugen , noch den auf dem Boden crepirenden Granaten. Die englischen Artilleristen sind nur in der Front der Armee zu sehen. Indessen schweigt von unserer Seite das Geschütz , und die 1. Reiterlinie seht sich in Marsch und passirt dasselbe.
Von diesen 5400 Rei-
tern , die im Trabe vorgehen , ist nicht einer der nicht glaubt zu einem gewissen und schon entschiedenen Siege zu gehen. Brigade , keine Abtheilung zurück.
Deßhalb blieb keine
Wer dachte daran , eine Escadron
in Reserve zu behalten , da alle so überzeugt waren , es handele sich nur darum den Feind zu verfolgen und gefangen zu machen ? Napoleon zur Seite des Marsches , grüßte sie beim Vorüberkommen ; sie begrüßten ihn wie bei einer Revue mit ihrem enthuſiaſtiſchen Geſchrei : vive l'Empereur ! und schon begannen die preußischen Kugeln sich auf dem Wege mit den englischen zu kreuzen. Weiter hin empfängt Ney dieſe in mehre Colonnen formirte Reiterei.
Es waren die Cuirassiere von Milhaud,
21 Escadrons , die leichte Reiterei der Garde von Lefebvre - Desnouettes, 7 Escadrons Lanciers und 12 Escadrons Chaſſeurs , im Ganzen 40 Escadrons. Ney sezt sich an ihre Spize; er führt sie sogleich in den Grund, links von
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Haie Sainte; die hintern Linien gingen schräg zur Linken und die Front des Angriffs dehnte sich daher von der Straße von Charleroi bis zu den Umgebungen von Hougoumont aus , d. h. gegen das ganze Centrum und einen Theil der Rechten der Engländer. Als die französischen Schwadronen den äußern Abhang des Plateau zurücklegten , schwieg das französische Geschütz. Die englischen Batterieen verdoppelten ihr Feuer ; die Cuirassiere marschirten an der Spize. Ihre funkelnden Helme und Cuiraſſe bezeichnen sie von weitem den Zielenden und dienen als Richtpunkte.
Die vordern Reihen werden mehr und mehr
mit dumpfem Geräuſche von den Kugeln durchschlagen. Dieser Eisenregen verursachte keine sichtbare Erschütterung in den Colonnen.
Die Eng-
Länder hätten glauben können , daß das Eisen nichts vermöge gegen diese Männer von Eisen.
Sie gelangen an die Mündungen der Kanonen.
Die Wirkung der Entladung war schrecklich ; aber die Trompete ertönt, die englischen Kanoniere fliehen von ihrem Geſchüße ; sie werfen sich unter den Schuß ihrer Bayonette. Die Cuirassiere gewinnen den Rand und werfen sich im Galopp über den Hohlweg.
Sie entschwinden einen Au-
genblick dem Blick der folgenden Schwadronen ; Die Lanciers und Chafseurs stoßen wieder zu ihnen.
Alle sind bald auf dem Plateau.
Seit
ihrem ersten Anlauf haben sie das Kartätſchfeuer von 60 Feuerschlünden durchgemacht.
Das Geſchüß ist in ihrer Gewalt ; aber die fliehendeu
Artilleriſten nahmen die Proßen mit.
So hat man die Geschüße und
kann sie nicht mitführen. Wenn man sie wenigstens in Unordnung brachte wie an der Moskwa !
Auf dem Plateau bietet sich ein unerwartetes
Schauspiel dar. Anstatt einer Armee im Rückzuge ist die ganze englische Infanterie da ; sie scheint im Boden gewurzelt.
Sie ist auf 4 Glieder
formirt , in eine Menge Carrés in Staffeln getheilt ; die Ebene ist da= von bedeckt. Ohne dieser compacten Formation zu gedenken deren Stärke erprobt ist , so unterſtüßen ſich dieſe Carrés gegenseitig wie die Werke einer großen Citadelle.
Es ist ein Nez von geraden , schrägen und
Kreuzfeuern , die unter einander gerade soviel Raum haben , daß der Anstürmende von allen Seiten umfaßt und zerschmettert werde.
Zwischen
diese Menschenmauern und Defileen von Bayonetten und dreigliedrigen Feuern muß man ſich blindlings stürzen.
An den Ecken der Carrés ist
die Divisionsartillerie aufgestellt , die ihre Kartätschen speit. Alles was Wellington von seiner Reiterei ſammeln konnte , ist auch da , bereit sich den beiden andern Waffen anzuschließen.
Vom Grunde der Ravins
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sieht die französische Infanterie des 1. und 2. Corps die Reiterei Neys im Trab marschiren , ohne ihr folgen zu können. Diese geht allein vor, ohne Unterstützung. Der Feind wartet unbeweglich. Den Säbel hoch stürzen sich die französischen Schwadronen auf die Carrés ; diese bewahren ihr Feuer , ſie geben es auf 30 Schritte.
Man
sah nun in größerm Verhältnisse was man zwei Tage zuvor bei Quatrebras gesehen.
Unter dem kreuzenden und kräftigen Feuer der Infan-
terie geschah es oft daß die Spike der Schwadron sich brach und rechts und links auswich , und der Rest der Colonne instinktmäßig dieser Richtung folgend auf die Seiten des Carrés kam deren Feuer er erhielt. · Oft auch wurden die ersten Glieder des englischen Fußvolks unter die Pferde getreten und vernichtet , aber sie stellten sich wieder her.
Auf
Augenblicke entstanden Lücken in den Menschenmauern ; sie öffnen sich vor dem immer erneuerten Andrang und den verdoppelten Schlägen ; fast sogleich erheben und ergänzen sich die Mauern. Die Carrés vermindern sich, sie schrumpfen sichtlich zusammen , sie scheinen zu schmelzen; aber ein Commando wird gehört : „ schließt die Glieder ! " und ſie ſind noch aufrecht. Bei der Annäherung des gegen seine Mitte entfesselten Reitersturms läßt Wellington von Braine la Leud und seiner Rechten die Divisionen Clinton nnd Chassé zurückkommen , die er am Morgen dorthin gestellt, weil er seinen Gegner nicht errieth.
Seine Rechte zieht sich plötzlich
auf seine Mitte. Die holländische Reiterbrigade zieht zwischen 2 Carrés und entwickelt sich in 3 Linien. Ueberall wo sich ein Raum zwischen den Infanteriemassen des Feindes findet , dringt seine Reiterei herzu um sie zu unterſtüßen und sich der unsern entgegenzusehen. — So werfen sich durch die Staffeln der Carrés wie durch die Straßen einer Stadt von Eisen und Feuer Schwadronen auf Schwadronen. Franzosen , Engländer , Holländer, Belgier , Deutsche mengen sich. Die englische Armee scheint ihrem Untergange nahe.
Kommt eine Unterstützung von Fuß-
volk für unsere Reiter : so ist das Centrum dieser Armee durchbrochen, die beiden Flügel abgeschnitten.
Der Schrecken hat ganze Regimenter
ergriffen. Ein Huſarenregiment , das von Hannover , versagt ins Handgemenge zu dringen. Es wandte kurz um. Es flieht , seinen Oberst an der Spike , auf der Straße nach Brüssel und mit ihm die Masse der Verwundeten , der Versprengten , des Fuhrwerks. Aber gleichzeitig gehen die Sieger in ihrem Siege zu Grunde wenn Quinet, Feldzug von 1815.
9 L
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fie nicht rasch unterstützt werden. Das nahe Geschütz reißt weite Lücken in ihre Glieder , wie die Menge der Cuirasse beweißt die man auf dem Plateau anhäufen wird , in der Brust und dem Rücken durchbohrt. Unsere Reiter , den Säbel voll Blut , wirbeln ; sie kreuzen sich , theilen sich, vereinigen sich , stürzen sich von neuem in das Labyrinth von Bayonetten und bahnen sich den Weg.
Ohne Sorge für sich selbst , umringen ´fie
den Feind wie seine eigenen Truppen.
Herren des Plateau sind sie .
dort ein Schauspiel für die 3 Armeen , die französische , die englische , die preußische.
Von Augenblick zu Augenblick erwarten sie daß unsere In-
fanterie erscheine , um sich auf dem eroberten Felde festzusetzen. sieht die Seinigen mitten in seinem Triumphe untergehen.
Ney
Er schickt
seinen Adjutanten , Oberst Heymès , an Napoleon um diese Infanterie zu verlangen ohne welche der Sieg ihm zu entgehen droht. Dieſer findet Napoleon auf die Höhen von Rossomme zurückgekehrt. „ Infanterie ! " antwortet Napoleon Heymès humoriſtiſch , „ wo soll ich die hernehmen ? wollt ihr daß ich welche mache ? " Heymès ,
ein alter an alle Verrechnungen
des Kriegs gewöhnter Soldat , sieht wol daß es zur Freude noch zu früh sei.
Er bringt schleunig des Kaisers Antwort dem Marschall.
Ney faßt seinen Entschluß ; dieser kostet ihm am meisten , er läßt Einruf blasen.
Unsere athemlosen Schwadronen steigen im Schritt einen
Theil des Abhangs nieder. Mitunter halten sie an und Leute und Pferde holen Athem unter dem Kartätschfeuer.
Ney führt sie in die weiten
Niederungen von Kornfeldern , westlich von Haie Sainte.
Er hofft daß
sie dort in einer Terrainfalte Schuh finden ; aber der Ort ist wie alle andern dem Feuer des Feindes offen. Die englischen Artilleristen sind wieder bei ihren Geschützen.
Die Carrés sind in Linien am Rande der
Abdachung entwickelt und nun bestreichen 60 Stücke , von dem Musketenfeuer der ganzen englischen Linie unterſtüßt , die franzöſiſche Reiterei im Grunde, die in Masse geschlossen ist und welche die Erschöpfung, die Wunden von Leuten und Pferden unbeweglich halten wie der Wille des Führers.
Sich weiter zurückziehen ist unmöglich , ohne Erschütte-
rung vielleicht Entmutigung in die ganze Armee zu bringen ; an dem Plaze bleiben geht nicht länger. Empört dieſe heldenmütige siegreiche Reiterei von weitem unnüß und ruhmlos hinschmelzen zu ſehen , entſchließt sich Ney sie von neuem in den offenen Krater auf dem Plateau vorzuwerfen ; aber er wird Kellermanns Reſerve folgen laſſen , die Napoleon ihm zur Unterſtüßung des neuen An-
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griffs sendet: 7 Escadrons Dragoner , 11 Escadrons Cuirassiere, 6 Escadrons Carabiniers. Selbſt die Brigade Grenadiere zu Pferd , einen Augenblick in Reserve gehalten , wird dem Angriffe folgen. Keine Schwadron , kein Mann bleibt zurück.
Man war schon in Bewegung , als Ney in der
Ebene die Carabinier - Brigade bemerkt.
Er eilt hin , wirft ihre Un-
thätigkeit vor , befiehlt ihr sich auf die in Staffeln auf dem Abhang nahe dem Gehölz von Hougoumont stehenden engliſchen Carrés zu stürzen, welche die Colonnen von der Seite faßten.
Dieß war die lezte Re-
ſerve von 1000 Pferden , auf welche Kellermann zählte um im Nothfalle das Wunder von Marengo zu erneuern. Kellermann eilt hin , fie anzuhalten ; aber es ist zu spät , die Brigade ist schon ins Gefecht gezogen. 37 Schwadronen kommen zu den 40 von Ney vereinigten.
Sie
bilden nun in seiner Hand eine einzige Maſſe von 77 Schwadronen ; man hatte seit der Schlacht vor Eilau keine solche Aufwendung von Reiterei gesehen.
Ney nimmt noch einmal die Spize der Charge ; er
zeigt mit dem Degen den Weg zum Plateau , wobei er mehr zur Linken neigt , da hier der Rand weniger steil und der Hohlweg weniger tief erscheint.
Wird soviel Heldenmut unnüt sein ? Es sind 10000 Mann
Kerntruppen die sich auf die Front des Feindes werfen.
Nach den
englischen Berichten schien , als die ungeheure Reitermaſſe fich auf einem wellenförmigen Terrain zu bewegen begann , der Raum zwischen Haie Sainte und Hougoumont wie ein hohles brandendes Meer , plößlich vom Orkan bewegt. Wie ist es bei dieſem zweiten verzweifelten Angriffe gegangen ? Noch einmal ersteigt die Reiterei das Plateau , sie besißt es. Kaum haben die englischen Batterieen gefeuert , so debouchiren die furchtbaren Colonnen der Reserve ; das Feuer von 100 Geſchüßen scheint verloren an diesen Maſſen ; Cuirassiere , Lanciers , Carabiniers , Chasseurs, Dragoner krönen die Höhen. Aber wenn der Angriff dieselbe Wut hat , so ist auch der Widerstand zähe.
Dieselben Carrés sind gebildet , in 1. Linie durch Batail-
lone, in 2. durch Regimenter und Brigaden.
Von neuem scheinen die
englischen Fußtruppen untergegangen in einem Menschenmeer. Von neuem stürzen sich die französischen Schwadronen durch die Intervallen der Bataillone. Die Unerschrockensten oder Ersten werfen sich gegen die näch ſten Carrés ; sie erhalten deren Feuer und lassen der folgenden Schwadron eine bessere Aussicht.
Wo sich ein schwacher Punkt findet , wird er be
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wältigt ; man beseitigt oder zerbricht die Bayonette. Wo der Säbel nicht hinreicht , bahnt man sich mit Pistolenschüssen Weg. Die Artillerie nur, so scheint es , hätte mit Kartätschen die Zerstörung des Nehes von Carrés vollenden können , deren jedes dem andern zur Stüße diente ; es war ihr unmöglich den Schwadronen über die Abdachung der Stellung zu folgen.
Zwölfmal erneuern sich die An-
griffe ; aber es iſt ein Unterschied zwiſchen den neuen und den vorhergehenden man wirst sich nicht ungeschieden in Masse auf den Feind sobald man ihn bemerkt , wie wenn er schon auf der Flucht wäre. Die Bewegungen sind beſſer eingerichtet , beſſer überdacht : anfangs mäßigt man den Lauf der Pferde und erst näher dem Feinde geht man in Carriere auf ihn ein.
Ein Theil bleibt in Reſerve um auf die engliſche
Reiterei einzubrechen , wenn diese durch die zahlreichen Zwiſchenräume der Infanterie debouchirt ; der andere Theil stürzt sich auf die Staffeln der letzten englischen Linie.
Zwei dieser Staffeln werden vernichtet , die
andern , zusammengezogen , verstümmelt , halten noch aus. Dieser unerhörte Kampf dehnt sich jetzt bis auf die Hänge vorwärts Hougoumont aus.
Die Cuirassiere sind hier zwischen dem bren-
nenden Schloß und dem die Straße von Nivelles sperrenden Verhau durch= gedrungen.
Von der äußersten englischen Linken ist so die Anstrengung
nach und nach bis zur Rechten getragen ; es gibt keinen Punkt des Centrums , der nicht gleichzeitig angegriffen wäre. Wellington zieht seine lezten Reserven an sich , er formirt selbst die Brigade des General Adam hinter den braunschweigischen Bataillonen ; er stellt sie auf 4 Glieder Tiefe.
Kaum erscheinen die andern Reserven über Hougoumont , ſo ſind
sie niedergeritten , ohne Zeit zu haben sich zu erkennen. Die englische Armee ist am Ende.
General Alten ist schwer ver-
wundet , seine Diviſion verliert Terrain. Im Centrum ist die Brigade Halkett , elfmal attakirt , zu zwei Drittel vernichtet. Das 69. Regiment und ein Bataillon Hannoveraner sind niedergehauen. Sechs Fahnen sind in den Carrés genommen ; Lanciers haben sie dem Kaiser gebracht , welchen dieser furchtbare Angriff gegen Belle Alliance zurückgerufen hat : er empfängt sie als ein sicheres Pfand des Sieges. Wellingtons ganzer Stab ist außer Gefecht geseht.
Die Brigaden Somerset und Ponsonby , da=
hinter die Trümmer der Brigade Ompteda , hatten sich auf ein einziges Glied ausdehnen müſſen , um über ihre Erschöpfung zu täuschen.
Lord
Urbridge befiehlt dieſer ausgedehnten Reiterei sich außer dem Feuer zu-
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rückzuziehen.
Ihr Befehlshaber Somerset antwortet daß wenn er einen
Schritt zurückthue , die holländisch - belgiſche noch mehr erschütterte Reiterei sofort das Schlachtfeld verlassen werde.
Somerset bleibt stehen
und täuscht durch diese schwache Linie. Bei dem Fußvolk zerstreuen sichh die Soldaten , welche keine Munition mehr haben , ermattet oder entmutigt nach rückwärts ;
18000
18000 sind verwundet oder tødt.
vereinzelte tragen die Verwundeten, Es bleiben nicht 30000 mehr in
den Gliedern ; aber eine Hoffnung hält sie und diese verhindert die Auflösung der englischen Armee.
Sie reicht den Preußen die Hand ; schon
sieht sie Bülows Corps amphitheatralisch sich auf der Rechten der französischen Armee entwickeln ; sie folgt aufmerksam mit den Augen dem Corps Lobau , Napoleons einziger Reserve. Dieses Corps , das von der Stellung Belle Alliance anfangs drohte sich dem Reiterangriffe anzuschließen , eutfernt sich ; es ändert seinen Zweck. einen neuen Feind wenden.
Es muß sich gegen
Wellington bemerkt diese Bewegung ; er fühlt sich gerettet. Die französische Reiterei dagegen hört hinten das preußische Geschütz brüllen : fie erstaunt , aber sie hat auf den Höhen von Belle Alliance einige Bataillone der alten Garde entwickelt gesehen. nimmt ihr alle Unruhe über die Rückzugslinie.
Diese kleine Elitetruppe Sie geht noch weiter
vor ; sie nimmt ein zwanzigmal genommenes Terrain.
Wenn Napoleon
die Reiterei durch das 6. Corps oder wenigstens die Garde noch unterstüßen kann , kein Zweifel daß der Sieg ihm bleibt , aber da begegnet es ihm was seinen Gegnern so oft geschah : er sieht sich genötigt ſeine lezten Kräfte zu verwenden , während der Feind noch Truppen für den entscheidenden Moment bewahrt. Auf dem Plateau ist die Erschöpfung der Franzosen der der Engländer gleich. Sieben Generale ſind ſchwer verwundet , L'Heritier , Donop, Blancard , Picquet , Delort , Travers , Colbert. Niemand hat den Befehl zum Rückzug gegeben , niemand Einruf blaſen laſſen.
Die gelich-
teten Reihen , durch Kartätschen , Flintenfeuer und den Säbel aufgeräumt, durch drei Stunden eines beispiellosen Kampfes getrennt , die Vernichtung der Kräfte bei Menschen und mehr noch bei den Thieren , die Notwendigkeit welche Allem Grenzen setzt , vertraten einen förmlichen Befehl. Die Reiterei steigt langsam herab , in guter Ordnung im Schritt , blutend , zerrissen , nachdem sie über ein Drittel ihrer Streiter auf dem Felde ge= laffen und die , welche noch übrig bleiben , sind verwundert einen Schritt
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zurückthun zu sollen , mit erschöpften Pferden , die unfähig sind dem Sporn zu gehorchen.
Kaum versuchen die Engländer sie zu verfolgen.
Bei ihnen sind auch die Menschenkräfte überangeſtrengt. sich den Rand der Stellung wieder einzunehmen.
Sie beschränken
Die Carrés lösen
sich auf und eröffnen das Feuer. Die Divisionen in zweiter Linie nehmen das Gewehr bei Fuß ; sie ruhen aus. Die französische Reiterei , vor wenig Stunden so prächtig , nun zu Boden gedrückt , von ihrem eigenen Siege verschlungen , sammelt sich zwischen Haie Sainte und Hougoumont im Grunde. Verstümmelt bietet sie die Flanke den Batterieen dar , die ihr Feuer auf die Spiße eröffnet haben und sie in jeder Richtung bestreichen.
Ohne einen Schuß auf
dieſen offnen Hängen deckt sie wenigstens mit ihrer Maſſe das Centrum der französischen Armee welche sie außer Stande ist anders zu schüßen, als indem sie die Schläge des Feindes empfängt ohne sie zurückzugeben. Muß sie denn also untergehen , ohne sich zu rächen , unbeweglich in guter Ordnung , an ihrem Plage der Schlachtlinie ? Schwadronen ist abgesessen.
Die Hälfte der
Allein , ohne Officiere passirt Ney die Front
der Regimenter hin und her.
Er redet sie im Kartätschfeuer an : „ Fran-
zosen , laßt uns nicht weichen ! " er sehte mit starker Stimme ein Wort hinzu das man nicht wieder auf Schlachtfeldern hörte : „ Hier sind die Schlüssel zu unsern Freiheiten ! "
3. Grouchy hört das Feuer bei Waterloo. zu marſchiren.
Gérard räth ins Gefecht
Warum der Rath abgewiesen wird.
Wie haben die Preußen der Verfolgung des Marschall Grouchy entgehen und auf das Schlachtfeld von Waterloo gelangen können ? Dieß ist zu erklären.
Wir haben Grouchy zu Gemblour verlassen , ungewiß
über die vom Feinde eingeschlagene Richtung.
Um 2 Uhr Morgens
erhält er von seinen Vortruppen die Meldung daß ein Corps Preußen sich über Sart - les - Walhain nach Wavre dirigirt habe.
Er schloß
daraus , es könne Blüchers Absicht sein , eine starke Abtheilung zur Verbindung mit Wellington zu entsenden ; aber dieser Schimmer ging nur an seinem Geiste vorüber.
Der Gedanke , daß der preußische Feld-
herr eine angriffsweise Umkehr gegen den Rücken der franzöſiſchen Armee mit seiner Linken erwäge , hielt noch bei ihm Stand ; er hinderte ihn
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zu ſehen was augenscheinlich war. Ein Naub dieser Verranntheit zögerte er, irgendwelche Bewegung zu machen , welche wie er selbst fühlte nicht verfehlen konnte , entscheidend zn werden.
So kam es , daß er , an
dieſem äußersten Morgen des 18. bis zum leßten Augenblick zwischen entgegengesetzten Entschlüssen schwankend , feine Armee erst zwischen 7 und 8 Uhr in Marsch gesezt hatte, in Erwartung von Instruktionen und Aufklärung die nicht kommen sollten. General Gérard , über dieſe Verzögerung verzweifelt , konnte erst um 8 Uhr marschiren. Nun wiederholte sich derselbe Fehler wie beim Abmarſche von Ligny. Wenn Grouchh sich über die Richtung auf Wavre entschieden hatte , so gab es zwei Mittel zu diesem Zweck.
Ein Weg war ihm auf der
Linken offen , der ihm über Mont St. Guibert den außerordentlichen Vortheil bot , ihn um 2 Lieues der französischen Armee näher zu er halten , mit der er notwendig in Verbindung bleiben würde.
Auf dieſem
Wege würde er schneller und sicherer nach Wavre kommen und auf dem ganzen Marsche würde er den mit den Engländern verwickelten Corps die Hand reichen.
Einen andern Weg gab es über Sart - les - Walhain,
der länger war , ihn 2 Lieues von Napoleon entfernte aber ihn ebenso der eingebildeten Richtung näherte , welche er der preußischen Armee unterschob.
Unglücklicherweise wählte Grouchy diese zweite Richtung.
Er marschirte in einer einzigen Colonne , links flankirt von der Reiterdivision des Generals Vallin. Um 112 Uhr kommt Grouchy , immer unsicherer jemehr die Ereignisse sich nähern , in Walhain St. Paul an. die Truppen durchmarschiren in einem Hauſe an.
Hier hält er während Um ſeine Aengstlich-
keit zu verbergen , seht er sich mit jener Gleichgiltigkeit zu Tische welche mitunter Menschen ergreift , die von zu schwerer Bürde niedergedrückt find , und sie bei Annäherung großer Krisen in eine unheilvolle Betäubung wirft.
Er speiste Gekröse , als ein Officier eintritt.
Dieſer
rust , er glaube im Garten nach der Linken hin den Widerhall von Geschütz zu hören.
Man eilt dahin.
Die Officiere halten das Ohr
an die Erde. Das Geräuſch wird stärker ; man kann sich nicht mehr täuschen ; 500 Feuerschlünde lassen den Boden erzittern. "/ Das ist eine neue Schlacht von Wagram “ , sagt Grouchy ; aber kein neuer Befehl folgt diesen Worten. Da nähert sich General Gérard.
Seit zwei Tage vermied er jedes
Gespräch mit Grouchy , deffen falsche Bewegungen an ihm nagten und
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ihn bestürzt machten. Indeß redet er ihn an , plast heraus und seine Worte müssen zu seinem ewigen Ruhme bewahrt bleiben : " Wir müssen ins Feuer marschiren , denn man weiß nicht einmal mehr wo die Preußen find. Auf dem Schlachtfeld nur ist man sicher sie zu finden. Die Reiterei Vallins auf der Flanke ist dem Geſchüßfeuer am nächsten , sie wird den Weg öffnen.
Das vierte Corps debouchirt in Sart - les - Walhain ; es
hat nur die Richtung nach links zu ändern.
Das Corps Vandamme,
mehr nach Nil- St. - Vincent vorgeschoben , wird sich an die Dyle lehnen. Durch ein unverhofftes Glück sind die beiden steinernen Brücken von Moustier und Ottignies nicht abgebrochen.
Die Preußen haben dort
nur einige Vedetten und weiterhin ist kein Hinderniß bis St. Lambert und Frichermont.
So hat das Glück diese Uebergänge bewahrt. Man
benüße sie ungesäumt , General Valazé hat einen Führer , der sich er: bietet die Armee in kaum vier Stunden hinzuführen.
Dieselbe wird
also lange vor Sonnenuntergang die Linke wiedergewonnen haben und zur Vernichtung der Engländer und Preußen beitragen , denn man muß blind ſein , um nicht zu sehen daß sie jezt ihre Vereinigung bewirken. Wenn Marschall Grouchy diese einzige Gelegenheit abſchlägt , wenn er nicht seine ganze Armee in diese Flankenbewegung sehen will , so lasse er wenigstens den General Gérard sie unter seiner Verantwortung und auf seine Rechnung ausführen. hinziehen.
Er wird allein mit dem vierten Corps
Möge er nur dazu ermächtigt werden ! "
Valazé vereinigt seine Bitten mit Gérards.
Zum Unglück ist
Balthus , Artilleriecommandant Valazés der entgegengesetzten Meinung seines Chefs ; ein denkwürdiges Beispiel wie wenig Gewicht ein Chef auf die Schwierigkeiten legen soll , welche seine Untergebenen erheben, wenn man sie in wichtigen Augenblicken befragt , denn sie sehen nur das Unzuträgliche und nicht die Not , welche verlangt daß man ihr gehorche.
Der Artilleriegeneral Balthus gibt vor , es sei unmöglich das
Geschütz durch die zu paſſirenden Wege zu schaffen. Er unterſtüßt dieſen Ausspruch mit seiner langen Erfahrung , während zur selben Zeit das Geschütz von 60000 Preußen durchzieht , sozusagen ungestraft unter ſeinen Augen , an denselben Orten , über dieselben Hinderniſſe welche er unübersteiglich erklärt. Dieser Grund war einer von denen , womit Marschall Grouchh fich deckte : er griff ihn begierig auf; aber im Grund hinderte ihn am Handeln die falsche Idee welche er sich von der Bewegung des Feindes
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machte und das Gewicht seiner eigenen Verantwortung.
Es erdrückte
ihn so , daß es ihm jede andere Empfindung raubte.
Als es galt,
Bewegungen zu improviſiren , begnügte er sich die angefangene fortzusehen.
Ueberdieß fehlten ihm , wie es immer geht , die Gründe nicht "/ Er hatte Instruktionen , er
um ihn in der Unthätigkeit zu bestärken. müsse sie befolgen.
Der Krieg der Eingebung komme nur dem obersten
Feldherrn zu ; der Unterfeldherr habe zu gehorchen. Feuer nach zu marſchiren ist nicht immer gut.
Die Marime dem
Man wird in Wavre
die Spur der Preußen wiederfinden ; soll man jetzt sie verlassen und von neuem eine unbekannte Richtung einschlagen ? Wiſſe man was man auf dem langen Flankenmarsche finden würde , den der General Gérard wolle ? Welche Engwege , Böschungen , vielleicht welche Unmöglichkeiten ? Habe man die Entfernungen ermeſſen ? Wiſſe man nicht , wie sehr die Führer in der einer Armee nötigen Zeit sich irren ?
Solle man den
Fehler Neys , Erlons erneuern und sich auf keinem Schlachtfelde befinden , weder in Mont St. Jean, noch zu Wavre ?
Und wenn die
vier auf den Höhen von Wavre vereinigten preußischen Corps die Gelegenheit dieses Flankenmarsches ergriffen , was dann ? Würden dieſe vier durch den Marsch auseinander gebrachten Divisionen (nicht zu vergeſſen daß es nur 32000 Mann ſind) beim Paſſiren der Dyle nicht gefährdet sein , wo 90000 Mann fie am andern Ufer in Stellung erwarteten ? Also eine geschlagene und zerstreute Armee solle er nach Waterloo führen ?
Glaube man daß die Preußen ihn den langen Weg
machen ließen , ohne ihn an der Dyle oder bei St. Lambert zu beunruhigen, dessen Defilée man bemerke ? Kaum werde er einen Schritt in der vorgeschlagenen Richtung gethan haben , so werden die Kundschafter des Marschall Blücher dieſen alsbald benachrichtigen und man wird die Corps von Bülow , Ziethen und Pirch auf die Flanke der Franzosen fallen sehen.
Im Gegentheil wird man auf dem verfolgten
Marsche gut gesammelt in Ordnung die Masse der Preußen in Wavre treffen.
Wenn , wie es wahrscheinlich ist , diese auf ihrer Linken sich
gegen den Rücken der französischen Armee kehren wollen , so werden wir da sein , sie zu hindern. Ueberdieß ist der Wille des Kaisers förmlich ausgesprochen. " - Nach diesen Worten , welche ich von General Gérard und Marschall Grouchh selbst habe, sezten sich die französischen Colonnen, welche einen Augenblick gehalten hatten , wieder in Marsch ; es war Mittag , sie waren 3 Lieues von Wavre.
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Die bittern Anſchuldigungen gegen Ney in der Muße des Bivouaks bei Ligny hatten einen tiefen Eindruck auf Grouchy gemacht.
Er war
entschlossen, sich nicht ähnliche zuzuziehen und daher vereinigt in einer Colonne zu marſchiren und nichts zu versuchen , außer mit allen in feiner Hand vereinigten Truppen.
So hatte der ungerecht auf Ney
gefallene Tadel die Folge, die Unentschlossenheit und Langsamkeit Grouchys zu vermehren.
Marschall Grouchy war auf dem Rückzug aus Rußland
der Chef der heiligen Schwadron gewesen in welcher Generale als Capitains und Capitains als Soldaten dienten.
Wenn man ihn einmal
gesehen hatte , konnte man ihn nicht vergessen ; er war groß , mit hohem Haupte, knochigem Geſichte, erstaunlich vortretenden Backenknochen, schwarzen weit offnen , wie geblendeten Augen.
Er ließ die Jdee eines brillanten
Avantgarde- Generals zu , aber sicher nicht die eines der seltenen Männer, auf welche sich das Schicksal eines Staates ohne Furcht in kritischen Lagen stüßen kann.
Er selbst fühlte das.
Er bewies dieß zweimal :
das erstemal , als er den Befehl bei Ligny ausschlug , das anderemal als er ihn bei seinem Eintritt in Frankreich niederlegte. Während dieser Verhandlung der Befehlshaber des rechten französischen Flügels , bereitete sich die preußische Maſſe in der Richtung auf Waterloo aus Wavre zu debouchiren , mit dem Vorgefühl einer lange vorbereiteten Entscheidung. auf.
Keine Verhandlung hielt diese Bewegungen
Diese Armee marschirte , nachdem sie die Nacht zu Wavre zuge-
bracht und sich wiederhergestellt hatte, zu dem vom englischen Feldherrn bezeichneten Rendezvous.
Das Corps Bülow , das noch kein Gefecht
mit den Franzosen gehabt , sette sich zuerst in Marsch.
Eine Feuers-
brunst in Wavre verzögerte eine seiner Divisionen bis um Mittag ; es mußte St. Lambert passiren , einen hohen Punkt , von wo es in der Ferne gesehen werden mußte.
Pirch folgte ; Ziethen sollte längs des
Waldes von Soignes mittels der weiten Gründe hinziehen , wo seine Annäherung bis zum Eintreffen auf dem Schlachtfelde verborgen bleiben würde. So zogen auf dem Raume zwischen Wavre und Waterloo parallel drei dunkele preußiſche Colonnen hin, Bülow an der Spiße, 30000 Mann, Pirch in zweiter Linie, 17000 , Ziethen auf der Rechten , 13000 Mann, im Ganzen 60000 Mann.
In dem Augenblick , wo die linken Seiten-
truppen Grouchys beim Herauskommen aus Sart les Walhain ſich der Dyle näherten , wurden sie von den preußischen Vedetten bemerkt. Blücher
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wird sogleich benachrichtigt ; er glaubt daß die Franzosen auf den Marsch nach Wavre verzichteten um ihrerseits sich auf das Geschüßfeuer zu richten ; er wurde hierin bestärkt , als die Spizen der Colonnen von Ercelmans und Vandamme sich auf der Höhe von Corbais zeigten , wie wenn sie zu Moustier debouchiren wollten.
In Besorgniß vor dieser
Bewegung läßt Blücher den Marsch Pirchs unterbrechen ; er befiehlt Ziethen , sich über die Dyle zu wenden. Er führte so seine Colonnen zurück hinter Grouchys Seite ; aber bald erkennend daß dieser seine Bewegung auf Wavre fortsehe , befiehlt der preußische Feldherr vollkommen sicher einen neuen Contremarsch ; er bringt seine Truppen wieder in die Richtung auf Waterloo.
Das Corps von Thielmann , 18000 Mann,
läßt er in Wavre um die Bewegung zu decken und Marschall Groucht so lange als möglich auf beiden Seiten der Dyle zu beſchäftigen. Wenn der Marschall , ohne sich durch dieſen Schein täuſchen zu laſſen , auf das Feuer von Waterloo losgehe , soll Thielmann ihm in aller Eile folgen. Das Erscheinen von Grouchys Vortruppen hatte noch andere Folgen, außer daß es kurze Unſchlüſſigkeit in die preußische Armee brachte. Wir kennen heute bis in die kleinsten Einzelheiten die Bewegungen dieſer Armee , welche die Naschheit ihrer Flucht unsern Soldaten verborgen hatte.
Alles bei ihrem Marsche war dunkel und das Ereigniß blieb
unerklärlich.
Jetzt ist es durch Folgendes erklärt.
Bei Vieur - Sart ankommend befand sich die Reiterei Vallins einen Augenblick zwischen Spize und Schweif des Corps Bülow. Sobald die französische Abtheilung ſignaliſirt wurde , ließ der preußische General 2 Reiterregimenter der Reserve zurück um ihr Widerstand zu leisten. Dasselbe begegnete dem General Pirch.
Er erhält die Nachricht , daß
die Avantgarde Ercelmans sich auf den Höhen vorwärts la Baraque zeige :
auch Pirch läßt die Reiterbrigade des Oberstlieutenants von
Sohr zurück , sowie das 11. Huſarenregiment und 4 Stücke Geschüß. Alle diese Truppen fehlen dann in der Schlacht.
So hat eine unfrei-
willige Demonstration einiger leichten Truppen Grouchys auf seiner Linken in den Anordnungen des Feindes eine wirkliche tiefe Störung hervorgebracht.
Schon bei dieſem bloßen Anschein , welche falschen Be-
wegungen seitens der Preußen ! welcher getrennte Marfch ! Blücher selbst eine kurze Zeit ungewiß , das Corps Bülow , durch einen Raum von mehren Lieues in welchen die Unsern drangen , getheilt , Pirch um einen
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Theil seiner Truppen geschwächt , die Reserve der Reiterei und Artillerie der 7. und 8. Brigade aufgehalten und gelähmt , das Detachement von Ledebur von der übrigen Armee abgeschnitten und genötigt , sich mit Gewalt Weg zu bahnen , alles Dieß bei dem bloßen Erscheinen einer Avantgarde von Reiterei !
Was wird erst werden , wenn Grouchy sich
eines Beſſern besinnt , wenn anstatt einiger vereinzelten Vortruppen ſein ganzes Corps entschlossen mit Absicht auf die Flanken der Preußen marschirt !
Es ist vielleicht noch Zeit zu dem kühnen Entschluſſe des
General Gérard zurückzukehren ; außer den angegebenen Umständen räth noch ein anderer zur Kühnheit.
Das Gros der feindlichen Armee iſt
in diesem Augenblick auf den engen Brücken von Wavre aufgehalten; es hat Mühe zu debouchiren. Wenn die Verhandlung am Morgen Grouchy nicht überzeugt hatte, so hatte sie ihn wenigstens tief erregt. Er jagte allein vorwärts und zur Seite seiner Colonnen ; er ging persönlich bis ans äußerste Ende des Gehölzes von Limelette. Hier hörte er näher den sich kreuzenden Donner der Schlacht , die noch keinen Namen hatte ; er suchte von den Höhen auf denen er sich befand , die Geheimnisse des Horizontes zu durchdringen , in der Richtung von St. Lambert ; plöhlich wird er sicher : die Depesche welche Napoleon ihm um 10 Uhr vom Schlachtfeld ans geschickt hat , gelangt an ihn.
Er eilt sie zu benutzen , man hört ihn
rufen : "/ Wir sind auf dem rechten Wege.
Der Kaiser billigt es ; er
befiehlt auf Wavre zu marschiren ; nach Wavre müssen wir gehen. "
Und
den Geist von einer großen Last befreit vollendet er ruhig die verderbenbringende Bewegung in die er sich ängstlich verwickelt hat.
3. Verlauf der Schlacht.
Dazwischenkunft des Corps von Bülow.
Um 4 Uhr erreichte General Bülow das Gehölz von Frichermont. Er war nicht in der Schlacht bei Ligny gewesen ; seine Eile war daher Seine Truppen marschirten mit breiter Front auf beiden
nur größer.
Seiten des Weges mit steilen Rändern der für das Geschütz bestimmt war. Beim Durchziehen der buschigen Engwege und ſumpfigen Ravins von Lasnes nach Planchenoit wunderte man sich kein Hinderniß zu finden ; bei jedem Schritte erwarteten die Vortruppen eine Ueberrraschung. Die Officiere sagten , indem sie sich den Bach von Lasnes zeigten , es
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würden einige französische Bataillone hingereicht haben um lange den Uebergang streitig zu machen ; aber da ſie freie Wege fanden, verdoppelten Alle ihre Schritte ; sie stiegen die amphitheatralischen Höhen hinab , von wo die Schlacht sich ihrem Blicke bis in die kleinsten Falten zeigte. Anfangs war die Absicht der preußischen Generale, zu warten und die Maſſe ihrer Truppen zuſammenzuziehen , bevor sie angriffen ; aber Blücher der mit Bülows Colonnen zog , sah von den Hügeln von Maransart daß die Kriſe der Schlacht sich nähere. - berieth ihn zu gut.
Seine natürliche Ungeduld
Er entschied sich beim ersten Blick , daß der erſte
Moment der Ueberraschung benützt werden und man sich gesenkten Hauptes auf die französische Rechte werfen müsse , ohne Zeit zum Erkennen zu laſſen.
Die ungeheure Gefahr in der sich die englische Armee schon
befand litt keinen Augenblick Verzögerung.
Man bemerkte genau Na-
poleons Reserven auf den Höhen von Belle - Alliance in der Entfernung, die Reiterangriffe auf dem Plateau zogen alle Blicke auf sich.
Wenn
Lobaus Infanterie vorging , wenn sie diese Angriffe unterstüßte , so war der letzte Augenblick der Armee des Herzogs von Wellington da. Man mußte alſo auf der Stelle diese Infanterie auf sich ziehen und so be= schäftigen, daß sie gehindert wurde sich eines Bessern zu besinnen. Aus diesen seinem Ungestüm zusagenden Gründen ließ Blücher auf große Entfernung das Feuer gegen Domons und Sübervies Reiterei eröffnen ; er kündigte so seine Ankunft an. Diese ersten Lagen von 40 , bald sogar 86 Geschützen machten. Eindruck auf die beiden kämpfenden Armeen.
Die Engländer athmeten
auf, die Franzosen erstaunten ; aber sicher der Voraussicht ihres Feldherrn , fühlten sie keine Furcht. Etwas später debouchirten die 15. und 16. Division Bülows in der flachen Ebene und richteten sich gegen die rechte Seite der französischen Armee.
Seit 3 Stunden, daß die Preußen in Sicht waren , hatte Napoleon nichts von dem gethan was jene am meisten fürchteten. Er konnte entweder ihnen die Defileen streitig machen oder ihrer Ankunft zuvorkommen und alle seine Reserven in einen verzweifelten Angriff auf die englische Armee stürzen.
Anstatt dieſes äußersten Entſchluſſes ergriff er ein hinhaltendes Mittel : die Preußen von ferne zu beobachten , die
Engländer nur mit der Hälfte seiner Kräfte anzugreifen , die andere Ohne Zweifel glaubte er daß der Moment
Hälfte intakt zu halten.
der äußersten Maßregeln noch nicht gekommen sei ; überdieß würde es
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immer Zeit sein den Regeln der Klugheit zu entsagen um in Verwegenheit und Verzweiflung das Heil zu suchen. Unterdeffen hatte Lobau mit den beiden Infanteriediviſionen Simmer und Jeannin von 7500 Mann seine erste Nichtung geändert ; er marschirte entschlossen dem neuen Feinde entgegen.
Er konnte sich nur auf
das Dorf Planchenoit mitten in offenen Feldern stüßen , wo die Preußen ein kleines eisernes Monument zur Erinnerung an dieß erste Zusammentreffen errichtet haben.
Von Batterieen seitwärts bestrichen mußte sich
die Reiterei Domons und Sübervies nach einem Gefecht mit den Schwadronen des Prinzen von Preußen in die zweite Linie zurückziehen. So lange Lobau nur die Hälfte des Bülowschen Corps vor sich hatte , hielt er es auf und machte sogar Fortschritte; aber in weniger als einer Stunde , nämlich um 52
Uhr , hatten die beiden zurückgebliebenen
Divisionen von Hacke und Ryssel das Schlachtfeld erreicht : fie debouchirten von Lasnes in geschlossenen Colonnen.
Sogleich ließ Blücher,
der dem Gefecht beiwohnte , die Maſſen ſich auf der preußischen Linken entwickeln , um Lobau zu überflügeln und von Planchenoit zu trennen. Die Preußen bedrohten also die Straße von Charleroi , die einzige Rückzugslinie der Armee.
In diesem Momente forderte Ney nachdrück-
lich die Unterstützung eines Infanteriecorps um sich auf dem Plateau festzusehen. Napoleon konnte sich demnach in der Front für den Sieger halten ; aber die rechte Flanke war erschüttert , fast offen : es war kein Augenblick zu verlieren um sie wieder zu befestigen und hier die Fortschritte des Feindes aufzuhalten. Die von den Höhen heruntergelangten 86 Geschütze Blüchers nahmen die französische Armee in die Seite und im Rücken.
Ihre Kugeln gingen über die Rückzugslinie hin. Auf beiden Seiten überflügelt sind Lobaus 10000 Mann genötigt Indeß zieht den 30000 Mann Bülows in der Ebene zu weichen. Lobau sie schachbrettförmig , langsam mit Ruhe zurück ; die erste Linie geht durch die Zwischenräume. Sie stellt sich hinter der zweiten in Schlachtordnung , welche feuernd das Gefecht führt , bis sie nach der Reihe zurückgeht , um weiterhin Front zu machen und die Andringenden zurückzutreiben. Lobau leitet diese Reihe abwechselnder Gefechte mit der Regelmäßigkeit eines Manövrefeldes ; aber er ist bedroht , im Dorfe Napoleon sendet ihm den General
seinen Stüßpunkt zu verlieren.
Duhesme mit 8 Bataillonen der jungen Garde und 24 Geſchüßen. Die 2 preußischen Diviſionen Hiller und Ryffel sammeln sich in 3 Colonnen ;
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ſie umfaſſen Planchenoit , dringen ein und ſind daran es der jungen Garde zu entreißen. Man beschießt sich auf dem Todtenhofe auf 30 Schritt. Das Dorf mit seinen Gärten , Obstgärten , Umzäunungen , seinen Ausgängen gegen Maiſon le Noi , ist das Bollwerk welches die Rückzugslinic flankirt. Es wird genommen. General Morand eilt mit 4 Bataillonen der alten Garde hin , es wiederzunehmen. Ohne zu schießen jagt er die Preußen mit dem Bayonnet hinaus ; ſeine Bataillone sezen sich mit großem Zwischenraume auf dem äußersten rechten Flügel fest, wie die Consulargarde am Abend von Marengo.
Unter dem Schuße
dieser Elitetruppe kehren das Corps Lobau und die junge Garde zum Angriff zurück.
Die Preußen werden nun überflügelt ; sie weichen , ihr
Geschüß entfernt sich.
Bei dieſem mehr und mehr ungleichen Gefechte,
das sich bis in den Abend verlängern wird , ist der Posten von Planchenoit einer der Aufopferung.
Die Truppen sind hier nicht durch die
Blicke der ganzen Armee aufgemuntert wie auf dem Plateau ; sie kämpfen gewissermaßen bei Seite , in einer Niederung , der die feindlichen Truppen zuströmen. Wie wenn alle Arten des Muthes an diesem Tage vereinigt werden sollten , hatte so eben die Reiterei auf dem Plateau den unzähmbaren Ungestüm , die kriegerische Heiterkeit und die heldenmütige Verwegenheit einer des Sieges sichern Truppe gezeigt ; jezt bewiesen das Corps Lobau und die Garde , welcher Ernst in der militairischen Pflichterfüllung , dem standhaften Willen auf seinem Poſten zu sterben um die Vernichtung der Armee und die Gefangenſchaft des Feldherrn zu verhüten , liege. Der General Durrien giebt das Beispiel dieser Standhaftigkeit ; von einer Kugel am Schenkel verwundet bleibt er blutend an der Spize des Generalstabes. Napoleon glaubte jezt , daß diese Ueberschwemmung des Schlachtfeldes durch die Preußen am Ende wäre.
Das Geschütz schwieg eine
kurze Zeit ; man hörte in dieser Pause zum ersten Male sehr deutlich in der Ferne das Geschütz Grouchys. Er war also endlich handgemein mit dem was von den preußischen Corps übrig blieb , er beschäftigte sie. Man konnte nun annehmen daß nach Bülows Rückzuge auf dieser Seite des Schlachtfeldes nichts mehr zu fürchten sei.
Daher ist es jetzt Zeit
sich wieder gegen das englische Centrum zu wenden , die Reserven zu vereinigen und ins Gefecht zu bringen , den Sieg endlich zu vollenden, den dieß Eintreten Bülows seit 4 Stunden hingehalten hat. Außer der großen Hoffnung welche Napoleon bis zum leßten
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Augenblick hatte , gibt es einen Umſtand auf dem Schlachtfelde , der es Wir sagten, erklärt wie die Täuschung bei ihm so hartnäckig war. daß Gehölze , dichtes Buſchwerk , die seit dem abgehauen sind , sich damals auf seiner Rechten erstreckten.
Diese hinderten , die dunkeln Co-
lonnen Ziethens zu sehen welche sich schweigend näherten ; sie hatten bereits bei Ohain sich der englischen Reiterei vereinigt. Jest waren sie 1/4 Lieue vom Schlachtfelde ; sie eilten sich durch die Gehölze auf dem kürzesten Wege zu gelangen und Niemand in der französischen Armee ahnte noch ihre Anwesenheit.
Die Dickichte verbargen diese dritte Armee bis zum
legten Augenblicke. Es war wie eine lezte Nachſtellung , von 30000 Mann frischer Truppen versucht , die sich bereiteten , gesenkten Hauptes sich aus den Gehölzen von Ohain und Frichermont vorzuwerfen.
5.
Die beiden Angriffe der Garde.
Zu dieser Zeit hatte der Angriff Marschall Neys gegen die Mitte noch nicht aufgehört.
Die Reitermassen in den Niederungen blieben
nicht lange unthätig. Die noch kampffähigen Reiter theilen sich als Blänker. Sie necken den Feind und halten ihn außer Athem. Sie ziehen das Feuer der Batterieen auf sich ; sie dehnen sich zur Kette aus, um mit letter Anstrengung die Infanterie zu schüßen , die gleich ihnen erschöpft sich von neuem vorwärts wirft. Es ist noch die Diviſion Quiot und Donzelot. Beide scheinen in diesem Augenblicke neu zu erſtehen.
Nach ihrem Mißgeschick am Morgen , nach einem blutigen
Kampfe von 4 Stunden , bringen sie noch die ganze Kraft in die Front des Angriffs .
Welches Ereigniß , welches Wort , welcher Befehl hat
diese Tapfern angespornt und sie außer sich gebracht ?
Ney eilt zu
Erlon und sagt zu ihm: „ Du und ich müssen hier sterben , denn wir beide sind wenn das englische Kartätschfeuer uns verschont , zum Hängen bestimmt. "
Es scheint daß alle Soldaten der Divisionen der Linken
Erlons diese Worte hörten , mit solcher Verzweiflung und Wut erneuerten sie ihren Angriff.
Die Erinnerung ihrer äußersten Anstrengung
ist lange Zeit mit den lezten Momenten der Garde verschmolzen geweſen ; nach dem Berichte der engliſchen Hiſtoriker kann man diesem Theil der Linie den ihm gebührenden Ruhm wiederherstellen. Die 2 vereinten Divisionen dringen aus Haie Sainte auf allen Ausgängen.
Sie breiten sich als Tirailleurſchwarm auf den Abhängen
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aus.
In dem Getraide sich wie Schnitter bückend dringen Quiots und
Donzelots Soldaten über den Rand vor.
Hier bedecken sie mit ihrem
Feuer die ermatteten Truppen von Alten, Ompteda , Maitland. Dieses kühne, ununterbrochene, in großen Lagen folgende Feuer ließ der englischen Armee keinen Augenblick Ruhe. Es lichtet sie und bringt sie zur Verzweiflung. Es war wie ein Wespenschwarm der auf einen müden und blutenden Körper fällt.
So war der Charakter der Schlacht in der
Front von 5-7 Uhr.
Die Engländer gestehen daß jezt ihre Armee
nur ein Bruchstück deſſen bot was fie am Morgen war.
Von allen
Seiten verlangten die Chefs Verstärkungen ; es blieben , sagen sie , von ihren Corps nur die Skelette. Auf diese Bitten war Wellingtons Antwort dieselbe : man müſſe ſtehen bis zum letzten Mann.
Die Bri-
gaden Somerset und Ponsonby bildeten nur noch zwei Schwadronen. Die Bataillone waren zu einer Handvoll Leute gesunken. nur ein Commando : schließt die Glieder !
Man hörte
Von der Höhe des Plateau
bemerkte Wellington von ferne den Thurm von Planchenoit ; aber die Ereignisse des Kampfes auf dieſem fernen Theil des Schlachtfeldes entgingen ihm.
Er wußte ' nicht ob Franzosen oder Preußen die Oberhand
behielten. In seiner Besorgniß sandte er Officiere über Officiere an Blücher um ihn zu beeilen. Napoleon fühlte daß der Augenblick gekommen sei und er alles wagen müsse.
Zehn Bataillone Garde zu Fuß waren noch in Reserve
die noch nicht im Gefechte gewesen.
Sie warteten Gewehr bei Fuß
auf den Höhen von Belle - Alliane. Troß allem war die Gewißheit zu siegen noch ganz bei ihnen, Die fünf ersten Bataillone werden in Angriffscolonnen formirt und sollen sich in Staffeln in einiger Entfernung unterſtüßen.
Batterieen marſchiren in den Zwiſchenräumen.
Napoleon
galopirt zur Linken über die Anhöhen. Er zeigt auf die englische Stellung. Die Soldaten wiederholen seine Worte : " Meine Freunde, ich will heute Abend in Brüssel speisen ! "
Er entflammt mit seinen
Blicken diese Handvoll Männer , auf die er seine letzte Hoffnung seßt. Sie antworten ihm mit enthusiastischem Geschrei welches sagen will : "I Sei ruhig. "
Zur Linken von Haie Sainte vorbeiziehend begegnen sie
den dort in großer Zahl vereinigten arg beschädigten Reitern ; sie be= ruhigen sie im Vorbeimarsch mit heldenmütiger Heiterkeit. „ Sie müßten den Angriff mit dem Bayonnet aufnehmen “ , und marſchiren Gewehr im Arm , gerichtet wie bei der Parade. Quinet, Feldzug von 1815.
10
1
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Hier unterbrechen die Engländer den Bericht um eine Sache zu erzählen welche unmöglich scheint.
Sie sagen daß in diesem äußersten
Momente ein Officier der franzöſiſchen Cuirassiere auf sie zu galopirte und in ihre Reihen ritt.
Er theilte mit daß ihre Linie durch die kaiser-
liche Garde und Napoleon in Person angegriffen werden würde.
Man
führt die Obersten und Generale an , an welche dieser Officier gesendet war. Wahrheit oder Lüge , Wellington bedurfte dieser Benachrichtigung nicht. Die Vorbereitungen zum Angriffe waren sichtbar genug. Zum dritten Male stellt der englische Feldherr die Lücke wieder her , die in seinem Centrum entstanden ist.
Von der Linken ruft er Vivians und
Vandeleurs Reiter zurück ; sie ziehn sich eilig hinter die Front.
Er
füllt mit den braunschweigschen Bataillonen die Lücke zwischen den Brigaden Naſſau und Halkett.
Die Division Chassé seht sich in tiefen
Colonnen links der Brigade Maitland. Um der Brigade Naſſau einigen Anschein zu geben , entwickelt man hinter ihr auf einem Gliede den Rest der schottischen Grauen und der Husaren der deutschen Legion. Auf der Linken war die Infanterie hinter der Hecke längs des Hohlweges entwickelt , ein Regiment in Carré an der Ecke der beiden Wege. Auf der Front der Armee ist die Artillerie fast ganz aufgelöst. In diesem Momente der Krisis zieht ein außerordentliches Ereigniß die Aufmerksamkeit der drei Armeen auf sich. Ein Gewehrfeuer läßt sich an der äußersten Rechten der französischen Linie hören ; es ist das gut genährte, hißige Feuer einer frischen Truppe die sich beeilt an der Sie wendet sich gegen die englische äußerſte Diese aus der Brigade des Prinzen von Weimar gebildet , er= schreckt bei diesem unerwarteten Feuer und weicht. Man sieht sie sich rückwärts auf eine Viertellieue vom Schlachtfelde zerstreuen. Bei dem Schlacht Theil zu nehmen.
Linke.
Geräusch , dem Anblick dieser Flucht lassen sich Freudenschreie auf der ganzen französischen Linie hören.
" Da kommt endlich Grouchy an. "
Napoleon war eifriger als irgend Jemand , an diese Rückkehr des Glückes zu glauben. Er sendet seinen Adjutanten Labedoyère , die Nachricht in den Reihen zu verbreiten , daß Grouchy ankomme , daß er auf der Höhe von Smohain sei ; man habe ihn an seinen Schüſſen erkannt. Diese durch das nur zunehmende Feuer auf der Rechten bekräftigte Nachricht steigert die Begeisterung der zum letzten Schlage vorgehenden Truppen auf den Gipfel.
Die ganze Linie von Hougoumont bis Haie
Sainte und Papelotte , rückt mit der Garde vor.
Die Verwundeten
147
treten wieder in die Glieder.
Die Tirailleurs von Erlon , Quiot und
Donzelot verhüllen die Garde mit einem Vorhang von Rauch ; sie gehen ihr rasch voraus , während weit hinter ihnen die Tambours das Anrücken der Angriffscolonnen , die ihnen im Schritte folgen und den Angriff schlagen.
Das Feuer dieser Tirailleurs , durch die Nähe und
das Beiſpiel der Garde begeistert , muß wirklich furchtbar gewesen sein, da die englischen Geſchichtſchreiber erklären daß ihre Armee abſölut außer Stande war es zu erwidern und daß sie auf dem Punkte stand zerschmettert zu werden.
In wenig Augenblicken verliert unter diesem
verzweifelten Feuer das 27. englische Regiment über die Hälfte seiner Leute.
Eine französische Batterie marschirt vorwärts des Gartens von
Haie Sainte mit den Tirailleurs ; sie schmettert auf hundert Schritte das linke Carré der Brigade Kielmannsegge nieder ; eine Seite des Bald andern Carrés wird zermalmt ; der Rest bildet ein Dreieck. darauf vermindert er sich unter dem Kartätschhagel zu einer Handvoll . Der Prinz von Oranien verſucht an der Spiße der Brigade Naſſau die Tirailleurs anzugreifen ; er wird von einer Kugel an der Schulter getroffen. Schon sind Alten , Halkett , faſt alle höheren Officiere der dritten Division verwundet oder todt. Endlich öffnet sich der Tirailleurvorhang , die Garde durchſchreitet ihn und geht allein vor. lautes Geſchrei aus.
Ney führt sie.
Als sie anrückt , stößt sie
Die zweite englische Linie sah noch nicht die
Colonnenspitzen ; aber das bloße Geschrei entsetzt sie.
Sie weicht.
Die
Dragoner Vandeleurs schließen die Reihen und sperren denen den Weg, welche die Flucht versuchen. Die englische Artillerie concentrirt ihr Feuer auf die 2900 Mann welche Gewehr im Arm zum Zusammenstoß mit einer ganzen Armee vorgehen.
Sie erwidern das Feuer nicht , aber
sie schließen ihre gelichteten Reihen ; sie richten sich , indem sie an ihren Todten vorüberschreiten, wie am Tage einer Revue. Artillerie verdoppelt das Feuer auf 50 Schritt.
Die feindliche
Friant wird ver-
wundet , Michel getödet ; Ney stürzt mit dem Pferde (das fünfte das an diesem Tage unter ihm getödet wird) . Degen in der Fauſt.
Er erhebt sich wieder , den
Das erste Bataillon hält.
Neh wird unwillig
als er diese Legion von Helden im Kartätschfeuer wanken sieht. Er ruft ihnen zu : Feiglinge , wißt ihr nicht mehr zu sterben ? " General Poret de Morvan mischt sein Geschrei mit dem des Marschalls.
Die
Colonne geht wieder zum Angriff über , sie erreicht die Höhe des Randes.
148
Als hier die Grenadiere mit ihren hohen Pelzmüßen den Gipfel krönen, erschienen sie dem Feinde gigantisch *) . Vor ihnen zeigen sich in ge= schlossenen Colonnen die Bataillone von Braunschweig. Sie werden zerstreut ; die von Nassau nehmen ihre Stelle ein. Die Garde rückt vor , die Soldaten von Naſſau werden bis an die Pferde des zehnten englischen Husarenregiments zurückgeworfen. Wellington wirft sich den Braunschweigern entgegen , er sammelt sie , dann eilt er zu der Batterie rechts von Maitland.
Sie faßt die Grenadiercolonnen von der Seite.
Sie gehen noch vor , sie kommen an die Stelle wo die Garderegimenter auf der Erde lagen.
Eine Stimme ruft
Garden , steht auf, zielt
gut ! "
Die Regimenter springen in eine lange Linie auf und geben
Feuer.
In einem Augenblicke sind die vordern franzöſiſchen Glieder
niedergeschmettert.
Oberst Mallet , die Bataillonchefs Cardinal , Agnes,
die zwei Brüder Angelet fallen todt oder bleſſirt. Man ſah nun die Officiere sich vorn und zur Seite der zerrissenen Colonnen heraus begeben und das Entwickeln in Linie befehlen um ihr Feuer zu gebrauchen ; aber wie sich die Spizen der Colonnen neu bilden , werden sie von dem kreuzenden Gewehr- und Geſchüßfeuer einer ganzen Armee zermalmt. Die am meisten Vorgedrungenen wirbeln herum ohne das Feld räumen zu wollen , wo sie auf den Flanken verschwinden , während andere von weiter zurück über die Köpfe der Vorangedrungenen feuern.
Die Hoff-
nung das engliſche Centrum zu brechen , ist noch da , wenn die lezte Reserve , die 15 Minuten zurückgeblieben ist , zeitig ankommt ; aber sie ist noch entfernt und man sagt daß von den 2900 Mann die das Plateau erstiegen , nur noch 700 kampffähig seien.
Erstaunt steigen
diese von den Höhen nieder.
Die Verwundeten gehen ihnen in Menge
voraus und zerstreuen sich.
Diese unglaubliche Nachricht , die Garde
sei geworfen , verbreitet sich.
Beim ersten Lärm beginnen die Reihen
eines Theils der Linie zu wanken. Hoffnung.
Aber es bleibt noch eine große
Der erste Angriff der Garde ist abgeschlagen ; es bereitet
sich ein zweiter vor. Napoleon ſelbſt ordnet dießmal die fünf neuen Bataillone die beinahe intakt von Belle - Alliance kommen. Was er noch nie in früheren Kriegen gethan , that er in dieſem lezten Augenblicke.
Er wies den Soldaten ihren Plah an , bildete zwei Bataillone
in Schlachtordnung , zwei andere wie Strebepfeiler in Colonnen zur
*) Siborne.
149
Rechten und Linken ; die zweite Brigade sollte in Staffeln folgen.
Dieß
ist dieselbe Anordnung welche am Tagliamento unwiderstehlich war , am letzten Tage der italischen Kriege ; es ist auch die der Division Deſair am Tage von Marengo.
Wer weiß ob diese Erinnerungen nicht Na-
poleons Augen in dieser lezten Stunde seiner kriegerischen Laufbahn leuchteten ?
General Friant, den man verwundet brachte , sagte ihm
daß alles auf dem Plateau gut ginge , und der Feind unfehlbar vernichtet würde sobald dieſe Reſervė dėbouchirte.
Napoleon faßte wieder
Hoffnung : er beharrt darauf das Glück zu zwingen. Die neue Colonne bestand aus dem ersten Bataillon Chasseurs, zwei Bataillonen des zweiten , zwei Bataillonen vom zweiten und dritten Grenadierregiment.
Ohne sich über das zu beunruhigen was in der
übrigen Armee vorgeht , marschirt sie allein gegen das so oft genommene und verlassene Plateau. Die Truppen Maitlands welche sie bemerken, ziehen sich in Unordnung jenseits des Erdrandes zurück ; sie wollen sich auf vier Glieder Tiefe formiren .
Man hat ein kleines Corps franzö-
sischer Cuirassiere gesammelt die anfangs den Angriff unterſtüßen.
Sie
machen eine letzte Anstrengung gegen die englischen Batterieen ; aber zu sehr geschwächt werden sie geworfen.
Die Colonne sieht sich wieder
allein und ohne Unterstützung auf den Flügeln.
Das 52. englische
Regiment benüßt dieß um kühn gegen die linke Flanke sich zu ent= wickeln. Vor sich hat sie die noch tiefen Maſſen von Maitland , Chassé, den Garden , auf der Rechten die Batterie Napier. wirft fie fich blindlings.
In dieses Dreieck
Als das englische Regiment fie ganz über-
flügelt hatte , eröffnete es sein nahes Feuer.
Die überraschte Colonne
ſtuzte und erwiderte , indem sie ihre linken Bataillone entwickelte , das sie verheerende Feuer ; aber da demaskirt sich die Batterie Napier in ihrer Front auf 60 Schritt mit Kartätschen.
Es war kein den Wechsel-
fällen des Kriegs unterworfenes Gefecht mehr , sondern eine Vertilgung. Der Moment war gekommen wo keine Anstrengung menschlicher Tapferkeit , keine Begeisterung des Soldaten mehr das Unglück beschwören und die hartnäckigen Illusionen des Feldherrn herstellen konnten. Und dennoch herrscht heute noch Streit zwischen den Engländern und ihren Verbündeten , um zu wissen wer die letzten Schläge auf diese Handvoll Männer geführt habe.
Mir scheint es , man kann nicht leugnen , daß
eine niederländische Batterie von Vandermiſſen auch sich auf Pistolenschußweite demaskirt habe ; sie spie ihre Kartätschen auf die schon be
150
strichene Colonne aus und trug so bei , ihr das Feld zu entreißen. Dieser Ruhm
kann denen nicht verweigert werden die ihn geltend
machen.
6.
Einbruch des Corps von Ziethen.
Vormarsch der
englischen Armee. Gleichzeitig ging ein Geschrei von den Höhen von Smohain aus. Dieß ist das Hurrah eines neuen Angriffes.
Der ganze Theil der
französischen Armee der sich noch auf der Mitte des Abhangs hielt, wankt. Die Mitte und die Rechte werden gleichzeitig gebrochen. Die eine weicht beim ersten Schritte den die Garde zurück thut , die andere aus unbekanntem Grunde. Man könnte es panisch nennen , bis man weiß welcher unwiderstehlichen Kraft gewichen werden mußte.
Alſo wirken
im letzten Augenblicke zwei sehr verschiedene Ursachen gleichzeitig auf zwei entfernten Punkten der Linie und brechen sie. In der Mitte stürzt Alles auf die Garde ; man sucht bei ihr Zuflucht.
Die gebrochenen
Truppen , die Einzelnen , die unerschrockenen Tirailleurs von Quiot und Donzelot ziehen sich hinter dieſe lebende Festung ; aber sie erdrücken sie mit ihrer Menge.
Decimirt ziehen die Bataillone der Garde im Schritte
zurück in die Niederungen südlich Haie Sainte.
Hier sehen sie sich in
Carrés um den Feinde die Stirn zu bieten , der sich von allen Seiten auf sie wirft. Bis dahin hatte Napoleon in dem Ravin mit den Augen die Bewegungen seiner lezten Reserve beobachtet.
Er konnte sich anfangs
nicht die plöhliche Verwirrung des entferntesten Theils des Schlachtfeldes erklären.
Standhaft hoffend konnte er sich nicht von dem Orte wo er
war , losreißen ; aber als er seine unüberwindliche Garde sogar weichen und Haie Sainte wieder passiren sah , entsagte er zuerst der Hoffnung und (wenn man den Bericht seines Guiden glauben darf) rief aus : " Es ist zu Ende ! " Da schon die feindlichen Reiter sich näherten , warf er seine Bedeckung von vier Schwadronen ihnen entgegen.
Diese 400 Mann waren
bald umringt und über den Haufen geworfen.
General Guyot der sie
führte wird von zwei Schüffen verwundet ; General Jamin wird an der Spitze des Restes der Grenadiere zu Pferd getödet. Napoleon der jezt nicht einen Mann Escorte mehr hatte jagte hinweg. Er begab
151 sich in das Carré des zweiten Grenadierregiments , welches der OberstLieutenant Martenot befehligte.
Was aber war auf der äußersten Rechten vorgegangen ?
Das Corps Ziethen war unerwartet mit seiner ersten Brigade der Reiterei und vier Batterieen aus dem Gehölz von Ohain debouchirt. Anfangs hatte Ziethen eine Batterie auf die Höhe gestellt ; aber fast zugleich warf er auch seine Truppen vorwärts. Sie nahmen die Erlons in die Seite, welche gerade in Colonnen zur Flankirung des Angriffs der Garde marschirten. Dieß war wie der letzte Schlag. Man hat die äußerste Rechte beschuldigt , sie habe die Schlachtlinie durchbrechen lassen ; aber was vermochte dieß Corps von 2000 entkräfteten überraschten zerstreuten Leuten bei dem Strom von Feinden die sich von den Höhen stürzten ? Diese mußten das Hinderniß schon durch das Gewicht ihrer Masse wegräumen . Napoleon hat der Division Durutte vorgeworfen sich nicht in Smohain festgesetzt zu haben ; aber es ist noch heute eine Frage zu wiſſen ob dieſes von dem Prinzen von Weimar tapfer vertheidigte Dorf länger als einige Augenblicke von den Soldaten Duruttes genommen und behalten wurde. Dann kamen Erstaunen und Betäubung hinzu. Man hatte anfangs die neuen Anstürmenden bemerkt , die getäuscht durch die blaue Uniform der nassauischen Truppen ihr Feuer gegen diese richteten und sie auf eine Viertel Lieue zerstreuten ; jest wenden sich dieselben Corps von ihrem Irrthum zurückgekommen wüthend gegen die Unsrigen. Ein so unerwarteter Wechsel brachte anfänglich die Infanterie von Brue und Marcognet , welche die Rechte hatten , außer Fassung und dennoch berichten die Preußen daß dieser so überraschte franzöſiſche Flügel mehr Widerſtand leiſtete als man gewöhnlich angibt. Eine halbe Stunde lang wehrte er den Ankommenden den Eintritt auf das Schlachtfeld; er machte das Debouchiren aus Papelotte und Smohain streitig. Die Preußen wurden so lange aufgehalten daß sie 500 Mann verloren. Die Division Durutte hatte also das Schlachtfeld während des ersten Angriffs der Garde behütet : das Centrum Erlons hatte sogar sich eine Zeitlang geordnet zurückziehen können ; endlich aber wurde in den äußersten Theil der Linie Bresche gelegt.
Ziethens 13000 Mann , eine frische Truppe , stürzten sich darauf , die Reiterei voran. Sie drangen zwischen Erlon und Lobau ins Innere der französischen Armee ein. So von vorn , den Seiten und im Rücken zerschmettert bedurfte es keiner Panik oder Verrätherei daß Alles verloren ging.
Der Ruf sauve qui peut
152
war nicht nötig ; überdieß wer würde inmitten der sich kreuzenden Feuer, der zerstreuten Bataillone , der geſchloſſenen Schwadronen unter denen die Erde zitterte , der umgeworfenen Fuhrwerke , der Geschütze die ihr leztes Feuer gaben , darauf geachtet haben ?
Bis jetzt hat man Nie-
manden gefunden , der es gehört haben will. Die Gewalt der Thatsachen, die unübersteigliche Notwendigkeit , die Hartnäckigkeit oder Verblendung des Feldherrn in einem unmöglich gewordenen Kampfe ge= nügten. Die Waffen , die Corps , die Regimenter mengten sich. Die prächtige Armee war schon gegen Belle- Alliance hin nur eine verwirrte Masse; aber sie war noch so dicht , daß die feindliche Reiterei sie im Schritt zurücktrieb , ohne eindringen oder durchbrechen zu können. Die preußische Reiterei marſchirte rechts gegen Rossomme ; sie schien auf den Wogen eines aufgeregten Meeres getragen. zulezt zurück. trachten.
General Durutte zog sich
Er wandte sich einen Augenblick um den Feind zu be-
Preußische Reiter werfen sich auf ihn , verwunden ihn im
Gesicht und hauen ihm das rechte Handgelenk ab.
Durch sein Blut
geblendet und nicht im Stande sein Pferd zu führen , schiebt ihn die Menge gegen die große Straße von Charleroi. Er sucht dort einige Zeit den Marschall Ney um ihm ein leztes gesammeltes Detachement der Brigade Brue zu bringen. Bei diesem Beginn des Unglücks seht etwas in dem Bericht der Engländer in Erstaunen : das enthusiastische Lob welches sie dem Herzog von Wellington zollen , dafür daß er wagte die decimirte und umringte alte Garde zu verfolgen. Welche Vorstellung hatte man von dieſer Garde, und welches Lob wird jemals diesem Zugeständnisse gleichkommen ? In der That ist es gewiß daß selbst jezt in der Not wo die franzöſiſche Armee sich aufzulösen schien , Wellington die äußerste Vorsicht brauchte. Welche Maßregeln noch gegen diese ordnungslose Masse ! hutsamkeit im Siege !
Welche Be-
Er glaubte langsam an solches Unglück.
Als
er es sah , war er noch langsam , die ganze englische Armee gegen dieſe Trümmer bloßzustellen. Er hielt die Masse seiner Truppen unbeweglich auf den Höhen zurück und warf nur die Brigaden Vivian und Vandeleur in die Ebene , wie um sich eines Sieges zu vergewissern, den er nicht so vollkommen glauben konnte. Batterieen feuerten noch auf verschiedenen Punkten.
Das Gewehr-
feuer dauerte noch bei den brennenden Ruinen Hougoumonts sort , später hörte es auf.
Es war 812 Uhr , die Sonne ging unter , sie warf
153
einen letzten Stral über die Bäume von Merke Braine.
Der Rauch
verzog sich fast über dem ganzen Schlachtfelde ; das furchtbare Schauspiel war eine kurze Zeit aufgedeckt. Auf den Abhängen der französischen Stellung sah man noch hier und da Carrés und Geschüße auf den Seiten und in den Zwischenräumen. Wo war jetzt die unbesiegbare Reiterei von Milhaud , Kellermann , Guyot und Lefebvre - Desnouettes ? Hier und da gab es Schwadronen die sich unbeweglich verhielten. Dieß waren nur Trümmer und wie die Engländer sagen , wahre Gespenster deſſen was sie am Morgen gewesen.
Sie waren zerstreut , einige ohne
Führer , wo sie der Zufall der Schlacht hinverschlagen hatte. Die Menge zog an ihren Füßen vorbei , wie die Gewässer sich durch die Bogen einer zerstörten Brücke stürzen , von der nur einige Pfeiler blieben, welche die Ueberschwemmung nicht fortreißen konnte ; aber wie sie inmitten der allgemeinen Verwirrung waren , imponirten dieſe Carrés und Schwadronen der englischen Armee.
Wellington glaubte nicht genug
Vorsicht bei ihrem Angriffe anwenden zu können . Die leichte Reiterbrigade Vivians , ſchwadronsweise in Staffeln formirt , wird zuerst gegen die franzöſiſche Mitte geworfen. hier eine Lücke.
Sie bricht
Die Lanciers und Dragoner der Kaisergarde wenden
sich und greifen die Dragoner und Husaren der deutschen Legion an. Man spricht auch von einem Corps Cuirassiere , welches durch Carabinerfeuer die deutsche Reiterei in Schranken hielt. Dadurch gaben sie den Carrés der Garde Zeit aus dem Ravin von Haie Sainte zu gelangen. Auf der englischen Rechten steigt die Brigade Vandeleur im Trab gegen die Umgebungen Hougoumonts herab ; sie wirft die Tirailleurs auf die Rückzugslinie. Der linke französische Flügel hatte hier , von der Rechten durch Höhen getrennt , den Angriff der Preußen nicht gesehen. Er hielt sich um Hougoumonts Ruinen herum.
Als er sich zurückzog,
geschah dieß anfangs langsam ohne Ahnung des Mißgeschicks .
Die
leichte Reiterei Pirés entfernte sich im Schritte ohne selbst beunruhigt zu sein. Wenn General Reille hätte denken können was auf der Rechten und in der Mitte vorging , so würde er anstatt seine Colonnen mit dem schon desorganisirten Theil der Armee zu vereinigen , seinen Rückzug auf der Straße von Nivelles ausgeführt haben.
Die englische
Reiterei war indessen durch ihre Angriffe schon ermüdet ; sie hatte sich aufgelöst und mit den Flüchtigen vermengt. für die Sieger ansteckend.
Das Unglück war selbst
Schon erstaunten die diese Reiter befehligen-
154
den Generale sich allein so weit vor der englischen Armee zu sehen. Sie waren nicht ohne Unruhe mitten in ihrem Triumphe.
Sie hielten
ihre Schwadronen an um die nachfolgende Infanterie zu erwarten. Zuerst erreichte sie die Brigade Adam , auf vier Glieder rangirt, wie in der äußersten Gefahr ; sie marschirte auf der englischen Linken. Nun warfen sich die beiden auf den Höhen von Belle - Alliance vereinigten Armeen hintereinander auf die Carrés der Garde. Die Feinde waren so zahlreich , daß sie sich gegenseitig schlugen und beschossen. Nahe bei Belle = Alliance ankommend , kamen die englischen Truppen Adams in die Feuerlinie einer preußischen Batterie.
Das 18. Hu-
sarenregiment haut auf ein deutsches ein ; aber am Ende erkennen sie sich : alle stürzen sich gegen die Carrés der alten Garde die noch bestehen.
Diese dienten den Generalen als Zuflucht , die keine Soldaten
mehr hatten ; sie öffneten sich vor allem um die Fahnen aufzunehmen, die man von allen Seiten her ihnen anvertraute.
Sie waren Citadellen,
in denen sich die Seele der Armee sicher stellte , und es ist gewiß daß an diesem Tage , wo fast das ganze Material verloren wurde , die Fahnen mit der militairiſchen Religion der lezten zwanzig Jahre gerettet wurden. Die Carrés mußten Mann für Mann vernichtet werden, und selbst durch vereinigten Angriff wurden sie nicht gebrochen.
Kein
Regiment , keine Brigade des Feindes schreibt sich die Ehre zu , ihre Reihen durchbrochen zu haben.
Sie wichen nur dem Drucke der drei
Armeen , der englischen , preußischen und der französischen selbst , welche sich von allen Seiten auf sie wälzten , denn das Gewicht der Fliehenden zermalmte sie wie das der Sieger. standen noch drei Carrés.
Inmitten dieses Menschenmeers be-
Zuweilen hielten sie an , kreuzten das Eiſen
und entledigten sich durch nahes Feuer der sie drängenden feindlichen Massen.
Endlich blieb nur ein einziges. Oberst Halkett an der Spize
der Hannoveraner umringt es auf drei Seiten ; er schreit zwischen jede Salve: " Ergebt euch euch!! " Eine Stimme antwortet : ,, Die Garde stirbt und ergibt sich nicht ! "
Es war die Cambronnes *) ; eine neue Salve
*) Nach den „ Erinnerungen eines Officiers “ hat man Cambronne, als er nach Nantes zurückgekehrt war , ſelbſt ſeine Worte : "I Leute wie wir ergeben sich nicht! " wiederholen hören. Die erste Lesart gehört der Geſchichte an. Es würde unmöglich sein , auf die nackte Wahrheit zu gelangen , ohne daß man sie selbst zu beeinträchtigen schiene.
155
stürzt ihn durch eine Granate zur Erde. den Todten. sich.
Er bleibt ohnmächtig unter
Das Carré tritt seinen Marsch wieder an und entfernt
Bei diesem letzten Handgemenge reden die Fremden * ) mit be-
ſonderer Bewunderung von einem franzöſiſchen Reiterregiment : es war der Rest der Grenadiere zu Pferd ; sie marschirten im Schritt in ge ſchloſſener Colonne , in herrlicher Ordnung ; man hätte geſagt , ſie ſeien dem sie umgebenden Chaos fremd.
Das zwölfte englische Dragoner-
regiment wagte sie anzugreifen ; das französische wendet sich ruhig , wirft sie und seht seinen majestätischen Marsch fort.
Etwas später , als das
Regiment von neuem gedrängt wird , verläßt ein Officier die Reihen und feuert seine Pistolen auf den Oberst Murray ab.
Da sich Napo-
leon längs der großen Straße zurückzog , zur Rechten dieser Reiterei, hat man geglaubt daß sie so die Rettung des Feldherrn sichern wollte. Wellington , als er nunmehr ſah wie seine Avantgarde mit Vivian , Vandeleur und Adam die französische Stellung erreicht hatte, hielt sich endlich für den Sieger.
Jeht , aber nur jezt , ließ er seine Armee
los , die er bis dahin auf dem Plateau zurückhielt. Er befahl das Vorgehen der ganzen Linie. Von diesem Momente redet General Foy, als diese unbewegliche seit dem Morgen auf demselben Flecke eingewurzelte Armee sich wie ein Mann von den Höhen von Hougoumont und Smohain bewegte. Zu dieser Zeit ging die Division Lambert über Haie Sainte, welches man den Blessirten und Todten überlassen fand . Die Engländer halten sehr daran fest , daß zwischen dem Rückzuge der Garde und dem Vorgehen ihrer Linie wenigstens 12 Minuten verstrichen, denn `sie schließen daraus daß sie es waren , welche die französische Mitte vor dem allgemeinen Einbruche der Preußen durchbrachen.
Dieß sind die
12 Minuten um welche die Geschichtsorscher sich streiten , und das iſt der Zusammensturz menschlichen Nuhmes ! Angesichts der vorgehenden englischen Armee war ein Mann auf der andern Seite des Ravins geblieben ; er war zu Fuß, auf den Arm eines Corporals der alten Garde gestützt : es war Marschall Ney der den Fliehenden sich entgegenstellte. Gegen Belle Alliance hin , zerstoßen, mit durchlöcherten Kleidern , aber noch unverwundbar , suchte er eine Abtheilung , eine Compagnie , ein Peloton um sich an ihre Spitze zu stellen und sie ins Feuer zu führen.
*) Siehe Siborne.
Den Vorüberkommenden schrie er zu :
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kommt, folgt mir , ich will euch zeigen wie ein Marschall von Frankreich auf dem Schlachtfelde stirbt ! "
Die welche es hörten versichern noch heute daß der Ton dieſer Worte nie ihrem Gedächtniſſe entſchwinden werde ; aber es war ein übermenschlicher Mut darin , der die Tapferſten in Erstaunen sette.
Napoleon passirte nahe dem Hügel von Rossomme. Von hier hatte er am Morgen dieſe heldenmütige Armee zu seinen Füßen erblickt , die wie er sagte die Erde mit Stolz erfüllte.
Jezt sah er sie vom selben
Orte aufgelöst , fast vernichtet , alle Waffen durcheinander , Gepäck , Munitionswagen , Menschen vermengt , die flohen , ohne ihn bei Annäherung der Nacht zu erkennen. Es waren 2 Bataillone und 1 Batterie da ; er befahl zu feuern. Der lezte Schuß riß Lord Urbridge das Bein weg , der den letzten Reiterangriff führte.
7. Verfolg.
Vertheidigung von Planchenoit durch Lobau.
Das preußische Corps von Ziethen war nicht das einzige welches sich unerwartet auf die französische Armee warf. Fast gleichzeitig de= bouchirte das ganze Corps von Pirch hinter Bülow und verlängerte dessen Rechte und Linke. Dieß waren noch 15000 Mann die auf Lobau fielen , welcher um 12 Bataillone der Garde schwächer geworden war. Die gänzliche Vernichtung der Franzosen hing von der Eroberung Planchenoits ab. Die Preußen gehen in geschlossenen Bataillonen in der Richtung der Kirche vor , die schon von Todten und Sterbenden erfüllt war.
Die Strohdächer hatten sich entzündet.
Die in den Fen=
stern der Kirche sich spiegelnde Feuersbrunst erleuchtete den Todtenhof, den ein Bataillon Chasseurs inmitten der Leichen vertheidigte , welche ihm eine zweite Verschanzung abgaben.
Bülow und Pirch können ver-
einigt nicht das Dorf von vorn bewältigen ; sie überflügeln es und umfassen es bis zum Gehölz von Chantelet. Die Vertheidigung der Franzosen Lobaus inmitten der brennenden Gebäude , während hinter ihnen sich die ganze Armee wälzte , erregt noch heute die Bewunderung der fremden Geschichtschreiber. Während anderthalb Stunden ließ dieſe Truppe sich zum Heile der andern aufreiben.
Hier konnte die Garde wirklich
kämpfen. Obgleich von allen Seiten überflügelt , macht sie jedes Haus streitig , vertheidigt sich von Hecke zu Hecke , von Baum zu Baum. Die Generale Barrois
und Duhesme werden schwer verwundet.
Wenn
157
Planchenoit eine halbe Stunde früher genommen wurde , war der Rückzug abgeschnitten ; als dieser Posten verlassen wurde , war alles was von der Armee übrig blieb , vorübergezogen.
Die Chasseurs des 3. Regiments
der Garde waren die lezten , welche das Dorf verließen. General Pelet hatte ihrer 250 vereinigt.
Front machend , wenn sie bedroht wurden,
zogen sie sich über Maiſon dü Noi zurück. und die Nacht retteten Napoleon.
Diese Handvoll Menschen
Die Menschen hatten gethan was menschliche Kräfte zu leisten vermögen ; sie wichen einer höhern Macht , welche fast alle Verrat nennen, denn niemand wollte darin das Resultat der Irrthümer des Feldherrn sehen.
Es bedurfte mehr als ein halbes Jahrhundert , che man zugab
daß der General in Etwas bei dem Mißgeschicke Aller Schuld trug. Man liebte damals mehr , an die Treulosigkeit einer großen Zahl , als nur einen einzigen Fehler eines vergötterten Führers zu glauben , der ſelbſt nach Moskau und Leipzig für unfehlbar galt. Die Nachricht daß Grouchh komme , brachte eine Art Schwindel hervor.
Als man anstatt Grouchys 60000 Preußen auf allen Zugängen
debouchiren sah , wurden selbst die Einbildungen zerstört.
Jeder hielt
sich verloren , die Waffen entfielen den Händen und wie man bis dahin übermenschliche Anstrengungen gemacht hatte , schien man jezt nicht dem Feinde sondern dem Schicksal zu weichen.
Es zeigte sich daß selbst ge=
liebte Führer keine Herrschaft mehr über die Menschen besaßen. Einen ausgenommen , waren verdächtig geworden. lichkeit eine Arrieregarde zu vereinigen.
Alle,
Daher die Unmög-
Die Niederlage verwandelte sich
in Unglück und wer sich widersehen oder nur gegen den Strom marschiren wollte , wurde für einen Feind gehalten.
In der ersten Zeit
der Niederlage stürzte sich der Secretair Napoleons von der Meierei Caillou den Fliehenden entgegen.
Er führte Napoleon ein Pferd zu,
den er noch im Gemenge glaubte , verwundet vielleicht oder zu Fuße. Zwei französische Cuirassiere kommen mit geschwungenem Säbel heran : „ Wo gehst du hin ? " - ,, Ich suche den Kaiſer. " — " Du lügst ; du willst zu den Engländern ! " Sie wollten ihn zusammenhauen , als Officiere ihn erkannten nnd retteten. Wellington hielt die englische Armee an , als sie die Stellung der Franzosen gegen Roſſomme erreichte. Es war genug , den Platz Napoleons einzunehmen. Ueberdieß hätten die erschöpften Truppen keinen Schritt mehr zur Verfolgung der Franzosen thun können. Blücher über-
158
nahm dieß ; es entſprach seinem Haſſe , ſeinem Wunſch nach Rache. Die Engländer bivouakirten in den franzöſiſchen Linien , rechts der Straße nach Charleroi , die sie ihren Alliirten frei ließen. Von Belle Alliance her zurückkommend begegnete Wellington Blücher. Beide stiegen ab und fielen sich in die Arme.
Der Pachthof Belle Alliance hatte der preu-
ßischen Armee als Richtpunkt gedient ; Blücher wollte daß man der Schlacht diesen Namen gäbe ; der Stolz der Engländer verhinderte dieß. Sie haben den Namen ihres Hauptquartiers gewählt , obgleich der Flecken Waterloo für alle drei Armeen außer der Handlung liegt.
8.
Verfolgung der Nacht.
Blücher theilt seine Wut seinen Officieren mit : er will daß die Verfolgung eine Ausrottung sei.
Bülow und Ziethen sollen die Flie-
henden das Schwert in der Seite verfolgen .
Die Reiterei des 2. und
4. Corps hat schon die Front durch die Zwischenräume der Infanterie passirt.
Pirch wird gegen Ayviers zurückkehren ; er überschreitet die
Dyle um Grouchys Rückzug abzuschneiden und ihn auch in die NiederLage zu verwickeln. Schon hat man zwischen Rossomme und Maison dü Roi den größten Theil des Geschüßes und Gepäcks genommen ; die Artilleristen haben die Stränge ihrer Pferde durchgeschnitten und sich davongemacht.
Die Nacht kam und was man nie im Kriege gesehen,
fie brachte den Besiegten keine Frist.
Im Gegentheil sie verdoppelte
ihre Not ; denn in allen bisherigen Kriegen hatten die siegreichen Truppen gescheut , sich in die Finsterniß zu begeben , welche zwischen Besiegten und Sieger Gleichheit herſtellt.
An der Beresina ſogar machte die Nacht
einen Stillstand. Hier hatte das Gefühl , daß Alles zu Ende sei , beide Armeen überkommen ; es hindert die eine zu widerstehen und die andere in ihrem Triumphe inne zu halten. Nach so viel Unglück kostete man noch die Not einer nächtlichen Verfolgung , der lezten Neuerung des Hasses.
In der Dunkelheit hielt man alle sich Nähernden für Feinde
und Flüchtlinge zerstreuten die Fliehenden. Dann ging der Mond auf und kam dem Sieger zu Hilfe. Kaum haben sich die Unsern in Gruppen in einen Hof, einen Stall , eine Meierei geflüchtet , so werden sie entdeckt , gefangen oder niedergemacht.
Die Verwundeten werden von dem
blutigen Stroh geriſſen , auf das sie sich gelegt haben.
Man beschul-
159
digt den General Ziethen , ich weiß nicht ob mit Grund , seine Inſulten mit denen seiner Soldaten vereinigt zu haben. Um 11 Uhr Abends langt diese Menschenmaſſe , die nicht eine einzige Compagnie mehr bildet , am Defilé von Genappe an. Napoleon glaubte daß die Brücke von gleicher Breite mit der Straße sei ; sie war aber weniger breit als die Hälfte. Die Dyle war hier wenig tief , aber sie war durch Schleusen zurückgehalten und hohe Ufer beherrschten den eingeschloſſenen Lauf des Flusses. Alles drängt sich am Ende einer gekrümmten Straße auf die bereits von Fuhrwerk des Parks versperrte Brücke. Niemand gibt die sich unterhalb findenden Fuhrten an. Napoleon brachte fast eine Stunde zu , die dichte , unbewegliche , betäubte Menge zu durchdringen.
Er entkommt mit Mühe ohne Bedeckung fast allein.
Sein Wagen konnte nicht durch das Defilé dringen.
Er bleibt in den
Händen des Feindes und wie alles sich im Munde des Volkes vergrößert , habe ich Einwohner von Genappe erzählen hören , er ſei voll Diamanten gewesen. Ney kommt auch nahe dieſem Defilé an.
Er ist noch
zu Fuß ; aber ein Officier dessen Name aufbewahrt zu werden verdient, Schmidt , gibt ihm sein Pferd : der Feind soll sich nicht rühmen , bei Genappe den Helden von der Moskwa gefangen zu haben.
Lobau ist
weniger glücklich , er versuchte eine Arrieregarde zu bilden und es gelang ihm nicht. Sein Pferd stürzt unter ihm im Gewühl. Er wird umringt und gefangen ; ohne Achtung vor so viel Unerschrockenheit und Beharrlichkeit entreißt man ihm seine Insignien bis auf das auf seiner Brust verborgene Portrait seiner Frau. Die Preußen stellen auf den Höhen angekommen Batterieen auf. Als ob der Haß ihnen leuchtete , lassen sie um Mitternacht in diesen Knäuel einen Hagel von Kartätſchen und Granaten fallen , da die Finſterniß die Maſſe nicht beschüßt welche sich durch ihr Geſchrei , ihr Stöhnen , ihre Flüche verräth , ohne einen Flintenschuß zu erwidern. Die Verwundeten welche sich bis hierher schleppten , erliegen an diesem Orte. Die mit den am schwersten Verwundeten beladenen Wagen stürzen am Rande des Weges um; es dringen aus ihnen Klagen die sich in dem allgemeinen Jammer verlieren.
Die noch gesunden Männer läßt
ihre Verzweiflung Ausgänge finden ; aber in diesem Chaos wirrt sich Alles durcheinander. Die flüchtige , aufgelöste , unkenntliche Armee wird sich selbst die stärkste Ursache der Furcht.
160
Um Mitternacht gelangt Blücher nach Genappe ; er hält hier an, wie um vollständig das Unglück zu genießen. Von hier datirt er ſeine erste Depesche an die in Heidelberg vereinigten Souveraine. In dem Hauſe in dem er sein Quartier nahm , befand sich General Duhesme, den eine schwere Wunde zu bleiben zwang. Die Preußen sagen daß er von ihren Chirurgen behandelt worden sei ; die Einwohner versichern daß er in der Thür des Hauses von Husaren abgeschlachtet wäre , schon ſterbend von seiner Wunde von Planchenoit.
Die Inschrift auf seinem
Grabe , das ich in Huy gesehen , ist weniger klar , man lieſt da : „ Von , einem tödlichen Hieb auf dem Felde der Ehre getroffen , am 18. Juni, verschieden zu Genappe am 20. " ; sei es daß man die Wahrheit nicht kannte , sei es daß man sie zu gehässig fand um sie auf einem Grabe zu heiligen. Jenseits Genappe steigt ein preußischer Tambour auf eins der vom Wagen des Kaisers gespannten Pferde und zieht indem er zum Angriffe schlägt , die preußischen Truppen in der Trunkenheit und Wildheit des Sieges hinter sich her. Die Franzosen marſchirten nur noch in Haufen von hundert Menschen. Kaum schöpften sie in einem Bivouac Athem, so wurden sie gezwungen es zu verlassen.
Es genügte der Ton von
Trompeten oder Trommeln um diese Armee zu zerstreuen , die zwei Tage zuvor an denselben Orten unüberwindlich war ; was noch verursachte daß man keinen Widerstand versuchte , war einmal die Nacht , die überall den Feind vergrößerte , und vor allem daß man nichts gegen den allgemeinen Verrat vermöge , mit dem man sich umgeben glaubte. Verfolgung wurde bis Frasnes fortgeseßt.
Die
Hier glaubten die Preußen
eine starke Abtheilung französischer Reiterei zu entdecken ; sie näherten sich ihr, alles war verschwunden.
General Gneisenau erreichte an der
Spize seiner Schwadronen die Herberge , welche noch , durch eine Art Hohn des Schicksals , die Aufschrift trägt : „ Zum Kaiser. " Er hielt hier an und erwartete den Tag. Etwas früher um 1 Uhr Morgens war Napoleon in Quatrebras abgestiegen.
Alles um ihn war schrecklich auf dem Felde der Schlacht
vom 16.
Die Todten waren noch unbeerdigt , aber sie waren beraubt und nackt. Beim Schimmer des Mondes wälzten sich 40000 zerstreute Menſchen
eilig mitten über die Leichen von drei Tagen hin. Auf dieſem unheimlichen Orte benachrichtigte Napoleon Grouchy von dem Schlage von Waterloo. Die Nachricht von der das Heil eines ganzen Armeecorps abhing,
161
wurde durch einen einzigen Officier überbracht , den ein Zufall leicht aufhalten konnte. Man verließ sich auf ihn , um Alles mündlich zu erzählen. Die Zeit, der Ort erlaubten nicht zu schreiben. Man sagt , daß man in der Dunkelheit die bei Ligny zurückgelaſſene Diviſion Girard fuchte ; aber sie hatte sich auch zerstreut ohne daß man weiß wie. Man fand sie nicht. Eine Lieue vor Charleroi stieg Napoleon wieder vom Pferde ; er machte den übrigen Weg zu Fuße , von General Bertrand und 5 bis 6 seiner Officiere begleitet. Am Ufer der Sambre fand er einige Reiter die ihm vorangeeilt waren. Nachdem er Charleroi passirt hatte , ohne einen Befehl zu geben , hielt er auf einem kleinen Hofe namens Marcinelle an , jenseits der Stadt *) . Man machte ihm im Freien ein Feuer aus Reisig und brachte zu trinken.
Während sein Pferd ganz geschirrt
fraß , ſo groß war die Eile , näherte er sich einem Bivouak und theilte die grobe Nahrung eines Soldaten , worüber er wie man sagt ** ) , beWie wenig bedarf doch der Mensch zum Leben ! " eine späte merkte : Philosophie bei dem , welcher eben in vier Tagen um die Herrschaft der Welt und das Schicksal Frankreichs gespielt und verloren hatte. Gegen 6 Uhr Morgens reiste er im Wagen ab ; nach ihm kam die ausgehungerte verzweifelte Armee nach Charleroi und bald war wie es in früheren Kriegen geschehen , diese Stadt wo man aufathmen und sich erholen zu können glaubte ein Ort des Schauderns. Inmitten Vorräten jeder Art litt man Mangel.
Der Wein und Brandwein flossen in den
Straßen , und die Soldaten starben vor Hunger und Durst an der Schwelle der Magazine ; denn dießmal gab es wieder keine Einrichtung um den Rückzug zu erleichtern , — keine einzige Brücke , ein Ausgang ; man muß sich hinſtürzen ohne auszuruhen. Kaum berührt man das, was man für einen Zufluchtsort hielt , so muß man wieder in den Strom der Auflösung. " Es waren ", sagt ein Schriftsteller , Oberst Charras, den ich gern anführe , " die Schrecken Wilnas an den Pforten Frankreichs. " Napoleon wird in Philippeville wo er fast allein ankommt , von seinem Secretair und seinen Adjutanten erreicht , Drouot, Labedoyére, Dejean. Er wirft sich auf ein ärmliches Herbergebett , eine Thräne entfällt seinen Augen. In dieser Herberge diktirte er das Bülletin der Schlacht.
Er ließ es seinen Generalen vorlesen.
Diese fanden es ge=
nau bis auf einen Punkt. Napoleon hatte alles zugestanden , nur nicht
*) Bericht seines Guide. **) Tagebuch von St. Helena. Quinet, Feldzug von 1815.
11
162 die Wegnahme seines Wagens.
Diese Einzelheit war etwas Demüti-
gendes für ihn ; er wollte es sich ersparen , wol wissend daß die Einbildungskraft der Menge die großen Unglücksfälle verklärt und die kleinen herabseht.
Seine Generale bestanden darauf; er gab nach.
Dann
wurde Alles zuſammengefaßt. Frankreich und die Welt vernahmen von Napoleon selbst , was der noch unbekannte Name Waterloo in sich schloß.
9. Kurze Zusammenfaſſung der über die Schlacht von Waterloo ausgesprochenen Meinungen. Dieß war die Schlacht von Waterloo , die noch in den fernsten Zeiten mit denen von Arbela und Zama nachhallen wird , obgleich ſie die Wahrheit zu sagen ohne Beispiel in der Geschichte ist , durch das außerordentliche Glück welches in einem Momente zusammenstürzte. Die Franzosen verloren hier 25000 Mann , von denen 6000 Gefangene. Fünf Generale waren getödet , Bauduin , Desvaur , Jamin , Michel , Duhesme , 18 verwundet. Man hatte fast den doppelten Verlust an Menschen wie an Tagen , die mit Recht für siegreich galten , wie an der Moskwa.
Die Anglo - Holländer verloren 15094 Todte oder Verwun-
dete , fast ein Viertel ihrer Armee , die Preußen 7000 Mann.
Diese
machen sich einen verdienten Ruhm aus den Kräften , welche Napoleon ihnen entgegenseßen mußte.
Sie zählen folgende
auf:
Lobau
14 Bataillone, Garde 14 Bataillone ; Division Durutte 8 , im Ganzen 36 Bataillone , denen man die 3000 Pferde von Domon und Sübervie zurechnen muß.
Also fast die Hälfte der französischen Armee wurde
durch die preußische beſchäftigt *). Geschichtschreiber haben bis zu 13 Fatalitäten in diesem kurzen Feldzuge aufgezählt. Führen wir sie auf eine einzige zurück. "I Wenn es Verräter gab , so waren sie Gottlob in zu kleiner Zahl um auf die Ereignisse einwirken zu können. Napoleon wurde in diesen vier Tagen nur von seinem Genie verraten. Als der Morgen des 18. durch trügerisches Vertrauen verloren war , welches den preußischen Corps Zeit ließ zu kommen , war der Tag fast ohne Rettungsmittel.
Was das
schlechte Wetter und den Regen betrifft , so gibt so viel ich weiß , Niemand dieß heute zu , denn es ist offenbar daß diese Rechtfertigung schlecht die *) Die franzöſiſche Armee hatte in der Schlacht bei Waterloo 101 Bataillone und über 15000 Reiter. (Anmerkung des Ueberseters .)
163
falsche Sicherheit deckt , in der man blieb. Zwei Stunden genügen nicht um Terrain wie das in Belgien ungangbar zu machen.
Es war das
erste mal daß man den Willen Napoleons solchen Hindernissen weichen sah.
Sodann sezte sich das Corps Reille , welches die Nacht in Ge-
nappe zubrachte, am 18. um 3 Uhr früh in Marsch , es war das erste in der Linie bei Waterloo. andern.
Was dieß Corps that konnten auch die
Nichts von der Welt hinderte daß die Handlung um 8 Uhr
statt zu Mittag begann und daß der „ entscheidende Schlag um 9 Uhr Morgens geschah. “ (Jomini.) Napoleon blieb blind über die Bewegungen der Preußen bis man an ihren Schlägen erkennen mußte daß die Truppen in Sicht bei St. Lambert Feinde seien. Als Blücher sich in der Ferne zeigte , waren drei Entschlüsse zu ergreifen , welche sicher dem Geiste des Kaisers vorschwebten. Zuerst der Rückzug.
Niemand sagt , daß er seine Gedanken dabei
einen Augenblick aufgehalten habe und ich gestehe , ich habe nicht den Mut ihm vorzuwerfen , daß er sich nicht gegen 1 Uhr dazu entschloß, als die Sicherung des Rückzugs sehr möglich war und es nur an ihm hing , sich ein anderes Schlachtfeld zu suchen.
Wir sehen und wiſſen
heute , daß es der weiſeſte Entschluß gewesen wäre. Hierzu würden sich wol Cäsar , Türenne , Prinz Eugen , Friedrich entschlossen haben , und Oberst Charras zeigt es mit großer Stärke ; man war aber schön in einer solchen Lage daß die größte Klugheit in der größten Kühnheit lag. War man auch sicher daß die Avantgarde Bülows die drei andern Corps verbarg ?
Sollte man wegen einer anscheinenden Gefahr in das
fast gembiße Verderben stürzen ? Wenn der Feind das große Glück hatte Verstärkung zu erhalten , konnte man nicht auf ähnliches Glück rechnen ? Als Napoleon den Horizont untersuchte stieg die Erinnerung an De= fair bei Marengo , an Ney bei Eilau vor ihm auf. Er sah Grouchy hinter Bülow , denn er hatte seit Langem die Gewohnheit sich mit ei genem Ruhme zu blenden.
Und dann war es nichts sich zurückzuziehen;
man mußte siegen , denn man würde hinter sich eine aufgeregte Meinung finden die zum ersten Mal für Frankreichs Blut Rechenschaft fordern würde. Schon waren die russische , östreichische , bairische Armee in Marsch gegen den Rhein.
Die Politik zwang den Feldherrn zur Verwegenheit.
Das ist es weßhalb der Charakter der Schlacht war , einen glänzenden Sieg bis mitten in die Krisis des Unglücks zu suchen.
Dieß sind die
Gründe derer , welche Napoleon beipflichten gegen 1 Uhr im Angriffe
164
beharrt zu haben.
Sie gehen so weit , in diesem Beharren einen großen
Entschluß seines Lebens zu sehen.
Aber sie selbst geben zu daß es am Abend ganz anders stand , als die Nacht sich näherte , das Mißgeschick dauerte und der Feind wuchs. Es war keine Aussicht mehr , Grouchh erscheinen zu sehen deſſen Geſchüß auf mehr als 3 Lieues gehört wurde.
Da wäre es weise gewesen dem Unmöglichen zu weichen. Ohne weiter für diesen Tag an Sieg zu denken , hatte man sich nur der Reserve der Garde zur Deckung des Rückzugs und Rettung der Armee zu bedienen. Und sicher war es für Napoleon ein großer Unterſchied das Schlachtfeld an der Spize einer noch unbesiegbaren Elitetruppe zu verlassen , oder sich flüchtig zurückzuziehen , seine Armee in Stücken gebrochen hinter sich laſſend ; denn die Vernunft will , daß der Feldherr nicht das Unmögliche wolle und nicht gegen diese Unmöglichkeit die heldenmütigen Werkzeuge zerbreche , die ihm gegeben sind um zu ſiegen. Oder Napoleon beharrt noch am selben Abende als sich um 7½ Uhr die dunkeln Massen Ziethens und Pirchs nähern , darauf, er allein, das Glück zu zwingen; er hält sich noch für mächtig , aus dieſer verzweifelten Krise einen glänzenden Triumph zu ziehen.
Das Wort Nückzug kann
nicht aus seinem Munde gehen ; er wirst sein lehtes Bataillon , sein leztes Peloton Escorte , seinen lezten Mann vorwärts. Er bleibt allein, ohne noch an den Rückzug zu denken , wie wenn er durch dieses Beharren die Widrigkeiten erschöpfen und das Schicksal zwingen könnte. Dieß ist nicht mehr das Genie des Feldherrn , der immer Herr seiner ſelbſt bleibt , es ist der Charakter des Mannes , der ganz in dieſem äußersten Augenblicke ausbricht. dasselbe that.
Man erzählt daß Hannibal bei Zama
Seine Armee war schon umringt , die beiden Flügel auf
der Flucht ; er beſtand darauf , noch einen unmöglichen Sieg zu entreißen. Vielleicht ist diese lehte Aehnlichkeit die Ursache , daß Napoleon stets Hannibal allen andern Heerführern des Alterthums vorzog. Dieß sind die Meinungen der Taktiker.
Fügen wir die des Mo-
raliſten hinzu , denn die größten strategischen Operationen haben die Seele des Feldherrn zum Schauplah , und man wird nie einen Tag wie der von Waterloo erklären können , wenn man sich nicht Rechenschaft von dem gibt was damals im Geiste Napoleons vorging. Seine Thätigkeit hatte abgenommen , aber nicht seine Unbeugsamsamkeit des Charakters. Diese war sogar gewachsen in jener Art Härte welche die Jahre , die Siege oder selbst die Niederlagen mit sich bringen
165
und aus diesem Mißverhältnisse entstand , was erfolgte.
In der ent-
scheidenden Stunde zog er sich in eine Art ſtoiſcher Unbeweglichkeit zurück.
Da er weniger handelte , ließ er seine Fehler alle ihre Folgen
hervorbringen ; das Unheil häufte sich bis zu einem Unglücke , das nicht allein ohne Hilfsmittel , nein , auch ohne Beispiel war. In seiner Jugend konnte er sich unter die Notwendigkeit beugen. Er war in etwas sogar bei Arcole , später bei Marengo gewichen , wo er einen Rückzug von 2 Lieues machte. Er war noch bei Acre gewichen und sogar bei Eßlingen hatte er einen Arm des Flusses zurück paſſirt um sich eine beſſere Gelegenheit auf besserem Terrain zu suchen ; aber dieß war seine letzte Gefälligkeit gegen Mißgeschick.
Von da an scheint
es daß seine hundert Siege ihn umstrickten und daß Alles verloren sei wenn er einen Schritt wiche. Moskau , Leipzig , Waterloo , drei gleiche Reſultate desselben Einsatzes , drei ähnliche Folgen desselben Gedankens : auf keinem Punkte zu weichen , wiederzugewinnen.
alles zu verlieren um alles mit einem Schlage Dafür daß er sich nicht zeitig von Moskau und
Leipzig zurückzog , hatte er das Unglück von 1812 und 1813 gefunden; weil er sich nicht zeitig bei Waterloo zurückzog , traf ihn das von 1815. Derselbe Grundsatz führte dieselbe Catastrophe herbei , hier aber Alles in einigen Stunden eingeschlossen und entschieden.
Ehe er den Sieg
verschob , ging er lieber selbst mit seiner Armee unter : ein großes Schauspiel für den , welcher die menschlichen Dinge nur wie ein Trauerſpiel Corneilles betrachtet , wo der hartnäckigste stets die schönste Rolle spielt ; aber ein ewig klägliches Schauſpiel , wenn man bedenkt , daß es sich um unser bestes Blut und das Heil Frankreichs handelte.
Ein Feldherr
von geringerem Ruhme und weniger Macht , ein Türenne , Hoche , Kleber, Joubert , hätte wahrscheinlich nicht gefiegt ; aber da er gegen 2 Uhr oder wenigstens 6 Uhr den Rückzug angetreten haben würde , so hätte er nicht die Cataſtrophe verursacht , wo ſelbſt die Einbildungskraft zu Boden gedrückt bleibt. Solcher Sturz ist nur bei Männern möglich , aus denen wir uns Idole machen ; denn sie verlieren dann das Gleichgewicht , reißen alles mit sich fort.
Von der Höhe ihres Piedestals stürzen ſie gesenkten
Hauptes auf die Völker , die sich ihnen zu Füßen geworfen haben. Zweitens war Napoleons Maßregel im Zeitpunkte der Ankunft des Corps Bülow in der Linie , das Corps Lobau wenn auch verzögert, zu senden und die Reserven gegen die Preußen zu stellen , um ihnen den Weg zu verlegen.
Dieß Mittel war durch die Macht der Dinge
166
geboten ; niemand hat dem französischen Feldherrn seine Anwendung vorgeworfen , es scheint der Notwendigkeit zu entsprechen und dennoch konnte. es nicht das Unglück beschwören , selbst nicht es verringern.
Hierdurch
kommt man auf die Nachforschung , ob kein anderer Entschluß zu ergreifen war , der wenigstens eine Möglichkeit des Sieges ließ , ein vers zweifelter Entschluß , der heute leicht anzugeben ist , am 18. schwer zulässig war , so lange noch eine Hoffnung war , mit gewöhnlichen Combinationen zu siegen. Dieß vorausgesetzt bleibt man überzeugt , daß die Mitwirkung der Preußen in der Schlacht von Waterloo Napoleon nur eine Aussicht auf den Sieg ließ.
Von Bülows Erscheinen bei St. Lambert bis zum
Handeln gegen Planchenoit verflossen 32 Stunden. Alle Aussicht , die den Franzosen blich , hing von Anwendung dieser Momente ab.
An-
statt Lobau und die Reserven gegen die Preußen zu stellen und neue Angriffe auf die Engländer zu verschieben , war eine andere EntschlieBung möglich , wie man sagt. Napoleon konnte , indem er die Bülow zum Eintritt in die Linie noch nötigen 32 Stunden überschlug , dieß Corps in seiner rechten Flanke vernachlässigen , wie er bei Rivoli das Corps Lusignan nicht berücksichtigte , das ihm den Rückzug abſchneiden wollte.
In diesem Falle hätte er Bülow einen Vorhang von Reiterei
und in den Gehölzen von Lasnes eingenisteter Blänker entgegengesetzt, um ſeine Ankunft zu verzögern.
Ohne Verzug hätte er auf die eng=
lische Linke einen vernichtenden , verzweifelten Angriff erneuert.
Dieſelbe
Reiterei , welche sich unnüß auf dem schwierigsten Theil des Schlachtfeldes opferte , wäre auf die engliſche Linke geworfen , wo der Nand sich verflacht und ihr einen freiern Zugang gewährte. Ueberdieß wäre sie nicht allein geweſen , ſie wäre von allem was vom Corps Erlon gesammelt war , von der ganzen Infanterie Lobaus unterstützt worden und diese Infanterie selbst hätte als Stüße die 20 Bataillone der Garde zu Fuß gehabt.
Man hatte freilich nur 32 Stunde zum Siegen ; aber welche
Reſultate hätten diese so angewandten Stunden bringen können ! Die Reiterei allein brachte die englische Linie in große Gefahr ; was wäre erst geschehen , wenn dieselbe Reiterei von dieser Maſſe Infanterie gefolgt war , die kurz darauf nach der Reihe sich unnüß und ohne Unterstützung verbrauchen sollte ! Sicher geht man nicht zu weit in der Annahme daß die englische Linke geworfen und die Armee im Rücken ge= nommen wäre.
Dieß fürchtete Bülow und es gab ihm ein , sich vor-
167
zeitig mit der Hälfte seines Corps in das Gemenge zu werfen , während der Reſt noch einige Lieues zurück war. Dieß ist eins der Dinge , welche sich sehr wahrscheinlich ereignen konnten ; aber es konnte auch sein , wenngleich weniger wahrscheinlich, daß die drei Stunden nicht genügten die englische Linke wegzuschleudern, daß die Krise nicht genug vorbereitet war , daß der Feind , der noch bei Kräften war , seine Reserven intakt hatte , einem verzweifelten Angriffe eine gleich verzweifelte Gegenwehr entgegenseßte.
In diesem Falle kam
Bülow fast ohne Hinderniß in den Rücken der franzöſiſchen Armee , die ganz in ihrer Front verwickelt gewesen wäre ohne einen Mann in Reserve. Der Sieg würde ihr noch einmal entrissen sein , aber früher, obgleich wie es scheint mit weniger verderblichen Folgen , da die Corps von Pirch und Ziethen am Kampfe nicht Theil nehmen konnten. - So sind die beiden Möglichkeiten welche sich darboten und welche die abwägen mögen , welche es lieben den Umfang dieſes großen Unglücks mit heute leicht zu machenden Conjecturen auszufüllen. Sie werden bei dem Schluſſe anlangen , daß die einzige Ausſicht zum Siege , welche Napoleon durch seine Fehler sich noch gelassen hatte , noch so voll Gefahren und Fallstricke , so den Regeln des Kriegs zuwider war , daß sie gewiß 30gern werden zu bedauern , daß er sie nicht versuchte. Klugheit verderbte ihn.
Er war klug , die
Wer kann versichern , daß Verwegenheit ihm
besser gedient hätte ?
10. Prüfung der über das Benehmen des Marſchalls Grouchy gefällten Urtheile. Schluß. Im übrigen hat der Name Grouchys alles bedeckt : Fehler , Verrat, Unfälle , Mißgeschick , er sagt alles.
Wir haben es hier mit einer feſt=
gestellten unwiderruflichen Meinung zu thun ; versuchen wir dennoch , ge= recht zu sein , selbst wenn es hierzu ein halbes Jahrhundert zu spät wäre. Es ist in der That eine seit 46 Jahren schwebende Untersuchung zu wissen was geschehen wäre , wenn Grouchy dem Rate Gérards folgend auf dem kürzesten Wege nach dem Feuer bei Waterloo marſchirt wäre.
" Grouchh war 2 Stunden vom Schlachtfelde entfernt " hat Napoleon auf St. Helena geschrieben. Einbildungskraft ergriffen.
Zwei Stunden ! diese Worte haben jede Es bedurfte nicht so viel um die Geiſter
in Thätigkeit zu sehen und Stoff zu zahllosen Hypothesen zu geben.
168
Wir alle haben uns- Grouchy vorgestellt , wie er gegen Planchenoit vor Abend debouchirt , an Stelle der Preußen , und die Engländer das Unglück von Waterloo erleiden läßt. Ohne den Orten , Entfernungen , verschiedenen Hindernissen Rechnung zu tragen hat uns eine einzige Sache wie hingeriſſen und geblendet : diese schreckliche Erwartung in der man den ganzen 18. Juni auf dem Hügel von Rossomme sich befand , beherrscht uns noch , sobald wir jene Ereignisse berühren. Seltsame Sache, unter so viel Erzählungen weichen alle sogar über den Hauptpunkt , die Entfernung Grouchys vom Schlachtfelde , von einander ab.
Der Bericht von St. Helena sagt 2 Stunden , Valazè 3,
Gérard 412 , Oberst Charras 8 bis 9 Stunden. genau meſſen laſſen.
Ich habe den Weg
Ein Fußgänger , der allein im gewöhnlichen Schritte
auf Fahrwegen geht , gelangt von Sart les Walhain über Moustier nach dem Thurme von Planchenoit in 5 Stunden 27 Minuten. Von Sart les Walhain nach Walhain St. Paul Ston. 20 Min.
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da nach Nil St. Vincent Corbair · " " •
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Moustier · Cirour
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Maransart
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Planchenoit
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Total
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5 Stdn. 27 Min.
Man berechne nach dieser positiven Angabe den Marsch eines Armeecorps mit seinem Geschütz , man berücksichtige das Defilé auf den beiden engen Brücken der Dyle und man wird den 8 Stunden nahe kommen, welche Oberst Charras dieſem Marſche mit einer Genauigkeit vorzeichnet, deren Beweis ich bei jedem Schritte fand. Nach den Entfernungen betrachte man die Orte.
Wenn Grouchy
in das Feuer marſchirte , so hätte er bis Nil - St. Vincent ein offenes Terrain vor sich gefunden , weite Ebenen , dann nach Corbair einen wellenförmigen Boden , der in Ravins endigt.
Hier wäre er einen leichten
Abhang zur Dyle hinabgestiegen , die 7 Meter breit , tief und reißend ist.
Er hätte sie auf zwei Steinbrücken zu Moustier und Ottignies über-
schritten , eine Viertel Stunde von einander entfernt. Von Mouſtier nach Cirour ist anfangs ein kurzes Defilé , dann ausgedehnte Hochflächen mit sandigem Boden.
Nur auf der Seite dieser Hochflächen gegen Maran-
ſart hätte er ein abſchüſſiges Terrain getroffen ; aber dann war er nahe
169
dem Schlachtfelde , überhöhte dieses , wäre von der ganzen Armee ge= sehen worden ; dieſe Nähe hätte seine Kräfte verdoppelt. Er konnte , am Ziele anlangend , dieß nicht verfehlen. So sind die Oertlichkeiten und Entfernungen ; sehen wir welches Licht daraus hervorgehen kann. Die Einen glauben daß Grouchh ohne Hinderniß gegen 7 Uhr auf dem Schlachtfelde hätte eintreffen können ; diese werden sich auf die Leichtigkeit der Wege stüßen , wie sie eben beschrieben sind. Andere nehmen mit mehr Grund an , daß die preußische Armee Grouchy in einer Zwischenstellung hinter der Dyle rangirt angegriffen und ihm den Weg verlegt haben würde ; aber sie erkennen an, daß wenn der Sieg den Franzosen schwer geworden wäre , das Unglück unfehlbar geringer gewesen wäre , weil die Hälfte der preußischen Truppen nicht bei Waterloo erscheinen konnten.
Andere endlich , und zu dieſer
Zahl gehört Oberst Charras , glauben daß Grouchys Marsch ins Feuer in Nichts weder den Umfang noch die Wechselfälle des Unglücks vermindert hätte ; die Gründe welche Oberst Charras dafür beibringt ſind sicher bedeutend.
Er führt an , daß , da die preußischen um Mittag
Wavre verlassenden Corps 72 Stunden brauchten um den Herzog von Wellington zu erreichen , die Armee Grouchys sicherlich mehr Zeit nötig hatte , da sie einen längern Weg machen mußte ; sie würde um neun Uhr , vielleicht um zehn angekommen sein , nachdem Alles geendigt war. Nimmt man an , daß Blücher Grouchy im Marsche aufhalten wollte, so würde er sich begnügt haben , ihm vorn , hinten und in den Seiten die Corps von Pirch und Thielmann entgegenzusehen , und er ſelbſt würde zur Ausführung des großen Schlags bei Waterloo mit den Corps von Bülow und Ziethen weiter gezogen sein , deren alleinige Zwischenkunft am Ende der Schlacht genügt hat , dem Herzog von Wellington den Sieg zu verschaffen.
Alles was sich in Folge des Rathes des
Generals Gérard verändert hätte , ist daß das Corps Grouchys in die Auflösung verwickelt worden wäre.
Was dieſes Resultat unvermeidlich
machte , ist der große numerische Unterschied zwischen dem Corps Grouchys von 33000 Mann und den 90000 Blüchers , ein solcher Unterschied daß , selbst wenn, Grouchy den geraden Weg über Mont St. Guibert von Gemblour aus einschlug , der Ausgang des Feldzugs doch derselbe gewesen wäre. 40000 Preußen hätten Grouchy bei Mont St. Guibert aufgehalten.
50000 andere hätten bei Waterloo debouchirt und der
Erfolg wäre ganz ähnlich gewesen.
170
Diese Gründe sind gewichtig ; sie erhalten neue Kraft durch die wissenschaftliche Schärfe mit der sie durch Oberst Charras dargelegt werden.
Und dennoch bleibt mir mehr als ein Zweifel : mir selbst ent-
gegen widerstehe ich ; sei es die Gewohnheit eines schwer auszurottenden Vorurtheils , sei es das Bedürfniß , ich weiß nicht welche falsche Hoffnung bis in die Erzählung eines vergangenen Unglücks zu bewahren, sei es endlich daß man einmal auf das Feld der Mutmaßungen gelangt, nicht leicht sich davon entfernen kann : ich bekämpfe Annahmen durch Annahmen.
Den tiefen Beobachtungen des Oberst Charras kann ich
nicht umhin , folgende entgegenzustellen : man kann nicht genau die Entfernungen nach der von den preußischen Corps zu ihrer Zurücklegung verwandten Zeit bemessen , weil es feststeht daß ein Theil dieser Corps ihre eigenen Schritte zurückmaßen und eine kostbare Zeit auf unnüßen Ueberdieß ist es , damit zwei Armeecorps Contremärschen verloren. gegeneinander handeln , nicht nötig , daß sie sich begegnen und aufeinandertreffen. Sie halten sich , und neutralisiren sich in der Entfernung. Der Anblick allein bringt zuweilen soviel Wirkung hervor als der Chok. Auch war es für Grouchy nicht notwendig bis auf das Schlachtfeld von Waterloo zu gelangen , um einen großen Einfluß auf den Ausgang des Tages auszuüben.
Die bloße Erscheinung der Colonnen von Gérard,
Vandamme , Ercelmans in der Ferne auf dem Plateau von Corbair hätte einen unfehlbaren Erfolg hervorgebracht.
Sah man nicht in dieſem
selben Feldzuge was ein selbst noch entferntes Corps vermag , das sich unerwartet zeigt ? Zweimal wurden alle Anordnungen Napoleons durch die Entdeckung einer noch entfernten und unerkannten Truppe verändert : bei Ligny durch die Sicht Erlons , bei Waterloo durch die Bülows. Man darf daher annehmen daß die Meldung der Ankunft Grouchys Wird man einen ähnlichen Eindruck auf den Feind gemacht hätte. sagen daß Blücher die Entschlossenheit gezeigt haben würde , die Napoleon fehlte ?
Das Gegentheil ist gewiß , da Blücher seine Bewegung
bei der bloßen Meldung einstellte, daß die franzöſiſchen Flankeurs sich der Dyle näherten. Was würde er denn gethan haben , wenn er hinter sich nicht nur einige Flankeurs , sondern den ganzen rechten französischen Flügel gehabt hätte ?
Es würden nicht nur einige preußische Regimenter
von Bülow und Pirch stehen geblieben sein , sondern wahrscheinlich ihre ganzen Corps. nüßt.
Dieß hätte Zeit geraubt ; es hätte den Franzosen ge-
Ziethen hätte den Marsch fortgesezt.
Ja , ohne Zweifel ; aber
171
wenn er angelangt wäre , gegen 7 Uhr , Bülows und Pirchs beraubt, hätte er die englische Armee auf der Flucht treffen können.
Dieß ist
eine der Aussichten die sich durch Grouchys Zwischenkunft öffneten. Und wer kann sagen welche Verwirrung sie in den Geist der preußischen Generale gebracht hätte ?
Anzunehmen daß sie in Allem auf
die ihren Interessen gemäßeste Weise gehandelt hätten , heißt ihnen die genaue Kenntniß der Lage zuschreiben , wie wir sie heute besitzen und die sie damals nicht besißen konnten.
Es blieb noch das große Capitel
der Zufälle und der zu begehenden Fehler. Wenn Blücher seit 36 Stunden Grouchy getäuscht hatte , war es da unmöglich daß Grouchh mit seiner zahlreichen Reiterei während drei Stunden den General Thielmann täuschte und ihn in Wavre zurückhielt während er drei Lieues oberhalb die Dyle passirte ? Der Unterschied von 33000 Franzosen und 90000 Preußen ' ist ohne Zweifel ungeheuer ; aber man sah bei Quatrebras Ney's 20000 Mann die 50000 Engländer Wellingtons aufhalten.
Es handelte sich
für Grouchh nicht darum zu ſiegen , sondern nur , Pirch , Ziethen den Uebergang streitig zu machen oder wenigstens ihren Marsch für einige Stunden aufzuhalten und sie zu hindern , vor der Nacht das Schlachtfeld zu überschwemmen. Dieß genügte , nicht um der franzöſiſchen Armee einen entscheidenden Sieg zu sichern , die seit fünf Stunden keine Reserve mehr hatte, aber doch um ihr mit dem Schlachtfeld den Vortheil des Tages zu verschaffen.
Dieß ist wenigstens die Folgerung welche ' am
annehmbarſten inmitten der entgegengesetzten Annahmen erscheint , bei denen es unmöglich ist einen auffallenden Grund der Gewißheit zu finden. In allen diesen Fällen ist eine Frage entschieden : hat Grouchy allein die Verantwortung der Abwesenheit des rechten Flügels bei Waterloo zu tragen ? Hier gibt es Thatsachen , Dinge , die keinen Zweifel mehr gestatten.
Die tiefe Kunst mit welcher in dem Bericht von St.
Helena dieser Theil der Geschichte des Feldzugs von 1815 versteckt wurde, konnte während eines halben Jahrhunderts täuschen.
Das ist
vorbei ; die Legende schwindet in diesem Punkte , die Geſchichte erſeht sie. Napoleon hat Grouchy am 16. zu Ligny um Mittag verlassen, mit der einzigen leeren Instruktion , die Preußen zu verfolgen.
Von
diesem Momente an feine mit seinem Stellvertreter unterhaltene Verbindung , keine ihm gegebene Aufklärung ; keine Ahnung deſſen was der Feind vorhabe; am Abend des 17. bei Erreichung der englischen Armee
172
die einfachsten Vorsichtsmaßregeln unterlassen ;
nicht eine einzige Ne-
cognoscirung nach der Rechten , gegen Grouchy hin ; das Defilé von Lasnes dem Feinde freigelassen , ohne einen einzigen Posten dort zu haben; die Vortruppen Bülows schon in der Flanke zu Cirour und unbemerkt ; während der Nacht vom 17. zum 18. keine positive Instruktion für den Befehlshaber des rechten Flügels , als Wellington und Blücher jeden Augenblick mit einander verkehren ; die ganze lange Nacht in Ungewißheit verloren , denn man kann Befehlen , die durch einen Officier überbracht sind , von denen keine Spur sich findet , selbst nicht in spätern Befehlen , nicht glauben ; und am Morgen dieselbe andauernde Vernachlässigung , als schon Blüchers Huſaren im Gehölz von Frichermont auf Vedette ſtehen und hier die englischen Vorposten ersehen ; die Verblendung nicht weichend als bis die Preußen in Masse auf den Höhen von St. Lambert debouchiren , und in diesem Zeitpunkt sogar , von 1-4½ Uhr , keine wirksame Maßregel um ihnen das Gehölz von Lasnes streitig zu machen , wo nach ihrem eigenen Eingeständnisse einige Bataillone sie aufgehalten haben würden. Dagegen eine vage Hoffnung, Grouchy hinter ihnen zu sehen , und diese Hoffnung jede wirksame Vorsicht vertretend , um ihnen zuvorzukommen ; in dem ersten dem Marschall um 10 Uhr , gesandten Befehle , etwas vor der Schlacht , eine einfache Instruktion die Operationen fortzuführen ; der Marsch auf Wavre gebilligt und bestärkt , aber selbst zu dieser Stunde nicht der förmliche Befehl sich ganz oder zum Theil nach Waterloo zu ziehen. Dieser Befehl wird erst um 1 Uhr gegeben , unter dem Drucke der Not ; er erreichte Grouchy erst um 7 Uhr Abends fünf Stunden vom Schlachtfelde , einige Augenblicke ehe die Katastrophe vollendet wurde. Diese Fehler fallen nicht Grouchy zu ; sie alle sind die Napoleons. Das Unglück bei Waterloo ist also nicht das Resultat eines einzigen Fehlers , sondern einer Reihe von Fehlern , die einen entfernter, die andern unmittelbar , welche man also zuſammenfaſſen kann : - der geringe dem öffentlichen Geiste gegebene Aufschwung , die Nation während drei Monaten über die Größe der Gefahr eingeschläfert erhalten : daher die schwache Vermehrung der Armee die nur um 43000 Mann wuchs ; bereits am Morgen des Beginns der Campagne Napoleons Langsamkeit einen Entschluß in Charleroi zu faſſen : daher der Verlust des ganzen Morgens des 16. , weßhalb der Sieg von Ligny nicht benußt werden konnte ; die 20000 Mann Erlons , von St. Amand aus ge-
173
sehen , nicht beachtet und unnüß geworden ; die ganze Nacht vom 16. zum 17. dem Feinde gelassen um sich wiederherzustellen und zu sammeln, was ihm gestattete sich zum Wiederauftreten in Schlachtlinie mit den Engländern schon am nächsten Morgen vorzubereiten ; der ganze Morgen des 17. mit vergeblichem Erwarten verloren : daher die Unmöglichkeit die Engländer an diesem Tage zu treffen und getrennt zu schlagen ; der bis ans Ende verlängerte Irrthum über Wellingtons und Blüchers Absichten und dieser selbst dann fortdauernd , als die Absichten sich schon verwirklichten ; die Mißachtung eines Feindes den man vernichtet glaubte, welche dahin führte ihn nicht mehr zu fürchten ; der ganze Morgen des 18. in einer falschen Sicherheit verloren und die Engländer bei Waterloo zu spät angegriffen wie es die Preußen zu spät bei Ligny wurden ; der Schlachtplan nach der Schlappe Erlons geändert ; die unglücklichhe Formation des ersten Corps , Ursache dieser Aenderung und der Schlappe ; die Preußen Bülows als ein einfaches Detachement angesehen , wodurch es kam daß man weder den verständigsten Entschluß faßte , den Rückzug , noch den kühnſten , der darin bestand , die noch zum Siegen ge= währte Zeit zu nüßen , den Angriff gründlich mit allen Kräften zu erneuen und durch Schnelligkeit der preußischen Armee zuvorzukommen ; endlich als unvermeidliches Resultat dieser Verzögerungen , Aufschube, Ungewißheiten , dieser Täuschungen , dieser übergroßen Mißachtung des Feindes, die 60000 Preußen Bülows , Ziethens und Pirchs das Schlachtfeld überschwemmend. . . Der Irrthum, Grouchys ist offenbar ; er mußte schon am Morgen des 18. auf St. Guibert marschiren und als er es unterlassen , wenigstens gegen Mittag von Sart les Walhain auf Waterloo marſchiren.
Dieß
sind seine Fehler ; sie sind commentirt , und durch die Einbildungskraft sowie eine Arbeit von Conjecturen vergrößert worden , denen alle Zeitgenossen freien Lauf gaben. Die Irrthümer Napoleons sind nicht weniger offenbar : sie sind zahlreicher , datiren von länger her ; aber während die Einbildungskraft der Menschen die Grouchys commentirte, hat sie die Napoleons bedeckt und verhüllt.
Man hat das Gedächtniß
des Unterfeldherrn vernichtet indem man ihn mit seinen Fehlern und denen seines Chefs belud. Man hat diesem den Ruhm des Unglücks beigemessen , aber die Verantwortung ihm erlassen.
Der vergangene
Ruhm hinderte daß er von den Zeitgenossen der Irrthümer beargwohnt wurde , indem diese lieber die Ungerechtigkeit des Schicksals anklagten
174
als sich durch eine aufmerkſamere Prüfung dem ausſeßten zu finden daß der besiegte Napoleon selbst der erste Urheber seiner Niederlage war. Uebrigens wenn ich den competenteſten Urtheilen traue *) , kennt man wenige Generale welche den Grouchy angerathenen Entschluß auf sich genommen hätten, denn in dieſen äußersten Fällen reicht der kriegerische Aufschwung nicht immer hin.
Es bedarf noch ein plöhliches Losmachen
von seinem ganzen Selbst und seinem Rufe , eine Geistesgröße , ein Seelenstolz, welche fast immer der zu lange Gehorsam in untergeordnetem Range und die Furcht vor einem Herrn ersticken.
Kleber , Hoche,
Joubert, Deſair hätten diese Bewegung auf ihre Verantwortung und Gefahr ausgeführt ; aber das Kaiserreich brachte solche Männer nicht mehr hervor : es wurde dafür mit seinem Untergange gestraft. Was mich anlangt , so glaube ich nicht zuviel Tage an dem Schauspiel und der Prüfung dieses großen Sturzes verloren zu haben wenn ich dazu beitrage , in die Geschichte die Allen nüßliche Wahrheit zurückzuführen , daß Niemand anders untergeht , als durch seine Fehler.
Ist
Napoleon dieser harten Bedingung der menschlichen Natur entgangen ? Vermochte das verlängerte Mißgeschick nichts über ihn ?
Hatte es in
nichts seine Triebkraft und seinen Glauben an sich selbst abgenußt ? Waren alle Andern kleiner geworden und er allein unverwundbar ? Nein eine solche Ungleichheit sieht man nicht auf Erden. Wenn die Andern etwas verloren hatten, so war er im Innern auch ergriffen, obgleich er geschickter war , es zu verbergen.
Langsamer in der Ent-
scheidung als in früheren Feldzügen (denn er hatte erfahren , daß auch er nicht ungestraft sich irren könne) gab er fast nichts mehr dem guten Glücke anheim.
Indem er alles abwog , ließ er die Gelegenheit vor-
über. Der Befehl kam später ; er hätte bereits ausgeführt sein müſſen,' als er kaum gegeben war.
Sodann hatte Napoleon seinen Feinden den
Krieg gelehrt. Er hatte ihnen vor allem Kühnheit gelehrt. war ungeachtet seiner 70 Jahre unglaublich.
Die Blüchers
Endlich hatte man es
nicht mehr mit den Armeen von Alvinczy und Wurmser zu thun , die sich nur aus Handwerk schlugen. Die Preußen zeigten in diesem Kriege eine Leidenschaft , die sich bis zur Wut steigerte. Die Unsern waren, was sie immer geweſen : es waren die alten in hundert Schlachten siegreichen Soldaten : aber der Feind war ein anderer.
*) Jomini , Précis , p. 224.
Der Haß einer
175
lange erduldeten Unterdrückung , der Wunsch nach Vergeltung verliehen den fremden Heeren die Kraft einer nationalen Erhebung.
Diese Heere
waren Völker und die Völker waren feindseliger geworden als die Könige. Dieſes ſind , wie ich sie durch anhaltende Arbeit ergründen konnte, die natürlichen Ursachen des Unglücks von Waterloo. Ich beharre dabei, überzeugt daß um so große Unfälle zu beherrschen , man zuerst sie be= greifen muß. Man entgeht ihnen nur , indem man sie erklärt. Wenn dem öffentlichen Schmerze sich ein Rest des alten Schicksalsaberglaubens zugesellt , bleibt die Vernunft eines Volkes davon verwirrt ; die Niederlage dringt dann bis ins Herz ; denn das Schlimmste von ähnlichen Uebeln wird immer das sein , was die Einbildung von Annahmen und Schlüssen hinzuseßt , verirrt.
ein grundloses Meer in dem sich der Gedanke
Die Ereignisse auf ihre Ursachen zurückführen , die Einbildung
durch die Vernunft ersehen , die Annahmen durch Gewißheit , beschränkt in etwas das Mißgeschick selbst.
Vierter Theil.
Die
1.
Abdankung.
Gefechte bei Wavre.
Rückzug Grouchys.
Die Mehrzahl der Geschichtschreiber beendigen hier die Geschichte des Feldzugs von 1815.
Sie geben nicht einmal Grouchys Gefechte
an , aus Groll , oder Vergessenheit , oder weil diese Gefechte unfruchtbar sind , da Alles außerdem entschieden und das Drama mit der Hoffnung zu Ende ist. Im selben Augenblicke , als Bülow bei Waterloo in die Linie eingetreten war , hatte Marschall Grouchy die Höhen von Wavre erreicht. Beim Geräusch der fernen Kanonade beeilte er den Marsch. Er be merkte endlich die feindlichen Truppen in Stellung auf wenigstens eine halbe Lieue: dieß war das Corps Thielmann.
Man war davon durch
ein schmales Thal und außerdem durch die Dyle getrennt , welche durch den Regen der vorhergegangenen Tage angeschwellt in sumpfige Strecken ausgetreten war.
Die Hügel waren auf Seite der Franzosen höher,
auf Seite der Preußen steiler. Inmitte des Thals dehnte sich die kleine Stadt Wavre aus , die fast ganz auf dem andern Ufer lag , ausgenommen einige in der Ebene zerstreute Häuſer. Während Grouchh das Gros der preußischen Armee vor sich zu haben glaubte , dachte Thielmann im Gegentheil wegen der bei seiner Verfolgung gezeigten Laschheit , es nur mit einer einfachen Abtheilung zu thun zu haben. Er bereitete sich , der allgemeinen Bewegung auf Waterloo zu folgen. Er hatte sogar schon eine seiner Brigaden gegen St. Lambert geschickt , als die Franzosen erschienen.
Er machte sich
177
bereit ihnen kräftig das Defilee zu verwehren.
Die Debouchés der
Brücken wurden beseßt , die Truppen geschlossen in den Parallelstraßen aufgestellt , die Reserven entfernter auf den Höhen ,
angesichts jedes
Uebergangspunktes. Grouchy , immer mehr von dem Donner der 400 Geſchüße erregt, der ununterbrochen an der Grenze des Gesichtskreises rollte, nahm sich kaum die Zeit zu rekognofciren.
Er entschloß sich nur gesenkten Kopfes
auf dem kürzesten Wege gegen den Feind zu stürzen. In der Ungeduld sich zu erreichen begann man das Gefecht durch eine lebhafte Kanonade von den gegenüberliegenden Höhen , sobald man einander anſichtig wurde. Unter diesem Feuerhagel stürzen sich unsere Tirailleurs in das Thal. Sie erreichen die Dyle und engagiren sich über diesen schmalen Fluß mit den auf dem andern Ufer aufgestellten Tirailleuren. Hinter dieſer Linie formiren sich die Colonnen Vandammes. Die Brücken waren nicht abgebrochen ; man eilt hin.
Ein mehrstündiger Kampf beginnt.
Kaum haben die Unsern die Brücken überschritten , so debouchiren die Spizen der feindlichen Colonnen aus den Querſtraßen. Dieß ist wieder eins der Straßengefechte wo der Angriff bei jedem Schritte ein Hinderniß findet. und der Zeit.
Der Ungeſtüm vermag nichts als mit Hilfe der Geduld
Elf Mal hat sich das Corps Vandammes bei dieſen Frontangriffen aufgerieben. Grouchy versucht nun den Uebergang bei der oberhalb 1200 Meter von der Stadt gelegenen Mühle von Bierge in flacher Ebene ; aber auch da ist der Widerstand lebhaft , das Hinderniß groß ; eine enge von zwei Mauern eingeschlossene Brücke , die in einen crenelirten Hof mündet und höher hinauf amphitheatralisch die zwölfte preußische Division entwickelt mit einer Batterie , welche den Uebergang beherrscht. Ein Bataillon Vandammes ist schon zurückgeworfen. ungeduldiger , sezt sich zu Fuß.
Grouchy , immer
Er nimmt ein Bataillon des vierten
Corps und führt es zum Angriff der Brücke. General Gérard marſchirt an der Spize. Er allein hatte das klare Vorgefühl der nahen Unglücksfälle.
Mit seinem Feldherrn unzufrieden ſchien er den Tod zu suchen.
Er fällt von einer Kugel in die Brust getroffen.
Der Angriff wird
abgeschlagen. Schreckliches Spiel des Kriegs welches im selben Augenblicke Hoffnung und Verzweiflung mischt ! Die zweite Depesche Napoleons , die um 1 Uhr geschrieben ist , wird jezt Grouchy zugestellt. Verlieren Quinet, Feldzug von 1815.
12
178
Sie keinen Augenblick , sich uns zu nähern und Bülow zu zerschmettern, den Sie angreifen werden , wo Sie ihn finden. "
Welcher Abgrund
trennt den Zeitpunkt , in dem dieſe Worte geſchrieben wurden , von dem in welchem sie empfangen wurden ! " Bülow zerschmettern ! " er war · jezt mit Lobau handgemein , in Planchenoit , vier Lieues von da *). Indeſſen klärte die ungeheure Kriſe Grouchy auf und er that was er bei Beginn des Angriffs hätte thun sollen. nach Limale.
Er wendet sich von Wavre
Hier begünstigen die sich steil zur Dyle senkenden Höhen
einen ungestümen Angriff der Division Teste.
Sie wirst sich unver-
sehens auf die Brücke , die nicht einmal barrikadirt war ; sie überschreitet dieselbe.
Zwei Diviſionen Gérards folgen ihr im Laufschritt.
Die
drei Bataillone und drei Schwadronen der Preußen welche sie bewachten, werden über den Haufen geworfen.
Die Infanterie Vicherys und die
Reiterei Pajols krönen die Höhen senkrecht gegen das ganze Corps von Thielmann. Die Nacht war eingetreten ; das Gefecht sezte sich noch lange fort. Mitten in der Dunkelheit versuchen die Preußen mit ihrer Reserve die Truppen von Pajol und Gérard in die Dyle zurückzuwerfen ; aber die Finsterniß war schon so tief daß die Angreifer ihre Richtung nicht mehr bewahren konnten . Sie griffen sich einander an und zogen sich gegen das Gehölz von Point du jour zurück.
Grouchy bivouakirte in der
Stellung welche er einnahm, seine beiden Corps durch die Dyle getrennt. Er schickte den General Berton mit seiner Reiterei auf die Straße von Namür nach Löwen , so sehr herrschte der Gedanke den Feind in der Nichtung der Maas zu suchen , noch lange bei ihm vor , als das Geschehene über das Gegentheil entschieden hatte. Um Mitternacht beabsichtigte Grouchy , ohne Nachrichten , mit Tagesanbruch eine große Anstrengung zu machen um den Feind zurückzutreiben ; er wollte sich dann mit allen Kräften gegen den Kaiser hinschlagen , den er Sieger glaubte und war nicht ohne Hoffnung des Gelingens dieser Bewegung , obwol noch unsicher ob er Blücher und Bülow vor sich hatte. So schien ihm dasselbe Handeln , welches am Morgen ihm unthunlich vorkam , als es möglich war und Gérard es anrieth,
*) Man hat nach meinen Angaben die Entfernungen von Sart les Walhain nach Planchenoit abmeſſen wollen. Man verdankt den Herren Lefebvre diese interessanten Nachforschungen über die Operationen Grouchys.
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Aussicht auf Erfolg zu haben , seit der Kaiser es befohlen hatte und es unmöglich geworden war. Voll dieser abenteuerlichen Entwürfe mit denen er seine Besorgniß täuschte, schrieb Grouchy um Mitternacht an Vandamme , in aller Eile sich mit ihm auf dem linken Ufer zu vereinigen.
Im Namen des Vater-
landes beschwört er ihn , ohne Verzug zu kommen um zu der entscheidenden Anstrengung mitzuwirken , die er vorbereite.
Wie können solche
Worte in solchen Augenblicken ohne Wirkung bleiben ? Vandamme kam nicht; er blieb taub bei dieſen dringenden Befehlen.
Seine 31 Bataillone
blieben auf dem andern Ufer im Angesicht von Wavre. Diese befremdende Unthätigkeit hatte ohne Zweifel ihren Grund darin daß die Brücken in der Gewalt der Preußen waren.
Dann hatte auch das Gefecht daselbſt
ſich bis 11 Uhr Abends hingezogen. Nur die tiefe Nacht , die Erschöpfung der Menschen konnten es unterbrechen und wie Grouchh später an Napoleon schrieb , man hörte nicht mehr das Geſchüß Ew. Majestät. “ Die Nacht verging in dieser Erwartung ohne eine sichere Nachricht über die Schlacht zu bringen.
Niemand zweifelte in dem franzöſiſchen
Corps daran daß Napoleon sie gewonnen habe.
General Thielmann
im Gegentheil hatte eine erste vage Anzeige deffen erhalten , was bet Waterloo vorgegangen war und auf dieſes Gerücht hin glaubte er , daß Grouchy sich beeilen werde zurückzugehen.
Dieß beſtimmte Thielmann
am 19. , bei Tagesanbruch kühn die Initiative zu ergreifen , als Grouchy und Vandamme noch durch die Dyle getrennt waren. Die Preußen gingen mit dem exaltirten Vertrauen vor , welches ihnen das erste Gerücht von Waterloo gab ; sie stießen Hurrahs aus. Die Franzosen , welche den Sieg Napoleons zu vollenden meinten , marſchirten mit der nämlichen Zuversicht , so daß die beiden Armeen gleichzeitig zum Angriffe übergingen. Grouchh hatte seine erste Linie aus der Division Teste und zwei Divisionen Gérards gebildet , die dritte in Reserve.
Er nahm das
Plateau von Limale ein , die Linke gegen das Gehölz von Rirensart, die Rechte gegen Bierge ; die Reiterei von Pajol an der äußersten Linken drohte die preußische Rechte zu umgehen ; sie wichen und die Unſern bemächtigten sich des Gehölzes , aber diese Schlappe des Feindes wurde bald ausgeglichen , denn um 8 Uhr erhielt General Thielmann die authentische Nachricht des Sieges von Waterloo und daß das Corps von Pirch abgeschickt sei um Grouchy den Rückzug über die Sambré
180 abzuschneiden.
Nun war die Arbeit des Feindes leicht : sei es daß sie
Grouchy vor Wavre zurückhielten , sei es daß sie ihn dahin brachten, ihnen auf ihrem Rückzuge zu folgen , er schien verloren für alle Fälle. Man sah hier, vielleicht zum erstenmale , zwei Armeen im Handgemenge erhalten , die eine durch die beſtimmte Gewißheit des Sieges , die andere nur durch eine leere und kühne Hoffnung und diese nur durch die Hoffnung fortgerissen. Die Unsern nehmen das Gehölz von Rirensart wieder. Auf der Rechten bemächtigt sich die Division Teste um 9 Uhr des Dorfes und der Brücke von Bierge. Das Corps Vandamme debouchirt, die Preußen werden aus Wavre geworfen. Thielmann zieht sich in mehren Colonnen über Ottembourg nach St. Achtenrode ; die franzöſiſche Neiterei verfolgt sie. Das ganze Corps Grouchys iſt in Freude. Und wie konnte man auch denken , daß im Verfolg des Sieges man einem Abgrunde zueile ? Der Verlust der Preußen betrug 2476 Mann, den unsrigen kennt man nicht. Kein Bericht hat ihn festgestellt , sei es Bestürzung , sei es daß der Verlust einiger Tausend Menschen als unbedeutend vernachlässigt wurde , als man das Unglück des vorigen Tages kannte. Es war 11 Uhr Morgens. Grouchy hatte in vollem Siege Rosiere passirt , als der in der Nacht von Quatrebras abgeschickte Officier ihn erreichte. Dieser hatte zwölf Stunden zu dem Wege gebraucht. Er brachte keine Depeschen , er erzählte nur was er gesehen hatte. Beim Anhören weinte Marschall Grouchy und in den der Armee fließenden Thränen hatte er auch das Vorgefühl daß das Unglück ihm zugeschrieben werden und auf seinem Andenken lasten würde. Andere sagen daß der Gedanke eines unwiederbringlichen Unglücks zuerst nur schwach in seinen Geist trat: er war Sieger und glaubte daß Napoleon es auch sei. Von diesem doppelten Siege war er in das völlige Unglück gestürzt. Der Mensch geht nicht ohne Aufruhr von einem Uebermaß ins andere über und es wird berichtet daß Grouchy , durch Vandamme angeregt, einen Moment die Idee hatte , die Niederlage in Triumph zu verwan= • deln , indem er sich mit seinem Corps über Brüssel auf die Sieger würfe , die er in der Unordnung und Vorsichtslosigkeit des Sieges im Rücken fassen würde. Daß die Verzweiflung Männern von Herz dieſen Gedanken eingab , als in dem ersten Augenblicke der Aufregung der Kriegsrath versammelt wurde , ist natürlich und wahrscheinlich ; aber das Nachdenken ließ bald dieß Projekt verschwinden und Grouchy hielt seine Gedanken nicht dabei auf : er urtheilte mit Gruud daß sein Corps zu
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schwach für ein solches Unternehmen sei , daß es unfehlbar von den feindlichen Massen eingeschlossen werden würde. Alles was er vermochte, war seine 30000 Mann zu retten.
Als er seine Thränen vergossen
hatte, befahl er weise den Rückzug. Am 19. , 14 Stunden nach der Schlacht von Waterloo begonnen, war dieser Rückzug selbst schon ein ziemlich gefährliches Unternehmen. Man hätte ihn für unmöglich halten können.
Man mußte im Flügel-
schwunge auf einer Linie parallel der Napoleons zurückgehen , sich nach Namür werfen , dort die Sambre passiren , auf der Linie der Maas ohne zu wissen wo ? die Trümmer der Armee suchen ; aber wie oft konnte in diesem Zeitraum der Rückzug abgeschnitten werden ! Er konnte es diesseit oder jenseit der Sambre in dem langen Defilé welchem die Straße folgt , indem sie seitlich der Maas zieht.
Und die Preußen
hatten nur die Wahl zu treffen , denn man hat gesehen daß am Abend des 18. selbst das Corps Pirch vom Schlachtfelde vorwärts Grouchys geschickt war.
Pirch befand sich, nachdem er die ganze Nacht marſchirt
war , am Morgen des 19. zu Mellery zwischen dem rechten französischen Flügel und der Sambre.
So war Grouchys Rückzug abgeschnitten ehe er
nur den Verlust der Schlacht erfuhr und daran dachte sich zurückzuziehen. Der Feind , denn auch bei den Siegern gab es Fehler , benüßte dieſes außerordentliche Glück nicht. Pirch hielt seine Truppen an , überzeugt daß das französische Corps ihm entwischt sei ; er verlor 20 Stunden. Dieß war Grouchys Glück , der hinten und vorn bedroht , von allen Seiten von siegreichen Armeen umgeben , eine bei Waterloo vergessene Beute zu sein schien.
Und man muß sagen daß dieser so sehr beschul-
digte General, deſſen . Schicksal so schwer geworden ist , das Glück nicht versäumte als Alles verloren war und das Uebermaß des Mißgeschicks ihm die Ungewißheit genommen hatte.
Er weiß zu handeln , seitdem
das Mißgeschick , indem es ihn von der Verlegenheit der Wahl befreite, ihn von der Notwendigkeit zu überlegen befreite.
Er weiß jezt den
Feind zu täuschen , sich zu eilen , ihm Märsche abzugewinnen , lauter Dinge die er in dem Zaudern der vorigen Tage vergessen zu haben schien. Die Not hat in seinem Geiste den Tag leuchten lassen. Um Thielmann zu täuſchen , läßt er seine Nachhut zu Wavre und Limale bis zum Abend. Sein Kunstgriff gelingt ihm , er gewinnt den ganzen Nachmittag des 19. Er der keine Entsendung in Gegenwart einer geschlagenen Armee zu machen wagte, theilt sich inmitten einer überall siegreichen Armee.
Er
182 hielt gleichzeitig den Weg von Gemblour und den von Limale nach Som bref.
Die Reiterei Ercelmans ' , 8 Regimenter Dragoner , gehen ihm voraus , sie eilen mit verhängtem Zügel sich Namürs zu bemächtigen. Gestern war alles Schwierigkeit , Unmöglichkeit : die Wege , die Führer, die Zeit , der Regen ; heute sind die Hindernisse verschwunden. Ist dieß wol derselbe Mann der unentschlossen an jedem Kreuzwege innehielt ? Er eilt , er hat Flügel , so sehr ist es wahr daß die schlimmsten Hindernisse im Kriege wie anderswo in der Verdunkelung des Geistes liegen.
Bringt Licht dahinein , und alle Gegenstände ändern das Gesicht. Durch diesen zu gleicher Zeit beeilten und abgemeſſenen Rückzug getäuscht , er: hält Thielmann erst am Abend des 19. zwischen Achtenrode und Löwen Kenntniß davon.
Er wird die Verfolgung erst am 20. beginnen , er wird Grouchy erst 3/4 Lieues von Namür erreichen : Pirch ist schon
mit der französischen Nachhut handgemein ; aber Vandammes Infanterie benüßt ein Gehölz welches die Zugänge der Stadt deckt , sie hält hier die Preußen lange auf und tödet ihnen über 1200 Mann. Als sie sich mit dem Armeecorps zurückzieht bleibt die Division des General Teste allein in der Stadt : sie barrikadirt hier die Thore , die Straßen, die Brücken die sie nicht zerstören kann. Diese schwache Division zeigte was in äußersten Lagen eine Handvoll Tapferer von einem Mann von Herz geführt vermag. Ohne Geschütz schlägt sie alle wütenden Angriffe der Preußen ab. Die Officiere ergreifen die Gewehre der Todten und Verwundeten ; sie werden wieder Soldaten. größte Ordnung gehalten.
In der Stadt wird die Die Verwundeten , die Munition , das Ge-
päck sind schon auf der Marſchlinie entfernt. Als kein einziger Wagen mehr zu retten war , läßt General Teste seine Bataillone auf den Bruſtwehren der Brücken nach dem rechten Ufer der Sambre zurückziehen. Gleichzeitig waren Mengen von Holz und Stroh an den Thoren angehäuft; man legt Feuer an und dieß verzögert noch die Annäherung der Preußen. Man läßt sie erst um 9 Uhr Abends Besitz von Namür ergreifen , vereinzelt , ermattet und unfähig den Franzosen zu folgen. Teſte zieht sich langsam auf der Straße von Dinant bis Profondeville zurück. Hier läßt er seine Division 3 Stunden ruhen. Um Mitternacht setzt er sie wieder in Marsch und erreicht das Gros des Grouchyschen Corps zu Dinant um 4 Uhr Morgens.
Dieser so kühne Rückzug , diese so feste
Haltung zeigen wie das Moralische dieſes Corps unberührt geblieben war. Wenn es durch seine unabsichtliche Abwesenheit eine der Ursachen
183 der Niederlage geworden war , so war es an ihm dieß gut zu machen. In der That war dieß die Haltung der Soldaten , der Officiere , GeAlle waren über sich selbst erhoben , da sie etwas vergessen zu machen oder zu vergeben hatten Ueberdieß bewahrten sie eine volle Hoffnung : jeder von ihnen erreichte , indem sie von der Schlacht nerale und Grouchys.
des 18. sprachen , mit seiner Befürchtung und seiner Einbildung nicht entfernt die Wirklichkeit. Zu Paris war man in Erwartung ; aber der Sieg von Ligny den man am 18. durch das Geſchüß der Invaliden feierte , weiſsagte damit einen andern.
Das Geheimniß der Nachricht von der Niederlage bei
Waterloo kam folgendermaßen zuerst aus. Am Abend des 20. waren mehre Personen bei dem Minister des Innern , Carnot , zusammen; sie befragten ihn ohne Antwort zu erhalten.
Um sich diesen lästigen
Fragen zu entziehen , nähert sich Carnot einem Spieltische und seht sich mit drei seiner Freunde daran. Er vertheilt die Karten. Der , von welchem ich diese Erzählung habe (Herr von Gérando) ſaß dem Miniſter gegenüber und spielte. Durch Zufall erhebt er die Augen auf Carnot ; er sieht dieses ernste Gesicht gefurcht , in Thränen gebadet. Karten hin, man erhebt sich.
Man wirft die
"/ Die Schlacht ist verloren " ruft Carnot,
der sich nicht länger halten konnte.
Die Nachricht verbreitete sich am
selben Abend in Paris.
2. Rückkehr Napoleons in den Palaßt Elysée. Was that nun unterdeſſen Napoleon ? Zu Laôn angekommen und noch vom Schlachtfelde aufgeregt , wollte er zuerst anhalten und die Armee um sich sammeln.
Es war der Instinkt des Heils der noch zu ihm
redete ; aber seine Vertrauten riethen ihm im Gegentheil die Armee zu verlassen und nach Paris zu eilen um sich der Kammern zu versichern. Etwas Neues bei ihm , er gab ohne Widerstand nach.
Man konnte
damals sehen daß seine Macht des Willens in der lezten Anstrengung des Abends von Waterloo gebrochen war und dieß erste Aufgeben seines Willens wird sich bei jeder Probe der folgenden Tage wiederholen. Er fühlte jedoch besser als irgend Jemand , wie verhängnißvoll diese übereilte Rückkehr wirken würde. selbst dar.
Die verderblichen Vergleiche boten sich von
Man sah ihn so von Moskau , dann von Leipzig zurück-
kehren und immer allein , ohne Armee. Er war also vom Schicksal ver-
184
laffen.
Warum blieb er er nicht an der Spiße seiner Soldaten ? Er
hatte sie verlassen, oder es blieben ihm keine mehr , oder er kam um finstere Pläne gegen die waffenlose Stadt auszuführen.
Napoleon sah
diese Folgen klar , er fühlte daß er sich verderbe und dennoch folgte er seinen Rathgebern indem er ihre Ansichten verurtheilte und hart anfuhr. „Mein wahrer Plaß ist hier ; ich gehe nach Paris , aber ihr laßt mich eine Thorheit begehen. " Carnot war der Meinung daß der Kaiser sogleich zur Armee zuDie Ereignisse bewiesen daß dieselbe richtig war. Indem er sich von der Armee trennte, verlor Napoleon die einzige Macht die ihn noch halten konnte. Er isolirte sich von seinen Freunden , er überlieferte rückkehre.
In den Kammern einen Entschluß suchen den er nur selbst fassen konnte , zeigte daß er nicht mehr das wahrhafte Gefühl weder von seiner Stärke noch von seiner Schwäche hatte. Also
sich seinen Feinden.
kehrte Napoleon , sich selbst entgegen durch den Rath Einiger getrieben, erstaunt sein Glück nicht mehr zu lenken , in der Nacht vom 20. zum 21. nach Paris zurück. Mit convulsivischem Lachen beschuldigte er Ney, Grouchy , Vandamme , Erlon , die Truppen des 1. Corps ; aber weder jezt noch später dachte er daran sich selbst zu beschuldigen *). Uebrigens erschien er nicht wieder wie nach Moskau und Leipzig, in dem Tuilerienpalaste. Er sucht eine obscure, den Blicken entzogene Wohnung auf.
Wie wenn er sich schon vom Throne gestürzt fühlte
und selbst die Mauern floh , die Zeugen seines Glückes , eilte er sich in dem Palast Elysee einzuschließen.
Wenn er durch die Wahl dieser
bescheidenen Wohnung jeden Verdacht über die Anwendung seiner Macht gegen seine innern Feinde entfernen und das Mißtrauen oder den Haß ersticken wollte , indem er sich waffenlos zeigte , so täuschte er sich. Dieſe ungewohnte Bescheidenheit diente nur die Kühnheit seiner Gegner zu vergrößern. Die Einen sahen darin eine Falle , die Andern das Zugeſtändniß seines unabwendbaren Sturzes ; die Mehrzahl hielt die Gelegenheit gekommen , sich seiner zu entledigen.
Es erſchien jezt die Un-
möglichkeit einer Verbindung zwischen den Freunden der Freiheit und Napoleon in vollem Lichte. Es gab von beiden Seiten einen Hintergedanken.
Als Sieger hätte er die Freiheit zerstört , von der er sagte
*) Memoiren von Lavalette ; Geschichte der parlamentarischen Regierung , von Duvergier de Hauranne.
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daß
dieß zwei oder drei Jahre dauern werde " ; besiegt wird die Frei-
heit ihn vernichten. Durch das Mißgeschick belehrt wußte Napoleon daß er um seine Kraft wiederzufinden , wieder in die absolute Herrschaft gelangen müsse. Diese war seine Princip , seine Tradition , sein Instinkt ; es war dieses auch sein erstes Wort ; was andere Despotismus nannten , nannte er Diktatur. Er war im Bade als Marschall Davoust eingeführt wird. Mit gesundem ganz militairischem Sinne räth dieser , wissend daß sein Herr der Sohn der Gewalt ist , die Gewalt an. Der Kaiser möge die Versammlungen vertagen , dieß sei sein in der Verfassung geschriebenes Recht ; er möge es gebrauchen , aber rasch ohne weiter zu verhandeln, denn die Gelegenheit drohe bald zu entschwinden.
Dieser Wink wird
durch Lucian unterſtüßt : er erinnert sich , den Fünfhundert präsidirt zu haben; er erbietet sich sein Werk zu wiederholen.
Hatte er nicht Einmal Er-
folg gehabt ? nach ihm ist die Sache leichter als man denke.
Es han-
delt sich nur darum zu wagen; am Kaiser ist es seine Krone zu retten ehe man sie ihm wieder nehme. Inmitten dieser dringenden Rathschläge sah man Napoleon unsicher nicht wagend von seinem Rechte Gebrauch zu machen und die Gelegen= heit entschwinden lassend.
Mehr als alle Andern fühlt er sich durch
die Macht der Thatsachen verurtheilt , denn er findet sich selbst nicht wieder.
Kein Entschluß , keine Partei ergriffen ; nicht wissend ob er
die Macht behalten , oder abgeben solle , hoffend man werde ihm die höchste Autorität anbieten , die er nicht zu ergreifen wagt ; von da an eine leere unfruchtbare Erwartung , die nur seinen Feinden nüßt ; er verlangt noch eine Stunde um sich zu entscheiden , indem er sein Schicksal in den Augen der ihn Umgebenden sucht ! In einem Augenblick geht er von der Niedergeschlagenheit zur Kühnheit über , von Fouché zu Carnot. Nichts gleicht dem Napoleon der glücklichen Zeiten weniger als der Napoleon des Mißgeschicks. Langes Schweigen , eilige Worte , und wie seine Vertrauten berichten , eine Art moraliſcher Starrſucht , aus der er für Augenblicke heraustrat um die Seinigen mit leeren Plänen , sich in seine Wohnung zu Malmaiſon zurückzuziehen , zu unterhalten. Dort werde er allein fern von Geschäften leben , selten von einigen Treuen besucht , ohne Jemandem Verdacht zu geben. Und von neuem für Augenblicke der Wunsch, Alles noch einmal zu ergreifen ; er werde die Mittel haben , wenn er wolle , und er gefiel sich dann darin , seine Kräfte aufzuzählen.
Seine
186
Soldaten näherten sich.
Schon hatte er unter Händen die Depotz der
Garde : 6000 seiner Grenadiere , 17000 Tirailleurs der Nationalgarde, alle für ihn , ohne die Menge zu rechnen deren Zurufe sich um das Palais in der Avenue von Marigny hören ließen ; aber diese Zurufe selbst konnten ihn nicht an einen energischen Entschluß feffeln und er fiel in seine Unsicherheit zurück, denn er wußte zu gut daß dieſe Menge, die mitunter eine Gewalt niedergeschlagen hat , niemals eine einzige zu vertheidigen oder zu retten verſtand. In diesen Ausflüchten zog sich Alles von ihm zurück.
Das Wort
Abdankung war schon in seiner Umgebung von einem ſeiner Adjutanten bei der Ankunft in Laôn ausgesprochen worden ; jezt war dieß Wort 4 Jeder fühlte daß
in jedem Munde , wie das Wort der Notwendigkeit.
das Kaiserreich keinen Grund zum Bestehen mehr habe und wollte sich die Ehre wahren der erste geweſen zu sein , der sich von einer künftig unmöglichen Macht lossagte.
In der That wuchs die Kühnheit der Ver-
ſammlung mit Napoleons Zaudern ; man fühlte daß er doppelt besiegt sei , auf dem Schlachtfelde und im Rathe ; man eilte die Gelegenheit zu nußen die er entschlüpfen ließ. abzuhandeln.
Fast Alle kamen um ihm eine Stunde
Seht nun , wenn ihr einige Unparteilichkeit beſißt , die
Gerechtigkeit der Geschichte sich hier darthun ! Er hatte gut betheuern daß er die Freiheiten der Kammern nicht antasten wolle , diese Kammern konnten es nicht glauben ; sie sahen in Napoleon , wenn auch besiegt und ſeines Ruhmes verlustig , denselben General Bonaparte wieder erſcheinen, der am 18. Brümaire die lehte freie in Frankreich gesehene Versammlung durch Bayonette zerstreut hatte.
Selbst die , welche am meisten diesem
Tage Beifall gerufen , riefen ihn jezt zurück um ihn gegen Napoleon zu wenden.
Sie sagten daß dieß derselbe Mann sei , der sich nicht
scheute durch seine Grenadiere die Gewählten Frankreichs verjagen zu laſſen. Was er als Sieger gethan hatte , warum sollte er es nicht als Bestegter thun, wenn ihm nur die Kraft dazu blieb ? Warum sollte er jezt das achten was er vor 16 Jahren vernichtete ? Worin hoffe man daß er verändert sei ? Wiſſe man nicht daß er auf dem Felde von Ligny soviel Haß gegen die Versammlung gezeigt habe, wie gegen den Feind selbst? Dieser Verdacht , dieſe Unmöglichkeit zu vergessen wuchſen nur als Napoleon die unſelige Idee hatte seinen Bruder Lucian als Commiſſar an die beiden Kammern zu senden.
Diese Wahl gab aller Welt zu denken.
Konnte wol der Präsident des Raths der Fünfhundert am 18. Brümaire die
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beiden Versammlungen über die Absichten seines Bruders sicherstellen ? Wußte man nicht , daß Lucian nur in diesem Datum Heil erblicke und daß er es erneuern wolle , als wenn dieß das öffentliche Recht der Franzosen sei ? Durch diese Wahl verrieth Napoleon vollständig sich selbst, denn in solchen Momenten der Krisis entfacht nichts mehr die Einbildung als der plöhliche Anblick Deſſen , der die Gefahr ins Gedächtniß ruft und personificirt , welche man am meisten vermeiden will. Napoleon schwankte zwischen einer neuen Usurpation und einem ungewohnten Gehorsam , und ohne noch zu prüfen auf welche Seite er mehr neige , warfen alle erwähnten Umstände die Verſammlung in eine Art Schwindel.
Jeden Augenblick erwartete man ihn an der Spize seiner
Grenadiere erscheinen zu sehen wie im Orangeriesaale.
Andere male
dachte man , sein Bruder werde diese Sorge übernehmen , so sehr war die Einbildung der Einen wie der Andern von der Erinnerung des Vergangenen erfüllt.
So schob sich dieser 18. Brümaire in dieser Stunde
zwischen die Versammlung und Napoleon und hinderte daß eine Verſtändigung zwischen ihnen zu Stande kam. Der 18. Brümaire belastete jezt Napoleon und er erduldete durch die Wirkung einer höhern Gerech tigkeit nach der Niederlage Alles was er an Demütigungen und Widerwärtigkeit die freien Inſtitutionen in der Stunde seines Glückes hatte erdulden lassen.
Am 21. Juni 1815 und besonders dem folgenden
Tage erſtand dieselbe Verſammlung der freigewählten Fünfhundert, dieman ſeit 1799 zerstreut und ohnmächtig glaubte , aus ihrer Asche mit ihrem Zorn und ihrem Wunsche nach Vergeltung.
Mit einem Worte nötigt sie den
Herrn der sie auseinander trieb zu verschwinden und für immer machtlos zu werden : Die Gerechtigkeit erfüllte sich , aber gleichzeitig geht die Freiheit mit der Unabhängigkeit unter , so wahr ist es daß Tage wie der 18. Brümaire , an denen das Gewissen einer Nation unterliegt, früher oder später nur Ruin und Unglück für die hinterlassen welche diese Tage machen und für die , welche sie erdulden oder ihnen Beifall rufen.
3. Abdankung. Wenn es kein Princip im Spiele mehr gibt , als daß Alle durch einander vernichtet werden , kommt für kurze Zeit die Herrschaft einer gewissen Art Menschen die plötzlich aus dem Dunkel hervortreten ; sie schicken sich an den zu verderben der verloren ist.
Herr v. Talleyrand
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hatte das Jahr zuvor dieſe Rolle mit Anstand gespielt ; Herr Fouché wiederholte diese Rolle 1815 , aber mit Kühnheit und als ob keine Vorsicht nötig sei. Er hatte sich zum Minister Napoleons gemacht mit dem Entschlusse ihm treu zu bleiben , wenn er der Stärkere sein würde , ihn zu stürzen wenn er sich als der Schwächere erwiese.
Und er bereitete
seine Anschläge nicht von Weitem ; in der Höhle des Löwen selbst zet= telte er seine Fallen an und ſpannte er seine Neße aus. Während der hundert Tage dieſes ſonderbaren Miniſteriums iſt er da , ausſpähend ob der von Europa umstellte Herr , dem er dient , sich erhebe oder unterliege, entſchloſſen im leztern Falle selbst ihn zu überliefern und ihn mit ſeiner Niederlage zu züchtigen.
Eine noch außerordentlichere Sache , Napoleon
sieht diese Fallstricke ; er sieht sie und läßt sie sich fester um ihn schlingen. Er weiß welche Hände diese Schlingen knüpfen und er läßt sich davon bis zu dem Punkt umstricken , wo er selbst nicht mehr versuchen kann sich loszumachen.
Schon eingeschlossen hat er keinen Augenblick der Em-
pörung , kein entrüstetes Wort.
Er kennt und ermißt den Hinterhalt
und fällt wiſſentlich hinein ; er läßt bis ans Ende ſeinen Miniſter walten , sei es Laschheit , Widerwillen vor seinem Schicksal, oder ein Rest von Schwäche für den Genossen seiner alten Macht , sei es der Wille durch das Werkzeug seiner vergangenen Herrschaft unterzugehen, sei es vielmehr daß er auf den Sieg rechnete , um in einem Augenblicke die Spinnenfäden zu zerreißen die ihn umgaben.
Fouché , der zugleich
Napoleon beräth , beschüßt , verblendet und überliefert , iſt eine der großen Lehren dieser Geschichte die viele andere in sich schließt.
Fouché hatte
das Verdienst zu sehen , daß Napoleon bei Waterloo zu Tode geschlagen war ; von da hörte jede Erwägung auf : es handelte sich nur , den ohne Gefahr zu überliefern , der das Unrecht beging der Schwächere zu sein. Diese lezte Auflösung wurde in folgender Weise vorbereitet. Napoleon bestand noch auf der Notwendigkeit , die Verſammlung aufzulösen oder zu vertagen.
Fouché bestritt diese Ansicht ; er , der
beffer wie Jemand wußte , wie feindselig die Kammer der Deputirtén war , wie unversöhnlich die Niederlage dieselbe gemacht hatte , räth sich ganz auf die Kammer zu verlassen.
In ihr werde Napoleon das Heil
seines Thrones , eine wahre Stüße finden , und gleichzeitig kamen alle Zwischenfälle der im Elysee gehaltenen Conseils auf krummen Wegen zu Ohren der Repräsentanten , die Drohungen , die Gewaltpläne , dann die Rückkehr zum Vertrauen , die Erschlaffung nach so entgegengesetzten Ge-
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danken. Der Löwe war halb besiegt ; man überlieferte ihn eingeschläfert, aber man mußte eilen. Und als ob zum Sturze Napoleons das Genie der Schlauheit nicht ausreiche , erhob sich die Tugend ſelbſt in Perſon des Herrn von Lafayette. Er hatte aus dem Munde Fouchés und Regnaults de St. Jean d'Angely Napoleons Pläne gegen die Versammlung vernommen ; er kam dem Kaiſer in Geſchwindigkeit zuvor und ohne Jemanden um Rath zu fragen brach er das Schweigen der lehten zwanzig Jahre durch den Vorschlag daß
jeder Versuch die Versammlung
aufzulösen , als Verrat betrachtet werden solle “ . war die Frage abgeschlossen.
Durch diese Kühnheit
Alle die noch zauderten , stellten sich auf
die Seite derer , welche mehr wagten , denn in solchen äußersten Augenblicken nimmt man Kühnheit für das sichere Pfand der Stärke.
Selbſt
der Verfaſſer der Zuſazakte , Benjamin Conſtant , hatte sich schon über sein Werk eines bessern besonnen ; er trieb insgeheim Lafayette an , ihn rasch von seinem Helden zu befreien. 11 Sie wollen den Kaiser stürzen “, ſagte er zu ihm , „ Sie haben Recht ; er bleibt immer ein Tyrann “ *). Dieß waren ebensoviel Kriegserklärungen. Napoleon fühlte es endlich , aber zu spät.
Er hatte sich über die Absichten seiner Gegner in
der Versammlung wie über die der feindlichen Generale auf dem Schlachtfelde getäuscht.
Indessen wurde ihm die Nacht noch gelassen und da
kam er auf seine hundertmal wieder gefaßten , hundertmal verlassenen Pläne zurück , die Versammlung zu zerstreuen und sich aller Gewalt zu bemächtigen. Unter den Ursachen die ihn an diesem Entschlusse hinderten, hatte die Illusion großen Antheil.
Um seinen Zorn zurückzuhalten , der
drohend wurde , hatte Einer den Gedanken , daß seine Abdankung wenn sie mit schneller Unterwerfung unter den Willen der Kammern verbunden wäre, seinem Sohne den Thron sichern würde. Diese plumpe Lockſpeiſe machte ſeine Projekte von Gewalt zu nichte.
Er kostete dieſen Biſſen
lächelnd , als wenn er nicht vor wenigen Monaten bei der Abdankung zu Fontainebleau davon die Probe gehabt hätte. Er mußte jedoch wissen was der Thron dieſes Kindes galt , wenn er nicht mehr da war , ihn zu vertheidigen. Napoleon ohne Kraft und Kühnheit war ein so überraschendes und neues Schauspiel daß jeder fühlte er habe aufgehört zu herrschen.
Am
Morgen des 22. schlug ein obſcurer Mann , Duchesne (durch Unbekannte
*) Memoiren des Generals Lafayette, Band V. p. 23.
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zeigt sich die Notwendigkeit am besten) in der Versammlung die Abdans kung vor.
Die ganze Versammlung erhob sich und antwortete mit un-
willkührlichem Nufe : „ Die Abdankung ! angenommen. “ Dieſe Nachricht brachte Napoleon außer sich ; er schrie , die mit leeren Drohungen gegen die Repräsentanten verlorene Zeit könne noch gut gemacht werden ; aber dieß war der lezte Widerstand eines erlöschenden Willens. Selbſt ſeine Brüder waren der Ansicht daß es zu spät ſei zu widerſtehen und drängten ihn der Macht zu entsagen , ehe man sie ihm nähme.
Schon drohte
man mit Entſeßung an Stelle der Entſagung. Die welche diesem lezten Hinsterben eines großen Willens beigewohnt haben erzählen daß , wie ernstlich er auch Gewaltpläne überlegte, er sie doch in sich verschloß oder sich nur Einigen eröffnete.
Als die
Zeit dafür vorüber war , erschöpfte er sich in Drohungen , bald wurden selbst diese Drohungen vergeſſen und , wie wenn sie nur anscheinend ge= wesen wären , als man ihn von neuem drängte und er sich nahe daran sah gezwungen zu werden , diktirte er mit ruhiger Stimme die Entsa! gung zu Gunsten seines Sohnes , demselben Lucian , der am beharrlichsten zur Gewalt, geraten hatte.
Man sah nun was die Geſchichte hundert-
mal erzählt hat aber niemals wol mit solchen Contraſten , die Verlaſſenheit , das Schweigen um diesen Sohn des Ruhmes , seine Vertrauten selbst sich einer nach dem Andern zurückziehend , der Palast öde , kaum durch eine Schildwache bewacht , die Menge selbst , dieser Hofmann der lezten Stunde , sich in die Weite zerstreuend und ohne Hoffnung , vage Drohungen von Mord in dieser Einsamkeit cirkulirend und als ob die Verlassenheit noch nicht tief genug ſei , bald darauf die Weiſung an dieſen Herrn der Herren , sich weiter zurückzuziehen , den Blicken von Paris entzogen , in die Dunkelheit von Malmaison.
4.
Pläne Napoleons.
Das war aus den geheimnißvollen , in der Nacht in der Stille des Elysee berathenen Plänen geworden.
Worin bestanden sie wirklich ?
Napoleon hat später selbst Sorge getragen uns darüber zu unterrichten. " Am 22. sich mit Tagesanbruch in den Tuilerienpalast begeben , dorthin alle Linientruppen berufen , die sich in der Hauptstadt befanden, die 6000 Mann der Kaisergarde, die vereinigten Tirailleurs , die Nationalgarde , den Staatsrath , die Miniſter , und die Kammern vertagen. “
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Wenn sie widerständen , sie zwingen ; sich , wenn es ſein müſſe , den schrecklichsten Akten hingeben , im Notfalle durch das Beil der Liktoren herrschen. So waren wirklich die Bedingungen des Problems , welches Napoleon von der Insel Elba mitgebracht hatte.
Dieſe-Bedingungen , die
er klar und reif hätte voraussehen müssen , schon bei der ersten Idee die er sich von seinem Unternehmen bildete , kamen ihm erst in dieser lezten Stunde und dieſe neue Erscheinung übermannte ihn um so mehr als ähnliche Maßnahmen von weitem gefaßt werden müssen und sich nicht in einer Nacht improviſiren.
Er that jezt was er niemals ge=
than und was das sicherste Zeichen ist , daß uns das Genie verläßt. Er wollte ein Resultat , wollte es mit Leidenschaft und wollte nicht das , wodurch es möglich wurde. Hierdurch trat er in die Klaſſe derer, welche nicht mehr zum Befehlen geschaffen sind.
Er stieg mit großen
Schritten von den Höhen der Geschichte herab und sein öffentliches Leben endigte mehre Tage vor seiner Abdankung ;
denn es ist sicher
daß bei der Rückkehr von Elba es nicht das Schwierigste war , in Paris wiedereinzuziehen.
Die Frage war nicht allein , Frankreich wieder
zu ergreifen , das sich so leicht dem hingibt , der die Kühnheit beſißt, es zu nehmen ; dieß war die glänzende blendende Seite des Unternehmens. Die wahre Frage war , Frankreich nach außen gegen die verbündeten Mächte , nach innen gegen seine eigene Unbeständigkeit zu vertheidigen und in Beidem hat Napoleon verspielt. Wenn Alles verlaſſen und verloren werden mußte bei dem ersten innern Widerstande , so mag man erkennen daß die Unternehmung mehr verführerisch als dauerhaft war. Nach einem halben Jahrhundert kann man fragen , ob Napoleon oder die Versammlung die Oberhand behalten hätte , wenn er den Kampf begann; die zugestandene Geschichte antwortet ohne Zaudern , er wäre besiegt worden. Die welche diese Ereignisse mit lebendigen Erinnerungen, und nicht mit blinden Ueberlieferungen herstellen , werden wenigstens den Zweifel bewahren , und einer ihrer Hauptgründe ist , daß die aus so langer Knechtschaft entsprungene Freiheit , die sich seit einigen Tagen erstanden kaum findet , schwächer wäre als man denkt.
Generale ohne
Soldaten , Parteiführer ohne Anhänger , Demokraten ohne Volk , das war, was sich Napoleon entgegenseßte.
Die Freunde der Freiheit welche
den Despotimus überlebt hatten , fanden sich in ebenso großer Ver-
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einzelung als der Kaiser.
Hatte er keine Armee, so hatten sie kein
Volk hinter sich , da dieſes ſeit 15 Jahren verwischt war , so sehr war in den Geiſtern Leere erzeugt , so waffenlos und ohnmächtig fand man sich , sobald man aus der absoluten Macht hervorging !
Außer ihr gab
es nur den Abgrund : Der Gebieter und die Beherrschten stürzten sich um die Wette hinein und so stürzte man sich auf allen Bahnen zum vorbereiteten Ziele , der Vernichtung des Volkes in einen Einzigen und mit dessen Fall dem Fall von Allen. Unsere Generation war darin aufgewachsen , mit ihrem Spotte die lette freie Versammlung zu verfolgen. In den Erzählungen , Geschichten, den unsern Augen gebotenen Gemälden haben wir sie jeder Art Schmach überliefert gesehen.
Wie lächerlich sind uns die Abgeordneten , die Re-
präsentanten des Gesezes
erschienen ,
entwaffnet , genötigt durch die
Fenster der Orangerie zu fliehen vor den unerschrockenen Soldaten , die mit gesenktem Bayonette und erhobener Stirn vorgingen , wie zur Schlacht ! Wie elend erschien uns die Lage der erstern , ohne Degen , ohne Vertheidigung , ohne Zuflucht !
Wenn Napoleon 1815 von neuem seine
Grenadiere gegen eine Versammlung geschickt hätte, welche kaum Zeit hatte sich zu nennen , wenn er die Beschuldigung des Verrates , deren Wirkung fast unfehlbar ist , beigemengt hätte , wenn er wie im Brümaire gewagt hätte , so hatte er viel Aussicht uns wie im Brümaire (ich rede von der großen unbekannten Masse) als Höflinge der Gewalt und Demjenigen ergeben zu finden , der sie gegen uns selbst anruft , nur ihn kennend , nur ihn wollend , gleichgültig gegen die Dinge , wenn man uns nur den Schein davon gewährt.
Ueberdieß , welcher Name zog
uns in dieser Versammlung an ? Keiner. Die welche die großen Tage der Revolution zurückriefen , waren vielleicht uns am fremdeſten ; ſelbſt die Sprache, welche sie redeten , die des Rechts und politischer Freiheit, war wie eine tode , wir verstanden sie nicht. Fünfzehn Jahre genügen bei uns , um Namen , Dinge , die denkwürdigsten Ereigniſſe zu verwischen. In diesem Schiffbruche , das ist wahr , blieben Lafayette, Carnot oben; aber selbst sie kannten wir nicht , sie mußten ihren Ruf von neuem machen. Man stellt sich heute vor , daß die liberale Partei damals in ganzer Damit ist es nichts,
Kraft bestand und als Basis dienen konnte.
diese Partei hatte erst einige Köpfe und Mittelpunkte. Die Maſſen waren von ihrer Knechtschaft abgöttisch geblieben ; es bedurfte während
A
193 der folgenden Jahre der Arbeit einiger Männer auf der Tribüne und in der Preſſe , um in uns die Begriffe , die Ideen , die Gefühle selbst, welche wir verloren hatten , wiederherzustellen , wie wir in dem ersten Abschnitte unseres Daſeins dieſe doppelte Erscheinung gesehen haben : einige Männer alle Vorstellungen von Freiheit bei uns austilgend , und einige sie alle wieder belebend ; ein großes Motiv zur Hoffnung in schlimmen Tagen und zur Wachsamkeit in guten. So waren wir; er aber hatte sich geändert und nahm das in seinen Geist getretene Mißtrauen für ein unbesiegliches Hinderniß ; er zweifelte zu sehr an seinem Werke.
Hätte sein Genie ihn besser auf-
geklärt , so würde er besser in die Zukunft geblickt haben , er hätte seinen Werken mehr Gerechtigkeit gegeben , er hätte besser bemerkt daß seine Schläge wirkten und er es nur mit einem Phantome zu thun habe ; aber hier wie im Feld mußte er durch Täuschung untergehen, nach Außen weil er den Feind zu sehr mißachtet , im Innern weil er ihn zu hoch geschäßt hatte.
Man sagt , daß die , welche am lautesten
davon sprachen , ihren Abgott zu entseßen , sich eines Andern besannen, sobald sie vernahmen daß der Kaiser ihnen nahe sei.
Sie verleugneten
sich von neuem beim bloßen Gerücht seiner Rückkehr.
Mit wie viel
stärkerem Grunde würden sie sich verleugnet haben , wenn sie anstatt eines entwaffneten, unsichern oder bittenden Bonaparte ihren alten Kriegsgott wieder vor sich gesehen hätten ? Nach allem diesem scheint es daß Napoleon nach Waterloo dem Mißgeschicke zu rasch gewichen sei und daß die Freiheit ihm zu leicht Furcht verursachte.
Es scheint mir , er hätte sich ihrer noch einmal
ohne zu viel Gefahr entledigen können , wenigstens schuldete er seinen Traditionen , es zu versuchen.
Ich sage nicht daß er über alle Hinder-
nisse triumphirt haben würde , aber er hatte wenigstens eine Aussicht und bei dem Entschluß den er faßte , blieb ihm keine.
Die Gewalt
war hier sein Genius , außerhalb deffen er keinen Grund zum Bestehen mehr hatte , und dann ist es sehr gefährlich seine Natur zu ändern. Seit die Welt besteht sah man nie einen Despoten etwas dadurch ge= winnen daß er aufhörte es zu sein. Wer hatte die neue Lage geschaffen ?
Napoleon.
Er war allein
dafür verantwortlich, ihm kam es also zu darüber zu beſchließen.
Die
Rückkehr von Elba sette die Entschlüsse , die Energie des Mannes vom Brümaire voraus ; da aber diese Kraft des Entſchluſſes Quinet, Feldzug von 1815. 13
nicht mehr
194 bestand , konnte sie durch Niemanden ersetzt werden.
Indem er von Elba gegen die bestehenden Geseze zurückkehrte , gab sich Napoleon die Aufgabe , Frankreich mit oder gegen die Gesetze zu retten. Er trat zurück, sagt man; aber mit dem Rücktritte rettet man nicht Staaten, nachdem man sie an den Rand des Abgrunds geführt hat : auf alle Fälle hätte er besser gethan , zu Porto Ferrajo zu entſagen als zu Paris. Durch diese Betrachtungen gelangt man zu dem Schlusse , daß die Freiheit nichts für Napoleon gethan , im Gegentheil ihn vernichtet hat. Es war bei ihm eine falsche Idee , sich auf sie zu stüßen nachdem er sie zerbrochen hatte. Hierin täuschte ihn sein Genie , oder was noch wahrscheinlicher ist , er sah daß Alles verloren war und wollte Andern mit der Verantwortlichkeit für seine Fehler eine Lage überlassen , welche zu retten er verzweifelte.
5. Die Wiedervereinigung der Armee. Die Nachwelt wird darüber erstaunen daß Frankreich durch den Verlust einer einzigen Schlacht über den Haufen geworfen wäre. in jener Zeit lebte , erklärt es sich leicht.
Wer
In dem größern Theile
Frankreichs kamen die Nachricht von Waterloo und die der Abdankung fast gleichzeitig an.
Sobald Napoleon sich aufgab , schien Alles ver-
loren , als wenn es sich nur um ihn in diesem Wirrwarr handelte. Selbst der Schatten eines Nationalwillens schien verschwunden. 1 Die Worte Recht , öffentliches Wol , Garantieen , Freiheiten , selbst Unabhängigkeit lernen sich nicht in einem Tage wieder.
Außerdem hatte,
wenn Alles gesagt werden soll , die Invaſion das verloren was sie am widerwärtigsten machte , das Unbekannte.
Man hatte sie einmal über-
lebt, man hoffte sie noch einmal zu überstehen ; im Geiſte der größern Zahl gab es mehr Stumpfheit als Verzweiflung , so schnell gewöhnt sich der Mensch an Uebel und das unerträglichste Joch. Ich habe an anderem Orte *) erzählt , wie die Soldaten von Waterloo vom Schlachtfelde her ankamen , in Banden , waffenlos , einen Stab in der Hand wie Reisende.
Wir zogen beim Eintritt in die Ortschaften vor ihnen
her , und befragten sie.
Die alten Soldaten schüttelten den Kopf und
schwiegen ; die jüngern antworteten.
*) Geschichte meiner Ideen.
Sie erzählten daß sie gegen Abend
195 verraten wären im Moment wo sie siegreich waren , daß die Führer fie überliefert hätten , daß der Feind sich nähere und ohne Zweifel nicht zögere zu erscheinen , da alle Thore ihm offen ständen. Wir wiederholten dieß und das was sie gesagt hatten. Das Gefühl des Verrates drang unter jedes Dach , an jeden Herd. So verbreitete sich nach und nach der Gedanke der Schicksalsfügung und mit ihm panischer Schrecken. Alle erwarteten , da sie sich die Arme gebunden fühlten , mit Resignation die Ankunft des Feindes. Aber schon jetzt hatte sich ein Theil der Armee wieder gesammelt. Die Treuesten hatten sich vereinigt , bewaffnet oder nicht, sobald man etwas anhalten konnte ; zu Beaumont , zu Philippeville hatte sich der Hier sah man die durch Wunder geretteten Kern wieder gebildet. Fahnen wieder. General Erlon hatte 5000 Mann , General Reille 6000 Mann wieder vereinigt. Hierzu die Garde , so waren es schon 20000 Mann die bei jedem Schritte durch die Versprengten wuchsen, welche ihre Fahne suchten. Bald mußte man die Vereinigung mit den 30000 Mann bewirken die Grouchy unversehrt über Rocroh , Rethel, Soissons zurückführte. Dieß war eine ganze Armee welche , da sie keinen Unfall erlitten , in ſich die Kraft fühlte , alle Andern wiederherzustellen. Sie langte in guter Ordnung an um sich wieder unter Napoleons unmittelbaren Befehl zu stellen und wenn er im vorigen Jahre mit 50000 Mann während drei Monaten das Gebiet gegen ganz Europa vertheidigt hatte, was vermochte er nicht noch mit diesen bewährten Männern , dem Rest von hundert Schlachten ! Es handelte sich nur darum Frankreich einige Tage zum Aufathmen zu geben um sich von der Ueberraschung der Niederlage zu erholen. Die Soldaten suchten mit ihrem Blicke Napoleon. Sie verlangten ihn , riefen zu ihm als Hoffnung. Er allein in der That konnte in diesem Augenblicke die Geister wieder befestigen , durch seine Gegenwart den Verdacht , die Beschuldigungen und die schreckliche Ungewißheit verhindern , in die eine Armee verfällt wenn einmal ihr Geiſt entfeſſelt iſt. Wo war er ? Was hatte man mit ihm gemacht ? Er war verschwunden. Und war dieß nicht ein neuer Verrat ihn von der Armee zu trennen ? Für ihn hatte man gekämpft.
Wozu unter der Fahne bleiben, wenn
er selbst sie verlaſſen muß ? und was vermögen die Soldaten , wenn sie durch die Führer verkauft sind ? Das ließen die Soldaten hören , nicht in dumpfem Gemurmel sondern inmitten Verwünschungen. Was die Führer
196 betrifft , so sahen sie klar , daß da Napoleon fern von den Seinen geeilt hatte sich seinen Feinden auszuliefern , Nichts ihn retten konnte. Er verderbte seine Sache durch seine Abreise von der Armee.
Wozu
noch seinem Sterne folgen , dem er selbst nicht mehr folgte ? Da er abwesend , so waren Conjecturen freigegeben und bereits zu Laôn fragten sich die Generale , überzeugt daß sie keinen Herrn mehr hätten , was von nun in wenig Tagen die neue Regierung Frankreichs sein werde, wer es sein möge , den man vorziehen müsse. Die Mehrzahl riethen als ob das Kaiserthum schon erledigt sei , in Gegenwart der Armee für den Herzog von Orléans. Während des Marsches fanden diese Erwägungen , diese Berathschlagungen der Armee statt ; denn der Feind gab nirgends Ruhe. Vor ihm in Paris anzukommen schien schwierig. Je mehr man sich näherte , verbreitete sich das Gerücht der Abdankung in den Reihen und dieß war ein Unglück mitten im Unglück. Napoleon glaubte daß es zwei Tage nach seiner Abdankung keine Armee mehr geben werde.
Es war jedoch nichts damit.
Versuche des Aufruhrs und der Desertion.
Man sah
Einige zerbrachen im Zorne
die Waffen und schrieen : „ für wen sollen wir kämpfen ? es gibt keinen Kaiser mehr." Die Verzweifeltsten waren die Garde und das Bataillon von Elba. Friede , Krieg , alles erschien ihnen ohne den unmöglich für welchen sie gelebt hatten.
Hatten sie das Wunder der Rückkehr von
Elba ausgeführt, ihn wieder auf den Schild gehoben um ihn von neuem zu verlieren ?
Doch war selbst unter ihnen die Disciplin stärker als
die. Verzweiflung.
Die Pflicht hielt sie zurück , eine Pflicht ohne Be-
geisterung , ohne Vertrauen.
Sie blieben bei der Fahne , wie wenn
dieſe Alles wäre , was vom Vaterland übrig blieb und dieß war bei diesen Männern keine mittelmäßige Tugend , da mehre Generale fich schon beeilt hatten sie zu verlassen.
Der Vorwand war , sie hätten feine
Truppen mehr ; die Wahrheit aber daß sie sich zu der neuen Gewalt stürzten.
Außerdem waren mehre von ihnen von Gewissensbissen er-
griffen und das Beispiel der Soldaten hatte die Führer wieder zurückgeführt. Die Armee kam daher erschüttert vor Paris an, wol wissend daß sie
hier das Ende aller Ungewißheit finden werde , aber noch zu großer Anstrengung fähig , wenn man sie von ihr im Namen einer großen Sache verlangte. Die Versammlung der Repräsentanten hatte ihnen Abgeordnete entgegen geschickt.
In deren Zahl war General Mouton-
197
Duvernet.
Er hielt jenseits Soiffons vor den ersten Flüchtigen an die
er traf. Er bat sie die Waffen wieder zu ergreifen , er beſchwor sie, nicht mehr im Namen Napoleons sondern im Namen der Freiheit , der Verfassung , der Unabhängigkeit und er selbst berichtet daß er ihnen heftige Thränen entlockte. Was konnte man noch mit solchen Männern versuchen ? Alles hing von der Regierung und der Meinung ab , die man in Paris traf. Marschall Grouchy commandirte als Chef. 1 Man hatte noch nicht das Unglück ihm zur Last gelegt. Die Beschuldigungen hatten noch nicht Zeit gehabt ihn zu verderben.
Er hatte im Gegen-
theil zugenommen , da er ſein Corps unversehrt zurückführte. Man war bereit ihm für seine Treue wie für einen Sieg gerecht zu werden.
6. Marsch des Feindes auf Paris. Unterdeſſen hielt nichts den Marsch der feindlichen Armeen auf und schon machten sie aus der Legitimität eine Kriegsmaschine ; denn wenn man sagen darf daß die Rückkehr der Bourbonen keiner der zugestandenen Zwecke der Coalition von 1814 war , so darf man von 1815 nicht das Gleiche versichern.
Den zweitfolgenden Tag nach der Schlacht
von Waterloo richtet der Herzog von Wellington im Siegesstolze einen Tagesbefehl an seine Soldaten , und erklärt , daß die fremden Herrſcher die Verbündeten des Königs von Frankreich seien. also hat man gesiegt.
Für die Bourbons
Engländer , Preußen , Holländer , Hannoveraner,
alle haben dieselbe Sache und diese ist die des legitimen Königs. Man muß, um sich über die Absichten des Feindes zu täuschen , durchaus getäuscht sein wollen.
Gleichzeitig begibt sich Ludwig XVIII. , durch
den englischen Feldherrn herbeigerufen , inmitten der Invasionsarmee. Er zieht mit ihr.
Er fordert die widerstehenden Plätze auf sich zu
ergeben , z . B. die Citadelle von Cambrai , und sie ergeben sich : verderbliche Siege für den Sieger , denn sie machen den legitimen Fürſten bei seinem ersten Schritte zu einem Feinde. Das Haus Bourbon ſollte einst diese leichten Siege theuer bezahlen. Der Herzog von Wellington begriff ganz das Gefährliche eines Einbruchs in Frankreich durch die drei Festungslinien , welche auf dieſer Seite dessen Grenzen deckten.
Nie waren sie bewältigt worden.
1793
sah man das siegreiche Europa vor diesen Linien anhalten und , von ich weiß nicht welcher abergläubischen Furcht ergriffen , mit obscuren
198
Belagerungen Armeen von 200000 Mann aufreiben , ohne einen Zoll Boden zu gewinnen. Dieser Glaube an Frankreichs Nordgrenzen war noch nicht ganz dahin ; bevor er ihm die Stirn bot , wollte der englische Feldherr um sich zu sichern seine Stüße in einer öffentlichen Meinung suchen. Ein Glied eines freien Staates , unterrichtete er sich von dem Geiste der Kammern , der Trennung der Parteien , hierin sehr verschieden von Blücher , der nur vorzugehen verlangte , und sich weder mit Hoffnungen noch Furcht vor der französischen Nation beunruhigte. Die Parteien betreffend , so machte er sich einen Ruhm daraus , ihnen Allen zu troben und sie zu hassen , wie sie auch hießen. So verstanden sich denn die beiden feindlichen Generale dazu , den kühnsten Plan auszuführen , der eine weil er im alten Königthume eine Stüße gefunden , der andere weil er glaubte alle Vorsicht entbehren zu können.
Sie wollen vernachlässigen , was an der Sambre von der
französischen Armee übrig ist , wollen ihr nicht auf ihrer Nückzugslinie über Laôn nach Soissons folgen , sondern , hinter sich zugleich die französische Armee und den dreifachen Festungsgürtel laſſend , auf Paris marschiren , ohne abzuweichen oder anzuhalten. Wenn man über die Dise Brücken schlagen muß , soll der Herzog von Wellington seine Equipage Blücher leihen , da die preußische Armee in ihrer Ungeduld sich nicht mit einer derartigen Bürde beschweren wollte. Dieser einem Streifzuge ähnliche Plan wurde alsbald ausgeführt. Die beiden feindlichen Armeen überschreiten am 21. die französische Grenze und am folgenden Tage , dem der Abdankung , richtet Wellington eine zugleich süßliche und barbarische Proklamation an die Franzosen. Er droht darin , allen Denen , welche von ihrem Wohnorte abwesend betroffen werden , ihr Eigenthum zu nehmen.
Durch eine eigenthümliche
Spitfindigkeit datirt er diese Proklamation von Malplaquet , als ob Waterloo nicht genügte ! Garden zu Crecy.
Einige Tage später bivouakiren die engliſchen
Dieß waren also die Stellen unseres Unglücks,
denen die englische Armee folgte.
Marschall Blücher verschonte uns
wenigstens mit seinen Proklamationen und Lächeln. ihm solche Vorauszahlung nicht.
Sein Haß gestattete
Er bleibt schweigend , ganz hingegeben
seinem Haſſe , ſeiner Eile, seinem Drange, zuerst ans Ziel zu gelangen, zuerst uns von der Oise , der Somme und wo möglich von Paris abzuschneiden.
Und wer weiß ob es ihm nicht gelingen wird ? Denn er
hat die englische Armee um einen Tagemarsch zurückgelassen.
Er mar-
199
schirt im Flügelschwunge über Beaumont und St. Quentin gegen die Dise.
Er erreicht sie am 27. zu Compiègne und zu Creil vor den
Franzosen.
Erlon der die Avantgarde der gesammelten Armee führt,
kommt eine Stunde zu spät in Compiègne an.
Die Straße von Paris
ist versperrt ; die Stadt und die Brücken sind bereits von einer preußiſchen Brigade besetzt.
Nach einem Gefecht von 12 Stunden , durch
welches er seinen Rückzug maskirt , wirft Erlon sich auf die Route von Soissons nach Senlis zurück.
Dasselbe war andern französischen
Abtheilungen begegnet , als sie sich bei Creil zeigten. Corps Bülow , das ihnen den Weg verlegte.
Sie fanden das
So war die Linie der
Dise den Preußen schon gesichert.
Sie hatten ihre Feldwachen am 27. in der Umgegend von Villers - Cotterets. Zu Compiègne , Crespy, Senlis stieß man auf den Feind und bei diesen Verwicklungen fanden sich die vereinzelten durch ihren ungeordneten Marsch zerſtückten preußischen Corps ebenso in Verlegenheit wie die Franzosen. Die einen wie die andern waren gleich abenteuernd , die erstern durch übermäßiges Vertrauen , lettere durch die Zufälle eines übereilten Rückzugs .
Mehr als
einmal sahen sich die Spizen der preußischen Colonnen von denen umringt , welche sie einzuschließen dachten ; aber die Notwendigkeit Paris zu gewinnen und die Einbildung , welche den Feind vergrößerte , hinderten daß man die Gelegenheit nüßte. Zu Senlis gelang es dem General von Sydow , der vor sich Kellermann und hinter sich Erlon hatte , sich aus diesem gefährlichen Zusammentreffen zu ziehen.
Zu Villers - Cotterets
wird Pirch, der Grouchy überrascht , selbst durch Vandamme überrascht und es gelingt ihm nur durch einen forcirten Marsch von 38 Stunden zu entwischen , indem er vor den Fliehenden flieht.
Die erste preußische
Diviſion war über la Fère , Villers - Cotterets , Crespy , Gillicourt zerstreut. Die andern Divisionen waren nicht besser gesammelt und das Gros der Armee zwei Tage von den Engländern entfernt.
Diese Zer-
streuung des Feindes konnte ihm theuer zu stehen kommen ; aber er glaubte Alles wagen zu dürfen. Er war noch durch den geringen Widerstand mehrer Grenzstädte ermutigt worden , die auf die erste Aufforderung fielen.
In zwei Tagen hatten sich Avesnes , Guise , Ham
ergeben und mit diesen Plähen fiel nicht nur das Moralische Frankreichs ; sie waren Stützpunkte des Einbruchs.
Der Marsch auf Paris,
welcher anfangs ungeordnet erſchien , hatte eine gesicherte Basis. Groucht , der zu Soissons den Befehl als Chef erhalten hatte,
200
kam an Spize des sechsten Corps und der Garde zurück.
Er erreichte
Levignon welches die Preußen Ziethens schon paſſirt hatten. Da dieſer Weg verschlossen war , wendet Grouchy sich links gegen die Marne und er vollendet seinen Rückzug über Assy , Meaur , Claye und Vincennes. Derselbe Grund veranlaßte Vandamme , sich über la Fertè , Milon und Meaur zu dirigiren. Er paſſirt die Marne bei Lagny und geht Paris vorbei um auf dem linken User das Plateau von Montrouge zu besetzen. Reille hatte , lebhaft gedrängt , mit dem zweiten Corps Erlon wieder erreicht.
Jenfeit Nanteuil hatte der Prinz von Preußen ihnen 2000
Gefangene abgenommen;
aber er konnte sie nicht hindern ohne zuviel
Verlust ihren Zweck zu erreichen : sie vereinigten sich über St. Denys mit dem Gros der Armee. Während die Franzosen nach einem Verluſt von einigen 1000 Mann die auf dem Rückzuge gefangen wurden , fo nach Paris zurückkehrten , sich durch die Marne deckend , kamen die Preußen angesichts der Ebene von St. Denys an.
Man sagte daß
bei ihrem rasenden Marsche Paris der Preis des Laufes sein werde ; aber hier wurden sie plötzlich durch Vertheidigungslinien aufgehalten, welche von dieser Seite die Hauptstadt deckten.
Es war anfangs von
la Villette bis St. Denys der Ourcqcanal , 30 Fuß breit und voll Waffer. Er schloß den Bogen der Seine. Längs des innern Ufers bildete ein hoher Damm eine vortreffliche Brustwehr , in welche für Geschütz großen Kalibers Schießscharten geschnitten waren. Die Stadt St. Denys , die als Stützpunkt diente , war befestigt , in der Umgegend das Terrain unter Wasser gesezt und der Posten von Aubervilliers auf Flintenschußweite vor der Linie besetzt. Starke Batterieen und Arbeiten schüßten die Barrieren von Paris und stellten sie gegen einen Handstreich sicher.
Ein Brückenkopf auf dem linken Marneufer deckte die
Brücke von Charenton.
300 schwere Geſchüße armirten dieſe Arbeiten.
Die Linie zwischen St. Denys und Vincennes war durch das erste, zweite und sechste Corps vertheidigt , die Garde in Reserve zu Menilmontant , die Reiterei im Gehölz von Boulogne. Vandamme hatte mit dem dritten und vierten Corps und der Reiterei Excelmans' auf dem linken Ufer Stellung genommen ; aber hier waren die Vertheidigungsarbeiten kaum begonnen. Die Armee , welche Paris zu decken kam , zählte noch 70000 Mann. Hierzu 17000 vereinigte Tirailleurs , meist alte Soldaten , und 30000 Mann der Nationalgarde , wodurch die Zahl auf 117000 Mann steigt.
201 Was konnte man nicht von dieſen 117000 Franzosen erwarten , die auf die eben beschriebenen Verfchanzungen geſtüßt für ihren Herd kämpften ? Die Engländer und Preußen waren nach den Entsendungen die sie zum Maskiren oder Blokiren der nördlichen Plätze machen mußten , nicht viel zahlreicher. Grouchy gab beim Eintritte in Paris , als die Beschuldigungen gegen ihn begannen , ſeine Entlassung , da er zu ſehr an sich zweifelte oder zu sehr am Vaterlande verzweifelte. Marschall Davouft ersetzte ihn im Oberbefehl ; er nahm sein Hauptquartier zu la Villette.
7. Die Kammer der Abgeordneten. Zu Paris beim Volke war die Wirkung der Abdankung natürlich viel geringer als bei der Armee. Die Ueberraſchung kam nicht hinzu; denn man hatte Stunde für Stunde die Macht Napoleons weichen und verschwinden sehen.
Wie wenn er für immer die Gewalt verehrt zu
werden darstellen sollte , gab es als die Kraft ihm fehlte , Mitleid für ihn in den Massen ; mit dem Mitleid kamen die Prüfung , die Kritik und bald der Tadel des Idols.
Jeder wandte sich der öffentlichen Sache
ab , sei es daß das Wort Fatalität , welches so oft und stark ausgesprochen wurde , alle Herzen erstarrt hatte , sei es vielmehr daß man sich gewöhnt hatte, Alles , Vergangenheit , Gegenwart , Zukunft , in einen einzigen Mann einzuschließen.
Als er fiel , blieb nichts übrig , das die Mühe
eines Opfers wert war.
Jeder zog sich zurück wie von einem öffent-
lichen Schauspiel nachdem der Vorhang gefallen ist. Man würde niemals gedacht haben daß ein solcher Mann , durch ein so großes Wunder wiedererhoben , von neuem fallen und in solchem Schweigen des Volkes verschwinden könnte.
Keine Protestation , kein
Versuch der Erhebung gegen die neue Bestimmung , als nichts das Volk hindern konnte seine Unzufriedenheit zu zeigen und es die Armee zum Genossen hatte , sondern ein rascher und stummer Gehorsam und nach= dem die Entsagungsakte vollendet war , kein Murren ! Man eilte diesem letzten Willen des Gebieters zu gehorchen , ohne zu untersuchen ob er frei oder erzwungen war. In unsern Provinzen kein Wort , nicht einmal ein Lebewol dem Besiegten. Auf dem langem Triumphzuge von Cannes nach Paris überall daſſelbe Schweigen , die Ueberlassung oder Unterwerfung unter das was wir als Fatalität zu bezeichnen lernten ! Als
202 der Feind sich in Maſſen von Ort zu Ort näherte , vergruben die Treuesten oder Ausgezeichnetsten ihre Waffen und Fahnen. Inmitten dieser Erſtarrung ſchien alles Leben in der Verſammlung der Repräsentanten concentrirt. Ihr kam es zu die von Napoleon hinterlassene Leere auszufüllen.
Diese Versammlung der hundert Tage war
damals was sie mit der Erziehung der fünfzehn Jahre des Schweigens, der Vergessenheit , der moralischen Unthätigkeit ſein konnte : ein Wunſch nach Freiheit , ohne zu wissen welche ; die Erschlaffung einer langen Knechtschaft und die Ungeduld , ſie zu verlassen ohne sagen zu können auf welchem Wege ; keine Ueberlieferung und so zu sagen keine Erinnerung, denn niemand würde gewagt haben die Traditionen der Republik , ſelbſt die bessern , heraufzurufen und sich an diese großen Tage anzulehnen ; sie waren durch so viele noch frische Beleidigungen ausgelöscht !
Daher
eine Versammlung , in der niemand sich kennt , eine Tochter der französischen Revolution und dieß nicht anzuerkennen wagend ; kein ausgesprochener Grundsah , keine entfaltete Standarte , kein Parteiführer der sich Anhänger zu gewinnen wagte ; die Bessern , ihrer Vergangenheit treu, aber im Geheimen und wol wissend daß niemand ihnen folgen würde wenn'ſie jene anriefen ; die andern , neue Menschen , in voller Sklaverei gebildet , erstaunt frei zu sein , bald erschrocken keinen Gebieter mehr zu haben , eifrig sich einen neuen zu suchen indem sie stürmisch blindlings die Lücke ausfüllten durch den Namen eines Kindes , Napoleon II. , das in des Feindes Händen war , und nichts thaten daß diese Demonstration Ernst werde ; die Gescheidtern gewiß daß dieß nur eine Lockſpeiſe iſt , um die Unzufriedenheit des Volkes und der Armee hinzuhalten ; die größere Zahl sich in einem halben Betruge gefallend, in dem ihr Gewissen abhanden kam ; alle sehend oder fühlend daß die Herstellung des göttlichen Rechts im Grunde ihrer Werke sei , aber glaubend daß sie genug dagegen gethan hätten weil sie es nicht ge= nannt hatten. Man kann diese Versammlung durch kein Band an unſere großen Versammlungen der Revolution anknüpfen , welche zu verstoßen sie stets für ihre Ehre hielt. Sie würde es für Schande angesehen haben sich republikanisch zu nennen , sie die den Zerstörer der Republik gestürzt hatte. Weder republikanisch , noch bonapartisch , noch royalistisch, was war sie denn ? es würde ihr unmöglich gewesen sein zu sagen.
Nichts
in der Welt ist der Verwirrung dieser Versammlung ähnlich als sie
203
fand daß sie keinen Herrn mehr habe.
Sie wagte nicht zu gestehen
daß sie frei sei. Als man sie frug in wessen Namen ſie Geseze gäbe, hatte sie keine Antwort. In dieser tiefen Leerheit der Kammern , die nicht einmal wagten sich zu erinnern welche Zeiten dem 18. Brümaire vorangingen , rief eine Stimme mit Ironie : " warum schlagt ihr uns nicht eine Republik vor ? " dieß Wort brachte plötzlich Klarheit in die verwirrten Geister. Alle fühlten daß es in der That nichts Mögliches gebe , als das allgemeine Recht oder die Reſtauration ; da das erstere durch seinen bloßen Namen Furcht erregte , bereitete sich jeder im Geheimen die Restauration des göttlichen Rechtes anzunehmen , welches er Die einzige Partei welche Frankreich vor der Invasion gerettet hatte war also die alleinige , deren Namen Niemand weder öffentlich noch geheim auszusprechen wagte. " Sie sind solche
in öffentliches umschrieb.
Dummköpfe ! " sagte Fouché , der sich nicht mehr die Mühe der VerIn der That , wenn eine Versammlung sich außerhalb
stellung gab.
aller Grundsäße , jeder Ueberlieferung stellt , so ist es unglaublich bis zu welchem Punkte die Intelligenz , die Hellsichtigkeit und Unterschei= dungskraft sich von solchen großen Körpern wie von einer leblosen Sache zurückziehen können. Sie bewahren die Macht , selbst mit Kunst zu reden und ihre Worte dienen nur dazu ihnen die Wirklichkeit zu ver bergen, welche selbst Kinder klar bemerken , denn wir sahen den Feind mit großen Schritten ankommen und nur die Verſammlung sah es nicht oder wollte nichts davon wissen , in der Gewißheit , den Marschall Blücher und seine Uhlanen durch irgend ein den Unterhändlern gesandtes Diese Versammlung , das Produkt eines Amendement zu erfreuen. Schweigens das alles verödet hatte, erwachte wie Epimenides ; aber von dieſem langen Schlafe benebelt ging ſie taſtend mit geschlossenen Augen auf Alles los , was sie vermeiden wollte. Die am wenigsten Neulinge waren , wurden da sie sich ihrer Vorfahren nicht erinnern wollten, zu einem beständigen Widerspruche. Derselbe Manuel , den wir etwas später so fest, so klar , so unerschrocken sehen sollten , schien der Simpel von Allem was ihm begegnet. Dieser so rechtschaffene Mann ist das blinde Werkzeug Fouchés mit dem er die Wohnung theilt.
Dieser Republikaner hat Entsehen vor der Republik ; dieser
Freund der Gleichheit fordert Erblichkeit des Senats ; dieſer Bonapartiſt öffnet den Bourbons die Thore , die er morgen verwünschen wird. Machen wir diesen Männern nicht zu lebhafte Vorwürfe , der politische
204
Geist findet sich nicht in einem Tage wieder.
Denen welche die Freiheit
verlernt hatten war ein neues Noviziat notwendig , um sie wieder zu lernen.
Man sah nur einmal in der Welt , 1789 , ganz gerüstete,
stolze, intelligente , von 1000 Fackeln zum Verlassen der Knechtschaft erhellte Versammlungen erscheinen ; aber in dieser Knechtschaft gab es das Wort eines Montesquieu , Voltaire , Rousseau und dieſe großen Tribunen des menschlichen Geistes hatten ein ganzes Jahrhundert beherrscht. 1815 dagegen erwachte man aus einem Stillschweigen , das von Niemand unterbrochen war. Nur eine Frau , Frau von Staël, hatte gewagt einige verschleierte Wahrheiten entschlüpfen zu lassen ; aber fie waren kaum von einer fleinen Zahl verstanden worden , denn die Verfaſſerin war proſcribirt und man fürchtete die Ansteckung des Erils, wenn man aus ihrem Munde Wahrheit empfinge.
Man mußte sich
daher auf alle Fehlgriffe gefaßt halten , welche die Entwöhnung von öffentlichem Leben und von dem Gedanken selbst bei den Beßten her= vorbringt. Wir verstanden 1815 nicht eines mehr der großen politischen Werke , die aus freiem Geiste entſprungen waren. Dieß war für uns ein verlorenes Wörterbuch. Man war Manuel und Andern unendlich gram , weil sie einige Widerklänge daraus hervorbrachten. Dupin sah . sich als Redner und Seele dieser Epoche. Man suchte nicht einmal, was der unter den oft zweideutigen Worten versteckte Sinn sei und die Verwirrung dieses ersten Stammelns der Freiheit diente den entgegengeseztesten Hoffnungen.
Das Vergnügen des Wortes nach so langem
Schweigen genügte den seltenen Geistern , welche damals das Haupt der Parteien bildeten; aber das Volk , die Menge sollten noch lange taub für diese Macht bleiben , welche sie vergessen oder nie gekannt hatten. Diese allmälige Ohnmacht des öffentlichen Gewissens scheint eine der Bedingungen Frankreichs. Einige Männer halten sich besser und geben den andern das Gefühl ihrer selbst zurück. Nach diesem verschwindet Alles von Neuem und stellt sich in derselben Weise wieder her.
Die
Nation scheint ich weiß nicht welches Vergnügen an diesem grausamen Spiele zu finden , in dem sich ihre Beſtimmung verliert und wiederfindet. So war diese Versammlung , ein Bild des geknechteten und zweimal besiegten Frankreichs.
Unter so vielen fast sämmtlich freiwilligen Täu-
schungen gibt es doch eine , der die Kammer der Abgeordneten entging. Mit erstaunlicher Raschheit sah sie , daß der Despot von gestern
205
nicht lange den Zügel der Geseze ertragen würde, daß er um sich ſeiner zu entledigen nur warte , bis er der Stärkere geworden sei und fie wartete nicht die Niederlage ab , um ihren Widerwillen zu zeigen. Bei Eröffnung des Feldzugs als Alles günstig schien , ließ sie keine Gelegenheit vorübergehen , ihren Argwohn auszusprechen ; er ging fast bis zum Haß denn sie weigerte sich von Hause aus , Napoleon den Titel des Retters zu verleihen , dann den des Großen, als die Sachen noch ungewiß standen ; später aber entschleierte sie sich ganz.
Bei der
Nachricht der Schlacht von Ligny war ihr erster Gedanke , Garantieen gegen den Kaiser zu suchen , wodurch sie zeigte , daß sie Napoleons Siege fast so sehr wie sein Mißgeschick fürchte , so tief war die Trennung, so unmöglich der Bund zwischen dem alten Gebieter und der neuen Freiheit.
Und nun , da er besiegt war , entfesselte sich der Groll ohne
Scheu im Namen des öffentlichen Wohls.
Wie Napoleon in seinem
Glücke alle Hoffnungen erregte , so erregte er bei seinem Falle allen Zorn. Man sah keine Gefahren , selbst keine Schwierigkeiten mehr , als in ihm ; die 500000 Feinde , welche die Grenzen überschritten , verschwanden , man dachte kaum an sie.
Er war fortan der einzige Feind :
er entferne sich , er verschwinde und Alles ist gerettet ! sich des Idoles von gestern zu entledigen , war der einzige Wunsch , aber er war eine unwiderstehliche Leidenschaft.
Man würde von allen Uebeln zugleich
befreit sein, wenn man sich des noch anwesenden Herrn entledigte , denn selbst gestürzt würde er allein noch die Geister erfüllen.
8. Fouché. Aus dem Schoße dieſer Versammlung taucht einen Augenblick ein Mann auf, Fouché von Lyon und Nantes , jezt Herzog von Otranto , der seinen Aufschwung nur in solchen Zeiten nehmen konnte , von unserem Elende genährt, in unſern Trümmern verborgen, und der in dieſem Augenblicke das Temperament unseres Mißgeschickes besaß.
Er erhielt von
der Versammlung , welche ungeduldig war sich in seine Hand zu geben, Vollmacht und wurde der Herr Frankreichs in der provisorischen Regierung , denn von den fünf sie bildenden Mitgliedern : Fouché , General Grenier, Quinette , Caulaincourt , Carnot , hieß der Erstere Präsident und die Macht war nur bei ihm. Man bewundere hier die durch lange Sklaverei erzeugte Leere : nach Napoleon blieb nur Fouché !
Lafayette
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gelangte nicht einmal dazu einer der „ fünf Kaiser “ zu werden wie man fie nannte , da alle Parteien sich vereinigt hatten um dieſen unbequemen Menschen auszuschließen , der in dem öffentlichen Ruin nur das Recht und die Gerechtigkeit darstellte. Er selbst beschuldigt die alten Republikaner ihn zurückgestoßen zu haben als einen Feind der alten und neuen Adelstitel.
Fürchteten sie , mit ihm sich einzulaſſen weil er fie
an ihre Vergangenheit erinnerte in dem was es Besferes gab ?
Man
wirft Carnot vor nicht das eherne Herz geweſen zu ſein wie ehedem ; aber was vermochte diese ernſte Gestalt , bei der der Heroismus etwas von der Sanftmut der Wissenschaft hatte ? Name nicht mehr ausgesprochen. kannten wir ihn nicht mehr.
Seit 15 Jahren war sein
Bei unserer Fähigkeit zu vergessen
Wo waren seine Parteigänger , seine Ge-
fährten , seine Freunde , alle die auf welche die Erinnerung noch hätte wirken können ? Verfolgt, zertreten, hatte man aus ihrem Namen eine Beleidigung gemacht und das Volk für das sie mehr als das Leben geopfert hatten , beachtete sie nicht oder fügte nach seiner Gewohnheit die Insulte dazu. Wie konnten diese lebendig begrabenen Männer in einer Stunde ihr Ansehen wiederfinden ?
Es reicht nicht hin stark zu
sein , unsere Stärke muß auch einige Beziehung haben zu Dem was uns umgibt. Sie versuchten wieder zu erscheinen , aber verzagt , wie die Andern Phrasen über Freiheit stammelnd , selbst erstaunt , sich durch die Undankbarkeit und Schmach zweier Generationen so verändert zu sehen. Und es waren nicht nur die Männer der Revolution , welche das Kaiserreich entwaffnet hatte ; jeder Freund der Freiheit war im gleichen Bannfluche begriffen : ob er ein Tropf oder Jakobiner war. Wir hatten mit der Milch die Mißachtung , die Furcht , den Widerwillen vor Allem eingesogen was dem geheiligten Ursprunge , dem 18. Brümaire , voranging ; diese Welt war uns hundertmal als ein Chaos voll Ungeheuer gemalt worden , und wenn es noch irgend einen Helden jener Zeit gab, ſo wiesen wir mit Fingern auf ihn , er verursachte Furcht. Er selbst schwieg über eine ihm ruhmvolle Vergangenheit ; er schien das Land um Verzeihung zu bitten dafür , daß er es einst gerettet hatte. Wie konnte aus dieser Schwäche , dieser Demütigung der Starken , dieser fortge= setzten Steinigung der bessern Namen durch eine ganze Generation ein Heldenmütiger Entschluß hervorgehen ? Väter zu verleugnen.
Schon begannen die Kinder ihre
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Ueberdieß möge man über die andern urtheilen , wenn selbst Napoleon durch die Ereignisse zu Nichts gemacht wurde !
Die Gefahr,
das Unbekannte , die Erwartung machten sie erstarren und dieß ist es ohne Zweifel was die Alten Fatalität , Schicksal , nannten , wenn die Geister gebunden , verblendet sind und keine Klarheit ihre Verfinsterung durchbrechen kann.
In dieser zerstörten Geſellſchaft bleibt ein Mann
aufrecht , er bewahrt seine Fähigkeiten , und sein kaltes Blut inmitten der allgemeinen Dumpfheit : Fouché ist es.
Bei den andern ist die
Intelligenz aufgehoben ; ſie ſind von jener Art geheiligtem Stumpffinn getroffen , welcher auf zu gewaltige Schläge des Schicksals folgt. Fouché allein denkt für alle und jeder seiner Gedanken ist ein Betrug. Er allein handelt und jede ſeiner Handlungen ist ein Fallſtrick.
Man faßt
ihn in seinem Verstecke ab , er lacht dazu und man lacht mit ihm. Seine Briefe des Einverständnisses mit dem Feinde werden aufgefangen, er hält sich darüber auf; Ueberrumpelungen , er läßt sie kühn auf der Tribüne lesen und die, welche er durch diese Briefe bloßgibt , erklären fich damit befriedigt.
Behert , geblendet , verdummt (welches Wort soll
man wählen ?) klatschen ſie mit ihren gebundenen Händen dieſem Judas mit dreifachem Gesichte Beifall. In dieser Erschöpfung aller andern ragt er mit ungeheuerlicher Größe empor.
Nicht nur ſind ſeine Fähigkeiten nicht gelähmt , ſie
schärfen sich noch , sie erreichen ihre größte Entfaltung.
Er hat seinèn
Mittepunkt , sein natürliches Element in dem Ruin gefunden und er spielt in diesem außerordentlichen Unglücke mit der Todesangst eines Volkes.
Seine matte , farblose Sprache färbt sich.
poleon ?
"1 Ein großer Mann der zum Narren wurde ! "
Was ist ihm NaUnd die Pro-
ſcription die er gegen seine Freunde ins Werk sezt denen er die Hand drückt ? " Ein dichtbelaubter Baum , um sie vor dem Sturm zu schüßen ! " Jeder kam um bei dieser Sphinr das Wort des Rätsels zu ſuchen.
Als dieses gelöſt iſt , erfindet er ein anderes.
Und es handelt
sich um eine Nation , die größte von allen ! ' welches Spiel ! welche Lehre ! welch' unglaublicher Sturz und was kostet es , sich einmal der Macht und Phantaſie eines Einzigen überlassen zu haben ! Alle erfahren nach der Reihe die Beherung der Natter in den Ruinen ; erst Napoleon, dann Ludwig XVIII. , dann der Graf von Artois . Weder die Revolution , noch die Gegenrevolution , noch der rothe Schrecken,
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noch der weiße Schrecken können ihn umgehen. Er ist allen ihr verderblicher Minister oder vielmehr er ist der Herr , der Tribun , der König , der Kaiser in diesem Zwischenreich des Rechts und Gesezes. Er thront in dieser Leere.
Man sehe doch !
Diese Gestalt beherrscht
Alles , erfüllt Alles ; dieses bleiche , gestählte Gesicht , das von einem zum andern geht , ist was in diesem Momente von dem ruhmreichen Frankreich , der Gebieterin der Völker und Könige , übrig ist !
Hier
dürfen die triumphiren , welche die Wirklichkeit über die Poesie stellen, denn es ist gewiß daß kein Kunstwerk der Dichter eine so zuſammengesetzte , vielseitige Persönlichkeit einschließt als die , welche die Geschichte uns hier zeigt.
In den Gebilden der Dichter folgen Narciß , Macbeth,
Jago , nur einem Lebenszwecke zugleich und werden davon abſorbirt. Fouché hat nicht einen Zweck allein : er hat deren zehn , zwanzig auf einmal ; er arbeitet daran wie ein Weber an seinem Geschäft.
Wenn
er überrascht wird , zettelt er eine neue Falle an und das iſt ſein Meiſterſtück. Alle sind entweder verwirrt oder verzweifelt ; er allein ist der Trauer unzugänglich. Er ist glücklich ; er triumphirt in dem allgemeinen Ruin. Aber laſſen wir diese Persönlichkeit. Auch sind wir von ihr nun auf dem Punkte angelangt , daß es in der Geschichte nicht mehr angemessen ist , von Abfall , von Verrat zu reden.
Für alle diese Dinge
haben wir milde Worte , welche die wahre Lebensart sind. indeſſen hierbei cine Schwierigkeit.
Es gibt
Man könnte sagen daß die mensch=
liche Seele todt sei und dieß ist nach Allem die schlimmste der Katastrophen.
9. Napoleon zu Malmaison. Zur selben Zeit , am 25. Juni , zog sich Napoleon den Befehlen folgend , die man noch mit einem andern Namen schmückte , nach Malmaiſon zurück. Hier erweckt ihn die Einsamkeit , von dem Glücke des Consulats erfüllt , wie aus einem Traume. In einer ersten Proklamation , die er in der Eile diktirt , vergißt er daß er dem Kaiserthume entsagt hat. Er beklagt sich, beschuldigt , befiehlt und sich plößlich erinnernd daß nicht mehr der Gebieter reden darf, ändert er den Ton : er beschwört und ermutigt. Es ist das Lebewol eines Feldherrn an die Waffengefährten ; aber selbst unter dieser Form , die nichts mehr vom ehemaligen Kaiser erscheinen läßt , werden seine Worte nicht an die gelangen,
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an welche er sie richtet.
Fouché widerseht sich.
Napoleon hat nicht
mehr die Macht , ſelbſt ſein Lebewol in den Moniteur einrücken zu laſſen ! Er erfährt in seiner Reihe was ein Schrei der Seele ist , der durch polizeiliche Hand unterdrückt wird ; wie wenn dieß ihm nichts Neues sei , zeigt er darüber weder Erstaunen noch Schmerz. Es war dieß schon eine Art Eril , denn man sah nur noch die um ihn welche entschlossen waren sich des Vaterlandes mit ihm zu berauben , wenn es sein müſſe jenseit des Oceans ! Und diese erwarteten zum erstenmale nichts mehr von den plöhlichen Eingebungen seines Genies , das sich selbst verließ.
Sie trafen schon ihre Vorbereitungen
zur Abreise ; jeder sagte seine Meinung wie wenn das Mißgeschick schon ich weiß nicht welche Gleichheit unter ihnen hergestellt habe.
Der Herzog
von Rovigo riet ein leztes Mal zu den Waffen zu greifen , der Herzog von Baſſano zu entsagen , der Herzog von Caulaincourt sich zu beeilen um dem sich nähernden Feinde zu entgehen.
Selbst der Kabinetssecretair,
Fleury de Chaboulon , gab seine Meinung ab , sich den verbündeten Generalen zu stellen und als Opfer anzubieten , ohne Versuch , sich durch die Flucht zu entziehen. Inmitten so vieler Widersprüche , bald mißtrauisch , bald gläubig, immer ungewiß , wägt und verhandelt Napoleon nach der Reihe dieſe Ansichten. Er schließt sich mit seinen Ratgebern ein und hält sie zurück, je nachdem ihre Meinung ihm vorzuziehen scheint ; dann eröffnet er selbst plöhlich eine neue und es scheint dann a's wolle er nur die Zeit hinbringen und seiner wie der Andern Einbildungskraft eine Weile Nahrung geben. In diesen Augenblicken sieht er sich schon jenseit des atlantischen Oceans , in Amerika , wie der erste Mensch seine Herden hüten, den Frieden suchen und endlich finden in Meriko , Caracas , Californien, denn er hängt sich an alle diese Namen ; aber bald aus diesem Abenteuer erwachend kommt er auf den ganz reellen Plan zurück ſich den Soldaten in die Arme zu werfen. Man widerspricht ihm dann ; er ergibt sich dem ersten Worte. " Gut , ich sehe wol , daß man stets weichen muß ", fügt er hinzu als wenn alle seine Projecte nur leere Einbildung wären. Dieser Herr der Welt ist in dem Augenblicke schwächer als ein Rohr ; der geringste Hauch treibt ihn im entgegengesetzten Sinn. Anderemale beängstigt ihn dieſe klägliche Unsicherheit ; er unterbricht sich , horcht , frägt ob das Volk , die Armee sich nicht für ihn erheben.
Werden die Soldaten nicht kommen um ihn seiner Thatlosig-
Quinet, Feldzug von 1815.
14 .
210
keit zu entreißen die schon ein Beginn der Gefangenschaft ist ? Man # Wie , verlangt Paris nicht nach mir ? " Er fährt
hört ihn rufen :
beim fernen Waffengeräusch auf.
Einige Abtheilungen , die auf der
großen Straße ziehen , lassen noch hier und da die Luft von ihren Zurufen ertönen ; aber diese Corps wenden sich nicht gegen Napoleons Wohnung : er erwartet von andern einen Anstoß , einen Trieb den man gewohnt ist von ihm zu empfangen !
Wenn er sich nur zeigte, wenn
er handelte , wer weiß was seine bloße Gegenwart noch auf die Menschen hervorbringen könnte ? Aber eingeschlossen , unsichtbar hinter den Mauern dieses entfernten Hauses , hofft er vergebens daß die Menge für ihn den Entschluß fassen werde , den er weder fassen noch aufgeben kann. Da sie einen solchen Mann unthätig sahen , hielten Alle das Handeln für unmöglich.
Die Unthätigkeit wovon er das Beiſpiel gab , erfaßte
schnell die Entschlossensten.
Alle nannten es wie er Entsagung .
Und
wirklich, wer konnte noch an sein Glück glauben , da er selbst aufgehört hatte, daran zu glauben ? Bei dieser langen Pein der Erwartung fehlt noch der Schimpf. Man meldet daß General Bekker ankomme , mit dem Auftrage, Napoleon im Namen der provisoriſchen Regierung zu verhaften. Man täuschte sich. General Bekker war nur beauftragt , ihn zu überwachen, unter dem Vorwande seine Sicherheit zu garantiren. Mit einigen Worten unterjocht Napoleon seinen Wächter und macht seinen Anwalt bei der Regierung aus ihm.
Durch die Nachrichten welche der General über
die Stellung der Feinde bringt , faßt Napoleon den Gedanken , Blücher für seinen verwegenen Marsch den Engländern voraus zu züchtigen. Er schlägt vor von St. Denys zu debouchiren ; er macht sich verbindlich die Preußen einzeln zu schlagen , ehe ihre Alliirten in Linie ſein können.
Dieß ist sein letter kriegerischer Einfall.
denselben ausführen lassen.
Man möge ihn
Wenn er diesen lehten Sieg erlangt haben
wird , so werde er abreisen und sich übers Meer entfernen. Alles was er will und fordert ist , durch diesen lezten Triumph dem französischen Gouvernement eine Stüße für die Unterhandlung zu geben.
General
Bekker beeilt sich , hingerissen und überredet , der Regierung die Vorschläge seines Gefangenen zu bringen.
Schon find die Streitroffe im`
Hofe von Malmaison gesattelt. Jeder ist bereit zu den Waffen zu eilen. Napoleon wartet ; er wird den Befehl wieder ergreifen oder ins Eril
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abreisen. Drei Stunden vergehen in dieser Ungewißheit zwischen wieder erobertem Thron und Verbannung. Glaubte Napoleon ernstlich daß sein Vorschlag irgend eine Aussicht habe, von denen angenommen zu werden die ihn schon tödlich beleidigt hatten ? Er wollte also gegen allen Augenschein hoffen. Befehligen hieß für ihn herrschen und da er sich nicht die Mühe gab die Macht gewaltsam wiederzuergreifen , wie konnte er denken daß seine Gegner ſie ihm aus Gefälligkeit zurückgäben ? Schon zu sehr hatten sie ihn getroffen um nicht in ihm den schlimmsten der Feinde zu fürchten. Es scheint daß dieser Vorschlag nur einer dieser glänzenden Scenenwechsel war , womit er damals seine und der Andern Einbildung unterhielt ohne seinen Geist sehr daran zu hängen. Man sagt indeß , daß Carnot dafür war , ihm den Befehl zurückzugeben ; aber der einzige blieb. Fouché wies die Bitte seines ehemaligen Herrn mit beleidigendem Spotte , Da voust mit soldatiſcher Grobheit zurück " Euer Bonaparte will nicht abreisen. Er muß uns von ihm befreien. Wenn er nicht alsbald abreiſt, werde ich selbst ihn verhaften. " Diese Worte werden Napoleon mitgetheilt und er antwortet daß er bereit sei , den Hals darzubieten.
Mehre Jahre später in der Stille
St. Helenas diktirte er , auf dieſe Ereigniſſe zurückkommend , in einigen Worten die Vertheidigung Davouſt's , als ob er ſelbſt nur wenig Wichtigkeit und fein Bedauern der Verweigerung eines Vorschlages beigemeffen, den er nicht sehr ernst gemeint habe. Als er selbst den Umständen mit so großer Leichtigkeit wich und sich aufgab , waffnete er sich mit Nachficht für die , welche wie er dem wichen.
Er hatte so große Achtung
vor der Gewalt , seiner einzigen Gottheit , daß man ihn nie darauf ertappte , ernstlich jemanden zu tadeln , daß er ihr wich.
Dann war
er auch zu guter Berechner um nicht zu wissen , daß ihm nicht gewährt würde was er forderte.
Die einmal aufgegebene Herrschaft nimmt sich
wieder ; sie gibt sich nicht.
War er entschloffen den Befehl wieder zu
ergreifen, so durfte er nicht Fouchés Gefälligkeit anrufen : er hatte nur sich mit seinen Adjutanten zur nächsten Truppenſammlung zu begeben, fie hätten ihn auf den Schild gehoben ; aber wie derjenige ſeiner Vertrauten sagt der ihn am Beßten kannte, hatte sich die Furcht Alles aufs Spiel zu sehen seiner bemächtigt : die nämliche Unschlüssigkeit , die er auf dem Schlachtfelde von Ligny folgenden Tags der Schlacht zeigte, erschien noch größer im Elysee und zu Malmaison , je mehr die Löſung
212 Sein einziger festgehaltener Entschluß war damals , das Ereignissen zu beugen und er verbarg sich und andern den unter Haupt
sich näherte.
diese Unthätigkeit durch plößlich gefaßte und noch raſcher aufgegebene Pläne. Das Erste was sich in dem Menschen abnußt , ist die Kraft des Willens und Handelns. Dieß war auch das Einzige was sich während der hundert Tage bei Napoleon geschwächt zeigte. Wie ein kühnes , im Uebrigen unversehrt gebliebenes Gebäude ; wenn den Grundlagen das Gleichgewicht mangelt , wankt das stolze Ganze , das die Augen blendete und stürzt im selben Augenblicke zusammen.
So mangelte Napoleon
nur Eines um zu sein was er bis dahin gewesen : der rasche , energische, unbeugſame Entschluß.
Als dieser Punkt gewichen war , verlor der
ganze Bau dieſes ungeheuern Glückes das Gleichgewicht und zerſchmetterte in einem Tage.
Wir sahen mit Bestürzung die großartigsten Pläne in
den Staub sinken weil sie keine Stüße mehr im Willen deſſen hatten, der sie gefaßt.
Wenn am 18. Brümaire Napoleon überlegt hätte ſtatt
zu handeln , wenn er , seinen Gegnern Zeit zum Erkennen lassend , sie ersucht hätte , auf die Pläne einzugehen , die ihn zum Herrn ihrer und der Andern machen sollten , ist es wol gewiß daß sein Unternehmen mit gleicher Leichtigkeit vollbracht wäre ?
Die Zeiten waren andere , sagt
man. Ja , ohne Zweifel waren sie das ; aber für ihn waren noch Armee und Volk und weil er , bei dieser Stüße aller Arme , zu solcher Unmacht geführt war nichts für sich , für die Seinen , für Frankreich zu ver suchen , ist dieß nicht der größte Beweis daß sein Reich zu Ende war und daß das System , dem er seinen Namen gab , unmöglich geworden ? Am 29. Juni um 5 Uhr Abends steigt er in den Wagen , die, welche seine Gefährten in der Gefangenschaft werden wollen , ihm vorausgehend.
Er scheint nur noch die Ungeduld ſich zu entfernen zu haben.
" Ich langweile mich über Frankreich und mich " sagte er ; aber bald verlangsamt er seine Reiſe , hält zu Rambouillet an indem er fragt ob man nicht nach ihm rufe. Die Nacht vergeht in dieser müßigen Erwartung. Der Tag erscheint ; Napoleon seht ohne Hoffnung seine traurige Reise zum Ocean fort. Er fand sich erst wieder auf dem Bellerophon. England beging damals etwas unnütz Gehäffiges ; es hatte die unglaubliche Niederträchtigkeit , diesem Gefangenen seinen Degen nehmen lassen zu wollen.
Der Admiral kam an der Spiße seiner
Officiere ihm diese unbegreifliche Zumuthung zu machen. Ohne zu ant-
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worten trieb Napolen durch seinen Blick den Admiral und seine Officiere zurück , die sich mit gesenkten Augen , beschämt über diesen Schimpf entfernten. Dieser Sieg war Napoleons letter. Mich dünkt es war nicht der wenigst große.
10. Unterhandlungen. Der Feind stand vor den Thoren , es war unmöglich ihn noch unbeachtet zu lassen.
Sei es daß die Regierungscommiſſion wirklich glaubte , Napoleon wäre die einzige Ursache des Krieges , sei es daß sie sich stellte es zu glanben , ſie ſandte Bevollmächtigte an die Befehlshaber der verbündeten Heere. Einige dieſer Commiſſaire erreichten den Herzog von Wellington zu Etrée und seine Depeschen enthalten in dieser Hinsicht gewichtige Erklärungen *) . Man sah klar , daß die Versammlung durch ihre Unterhändler eine zwei- oder eher dreifache Sprache führte, eine für Volk und Armee , die andere für die Verbündeten , die dritte für die Staatsmänner. Sie gestand durch ihre Beauftragten dem Herzog von Wellington ein , daß ihr lebhafter Wunsch sei , der Restauration die Thore zu öffnen , dem Volke daß man Napoleon II. proklamire, den Fremden daß diese Proklamation nur ein Kunstgriff sei , den Soldaten daß es sich darum handele das Vaterland zu vertheidigen , den Verbündeten , daß die Soldaten eine Gefahr des Bürgerkriegs seien, der Armee daß Napoleon II. ihr Kriegsherr sei , den Königen daß jeder Andere als Ludwig XVIII. nur ein Usurpator sein würde. In diesem Conflikt entgegengesetter Worte war das Einzige , was gewiß schien, daß man die Restauration wollte ohne den Anschein dazu gezwungen zu sein. Welche Macht konnten diese zweideutigen Worte in solcher Krise auf uns üben ? Welcher Entschluß konnte von da ausgehen , oder selbst welche Geschicklichkeit , da ſeit dieser Zeit dieſes Wort allein aus dem Schiffbruche selbst der Sprache übrig zu bleiben schien ?
Das Urtheil
welches die Geschichte über diese Versammlung fällen wird , wird streng sein.
Sie lebte kaum einen Monat ; in dieser Zeit stürzte sie einen
niedergeworfenen Gebieter , in allem Uebrigen war sie ohnmächtig. Außer dem Militairdespotismus gab es nur zwei Dinge , denn man muß nicht
*) Gurwood, Depeschen des Feldmarschalls , Herzog von Wellington , vol. XII.
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glauben daß die Regierungsformen an Zahl unendlich seien : das was dem Kaiserreich voranging und was ihm folgte , die Republik oder die Restauration.
Und da niemand den Namen der erstern auch nur aus-
zusprechen wagte, und die Armee hinderte daß man sich offen zur letztern bekannte, so blieb nur das Hilfsmittel der umgehenden Worte , der Ausflüchte , der Spitfindigkeiten : traurige Wiege der kommenden Freiheit, in welcher die französische Nation einen Augenblick verschwand. Diese Versammlung konnte , da sie in nichts , weder vom neuen noch vom alten Frankreich , weder von der Revolution noch von der Reſtauration zn zeugen wagte , keine Ueberlieferung des Rechtes bewahren oder die Invasion hindern.
Im leztern Punkte machte sie nicht einmal
den Versuch ; uns aber ließ sie im Abgrunde.
Alles was sie uns lehrte
ist das verderbliche Geheimniß daß man unter leeren Ausflüchten eine Täuschung über die schreiendsten Gefahren hervorbringen kann , daß die Hauptsache künftig ist , das Ansehen zu haben , daß die Zeit der Kunstgriffe von Byzanz zurückgekehrt ist und daß der französische Geist der bis dahin einfach und lichtvoll , selbst in seinen Irrthümern war , in seine Periode der Zweideutigkeiten und Sophismen eintreten werde. In der äußersten Gefahr war das Handeln dieser Versammlung null , ihre Erbschaft verderblich.
Wir , die wir kaum Zeit hatten sie kennen zu
lernen , wußten weder sie zu beklagen noch zu beschuldigen. schwand geräuſchlos im Schiffbruche Aller. Vorwürfen.
Sie ver-
Vergessenheit rettete sie von
Waterloo war nur ein Unglück ; die Unterhandlungen waren schlimmer. Man leidet indem man dieſe Noten liest , diese Instructionen , diese Correspondenz über Unterhandlungen welche nicht stattfanden , die nur ein grober Kunstgriff ſind , deſſen Lüge bei jedem Worte heraustritt. Wozu dieſe lezten Stunden durch so viel lächerliche Worte ausfüllen ? warum schwieg man nicht wie 1814 ? mal mehr gewogen.
Das Schweigen hätte hundert-
Ein Land fällt unter dem Gewicht von 600000
Feinden ; dieß ist einfach und vielleicht würdig ; aber diese leeren Reden im Namen der Freiheit die mit einer raschen Knechtschaft unter dem Fremden schließen ! es war bereits die unklare Sprache unter welcher eines Tages bei uns die Energie der Seele bis auf die lehte Spur verschwinden sollte. Das wahre Unglück von 1815 ist dieses : bei der Invasion von 1814 erschien Napoleon allein verantwortlich ; hier aber zeigte sich die
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Freiheit und nur , um die Verantwortung der lezten Stunde in einer verlorenen Sache zu übernehmen .
So sah man nach der Ohnmacht des
Despoten die Ohnmacht der Freiheit , was alle Dinge verschlimmerte ; es schien als wohne man der Niederlage des Geiſtes bei , nach der Niederlage der Waffen.
Unglaublich erscheint es , daß man an die
Wirklichkeit der Unterhandlungen glauben konnte , daß ein so abſoluter Mangel von Scharfsinn und Voraussicht möglich war , daß die Com= missaire der Versammlung so hartnäckig ihre Augen dem Augenschein verschlossen hätten , und daß die Schmach ihnen nicht das Bewußtsein ihrer selbst wie der Dinge zurückgeben konnte.
Wir würden es für
unmöglich erklären , hätten wir nicht selbst gesehen mit welcher Blindheit eine Partei geschlagen sein kann , wenn sie ihrem Untergange nahe ist. Wellington sandte die Unterhändler mit diesen Worten zurück : " er wolle sie nicht ihre Zeit verlieren laffen “ und da sie darauf be,, standen , zu bleiben , bot er ihnen an , nach Heidelberg zu den verbündeten Herrschern zu gehen.
Die Unterhändler machten diese lange
und unnüße Reiſe bis Hagenau : die Könige verweigerten , sie zu sehen und schickten sie an ihre Minister ; die Miniſter verabschiedeten sie ohne Antwort. Hier war noch Blüchers Haß weniger schädlich , denn er gestattete keinen Irrthum.
Er willigte nicht einmal ein , nur ein Wort mit den
französischen Unterhändlern zu wechseln. wortete mit barbarischem Freimute:
Einer seiner Adjutanten ant-
er werde die Feindseligkeiten ein-
stellen wenn er in Paris eingedrungen sein werde , vorausgesezt daß Napoleon ihm ausgeliefert würde. "
Dieß hinderte Marschall Davouſt
nicht, direkt neue Eröffnungen zu versuchen , worauf Blücher Gelegenheit nahm , seinem Haß in folgender Antwort Luft zu machen :
„ Wollt
ihr den Beutel von Paris für Euch leeren wie den von Hamburg ? wir wollen in Paris einziehen um die ehrlichen Leute gegen die Plünderung zu schüßen , von der sie durch das Volk bedroht ſind. “ Diese Beschuldigung der Plünderung haben wir also von unserm eingefleischtesten Feinde. Wie oft haben wir seitdem sie vernommen und stets im selben Sinne ! Sprache eingeführt.
Marschall Blücher hat sie in unſere politiſche
Jedesmal wenn es sich darum handelte , einige
Energie zu zeigen, einigen Mut des Geistes , einige Seelengröße oder wenn es nötig gewesen wäre , eine moralische Position , eine erreichte
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Idee , eine um den Preis von Millionen Leben erlangte Wahrheit zu vertheidigen , wurde Blüchers Wort wiederholt :
" Ihr wollt also die
Plünderung ? " und man öffnete die Thore und wich zurück bis Nichts mehr zu vertheidigen war. Die Versammlung der hundert Tage hat darin in ihren lezten Augenblicken an die kommenden Geschlechter appellirt.
Wir sind diese
Geschlechter und antworten daß wir betrogen worden sind.
Ihr kam
es zu , uns das Unheil zu vermachen ohne es durch ihre Entwürdigung zu vermehren.
Man hat das Recht nicht , von einer Versammlung den
Heldenmut einer anderen Zeit zu verlangen ; aber man muß der der hundert Tage vorwerfen , den Feinden zum Spielball gedient zu haben, als sie sich bis ans Ende , durch lächerliche Unterhandlungen hinhalten ließ.
Das größte Uebel , welches man der Freiheit , der Gerechtigkeit,
der Ehre , allen schönen Dingen der Welt anthun kann , ist sie die Rolle des Angeführten spielen zu lassen : ein unfehlbares Mittel den Menschen sie zuwider zu machen. Unterdessen hatte Fouché nicht aufgehört , mit dem Feinde in beständiger Verbindung zu stehen. gemäß zu handeln. gewinnen.
Er war entschlossen dessen Absichten
Das Erste war , eine große Zahl Deputirte zu
Es gelang ihm ohne große Mühe , indem er zu jedem eine
andere Sprache redete.
Seine lezte Bemühung war , die Kammern auf
die Reſtauration der Legitimität vorzubereiten ; hierzu mußte man eine Phraſe finden , ein Wort das jede Abtrünnigkeit bequem machte. Dieſes Wort war damals die Erhaltung der Hauptstadt.
Man machte ſo
jedem zur Pflicht sich ohne Widerstand zu ergeben ; die Verzagtheit ſelbſt wurde eine Tugend.
Wenn man den Menschen aus ihrer Schwäche
eine Würde macht , so muß man bewundern mit welcher Einmütigkeit sie sich beeilen , denn man hat die Guten und Schlechten zusammen. Diese Einmütigkeit fehlte Fouché nicht. Unter seinem Einfluſſe richtete die Kammer der Abgeordneten eine Proclamation an die Franzosen , ein Muster jener gekrümmten Sprache , die man seit dem lezten Tage von Florenz 1527 nicht mehr gesehen hatte.
In dieser Proklamation sprach
man anfangs von Napoleon mit Geneigtheit aber ohne Feindseligkeit gegen die Bourbons ; dann kamen Schmeicheleien für die Liberalen und gleichzeitig eine dem göttlichen Rechte eröffnete Aussicht.
Endlich von
Umschweifen zu Umschweifen gelangte man zu einem der Proklamtion Ludwigs XVIII. ganz ähnlichen Schluſſe.
So redete diese Ansprache
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an die Franzosen von Bonaparte um zu den Bourbons zu gelangen, und in einem friegerischen Tone , von der Notwendigkeit einer impofanten militairischen Stellung " um mit der Ergebung und Unterwerfung ohne Schwertstreich zu schließen. Ehe er über die Versammlung verfügte , hatte Fouché sich Davouſts versichert.
Der eine wie der andere , obgleich der Mitwirkung aller
Gewalten sicher, scheuten noch den öffentlichen Eindruck.
Sie gingen
nun mit großer Behutsamkeit auf ihr Ziel los , inmitten von Befehlen, entgegengesetzten Entscheidungen , welche eine die andere vernichteten ; dann kam ihnen die Kühnheit da sie überall Genossen fanden.
Schon am
26. Juni war Davouſt in geheimer Verbindung mit den Bourbons ; am 27. erklärte er in vollem Conſeil daß Frankreich verloren wäre wenn es nicht schleunig mit Ludwig XVIII. unterhandele ; am 29. wurde er ſogar von einer Deputation der Kammern bei einer Conferenz mit dem Vertrauten jener Partei , Herrn von Vitrolles * ) überrascht. öffnete dieß niemandem die Augen.
Dennoch
Am folgenden Tage erſchien eine
stolze Proklamation gegen die Bourbons ; sie war von Davouft gezeichnet. Gefälligkeit oder Täuschung sollte Alles bis zur letzten Stunde bedecken. Bei dem Herannahen der Entwickelung , die man schon bemerkt , bricht Oberst Charras in entrüstete , feurige Worte aus , welche sein Werk in beredter Weise krönen.
Ich , der ich seit Langem gewöhnt bin , meinen
gerechtesten Unwillen zu unterdrücken und nur das entschlüpfen zu laſſen, was ich nicht ersticken kann , werde mich bemühen , diesen Bericht zu endigen wie ich ihn begonnen habe.
11.
Einschließung von Paris.
Gefecht von Verſailles.
Scheinbare Unterhandlungen in Verbindung mit der wiederholten. Anforderung die Feindseligkeiten einzustellen konnten keinen andern Erfolg haben als das Vertrauen der Feinde über alles Maß zu steigern. Es ging bald bis zur Verwegenheit. Durch die Verbindung mit Fouché sicher, daß es hinreichend sein werde einen großen Schlag auf die Geiſter auszuführen faßten sie einen Entschluß , auf den sie im Jahre zuvor selbst bei überlegenen Kräften nicht gekommen sein würden. wieder Blücher der die Ausführung übernahm.
Es war
*) Memoiren von Vitrolles , citirt von Duvergier de Hauranne , Parlamentsgeschichte.
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Eine schnelle Rekognoſcirung vorwärts der Ebene von St. Denys hatte ihn überzeugt daß die Stellung von dieser Seite nur nach einer Schlacht überwältigt werden könne.
Die französische Armee hinter ihren
Linien zu besiegen war schwierig und eine Schlappe würde genügt haben um alle unverhofften Erfolge des Feldzugs zu zerstören , wenn aber das rechte Seineuser solche Hindernisse bot , so wußte man daß das linke ohne Vertheidigung war ; wahrscheinlich würde man hier nur auf einzelne Abtheilungen treffen.
Das plöhliche Erscheinen der preußischen
Armee auf diesem Punkte wo sie nicht erwartet wurde , würde vollends die Einwohner beſtürzt machen und man könnte unversehens ins Herz der Hauptstadt eindringen , aus Mangel an Deckung. Ohne Zweifel war es eine sehr große Verwegenheit sich über einen großen Fluß zu werfen , wobei man die Verbündeten am andern Ufer ließ. Man riskirte nach und nach vernichtet zu werden , ohne sich ſammeln zu können ; aber die Kühnheit war bis dahin geglückt , warum sollte man so nahe dem Ziele darauf verzichten ? Die Engländer sollten die Bewegung vor den Linien von St. Denys und des Montmartre maskiren , während die Preußen über die beiden Brücken von St. Germain und Maiſons debouchirten , deren man sich so eben bemächtigt hatte. Kaum daß dieser Plan gefaßt ist , beginnt man ihn auszuführen ; aber die Erfahrung zeigte bald wie theuer er dem Feinde zu stehen kommen konnte. Am Abend des 30. Juni und in der Nacht seßten das 1. und 3. preußische Corps sich nach St. Germain in Marsch , das eine über Blancménil und Aulnay , das andere über Gonesse und Argenteuil. Das 4. Corps blieb zu Bourget in Stellung mit seinen Vortruppen zu Stains und Aubervilliers. Die englische Armee hatte ihre Rechte auf den Höhen von Richebourg , die Linke am Gehölz von Bondy. Blüchers Eile war so groß daß er den Oberst von Sohr mit zwei Reiterregi= mentern absandte um ihm bis auf die Straße von Orleans vorauszugehen. Der preußische Feldherr rechnete ohne Zweifel darauf daß die Ankunft dieser Vortruppen in einer so entfernten Richtung , indem sie gleichzeitig die Verbindung mit der Normandie und der Loire abschnitt, alle Vertheidigungspläne zu Falle bringen würde. Oberst von Sohr bivouakirte zu Marly , nachdem er die Seine bei St. Germain paſſirt hatte; am andern Morgen wagte er sich weiter , da er kein Hinderniß bemerkte , Mittags besetzte er Versailles.
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Indessen konnte eine so kühne Bewegung den Franzosen nicht entgehen.
Excelmans , der mit Vandamme den Süden von Paris deckte,
beschloß , als er vernahm daß preußische Husaren sich auf Versailles geworfen hätten , sie aufzuheben.
Mit dem 5. , 15. und 20. Dragoner-
und dem 6. Husarenregimente marschirt er über Montrouge und PlessisPiquet.
Gleichzeitig wird Pirés leichte Reiterei mit dem 44. Infan-
terieregiment über Sevres in die Flanken und den Rücken der preußischen Brigade detachirt. Am Nachmittage des 1. Juli trifft Sohr auf Vandammes. Fußtruppen.
Er zieht sich zurück und fällt mitten in Pirés
Chasseurs und Ercelmans Dragoner. Er gelangt nach Versailles. Die an den Thoren aufgestellte Nationalgarde empfängt ihn mit gut unterhaltenem Feuer , welches ihn nötigt sich auf Roquencourt zurückzuwerfen. Von Ort zu Ort umzingelt , bleiben von dieſer Brigade nur 150 Mann übrig.
Im Dorfe Lachenah werden sie über den Haufen geworfen.
Oberst von Sohr wird hier schwer verwundet.
Die Soldaten strecken
bis zum lezten die Waffen. Was wäre geschehen , wenn die beiden Corps von Vandamme und der Garde diesen Angriff Excelmans' unterſtüßt hätten ? Die rechts und links der Seine zerstückelte preußische Armee war gewiß in Gefahr ; aber die Hoffnungen welche dieser Erfolg erweckte sollten nicht dauern. Ohne einen Vortheil daraus zu ziehen , erhalten Vandamme und Ercelmans den Befehl zurückzugehen , die Rechte an die Seine , die Linke an Montrouge, die Mitte hinter dem Dorfe Issy.
Die Vortruppen , welche
Montenotte, Rivoli , die Pyramiden , Wien , Madrid , Lissabon , den Kremlin erorbert hatten , werden jezt auf Chatillon , Clamart , Meudon, Sevres und St. Cloud zurückgenommen. Den folgenden zweiten Juli marschirt Blücher , dem man Zeit ließ, seine Truppen am linken Ufer zu concentriren , in mehren Colonnen durch das Seinethal und über die Höhen zwischen St. Germain und Meudon.
Um 3 Uhr erreicht Ziethen Sevres.
Die Franzosen verthei-
digten sich hier und zogen sich auf Moulineaux , von da nach Iſſy und in der Nacht auf die Vorstadt Vaugirard zurück. In dieser lezten Nacht besehen die feindlichen Armeen folgende Stellungen : Ziethen , die Rechte in Clamart , die Mitte zu Meudon , die Linke zu Moulineaur ; Thielmann zu Chatillon , Bülow in Reserve zu Versailles.
Die englische
Armee war unbeweglich in Front der befestigten Linien auf der Nordſeite von Paris ; der Herzog von Wellington hatte zu Argenteuil eine
220 Brücke schlagen lassen und hatte über Asnieres , Courbevoie und Suresnes seine Verbindung mit den Preußen hergestellt. So waren am 2. Juli die Franzosen von allen Seiten in ihren Linien eingeschlossen und ihre Lage konnte jezt verzweifelt erscheinen ; aber hatte man vom 29. Juni bis zu diesem Tage das Nötige gethan um die Dinge zu verhindern , daß sie bis zu dem Punkte sich verschlimmerten , wo sie jezt angelangt waren ? Man hatte der preußischen Armee 3 Tage gelassen , um auf das linke Ufer zu sehen , hier sich zu sammeln und zu entwickeln. Vandammes Erfolg war nicht benutzt worden ; im Gegentheil erschienen die Gefechte bei Sevres , Moulineaur und Issy eher als Demonstrationen um den Rückzug zu decken , denn als Pläne eines wahrhaften Widerstandes. In diesen Finten sieht man die Ausführung der förmlichen Absicht , Paris und Frankreich ohne Schwertschlag zu überlassen. Wie gesunken waren wir , daß der Held von Eckmühl und Auerstädt nur noch dazu diente, um Fouché zu decken ? Das verabredete Spiel wurde mit vollkommener Sicherheit gespielt ; die provisorische Regierung wiederholte wieder ihre gewöhnliche Forderung eines Waffenstillstands an die alliirten Feldherren. Wellington zeichnete sich in dieſer militairiſchen Diplomatie aus.
Er antwortete
mit gewohntem Phlegma , daß da das große Hinderniß des Waffenſtillstandes in Napoleon entfernt sei , die Frage sich seiner Ansicht nach auf Folgendes beschränke : die Engländer und Preußen ziehen am 7. in Paris ein ; die französische Armee räumt die Hauptſtadt und zieht sich auf die andere Seite der Loire zurück , bis der König (bei seinem Einzug am 8.) es anders beſtimme :
Se. Gnaden erbot sich sogar zu dem
Versuche von Fürst Blücher zu erlangen daß er seine Truppen zwei Tage in ihren Stellungen zu Clamart und Meudon zurückhielt : aber zur selben Zeit erklärte ſie daß sie nicht in Einstellung der Feindseligkeiten willigen könne , so lange noch ein französischer Soldat in Paris bliebe. Nachdem sie diese besondere Erklärung von Sr. Gnaden erhalten hatten , kehrten die Commiſſaire zurück. In Kraft des Haſſes gab Blücher den Dingen das Tragiſche und Ernste zurück , was ihnen soviel Verstellung raubte.
Da man ihm als
Commiſſair einen einfachen General gesandt hatte , begehrte er von Davoust einen weiter Bevollmächtigten.
Sodann bezeichnete er zur Unter-
zeichnung der Capitulation das Schloß St. Cloud und beeilte sich sein Hauptquartier dorthin zu legen. Um Frankreichs Erniedrigung zu krönen,
221
wollte er daß die Capitulation in demselben Palaſte unterzeichnet werde, von dem so viele absolute Befehle für Preußen und Europa ausgegangen waren.
12. Kriegsrath.
Convention von Paris.
Der Plan zu capituliren war daran sich zu verwirklichen , wie er verabredet war ; aber man mußte ihn noch den Augen der Menge verbergen. Deßhalb vereinigte man mit besonderem Aufsehen einen Kriegsrath aus den ersten Generalen ; aber man versammelte ihn zugleich erſt am Morgen des 2. Juli , als man von allen Seiten umringt war. Mit einer Schlauheit , bei der man unmöglich Fouchés Hand verkennen kann, legte man die Frage der Vertheidigung vor , als sie selbst dem Blicke der Bessern entschieden scheinen konnte.
Wenn man kämpfen wollte , so
mußte man am 29. , 30. Juni fich dazu entschließen ; aber am 2. Juli war es zu spät : die Erwägung konnte nur noch dazu dienen , die verdächtigen Verhandlungen mit dem Feinde zu mastiren. Nichts ist imposanter als die Versammlung der Generale zu la Villette , und dennoch ist es zweifelhaft ob die Nachwelt die Entschei= dung billigt , welche sie faßten , Paris ohne Kampf zu übergeben. Welchen Unterschied sah man da zwischen 1814 und 1815.
Das Jahr vorher
in viel verzweifeltern Umständen hatten die Marschälle Mortier und Marmont mit 20000 Mann keinen Augenblick gezaudert , vor Paris die Schlacht zu liefern , zu la Villette , Belleville , bis in die Vorstädte und an die Barrieren selbst.
Sie zogen sich erst zurück , als aller Wi-
derstand erschöpft war. Dieß seßte Niemanden in Erstaunen. Man würde nicht einmal begriffen haben , wie es hätte anders sein können.
Und
nun , an denselben befestigten Orten , mit 80000 Soldaten , unterſtüßt durch 17000 Tirailleurs und 50000 Nationalgarden , hinter der fast uneinnehmbaren Stellung des Ourcqcanals , angesichts eines getheilten Feindes , entschied man sich zurückzugehen , Paris und Frankreich hinzugeben ohne nur ein Zündkraut abzubrennen ! Und doch hatte man bei den Gefechten von Compiègne , Senlis , und noch gestern bei Versailles durch Ercelmans' Handſtreich gesehen , daß es Franzosen waren die man befehligte und daß sie den Feind noch anzugreifen verstanden ! Was war nur vorgegangen ? Es war dieſes. Im Zeitraume dieſes Jahres hatte man die befremdliche Entdeckung gemacht , daß es zu ge-
222
fährlich für die Ordnung ist , eine Hauptstadt zu vertheidigen , daß man dadurch den Künſten , dem Handel , der Besserung der Sitten (denn diese eigenthümlichen Betrachtungen wurden von der Regierung in ihrer Proklamation angeführt) eine zu große Gefahr bereitet ; als wenn im vorigen Jahre es keine Künſte und keine zu beſſernden Sitten gegeben hätte ! als wenn die Fremden jemals gezögert hätten , vor ihrer Hauptstadt die Schlacht zu schlagen um sie zu retten oder wiederzuerobern : die Oestreicher unter den Mauern Wiens , bei Eßling und Wagram, die Spanier bei Madrid zu Somoſierra : die Ruſſen vor Moskau an der Mostowa und in diesem selben Feldzuge die Anglo - Belgier zu Brüssel! Man muß hinzufügen daß in diesem letzten Rate von la Villette diese mit dem Tode so vertrauten Männer ihn an dem Tage für sich ſelbſt nicht mehr als an andern Tagen ihres Lebens fürchteten ; aber sie unterlagen der Macht der Dinge , die sich überall zeigte. parte fiel , war der Bonapartismus verschwunden.
Als Bona-
An seiner Statt
zeigte sich kein Princip welches werth erschien , daß man sich mit ihm begrabe.
Krieger , wie andere Menschen , lassen in zu schwierigen Umständen in ihr praktisches Urtheil über das was sie am besten wissen Betrachtungen eindringen , die ihrem Berufe fremd sind , und wenn dieß geschieht , ist Alles verloren , denn sie können mit dem in zwanzig Schlachten erwor benen Rnhme die Sophismen der Lässigkeit oder Unbeſtändigkeit verdecken. Und wer kann danach in einer militairischen Frage ihrem Ansehen wi derstehen ? welche Stimme würde gehört werden ? Als alle Marschälle außer einem , Lefebvre , für die Uebergabe waren , blieb nur übrig daß jeder derselben ihm opponirte.
Daß der Fürst von Eckmühl , der von Efling , der Herzog von Dalmatien sich nur an Davoust , Maſſena und Soult erinnerten ! In der That gab es da nicht einen Mann , der nicht zu anderer Zeit irgend einen Kampf mit viel geringern Aussichten ein-
gegangen wäre. Davouſt , der am entschiedensten war zu capituliren, hatte er nicht mit 30000 Mann die 90000 Preußen bei Auerstädt ge= schlagen ? Jezt aber diente die strategische Raison nur dazu die politische zu decken. Für welche Sache sollte man bis zum Aeußersten kämpfen ? die Revolution ? Napoleon rühmte sich , sie vernichtet zu haben. Den Bonapartismus ? er war in seinem Haupte abgetreten.
Das Vaterland ?
223
es war im Jahr vorher geschändet worden. Die Freiheit ? man hatte seit fünfzehn Jahren gelernt , sie zu entbehren. Die Gleichheit ? kam es denn den Fürsten , Herzogen , Grafen und Baronen zu , für sie sich aufzureiben ? Der unumstößliche Beweggrund blieb das Intereſſe , und es ist sicher , daß dabei ein augenscheinliches war , sich nicht noch mehr mit der Reſtauration zu compromittiren und ihr ohne Zögern die Thore zu öffnen.
Außerdem erschien wieder die Beschuldigung der Plünderung
und diesesmal gegen die französischen Soldaten , da , sagte man , die Vertheidiger mehr zu fürchten seien als die Feinde.
Und dieß wieder-
holte sich beim Anblicke der Armee selbst, die als Beute nur ihre Wunden mitgebracht hatte.
Was den Führer betrifft , so sezte der Fürst von
Eckmühl dem lezten Zögern eine Grenze , indem er erklärte daß er seit einigen Tagen seine Ideen und Vorurtheile besiegt habe.
Als diese
Schwierigkeit gehoben war , wurde er in der That wol verstanden , daß kein Grund zum Kampfe mehr vorhanden sei. Die Masse der Armee hatte einen andern Instinkt , da man versichert daß sie sich einen andern Befehlshaber geben wollte. Sie bot sich Vandamme an, sagt man ; Vandamme war aber bei den geheimen Umtrieben des Fürsten von Eckmühl und dachte gerade wie er. Da sie nun keinen berühmten Führer mehr fand und sich einem unbekannten nicht hingeben wollte , überdieß die Regierung und Versammlung ihnen selbst entgegen nicht retten konnte , blieb dieser Armee ohne Haupt nichts übrig als sich hinter die Loire zurückzuziehen , bis sie wieder befreit würde. Die Capitulation von Paris erklärt sich durch ? die Hinfälligkeit und die Fallstricke des politischen Geistes. Vom militairischen Gesichtspunkte aus begreift man sie nicht.
Wenn es im Grundsatz zugegeben
wäre, daß im Intereſſe einer Hauptstadt eine Vertheidigungsarmee unter ihren Mauern dieselbe ohne Kampf dem Feinde überlassen müsse , so gäbe es keinerlei Garantie mehr für die Sicherheit oder Unabhängigkeit der Nationen denn es würde für den Feind genügen , mit einigen Märschen zu überraschen und sich vor der Hauptstadt zu zeigen , um die Nation aufs Aeußerste und zur Ergebung ohne Gnade zu bringen.
Freilich
hatten die Russen, Oestreicher und Baiern bereits den Rhein überschritten. Sie konnten in vierzehn Tagen ihre Vereinigung bewirken , und dieser entfernte Feind wirkte auf die Geister , wie wenn er gegenwärtig gewesen wäre. Er drückte mit seinem ganzen Gewicht auf die Entscheidung des
224
Kriegsrats. Aber welchen Aufschwung hätte nicht eine vor Paris ge wonnene Schlacht Frankreich gegeben ? Wer übersieht die neue Lage, die ein großer Erfolg herbeigeführt hätte ? Frankreich wäre dadurch vielleicht ganz verändert worden. Sodann , wenn man sich weigerte einen anwesenden Feind zu bekämpfen , mit der Betrachtung daß man es später vielleicht mit noch abwesenden Feinden zu thun haben werde, fo müßte man dem Kriege entsagen. Sah man nicht zu Grunde gerichtete Sachen plötzlich durch einen Schlag sich erheben ? Die Nachwelt wird erwidern, daß weil Napoleon sich aufgab , man noch nicht sich selbst aufgeben mußte , daß man noch nicht verzweifeln darf, wenn man 100000 Mann in Händen hat , ohne die Corps von Rapp , Süchet und Lamarque zu rechnen.
Und im schlimmster Falle , was konnte gc= schehen ? daß die Schlacht verloren wurde , aber die Ehre gerettet. In dieser äußersten Krisis sucht man vergebens die Spuren eines
Mannes , welchen der Geschichtschreiber Niebuhr bewunderte wie einen alten Römer , der einſtmals Frankreich gerettet hatte , und den Napoleon wieder genommen hatte , indem er ihn ohne sein Vorwiſſen durch einen feudalen Titel schwächte , Carnot. Auch er (und nichts zeigt besser die Fallstricke) verzweifelte an der Vertheidigung von Paris in dem Augenblick als die Frage gestellt wurde.
Mit Carnot schien das
Vaterland selbst sich zu verhüllen und aufzugeben : aber diesen Moment ausgenommen behielten seine Ansichten etwas von der Härtung unerschütterlicher Zeiten.
Nach Waterloo wollte er , daß Napoleon , der im
Elysee abgestiegen war , sofort zur Armee zurückkehre , um sie zu sammeln.
Nach der Capitulation von Paris wollte er daß die Versamm-
lung und die Regierung sich inmitte der Truppen an die Loire zurückzögen , um die Vertheidigung fortzusehen und Frankreich zu den Waffen zu rufen. Das waren seine Ansichten. Die einzige welche man annahm , war die wo er verzweifelt hatte. Dieser antike Mann wandte sich an neue Männer die ihn nicht mehr verstanden. Auch diese unter dem Namen Convention versteckte Capitulation ist so verderblich gewesen, daß alle Parteien welche die Hand dazu boten , alle Regierungen welche näher oder entfernter sich daran betheiligten , eine nach der andern untergegangen sind , mit Ohnmacht geschlagen oder der Abtrünnigkeit verdächtig.
Unter solchen Trümmern beratschlagte die Repräsentantenkammer die Wünsche des Volks .
Als erste Sicherheit forderte sie eine von der
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Nationalvertretung beratene Verfaſſung politiſche Freiheit , das Nepräſentativsystem , Preßfreiheit , Verantwortlichkeit der Minister , Abschaffung des alten und neuen Adels.
Diese Worte konnten eine große Macht
äußern , hätte man sie zum Wahlspruch im Kampfe genommen ; aber auf gut Glück hingeworfen , ehe man sich ohne Widerstand ergab , sollten sie nichts Dauerhaftes hervorbringen.
Eitle Trugbilder , durch welche
schwache Versammlungen ihren Rückzug und ihr Aufgeben der allgemeinen Sache verdecken , um so mehr , da niemand die Verantwortung ähn= licher Protestationen übernimmt ! Man spricht stolze Worte in den Wind ; zu ihrem Schuhe eilt man , dem Stärksten einen neuen Eid zu leisten. Nichts hat mehr das Wort bei den Franzosen abgenußt , als dieſe Erklärungen , die von keiner That , keinem Opfer gefolgt wurden. durch wurde die französische Sprache wie entkräftet.
Da=
In allem Dieſem
findet sich schon der Keim von dem was wir geworden sind.
Die Frei-
heit schien sich selbst zu parodiren , als bei diesem Mangel an Entschluß ein Abgeordneter die Worte Mirabeaus zu wiederholen wagte : „ man werde nur der Gewalt der Bayonette weichen. "
Alle Mitglieder er-
hoben sich , sie schrieen , sie würden unerschütterlich auf ihrem Plaze bleiben.
Am folgenden Morgen , den 7. Juli , waren die Thüren ver-
schlossen ; Truppen verwehrten den Abgeordneten den Zutritt.
General
Lafayette erschien um einzutreten ; man rief ihm durch die Gitter zu, es sei Befehl niemanden einzulassen.
Wieder eine französische Versamm-
lung durch Soldaten ausgetrieben ! stens fremde * ).
An diesem Tage waren es wenig-
13. Die Invasion.
Zweite Restauration.
Das war es nun was Frankreich dadurch gewann , daß es sich einem Einzigen hingab : anfangs glänzende Siege , die etwas Wunderbares hatten , dann schwerer erkaufte Siege , lange unsicher , von zweifelhaften Vortheilen gefolgt ; endlich in den lezten Jahren riesenhafte Unternehmungen , die mehr blendend als solid waren , Hoffnung statt Wirklichkeit , Einbildung für Thatsachen setten !
Und während man durch
Druck bei den fremden Völkern den Wunsch nach Unabhängigkeit erweckte, erstickte man bei uns die Freiheit , welche allein Wunder wirken kann :
*) Memoiren des Generals Lafayette, t. IV. , p. 478. Quinet, Feldzug von 1815.
15
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daher die Leere im Innern und die unfehlbaren Invaſionen , ebenso lange als das Regime gedauert hatte. 1792 hatten sich die fremden Armeen bei irgendwelcher unbedeutenden Belagerung aufgezehrt , ohne einen Zoll des geheiligten Bodens zu nehmen wagend.
Sie waren durch die Täuschung und den Aber-
glauben der französischen Revolution wenigstens ebensosehr als durch die Waffen aufgehalten worden; aber der moralische Wall , der uns ſchüßte , war mit der Freiheit selbst gefallen.
Die Ideen , die Principe,
welche uns wie Festungen vertheidigten , wir hatten sie vernichten lassen. Hundert Tage genügten nicht , sie wiederherzustellen und durch diese große offene Lücke , und keine andere , drang jezt der Feind von allen Seiten ohne Hinderniß ein. Dadurch traten die Ruſſen unter Barklay, die Destreicher Schwarzenbergs , die Baiern ein , nachdem sie bei Mannheim , Basel und Oppenheim den Rhein überschritten hatten.
Armeen
trieben Armeen. Hinter ihnen trieben die Verkündigungen der Enthuſiaſten die Völker gegen uns und was blieb uns ihnen entgegenzustellen ? Wem von den Deutschen , Preußen , Engländern , Italiänern , Spaniern konnten wir glauben machen , daß der paſſive Gehorsam die Fortsetzung der Freiheit sei , daß die Einrichtungen Karls des Großen die der Constituante seien ? Dank einer besondern Erziehung welche uns vom Menschengeschlecht abgesondert hatte , hatten wir mühsam in dieſe Grundſäße eindringen können ; aber wenn auch die Fremden diese bizarren Dinge verstanden hätten , welche Täuschung konnten sie noch auf jene hervorbringen ? Was man die unter der Geſtalt eines abſoluten Gebieters dargestellten neuen Ideen nennt , schien ihnen dabei das älteste und unerträglichste.
Und wirklich gibt es nichts Schlimmeres in der Welt
als die Knechtschaft unter dem Bilde der Unabhängigkeit. Allen Zurückforderungen der Freiheit hatten wir gut den code civil entgegenseßen ; die Universitäten Preußens und Deutschlands antworteten uns durch den Mund der Fichte , Görres , Jahn , Thibaut , daß der Coder Justinians ſelbſt nicht die Anmaßung gehabt hätte , das von Byzanz zerstörte moralische , freie Leben zu ersehen , und sie fügten hinzu „ daß es keine der Marimen von 1789 gäbe , die nicht verlassen oder verleugnet wäre, daß hundert Tage nicht das Werk von 15 Jahren geändert hätten und daß man nichts mehr mit der französischen Revolution zu thun habe. “ Wir befanden uns so noch mehr entwaffnet als durch unsere Niederlagen , denn unsere einfachen Grundsäze waren durch Widersprüche erſeßt
227 "1 daß die Freiheit durch den Despotismus befestigt wurde. " wie der In dieser falschen Idee sollte Frankreich zweimal nahe seinem Untergange kommen , 1814 und 1815.
Die ganze Welt sogar würde daran
untergehen , wenn es gelänge sie für dieſe Spißfindigkeiten zu bewaffnen. Ludwig XVIII. erſchien wieder und zog am Tage nach der Besitergreifung der Engländer und Preußen in Paris ein , als wenn man zeigen wollte daß der Krieg Alles allein gethan habe. mehr die fremden Waffen.
Nichts verbarg
Der König hatte nicht mehr wie 1814,
Könige zu Genoſſen und als Einführende.
Kaiſer Alerander war nicht
mehr da um sich durch sein Lächeln den Sieg verzeihen zu lassen. Feindliche Generale , mit dem kürzlich vergossenen Blute besprißt , öffneten den Weg. Der eine von ihnen drohte schon die Monumente umzu stürzen, die ihm seine Niederlagen zurückriefen. So verbarg kein Kunstgriff dem Blicke die harten Bedingungen der Gewalt und der Noth. Sie erschienen in ihrer ganzen Strenge den Acclamationen zum Troß. Man vergaß sogar , wie im vorigen Jahre zur Kirche Notredame zu ziehen , um Gott für den wiedereroberten Thron Dank zu bringen ; aber man eilte zum Tuilerienpalaste auf dem kürzesten Wege , sei es „Beſtürzung nach dem neuen Erile , sei es daß man Verstellung unnötig hielt : ein verderbliches Geschenk , diese Krone so unmittelbar aus den Händen Blüchers und Wellingtons erhalten, welchen Herr von Chateaubriand damals unsern neuen Türenne nannte ! Die Bourbons haben Recht zu behaupten daß es zwischen ihnen und der Nation weder Bedingungen noch Vertrag gebe *). Sie haben das Recht des Krieges für sich und es ist fast unmöglich daß sie nicht dahin kommen , Vortheil hieraus zu ziehen. Dann wird das Uebermaß ihres Rechtes selbst ihr Verderben sein , denn die nämlichen Menschen , welche heute sich auf Gnade ergeben wollen , werden es schon morgen vergeſſen. Bald werden sie erbittert darüber sein , daß man ihnen die Garantieen streitig macht, welche sie sich weigerten zu vertheidigen. Was blieb von den Hoffnungen und Täuschungen des Jahres zuvor zwischen den Bourbons und der Maſſe der Franzosen ? Von nun an kannte man sich zu gut und hatte gelernt , daß nichts sich ge=
*) Fouché , schon Miniſter des Königs , kündigte an, daß die Alliirten ihn ohne Unterhandlung oder Vertrag in gebieterischer Weise zurückführten. (Lafayette, Memoiren , t. V. , p . 478. )
228
ändert hatte.
Der König wußte daß er von seinen Unterthanen verlaſſen
werden konnte und dieſe , daß sie geknechtet werden konnten unter dem Vorwande befreit zu werden. Ein einziger Mann konnte jest triumphiren ohne Furcht vor der Zukunft : Fouché. als Minister der Bourbons.
Minister Napoleons sah er sich
Am Fuße des Thrones den er wieder
aufrichtete , inmitten der Stumpfheit des Volkes , die er in Zurufe verwandelte, konnte er in dem öffentlichen Zuge glauben , daß er allein unfehlbar und notwendig sei ; aber er im Gegentheil ſollte zuerst durch Eril und einen obscuren , elenden Tod aus seinem Wahne geriſſen werden.
Wer
in der Zukunft hätte lesen können ,
würde gesehen
haben, daß dieser durch Fouché bereitete , bewundernswürdige Einzug " niemandem nüßen sollte.
Der Bonapartismus fand dabei seinen
Ruin , die Restauration eine beständige Ursache zu Vorwürfen , dann von Beschuldigungen , endlich ihren Untergang. Die constitutionelle Partei hatte sich nur gezeigt , um dem Feinde die Thore zu öffnen : ein unheilvoller Anfang , der sich auch gegen sie und uns wenden sollte.
14. Napoleon zu St. Helena. Napoleon allein hatte von seinem Unglücke Nußen ; er erhob sich und wurde größer zu St. Helena. Und dort ließ er so durchdringende Sie wurden auf jedem Punkte der Erde vernommen. Und doch hatte er zu seinem Gefolge allen Ruhm der Welt bei sich, Klagen hören!
während die Mehrzahl der Männer , welche in Frankreich die Freiheit liebten oder ihr mit etwas Erfolg dienten , auf dem Schaffot oder in der Verbannung sterben mußten , oder wenigstens in Verlassenheit und Vergessenheit ; sie sind allein und ohne Aufsehen gestorben : sie hatten als Lebewol und letzten Trost nicht einmal den Ruhm und die Zustimmung der Völker , da diese fast immer sie für den Herrn bewahren , welcher ihnen den Zügel angelegt hat. Großes Mitleiden erfaßte unser Herz als wir Napoleon zu St. Helena sahen und wer konnte damals sich dessen erwehren ?
Wie bald
kam er bei diesem ungeheuern Wechsel ins Gleichgewicht´seines neuen Schicksals , wie zugänglich zeigte er sich im Mißgeschickt seinen Vertrauten, empfänglich für Uebel die er kennen lernte , offen für alle menschlichen Empfindungen , seitdem der Thron ihn nicht mehr vor den Unannehmlichkeiten gewöhnlichen Looses sicherte ; wie ließ er den Menschen er=
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scheinen , als der Kaiser verschwunden war und wie lobte er die Freiheit sobald er Gefangener war , so daß man daraus schloß er sei im Geheimen während seines ehemaligen Glückes immer so gewesen. Die Anläufe von Gerechtigkeit , welche er zeigte als er der Schwächere war, glaubten wir , würde er zeigen wenn er der Stärkere wäre. Die Gestalt Napoleons von 1800 bis 1815 wurde so in der Geschichte durch den Widerschein der Jahre von 1816 bis 1821 beeinträchtigt. Wir ließen die in der Gefangenschaft geschöpfte spätreife Weisheit in die Vergangenheit auf den kaiserlichen Thron zurückſteigen. Störung für die meisten Erzählungen !
Eine große Ursache zur
Daher der gemäßigte , un-
parteiische fast gutherzige Napoleon , dem ganz entgegengesetzt welchen die Zeitgenossen gekannt haben und von dem sie uns den wahrhaften Eindruck überliefert haben.
Verwirren wir nicht alle Zeiten durch eine
weiche Nachgiebigkeit , die auch keinen Gegenstand hat , denn das leere Grab von St. Helena ruft niemandes Mitleid mehr an.
Wir dürfen
glauben daß dieser große Schatten besänftigt und befriedigt ist und daß seine Wünsche für sich erfüllt sind.
Uebertragen wir daher unser Mit-
leid anders wohin auf reellere oder unverdientere Uebel , und nüßen wir wenigstens dasjenige was wir von dem Mitgefühl gelöſt haben um zur Wahrheit allein zu gelangen.. Napoleons Ruhm ist groß genug ; machen wir ihn nicht übermenschlich indem wir sein Unglück gleich seinen Triumphen loben. Wenn wir ihn Cäsar vergleichen , vergeſſen wir nicht den Unterschied.
Cäsar
behauptete alle seine Eroberungen ; Napoleon verlor dié seinigen alle. Cäsar wurde in keiner seiner Berechnungen getäuscht ; er unterlag keinem Irrthum. Nichts kann Napoleons Erfolgen verglichen werden , es wären denn seine Niederlagen. Wenn Cäsar durch seine Schuld zweimal den Einbruch der Barbaren in Rom herbeigeführt , wenn er in vier Feldzügen in Gallien, Germanien , Jberien , Scythien die römischen Heere verloren hätte : ist es glaublich daß die Alten ihm für seine Niederlagen ebensoviel Dank wie für seine Siege gewußt hätten ? kennt , darf daran zweifeln.
Wer ihren einſichtsvollen Geiſt
Juhalts - Verzeichniß.
Seite Erster Theil.
Die Geschichtschreiber des Kaiserreichs. 1. Das unvermeidliche Schicksal • 2. Legende und Geschichte • 3. Grundsäße der Feldzüge von 1812 , 13 und 14 4. Berichte Napoleons. Die neuern Geschichtschreiber 5. Die Restauration von 1814 6. Rückkehr von Elba. Zusahakte . 7. Feldzugsplan. Militairischer Zustand von Frankreich 8. Zusammensetzung und Stellung der französischen, englischen und preußischen Armeen
36
9. Belgien vom strategischen Gesichtspunkte aus. ßischen Kantonnirungen •
42
1222
26 32
Die englischen und preu-
Ligny und Quatrebras. 46 53
61 66 71
៖ ៥
1. Eröffnung des Feldzugs. Uebergang über die Sambre 2. Prüfung der dem Marschall Ney vom Beginne des Feldzugs an gemachten Vorwürfe 3. Verzögerungen des Herzogs von Wellington. Concentration der preußischen Armee. Napoleons Zaudern • 4. Schlachtplan Napoleons • 5. Schlacht bei Ligny • 6. Bewegungen und Contremarsch des Erlonschen Corps. Welches war die Ursache davon. 7. Quatrebras
3333
Zweiter Theil.
1 4 8 14
77 79
8. Rückzug der Preußen. Woher kommt Napoleons Unthätigkeit am Mor88 gen des 17 ? Inſtruktionen des Marschalls Grouchy . 98 9. Rückzug des Herzogs von Wellington auf Mont St. Jean . • 102 10. Die Nacht vor der Schlacht • 106 11. Schlachtordnung der beiden Armeen. Napoleons Plan Dritter Theil.
Die Schlacht von Waterloo.
1. Erste Phase der Schlacht . 2. Veränderung des Schlachtplans .
116 124
Seite 3. Grouchy hört das Feuer bei Waterloo. Gérard räth ins Gefecht zu • marschiren. Warum der Rath abgewiesen wird . · 4. Verlauf der Schlacht. Dazwischenkunft des Corps von Bülow • • • • 5. Die beiden Angriffe der Garde . 6. Einbruch des Corps von Ziethen. Vormarsch der englischen Armee • 7. Verfolg. Vertheidigung von Planchenoit durch Lobau . 8. Verfolgung der Nacht 9. Kurze Zusammenfaſſung der über die Schlacht von Waterloo ausge= sprochenen Meinungen 10. Prüfung der über das Benehmen des Marſchalls Grouchy gefällten Urtheile. Schluß
Vierter Theil. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14.
Druckfehler. 3. " " " " " "
14 v. 16 v. 12 v. 4 v. 8 v. 9 v. 4 v.
150 156 158 162 167
Die Abdankung.
Gefechte bei Wavre. Rückzug Grouchys Rückkehr Napoleons in den Palaſt Elysée . Abdankung Pläne Napoleons Die Wiedervereinigung der Armee Marsch des Feindes auf Paris . Die Kammer der Abgeordneten . Fouché . Napoleon zu Malmaison . Unterhandlungen Einschließung von Paris. Gefecht von Versailles Kriegsrath. Convention von Paris Die Invasion. Zweite Restauration . Napoleon zu St. Helena .
G. 6. " 39. " 119. " 124. " 126 . 140. " 143.
134 140 144
o. lies Darius ſt. Darins. u. l. Thielman ſt. Thielemann. o. l. Ziethen st. Zieten. u. (Note) I. Heymės st. Heyniès. b. I. Papelotte st. Pagellotte. u. muß es heißen : 4. Verlauf 2c. st. 3. Verlauf 2c. o. I. Maison dü Roi ſt. Maiſon le Roi.
•
175 183 187 190 194 197 201 205 208 213 217 221 225 228
Im Verlage von Auguſt Freyſchmidt in Cassel ist ferner erschienen: Der Feldzug des Generals Fouqué in Schlesien. 1760. Von E. v. St. Mit 2 Plänen. 8. geh. Preis 1 Thlr. 15 Sgr. Die » Mil. Lit. Zeitg. « sagt über dieses Werk : „ Ju dem uns vor= liegenden Werke hat sich der Verf. eine Episode zur Bearbeitung gewählt, die gewiß einer gründlichen Beleuchtung und Darstellung werth ist.. Das Werk ist mit großem Fleiß und vielem Geschick für historische Forschung und Darstellung bearbeitet. Ditfurth , Max v. , Erzählungen aus der hessischen Kriegsgeschichte. 2 Hfte.
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