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German Pages 578 Year 1858
Geschichte
des
Feldzuges
von
1815 .
Waterloo .
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Oberstleutnant Charras.
AUGSBURG Autorisirte deutsche Ausgabe nebst 5 Plänen und Karten.
Dresden. Verlagsbuchhandlung von Rudolf Kunze. 1858.
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Vorrede zur deutschen Ausgabe.
Das vorliegende Werk hat schon theils in der bisherigen Gestalt, theils in Exzerpten eine Verbreitung gefunden, die bei einem rein militairischen Werke Staunen erregen könnte. Das Bedürfniß einer Ueberſegung trat immer mehr hervor. Mag auf die Abfaſſung des Werkes auch ein politisches Motiv noch so bestimmend eingewirkt haben , mag man dieses Motiv theilen oder nicht Charras hat mit einer bisher an einem franzöſiſchen Geschichtswerke unerhörten Treue und Gerechtigkeitsliebe geschrieben ; es ist dadurch zu einer wesentlichen Bereicherung der kriegsgeschichtlichen Litteratur geworden und verdient somit die Ehre einer Uebersezung und weiteren Verbreitung in Deutſchland. Der Uebersezer hat nicht die Absicht gehabt, das vorliegende Werk zu kritisiren ; er hat sich deshalb, mit Ausnahme eines einzigen Falles , aller, oft ſehr *
IV naheliegender Bemerkungen zu des Verfaſſers politischen Auseinandersehungen, sowie zu solchen militairischen Angaben enthalten , die mit den deutschen Quellen nicht völlig übereinstimmen. Der Leser wird, wenn es ihm um Kritik zu thun ist , leicht herausfinden , was von des Verfaſſers politischer und militairischer Partheiſtellung herrührt und , je nach der Verschiedenheit dieser Stellungen, anderen Anschauungen unterliegen kann . 18.
Vorrede.
Der Feldzug von 1815 ist sammt seinen für Frankreich so verderblichen Folgen schon oft beschrieben worden ; Franzosen und Ausländer haben darin gewetteifert. Fast ein halbes Jahrhundert ist seit dieser groBen Niederlage unserer Waffen verflossen ; aber das Andenken an dieselbe ist noch immer lebhaft, sowohl in den Herzen der Kinder Frankreichs , als auch bei den Völkern , die noch vor Kurzem gegen uns verbündet waren. - Das ist in der Ordnung ; die
Vaterlandsliebe gebietet es. Während eines dreijährigen Aufenthaltes in Belgien habe ich Gelegenheit gehabt , dieſem kurzen und vernichtenden Kriege auf dem Terrain ſelbſt zu folgen. Ich begann dieses Studium mit den Memoiren Napoléons in der Hand ; ich war seit lange von Aber bald fand ich ihrer Genauigkeit überzeugt. die Unmöglichkeit, sie mit den Ereigniſſen in Einflang zu bringen.
VI Ich durchschaute diese Erzählung , die in ihrem raschen Flusse und ihrer zauberhaften Wirkung mit der Zeit und den Entfernungen spielt, die Thatsachen verlegt, verändert , verhüllt , oder nach Gelegenheit deren erfindet und keinen andern Zweck verfolgt, als die feine Apologie Dessen , der sie zusammengestellt hat. Welche Wirkung eines Namens , der Verhältnisse und der Geschicklichkeit eines Schriftstellers ! Diese Apologie hat sich in unserem Lande an die Stelle der Geschichte gedrängt , und seit mehr als dreißig Jahren dient sie allen Geschichtswerken französischen Namens zur Grundlage . Ich wiederhole , daß ich an die Wahrhaftigkeit Aber von der Napoleonischen Erzählung glaubte. dem Augenblick an , wo sich mir die Ueberzeugung aufdrängte , daß darin die Wahrheit nicht liegen könne , war ich entschloſſen , ſie rücksichtslos zu ſuchen. Ich mußte zu diesem Ende bis zu den Quellen selbst hinaufsteigen. Briefwechsel , Ördres , Rapporte der kommandirenden Generale und ihrer Gehilfen ; Erzählungen , Notizen , Erläuterungen , Memoiren, herrührend von Männern, die einen Antheil an den Ereignissen genommen, - groß oder flein auf der einen Seite oder auf der andern ; politische oder militairische Geschichtswerke , Kritiken aus den verschiedenen Ländern, ich wollte Alles lesen, Alles prüfen, sichten und vergleichen. Befreundete Hände haben für mich die Archive des Depôt de la Guerre in Paris durchforscht - Archive , die zwar sehr unvollständig sind , aber doch bisher zu wenig beachtet wurden. Die Archive des Niederländischen Kriegsministeriums sind zu meiner Verfügung gestellt worden und zwar mit jenem Wohlwollen , welches ein bezeichnender Zug aller Beamten dieses gastfreundlichen Landes ist; ich habe daraus die werthvollsten Dokumente gezogen. Und endlich haben eine Anzahl
VII noch lebender Mitkämpfer, Franzosen und Ausländer, mir verschiedene wichtige Mittheilungen zugehen lassen. Mit Hilfe dieses gesammten Materials und deſſen Zusammenstellung und Vergleichung , mit Hilfe der Erörterungen, welche sich später zwischen den Siegern entspannen , ihrer Widersprüche und Enthüllungen, habe ich, entfernt von jeder Partheistellung oder vorgefaßten Meinung , die Geschichte vom Verlaufe des Feldzugs von 1815 mir neu aufgebaut. Hierauf habe ich nun diese so oft und in so vie len Sprachen behandelte Geschichte auch geschrieben . Ich So ist das vorliegende Buch entstanden. gebe mit demselben, es ist meine feste Ueberzeugung, den Thatsachen wieder ihre wahre Gestalt und den Männern wieder ihren wahren Charakter ; ich sehe nicht auf die Farbe der Fahne, wenn ich Lob zu spenden oder wenn ich zu kritisiren habe. Wer seinen Feind verläumdet oder herabſegt, vermindert, wenn er Sieger ist , den Glanz seiner Erfolge , und vermehrt , wenn er geschlagen ist, das Gewicht seiner Niederlage. Ich habe mich nicht auf die Schilderung der Operationen beschränkt. Wenn die Armeen sich Schlachten liefern , wie die von Ligny , Quatrebras und Waterloo , wenn sie mit einer Tapferkeit fechten, die an die Wuth der alten Bürgerkriege erinnert , wenn eine Nation, wie die Franzosen , eine Nation von 27 Millionen Menschen , eine Nation von Soldaten auch nicht Eine Patrone verschießt , um das eigene Land zu vertheidigen und sich in wenig Tagen unterjochen läßt , so reicht eine Erzählung der militairischen Ereignisse nicht aus , um ein solches Ende genügend zu erklären. Im Jahre 1815 waren es nicht Faktoren strategischer oder taktischer Natur und ihre üble Benugung
VIII von der einen, oder ihre geschicktere Ausbeutung von der andern Seite, welche das Unglück des Vaterlandes herbeiführten . Es sind andere Ursachen vorhanden ; ich habe sie aufgesucht und genau bezeichnet. Es mag sein, daß nach Durchleſung diese Buches Ein Mann in kleinerem Lichte erscheint ; aber die französische Armee wird größer und Frankreich weniger erniedrigt sein. Und dieses Resultat paßt beſſer zu meinem Geist, zu meinem Herzen und zu meinem Patriotismus , als die Trugblilder , welche man so lange für wahr gehalten. Der Leser denkt, ich hoffe es, wie ich.
Im Haag, 25. Mai 1857.
Erstes Kapitel.
Der Wiener Kongreß erhält die Nachricht von Napoleons Ankunft in Frankreich. — Erklärung vom 13. März . — Bündniß. - Vorbereitungen zum Kriege. - Die öffentliche Meinung in Deutschland und England. - Stärke und Stellung der verbündeten Armeen zu Anfang Juni 1815 . - Feldzugsplan der Berbündeten.
Die Nachricht, daß Napoleon im Golfe von Juan gelandet, traf am 8. März in Wien ein. Der Kongreß traf ohne Zögern seine Maaßregeln. Am 13. März ward die bekannte Deklaration unterzeichnet und veröffentlicht, welche den Flüchtling von Elba außerhalb des Völkerrechtes stellte und ihn für vogelfrei erklärte; am 25. März traten England, Rußland, Preußen und Deſtreich in einem Vertrage zusammen , mittelst dessen sie sich verpflichteten, alle ihre Hilfsmittel zu dem Kriege gegen Frankreich zu verwenden, oder um mit den Worten der Bevollmächtigten zu sprechen , „ um Bonaparte unbedingt außer Stand zu ſeßen , neue Unruhen zu erregen und neue Versuche auf die Oberherrschaft in Frankreich zu unternehmen." Ein Artikel des Vertrags bestimmte, daß alle Staaten Europas zum Beitritt einzuladen seien . Sie traten bei. Nur Schweden und Portugal verweigerten, ein Kontingent zu stellen. 1 Charras, Waterloo.
2 Bernadotte hatte Norwegen erlangt , und hatte von der Krone Frankreichs geträumt. Der Traum war zerflossen. Er war mißvergnügt und zog sich zurück. Portugal war von dem langen Kampfe gegen Napoleon erschöpft und bedurfte der Ruhe. Spanien grenzte zwar mit Frankreich auf einer langen Strecke, aber seine Lage entrückte es dem Schauplaße der großen Operationen ; es sollte ſelbſtſtändig auftreten, aber ohnmächtig wie es war, hat es nicht einmal eine Diversion zuwege gebracht. Der König Ludwig XVIII. , schon flüchtig , ward gleichfalls zur Zustimmung eingeladen und trat als Vertragsmacht bei. Das Minimalkontingent für jede der 4 verbundenen Großmächte ward nach gemeinschaftlicher Uebereinkunft auf 150,000 Mann festgesetzt ; ,, darunter wenigstens o Rei= terei, Artillerie in gehörigem Verhältniß, die Besaßungen nicht mit gerechnet." Durch eine nachträgliche Bestim= mung ward jedoch nachgelassen , daß England sein Kontingent entweder effektiv stelle oder für jeden fehlenden Infanteristen oder Reiter eine zu bestimmende Summe zahle. Die verbündeten Mächte hatten zwar seit dem Pariser Frieden allmählig ihre Armeen vermindert , aber noch waren sie nicht auf den Friedensfuß geseßt; die neue Karte von Europa, die neue Vertheilung der Völker waren noch nicht fertig. Die Fragen, welche noch zu lösen waren, ja, noch mehr, die, welche schon gelöst waren, hatten gegen= feitiges Mißtrauen, Eifersüchteleien, Mißſtimmungen und Störungen hervorgerufen. Man beobachtete sich, die Hand am Säbel , und so weit war es bereits gekommen , daß über die Vertheilung der Beute beinahe der Krieg zwischen den Siegern ausgebrochen wäre. Das wäre freilich, selbst unter der Regierung der Bourbons, ein glücklicher Zwischenfall für Frankreich gewesen. Aber die Bestrebungen Napoleons ließen alle Zwistig= keiten verschwinden. Die gemeinsame Gefahr stellte mit einem Zauberschlage die Einigkeit her.
3 Alexander, Friedrich Wilhelm und die Herrscher der meisten anderen Staaten befanden sich in Wien . Nach allen Seiten flogen die Befehle, die Armeen in der ausgedehntesten Weise auf den Kriegsfuß zu setzen. So geschah es , daß die Parteiungen des Kongresses, welche für Frankreich vielleicht eine Handhabe werden konnten, zur theilweisen Ausgleichung der durch das Kaiser= reich verursachten Niederlagen , daß diese Parteiungen, wegen deren die Armeen auf einem hohen Stande erhalten worden waren, durch die That Napoleons zu Frankreichs Unglück ausschlugen. England war mit den Vereinigten Staaten im Kriege gewesen und hatte eine ziemlich starke Armee in Nordamerika. Der Frieden von Gent , der in den letzten Tagen des Februar ratifizirt worden, stellte dieſe Truppen zur Verfügung, und sie erhielten Befehl, sich mit größter Beschleunigung nach England einzufchiffen. Am 5. April traf Wellington , von Wien kommend, in Brüssel ein ; ohne Unterbrechung wurden in Antwerpen und Ostende Soldaten, Pferde, Kriegsmaterial aller Art ausgeschifft. Wilhelm von Oranien war durch eine kecke That, feines Stammes würdig, König von Holland und Belgien geworden; die Verbündeten hatten seine Schritte gutge= heißen. Jetzt beschleunigte er die Besißnahme seiner neuen Provinzen und die Organiſation und Aufstellung seiner Armee. Nieuport, Ostende , Antwerpen wurden in Verthei= digungsstand gesetzt und verproviantirt ; eine Anzahl an= derer festen Pläge in Belgien, deren Werke demolirt wor= den waren oder seit 25 Jahren in Ruinen fielen, wurden vor einem Handstreiche sicher gestellt ; die Schleusen für die Ueberschwemmungen Flanderns wurden durch Verschanzungen gedeckt; zwanzig tausend Arbeiter waren requirirt worden und hatten Alles mit größter Eile in Stand zu seßen. Allem Anſcheine nach war König Wilhelm zuerst bedroht. 1*
4 Die russischen Armeekorps waren noch auf dem Marsche nach dem Innern des Reichs ; sie machten Kehrt. Am 5. April war Alexander bei den Truppen eingetroffen, die noch an der Weichsel und am Njemen standen ; er stachelte durch einen Tagesbefehl ihren Haß gegen Napoleon ,,, diese Geißel des menschlichen Geschlechts " auf, verkündete, daß Er selbst sich an ihre Spize stelle , traf die erforderlichen Anordnungen und setzte kurz darauf die Truppen gegen den Rhein in Marſch. Zwei Tage später sprach auch Friedrich Wilhelm seine Armee an und in nicht minder starken Worten ; er fügte noch Beleidigungen gegen die französischen Soldaten dazu . Schon hatte er eine allgemeine Bewaffnung angeordnet ; das stehende Heer sollte schleunigst ergänzt wer= den, die Landwehr zusammentreten, die freiwilligen JägerAbtheilungen sich bilden. Nicht weniger Eifer zeigte der Kaiser von Oestreich. Er war unverhofft von Murat angegriffen worden und vereinigte eine Armee in Italien , um das Werk schleuniger Gerechtigkeit an dem dünkelhaften und abenteuerlichen König von Neapel zu vollziehen , gleichzeitig aber stellte er auch zwei starke Armeekorps auf, die für den Rhein bestimmt waren. Die Völker hielten mit ihren Anliegen zurück, und verzichteten einstweilen auf die seit Jahresfrist erwarteten Freiheiten und Verfaſſungen. In allen Staaten Deutschlands ertönte der Kriegsruf; die Kontingente traten mit Schnelligkeit zuſammen. Die Zeughäuser waren gefüllt ; der größte Theil der Soldaten, welche den Unabhängigkeitskrieg durchgefochten hatten, war noch bei den Fahnen ; der andere Theil war aber erst nach Haus zurückgekehrt ; das Kabinet von St. James versprach reichliche Subsidien ; der Patriotismus war erregt, das Siegesbewußtsein strahlte noch im frischesten Glanze , und verdeckte die früheren Niederlagen. Alles war und ging leicht.
5 Deutschland ward wieder, wie 1813, von Enthusiasmus und Kampfluſt ergriffen. Die Kanzeln und die Lehrstühle verwandelten sich wieder in Rednerbühnen , von denen aus ohne Unterlaß der Ruf zu den Waffen für das bedrohte Vaterland er= tönte. Die Professoren vertauschten wiederum das Lehrfleid mit der Uniform ; ihre Zöglinge griffen zur Büchse. Die Lieder von Arndt und von Körner, diese volksthüm= lichen Kriegsgesänge Deutschlands, hallten in allen Städten und Dörfern wieder. Die Zeitungen, Flugschriften und Proklamationen jagten sich ; ſie riefen alle die erlit= tenen Unbilden und Quälereien , das vergossene Blut, den Untergang so vielen Vermögen in das Gedächtniß Aller zurück, sie schürten überall den Haß zur lichten Lohe und schleuderten Drohungen und Beleidigungen nicht blos gegen Napoleon , ſondern auch leider ! gegen Frankreich. Da waren die großen Erpressungen von Berlin und Hamburg, die maaßlosen und unaufhörlichen Requisitionen, die von fremden Kriegen verschlungenen Kontingente ; da war die große Ungerechtigkeit der Kontinentalsperre , die Napoleon seinen Bundesgenossen aufgezwungen hatte und bei ihnen mit so großer Härte aufrecht erhielt , während er selbst sie zu seinem Vortheil, an den Küsten des Reiches, brach; da waren Rom, Holland , Oldenburg , die Hanseſtädte, die im tiefen Frieden und unter Vertragsbruch dem Kaiserreiche einverleibt worden ; da waren die Verlegungen der Neutralität, der Mord von Vincennes, der Hinterhalt von Bayonne , der Einfall in Spanien , die als Apanagen an die Brüder , Schwestern und Generale verschenkten Völker ; da waren auch die von jedem Kriege unzertrennlichen Uebel - Alles ward aufgerufen und vorgeführt , um die Völker gegen den Mann in Waffen zu rufen, der noch immer die Oberherrschaft in Europa wollte, und gegen das französische Volk, das man seinen Mitschuldigen nannte. Diese Verbindung, dieſe Gegenseitigkeit oder Mitschuld hatte niemals bestanden.
6 Durch drakonische Gesetze hatte Napoleon dieſes Volk gleich manchem anderen - dazu gebracht, daß es ihm nur ein Mittel war zu seinen Eroberungen ; aber niemals hat er es gefragt, noch konnte er wagen, darnach zu fragen, ob es seinen unbesonnenen Kriegen oder seinen Gewaltthaten beistimme. Er hatte die Rednerbühne, die Freiheit und jede wirkliche Vertretung unterdrückt ; er regierte als Alleinherrscher. Aber die Vaterlandsliebe, so wenig wie der Haß ver= stehen sich auf derartige Unterscheidungen, wenn die Ge= fahr in ihrer ganzen Größe erscheint. Frankreich und Napoleon wurden in gleicher Weise verflucht. Noch ein Mal sollte Frankreich erfahren , was einem Volke die Schwachheit kostet , sich der Laune und dem Glücke eines Herrn zu übergeben. Europa sprach den Bann über Frankreich. In dem freien England versuchten die überlegteren und unpartheiischeren Schriftsteller und Redner vergebens, die Verantwortlichkeit für die vergangenen Uebel allein auf Napoleon zu wälzen und riethen, ehe zu den Waffen gegriffen würde, abzuwarten, ob er nicht durch die Lehren des Unglücks ein Anderer geworden sei , ob nicht seine Eroberungslust sich gelegt, ob das französische Volk nicht durch strenge Begrenzung seiner Machtvollkommenheit ihm Zügel anlegen werde. Aber ihre Stimmen verhallten unbeachtet im eigenen Lande und wurden unter dem pa= triotischen Lärmen, der Deutschland erfüllte, nicht einmal gehört. Die Regierung Napoleons war so gleichbedeutend mit Krieg, Eroberung und Unterdrückung geworden, daß weder Herrscher noch Völker den Wiederbeginn dieser Regierung ohne die gleichzeitige Rückkehr der genannten Uebel verstehen konnten. Sie beeilten den Angriff, um den ge= meinsamen Feind niederzuwerfen, ehe er all seine gewaltigen Vertheidigungsmittel bereitet hatte. In den ersten Tagen des Juni 1815 verbreiteten der Abschluß der deutschen Bundesakte, die Versprechungen
7 einer freisinnigen Regierung , der landständischen Verfassungen für die Einzelstaaten , einen neuen und mächtigen Aufschwung in der Begeisterung der Maſſen. Die Streitkräfte des in Waffen befindlichen und ver= bündeten Europa's vertheilten sich in dieser Zeit wie folgt. In Belgien standen 100,000 M. Engländer, Niederländer, Hannoveraner , Braunschweiger und Nassauer unter den Befehlen des Feldmarschalls Herzogs v . Wellington ; 120,000 Preußen wurden von dem Feldmarschall Fürsten Blücher kommandirt. Im Großherzogthum Luxemburg standen 25,000 M. deutscher Truppen aus den nördlichen Bundesstaaten unter dem Generalleutnant von Kleist. Im Marsche gegen Mainz , Oppenheim und Mannheim 170,000 M. Russen unter dem Feldmarschall Barklah de Tolly. Am Rheine von Mannheim aufwärts bis Schaffhausen standen 255,000 M. Destreicher, Bayern, Wür= temberger und von den übrigen deutschen Bundesstaaten unter dem Feldmarschall Fürsten von Schwarzenberg. An der Grenze der Schweiz standen 35,000 M., von den Kantonen aufgestellt, um ihre Neutralität gegen Napoleon aufrecht zu halten, in Wahrheit aber beſtimmt, mit den Verbündeten zu operiren. Im Wallis und in Savoyen 60,000 M. Dest= reicher und Sardinier, unter dem Feldmarschall-Leutnant Frimont. Am Var 10,000 M. Sardinier unter General d'Osasco. Das giebt ein Total von 775,000 Mann, ohne die Besetzungen der Grenzpläße , und hinter diesen Massen organisirten sich die Reserven und Nachschübe , die an 300,000 M. geschätzt werden. Frankreich war also vom Mittelländischen Meere bis zur Nordsee von mehr als einer Million Soldaten be= droht. Die Kaiser von Rußland und Oestreich , so wie
8 der König von Preußen hatten sich nach Heidelberg begeben, um so den Ereignissen näher zu sein.
Man war entschlossen , nur dergestalt in Verbindung zu operiren , daß die eine Hauptmasse die andere unterstüßen könne und wartete deshalb mit der Eröffnung der Feindseligkeiten, bis die ruſs. Armeen bei Kaiserslautern, in der Höhe von Schwarzenbergs Tinten Flügel , ange= kommen sein würden. Zum ersten Juli ward Dem ent= gegengesehen . Spätestens für diesen Tag also waren die ersten Ereignisse zu erwarten. Der Operationsplan war auf die Erfahrungen der beiden leßten , für Frankreich so verderblichen Feldzüge gegründet. Er läßt sich in wenig Worten zeichnen. Schwarzenberg sollte mit 2 Kolonnen gleichzeitig den Rhein überschreiten, mit der linken bei Basel und Rheinfelden, mit der rechten bei Germersheim und Mannheim, im Anschlaß an die russ. Kolonnen . Er würde die Vogesen, die Queich, die Saar forciren, die schlecht vertheidigten Pläße nehmen , die besser vertheidigten einschließen und die Korps, welchen die Deckung der Elsaß obläge, einerseits auf Belfort, andrerseits auf Straßburg drängen. Seine Hauptrichtung würde auf St. Dizia und Chalons s. M. gehen. Die Russen würden die Saar unterhalb der Destreichischen Kolonnen, die Mosel zwischen Thionville und Metz, die Maaß bei Verdun überschreiten, und sich gegen Chalons s . M. und Rheims dirigiren, mit den Festungen aber verfahren, wie oben angegeben. Das Korps Kleist sollte einen Weg zwischen unsern Pläßen an der Maaß eröffnen, gegen Sedan rücken und die betreffenden Festungen beobachten oder einſchließen. Blücher und Wellington sollten sich mit Eröffnung ihrer Offensive nach den Fortschritten der Ruſſen und Destreicher richten , über Maubeuge und Avesnes vorrücken und die Richtung auf Laon nehmen. Das gemeinsame Operationsobjekt aller dieser Armeen fei Paris.
9 Der mächtige Bogen, deſſen eines Ende sich auf Bafel, das andere auf Ostende stüßte , sollte sich nach und nach herum biegen und schließlich die Hauptstadt Frankreichs mit eisernen Klammern umfaſſen. Da wo Napoleon selbst sein würde, müſſe man vermeiden zu schlagen, es wäre denn, daß man ihm bedentend überlegene Kräfte entgegensetzen könne. Man erinnerte sich des Feldzugs vom vorigen Jahre. Das Objekt der vereinigten Destreichisch-Sardiniſchen Armee war Lyon. War diese wichtige Stadt genommen, so sollte die Armee ein Stück die Saône aufwärts rücken und sich dann an Schwarzenbergs linken Flügel an= schließen. Das war der Feldzugsplan der Verbündeten in ſeinen großen Grundzügen.
Zweites Kapitel.
Ursachen des Erfolges Napoleons gegen die Bourbons. Die Revolution wäre auch ohne ihn ausgebrochen. - Seine Sprache, seine Versprechungen während des Marsches auf Paris. - Das Volk läßt sich davon fortreißen - die Maaß— Vorspiegelungen regeln des Kaisers enttäuschen es aber bald. Napoleons , anfangs um die Beſchlüſſe des Wiener Kongreſſes — Murat zu verhüllen, dann um ihre Tragweite zu verringern. hat die Möglichkeit des Friedens nicht gestört, — es gab deren überhaupt nur im Siege. - Der Enthusiasmus des Volkes ift abgekühlt burch die Doppelzüngigkeit und die VerheimlichDie Armee in ihrer Reorganiſation ungen Napoleons. durch die Bourbons - ihr Effektivstand am 1. Januar und 1. April 1815 - erst drei Wochen nach der Rückkehr nach Paris trifft Napoleon Anstalten, um die Wehrkraft Frankreichs zu vermehren. - Bezeichnung dieser Maaßregeln - deren Erfolge. Stand der bewaffneten Macht Anfang Juni 1815. - Formation der Armeekorps deren Stärke. - Stärke der Festungsbesatzungen. Die Fehler , welche die Regierung Ludwigs XVIII. begangen , wurden noch vermehrt durch die übertriebenen Reden, die Drohungen und die thörigen Anmaaßungen der rohalistischen Parthei , der alten Emigrirten und des
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katholischen Klerus ; sie hatten alle Elemente einer Revo= lution zusammengehäuft, und bereits war der seit kaum einem Jahre restaurirte Thron in Gefahr, als Napoleon mit etwa 1000 Soldaten die Insel Elba verließ und auf der Rhede von Frejus landete. Die Zeitgenossen bezeichnen diese Revolution als be= vorstehend und unvermeidlich ; aber ihr Zweck wäre niemals geweſen, dem gefallenen Kaiser die Krone zurückzugeben, noch würde sie jemals dieses Resultat gehabt ha= ben. In einer großen Zahl Departements fürchtete man, wenn auch mit Unrecht, aber darum nicht minder lebhaft, die Wiederherstellung der Zehnten, des Grundzinses und aller der feudalen Rechte, welche jetzt von den Royalisten auf das Lebhafteste zurückgefordert wurden. Millionen Bürger waren bei den Veränderungen betheiligt, welche der Besitzwechsel der Nationalgüter hervorgerufen hatte ; schon sahen sie von Tag zu Tag den Werth ihres Eigen= thums schwinden, schon hörten sie die ungestümen Forderungen der seit 25 Jahren außer Beſiß gesetzten früheren Inhaber. Die Rückkehr Napoleons in die Tuilerien mußte allerdings diese Forderungen wie die entstandenen Besorgnisse zerstreuen.
Aber die Nation, erschöpft vom Kriege, wie sie war, wollte den Frieden , unter deſſen Fittigen ihre Kraft sich wieder herstellen, Handel und Industrie sich heben konn= ten. Die Unterschiede der Abstammung, die Vorzüge der Geburt wurden wieder hervorgesucht, und waren ihr ver= haßt. Sie sehnte sich nach der Rückkehr der durch die Revolution verkündeten Grundsätze. Sie dürftete nach Freiheit. Die königliche Charte gab , obwohl sie hinterliftig ausgelegt wurde, deren viel, namentlich wenn man fie mit dem von Napoleon organisirten absolutistischen Systeme vergleicht. Die Nation wollte jedoch mehr. Friede, Gleichheit und Freiheit konnte man nimmer= mehr von der Regierung Napoleons erwarten und darum
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ward seines Namens bei den revolutionären Hoffnungen und Plänen niemals gedacht. Napoleon selbst aber war von der Zufluchtsstätte ans, die ihm seine Niederlagen angewiesen , aufmerksam der wachsenden Aufregung der Geister gefolgt. Er fürchtete, man würde ihm Elba entziehen und ihn zu einer Transportation in entfernte Gegenden verurtheilen : er beschloß die Aufregung Frankreichs für sich zu benutzen, zu dieſem Zwecke durch rasches Handeln den Feinden der Bourbons zuvorzukommen und alle ihre Ideen , mit denen sie eine Erhebung des Landes hervorrufen wollten, selbst auf sein Panier zu seßen. Mit dem Betreten des französischen Bodens stellte er sich als ein Anderer dar , als ein Mann , der durch die Schule des Unglücks geläutert und durch die Ver= bannung belehrt worden sei ; seine Proklamationen und Reden athmeten nur die Liebe zum Frieden, die Achtung vor der Demokratie und der Freiheit. Es war eine vollständige Umwandlung mit ihm vorgegangen . Das Volk in seiner Masse vertraut gern und irrt deshalb leicht. Die neue Sprache riß Alles mit sich fort; man glaubte an einen dauerhaften Frieden unter der Regierung Napoleons, an die wahrhafte Bekehrung Deſſen, der die Geburtsadel wieder hergestellt und als Allein= herrscher regiert hatte; man schloß sich an die Armee an, die ihrem alten Führer zujubelte und bahnte ihm den Weg bis zu den Tuilerien. Auf vielen Punkten ließ die Bevölkerung sich nicht mit fortreißen ; aber es durfte keinem Zweifel unterliegen, daß die Mehrzahl derselben die Bewegung theilte. Bald indeffen zerflossen die Täuschungen , die Napoleon mit feiner gewohnten Geschicklichkeit und Hinterlist aufgebaut hatte und dann trat die ganze Thorheit dieser halb militairischen, halb volksthümlichen Revolution hervor, deren Resultat nur noch darin bestand, Dem die oberste Gewalt in die Hände geführt zu haben , Der noch vor Kurzem den unvertilgbaren Haß der Völker wie der Herrscher auf
13 sich geladen hatte, Dem, deffen Name schon als eine Drohung angesehen wurde, die man ganz Europa in's Gesicht schleuderte, Dem endlich , der als der Inbegriff der Contre-Revolution angesehen werden mußte. Kaum hatte er den von den Bourbons verlassenen Thron bestiegen , so stellte er das Gepränge, die Ge= wohnheiten und die Etikette des Kaiserreichs wieder her. Er verläugnete zwar seine frühern Grundsäße, aber mit alleiniger Ausnahme Carnots , feßen wir hinzu, des mit dem Grafentitel versehenen Carnots , wählte er alle die Männer wieder zu seinen Ministern, welche seit 15 Jahren die Werkzeuge seiner Willkür-Herrschaft gewesen wa ren ; er berief zu den Staatsämtern die früheren Inhaber oder ließ sie in ihren Stellungen ; und seine ganze Familie fam wieder herbei, um ihren früheren Antheil an Macht, Ehren und Reichthümern auf's Neue in Empfang zu nehmen. Von der Rückkehr zur Gleichheit war nicht mehr die Rede, und das Wort Freiheit bildete nur den vorsichtig verwendeten Ausput allgemeiner Reden, bis es dann vor dem Acte additionnel gänzlich verschwand, der in der Stille seiner Gemächer ausgearbeitet , dann den Schlußstein der kaiserlichen Willkürherrschaft bildete. Der Glaube an die Aufrechthaltung des heißer= sehnten Friedens war , in Folge zahlreicher Anstrengun= gen, von etwas längerer Dauer. Napoleon mit seiner unerschütterlichen Sicherheit, läugnete die Nähe der Gefahr; er entstellte und verringerte alle die Ereignisse und die Nachrichten , welche sie verkündeten. Zuerst warf er der Leichtgläubigkeit des Volkes als nächsten Gegenstand die Ankündigung hin , daß die Kaiserin, die Tochter des Hauses Habsburg , zurückkehren werde ; sie sei durch die Allgewalt des Sieges in ſeinen Sturz verwickelt worden, sie werde aber kommen und das Maifest durch ihre Gegenwart verherrlichen , den Thronerben an der Hand und mit ihr werde das Bündniß mit Desterreich , das auf Rußlands Eissteppen ver=
14 loren gegangen, gleichfalls zurückkehren - mit ihr, die mit lächelndem Munde und freudigem Herzen das unterjochte und zertretene Frankreich verlassen , um einer illegitimen Leidenschaft zu folgen ! Die Erklärung vom 13. März , die in vielen Departements gleichzeitig mit der Nachricht von der Rückkehr in die Tuilerien verbreitet war, widersprach freilich in bestimmtester Weiſe allen seinen Zusicherungen. Der Polizeiminister , dann auch der Staatsrath wurden beauftragt , das Dokument als verfälscht und untergeschoben anzufechten ; es rühre von Ludwigs XVIII. Gesandten an den Wiener Kongreß her, und diese hätten sich nicht gescheut, auch die Namen der übrigen Kongreßgesandten darunter zu seßen. Na= poleon verbreitete diese Lesart selbst und sogar unter seinen vertrauteſten Anhängern ; der Minister des Innern, Carnot und die außerordentlichen Commiſſaire, *) welche er in die Provinzen entſandte, mußten in offizieller Weise die Rückkehr der Kaiſerin und seines Sohnes ankündigen. Die Couriere, welche von dem neuen Kabinet der Tuilerien entsendet wurden , sahen sich an den Grenzen von Deutschland und Italien angehalten ; nach London fonnten sie nur mit Hilfe kleinlicher Vorwände gelangen. Frankreich ist im Blokadezustande, war die allgemeine
*) Der Marschall Ney hat seine Entsendung in die nördlichen und östlichen Provinzen folgendermaaßen erzählt: „Ich empfing einen langen Brief von ihm (Napoleon) , in welchem er mir vorschrieb , die ganze Grenze von Lille bis Landau zu bereisen. Ich trug den Charakter eines außerordentlichen Commissairs. Meine Instructionen enthielten den ausdrücklichen Befehl, überall anzukündigen, daß der Kaiser künftig weder Krieg fübren wolle, noch fönne, weil die Verabredungen, die mit Deftreich und England auf Elba besprochen und festgesetzt worden seien, es so bestimmten; daß die Kaiserin Marie Luise und der König von Nom als Geiseln so lange in Wien bleiben würden, bis er Frankreich eine freisinnige Verfassung gegeben und die Bestimmungen obiger Verträge ausgeführt haben werde; nachher würde sie mit seinem Sohne nach Paris zurückkehren.“
15 ww Rede. Napoleon ließ dagegen verbreiten, daß kein Grund zu ernsten Besorgnissen vorhanden sei ; ein Zufall , ein Mißverständniß sei es und werde sich bald aufklären . Er verbreitete Gerüchte von Unterhandlungen , und im Moniteur ließ er einen Brief an die Könige, seine Brüder, einrücken, eine Art Idylle, worin er sie einlud, die Reize des Friedens in Ruhe zu genießen. Er ließ den Allianzvertrag, der die Folge der Er= klärung vom 13. März war, in Abrede stellen . Dann aber, als die öffentliche Meinung anfing, durch diese Täuschungen hindurch die Wahrheit zu er kennen, suchte er neue Trugbilder hervor. Im Moniteur erschien ein längerer Bericht des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten , worin Napoleon (denn er war es, der sprach) geſtand , daß ein Vertrag den 25. März unterzeichnet worden sei, der die alte Allianz von Chaumont neu feststelle ; daß man in ganz Europa rüste und marschire oder sich dazu vorbereite ; aber, fügte er hinzu, der Zweck dieser Maaßregeln ist wahrscheinlich ein rein defensiver. Und um die Trag= weite dieser verspäteten und ' schwer abgerungenen Ge= ständnisse noch zu verringern , wurden Seiten der Ministerien der Polizei, der Finanzen und der Justiz an ihre Unterbeamten , also an Die, welche mit den Massen zu= meist in Berührung kamen, Rundschreiben erlaſſen, worin gesagt war, daß Frankreich keinesfalls für seine Unab= hängigkeit zu kämpfen haben werde und daß die fremden Mächte die Anordnungen der Vorsehung , welche Napoleon auf den Thron zurückgeführt, respectiren würden . Der Moniteur ergriff darauf wieder das Wort, gab die äußerste Stärke der verbündeten Armeen auf 400,000 Mann an und setzte dazu , daß darunter noch 100,000 Mann seien , Belgier, Holländer , Badener, Würtemberger , Bayern , Sachsen, welche im Begriff stünden, sich aufzulösen. Aber auch andere Hoffnungen wurden aufgeregt und mit Sorgfalt genährt.
16 Im englischen Parlamente stüßte sich eine Minorität auf einen Theil der Presse, auf Kundgebungen und Adressen wenig bedeutender Meetings, um die Politik des Wiener Kongreſſes anzugreifen und dem Ministerium gegenüber, welches rüstete, den Frieden zu vertreten. In allen halb- offiziellen Blättern wurde darauf von Napoleon die Bedeutung dieſer Partei übertrieben ; die Opposition wuchs von Tag zu Tage, bald mußte sie die Majorität erlangen , mit ihr die Ministerstellen und auf diese Art würden die Verbündeten zur Ohnmacht verurtheilt werden , da Großbrittannien ihnen dann seine, von den Lords Liverpool und Castlereagh zugesagten Schäße vor= enthalten würde. Zugleich legte er mit Hilfe der Karten dar , daß die abgerissenen Landestheile, welche der Wiener Kongreß vertheilt, unfehlbar zu ernſten Zwiſtigkeiten zwischen den Verbündeten führen müßten. Nach seinen Worten war es viel wahrscheinlicher, daß sie sich unter einander be= kriegen würden, als daß sie zu einem Kriege gegen Frankreich schreiten könnten. Endlich kamen auch die Völker selbst an die Reihe, sie, die Unterdrückten , seien im Begriff, das Joch ihrer Fürsten abzuschütteln , und auf diese Art die Armeen Preußens , Destreichs und des deutschen Bundes aufzu= lösen. Von jenseits des Rheines , der Alpen , ja der Pyrenäen tönten die Rufe nach dem Befreier“ herüber als ob er während einer langen Regierung je etwas Anderes gethan hätte, als die Nationalitäten zu unterdrücken. Deutsche, Italiener, Holländer, Portugieſen und Spanier hatten das Joch der Eroberung gefühlt, alle waren einer gewaltthätigen und raubgierigen Willkürherrschaft unterworfen gewesen und zwar der verhaßeiner fremden. teſten von allen Napoleon hatte jederzeit die Könige getäuscht also glaubten sie keinem seiner Worte mehr. Er schwor ihnen zu, daß er nur den Frieden wolle und sie be= schleunigten ihre Rüstungen.
17 Er hatte aber auch die Völker getäuscht, und darum machten aber auch die Völker gemeinsame Sache mit ihren Herrschern gegen ihn ; sie fürchteten auf's Neue von seinen Eroberungen erdrückt und die Beute seines Ehrgeizes , die Opfer der Habsucht seiner Familie und der Geldgier seiner Militair- und Civilbeamten zu wer= Es ist gewiß, daß Napoleon sich über die einden. müthige Erhebung Europa's nicht täuschte , er sah den Krieg kommen, der auf ihn , auf Frankreich herabstürzen follte . In der Gefangenschaft von St. Helena, als er sich und seine Geschichte so zurechtstellte, wie er wünschte, daß beide auf die Nachwelt kommen möchten, da hat er gesagt, daß es 1815 eine Möglichkeit des Friedens gege= ben habe, und hat seinen Schwager Murat beschuldigt, durch seine eben so tolle als lächerliche Unternehmung dieselbe vernichtet zu haben ; dieſe Anschuldigung ist aber vollkommen unbegründet. Die Erklärung vom 13. März, die von Talleyrand entworfen , aber von Oestreich dem Kongreß vorgelegt worden, ist viel früher, als die Schilderhebung dieses Emporkömmlings , der sich in seinem Königreiche zu beengt fühlen wollte. Sein Einfall in Rom war in Wien noch nicht bekannt, als daselbst der Allianzvertrag unterzeichnet wurde, der ohnehin nichts als die nothwendige und vorhergesehene Folge der erwähnten Erklärung war. Zum Ueberfluß trägt die Proklamation Murats, in welcher er die Völker Italiens zu den Waffen rief, das Datum des 21. März. Sein Auftreten war nicht blos mit den Beschlüſſen des Kongresses außer Zusammenhang , sondern im Besonderen auch den Maaßregeln Oestreichs völlig fremd. Endlich aber ist noch wohl zu bemerken, daß Murat selbst nach seiner Niederlage von Napoleon nicht verläugnet ward. Der Moniteur und das Journal de l'Empire machten großes Aufhebens von den doch so ge= ringen Erfolgen , die er anfänglich errang. Selbst der 2 Charras, Waterloo.
18 Telegraph ward in Bewegung gefeßt , um Siege zu verkünden, die Murat niemals erfochten ; als er aber ge= schlagen war und sich auf der Flucht befand , zögerte man lange mit Veröffentlichung dieser Thatsachen und erwähnte seiner nur noch, als er in Frankreich ange= fommen war. Aber eine Mißbilligung, ein Tadel seines Betragens wurden niemals ausgesprochen. Es ist ein großer Unterschied zwischen diesem Benehmen und den bittern Vorwürfen, die später , nach Waterloo unter den Leiden der Gefangenschaft, niedergelegt wurden . Man darf vielleicht als wahr annehmen , daß Murat nur in Uebereinstimmung mit Napoleons Absichten so handelte, wie er gehandelt hat. Wenigstens hat er selbst dies im Juli 1815 in einem Briefe an Fouché ausgesprochen. „ Ich werde ,“ sagt er ,,,alle Die, welche mich beschuldigen , die Feindseligkeiten zu zeitig eröffnet zu haben, auf das bestimmte Verlangen des Kaisers ver= weisen. Und in einem andern Briefe, etwa einen Monat früher , sagt er einer ihm theuern Person mitten unter traurigen Herzensergießungen der König Joſeph schrieb mir : der Kaiser befiehlt mir , Ihnen zu sagen, 11 . daß Sie rasch gegen die Alpen vorrücken sollen." Wenn also überhaupt Friedenshoffnungen dagewesen und durch die Murat'sche Unternehmung zerstört worden wären , so müßte man , allen Anzeichen nach , Napoleon selbst die Schuld davon beimessen, denn er hatte die Erhebung seines Schwagers beschleunigt , vielleicht in der Hoffnung , durch den Aufstand eines ganzen Volkes den Kongreß einzuschüchtern. Aber , wir wiederholen es , die Beschlüsse der Souveraine waren gefaßt und in Verträ= gen festgestellt , ehe sie durch das Benehmen des Königs von Neapel beeinflußt sein konnten . Friedensaussichten ! Es gab nur solche , welche der Sieg verleihen konnte. Die gegentheilige Versicherung, die so spät von St. Helena aus die Schuld auf Murat wälzte , ist wie so viele andere Versicherungen und Be-
19 schuldigungen gleicher Art, die Napoleon durch den gefü= gigen Mund seiner Begleiter in die Welt gesandt, ledig= lich bestimmt, die Verantwortlichkeit zu verringern, welche sein Andenken belastet denn , in Wahrheit , es ist Das eine schwere Verantwortlichkeit , zwei verderbliche Kriege in das Land gezogen zu haben, in ein Land, das er mit der Rheingrenze übernommen hatte und das er verließ besiegt, unterjocht und auf engere Grenzen zurückgeführt, als die der alten Monarchie waren. Der Friede, wenn wir annehmen wollen , daß der fiegreiche Napoleon ihn jemals ernstlich gehalten hätte, konnte nur aus dem Siege entspringen. Aber der Sieg war schwer, selbst wenn alle Kräfte Frankreichs ohne Verzug aufgeboten wurden. Der Kampf war nahe bevorstehend und von gewaltiger Entwickelung. Europa führte seine gesammte Kraft herbei. Das neue Oberhaupt des Reichs , das so rasch auf den verloren geweſenen Thron zurückgelangt war, durfte also keinen Tag, keine Stunde verlieren, um die ausgedehntesten Maaßregeln vorzubereiten. In diefer drangvollen Zeit wurden die Tage zu Monaten und die Monate zu Jahren. Er mußte den Muth haben, fofort das ganze Gewicht der Verhältnisse zu verkünden. und alle Hilfsmittel , alle Energie Frankreichs zur Ver= theidigung seiner bedrohten Unabhängigkeit aufzurufen. Als früher eine ähnliche Gefahr Frankreich bedrohte, da zögerte der Konvent nicht und that die volle Wahrheit fund. Er war im Stande gewesen , einen kühnen und gewaltigen Entschluß zu fassen : er legte der Nation die Schwierigkeiten der Gegenwart und der Zukunft klar vor und verlangte gleichzeitig die schwersten Opfer. Der Konvent hat aber auch die eingedrungenen Armeen zu= rückgeworfen und das Vaterland gerettet. Das war ein Beispiel , ein Vorgang. Napoleon folgte ihm nicht. Bis zum letzten Augenblick verbarg und verdrehte er die Wahrheit . Er sprach vom Frieden, als ganz Europa zu den Waffen griff, bezeichnete anfangs 2*
20 ihn als gewiß , und selbst dann noch als wahrscheinlich, als schon der Krieg mit schnellen Schritten herannahte. Frankreich sollte erst mit dem Donner der Kanonen die ganze Gefahr der Lage erkennen . Napoleon hatte vorzugsweise durch die Doppelzüngigkeit seiner innern Politik den Enthusiasmus des Volfes erkältet. * ) Er hätte durch ein offenes Zugeständniß der Lage ihn wieder erhoben und neu gekräftigt und hätte gleichzeitig damit auch alle die außerordentlichen Maaßregeln gerechtfertigt, welche seinen mit der Diktatur befleideten Händen entflossen. Aber er wagte es nicht, dieses Zugeständniß zu geben. Er hätte damit ja auch ausgesprochen , daß die Unabhängigkeit Frankreichs nur bedroht sei , weil er als Triumphator von Elba zurückgekehrt; er mochte fürchten , daß Frankreich, wenn es die Lage der Dinge überschaue, der Gefahr dadurch vorbeuge, daß es das Werk des 20. März fallen lasse. Wenn Napoleon vom Throne stieg oder gestürzt wurde, wenn Frankreich sich dann eine freisinnige Regier= ung gab , so konnte die Einmüthigkeit der Könige und ihrer Völker schwinden, ja das Bündniß der Könige ſelbſt konnte sich auflösen. Die Furcht vor der oben erwähnten Lösung des Knotens , mochte sie nun wohlbegründet oder nur eine gespenstische sein, diese selbstsüchtige Furcht aber war es, welcher alle jene Verheimlichungen , Verzögerungen und halben Maaßregeln entsprangen, die den Sturz des Vaterlandes nach sich zogen. Wie in einer Flugschrift richtig bemerkt ist, Napo= leon wollte es unternehmen, die Termopylen noch in der leşten Stunde zu vertheidigen ; er wollte die Aufstellung
*) Napoleon täuschte sich nicht über den Stand der öffentlichen Meinung. Am Tage vor der Verkündigung des Acte additionnel sagte er zu Benjamin Conſtant , einem ſeiner Räthe : Die Stimmung war vortrefflich jetzt ist sie ab, scheulich." (Mem. d. 100 Tage von Benjamin Constant.)
21 der Streitkräfte gewiſſermaaßen erschleichen , während es doch der Sturmglocke der allgemeinen Gefahr bedurfte, während doch eine Volksbewaffnung , der Aufstand einer ganzen Nation erforderlich waren. Er begann wieder, wie er es 1814 gehalten hatte und bereitete so den nämlichen Zuſammenſturz vor. Nichtsdestoweniger hat er in den Diktaten von St. Helena sich gerühmt, mit welcher staunenswerthen Energie und Thätigkeit er in der Zeit vom 20. März bis 11. Juni 1815 gearbeitet habe und hat darin von ſei= nen Schöpfungen ein Bild voll Farbe und Leben gege= Aber die Farbe iſt trügerisch und die Zeichnung ben.
ist falsch. Denn gerade die Energie und die Thätigteit fehlten , welche allein im Stande gewesen wären, der unermeßlichkeit der Gefahr und den gewaltigen Mitteln des Angriffs das Gleichgewicht zu halten. Durch Königliche Ordonnanzen vom 12. Mai 1814 war die Armee reorganisirt worden und sollte bestehen aus : 107. Regimentern Infanterie, 61 Reiterei, " 8 " Fußartillerie, 4 reitende Artillerie, " 1 Bataillon Pontonniere, 4 Schwadronen Train, 12 Kompagnien Artilleriearbeiter (Ouvriers d'Artillerie), 3 Regimentern Genietruppen, 1 Kompagnie Geniearbeiter (Ouvriers du génie), 1 Genietrain, 2 Bataillonen Fuhrwesen. Die Infanterie zählte 90 Regimenter Linie, 15 leichte Regimenter, das Regiment zu 3 Bataillonen *),
*) Eine Ordonnanz vom 12. August 1814 fügte 6 Bataillone hinzu und vertheilte sie in 4 Regimenter. Sie waren zum Kolonialdienſt beſtimmt.
22 das Bataillon zu 6 Kompagnien ; dann 2 Regimenter, die aus den Resten der alten Kaisergarde formirt waren und den Namen der Königlichen Grenadiere und Jäger von Frankreich (Corps Royaux de Grenadiers et de Chasseurs de France) erhalten hatten, mit 4 Batail= lonen *), jedes zu 6 Kompagnien. Diese 107 Regimenter hatten außerdem noch , als überzählig, die Offiziere für ein Bataillon. Die Reiterei bestand aus 61 Regimentern, nämlich 12 Kürassier-Regimentern, 2 Karabinier= " " 15 Dragoner6 Ulanen= " "" 15 Jäger= und 6 Husaren- ** ) " 4 Regimentern , die von der Reiterei der Garde stammten und die Namen der Königlichen Grenadiere zu Pferd , Dragoner , Cheveaux legersLanciers und Jäger von Frankreich (Corps Royaux) führten. Die sämmtlichen Regimenter waren zu 4 Schwa= dronen formirt, hatten aber die Offiziere zu einer fünften . Die Regimenter der Fußartillerie hatten 21 Kom = pagnien , die der reitenden Artillerie 6 , der Pontonnierbataillone 8, die Genie-Regimenter 12 . Der Effektivstand war für den Friedensfuß , die Offiziere und die Korps Royaux mit eingerechnet auf 211,812 Mann festgesetzt , wovon 149,795 Mann Infanterie ***), 38,611 Mann Reiterei mit 32,164 Pfer= den und 15,993 Mann Artillerie. Zu diesem Effektivstande sind noch 10,000 Vetera= nen in 120 Kompagnien und 14,000 Gensd'armen zu * Sie sollten anfangs nur 3 Bataillons zählen , das 4. ward aber bei der Formation hinzugefügt. **) Die ursprüngliche Ordonnauz hatte nur 6 HuſarenRegimenter festgesetzt; es kam später das 7. aber hinzu. ***) Ohne die 6 Bataillons für die Kolonien.
23 Fuß und zu Pferd hinzuzurechnen , welche letteren den Polizeidienst in Paris und den Departements verſahen. Von Anfang herein war die Stärke der Armee ziemlich bedeutend unter der festgesetzten Zahl geblieben. Aber als im Monat November sich beim Wiener Kon= greffe so weitgehende Meinungsverschiedenheiten geltend machten , hatte eine Königliche Ordonnanz etwa 60,000 Mann unter die Fahnen zurück gerufen und unter dem nächsten 1. Januar weist ein im Kriegsministerium aufgestellter Etat nach, daß 113,000 Mann Infanterie und 23,000 Mann Reiterei marsch fertig waren.*) Rech= net man zu diesen Zahlen noch die Stärke der Artille= rie, des Genies 2c., die der Etat gleichfalls ausweist , so geht daraus hervor, daß die Regierung über eine Armee von 155,000 Mann (einschließlich der Offiziere) verfügte, die vollkommen marschfertig war, und hinter der in zweiter Linie, in Depots 2c. 40 bis 50,000 Mann standen, ohne die Veteranen und die Gensd'armerie. Nach verläßlichen Angaben war diese Armee gut ausgerüstet, bekleidet und bezahlt. Am 9. März hatte die Königliche Regierung abermals eine Anzahl alter Soldaten einberufen. Es han= delte sich um die Vertheidigung gegen Napoleon. Aber die Ereignisse überſtürzten sich zu sehr ; die Maaßregel konnte nicht vollständig ausgeführt werden. Trotzdem waren dadurch etwa 20,000 Mann dem Bestande der Armee zugewachsen , als der Regierungswechsel erfolgte. Ein anderer Etat , gleichfalls im Kriegsministerium und zwar vom 1. April zusammengestellt , liefert davon den Beweis.
Nach diesem Etat zählte die Armee an dem ge= nannten Tage 223,972 Mann aller Waffen bei den Fahnen,
*) Ohne 4 Schweizer - Regimenter von neuer Formation und ohne die Kolonialbataillons.
24 mit Einschluß der Offiziere *) ; außerdem aber befanden sich fast 8000 Mann in den Hospitälern , 19,300 auf kur= zem Urlaube, 13,646 auf längerem Urlaube. Das gab nur immer wieder 155,000 Mann marschfertiger Truppen. Diese Zahl war offenbar vollkommen ungenügend für die Lage, in welche Frankreich durch die Herstellung des Kaiserthums Europa gegenüber gekommen war. Aber mit Energie und Thätigkeit ließen sich ansehnliche Verstärkungen in's Leben rufen. Wie erschöpft auch das Land durch die langen und verderblichen Kriege sein mochte , es hatte noch immer reiche Hilfsquellen ; man brauchte sie nur zu benußen . Im April 1814 zählten unsere Armeen bei Paris, Lyon und Toulouſe, in Italien , dann die Beſaßungen in Frankreich , Belgien, am Rhein , in Deutschland 2c. und die Depots an 450,000 Mann . Durch den Frieden kehrten 150,000 Kriegsgefangene zurück. Am 1. April 1815 mußten also, außer den 224,000 Mann bei den Fahnen, anderweite 376,000 Mann ausgebildeter Soldaten vorhanden sein , die man vor Allem zur Verstärkung der Armee benutzen konnte. Natürlich mußten die Gebietsabtretungen , die Verwundungen , Krankheiten, Gebrechen , Todesfälle , Heirathen die leßtangege= bene Summe beträchtlich reducirt haben. Aber man bleibt weit innerhalb der Grenzen der Wahrheit , wenn man annimmt, daß immer noch 250,000 Mann tüchti ger Soldaten zur Verwendung standen. Bereits im Oktober 1813 hatte die kaiserliche Regierung, ihrer entsetzlichen Gewohnheit nach, die junge Generation von 1815 insgesammt vorweg zu den Fah-
*) Hierbei sind etwa 700 Mann, die auf Elba geblieben, und 1000 Mann , die mit dem Kaiser zurückgekommen waren, eingerechnet.
25 nen berufen. Die Ereignisse verhinderten die Ausführ= ung dieser Maaßregel. *) Die ganze Altersklasse war etwa auf 160,000 Mann geschätzt gewesen. Troß der Verengerung der Grenzen und des Einflusses einiger anderer mitwirkender Ursachen konnte sie immer noch wenigstens 110,000 Mann liefern. Es bedurfte also nur einer Verordnung , um in kürzester Frist 360,000 Mann zur Vertheidigung des Vaterlandes herbeizurufen ; von diesen waren 250,000 Mann bereits kriegsgeübte Soldaten. Von den etwa 100,000 Mann , die in Pension, Wartegeld 2c. standen , ließen sich etwa 25 bis 30,000 Mann zusammenstellen , die eine unschäßbare Hilfe für den Dienst in den Grenzplätzen und im Lande gewesen wären. Da ferner durch die Vernichtung unserer Seemacht die Matrofen verfügbar geworden waren, so konn= ten sie , unter ihren früheren Offizieren , zur Vertheidigung der Küstenpläße und Forts benußt werden. Endlich aber hatte man noch die Nationalgarde, die fast im ganzen Lande aufgeboten werden konnte und die in zahlreichen mobilen Bataillonen zur Beseßung der Festungen und zur Reserve für die aktive Armee eine vortreffliche Verwendung finden konnte. Napoleon vernachlässigte keines diefer Hilfsmittel. Aber er benutzte sie nur mit Zögern , Langſamkeit und Aengstlichkeit. Schon waren drei Wochen seiner neuen Herrschaft verstrichen, ehe er sich entschloß, die ersten und nothwendigsten Schritte zur Verstärkung der Armee zu thun. Am 9. April erschien im Moniteur und zwei Tage später in der Gesetzsammlung ein Dekret **), welches *) Von dieser Aushebung waren im Winter 1813 14 etwa 45,000 Mann in die Depots gekommen und beim Frieden entlassen worden. Sie sind in der oben gegebenen Zahl von 450,000 Mann nicht einbegriffen. (Vergl. Carnot, Bericht an die Kammern, 13. Juni 1815.) **) d . d . 28. März.
26 alle Unteroffiziere und Soldaten zu den Fahnen rief, die Dem aus irgend welcher Ursache abgegangen waren. einmal angenommenen Systeme entsprechend , wornach er sich immer bestrebte, den Ernst der Verhältnisse zu ver= hüllen, gab ihnen der Kaiser ,,das ausdrückliche Verspre= chen, sobald der gegenwärtige Friede gesichert sei, würden sie zu allererst in ihre Heimath entlassen werden." Und um gleichzeitig anzudeuten, daß die Maaßregel wenig dringend sei , erschienen die ministeriellen Ausführungsverordnungen erst unter dem 12. April. Am 21. März hatte Napoleon die Reorganiſation der alten Garde angeordnet. *) Bei der Wiedereinbe= rufung der entlassenen Soldaten ordnete er gleichzeitig sowohl die Formation von 16 Regimentern junger Garde **), als die Vermehrung der Cadres der Armee an. Die Infanterie- und Reiter = Regimenter hatten sofort die Cadres ihrer 4. Bataillone und 5. Schwa= dronen - die bis daher nur aus den Offizieren be= standen -- zu vervollständigen und außerdem die Offiziere für je ein Bataillon und eine Schwadron neuerdings auf- und für die Formation dieſer Abtheilungen bereit zu stellen. Bis zu dem Eintreffen der wiedereinberufenen Soldaten hatte jedes Infanterie - Regiment 2 Bataillons, jedes Reiter-Regiment 3 Schwadronen aus den dispo= niblen Mannschaften zu formiren, und unter Vermeidung der Bezeichnung Kriegsbataillone 2c. dieselben zur Dienstbereitschaft aufzustellen. Einige Tage später gab Napoleon allen Regimen= tern diejenigen Nummern wieder , welche sie während einer 25jährigen Kriegsperiode und selbst in den Zeiten ſchwerer Unfälle mit Ehren geführt hatten.
*) d. d . 13. März ; es erschien aber erst den 21. März. **) Das Defret vom 9. April ſetzte die Zahl auf 12 Négimenter junger Garde fest, die 4 andern wurden i Monat später formirt.
27 Unter dem 13. April forderte der Kriegsminister die alten, in Pension oder dergleichen stehenden Soldaten auf, sich zum Dienst in der Artillerie und zwar in den besonders für sie zu organisirenden Bataillonen und Kompagnien zu melden. An demselben Tage ward die allmählige Formation von 4 Bataillonen Gensdarmen zu Fuß angeordnet , die aus freiwillig wieder eintretenden ehemaligen Gensd'ar= men zusammengestellt und Reservebataillone genannt werden sollten. Der Train der Artillerie ward auf 8 Schwa= dronen, das Militair-Fuhrwesen auf 8 Bataillone gefeßt. Ein Dekret vom 23. April ordnete die Wiederherstellung der Artillerie - Küstenwach - Kompagnien an und setzte deren Zahl auf 60 fest , von denen 10 in fester Station. In den ersten Tagen des Mai begann man mit der Formation von 20 Matrosen-Regimentern. Endlich, einen Monat später, gingen auch von Pa= ris die Befehle ab , die Aushebung der Altersklasse von 1815 vorzunehmen ; doch wurden auch dazu noch nicht alle Departements bestimmt , und " überhaupt nur diejenigen , welche beim Aufrufe dieſer Altersklasse für den Dienst bestimmt worden waren und sich auf den Ab= marschlisten eingetragen fänden." Der Minister setzte den äußersten Termin für die Geschäfte der Revisionsräthe auf den 15. Juni fest. Cadres errichten, sie mit Offizieren versehen Das war nicht schwer, denn Offiziere aller Grade , aller Waffen waren im Ueberfluß vorhanden und alle warte= ten nur auf einen Ministerial-Befehl , um sich bei den ihnen angewiesenen Korps zu melden. Aber es handelte sich darum , diese Cadres auszufüllen , sie schleunig mit Unteroffizieren und Soldaten zu versehen , und daran follte Napoleon scheitern und zwar wegen mangelnder Thätigkeit , wegen der mangelnden allgemeinen Begeister- . ung und wegen des mangelnden energischen Zugreifens feiner Organe.
28 Der Aufruf an die alten Soldaten , der in die Regimenter aller Waffen 250,000 Mann bringen konnte und sollte, ergab kaum 60,000 Mann, worin schon Diejenigen zählten , die der Königlichen Ordonnanz vom 9. März nachgekommen waren. Die Resultate des Aufrufes waren in der Champagne, Lothringen , Elsaß, Franche-Comté, Burgund , im Dauphiné, in Paris und seinen Umgebungen gut und auch rasch, aber im Süden, Westen und Norden war es leider anders. Im Departement der Rhonemündungen z. B. waren von 3283 aufgerufenen Mann am 9. Juni nur 137 abgegangen , im Departement Vaucluse waren am 5. Juni von 2500 Mann nur 485 abgegangen ; die Mehrzahl defertirte, ehe sie am Bestimmungsorte eintra= fen. Im Departement Tarn und Garonne hatten sich am 3. Juni von 1000 kaum 100 gestellt. *) Wo die Behörden noch über hinreichende bewaffnete Macht gebo= ten, da ſtellte man mobile Kolonnen auf, um die Deferteure und sonstige Uebelgesinnte aufzugreifen , aber auch hiervon waren die Ergebnisse nur unbedeutend . Im Norden z . B. konnte eine ganze Division, in mobilen Kolonnen verwendet, in 14 Tagen nur etwa 100 Ausgetretene zusammenbringen. Mit Hilfe der Einwohner entwischten die Flüchtlinge immer zur rechten Zeit. Ludwig XVIII. hatte bei seiner Abreise nach Belgien ein Defret erlassen, welches die Armee auflöste und verbot, Napoleon irgend welchen Militairdienst zu leiſten . Die Royalistische Parthei , die in zu großer Zahl ihren verabscheuungswürdigen Ueberlieferungen anhing, bot Alles auf, um die Ausführung der Königlichen Befehle durchzusehen , und an vielen Punkten gelangen ihre Bestreb= ungen , zumal ihnen die Schwäche und Thatlosigkeit der Kaiserlichen Beamten noch in die Hände arbeiteten. Napoleon vereinigte mit den freisinnigen Grund* Vergl. Briefe an den Kaiser von seinen OrdonnanzOffizieren de Lannoy und Planat.
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fäßen, die er im Afte additionnel ausgesprochen hatte, die alten Gewohnheiten seiner Willkürherrschaft. So ſette er in den meiſten Militärdiviſionen beſondere Kommiſſionen *) ein , denen er das Recht verlieh , verdächtige Personen unter polizeiliche Aufsicht zu stellen oder aus dem Departement zu verweisen. Aber die Ausnahmsmaaßregeln , welche in Verfolg dieſer Dekrete ergriffen wurden, erbitterten die Gemüther, ohne den Bestrebungen der Royalisten wirksam zu begegnen . Selbst ausgezeich= nete Patrioten haben unter ihnen zu leiden gehabt. Die freiwillige Anwerbung ergab etwa 10,000 M. Die in Penſion 2c. befindlichen Soldaten zeigten einen trefflichen Geist und vielen Eifer ; die Ziffer von 25,000 Mann , die sie lieferten, ist keineswegs übertrie= ben.**) An den Küsten des Mittelmeeres war es so gut wie unmöglich, die Artillerie-Kompagnien der Küstenwache zu formiren ; ihre Stärke stieg im Ganzen aber doch auf 45000 Mann. *) Diese Kommissionen bestanden aus dem Kommandanten der Militairdivision, dem Präfekten und dem Kaiserlichen Profurator am Hauptorte der Diviſion. **) In dem Exposé , welches Carnot unter dem 10./13. Juni den Kammern vorlegte, ist deren Zahl auf 33,000 Mann angegeben. Das ist unmöglich, denn so gut wie kein BatailIon war über 500 Mann stark. Im Uebrigen ist dieses Exposé zur Veröffentlichung bestimmt gewesen und sollte das Ausland über die öffentliche Meinung, über den Beistand, den Napoleon gefuuden und über unsere Stärke täuschen , wimmelte also von Fehlern. Hierzu einige Belege. Der Effektivstand der aktiven Armee ist darin den 20. März nur auf 175,000 Mann angegeben, während er 220,000 Mann überſtieg. - Die 25,000 M. alter Soldaten traten zwei Mal auf, in den aktiven Nationalgarden und im Bestande der Armee. - Die Zahl der bestehenden Infanterie- und Reiter-Regimenter wird geringer angege= ben. Die junge Garde wird zu 20,000 Mann angegeben, während eine allgemeine Uebersicht dieses Korps, d. d. 16. Juni, gezeichnet vom Chef des Generalstabes Deriot das Totale nur auf 9787 setzt, mit Einschluß der Offiziere und der Abwesenden.
30 Um die Freiwilligen und diejenigen alten Soldaten beffer verwenden zu können, welche trotzdem, daß sie Ausländer waren, doch nach dem Frieden in Frankreich geblieben, oder nach Napoleons Rückkehr von Elba wieder dahin gekommen waren , wurden zwei Reiter-Regi= menter zu 3 Schwadronen (Polen und Belgier) und 7 Infanterie-Regimenter zu 2 Bataillonen formirt (Piemontesen, Schweizer , Polen , Deutsche, Spanier, Irlän= Aber die Zahl der Eintretenden überstieg nicht der). 4000 Mann. Der Aufruf an die alten Matrosen führte etwa 20000 Mann zu den Fahnen. Napoleon liebte die Nationalgarde nicht , denn sie war eine freisinnige Schöpfung und kein Werkzeug des Despotismus . Aber in der bösen Zeit des Jahres 1813 hatte er auch zu ihr gegriffen. Jedoch hatte er die Nationalgarde, wie alle andern Schöpfungen der Revolu= tion, ihrem eigentlichen Wesen entfremdet, und außerdem auch sie nur zum Theil und in ungenügender Weise wieder aufgestellt . Unter der Königlichen Regierung hatte sich die Nationalgarde beträchtlich ausgebreitet und in der ersten Begeisterung des 20. März war sie wenig= stens in den Städten allgemein zuſammengetreten. Die Nationalgarde bildete aber nur eine lokale Kraft ; es handelte sich darum, sie verwendbar zu machen. Ein Dekret vom 10. April entsprach diesem Verhältniß. Aber erst am 10. April - wie viele verlo= rene Tage! Die männliche Bevölkerung zwischen 20 und 60 Jahren sollte in 3131 Bataillone getheilt werden , die dann einen Stand von 2,254,320 Nationalgardisten enthalten sollten , jedes Bataillon zu 720 Mann in 6 Kompagnien , jede von 120 Mann je 1 Grenadierund Fäger- und 4 Füsilier-Kompagnien. Die Regierung hatte alle Chargen zu ernennen. Diese umfassende Organisation blieb aber zum bei weitem größten Theile nur auf dem Papiere.
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Die Grenadiere und Jäger sollten lediglich aus Männern zwischen 20 und 40 Jahren genommen wer= den und den mobilen Theil der Nationalgarde bilden. In den Arrondissements und Departements sollten Komité's aufgestellt werden, deren Aufgabe es war, diese Leşteren auszuwählen und Diejenigen zu bezeichnen , die sich auf eigene Kosten zu bekleiden , auszurüsten und zu Wer dazu keine Mittel hatte, für bewaffnen hatten. den trat die Gemeinde ein. Ein weiteres Dekret, gleichfalls vom 10. April, befahl die sofortige Aufstellung von 204 Grenadier- und Jäger-Bataillonen , jedes von 6 Kompagnien und zwar in Flandern , Artois , Pikardie, Champagne, Lothringen, Breſſe, Elsaß, Burgund , Franche-Comté , Savoyen und Dauphiné. Defrete von noch späterem Datum , den 15. und 27. April, 1. und 10. Mai dehnten die Maaßregel_all= mählig auf alle übrigen Provinzen aus und erhöhten die Zahl der Bataillone auf 417 . Sie erhielten Kommandanten aus der Linie oder dem Pensions= rc. Stande. Nach Maaßgabe ihrer fortschreitenden Organisation waren sie dem Kriegsministerium zur Verfügung zu ſtel= len, das sie zur Vertheidigung der Grenzplätze, der Defileen, Flußübergänge und Feldverschanzungen nach Angabe des Vertheidigungsrathes verwenden würde." Diese 417 Bataillone sollten 300,240 Mann zählen. Man kam kaum bis zur Hälfte dieser Stärke. Am 10. Juni waren 240 Bataillons ihrer Beſtimmung überwieſen oder dahin auf dem Marsche. Etwa ein Zehntel der Nationalgarde hatte sich auf eigene Kosten ausgerüstet. Eine große Zahl alter Soldaten ist , wie Carnot in seinem am 15. Juni verlesenen Berichte sagte, in diese Bataillone eingetreten und hat dadurch den jungen Truppen eine werthvolle Verstärkung gebracht. Außer den mobilen Bataillonen wurden in den
32 meisten festen Pläßen noch aus der lokalen Nationalgarde Artilleriekompagnieen herausgezogen . Dieselben Departements, die bereits die größte Zahl alter Soldaten wieder eingestellt hatten , zeichneten sich auch durch ihren Eifer bei der Aufstellung der Nationalgarden aus. In Einem Monat waren ihre Bataillone formirt , organisirt und fast vollzählig , während andere Departements , wie Nord , Gironde, Dordogne 2c. faum die Hälfte ihrer Bataillone und auch diese noch mit sehr schwachen Etats zusammenbrachten, und noch andere, wie Rhonemündungen , Tarn und Garonne, Finisterre 2c. gar keins formirten. *) Mit Einem Worte, wo die Bevölkerung selbstthätig eingriff und nicht erst auf die Anregung der Kaiserlichen Beamten wartete , ging Alles rasch und gut ; wo diese aber abgewartet wurde, geschah nichts oder doch nur sehr wenig. Die Beweise dafür finden sich in überschießender Reichhaltigkeit bei den Verzögerungen in der Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung der wirklich aufgestellten Bataillone. Eine große Zahl derselben hatte am 10., am 15. Juni weder einen Mantel, noch eine Flinte, noch eine Patrontasche erhalten. Und doch wurden die Aufforderungen, Instruktionen , Ermahnungen und Be= fehle von der obersten Behörde förmlich verschwendet. Nie und zu keiner Zeit ist mehr geschrieben worden. Ohne Unterlaß folgten Rundschreiben auf Rundschreiben, Defret auf Dekrete, Beschluß auf Beschlüsse . Auch wurden außerordentliche Kommissaire in die Departements gesandt, um Alles zu beschleunigen. Aber es hatte nur wenig Erfolg und die Kommiſſaire, meist wenig glücklich ge= wählt , konnten auch den Beamten nicht den erwünschten Eifer einflößen, da er ihnen selbst abging.
*) Das Norddepartement sollte 14 Bataillons, Gironde 3, Dordogne 4, Tarn und Garonne 2, Finisterre 5 ſtellen.
33 Die Nationalgarde von Paris war 30,000 Mann ſtark, in 12 Legionen und 48 Bataillone getheilt. Man hatte nur Männer aus dem Bürgerstande eingereiht, meist Familienhäupter und von reiferem Alter. Diese Truppe war gut zum inneren oder Polizeidienste , aber sie taugte nichts , wenn der Feind wieder an die Thore der Hauptstadt klopfte, und es sich darum handelte, zu fechten . Man hätte alle kräftigeren Männer aus ihr herausziehen und von diesen eine oder einige Legionen formiren sollen, die zum Dienst vor dem Feinde geeignet waren ; die jungen Leute, die arbeitenden Klassen - alle Männer mit einem warmen Herzen , einem nervigen Arme und einer festen Faust mußten aufgerufen und bewaffnet werden. Aber in seiner steten Furcht vor der Demokratie wagte das Napoleon nicht. Nach langem Zögern traf er eine halbe Maaßregel und nachdem er sie angeordnet, führte er sie nicht einmal vollständig durch. Unter dem 18. Mai verfügte er die Formation von 24 Tirailleur-Bataillone der Nationalgarde , in welche besonders derjenige Theil der Bevölkerung eintreten sollte, der von der Nationalgarde ausgeſchloſſen ge= blieben war; Glieder der Pariser Gemeinden sollten hierbei den Vorzug haben. Etwa 14 oder 15,000 Mann traten sehr bald in diese Bataillone. Sie wählten unter einander die Unteroffiziere, der Kommandant dagegen und die Offiziere wurden aus der Armee entnommen und vom Kaiser ernannt. Wenn man sich nun etwas mit der Organiſation beeilt hätte, wenn sie Sold, Uniform, Ausrüstung und Waffen erhalten hätten , wenn man sie geübt hätte, so würde deren Zahl gewiß rasch zugenommen haben. Aber erst noch 14 Tagen erhielten fie 3000 Stüd Gewehre, und man beschränkte sich darauf, sie einmal in der Woche, des Sonntags , zusammen zu nehmen. Das entmuthigte, und anstatt daß die Pariser Gemein3 Charras, Waterloo.
34 den allein an 40,000 Mann hätten liefern können, hörten die Anmeldungen auf. Ein Mal hatten die Tirailleurs in den Tuilerien defilirt und in ziemlicher Stärke. Sie waren in ihren Werktagskleidern und in ihren Arbeitsmüßen , aber ihr kriegerisches und entschlossenes Aussehen hatte dem Hels den des Brumaire wohl gezeigt , daß Viele von ihnen den Krieg der Freiheit und den Krieg des Ruhmes mitgefochten hatten" - wie sie selbst in der am 14. Mai von ihnen im Tuilerienhofe dem Kaiſer überreichten Adreſſe fagten. Sie verlangten Waffen ; Napoleon versprach fie, aber nie wurde das Versprechen gehalten. Der Kaiser sah in ihnen , in ihren Zurufen und in ihrem Geiste das Volk und die Freiheit vor sich. Da mißtraute er ihnen und ohne Nußen verrann der Patriotismus dieser Männer , die vollkommen geeignet waren , hinter Verschanzungen zu fechten , wenn die Ar= mee wo anders gebraucht ward. Diese 24 Tirailleur-Bataillone und einige Artille= riekompagnien , deren Soldaten von den Schulen und Gymnasien , von der heranwachsenden Jugend der Bürgerschaft gestellt wurden, waren Alles , was man aus demjenigen Theile der Pariser Bevölkerung zu ziehen verstand, der wirklich zum Schlagen und zur Vertheidige ung der Stadt geeignet war. Auch in Lyon formirte man 12 Tirailleur-Bataillone und einige Artillerie - Kompagnien ; aber sie wurden auch nicht besser versorgt. Es muß noch darauf hingewiesen werden , daß alle diese Anordnungen zwei Monate nach Napoleons Rückkehr getroffen wurden. Es schien, als ob er darauf rechnen könne, erst nach Jahresfrist mit den Verbündeten handgemein zu werden. Sehr spät auch fing man an , an das Material der Armee zu denken ; aber man entwickelte dann doch mehr Thätigkeit. Am 1. April 1815 waren nur 150,000 Stitc
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Gewehre in den Zeughäusern , 300,000 . Stick waren in Ausbesserung oder in Auswechselungsstücken vorhanden. Blanke Waffen waren in großer Zahl da. Die Staatsfabriken lieferten 20,000 Stück Gewehre im Monat. Die Artillerie gewährte den Fabrikanten 2c. die nöthigen Vorschüsse ; sie erlaubte, Gewehre gemischter Façon anzunehmen , mit einfacheren Schlössern , als die nach dem Modell von 1777 ; Schloßtheile wurden in Kupfer gegossen und die Werkstätte zur Herstellung von Schlössern auf mechanischem Wege ward wieder eingerichtet. Gegen die Mitte Aprils wurden in Paris zehn große Werkstätten errichtet , deren Aufgabe war theils die Zusammensetzung der Auswechselungsstücke, theils die Ausbesserung alter Gewehre , theils die Anfertigung neuer. Gegen den Juni hin arbeiteten 6000 Menschen darin, Tischler , Uhrmacher, Ciseleurs , Mechaniker zc. Die Artillerieoffiziere entwickelten in der Leitung dieser Anstalten so vielen Eifer, daß mit dem Monat Mai täglich 1000 Stück Gewehre, theils neue, theils ausge= befferte, zum Gebrauche fertig wurden ; im Juni stieg die Zahl auf 1500 und ward immer beträchtlicher, je mehr sich die Arbeiter in diesem ihnen so neuen Zweige einrichteten ; sie sollte auf 3000 Stück kommen. Auch in den größeren Festungen wurden Repara= tur-Werkstätten eingerichtet. Um die Mitte Juni waren auf solche Weise bereits 180 bis 190,000 Stück Gewehre zusammengekommen ; mit den 150,000 Stück , welche bereits in den Zeug= häusern waren , gab dies eine Masse von 330 oder Davon brauchte man 40,000 340,000 Gewehren . Stück für die Freiwilligen , für die Infanteristen, die zufolge der Verordnung vom 9. April unter die Fahnen zurückgekommen waren ; 150,000 für die bereits aufge= stellten mobilen Bataillone der Nationalgarde , 45,000 Stück für die alten Soldaten aus dem Pensions = 2c. Stande und die alten Matrosen. Blieben noch 100,000 3*
36 Stück mit einem täglichen Zuwachs von 3-4000 Stück, hinreichend, um die nöthige Reserve für die Bewaffnung der aktiven Armee zu bilden , und um die anderweit aufzustellenden Nationalgarden und die Konskription von 1815 zu bewaffnen. Die Nationalgarden der Ortschaften waren übrigens mit einer großen Anzahl alter Gewehre versehen , die man selbst dann noch auf 250,000 Stück schäßen kann, man die hypothetischen Annahmen , die darüber verbreitet sind , bedeutend reducirt. Leicht konnte man auch diesen Vorrath nußbar machen , wenn man allen Denen , die zum Dienst vor dem Feinde nicht geeignet oder von zweifelhafter Gesinnung waren , die Gewehre abnahm und sie an die mobilen Nationalgarden austheilte. Außerdem gab es in den östlichen und südlichen Provinzen noch in den Händen der Landleute eine große Menge Gewehre , die sie hinter den Armeen aufgelesen hatten. Eine gute Anzahl davon ward in die Zeughäuser abgeliefert , aber man hätte davon noch mehr er= halten können . Das Artilleriematerial war ausreichend für die größten Armeen und im Stande , die Verluste mehrerer Felozüge zu ersetzen. Die Beschirrungen waren weder der Zahl noch der Beschaffenheit nach genügend ; aber es ward eine hinreichende Thätigkeit sowohl bei der Anfertigung als bei der Ausbesserung entwickelt, so daß bei Eröffnung des Feldzugs 75 Batterien bei der aktiven Armee und 20 Batterien , in ziemlich fortgeschrittener Formation , als Reserve auftreten konnten. Pulver und Gefchoffe mangelten nicht ; es ward aber doch in den Pulvermühlen und Gießereien eifrig gearbeitet. Die Bekleidung hatte größere Schwierigkeiten. Die Tuchfabriken, die für Militairlieferungen gearbeitet , wa= ren vor dem Frieden zahlreich gewesen , jetzt aber sehr
37 zurückgegangen , und auch die , welche noch arbeiteten, Die Staatskasse gab ge= hatten ihren Betrieb reducirt. gen Anfang April Vorschüsse an die Fabrikanten. Aber ein Monat mußte verstreichen , ehe die Werkstätten wieder organisirt und die Rohstoffe herbei geschafft waren . Immerhin konnten jedoch die Regimenter ihre neuen Ankömmlinge uniformiren, zumal da ihre Zahl, wie wir leider erwähnen mußten , nur gering war. Die Soldaten, die sich schon bei den Fahnen befanden , waren mit Allem gut versorgt. *) Zur Bekleidung der mobilen Nationalgarden und der wieder eintretenden Pensionisten 2c. fehlte es an Tuch , obwohl man die Uniform auf das Aeußerste be= schränkt und den ersteren nur einen Mantel zugetheilt hatte , während Beinkleider und Gamaschen von Leinwand waren. Es ist aber anzunehmen , daß man mit Geld sich auch hätte Tuch verschaffen können Geld aber fehlte. Für Korsika hatte Napoleon eine vortreffliche Anordnung erlaſſen, im Style der von ihm selbst in Egypten, von Suchet in Spanien getroffenen und auch sonst öfter schon dagewesenen er hatte befohlen , daß die 4, zur Bertheidigung der Insel auszuhehenden Bataillone for=
*) Napoleon hat zwei Berichte über den Feldzug von 1815 veröffentlicht : den einen unter dem Titel " Feldzug von 1815 " vom General Gourgaud ( 1818), den andern unter dem Titel " Memoiren zur Geschichte Frankreichs im Jahre 1815 , " welcher letztere 1830 als 9. Band der Memoiren von St. Helena nen aufgelegt worden . Im Ersteren sagt er: „ Die Armee der Restauration war vollkommen nackt" und im zweiten: „ Der Kriegsminister hatte kein einziges Uniformstück ausgeben lassen, mit Ausnahme etwa der 6 Korps Royaur, die die Namen des Königs und der Prinzen führten." Diese Versicherung, wie so viele andere , welche wir nicht speciell hervorheben , ist falsch. Berichte aller Offiziere über . 22 Regimenter liegen vor uns und sprechen das gerade Gegentheil ausdrücklich aus.
38 sischen Jäger in Landtuch (wie es von den Haushaltungen zum Selbstgebrauche gefertigt wurde) gekleidet würde. Warum hätte man 1815 in Frankreich nicht eben so verfahren können , da die Bauern sich strichweise auch eines ähnlichen und gleichfarbigen , an Ort und Stelle gefertigten Tuches bedienen ? Bon höchster Wichtigkeit war die Remontirung der Reiterei, Artillerie und Trains . Die Reiterei hatte mehr als 20,000 Pferde zur Verfügung. Die Artillerie hatte zwar kaum 2000, aber gegen 6000 Stück waren aus Ersparnißrücksichten bei Landleuten eingestellt worden. Man zog sie wieder ein. Das Fuhrwesen hatte kaum 500 Pferde. Das wollte nirgends reichen. Gegen Mitte April schrieb man Pferdemärkte aus zur Lieferung von 20,000 Pferden für die Reiterei und 15,000 für die Trains. Aber einstweilen und bis diese Lieferungen fühlbare Resultate geben konnten *), griff man zu rascheren Mitteln . Die Gensd'armerie hatte 9300 Reiter. Man bezahlte dem größten Theile dieser In 14 Tagen Zahl die Pferde und stellte sie ein. hatten sich die Gensd'armen im Lande wieder beritten gemacht, und man war in den Besitz von 8-9000 ge= rittenen Pferden gekommen, die an die Küraſſiere, Dragoner **) und an die Garde-Kavallerie abgegeben wurden . In den Departements , selbst in denen , die nicht vorzugsweise ackerbauende waren , wurden Requisitionen ausgeschrieben *** ), sowohl an Reit- als an Zugpferden,
*) Ein in der Mitte April abgeschlossener Kontrakt besagte, daß eine bestimmte Gesellschaft Unternehmer 9000 Pferde an das unter General Bourcier in Versailles aufgestellte Remontedepot zu liefern habe ; am 6. Juni waren davon noch nicht 2000 abgeliefert worden . **) Die Karabiniers , Kürassiere und Dragoner erhielten 4155 Gensd'armenpferde. ***) Einige Beispiele zu diesen Requisitionen sind : Aisne 140 Ulanenpferde , 330 Zugpferde, Vaucluse 20 1. Kav.; Ar-
39 und man erhielt dadurch an 5000 Stück von jeder der beiden Gattungen . Während der glücklichen Zeit des Kaiserreichs wa= ren große Summen auf die Befestigungen von Aleſſan= dria, Peschiera und anderer Pläße verwendet worden, die dann für uns verloren waren . Dagegen war nichts für die Pläße gethan worden , welche die alten Grenzen von 1789 beschüßten. Nur die Seefestungen waren mit Sorgfalt unterhalten und verbessert worden, da hier eine fortgesetzte Bedrohung durch die Engländer ſtattfand . Nach den großen Niederlagen von 1813 hatte es an Zeit , Geld und Mitteln gefehlt, die früheren Verfäumnisse nachzuholen ; die Verstärkungsarbeiten , welche man damals an den Festungen unserer Landesgrenze ausführte , trugen nichts weniger als einen permanenten Charakter. Auch die Restauration hatte an diesem Stande der Dinge nichts geändert. Und jest war man wiederum von den Ereigniſſen gedrängt. Mit thunlichster Eile wurden tüchtige Ver= theidigungsanstalten getroffen ; dazu kam , daß nirgends, selbst nicht in den Festungen dritter Linie, die Wälle in Trümmern lagen. Da mußten dann gute Besatzungen, entschlossene Kommandanten , Waffen , Munition und Le= bensmittel einen großen Widerstand verbürgen. Einige offene Städte im Innern , die an wichtigen Punkten lagen, wurden durch Feldverschanzungen gedeckt ; die Pässe im Jura , in den Vogesen , den Argonnen, die Defileen im Walde von Mormale wurden befestigt. Auf fast allen diesen Punkten entwickelten die Einwohner vielen Eifer und betheiligten sich an den zur Vertheidigung des Vaterlandes bestimmten Arbeiten.
dèche 40 ; Rhonemündungen 40 Reit- , 109 Zugpferde ; Ardennen 230 Reit , 380 Zugpferde; Tarn und Garonne 40 Reitpferde zc. Diese Pferde wurden in die nächsten Depots ge= sandt, waren aber Anfang Juni noch nicht alle angekommen.
40 Das Artilleriematerial in den Festungen war so ziemlich dem Bedarfe entsprechend. Die zu den Vertheidigungsarbeiten so nothwendigen Hölzer, sowie die Lebensmittel sollten durch Requisitionen zusammengebracht werden. Dieselben wurden aber für eine Anzahl Festungen mangelhaft ausgeführt. Gegen den 10. Juni war man indessen so weit gelangt, daß alle Pläße erster Linie für 4 bis 6 Monate versorgt waren , die zweiter und dritter Linie für verhältnißmäßig geringere Zeiträume. Fast alle waren mit Geſchüßen und Munition ge= nügend versehen. Die Ereignisse von 1814 hatten in eben so schlagender als trauriger Weise die Nothwendigkeit der Befestigungen von Paris und Lyon , der Hauptstadt und der zweiten Stadt des Reichs, hervorgehoben. In seinen Memoiren hat auch Napoleon vortreff= lich nachgewiesen , und zwar eben sowohl historisch als durch unbestreitbare Gründe , wie fehlerhaft es sei , na= mentlich Paris , „ dieser Heimath des besten Theiles der Nation , diesen Siß der öffentlichen Meinung und dieſe Fundgrube aller Hilfsmittel" ohne unmittelbare Verthei= digung zu lassen. Und doch hat er diesen Fehler während einer lan= gen Regierung fortbestehen lassen ! - Aber er entschloß sich, ihn zu verbessern. wir Ob er den Entschluß dazu rasch gefaßt! Wir wissen nur, daß er erst am wissen es nicht. 1. Mai, also 40 Tage nach seiner Rückkehr die Befehle zur Ausführung desselben erließ. Es war natürlich, daß nur von Feldverschanzungen die Rede sein konnte. Die Generale Haro und Rogniat, beide, namentlich der erstere, sehr tüchtige Ingenieure, hatten den Plan zu entwerfen. Die Befestigungen sollten in einer zusammenhän= genden Linie über die Höhen des Montmartre , den Windmühlenhügel (butte des 5 moulins) , die Höhen
41 von Chaumont, von Belleville, vom Pere la Chaise und über die Ebene rechts von dem leßteren Punkte weg gehen und sich dann an die Werke stüßen , welche am Stern von Vincennes, unter den Kanonen des dortigen Forts und im Parke von Berch aufzuwerfen waren. Rückwärts der Verschanzungen von Chaumont bis zum Pere la Chaise sollten drei geschlossene Forts als Reduits dienen. Ein weiteres Fort war am Arc de l'Etoile projektirt und sollte sich an den Montmartre und an die Höhen von Passy anschließen. Der Kanal de l'Ourch, von Villette nach St. De= nis , sollte vollendet werden ; die gewonnene Erde sollte einerseits einen Wall , andererseits einen gedeckten Weg bilden, St. Denis aber verschanzt werden. Erst am 7. Mai begannen die Arbeiten und noch dazu mit unzureichenden Kräften , denn auf der ganzen Linie vom Montmartre bis Berch waren noch nicht 1000 Mann angestellt. Am 15. arbeiteten etwa 1800. Von dieser Zeit an traten aber zu den Lohnarbeitern zahl= reiche andere , von der Nationalgarde, von den Pariſer Tirailleuren , Zöglinge der Gymnasien und Schulen, Bürgerarbeiter; auch Abtheilungen der Kaisergarde betheiligten sich an den Arbeiten. Nächstdem erhöhte man auch die Zahl der Lohnarbeiter und so rückten die Befestigungen ziemlich rasch vorwärts . Am 10. Juni waren die Linien am Durchkanal, die Werke von St. Denis, die Schanzen von dem Montmartre bis an die Straße von Vincennes beinahe vollendet und zum Theil auch pallisadirt. Zur Bewaffnung der Werke hatte man 4-500 Geschüße , meist aus den Marinearsenalen entnommen und zu deren Bedienung 6 Kompagnien Artillerie der activen Armee, 8 Komp. alter Matrosen, 6 Komp . Marineartillerie, 20 Komp. aus den verschiedenen Schulen, der polytechnischen, der von Alfort , der juristischen , der medizinischen, der Militairſchule, dann aus den Gymna= sien , von den Invaliden und der Nationalgarde be= ſtimmt.
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Die Forts dagegen, welche den vorderen Linien als Redouten dienen sollten , dann das vom Arc de l'Etoile und die Schanzen von Paſſh bis zum Montmartre waren noch nicht einmal angefangen. Auf dem linken Seineufer, wo man auch bereits eine Verschanzungslinie abgesteckt hatte, war noch kein Spatenstich geschehen. Die kaiserliche Regierung war also in einem Zeitraume von fast drei Monaten mit all' den Hilfsmitteln und den Kräften einer Stadt von 700,000 Einwohnern und mit denen der benachbarten Ortschaften, unter dem noch frischen Eindrucke der trübseligen Erfahrungen des vergangenen Jahres, nicht so weit gekommen, die Hauptſtadt Frankreichs mit Befestigungen zu umgeben , von denen unter Umständen das Heil des Vaterlandes abhängen konnte und welche von einer weiterblickenden Regierung mit Kraft und Entschloffenheit bereits vom 30. März an in Ausführung gesetzt und mit dem 1. Mai beendet ge= wesen wären. Auch Chon ward auf Napoleons Befehl befestigt. Aber auch dort sing man erst spät an . Am 10. Juni waren daselbst , troß der ansehnlichen und brauchbaren Reste der alten Befestigung , die Arbeiten noch nicht be= endet. Aber man konnte doch mit der Bewaffnung einiger Werke, namentlich derer , die zur Deckung der Vorstadt la Guillotière bestimmt waren, beginnen. Die Zahl der Geschütze belief sich auf etwa 300, die aus den Marinearsenalen entnommen waren. Zu ihrer Bedienung waren 4 Artilleriekompagnien der activen Armee, 600 Marineartilleristen , 900 Artilleristen der Nationalgarden , der Veterinärschule und der Gymnasien bestimmt. Außer diesen Letzteren waren seiten der Einwohner= schaft nur 2400 Nationalgarden und etwa 1000 Tirailleurs unter Waffen. Am 1. Juni bestand die bewaffnete Macht Frankreichs aus einer activen Armee und einer außerordent= lichen Reserve.
43 Die Erstere zählte 276,982 Mann bei den Fahnen, einschließlich der Offiziere *). Dieser Bestand gliederte sich folgendermaßen : 198,130 M. in den Kriegs-Bataillonen und Schwadronen ; 55,719 verfügbar in den Depots, aber noch nicht marschfertig (die Bataillone, Schwadronen, Batterien in der Organiſation, die Mannschaften noch nicht eingekleidet 2c. ), bei der Re= frutirung , den Remonten; 23,133 , die nicht verfügbar waren, als Stämme in den Depots, Mindertüchtige, Reconvalescenten, Arbeiter, Soldatenkinder **). Nur allein bei der activen Armee fehlten also , und zwar speziell bei der Infanterie zur Ergänzung der Kriegsbataillone auf 600 und der in der Organisation begriffenen auf 500 M., schon 86,097 M.; bei der Reiterei zur Ergänzung der mobilen Schwadronen auf 170 Mann und der in der Organiſation begriffenen auf 150 Mann, 11,945 Mann, bei der Artillerie, dem Genie, dem Fuhrwesen 6951 Mann zusammen 104,893 Mann ***) . Der Unterschied an Pferden war gleichfalls bedeutend. Er betrug bei der Reiterei 18,934 , 1551 für die reitende Artillerie und die Trains †) . Der Bestand der Armee zur Zeit des Abganges der königlichen Regierung war, wie wir gezeigt haben, 223,000 Mann, von denen 155,000 M. marschfertig waren ; jezt zählte die Armee 276,982 Mann , von denen 198,130 marschfertig tt); Napoleon hatte also die Armee im Ganzen
*) Alle Abtheilungen zählten nach den Bestandsliſten : die Linie, vom 1. Juni 247,609 Mann. die Garde, " 13. " 29,373 " **) Aus den offiziellen Beſtandsliſten vom 1. Juni. ***) Ebendaselbst. +) Ebendaselbst. ++) Napoleon giebt in seinen Memoiren (9. Theil) die Zahl der aktiven Armee am 1. Juni 1815 auf 363,500 M. an; aber darin steht die Konscription von 1815 mit 77,500 M und es war davon noch kein Mann einberufen !
44 um 53,000 M. , den marschfertigen Theil derfelben um und da hat er sich kaum 43,000 M. vermehrt ― selbst erhoben und ist erhoben worden über die Wunder von Thätigkeit, die er vollbracht! Im Laufe der Monate April und Mai hatte Napoleon allmälig und aus den vorhandenen Truppen 1 Korps der Kaisergarde, 7 Armeekorps , 4 Reserve - Ka= valleriekorps, 4 Beobachtungskorps, vom Jura, vom Var, der östlichen und der westlichen Pyrenäen, und eine Armee der Vendée formirt. Gegen Mitte Mai war in der Heimath Charotte's und Laroche Jacquelin's ein rohali= stischer Aufstand ausgebrochen ; auch auf dem rechten Ufer der Loire fanden einige Bewegungen statt. In den ersten Tagen des Juni waren das Korps der Kaisergarde in und bei Paris , das 1. Armeekorps bei Valenciennes , das 2. bei Avesnes , das 3. bei Rocroh, das 4. bei Meß , das 6. bei Laon und Arras , die 4 Reservekavalleriekorps zwischen der Aisne und Sambre, mit Ausnahme von einer Division, die noch im Elsaß war. Am 10. Juni betrug die Stärke der hier genannten Korps, einschließlich eines Hauptparkes, 128,088 Mann, mit 344 Geschüßen. Sie waren bestimmt, in dem Schauspiele, welches sich vor Europa entwickeln sollte, die Hauptrolle zu führen. Ihre Spezialzusammensetzung wird später folgen ; für den Augenblick genügt es, ihre wirkliche Stärke und ihre Aufstellung angegeben zu haben. General Rapp befehligte im Elsaß das 5. Korps, der Marschall Suchet das 7. in Savoyen, General Lecourbe das Armeekorps vom Jura, der Marschall Brune das vom Var , die Generale Decaen und Clausel die beiden an den Pyrenäen , der General Lamarque die Armee in der Vendée.
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45 Rapp hatte 3 Divif. Infant., 28 Bat. 1 Reiterdivis., 14 Schwad. Artillerie, Genie, Train
15,501 2,082 1,448
19,031 *) mit 46 Gesch. Suchet hatte 2 Divif. Infant., 16 Bat. 1 Reiterdivif., 6 Schwadr. Gensd'armerie Artillerie, Genie, Train
6,925 787 54 1,048 8,814 **) mit 42 Gefch.
Lecourbe hatte 1 Divis. Infant., 8 Bat. 1 Divis. Reiterei Artillerie, Genie, Train
2,783 1,064 599 4,446***) mit 21 Gesch.
Brune hatte 1 Divis. Infant., 13 Bat. 1 Reg. Reiterei, 3 Schw. Artillerie, Genie, Train
3,287 444 350 4,081 †) mit 16 Gesch.
Decaen hatte 1 Divis. Infant., 6 Bat. 1 Reg. Reiterei, 3 Schw. Artillerie, Genie, Train
2,894 462 589 3,945++) mit 30 Gesch.
*) Bestandsrapport vom 20. Juni, gez . vom Chef des Generalstabes des 5 Armeekorps . **) Bestandsrapport vom 10. Juni. Ein Regiment, das 6. leichte, welches vor dem 1. Juni zum 7. Korps gehörte , war zum 4. abgerückt. ***) Bestandsrapport vom 10. Juni . †) Bestandsrapport vom 20. Juni. Der Beſtand der Artillerie, der darin nicht aufgenommen war, ist der Wahrscheinlichkeit entsprechend beigefügt worden. + ) Bestandsrapport vom 1. Juni. Das Korps ſollte durch mobile Nationalgarden verstärkt werden und war deshalb so reichlich mit Artillerie versehen.
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Claufel hatte 1 Divis. Infant., 6 Bat. 1 Reg. Reiterei, 3 Echw. Artillerie, Genie, Train
2,954 389 590 3,933 ) mit 30 Gesch.
Lamarque hatte 2 Divis. Infant., 17 Bat. Versch. Reiterdetachements Artillerie, Genie, Train
7,620 476 474
8,570**) mit 18 Gesch. Die Stärke aller dieser , zu Nebenrollen bestimmten Abtheilungen betrug also 52,820 Mann , incl . 5704 Reiter und mit einer Artillerie von 203 Geschützen. Zu der früher schon angegebenen Summe von 128,088 Mann zugerechnet, giebt dies eine Gesammtſtärke der aufgestellten mobilen Truppen von 180,908 M., einschließ= lich der Offiziere. Gegen 6000 Mann befanden sich zu dem angegebenen Zeitraume unterwegs, um sie zu verstärken ; 11,000 M. Artillerie und Genie waren in Paris , Lyon und den Festungen. Auf die hier angegebene Weise waren die überhaupt vorhandenen Kräfte 198,000 Mann - vertheilt. Der Bestandsrapport vom 15. Juni weist weder für diese, noch für die Stärke der gesammten bewaffneten
*) Der Bestand der Artillerie war nicht mit aufgeführt und ist deshalb ebenso angenommen worden , wie er bei der andern Pyrenäenarmee war. *) Bestandsrapport vom 20. Juni. Dieser Bestand sollte um 1463 M. in 4 ſchwachen Bataillons vermehrt werden, welche noch auf dem Marsche aus dem Mans, von Rennes und l'Orient begriffen waren. Nach einem Rapporte des Kriegsministers, vom 22. Juni , sollte Lamarque auch noch einige Verstärkungen an Reiterei bekommen , und zwar aus Niort , Poitiers und Tours; hiernächst standen 2600 Gensd'armen, theils zu Pferd, theils zu Fuß , zu seiner Verfügung und 800 waren noch auf dem Marsche zu ihm begriffen.
47 Macht eine wesentliche Veränderung nach. Noch immer fehlten über 100,000 M. am Etat (Rapport des Kriegsminiſters vom 22. Juni) und auf lange Zeit hinaus waren die Depots nicht im Stande, nennenswerthe Ver= stärkungen zu den mobilen Abtheilungen zu entsenden. Welchen Mangel die Depots an kriegstüchtigen Leuten litten , geht unter Anderem daraus hervor, daß die in Paris selbst und bis gegen die Somme hin dislozirten Depots bis zum 21. Juni nur 2500 M. an die mobilen Abtheilungen hatten abgeben können. In einem Rapport vom 19. Juni sagt der Kriegsminister : Die Formation der Armeekorps hat die Depots erschöpft ; sie haben durchschnittlich nichts mehr als die Cadres. Wie man es auch ansehen und zurechtlegen will, das Resultat, das man erreicht, bleibt nicht allein schwach an sich, sondern auch und besonders der Wucht der Verhältnisse gegenüber , in denen man sich befand , ungenügend. Die außerordentliche Reserve zählte um den 15. Juni etwa 200,000 M. , nämlich 140-150,000 M. mobiler Nationalgarde , 45,000 M. alter Matroſen und Soldaten, 5 oder 6000 M. Artillerie - Küstenwache, und eben so viel ,,Jäger der Alpen und der Pyrenäen", die man seit dem Monat Juni zum Dienſte an den betreffenden Grenzen zu organisiren im Begriff war. Die Hälfte dieser Zahl war nicht eingekleidet, das Drittheil nicht bewaffnet. Die außerordentliche Reserve wurde in zwei Theile getheilt; der eine, schwächere, war für das freie Feld, der andere für die Festungsbesaßungen beſtimmt. Der erste Theil lieferte : eine Division von 3000 m., die bei St. Menehould, am Eingang der Argonnen aufgestellt wurde; eine Division von 5000 M. an der Mosel, eine Division von 3000 bei dem Korps Rapp, eine Diviſion von 3000 am Oberrhein , zwei Divisionen von zusammen 10,000 M. bei Lecourbe, drei Divisionen von zusammen 12,000 M. beim Suchet'schen Korps, eine Di-
48 vision von 4000 M. bei Decaen, eine von 3000 m. bei Clausel *), zwei Divisionen von zusammen 6000 M. bei der Vendéearmee zusammen also etwa 49,000 M., die den 15. Juni eingetroffen waren. So vortrefflich dieſe Verſtärkungen ſein konnten, leider muß man es sagen, sie waren es nicht. Eine sehr große Zahl dieser Nationalgardisten war weder eingekleidet noch ausgerüstet ; selbst bei denen aus den östlichen Departe= ments fehlte es . Tausende hatten noch keine Gewehre. Vergebens remonstrirten die Korpskommandanten gegen diese Zustände. Suchet, unter Anderen , schrieb Briefe über Briefe und erhielt nichts. " Ich habe 2000 Mann in Aix,“ schrieb er den 11. und 18. Juni an den Kriegs= minister,,,die weder Patronentaschen noch Tornister noch Uniform haben. Ich werde nur dann meine Nationalgarden einkleiden können, wenn Ew. Excellenz ein starkes Magazin (8-10,000 Garnituren) in Lyon etablirt. Es ist eine Täuschung, auf die Präfekten zu rechnen." Ein anderes Mal fügte Suchet bei : „ Die Begeisterung der Nationalgarden verschwindet vor dem Stande der Entblößung, in welchem sie sich fortwährend befinden. Schon flößt man ihnen die Befürchtung ein, daß sie in ihren Bauerkitteln vom Feinde nicht als Soldaten an= gesehen und kriegsmäßig behandelt werden würden, wenn ſie in seine Hände geriethen. Wir werden nur dann einige Bataillone bei der Armee erhalten können , wenn, nach Ew. Excellenz Befehlen , eine Bekleidungswerkſtatt Und dem Kaiser selbst in Chon errichtet sein wird." schrieb er unter dem 11. Juni : ,,Bei dem bejammernswerthen Zustande des größten Theiles der Nationalgarden, die absolut nichts erhalten haben, wächst die tägliche Desertion trotz aller Anstrengungen, die man macht, um ihr entgegen zu treten.“ *) Die Artillerie dieser Divisionen ist bereits bei den Beständen der betreffenden Korps aufgeführt.
49 Suchet hatte sich noch über manches Andere zu be= flagen: es fehlten ihm 600 Pferde an seiner Artilleriebespannung ; trotzdem er zum Gebirgskriege beſtimmt war, hatte er kein einziges Maulthier ; die Kommandanten der Artillerie, des Genies, ja selbst der Feld-Intendant hatten keinen Sous zu ihrer Verfügung 2c.“ Rapp und Lecourbe klagten nicht weniger , aber mit demselben Erfolge. Die Rapports ihrer Stabschefs weiſen nach , daß sie am 10. , am 20. Juni noch keine Lebensmittel austheilen konnten , daß sie für ihre Pferde keine Fourage - Märkte hatten und daß Menschen und Thiere aus der Hand in den Mund lebten. Der zweite Theil der außerordentlichen Reserve umfaßte die noch übrigen mobilen Nationalgarden, die alten Matrofen und Soldaten. Hiervon wurden 52,000 Mann in die Festungen der Nordgrenze und der Maaßlinie vertheilt ; 18,000 M. in die der Mosellinie, ebensoviel in die des Elsaß, 11,000 M. nach den Jura- und 4000 M. nach den Alpenfestungen gesandt. Es mögen im Ganzen 103,000 M. gewesen sein, von denen eine große Zahl nicht eingekleidet und Tausende *) ohne Gewehr und Tasche waren. Zwanzigtausend alte Matrosen standen in Küstenpläßen. Die alten Soldaten aus dem Pensions- 2c . Stande, 25,000 M. , gaben auch einige Bataillone dahin ab ; die übrigen wurden theils in die Festungen der Landgrenze, theils nach Marseille , Toulouse , Bordeaux und nach einigen andern Städten von besonders royalistischer Ge= sinnung verlegt. Auch Kompagnien der Veteranen und der Zollwächter kamen in die Festungen. Der Artilleriedienst in den Festungen ward in Gemeinschaft mit den Kompagnien der Linienartillerie, die wir schon erwähnten , von Kompagnien der alten Sol*) Aus dem Rapport des Miniſters vom 22. Juni und den Bestandsrapporten von Rapp, Lecourbe 2c. Charras, Waterloo. 4
50 daten, der lokalen Nationalgarde und der Marineartillerie versehen. Wenn man die Zahl und die Größe unſerer Feſtungen der Landgrenze mit der Zahl und dem militairi= schen Werthe ihrer nunmehrigen Besatzungen vergleicht, so geht daraus klar hervor, daß dieſe in jeder Beziehung sehr schwach waren. Das wäre schlagend hervorgetreten, wenn die Festungen berufen worden wären , die ihnen gebührende Rolle in der Landesvertheidigung wirklich zu übernehmen. Aber der Zusammensturz erfolgte so plöglich , daß man ihren Einfluß nicht bemerkt hat. In den von Patriotismus erfüllten östlichen Provinzen hatten sich einige Partheigängerkorps gebildet. Einige von ihnen gaben sehr bald Beweise einer tecken Thätigkeit. — So war in den ersten Tagen des Monat Juni der Stand der Gesammtstreitkräfte Frankreichs. Napoleon hatte die öffentliche Meinung über die Friedensaussichten getäuscht; er hatte den Enthusiasmus des Volkes durch seine Zweideutigkeiten, die Lift seiner Politik und durch den Akte additionnel erfältet ; er hatte eine Masse Beamte angestellt, die ohne Aufopferung für die gemeine Sache , ohne Kraft noch Thätigkeit waren ; drei Wochen hatte er im Zaudern verloren , als schon ganz Europa zu den Waffen griff; die Entmuthigung und die Trägheit gefäet und erntete die Schwäche. Wie selbstgefällig hat er in seinen Memoiren seine Thätigkeit mit der des Konvents verglichen und hat sich nicht gescheut, auszusprechen , daß er Besseres und rascher geschaffen als dieser. - Wenn der Konvent eine verfügbare Armee von über 200,000 M. bei den Fahnen vorgefunden hätte , einen Bestand von 400,000 alter Soldaten, Unteroffiziere, Offiziere aller Waffen, mit denen er seine Legionen hätte verstärken und einrahmen , seine Freiwilligen , seine Aufgebote hätte fommandiren können ; wenn er gefüllte Zeughäuser, Gießereien und Pulver= mühlen in einem Maaßstabe, der für die größten Armeen
51 reichte, vorgefunden hätte, wenn er Gewehrfabriken von so außerordentlicher Entwickelungsfähigkeit besessen, wenn er ein ausgebildetes und so zahlreiches Artilleriekorps ge= die habt, wenn das Land so centralisirt geweſen Armeen eines Konvents wären nach drei Monaten nicht mit 180,000 M. Linie und 50,000 Nationalgarden, sondern mit 600,000 Mann in's Feld gerückt. Der Konvent seiner Zeit hatte Alles neu zu schaffen, Personal und Material, Generale wie Soldaten. Der Konvent schuf es , und zwar inmitten der Zerrissenheit, die ihn selbst erfüllte, inmitten des Krieges, der an allen Grenzen loderte, inmitten des Bürgerkrieges , der halb Frankich zerfraß. Der Konvent hat Frankreich gerettet, hat seine Grenzsteine hinausgerückt und so fest gestellt, daß erst nach 15 Jahren und mit Hilfe der verbrecherischen Verkehrtheiten der kaiserlichen Regierung es gelang, sie wieder herauszureißen . Der Konvent hatte, es ist wahr, mehr Zeit wie Napoleon. Er hatte auch nicht gegen so ungeheure und so rasch zusammenzogene Maffen zu kämpfen als sie 1815 unsere Grenzen bestürmten ; das ist auch wahr. Aber man vergleiche alle Umstände , alle Mittel und die Reſultate, und dann möge man urtheilen.
1*
Drittes Kapitel.
Napoleons Feldzugsplan.
Nachdem Murat von den Destreichern geschlagen, von den Italienern verlacht , von seinen neuen Unterthanen verlassen, als Flüchtling an den Küsten der Provence ge= landet war , hatte Frankreich keinen Verbündeten mehr ; ganz Europa war ihm feind und rüstete gegen ihn. follte man ihm zu= War der Angriff abzuwarten vorkommen ? und zwar noch ehe die Kräfte der Verbün= deten beiſammen waren und ihren Aufmarsch vollendet hatten ? zu mehreren Malen war Dies in den Tuilerien berathen worden , und als Resultat hervorgetreten, daß es nur zwei mögliche Feldzugspläne gebe. Der Erste war, daß man auf der Defensive bleibe, den Verbündeten das Gehässige des Angriffs zuſchiebe, sie durch unsere Festungslinien schwäche und erst im Rayon von Paris und Lyon und auf sie gestüßt einen energischen Krieg beginne . Wenn man, wie es auch in der That der Fall, an= nahm , daß sie den 1. Juli den Feldzug eröffneten , daß sie nur in Verbindung mit einander vorrückten, so konn= ten sie kaum vor Ende Juli vor Paris ankommen. Zu diesem Zeitpunkte aber waren die Verschanzungen um Paris vollkommen fertig , bewaffnet und pallifadirt.
53 Die Versorgung aller Festungen und die Aushebung der 417 Bataillone mobiler Nationalgarden, ihre Bewaffnung und Ausrüstung wären vollendet gewesen ; sie konnten zumeist auch eingekleidet sein ; sie hätten die Festungsbe= ſaßungen und die Diviſionen bei den Beobachtungskorps anderweit verstärkt. Die Konskription von 1815 wäre in den Depots gewesen ; der Pferdebestand hätte ſein richtiges Verhältniß erhalten. Auch die Depots konnten bereits Verstärkungen an die Linie abgeben. Die sechs ersten Armeekorps und die Reſervekavalleriekorps hätte man , so verstärkt, gegen Paris zurückgenommen und mit der Kaisergarde hätte dies eine Operations = armee von 160,000 M. oder mehr gegeben, die auf den beiden Ufern der Seine und der Marne manövriren konnte, unterstützt von dem großen verschanzten Lager von Paris und in der Nähe aller ihrer, in Paris zu vereinigenden Depots. Diese , die freiwilligen Artilleriekompagnien , die Tirailleurs der Nationalgarde (wenn man sich entschließen konnte , sie zu bewaffnen) , andere Bataillone der aktiven Nationalgarde, die man heranziehen konnte , würden wiederum 100,000 M. gegeben haben, denen die Vertheidigung der Werke übertragen werden konnte. Man konnte die Stärke derjenigen feindlichen Armeen, welche zum 1. Juli die Grenze überschreiten würden, auf etwa 650,000 M. feßen. An 150,000 M. mußten sie vor den festen Pläßen und zur Sicherung ihrer Operationslinien zurücklassen. Das Verhältniß gestaltete sich also derart, daß sie mit 500,000 M. vor den 160,000 M. Napoleons ankommen würden . Das wäre ein sehr ungleicher Kampf gewesen. Aber im verflossenen Jahre hatte Napoleon ein noch unvortheilhafteres Verhältniß gegen sich und wie wenig hatte gefehlt zu einem Erfolge, der einen ehrenvollen Frieden errungen hätte ! Das Endresultat dieses französischen Feldzugs , in welchem der Kaiser oft den wunderbaren Aufschwung,
54 die schöpferische Thätigkeit und die echten Geniebliße des Obergenerals der Republik wieder gefunden hatte, dieses Endresultat hatten die Verbündeten doch in der Hauptfache nur der unbegreiflichen Sorglosigkeit zu danken, mit der Paris ohne Befestigungen, ohne vorbereitete Verthei= digungsmittel und ohne die Möglichkeit, sich auch nur zwei Tage zu halten, sich selbst überlassen worden war. Ende Juli dieses Jahres war der so lange schon bestehende Mangel ausgeglichen. Paris mit seinen Befestigungen, rittlings auf beiden Ufern der Seine und Marne, befeßt von mehr als 100,000 M., wäre ein verläßlicher Stüßpunkt der Operationen gewesen. Die Umstände wären also weit weniger ungünstig gewesen, als 1814, vorausgesetzt, daß der Kaiser derselbe geblieben. Die östreichisch - sardinische Armee, die im Monat Juli gegen Lyon gerückt wäre, hätte im Anfange 60,000 M. gezählt, da die 80 oder 100,000 Destreicher, welche zu ihrer Verstärkung bestimmt waren, sich noch in Mittelund Unter-Italien befanden. Auch Chon wäre dann gut befestigt und bewaffnet gewesen. Es wären dort die Depots vom Jurakorps und von Suchet zusammengezogen worden und diese Kräfte, verbunden mit den Tirailleurs der Nationalgarde , mit den freiwilligen Artilleristen, mit den aktiven Bataillonen der Nationalgarde waren hinreichend , die Stadt ordent= lich zu vertheidigen , indessen Suchet , durch die Truppen des Jurakorps verstärkt, auf den beiden Ufern der Rhone und Saone das Feld gehalten hätte. Freilich opferte dieſer Kriegsplan mehrere Provinzen ohne Schwertschlag, und Das war ein Uebelstand . Aber es stand zu verhoffen , daß das Einrücken der fremden Truppen überall den Enthusiasmus , der so sehr erfaltet war, wieder wecken würde, daß gerade der Druck des Krieges die Bevölkerungen der überschwemmten Provinzen zur thätigen Theilnahme am Kriege bringen würde, zu einer Theilnahme, die in den stark befeßten und gut aus-
55 gerüsteten Festungen einen zweckmäßigen Rückhalt fände und große Verlegenheiten und Verluste im feindlichen Heerlager nach sich ziehen mußte. Und wenn gar Napoleon sich entschlossen hätte, den Abschen, der ihn vor den Volksmassen erfüllte , zu überwinden, und von allen rechtmäßigen Mitteln gegen einen feindlichen Einfall Gebrauch zu machen, wenn er dem innern Feinde seine Faust fühlen ließ, wenn er das Aufgebot in Masse aufrief, so wurden die Chancen noch günstiger. Der zweite Plan bestand darin , den Feldzug zu er= öffnen, ehe die Verbündeten alle ihre Kräfte in Linie gebracht hatten und, vereinigt, selbst zum Angriffe schritten. Belgien war von zwei Armeen , zusammen 220,000 M. Engländer, Holländer und Preußen, beseßt, die zwei abgesonderte Armeen bildeten und zweien Befehlshabern gehorchten. Gegen die Mitte des Juni konnten an der Nordgrenze die 6 ersten Korps , die 4 Reservekavalleriekorps und die Garden , in Allem 150,000 M., vereinigt sein, während man gleichzeitig an den andern Grenzen noch einen Vorhang stehen ließ. Es ward vorgeschlagen , diese Masse rasch vorwärts zu bewegen und man konnte dann wohl erwarten , die feindlichen Armeen , wenn auch nicht in ihren Kantonnirungen , doch vor ihrer vollständigen Vereinigung zu überraschen , sie einzeln anzugreifen , zu schlagen und zu zersprengen, mit einem Worte, sie für längere Zeit außer Gefecht zu setzen. Es konnten auf diese Weise 220,000 M. bei Seite geschoben und dadurch der feindliche Angriff in seiner ersten Linie um ein Drittel geschwächt werden . Nach einem solchen Siege trat man mit ganz an= deren moralischen Elementen den Russen und Oestreichern gegenüber ; der Geist des Volkes würde einen mächtigen Aufschwung genommen und die Vertheidigung unerschöpf= liche Hilfsquellen gefunden haben.
56 Napoleon aber erblickte in diesem Plane noch ganz andere Elemente zum Siege, Vortheile , die entscheidend werden mußten, wenn er in Belgien siegte. „Wenn ,“ sagte er , „ die engliſch-holländische und die preußische Armee geschlagen sind , wird sich Belgien er= heben und mit seiner Armee die unsrige verstärken ; die Niederlage der englischen Armee wird den Sturz des englischen Ministeriums nach sich ziehen, und dieses wird durch Freunde des Friedens und der Unabhängigkeit der Nationen ersetzt werden ; schon dieser einzige Umstand ist hinreichend, den Krieg zu beendigen ; Belgien, die 4 Departements des Rheins , riefen nach ihrem Befreier und schon hatte man Einverständnisse in der belgischen Ar= 'mee Man sieht, Napoleon hing immer noch an den Truggebilden, denen er sich von den Zeiten seiner Erfolge her hingab. Jegt , wie früher , verwendete er seine geistige Kraft darauf, sich zu überreden, daß seine Wünsche Wirklichkeiten feien , und er hatte darin so vollkommenen Erfolg, daß Dinge, die der gewöhnliche gesunde Menschenverstand ganz deutlich erkannte, ihm völlig entschlüpften. -Das war eine Folge der gewohnten Alleinherrschaft. Eine Erhebung in Belgien war nichts weniger als gewiß , nicht einmal wahrscheinlich. Es gab dort, wie auch in den 4 ehemaligen Rheindepartements, eine fran= zösische Partei, aber sie war ohnmächtig. Der Regierungsdruck und der entseßliche Mißbrauch der Konskription hatten die Belgier entfremdet. Noch erbebten die Herzen von einem der häßlichsten Schläge, welche der Despotismus jemals gewagt *), und die Geistlichkeit, damals eben so mächtig wie jezt, schürte den Haß gegen Napoleon.
*) Es war die Vernichtung des freisprechenden Erkenntnisses der Brüsseler Assisen über den Maire von Antwerpen. Es wärd diktatorisch kassirt und die Sache vor die Assisen von Douai verwiesen, woselbst der genannte Bürger am 5. April 1814 am gebrochenen Herzen starb.
57 Die Geistlichkeit liebte freilich den protestantischen Wilhelm von Oranien auch nicht , aber sie verabscheute doch noch mehr den Mann, der ihre Seminaristen aus den Schulen in die Kasernen geschickt , der ihre Bischöfe eingekerkert und Hand angelegt hatte an ihre Kardinäle, an die Staaten und an die Person des Papstes. Und die belgischen Soldaten waren nicht anders ge= finnt, als das Volk. Es war ein befremdlicher Irrthum, ihnen die Absicht zuzuschreiben, daß sie ihre Fahnen_ver= lassen und den Uebergang der Sachsen bei Leipzig er= neuern würden. Sie haben es am Schlachttage bewiesen. Im Uebrigen ist zu berücksichtigen, daß ihrer in der ganzen niederländischen Armee nur etwa 10,000 waren. Fast noch grundloſer, wenn dies möglich iſt, täuschte sich Napoleon über die Folgen , welche eine Niederlage der englischen Armee haben würde. Schon seit 1792 hatte es in England eine „ Partei des Friedens und der Unabhängigkeit der Nationen" ge= geben. Einen Augenblick hatte sie auch die Oberhand gewonnen , das Kabinet Pitt gestürzt und den Frieden von Amiens geschlossen. Aber dazumal wußte der Conſul Bonaparte noch, den Ehrgeiz zu verhüllen, der den Kaiser Napoleon verzehrte. Die Partei rührte sich 1815 sehr, aber sie war schwach. Das Parlament hatte alle Mo= tionen und Betitionen für den Frieden abgewiesen und mit ungeheurer Majorität eine neue Anleihe von einer Milliarde und ausgiebige Subsidien für die Verbündeten bewilligt ; das Parlament hatte aber auch das englische Volk hinter sich, das durch einen so langen und so er= bitterten Kampf in die höchste Aufregung gekommen war . Es waren also die Hoffnungen Napoleons auf Belgien grundlos und die auf England ein Hirngespinst. Im Gegensatze dazu waren die Uebelstände , die mit dem zweiten Plane verbunden waren, sehr wohl begründet. Durch den Beginn der Feindseligkeiten in der Mitte Juni rief man das Einrücken der Armeen in die östlichen Provinzen vorzeitig hervor. Der Feind war da, ehe die
58 Aushebung von 1815 geschehen, ehe die Versorgung der Festungen, die Verstärkung der Besatzungen ausgeführt, ehe die Befestigungen von Paris und Lyon beendet waren, und wenn man in Belgien , anstatt eines entſcheidenden Sieges, eine entscheidende Niederlage fand, so mußte der Marsch der feindlichen Armeen gegen Paris viel rascher erfolgen. Für diesen Fall wollte Napoleon auf den ersten Plan zurückkommen , das ist freilich wahr; aber er bot dann nicht mehr dieselben Vortheile, die er gehabt hätte, wenn man ihn ganz befolgte. Napoleon entschied sich für den zweiten Plan , aber mit einer Abänderung . Während er das Korps Gerard von der Moselgrenze nach der Nordgrenze zog , ließ er Rapp im Elsaß und gab damit 20,000 Mann freiwillig aus der Hand, die da, wo er sie ließ, ohnmächtig waren und in Belgien ein fühlbares Gewicht in die Waagschale des Kampfes werfen konnten. Er verstieß hierbei gegen das mit so vielem Rechte obenan gestellte Gesetz : die Maſſen auf den Hauptpunkt zu werfen, nicht überall Etwas haben zu wollen - bei Strafe nirgends Etwas zu leisten, gegen das Gesetz , welches er selbst so oft und mit so vielem Glücke befolgt. Später versuchte er den Fehler zu verbessern. Im Uebrigen, muß bemerkt werden , reichen die Ur= sachen , wie er sie in seinen Schriften angegeben , bei Weitem nicht aus , um seinen Entschluß zur vorzeitigen Eröffnung der Feindseligkeiten genügend zu motiviren und allseitig zu beleuchten. Dazu muß man seine persönliche Lage und seine ganze Geiſtesrichtung mit beachten. Die große demokratische Bewegung , welche Anfangs durch seine Rückkehr aus Elba hervorgerufen war, er= schien gebrochen oder im Widerstreite mit dem Kaiser= thum, von dessen Throne die Masse des Volkes mehr und mehr zurückwich; die Kühnheit der königlichen Partei wuchs sichtlich , besonders im Süden und Westen. Der Akte additionnel, deſſen Annahme der Volksabstimmung unter-
59 breitet ward, hatte nur eine kleine Minorität von Stimmen vereinigen können ; die Massen hatten durch Nichtabgabe der Stimmen proteſtirt . Er hatte eine Deputirtenkammer geschaffen , die aber nach demselben Modus gewählt werden sollte , der ſeit 15 Jahren das Meisterbild einer unterwürfigen Ver= sammlung, den gesetzgebenden Körper des Kaiserreichs, hervorgebracht hatte. Für dieses Mal hatte freilich die Preßfreiheit einigermaaßen die Uebelſtände dieser Art von Volksabstimmung verbessern können. Die Wahlen waren erfolgt und sie spiegelten ziemlich getreu den Stand der öffentlichen Meinung. Die große Mehrzahl wollte einen wirksamen Schuß gegen die Verirrungen des Kaiserthums. Es ließ sich erwarten , daß die Verſammlung dieſen Schuß fordern und auf ihm bestehen , daß sie selbst in die Machtvollkommenheit des Kaisers eingreifen würde und dieser, im Gegentheile , verlangte nach Dem zurück, was er von seiner Allgewalt preis gegeben hatte. Jede freisinnige Einrichtung untergrub die Stüßen seines Thrones ; jede Verzögerung war eine Gefahr mehr. Um seine Alleinherrschaft neu zu begründen, mußte der Besiegte von 1814 fich wieder mit dem Glanze des Sieges umgeben ; in Belgien glaubte er ihn zu finden, darum eilte er dorthin.
Viertes
Kapitel.
Zusammensetzung der gegen Belgien bestimmten Armee - deren Vereinigung an der Sambre Stellung derselben am 14. Juni ihre Stärke unter den Waffen - ihre moralischen Elemente - Napoleons Tagesbefehl. Die Armee, welche unter Napoleons eigenen Befehlen gegen Belgien operiren sollte, bestand aus dem 1., 2., 3. , 4. und 6. Armee- oder Infanterie - Korps , der Kaiſergarde und den 4 Reſerve-Kavallerie-Korps. Seit einigen Tagen war auch der Generalstab for= mirt und der Marschall Soult an dessen Spiße gestellt worden, auf den Platz des Major-Generals , den Ber= thier so lange ausgefüllt , Berthier, der jetzt in einem freiwilligen Exile lebte und bald auf eine so geheimnißvolle und tragische Art enden sollte! Soult hatte sein Hauptquartier in Laon. Am 1. Juni waren die Linientruppen , die noch in den Festungen standen, durch aktive Nationalgarden ersetzt worden.
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Um diese Zeit waren die Korps dislozirt : 1. unter Erlon bei Valenciennes, 2. "1 Reille bei Avesnes, 3. Vandamme bei Rodroh, " 4. Gerard bei Metz, " 6. "" Lobau bei Laon, eine Division bei Arras.
Die Kaisergarde fest vereinigt bei Compiègne, das 1. Reserve-Kavallerie-Korps unter Pajol, Excelmans , "" 2. " "/ Kellermann , " 3. 4. !! Milhaud , zwischen Laon und Avesnes, von den letzteren eine Division noch im Elsaß. Mar= Der schall Grouchh kommandirte die Reiter - Reserve. Hauptpark stand in la Fère. In Gemäßheit seines Entschlusses , den Krieg mit einem Vorrücken gegen Belgien zu eröffnen , dirigirte Napoleon seine Korps derart, daß sie den 14. Juni zwischen Sambre und Maaß, Charleroi gegenüber , an der äußersten Grenze vereinigt standen. Die Bewegungen Reille's , Erlon's , Vandamme's, wurden durch Vorposten verdeckt , die von den aktiven Nationalgarden gegeben wurden, so weit diese uniformirt waren.
Am 1. Juni hatte Napoleon durch eine große Feierlichkeit , die aber einen vorwiegend militairischen Charakter trug, ſein konſtitutionelles Regime eingeweiht ; hier endlich verkündete er zum ersten Male die Gefahr des Vaterlandes . Am 7. Juni eröffnete er die Kammern und am 11. empfing er deren Antwortsadressen, die ihm zwar Versicherungen der Opferwilligkeit brachten, aber auch Ansprüche und zwar in wenig verhüllendem Gewande; bittere Worte , nicht ohne Größe, flossen von seinen Lippen, und andern Tags früh 4 Uhr reiste er ab von Paris , noch voll von Sorgen über die Hal-
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Am Abend tung der Versammlung, die er zurückließ. traf er in Laon ein und konnte sich noch überzeugen, daß auch hier , wie anderwärts, die allzuspät angeordne= ten Befestigungsarbeiten nicht vollendet waren. Am 13. blieb er in Avesnes , am 14. in Beaumont, 8 Stunden *) von Charleroi. Die Armee vollendete ihre Koncentrirung und bivouakirte den Abend in drei Richtungen, nämlich : Der linke Flügel , beinahe 45,000 Mann, nämlich das 1. und 2. Armeekorps auf dem rechten Sambrenfer, bei Leers Fosteau und Saulre-sur-Sambre, das 2. Korps an der Spitze, die Mitte, über 60,000 Mann , nämlich das 3 . und 6. Korps, die Garden und die Reserve-Reiterei bei Beaumont ; das 3. Korps an der Spiße, etwa 1 Stunde rechts vorwärts, die Reserve-Reiterei etwas rechts, gegen Walcourt ; der rechte Flügel , über 15,000 Mann , das 4. Korps und eine Kürassierdivision die aus dem Elsaß kam, zum 4. Kavallerie-Korps gehörte und dasselbe andern Tags erreichte bei Philippeville , zum Theil einen halben Tagemarsch zurück. Die vordersten Bivouaks waren noch 1 Stunde von der Grenze ; sie waren verdeckt ausgewählt worden, so daß ihre Feuer nicht vom Feinde gewahrt werden fonnten. Die Armee, wie sie hier stand , zählte 20 Infan= terie-Divisionen , 14 Reiterdivifionen , 31 Fuß- und 16 reitende Batterien ; die Korps waren von ungleicher Zahl und Formation.
*) Da im Allgemeinen die lieue der " Stunde Wegs" entspricht , die Differenz wenigstens , militairisch genommen, verschwindet, ist die Stunde in der Uebersetzung als Längenmaaß gewählt worden.
63 1. Armee (oder Infanterie-) Korps , Generalleutnant Drouet d'Erlon :
Inf-Div. Allix, Douzelot, I 33 Bat. Marcognet, Duruttef leichte Kav.-Div. Jacquinot, 11 Schw. (Husaren u. Jäger) 5 Fuß-, 1 reit. Batt., Genie, Fuhrwesen 2c. 46 Geschütze.
16,885
1,506 1,548 19,939
2. Armee -Korps Generalleutnant Reille : Inf.-Div. Bachelu, Guille40 Bat. minot, Girard, Foy 20,635 leichte Kavall. Divis. Piré 15 Schw. 1,865 (Jäger, Ulanen) 5 Fuß-, 1 reit. Batterie, Genie 2c. 1,861
46 Geschütze.
24,361
3. Armee -Korps , Generalleutnant Vandamme:
Inf.-Divif. Lefol, Habert,l 34 Bat. Berthezènes leichte Kav.-Divif. Domon (Jäger) 10 Schw. 4 Fuß-, 1 reit. Batterie, Genie 2c .
38 Geschüße.
16,851
1,017
1,292 19,160
4. Armee - Korps , Generalleutnant Gérard : Inf.-Div. Pécheur, Vicheryl Bourmont 26 Bat. 12,800
leichte Kav. = Div. Maurin (Husaren, Jäger, Drag.) 4 Fuß-, 1 reit. Batterie, Genie 2c.
38 Geschüße. 1
14 Schw.
1,628 1,567 15,995
64 6. Armee -Korps , Generalleutnant Lobau: Infant. Division Simmer, 21 Bat. 9,218 Jeannin, Testef 1,247 4 Fuß-Batt., Genie 2c. 10,465 32 Geschüße. Kaisergarde: Infant. Alte Garde. Div. Friant, Grenadiere 4,140 Morand Jäger z.F. 4,603 " Junge ,, Duhesme Voltig. Tirailleurs 4,283 24 Bat. Reiterei. Division Guyot, Gren. z . Pf. Dragoner Lefebvre Desnouettes " Jäger z . Pf. Úlanen Elitegensd'armen 9 Fuß-, 4 reitende Batterien, Genie 2c. 96 Geschütze.
13,062 796 816 1,197 880 106
3,795 4,063*) 20,884
Reserve- Reiter ei , unter dem Oberbefehle des Marschalls Grouchh. 1. Korps Generalleutnant Pajol : Division Soult, Husaren Subervie, Husaren 17 Schw. 2,717 und Fäger z . Pf.J 329 2 reitende Batterien
12 Geschütze. 2. Korps , Generalleutnant Excelmans : Division Strolz u. Chaſtel, Dragoner 25 Schw. 2 reitende Batterien
12 Geschütze.
3,046
3,220 295
3,515
*) Hiervon gehören 1115 Mann Artillerie und Train der Linie an, leisteten aber Dienst in der Garde.
65 3. Korps, Generalleutnant Kellermann : Diviſion l'Héritier, Drag .) und Kürassiere 25 Schw. Roussel d'Hurbal , " Kürassiere 2 reitende Batterien
12 Geschüße. 4. Korps, Generalleutnant Milhaud: Divisionen Wathier u. Delort, Kürassiere, 26 Schw . 2 reitende Batterien
3,360
319 3,679
3,194 356
3,544 12 Geschütze. 3,500 Hauptpark, Brückenzüge, Arbeiterkomp . 2c. 128,088 M. Hauptſumme 544 Geschüße. Napoleon gebot also hier über 128,088 Mann, von denen 89,415 Mann Infanterie , 22,302 Mann Reiter, 12,371 Mann Artillerie zc. bei den Armeekorps und 3500 Mann beim Hauptparke, mit 344 Geſchüßen, und eröffnete mit ihnen den Feldzug. Die Infanterie hatte im Durchschnitt 500 Mann per Bataillon, die Reiterei 125 Mann per Schwadron. Jede Infanterie-Division hatte eine Batterie von 6 Stitc 6Pfündern und 2 Haubigen , und eine Geniekompagnie; jebe Kavallerie- Division eine reitende Batterie von 4 Stück 6Pfändern und 2 Haubißen , jedes Armeekorps außerdem eine Poſitionsbatterie von 6 Stück 12Pfündern und 2 Haubißen. Die Kaisergarde aber hatte, außer den Divisions-Batterien noch eine Artillerie-Hauptreserve von 52 Geschützen *) . Die gesammte Artillerie führte nur eine einfache Munitionsausrüstung , früher hatte man stets eine doppelte mit in's Feld genommen , aber
*) Die Quellen, aus denen alle diese Zahlen geschöpft sind, f. Beilage A. 5 Charras, Waterloo.
66 jett fehlten die Pferde in dem Grade, daß man sogar acht Bespannungsbrigaden , jede von 50 Pferden mit den zugehörigen Postillionen bei den Postanstalten requirirt hatte, um nur den Hauptpark bespannen zu fönnen. Die Armee bestand aus erfahrenen Offizieren, kräf= tigen Soldaten , die meist noch jung waren , sich aber in den letzten Feldzügen an den Krieg gewöhnt hatten *) ; die Armee war von Begeisterung erfüllt und brannte darauf, mit dem Feinde handgemein zu werden. Der Soldat hatte alle Unfälle vergessen , Vittoria und Leipzig , Kulm und Paris und alle die verlorenen Schlachten und Gefechte auf den langen Rückzügen , die unsere Fahnen so rasch von Lissabon nach Toulouse und von Moskau nach Paris gebracht. Er dachte nur an die großen Siege, die er erfochten und in der Ueberheb= ung seines Stolzes war er überzeugt, daß ihn die Uebermacht nur in Verbindung mit dem Verrathe hatte be= siegen können. Es war eine schöne und tapfere Armee , die hier dem Kaiser dastand. Aber bei alledem, und was auch Gutes über sie gesagt worden ist und noch gesagt wer= den mag, sie erreichte doch die Tüchtigkeit der früheren Armeen , derer aus den glücklichen Zeiten des Kaiſerreichs, nicht. Die Formation der Brigaden , Divisionen und Korps war erst 2 Monat alt. Die Regimenter hatten keinen festen inneren Halt, den ja nur allein ein länger fortgesettes Zusammenſein im Frieden oder, freilich besser, die gemeinsam bestandene Kriegsgefahr verleiht. Im Juni vorigen Jahres war eine durchgreifende Reorganisation vorgenommen wor=
*) Die jüngsten Soldaten waren aus der ersten Hälfte von 1813 : fie waren am zahlreichsten vertreten. Sie hatten 3 bis 10 und 12 Jahre Dienſtzeit.
67 den ; im Dezember hatten sie eine Menge von Urlaub zurückberufener oder au8 der Kriegsgefangenschaft entlassener Leute bekommen ; im April und Mai waren abermals Neuformirungen gekommen , und ſelbſt in den Cadres waren zahlreiche Verseßungen vorgenommen worden. Die Kommandanten , die Offiziere , Unteroffiziere und Soldaten hatten sich gegenseitig noch nicht kennen gelernt. Schon Dies war eine schwache Seite , aber es war nicht die einzige. Viele von den Generalen waren reich geworden und durch die Vergeudungen des Kaiserreichs, den Luxus und die Vergnügungen für den Krieg verdorben ; ihnen wäre es lieber gewesen , ruhig in ihren Hotels und Schlössern zu bleiben , als die Beschwerden der Märsche und die Unbequemlichkeiten der Bivouaks zu ertragen. Sie hatten den Frieden gekostet und beklagten ſeinen Verlust. Andere hatten bei selbstständigen Kommando's herbe Unfälle erlitten und konnten deren Folgen nicht verwinden. Wieder Andere hatten die Jahre 1813 und 1814 vor den Augen , und als sie die Uebermacht der Verbündeten und die Schwäche der eigenen Kräfte überblickten , verzweifelten sie an einem glücklichen Ausgange. Sie Alle waren tapfer und unerschrocken geblieben , aber sie hatten nicht Alle die Thätigkeit und Entschloffenheit, die Kühnheit ihrer früheren Zeit behalten. Die mora= lische Kraft Mancher von ihnen fonnte feinem Stoße mehr widerstehen. Das Vertrauen der Soldaten zu Napoleon war unbeschränkt , aber nicht so das zu allen seinen Generalen. Diese Männer, die während eines Jahres vor ihren Augen mit der gleichen Begeisterung von dem Kaiser zu den Bourbons und von diesen wieder zum Kaiser gekommen waren , diese Wetterfahnen des Glückes , die in zahllosen Adressen, Proklamationen und Tagesbefehlen 5*
68 den gefallenen Herrn geschmäht und den neuen Herrn erhoben hatten wie sollten sie ihnen Vertrauen ein= flößen zu ihrer Hingebung an die kaiserliche Sache ? Der Soldat traute ihnen irgend welchen umfassenden Verrath zu, und sein Mißtrauen lastete auf den höheren Schichten der Armee, den Kommandoſtellen und Generalstäben ebenso , wie auf den untern Schichten , auf den unbekannten Offizieren , die entweder in der Maison militaire Ludwigs XVIII . gedient oder auch nur das kleinste Zeichen königlicher Huld empfangen hatten. Die bekannten Proklamationen aus dem Golf von Juan hatten dieses Mißtrauen wesentlich begründet ; der Verrath zog sich durch sie hindurch. Der Verrath war die Ursache aller Unfälle ; 1814 war man nicht besiegt, nur verrathen worden. Napoleon hatte es ausgesprochen und der Soldat glaubte es um so fester , als dadurch seiner Eigenliebe geschmeichelt und seinem Kriegsherrn eine schwere Verantwortung abgenommen wurde. Diese schreiende Unwahrheit sollte dem Kaiser seinen alten Zauberschein und der Armee ihr altes Selbſtver= trauen wiedergeben ; aber das Mittel war gefährlich, denn sein Eindruck war so gewaltig , daß schon dadurch allein da Mißtrauen wucherte, wo das unbedingteste Vertrauen herrschen sollte. Marschälle, Generale, Offiziere hatten sich der Flucht der Bourbons angeschlossen. Mehrere von ihnen befan= den sich in Belgien bei dem Könige von Frankreich, dem Mitunterzeichner des großen Bündnisses gegen Frankreich; von ihnen gingen zahlreiche Aufrufe aus zur Desertion , und leider waren sie nicht erfolglos. Zwar war die Zahl der Fahnenflüchtigen an sich klein, aber das Gerücht , das unruhige Mißtrauen der Soldaten übertrieb sie mehr und mehr ; es war ein Glaubensartikel in der Armee, daß der Genter Hof in ihren Reihen auf Anhänger zähle, die bei erster Gelegenheit losbrechen würden.
69 Unter der Wucht so verderblicher Gedanken war kein Zweifel, daß jeder Nichterfolg dem Verrathe zuge= fchrieben werden würde und daß jeder Unfall zur Niederlage anfchwellen konnte. Sobald die Truppen ihre Bivouaks bezogen hatten, erließ Napoleon , nach seiner Gewohnheit, einen Tagesbefehl an sie. Noch nie hatte er beredtere Worte für sie gefunden ; mächtig erregte er das Feuer und die Begeisterung In leidenschaftlicher seiner unerschrockenen Männer. Rede , in der wunderbar mächtigen Sprache von Arcole und Rivoli erinnerte er sie an die Tage des Ruhmes und des Glückes. Er entflammte ihre Tapferkeit und Kraft; er erniedrigte und schalt ihren Gegner. ,,Soldaten“, sagte er ihnen ,,,bei Jena waret ihr Einer gegen Zwei gegen diese Preußen , die jezt so anmaaßend sind ; bei Montmirail Einer gegen Drei.“ Von den Englischen Soldaten konnte er Aehnliches nicht fagen, da der traurige Halbinselkrieg dazu keine Veran= lassung bot ; aber er warf zur Aufſtachelung eines glühenden und wohlbegründeten Haffes der ganzen engli= schen Nation in blutig lakonischen Worten seinen Vorwurf hin : „ laßt Euch von denen Eurer Kameraden, die in der englischen Gefangenschaft waren, erzählen, welchen entsetzlichen Qualen sie auf jenen Pontons unterworfen wurden !" Den Verbündeten insgesammt schleuderte er einen Vorwurf zu, der sich freilich sonderbar ausnahm in dem Munde eines Mannes , der aus so vielen Völkern Unterthanen seines Reichs und die Beute seines Ehrgeizes sowie der Habsucht seiner Familie gemacht hatte. „ Die Nachdem sie 12 Millionen Coalition ist unersättlich. Polen , 1 Million Sachsen , 6 Millionen Belgier_ver= schlungen hat , soll die Reihe an die deutschen Staaten zweiten Ranges kommen“ . . . . und Diesem fügte er noch hinzu: die Sachsen , die Belgier , die Hannovera= ner, die Soldaten des Rheinbundes feufzen darüber, daß
70 sie ihre Arme an Fürsten leihen müſſen, die der Gerech= tigkeit und den Rechten der Völker feind sind." Die Gerechtigkeit und die Rechte der Völker mit Ehrfurcht erwähnt und angerufen in einer kaiserlichen Proklamation! Welcher kecke Bruch mit der Vergan= genheit! Napoleon schloß mit den Worten : ,,Jetzt ist der Augenblick für jeden Franzosen, der " ein Herz im Leibe hat, zu siegen oder zu sterben Worte feierlicher Beschwörung und der Vorahnung, welche die ganze Gefahr der Lage verkündeten und die schon feit 3 Monaten in ganz Frankreich hätten wiederhallen sollen. Die Armee beantwortete den feurigen Aufruf mit fieberhaftem Beifall.
Fünftes Kapitel.
Zusammensetzung und Organiſation der Armee Wellingtons ihre Stärke - Anordnung ihrer Kantonnirungen nach dem Stande vom 14. Juni Fehler derselben Zusammensetzung der Organisation der Blücher'schen Armee ihre Stärke Anordnung ihrer Kantonnirungen nach dem Stande vom 14. Juni Fehler derselben ― Vereinbarte Maaßregeln beider Feldherren für den Fall eines Angriffs . - Der Geist in den beiden Armeen Wellington, Blücher. Die Armee, welche unter den Befehlen des Feldmarschalls Herzogs von Wellington stand, zerfiel in zwei getrennte Theile, der eine für den Feldkrieg, der andere zu den Besatzungen der belgischen Festungen bestimmt. Der letztere Theil umfaßte eine Anzahl niederlän= discher Bataillone , dann eine englische Division von 6 Bataillonen , von denen zwei aus Veteranen bestanden, mit 3000 Mann , und 4 hannöverische Brigaden, die ganz kürzlich erst ausgehoben, und etwa 9000 Mann stark, unter den Befehlen des Generalleutnants v. d . Decken eine sogenannte Reservedivision bildeten. Die aktive Armee bestand aus 26 Infanterie- und 12 Reiter-Brigaden, mit 15 Fuß- und 14 reitenden Batterien. · Von den Infanteriebrigaden bestanden 9 aus Eng= ländern , 2 gehörten zur K. Großbrittannischen Deut-
72 fchen Legion * ) , fünf waren Hannoveraner, zwei Braunschweiger, sechs Niederländer , eine von Nassau in niederländischem Solde, eine ebendaher, als Kontingent dieses Staates. Die englischen , hannöverschen und Legionsbrigaden formirten 6 Divisionen , die englische Divisionen genannt wurden ; die braunschweigischen Brigaden formirten 1 Division , die niederländischen Brigaden und die Nassau-Niederländische 34 Division , das Nassauer Kon= tingent war nicht eingetheilt.
Unter den Reiterbrigaden waren 6 sogenannte eng= lische , dabei aber die 5 Reiter-Regimenter der Legion ; dann waren eine hannöverische, eine braunschweigische und 3 niederländische Brigaden vorhanden. Die letteren bildeten eine Diviſion (f . M. Collaert), die übrigen waren nicht in Diviſionen vereinigt. Fünfzehn Batterien waren englisch, 2 hannöveriſch, 7 niederländisch, 2 braunschweigisch, 3 gehörten zur Legion .
*) Die Errichtung der Legion fällt in das Jahr 1803, als Hannover von Mortier genommen wurde. Ihre ersten Bestandtheile waren Offiziere und Soldaten der früheren kurfürstlichen Armee, die nach der Konvention von der Elbe ihre Reihen verlassen hatten, um sich von Dänemark aus auf englischen Schiffen nach England zu begeben ; ihnen folgten noch viele andere Glieder dieser Armee. Gegen Ende 1806 zählte die Legion bereits an 13,000 Mann. Sie war seit dieser Zeit mit Deserteuren , Kriegsgefangenen der im französischen Interesse fechtenden deutschen Truppen und solchen deutschen Patrioten rekrutirt worden, welche überhaupt nur eine Fahne suchten , unter der sie gegen Napoleon fechten konnten. Im Juni 1815 zählte die Legion unter den Waffen 12,057 Mann Offiziere und Soldaten , in 11 Bataillonen, 5 Reiter-Regimentern und 5 Batterien. Theile davon waren in England, in Portugal, in Sicilien , die Hauptstärke aber in Belgien.
73 Diese Streitkräfte bildeten zwei Armeekorps, eine Reserve und ein Reiterkorps . 1. Korps. Prinz von Oranien. Div. Cooke, engl. Garden, 4000 M. 40 Bat. "" d'Alten, engl. "! Perponcher, niederl. " Chassé Reit.-Div. Collaert, niederl., Carabin., Dragon., Huf., 23 Schw. 5 Fuß-, 4 reit. Batt., Genie, Fuhrwesen *), Stabstrup64 Gesch. pen **),
2. Korps. Generalleutnant Hill. Div. Clinton, engl. Colville, " " Stedtmann, niederl. 38 Bat. Brig. d'Anthing, fog. in dische, zum Dienſt in den niederl. Kolon. bestimmte Brig., beide unt. d . Pr. Friedrich d. Niederlande, Reit.-Brig. v. Estorff, Huf., 12 Schw. 5 Fuß-, 1 reit. Batt., Genie, Fuhrwesen , Stabstruppen, - 40 Gesch).
25,942
3,405
2,198 31,545
24,499
1,277
1,472 27,248
* Außer diesem Fuhrwesenkorps folgte der englischen Armee, wie gewöhnlich, ein Train, der aus im Lande gemietheten Fuhren bestand. **) Zu Fuß und zu Pferde , für die Spitzen der Marschkolonnen , zum Kolonnenführen , Lagerabstecken, Heerspolizei 2c.
74 Reserve.
Ohne besonderes Oberkommando .
Div. Picton, engl. Cole,
23 Bat.
14,939
Brig.Kense, Naff. Konting. 4 Fuß-Batt., Genie, Fuhr24 Gesch. wesen, Stabstruppen, Braunschweigsche Division unter dem Herzog von Braunschweig. 8 Bataillone Uhlanen, Husaren, 5 Schwadronen 1 Fuß-, 1 reitende Batterie, 16 Gesch. Artillerie-Reserve, 12 Geschüße
5,376 822 460 480
Zusammen 31 Bat., 5 Schw., 52 Geſch.
23,037
Reiterkorps.
960
Generalleutnant Uxbridge.
Schwere Brigaden (engl.). Somerset (engl. Garden 22 Schw. u. Garde-Drag.) Ponsonby (Drag.) Leichte Brigaden(engl.)Dornbery, Vandeleur, Grant, Vivian, Arentschild (leichte Dragoner und Husaren), 49 Schw. 5 reit. Batt., 1 Raket-Batt., 30 Gesch .
2,605
7,908 1,300 11,813
Hauptpark,Genie, Fuhrwesen, 1,860 Stabstruppen, Pontonniere, Hauptſumme 95,503 M. mit 186 Gesch. und 1 RaketBatterie. Von dieser Stärke waren 70,756 M. Inf. , 16,017 M. Reiterei *), 8750 M. Artillerie 2c. mit 186 Gesch. und 1 Raketbatterie. *) ,,Ich werde 16,000 M. Reiterei haben , davon 10,000. so gut, als sie irgendwo sein kann“ (Schreiben Wellingtons an Schwarzenberg v. 21. Mai 1815, Dispotches etc. 12. Th.) .
75 Mit wenig Ausnahmen hatten die englischen Regimenter nur 1 Bataillon ; die niederländische, hannöverische, braunschweigische und Legions - Infanterie war in selbstständigen Bataillonen organisirt. Die durchschnittliche Stärke eines Bataillons betrug 600 M. Die Brigaden waren von 2 bis 6 Bataillonen formirt und von einem Generalmajor oder Obersten befehligt ; die Diviſion bestand aus 2 bis 3 Brigaden unter einem Generalmajor oder Generalleutnant. Die durchschnittliche Stärke der Schwadron betrug 160 M. Das Regiment hatte 3 oder 4 Schwadronen. Die Brigade bestand aus 2 bis 4 Regimentern und ward von einem Obersten oder Generalmajor befehligt. Die niederländischen und braunschweigischen Batterien hatten sämmtlich 8 Geschüße , die englischen 2c. nur 6 . Die Kaliber derselben waren von 12 , 6 und 9 Pfund (die letzteren etwa dem französischen 8Pfünder entsprechend). Die Haubizen waren, außer in der niederländischen Ar= Die Komtillerie, in besonderen Batterien vereinigt. J mandanten der Artillerie und des Genie's waren nur Obersten. Zu der Zeit, wo Napoleon sich auf dem rechten Ufer der Sambre vereinigte, erstreckte sich die englische Armee mit ihren Kantonnirungen ungefähr in dem Winkel, der zwischen den Straßen von Brüssel nach Charleroy und von Brüssel nach Gent liegt ; ihre Vorposten standen an der äußersten Grenze. Das Hauptquartier Wellingtons war in Brüssel, das des Prinzen von Oranien, Kommandanten des 1. Korps, in Braine le Comte , das von Hill , Kommandanten des 2. Korps, in Ath, das von Uxbridge, Kommandanten des Reiterkorps, in Grammont. ་ Die Divisionen Perponcher und Chassé bildeten den äußersten linken Flügel, und standen die erstere um Genappe, Frasnes und Nivelles , die zweite um Fayt - lesSeneffe, Haine - Saint - Pierre und Morlanwelz.
76 Die Division Alten stand bei Soignies, die Diviſion Cooke bei Enghien. Die Division Collaert stand bei Mons , um Roeulx, Havré, St. Symphorien. Von Hill standen die Division Clinton in Lens, Ath und Leuze ; die Diviſion Colville um Renaix, Oudenarde und rechts davon, zwischen Schelde und Lys ; die Division Stedtmann und die indische Brigade, unter dem Prinzen Friedrich der Niederlande , bei Landskauter , Bambrugge und Tournah ; das Hauptquartier des Prinzen war in Sotteghem. Die Reserve stand in Brüssel und Konkurrenz ; die Division Picton und Cole * ) in der Stadt selbst, in Anderlecht und Hal ; die braunschweigische Division zwischen Brüssel und Mecheln ; die Brigade Kruſe (Naſſauiſches Kontingent) auf der Straße nach Löwen ; die Reserve = Artillerie und der große Park vorwärts Brüssel. Die Brigaden des Reiterkorps standen in Gent, Ni= nove und den Dörfern des Dendre - Thales. Zwei Regimenter versahen den Dienst bei den Vorposten um Tournah und Ypern. Die Sammelplätze waren: für die Divisionen des 1 . Korps : Nivelles , Fayt , Soignies, Enghien, Roeulx; für die des 2. Korps : Ath, Renaix, Oudenarde, Landskauter ; für das Reiterkorps : Grammont . Die Front der Armee war durch Mons, Ath, Tournah, Oudenarde, Courtray, Ypern gedeckt, wo überall seit 2 Monaten umfassende Befestigungsarbeiten im Gange waren ; auf dem rechten Flügel waren große Ueberschwemmungen vorbereitet ; Nieuport und Ostende waren in gutem Vertheidigungszustande. Der ganze Landstrich war sowohl von Brüssel aus radienartig als auch in transversalen Richtungen mit Straßen durchzogen. Diese Kantonnirungsanlage ist streng getadelt worden. Man hat behauptet , sie sei zu weitläuftig ; die
*) 3 Bataillone der Division Cole standen in Gent.
77 Reiterei zu weit von der Infanterie, die Artillerie selbst bei den einzelnen Diviſionen zu weit entfernt , um mit ihnen vereinigt auftreten zu können. Diese lettere Behauptung ist durch die Thatsachen vollständig widerlegt worden. Zu jeder Infanterie = Division gehörten 2 Batterien, die mit ihr zusammen kan= tonnirten ; eben so war es mit den reitenden Batterien der Reiterbrigaden. Es wird sich auch gleich bei den ersten Gefechten zeigen , daß die englisch - niederländischen Truppen immer mit einer verhältnißmäßigen Geſchüßzahl auftraten. Bei jedem Armeekorps war eine hinreichende Anzahl Reiterei , mit Ausnahme vielleicht der Reserve, bei der nur 800 Pferde sich befanden. Aber es ist unbestreitbar, daß die Masse der Reiterei doch zu weit rechts geschoben war. Bei einem raschen Angriff auf dem äußersten linken. Flügel konnte sie unmöglich rechtzeitig eintreffen. Die Grundidee zu dieser Anordnung der Kantonnirungen der englisch - niederländischen Armee ist in einem geheimen Memorandum ausgesprochen, welches Lord Wellington an seine Korpskommandanten Oranien, Hill und Urbridge gerichtet hat. Er hielt drei Wege möglich für den Angriff; einer ging durch das Land zwischen Lys und Schelde, ein an= derer zwischen Sambre und Schelde, und die dritte Mög= lichkeit war ein auf beiden Linien gleichzeitig geführter Angriff. Für alle drei Fälle wollte er gleichmäßig vorbereitet sein, obschon der lettere sehr wenig wahrscheinlich war. Aber er hatte ein schlechtes Auskunftsmittel ge= wählt. Seine Kantonnirungen , die auf eine Front und eine Tiefe von 20 Stunden zerstreut waren, traten einer raschen Vereinigung der Streitkräfte entgegen. Sowohl bei einem Angriffe des rechten als des linken Flügels brauchte er einen forcirten Marsch , um nur die Hälfte seiner Armee zu vereinigen, und zwei starke Märsche, um sie ganz zu versammeln. Es ist klar, daß bei solchen Umständen ein gut geführter Scheinangriff Ursache zu
78 widersprechenden Befehlen und damit zu sehr ernſten und schwer wieder zu beseitigenden Folgen werden konnte, was bei einer konzentrirteren Anlage der Dislokation vermieden worden wäre. Schon seit Ende Mai mußte der englische Feldherr sein Hauptquartier 6 oder 8 Stunden vorwärts vor Brüssel zu nehmen und seine Truppen bei Hal, Nivelles, Enghien, Ninove zusammenziehen , wenn er auch dabei zu Zeltlagern genöthigt gewesen wäre. Wenn dann die Hauptzugänge mit starken Avantgarden besezt waren, so mußte er jedem Angriffe rechtzeitig begegnen können, denn er hatte nur ein kleines Stück von einem Kreisbogen zurückzulegen . Um die Weitläuftigkeit der Dislokation zu rechtfer= tigen, hat man die Schonung des Landes und die Schwierigkeit aufgeführt, eine ſo ſtarke Armee auf engem Raume zu verpflegen. Das sind aber Scheingründe für Jeden, der die rei= chen Geldmittel der englischen Heeresverwaltung, die gute Disciplin der Truppen und die Beschaffenheit des Brabanter Landes vor Augen hat , das ja ſo ſtark bevölkert ist und so viele Transportmittel darbietet. Die Preußische Armee unter den Befehlen des Feldmarschalls Fürsten Blücher von Wahlstadt bestand aus 16 Divisionen *) Infanterie, 4 Divisionen Reservekavallerie, 27 Fuß- und 12 reitenden Batterien , in 4 ungleiche Armeekorps formirt, die von den Generalleut= nants Ziethen, Pirch I., Thielemann und Bülow be= fehligt wurden.
1. Korps.
Ziethen.
Inf.-Div. Steinmetz, Pirch II., 34 Bat. Jagow, Henkel,
27,887
*) Der Ausdruck Diviſion_ist_uneigentlich und entspricht zwar der Sache, aber die Preußen ſelbſt nannten sie Brigaden.
79 Transp. 27,887 Reit.-Div. Röder (Drag., Uhla32 Schw. 1,925 nen, Husaren, 9 Fuß , 3 reit. Batt., Genie, 2,880 Fuhrwesen 2c. 96 Gefch . 2. Korps.
32,692
Pirch I.
Inf.- Div. Tippelskirch , Kraft, 32 Bat. Brauße, Langen, Reit.-Div.Jürgaß (Drag., Uhla36 Schw. nen, Husaren ), 7 Fuß-, 3 reit. Batt., Genie, Fuhrwesen 2c. 80 Gesch . 3. Korps.
25,836 4,468 2,400 32,704
Thielemann.
Inf.-Div. Borcke, Kemphen, Luck, 30 Bat. Stülpnagel, Reiter-Divis. Marwit (Drag., 24 Schw. Uhlanen, Huſaren), 3 Fuß , 3 reit. Batt., Genie, Fuhrwesen 2c. 48 Gesch.
4. Korps.
20,611 2,405
1,440 24,456
Bülow.
Inf.-Div.Hacke, Ryſſel, Loſthin, 36 Bat. Hiller, Reit.-Div. Prinz Wilhelm von Preußen (Drag., Uhl., Huſ.), 43 Schw. 8 Fuß-, 3 reit. Batt., Genie, Fuhrwesen 2c. 88 Gesch.
25,381 3,081 2,640
31,102
3,120
Hauptpark Hauptſumma
124,074
wovon 99,715 M. Infanterie, 11,879 Reiter.
80 Die Zahl der Geschütze stieg auf 312 *) . Die Infanterie - Regimenter hatten sämmtlich 3 Ba= taillone, jedes von 4 Kompagnien ; die Reiter-Regimenter hatten 3-4 Schwadronen . Die Batterien waren sämmtlich zu 8 Geschüßen im Kaliber von 12 und 6 Pfund ; die Haubigen waren wenig zahlreich und in besondere Batterien zusammengestellt. Die durchschnittliche Stärke eines Bataillons war 730 M., die einer Schwadron ging im 1. Korps auf 60 M. herab, in den andern drei war sie gegen 100 M. Die Infanterie - Regimenter einer Diviſion ſtanden zusammen unter einem Obersten. Die Reiter-Regimenter bildeten zu zweien und dreien Brigaden unter einem Generalmajor, Obersten oder Oberstleutnant; die Division hatte 2 bis 3 Brigaden. Zwei Schwadronen und 1 Batterie 6 Pfünder waren jeder Infanterie- Diviſion zugetheilt. Das Armeekorps hatte 2 Geniekompagnien ; die Reserve-Reiterei und Reserve-Artillerie bestand aus der Reiterei und Artillerie , welche nicht bei den Infanterie - Divisionen eingetheilt waren. Blücher hatte sein Hauptquartier in Namur genom= men, 16 Stunden von dem Wellingtons. Die Hauptquartiere der Generale Ziethen , Pirch, Thielemann und Bülow waren je in Charleroy, Namur, Ciney (am rechten Maaßufer) und Lüttich. Vom Korps Ziethen stand die Division Steinmetz auf dem linken Sambre-Ufer, zu Fontaine l'Evêque und Binche, wo sie an die Niederländer anschloß ; die Diviſion Pirch II. bei Marchienne - au - Pont, Charleroy, Chatelet, Tamines, die Division Jagow bei Fleurus, die Division Henckel bei Moustier - sur - Sambre. Die Vorposten erstreckten sich von Bonne Espérance bis Sofoye, über Lobbes , Thuin, Ham - sur - Heure und Gerpinnes.
*) Ueber die Quellen für diese Zahlen vergl. Beilage C.
81 Die Reserve-Reiterei und Artillerie standen bei Flenrus und Sombreffe ; Fleurus war dem Korps als Vereinigungspunkt gegeben. Das Korps Pirch's I. stand mit seinen Diviſionen in und hinter Namur, in Hug, Héron und Thorembais les - Beguines , die Reserve - Reiterei und Artillerie bei Hannut und Hottomont. Die Vorposten standen bei Dinant. Namur war dem Korps als Sammelplatz angewiesen. Thielemann hatte in Cineh zu konzentriren ; seine Vorposten trafen bei Dinant auf die Maas und ging über Rochefort, zur Beobachtung der Deboucheen von Givet her. Das Bülow'sche Korps stand mit seiner Infanterie in Lüttich, Hologne, Waremme, Leers 2c. , die Reiterei bei St. Trond, Looz und Tongres . Es war in hohem Grade befremdlich, daß man in dem preußischen Rayon keinerlei Befestigungsanlagen ausführte, während sie zwischen Mons und der Nordsee so zahlreich waren. Blücher hatte, wie Wellington , einen weiten Raum eingenommen. Bei einem Angriffe auf den linken , wie auf den rechten Flügel brauchte er 14 Tag , um seine ersten 3 Korps auf einem Flügel zu vereinigen, und 2 Tage, um seine ganze Armee dahin zu bringen. Das war viel zu viel Zeit für den Angreifer. Mit vollem Rechte sagt Napoleon, daß mit Ende Mai Blücher sein Hauptquartier nach Fleurus legen und ſeine Kräfte in einem Rayon von 6 oder 8 Stunden Halbmesser darum vereinigen mußte, während er die Defileen der Sambre und Maas ordentlich beobachtete. Wellington und Blücher hatten die gemessene Weiſung, die französische Grenze nicht zu überschreiten, bis von den verbündeten Souverainen der Befehl zur Eröffnung der Feindseligkeit erfolge, wozu man das Eintreffen der ruſſi6 Charras, Waterloo.
82 schen Armee abwarten wollte *). Dem entsprechend, konnten fie auch nur Spionnachrichten über die Bewegungen der französischen Truppen erhalten, die ja fast immer unsicher und mangelhaft sind. Sie waren also einem überraschenden Angriffe ausgefeßt. Schon hieraus allein folgt die Nothwendigkeit, daß jeder der beiden Feldherren seine Armee vereinigte und zwar dergestalt, daß einer den andern rechtzeitig unterstügen konnte. Gegen Ende Mai waren in einer Konferenz die Bewegungen für den Fall festgestellt worden, daß Napoleon den Krieg mit einem Einfalle in Belgien eröffne, insbe= sondere war , nächst andern , den feindlichen Unternehm= mungen entsprechende Operationen, vereinbart worden, daß bei einem Angriffe auf einen der beiden innern Flügel, die preußische Armee sich bei Sombreffe , die englischniederländische bei Quatre - Bras schleunigst konzentriren solle, zwei Punkte, die nur einen halben Tagemarsch von einander lagen und durch eine breite Chauffee verbunden waren. Dieser Plan war vortrefflich und mußte entscheidend werden, wenn die beiden Armeen nicht verzettelt gewesen wären ; jest trug er den Keim von Gefahren , ja von *) Wagner, in seiner Skizze des Feldzugs von 1815 (Recueils des Plans de Combats etc. und Damit in seiner Geschichte des Feldzugs von 1815 geben an, daß Wellington und Blücher entschlossen waren , den 1. Juli in Frankreich einzurücken. Dieser Ausspruch der beiden preußischen Schriftsteller wird durch 3 Briefe Wellingtons widerlegt , die beiden ersten vom 9. Mai und 2. Juni, an Schwarzenberg, der dritte, vom 15. Juni, an den Kaiſer von Rußland . (The Dispatches etc. Th. 12.) Wellington und Blücher warteten mit dem Beginn ihrer Operationen auf das Eintreffen der russischen und öftreichischen Armeen , und auf ein derartiges Vorrücken derselben , daß die Operationen Aller Hand in Hand erfolgten und eine gegenseitige Unterstützung möglich war. Hiernächst sollten die Ruffen und Oestreicher 2c. die Feindseligkeiten erst am 1. Juli beginnen.
83 einer Niederlage in sich. Denn Sombreffe und QuatreBras waren nahe an der Grenze. Die Stäbe beider Armeen hatten ihr Terrain wohl studirt und namentlich um die genannten Dertlichkeiten, aber auch andere Stellungen ermittelt , die je nach den Ereignissen gebraucht werden konnten. Wellington, der stets lieber eine Schlacht annahm als anbot, hatte persönlich eine solche Stellung rekognoszirt, die zur Vertheidigung wohl geeignet , die Straße von Brüssel nach Charleroy kreuzte und sich vorwärts von Waterloo befand , ein Name, der bis daher völlig unbe= fannt war. So waren die beiden Armeen , ihre Aufstellung und Stärke am 14. Juni ; ihnen gegenüber sammelten sich die Kräfte Napoleons. Es standen unter ihm 129,000 M. mit 350 Gesch. gegenüber den 220,000 M. und 500 Gesch. der Verbündeten. Napoleon hatte angenommen , sagt er, daß man bei der Vergleichung nicht auf die Zahlen allein Rücksicht nehmen dürfe ; er rechnete auf Einen Franzosen Einen Engländer oder Zwei Mann von den übrigen Truppen. Das war aber zu Viel und gab ein falsches Resultat. Die Armee Wellingtons war sehr verschiedenartig ; nicht alle ihre Bestandtheile hatten gleichen Werth. Wenn das auch keinem Zweifel unterliegt, so war doch wohl der Unterschied, den Napoleon annahm, zu groß.
Die Armee zählte 32,700 7,500 15,800 25,000 4,300 3,000 6,700 95,000
Engländer, Deutsche Legion im englischen Dienſt, Hannoveraner, Niederländer, Nassauer im niederländischen Dienst, Nassauer Kontingent, Braunschweiger, Mann. 6*
84 Die Engländer waren alte Soldaten , die in den schweren Feldzügen des Halbinselkrieges sich erprobt hatten ; sie waren mit Recht stolz darauf, Spanien von der kaiserlichen Herrschaft befreit und nach einem 6jährigen Kriege ihre Fahnen von der Mündung des Tajo bis zu den Üfern der Garonne getragen zu haben, einem Kriege, der in seinem ersteren Theile mit wechselndem Erfolge geführt worden war, dann aber mit einer ununterbrochenen Reihe von Siegen geendet hatte, unter denen sich der von Vittoria, das Leipzig des Südens, befand. Sie waren voller Vertrauen auf sich und auf ihre Generale, deren Ueberlegenheit über die französischen Generale, eben so wie die Ueberlegenheit Wellingtons über Napoleon bei ihnen fest standen ; sie waren von jenem festen Pflichtgefühl beseelt, welches alle Soldaten aus Wellingtons strenger Schule charakterisirt. Es waren Elitetruppen im vollsten Sinne des Wortes. Ganz ebenso war die deutsche Legion , die seit 12 Jahren unter brittischen Fahnen focht und im Halbinselkriege groß gezogen worden war. Die hannöverischen Truppen bestanden zu 4 aus Linie, zu aus Landwehren. Ihre Organisation reicht nur bis zur Befreiung Hannovers zurück. Die Linie zählte fast lauter alte Soldaten , Offiziere aus der Kaiferzeit und Soldaten, die im Unabhängigkeitskriege das Handwerk erlernt hatten. Die Landwehr dagegen hatte sehr viel neue Leute , aber sie hatte sehr gute Cadres und vortreffliche Führer; sie war von demselben Patriotismus durchbrungen, der damals ganz Deutschland beseelte ; diese Truppen waren sicherlich nicht ohne Werth. Die Linien wie die Landwehr - Bataillone waren in Brigaden formirt, die unter ihren eigenen Generalen standen , aber mit englischen und Legions- Brigaden zu= sammen die Divisionen bildeten, so daß sie an diesen krieggewohnten Truppen Halt und Beiſpiel fanden. Die Organisation der niederländischen Armee hatte mit der Erhebung Hollands gegen die Napoleonische Th-
85 rannei, Ende 1813, begonnen. Sie war fortgefeßt, aber noch nicht vollendet worden. Belgien hatte nur erst einen schwachen Beitrag geliefert. Die eine Hälfte der Infanterie war holländische Miliz, die andere Hälfte holländische und belgische Linien - Bataillone. Die Reiterei und Artillerie bestand nur aus Linientruppen *). Im Anfang hatten sich die Abtheilungen der Linie lediglich aus Ausreißern der kaiserlich französischen Armee gebildet, zu denen namentlich in der ersten Zeit der nationalen Erhebung noch Freiwillige kamen; später traten Offiziere und Soldaten dazu , die theils aus dem fran= zösischen Dienste entlassen waren , theils aus der fremd= ländischen Kriegsgefangenschaft zurückkehrten. So hatte ein Bataillon Beliten der Kaisergarde nach dem Frieden die Fahnen des befreiten Holland angenommen. Trotz aller Mängel , welche immer den neuen Formationen ankleben, waren die Linientruppen ganz geeignet, im Kriege gute Dienste zu leisten. Die Milizen kamen ihnen nicht gleich. Sie bestanden zum Theil aus Freiwilligen, zum Theil aus Ausgehobenen . Die Hälfte der Kompagnie-Offiziere war von den Soldaten gewählt, die andere Hälfte, so wie die Stabsoffiziere waren vom König ernannt worden **). Die Verschmelzung dieser verschiedenen Elemente war noch nicht vollständig erfolgt ; nächſtdem waren dieſe Ba= taillone Neulinge. Aber der Haß gegen Napoleon und die Liebe zu der Unabhängigkeit des Vaterlandes beseelte die jungen Milizen wie die alten Soldaten und es ließen sich herzhafte Anstrengungen auch von den Ersteren erwarten. *) Es ist hier überhaupt nur von den Truppen die Rede, welche die englisch- niederländische Armee bilden halfen ; außerdem gab es in der niederländischen Armee auch Reiterei und Artillerie der Miliz. **) Die Wahl war auf frühere Offiziere beschränkt. Aber trotz dieser Einschränkung hatte König Wilhelm sich hier doch liberaler gezeigt, als Napoleon betreffs der aktiven Nationalgarden.
86 Die meisten Generale und Stabsoffiziere, so wie viele niedere Offiziere hatten ihre Grade in den blutigen Feld= zügen der Republik und des Kaiserreichs erworben , und ihr Führer, der junge Prinz von Oranien, der von Wellington in Spanien gebildet worden, war vermöge seiner Talente und seiner Unerschrockenheit vollkommen befähigt, sie zu kommandiren. Die Nassauische Brigade im holländischen Dienſte hatte mehr junge als alte Soldaten ; aber ihre Cadres stammten aus einem Regimente , das lange im franzöſischen Dienste gestanden hatte und waren gut ; Jung und Alt war voll Eifer und Feuer. Die Organisation der braunschweigischen Truppen datirte von Ende 1813 ; sie war energisch betrieben und rasch vollendet worden. Unter diesen Truppen befanden sich Viele , und in allen Graden, die theils unter brittischen Fahnen, theils unter dem kaiserlichen Adler den Krieg kennen gelernt hatten. Ihre Begeisterung war groß ; sie fühlten sich stolz, unter ihrem regierenden Herzog zu fechten, der seinen Charakter, seine Kühnheit und seine Hingebung an das deutsche Vaterland genügend dargelegt hatte. Die Preußische Armee stellte sich als eine gewaltige und einheitliche Masse dar, lezteres besonders , nachdem in Folge der Lütticher Auftritte das sächsische Kontingent ausgeschieden worden war. Zwei Drittheile bestanden aus Linie, Ein Drittheil aus Landwehr. Die Linie bestand, mit wenig Ausnahmen, aus alten Truppen ; die Landwehr war zum großen Theil schon seit 1813 frieggewohnt ; ihre Cadres waren vortrefflich. Die Armee war eine lebendige Verkörperung des ge= sammten preußischen Volkes ; sie war im höchsten Grade fanatisirt und glühte für das Vaterland und seine Unabhängigkeit. In jedem Franzosen sah man einen Todfeind. Verhängnißvolle Wirkung des Ehrgeizes Napo= leons ! Das waren nicht mehr die Soldaten von Valmy
87 und Jena, die bei dem Streite ihres Königs kalt und theilnahmlos bleiben, die leicht zu besiegen waren und, einmal befiegt, der Auflösung verfielen. Der Haß gegen den Eroberer und die Mißhandlungen des Vaterlandes hatten Helden erzogen. Oft geschlagen , dies- und jen= seits des Rheins, hatten sie sich doch jedesmal ermannt ; fie trugen zwei glänzende Siege in ihrem Gedächtniß : Leipzig und Paris. Ihre Führer waren von demselben Geiste beseelt und genossen das volle Vertrauen der Soldaten. Napoleon irrte sich : zwei Preußen waren mehr als ein Franzose. Es gab wohl noch Elemente, welche die Kraft der beiden englisch - niederländischen und preußischen Armeen schwächen konnten, wie z. B. daß sie zwei Feldherren von ganz entgegengeseztem Charakter gehorchten, daß sie eine sehr aus einander gehende Basis hatten, indem der Eine sich auf Köln und den Rhein, der Andere auf Antwerpen und die Nordsee stüßte; aber diese Elemente verschwanden an den Kampftagen. Diese beiden Feldherren hielten es anders , als Napoleons entartete Generale in Spanien ; im Betreffsfalle kamen sie einander zu Hilfe und zwar rasch, mit ernster Absicht, kräftig und entſcheidend. Napoleon war wohl im Stande, den Feldmarschall Blücher, den er oft genug und hart getroffen hatte, richtig zu beurtheilen ; aber er unterschäßte ihn, und das war ein schwerer Irrthum. Blücher hatte einen wenig gebildeten Geist, eine rauhe Natur, voller Leidenschaft für den Krieg wie für das Vergnügen , und konnte die obersten Stufen nicht erklimmen; aber ein unerschütterlicher Charakter, eine glühende Vaterlandsliebe, ein hervorragender friegerischer Takt und rasche Entschlossenheit, dabei troß des Alters eine unermüdliche Thätigkeit , eine Beharrlichkeit, die vor nichts zurückwich , eine große Kühnheit, die Gewohnheit der napoleoniſchen Taktik und Strategie machten aus Blücher einen Gegner von Gewicht. Seine Soldaten nannten ihn Marschall Vorwärts, obwohl er fie oft auch
88 zurückgeführt hatte. Aber, Alles wohl erwogen, hatte er sie in letter Instanz doch von der Oder und Elbe an den Rhein und vom Rhein nach Paris geführt. Wellington hatte dem Kaiser noch nicht persönlich gegenüber gestanden. Aber an der Kraft der Schläge, die er ausgetheilt, hatte man von Portugal und Spanien her wohl Veranlassung , ihn für den weitaus besten der feindlichen Heerführer zu halten. Und doch wollte Napoleon ihm die zu einem Obergeneral nöthigen Eigen= schaften nicht zuerkennen ! So wie ihn der Moniteur schilderte, ohne Fähigkeiten, unbesonnen, dünkelhaft, un= wissend, den Stempel großer Niederlagen an sich tragend", so wie da seine Siege in Niederlagen oder in nichtsbe= deutende Gefechte verwandelt wurden, so wie man da die Tage bei den Onapplen und bei Vittoria verschwieg, mußte er allerdings wie ein alltäglicher General er= scheinen . Gewiß, zwischen Wellington und Napoleon war noch eine große Kluft ; aber sie war doch viel kleiner, als Lez= terer dachte und als man lange Zeit in unserem von Lügen heimgesuchten Lande geglaubt. Dem Einen leuchtete der kriegerische Genius im vollften Glanze ; aber die unbesonnene Politik des Kaisers störte und verwirrte die wunderbar schlagenden Entwürfe des Strategen , und häufig entsprachen die Energie und die physische Thätigkeit nicht ganz den harten und aufreibenden Anforderungen der Feldlager. Der Andere war nur ein talentvoller General , aber sein Talent war so umfassend und von so vortrefflichen Eigenschaften unterstützt, daß es an das Genie reichte. Er war mit einem hervorragenden gefunden Menschenverstande begabt , ein guter und denkender Politiker; er befolgte gewissenhaft die Geseße seines Vaterlandes; er durchschaute rasch und sicher die Menschen und erkannte ihre Eigenschaften ; er war in allem militairischen Wiſſen vortrefflich unterrichtet ; er beging wohl einen Fehler, aber, wenn er ihn als solchen erkannt hatte, verstand er
89 sich von ihm los zu machen ; er sorgte für das Wohl seiner Soldaten, er schonte ihr Blut ; er verfolgte die Unordnung mit Strenge und war mitleidlos gegen Plünderer; er war geschickt im Entwerfen und Ausführen, vorsichtig oder kühn , zaudernd oder rasch, wie die Umstände es geboten, unerschütterlich in Unfällen, besonnen im Glück, ein eiserner Charakter in einem eisernen Körper den eisernen Herzog nennen ihn die Engländer. Er hatte Großes geleistet mit einer kleinen Armee und er hatte vorher sich diese Armee geschaffen *). Er wird immer eine der militairischen Größen dieſes Jahrhunderts bleiben. Im Jahre 1769 geboren, war er 46 Jahr alt, also gerade im Alter Napoleons . Gegen Ende des Jahres 1806 nach der Auflösung der preußischen Armee und dem Zerfalle der Monarchie war Blücher als Kriegsgefangener in Hamburg und zeigte da schon einen unerschütterlichen Glauben an den Sturz Napoleons . Er verkündigte, daß in nicht ferner Zukunft alle Völker Europa's sich gegen ihn erheben und , müde ſeines Druckes und seiner Aussaugungen , sein Joch abschütteln würden . Kurz nach seiner Ankunft in Spanien und während der ganzen Dauer des Halbinselkrieges hat auch Wel= lington diese Zuversicht geäußert; man findet sie in seinen Depeschen klar und zweifellos ausgedrückt, ſelbſt 1810, nach Wagram und der östreichischen Heirath. Und als ganz Europa mit alleiniger Ausnahme von England und Spanien für immer der Napoleonischen Herrschaft ver= fallen schien, und selbst die englischen Minister verzweifelten und des schweren Kampfes müde schienen, da richtete Wellington sie auf und legte ihnen die Ursachen bloß,
*) Um zu wissen, was die engliſche Armee war, ehe er das Kommando übernahm , und auch noch in der ersten Zeit nachher, muß man die Depeschen und offiziellen Berichte lesen, in denen er ein getreues Bild davon entwirft.
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die den Sturz der kaiserlichen Herrschaft herbeiführen mußten. Das Jahr 1814 war gekommen und hatte die ſcheinbar vorzeitigen Verkündigungen beider Feldherren erfüllt. Die wunderbare Wiederaufstehung des Kaiserreichs hatte ihren Glauben nicht im Mindesten erschüttert , und sie zweifelten nicht an einem abermaligen und raschen Sturze. In seiner derben Sprache verhieß Blücher seinen Deutschen, sie bald wieder zu den Franzweinen zu führen, und Wellington schrieb von Wien aus unterm 12. März an den Minister Castlereagh: „Ich zweifle keinen Augenblick, daß, wenn auch Bonaparte wirklich den König von Frankreich stürzt, er doch den gemeinsamen Anstrengungen der verbündeten Souve= raine Europa's erliegen wird." Depeschen ic. Th. 12 . Die verbündeten Souveraine konnten das Kommando der Armeen, die den ersten Angriff aushalten sollten, in feine besseren Hände legen.
Sechstes Kapitel.
Der 15. Juni - Charleroy - Napoleon - die gewählte Operationslinie - Marschbefehle für den 15. Juni Marsch des linken Flügels - Wegnahme von Thuin und Marchienne - Uebergang über die Sambre Marsch der Mitte der ArWegnahme von Charleroy mee. Pajol hält diesseits Marsch des rechten Flügels - Desertion Bourmonts. Gilly - die Avantgarde kommt in Chatelet an - das ganze Ziethen'sche Armeekorps ist fast vereinigt - Gefecht bei Gosselies w der Marschall Ney erhält das Kommando des linken Flügels er sendet eine Avantgarde nach Frasnes - Gefecht von Gilly - Stellung der verschiedenen Korps bei Einbruch der Nacht Unvollständiger Erfolg des Tages - Be=
trachtungen. Napoleon war vorzeitig gealtert. Die lange Ausübung der Alleinherrschaft, die fortgesetzten Anstrengun= gen in Folge seines grenzenlosen Ehrgeizes, die anstren= genden Arbeiten im Kabinet und im Feldlager, die Aufregungen und Sorgen dreijähriger unerhörter Unfälle, der plötzliche Zusammensturz des Reiches , das er für immer festgestellt glaubte, die verhaßte Muse des Erils, eine zweifache Krankheit, deren Anfälle schwerer und häufiger wurden , Das Alles hatte seine kraftvolle Konstitution untergraben.
92 Sein Auge strahlte noch in dem alten Glanze ; sein Blick hatte die alte Zauberkraft ; aber sein Körper war schwer, fast schwerfällig geworden, aber seine aufgedunſenen und herabhängenden Backen verkündeten , daß bei ihm diejenige Lebensepoche eingetreten sei, in welcher das Herabsteigen von der Vollkraft des Lebens beginnt. Er mußte sich jetzt der Nothwendigkeit des Schlafens unterwerfen, die er früher nach Belieben unterdrückte ; die Ermüdung tagelangen und fortgesetten raschen Reitens war ihm unerträglich. Er hatte noch die alte Leichtigkeit , die alte Kraft und die überfließende Reichhaltigkeit in den Entwürfen, aber er hatte die Gründlichkeit im Durchdenken derselben und was noch schlimmer war , auch die Raschheit und Bestimmtheit der Entschlüsse verloren. Wie viele Menschen, wenn sie anfangen alt zu werden, war er ge= sprächig geworden , erörterte gern und verlor kostbare Stunden mit unfruchtbaren Reden . Er zögerte lange, ehe er seinen Entschluß faßte; nachdem er ihn gefaßt, zögerte er wieder mit der Ausführung, und während der Bon seiner früheren Ausführung zögerte er wieder. Zähigkeit war ihm nichts geblieben , als eine häufige und schon oft verderbliche Hartnäckigkeit darin, daß er die Dinge anders und für sein Interesse günstiger sehen wollte, als sie wirklich waren. Sein Charakter war von den wiederholten Schlägen des Unglücks gebrochen worden. Er hatte nicht mehr das alte Selbstvertrauen , das ja so unerläßlich ist zu dem Erfolge aller großen Unternehmungen; er zweifelte an seinem Sterne, der ihn fünfzehn Jahre lang in verschwenderischer Fülle mit Glück überschüttet und dem General, dem Konsul, dem Kaiser gelächelt hatte. Er gesteht es selbst,,,er fühlte eine Niedergeschlagenheit des Geistes; er hatte ein Vorgefühl des unglücklichen Ausganges."
Wie übel standen diese physische Abschwächung und
93 diese geistige Niedergeschlagenheit im Verhältniß zu den Schwierigkeiten und den Gefahren der Lage , die in's Enorme wuchsen ! Um sie zu besiegen, brauchte er wenigstens die Entschlossenheit , die Energie und Thatkraft von Italien , von Regensburg oder die Lichtblicke von Champ Aubert und Montmirail. Die französische Armee war nur halb so stark, als die beiden vereinigt gegenüberstehenden Armeen. Der Sieg war also selbst für einen Napoleon ein schweres Werk. Aber der Sieg allein reichte nicht aus, er mußte vollständig , rasch , augenblicklich sein, denn auf die erste Nachricht vom Beginne der Feindseligkeiten überschwemmten Russen und Destreicher unsere Ostprovinzen und gingen auf Paris vor, also mußten die feindlichen Armeen in Belgien so rasch zertrümmert wer= den, daß noch Zeit blieb, dem zweiten mächtigen Angriff entgegen zu treten . Wir sehen , die erste Bedingung für das Gelingen des napoleonischen Kriegsplanes waren rasche , entſchei= dende , zertrümmernde Schläge gegen die beiden in Belgien stehenden feindlichen Armeen. Wenn sie vereinigt auftraten , hatte er keine Aus = sicht mehr auf Erfolg überhaupt, am wenigsten aber auf raschen Erfolg; es konnte als gewiß angenommen wer= den, daß er dann keinen jener Siege erfechten würde, die den Besiegten zu einer langen Unthätigkeit verur= theilen. Diese Betrachtung hatte die Wahl seiner Opera= tionslinie bestimmt. Eigentlich hatte er die Wahl zwischen 4 Linien, von Lille oder Valenciennes auf den rechten Flügel oder die Mitte Wellingtons , von Givet aus auf den linken Flügel Blüchers und von Avesnes aus auf den Punkt, wo die inneren Flügel der beiden Armeen aneinander stießen. Warf er sich auf den rechten Flügel Wellingtons oder den linken Blüchers , so drängte er die beiden Ar-
94 meen auf einander, hätte ihre Verbindung bestehen laſſen und ihre Vereinigung gewissermaaßen beschleunigt. Warf er sich auf die Mitte Wellingtons , so hatte er mehr Schwierigkeiten ohne Aussicht auf bessere Erfolge. Wenn er aber von Avesnes her auf den äußersten linken Flügel Wellingtons und auf den rechten Flügel Blüchers stieß , so konnten zwar auch die Gefahren und Schwierigkeiten groß sein, wie überhaupt bei jedem An= griffe auf ein Centrum , aber Napoleon taxirte sie weniger, als in den andern Fällen. Er traute Wellington Vorsicht und Langsamkeit zu, Blücher Kühnheit und Thätigkeit ; er nahm an, daß der Lettere ihm selbst vor der Vereinigung aller feiner Streitkräfte entgegen treten , während Wellington seinem Verbündeten nicht vor der Vereinigung wenigstens des größten Theiles der feinigen zu Hilfe kommen werde . Diese Annahme war gewagt. Aber Napoleon rech= nete außerdem noch auf die auseinandergehende Baſis beider Armeen. Daraus, daß Blücher sich auf Köln und den Rhein, Wellington sich auf Antwerpen und die Nordsee stützten, müßten in allen Fällen Unsicherheit und Störungen in den Entwürfen folgen, und in dem vorliegenden Falle eines Angriffs auf das Centrum ihres strategischen Aufmarsches mußten, meinte der franzöſiſche Heerführer, dieſe Unsicherheiten und Störungen wachsen , so daß daraus wohl ein Hauptfaktor zu raschen . Erfolgen entspringen könne; sein Einschieben zwischen die beiden Armeen werde ihm Gelegenheit geben, die eine in das Thal der Maas, die andere auf die Schelde zurückzuwerfen, und so entschied er sich für die mittlere Richtung. Sie ward so ziemlich durch die Chauffee von Charleroh nach Brüssel markirt. Er mußte fonach mit überraschender Schnelligkeit vorrücken und seine gesammten Massen in die Lücke werfen,
95 ehe Wellington und Blücher ihre verzettelten Divisionen vereinigen konnten. Die Chauffee von Namur nach Nivelles läuft pa= rallel mit der französischen Grenze, etwa 12 bis 14 Stunden von ihr entfernt ; sie schneidet rechtwinklich durch die von Charleroh nach Brüssel. Sie war die große transversale Verbindungslinie zwischen den beiden Armeen, deren Aufstellung man durch Spione genügend erforscht hatte. Wenn Napoleon diese Straße in seine Gewalt be= fam, so waren beide Armeen von einander getrennt, we= nigstens war ihre Vereinigung äußerst erschwert. Es war also höchst wichtig, sie ehemöglichst zu ge= winnen, und ein forcirter Marsch konnte dazu ausreichen. Diesen Marsch hatte sich Napoleon vorgenommen Zweck für den ersten Tag des Feldzuges gefeßt. als und Am Abend des 14. Juni lagerte die Armee, wie früher schon erwähnt, auf drei Marschlinien und in eben so vielen Kolonnen . Diese drei Marfchlinien liefen gegen Charleroh zu= ſammen, das an der Sambre liegt. Die Kolonne des linken Flügels bestand aus den Korps von Reille und Erlon , die des Centrums aus den Korps Vandamme , Lobau, den Garden und der Reserve-Reiterei ; die des rechten Flügels aus dem Korps von Gerard und einer Division der letzteren. Noch hallten die Bivouaks wieder von den Rufen der Soldaten, die durch Napoleons Anrede im höchsten Grade begeistert waren, als schon die Offiziere des Hauptquartiers abgesendet wurden, um den Korps-Kommandan= ten die Marschordres für den kommenden Tag zu überbringen. Auf dem linken Flügel sollte sich Reille mit dem 2. Korps, das bei Leers auf dem rechten Ufer der Sambre lagerte, früh 3 Uhr in Marsch setzen und am Fluſſe hinabrücken, auf seinem Wege das Städtchen Thuin, den Weiler Alne, wo sich Brücken befinden, nehmen und
96 gegen 9 Uhr bei Marchienne an der Sambre, 4 Stunde oberhalb Charleroy, eintreffen . Von Leers bis Marchienne ist nur 5 Stunden *) ; es war aber damals noch keine Chauffee auf dieſer Strecke. Erlon lagerte mit dem 1. Korps fast 2 Stunden rückwärts bei Solre-sur-Sambre , sollte um dieselbe Zeit aufbrechen, der Marschrichtung von Reille folgen, sich so bald als möglich an ihn anschließen , dessen etwa in Thuin und Alne zurückgelassene Truppen durch eine Division ablösen und auf beiden Punkten Brückenköpfe errichten lassen. Im Centrum sollte die Reiterdivision des 3. Korps, Vandamme , um 43 Uhr früh die Spize nehmen und auf Charleroy vorrücken , unmittelbar gefolgt von Pajol, Van= (1. Reiterkorps) unter dessen Befehle sie trat. damme sollte um 3 Uhr folgen, diesem um 4 Uhr Lobau mit dem 6. Korps , dann um 5 die junge Garde, 16 die Jägerdivision , um 6 die Grenadierdivision der alten Garde.
Marschall Grouchh hatte mit dem zweiten Reiterkorps um 5 Uhr aufzufißen und die linke Flanke der Marschkolonne zu decken, das 3. und 4. Reiterkorps sollten der letzteren , jedes mit 1 Stunde Zwischenraum, folgen. Der Marsch von den Bivouaks vor Beaumont bis Charleroh betrug 7 Stunden, auf Querwegen und durch ein sehr schwieriges Terrain. Auf dem rechten Flügel sollte sich Gerard mit dem 4. Korps auch gegen Charleroh dirigiren, aber erst nach der Vereinigung aller seiner Truppen. Von Philippeville bis Charleroh sind 7 Stunden.
*) Die Stunde (lieue) stets zu 4 Kilometer Schritt- gerechnet.
P. p. 6000
97 In seinem Marschbefehle spricht Napoleon die Ab= sicht aus, „ vor Mittag die Sambre überschritten zu ha= ben und mit der Armee auf deren linken Ufer vorzurücken." Wir haben bereits erwähnt, welche Vorsichtsmaaß= regeln zur Vorbeugung des Vereinigungsmarsches von Metz bis Valenciennes und der Vereinigung selbst ge= troffen waren. In der Nacht kamen Spione zurück, die in Brüffel und Namur, den beiden feindlichen Hauptquartieren , gewesen waren ; sie hatten Alles in völliger Ruhe verlassen. Aber was war seit deren Abgang_vor= gefallen ? Von Namur bis Beaumont ist mehr als 15, von Brüſſel ebendahin mehr als 20 Stunden ! Indeſſen gab ihr Bericht doch so ziemliche Gewißheit darüber, daß die feindlichen Generale um die Mitte des Tages ( 14.) noch keine Bewegung diesseits der Grenze geahnt hatten. Die Nacht verstrich ohne Zwischenfall. Vor Anbruch des Tages (15.) ward_in_den_Bivouaks Fanfare geblasen mit Ungeduld und Sehnsucht hatte man das Signal erwartet. Die linke Kolonne sette sich , den Befehlen gemäß, um 3 Uhr in Marsch, das Korps Reille an der Spitze. Kaum abmarschirt stieß auch Neille schon auf die preußischen Vorposten ; sie waren in guter Bereitschaft, wurden zurückgedrängt, und gegen 4 Uhr beschoß seine Artillerie bereits Thujn , das vom 1. Landwehr-Bataillon besetzt war. Der Feldzug in Belgien hatte begonnen. Nach kurzem Widerstande ward die preußische Infanterie aus Thuin hinausgeworfen ; troß lebhafter Ver= folgung versuchte sie, sich in Montigny-le-Tilleul zu ſehen, ward aber auch von da verjagt. Sie erhielt darauf 2 Schwadronen Verstärkung und versuchte aufs Neue Front zu machen; aber da wurden die Dragoner und die Infanterie von unserer Reiterei erreicht und zersprengt ; sie verloren 200 Gefangene , ließen 100 Todte und Verwundete zurück und zogen sich nur mit Charras, Waterloo. 7
98 Mühe nach Marchienne, woselbst 1 Bataillon mit 2 Ge= schüßen stand. Marchienne liegt auf beiden Ufern der Sambre. Damals gab es nur Eine, noch dazu sehr schmale Brücke über die Sambre , die mit fast eben so engen Straßen in Verbindung stand. Es ist eine unbegreifliche Unvorsichtigkeit, daß man hier, wie anderwärts , keinerlei Anstalten zum Sprengen der Brücken getroffen hatte. Die Preußen suchten sie Aber nachdem sie sich einige Zeit zu verbarrikadiren. 1.
mit Reille's Avantgarde beschossen hatten , räumten sie die Stadt und gingen über Damprémy auf Gilly zurück, ohne verfolgt zu werden. Es war 10 Uhr geworden. Nachdem die Passage gereinigt war , ließ Reille das 2. Korps übergehen , was ziemlich lange dauerte, aufmarschiren und dann gegen die Höhen vorrücken , die etwa 1 Stunde von Marchienne liegen, nach Jumet zu, und dehnte sich bis an die Straße von Charleroh nach Brüssel aus. Hier erwartete er neue Befehle - den Anordnun= gen Napoleons entsprechend , die dieser um 84 Uhr früh ihm gegeben hatte. Eine Ordre, von etwas späterer Zeit , wies Erlon an, die Sambre bei Alne oder auch bei Marchienne zu paſſiren, bis auf die Straße von Charleroy nach Mons vorzurücken und sich derart in Echalons aufzustellen, daß er Reille nahe blieb . Diese Straße geht durch Marchienne selbst, aber Erlon hatte die Sambre noch nicht erreicht. Im Zentrum rückte Pajol mit der Division Domon (vom 3. Korps , Vandamme) an der Spitze und seinem Reiterkorps (1.) zur festgesetzten Stunde ab und gegen Charleroh vor. Bei Ham-sur-Heure traf er ein preußisches halbes Bataillon , hieb es zusammen und machte 200 Gefangene. Gegen 8 Uhr traf er in Marcinelle ein. Dieses Dorf ist mit der Brücke von Charleroh durch
99 einen 200 Meter langen, schmalen und mit Hecken eingefaßten Damm verbunden ; es war von den Preußen eben verDie Brücke war mit Pallisaden und lassen worden. Pajol ließ hinter diesen mit einer Barrikade gesperrt. durch seine Avantgardenbrigade ein Hurrah auf den Damm versuchen, scheiterte aber an dem Blänkerfeuer der hinter den Hecken 2c. stehenden Preußen. Man mußte die Infanterie abwarten. Pajol glaubte, das 3. Korps , Vandamme, dicht hinter sich zu haben ; es war aber anders. In Folge einer Nachlässigkeit des Generalstabes hatte Vandamme von dem am vorigen Abend erlaſſenen Marschbefehle nicht rechtzeitige Kenntniß erhalten. Um 6 Uhr früh waren seine 3 Infanterie- Divisionen noch im Bivouak und verließen es erst gegen 7 Uhr. Die ersten Bataillone, welche bei Pajol ankamen, gehörten zur jungen Garde. Napoleon , der auch erst spät von der Unthätigkeit Vandamme's gehört hatte, wies der jungen Garde einen andern Querweg , links von Vandamme, zu, und etwas vor Mittag kamen sie bei Charleroy_an. Mit ihrem Eintreffen zogen sich die Preußen ab. Die Sappeurs und Seefoldaten der Garde warfen sich mit der Art auf die Pallisaden und räumten diese, so wie die Barrikade dahinter auf. Darauf rückte Pajol durch Charleroh vor, die junge Garde_folgte. *) Von da bis Brüssel ist noch 13 Stunden. Die Chaussee geht über Gosselies , Frasnes, Quatrebras, Genappe und Waterloo. Nahe bei Charleroh gabelt sich die Straße und der rechte Zweig geht über Gillh und Fleurus nach Namur , das etwa 10 Stunden ent= fernt ist. Hinter Charleroh entsandte Pajol den General Clary mit einem Husaren-Regimente auf der Brüsseler Straße *) General Pajol rückte um Mittag in Charleroy ein. Bülletin vom 15. Juni. 7*.
100 vor, um die linke Flanke aufzuklären und die Verbind= ung mit Reille aufzusuchen, der um diese Zeit, wie wir schon gesehen , • 4 Stunde flußaufwärts überging , und rückte darauf, der Straße nach Namur folgend , ein Stück vor. Er hatte die Besatzung von Charleroh gegen sich, 1 Bataillon , das in guter Ordnung zurückging und darauf mehrere andere Bataillone , 1 Reiter-Regiment und eine Batterie an Verstärkungen erhielt. Pajol hielt, etwas jenseits Gilly , das 1 Stunde von Charleroy liegt, an und begnügte sich mit dem Feinde zu scharmuzieren. Als Napoleon eintraf, ließ er die Division LefebvreDesnouettes, die Säger zu Pferde und Ulanen der Garde, mit 2 reitenden Batterien zur Unterſtüßung des Gene= ral Clary auf der Brüsseler Straße vorrücken, dann befahl er, daß der General Duhesme , Kommandant der Division der jungen Garde, sobald seine Truppen Charleroh passirt hätten, 3 Regimenter zur Unterstützung von Pajol und das 4. Regiment , zur Unterstützung von Le= febvre-Desnouettes auf den halben Weg nach Gosselies, vorrücken sollte. Von Charleroh bis Gosselies ist es knapp 2 Stunden. Der rechte Flügel der Armee war langsamer mar= schirt, als die beiden andern Theile. Gérard (4. Korps) hatte das Eintreffen einer seiner Divisionen abwarten sollen, die am letzten Abend 3 oder 4 Stunden rückwärts Philippeville geblieben war; er hatte sich also erst gegen 5 Uhr in Marsch geseßt. Schon waren die Kolonnen in Marsch und rückten voller Begierde gegen Charleroh vor , als sich plöglich das Gerücht verbreitete, der General, der die Avantgarde befehlige, sei mit seinem ganzen Stabe deſertirt und nach Belgien entflohen. Diese betrübende Nachricht war leis der begründet. Gérard erhielt die Bestätigung selbst durch einen Brief, den der Deserteur , Generalleutnant Bourmont, ihm überfandte.
101 Er war ein alter Bandenführer des Westens gewesen , dann mit Umgehung des Gefeßes unter dem Konsulat Stabsoffizier geworden, dann wegen seines Muthes und seiner Talente aufgerückt , später von der Königli= chen Regierung verwendet worden , war aber seit dem 13. März wiederum der Fahne Napoleons gefolgt. Jeßt fiel er nochmals ab. ,,Man wird mich nicht in den feindlichen Reihen erblicken ," schrieb er an Gérard, „ ich werde ihnen keinerlei Nachrichten geben, die der französi= aber ich werde mich schen Armee schaden könnten, bestreben , die französischen Profkribirten zu vertheidigen, das System der Konfiskationen zu vernichten und die Unabhängigkeit des Vaterlandes zu beschüßen" ... Traurige Entschuldigung für ein unentschuldbares Verbrechen. Die Mitschuldigen Bourmont's waren sein Chef und sein Souschef des Generalstabes, der Oberst Clouet und der Escadronschef Villoutreys , seine beiden Adjutanten, Dandigné und de Trélan, und Kapitain Sourda , der seinem Stabe zugetheilt_war.*) Das Verbrechen Bourmont's rechtfertigte schon jetzt einen Theil der Befürchtungen der Soldaten, die überall Verrath witterten, der nur auf seine Zeit warte. Die von Bourmont verlassene Division war wüthend. Gérard eilte im Galopp auf sie zu und gab ihr durch ſeine Worte einige Ruhe ; die Soldaten glaubten ihm, daß der Verrath jetzt keine Nachtheile mehr für die Ope= rationen äußern könne.
*) Alle Schriften von St. Helena geben an, daß Bourmont den 14. desertirt sei ; das ist aber eine absichtliche Unwahrheit, die von fast allen französischen Schriftstellern wiederholt worden ist. Der Nachweis über die Veränderungen im Stabe des 4. Korps existirt noch; nach ihm erfolgte die Deſertion Bourmont's und seiner Mitschuldigen am 15. Juni. Auch trägt der Brief Bourmonts an Gérard , worin er ihm seine Desertion anzeigt , das Datum Florennes (bei Philippeville) den 15. Juni .
102 Nach der Marschordre hatte das 4. Korps ſich auf Charleroh zu bewegen ; aber ziemlich spät am Morgen ward es durch einen anderweiten Befehl Napoleons an= gewiesen , sich rechts zu halten und gegen Chatelet zu rücken, ein Dorf am Sambreuser, 14 Stunde unterhalb Charleroy. Die Avantgarde Gérard's traf vor 3 Uhr dort ein und fand das Dorf nicht befeßt. Zwei preußische Ba= taillone, welche bislang da gestanden , hatten sich ab und Das Gros des 4. Korps gegen Fleurus zurückgezogen. war durch ein sehr schwieriges Terrain aufgehalten und auf den schlechten Querwegen noch weit zurück.
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Zwischen zwei und drei Uhr waren also die drei Kolonnen der Armee die linke theils dies-, theils jenseits der Sambre, die Mitte theils dies-, theils jenseits Charleroy, die rechte bei Chatelet und rückwärts davon . In der Marschordre hatte Napoleon ausgesprochen , daß er um Mittag die Sambre passirt haben wolle ; es war also bereits eine arge Verzögerung eingetreten.
Die feindlichen Truppen , welche man bis jezt ange= troffen hatte , gehörten alle zur Division Pirch II. vom Ziethen'schen Korps. Wir haben früher schon angegeben, daß die Ziethenschen Kantonnirungen von Fontaine l'Evêque bis Moustier-sur-Sambre reichten und sein Sammelpunkt FlenSeine rechte Division stieß bei Binche an rus war. die englisch-holländischen Kantonnirungen und deckte das Terrain zwischen da und der Sambre ; da aber Napoleon auf dem linken Sambreuser nur Reiterpatrouillen vor= rücken ließ, war sie nicht angegriffen worden. Sobald jedoch Steinmetz , der sie befehligte , sich von dem ernsthaften Angriffe genügend überzeugt , hatte er sie gesammelt und über Gosselies gegen Fleurus in Marsch gesetzt. Pirch II., dessen Diviſion Thuin, Marchienne, Char-
103 leroy, Chatelet befeht hatten, führte seine Truppen gleichfalls gegen Fleurus zurück. Die Division Jagow, die um letztgenannten Ort stand, war daselbst vereinigt. Die Division Henckel war dahin im Marsche. Also sehen wir, daß das Ziethen'sche Korps im Begriff war, sich bei seinem Sammelplaße zu vereinigen, und in guter Verfaſſung dahin rückte, noch ehe die Franzosen ansehnliche Kräfte links der Sambre hatten; Na= poleon hatte gehofft , das Korps in seiner Vereinzelung überraschen, schlagen und zertrümmern zu können war es jetzt noch möglich, ihm bei Fleurus zuvorzukommen ? Das war von Entscheidung für den heutigen Tag. Um 3 Uhr waren die Divisionen der alten Garde, die der jungen Garde fofort nachrückten , am jenseitigen Ausgange von Charleroy vereinigt , Vandamme debouchirte noch immer. Napoleon sandte nunmehr den Befehl an Reille, „bis Gosselies vorzurücken und eine feindliche Abtheilung, welche dort zu stehen scheine, anzugreifen ." Diese Abtheilung bestand aus einem Infanterieund einem Ulanen-Regimente , die Ziethen schon am Morgen dorthin entsendet hatte, um den Rückzug der Division Steinmetz durch Besetzung dieses Zwischenpunktes zu sichern. Reille rückte auf dem Wege nach Jumet vor , die Infanterie durch das Gehölz von Monceau , die Reiter links desselben. Die Avantgarde kam gerade zurecht, um die Husaren des Generals Clary aufzunehmen , welche von den Ulanen lebhaft gedrängt und verfolgt wurden. Es war aber die Division Steinmetz bereits bei Goſſelies angekommen , und so fand Reille hier an 12,000 Mann vereinigt, zu deren Angriff er natürlich die An= kunft seiner gesammten Infanterie abwarten wollte. Sobald Dies erfolgt , ließ er seine Divisionen gegen Gosselies und das seitwärts liegende Holz von Lombuc
.104 vorrücken, die Preußen warteten aber den Angriff nicht ab, sondern zogen sich plänkernd gegen Fleurus ab. Es war 5 Uhr geworden. In diesem Augenblicke traf der Marschall Ney bei Reille ein.*) Wenn er bei der ersten ,,Beordern Sie Ney.
Schlacht sein will , soll er den 15. in meinem Haupthatte Napoleon am quartiere zu Avesnes eintreffen" 11. an den Kriegsminister geschrieben. Neh hielt sich damals in der Umgegend von Paris auf. Auf die Mittheilung des Ministers war er herbeigeeilt, und am andern Morgen bereits unterwegs. Den 14. Juni Abends traf er in Beaumont ein. Aber er hatte kein einziges Reitpferd, sein Stab bestand nur aus seinem persönlichen Adjutanten. Am 15. konnte er zu= fällig zwei Pferde kaufen, gegen 11 Uhr von Beaumont abgegangen, traf er um 44 Uhr bei Napoleon ein, der jenseits Charleroh am Abgangspunkte der Chaussee nach Namur hielt. Nach wenigen Worten des Willkommens hatte er den Befehl erhalten : Sie übernehmen das Kommando des 1. und 2. Korps ; General Reille rückt gegen Goffelies vor ; General Erlon soll heute Abend in Marchienne bleiben. Sie haben die leichte Reiter= Diviſion Pirė bei sich, ich theile Ihnen auch die Jäger und Ulanen der Garde zu , aber bringen Sie sie noch nicht in's Gefecht. Morgen erhalten Sie die schwere Reiterei Kellermanns. Jetzt gehen Sie ab und werfen Sie den Feind zurück. — **)
*) Notice historique etc. par le Lieut. Gen. Comte Reille. ** Relation de le Camp. de 1815 pour servis à l'histoire du Maréchal Ney, vom Oberst Heymes, seinem ersten Adjutanten und Augenzeugen. Dieser Bericht ist als Anhang im 9. Bande der Memoiren Napoleons (Paris 1830) veröffentlicht, dann nochmals in den Documents inédits sur la Camp . de 1815 (Paris 1840), eine Brochüre vom Herzog von Elchingen, zweiten Sohne des Marschalls Ney. Sowohl über die Instructionen Ney's am Abend des 15.,
105 Ney ließ sich von Reille über den Stand der Dinge orientiren und entfendete darauf die Division Piré auf der Brüsseler Straße vor , ließ ihr die Diviſion Bachelu folgen ; die Division Girard rückte den Preußen nach, die Division Guilleminot und Foh nahmen , erstere im Holze von Lombuc, lettere in und bei Gosselies Stellung. Er selbst mit der leichten Garde-Reiterei folgte Biré nach. Noch war er nicht bis Frasnes gekommen , einem Dorfe etwa 24 Stunden von Gosselies und 1 Stunde von Quatrebras , als bei Frasnes Kanonenfeuer gehört wurde. Piré war daselbst auf den Feind gestoßen. Es war etwa 64 Uhr oder etwas darüber. *) Das Dorf war von einem Bataillon und einer Batterie der Brigade des Herzogs Bernhard von Sachfen-Weimar beseßt , einem Theile der Division Perpon= Sie be= cher , vom Korps des Prinzen von Oranien. stand aus 2 naſſauischen Regimentern in niederländischem Dienste und war über 4000 Mann stark. Die Brigade hatte zwischen Genappe und Frasnes kantonnirt und bildete hier den äußersten linken Flügel der englisch-niederländischen Armee. Die Brigade war früh Morgens durch das Kanonenfeuer an der Sambre allarmirt worden , und hatte von Landleuten, die vor den französischen Truppen flohen, sehr bald den Stand der Dinge erfahren. Prinz Bernhard hatte sofort seine Brigade bei Quatrebras vereinigt, indem er mit richtigem Urtheile so einer Ordre zuvor= kam , die erst später in seine Hände gelangte. **) Er wie über viele andere Dinge, widerspricht dieser Bericht den Erzählungen von St. Helena. Es iſt aber, wie wir später beweisen werden, keinem Zweifel unterworfen , daß der erwähnte Bericht diese Instructionen genau giebt. * Rapport des Prinzen Bernhard von Weimar qn den General Perponcher, d. d. Quatrebras, 15. Juni 9 Uhr Übends. **) Die Ordre ist erst 3 Uhr Nachmittags von Braine-le-
106 stand schon längere Zeit daselbst , bis er die Wegnahme Charleroy's durch die Franzosen auf zweifellose Weise erfuhr , und hatte seit geraumer Zeit alle seine Maaßregeln getroffen , als Piré's Spitzen vor seinen Poſten in Frasnes anfamen. Piré versuchte mehrere Male, das Bataillon , das die Zugänge besetzt hielt, zu überreiten , es gelang aber nicht und er bemerkte bald darauf, wie es, unterstützt durch seine Artillerie , sich auf die Reserve zurückzog, welche an der Straße und in einem benachbarten Holze stand. Ney traf ein , ließ die Division Bachelu ausschrei= ten und refognoszirte mittlerweile die Aufstellung des Feindes, der eine feste Haltung zeigte. Der Tag neigte sich; eine ziemlich starke Kanonade, die seit 5 Uhr in der Richtung der Straße von Charleroh nach Fleurus hörbar war , hallte noch immer aus derselben Richtung her , d. h. etwa 3 Stunden rechts rückwärts von Frasnes. Die Division Bachelu war noch nicht ganz eingetroffen ; die Truppen waren seit früh 24 Uhr auf den Füßen ; Menschen und Pferde waren müde. Napoleon hatte nicht befohlen, Quatrebras zu nehmen ; Neh hätte übrigens nur mit hereinbrechender Nacht erst ernsthaft angreifen können ; er hatte keine einzige Nachricht , was wohl vom Feinde dort stehen könne und schloß aus dem Allen , daß er besser stehen bleibe. Die Division Piré ward gegen Frasnes zurückgenommen; die leichte Reiter-Division der Garde und die Division Bachelu standen hinter ihr. Gegen 10 Uhr ging er nach Goſſelies zurück , woselbst sein Hauptquartier war, und von da eilte er
Comte nach Nivelles an den General Perponcher abgesendet worden; sie ist gezeichnet vom General Constant de Rebecque, Chef des Generalstabs des Prinzen von Oranien. (Archive des Kriegsministeriums, Haag.)
107 nach Charleroh, um dem Kaiser seine Operationen zu melden und neue Befehle zu holen. Der linke Flügel stand jetzt : das Korps Erlon in Staffeln zwischen Marchienne und Jumet ; 2. Diviſion von Reille bei Gosselies, die Division Girard bei Wangenies , bei Fleurus , die Diviſion Piré , Lefebvre-Desnouettes und Bachelu bei Frasnes . Die Avantgarde dieses Flügels war also mehr als 4 Stunden vorwärts Charleroh. 3m Centrum, wo Napoleon selbst war, und wo es so nöthig schien, viel Terrain zu gewinnen, kam man nicht so weit. Vandamme, der spät aus seinem Bivouak aufgebrochen war, - warum, haben wir schon erwähnt - fam auch spät nach Charleroy. Es war fast 4 Uhr, als sein Korps durch die Stadt hindurch war. Er bekam darauf Befehl , ohne Verzug gegen Gilly vorzugehen, was auch geschah. Bajol war, wie gleichfalls schon erwähnt , bis dahin vorgerückt und stand in der Nähe des genannten Dorfes, die Preußen in ziemlicher Stärke vor sich . Exzelmans war im Begriff mit seinen Dragonern zu ihm zu stoßen, als auch der Marschall Grouchy, Kommandant der 4 Re= serve - Reiterkorps , eintraf und wohl sah, daß man hier Infanterie haben müsse. Er eilte zu Napoleon und fand ihn, wie er eben den Marschall Ney abfertigte *) . Napoleon verließ den Lehteren und sprengte mit Grouchh gegen Gilly hin. Als er ankam, hatte sich das Vandamme'sche Korps eben rückwärts von Pajol und Erzelmans aufgeschlossen. Ziethen hatte die anstoßenden Höhen , welche den Gilly - Bach dominiren , von der Division Pirch II. be= sehen lassen.
*) Observations sur la Relation de la Camp . de 1815 , publiée par le Gén. Gourgaud , par le Comte de Grouchy, Philadelphia 1819.
108 Diese Division hatte hier 8 Bataillone, 1 Dragonerbrigade und 8 Geschüße ; ihre Gefechtslinie erstreckte sich in der Richtung von der Abtei Soleilmont gegen Châte= lineau, und durchschnitt sowohl die Chauffee nach Fleurus als den Weg , welcher über Lambuſart ebendahin führt. Pirch hatte 4 Bataillone in der Front und 3 in Reserve. Das Bataillon des rechten Flügels war an die Abtei Soleilmont gelehnt und hielt die Gehölze von Lobbes und Ransart besett ; das zweite Bataillon, in gleicher Höhe, hielt ein Hölzchen an dem Wege nach Lambusart besetzt, das dritte war links davon, das vierte stand bei der Artillerie , die das Chauffee-Debouché aus Gilly und die anstoßenden Hänge unter ihrem Feuer hatte. Die Reserve - Bataillone waren an dem Wege nach Lambusart am Eingange der Gehölze von Tricheheve und Ronchamp. Die Dragoner standen auf dem äußerſten linken Flügel und beobachteten daselbst das an die Stellung anstoßende Defilee von Châtelet , woselbst die Avantgarde Gérard's ſtand. Pirch II. hatte mit Umſicht die Zeit benußt, die man ihm mit so verschwenderischer Freigebigkeit gelaſſen ; er hatte die Chauffee verhauen. Zwei Bataillone von der Division Jagow standen Stunde hinter seinem linken Flügel zwischen Farcienne und Lambusart, 2 andere Bataillone, 4 Reiterregimenter und 16 Geſchüße konzentirten sich bei letterem Orte, um ihn zu unterstützen. Napoleon warf rasch einen Blick auf das Terrain, das man ihm, wie es schien, streitig machen wollte, und gab darauf seine Befehle zum Angriff. Es war 5 Uhr *). Zwei Batterien eröffneten sofort das Feuer und über-
*) Um 5 Uhr Nachmittags gab der Kaiser Befehl zum Angriffe (Bulletin vom 15. Juni).
109 wältigten in wenig Augenblicken das der feindlichen Artillerie, der mehrere Geschüße demontirt wurden.
Drei Infanterie -Kolonnen , jede von 2 Bataillonen, gingen darauf vor, die erste gegen das Hölzchen am Lam= bufarter Wege, die zweite gegen das preußische Zentrum, Gilly links laffend , die dritte , indem sie das Dorf umging. Zwei Brigaden der Erzelmans'schen Reiterei unterstüßten diese Bewegung , die eine, indem sie die äußerste Linke des Feindes zu umgehen drohte, die andere, indem sie auf der Chaussee nach Fleurus vorrückte. Seit dem frühesten Morgen bestrebte sich Ziethen, den Marsch der französischen Armee aufzuhalten , ohne sich dabei in Gefahr zu begeben ; seine Maaßregeln wurden nur zu sehr mit Erfolg gekrönt. Sobald unsere Kolonnen herankamen , gab er Befehl zum Rückzuge. Kaum fingen seine Plänkerer an , zurück zu gehen, als Napoleon auf der ganzen Linie das Vorrücken beschleunigte; er war außer sich, daß die Preußen sich ihm entziehen wollten und sandte selbst seine 4 Dienstschwa= dronen , unter General Letort , einem feiner Generaladjutanten, zum Angriffe vor. Von den drei Bataillonen der Preußen, die hier stan= den, warf sich eins rechtzeitig in das Gehölz von Trichehève und entging dadurch dem Reiterangriff; die beiden andern bildeten Vierecke und versuchten sich zu halten, da sie auch von dem Dragoner - Regimente unterſtüßt wurden; das eine ward von den Dienstschwadronen erreicht und zur Hälfte zersprengt, das andere ward kräftig angegriffen, noch ehe es die Gehölze erreichen konnte. Das Bataillon rechts der Chauffee von Fleurus zog sich ohne Verlust zurück, da der Verhau , der sich bis an's Holz erstreckte , unserer Reiterei den Weg völlig versperrte. General Letort, der die Dienstschwadronen so unerschrocken vorgeführt, ward tödlich verwundet. Es war
110 www einer der ausgezeichnetsten Reiteroffiziere. Niemand kann tapferer sein" hat Napoleon von ihm gesagt. Die Preußen gingen fechtend gegen Lambusart zurück ; Grouchy und Vandamme folgten ihnen. Am Ausgange des Waldes , nahe dem Dorfe, trafen die Preußen auf die vorerwähnten Unterstüßungen und nahmen Stellung ; sie setzten dann aber ihren Rückzug fort, ehe sich die französischen Kolonnen entwickelt hatten, und begnügten sich mit einer lebhaften Kannonade. So kamen sie schließ= lich bis jenseits Fleurus. Grouchh und Vandamme blieben etwa 4 oder 4 Stunde vor dieser Stadt halten. Sie waren seit Gilly ziemlich gemächlich vorgegangen, und doch war Napoleon zur Stelle. Um 8 Uhr war der Kaiser wieder in Charleroy *), wo er sein Hauptquartier in demselben Hause nahm, wel= ches Ziethen noch am Morgen inne gehabt. ,,Ermattet von den Anstrengungen, warf er sich auf ſein Bett, um einige Stunden zu ruhen“ **). Vor Einbruch der Nacht hatten Grouchy und Van= damme ihre Bivouaks eingenommen ; das Korps Pajol's stand rechts und links der Chaussee nach Fleurus, bei Lambusart und dem Pachthofe Martinrour bei Wangenies ; die Division Domon links von Pajol; das Korps Erzelmans rückwärts von Pajol und Vandamme in dritter Linie.
Fleurus blieb von 2 Bataillonen des Ziethen'schen Korps besetzt, das nunmehr vollständig vereinigt dicht hinter dem Orte stand. Der preußische Heerführer hatte mit Geſchick und Glück manövrirt. Der Marsch der französischen Armee war be= trächtlich verzögert worden. Er war im Stande, sich mit feiner Armee zu vereinigen , wo immer sich dieselbe kon= *) Bulletin vom 15. Juni. **) Schreiben des Baron Fain , auf Napoleons Befehl, an Joseph Bonaparte gerichtet d. d . Charleroy , 15. Juni 9 Uhr Abends.
111 wwwwww zentrirt haben mochte ; seine Verluste waren unbeträchtlich, 1200 M. nach Preußischen und 2000 M. nach den An= gaben Napoleons. Unsere Verluste stiegen nicht über 5-600 M. * ) . Bi Französische Schriftsteller haben angegeben, daß Grouchh und Vandamme durch ihr zeitiges Halten den Befehlen Napoleons zuwider gehandelt hätten. Das ist ein wohl= feiles Vorbringen ; es findet sich nicht einmal etwas Derartiges in den Memoiren von St. Helena. Die Armee bivouafirte vom 15. zum 16. abermals in drei Kolonnen , links Reille und Erlon , wie schon erwähnt, in Staffeln von Frasnes zurück bis Marchienne, eine Division des ersteren in Wangenies bei Fleurus, in der Mitte Pajol, Exzelmans und Vandamme in den Stellungen, die wir eben angegeben , die Gardeinfanterie zwischen Gilly und Charleroh , die Kürassiere von Milhaud und Kellermann , das Armeekorps Lobau bei CharLeroy und hinter der Sambre ; rechts Gérard vorwärts Chatelet in der Richtung auf Fleurus. Die ganze Armee war fonach in einem Viereck von 4 Stunden Entwickelung auf jede Seite vereinigt. Napoleon hat über die Erfolge dieses ersten Tages zweierlei Ansichten ausgesprochen. Er hat zuerst gesagt , daß alle seine Manövers nach Wunsch gegangen wären, daß die beiden feindlichen Ar= meen überrascht worden, ihre Verbindungen schon empfind= lich gestört seien , daß er zwischen ihnen stehe, in der Verfassung sie in ihrer Vereinzelung anzugreifen und daß ihnen, um dieſer größten Gefahr auszuweichen, nichts übrig bleibe, als Raum zu geben und sich auf Brüſſel oder jenseits zu konzentriren **). *) Das Bulletin vom 15. Juni giebt 80 Verwundete und 12 Tødte an. Aber allein bei dem Korps Reille waren 200 M. verloren worden. (Schreiben des Stabschefs vom 2. Korps, begleitet von offiziellen Liſten und verlesen in der Deputirtenkammer den 1. Juli.) **) Memoiren ic. Th. 9. p. 76–77.
112, Darauf aber sagt er , daß im Zentrum 8 Stunden verloren gegangen seien, daß dieser Zeitverlust ihn ge= hindert, sein Hauptquartier nach Fleurus zu verlegen und ihm sehr unangenehm sei *). Diese beiden Ansichten widersprechen einander und nur die zweite ist die richtige. Der Tag hatte keine vollständigen Erfolge gebracht. In dem Marschbefehle vom vorigen Tage hatte Napoleon angekündigt : ,,daß er um Mittag die Sambre überschritten haben und mit der Armee auf dem linken Ufer derfelben vorrüden wolle." Die Geschwindigkeit dieser Bewegungen hatte sicher= lich nicht den Zweck, die französischen Kolonnen 1 oder 2 Stunden jenseits Marchienne, Charleroh und Chatelet anzuhalten, denn es hätte dann ja der Feind, durch das Kanonenfeuer aufgeschreckt, noch die ganze übrige Hälfte des langen Sommertages zur Vereinigung seiner Kräfte und Vereinbarung der zu ergreifenden Maaßregeln disponibel gehabt. Napoleon wollte also weiter vorrücken, und es bedarf nur eines einzigen Blickes auf die Karte, um mit Sicherheit das Ziel der Operationen zu erkennen , das er vor Augen hatte, als er den Marschbefehl diktirte. Als die Armee, dem Straßenknoten der Verbindungen von Charleroh nach Brüſſel und nach Namur gegenüber,
*) Memoiren, Th . 9, S. 159. ,, Verhängnißvoller Zwischenfall" - ruft Napoleon (Gourgaud, Feldzug von 1815) in Bezug hierauf noch aus. Wir müssen außerdem noch darauf hinweisen, daß er im 8. Th. seiner Memoiren , in Widerlegung einer Kritik, gesagt hat, es sei seine Absicht gewesen, Fleurus mit einer Avantgarde zu besetzen und seine übrigen Truppen hinter den Gehölzen bei dieser Stadt zu verbergen, daß er sich aber wohl gehütet habe, seine Armee zu zeigen oder gar Sombreffe zu besetzen. Aber diese Versicherung ist zu sehr im Widerspruch mit der Schnelligkeit, die er seinen Operationen geben wollte, und mit den Grundzügen seiner Strategie, als daß man etwas Anderes als eine polemische Phrase dahinter suchen könnte.
113 die Sambre überschritt , war die Hauptverbindungslinie Blüchers und Wellingtons 5 Stunden vor ihr, die Chauffee nämlich, die von Namur nach Nivelles geht, und die den feindlichen Feldherren das beste und bequemste Mittel bot, sich vor Brüssel zu vereinigen . Diese lettere Straße kreuzte diese beiden Operationslinien Napoleons, die eine jenseits Frasnes, bei QuatreBras, die andere jenseits Fleurus, bei Sombreffe. Beide Punkte sind drei Stunden von einander. Wenn die französische Armee in der gehörigen Stärke hier stand , dann hätte sie wirklich zwischen den beiden Armeen gestanden , und nach seinem eigenen Ausdrucke wäre er dann in der Verfassung gewesen , sie in ihrer Vereinzelung anzugreifen, und um dieser größten Gefahr auszuweichen, hätten sie Raum geben und sich auf Brüffel oder jenseits konzentriren müſſen. Und aus diesen Gründen allen kann man versichert sein, daß die Raschheit der anbefohlenen Bewegungen die Armee an diesem ersten Tage des Feldzuges in den Besit von Quatre-Bras und Sombreffe feßen sollte. Dieser Zweck ward in Folge einer beträchtlichen Zeitverfäumniß verfehlt ; die erwähnte große Verbindungsſtraße blieb frei , obwohl sie bedroht war, und Napoleon hat vollkommen Recht, wenn er sagt, daß dieser Zeitverlust ein sehr unangenehmer gewesen , und wir fügen Dem bei , daß die Erfolge dieses Tages unvoll= ständig waren. Nach seiner Gewohnheit hat Napoleon aber seinen Unterfeldherren die Schuld an dieser Unvollständigkeit zugeschoben. Vandamme hätte am Morgen fünf Stunden versäumt, indem er theils zu spät abmarſchirt sei , theils ſeinen Marsch durch Verirrung vom rechten Wege verzögert habe; dann wieder am Abend drei Stunden , indem er den Angriff auf Gilly , im Verein mit Grouchh , von 4 Uhr, für welche Stunde er befohlen gewesen, bis 7 Uhr aufgeschoben. Charras, Waterfoo. 8
114 Das steht in den beiden von St. Helena ausgegangenen Relationen zu lesen. Aber so verhält es sich nicht. Vandamme hat sich gar nicht verirrt. Er blieb zu lange in seinen Bivouaks stehen, aber das war die unvermeidliche Folge eines Fehlers , für den er unmöglich verantwortlich gemacht werden kann; er erfuhr zu spät und gewiſſermaaßen nur zufällig den Inhalt des Marſchbefehles. Die Erzählung eines völlig unintereffirten und sicherlich ganz unparteiischen Zeugen , desselben Mannes, der ihm die Nachricht vom Vormarsche der Armee gab, läßt darüber gar keinen Zweifel *). Der General Bonaparte hätte, ehe er sich der Ruhe hingab, sich überzeugt, daß seine Befehle an ihre Be= stimmung gelangt wären. Der Kaiser Napoleon bekümmerte sich nicht mehr darum; er überließ dies seinem Major-General, und dieser hatte nicht erfahren, daß der Offizier, den er mit der Ordre abgesendet, mit dem Pferde gestürzt sei, sich schwer verletzt habe und feinen Auftrag unerfüllt lassen mußte. Der Zeitverlust war also eine Folge der Sorglosig= keit des Major-Generals. Aber er war nicht so bedeutend , als ihn Napoleon darstellt ; denn er selbst ließ die Garde, die um 5 Uhr abmarſchirte, einen andern Seitenweg, links von dem für Vandamme bestimmten, einschla= gen, derart, daß diese das Vandamm'sche Korps an der Spitze der Infanterie ersetzte. Vandamme seinerseits beeilte den Marsch seines Korps. Um 3 Uhr debouchirte er aus Charleroh ; das Bulletin vom 15. Juni sagt es selbst. Auch verzögerte er den Angriff auf Gilly nicht im Verein mit Grouchy , unter dessen Befehle er übrigens erst am folgenden Tage trat bis 7 Uhr, denn der Angriff fand um 5 Uhr wirk-
*) Campagne de Waterloo , par E. F. Janin , Colonel d'Etat major en non-activité, Paris 1820. - Vergl. deffen Bericht in der Beilage D. am Schluffe des Werkes.
115 lich statt *), wie abermals das Bulletin vom 15. Juni, das um 8 Uhr Abends in der vollen Frische der Er= innerung geschrieben , von Napoleon vielleicht diktirt , je= denfalls von ihm durchgesehen — gleichfalls mit vollem Rechte bestätigt. Es ist übrigens wohl zu beachten , daß , wenn Napoleon den Angriff für 4 Uhr befohlen gehabt hätte, der Ausführung dieses Befehls keinerlei Hinderniß entgegenstand. Denn um diese Zeit hatte Vandamme Charleroy vollständig pafsirt, Erzelmans schon vor ihm, die gesammte Infanterie der Garde stand schon lange zwischen Charleroy und Gilly vereinigt und man hätte sie füglich hier zur Eröffnung des Gefechtes verwenden können , bis Vandamme in die Linie gerückt wäre. - Das hätte jeden Zeitverlust vermieden. Pajol, Erzelmans, die Garde und Vandamme zählten 45,000 M., die binnen Kurzem noch durch die Kürafſtere Kellermanns und Milhouds und das Korps von Lobau verstärkt werden konnten , die dermalen noch auf dem rechten Sambreuser standen. Der Widerstand der Preußen bei Gillh war nur ganz kurz, wie wir gezeigt haben ; vor derartigen Maſſen würden sie selbst nicht einmal versucht haben , Stellung zu nehmen, sondern ihren Rückzug ununterbrochen fort= gesezt haben. Vor 7 Uhr konnte Napoleon in Fleurus sein , das nur zwei Stunden von Gilly iſt und hätte solchergestalt die Chauffee von Namur nach Nivelles noch vor dem Hereinbrechen des Abends in seine Gewalt bekommen. Wenn er nicht so handelte, so waren weder Vandamme noch Grouchh Schuld daran. In der Wirklichkeit mag Napoleon dieſe wichtige Operation aufgegeben haben , weil er Gérards Diviſionen, obwohl deffen Avantgarde zwischen 2 und 3 Uhr in Cha= *) Um 5 Uhr_befahl der Kaiſer den Angriff; die Stellung wurde umgangen und genommen. — 8*
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telet eintraf, noch weit zurück wußte , weil das Korps Erlons noch hinter der Sambre stand , und besonders weil er fürchten mochte, die ganze preußische Armee bei Fleurus vereinigt zu finden. Die Langsamkeit des rechten Flügels darf aber keineswegs Gérard zugeschrieben werden, dessen Thätigkeit außer Zweifel steht, dem auch Niemand einen Vorwurf gestellt hat, sondern sie folgte einfach aus der Nothwendigkeit, in der er sich befand , seine rückwärts stehenden Truppen abzuwarten , die erst später am Morgen eintrafen, und aus den großeu Terrainschwierigkeiten , die er bei seinem Marsche auf schlechten Querwegen und durch zahllose Defileen zu überwinden hatte. Es gab damals von den Bivouaks der Armee zur Sambre hin keine einzige Chaussee. Napoleon , der selbst weder sein Hauptquartier nach Fleurus vorgeschoben noch auch die jenseits dieser Stadt vorüberführende Chaussee von Namur nach Nivelles in seine Gewalt bekommen hatte, behauptet nun, daß er dem Marschall Ney befohlen, am 15. Abends bis QuatreBras vorzurücken, und hat klar ausgesprochen, daß dieſer den Befehl aus übertriebener Klugheit, aus Aengstlichkeit nicht ausgeführt. Dieses Vorgeben ist von der Mehrzahl der französi= schen Schriftsteller angenommen und verbreitet worden. Es ist aber durch gewichtige Zeugnisse, ja auch durch Thatsachen widerlegt. Der Oberst Heymès, an diesem Tage der einzige Adjutant und Generalstabs-Offizier Ney's, hat die von Napoleon an seinen Chef gegebene Inſtruktion mit angehört *). *) Heymès , der zu Pferde neben dem Marschall , auf der Straße vorwärts Charleroy hielt, als fie dem Kaiſer begegneten, hat mit angehört, was gesprochen wurde, und giebt davon einen wortgetreuen Bericht. Vor wenig Tagen hat er mir abermals wiederholt, und zwar auf das Bestimmteste, daß der Name ,,Quartre - Bras" in der ganzen Unterredung nicht erwähnt worden ist. (Schreiben des Herzogs von Elchingen an den General Jomini, 19. Oktober 1841.)
117 Wir haben sie weiter oben nach seinen Angaben gebracht. Der Name Quatre-Bras kommt darin nicht vor und es reduzirt sich auf die Weifung : „ Jetzt gehen Sie ab und werfen Sie den Feind zurück." Im Jahre 1829 verfolgte der zweite Sohn des Mar= schalls, der Herzog von Elchingen, bereits den Zweck, das Andenken seines Vaters von den Anschuldigungen Napo= leons zu reinigen ; mit dem Obersten Heymės begab er sich zum Marschall Soult und fragte ihn , ob es wahr sei, daß Napoleon befohlen habe , Quatre-Bras noch am 15. Abends zu nehmen ? ,,Der Kaiser hat nicht daran gedacht , Quatre - Bras noch am 15. Abends zu befeßen und er hat keinen Befehl dazu gegeben“ *). Es ist aber durchaus nicht anzunehmen, daß ein Befehl von solcher Tragweite ertheilt worden sein könne, ohne daß der Major - General der Armee jemals davon Kenntniß erlangt. Dem Allen muß auch noch beigefügt werden, daß sich in allen den verschiedenen Ordres , welche am 15. und, wie wir noch sehen werden , auch am 16. ausgefertigt wurden, durchaus Nichts vorfindet, was auf die Existenz des Befehles ,,Quatre-Bras noch am 15. Abends zu beseßen" schließen lassen könnte. Die Memoiren von St. Helena bringen ihrerseits, Th. 9, diese angeblich erlassenen Instruktionen , und erzählen die besonderen Umstände , unter denen sie ertheilt und unter denen der Marschall Ney auf ihre Ausführung verzichtet hätte. „ Der Marschall Ney war eben angekommen ,“ heißt es dort ; der Kaiser gab ihm sofort Befehl, nach Goffe= lies abzugehen, daselbst das Kommando des linken Flügels zu übernehmen, der aus dem 1. und 2. Korps, der Division Lefebvre - Desnouettes und dem Reserve - Reiter= forps Kellermann bestand , in allem 47,800 M. , rücksichtslos (tête baissée) . Alles anzugreifen , was er auf *) Documents inédits etc.
118 der Straße von Gosselies nach Brüssel antreffen würde, sodann rittlings dieser Straße und jenseits Quatre-Bras Stellung zu nehmen, sich daselbst in Bereitschaft zu halten und durch starke Avantgarden auf den Straßen nach Nivelles Brüssel und Namur zu sichern." Die Memoiren erzählen sodann, daß Reille nach der Wegnahme von Gosselies die Division Girard den Preußen nachgesendet, die sich gegen Fleurus zogen , daß er gleichzeitig mit seiner Reiterei und den andern 3 Infanterie= Divisionen gegen Quatre - Bras vorgerückt sei, Le= febvre- Desnouettes an der Spize; daß dieser den Prinzen Bernhard von Weimar zum Aufgeben von Frasnes und Quatre - Bras und zum Rückzuge nach Genappe zu ge= nöthigt , daß ferner Reille mit ſeiner Infanterie ungehindert vorrückte, um vorwärts Quatre - Bras seinen Bivouak zu nehmen , als er vom Marschall Neh erreicht wurde, der die Kanonnade gegen Fleurus hin gehört und vom General Girard die Meldung erhalten , daß beträchtliche feindliche Kräfte in dieser Richtung ständen und darauf hin es für gerathener hielt, eine Stellung zu nehmen, mit der Avantgarde bei Frasnes. Diese Darstellung wimmelt von Unrichtigkeiten. Als Neh das Kommando des linken Flügels erhielt, war Kellermann noch auf dem rechten Sambre-Ufer, rückwärts Charleroy ; er blieb auch , auf Napoleons Befehl, die ganze Nacht und einen Theil des darauf folgenden Morgens dort stehen. Das 1. Korps fing eben an, aus Marchienne zu debouchiren, das noch 34 Stunde von Gosselies entfernt ist und hatte sowohl zu dieser Zeit, als auch noch viel später , eine seiner Divisionen Der Margegen 4 Stunden rückwärts bei Thuin *). *) Den deutlichsten Beweis für dieſen Stand der Dinge geben 2 Ordres des Major-Generals an Erlon , die erste von 3 Uhr Nachmittags , die zweite ohne Bezeichnung der Stunde, aber nachdem Ney das Kommando des linken Flügels übernommen hatte, erlassen, indem darin von Befehlen die Rede ist, welche Ney geben würde.
119 schall hat also keineswegs 47,800 Mann zu seiner unmittelbaren Verfügung gehabt, da das 1. Korps von Kellermann , zuſammen 23,000 M. , bei dieser Stärke mitgerechnet waren, aber zu weit standen, als daß er sich ihrer hätte bedienen können. Noch entfernter von der Wahrheit ist , was in den Memoiren von einer Bewegung jenseits Gosselies erzählt wird. Reille ist nicht im Marsche gewesen, um bei QuatreBras oder darüber hinaus zu bivouakiren , und folglich kann er auch durch die Vorsicht Ney's nicht aufgehalten worden sein. In seiner Darstellung *) giebt er seine Bewegungen so an, wie wir sie erzählt , und Reille ist in dieser Sache ganz unbetheiligt. In Gosselies und nicht jenseits traf der Marschall Ney bei ihm ein. Seine 4 Infanterie - Divisionen waren eben hier an= gekommen. Auf Befehl Napoleons , sagt Reille , entfendete Ney die Diviſion Girard gegen Fleurus. Gleichzeitig ließ er die beiden andern Divisionen am Holze von Lombuc und bei Gosselies Stellung nehmen. und rückte mit dem Reste des Korps und der Division Lefebvre-Desnouettes, die er selbst mitgebracht hatte, gegen Frasnes vor. Reille selbst blieb bei Gosselies unverrückt stehen. Der Rückzug des Prinzen Bernhard von Weimar hinter Quatre - Bras existirt nur in den Memoiren von St. Helena, sonst nirgends. Man wird zugeben müssen, daß die fraglichen Instruktionen durch die befremdlichen Ungenauigkeiten , in deren Gesellschaft sie auftreten , wenigstens an Glaubwürdigkeit nicht gewinnen. Aber man kann noch weiter gehen ; selbst wenn man zugeben wollte , daß der Marschall Neh Befehl gehabt *) Documents inédits etc.
120 hätte, bei oder jenseits Quatre -Bras Stellung zu neh= men , würde ein Tadel dafür , daß er es nicht gethan, schwer zu begründen ſein. Er ward etwa 44 Uhr Nachmittags mit ſeinem Kommando betraut *) , und war in diesem Augenblicke 14 Stunde von Gosselies entfernt. Er wird dort um 5 Uhr oder wenig später eingetroffen sein. Er ließ die Diviſion Girard gegen Fleurus abrücken und 1 Reiter und 1 Infanterie - Division auf der Straße nach Brüssel vorgehen , um dorthin zu das Terrain aufzuklären ; ehe er sich selbst über den Stand der Dinge orientirt , dürfte es halb 6 oder noch später geworden sein. Um dieſe Zeit also hätte er den Marsch gegen Quatre - Bras und darüber hinaus antreten können. Von Gosselies dorthin sind 34 Stunden. Die Infanterie, die seit dem grauenden Morgen auf dem Marsche war, konnte sicherlich nicht vor 9 Uhr daselbst ankommen. Wenn wir nun das 1. Korps , die Kellermann'sche Reiterei und die Division Girard abrechnen, blieben ihm noch 22,000 Mann aller Waffen. Er mußte zu seiner Verbindung mindestens 5-6000 M. in oder vor Frasnes laſſen , wäre also nur mit 16-17,000 M. bei Quatre-Bras angekommen und Stunde vor dem Einbruche der völligen Nacht. Wenn er nun dort auf den Feind stieß, was er nicht blos für wahrscheinlich , sondern fast für gewiß halten mußte, so hatte er ein Nachtgefecht zu liefern , mitten zwischen den englischen und preußischen Kantonnirungen, die seit dem frühesten Morgen allarmirt waren und in einer Lage, daß er von drei Seiten, von Namur, Brüſſel und Nivelles her angegriffen werden konnte.
*) Wir schließen diese Zeit aus anderen Ausgaben. Marschall Grouchy fand, als er von den Höhen diesseits Gilly zurückkam, den Kaiser bei Charleroy, wie er eben dem Marschall Ney ſeine Inſtruktion ertheilte. Napoleon ritt unmittelbar´ darauf im Galopp nach Gilly ; der Angriff fand dort um 5 Uhr statt.
121 Wenn er solchergestalt blindlings vorſtieß (tête baissée), um bei Quatre - Bras oder jenseits Stellung zu nehmen, so begab er sich in die Lage Vandamme's bei Kulm und wenn er wirklich Befehl dazu gehabt , so hat er wohlgethan, ihn nicht zu befolgen. Dieser Befehl ist aber in der That nicht gegeben worden. Die Besetzung von Quatre-Bras konnte vernünftiger Weise ja überhaupt nur dann statt finden , wenn sie gleichzeitig mit der von Sombreffe erfolgte. Wenn ja 45,000 M. auf diese Punkte gleichzeitig vorrückten und Napoleon mit dem Reste der Armee in Reserve blieb, bereit, den Einen oder den Andern zu unterſtüßen , so deckten sich diese Kolonnen gegenseitig Flanke und Rücken ; auf einen der beiden Punkte allein vorzugehen, blieb eine sehr gefährliche Unternehmung. Das ist auch von Napoleon gewiß richtig erkannt worden. Es ist also daraus , daß er auf seiner Seite nicht bis Sombreffe, nicht einmal bis Fleurus vorrückte, mit Sicherheit zu schließen , daß er Ney nicht befohlen, auf der ſeinigen rücksichtslos vorzustoßen.
Wir werden auch gleich sehen , daß er eine gleich = zeitige Vorrückung , für den linken Flügel gegen Quatre - Bras, für den rechten gegen Sombreffe , an= ordnet. Als Ney am 15. Abends zwei Reiter = und 1 Ju= fanterie - Diviſion nach Fleurus vorrückte, 1 Stunde von Quatre -Bras und mehr als 3 Stunden vorwärts Lambufart, von wo der Kanonendonner herüberhallte , hatte er Alles gethan, was er vernünftiger Weiſe thun konnte, und gewiß auch Alles, was Napoleon verlangt hatte.
Der Kaiser hat ihn ungerechter Weise beschuldigt, und hat Instruktionen erfunden , die ihm erst nach erLangter Kenntniß der Sachlage eingefallen sind. So hat es sich verhalten, es ist kein Zweifel daran möglich.
122 Wie Dem auch sein möge , wir kommen darauf zurück, daß die Resultate des 15. Juni unvoll ständig waren. Es wird sich aber herausstellen , daß es noch Zeit war, das Verlorene wieder einzubringen.
Dazu war jedoch Entschlossenheit nöthig , und davon war wenig vorhanden , war eine angestrengte Thätigkeit nöthig, und davon war gar nichts zu bemerken.
Siebentes Kapitel.
Der 15. Juni Namur Brüffel - Ordre Blüchers zur Konzentrirung der Armee vom 14. Abends - die Bewegungen Pirch's I. , Thielemann's und Bülow's im Laufe des 15 . Stellung der Preußischen Armee in der Nacht vom 15. zum Zögerungen Wellington's , ehe er seine Armee in 16. Juni Spezialbefehl des Stabschefs des Prinzen von Marsch setzt Armeebefehl, Diviſionsweiſe zu ſammeln Oranien falsche Befehl zur theilweiſen Konzentrirung Direction auf Nivelles von 10 Uhr Abends - Befehl zur Vereinigung der Armee Betrachtungen. nach ihrem linken Flügel Es ist bereits erwähnt worden , daß Blücher und Wellington die französische Grenze nicht eher überschreiten durften, als bis von den verbündeten Souverainen dazu Befehl einging ; die gewöhnlichen Verbindungen zwischen Frankreich und Belgien waren aber seit fast 3 Monaten Die beiden Oberkommandanten konnten unterbrochen. also von den Bewegungen unserer Armee nur Das erfahren, was ihnen Spione, die Deserteure und einige mit dem Genter Hofe in Verbindung stehende Anhänger der Burbons berichteten. Bei einem so mangelhaften und unsicheren Nachrichtenwesen waren sie fortgesetzt einem strategischen Ueberfalle
124 Anstatt daraus die Nothwendigkeit einer ausgesetzt. mehreren Konzentrirung abzuleiten, hatten sie die Quar= tiere im Uebermaaß ausgedehnt. Das war den Plänen Napoleons in seltener Weise Aber es wäre ein unerhörter Glücksfall ge= günstig. wesen , wenn die Vereinigung der Armee an der äußerften Grenze bis zum ersten Kanonenschuß verborgen ge= blieben wäre.
Napoleons Glück reichte auch nicht so weit. Es ist unwesentlich , der Art und Weise nachzuforfchen , in welcher Blücher die ersten Nachrichten des ihn bedrohenden Angriffs erhielt , zumal da die deutschen Schriftsteller darin verschiedene Angaben enthalten , beziehentlich sich widersprechen. Es reicht aus , anzugeben, daß er Nachrichten erhielt und welche Anordnungen er traf. Im Laufe des Nachmittags, 14. Juni's, erhielt Blücher die ersten, aber sehr unbestimmten Nachrichten , daß ansehnliche Truppenmassen sich der Sambre näherten . Darauf hin ertheilte er dem entfernteſten ſeiner Korpskommandanten , Bülow, die Ordre, sein Hauptquartier von Lüttich nach Hannut zu verlegen, seine Kantonnirungen aufzuheben und bis auf einen Marsch an Hannut heranzurücken, das 10 oder 11 Stunden von Sombreffe iſt. An demselben Tage, Abends zwischen 10 und 11 Uhr, trafen ganz bestimmte Nachrichten ein ; es wurde darauf verfügt , daß Thielemann nach Namur marſchiren , daß Pirch I. durch Namur nach Mazh bei Sombreffe rücken, und Bülow seine Bewegung über Hannut gegen Sombreffe fortsetzen solle; Ziethen dagegen hatte möglichst langsam zu weichen, aber ohne sich wesentlichen Gefahren auszusetzen und sich schließlich hinter Fleurus zu sammeln. Blücher wollte also , ganz in Gemäßheit mit dem vereinbarten Plane , seine Armee bei Sombreffe vereinigen.
125 Den Rückzug Ziethens im Laufe des 15. Juni haben wir dargestellt. Er hat seine Aufgabe wohl gelöst.*) Birch I. und Thielemann beeilten ihren Marsch so viel möglich. Das Korps Thielemann's stand am 15. Abends gegen 10 Uhr völlig vereinigt , Stunde vor= wärts Namur ; und Pirch kam mit 3 seiner Diviſionen 6 oder 7 Stunden früher bei Mazh an, also zu einer Zeit, wo die französischen Kolonnenspitzen erst etwa 1 Stunde jenseit der Sambre waren . Die lehte Division Pirch's kam erst gegen Mitter= nacht in Namur an. Bülow blieb hinter den übrigen Korps-Kommandan = ten in der Ausführung der erhaltenen Befehle zurück. Mag Bülow es nicht für so dringlich gehalten ha= ben, seinen Marſch über Hannut nach Sombreffe fortzusetzen, mag er geglaubt haben, daß die Armee bei Hannut konzentriren werde, oder mag irgend eine andere Ursache Veranlassung geworden sein , denn es sind deren viele angegeben worden,**) kurz er kam nicht bis Hannut und am 15. Abends war sein Hauptquartier sogar noch in Lüttich . Gegen 4 Uhr ( 15. Juni) hatte Blücher sein Hauptquartier schon in Sombreffe und während das Kanonenfeuer von Gillh her erschallte, rekognoszirte er ein an= stoßendes Plateau. Der alte Feldmarschall bestand mit seiner gewohnten Kühnheit darauf, seine Armee bei Sombreffe zu konzentriren, trotz des Anmarsches Napoleons . Man hat es den Memoiren von St. Helena nach-
*) Ein Befehl Ziethen's vom 2. Mai hatte die Bewegungen angeordnet, welche den verschiedenen Angriffsmöglichkeiten entsprechend , auszuführen wären , und man muß es anerkennen, daß Das , was am 15. Juni geschah , wirklich in Ausführung dieses Befehls geschah. **) Ueber das Benehmen Bülow's haben in der deutschen militairischen Preffe weitläuftige Verhandlungen stattgefunden, aber ohne bestimmte Ergebnisse, weder Für noch Wider. Vergl. besonders das Militair-Wochenblatt, 1845 .
126 erzählt , daß Bourmont den Vormarsch der Franzosen nach der Sambre an Blücher verrathen habe. Aber wir haben schon darauf hingewiesen, daß Bourmont erſt am 15. zwischen 5 und 6 Uhr früh, vorwärts Philippeville desertirte; er konnte also erst gegen 8 Uhr in Charleroy eintreffen , und um dieſe Zeit war schon die ganze preußische Armee im Marsche zur Konzentrirung ; die Befehle dazu waren seit 12 Uhr Nachts, 14./15 . Juni, aus dem Hauptquartiere zu Namur abgegangen.*) In der Nacht vom 15. zum 16. Juni hatte Blücher das Ziethen'sche Korps zwischen St. Amand und Ligny, rückwärts Fleurus , diese Stadt noch mit 2 Bataillonen beseßt; 3 Divisionen Pirch I. bei Mazy , eine bei Na= mur, das Thielemann'sche Korps bei Belgrade, 4 Stunde vor Namur, das Bülow'sche Korps 4-5 Stunden rückwärts Hannut. Wellington zögerte viel länger, als sein Verbündeter, ehe er die Konzentrirung seiner Armee anordnete. Auf dieselben Nachrichten, welche Blücher veranlaßten, Bülow von Lüttich nach Hannut und wenige Stunden ſpäter dieſen und die übrigen Korps nach Sombreffe zu berufen, that Wellington noch nichts . Seit einiger Zeit hatte sich in Belgien das Gerücht verbreitet , daß ein Angriff bevorstünde ; es hatte schon einige Male so geheißen. Der englische Feldherr hatte angeordnet : „ die Diviſionen marschbereit zu halten , jeden Morgen die Bataillone zu versammeln und sie erst
*) Bourmont ward von Ziethen an Blücher gesandt. Als er sich dem Letzteren bei Sombreffe vorstellte , fand er , nach den Angaben eines deutschen Schriftstellers , einen so üblen Empfang, daß die Offiziere in der Umgebung des Feldmarschalls diesen auf die weiße Kokarde aufmerksam machten, welche der Ueberläufer angesteckt hatte. Aber der alte Soldat war entrüstet und, unbekümmert, ob Bourmont deutsch verstehe oder nicht , rief er aus : „ Einerlei, was das Volk für ein Zeichen aufsteckt ! Hundsfott bleibt Hundsfott! “
127 Abends, wenn Alles ruhig bleibe, wieder in ihre Quartiere zu entlaſſen." *) Dabei hatte es sein Bewenden. Die Fronte der englisch - holländischen Armee dehnte fich von der Chauffee von Brüssel nach Charleroy, an welche der linke Flügel des Prinzen von Oranien stieß, bis zur Schelde aus, an welche sich Hill's rechter Flügel ſtüßte. Die Reiterei des Grafen Uxbridge stand an der Dendre, die Reserve bei Brüssel. " Am 15. Juni 9 Uhr früh empfing Wellington eine Depesche Ziethen's , der von Charleroh aus schrieb, **) daß seine Vorposten an der Sambre angegriffen würden. Welche Tragweite hatte dieser Angriff? Ziethen hatte es selbst noch nicht ermessen können. War es nicht ein Scheinangriff, bestimmt, die Hauptoperation gegen einen andern Theil der Grenze zu markiren ? Es ließ sich vermuthen. Wellington wartete weitere Nachrichten ab und traf keinerlei Dispositionen. Uebertriebene Lobredner , und es gab deren Viele, haben behauptet , dieſes Abwarten habe dazu gedient, falsche Bewegungen zu vermeiden. Aber es wurde keiner späteren Anordnung vor= gegriffen, wenn, wie es geschehen mußte, sofort die Vereinigung in Divisionen bei den Korps Oranien und Hill angeordnet, die Reserve vorwärts Brüssel aufgestellt und die Reiterei näher an das Centrum der Armee herangezogen wurden. Der erste Befehl zur Vereinigung ward im Laufe des 15. Juni von dem Hauptquartiere des Prinzen von
*) Dieser Befehl wurde unterm 9. Juni an das Korps des Prinzen von Oranien gegeben ; er ist gezeichnet vom Stabschef desselben, Constant de Rebecque. (Ärchiv des Kriegsminiſteriums in Haag.) **) Während die preußischen Schriftsteller den Inhalt der Depesche geben, deutet auch Wellington deren Empfang an, indem er in einem Briefe vom 15. an Clarke, den Minister Ludwigs XVIII. in Gent , fagt: „ Aus Charleroy habe ich seit 9 Uhr früh nichts erfahren." (Dispatches 2c.)
128 Oranien, Braine-le- Comte, ausgegeben . Sein Stabschef, General Constant de Rebecque, hatte ihn veranlaßt. Chassé , der mit den Preußen unter Ziethen unmittelbare Verbindung hielt, hatte über den Angriff auf die Sambre berichtet , und darauf hin ordnete der General Rebecque gegen 2 Uhr an, daß die Reiterdivision le Maert sich brigadenweise hinter dem Haine - Flüßchen und die Division Chassé sich bei Fayt - les - Seneffe konzentriren sollten, dann gegen 3 Uhr, daß die Diviſion Perponcher eine ihrer Brigaden bei Nivelles , eine bei Quatrebras aufzustellen habe. Chassé war diesem Befehle bereits zuvorgekommen, und im vorigen Kapitel haben wir bereits erwähnt , daß auch einer der Brigadiers Perponchers, der Prinz Bernhard von Weimar, in demselben Sinne gehandelt und sich bei Quatrebras anfgestellt hatte. La Maert, Chaffé und Perponcher bildeten den linfen Flügel der englischen Armee . Der Prinz von Oranien war nicht in seinem Hauptquartiere , er hatte es gegen Mittag verlassen und sich nach Brüffel begeben, nachdem er noch am Morgen seine Vorposten jenseits der Haine beritten und wie es scheint, die daselbst erhaltenen Notizen nicht für wichtig genug hielt, um ihn an sein Hauptquartier zu fesseln. General Rebecque sandte sofort die von Chasse erhaltenen Nachrichten nach Brüssel und fügte die von ihm getroffenen Anordnungen bei . Auch diese Depesche änderte noch nichts von den Ansichten Wellingtons. Er wartete noch Weiteres ab. Endlich gegen 8 oder 9 Uhr Abends, vielleicht noch etwas später ging ein Schreiben von Blücher ein, der ihm mittheilte, daß die Franzosen Thuin angriffen und Charleroh zu bedrohen schienen“ *), auf welches hin Wellington
*) Wellingtons_eigener Ausbruck in einem Briefe an den Herzog v. Berry, d. d. 15. Juni Abends 94 Uhr. (Dispatches 2c.)
129 befahl, die Divisionen in sich zu vereinigen und zum sofortigen Aufbruch bereit zu halten. Die Vereinigungspunkte der einzelnen Divisionen waren für das Korps Hill Oudenarde, Grammont, Sotteghem, Ath, für das Korps Oranien : Ath, Braine -le- Comte, Nivelles ; für das Reiterkorps Uxbridge: Ninove , mit Ausnahme eines Regimentes, welches die Vorposten zwischen Schelde und Lys fort= halten sollte, und einer Brigade, welche nach Vilvorde zu rücken hatte ; für die Reserve : Hal, Brüssel, Vilvorde. *) Die Ordre schrieb ferner vor, daß die holländischbelgischen Divisionen Perponcher und Chasse sich bei Nivelles konzentriren sollten und fügte bei , daß, wenn im Laufe des Tages dieser Punkt angegriffen worden sein sollte, die englische Division Alten von Braine-le- Comte dahin vorgerückt werden , „ daß dies aber nicht eher ge= schehen würde, als bis eine vollständige Sicherheit darüber vorhanden sei, daß der feindliche Angriff wirklich den den linken englischen Flügel rechten "1 preußischen und _ **) träfe.
*) Diese Ordre hat keine Stundenbezeichnung, aber es geht aus dem hier oben bezeichneten Briefe hervor , daß sie vor 91 Uhr erlassen wurde, und aus dem Journal des General Rebecque, daß es nicht vor 8 Uhr geschah. Es ist also falsch, wenn die deutschen und englischen Schriftfteller fie auf 4 oder 5 Uhr setzen. Das Journal des Prin zen Friedrich der Niederlande, der die Division_Stedmann und die indische Brigade befehligte, und damals sein Quartier in Sotteghem hatte, bestätigt , daß er diese Ordre erst den 16. in der Frühe erhielt, und ganz gewiß würde er sie am 15 . vor Mitternacht erhalten haben, wenn sie von Brüffel 41 oder 5 Uhr abgegangen wäre, wie jene Schriftsteller angeben. **) Wir geben hier den Inhalt der allgemeinen Ordre zur Versammlung, es ist aber auch eine besondere Bestimmung für das Korps des Prinzen von Oranien erlaffen worden, die 10 Uhr Abends durch den Lord Russel, einem der Adjutanten des Prinzen von Oranien, in das Hauptquartier des Prinzen 9 Charras, Waterloo.
130 Es kann also nichts klarer sein , als : daß Welling= ton die wenigen Truppen, die er vorn auf der Brüffeler Straße hatte, weg und nach Nivelles ziehen wollte, und zwar selbst dann , wenn der Angriff, wie nur erwähnt, geführt würde. Das war aber eine Abweichung von dem mit Blücher für diesen Fall vereinbarten Plane. Nachdem er seine Befehle ertheilt hatte , begab er sich auf einen Ball, den die Herzogin von Richmond an diesem Abende gab und zeigte daselbst das ruhigste und unbefangenſte Aussehen, blieb aber nicht lange. In Folge von etwas weniger unbestimmten Nachrichten , die er gegen 10 Uhr erhielt, diktirte er den Befehl zur Versammlung für einen Theil seiner Armee. Was ganz unglaublich , aber völlig gewiß ist: die Einnahme Charleroy's durch die Franzosen , um Mittag er= folgt, war noch jezt in Vrüſſel nicht bekannt ! *) Das Korps Hill sollte so rasch als möglich nach Enghien rücken , ebendahin Urbridge mit der Reiterei, die Division Cooke und Alten , vom Korps Oranien, nach Braine-le-Comte und Nivelles . Wenn diese Anordnungen ausgeführt wurden , wäre die englische Linie auf 7 Stunden auseinander gezogen gewesen, von Enghien nämlich bei Braine-le-Comte und Nivelles , die Reserve stand etwa eben so weit zurück
von Oranien , nach Braine - le - Comte überbracht worden ist. Diese Ordre ist noch vorhanden (Archiv des Kriegsministeriums in Haag) und schreibt vor , daß die Diviſion_Chaffé und Perponcher bei Nivelles zu konzentriren seien, daß aber die Truppen erst um 1 Uhr Morgens in Marsch gesetzt werden sollten, und daß die Division Collaert sich auf den Höhen hinter Haine-Saint-Pierre zu sammeln habe. *) ,,Seit 9 Uhr früh habe ich von Charleroy nichts erfahren" wie Wellington in dem schon erwähnten Briefe an Clarke schreibt. Wellington sagt ferner in dem Briefe an den Herzog von Berry, wie in dieſem, „ der Feind ſchien Charleroy zu bedrohen.“ (Dispatches 2c.)
131 bei Brüssel und der äußerste linke Flügel würde nicht nur 24 Stunde von der Brüffeler Straße und von Quatrebras, sondern 54 Stunde von Sombreffe entfernt gewesen sein, wo sich die preußische Armee sammelte. Dem wohl überlegten und wohl begründeten Unge= horsam eines Untergebenen hat diese Armee es zu verdanken, daß man nicht eine so weite Lücke vor Napoleons Angriff selbst eröffnete. Der General Perponcher beurtheilte von Nivelles aus den Stand der Dinge richtiger , als Wellington von Brüſſel aus und erndtete dafür später den wohlverdienten Dank. Gegen 11 Uhr kamen bestimmte Nachrichten von Mons, Braine-le-Comte, Quatrebras , Sombreffe in das Man erfuhr nunmehr den englische Hauptquartier. Uebergang über die Sambre, die Wegnahme von Marchienne und Charleroh, den Angriff auf Frasnes. Kurz darauf sprengten Kuriere und Ordonnanzoffiziere nachh allen Richtungen ab , um die neuen Inſtruktionen Wel= lingtons zu überbringen. Der Prinz von Oranien , der bis jetzt durch Wellington festgehalten worden war, eilte zurück, verlegte sein Hauptquartier von Braine-le-Comte nach Nivelles, nahm seine Reiterei nach Arquennes bei Nivelles zurück und beschleunigte den Marsch der Division Cooke und Alten nach den vorangegebenen Vereinigungspunkten. Das Korps Hill hatte nach Braine-le-Comte zu rücken, das Reiterkorps ebenso ; die Reserve verließ Vilvorde, Brüssel , Hal mit Anbruch des Tages und rückte auf der Chauſſee von. Charleroh vor. Hiermit ward die ganze englische Armee nach ihrem linken Flügel konzentrirt, aber die Ordre ward sehr ver= spätet erlassen und brauchte noch 3, 4, 5 oder 6 Stun= den, um an ihre Bestimmung zu gelangen. Englische Schriftsteller haben Verschiedenes hervor= gesucht , was ihrer Meinung nach diese Verzögerung rechtfertigen könnte. 9*
132 So haben sie gesagt , Wellington hätte aus Frankreich Nachrichten erhalten, welche bestimmt ausgesprochen, daß Napoleon von Valenciennes oder Maubeuge aus seinen linken Flügel gegen Braine-le-Comte angreifen werde. Das ist sehr möglich und kann auch im Zusammenhange mit den Befestigungen zwischen Mons und der Nordsee stehen, denen man so viele Sorge widmete , während an der Sambre und Maaß nichts geschah. Wenn aber Wellington diesen Nachrichten Glauben schenkte, so beging er damit eine große Unklugheit , denn er selbst so wenig als Napoleon pflegten die Art und Weise , wie sie Etwas ausführen wollten , an die große Glocke zu hängen. Dieselben Schriftsteller behaupten auch, es sei sehr richtig gewesen, daß Wellington so lange mit dem Marſchbefehle gezögert. Er mußte, sagen sie, es abwarten, bis der Angriff auf die Sambre deutlich ausgesprochen war, und man keinen Zweifel mehr haben konnte, ob es ein Scheinangriff sei. Denn eine falsche Bewegung hätte Alles auf's Spiel gesetzt. Aber die Verzögerung hat ja , wie lang sie immer war, doch eine falsche Bewegung anordnen laffen , denn das Zurücknehmen der Division Perponcher nach Nivelles war so falsch als es nur sein konnte; ferner konnte die zeitigere Vereinigung in Diviſionen niemals schaden, der Angriff mochte auf . Charleroh oder anders wohin erfolgen oder man hätte damit mehrere Stunden an Vorbereitungszeit gewonnen. Aber man hätte Etwas thun können und sollen, was jeder falschen Maaßregel vorbeugen mußte und niemals schaden konnte, nämlich das englische Hauptquartier am Morgen schon nach Braine-le-Comte oder Nivelles vorrücken , woselbst man nahe bei den Ereignissen war und nach Bedarf die Armee, in enger Verbindung mit den Preußen, in einer Centralstellung vereinigen konnte.
133 Diese Maaßregel hat Wellington nicht getroffen, und in dieser Beziehung ist er nicht zu rechtfertigen. An diesem so übel angewendeten Tage sucht man vergebens nach seinem durchdringenden Scharfblicke , nach seinem so sichern militairischen Takte , ja selbst nach_ſei= ner gewohnten Thätigkeit. Wenn hier ihm der Napoleon von Italien und von Regensburg gegenüber stand, würde er am nächsten Tage seine Verzögerungen theuer bezahlt haben. Wir werden übrigens später noch bemerken , wie er selbst nach Erlaß dieser letzten Befehle immer noch ein Vordringen Napoleons über Nivelles oder Braine-leComte für möglich hielt und wie er selbst bis zum letz= ten Tage sich dieser Befürchtung hingab ein großer Fehler, aber er verstand es, ihn gut zu machen !
Achtes Kapitel.
Der 16. Juni. Ligny . Lange Unthätigkeit der franzöſiſchen Armee. - Napoleons Zaubern. Endlich, gegen 8 Uhr, entschließt er sich, die Armee auf den beiden Straßen von Brüffel und Namur vorzurücken. Er theilt sie in zwei Flügel und eine Reserve. Seine Ordre an Marschall Ney an Grouchy . Napoleon kommt bei Fleurus an. Formation der fran" zösischen Armee. - Rekognoszirung . - Stellung der Preußen. Zusammenkunft Blüchers und Wellingtons. ― Napoleon entschließt sich zur Schlacht. - Ordre an den Marschall Ney, erlassen um 2 Uhr. - Frontveränderung der französischen Armee. Entsprechende Bewegungen der preußischen Armee. -- Angriff Vandamme's auf St. Amand -. auf la Haye. -Angriff Gérard's auf Ligny. -G Bewegungen unseres rechten Neue Ordre an Ney, von 34 Uhr. Flügels. Stand der Schlacht zwischen 5 und 5½ Uhr. - Napoleon erfährt den Marsch einer Kolonne in ſeiner linken Flanke. - Er entsendet einen Generaladjutanten zu ihrer Rekognoszirung und hält die gegen St. Amand und Ligny begonnene Bewegung der Reserven auf. -Fortsetzung des Kampfes um St. Amand, la Haye und Ligny. Napoleon erfährt , daß dieſe Kolonne das Erlon'sche Korps iſt. - Er giebt ihm keinen Befehl , am Kampfe Theil zu nehmen. - Lobau trifft vor Fleurus ein. - Die Reserven treten ihren Vormarsch gegen St. Amand und Ligny wieder an. Ligny wird genommen. Das Centrum der preußischen Armee wird zersprengt. Rückzug der beiden Ihre Flügel. - Stellung beider Armeen nach der Schlacht. Betrachtungen. Verluste. Schon war es 8 Uhr geworden und noch immer stand die französische Armee unbeweglich in den Bivouaksstellungen, in denen sie die Nacht verbrachte.
135 Die Truppen waren mit Anbruch des Tages marschfertig und staunten über diese Unthätigkeit. Die Generale wußten eben so wenig eine Erklärung dafür.*) Preußen und Engländer würden Nußen aus ihr ziehen. War es natürlicher Instinkt oder war es Ueberleg= ung , aber Jedermann sah Das ein. Es entstand ein Gemurr. Napoleon , in seinem Hauptquartier geblieben, überlegte, zauderte und ließ die kostbarsten Augenblicke verrollen. Der Marschall Ney , der in der Nacht nach Charleroy gekommen war, wie wir erwähnten, um neue Instruktionen zu holen , hatte gegen 2 Uhr mit dem Bescheid abreisen müssen , er solle warten , bis sie ihm zugeschickt werden würden. Endlich, gegen 8 Uhr, faßte Napoleon seinen Entschluß. Er zerfällte die Armee in zwei Flügel und eine Reserve und wollte sie gleichzeitig auf der Brüffeler und Namurer Straße vorrücken. Die Reserve behielt er sich selbst vor, den rechten Flügel erhielt Grouchy, auf dem linken blieb Ney. Eine lange Depesche an Ney, welche er darauf seinem Generaladjutanten Flahault diktirte und zwei andere, welche der Major-General an Grouchy und Neh richtete, enthalten die getroffenen Bestimmungen , die festgesetzten Plane und die Hoffnungen des Kaisers . Wir lassen sie hier folgen : *) General Excelmans kam früh Morgens am 16. zu mir nach Chatelet ; ſeine Truppen lagen neben den meinigen. Wir waren für 2 Uhr Morgens auf Bereitschaft gestellt . Ich sprach ihm meine Verwunderung darüber aus , daß ich noch keinen Marschbefehl habe ; ich fügte bei , daß mir diese Zögerungen von übler Vorbedeutung. erschienen, daß nach meiner Meinung nur rasche Bewegungen uns mitten in die feindlichen Kantonnirungen führen könnten und ſo allein ſich Ueberraschungen und große Resultate erlangen ließen. (Quelques Documents sur la Bataille de Waterloo par le Général Gérard , Paris 1829.)
136 wwwww ,,Ich ſende Ihnen meinen Generaladjutanten , den Grafen Flahault, mit gegenwärtigem Schreiben," hieß es an den Marschall Ney. ,,Der Major-General hat Ihnen Befehle senden sollen, aber Sie werden meine Befehle zeitiger erhalten, weil meine Offiziere rascher reiten, als die feinigen. Sie werden den heutigen Marschbefehl erhalten, aber ich will Ihnen selbst über dessen Einzelnheiten schreiben, weil die getroffenen Bestimmungen von höchster Wichtigkeit sind. Ich rücke den Marschall Grouchh mit dem 3. und 4. Korps nach Sombreffe vor. Ich rücke meine Garde nach Fleurus vor und werde selbst vor Mittag noch dort sein. Ich werde den Feind dort angreifen , wenn ich ihn finde, und ich werde die Straße bis GemDort werde ich mich nach den bloux aufklären. Ereignissen weiter entscheiden , vielleicht um 3 Uhr Nachmittags , vielleicht heute Abend . Meine Absicht ist , daß Sie bereit seien , unmittelbar nachdem ich meine Entschließungen gefaßt , auf Brüssel vorzurücken. Ich werde Sie mit der Garde unterſtüßen, die in Fleurus oder Sombreffe sein wird und ich wünsche morgen früh in Brüssel anzukom = men. Wenn ich mich noch zeitig genug entschließe , so daß Sie noch bei Tage benachrichtigt werden können, werden Sie sich in Marsch seßen und diesen Abend noch 3 oder 4 Stunden zurücklegen, um dann morgen um 7 Uhr in Brüssel zu sein. Sie können also Ihre Truppen folgendermaaßen aufstellen : Eine Division 2 Stunden vorwärts Quatrechemins (Quatrebras), wenn damit keine Unzuträglichkeiten verbunden sind , 6 Infanterie-Divisionen um Quatrechemins und 1 bei Marbais *) , so daß ich sie zu mir nach Sombreffe heranziehen kann , wenn ich fie brauche; im Uebrigen würde dies Ihren Marsch auch nicht aufhalten ; das Reiterkorps des Grafen von Valmy
*) Halbwegs zwischen Quatrebras und Sombreffe.
137 (Kellermann) , das 3000 Elitekürassiere zählt, laſſen Sie am Kreuzungspunkte der Römerstraße mit der Brüsseler Chaussee, so daß ich ihn zu mir heranziehen kann, wenn ich ihn brauche; sobald ich meinen Entschluß gefaßt haben werde, werden Sie ihn zu sich beordern. Ich hätte ge= wünscht, die Gardedivision Lefebvre - Desnouettes bei mir zu haben und sende Ihnen dafür die beiden Diviſionen des Grafen von Valmy. Aber zu meinen jeßigen Absichten paßt es mir besser, wenn ich den Grafen von Valmy so aufstelle , daß ich ihn zurückrufen kann und den General Lefebvre-Desnouettes lieber bei Ihnen lasse, da es wahrscheinlich ist, daß ich mich entschließen werde, diesen Abend mit der Garde nach Brüssel zu marschiren. Schonen sie aber die Garde und decken Sie sie durch die beiden Reiterdivisionen Erlon's und Reille's ; wenn ein Zusammenstoß mit den Engländern ſtattfindet, ist es besser, daß die Linie in's Gefecht kommt. Ich habe für dieſen Feldzug als allgemeinen Grundfaß angenommen , die Armeen in zwei Flügel und eine Reserve zu theilen. Ihr Flügel wird aus den 4 Divisionen des 1. Korps , den 4 Diviſionen des 2. Korps, den zugehörigen beiden leichten Reiterdivisionen und den beiden Divisionen des Valmy'schen Korps bestehen. Das kann nicht viel unter 45 bis 50,000 M. betragen. Der Marschall Grouchh wird etwa eben so stark sein und den rechten Flügel befehligen. Die Garde wird in Reserve bleiben und ich werde mich auf den einen oder andern Flügel, je nach den Umständen, begeben. Der Major-General wird die bestimmtesten Vorschrif= ten erlaſſen, ſo daß darüber kein Zweifel auftauchen kann, daß die Korpskommandanten Ihren Befehlen nachzukommen haben, wenn Sie detachirt sind ; bin ich selbst gegen= wärtig, so haben dieselben meine Befehle anzunehmen . Je nach Umständen werde ich den einen oder den andern Flügel zu Gunsten der Reſerve schwächen.
138 Sie werden die Wichtigkeit der Wegnahme von Brüssel vollständig begreifen. Hierbei können außerdem günstige Zwischenfälle eintreten , denn eine so rasche und unerwartete Bewegung wird die englische Ar= mee von Mons, Ostende zc. abschneiden. • Ich wünsche, daß Sie Ihre Anordnungen gut treffen, so daß auf den ersten Befehl Ihre 8 Divisionen rasch und ohne Hinderniß nach Brüssel rücken können." Während Napoleon diesen Brief diktirte, schrieb der Major-General den ſeinigen als Duplikat. Er sagte dem Marschall Neh : ,,Der Kaiser befiehlt, daß Sie das 1. und 2. Ar= mee- und das 3. Reiterkorps in Bewegung setzen ... um sie auf das Wegekreuz , Troisbras genannt , auf der Brüsseler Straße vorzurücken , woselbst Sie Stellung nehmen sollen. Gleichzeitig haben Sie Rekognoszirungen so weit als möglich vorzusenden und zwar auf der Brüsseler Straße und nach Nivelles , von wo sich der Feind wahrscheinlich zurückgezogen haben wird. Se. Majestät wünschen , daß , wenn keine Unzu= träglichkeiten daraus entstehen , Sie eine Diviſion mit Reiterei in Genappe aufstellen , und befehlen , daß eine andere Division auf der Seite von Marbais aufgestellt werde , um den Zwischenraum zwischen Sombreffe und Troisbras zu decken. Der Kaiser geht auf Sombreffe los, wohin der Marschall Grouchy mit dem 3. und 4. Infanterie- und dem 1. , 2. und 4. Reiterkorps abrückt. Marschall Grouchh wird Gembloux beseßen lassen."
Der Major-General schrieb auch wirklich an Groucht : ,,Der Kaiser befiehlt , daß Sie sich mit dem 1. , 2. und 4. Reiterkorps in Marsch setzen und gegen Sombreffe rücken, woselbst Sie Stellung zu nehmen haben. Gleichen Befehl erhalten General Vandamme für das 3. Armeekorps und General Gérard für das 4.,
139 und ich verweise diese beiden Generale an Ihre Befehle. Ich weise gleichzeitig den General Gérard an , daß er bei seiner Bewegung gegen Sombreffe die Stadt Fleurus links lasse, um das Zusammendrängen zu vermeiden . Sie werden ihm also eine andere Marschlinie derart an= weisen, daß er mit dem 3. Korps in Verbindung bleibt und an dem Angriffe auf Sombreffe Theil nehmen kann, wenn der Feind Widerstand leistet. Auch habe ich die Ehre, Ihnen mitzutheilen, daß der Marschall Fürst von der Moskwa Befehl erhält, sich in Marsch zu setzen 2c. Sobald Sie Herr von Sombreffe sein werden, haben Sie eine Avantgarde gegen Gembloux zu senden , und alle gegen Sombreffe ausmündenden Straßen , insbeson= dere die Chaussee von Namur , rekognosziren zu laffen .... Diese drei Depeschen wurden in Charleroy Vormit= tags zwischen 8 und 9 Uhr geschrieben *). Man braucht sie nur zu lesen, um sofort gewahr zu werden , daß Napoleon um diese Zeit keinen ernsthaften Widerstand , weder auf seiner Seite, noch auf der des Marschall Neh vermuthete. Er glaubte , daß Quatrebras, Genappe, Sombreffe, Gembloux ohne große Schwie-
*) General Flahault giebt in einem Briefe an den Herzog von Elchingen, d. d. 24. Nov. 1829 (Documents inédits etc.) an , daß er Napoleons Diktat zwischen 8 und 9 Uhr Vormittags schrieb. Gérard , welcher in Chatelet , 14 Stunde von Charleroy, war, erhielt um 91 Uhr den Befehl des Major-Generals , der ihn unter das Kommando des Marschalls Grouchy stellte und den Antritt des Marsches anordnete (Quelques Documents etc.). Die gleich lautende Ordre an Vandamme ist vorhanden; fie trägt die Signatur der Zeit , zu welcher sie geschrieben, 8 Uhr. General Berthezène , der eine Division im 3. Korps kommandirte, sagte (Souvenirs militaires), daß Vandamme und Gérard sich etwa gegen 10 Uhr in Marsch setzten.
140 rigkeiten genommen werden würden. Er sah seinen linken Flügel und sich selbst vor Ablauf von 24 Stunden in Brüssel. Und doch hatte ein Rapport Grouchy's von 6 Uhr früh ihm gemeldet, daß lange preußische Kolonnen auf der Chaussee von Namur her ankämen und sich gegen Ligny hin (bei Sombreffe) formirten *) . Aber man muß glauben , daß der Kaiser darauf keinen beſondern Werth gelegt. Seine Ueberzeugung ging, wie es scheint, dahin, daß die Preußen sich gegen Namur oder Hannut und die englisch-holländische Armee gegen Antwerpen zurückzögen. Er vergaß seine Langfamkeit , die Verzögerungen des gestrigen Tages und des heutigen Morgens. Er berech= nete den Gang der Ereignisse , aber er nahm weder die Zähigkeit Wellingtons noch die Thätigkeit und die Kühnheit Blüchers , der trotz seiner Jahre jugendfrisch war, in dem Kalkul auf. Selbst leidend , unentschlossen und niedergeschlagen , beurtheilte er seine Gegner nach sich selbst. Noch als er auf dem Plateau von Fleurus aus dem Wagen stieg, gab er sich diesen Täuschungen hin **). Schon war 11 Uhr vorüber , der Tag zur Hälfte verloren ! Grouchh hatte durch Vandamme die am Morgen von den Preußen verlassene Stadt Fleurus beseßen laffen. Pajol hatte, unterſtüßt von den Dragonern Ex*) Observations sur la Campagne de 1815 par le Comte Grouchy, Philadelphia 1819. Jomini , in ſeinen Spécis de la Camp. de 1815 (Brüſſel 1846) sagt, daß er den erwähnten Napport Grouchy's gesehen habe. **) General Lamarque sagt in seiner Essai historique sur les Cent-jours, daß der Kaiser nicht an die Anwesenheit des Feindes glaubte, als er bei Fleurus ankam; daß er Vandamme aufsuchte, der ihm vergebens versicherte , daß die Preußen vereinigt seien , daß er mehrere Offiziere ausfandte, um sich davon zu überzeugen , aber nicht daran glauben wollte. (Souvenirs et Mémoires du Général Lamarque, publiées par sa famille, Paris 1846.)
141 zelmans's, eine feindliche Reitermaſſe zurückgedrängt , die man jezt vorwärts Ligny sah und die sich mit ihm beschoß. Die Garde fing an , aus den Gehölzen zu debou= chiren. Ihr folgten die Küraffiere Milhaud's . Gérard hatte das Plateau noch nicht erreicht . Das 6. Korps, Lobau, war in Bereitschaft bei Charleroh gelassen worden *). Es war staubig, die Sonne brannte, die Hize war erstickend. Feindliche Truppen zeigten sich bei St. Amand , bei Ligny, nach Brye zu, gegen Sombreffe hin. Als die Garden und Gérard angekommen waren (um 1 Uhr **), ließ Napoleon die Armee aufmarschiren : Vandamme mit dem 3. Korps vorwärts Fleurus, hinter sich die Diviſion Girard, die vom 2. Korps abge= trennt war ***) ; Gérard, 4. Korps, in der Mitte, Pajol und Erzelmans ( 1. und 2. Reserve-Reiterkorps) rechts ; die gesammte Infanterie, Reiterei und Artillerie der Garde, dann Milhaud mit dem 4. Reserve - Reiterkorps in zweiter Linie, verdeckt, in der Höhe von Fleurus . Während diese Anordnungen ausgeführt wurden, durcheilte Napoleon mit geringer Begleitung die Linie der Außenposten, bestieg die Höhen, die Windmühlen und
*) Am 16. wurde das 6. Korps , als das Zentrum gegen Fleurus rückte und Marschall Ney mit einem Theile des linken Flügels bei Frasnes war, mit dem Befehle bei Charleroy zurückgelaffen , zu des Lehteren Unterſtützung abzurücken , wenn er derselben bedürfe (Camp. de 1815 par Jannin etc.). **) Quelques Documents etc. par le Général Gérard. ***) Die_Diviſion war von Wangenies , wo sie bivouakirt hatte, herbeigerufen worden. In der Depesche, welche Napoleon wenig Augenblicke vorher an Marschall Neh gerichtet, war sie zu den 8 Divisionen mitgerechnet worden , welche unter dem Marschall standen. Es war übrigens nicht der einzige Rechnungsfehler Napoleons an diesem Lage!
IF
142 rekognoszirte das Terrain und die feindlichen Kräfte, vor denen er Halt gemacht. Das Plateau von Fleurus zeigt ziemlich ausgespro= chene Wellen. Gegenüber St. Amand und Ligny senkt es sich regelmäßig und ziemlich stark nach einer Niederung zu, in der der Lignybach fließt. Auf der andern Seite der Niederung erhebt sich das Terrain in ähnlicher Weise, aber kürzer und unregel= mäßiger, dann folgt ein stark gewalltes Plateau , deſſen höchsten Punkt die Windmühle von Bussh bezeichnet , die man etwa 1000 Metres nordwestlich von Ligny liegen fieht. Der Lignybach entspringt dicht bei der Chauffee von Namur nach Nivelles, bei der Schenke les Trois-Burettes ; er fließt vorerst aus N.-W. nach S.-O., und biegt nach seiner Vereinigung mit dem von Wangenies kommenden fleinen Fluß fast rechtwinkelig um, gegen N.-O.; das Dorf St. Amand liegt oberhalb dieser Vereinigung, auf dem rechten Ufer des Lignybaches , und bildet gewissermaaßen nur eine einzige , mit dem dortigen Flußlaufe parallele Straße. Auf demselben Ufer, etwa 400 Metres oberhalb St. Amand, liegt ein Schloß mit zugehörigem Pachthofe und in etwas geringerer Entfernung noch weiter aufwärts das Dorf St. Amand-la-Haye, an das sich gegen Weſten eine Häuſergruppe anſchließt, St. Amand-le-Hameau. Etwa noch 1000 M. weiter aufwärts liegt auf bei= den Ufern das Dorf Wagnelée. Etwa 1000 M. oder mehr, abwärts von St. Amand und nordöstlich davon , durchfließt der Bach das große Dorf, von dem er den Namen trägt , umgrenzt darauf den Fuß der Hügel, auf deren Rückhange Sombreffe liegt, biegt darauf, in der Höhe dieses Fleckens , rasch nach Süden , umfließt die Hügel von Tongrinne und ergießt sich weiter hin, nach einer abermaligen Richtungsveränderung , in den Orneau, einen Zufluß der Sambre.
143 Der Liguhbach hat höchstens 30 Centimetres ( 14 Fuß) Waſſertiefe ; aber seine steilrechten Ufer sind 1 bis 2 M. hoch, sein Bett ist 2 bis 3 M. breit und dicht mit Bäumen besett, so daß er, namentlich für Artillerie, ein Hinderniß bildet, mit Ausnahme der Straße im Dorfe Ligny selbst, wo man rechts und links einer Brücke breite Rampen angebracht hat. Alle Dörfer und Weiler, die wir erwähnt, sind solid gebaut, mit Gärten und Obstpflanzungen umgeben, mitunter davon auch unterbrochen , und mit Gräben, lebendigen Hecken, Mauern und Hohlwegen eingefaßt. Die Chauffee von Charleroh nach Namur folgt dem Nordrande des Plateau's von Fleurus, geht ziemlich ſteil zum Lignybache hinab , überschreitet denselben auf einer steinernen Brücke und vereinigt sich bald darauf, bei le Point du Jour, mit der Straße von Nivelles nach Namur. Point du Jour besteht aus 2 Häusern. Der Flecken Sombreffe liegt etwa 1500 M. westlich von da. Die Chaussee von Namur nach Nivelles geht hindurch, schneidet darauf nördlich von Brye , bei der Schenke les Trois - Burettes , die Römerstraße *) , geht darauf, Stunde weiter, an Marbais vorbei und kommt nach Quatrebras. Beide lettere Orte sind kaum 2 Stunden von einander entfernt. In seiner Depesche vom Morgen des 16. hatte Na= poleon, wie man sich erinnern wird, dem Marschall Ney befohlen , daß er nach der Besißnahme von Quatrebras eine Infanterie-Diviſion nach Marbais ſenden solle, „ damit er Napoleon fie im Bedarfsfalle an sich nach Sombreffe ziehen könne."
*) Oder richtiger Brunhildenstraße. Sie geht von Bavay nach Tongres und Mastricht. Die Bauern nennen sie Teufelsstraße, weil sie angeblich vom Teufel in Einer Nacht gebaut worden sein soll. Sie ist durch die fortgeseßten Uebergriffe der Adjacenten sehr schmal geworden.
144 Als der Kaiser, mit dem Fernrohr in der Hand, das Terrain jenseits des Lignybaches durchforschte, standen daselbst 3 von den 4 Korps der preußischen Armee. Ziethen hatte St. Amand und Ligny mit einigen Bataillonen besett , seine Reiterei vor. letterem Dorfe und seine Hauptstärke bei Brye und der dominirenden Höhe von Bussh. Das Korps Pirch I. stand am Nordhange des Plateau's , von Sombreffe bis les Trois - Burettes, an der Straße von Namur nach Nivelles. Das Korps Thielemann stand gegen le Point du Jour , in Kolonnen theils an dieser Straße, theils an der nach Charleroy, 1 Division in Tongrinne. Blücher hatte die Zeit , die ihm Napoleon gelaſſen, gut zu benutzen verstanden, und seine ganze Armee wäre zur Stelle gewesen , wenn Bülow nicht mit der Ausführung der ihm ertheilten Befehle gezögert hätte. Jezt beschleunigte Bülow so viel er konnte seinen Anmarſch, aber es war schon sehr spät. Er rückte von Hannut her auf der Römerstraße vor, aber von Hannut bis auf das Plateau von Ligny find 10 bis 11 Stunden. Blücher nahm genau die Stellung ein, welche er mit seiner Armee, nach dem mit Wellington vereinbarten Plane, einnehmen sollte, während dieſer mit ſeiner Armee bei Quatrebras zu stehen hatte. Solchergestalt hätten beide Armeen die breite Chauſſee von Namur nach Nivelles als Verbindungslinie gehabt, waren kaum 3 Stunden von einander und konnten sich gegenseitig unterſtüßen. Sie deckten Brüssel, das zweifellose Objekt Napoleons , wenn er von Charleroh her anrückte und selbst wenn man bei Ligny oder Quatrebras geschlagen worden wäre was in dem Falle möglich war, daß die Schlacht vor der beiderseitigen Vereinigung geliefert wurde würde sich die englische Armee über Genappes, die preußische über Wavre nach der belgischen Hauptstadt zurückziehen, ja selbst vor derfelben Stellung nehmen und dann vereint dem bis dahin siegreichen Feinde 74
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145 entgegentreten können. Blücher mußte dann freilich für einige Zeit seine Verbindungslinien aufgeben, aber dieser Nachtheil wurde weitaus aufgewogen durch die Vortheile der Vereinigung . Diese Erwägungen hatten die verbündeten Generale bei ihrem Entschlusse geleitet. Napoleon erkannte nicht sofort, wie noch gezeigt wer= den wird, die wahre Stärke der Preußen. Die Terrainwellen, die Baumgruppen, die Höhe des Getraides täuſchEr konnte sich ten selbst sein sonst so sicheres Auge. auch nicht erklären , was Blücher dazu bewogen haben möchte , hier , wo er bei einem Kampfe auf sich allein beschränkt war, seine Kräfte zu konzentriren, während es doch auf der Hand lag, daß die beiden Feldherren erſt nach ihrer Vereinigung schlagen durften. Was ihm aber unerklärlich schien , würde sich auch ihm natürlich erklärt haben, wenn er hätte wissen können, was ihm gegenüber bei der Mühle von Bussy jetzt eben vorging.
Denn da standen Blücher , den er vielleicht noch in Namur wähnte , und Wellington , den er in Brüssel glauben mochte, und verabredeten eine gemeinschaftliche Operation noch für den heutigen Tag. # ,,Meine Armee fammelt bei Quatrebras, " ſagte Wellington; ,,bald werde ich dort stark genug sein, um Alles, was sich dort zeigt , aufzuhalten und Ihnen hierher eine wirksame Verstärkung zu bringen. Um 4 Uhr werde ich hier sein“ *). Auf dieses Versprechen hin nahm Blücher die Schlacht an, die er recht gut vermeiden konnte. Bemerkenswerthes Zusammentreffen ! Blücher und Wellington verabredeten eine Bewegung, welche das Gegentheil von Dem war , was Napoleon einige Stunden früher dem Marschall_Ney anbefohlen hatte und was
. *) Der Feldzug von 1815 in Frankreich. Hinterlassene Werke des Generals C. v. Clausewitz, Band 8 , Berlin 1835. 10 Charras, Waterloo.
146 Napoleon ihm jezt von Neuem vorſchrieb, indem er ihm gleichzeitig anempfahl , es mit ganzer Kraft und ſo raſch als möglich auszuführen . Aber Wellington mußte Blücher im Stiche und Ney seine Ordres unerfüllt lassen. Auf beiden Seiten ließ sich die verlorene Zeit nicht wieder einbringen. Um 2 Uhr hatte der Kaiser seinen Entschluß gefaßt. Er ließ durch den Major-General an Ney schreiben : Vorwärts Fleurus, 16. Juni 2 Uhr Nachm. "„ Der Kaiser befiehlt mir , Ihnen mitzutheilen, daß der Feind ein Truppenkorps zwischen Sombreffe und Brhe vereinigt hat und daß Marschall Grouchy um 24 Uhr ihn mit dem 3. und 4. Armeekorps angreifen wird. Die Absicht Sr. Majeſtät geht dahin, daß auch Sie angreifen , was vor Ihnen steht, und nachdem sie Das kräftig zurückgeworfen , Sie sich zu uns herumwenden , um das feindliche Korps , von dem ich oben ge= sprochen, umfassen zu helfen. Wenn dieses Korps früher schon zersprengt worden sein sollte, so wird Se. Majestät dann nach Ihnen zu manövriren, um auch Ihre Unternehmungen zu beschleunigen. Benachrichtigen Sie sofort den Kaiser von Ihren Anordnungen und von Dem, was in Ihrer Front vorgeht." Diese Depesche, auf welche wir öfter zurückkommen werden, ward nach Gosselies gesandt und beweist deutlich, daß Napoleon um diese Zeit die wahre Stärke des Feindes noch nicht erkannt hatte. Er sah nur ein Truppenkorps da, wo drei Viertheile der preußischen Armee standen, ein Korps , welches Grouchy mit den Kräften Vandamme's und Gérards bewältigen würde. — Wellington eilte auf der Straße nach Quatrebras fort; Blücher erwartete den Angriff, voll Vertrauen in die Tapferkeit seiner Truppen und in das Versprechen ſeines Mitfeldherrn. Die französische Armee hielt den
147 Blick auf das Plateau von Ligny gerichtet und brannte darauf, handgemein zu werden. Plöglich sprengten von dem Plate Napoleons , an einer Windmühle seitwärts Fleurus, die Ordonnanzoffiziere zu den einzelnen Armeekorps und bald darauf begann das Vorrücken. Die Armee führte eine Frontveränderung aus und nahm den rechten Flügel vor , mit Fleurus als Stüßpunkt. Nach Beendigung dieser Bewegung ſtand das 3. Korps, in gebrochener Linie, Front gegen die Süd- und Weſtſeite von St. Amand, die leichte Reiterdiviſion Domon links, die Division Girard's hinter sich ; das 4. Korps stand zum Theil Ligny gegenüber, zum Theil der südlichen Umbiegung des Lignybaches ; die Fronte des Marschalls Grouchh lief in rückwärtiger Richtung , sein linker Flügel nahe der Chaussee von Charleroh, der rechte längs dem Nebenwege von Fleurus über Onoz nach Namur. Die Garden und Kürassiere bildeten die zweite Linie in der Höhe von Fleurus.
An Lobau ward der Befehl gesandt , schleunigst herbeizueilen und die allgemeine Reserve zu bilden. Vor dem Vornehmen des Flügels hatte der Feind · keine Anhaltepunkte für die Richtung unseres Hauptangriffs er konnte gegen Wagnelée und St. Amand oder gegen St. Amand und Ligny statt finden. Blücher hatte auch seine Truppen derart vertheilt , daß er in beiden Richtungen die vorderen Linien verstärken konnte ; er wartete ruhig auf die Entwickelung unserer Absichten. Die Frontveränderung aber hatte ihm Alles gezeigt ; von der Windmühle von Buſſy aus entging ihm Nichts ; er hatte sofort die nöthigen Gegenmaaßregeln angeordnet. Die Reiterei , die bisher vor Ligny gestanden , ward zurückgenommen und stellte sich zwischen Ligny und Sombreffe in einer Terrainfalte ziemlich unvollständig ge= deckt auf. 10*
148 Drei Bataillone, die in St. Amand, dem Schloſſe und dem Pachthofe dabei bereits ſtanden, blieben daſelbſt.usly Sechs Bataillone stellten sich dahinter auf, in einer Terrainfalte, bereit zur Unterſtützung. 34 Bataillon beſeßten St. Amand-la-Haye und den Weiler St. Amand-le-Hameau. 3044 Bataillon hielten Ligny ; 6 Bataillone nahmen neben und hinter dem Dorfe Stellung. 11 Bataillone blieben in Kolonnen an der Mühle von Bussh und in Brye. Ein Husarenregiment war seit der Morgenfrühe mit einer reitenden Batterie vorwärts Wagnelée, um die Römerstraße und die Chauffee nach Nivelles zu beobachten ; es blieb in dieser Verwendung . Diese Truppen gehörten sämmtlich zum Korps Ziethen und betrugen 34 Bataillone, 32 Schwadronen • und 96 Geschüße. Birch I. ließ 1 Division in Sombreffe , 1 Division bei les Trois-Burettes und rückte mit den beiden andern Divisionen, sowie mit der Reiterei gegen Brye. Thielemann ließ 1 Division hinter Sombreffe rücken und beseßte davon mit 2 Bataillonen den Pachthof Potriaux, der den Lauf des Lignybaches aus ziemlicher Nähe dominirt. Eine andere Division rückte auf die Chaussee von Fleurus und nahm auf der Höhe Stellung, an deren Fuß die Brücke ist, und besetzte die benachbarten Häuſer. Von den beiden übrigen Divisionen, blieb eine bei Point . du Jour und eine rückte jenseits Tongrinne und besetzte dieses Dorf, dann Tongrinelle am Lignybache, Boignée und Balâtre leicht. Die Reservereiterei Thielemanns blieb zwischen Tongrinne und Point du Jour. Die Gesammtstärke dieſer 3 Korps, wenn man ihnen die Verluste des vorigen Tages und etwa 1000 Mann, die noch jenseits der Maaß waren , abrechnet, betrug an
149 87,000 M., einschließlich 8500 M. Reiterei, mit zusam= men 224 Geschützen *). Sie hatten gegen sich 68,000 M., von denen 13,000 M. Reiterei und 210 Geschüße, zu denen noch Lobau mit 10,500 M. und 32 Geschüße stoßen sollte **).
*) Korps Ziethen, einschließlich Artillerie, Genie, Train 2c. Korps Pirch I. Thielemann Summa Verluste d. 15. Juni ab Nachzügler 2c.nochjenseits der Maaß
32,000 M., dav. 1,925 M. R. 96 Gesch . 80 " 32,704 〃 〃 4,468 " 48 " " 2,405 " 24,456 " 89,852 M., dav. 8,798 M. R. 224 Gesch. 100 1,500 , "
200 " "" 1,000 , 87,352 M., bav. 8,498 M. R. 224 Gesch . Eigentlich müßten hiervon noch Train zc. abgezogen werden, aber um solche Details zu vermeiden, lassen wir ihn inbegriffen, hier, wie bei der französischen Armee, und da die Zahl der Nichtstreiter überhaupt nur klein ist , wird auf diese Weise die Zahl der Streiter nur um sehr wenig fehlen. **) Vandamme, 3.kps. Div. Girard vom 2. Korps Gérard, 4. Korps Garden Lobau, 6. Korps Pajol, 1. Res.-R.-K. Erzelmans, 2. R.-R.-K. Milhaud, 4. R.-R.-K. Summa Verluste des 15. Verbleiben bei Ligny
19,160 M. , dav . 1,017 M. R. 38 Gesch .
4,297 38 1,628 15,995 , 90 18,652 〃 1,718 " -32 "" 10,965 " 12 " 3,046 2,717 12 " " 3,220 " 3,515 12 " 3,544 " 3,194 " 78,674 M., dav. 13,494 M. R. 242 Gesch . 400 " 100 " 78,252 M., dav. 13,394 M. R. 242 Geſch.
Mit dem Marschall Ney waren auf der Brüffeler Straße : Erlon, 1. Korps 19,939 M., dav. 1,506 M. R. 46 Gesch . 38 " 20,086 ,, Reille, 2. Korps " 1,865 Lefebvre-Desnouettes , leichte Garde-Reit.2,232 Division " 2,077 " " Latus 42,257 M., dav. 5,448 M. R. 90 Gesch.
150 Die Schlachtlinie , welche Blücher parallel mit der nunmehrigen französischen Front genommen hatte, lief in der Richtung von Sombreffe gegen Gosselies. Ein Perpendikel, den man von Quatrebras darauf fällt, ist 10,000 Metres (24 St.) lang und trifft etwa auf St. Amand . Der rechte Flügel der Preußen, sagt Napoleon, stand in der Luft. Das ist wahr, aber in den Augen Blüchers ward dieser Fehler durch das Versprechen Wellingtons aufgehoben, von Quatrebras her mit starker Macht zur Hilfe zu kommen. Das Versprechen ward freilich nicht gehalten, und der Flügel blieb in der Luft, aber Napoleon hat dies nicht benutzt. Im Uebrigen hatte die Stellung natürliche Stärke, da sie vom Lignybache eingefaßt war und große Dörfer mit guten defensiven Eigenschaften ſie ſtüßten. Die Vorbereitungen zum Kampfe waren nun beiderseits beendet. Es ist still auf der ganzen Front. Drei Kanonenschüsse hallen in gleichen Zwischenpausen von Fleurus herüber Napoleon giebt Vandamme das Zeichen zum Angriff. Es schlägt 24 Uhr am Kirchhofe von St. Amand. Die Division Lefol rückt in 3 Kolonnen , Blänker vorauf, mit Musik und · Trommelschlag gegen St. Amand vor; ein drolliger Anachronismus war es, als ihre Hochs auf den Kaiser sich mit den Schlachtgesängen aus den Revolutionskriegen vermischten. Die Preußen warteten hinter ihren Hecken, Bäumen, Gehöften , krenelirten Mauern und Barrikaden kaltblütig die Annäherung der Franzosen ab , und als diese in
Transp. 42,257 M., Kellermann, 4. Ref.3,679 "/ Reiter-Korps Summa 45,914 M., 200 " Verluste des 15. Juni 45,714 M., Hauptpark in Charleroy 3,500 M.
dav . 5,448 M.R. 90 Geſch.
12 " " 3,360 " dav. 8,808 M. R. 102 Gesch . 50 " " dav. 8,758 M. R. 102 Geſch .
151 Schußweite waren , begann auf der ganzen Ausdehnung von St. Amand ein heftiges Gewehrfeuer. Unerschüttert sezt die Division Lefol ihre Bewegung fort, dringt durch Hecken und Gärten , erreicht das Dorf, dringt troß des lebhaftesten Widerstandes ein , verjagt die 3 Bataillone, die darin waren , und wirft sie über den Bach zurück. In Verfolg ihres Vortheils wollen sie auch dieses Hinderniß überschreiten, aber die Salven mehrerer Bataillone und das Kartätschenfeuer von 8 Geschüßen, die unmittel= bar auf der Höhe des letzten Absturzes stehen und den Bach dominiren , warfen sie zurück und zwangen sie, hinter den Häusern Deckung zu suchen. General von Steinmez , dem die Vertheidigung von St. Amand besonders übertragen war, hatte die 3 Ba= taillone, die so eben zurückgeworfen worden , dann die 6 Bataillone und die Batterie, deren Feuer so eben die Division Lefol zurückgeworfen , unter seinen Befehlen. Er sammelt die ersteren, verstärkt sie durch 2 Bataillone der Reserve und führt sie zur Wiedernahme des Dorfes vor, scheitert aber mit seinem Gegenangriffe. Sofort nimmt er den Rest seiner Truppen, geht wieder vor und während er mit einem Theile, zwischen St. Amand und dem Schlosse durch , die Linke Lefol's zu umfassen sucht, dringt er mit dem andern Theile in das Dorf ein. Vandamme ließ darauf einen Theil der Division Berthézène in die Linie, links von Lefol , rücken und dirigirte die Diviſion Girard gegen la Haye und le Hameau *). Es entspinnt sich damit ein äußerst mörderisches Gefecht auf der Schlachtlinie, das mit dem abermaligen Rückzug der Preußen endete; Steinmetz muß wieder über den Bach zurück. Aber seine Umgebungen werden jetzt von 24 Geschützen bestrichen und Lefol wie Berthézène können nicht debouchiren ; sie gehen nach St. Amand zurück. *) Zur bessern Vermeidung von Mißzverständnissen wollen wir bei diesen Ortschaften das zugehörige St. Amand " weglassen.
152 www Das Schloß und der Pachthof, mit Mauern eingeBataillon besetzt , wurden genommen, faßt und mit aber das feindliche Gefchüßfeuer verhinderte auch hier ein weiteres Bordringen. Girard hat seinerseits la Haye und le Hameau genommen, die von den drei dort stehenden Bataillonen wacker vertheidigt wurden. and Mit der Wegnahme von St. Amand und la Haye hatte Vandamme eine bedrohliche Stellung eingenommen. Seine Artillerie, die bisher noch durch Terrainschwierigkeiten aufgehalten worden war , rückte allmälig in die Linie. Ein kräftiger Stoß , der von den Garden unterstützt ward, konnte ihn jeden Augenblick von la Haye gegen Brye , ja bis zur Windmühle von Bussy vor und damit den entscheidenden Theil des Schlachtfeldes und die Straße nach Nivelles in seine Hände bringen. Blücher erkannte die Gefahr und die Vorbereitungen Vandammes , um sie zu benußen ; er traf sofort die Gegenanstalten. Die Division Pirch II. vom Ziethen'schen Korps rückte von Brhe aus vor und bekam Befehl zur Widernahme von la Haye. General Jürgaß hatte diese Be= wegung mit seinen 3 Reserve-Reiterbrigaden (des Pirch I. Korps) zu unterstützen, auch wurde die Division Tippelsfirch (Birch I. Korps) einstweilen unter seine Befehle ge= stellt , von les Trois - Burettes herangezogen und zum selben Zwecke verwendet . Blücher übertrug gleichzeitig dem General Ziethen die Gefechtsleitung zwischen St. Amand und Wagnelée. Birch II. traf rasch auf dem Gefechtsfelde ein und formirte seine 9, Bataillone in 2 Linien in Angriffs= folonnen. Die erſte Linie warf sich mit großer Entschlossenheit auf la Hahe. Girard hielt mit 1 Brigade das Dorf, mit der andern blieb er in Reserve. Birch nahm die vorderen Häuser und die Eingänge im ersten Anlaufe , gewann Terrain und hatte bald die
153 Hälfte des Dorfes in seiner Gewalt ; Girard strengte aber seine Kräfte an und errang das Verlorene wieder; die Bataillone mußten in Unordnung zurück. Pirch II. rückte darauf mit seiner zweiten Linie vor , nahm abermals einen Theil des Dorfes , konnte sich jedoch wieder nicht behaup= ten. Nach einem blutigen Handgemenge müssen seine Bataillone Raum geben , gerathen in Unordnung und gehen rasch über den Bach zurück. Blücher, der ihr Zurückgehen gesehen , sprengt unter sie; seine Gegenwart, seine lebendigen Worte stellen ihre Haltung und die Ordnung her , und ohne Verzug ließ der alte Feldmarschall sie von Pird) II. wieder vorführen. Während dem soll Steinmetz seine Stellung gegenüber St. Amand und dem Schlosse halten ; Jürgaß, der etwas auf sich warten läßt , soll aus Wagnelée debouchiren und von hinten her den linken Flügel Girard's anfallen . Zwei feiner Reiter-Brigaden stehen zwischen diesem Dorfe und la Haye bereit, um Alles anzugreifen , was etwa da hinaus will. Der Angriff beginnt. Pirch II. rückt vor und wird aufs Neue mit Girard's Soldaten handgemein. Der französische General , ein feuriger Geist und ein uner= schrockenes Herz , vervielfältigt sich, um überall dem Angriffe zu begegnen , aber er fällt , tödtlich verwundet. Schwächer an Zahl, wird seine Truppe langsam zurückgedrängt, aber sie weicht in guter Ordnung, jedes Haus, jede Straße, jede Mauer haltend. Nachdem sie das
Dorf verlassen , stützte sie sich auf le Hameau. Sie ihres Bestandes , verloren; hatte über 1000 Mann , ihre beiden Brigadiers sind verwundet, ein Oberst, Tiburtius Sebastiani, kommandirt sie. Während der letzten Momente dieses Kampfes war auch Jürgaß aus Wagnelée vorgerückt , um die Division in Flanke und Rücken anzugreifen , hatte aber keinen Erfolg errungen , denn Vandamme, der ein derartiges Ma= növer kommen sah, hatte eine Brigade der Division Habert mit 1 Batterie Wagnelée gegenüber aufgestellt.
154 Diese Brigade stand im Haken links an Girard anstoßend, zahlreiche Blänker vor sich im hohen Getraide verborgen, die Division Domon auf dem linken Flügel. Jürgaß war, wie es scheinen will , vorgerückt , ohne seinen Weg recht aufzuklären. Seine Infanterie-Kolonne stieß unvermuthet auf unsere Blänker und ward von diesen mit einem so mörderischen Feuer heimgesucht, daß sie sich auflöste und durch Wagnelée zurückfloh. Nur mit großer Mühe konnte Jürgaß unter dem Schuße dreier Bataillone und einer Batterie , die Wagnelée noch nicht verlassen hatten , einen Theil der Flüchtigen sammeln , die mit Hilfe der beiden Reiter - Brigaden , die zwischen da und la Haye standen , die Unsrigen an dem weiteren Verfolg ihres Vortheils hindern . Seine dritte Reiter-Brigade ward von der Division Domon in Schach gehalten. Es war etwa um 5 oder 54 Uhr . Alle die blutigen Anstrengungen hatten Vandamme nicht weiter gebracht als in den Besitz von St. Amand und von dem Schloffe ; aber er konnte von da aus nicht weiter vor und hielt sich in le Hameau. Er verwendete auch die andere Brigade der Division Habert, um sich vor Wagnelée zu halten ; alle Geschüße ſtanden im Feuer; er hatte kein Bataillon und kein Geschütz mehr in Reserve. Auf der ganzen Linie dieſes Flügels wüthete das hef= tigste Feuer. Nur mit Hilfe von Verstärkungen ließ sich ein weiteres Vordringen Vandamme's erhoffen. Napoleon fandte ihm die Division Subervie vom Pajol'schen Korps und 1 Batterie der Garde zu, um die Diviſion Domon gegen Wagnelée hin zu unterstützen , wo die feindliche Reiterei sich zu verstärken schien ; Das reichte aber nicht aus. Vandamme brauchte Infanterie und verlangte deren mit vollem Rechte. Blücher ließ die Division Steinmetz jetzt aus der Gefechtslinie zurückgehen und zwischen der Windmühle von Bussy und Sombreffe in die Reserve rücken, um sie wieder zu formiren ; von 9000 Mann waren ihr 2350 Mann
155 todt und verwundet *). Auch 3 Bataillone von Jagow, die eben so hart mitgenommen waren , wurden hinter Ligny zum Gros der Division zurückgezogen . Dafür rückten theils nach St. Amand zu , theils weiter links gegen Ligny hin die Division Krafft vom Birch'schen Korps und an die Windmühle von Bussy die Division Langen mit 9 Bataillonen von demselben Korps, beide von Sombreffe hergekommen. Auch bei les trois Burettes war die Division Braune (vom Pirch'schen Korps) an die Stelle von der Division Tippelskirch gerückt, welche lettere, wie wir erwähnt, von Jürgaß bei Wagnelée zu der so gut parirten OffensivUnternehmung verwendet worden war ; vom äußersten lin= ken Flügel ward die Reiter-Brigade Marwitz (vom Thielemann'schen Korps) zur Verstärkung von Jürgaß hervorgezogen. Nach deren Ankunft hatte Jürgaß gegen 5000 Pferde. Der Angriff im Zentrum auf Ligny hatte etwa Stunde später als der auf St. Amand begonnen . Gérard befehligte hier und es wäre kein besserer Führer zu finden gewesen. Das vierte Korps zählte Alles in Allem nur 16,000 Mann. Gérard hatte die Division Hulot **) rechts gerückt, gegenüber der südlichen Umbiegung des Ligny-Baches, eben so auch seine Reiter - Division Maurin; er hatte also zu dem Kampfe um Ligny nur noch die beiden Divisionen Bichern und Pécheur , kaum 10,000 Mann. Das Dorf war, wie erwähnt, von 4 Bataillonen. besetzt, denen 6 andere zur unmittelbaren Reserve standen. Sie gehörten zu den Divisionen Jagow und Henkel, vom Ziethen'schen Korps, und zählten zusammen nur
*) Recueil etc. p . Wagner. **) Früher Bourmont. Hulot war nur Maréchal de Camp, hatte aber als der älteste Brigadier nach der Desertion seines Chefs das Kommando der Division übernommen.
156 www zwischen 8 und 9000 Mann , hatten aber alle Vortheile des Terrains für sich. Seit dem Morgen hatten sie das Dorf in Vertheidigungsstand gesetzt; die Eingänge der Straßen barrikadirt, die Lücken und Eingänge der Umfaffungen ausgefüllt, die Mauern und die Häuser krenelirt, namentlich aber das Schloß von Ligny , auf dem äußersten rechten Flügel am Ende des Dorfes gelegen , sorgfältig eingerichtet. Je 16 Geschüße standen ober- und unterhalb des Dorfes. Gérard eröffnete sein Feuer mit 24 Geschüßen und bereitete den Angriff vor. Er ward mit drei Kolonnen unternommen , die mit Staffeln kurz auf einander vorgingen , die erste auf den linken Flügel, die zweite auf die Mitte , die dritte auf den rechten Flügel des Dorfes , gegen das Schloß *). eval Wie in St. Amand, so erwarteten die Preußen auch hier ihre Angreifer ſchweigſam und kaltblütig , während diese unter Musik und Trommelſchlag vorrückten und ihre lebhaften Rufe kaum vom Donner der Geschütze übertönt wurden. In Schußweite angekommen , erhielten wir ein mörderisches Feuer, das anfangs den Marsch verzögerte, und die Kolonnen zum Stocken brachte. Aber das Stocken war von kaum bemerkbarer Dauer ; die Kolonnen traten wieder an und rückten ihren Gegnern , die hinter Hecken, Gräben, frenelirten Mauern und, Barrikaden standen, muthig auf den Leib. Das flankirende Geschützfeuer ward nicht beachtet ,, und so kam man an die ersten Umfassungen . Da wurden der Widerstand und das Feuer aber so heftig, daß die Kolonnen zum Rückgehen gezwungen waren. Zwei Mal ward der Angriff erneuert mit demselben unglücklichen Erfolge. Erst der vierte Sturm gelang und brachte die Gärten und Obstplantagen vor dem Dorfe in unsere Hände. Die Preußen sammelten aber rasch und von einem Theile ihrer Reserven unterstützt , führten sie einen
*) Existirt nicht mehr.
157 fräftigen Gegenangriff aus , der nach einem mörderischen Nahgefecht das Verlorene wieder in ihre Hände brachte. lol Schon sind die beiderseitigen Verluſte anſehnlich . Un= sere Granaten haben mehrfach gezündet ; auch das Schloß brennt. Gérard verstärkte nun seine Kolonnen. Ein neuer Angriff erfolgt. Der Feind wartet ihn festen Fußes ab, muß jedoch endlich dem französischen Ungestüm weichen. Die Gärten zc. werden aufs Neue genommen, die Eingänge der Straßen bewältigt , die Generale Vichert und Bécheur dringen bis in die Mitte des Dorfes , bis an den Bach und überschreiten ihn. Das Schloß und eine benachbarte Häuſergruppe werden aber noch gehalten. Jagow seßt sich an die Spitze der beiden lezten Reserve-Bataillone , nimmt noch eins , das ihm Blücher von der Division Krafft gesendet und dringt gerade auf der großen Straße von Ligny vor, wirft die Franzosen über den Bach zurück und überschreitet ihn seinerseits. In dem Dorfe entſpinnt sich nun einer jener Kämpfe , von denen die Geschichte nur selten erzählen kann. Preußen und Franzosen sind im heftigsten Handgemenge ; jeder theilt den Tod aus, keiner denkt an Schonung. Die Offiziere greifen zum Gewehr. Nicht Ein Kampf, tausend Kämpfe werden gefochten. Jede Straße, jedes Haus , jede Umfaffung wird mit Wuth angegriffen und vertheidigt. Auf den Fluren und Treppen , in den Stuben und Ställen vernichteten die Kämpfer sich mit Kugel, Bajonnet und Kolben ; sie verfolgen sich mitten in die Flammen hinein, die aller Orten emporlodern ; die Tapferkeit ist bis zur Tollwuth gesteigert. Ein ausländischer Schriftsteller hat gesagt : Die Menschen griffen einander mit der ganzen Wuth des persönlichen Haffes an; es schien, als ob Jeder in seinem Gegner gerade seinen Todfeind gefunden hätte und sich des Augenblickes freue , der ihm die Gelegenheit der Rache darbietet. Es kann nicht treffender geschildert werden.
158 Gérard muß natürlich bald auch seine letzten Reſerven auf diese Schlachtbank werfen . Sie greifen mit einer unbeschreibbaren Kampflust ein. Aber doch reicht auch diese Verstärkung nicht aus. Blücher beordert noch 2 Bataillone der Division Henkel nach Ligny , die bis daher an der Windmühle von Bussy verblieben waren. Angriff und Vertheidigung dauern mit gleicher Wuth fort. Nach und nach hat sich der Kampf um das Bett des Baches ausgedehnt, auf der einen Seite bis gegen St. Amand, auf der andern bis gegen den Pachthof Potriaux. Um 54 traf Gourgaud, der den Bewegungen Gérard's beigewohnt hatte, wieder bei Napoleon ein , der vorwärts Fleurus verweilte , und meldete ihm, daß in Ligny noch immer nichts entschieden sei *). Auf dem rechten Flügel, wo Grouchy befehligte, hatte die Schlacht einen ganz verschiedenen Charakter. Der Marschall hatte hier die Infanterie-Division Hulot und die leichte Reiter - Diviſion Maurin , vom Gérardschen Korps, dann die Korps von Pajol und Excelmans, leichte Reiterei und Dragoner. Er hatte sich, wie schon erwähnt , von Gérard aus nach rückwärts hin aufgestellt ; sein linker Flügel ward von den Gérard'schen Divisionen gebildet und stand der südlichen Umbiegung des Lignybaches gegenüber. 'Vor ihm standen die 4 Infanterie - Divisionen und die Reiterei des Thielemann'schen Korps , wie wir sie schon aufgeführt , die Division Borde seitwärts Sombreffe, Stülpnagel bei Point du jour, Luck auf der Höhe über der Chauffeebrücke , Kemphen seitwärts von Longrinne, die Reservereiterei zwiſchen Tongrinne und der Straße. Gegen 4 Uhr kamen die Blänker Hulot's mit denen der Preußen an dem Knie des Baches, in's Gefecht. Aber 14 Stunde später war hier noch nichts geschehen, *) Camp. de 1815 par Gourgaud.
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159 außer daß Tongrinelle von den Preußen verloren und wieder genommen worden war , und daß ſie Boignée und Balâtre hatten aufgeben müſſen. Napoleon zog darauf die Reiter-Division Subervie von Grouchh zu Vandamme und Blücher die ReserveReiter-Brigade dieses Korps , Marwiß gegen Wagnelée ; es wurden ferner die Division Langen (vom Korps Pirch I.) nach der Windmühle von Buffy, und die Division Stülpnagel (vom Korps Thielemann) zu deren Ersatz nach Sombreffe beordert , während Borde von der Seite von Sombreffe her zwischen dieses Dorf und das Knie des Lignybaches vorrückte. Der Kampf ward auf dem linken Flügel bis gegen die letzten Momente der Schlacht nur matt fortgesetzt. Unsere ganzen Bewegungen auf dieser Seite hatten weiter feinen Zweck, als Blücher zu vermögen , starke Truppenkörper hier, wo der Hauptschlag nicht stattfinden sollte, stehen zu laſſen. Der preußische Feldherr, wohl etwas zu beſorgt für das Festhalten der Chauſſee nach Namur, ging darum auf unsere Demonstrationen ein. — Um 54 Uhr stand also die Schlacht folgendermaaßen : Auf unserem linken Flügel waren das ganze Korps Vandamme's und die Division Girard im Gefecht und hielten sich in St. Amand und le Hameau. Im Zentrum kämpfte Gérard mit 2 seiner Divisionen um Ligny. Auf dem rechten Flügel hatte Grouchh die Dörfer Boignée und Balâtre und demonstrirte mit einigen Abtheilungen gegen Thielemann. Napoleon hatte also etwa 36 oder 37,000 Mann engagirt. Von preußischer Seite fochten in ihrem Zentrum die gesammte Infanterie des Ziethen'schen Korps , dann 14 Infanterie- und die Reiter- Division vom Korps Birch I.; auf ihrem linken Flügel verwendete Thielemann einige Bataillone gegen die Grouchy'schen Demon-
160 strationen. Das waren im Ganzen 46-47,000 Mann · US TRAN im Gefecht. She Napoleons Reserven zählten also noch gegen 40,000 Mann, wenn man das Lobau'sche Korps, das eben herankam, mitzählt ; die Blücher's waren von gleicher Stärke. Blücher mußte jetzt auch wissen, daß auf Bülow's Eintreffen nicht mehr zu zählen war. An dem kraftvollen Widerstande der bei St. Amand und in Ligny geleistet wurde , erkannte Napoleon sehr rasch , daß es sich nicht um ein feindliches Armeekorps , wie er Nachmittags 2 Uhr an Neh geschrieben, sondern wenigstens um den größten Theil der preußischen Armee handle ; er hatte nun auch verstanden, warum sie festhielt und warum sie ihren rechten Flügel in der Luft stehen ließ: sie erwartete die Mitwirkung der Engländer.
Er ließ deshalb anderweit durch den Majorgeneral an Ney schreiben : Vorwärts Fleurus, 16. Juni, 34 Uhr Nachm. ,,Herr Marschall ! Vor einer Stunde schrieb ich Ihnen, daß der Kaiser den Feind in seiner Stellung zwischen St. Amand und Brye angreifen lassen werde. Jezt ist das Gefecht sehr heftig ; Se. Majestät befiehlt mir, Ihnen zu sagen , daß Sie sofort derart operiren sollen, daß der rechte Flügel des Feindes umfaßt werde und Sie mit aller Gewalt auf seinen Rücken stoßen ; wenn Sie kräftig handeln , ist diese Armee verloren; das Schicksal Frankreichs ruht in Ihren Händen. Zögern Sie also keinen Augenblick mit den Bewegungen , welche der Kaiser Ihnen befiehlt und rücken Sie gegen die Höhen von Brhe und St. Amand, um an einem Siege Theil zu nehmen, der vielleicht entscheidend wird . Der Feind ist mitten in seinen Bewegungen zur Vereinigung mit den Engländern überrascht worden ." Der ursprüngliche Plan Napoleons wuchs in überraschender Weise mit der richtigeren Erkenntniß der
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Zwischen 8 und 9 Uhr verlangte er von Sachlage. Ney eine Infanterie-Division ,,,um sie, im Bedarfs = falle , an sich nach Sombreffe heranziehen zu können ; " um 2 Uhr befiehlt er ihm, „ Alles vor sich niederzuwerfen und sich nachher zu wenden , um bei der Einschließ= ung eines Truppenkorps , das zwischen Sombreffe und Brye stehe , mitzuwirken " und um 34 Uhr drängt er ihn, herbeizukommen, um die Niederlage einer Armee sicher zu stellen und an einem vielleicht ent = scheidenden Siege Theil zu nehmen.“ Eine sehr richtige und schöne Kombination , welche viel und mit Recht bewundert worden ist, deren Gelingen aber nicht vom Marschall Ney allein abhing , wie Napoleon glaubte, wie er es dann niedergeschrieben und wie man es auf seinen Ausspruch hin nur zu oft wiederholt hat. Der Zufall hat ihm indeſſen ein Mittel geboten, diesen seinen Irrthum auszugleichen. Gegen fünf ein halb Uhr rückte , wie wir erwähnt, die leichte Reiter - Division Subervie vom rechten nach dem linken Flügel und Lobau näherte sich dem Kampfplate. Napoleon entsandte die Diviſion der jungen Garde und eine der Jäger =- Brigaden der alten Garde gegen la Haye, er selbst ging mit dem Reste der alten Garde gegen Ligny vor , um dort das Zentrum der Preußen zu zertrümmern, als Vandamme ihm meldete, „ daß etwa 1 Stunde von seinem linken Flügel eine feindliche Kolonne aus den Gehölzen debouchire und uns umginge, indem sie die Richtung nach Fleurus einzuschlagen schiene." *) Irrte sich da Vandamme nicht? War das nicht vielmehr eine Kolonne von Ney , die nur, anstatt über Marbais, jest gegen Fleurus vorrückte ?
*) Campagne de 1815 par Gourgaud . Charras, Waterloo.
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162 Oder war es wirklich eine Umgehungskolonne , die bisher sich verborgen gehalten hatte , war sie von Blücher entsendet , oder war es etwa schon ein Theil der Darüber mußte englisch-holländischen Armee? erst Sicherheit herrschen , ehe man frische Kräfte in die Schlacht werfen durfte. Das Vorrücken der Reserven wurde aufgehalten und ein Adjutant entsendet , um so rasch als möglich die Natur der zweifelhaften Kolonne aufzuklären . Vandamme und Gérard erhielten Befehl , sich, wenn irgend möglich, mit ihren eigenen Kräften auf dem bis jezt errungenen Terrain zu behaupten. Um ihnen jedoch für den äußersten Fall wieder eine Reserve zu geben, rückte Napoleon die junge Garde und eine Jägerbrigade der alten Garde bis in die Höhe von St. Amand und die andere Jägerbrigade halbwegs nach Ligny vor. Drei Batterien der Garde verstärkten das Feuer gegen das preußische Zentrum und Ligny. Die Schlacht wüthete auf dem linken Flügel und in der Mitte fort. Vandamme versuchte umsonst, aus St. Amand zu debouchiren ; er hielt auch le Hamean , konnte aber la Hahe nicht wieder nehmen. Artillerie und Gewehrfeuer rollten ununterbrochen auf seiner Schlachtlinie. Jürgaß erhielt Befehl, fein Vorgehen gegen den linten Flügel Vandamme's zu erneuern, nachdem er die bei dem ersten Vorrücken aus Wagnelée zersprengten Ba= taillone gesammelt und wieder in Haltung gebracht hatte. Ein Ausfall aus la Hahe sollte ihn unterſtüßen und die Reiterbrigade nebst der eben eintreffenden Marwitz'schen Reiterei (vom Thielemann'schen Korps) den rechten Flügel decken. Die Bewegung wird mit Nachdruck ausgeführt und von Erfolg begleitet. Die Division Habert , die noch immer im Haken an der Diviſion Girard ſteht , weicht; le Hameau, obschon auf's Aeußerste vertheidigt, wird von 2 Bataillonen der Division Tippelskirch genommen , die
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163 Blücher, den Säbel in der Faust, selber vorführt ; die Division Tippelskirch marschirt vorwärts le Hameau auf und Pirch II. debouchirt aus la Haye. Die Gefechtslinie Vandamme's ist im Weichen. Die Absichten Blücher's treten nach und nach klarer hervor. Er will den französischen linken Flügel umfassen und zurückwerfen, dann sein Vordringen gegen die Chaussee von Namur nach Charleroy richten, sie nehmen und Napoleon in die Defileen der Sambre werfen . Diese Absichten mußten, wurden sie durchgeführt , von vernichtender Entscheidung werden, und war nicht vielleicht das Korps , von dem Vandamme sprach , ein englisches Korps, mit dessen Hilfe sie durchgeführt werden sollten ? Gérard sette seinen blutigen Kampf um Ligny fort ; einige Strecken von Straßen, einige Häuser wurden ge= nommen, gingen verloren, wurden wieder genommen ; der Kampf blieb in dem Charakter von höchster Wuth, den er angenommen hatte. Gérard nuzte auf diese Weise die feindlichen Kräfte ab. Blücher hat die Division Henckel aus dem Feuer gezogen *) ; sie war erschöpft ; er hat sie durch die eine Hälfte der Division Krafft ersetzt , deren andere Hälfte vor St. Amand steht. Gérard dagegen hat keine andere Unterstützung erhalten, als die 3 Batterien der Garde, die sein Feuer verstärkten. Er hat immer nur die Divisionen Bichery und Picheur, die ermüdet und hart getroffen sind von den Verlusten ; aber Gérard und seine Generale verdoppeln ihre Anstrengungen und so energisch die Vertheidigung , so energisch ist auch der Angriff. Offiziere und Soldaten zeigen sich solcher Führer werth. Seit einigen Augenblicken rückt Birch I. Artillerie-
*) Nach Damitz hatte die Division von 4721 Mann 2500 verloren. Damit hat die von dem damaligen preußischen Generalquartiermeister v. Grolmann hinterlassenen Dokumente benutzt. 11*
164 Reſerve bei Wagnelée, la Haye und Ligny in die Ge= fechtslinie vor und verstärkt mit ihrem Feuer das der Ziethen'schen Batterien, die schon länger im Feuer stehen ; die Zugänge zu den Dörfern und zu dem Bache werden mit Geschossen überschüttet. Auf dem rechten Flügel der Franzosen seßte Grouchh Mit der Division Hulot ſeine Demonstrationen fort. und seiner Reiterei beschäftigte er Thielemann , der doch nach und nach die Divisionen Kemphen und Luck gegen ihn in's Gefecht gebracht hat und die Strecke von dem Bachthofe Potiaur bis Tongrinelle und weiter hinab, einnimmt. Blücher sorgt sich immer noch für die Namurer Straße. Es ist 64 Uhr. Der von Napoleon zur Rekognoszirung der anrückenden Kolonne entsendete Adjutant kehrte jezt zurück. *) Vandamme hatte sich geirrt; die Kolonne bestand weder aus Engländern noch aus Preußen ; es war das französische erste Armeekorps, Erlon ; der Adjutant hat es kaum 1 Stunde von St. Amand getroffen. Es braucht nur befohlen zu werden und in einer Stunde rücken 20,000 Mann aller Waffen über Wag= nelée gegen Brye vor , greifen Blücher's rechten Flügel und Zentrum von rückwärts her an, während Vandamme und Gérard , durch alle Reſerven verstärkt, die Front beſtürmen. Der Plan , den Napoleon gefaßt hat, ist verwirklicht und von der preußischen Armee werden nicht 20,000 Mann davon kommen . Aber Napoleon befiehlt es nicht , und Erlon wird.
nicht herbeigerufen. Dagegen wird die Bewegung, die durch Vandamme's irrige Meldung unterbrochen wurde, auf's Neue ange= treten.
*) Mém . de Napoléon.
Th. 9.
165 Die Division der jungen Garde und die Jäger-Brigade der alten Garde, die schon bei St. Amand eingetroffen , werden an Vandamme's Befehle verwiesen und Napoleon selbst rückt nähern sich seinem Gefechtsfelde. mit den Grenadieren , der Reiterei und Artillerie der Garde und den Milhaud'schen Kürassieren gegen Ligny vor. Das Lobau'sche Korps, vor wenig Augenblicken vollständig eingetroffen , soll rechts von Fleurus an der Straße stehen bleiben. Bei la Haye wird das Auftreten der Garde, die mit fliegenden Fahnen, Musik und Trommelschlag heranfommt, von den Soldaten Vandamme's mit lauten Zurufen begrüßt. Sie waren durch den Verlust von le Hameau er= schhüttert und wichen zurück. Jetzt gewinnen sie wieder Haltung und führen das Gefecht stehend weiter. Vandamme läßt die Jägerbrigade als allgemeine Reserve stehen und dirigirt die junge Garde (8 Ba= taillone) gegen Jürgaß. Ihr heftiger Angriff drängt die Preußen zurück. Le Hameau wird wieder genommen. Duhesme dringt bis Wagnelée. Die Division Girard, jetzt vom Obersten Sebastiani befehligt , greift Birch II. an und . wirft ihn nach la Haye zurück. Die Reiterei der Preußen wird , troß ihrer Ueberlegenheit, von den Divisionen Domont und Subervie, die vom rechten Flügel her eintrifft, in Schach gehalten. Das Terrain bis zum Bach ist genommen. Blücher, der den letzten Angriff kommen sah, hatte die Division Brause von les trois Burettes herangezogen. Jürgaß nimmt 5 Bataillone derselben , die hinter Wagnelée eingetroffen waren und führt sie in die Linie; Blücher nimmt die 4 andern und führt sie nach la Haye. Das Eingreifen von 6000 Mann frischer Truppen
166 brach die Heftigkeit des Angriffs ; darauf drangen die Preußen allmählig wieder vor und zwar bis le Hameau. Blücher befahl darauf, die Division Tippelskirch , die ihres Bestandes verloren *), aus dem Gefecht zu ziehen. Fast um dieselbe Zeit zog Vandamme auch die tapfere Diviſion Girard aus dem Gefecht, die durch den langen und heftigen Kampf noch mehr gelitten hatte und durch die außerordentliche Hiße und die Besiegung der Terrainschwierigkeiten sehr ermattet war. Ligny war in dieser ganzen Zeit immer noch der Schauplatz eines fortgesetzten Mordens. Blücher hat noch 5 Bataillone der Division Langen (Pirch I. Korps) hineingeworfen und mit Hilfe dieſer neuen Verstärkung haben sich seine tapfern Soldaten in einem großen Theile gehalten und das Schloß troß der Feuersbrunſt behauptet. Gérard kann nichts weiter thun ; die mensch= liche Natur hat ihre Grenzen. Auf unserem rechten Flügel ist Thielemann endlich aus seiner langen Uneutſchloſſenheit herausgetreten und hat die Reiterbrigade Lottum auf der Chauffee von Fleurus vorgehen lassen , unterstützt durch einige Bataillone und 2 Batterien. Plötzlich werden die Preußen von der Brigade Burthe (Korps Errelmans) mit Entſchloſſenheit und glänzendem Erfolge angegriffen ; 6 Ge= fchüße fallen in die Hände unserer siegreichen Dragoner. In Folge dieses kräftigen Angriffs entspinnt sich der Kampf in der Gegend der füdlichen Umbiegung des Lignybaches mit größerer Heftigkeit , besonders bei dem Meierhofe Potriaux und der Chauffeebrücke. Ein Theil der Division Borcke ist im Gefecht gegen die Division Hulot, die Wunder der Tapferkeit thut. Es ist 7 Uhr geworden : die Schlacht ist bis jezt noch immer unentschieden.
* ,,Sie hatte 1891 Mann verloren.“
Damit.
167 Napoleon hatte zur Zeit noch die Hälfte der Infanterie der Garde, die Division Guyot (Grenadiere zu Pferde und Garde- Dragoner), die Kürassiere Milhaud's und das Korps Lobau intakt und zur Verfügung, d. h. 24,000 Mann oder etwa seiner Armee. Blücher da= gegen hatte nach und nach der seinigen in's Gefecht gebracht. Aber drei seiner Divisionen hatte er wieder herausgezogen, und obwohl sie sehr ermüdet und zusam= mengeschmolzen waren, konnten sie doch noch einige Hilfe geben . Er hatte so eben erfahren, daß er auch auf die eng= lische Hilfe nicht weiter zählen dürfe, da Wellington selbst, nach seinen letzten Mittheilungen, bei Quatrebras im heftigsten Gefechte stehe. Aber, weit entfernt, dadurch in seinen Entschlüssen erschüttert zu werden , blieb er voller Vertrauen. Er glaubte, daß der Augenblick gekommen sei, durch eine letzte Anstrengung den Gewinn des Tages zu sichern und beschloß, den Schlag gegen den linken Flügel der Franzosen zu führen, ihn zu umfaffen , zu zertrümmern und gegen die Chaussee von Fleurus vorzustoßen. Was er mit Hilfe der englischholländischen Armee beabsichtigt, wollte er nun, wo ihn Wellington im Stiche gelassen, mit eigenen Kräften ausführen. Drei Bataillone der Division Langen (Korps Pirc) I.), die noch nicht gefochten haben, werden auf la Haye vorgeschoben ; zwei von der Division Steinmetz, die im Anfange des Kampfes so harte Verluste erlitten und die Division Tippelskirchh, der ebenfalls übel mitgespielt worden, und die kaum Zeit gehabt , ihre Taschen wieder zu füllen, erhalten Befehl, in die Linie zu rücken. Der alte Feldmarschall galoppirt an seinen Kolonnen hinunter und feuert seine Truppen mit Worten und Geberden an ; er verspricht ihnen den Sieg als Preis einer lezten großen Anstrengung ; Brause und Pirch II., die noch immer gegen Duhesme und Habert fechten, müssen vorwärts ; die preußische Gefechtslinie dehnt sich
168 weiter und weiter rechts von le Hameau aus und droht Vandamme's Linke zu umfassen ; Jürgaß mit der Reiterei deckt die Bewegung. Duhesme und Habert geben dem Angriffe nach. Aber die Brigade der alten Garde, Jäger zu Fuß, kom = men zur Unterstützung; die glorreichen Trümmer der Division Girard kehren in's Gefecht zurück; Domon und Subervie halten die preußischen Schwadronen auf; da= durch wird Blücher's neuer Angriff aufgehalten. Der Kampf zwischen St. Amand und la Hahe, zwischen da und le Hameau und weiter hin entbrennt in höchster Wuth. So bleibt das Gefecht stehen. Blücher ist außer sich über den Aufenthalt, den seine Truppen finden ; er vervielfältigt sich und fordert sie auf, vorwärts zu gehen. vergebens ! Plöglich sprengt er von dannen , so rasch sein Pferd ihn tragen kann. Er hat Meldung erhalten , daß seine Gegenwart anderwärts dringend erfordert wird. Die Reserven unter Napoleons eigenen Befehlen hatten mittlerweile ihren Marsch fortgesetzt und einen wuchtigen Schlag geführt. Als sie in der Höhe von Ligny , in dem Gérard noch immer focht , angekommen waren, ordnete Napoleon den Angriff an. Die Artillerie protte sofort gegen die preußischen Batterien ab ; die Bataillone der alten Garde schlossen sich vor dem Dorfe auf, die Reiterei hinter ihnen, bereit den Weg zu benutzen, den sie öffnen würden. Sie sollten Ligny nehmen und dann auf das Plateau von Bussy rücken , den Schlüssel des Schlachtfeldes. Nachdem man der Artillerie einige Augenblicke gegönnt hatte, um ihr Feuer wirken zu lassen , *) hatte der An-
*) Während des kurzen Haltes der Garden vor Ligny hatte der General Roguet , zweiter Oberst der Grenadiere zu Fuß, die Offiziere und Unteroffiziere zuſammen genommen und ihnen
169 griff begonnen. Der furchtbare Phalanx rückte an Na= poleon vorüber, der ihm mitten durch Pulverdampf und Rauch hindurch das Ziel ihres Angriffs zeigte. Trunfen von Enthusiasmus und Kampfwuth stießen die Soldaten die Rufe aus : „ Es lebe der Kaiser feinen Bardon! " und stürmten auf Ligny . Weder der verzweifelte Widerstand der Preußen, noch das Kreuzfeuer ihrer Batterien, noch die brennenden Häuser, noch die Leichenhaufen, die die Straßen sperrten, konnten diesen Stoß aufhalten. Eben verschwand die Sonne hinter dicken , gewitter= schweren Wolkenhaufen am Horizonte , als ihre Spite auf der andern Seite von Ligny debouchirte , vorauf Schwärme von Gérard's tapferen Soldaten . * ) In dieſem kritischen Momente war das preußische Zentrum geschwächt ; die Truppen , die kürzlich gegen la Haye abgerückt waren und der Rest der Division Steinmetz , die, wie man ſagt , mißverständlich gegen den Bachthof Potriaux entfendet worden , waren von da ent= nommen. Stülpnagel und Borcke blieben sehr zur_Unzeit, der eine bei Sombreffe, der andere gegen Potriaux, und jeder hatte 2 Bataillone an den Bach , gegen die Chauffeebrücke hin, geschoben. Es standen also der Garde bei Ligny nur noch 1 Bataillon von Langen, die Reste der Division Henckel und die Reiterei des Zlethen'schen Korps gegenüber. Nach dem Verlassen des Dorfes hielten die Bataillone der Garde und die Gérard's , um sich wieder zu
zugerufen: Verkündigen Sie den Grenadieren , daß ich den Ersten , der mir einen gefangenen Preußen bringt , erschießen laffe." Rohe Worte, denen zwei Tage später eine eben so rohe Vergeltung folgen sollte. *) ,,Die Armee debouchirt ſo eben aus dem Dorfe, um den Feind zu verfolgen." -- Schreiben des Major- General Soult an Joseph Bonaparte, d. d . 16. Juni, Abends 81 Uhr, hinter Ligny.
170 formiren , ehe sie das Plateau erstiegen, wo auch die aus Ligny geworfenen Preußen sich rasch sammelten. Jezt traf Blücher , von la Haye herbeigerufen , in seinem Zentrum ein. Der Anblick der gewaltigen Gefahr brach seinen Muth nicht. Seine Gegenwart giebt vor Allem den erschütterten Truppen das Selbstvertrauen wieder. Sie stellen die OrdIhre Bataillone und Batterien krönen das nung her. Plateau; die Reiterei ist bereit zur Unterstüßung. Die französische Infanterie ist wieder angetreten. Die Preußen warten den Angriff ab und sobald sie in ihren Bereich kommt , bricht ein heftiges Feuer aus ihren Batterien und bald darauf auch das Gewehrfeuer los ; 4 Schwadronen Ulanen unter Oberst Lützow reiten. auf ihre Flanke los . Aber der kede Anfall wurde durch ein Bataillon der Garde, im Karré formirt, abgewiesen ; der vierte Theil der Ulanen fällt unter dessen Feuer und Lützow, der feurige Patriot, der unerschrockene Partheigänger von 1813 stürzt mit seinem getroffenen Pferde und wird gefangen. Acht frische Schwadronen erneuern den Angriff. Aber sie stoßen auf die KürassierDivision Delort, vom Milhaud'schen Korps, werden zu= ſammengehauen und geworfen . Die Reiterei Milhaud's, gefolgt von den Grenadieren und Dragonern der Garde, verkündete dadurch ihr Eintreffen auf dem neuen Kampfplate. Noch andere Angriffe folgen ; das Glück wechselt, aber im Ganzen können diese Anstrengungen der Ziethen'schen Reiterei so wenig als das Geschütz und Gewehrfener den Marsch der Franzosen aufhalten , obwohl sie das Vorrücken ermäßigen. Bei einem dieser letzten Versuche, das Schicksal bes Tages aufzuhalten , wird dem unbeugsamen Blücher das Er stürzt und bleibt unter seinem Pferd erschossen. Pferde liegen. Unsere Kürassiere jagen vorüber , ohne ihn zu bemerken . Nur durch den Muth des Rittmeister
171 v. Nostit , *) seines Adjutanten , und durch die Rückkehr seiner Schwadronen , welche die Kürassiere wieder gewor= sen, konnte er gerettet werden. Endlich gelangen die Franzosen zur Windmühle von Buffy; nach einem harten Kampfe, bei dem preußische Kolonnen theils mit dem Bajonnet , theils durch die Grenadiere und Dragoner der Garde und die Küraſfiere zersprengt wurden, blieben sie Herren des Plateaus. Mit dem Sinken des Tages , das durch die den Himmel bedeckenden Wolken und die beginnenden Gewitterregen noch beschleunigt wird , zieht sich das preußische Zentrum in Unordnung auf Brhe, auf der Chauſſee Die Nievon Nivelles und gegen Sombreffe zurück. derlage des Zentrums beschleunigt auch den Rückzug der beiden Flügel , der mit dem Verluste von Ligny und dem Vorrücken gegen das Plateau begonnen. Die Division Vichery hatte bei ihrem Heraustreten ans Ligny sich rechts gewendet , gegen Sombreffe und war dabei von der Küraffierdivision Wathier des MilSteinmetz und haud'schen Korps unterstützt worden. Stülpnagel waren gerade im Marsche nach dem Plateau von Bussy ; Vichery zersprengte den ersteren und drängte den zweiten gegen Sombreffe ;**) der Kampf war äußerst lebhaft , aber kurz . Um dieselbe Zeit hatte Hulot auch Potriaux, die Chausseebrücke und die anstoßenden Häuser genommen und dadurch der Reiterei den Weg geöffnet. Dieſe ging sofort vorwärts , die Diviſion Maurin (vom Gérard'schen Korps) an der Spitze und drängte Alles zurück ; aber sie mußte diesseits le Point du jour halten, weil daselbst die Diviſionen Borcke, Luck und_Kem =
*) Der Adjutant v. Nostig blieb , als er seinen General stürzen sah , bei ihm ; als dann die preußischen Schwadronen wieder kamen, rief er nach Hilfe. Blücher war heftig gequetscht und vom Sturze noch betäubt ; er ward auf ein Unteroffizierpferd gesetzt und hinter Brye zurück gebracht. **) ,,Stülpnagel hatte 850 Mann kampsunfähig.“ - Damiş.
172 In einem der letzten phen sich zusammenschlossen. Angriffe war der tapfere Maurin schwer verwundet worden. Gegen 94 Uhr rückte das Lobau'sche Korps durch Ligny vor und nahm zwischen Brye und Sombreffe die vorderste Linie ein. Eine kurze Zeit hörte man noch ihr Blänkerfeuer gegen einzelne preußische Abtheilungen, die ihre Korps aufsuchten ; auch die Reiterei hatte hier und da noch einige kleinere Gefechte; aber da Napoleon eine nächtliche Verfolgung nicht wagen wollte, hörte bald Alles auf und die französische Armee bezog ihre Bi= vouaks . Vandamme nahm die feinigen vorwärts St. Amand, la Haye und Wagnelée; Lobau auf dem Plateau von Bussy ; Gérard rechts von ihm , die Garden und Kürassiere in zweiter Linie ; Grouchy mit der Division Hulot bei Potriaux und an dem Knie des Lignybaches. In dem leßten Grauen des Tages waren die Diviſion Durutte und fast die ganze Reiter-Diviſion Jacqui= not , vom Erlon'schen Korps entsendet, bei Wagnelée eingetroffen und blieben daselbst. Die Preußen hielten eine starke Arrieregarde in Brhe; die Korps von Ziethen und Pirch I. gingen auf Tilly zurück, Thielemann hielt Sombreffe und stand zwi= schen da und le Point du jour. Diese Anordnungen rührten vom Chef des Preußischen Generalstabes her, General Gneisenau , der sie ertheilt hatte , als man den kommandirenden General todt oder gefangen glaubte. Sie fanden Seiten der Franzosen so wenig Widerstand , daß die Divisionen Steinmetz und Henckel, die zum größten Theil auf Sombreffe zurückgeworfen worden waren , zur Vereinigung mit ihren Korps die Chauffee von Nivelles benutzen konnten. Und doch ist diese Chauffee von der Windmühle von Bussy kaum 1000 Metres entfernt. Um 11 Uhr kehrte Napoleon nach Fleurus zurück, wohin er sein Hauptquartier verlegte.
173
Er hatte die preußische Armee geschlagen. Der Feldzug hatte mit einem Siege begonnen. Es war aber ein Sieg, der nur 25 oder 30 Geſchüße und einige tausend Verwundete in unsern Händen ließ. Von beiden Seiten waren die Verluste groß. Die preußischen Geschichtsschreiber setzen diejenigen Blüchers auf 11 bis 12,000 Mann an. Aber ihre Angaben sind zu niedrig ; man findet den Beweis davon in ihren eigenen Berichten und kann sie ohne Uebertreibung auf 18,000 Mann erhöhen . *) In seinem Bülletin sagte Napoleon : Der Verlust des Feindes betrug wenigstens 15,000 Mann. In seinen Memoiren giebt Napoleon den eigenen Verlust auf 6950 Mann , als außer Gefecht gefeßt, an. Er vertheilt auch diese Zahl auf die einzelnen Korps. Aber leider ist sie ungenau. Es ist dabei das Gérardsche Korps z . B. mit 2300 Mann an Todten und Verwundeten aufgeführt , während es deren 3686 hatte. ** )
*) Wenn man die Angaben von Wagner und Damiß , die fie im Laufe ihrer Erzählungen bringen , zuſammenſtellt, ſo sieht man, daß 9 Jufanterie- Divisionen zusammen 11,388 M., einschließlich der Offiziere, verloren. Die 3 Diviſionen , von denen diese Schriftsteller keine Angaben bringen , sind die von Pirch II., Jagom und Borcke. Die beiden ersteren waren lange im heftigsten Gefecht und werden zusammen wohl eben so viel als die von Steinmetz und Henckel verloren haben , d. h. etwa 5000 Mann. Die Division Borcke , die sehr wenig gefochten hatte, verlor höchstens 300 Mann. Das bringt aber die Verluste der preußischen Infanterie auf 16,000 Mann, denen man noch 15 bis 1600 Mann ſeiten der Reiterei und Artillerie beifügen muß. Plotho giebt (Der Krieg der Verbündeten Europa's gegen Frankreich c. 1815. Berlin 1818) die Verluste der Armeeforps vom 15. Juni bis 3. Juli zuſammen an und setzt fie auf 33,000 Mann , was , wie man in der Folge sehen wird, bis auf sehr Weniges eine Höhe von 18,000 Mann für die Schlacht von Ligny ergiebt. **) Bei Ligny hat das 4. Korps 3686 Mann an Offizie-
174 In Wahrheit haben wir etwas über 11,000 Mann verloren *), was 4 von der Gesammtmasse der bei Ligny vereinigten Truppen ist , während Blücher von seinen 3 Korps etwa 4 oder darüber verlor. In der Nacht änderte sich jedoch dieses Verhältniß, denn 10 bis 12,000 Mann Preußen verließen ihre Truppen und flohen gegen Lüttich hin, so daß die Kämschwächer wurden **). pfer von Ligny um Das war ein ansehnliches Resultat , obwohl theuer erkauft. Um aber den Anforderungen zu entsprechen, die Napoleons Lage gebieterisch stellte , mußte es noch vervollständigt werden. Denn das Ziel des französischen Feldherrn war und mußte sein : die Vereinigung Blücher's mit Wellington zu verhindern und bis jezt sprach noch nichts dafür, daß er es erreicht. Es war sogar das Gegentheil zu befürchten.
ren und Soldaten verloren , wie es aus den Verlustliſten erhellt , die ich von den Diviſionären erhalten und die vor mir liegen. (Quelques Documents etc. par le Général Gérard .) *) Dieſe Zahl vertheilt sich ungefähr wie folgt : 4000 Mann. Korps Vandamme 1900 " Div. Girard "" 3700 Korps Gérard 300 " " Pajol 400 Erzelmans " " 150 " Mithand " 1000 " Kaisergarde Summa 11,450 Mann. **) Damit setzt deren Zahl auf 8000. Napoleon in seinen Schriften spricht bald von 10, bald von 20, 30 und selbst 40,000 Mann, wie seine Darstellung es gerade bedarf. Aber Ein Mal hat er doch Recht, als er sagt, daß die preußische Armee von 120,000 Mann , die sie bei Eröffnung des Feldzugs hatte, am 18. Juni früh , nach der Ankunft des Bülow'schen Korps, noch 90,000 Mann zählte (Camp. de 1815 par Gourgaud), was die Zahl der Flüchtlinge auf etwa 12,000 bringt.
175 Die Preußen hatten mit Hartnäckigkeit gefochten, hatten 25 oder 30 Geschütze und einige Tausend Verwundete zurücklaſſen müſſen und waren , genau betrach= tet, kaum um die Breite des Schlachtfeldes zurückgewichen. Ihr Zentrum war in Unordnung gebracht, aber ihre Flügel hatten sich mit Festigkeit zurückgezogen. Die Bivouaks ihrer Arrieregarden waren in Flintenschußweite von den französischen Vorposten, bei Brye und Sombreffe, die beide besetzt und barrikadirt waren, und uns ſo nahe, daß aus Besorgniß vor einem Rückstoße namentlich die Garde in Karré's bivouafirte , ein Glied unter den Waffen. Die Masse ihrer Armee war also erschüttert, aber nicht entmuthigt. Sie wurden entweder in kürzester Frist durch das Bülow'sche Korps verstärkt , oder waren es schon , das von Hannut her auf der Römerstraße an= rückte, und damit konnten sie wieder eben so viel Truppen und viel mehr Geſchüße in's Gefecht bringen , als bei Liguy. Ihre Kolonnen standen , auf der einen Seite aufge= staffelt zwischen Brhe und Tillh , auf der andern bei Sombreffe , auf Wegen, die geradeswegs nach Wavre und von da nach Brüssel führen. Wenn also Napoleon nicht rasch dazwischen griff, konnten sie sich auf dieſer neuen Linie konzentriren und mit Bülow eine Macht von 90,000 Mann und 300 Geschützen uns entgegen= sehen , die wieder in Stand gesetzt , deren Haltung hergestellt , die zu neuen Kämpfen bereit war und sich auf die englisch-holländische Armee stüßte, deren Verbindungslinie von Quatrebras über Brüssel nach Antwerpen lief. Dieses Manöver war bei jedem Gegner als möglich) anzunehmen , aber bei einem Manne von so kernfestem Wenn es Charakter wie Blücher, war es fast gewiß. gelang , war der Plan des französischen Feldherrn in feinen Grundlagen über den Haufen geworfen. Das vor Allem mußte um jeden Preis gehindert werden und war durch eine rasche, kräftige und hartnäckige Verfolgung der geschlagenen Armee zu hindern.
176 Napoleon hatte nicht gewagt , eine solche Verfolgung anzuordnen ; die Nacht hatte ihn aufgehalten , und hier= nächst auch wohl die Festigkeit, welche die beiden Flügel bei ihrem Rückzuge entwickelten. Aber im Monat Juni sind die Nächte kurz, und was am Abend nicht geschehen, würde es im ersten Morgengrauen geschehen ? Das war die Frage. Der Erfolg von Ligny hatte die Lösung der Schwierigkeiten begonnen, aber nicht durchgeführt. Die Sache hätte ganz anders stehen können , wenn Napoleon an diesem Tage die Thätigkeit und Entschlossen= heit seiner jungen Jahre gehabt hätte. Er hat selbst ausgesprochen , daß er am Abend vorher schon sein Hauptquartier nach Fleurus verlegen wollte. Es wäre nicht gegangen, sagt er; zugegeben. Aber was am 15. Abends nicht ging, wäre wohl am 16. früh gegangen. Es hing nur von ihm ab , mit dem frühesten Morgen die Bewegungen anzuordnen, die er zwischen 8 und 9 Uhr befahl , nämlich daß Ney mit dem linken Flügel auf der Brüsseler Straße und der Rest der Truppen , der rechte Flügel , gegen Fleurus vorrücken sollten. Er hätte also die Schlacht von 7 Uhr, 8 Uhr an beginnen können , anstatt Nachmittags nach 24 Uhr. Um 7 oder 8 Uhr standen bei Ligny nur Ziethen Deſſen 4. Diviſion und und 3 Divisionen Pirch I. Thielemann trafen erst gegen 11 Uhr ein. Unter solchen Umständen - Bülow noch jenseits Hannut, würde Blücher wahrscheinlich durch ein Zurückgehen der Schlacht auszuweichen versucht haben , um sich Aber mochte seinen übrigen Truppen zu nähern. Dies nun gegen Namur und Hannut hin geschehen, immer war die Richtung nach Wavre und Brüssel und damit die Vereinigung mit Wellington verloren. Die Schlacht, die er bei Ligny vermied , mußte er schließlich doch annehmen, wenn er von Napoleon verfolgt und gegen die Defileen von Gembloux oder die Maas ge= drängt wurde; seine Niederlage war dann gewiß.
177 Wollte er im Gegenfalle auf dem Plateau von Ligny festhalten , so wäre der Angriff erfolgt , ehe er sich in den Dörfern gehörig festſetzen konnte und er würde in fürzerer Zeit geschlagen worden sein ; wenn man aber auch annehmen will , daß er die Entscheidung eben · so lange hinhielt , als es bei dem späten Angriff ge= schehen, so würde ihm doch die Nacht nicht zu Hilfe ge= kommen sein und die Verfolgung des Siegers hätte kein Hinderniß gefunden. Napoleon , der dann noch viele Stunden Tag vor sich hatte, konnte seinen Sieg ausbeuten , den größten Theil der preußischen Armee zertrümmern und den Rest dahin bringen , daß er in langer Zeit nichts Ernsthaftes unternehmen konnte. Die Unentschlossenheit und die Verzögerungen am 16. früh bilden also einen schweren Fehler, dessen Folgen sich auch noch , wie wir sehen werden , auf dem Schlachtfelde unseres linken Flügels fühlbar machten. Es war dies aber nicht der einzige Fehler des Tages. Wie Napoleon es selbst angiebt , wußte er um 64 Uhr Abends genau , daß das Erlon'sche Korps nur 1 Stunde von St. Amand ſtehe. Er hat daraus keinen Vortheil gezogen , während der lafonische Befehl : „ Das 1. Korps in's Feuer" *) noch vor 8 Uhr 20,000 Mann mit 46 Geschützen herangebracht hätte, die , wenn sie gerade auf Wagnelée und la Haye los gingen, die Ver= luste der Preußen zur Niederlage steigerten , sie gewor= fen, zertrümmert und in Unordnung von den Wegen nach Wavre fort in das Thal der Maas gedrängt hät= ten und so die Vereinigung mit den Engländern zur Unmöglichkeit machten. Man hat Napoleon zu entschuldigen geglaubt, indem man anführte , daß das Erscheinen des 1. Korps ihm
* ,,Die Garde in's Feuer" lautete, wie bekannt, die lakonische Ordre, die, mit Bleistift geschrieben , die Garde auf das Schlachtfeld von Lützen rief." 12 Charras, Waterloo.
178 die bevorstehende Ankunft Ney's angezeigt , und er dem= zufolge diesem die Leitung des Angriffs habe überlassen wollen. Das ist ein Irrthum. Denn der abgesendete Adjutant hat doch gewiß die Umstände gemeldet , unter denen das 1. Korps abgerückt, und dieſe Umstände ließen feineswegs auf die Ankunft Ney's schließen , erforderten vielmehr , daß das 1. Korps schleunigst mit Befehl verjehen würde. Der französische Feldherr , der Erlon nicht verwendete, hat auch Loban nicht verwendet ; es lag darin ein weiterer Fehler.
Lobau war, während die Armee gegen Fleurus rückte bei Charleroy gelassen worden und hatte nur sehr spät erſt seinen Marschbefehl erhalten ; er war jedoch um 64 Uhr bei Fleurus eingetroffen, also zu der Zeit, wo der Haupt= schlag auf Ligny vorbereitet wurde. Das Korps Lobau's war 10,500 Mann stark. Wenn Napoleon ihn sofort auf unsern linken Flügel rückte , würde er diesem eine Uebermacht verſchafft haben, so daß der preußische rechte Flügel gerade wie ihr Zentrum zertrümmert worden wäre; die Chauſſee nach Nivelles wurde dann genommen , die Wege nach Wavre gesperrt und Blücher mit seinem Rückzuge auf Namur gewiesen. Seine Verluste würden noch viel er= heblicher gewesen seiu. Die Resultate einer solchen Verwendung des Lobauschen Korps lagen so sehr auf der Hand, daß man zur Erklärung der Unthätigkeit, in welcher es gelassen wurde, annehmen muß, Napoleon habe es aus Besorgniß vor dem Erscheinen einer frischen preußischen oder engliſchholländischen Kolonne in Reserve erhalten. Zehn Jahre früher würde er keine so hohe Vorsicht gezeigt haben.
Im Gegensaße zum französischen Feldherrn entwickelte der preußische große Thätigkeit und eine rasche Ent= fchloffenheit.
179 Bülow kam nicht , Wellington kam nicht : das er= schütterte aber weder seine Festigkeit, noch sogar seine Kühnheit. Auch er hatte Fehler gemacht. Er hatte sich zu weit links gedehnt; er ließ sich durch die Grouchy'schen Demonstrationen fesseln , und dieſem gegenüber zwischen Sombreffe und Tongrinne doppelt ſo viel stehen, als nöthig , während das Zentrum eigentlich Man hat zu ſtets im Zustande der Schwäche war. seiner Rechtfertigung anführen wollen, daß er die Straße nach Namur nicht habe preisgeben dürfen. Das ist aber ein schlechter Grund ; denn als Sieger deckte er die Straße von selbst und als Besiegter mußte er auf sie verzichten , um eine andere Operationslinie anzuneh men , die ihn näher zu der engliſch-holländischen Armee hinführte. Zwei der Thielemann'schen Divisionen hatten so gut wie nicht gefochten *) , und wenn sie in Zeiten an Ligny herangerückt wurden , konnten sie wohl die Niederlage abwenden. Blücher hatte ferner Unrecht , eine Maſſe Reiterei nach seinem rechten Flügel zu ziehen, wo sie ihm nichts nüßte , im Zentrum aber bei der Entscheidung fehlte, und weiter auch Unrecht darin , daß er in seinen Beſtrebungen gegen den franzöfifchen linken Flügel verharrte, als er auf Wellington nicht mehr rechnen konnte und Napoleon noch, was er wissen mußte , über eine starke Reserve verfügte. Endlich trifft ihn mit Sicherheit der Vorwurf, daß er einen großen Theil seiner Truppen zu zeitig in's Gefecht gebracht . Aber Blücher, als er besiegt war, hat es verschmäht, sich in bittern Vorwürfen gegen Bülow , ſeinen Untergebenen , der in Folge einer zu langsamen Ausführung *) Die Division Luck hatte nur 90 Mann außer Gefecht gesetzt. -- Wagner. 12*
180 der erhaltenen Befehle nicht auf dem Schlachtfelde eintraf, oder gegen Wellington zu ergehen , seinen Verbün= deten , der ihm Hilfe versprach und nicht brachte. Er hat es der Geschichte überlaſſen, darüber zu richten. Napoleon, der Sieger, hat es anders gehalten. Er hat dem Marschall Ney die heftigsten Anklagen hingeschleudert , erklärt ihn für überführt, seine Befehle vernachlässigt und dadurch den Sieg von Ligny um alle seine Früchte gebracht zu haben. Aber konnte denn der tapfere Marschall, der mit so großem Rechte der Tapferste der Tapfern genannt wird, konnte er denn den Platz einnehmen , der ihm auf dem Schachbrette angewiesen wurde, auf dem das Schicksal Frankreichs sich entschied ? Und war er schuldig zu ſprechen, weil er es nicht gethan ?
Neuntes Kapitel.
Der 16. Juni. --- Quatrebras. 1 Ney erhält gegen 10 Uhr den Befehl, auf Quatrebras zu rücken. - Seine Instruktionen an seine Generale. - Stärke der englisch-holländischen Truppen bei Quatrebras. - Stellung bei Quatrebras. Dispositionen des Prinzen von Oranien. - Ankunft Wellingtons . - Er begiebt sich zu Blücher. Um 2 Uhr greift Ney den Prinzen von Oranien an. - Wegnahme von Gimioncourt. Rückkehr Wellingtons nach Quatrebras. --- Stand des Gefechts um 3½ Uhr. - Englisch Englisch-- holländische Verstärkungen. - Der Angriff Bachelu's auf ihren linken Flügel abgewiesen. - Angriff Foy's im Zentrum. - Tod des Herzogs von Braunschweig. - Vordringen Guilleminots im Holze von Bofsu. - Herzog Bernhard von Weimar geht zurück. Stand des Gefechts um 54 Uhr. Wellington erhält weitere Verstärkungen. ― Ney zieht Kellermann mit einer Kürassier-Brigade herbei. - Glänzender Angriff dieser Brigade und der Diviſion Piré. - Die Küraſfiere werden geworfen. - Die französische Linie wird gedrängt. - Wellington erhält abermals Verſtärkungen. Ney muß zurückgehen Stellung beider Armeen um er kommt nach Frasnes zurück. 9 Uhr Abends. - Ihre Verluste. Erlon trifft wieder ein seine Bewegungen an diesem Tage.
Am 16. Juni verließ Ney, wie wir schon gesehen, früh 2 Uhr den Kaiſer, um in ſein Hauptquartier nach Gosselies zurückzukehren.
182 Er sollte die Instruktionen abwarten , welche ihm zugesandt werden würden , wenn der Kaiser sich entschlossen hätte , welche Bewegungen im Laufe des Tages vom linken Flügel, dem Zentrum und dem rechten Flügel aus= zuführen wären. Ney war von Gosselies nach Frasnes gekommen und hatte die Vorposten besucht , welche schon seit einiger Zeit mit denen des Feindes scharmuzirten , die auf den Höhen vorwärts dieſes Dorfes standen. Hier traf ihn der Ge= neraladjutant Flahault mit der Depesche, die wir im vorigen Kapitel angeführt. Es war oder fehlte wenig an 104 Uhr **). Napoleon befahl , wie man sich erinnern wird , dem Marschall , nach Quatrebras zu marschiren , 6 InfanterieDivisionen daselbst zu behalten , eine 2 Stunden weiter vorzuschieben , wenn damit keine Unzuträglichkeiten verbunden seien , eine andere bei Marbais , rechts von Quatrebras , aufzustellen , und das Kürassierkorps Kellermann an der Kreuzung der Römerstraße mit der Brüsseler Straße zu belassen (hinter Frasnes) , so daß auch er nach Bedarf gegen Fleurus gezogen werden könnte. Um 10 Uhr standen die Truppen des Marschalls wie folgt: Die Infanterie-Division Bachelu , die ReiterDivision Pirė und die leichte Division der Garde-Reiterei, Lefebvre-Desnouettes, bei Frasnes ; die Infanterie-Diviſion Girard bei Wangenies bei Fleurus, die Infanterie-Divisionen Foh und Guilleminot in Gosselies und dicht dabei , im Holze von Lombuc; das Korps Erlon bei und rückwärts Jumet ; die Kürassiere Kellermanns, auf dem Marsche von Charleroi her, hatten Gosselies durchſchritten. Ney erließ sofort die seinen Instruktionen entspre= chenden Befehle **) zum Vorrücken.
*) Wir werden später zeigen , daß Flahault frühestens um diese Zeit eintraf. ** Gezeichnet: "Für den Marschall Fürst v. d . Moskwa der Oberst und erste Adjutant Heymės.
183 Bachelu sollte sich auf den Höhen dicht hinter Genappes aufstellen, Foy , als zweites Treffen, bis Bonterlez rücken; Guilleminot und Girard sollten bei Quatrebras bleiben ; Erlon hatte mit 3 Infanterie-, 1 Reiter-Division bis Frasnes , mit 1 Division nach Marbais zu rücken, wohin auch Pirė gehen sollte. Kellermann ward mit 1 Division bei Liberchies , mit der andern bei Frasnes aufgestellt , an demselben Orte auch Lefebvre-Desnouettes. Reille, der Kommandant des zweiten Korps , war in Gosselies. Von da bis Frasnes ist es 24 Stunde; er konnte sonach den Befehl des Marschalls etwa 114 Uhr erhalten und darauf die Divisionen Foy und Guilleminot, die er schon bereit hielt *) , in Marsch setzen. Ney wartete deren Eintreffen mit Ungeduld ab, um das Terrain vorwärts seiner Stellung zu reinigen. Der Prinz Bernhard von Weimar hatte die Stellung inne behalten , welche er am Abende vorwärts Quatrebras mit seiner Brigade und 1 Batterie genommen hatte. Perponcher hatte Nachts 1 Uhr in Nivelles den Befehl erhalten , der ihm vorschrieb , alle seine Truppen dort zu vereinigen. Da er aber die Lage der Dinge besser beurtheilen konnte als Wellington , der von Brüffel aus und ohne den letzten Angriff auf Frasnes zu kennen, diese Bewegung befohlen hatte , so übernahm er es, unter eigener Verantwortlichkeit, den Befehl nicht auszuführen, rückte vielmehr in konsequenter Fortsetzung seines wohl*) Reille, in seiner schon aufgeführten Notice historique giebt an, daß er seine Bewegung schon um 11 Uhr begonnen, weil Flahault auf seinem Wege durch Goſſelies ihm den Inhalt der an Ney gerichteten Depeschen Napoleons mitgetheilt. Das ist aber ein Frrthum des Gedächtnisses , wie durch einen Brief bewiesen wird , den Reille von Goffelies aus um 104 Uhr an Ney richtete. Er giebt darin an, daß er von Flahault die erwähnten Mittheilungen erhalten, daß er seine Truppen zum Abmarsche bereit halten werde , daß er aber die Befehle des Marschalls dazu abwarten wolle, weil der General Girard ihm so eben gemeldet , daß zwei feindliche Massen auf der Straße von Namur gegen St. Amand anrückten.
184 überlegten Ungehorsams am Morgen noch vor Tage mit seiner zweiten Brigade Bylandt und deren Batterie gleich= falls nach Quatrebras. Er kam gegen 4 Uhr daselbſt an. Um 6 Uhr traf der Prinz von Oranien über Braine le Comte von Brüssel kommend bei ihm ein , sagte ihm den wohlverdienten Dank für seine Entschlossenheit und übernahm den Oberbefehl.
Quatrebras hat seinen Namen von der Kreuzung der Chauffeen von Namur nach Niveles und von Charleroy nach Brüffel. Erstere geht fast von SO. nach NW., die andere von S. nach N. An ihrem Kreuzungspunkt liegen auf einem flach gewellten Plateau ein Gasthof, ein Pachthof und zwei oder drei Häuser. Dieses Plateau ist gegen Süden und Osten von einem ziemlich leichten Abhange begrenzt, der zu einem kleinen Thale mit zerrissener Sohle hinabsteigt , in welchem ein kleines Wässerchen fließt , das unter der Brüsseler Straße weggeht und sich in die Dyle ergießt. Von da ab erhebt sich das Terrain in immer stärkeren Wellen gegen Frasnes. In dem südöstlichen Winkel von Quatrebras liegt 13 ober 1400 Metres entfernt der große Pachthof Gimioncourt und zwar auf dem rechten Ufer des eben erwähnten Wässerchens in einem weiten , mit dichten und hohen Hecken eingefaßten Baumgarten , der fast an die Brüsseler Straße stößt. Destlich davon liegt der Weiler Pireaumont, nahe an der Namurer Chaussee und dem Holze de la Hutte, das sich bis in die Höhe von Frasnes erstreckt. In dem südwestlichen Winkel von Quatrebras erstreckt sich das Holz von Bossu auf einem Landrücken hin, der mit der Brüsseler Chauffee parallel geht ; es ist bei Quatrebras etwa 200 Metres von ihr und entfernt sich nach und nach bis auf 16 oder 1700 Metres ; die Länge beträgt etwa 3000 Metres, die mittlere Breite 5600 Metres.
185 Ein Pachthof, le grand Pierre - Pont liegt nahe seinem Ende vor dem Ostrande *). Der Prinz von Oranien hatte zur Verfügung die 5 nassauischen Bataillone der Brigade Prinz Bernhard von Weimar, 4 holländische Bataillone der Brigade Bylandt mit 16 Geschüßen, etwa 7000 Mann oder wenig mehr. Ein belgisches Bataillon , das in Nivelles bleiben sollte, bis andere Truppen dahin kämen , konnte die Stärke auf 8000 Mann bringen , aber erst gegen 2-3 Uhr eintreffen. An Reiterei hatte man etwa 50 preußische Husaren, die beim gestrigen Rückzug ab- und über Gosselies gegen Frasnes gedrängt worden waren , und die man vorläufig da behielt. Der Prinz von Oranien stellte 4 Bataillone der Brigabe des Herzogs von Weimar in das Holz von Boſſu und ließ von ihnen auch den Pachthof le grand PierrePont besezen ; 2 holländische Bataillone kamen , eines vorwärts von Gimioncourt, das andere links neben dem ersteren , 11 Geſchüße ſtanden rechts und links der Brüffeler Straße , von 1 Bataillon der Brigade Weimar ge= deckt und fast in der Höhe von le grand Pierre-Pont, 2 Geschüße bei dieſem Gehöfte , 2 holländische Bataillone mit 3 Geschüßen in Reserve bei Quatrebras . Diese Stellung war sehr ausgedehnt , aber da man. durch die Hölzer, das Getraide und die Terrainwellen verdeckt und begünstigt war , wollte man sich für stärker halten lassen, als man war und dadurch imponiren . Gegen 11 Uhr kam Wellington von Brüssel an, woſelbſt er erst gegen 8 Uhr abgereist war und billigte die getroffenen Anordnungen. Immer ruhig, kalt und ge= laſſen **), hatte er langsam die Linie der Außenposten
*) Das Holz ist 1816 u. 17 ausgerottet worden . **) Einigen Schriftstellern hat es beliebt, Wellington ganz aufgeregt und verstört nach Quatrebras kommen zu lassen. Ein hoher Offizier, hellen Geistes und von seltener Unparteilichkeit, der ihm bei dieser Gelegenheit von dem Prinzen von Oranien
186 durchschritten , die Stellung der Franzosen geprüft - in der Ney an demselben Augenblicke gegenwärtig war und nachdem seine Rekognoszirung beendet , war er zu Blücher geeilt, dem er eine Hilfe versprach, die der französische Marschall vereitelte. Sie werden jedenfalls bald angegriffen werden," sagte er zum Prinzen von Oranien ; „ ich rechne darauf, daß Sie sich hier halten, bis die anrückenden Diviſionen eintreffen.“ Der junge General, den er in seiner Schule gebildet hatte, verdiente und rechtfertigte dieses Zutrauen . Die angekündigten Divisionen ließen lange auf sich warten. Die nächſten waren die von Brüssel herkommenden. Sie waren zwar mit Tagesanbruch dort abgerückt, hatten aber Befehl , am Dorfe Waterloo bis zum Eingang weiterer Befehle stehen zu bleiben , d . h. etwas rückwärts des Punktes , an welchem die von Nivelles kommende Chaussee sich mit der von Charleroy vereinigt , und erst um Mittag hatten sie ihren Marsch gegen Quatrebras fortgesezt. Von Waterloo bis Quatrebras ist eine Entfernung von 44 Stunde. Erst von Genappes aus hatte Wellington den Befehl zum Weitermarsch ertheilt fonderbares Zögern ! Es war etwa 14 Uhr oder etwas später , als die Division Foy bei Frasnes eintraf. Ney hatte nunmehr etwa 9000 Mann Infanterie, 1850 Pferde und 22 Geschütze *) zur Verfügung. Er hatte außerdem noch 2000 Pferde und 8 Geſchütze der Diviſion Lefebvre- Desnouettes, aber Napoleon wünschte nicht , daß er sich ihrer bediene. Die Division Guilleminet , die etwas weiter entfernt ge= wesen war , als Foy , mußte jeden Augenblick eintreffen .
vorgestellt wurde, den wir vor Kurzem nach der Haltung des englischen Generals fragten , antwortete uns : „ Er war kalk wie Eis - als ob die Franzosen 100 Meilen von uns gestanden."— *) Division Bachelu 9 Bataillone, 4103 ; Division Foy 10 Bataillone , 4788 ; Division Piré 1865 Reiter.
187
Um 2 Uhr fiel der erste Kanonenschuß Ney's gegen den Prinzen vou Oranien*). Es ist also zu bemerken , daß er damit dem Befehle Napoleon's zuvorkam , der ihm jetzt eben von Fleurus aus schreiben ließ : seine Absicht wäre , er (Ney) folle angreifen, was er vor sich habe **). Reille führte den Befehl beim Angriffe . Die Division Bachelu marschirte rechts der Straße in BataillonsKolonnen , von der Division Foy rückte eine Brigade, Gautier, auf der Straße vor , die andere, Jamin , blieb in Reserve. Die Division Piré deckte den Vormarsch mit einer Brigade in der rechten Flanke, mit der andern blieb sie hinter der Lücke zwischen Bachelu und Foy. Lefebvre-Desnouettes blieb auf den Höhen von Frasnes . Bachelu's Blänker kamen bald mit denen des links stehenden holländischen Bataillons ins Gefecht und drängten sie zurück. Das Bataillon selbst ward, noch ehe es Karré formiren konnte, von einem Reiter-Regiment überrascht und in Unordnung gebracht ; es wich gegen Gimioncourt zurück. Bachelu besezte Pireaumont. Foh hatte während dieser Zeit mit ſeiner und Piré's Batterie die feindliche Artillerie beschossen und die dabei aufgestellten Bataillone vermocht , sich bis auf die Terrainwalle unmittelbar südlich von Gimioncourt zurückzuziehen. Das Feuer unserer Batterien ward bald so mörderisch, daß der Prinz von Oranien beſchloß, sie anzugreifen. Das Unternehmen war tollkühn , namentlich in Rücksicht auf die Handvoll Leute , die er angesichts einer thatendurstigen Reiterei vorführte. Der Angriff scheiterte. Das Bataillon, dem voraus der Prinz ritt, den Federhut schwenkend, rückte entſchloſſen *) Es ist wichtig diesen Zeitpunkt festzustellen. Wir nehmen ihn nach den holländischen Rapporten und den englischen Schriftstellern an, die ein, dem unsrigen entgegengesetztes Intereffe verfolgen. Reille sagt (Notice historique) ,,gegen 2 Uhr." **) Vergl. das spätere Schreiben des Majorgenerals an Ney.
188 vor. Aber ein Regiment von Piré faßte es in die Flanke, sprengte es und warf es auf Gimioncourt zurück. Der Prinz, mitten im Getümmel, wäre beinahe gefangen worden ; einer seiner Adjutanten blieb verwundet liegen. Er zog darauf 2 Bataillone von Quatrebras heran ; der Kampf in dem Thale und in der Nähe von Gimioncourt ward sehr lebhaft. Foh setzte sich an die Spize der Brigade Gautier, den Degen in der Hand, erzwang mit ihr den Uebergang über den Bach und nahm das Gehöfte trotz eines lebhaften Widerstandes. Die Holländer wurden auf den Abhang zurückgedrängt , der auf das Plateau von Quatrebras hinaufführt. Die Brigade Jamin, die anfangs in Reserve gehalten worden war, hatte schon früher von Reille Befehl erhalten, das Gehöfte le grand Pierre-Pont und das Holz von Bossu anzugreifen, die von den Nassauern unter dem Prinzen Bernhard von Weimar besetzt waren. Sie hatten sich gut gehalten , begünstigt , wie sie wurden , durch die Art des Gehölzes, das aus einem sehr lichten Hochholze und einem sehr dichtverwachsenen Unterholze bestand. Sie hatten eben das letzte Bataillon der Division Perponcher, das von Nivelles ankam, zur Verstärkung erhalten. Es war 3 Uhr. Die Diviſion Guilleminot *) rückte in die Linie und übernahm den Angriff des Gehölzes . Jamin zog sich näher an die Chauffee. Der Prinz von Oranien ſtand jetzt mit seinem rechten Flügel an dem Pachthofe le grand Pierre- Pont, mit dem linken auf dem Plateau von Quatrebras. Seine Bataillone, denen kurz vorher übel mitgespielt worden war, hatten sich wieder geordnet und wurden von der auf dem Plateau vereinigten Artillerie fräftig gestützt. *) Die Infanterie-Division Guilleminot war die stärkste der Armee, nämlich 7819 Mann ohne die Artillerie 2c. Seit gestern war Jérôme Bonaparte bei ihr, aber sie ward in der Wirklichkeit doch vom Generalleutnant Guilleminot befehligt.
189 Indessen war doch die Lage des Prinzen bald darauf ſehr bedenklich geworden. Guilleminot hatte das Gehöfte genommen, und war in das Holz eingedrungen; Foy und Bachelu waren im Begriff das Plateau zu gewinnen ; noch eine Anstrengung von ihrer Seite und die hollän= disch-nassauische Division war gegen Nivelles zurückge= worfen, sehr in Gefahr , eine vollständige Niederlage zu erleiden. Aber ihre Standhaftigkeit sollte besser belohnt werden. Die längst erwarteten Verstärkungen wurden endlich sichtbar. Es war 3 Uhr *) . Die Brigade van Merlen, von der holländisch-belgischen Reiter- Division Collaert , etwa 1100 Pferde stark mit 1 Sektion reitender Artillerie , kam über Nivelles von la Haine her ; die Diviſion Picton, 12 Bataillone, 2 Batte= rien, 7000 Mann, 12 Geſchüße ſtark, kam von Brüffel. Beide trafen gleichzeitig auf dem Plateau ein. Van Merlen rückte zwischen der Chauffee und dem Holze von Bossu vor; Picton marschirte mit je 6 Ba= taillonen in 2 Linien auf, die erste an der Chauffee nach Namur rechts an Quatrebras, links an einen Weg nach Sart-Dame-Avelines anstoßend. Der Prinz von Oranien, der von Foy und Bachelu mehr und mehr gedrängt wurde, wollte die erſten friſchen Truppen, die er erhielt, benutzen, um das Plateau ſelbſt wieder frei zu machen und da van Merlen eben den *) Wellington sagt in seinem Rapport 24 Uhr ; einige englische Schriftsteller sagen gegen 3 Uhr ; es ist aber gewiß, und die letzteren selbst stimmen damit überein, daß die bei Waterloo aufgehaltenen Truppen erst um Mittag Befehl erhielten, von dort ab nach Quatrebras zu rücken, und da die Entfernung 44 Stunde beträgt, ist es klar, daß sie, obwohl sie rasch_marſchirten, nicht vor 34 Uhr eintreffen konnten. Andrerseits stimmen die holländischen Berichte alle darin überein, daß van Merlen gegen 34 Uhr eintraf; beide Abtheilungen, Merlen und Picton, kamen aber gleichzeitig bei Quatrebras an.
190 Aufmarsch beendet , wartete er den von Picton nicht ab, und befahl den General van Merlen mit seinem HusarenRegiment (Holländer) zwei Bataillone anzugreifen , die dicht an der Chauffee, die französischen, immer keder werdenden Blänker unterstützten ; er ließ das Regiment durch einige Infanterie, seine Artillerie und das andere Regiment Merlen's, belgische Dragoner, unterſtüßen. Der Versuch mißlang. Oberst von Faudoas warf sich mit dem 6. Jäger-Regiment , dem das 5. UlanenRegiment folgte, auf die Husaren, warf sie, griff darauf die Infanterie an , die er zersprengte und brang in eine Batterie ein, deren Artilleristen er niederhieb und die Die Dragoner solchergestalt fast vernichtet wurde *) . suchten vergebens diesem kraftvollen Stoße entgegenzu= treten; nach einem lebhaften Zusammenstoß und einem tapfern Handgemenge kehrten sie um und jagten hinter Quatrebras zurück, um sich dort zu sammeln. Sie kamen an dieſem Tage nicht wieder vor, denn zum Unglück ward ein englisches Bataillon durch die Aehnlichkeit der Uniformen getäuscht, hielt sie für französische Jäger zu Pferde und empfing sie bei ihrer Annäherung an die Namurer Chauſſee mit einem mörderischen Feuer **). *) Eigene Worte des General Perponcher, in seinem Rapport. (Archiv des holländischen Kriegs-Ministeriums . ) **) Der belgische Generalmajor Renard erzählt nach dem Zeugnisse von Offizieren , die bei dieſem Zusammentreffen ganz wesentlich betheiligt waren , eine Episode deffelben : „In dieſem Augenblicke wurden unſere Soldaten einer harten Probe unterworfen. Sie fanden sich Soldaten gegenüber , mit denen sie einige Monate früher als Kameraden dieselben Gefahren getheilt hatten. Sie riefen unsere Leute beim Namen , und forderten sie auf, den alten Fahnen wieder zu folgen. Kapitän Delenne stand dem Kapitän de Devielle, seinem alten, französischen Waffenbruder, gegenüber ; der Kapitän van Remoortere erhielt von einem seiner früheren Unteroffiziere einen Stich in den Leib; Maréchal des logis Beauce hieb sich mit einem Maréchal des logis seiner früheren Schwadron herum. (Réponse aux allégations anglaises sur la conduite des troupes belges en 1815. Bruxelles 1855.)
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In demselben Augenblicke, in welchem der Prinz von Oranien die Angriffe angeordnet hatte, welche zu dem erwähnten Ende führten, traf Wellington auf dem Schlachtfelde ein, von der Zusammenkunft mit Blücher zurückfehrend . Eine Kolonne der braunschweigischen Division schloßz hinter Picton auf; sie war am Morgen, vom Herzog selbst geführt, von Vilvorde abmarſchirt und zählte in 5 Bataillonen, 5 Schwadronen über 3000 Mann Infanterie, 800 Reiter und der Rest der Division (3 Bataillone, 16 Geschütze) folgte mit 3 Stunden Abstand. Wellington übernahm nun selbst den Oberbefehl, und da er die Vorbereitungen Ney's zu einem verstärkten Angriffe auf seinem rechten Flügel und im Zentrum erkannte, traf er sofort die Gegenanstalten. Die Division Picton bestand aus den englischen Brigaden Kempt und Pack und der hannöveriſchen Brigade Best *), jede von 4 Bataillonen ; Wellington rückte sofort 6 englische Bataillone in erster Linie auf 4-500 Metres über die Chauffee von Namur vor ; die Brigade Best blieb in zweiter Linie auf der Chauffee , ein englisches Bataillon ward gegen Quatrebras, ein anderes nahe der Chauffee gegen Pireaumont aufgestellt. Der Herzog von Braunschweig erhielt Befehl, zu dem leztgenannten noch ein Bataillon zu senden , dann eine Schwadron rechts des Gehölzes von Bossu zu detaſchiren, zur Aufklärung des dortigen Terrains und mit dem Reste seiner Truppen vorwärts Quatrebras, zwischen dem Holze und der Chauffee Stellung zu nehmen. Die bis jezt unter dem Prinzen von Oranien bei Quatrebras im Gefecht gewefenen Truppen wurden zuDiese Erzählung stimmt mit Dem überein , was wir von dem Irrthum Napoleons gesagt, als er auf den Abfall der belgischen Truppen rechnete. *) Best gehörte zur Diviſion Cole, war aber an Stelle der hannöverischen Brigade Vincke der Division Picton zugetheilt worden.
192 rück und in die Reserve gezogen , während die Brigade des Prinzen Bernhard von Weimar und 1 Bataillon von Bylandt das Holz gegen Guilleminot weiter zu halten suchten. Wellington hatte recht gesehen; Neh hatte eine allgemeine Vorwärtsbewegung angeordnet, deren Beginn mit der Beendigung der Aufstellungen Pictons und des Her= zogs von Braunschweig zusammen fiel. Bachelu rückte mit seinen 4 Regimentern , weniger 1 Bataillon , das in Pireaumont blieb , den Engländern unter Picton entgegen ; hinter seinem linken Flügel folg= ten 1 Ülanen- und 1 Jäger-Regiment der Reiter-Diviſion Piré. Foy ließ von Simioncourt zwei Kolonnen vorrücken , die eine auf der Chauffee , die andere näher am Holze von Boffu. Guilleminot sollte am Holze weiter fechten. Die ganze Artillerie des Reille'schen Korps war auf der Höhe diesseits des Gimioncourt'er Baches vereinigt und unterstüßte durch ein nachdrückliches Feuer die Bewegungen Bachelu's und Foy's. Um zu Picton zu gelangen, mußte Bachelu den Gimioncourt'er Bach mit seinem zerrissenen Thale und die einfassenden dichten Hecken , und dann noch ein zweites Thal passiren , das zwar wesentlich flacher , aber gleichfalls mit Hecken beſeßt war , die an vielen Punkten unpaſſirbar erſchienen*). Bachelu durchſchritt die Hinderniſſe, aber mit Schwierigkeiten, und es folgte daraus, daß seine Kolonnen etwas auseinander kamen. Er drängte die englischen Blänker zurück, erreichte die Höhe des Plateau's jenseits des zweiten Thales, und erhielt, als er den Fuß auf das Plateau selbst setzte , einen Hagel von Flintenund Kartätschenkugeln zugesandt. Die 6 Bataillone der ersten Linie Pictons hatten , halb versteckt im hohen
*) Diese Hecken , so wie viele andere , dann die Gräben, welche unterhalb des Plateau's von Quatrebras und auf demselben das Feld durchschnitten, sind verschwunden.
193 Getraide und bereit zum Feuern, ihren Gegner erwartet, dem sie jezt aus nächster Nähe ihre Salven zusandten. Die Regimenter Bachelu's, aus einander gekommen, nicht mehr von der Artillerie unterstüßt, die sie jest mastiren, gerathen bei diesem vernichtenden Feuer in Verwirrung und stocken. Picton ſieht Das , greift sie mit dem Ba= jonnet an , wirft sie über beide Ravins zurück und erscheint auf der südlichen , entgegengesetzten Terrainwelle. Dort werden seine Truppen durch ein lebhaftes Feuer vom 108. Regiment empfangen , das durch die Paſſage der Hecken, die es weghauen mußte, aufgehalten worden war , und kurz darauf von den Ulanen und Jägern zu Pferde angegriffen , die Unordnung verbreiten. Bachelu formirt sich wieder, wirft nun seinerseits den Gegner in die Ravins und zwingt ihn zum Rückzuge auf das Pla= teau. Aber doch wiederholt Bachelu das Vordringen über den Bach nicht mehr. Dieses erste Zusammentreffen mit den englischen Soldaten war äußerst blutig. Die Ravins und ihre Zu= gänge sind mit Blau- wie mit Rothröcken bedeckt. Der Herzog von Braunschweig hatte die ihm von Wellington angewiesene Stellung eingenommen, die Linke an der Brüsseler Straße vorwärts eines einzelnen Hauſes, die Rechte gegen das Holz von Bossu, durch zwei leichte Kompagnien mit Picton in Verbindung, dessen Front im Ganzen weiter vorwärts stand. Die Stellung mußte unter dem Feuer unserer Ar= tillerie eingenommen werden , ohne daß derselben geant= wortet werden konnte, da die holländischen Batterien noch nicht wieder gefechtsfähig waren. Der Herzog von Braunschweig hatte deshalb von Wellington einige Geschüße erbeten, der ihm auch 4 Stück von der Diviſion Picton zusandte. Aber kaum hatten dieselben abgeproßt, so waren zwei davon demontirt und den übrigen schwere Verluste beigebracht. Der Herzog von Braunschweig erblickte nun 2 Ko= lonnen, die, starke Blänkerlinien voraus, aus dem Thale 13 Charras, Waterloo.
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von Simioncourt emporstiegen. Es waren Foy's Kolonnen, der Angriff auf's Zentrum, eine auf der Chauffee, die andere näher am Holze. Die braunschweigischen Blänker mußten dem leb= haften Angriffe der französischen nachgeben ; die Bataillone des Herzogs, die vor dem einzelnen Hause standen, waren schon beinahe erreicht, als der Herzog mit etwa 300 ſei= ner Ulanen einen Angriff auf die, auf der Chauſſee vorrückende Kolonne unternahm. Er kam nicht bis zum Chok. Das Gewehrfeuer des vorderen Bataillons , das sofort im Karré formirt war , brachte sie zum Umkehren und seine Bemühungen, sie aufzuhalten, waren vergebens . Die erste Linie seiner Infanterie wich Anfangs mit ziemlicher Ruhe, obwohl sie schon etwas erschüttert war ; aber das Eingreifen der Ulanen und Jäger zu Pferde, welche der Division folgten , brachte Unordnung hervor und ein Theil zog sich in's Holz von Bossu, der andere gegen die Namurer Straße zurück. Hier, mitten in seinen Bemühungen , die Ordnung zu erhalten , ward der Herzog von Braunschweig von einer Gewehrkugel zum Tode getroffen. Er war ein tapferer Soldat und ein feuriger Patriot ; er fand hier, 40 Jahre alt, einen Tod, der seines Lebens würdig war. Seine Husaren warfen sich den Ulanen und Fägern entgegen , die zwischen der fliehenden Infanterie herumsprengten ; aber auch sie wurden zersprengt, lebhaft verfolgt und auf den rechten Flügel Pictons geworfen , der im selben Augenblicke , nach dem blutigen Zuſammenſtoß mit Bachelu, seine Stellung auf dem Plateau wieder erreichte. Unsere Ulanen und Husaren fanden sich solchergestalt bei ihrer Verfolgung plößlich vor den Bataillonen Pictons ; sie sammeln sich rasch und greifen an. Die Ulanen stoßen auf das 42. , im Karré for= mirt *), dringen ein und machen einen Theil davon nie*) Dieses, wie alle Regimenter Pictons , hatte nur 1 Bạtaillon.
195 der ; der Oberstleutenant und einer der beiden Majors werden getödtet. Sie stürzen sich darauf auf das 44., das daneben steht , und dringen ebenfalls ein , erleiden aber so starke Verluste, daß sie zurück müſſen und hinter der Infanterie sammeln. Die Jäger zu Pferde, die im Handgemenge mit den braunschweigischen Husaren bei den Häusern von Quatrebras ankommen , treffen daselbst auf das 92. englische Regiment, halten dessen Feuer aus, ohne jedoch eindrin= gen zu können, hätten beinahe den Herzog von Wellington gefangen genommen, der hinter dem Regimente hielt, und hauen die Flüchtlinge bis jenseits der Namurer Straße nieder, bis sie endlich durch die holländischen Reſerven und die naſſauische Kontingentsbrigade von Kruse , die eben von Brüssel her eingetroffen , aufgehalten werden und darauf hinter die Infanterie zurückgehen, um daſelbſt Athem zu schöpfen. Mit der Brigade von Kruſe zählte Wellington 3000 Mann mehr, nichts desto weniger ist seine Stellung ge= fährdet. Guilleminot ist im Holze allmälig bis in die Höhe der Kolonnenspißen Foy's vorgedrungen ; der Prinz Bernhard von Weimar, in Front und rechter Flanke gedrängt, ist im Rückzuge gegen Houtain-le-Val ; die 4 Regimenter der Division Piré , Ulanen und Jäger zu Pferde , ſind wieder gesammelt und halten sich zu einem neuen Angriffe auf die englischen Bataillone bereit, die von unserer Artillerie lebhaft beschossen werden ; Bachelu zieht sich rechts , um dort den linken Flügel Wellingtons zu umfaffen, da er bei dem Frontalangriffe gescheitert ist. Abermals ist Neh im Begriffe, den Konzentrirungspunkt der wird er nochenglisch-holländischen Armee zu erreichen mals abgeschlagen werden ?
Es ist 54 Uhr. Alten, von Soignies fommend, rückt auf der Chauffee von Nivelles her gegen Quatrebras , mit 2 seiner Bri13 *
196 gaden *) und seinen beiden Batterien; ihm folgt fast unmittelbar eine reitende Batterie der Diviſion Cooke. Das giebt für Wellington eine abermalige Verſtärkung von mehr als 6000 M. und 18 Geschüßen , während Ney keine Infanterie mehr in Reserve hat. Wenn man die Verluste nicht rechnet , so hatte der englische Feldherr jetzt 48 Geschüße und mehr als 30,000 M., von denen etwa 1800 M. Reiterei, der franzöſiſche Marschall 20,000 M. und 38 Geschüße ; aber er_hat hinter sich, bei Frasnes, noch die Division Lefebvre- Desnouettes und eine der Kellermann'schen Diviſionen. Napoleon hatte ihm freilich empfohlen , die Garde nicht in's Gefecht zu bringen und Kellermann zur Ver= fügung zu behalten, so daß er, der Kaiser, die Kürassiere im Bedarfsfalle nach Fleurus ziehen könnte ; aber die Umstände fangen an dringend zu werden. Wird Ney diese Vorschriften bis auf's Aeußerste befolgen ? Während des Gefechtes , das nun schon 34 Stunden dauert, hat er nach und nach vernommen , daß er auf die Division Girard nicht mehr rechnen könne, da Napoleon sie gegen St. Amand gezogen, und daß das ganze Erlon'sche Korps von seinem Wege abgebogen , sich von ihm entferne , anstatt heranzukommen. Er hatte zwar einen Offizier abgesendet , der Erlon nacheilen und ihn zurückrufen sollte , aber er kann doch nicht auf dessen rechtzeitige Ankunft zählen, während die Kräfte des Feindes allaugenblicklich wachsen . Dazu kommt, daß er vor wenig Augenblicken die Ordre d. d. Fleurus , 2 Uhr Nachm. , empfangen **) , die ihm
*) Die 5. Brigade hatte auf dem Marsche, zur Beobachtung in Arquennes zu bleiben. Sie war von der deutschen Legion. Die Mehrzahl der Schriftsteller läßt sie fälschlich mit bei Quatrebras auftreten. (Vergl. History of the King's German Legion, par Beamish .) **) Auf der Rückseite der Ordre ist geschrieben : Dem Herrn Marschall Fürsten von der Moskwa, zu Goffelies, an der Straße
197 vorschrieb , lebhaft Alles anzugreifen , was er vor sich habe, und nachdem er den Feind kräftig geworfen , um= zukehren und sich nach Napoleon zu zu wenden. Das waren wohl Gründe , um von den schriftlichen Empfehlungen Napoleons betreffs der Reiterei von Le= febvre-Desnouettes und Kellermann abweichen zu können. Neh wollte indessen den Kampf fortsetzen , ohne diese schöne Reserve zu benutzen. Alten brachte die englische Brigade C. Halkelt von 4 und die hannöverische Brigade Kielmannsegge von 6 Ba= taillonen mit. Wellington dirigirte die lettere auf seinen äußersten linken Flügel, der anfing, durch Bachelu von Pireaumont her, gedrängt zu werden ; Halkett und 2 braunschweigische Bataillone , die wieder gesammelt worden , rücken rasch über Quatrebras vor. Die drei mit angekommenen Bat= terien werden je eine rechts an das Holz von Boſſu, links an die Brüsseler Straße und in eine Position zwi= schen diese beiden, gestellt ; das Nassauer Kontingent wird zur Unterstützung des Prinzen Bernhard von Weimar entfendet; die holländischen Truppen bleiben in Reserve hinter Quatrebras. Picton hat zwei Karré's , je von 2 Bataillonen, auf demselben Terrain formirt , wo er schon von unseren Ulanen und Husaren angegriffen worden war. Die neuen, durch Wellington in's Gefecht gebrachten Verstärkungen seßten den Fortschritten Guilleminots im nach Brüssel - und dann mit Bleistift: „,Wagnée , bois de Lombuc." Ein Duplikat dieser Ordre trägt die Namen: „Wagnée, Ransart" (Documents inédits etc.). Diese Namen bedeuten offenbar den Weg, den die Offiziere mit der Ordre und dem Duplikate zu reiten hatten; von Fleurus bis Gimioncourt find 6 Stunden auf dem angegebenen Wege ; es ist also wahrscheinlich, daß Ney, wie wir sagen, gegen 5 Uhr die erste, aus Fleurus datirte Ordre erhielt.
198 Holze von Bossu ein Ziel ; die Kolonnen Foy's müſſen in's Thal von Gimioncourt zurück. Ney konzentrirt sein Artilleriefeuer gegen die Truppen auf dem Plateau und erwartet mit fieberhafter Ungeduld, daß die feindlichen Maſſen Spuren von Erschütterung zeigen, um sofort einen neuen Angriff beginnen zu können. Die englische Batterie, die am Holze von Bossu steht, ist bald so weit, daß die Hälfte ihrer Geschüße demontirt ist und sie zurück muß. Die an der Straße wird auch hart mitgenommen, setzt aber ihr Feuer fort. Es ist 6 Uhr geworden . Nun erhält Neh die Depesche *), welche von Fleurus 34 Uhr Nachm. datirt iſt, ihn dringend auf das Schlachtfeld Napoleons ruft und ihm sagt , „ daß das Schicksal Frankreichs in seinen Händen ruhe." Diese eben so dringende als feierliche Aufforderung bestimmt endlich den Marschall, seine rückwärts gelaſſene Reiterei zu benußen ; Kellermann erhält schleunigst den Befehl, eine Brigade der bei Frasnes stehenden Division vorzusenden ; aber die andere Brigade dieser Division **), die andere Division Kellermanns , die Division LefebvreDesnouettes läßt er unverrückt stehen ; er wagt es nicht, sie zu verwenden ! Einige Augenblicke verstreichen , ehe Kellermann eintrifft. Sobald Ney ihn erblickt , sprengt er zu ihm und noch voll von der Depesche , die er eben erhalten , ruft er ihm mit kräftigem Händedrucke zu : „ Mein lieber General, hier gilt es eine mächtige Anstrengung ! Sie müſſen Das Schicksal dort diese Infanteriemaſſe zersprengen. Frankreichs ruht in Ihren Händen ; gehen Sie ab! Ich Lasse Ihnen die ganze Reiterei Piré's zur Unterstützung folgen."
*) Mém. de Napoléon , Th. 9. Appendix. -Am Documents inédits etc. **) Unsere Schriftsteller laffen dieſe Brigade, Dragoner, mit bei Quatrebras fechten; es ist aber ein Irrthum.
199 Diese Aufforderung hätte vielleicht bei manchem der eisernen Männer , die gewohnt waren , die Orkane der Reiterei los zu lassen , ein Stirnrunzeln erzeugt ; man sagt , selbst Kellermann , der Held von Marengo , der Führer so vieler heldenhaften Reiterangriffe , fei darüber erstaunt gewesen ; aber er bebte nicht . Er formirte sich, rückte auf der Chauſſee den Abhang hinauf, zog sich links, ließ zur Attake blasen und stürzte mit seinen 800 Kürassieren auf die Infanterie Halketts. Das erste Regiment, auf das er stößt, ist das 69. *), das ihn in Linie erwartet hat. Er hält auf weniger als 100 Schritt das Feuer desselben aus, durchbricht es und setzt ihm an die Hälfte seiner Leute außer Gefecht. Der Oberstleutenant, Kommandant des Regiments, wird getödtet , der Kürassier Lami vom 8. Regiment erobert die Fahne. Das 69. löst sich auf und entflieht in's Holz. Kellermann sammelt darauf und attakirt das 30. Regiment, das im Karré daneben steht ; hier kann er nicht eindringen, aber das 33 , und die beiden braunschweigischen Bataillone werden über den Haufen geworfen und die Kürassiere dringen mit den Flüchtlingen bis Quatrebras vor. Das Zentrum Wellingtons ist geöffnet. Während dieser wüthenden Angriffe haben die Regimenter Piré's sich auf's Neue gegen Bicton versucht, aber erfolglos . Bald in 4, bald in 2 Gliedern stehend, schlug diese tapfere Infanterie alle Angriffe ab und erregte Bewunderung durch ihre Kaltblütigkeit und ihr mächtiges Feuer. Durch einen Zufall kam das 6. Ulanen - Regiment unter Oberst Galbois in dem Getümmel bis zur Namurer Straße, stürzte sich auf ein hannöverisches Ba= taillon (Division Picton) und sprengte es. Das Feuer zweier nebenstehender Bataillone zwang es zum Rückzuge,
*) Zu 1 Bataillon, wie alle Regimenter Alten's .
200 auf dem es den tapfern Galbois , der schwer verwundet worden , mit sich führte. Bald ging es aber wieder zu neuen Angriffen vor. Neh folgte mit verlangendem Blicke durch den Pulverdampf hindurch dem Kampfe seiner Reiterei. Er sah den glücklichen Anfang Kellermanns , das kühne Vorgehen der Ulanen und Husaren ; er sah , wie Guilleminot das Vorrücken wieder begonnen und schon bis nahe an die Chaussee nach Nivelles und den Nordrand des Holzes von Bossu gedrungen war ; er hörte das Gewehrfeuer Bachelu's, der in der feindlichen linken Flanke vordrang und ließ die Kolonnen Foy's nun gegen Quatrebras anrücken. Die rechte Kolonne nahm das einzelne Haus und vereitelte die Versuche des 92. englischen Regiments , es wieder zu gewinnen ; die linke Kolonne ist im Begriffe den Ostrand des Holzes vollends zu reinigen , da be= kommt Kellermann bei einem neuen Angriffe, den er nachh Quatrebras hin führt , dichte Kartätschenlagen und ein mörderisches Gewehrfeuer aus dem Holze, den benach= barten Häusern und Umfaſſungen. Sein Pferd stürzt ; feine Reiter, bis daher so unerschrocken, erstauneu, zögern, gerathen in Unordnung, kehren darauf um und entfliehen. Taub gegen die Stimme der Offiziere, faſſungslos, wie vom Schlage getroffen, stürzen sie zurück, durchjagen das Thal von Gimioncourt und halten erst wieder vor der Diviſion Lefebvre-Desnouettes, welche ihnen bei Frasnes den Weg sperrt.
Kellermann entrinnt nur mit Mühe ; er kommt zu Fuß, im bloßen Kopfe , ohne Säbel zurück , mit jeder Hand an ein Kürassierpferd sich anhaltend , und findet erst bei der Infanterie wieder Schuß. Der Schrecken der Kürassiere erschüttert Foy's Kolonnen. Die Ulanen und Jäger Pire's gehen auch hinter die Infanterie zurück ; Alles stockt.
201 Net ist überall, um die Soldaten zu ermuthigen und die Haltung herzustellen ; trotz der Niederlage Kellermanns verzweifelt er noch nicht an dem Geschick des Tages . — Es ist fast 7 Uhr. Erlon , der dringend gerufen worden , wird endlich kommen und mit seiner Macht den Sieg entscheiden. Aber während Neh von den Seinigen neue Anstren= gungen fordert, um sich bis zu Erlons Eintreffen zu halten , rücken drüben auf der Chaussee von Nivelles die Division Cooke, englische Garden , mit 1 Batterie , und auf der Brüsseler Straße die 3 noch übrigen braun= schweigischen Bataillone mit 16 Geschüßen ein. Der blutige Kampf wird immer ungleicher. Wenn man die Verluste einstweilen nicht rechnet, zählen die englisch -holländischen Truppen jezt 37,000 M. mit 70 Geschützen, während die Zahl der Franzosen sich gleich blieb, mit Ausnahme von Kellermanns 800 Kürassieren . Ohne Zeitverlust läßt Wellington rechts vom Holze und im Holze selbst die Division Cooke in die erste Linie rücken; die 3 Bataillone Braunschweiger mit ihren 16 Geschüßen rücken über Quatrebras vor , die Bataillone Halletts , denen die Kürassiere so bös zugefeßt , ordnen sich wieder, die hinter Quatrebras gestandenen Reſerven rücken in die Linie. Jeder andere als Neh würde vor einer solchen Machtentfaltung den Rückzug angeordnet haben. Er aber, der zum Führer in schweren Tagen und in entscheidenden Stunden geschaffen schien, er will sich noch immer halten. Er wird aber von der Unmöglichkeit gezwungen werden . Seine Artillerie ist jetzt zu schwach ; ein erneueter Angriff Piré's mißglückt ; Guilleminot muß dem neu hinzutretenden Drucke der englischen Garden nachgeben ; und als ob Alles auf den unerschrockenen Marschall her= einbrechen müßte , gerade jetzt erfährt er , daß er nicht mehr auf Erlon rechnen dürfe. Da zog, sagt man, die Verzweiflung ein in das Herz dieses Mannes , der schon so schwere Proben in den entsetzlichsten Wechselfällen des
202 Krieges bestanden hatte ; unter dem Kreuzfeuer der eng= lischen Batterien und mitten zwischen deren aufschlagenden Kugeln hörte man ihn ausbrechen: ,,Sehen Sie diese Kugeln ! Ich wollte, sie gingen mir alle in den Leib ! "*) Darauf fügte er sich den Umständen und gab Befehl zum Rückzuge aller Abtheilungen. Er erfolgte in guter Ordnung , in größter Festigkeit, Schritt vor Schritt und so langsam, daß in 2 Stunden nur Stunde Wegs zurückgelegt wurden. Gegen 9 Uhr hatte das Gefecht ganz aufgehört. Neyy bezog auf den Höhen vorwärts Frasnes seinen Bivouak, gegenüber Wellington den ſeinigen rechts an der Südspite des Holzes von Bossu, Zentrum und linker Flügel vorwärts des Pachthofes Gimioncourt und vorwärts Pireaumont. Der Tag war für beide Theile mörderisch geweſen. Ney hatte von 21,000 M., die im Gefecht gewesen, mehr als 4000 m. verloren und Wellington mehr als 5000 M. von 37,000 M. , die er verwendet hatte **).
*) Mémoires de Fleury de Chaboulon. London 1820. **) Ein Schreiben , von offiziellen Listen begleitet und an den Präsidenten der Repräsentantenkammer gerichtet, d. d. 1. Juli 1815 und ausgegangen vom Stabschef des 2. Korps , ſezt die Verluste des Korps bei Quatrebras auf 4125 M. Die Kürassiere verloren etwa 250 M. (Notice historique ; Reille sagt einige hundert) . Ney verlor also zusammen etwa 4375 M. Der offizielle Bericht Wellingtons giebt 2480 Engländer, 404 Hannoveraner als verloren und vermißt an, und diese Angabe, die in England völlig frei besprochen worden, iſt nicht widerlegt. Tie holländischen offiziellen Listen setzen den Verlust Perponchers und van Mertens auf 867 M. (Archive des Kriegsminifteriums im Haag.) Die braunschweigischen Verluste betrugen 708 M. (Geschichte des herzoglich braunschweigischen Armeekorps 2c.) und die naſſauischen der Brigade Kruse etwa 200 M. Das giebt zusammen 4659 M.
203 In den ersten Stunden der Nacht traf das Reiter= forps Uxbridge ein, ebenso die Brigade, welche Alten in Arquennes gelassen , als er gegen Quatrebras vorrückte. Der übrige Theil seiner Armee stand dann noch in vier Theilen wie folgt : Bei Nivelles die Divisionen Chassé und Clinton, eine Brigade von Colville, 2 Brigaden der holländisch = belgischen Reiterdivision Collaert. Bei Braine - le - Comte 2 Brigaden von Colville, 2 Regimenter der hannöverischen Reiterbrigade Estorff.. Bei Enghien die Division Stedmann und die indische Brigade unter dem Prinzen Friedrich der Niederlande. Bei Brüssel die Division Cole und die Artilleriereserve. Um alle Truppen bei Quatrebras zu vereinigen, bedurften die entferntesten also immer noch eines ganzen Tages und eines forcirten Marfches. Wenn Wellington gewollt hätte , so konnten seine Truppen bei Quatrebras selbst von den ersten Gefechtsmomenten an stärker auftreten. Die Division Chaffé und 2 Brigaden von Collaert waren zwischen 12 und 1 Uhr Mittags in Nivelles und Arquennes ; zwischen 2 und 3 Uhr konnten sie also bei Quatrebras fein. Sie erhielten aber Befehl in Nivelles und Arquennes zu bleiben. Die Brigade Ompteda der Division Alten konnte mit dieser auf dem Schlachtfelde eintreffen, also gegen 54 Uhr; fie mußte aber in Arquennes bleiben. Es erscheint uns unmöglich, daß diese Befehle, welche so ansehnliche Streitkräfte vom Schlachtfelde entfernt hielten, anders erklärt werden könnten, als : Wellington war noch nicht vollkommen davon überzeugt , daß Napoleons Angriff lediglich auf die Preußen und seinen eigenen äußersten linken Flügel träfe ; er hielt das Erscheinen beträchtlicher französischer Streitkräfte in den Richtungen auf Braine-le-Comte und Nivelles noch immer für wahrscheinlich.
204 Nächstdem , wir haben es besonders erwähnt , hatte er den ganzen Morgen gezögert, ehe er die Division Picton, die braunschweiger und die nassauer Brigade auf die Straße von Charleroy warf. Die Spite dieser Kolonne war gegen 7 Uhr bei Waterloo angekommen und daselbst bis Mittag aufgehalten worden , etwas vor der Gabelung der Straßen nach Nivelles und nach Charleroy, weil Wellington noch unentschieden war, ob er sie auf der einen oder auf der andern vorrücken sollte. Er entschloß sich zwar, diese Truppen nach Quatrebras zu ziehen ; aber er dehnte seinen Entschluß nicht auf alle Divisionen aus, die von rechts her anrückten. Es ist Das ein schwer zu verstehender und nicht zu rechtfertigender Irrthum; er mindert sich nach dem 16. Juni, verschwindet aber nicht. Als Ney seine Bivouaks bezog , traf Erlon bei Frasnes ein. Dieses Korps hatte 5 Divisionen, von denen eine aus Reiterei bestand. Gegen Mittag war Erlon von Fumet ab gegen Frasnes marschirt , wohin ihn der Befehl des Marschall Ney rief. Etwas dieffeits dieses Ortes hatte er die Chaussee verlassen, war rechts ausgebogen und ſtand nach einem beträchtlichen Zeitverluste kaum 1 Stunde von Napoleons linkem Flügel , in der Höhe von St. Amand. Erlon hatte dort eine feiner Infanteriedivisionen , Durutte, und die Reiterdivision stehen lassen, war mit seinen übrigen Truppen umgekehrt und traf jest mit ihnen bei Frasnes ein. Die Ordre, welche Ney diesen Morgen ertheilt hatte, schrieb vor, daß eine Infanterie- und die Reiterdivision nach Marbais rücken sollten. Erlon hatte jedenfalls ge= glaubt , dieser Vorschrift zu entsprechen , als er die Divisionen Durutte und Jacquinot auf eine Stunde Ent= fernung dieſem Dorfe gegenüber stehen ließ. Durutte , der, als der älteste im Grade, hier das Kommando hatte, zögerte, wie es scheint, lange, ehe er
205 sich nach der Chauſſee von Namur nach Nivelles_diri= girte ; er hielt sich in einiger Entfernung von Wagnelée. Jacquinot ging voraus und traf mit einigen preußischen Schwadronen zusammen , die dafelbst das Terrain aufklärten. Er beschoß sich mit ihnen , Durutte rückte Infanterie vor und als die Preußen darauf zurückgingen, zogen sich beide Generale an Wagnelée heran , wo sie, wie wir im vorigen Kapitel erzählten, mit sinkendem Tage eindrangen , als Blücher eben den Rückzug ausführte *) . Während dieser Zeit folgten der Stabschef Durutte's und einer seiner Adjutanten, der Oberst Gordon, und der Escadronschef Gaugler dem Beiſpiele Bourmont's und desertirten **). *) Dieſe Details ſtammen aus einer Notiz der Documents inédits etc. , vom General Durutte gegeben , die gegen den General Erlon wenig wohlwollend sich zeigt. Im Vorbeigehen gesagt, erhellt aber daraus die Ungenauigfeit derjenigen Erzählungen, welche das 1. Korps rückwärts Brye, einen Kanonenschuß von den preußischen Reserven , erscheinen und es darauf, auf Ney's Befehl, wieder nach Frasnes marschiren lassen. Erlon ist nicht einmal bis in die Höhe von Wagnelée gekommen, und Durutte hat die Namurer Chauſſee nicht erreicht, was übrigens mit der Stellung zusammenhängt , welche die Preußen am ganzen Abende einnahmen. **) Dieser Gordon war am 20. Juni bei Clarke in Gent und schrieb für ihn eine detaillirte Angabe über Stärke und Zustand der französischen Armee nieder. Sie war 1839 noch in den Archiven des Dépôt de la Guerre, und wir entnehmen daraus folgende Sätze: "Der Geist der Soldaten ist abscheulich; sie sind rasend ; ich bin überzeugt, daß die erste Folge ihrer gegenwärtigen Niederlage (Waterloo) in einer entsetzlichen Indisziplin und tausend Exzessen bestehen wird. Schon in Frankreich fingen sie an zu plündern und erklärten laut , daß, wenn sie zurück müßten, Alles verbrannt würde. Diese Armee ist für Frankreich_verloren und muß es sein. Die Mehrzahl der Generale ist unentschieden und liebt weder den König noch Bonaparte." Wenige Tage darauf fand Gordon einen tragiſchen Tod auf dem Glacis von Condé, das er zur Uebergabe aufforderte.
206 Durutte, auf seine Kräfte beschränkt, hatte keinen Antheil an der Schlacht bei Ligny genommen, und die Hauptmacht des 1. Korps, die unter Erlon bei Frasnes ankam, nügte dort auch nichts. Zwanzigtausend Mann und 46 Geschüße waren von Mittag bis 9 Uhr Abends zwischen zwei Schlachtfeldern herummarschirt, die 2 Stunden von einander liegen , ohne auf einem derselben einzugreifen. Hätten sie auf Wagnelée und la Hahe zu ihre Verwendung gefunden, so wäre der Ruin der preußischen Armee sicher geweſen ; und hätten sie rechtzeitig bei Quatrebras eingegriffen, so war dasselbe Resultat erreicht, denn Ney, stark genug, hätte die englisch-holländischen Truppen bei Zeiten zurückgeworfen und dann noch die Operation ausführen können, die Napoleon in den beiden, von Fleurus ausgefertigten Ordres verlangte.
Zehntes Kapitel.
Ursachen des Marsches Erlons gegen St. Amand und seines Kontremarsches am 16. Juni ―― Prüfung der Maaßnahmen dieses Generals und derer Ney's - Napoleon allein konnte die Verantwortlichkeit dafür übernehmen , Erlon gegen die preußische Armee abrücken zu laſſen die Erzählungen von St. Helena find erfunden und den Ereignissen angepaßt. Durch welche Ursachen wurden die unfruchtbaren Maaßregeln Erlon's bedingt , oder schärfer ausgedrückt, warum rückte das 1. Korps gegen St. Amand , anstatt seinen Marsch gegen Frasnes fortzusetzen ? und weiter, warum führte es den Kontremarsch aus , der es nach Frasnes zurückbrachte ? Diese Fragen sind vielfach und auch sehr leidenschaft= lich erörtert worden , zumal dieſe Wirkungslosigkeit des 1. Korps am 16. Juni nicht blos auf die Entscheidungen dieses Tages, sondern auch auf die des ganzen Feldzuges wesentlich eingewirkt hat. Neh selbst hat gesagt *), und viele Schriftsteller haben es ihm nacherzählt, es ist auch eine sehr allgemein ge=
*) Das Gefecht (bei Quatrebras) ward allgemein, und der Sieg war nicht zweifelhaft , als ich, in demſelben Augenblicke,
208 glaubte Ansicht, daß das Korps bei seinem Marsche gegen Frasnes auf direkten Befehl Napoleons nach St. Amand abgerufen worden sei , wie es auch schon mit der Division Girard , vom Reille'schen Korps , der Fall ge= wesen war. Napoleon hat dies aber ausdrücklich und mit großem Eifer von sich abgelehnt *) , und hierin muß er Recht haben, denn es ist unmöglich, den direkten Marsch des 1. Korps mit dem Inhalte der von Napoleon erlaſſenen Ordres in Einklang zu bringen, die, um 2 und um 34 Uhr abgesendet, von einer solchen Bewegung nichts er= wähnen , dem Marschall vielmehr vorschrieben , so zu manövriren, „ daß der preußische rechte Flügel umfaßt werde und er schleunig und mit aller Gewalt (a bras reccourci) ihren Rücken angriffe.“ Das Eine schloß das Andere aus. in welchem ich das 1. Korps , das ich bisher bei Frasnes in Reserve gelassen , vorrücken wollte , erfuhr, daß der General (Napoleon) darüber verfügt hatte, ohne eine Nachricht zu geben , eben so wie über die Division Girard (2. Korps), um sie gegen St. Amand zu ziehen und dadurch seinen linken Flügel zu unterstützen, der mit den Preußen im heftigen Gefechte stand. Die Folgen dieſes Schlages waren furchtbar ; anstatt 8 Divisionen hatte ich deren nur 3, und war dadurch gezwungen, den Sieg entschlüpfen zu lassen. (Brief Ney's an Fouché, vom 26. Juni 1815.) *) Fleury de Chaboulon, Requêtenmeister am Staatsrathe und dem Kabinet Napoleons während des Feldzugs beigegeben, eraltirter Bonapartist, sagte in seinen Memoiren (2 Bände, London 1820), daß er den Marsch Erlon's erkläre und „ dieſen Punkt aufhelle." Napoleon antwortete ihm : „Sehr schlecht, wie ein junger Mensch, der zum ersten Male im Gefecht ist. Wie will Jemand , der bei einer Schlacht nicht zugegen war , sondern sie nur von einer Stunde Entfernung aus gesehen hat, Erklär "1 ungen geben? Diese Erklärung aber besagte, daß „Napoleon dem 1. Korps direkten Befehl gesendet, in aller Eile gegen den rechten Flügel der Preußen anzurücken."
209 Napoleon ist weiter gegangen und hat auf Neh und auf Erlon die Verantwortlichkeit für des Letzteren BeEr erzählt : wegung auf St. Amand zurückgeworfen. ,,Ney hatte das 1. Korps bei Gosselies , 24 Stunde von Quatrebras , in Reserve gelaſſen, und daß Erlon darauf herbeigekommen sei , um den Angriff auf St. Amand zu unterstützen *). Beides ist unrichtig. Neh dachte nicht daran, das Korps Erlon's 24 Stun= den von Quatrebras entfernt zu lassen , hatte es vielmehr nach Frasnes zu sich gerufen und zwar mittelst schriftlicher Ordre, zweifellosen Inhaltsvergl. S. 183 ausgefertigt sofort nach Empfang der Depesche Napoleons , die durch den Generaladjutanten Flahault um 104 Uhr von Charleroh nach Frasnes befördert wor= den war. Erlon war im Besiße dieser Ordre , die ihn nach Frasnes auf das Schlachtfeld zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten rief, als er von seiner Nichtung abbog, um auf ein anderes Schlachtfeld loszumarſchiren ; er that dies aber nicht ohne äußere Veranlassung. Er giebt die Umstände und Beweggründe folgendermaaßen an : ,,Gegen 11 oder 12 Uhr sandte mir der Marschall Neh den Befehl , mit meinem Korps aufzubrechen und gegen Frasnes und Quatrebras vorzurücken, wo ich weiteren Befehl erhalten würde. Mein Korps brach sofort auf und nachdem ich dem General , der die Avantgarde kommandirte, Beschleunigung empfohlen hatte , eilte ich voraus, um zu sehen, was bei Quatrebras, wo mir das Korps des General Reille engagirt schien , vorging. Jenseits Frasnes blieb ich bei einigen Generalen der Garde halten und ward daselbst vom General Labédoyère ´erreicht, der mir eine mit Bleistift geschriebene Note zeigte, die dem Marschall zur Pflicht machte, mein Armeekorps gegen Ligny zu senden. Der
*) Memoiren, Th. 9, p. 85, 86. Charras, Waterloo.
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210 General Labédoyère theilte mir gleichzeitig mit , daß er diese Bewegung bereits angeordnet, indem er meine Kolonne in die betreffende Richtung eingewiesen, und zeigte mir die Gegend an, wo ich sie treffen könnte. Ich ging sofort dahin ab .... Hatte der General Labédoyère den Auftrag, meine Kolonne aus ihrer Direktion zu weisen , ehe er den Marschall Neh gesehen ? Ich denke, nein" *). Diese Erzählung wird durch das Zeugniß des Oberſten Heymės bestätigt, der gleichzeitig Adjutant und Stabschef bei Ney war , nur nennt Heymès einen andern Namen und sagt , daß es der Oberst Laurent gewesen , der das 1. Korps in eine andere Richtung gewiesen und nachher den Marschall davon benachrichtigt habe ** ). man möchte fast sa= Aller Wahrscheinlichkeit nach gen: es ist gewiß - existirte also ein Befehl , der das Erlon'sche Korps von seinem Wege ab und gegen St. Amand rief; der Befehl rührte aber nicht von Napoleon her ***), sondern entstand aus einem Irrthume, aus dem übel verstandenen Diensteifer eines Ordonnanzoffiziers. *) Documents inédits etc. **) In einer 1818 erschienenen Brochüre, die unter Mitwirkung des General Foy von Herrn Gamot, Schwager Ney's, geschrieben ist, war schon vor Heymės der Artillerieoberst Laurent, dem großen Generalstabe beigegeben , genannt worden. (Réfutation en ce qui concerne le maréchal Ney , de l'ouvrage ayant pour titre : Campagne de 1815 etc. par Gourgaud .) Ebenso giebt er am 21. September deffelben Jahres in einem Briefe, den er an das Journal général gerichtet , an, daß der Oberst Laurent um 3 Uhr bei Ney eintraf, und fügt bei : „dieser Offizier lebt noch und kann es beſtätigen, daß er den Befehl gebracht (das Erlon'sche Korps auf St. Amand rücken zu lassen).“ ***) Der Herzog von Elchingen erzählt auch eine Anekdote, die ihn persönlich angeht und die diese Annahme noch unterftüßt: Ich traf den General Bertrand einige Zeit nach dessen Rückkehr aus St. Helena , als er noch voll von den Erinnerungen und Eindrücken war , die er vom Kaiser erhalten ; bei einer Besprechung des Gefechtes von Quatrebras sagte er mir:
211 Aber nun , da das 1. Armeekorps einmal in Folge dieses Irrthums bei St. Amand angekommen war, weshalb ist es nach Frasnes zurückgegangen ? Der Marschall Ney giebt an, es sei ihm vom Oberkommandanten zurückgesandt worden“ *) , der Kaiser sagt, „ daß Neh es habe holen laffen“ **) , und Erlon , „ daß er den ausdrücklichen Vorschriften des Marschalls , die ihm der General Delcambre überbracht, gefolgt sei " ***). Obwohl diese Angaben sich scheinbar widersprechen, so thun sie es doch nicht unbedingt, denn sie schließen weder die Möglichkeit der Einwilligung des Kaisers noch einer Ordre desselben aus, die mit den ,,ausdrücklichen Vorschriften des Marschalls " übereinstimmte . Eine solche Ordre oder wenigstens die Einwilligung des Kaisers darf man sogar voraussetzen, wenn man sich erinnert, daß der Kaiser durch den Adjutanten mit Erlon verkehrte, den er von Fleurus aus absandte, um das 1. Korps zu refognosziren, das ihm von Vandamme als feindlich bezeichnet war. Es ist gar nicht zu glauben, daß Erlon, nachdem er in Folge von irrthümlichen, aber ihm im Namen des Kaisers von Labédoyère oder Laurent ertheilten Instruktionen, in der Nähe von St. Amand angekommen , von dort in dem Augenblicke des heftigsten Kampfes wieder abmarschirt sei , ohne den Befehl oder die Einwilligung des Oberkommandanten. Bis zur Rückfehr des von Fleurus aus entfendeten Adjutanten wußte Napoleon vielleicht noch nicht , daß Neh bei Quatrebras gegen überlegene Kräfte focht ; aber dann hat er es sicher erfahren und diese Nachricht hat ihn bestimmt, Erlon zu befehlen oder ihm zu erlauben, daß er zum Marschall zurückkehre. „Warum hat uns der Marschall Ney das Erlon'sche Korps " gegen St. Amand gesandt ? *) Schreiben des Marschalls Ney an Fouché. **) Memoiren, Th . 9, S. 91 . ***) Schreiben Erlon's, Documents inédits etc. 14*
212 Sicherlich hat es sich so und nicht anders verhalten *) . Nicht minder folgerichtig erscheint diese Annahme dadurch, daß Erlon in den Memoiren von St. Helena wegen seines Rückmarsches keiner Verkennung der kaiser= lichen Befehle beschuldigt wird. Aber fast alle französischen Schriftsteller haben diesen Kontremarsch benugt, um Neh und Erlon zu beschuldigen, das 1. Korps am 16. Juni nuplos gemacht zu haben. Nach ihnen hätte Ney die Umkehr nicht befehlen sollen, und Erlon hätte den Befehl nicht ausführen , sondern gegen die Preußen vorrücken sollen, denn es war zu spät zum Befehlen und noch mehr zum Gehorchen. Aber diese Beschuldigung ist kleinlich , denn sie ruht nur darauf, wie es gekommen ist, und nichts als der Verlauf der Sache spricht dafür , daß das 1. Korps , als es gegen 9 Uhr bei Frasnes ankam , nußlos ſein ſollte. Zwei Stunden früher und selbst um diese Zeit noch konnte Das Niemand voraussehen ; obwohl die Nacht heranrückte, so konnte Wellington ganz wohl seine Erfolge noch um 9 Uhr Abends benutzen wollen und es versuchen , den tapfern Rückzug Ney's in eine Flucht zu verwandeln ; Erlon wäre dann ganz a tempo gefommen, um Ereignisse zu verhüten, welche die ganze Armee bloß gestellt hätten.
*) Der General Durutte hat in der schon erwähnten Note gesagt, " daß im selben Augenblicke, als Erlon die Befehle Ney's zur Umkehr erhielt , er auch auf's Neue das dringende Ersuchen Napoleons erhielt, gegen Brye vorzurücken." Aber es ist gar nicht wahrscheinlich, daß Napoleon einen Untergebenen dringend ersucht habe, und es ist gar nicht zu glauben , daß, dringendes Ersuchen für Befehl genommen, Erlon einem solchen dort nicht gefolgt sei , wenn er ihn erhalten hätte. Durutte wußte zwar, daß eine Verbindung zwischen Erlon und dem Kaiser stattgefunden , seine Note beweist es , aber er kannte den Inhalt der Mittheilungen nicht genau. Die Memoiren von St. Helena bestätigen auch, daß solche Mittheilungen stattgefunden ; wir haben darauf hingewiesen.
213 Sonderbarer Widerspruch ! Dieselben Schriftsteller, welche hier so lebhaften Tadel gegen Neh und Erlon aussprechen , überschütten später einen andern Marschall mit ihrem Zorne, daß er nicht , und wenn es auch im letzten Scheine des Abends noch gewesen wäre , auf dem Schlachtfelde erschien , auf welchem der Krieg entschieden wurde. Eins aber giebt es, und zwar vollkommen unbestreit= bar, was an und für sich allein die durchgreifende Rechtfertigung Ney's und Erlon's enthält und über der ganzen Erörterung steht , nämlich daß der Kaiser, sei es nun aus Irrthum Labédoyère's oder Laurent's oder gleichviel aus welcher anderen Ursache , das 1. Korps zu seiner Verfügung bekommt, daß er davon genaue Kenntniß ge= habt, daß er es 2 Stunden vor Ende des Tages auf das Schlachtfeld von Ligny ziehen konnte, und daß er es wieder abrücken ließ, wenn er es ihm nicht befohlen hat. Neh hatte auf nichts weiter Acht zu geben , konnte es auch nicht, als was vor ihm sich zutrug , und was seine Lage ihm auferlegte. Erlon war sein Untergebener ; ward er von Neh nach Quatrebras gerufen und von Napoleon nicht zurück gehalten , so mußte er dem Mar= schall gehorchen. Napoleon führte das Oberkommando, und wir wiederholen es , er allein konnte das 1. Korps, als es ihm unter die Hände kam, gegen die preußische Armee verwenden. Er hätte die Kühnheit und die Einsicht haben sollen , Erlon solchergeſtalt eine entscheidende Rolle zuzutheilen , und hätte, auf die erprobte Festigkeit des Marschall Ney vertrauend , es ihm überlassen sollen, die englisch - holländische Armee bei Quatrebras aufzu= halten. Diese Kühnheit , diese Einsicht hatte er nicht. Das war ein Hauptfehler ; er rettete die Blücher'ſche Armee vor der Niederlage, aber er kann ohne Ungerech= tigkeit oder Kurzsichtigkeit weder Neh noch Erlon zuge= schoben werden. Früher hätte Napoleon wohl ganz anders gehandelt. Jetzt war er schwächer geworden. Daran liegt es,
214 daß Erlon nußlos blieb und Blücher einer Niederlage entging. Ney, obwohl er der Mitwirkung des ganzen Erlon'schen Korps und der Division Girard entbehren mußte, leistete doch einen unermeßlichen Dienst und war , mit seiner wunderbaren Energie , wohl der Einzige, der ihn leisten konnte : er hinderte Wellington, auf dem Schlachtfelde von Ligny zu erscheinen ; er vereitelte das Ver= sprechen, das der englische Heerführer dem preußischen gegeben , ein Versprechen, daß diesen Letteren bewogen hatte, dem Angriffe Napoleons zu stehen.
Und man hat gefunden, daß er nicht genug gethan; er hätte die englisch - holländischen Truppen besiegen und zerstreuen sollen, darauf gegen Brye und St. Amand umfehren und Blücher den Gnadenstoß geben sollen ; in seinen Händen ruhte, nach Napoleons Worten , das Schicksal Frankreichs - und er ließ es fallen! Die Erzählungen von St. Helena haben diese Ansicht aufgestellt, verbreitet und zur allgemeinen gemacht, wenig= stens in Frankreich , denn im Auslande haben die be= rühmtesten Schriftsteller sie nicht angenommen.
Sie ist aber im höchsten Grade ungerecht. Napoleon hat sich nicht blos darauf beschränkt , dem Marschall vorzuwerfen,,,daß er das 1. Korps 24 Stun den hinter Quatrebras gelassen und viel zu spät zu sich gezogen habe" ein unbegründeter Vorwurf, wie wir nachgewiesen sondern behauptet noch,,,ihm Instruk tionen ertheilt zu haben, deren Ausführung er sehr lange verzögert und dann mit übertriebener Aengstlichkeit be= handelt habe."
Wenn man ihm glauben wollte ,,,so empfing der Marschall Ney in der Nacht zum 16. den Befehl, am 16. mit Tagesanbruch vorwärts Quatrebras und rittlings der Brüsseler Straße in eine gute Stellung zu rücken , und die Straßen nach Nivelles und
215 Namur durch Seitendetaſchements zu decken. Graf Fla= hault, Generaladjutant, überbrachte diese Befehle . . . . *) ,,Ney trat seine Bewegung erst um 9 Uhr_an **). Seine Blänker eröffneten um 2 Uhr das Gefecht ; aber erst gegen 3 Uhr , als die Kanonade von Ligny in aller Heftigkeit losbrach, rückte er entschlossen auf den Feind Log" ***). Aber bis auf Weniges ist das Alles reine Erfindung. Neh verbrachte einen großen Theil der Nacht vom 15. zum 16. bei Napoleon in Charleroh ; er ging erst um 2 Uhr früh ab . Diese Thatsache ist sowohl durch Heymės , seinen Adjutanten, als durch Reille †) bestätigt, und Niemand hat sie noch bestritten. Wenn also Napoleon dem Marschall Ney befohlen hat,,,mit Tagesanbruch bis über Quatrebras vorzu- . rücken 2c.", so hat er es ihm mündlich befohlen und dazu weder Flahault's noch sonst Jemandes bedurft, um den Befehl zu überbringen. Die nächtliche Entsendung dieses Offiziers ist also eine Fabel. Er hat ihr selbst Gerechtigkeit widerfahren laſſen ; er hat die fragliche Ordre überbracht ; er hat sie selbst nach Napoleons Diktat nachgeschrieben; er giebt an, daß er sie zwischen 8 und 9 Uhr Morgens schrieb und
*) Memoiren, Band 9, S. 76. **) Ebendaselbst S. 89. ***) Ebendaſelbſt S. 90 . †) Um Mitternacht gab er (Ney) in Charleroy Rechenschaft von den Anordnungen, die er getroffen. Der Kaiser behielt ihn zum Souper dort .... Alle Generale des Hauptquartiers fönnten es bestätigen .... Am 16. , 2 Uhr früh , kam der Marschall nach Gosselies zurück. (Relation de la Campagne de 1815 etc. par Heymès.) Am 16. früh gegen 7 Uhr suchte der General Reille den Marschall Ney auf, der in der Nacht nach Gosselies zurückgekommen war, um Befehl einzuholen. (Notice historique etc. par le Général Reille.)
216 daß er dann von Charleroy abritt, um sich zum Marschall zu begeben * ). Es ist auch zu bemerken , daß die Lesart von St. Helena um nichts wahrscheinlicher würde, wenn sie sagte, daß Ney den betreffenden Befehl von Napoleon mündlich erhielt, denn dann würde es unerklärlich sein , daß Ney bis 2 Uhr früh in Charleroh zurückgehalten worden : in der Mitte Juni beginnt ja der Tagesanbruch um 24 Uhr.
Es giebt aber noch Zeugnisse, welche die Lesart von St. Helena gänzlich vernichten. Reille hat angegeben , „ daß , als er früh 7 Uhr sich zum Marschall Ney begeben, der in der Nacht nach Goffelies zurückgekommen, um Befehle einzuholen, der Marschall ihm gesagt, daß er Ordres vom Kaiser erwarte , dem er von seiner Aufstellung Meldung erstattet habe." Diese Antwort stimmt nicht mit den, nach Napoleons Angaben in der verflossenen Nacht ertheilten Instruktionen . Der Oberst Janin, Souschef vom Stabe des 6. Ar= meekorps , erzählt seinerseits, daß er am 16. Morgens abgesendet worden , um Nachrichten über die Kräfte einzuziehen, mit denen der Marschall zu thun hätte , daß ihm dabei nur mitgetheilt worden, wie er deſſen Posten vorwärts Gosselies finden werde **). Von Gosselies bis Quatrebras ist es aber weiter als 3 Stun= den, wohlbemerkt ! Diese Thatsache trägt auch nicht dazu bei, zu beweisen, daß Neh Befehl gehabt habe,,,mit Tagesanbruch vorwärts Quatrebras in Stellung zu rücken.“ Ein Schreiben des Major-Generals , aus Charleroy, am Morgen des 16. erlassen , widerspricht ausdrücklich dem Vorhandensein eines derartigen Befehles.
*) Schreiben des Grafen Flahault an den Herzog von Elchingen, vom 24. November 1829. (Documents inédits.) **) Campagne de Waterloo, par E. F. Janin, Oberst im Generalstabe.
217 Soult benachrichtigt nämlich Neh, daß der Kaiser an Kellermann befohlen , sein Korps zu vereinigen und es gegen Goffelies in Marsch zu setzen ; er schließt : „ Be= nachrichtigen Sie mich, ob das 1. Korps seine Be = wegung ausgeführt und welches an diesem Morgen die genauen Stellungen des 1. und 2. Armeekorps und der beiden ihnen zugetheilten Reiterdivisionen sind ...." Wenn nun Neh wirklich den Befehl erhalten hätte, mit Tagesanbruch vorwärts Quatrebras in Stellung zu rücken , so würde Soult Mittheilung darüber verlangt haben, wie weit die Ausführung dieses wichtigen Befehles gediehen sei. Aber ganz im Gegentheil ; Soult spricht davon gar nicht, giebt keinerlei Andeutungen , nennt das Wort Quatrebras gar nicht; er begnügt sich , zu fragen, ob das 1. Korps seine Bewegung ausgeführt habe, d. h. ob es vollständig vereinigt sei , und mitzutheilen, daß Kellermann gegen Gosselies rückt, was noch über 3 Stunden von Quatrebras iſt. Die Stunde, in welcher dieses Schreiben des MajorGenerals ausgefertigt worden , ist nicht genau bekannt ; gewiß ist nur, daß es vor 8 Uhr geschehen. Bis jetzt wissen wir aus allen den Mittheilungen, die zwischen Neh und dem kaiserlichen Hauptquartiere ge= wechselt wurden , daß noch keine Ordre, weder schriftlich noch mündlich vorhanden war , welche eine Bewegung gegen Quatrebras vorgeschrieben hätte. Das , was nun folgt , liegt in größerer Genauigkeit vor und widerspricht mit noch mehr Schärfe den Erzähl= ungen der Memoiren von St. Helena. Bevor wir zur Schlacht von Ligny schritten , haben wir zwei Depeschen aufgeführt , beide aus Charleroh an den Marschall Ney gerichtet, die eine von Napoleon, die andere vom Major-General. Diese Depeschen ertheilten dem Marschall seine Ver= haltungsbefehle für den 16. Juni.
218 Die lettere ist, genau genommen, nur das Duplikat der ersten, und beide waren, wie wir noch beweisen wer= den, zwischen 8 und 9 Uhr geschrieben. Wer sie gelesen hat , wird überzeugt sein , daß keinerlei Marschbefehl ihnen vorausging . Die Depesche Soult's beginnt : ,,Der Kaiser befiehlt, daß Sie das 1. und 2. Ar= meekorps, sowie das 3. Reiterkorps, das an Ihre Be= fehle gewiesen ist, in Marsch seßen , um sie auf die Kreuzung der Chausseen, genannt Troisbras (Quatrebras), Brüsseler Chauffee, zu führen, woselbst Sie mit ihnen Stellung zu nehmen haben." und schließt mit den ebenso bezeichnenden Worten : „Ich bitte Sie , mich sofort derart zu benachrichtigen, daß ich dem Kaiser über Ihre Anordnungen zur Ausführung der gegenwärtigen Ordre Vortrag erstatten fann.“ Da liegt der augenscheinliche Beweis , daß eine Be= wegung gegen Quatrebras oder über Quatrebras hinaus bis daher noch nicht anbefohlen worden war ; man hätte anders mit einem General gesprochen , der eine solche Ordre und schon vor so langer Zeit erhalten gehabt hätte. Die Depesche Napoleons beweist daſſelbe. Die Lesart der Memoiren von St. Helena, welche gegen den Marschall Net Beschuldigungen erhebt , ist eine reine Erfindung : es stimmt Alles darin überein, Zeugnisse von Flahault, von Heymės , von Reille , von Janin und die offiziellen Depeschen des kaiserlichen Haupt= quartiers. Nur erst nachdem er sich entschlossen , das Zentrum und den rechten Flügel über Fleurus hinauszurücken, erließ Napoleon den Befehl an Ney , gegen Quatrebras zu marschiren. Als wir aufstellten , daß der Marschall Neh am 15 . Abends nicht bis Quatrebras hatte vorgehen sollen,
219 haben wir auch bemerkt , daß die beiden erwähnten Be= wegungen nur dann mit Sicherheit zu bewerkstelligen waren, wenn eine die andere unterstützte, d . h. wenn ſte gleichzeitig erfolgten, und ſo ſind sie auch erfolgt. Die weitere Frage ist, ob Napoleon wahrheitsgetreuer gesprochen , wenn er Ney einen großen Zeitverlust vor dem Beginne des Angriffs und dann einen kraftloſen Angriff vorwirft ? Wir müssen hier abermals in die äußersten Details hinabsteigen, aber das ist ein Uebelstand, der von dieſem so kurzen Feldzuge unzertrennlich ist. Die Stunden hatten hier eben so großen Einfluß, als in andern Feldzügen die Tage, und man muß sie mit äußerster Sorg= falt , sozusagen die Uhr in der Hand , festlegen , wenn man nicht durch die, bei der Ungenauigkeit interessirten Darstellungen sich irre geführt sehen will. Um die Handlungsweise Ney's beurtheilen zu kön= nen, muß vorerst genau ermittelt werden, zu welcher Zeit er den Befehl, gegen Quatrebras zu rücken , erhalten, ein Befehl, der ihm durch zwei Depeschen ertheilt wurde, die, wie wir eben gesehen , eine von Napoleon selbst, eine vom Majorgeneral herrührten und zur selben Zeit in Charleroy geschrieben wurden. Die Depeschen sind ohne Stundenbezeichnung. Wenn man aber berücksichtigt , daß die Bewegungen aller drei Haupttheile der Armee gleichzeitig erfolgen sollten , wenn man ferner berücksichtigt, daß der Marschbefehl an Vandamme von 8 Uhr früh datirt ist, *) daß Gérard den ſeinigen um 94 Uhr empfing, vorwärts Châtelet , **) alſo wenigstens 2 Stunden von Charleroh, so ist leicht zu berechnen, daß die Ordre an Neh zwischen 8 und 9 Uhr geschrieben worden ist. Die Berechnung wird auch durch das hier sehr wichtige Zeugniß des General-Adjutanten *) Vergl. Note S. 139. **) Quelques documents etc. par le Général Gérard.
220 Flahault bestätigt , der wirklich die Zeit zwischen 8 und 9 Uhr als diejenige angiebt, in welcher ihm Napoleon das Schreiben an Neh diktirte, von dem man übrigens auch noch genau weiß, daß es eher an seine Bestimmung gelangte, als das von Soult. * ) Die Depesche Napoleons ist sehr ausführlich. Wenn man annimmt, daß sie rasch diktirt und raſch geschrieben wurde, so konnte Flahault, der sie beförderte, etwa um 19 Uhr zu Pferde steigen und von Charleroh abreiten. Er hatte 44 Stunde zu reiten ; er blieb in Gosselies doch so lange, um Reille den Inhalt der Ordre in der Hauptsache mitzutheilen. **) Wenn er nun zwischen 104 und 104 Uhr in Frasnes ankam, so hatte er seinen Auftrag gewiß rasch besorgt , denn er war 3 Stunden Wegs in einer Stunde geritten. Es war also frühestens um diese Zeit , Hehmès sagt gegen 11 , daß der Marschall die Depesche Napoleons erhielt. Um fie durchzugehen, und die Instruktionen für Reille, Erlon und Kellermann zu schreiben , waren einige Augenblicke nöthig ; Reille also, der bei Gosselies, mehr als 2 Stun= den rückwärts Frasnes stand, konnte seinen Marschbefehl nur erst gegen 114 Uhr erhalten. Er hatte, durch Flahault auf die Befehle vorbereitet, ſeine Truppen in Bereitschaft ; er beeilte sich; und auch Marschall Neh kann mit seinen Anordnungen keine Minute verloren haben , da der Angriff auf den Prinzen
*) Der Major-General wird Ihnen Befehle zusenden ; aber Sie werden die meinigen cher erhalten , weil meine Offiziere raſcher reiten , als die ſeinigen. (Vergl. das Schreiben Napoleons an Ney.) Reille und Heymės bestätigen , daß Ney in der That das Schreiben Napoleons früher erhielt. **) ,,Generalleutnant Flahault theilte mir den Inhalt der an Ew. Exzellenz gerichteten Ordres mit." (Schreiben Reille's an Ney, aus Gosselies, 104 Uhr. Docum. inédits.)
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221 von Oranien um 2 Uhr ―― und wenn man den ausländischen Schriftstellern glauben soll , sogar noch vor begann. 2 Uhr → Es ist also dem Marschall auch nicht der geringste Vorwurf zu machen. Die Anschuldigung von geringem Nachdrucke und Unentschiedenheit in der Führung des Angriffs klingt sonderbar einem Manne von so soldatischem Charakter gegenüber, einem General gegenüber , dessen Verantwort= lichkeit durch ausdrückliche und schriftliche Befehle aufge= hoben ist. Es wird freilich beigefügt , daß der geringe Nachdruck und die Unentschiedenheit nur im Beginn des Gefechts bemerkbar gewesen wären, und einer großen Unerschrockenheit und Entschlossenheit Platz gemacht hätten, als die Lage schwierig ward. Neh hatte es mit einem jungen, geschickten und entschlossenen Gegner zu thun , dessen Truppen von einem guten Geiste beseelt waren , der in günstigem Terrain stand und zähen Widerstand leiſtete. Dieser Widerſtand dauerte , den anfangs fast gleichen Kräften gegenüber, etwa 14 Stunde, dann als Ney die Division Guilleminot erhalten und damit überlegen geworden war, nur wenig Augenblicke. Wo ist da etwas so Befremdliches , daß man zur Erklärung die Energielosigkeit des Angriffs herbeiziehen muß?
Neh hätte Quatrebras genommen , wenn nicht gegen 34 Uhr Picton und der Herzog von Braunschweig an= kamen ; das bezweifelt Niemand , selbst nicht die hollän= dischen Schriftsteller. *)
*) Wir führen u. A. van Löbenfels, Adjutanten des Prinzen Friedrich der Niederlande, an (Précis de la Camp. de 1815, Haag 1849), einen gewissenhaften und für Alles , was die Operation der niederländischen Truppen betrifft, wohl unterrichteten Schriftsteller.
222 Diese Verstärkung stellte auf's Neue das Gleichge= wicht der Kräfte her und doch stimmen selbst die engli= schen Schriftsteller darin überein , daß 2 Stunden später und bis zum Einrücken der Division Alten und des Kontingentes Nassau, Wellingtons Lage eine sehr bedenkliche war. *) So ist die Wahrheit und sie gereicht dem Marschall zur Ehre. Die Depeschen, welche von Fleurus um 2 Uhr und um 34 Uhr abgingen und den Marschall gegen 5 Uhr und um 6 Uhr erreichten , schrieben ein Manöver vor, das unmöglich geworden war. Bis um 54 Uhr , selbst nach der Ankunft von Alten und des Kontingentes Naſſau konnte Neh noch darauf hoffen, Quatrebras zu nehmen, und hoffte es wohl auch. Aber eine Stunde später, als auch die Division Cooke und der Rest der braunschweigschen Division angekommen waren, mußte diese Hoffnung verschwinden. Durch die Ueberzahl bezwungen , mußte er den Rückzug antreten und wohl nur seine Energie konnte eine völlige Niederlage abwenden. Man kann ihm wohl , und mit Recht , vorwerfen, daß er nicht das ganze Kellermann'sche Korps und auch die Division Lefebvre - Desnouettes verwendet und zwar trotz der Anempfehlungen Napoleons ; aber wenn er es auch gethan hätte, so hätte er doch nur Quatrebras ge= gen 3 Uhr oder 34 Uhr nehmen und sich dann gegen Wellingtons fortgesette Angriffe behaupten können. Aber Napoleon forderte zu dem entscheidenden Schlage gegen Blücher mehr , er wollte , daß Ney, nachdem er Quatrebras genommen, sich umwenden solle, um den rechten Flügel der Preußen zu umfassen und mit aller Gewalt in ihren Rücken zu fallen.
*) Siborne, der feurige Ruhmredner Wellingtons , ſagt, daß die Lage, als Alten ankam, sehr kritisch war.
223 Das Manöver wäre möglich und auch noch recht= zeitig ausführbar gewesen , wenn Erlon nicht von seiner Straße abgelenkt worden wäre ; und da dieser General erst gegen 9 Uhr nach Frasnes zurückkam, so konnte Neh nicht mehr thun, als er gethan hat, und um es zu wiederholen , Ney that außerordentlich viel , denn er hinderte Wellington , dem Feldmarschall Blücher eine Hilfe zu bringen, welche ohne Zweifel das Schicksal des Tages von Ligny geändert hätte. Prüft man nun aufmerkſam die Zeugnisse, die Depeschen und offiziellen Befehle und die jedesmaligen Umstände, so tritt klar hervor , daß die Anschuldigungen, welche Napoleon gegen Ney und Erlon geschleudert, und die so viele Schriftsteller ihm nachgeschrieben, vollkommen unverdient sind . Ney führte seine Instruktionen sehr rasch aus. Er hatte dem 1. Korps vorgeschrieben , nach Frasnes zu kommen, und trotz dieser ausdrücklichen und bestimmten Ordre entfernte sich das 1. Korps . So ward er unerwartet der Mitwirkung von 20,000 Mann beraubt, setzte aber seinen Kampf fort und überschritt in der That mit Hilfe seiner Energie beinahe die Grenzen des Möglichen. Erlon glaubte und mußte glauben , daß er mit ſei= nem Marsche gegen St. Amand die Instruktionen Napoleons erfülle, und nun, in der Nähe des Oberbefehlshabers angekommen , mit ihm in Verbindung und doch ohne Befehle von ihm , an dem Kampfe Theil zu neh= men , dagegen aber vom Marschall Ney bestimmt ange= wiesen , nach Frasnes zurückzukehren , von wo gleichfalls der Kanonendonner herüber hallte, mußte er dieſem folgen. Die Erläuterungen zum 16. Juni , von St. Helena ausgegangen , sind nachträglich und nach Maaßgabe der Ereignisse erfunden worden , um die Fehler Napoleons zu verbergen. Wir haben diese Fehler bezeichnet, ebenso wie deren
224 Einfluß auf die Schlacht von Ligny . Sie treten aus der vorstehenden Darstellung noch klarer hervor. Napoleon verlor den größten Theil des Morgens in Unentschlossenheit und Unthätigkeit. Das war die Ursache seines verspäteten Angriffs auf die Preußen und daß die Nacht ihn an der Vervollständigung seines Sie= ges hinderte. Und doch hätte er diesen unglaublichen Der glückliche Zeitverlust wieder gut machen können. Irrthum eines Adjutanten gab ihm dazu die Mittel ; er ließ die Gelegenheit entschlüpfen ; das ganze Erlon’ſche Korps, 20,000 Mann aller Waffen , kommt ihm unter die Hände, gerade als die Schlacht gegen Blücher zur Entscheidung neigte und er hatte sie nicht verwendet ; er hatte erlaubt, vielleicht befohlen , daß sie nach Quatrebras abrückten. Soldaten und Generale haben an diesem, durch die blutigen Schlachten von Ligny und Quatrebras denk= würdigen Tage sich bewundernswerth gezeigt in Tapfer= keit und Ausdauer. Nicht sie versagten ihrem Feldherrn den Dienst, sondern er ihnen. So ist die . Wahrheit. Der Feldherr war nicht mehr der alte. Bald gab er davon noch mehr und verderblichere Beweise.
Eilftes Kapitel.
La maison-du-Roi. - PaDer 17. Juni. Gembloux. jol wird auf der Namurer Straße zur Rekognoszirung vorgesendet. - Unthätigkeit des Theiles der Armee , der bei Ligny gefochten hat. - Anblick des Schlachtfeldes . - Napoleon, der in Fleurus geblieben , erfährt , daß Pajol eine preußische BatSein Geneterie genommen und Gefangene gemacht hat. raladjutant Flahault überbringt die ersten Nachrichten von dem Depesche des Majorgenerals aus Gefecht bei Quatrebras. Fleurus an Ney. - Napoleon begiebt sich zwischen 8 und 9 Er nimmt den verschiedenen Uhr früh nach St. Amand. Seine Gedanken. ― Rückkehr einer Truppen die Revue ab. gegen Quatrebras entsendeten Rekognoszirung. - Napoleon läßt die Garde und die Milhaud'schen Küraſſiere gegen Marbais abrücken , wohin er bereits das Lobau'sche Korps und 2 Divisionen Teichte Reiterei gesendet. - Zweite Depesche des - Die Armee Majorgenerals an Ney , aus Ligny , Mittags. in zwei Theile getheilt , einer unter dem Kaiser , einer unter Grouchy. - Stärke dieser Theile. - Mündliche Inſtruktionen Napoleons au Grouchy. -- Bemerkungen des Marschalls. Napoleon empfängt Meldungen aus Gembloux. Schriftliche Instruktionen an Grouchy. - Er erhält Befehl, nach Gembloux zu rücken. - Verzögerte Bewegung des Marschalls. Stellung seiner Truppen in der Nacht vom 17./18 . Juni. Um 10 Uhr Abends meldet er an Napoleon. - Marsch der 15 Charras, Waterloo.
226 preußischen Armee nach Wavre. - Konzentrirung derselben. Rückzug der englisch-holländischen Armee nach Mont St. Jean. Napoleon trifft bei Quatrebras ein. - Verfolgung von Wellingtons Arrieregarde auf der Brüffeler Straße. - Spätes Eintreffen der französischen Armee auf den Höhen dieſſeits la belle Alliance. - Stellung derselben in der Nacht. Versprechen Blüchers an den englischen General. - Ergebnisse des 16. Juni. - Betrachtungen.
Lange nach Sonnenaufgang stand am 17. Juni Morgens die siegreiche Armee noch ruhig in ihren Bi= Napoleon hatte während der Nacht nicht zu vonaks. verfolgen gewagt , und nichts ließ schließen , daß er es nun am Tage thun werde. Nur Pajol ward mit einer leichten Reiter-Division , Soult (Bruder des Majorgene= rals) und der schwachen Infanterie-Division Teste (vom 6. Korps) auf der Namurer Straße zur Rekognoszirung vorgesendet , während die Dragonerbrigade Berton , vom Erzelmans'schen Korps, diese Bewegung unterſtüßte. Die langen Zögerungen , die dem Kampfe vorausgingen, folgten auch dem Siege, und mit ihnen kamen auch das Erstaunen Aller und das Murren Aller wieder zum Vorschein. Den Geschlagenen nicht mit aller Kraft verfolgen, ihm Zeit zu lassen , sich wiederzufinden , sich wieder zu ordnen, ſich mit seinen Verstärkungen zu vereinigen, Das waren Dinge, die den in der napoleonischen Taktik ge= schulten Legionen fremd waren. ,,Der Napoleon, den wir früher kannten , ist nicht mehr da , " rief Vandamme rauh seinen Offizieren zu ; unser gestriger Sieg wird keine Folgen haben. " - Vandamme war Frondeur ge= worden. Selbst Gérard, der seinem Kriegsherrn ganz ergeben war , drückte denselben Gedanken durch die Worte : „un= faßliche und nicht wieder gut zu machende Verzögerun= gen" nur etwas milder aus.
227 Der Soldat witterte bereits die Wirkung eines schwarzen Verraths und ließ seine Energie sinken , denn in feinen Augen war Napoleon unfehlbar. Die Streiter von gestern suchten indessen auf dem durch ihre Energie eroberten Schlachtfelde , in den Dörfern und Hecken die Opfer des furchtbaren Kampfes auf Der Anblick des und sammelten die Verwundeten . Schlachtfeldes war , nach den Mittheilungen von Augen= Die Leichen lagen haufenweise in zeugen, furchtbar. den Straßen, Häusern und Gärten umher. Die Hauptstraße von Ligny war gestopft voll Leichen und menschlichen Gliedmaaßen , die gequetscht und zermalmt waren - denn die Artillerie war im Galopp darüber wegge= gangen. Von den Ufern des Baches bis zur Windmühle von Bussy stieß man mit jedem Schritte auf Todte oder Verwundete. Alles , was man sah , legte für die Heftigkeit des Kampfes Zeugniß ab , für jene Wuth , wie ein Schrift= steller sagt, die selbst die des Krieges und seiner Schrekfen gewohntesten Männer schaudern machte. *) Zwischen 7 und 8 Uhr traf ein Befehl in den Bivouaks ein, aber es war kein Marschbefehl , sondern nur eine Ankündigung des Majorgenerals , daß Napoleon bald eintreffen und Revue abnehmen werde. Napoleon war noch immer in Fleurus . Bald ward gemeldet, daß Pajol auf der Namurer Straße, bei Mazy, eine preußische Batterie und einiges Gepäck genommen habe, nachdem er die eskortirende Reiterei zusammengehauen, und darauf traf auch der Generaladjutant Flahault, von seiner Sendung an den Marschall Ney_zu= rückkehrend, wieder ein.
Es ist schwer zu glauben , aber darum nichts weniger wahr : als Flahault von Frasnes abritt, wußte man
*) Fleury de Chaboulon. 15*
228 dort noch nichts über den Ausgang der Schlacht von Ligny und er brachte wiederum die ersten Nachrichten vom Gefecht bei Quatrebras nach Fleurus. Von 9 Uhr Abends also bis 8 Uhr früh waren zwischen dem Hauptquartier und dem Kommando des linken Flügels keinerlei Mittheilungen gewechselt worden, und doch waren sie nur 3 Stunden von einander. Die Sorglosigkeit war auf beiden Seiten gleich groß. Napoleon ließ sofort durch den Majorgeneral die nachfolgende Depesche ausfertigen , welche übrigens die Gedanken und Absichten, die er um diese Zeit hegte, klar ausspricht. ,,Der General Flahault , der so eben eintrifft, mel= det, daß Sie im Ungewissen sind über das Schicksal des gestrigen Tages . Ich glaube jedoch , daß ich Ihnen von dem gestern erfochtenen Siege schon habe Mittheilung zugehen lassen. Die preußische Armee ist in Verwirrung; General Pajol verfolgt sie auf den Straßen Der Kaiser begiebt sich nach Namur und Lüttich . nach der Windmühle von Brye, an der die große Straße von Namur nach Quatrebras vorüber geht; es ist also nicht möglich , daß die englische Armee etwas , Ihnen Wenn es doch wäre, gegenüber , unternehmen kann. würde der Kaiser auf der Straße nach Quatrebras ge= rade gegen sie vorrücken , während Sie sie in der Front mit Ihren jetzt wohl vereinigten Divisionen angreifen ; diese Armee würde dann sehr bald gesprengt sein. Thei len Sie Sr. Majestät die genaue Aufstellung Ihrer Divisionen und Alles, was sonst vorkommt, mit. Die Absicht Sr. Majestät ist, daß Sie bei Qua= trebras Stellung nehmen , so wie es Ihnen bereits befohlen worden ist *) ; wenn Das aber unmöglich wäre, so geben Sie sofort darüber umfassende Meldung , und der Kaiser wird dahin abrücken, wie ich bereits erwähnt.
*) Tags vorher.
229 Wenn im Gegentheile nur eine Arriere = garde dasteht, so greifen Sie sie an und neh = men Sie Stellung. Der heutige Tag ist nöthig , um diese Be = wegung zu beenden , um die Munition zu ersehen, die Versprengten zu sammeln und die Entsendungen wieder einzuziehen. Geben Sie Ihre Befehle Dem entsprechend . "*) Also : früh gegen 8 Uhr glaubte Napoleon die preußische Armee in Verwirrung auf den Straßen von Namur und Lüttich zurückgehend , und wollte , daß Ney bei Quatrebras Stellung nähme, wenn ihm nur eine Arrieregarde gegenüber stünde ; er wollte den Tag zum Munitionsersaß , zum Sammeln 2c. verwenden und nur im Falle der Nothwendigkeit nach Quatrebras marschiren . Zwischen 8 und 9 Uhr verließ er Fleurus zu Wagen, leidend , hat man gesagt , und noch ermüdet von dem gestrigen Tage, und begab sich nach St. Amand . Dort stieg er zu Pferde, durchritt langsam die Umgeb= ungen der Dörfer, wo Vandamme ſeine Angriffe geführt hatte, ließ da und dort verwundete Offiziere und Soldaten, die noch nicht fortgebracht waren, aufheben, sprach mit Mehreren , ließ von einigen derselben die Namen aufschreiben, und dann ritt er die Fronten der Regimenter ab, die sich ohne Waffen vor ihren Bivouakpläßen aufgestellt und ward von ihnen auf das Lebhafteste begrüßt. Er hielt öfters an, um Worte der Theilnahme , der Befriedigung an die Generale und Obersten zu richten . Gegen 10 Uhr befahl er den Abmarsch des Lobau-
*) Das Schreiben ist ohne Stundenbezeichnung. Aber die Worte der Kaiser begiebt sich nach der Windmühle von Brye“ deuten sie genugsam an , denn man weiß , daß Napoleon nach 8 Uhr Fleurus verließ.
230 schen Korps (ohne die Division Teste, die bei Pajol war) nach Marbais ; die leichten Reiter - Divisionen Subervie und Domon gingen voraus . Das war das erste An= schlagen auf der Straße nach Quatrebras ; eine Stunde später folgten die Garden und Milhaud. Als sie beendet Die Revue hatte ihren Fortgang. war, stieg Napoleon ab und unterhielt sich lange mit dem General Gérard und dem Marschall Grouchh über die Stimmung in Paris, über den gefeßgebenden Körper, die Jakobiner und andere derartige Gegenstände , die von Allem, was ihn in dem jeßigen Augenblick ausschließlich fesseln sollte, weit ablagen." *) Diese eigenthümliche Unterhaltung ward durch die Rückkehr einer Reiterabtheilung unterbrochen , die nach langem Zögern auf der Straße nach Quatrebras vor= gesendet worden war. **) Sie meldete, daß die Eng= Länder noch immer dastünden. Das Schwanken Napo= leons wich darauf, und er faßte seinen Entschluß. Aber, wie gestern , hatte er auch heute die Hälfte des Tages in Unthätigkeit verloren . Der Majorgeneral schrieb darauf an Ney : Vorwärts Ligny, 17. Juni, Mittags 12 Uhr. Herr Marschall ! Der Kaiser hat so eben ein Korps Se . Majestät und die Garde nach Marbais gerückt. befiehlt mir, Ihnen zu sagen , wie seine Absicht dahin gehe, daß Sie den Feind bei Quatrebras angreifen, um ihn aus seiner Stellung zu verjagen, und daß das Korps bei Marbais Ihren Angriff unterstützen wird. Se. Ma= jestät wird sich bald nach Marbais begeben und er = wartet Ihre Meldungen mit Ungeduld." *) Observations etc. par le Général Gourgaud, und Réfutation etc. par le Comte de Grouchy, Paris 1819 . **) Mit leicht zu erklärendem Zwecke setzt Napoleon die Rückkehr dieser Patrouille auf gegen 10 Uhr" (Gourgaud) . Grouchy dagegen beruft sich auf das Zeugniß des General-Adjutanten Bernard, der gerade gegenwärtig war und sagt : daß sie gegen Mittag" eintraf. (Observations etc. par le Comte de Grouchy.)
231 Die Armee ward von da ab in zwei ungleiche Hälften getheilt ; die eine, mit 72,447 Mann und 240 Geschützen, focht unter Napoleons eigenen Befehlen , die andere, mit 33,319 Mann und 96 Geſchüßen, trat unter die Befehle des Marschall Grouchy. Der erstere Theil umfaßte die bei Frasnes stehenden Korps , dann das 6. Korps , ausschließlich die Division Teste, die Kaiſergarde, die leichten Reiter-Divisionen Domon und Subervie (von den Korps Vandamme und Pajol), das Kürassierkorps Milhaud. *) Der zweite Theil bestand aus den Korps Vandamme und Gérard , der Division Teste vom 6. Korps , dem Reiterkorps Erzelmans und der Division Soult vom Pajol'schen Korps. **)
*) Nach Abzug der Verluste vom 15. und 16. Juni : 1. Korps 19,939 M. aller Waffen, 46 Gesch. 38 " 15,761 " 2. " " 24 " 6. 7,748 " " " " 96 Garde 19,884 " " " '900 m. Reiter u. Art., 6 Div. Domon " 6 Subervie 1,392 " 12 Milhaud 3,394 " " 12 Kellermann 3,492 " " 72,447 M. und 240 Gesch. **) Nach Abzug der Verluste vom 15. und 16. Juni : • 13,847 M. aller Waffen u. 32 Gesch. 3. Korps 38 4. 12,309 " " " " 8 2,707 " Div. Teste " " 6 1,331 " " " " " Soult 12 " " " Korps Exzelmans 3,115 " 33,319 M. mit 96 Gesch. Zusammenstellung. Unter Napoleon 72,447 M., 240 Gesch. 33,319 " 96 " Unter Grouchy 8 " Div. Girard 2,397 600 " Verluste des 15. Juni Verluste des 16. Juui 15,825 " Hauptpark . 3,500 " 128,088 M., 344 Gesch., wie am 14. Abends.
232
Die tapfere Division Girard , die am Tage vorher so furchtbar gelitten, sollte bei St. Amand bleiben,,,um die Verwundeten zu versorgen und um bei unvorherge= sehenen Fällen bei Quatrebras eine Reserve zu bilden," wie die Memoiren von St. Helena besagen. Andere Schriften geben an, sie sei vergessen worden. Nachdem diese Bestimmungen getroffen waren, theilte Napoleon sie dem Marschall Grouchh mit und sagte ihm noch : „ Verfolgen Sie die Preußen , greifen Sie sie an, sobald Sie auf sie stoßen , vervollſtändigen Sie dadurch die Verwirrung , und verlieren Sie sie nicht aus den Augen. Ich werde die Truppen, die ich von hier mitbringe, mit denen des Marschall Neh vereinigen , den Engländern entgegengehen und sie schlagen , wenn sie diesseits des Soigne'r Waldes stehen bleiben. Sie werden mir Ihre Nachrichten auf der großen Straße über Quatrebras zugehen lassen. *) Der französische Heerführer wollte also gegen Welling= ton wiederholen , was er gegen den vereinzelten Blücher erfochten ; aber war es nicht zu spät zu solcher Unternehmung ? Hatten die beiden feindlichen Feldherren sich die Unentschloffenheit und die Verzögerungen ihres Gegners nicht zu Nuße gemacht ? Und war Grouchy, eine Hauptsache, auch wirklich im Stande, die ihm anvertraute Aufgabe zu erfüllen ? Denn sie war schwer. Er sollte die Preußen nicht aus den Augen verlieren“ und schon waren sie 14 Stun= den auf dem Rückzuge. Er sollte sie mit 33,000 M. und 96 Geschützen einholen , angreifen und ihre Ver= wirrung vervollständigen. “ Dieſe Stärke war fast genau derjenigen eines einzigen ihrer 4 Korps gleich, dem Bü= low'schen, das bei Ligny nicht geschlagen hatte und im
*) Schreiben Grouchy's an die Herren Méry und Barthélemy, 20. Nov. 1829. Observations etc. par le Comte de Grouchy.
233 Begriff stehen mußte, bei Blücher einzutreffen , wenn es nicht schon eingetroffen war. Grouchh ward von dieſem Auftrage überrascht und suchte ihn von sich abzuwenden.
Er wies darauf hin, daß die Preußen ihren Rückzug gestern Abend um 10 Uhr begonnen, daß noch viel Zeit nöthig sein werde , bevor er selbst seine Truppen_ver= eingen könne, da die Abtheilungen weit von einander stünden, die Soldaten ihre Gewehre zum Pußen auseinander genommen hätten und keinen Marsch mehr erwar= teten . . . . und , wenn auch die eingegangenen Meldungen noch nichts Bestimmtes über die Rückzugslinie der Preußen sagten, die Richtung nach Namur doch die von ihnen eingeschlagene scheine , daß also , wenn er ihnen folge, er sich von Napoleon getrennt und außerhalb sei= nes Operationsbereichs finden würde.“ Diese Bemerkungen wurden übel aufgenommen. Grouchy beschwor darauf den Kaiser, ihn bei sich zu be= halten; seine Bitten fanden aber keine Folge. Der Kaiser wiederholte seinen Befehl und fügte noch hinzu , daß es seine (des Marschalls) Sache wäre, die Richtung des Dem Marschall Blücher'schen Rückzugs zu ermitteln. blieb nichts übrig, als zu gehorchen. *) Wie er es vorher gesagt, verfloß viel Zeit, ehe ſeine Truppen marschbereit waren. Kaum hatte er sich entfernt, als Napoleon neue Meldungen erhielt und sich dadurch bewogen fühlte , die etwas unbestimmten Instruktionen, die er so eben mündlich ertheilt, etwas beſtimmter zu faſſen. Wahrscheinlich rührten diese Meldungen von dem General Berton her, der anfangs hinter Pajol auf der
*) Observations etc. par le Comte de Grouchy und das schon erwähnte Schreiben des General Grouchy an die Herren Méry und Barthélemy .
234 Namurer Straße und dann gegen Gembloux entfendet worden war. Etwas jenseits dieser Stadt sah er ein starkes preußisches Korps ſtehen. *) Der General Bertrand **) schrieb darauf von Ligny aus an Grouchy : ,,Herr Marschall ! Begeben Sie sich mit dem Reiterkorps Pajol 2c. (folgt die Aufzählung aller seiner Sie werden die RichtunKräfte) nach Gembloux.
gen von Namur und Mastricht aufklären lassen und Beobachten Sie seinen Marsch den Feind verfolgen . und melden Sie mir seine Bewegungen , so daß ich seine Absichten erkennen kann. Ich verlege mein Hauptquartier nach Quatrechemins (Quatrebras) , wo noch diesen Morgen die Engländer standen. Wir wer= den durch die große (gepflasterte) Straße von Namur Wenn der in unmittelbarer Verbindung stehen. Feind Namur geräumt hat, so schreiben Sie dem Kom= mandanten der 2. Militair-Division zu Charlemont , daß . er diesen Platz mit einigen Bataillonen Nationalgarde und einigen in Charlemont zu formirenden Batterien besetze. Es ist wichtig , genau zu erfahren , was der Feind will; entweder er trennt sich von den Engländern oder sie wollen sich noch vereinigen , um mit Hilfe einer neuen Schlacht Brüssel und Lüttich zu decken." Es bedarf nur der Durchsicht dieses Schreibens , um zu wissen, daß Napoleon fortgesetzt in Zweifel war über die Richtung , welche die preußische Armee eingeschlagen, über die Bewegungen , über die Absichten Blüchers. Er stellte die Möglichkeit auf, daß beide Armeen sich ver=
*) Précis historique, militaire et critique des batailles de Fleurus et de Waterloo etc. par le maréchal-de-camp Berton. Paris 1818 . **) Bertrand war Großmarschall des kaiserlichen Palastes.
235 einigten ,,,um Brüssel zu decken.“ Er hätte daraus abnehmen können , daß es dringend nothwendig war, die Richtung von Ligny gegen Mont- Saint-Guibert , d. h. die über Wavre nach Brüssel , sorgfältig und mit genü= genden Kräften weithin aufzuklären . Troßdem empfahl er Grouchh diese Richtung nicht ausdrücklich und hatte ſelbſt nur die Richtung von Namur rekognosziren laſſen. Grouchh seinerseits verbesserte dieses unbegreifliche Vergessen seines Oberkommandanten auch nicht; er hatte Befehl, nach Gembloux zu rücken und dachte nicht weiter. Exzelmans setzte sich mit dem Reste seines Korps in Marsch , um zu der Brigade Berton , die beobachtend bei Gembloux stand, zu stoßen. Vandamme rückte erst um 2 Uhr von St. Amand aus ebendahin ab. Der Regen floß stromweis und hörte nicht auf. Der Marsch war sehr beschwerlich und ging sehr langsam, besonders bei der Artillerie . Es war fast 9 Uhr, als er bei Gembloux eintraf; er hatte 7 Stun= den gebraucht, um 34 Stunde Wegs zurückzulegen. Gérard, der ihm folgte, hatte nicht weniger Beschwerde ; erst um 10 Uhr rückte er diesseits Gembloux in ſeinen Bivouak. „ Und doch ,“ sagt er, und man kann ihm wohl glauben , waren die Truppen so rasch angekom= men, als es bei dem strömenden Regen und den entseß= lichen Wegen menschenmöglich war." *) Während diese beiden Korps auf ihren grundlosen Seitenwegen unter so vielen Beschwerden vorrückten, war Grouchh selbst in Gembloux angekommen und hatte Er= kundigungen bei den Einwohnern eingezogen. Er hatte nur zweifelhafte und unvollständige Nachrichten erhalten. Das Thielemann'sche Korps war es gewesen , das bis 2 Uhr Nachmittags bei der Stadt gestanden hatte und * Quelques Documents etc. par le Général Gérard. Die Chauffee zwischen Ligny und Gembloux exiſtirte damals noch nicht.
236 dann abmarſchirt war , man wußte aber nicht genau, in welcher Richtung. Exzelmans , der mit seinem Korps die Stadt durchschritten und 1 Stunde weiter, bis Sauvenière, gerückt war, hatte auch nichts mehr erfahren. Pajol war , wie erwähnt , am Morgen auf der Namurer Straße bis Mazy gerückt , wo er eine Batterie genommen und einige Flüchtlinge aufgelesen hatte. Er war darauf links gerückt, nach St. Denys, hatte dort längere Zeit gehalten und war dann über Boſſières nach Mazh zurückgekehrt, woselbst er bivouakirte. Auch er konnte dem Marschall keinerlei bestimmte Nachricht geben. Die Verlegenheit Grouchy's mußte groß sein. Er sollte die Preußen nicht aus den Augen verlieren" und hatte sie noch gar nicht gewahrt ; er sollte " ihnen folgen, sie erreichen und ihre Verwirrung vervollständigen," aber er wußte nicht einmal die Richtung , in der sie zurückgingen. Exzelmans erhielt die Weisung, die Nacht bei Sauvenière zu bleiben, 6 Schwadronen aber gegen Sart-lezWalhain und 3 andere östlich davon nach Perwez zu senden. Vandamme nahm zwischen Gembloux und Sauvenière Stellung. Er wurde angewiesen , am andern Morgen sich um 6 Uhr früh in Bewegung zu setzen, um vorwärts Sart-lez-Walhain zu rücken , *) Exzelmans voraus, GéPajol sollte von Mazh 1 Stunde rard ihm folgend . früher ab und nach Grand-Leez rücken. Um 10 Uhr Abends meldete Grouchh in einer De= pesche an den Kaiſer die Ungewißheit, in der er sich über die Bewegungen der Preußen befand.
*) Schreiben Grouchy's an Vandamme, Gembloux, 17. Juni . Noch nicht veröffentlicht.
237 ,,Sire, " schreibt er, ich habe die Ehre zu melden, daß ich Gembloux besett halte und meine Reiterei in Sauvenière ist. Der Feind, etwa 30,000 Mann stark, setzt seinen Rückzug fort .... Nach allen Berichten scheint es , daß die Preußen von Sauvenière aus sich in 3 Kolonnen getheilt haben; eine hat jedenfalls die Straße nach Wavre eingeschlagen ; eine andere scheint sich nach Perwez gezogen zu haben. Man kann vielleicht daraus schließen , daß ein Theil sich mit Wellington vereinigen wird und daß das Zentrum , die Armee Blüchers , sich gegen Lüttich zieht, während die letzte Kolonne mit einem Theil der Artillerie ihren Rückzug gegen Namur ausführt. General Exzelmans hat Befehl , diesen Abend noch 6 Schwadronen nach Sart-lez-Walhain und 3 Schwa= dronen nach Perwez zu senden. Je nach den eingehen= den Nachrichten werde ich , wenn die Hauptmacht der Preußen sich gegen Wavre zieht , ihr in dieser Richtung folgen, um sie von Brüſſel abzuhalten und von Wellington zu trennen ; wenn dagegen meine Nachrichten dafür sprechen, daß die preußische Hauptmacht durch Perwez gegangen , werde ich den Feind über diese Stadt hin verfolgen." Grouchh wußte alſo um diese Zeit noch nicht, welche Richtung von der Hauptmacht der Preußen eingeschlagen worden war. Diese Armee hatte die lange Frist, welche der Sieger ihr gegönnt, bestens benutt. Sofort nach dem Verluste der Schlacht hatte sie, wie schon erwähnt , den Rückzug begonnen. Ziethen und Birch I. ließen in und bei Brye, deſſen Zugänge verrammelt waren , mehrere Bataillone stehen, gaben diesen verschiedene Repli's zwischen da und Tilly, 14 Stunde vom Schlachtfelde, und bezogen dort und gegen Gentinnes und Mellery, wohin Blücher sein Hauptquar= tier verlegte, den Bivouak. Das Thielemann'sche Korps stand vereinigt zwischen Sombreffe und Point du Jour.
238 Aber als die Nacht anfing zu weichen, hatten Ziethen, Birch I. und . Thielemann sich wieder in Bewegung ge= sett; Blücher zog seine ganze Armee nach Wavre. Ziethen hatte die Richtung über Villeroux und Mont Saint -Guibert genommen; er marschirte auf schlechten Nebenwegen , erreichte Wavre gegen 10 Uhr Morgens, überschritt die Dyle und nahm etwas oberhalb, bei Bierges Stellung. Birch I. folgte in derselben Richtung und nahm bei und dieſſeits Wavre Stellung , zwischen St. Anne und Aisemont; er hatte eine Infanteriedivision bei den Defileen von Mont St. Guibert und eine Reiterbrigade bei Gentinnes stehen lassen. Beide Korps hatten , obwohl ihr Nachtrupp erst mit dem Tage Brye verlassen, keinen Schuß zu thun. Die Artillerie-Reserveparks, die während der Schlacht zwischen Sombreffe und Gembloux gestanden, waren gegen 5 Uhr Nachmittags nach Wavre gekommen ; es war sofort Veranstaltung getroffen worden, die durch den ungeheue= ren Verbrauch zusammengeschmolzene Munition wieder zu ersetzen. Thielemann war sehr langsam marschirt. Obwohl er, wie Ziethen und Pirch I. , vor Tagesanbruch ab= marschirt war, ſtand ſeine Arrieregarde doch lange nach Sonnenaufgang bei Sombreffe ; er war erst nach 7 Uhr durch Gembloux gerückt. Ein Wenig weiter hatte er seinen Marsch unterbro = chen und erst um 2 Uhr Nachmittags wieder fortgesetzt; er zeigte dabei ein eben so großes als unkluges Zutrauen in die Unthätigkeit der französischen Armee. Später ward sein Marsch durch den Regen und den Koth aufgehalten, so daß er Wavre nur sehr spät erreichte ; er bivouafirte bei und jenseits Wavre, am Schlosse la Bawette ; seine Arrieregarden - Diviſion und eine Reiterbrigade konnten nicht mehr über die Dyle und mußten auf dem rechten Ufer bleiben.
239 Während seines großen Haltes waren 1 Bataillon und 2 Schwadronen, die von Dinant her kamen, zu ihm gestoßen. Bülow hatte nicht mit gefochten. Den Ausgang der Schlacht hatte er bei la basse Baudeset erfahren , als ſeine Kolonnenspite , von Hannut her auf der Römerstraße anrückend, diesseits Sauvenière in der Höhe des genannten Dorfes anfam . Er war die Nacht stehen geblieben und hatte am andern Morgen den Befehl bekommen, gegen Wavre zu= rückzugehen. Einige Stunden später war er dort, ſtand in Position bei der Stadt auf den Höhen von Dion=le= Mont, eine Diviſion bei Vieux Sart und hatte durch eine Abtheilung unter dem Obersten Ledebur die Truppen Birch I. bei Mont St. Guibert und Gentinnes ablösen laſſen. So war die ganze preußische Armee bei Wavre ver= einigt ; sie zählte wenigstens 90,000 Mann und 275 bis 280 Geschüße. Seit 24 Stunden hatte sie keinen Ka= nonenschuß gethan, und hatte nichts als einige Geschüße, einige Munitions- und andere Wagen verloren , die in dem Gewirre der vergangenen Nacht auf der Namurer Und selbst dieser Verlust Straße abgekommen waren. war ein Glück, denn er hatte den unthätigen Sieger über den Weg, den der Besiegte eingeschlagen, irregeführt. Vielleicht ist es noch nie einer geschlagenen Armee so leicht geworden , am Tage nach der verlorenen Schlacht ihren Rückzug zu bewerkstelligen , sich zu sammeln und zum neuen Kampfe vorzubereiten. Napoleon hatte den Preußen die erste Hälfte des Tages gelaffen, und Grouchy, zu spät mit der Verfolgung beauftragt, hatte ihnen die andere Hälfte auch nicht streitig gemacht. Wellington und Blücher hatten nach den Schlachten von Quatrebras und Ligny noch immer dasselbe Ziel : sich sobald als möglich zu vereinigen , um Napoleon zu bekämpfen und dadurch auch Brüssel zu decken. Das
240 war auch der Grund , der Blücher zum Rückzuge auf Wavre bewogen . Sein Rückzug aber legte der englisch) = holländischen Armee die Nothwendigkeit einer ähnlichen und gleichzeitigen Bewegung auf — er hätte sie also sofort davon in Kenntniß setzen sollen. Wie es scheint, geschah Dies nicht ; und es war Das ein sehr wesentliches Vergessen , das , wenn auch nicht Blücher, der noch arg an den Folgen seines faſt ver= hängnißvollen Sturzes litt, so doch seinem Generalstabschef Gneisenau zur Laſt fällt , so thätig und klug dieser auch sonst war. Mit Tagesanbruch , als Napoleon noch in Fleurus schlief, verließ Wellington sein Hauptquartier Genappe, stieg zu Pferde und sprengte nach Quatrebras vor. Alles sprach dafür, daß Ney ruhig stehen geblieben war. Diese Unbeweglichkeit war aber ein fast sicheres Zeichen , daß Blücher von Napoleon geschlagen worden, denn im um= gekehrten Falle würde Ney sich gewiß dem Rückzuge angeschlossen haben. War nun Blücher besiegt, so war er jest jedenfalls im Rückmarsche begriffen und Das setzte die englisch-holländische Armee neben einem Frontal- auch einem Angriff auf ihre linke Flanke aus. Es war keine Minute zu verlieren, um zu erfahren, was gestern und in der Nacht dort vorgegangen. Wellington sandte sofort einen seiner Adjutanten, den Oberſtleutnant Gordon, mit einer Abtheilung Husaren zur Rekognoszirung gegen Brye vor. Gordon entdeckte die französischen Vedetten etwas jen= seits Marbais , auf der Namurer Straße , zog sich links und kam , von einem Bauer instruirt , auf die Spuren der Preußen, denen er bis Tilly folgte, woselbst er vom General Ziethen den Marsch nach Wavre erfuhr. Gegen 7 oder 8 Uhr brachte er diese wichtigen Neuigkeiten nach Quatrebras , etwa zu derselben Zeit, als der Leutnant Massow mit den direkten Nachrichten Blüchers. daselbst eintraf.
241 Der alte Feldmarschall theilte den Verlust der gestrigen Schlacht mit, und versicherte, daß seine Armee wieder ge= fechtsbereit sein werde, sobald er Lebensmittel und Patronen ausgegeben haben würde *). Wellington hatte auf diese Nachrichten hin ſeinen Rückzug gegen Brüssel beschlossen und fandte mit dem Leutnant Massow die Mittheilung an Blücher zurück, daß er am andern Tage in der Stellung von Mont St. Jean , vorwärts des Soigne'r Waldes die Schlacht erwarten werde, wenn er erführe , daß er auf die Unterstützung zweier preußischer Korps rechnen könne. Die englisch-holländische Armee stand immer noch in vier Theilen: 45,000 M. bei Quatrebras , 21,000 M. bei Nivelles , 6000 M. bei Braine le Comte , 10,000 M. bei Enghien unter dem Prinzen Friedrich der Niederlande, der Rest unterwegs von Brüssel nach Quatrebras. Wellington war immer noch in Sorge, auf seinem rechten Flügel angegriffen zu werden. Er erließ Befehl , daß die bei Nivelles versammelten Truppen um 10 Uhr auf der beide Orte vereinigenden
*) Geschichte des Feldzugs der englischen 2c. Armee unter Herzog Wellington und der preußischen Armee 2c. im Jahre 1815, Stuttgardt und Tübingen 1817. Man weiß, daß dieſes Werk vom preußischen Generalmajor von Müffling ist, der während des Feldzugs dem Hauptquartiere Wellingtons beigegeben war. Müffling sagt, daß ein Offizier, der in der Nacht vom 16. zum 17. Juni aus dem preußischen Hauptquartier an Wellington abgesendet worden, unterwegs getödtet worden sei. Diese Angabe ist von allen preußischen Schriftstellern wiederholt worden. Wir haben sie aber nicht aufgenommen, weil sie uns nachträglich erfunden scheint , um das Vergeffen des Blücher'schen Stabes zu verhüllen . Die preußischen Schriftsteller bringen den Namen des Offiziers , der nach Quatrebras kam, warum nicht auch Den, der nach ihren Angaben unterwegs getödtet ward ? Im Uebrigen pflegt man derart wichtige Nachrichten wenigstens in Duplikaten zu befördern. 16 Charras, Waterloo.
242 Chauffee nach Mont St. Jean rücken , die Reiterbrigade Estorff aber nach Hal zu entsenden hätten ; daß die bei Braine le Comte stehenden Truppen daselbst bis auf Weiteres verbleiben und daß der Prinz Friedrich bei Hal Stellung nehmen solle *). Alles, was bei Quatrebras stand, hatte um 10 Uhr marschfertig zu sein. Um diese Stunde begann auch Wellington in der That den Abmarsch gegen Mont St. Jean **). Er ward Anfangs durch die Division Alten und 4 bis 5 meist braunschweigische Bataillone verdeckt ; gegen Mittag rückte aber auch diese Infanterie ab und es blieb nur die Reiterei Urbridge's, die sich in zwei Linien an und rückwärts der Namurer Chauffee aufstellte. Wellington selbst war bei ihr gegenwärtig. Während dieser Zeit blieb Ney ihm gegenüber ruhig. Er hat vor 10 Uhr die Depesche erhalten müssen , die ihm von Fleurus aus das Schicksal des gestrigen Tages mittheilte und ihm befahl, „ wenn nur eine Arrièregarde vor ihm stünde ", sie anzugreifen und bei Quatrebras Stellung zu nehmen. Es befand sich noch die Hälfte der englischen Armee vor ihm mehr als eine Arrièregarde. Dieselbe Depesche wies Ney an, daß er, wenn mehr als eine Arrieregarde bei Quatrebras stände, er den Kaiser davon benachrichtigen solle, der dann selbst dort= hin rücken würde. Der Marschall hatte nicht angegriffen, aber ohne allen Zweifel seine Meldungen erstattet, und wartete mit dem Vorrücken jedenfalls auf das Eintreffen der Streitkräfte, die Napoleon heranführen wollte. Diese Unthätigkeit war nothwendig , denn es kam darauf an, nichts zu thun, was einen Entschluß Wel= *) Dispatches etc. **) Rapport des Herzogs von Wellington an den Grafen Bathurst.
243
Wenn er lingtons zum Rückzuge herbeiführen konnte. dagegen in seiner Stellung verharrte, bis Napoleon ein= traf, so wurde er in einen Front- und Flankenangriff verwickelt, der ihm verderblich werden konnte. Nach dem Rückzuge der feindlichen Infanterie und als die Spißen der auf der Namurer Straße anrückenden Kolonnen sichtbar wurden, hatte Ney seine Reiterei vorgebracht. Ordonnanzoffiziere des Kaisers trafen gleichzeitig ein und brachten den Befehl , daß das vorderſte Korps sich in Marsch sezen solle (Erlon). Französische und englische Husaren blänkerten mit einander in Wellingtons linker Flanke. Wellington verfolgte jezt keinen andern Zweck, als den Rückzug der Infanterie feiner Arrièregarde zu decken, und da dies bereits ausreichend geschehen, so befahl er sofort an Urbridge, zurückzugehen. Die Reiterei bildete 3 Kolonnen ; die mittlere (2 Brigaden schwere Reiterei, Garden und Gardedragoner) mit 2 leichten Regimentern nahm die Brüsseler Straße ein, um in Genappe die Dyle zu passiren ; die beiden andern Kolonnen rückten die eine gegen Thy , wo eine Brücke ist, die andere gegen eine Fuhrt oberhalb Genappe. Die Kolonnenspißen Erlons stießen in Quatrebras mit den auf der Namurer Straße anrückenden zusammen. Es war nahe an 2 Uhr ; der Regen stürzte in Maſſen herab. Napoleon war bis Quatrebras gefahren. Hier stieg er zu Pferde und ordnete an , daß Subervie, Domon und Milhaud die englische Reiterei verfolgen sollten, daß Erlon denselben in der Nähe folgen , daß dann Lobau, die Garden und Kellermann folgen und Reille die Arrièregarde bilden sollten *) . Urbridge zog sich Anfangs ohne Gefecht zurück; aber an dem jenseitigen Ausgange von Genappe nahm er auf einigen Höhen Stellung , wartete das Ueberschreiten der *) Gourgaud. 16*
244 Dyle durch die Seitenkolonnen ab und als unsere Avantgarde aus der langen Dorfgaſſe debouchirte, ließ er ſie von einem seiner Husarenregimenter angreifen . Die Husaren wurden geworfen und von unseren Ulanen arg mitgenommen. Urbridge sette sich sofort an die Spiße eines der Garderegimenter, ließ ein Regiment leichter Dragoner folgen, stürzte sich auf die Ulanen und warf Alles, was aus Genappe schon heraus war, wieder hinein. Nach dieſem kräftigen Schlage nahm er seinen Rückzug wieder auf und beschoß sich zeitweise mit der französischen Avantgarde. Der Regen ward immer heftiger. Der Marsch auf den Feldern ward immer beschwerlicher ; namentlich rückte die Infanterie äußerst langsam und nicht ohne einige Unordnungen vor . Es war bereits 64 Uhr geworden , als Subervie, Domon und Milhaud auf die Höhen diesseits des Wirths= hauses la belle Alliance kamen, † Stunde von Mont St. Jean. Die Luft war dick und voller Dünste ; man konnte nicht weit sehen, gewahrte indeſſen doch Infanterie hinter der englischen Reiterei. Napoleon , der dem Milhaudschen Korps gefolgt war, befahl den Aufmarsch derselben und einige Bewegungen , die auf einen Angriff deuten konnten, eben so wie das Vorrücken von 50 bis 60 Ge= schüßen; man erfuhr sofort, was man wissen wollte : die englisch-holländische Armee war da. Noch zwei Stunden länger Tag und ich hätte sie angreifen können ! rief Napoleon aus. Zwei Stunden ! und am heutigen Morgen hatte er deren acht verloren! Aber die zwei Stunden hätten auch nicht gereicht. Die Infanterie, durch Regen und Koth aufgehalten, war noch weit zurück. Erlon und Lobau kamen erst gegen 8 Uhr in die Höhe von Plancenoit. Die Truppen erhielten darauf Befehl in die Bivouaks zu rücken, es war aber schon längst Nacht geworden , ehe Dies geschehen
245 war. Viele Infanteristen waren zurückgeblieben und tra= fen erst später ein. Zwischen Plancenoit und Mon Plaisir standen in erster Linie das 1. Korps rechts, das 6. links ; die Garden und Reiter - Reserven in zweiter Linie. Reille war bei Genappe stehen geblieben und sollte andern Tages mit dem Morgengrauen zur Armee nachrücken. Napoleon legte sein Hauptquartier in den Pachthof le Caillou , der an den Weiler Maison-du-Roi anstößt und von der Brüsseler Chauſſee durchschnitten wird . Wellington hatte sein Hauptquartier in Waterloo, einem Dorfe an derselben Straße, 4 Stunden noch von der belgischen Hauptstadt. Seine Armee stand in der Stellung von Mont St. Vor schon fast Jean, 1 Stunde vorwärts Waterloo. einem Jahre *) hatte er diese Stellung als eine äußerst günstige zur Deckung Brüssels bezeichnet, hatte sie seit mehreren Wochen sorgsam rekognoszirt und war ent= schlossen, in ihr die Schlacht anzunehmen , wenn nur Blücher mit 2. preußischen Armeekorps ihn unterſtüßte ; wie er es auch an dem heutigen Morgen ihm ausge= sprochen hatte. Die Antwort seines Verbündeten war eben in Wa= terloo eingetroffen ; sie war seiner würdig. Ich werde zu Ihnen kommen , aber nicht blos mit 2 Korps , sondern mit meiner ganzen Armee, und wenn der Feind Sie am 18. nicht angreift, werden wir ihn am 19. zusammen angreifen“*) . Welches Zutrauen nach einer verlorenen Schlacht ! Welche Energie in dem fast 70jährigen Greise, der noch an feinen Quetschungen leidend war ! Nur durch solche auf das Höchste gesteigerte Thätigkeit und durch so kühne
* Memorandum über die Vertheidigung der Niederlande an Lord Bathurst gerichtet. (Dispatches etc.) **) Geschichte des Feldzugs 2c. von Müffling .
246 Entschlossenheit kann man den Sieg zu den Fahnen zu= rückführen, denen er eben entflohen ist. Wellington schrieb an den Prinzen Friedrich der Niederlande, daß er alle Vorbereitungen treffe, um bei Hal, im Falle eines Angriffes , den hartnäckigsten Widerstand leiſten zu können. Auch erhielt der General Colville Befehl , am andern Morgen mit Tagesanbruch aus Braine-le-Comte aufzubrechen und mit den beihabenden 2 Brigaden seiner Division nach Hal zu marſchiren und daselbst unter die Befehle des Prinzen zu treten. Hal liegt an der Straße von Mons nach Brüffel und ist in gerader Linie 3 Stunden von Mont St. Jean. Der englische Oberbefehlshaber war immer noch in Sorge um einen Angriff auf seine rechte Flanke. Der 17. Juni war in seinen Ergebnissen nur dem Feinde ersprießlich . Blücher hatte seine Armee , ohne einen Schuß zu thun, bei Wavre konzentrirt und hatte ihr die nothwen= dige Ruhe geben können ; die Zeit ward benußt, um sich zu sammeln und zu ordnen , die Nachzügler heranzuziehen, die Kadres zu vervollständigen und die Munition zu erseßen. Wellington hatte nach einem nur sehr unbedeutenden Reitergefecht mit dem größten Theile seiner Armee (es hatte nur von ihm abgehangen , sie ganz zu vereinigen) die von ihm seit Langem ausgewählte Stellung bezogen und stand in gleicher Höhe mit der preußischen Armee 3 Stunden in gerader Linie von ihr entfernt und Blücher hatte mit größter Sicherheit versprochen, trotz der schlech= ten Wege rechtzeitig heranzukommen. Am Tage vorher standen freilich die beiden Generale näher bei einander, hatten auch eine gute Chaussee zur Verbindung ; aber da war auch Neh sehr nahe bei Napoleon und beide hatten ihre Gegner unmittelbar vor sich . Aber jetzt war die französische Armee in zwei Gruppen getheilt, deren eine über fünf Stunden in ge=
247 rader Linie von der andern stand und Grouchh wußte nicht einmal, welche Richtung die Preußen eingeschlagen hatten, die schon einen Marsch von ihm entfernt waren . Der Erfolg von Ligny, anstatt zu wachsen und umeine fassender zu werden , war zusammengeschwunden Folge der Unentschlossenheiten und Zögerungen Napoleons. So unentschuldbar ist sein Benehmen am Vormittage des 17. Juni, daß selbst mehrere seiner eifrigsten Ruhmredner es kaum versucht haben, ein milderes Licht darüber Nur er selbst ist vor der schwierigen zu verbreiten. Aufgabe seiner Rechtfertigung nicht zurückgeschreckt. Die Fehler der eigenen Unthätigkeit hat er auf Neh, auf Grouchy geworfen ; um sie verurtheilen zu können , hat er ein ganzes Gebäude auserfonnen und aus in allen Stücken erfundenen Thatsachen zusammengefügt. Ney hat ein schweres Unrecht begangen, es ist wahr, aber nur ein Einziges : daß er von dem Ausgange seines Gefechtes nicht rechtzeitige Meldung erſtattete. Grouchh hat auch ein schweres Unrecht begangen und zwar damit, daß er die Richtung von Ligny nach Mont St. Guibert, Napoleons Beispiel folgend , nicht refog= noszirte. Das ist es, worin die Marschälle gefehlt .... aber nun die Fehler des Kaisers selbst ! Vorerst war Neh sofort von dem Ausgang der Lignyer Schlacht in Kenntniß zu sehen und dadurch , daß der Kaiser nach Frasnes um Nachrichten schickte, Ney's Nachlässigkeit wieder gut zu machen. Es geschah nicht. Wäh= rend der ganzen Nacht und während eines Theiles des Morgens ging keine einzige Mittheilung von einem Hauptquartiere zum andern. Das trifft nur den Major - General , den Marschall Soult, haben Einige aufstellen wollen. Soult war einer von den Charakteren, die unter dem Einflusse der Ereig= nisse stehen; er zeigte sich in diesem kurzen Feldzuge keineswegs seinem alten Kriegsruhme entsprechend. Wenn
248 Das auch wahr ist, so entschuldigt es doch den Oberbefehlshaber nicht; Deffen Sache ist es , zu befehlen und sich zu überzeugen, daß seine Befehle auch ausgeführt werden. Napoleon mußte in der Nacht Kundschafter und mit dem grauenden Morgen starke Rekognoszirungsparteien in allen den Richtungen aussenden, in denen die Preußen überhaupt zurückgegangen sein konnten , namentlich aber in denen, die nach der englisch - holländischen Armee zu führten. Er hat nur eine einzige, und zwar auf der Namurer Straße entfendet ein ungeheurer Fehler ! Die Memoiren suchen diesen Fehler zu verhüllen und sagen: ,,General Pajol rückte mit 1 Reiterdivision seines Korps und der Infanteriedivision Teste am 17. früh mit Tagesanbruch zur Verfolgung der Preußen in der Richtung nach Wavre ab und zwar auf den Wegen über Tilly und über Gembloux" *) , während doch Pajol und Teste auf der Namurer Straße vorgeschoben wurden , wo sie eine Batterie und einige Fuhrwerke nahmen , wie man fich erinnern wird **). Bei Tagesanbruch hätte man die Preußen nicht lange zu suchen gehabt , denn auf der einen Seite zogen sie eben ihre lezten Bataillone von Brye ab und auf der andern verließen sie Sombreffe. Auch wären die Spuren des Marsches in dem von den Gewitterregen aufgeweichten Boden, so wie in dem von Infanterie und Reiterei niedergetretenen Getreide leicht und deutlich zu erkennen gewesen. Napoleon hätte um diese Zeit auch Nachrichten aus Frasnes und von den dortigen Ereigniſſen erhalten, und
*) Memoiren, Th. 9. **) Die preußische Armee ist in Verwirrung ; General Pajol verfolgt sie auf den Straßen von Namur und Lüttich. (Schreiben des Major-Generals an den Marschall Ney, d. d. Fleurus 17 . Juni, gegen 8 Uhr Morgens geschrieben.)
249 wenn er auf das Lignyer Plateau galoppirt wäre, hätte er, man kann fast sagen, die preußische Armee mit eigenen Augen gesehen und erkannt, daß er zwischen zwei Dingen sich zu entscheiden , aber sofort zu entscheiden hatte : ent= weder er rückte mit allen seinen Kräften zur Verfolgung der Preußen vor , oder er sandte ihnen nur seine leichte Reiterei mit 2 oder 3 Divisionen Infanterie nach und rückte mit dem Gros der Armee nach Quatrebras. Wenn er das Erstere that, so war Blücher seinen
erneueten Angriffen ausgefeßt, als seine Truppen kaum nothdürftig wieder geordnet, Munitionswagen und Taschen noch leer waren ; er hätte einer völligen Niederlage kaum entgehen können. Wenn er das Letztere that , so mußte Blücher noch immer harte Verluste erleiden , und Wellington, ohne Unterstützung, wäre von den vereinten Anstrengungen Napoleons und Ney's erdrückt worden. Der Kaiser blieb aber lässig und unentschloſſen, ohne Nachrichten aus Frasnes, bis 8 oder 9 Uhr Vormittags in Fleurus , hielt darauf eine lange und nußlose Revue und ließ den halben Tag verstreichen, ehe er einen Entschluß faßte. In seinen Memoiren sagt er noch, daß der Marschall Ney ,,Befehl erhalten hatte, gegen Quatrebras mit Tagesanbruch vorzurücken und die englische Arrièregarde lebhaft anzugreifen“ und fügt auch noch ausdrücklich das Detail hinzu : „ Der Herzog von Wellington hatte erst spät in der Nacht die Niederlage von Ligny erfahren ; er ord= nete sofort den Rückzug gegen Brüssel an, und ließ nur den General Uxbridge mit einem Reiterkorps und einigen leichten Batterien als Arrieregarde zurück."
Das ist durchweg erfunden. Neh hat keinen Befehl erhalten, mit Tagesanbruch die englische Arrièregarde anzugreifen ; denn wenn er ihn erhalten hätte, so würde er auch, wenigstens von dem überbringenden Offizier, Etwas von dem Lignyer Siege erfahren haben , und er wußte noch nichts davon,
250 als der Generaladjutant Flahault ihn verließ, um nach Fleurus zurückzukehren *). Ein solcher Befehl kann ihm auch gar nicht zugesendet worden sein; denn Napoleon wußte bis zur Rückkehr Flahault's noch nichts von dem Ausgange des Gefechtes bei Quatrebras , von der Lage Ney's und Wellingtons, und wußte folglich auch nicht, ob der Marschall überhaupt im Stande war, anzugreifen oder nicht . Und wie konnte denn Napoleon erfahren haben, daß Wellington in der Nacht zurückgegangen wäre und bei Tagesanbruch nur eine Arrièregarde aus Reiterei bei Quatrebras stände, da Wellington doch erst gegen 7 oder 8 Uhr frith den Rückzug Blüchers erfuhr und den seinigen erst gegen 10 Uhr antrat ? Es ist so, wie wir angegeben. Die erste Depesche an Neh nach der Schlacht von Ligny ist von Fleurus aus von Soult geschrieben und zwar nach der Rückkehr Fla= hault's, gegen 8 Uhr Morgens, als Napoleon im Begriff stand ,,,nach der Mühle von Brhe sich zu begeben". Wir haben die Depesche aufgeführt. Sie ordnete an, daß der Marschall bei Quatrebras Stellung nehmen und angreifen solle,,,wenn nur eine Arrièregarde dort steht" andern Falls Unterstüßung zu verlangen habe **). Es stand dort aber mehr als eine Arrièregarde, es stand die halbe englische Armee da. Ney hat also jeden= falls die Mitwirkung Napoleons nachgesucht, und wenn er auf diese lange und zwar bis etwa 2 Uhr warten mußte, so ist Das nicht sein Fehler. Faßt man Alles zusammen , so geht daraus hervor, daß Net sich in keinen Kampf einlassen konnte, ehe er
*) „ Der General Flahault, der so eben eintrifft, meldet, daß Sie im Ungewissen sind über das Schicksal des gestrigen Lages 2c." (Vergl. das schon angeführte Schreiben des MajorGenerals.) **) Dies beweist abermals , daß Napoleon um diese Zeit nicht wußte, was vom Feinde bei Quatrebras ſtand.
251 den Ausgang der Schlacht bei Ligny erfuhr und als er ihn erfuhr , mußte er die konzentrische Bewegung Na= poleons abwarten , eine Bewegung , die, wenn sie rechtzeitig ausgeführt worden wäre, die Niederlage Wellingtons entschieden hätte. Es ist freilich unbestreitbar , daß er wohl daran ge= than hätte, seinen Gegner anzugreifen , als deſſen Rückzug zweiffellos ward. Aber was hätte daraus sich er= geben können ? Unsere Armee wäre etwas weniger spät auf den Höhen jenseits Maiſon-du-Roi_angekommen, der Feind hätte 2 oder 3000 Mann verloren , anstatt so vieler Hunderte , denn Das war das Ergebniß der von Napoleon selbst geleiteten Verfolgung , sonst aber wären die Ergebnisse des Tages in keiner wesentlichen Weise verbessert worden, denn die Zeit zu einer Schlacht hätte doch noch gefehlt. Am Morgen wäre ein großer Schlag gegen die Eng= länder zu führen gewesen und war nicht geführt worden. Diese versäumte Gelegenheit konnte sich am Abend nicht wieder finden. Auch Grouchh ist, wie Ney, dem Versuche einer unmöglichen Rechtfertigung geopfert worden. Napoleon erzählt vorerst in seinen Memoiren den Abgang Grouchh's so, daß man glauben muß , er habe Ligny mit Tagesanbruch verlassen ; dann fährt er fort : Der Marschall hatte Blücher auf den Wegen von Mont St. Guibert und Gembloux verfolgt , aber nach den Meldungen glaubte er, daß der größere Theil der preußischen Armee über Gembloux gegangen sei , und so rückte er auch mit seiner Hauptmacht dorthin ; er traf am 17. um 4 Uhr Nachmittags dort ein und ver nahm , daß das Bülow'sche Korps in der Nacht ebenEr fandte darauf Rekognoszirungen dahin gekommen. in den beiden Richtungen nach Wavre und Lüttich vor, den beiden feindlichen Arrièregarden nach, die dorthin zu abgezogen waren und ließ nun seine Truppen Stellung nehmen , obwohl er nur 2 Stunden Weges
252 marſchirt war. *) Am Abend erhielt er bestimmte Nachrichten , daß die Hauptmacht des Feindes gegen Wavre gegangen sei ; da es aber schon 6 Uhr vor= über war und die Soldaten eben abkochten , glaubte er, daß es am nächsten Morgen auch noch Zeit zur Verfolgung sein werde. Der Feind hatte dadurch 3 Stun= den vor ihm voraus. **) Diese Erzählung verbirgt allerdings die Unthätigkeit Napoleons während der ersten Hälfte des Tages, so wie die daraus folgende Unwissenheit betreffs der von den Preußen eingeschlagenen Richtung recht gut und schiebt Grouchy Alles zu. Aber sie verträgt keine Prüfung. Grouchh erhielt sein Kommando, als es 12 Uhr vorüber war. Er rückte nicht zur Verfolgung, sondern zur Aufsuchnug der Preußen ab , was nicht ganz Dasselbe ist. Seine beiden Armeekorps marschirten erst um 2 und um 3 Uhr ***) von St. Amand und Ligny ab, aus Gründen, die wir erwähnt haben und die ihm nicht zur Laſt fallen. Er hat keine Kolonne auf dem Wege nach Mont Saint Guibert vorgeschickt und hat Unrecht gehabt , wie wir schon erwähnten, darin dem Vorgange Napoleons zu folgen. Er rückte mit seiner Hauptmacht nach Gembloux, nicht weil er nach den Meldungen glaubte, daß der größte Theil der preußischen Armee nach Gembloux ge=
*) Von Ligny nach Gembloux sind in gerader Linie 24, auf den Wegen 3 Stunden. **) Memoiren, Th. 9. *** Das 4. Korps erhielt am 17. gegen 12 Uhr Befehl, fich auf Gembloux in Marsch zu setzen und dem 3. Korps dahin zu folgen. General Hulot, der die Spize hatte, mußte warten, bis Vandamme's linker Flügel vorüber war. Erst gegen 3 Uhr konnte er antreten ; er ist fortwährend dicht aufgeschlossen geblieben. (Quelques Documents etc. par le Général Gérard .)
253 gangen ſei,“ ſondern weil Napoleon ihm den schriftlichen und ausdrücklichen Befehl dazu gegeben hatte. *) Er kommt mit seinen Truppen nicht um 4 Uhr, ſondern um 9 und 10 Uhr dort an. Er hat daselbst nicht erfahren , daß „ Bülow in der Nacht dort angekommen ." Bülow blieb die Nacht in la basse Baudeset. Er entsendete Rekognoszirungen in den beiden Richtungen von Wavre (über Sart-lez-Walhain) und Lüttich. Napoleon hatte ihm aufgetragen , die Richtungen von Mastricht (d . h. Lüttich) und Namur aufzuklären **) ; aber unglücklicher Weise gingen diese Abtheilungen nicht vor 6 Uhr, sondern erst in der Nacht ab. ***) Er empfing keinerlei " bestimmte Nachrichten, daß die feindliche Hauptmacht gegen Wavre gegangen sei , " denn um 10 Uhr noch schrieb er eine Depesche an Napoleon, in der er seine Ungewißheit über die von der preußischen Hauptmaſſe angenommene Richtung darlegte. Auch hat er nicht um 6 Uhr mit seinen Truppen ,,Stellung genommen , " noch kochten die Soldaten um diese Zeit ab ; denn sie kamen — wie der General Gérard schreibt erst zwischen 9 und 10 Uhr bei Gembloux an, so rasch als es bei dem strömenden Regen und den entsetzlichen Wegen menschenmöglich war ," ra= scher, wohlbemerkt, als die Infanterie , die mit Napoleon von Quatrebras gegen Plancenoit rückte , rascher auch noch, wenn man die Verhältnisse berücksichtigt, als Thielemann seine Bewegung auf Wavre ausführte. Endlich hat auch der Feind nicht 3 Stunden gegen= über Grouchy gewonnen, denn Grouchy gewann ihm die Entfernung von Ligny nach Gembloux ab . *) Herr Marschall ! Begeben Sie sich mit (folgt die Aufzählung seiner Kräfte) nach Gembloux 2c . Vergl. S. 234. **) Dasselbe Schreiben. ***) General Erzelmans hat Befehl , diesen Abend noch 6 Schwadronen nach Sart - les- Walhain und 3 Schwadronen nach Perwez zu senden .... (Vergl. S. 237.)
254 wwwm So steht es mit der Zuverlässigkeit der von Napoleon diktirten Memoiren , und troßdem sind sie zu faſt allen in Frankreich erschienenen Werken über den Feld= zug von 1815 als Grundlage benutzt worden!Wir sind abermals in die kleinsten Details von Stunden, Bewegungen und Befehlen hineingegangen ; aber es war Das unerläßlich , um den 17. Juni in seiner Wirklichkeit darzustellen - einen Tag, dessen völlig unbegreifliche Fehler einen bestimmenden Einfluß auf den Ausgang der Schlacht des nächsten Tages hatten, die über das Schicksal des Krieges, Napoleons und Frank= reichs unwiderruflich entschied.
Zwölftes
Kapitel.
Der 18. Juni. - Waterloo. - Napoleon erfährt , daß die mit Anengliſch-holländische Armee sich nicht bewegt hat; bruch des Tages überzeugt er sich selbst , daß dies begründet. - Sein Vertrauen in den Ausgang der Schlacht , die er liefern will. Das Vertrauen Wellingtons ist nicht minder groß. - Beschreibung der englischen Stellung. - Um 6 Uhr rückt Wellington ein. - Seine Stärke. - Napoleon rekognosUm 9 Uhr fangen die Franzozirt die feindliche Stellung . en an , ihre Schlachtordnung einzunehmen. - Inſtruktionen san Grouchy. - Instruktionen für die bevorſtehende Schlacht. Schlachtplan Napoleons. - Um 11 Uhr eröffnet er mit dem Angriff auf Goumont das Gefecht. - Neille damit be— Napoleon auftragt. ― Erste Wechselfälle dieses Angriffs . erfährt die Ankunft Bülow's bei Chapelle St. Lambert. Maaßregeln in Folge dieser Nachricht. - Neue Instruktionen an Grouchy. - Erlon greift den englischen linken Flügel an; er wird mit großem Verluste abgeschlagen. — Fruchtlose Angriffe auf la Haye Sainte. - Fortsetzung des Kampfes bei Goumont. - Stand der Schlacht um 3 Uhr. - Anordnungen Wellingtons. - Napoleon verzichtet auf den Angriff des feindlichen linken Flügels und beschließt, die Hauptanstrengungen gegen die Mitte zu richten. ― Wegnahme von la Haye Sainte. ―― Angriff Milhaud's und Lefebvre- Desnouettes gegen
256 - Sie werden das englisch-holländische Zentrum , um 4 Uhr. abgeschlagen. Um 44 Uhr rückt das Bülow'sche Korps in die Linie. Deffen Stellung um 5 Uhr. - Ney erneuert den Angriff mit den Reitern von Milhaud und Lefebvre-Desnouettes. -- Anordnungen Wellingtons in Voraussicht dieses wiederholten Angriffs. Lage seiner Armee. -- Ney wird von Kellermann und Guyot unterstützt. Der Angriff wird abermals abgeschlagen. Verluste Ney's. - Verluste des englisch-holländischen Zentrums. - Stand der Schlacht auf dem linken und rechten Flügel. ― Fortsetzung des Gefechts gegen Bülow. Angriff von 6 Bataillonen alter Garde gegen das englisch-holländische Zentrum ; - er wird abgeschlagen. Um 7½ Uhr greift die Ziethen'sche Avantgarde bei Papelotte in's Gefecht ein. Anfang der Unordnung in der französischen Armee. Allgemeines Vorrücken der englisch-holländischen Armee. - Die Unordnung wächst reißend. Zwei Divisionen Pirch I. rücken gegen Plancenoit in die Linie. - Das Dorf wird von den Preußen genommen . ― Allgemeine AufLösung der französischen Armee. - Die Preußen verfolgen. Die Verfolgung hört erst mit Tagesanbruch auf. - Napoleon trifft in Charleroy ein und begiebt sich nach Philippeville. Beiderseitige Verluste. Die Nacht war schwarz, der Himmel mit dicken Wolfen bedeckt , die nur selten von einem Blize zerrissen Der Donner rollte in der Entfernung. Noch wurden. immer, und zwar seit dem gestrigen Nachmittage , stürzte der Regen in Strömen herab. Napoleon stieg zu Pferd und ritt , von Bertrand begleitet, auf der Chaussee vor bis auf die Höhen bei dem Pachthofe Rossomme. Es war 1 Uhr. Eine Linie Feuer erstreckte sich von BraineL'Alleud bis Frichemont am Horizonte hin. Es waren die Bivouaks der englisch-holländischen Armee. Ihre Bataillone hatten gestern einen kurzen und ra= schen Marsch gehabt. Sie waren bei guter Zeit in ihren Stellungen angekommen und hatten den Rest des Tages , so wie die Nähe des Waldes benußt , um Holz
257 J herbeizuschaffen und ertrugen jezt mit deſſen Hilfe das Unwetter leichter. In den französischen Linien sah man nur selten ein Feuer. Die Soldaten , weniger gut bedacht , erwarteten das Ende dieſer beschwerlichen Nacht mit Ungeduld.
Nichts schien eine Bewegung des Feindes anzuden= ten. Wenn er zurückgegangen wäre, so wollte Napoleon ihm troß der Dunkelheit folgen und ihn über den Haufen werfen. Er hat Das wenigstens so niedergeschrieben. Aber seine Unthätigkeit in der Nacht nach dem Ligny'er Siege ist nicht geeignet, den Glauben an dieſe Aeußerung zu stärken. Solche Unternehmungen überstiegen das damalige Maaß seiner Thätigkeit. Er kehrte in sein Hauptquartier zurück und erhielt bald darauf durch Kundschaftsberichte die Meldungen der Vorposten und durch die Aussagen zweier Deserteure die Bestätigung Dessen , was er bis daher nur aus der Stärke und Ausdehnung der Feuer geschlossen , nämlich daß die englisch-holländische Armee unbeweglich stand . Er war sehr befriedigt von dieſen Nachrichten, fürchtete aber doch , sie nicht bestätigt zu finden , bis er mit Tagesanbruch sich mit eigenen Augen überzeugen konnte, daß Wellington eine Schlacht annehmen wollte. So hatte er, trotz seines Zauderns und seiner Ver= zögerungen , das Glück , nachdem er schon die Preußen in ihrer Trennung geschlagen , nun auch seinen zweiten Gegner weit von ihnen anzutreffen und einen entschei= denden Schlag gegen ihn führen zu können. Er hatte vor Kurzem im Moniteur verkündet , „ daß Wellington eingebildet, zaghaft und unwiſſend ſei, daß er zu großen Unglücksfällen bestimmt scheine" und jest endlich schien dieſe , ſeit zu langer Zeit falsche Vorher= sagung sich erfüllen zu wollen. Er dachte es wenigstens. ,,Wir haben," sagte er kurz darauf zu seinen Generalen, „,90 Chancen für und 10 gegen uns ." So war 17 Charras, Waterloo.
258 feine Ueberzeugung; er hat sie niedergeschrieben, und der . Ausspruch selbst scheint authentisch. Aber auch Wellington überdachte die Chancen des Kampfes, dem er entgegenging und den er hätte vermeiden können , und rechnete auf einen guten Ausgang; er verließ sich auf die Stärke der sorgsam ausgewählten und genau rekognoszirten Stellung ; auf den Eifer ſeiner Truppen, auf die Festigkeit seiner alten Soldaten aus dem Halbinselkriege und endlich auf die Zuſage Blüchers. Er schrieb an Sir Charles Stuart (nach Brüssel) ,,Die Preußen werden diesen Morgen auf's Neue nahe bei uns sein, es läßt sich Alles gut an ... “ und an den Herzog v . Berry : „ Ich hoffe und was mehr ist, ich habe allen Grund zu glauben , daß es gut gehen wird. " *) Auf die Nachricht, daß die englisch-holländische Armee bei Mont St. Jean in Position gerückt sei , hatte Blücher geantwortet , daß er einen Theil seiner Armee mit Tagesanbruch dorthin in Marsch zu sehen gedenke und den andern Theil ehebaldigst nachfolgen lassen werde, und diese Antwort war bei Wellington eben eingetroffen, als er so sein volles Vertrauen ausgesprochen. Der Regen hörte gegen 6 Uhr auf; aber der Himmel hing noch voll schwerer Wolken. Die englisch-holländische Armee fing an, in ihre Schlachtordnung zu rücken. Wenn man von dem Pachthofe le Callou , dem Hauptquartiere Napoleons , ausgeht, so trifft man auf drei Höhenrücken , die gleichmäßig in der Richtung von Südwest gegen Nordost streichen. Die Brüsseler Chauſſee durchschneidet nach einander ihre Kämme bei dem Pacht-
*) Beide Briefe sind d. d. Waterloo , 18. Juni, 3 Uhr Morgens; der an den Herzog v. Berry ist französisch geschrieben. (Dispatches, Th. 12. )
259 hofe Rossomme, bei dem Wirthshause la belle Alliance und etwa 150 bis 200 Metres jenseits des Pachthofes la Haye Sainte. Der Kamm dieses letzten Höhenrückens ist gleichzeitig die Südgrenze einer maffigeren Terrainerhebung , die sich gegen Westen bis oberhalb Merbe-Braine, in einem von Süd nach Nord streichenden Thale gelegen , gegen Osten bis an Ohain, gegen Norden bis Mont St. Jean erstreckt, wo dann eine flache Senkung nach dem Dorfe Waterloo hin beginnt, das 1 Stunde von la Haye Sainte in einem Ausschnitte des Soigne'r Waldes liegt. *) Dieſe Terrainerhöhung nennt man gewöhnlich das Plateau von Mont St. Jean. Etwa 5-600 Metres westlich von la Haye Sainte zweigt sich von dem Plateau ein Landrücken ab, der von geringer Breite ist und in regelmäßiger Verflachung gegen die Brüsseler Chaussee streicht, die er etwa bei dem Wirthshause la belle Alliance trifft. Auf diesem Landrücken liegt die Wasserscheide zwischen der Senne und der Dyle. Zwei kleine Thäler entſprin= gen an dem Landrücken ; das eine geht nach Südwesten, hinter dem Schlosse Goumont weg und vereinigt sich dicht bei demselben mit dem Thale von Merbe-Braine ; das andere streicht nach Südosten , geht dicht unter la Haye Sainte, Papelotte und la Haye vorbei und enthält den Weiler Smohain. Diese beiden Thäler bilden also am Fuße des Pla= teau's von . Mont St. Jean mit alleiniger Ausnahme des erwähnten Landrückens eine Art Umfassung ; ihre Hänge sind leicht zugänglich, selbst für die Artillerie, nur in der unmittelbaren Nähe von la Haye Sainte ist der Nordhang auf 5600 Metres Entwickelung etwas
*) Seit 1815 ist der ganze Theil des Waldes, der Waterloo umgab, ausgerottet worden. Jetzt steht kein Holz mehr westlich der Brüsseler Chauffee und auch die Südgrenze , die bis Vert-Coucou reichte, ist um 4 Stunde zurückgerückt. 17*
260 steiler. Der genannte Pachthof liegt unmittelbar an der Straße. Das Schloß Goumont liegt 1500 Metres westlich davon. Es erhebt sich auf der Höhe des Hanges, der das Thal auf der Südseite begrenzt. Die Chaussee von Nivelles geht auf 350 Metres westlich vorüber , überschreitet das Thal von Merbe-Braine auf einer Anschüttung und vereinigt sich bei Mont St. Jean mit der Chaussee von Charleroy nach Brüſſel. Die Pachthöfe Papelotte und la Haye liegen 14 und 1500 Metres östlich von la Haye Sainte, Smohain nicht ganz 2000. Unterhalb la Haye wird das Thal enger und schlüch= tiger ; in Mitten eines Weichlandes entspringt ein kleines Wässerchen, das unter Ohain vorbei und dann in den Lasne-Bach fließt, der seinerseits zur Dyle geht. Schloß Frichemont , 300 Metres südlich von Smohain, liegt auf der Höhe des südlichen Thalhanges. Das war das Terrain , auf welchem Wellington den Angriff Napoleons annehmen wollte. Es erscheint, wie wir schon erwähnt , als eine zusammenhängende Erhebung, die sich im Allgemeinen nach Süden sanft abdacht, so daß die Hänge leicht mit direk tem Feuer zu bestreichen sind. Goumont, la Haye Sainte, Papelotte, la Hahe, Smohain , Frichemont sind eben so viele Posten zur Vertheidigung des Zuganges. Ein Verbindungsweg zwischen Ohain und Braine L'Alleud folgt so ziemlich dem Rande des Plateau's bis in die Höhe von Goumont. Etwa 200 Metres nördlich von la Haye Sainte geht er über die Chauffee. Diesseits dieser Kreuzung ist er *) bodengleich und mit starken, aber lückenhaften lebendigen Hecken eingefaßt. Jenseits der Kreuzung verschwinden die Hecken ; er bildet einen Hohlweg von etwa 2 Metres mittlerer Tiefe
*) Oder vielmehr „ war er.“
261 und 600 Metres Länge *) ; dann ist er wieder boden= gleich. Dieser Weg bezeichnet fast genau die Fronte der ´englischen Aufstellung. Der linke Flügel erstreckte sich mit seinen äußersten Abtheilungen bis in die Höhe von la Haye und reichte andererseits bis zur Brüffeler Straße , die stark barrikadirt war.
Er ward sowohl in erster als zweiter Linie ge= bildet aus den Divisionen Perponcher, Picton und einer Bataillone von Perponcher Brigade der Division Cole. hatten Papelotte , la Haye, Smohain , Frichemont und die Wege, die von da auf das Plateau führen, beseßt. Zwei englische Reiterbrigaden deckten die Flanke und streiften bis gegen Ohain. Das Zentrum stand zwischen den beiden Chauffeen von Charleroh und Nivelles nach Brüssel. Es ward von den Diviſionen Alten, Cooke (englische Garden) und der Nassauischen Kontingentsbrigade von Kruse gebildet. Truppen dieser Abtheilungen und ein Bataillon der Division Perponcher standen in la Haye Sainte und Goumont. Der rechte Flügel bestand aus den Diviſionen Clinton, Chassé und der Brigade Mitchell, die von der Division Colville detachirt war. Diese Brigade stand noch in der Richtung des Zentrums und stüßte ihre linke Flanke an die Chaussee von Nivelles, die durch ein Verhau gesperrt war. Die Division Clinton stand in Kolonnen hinter Mitchell , lang hin an dem oberen Rande des Merbe -Braine'r Thales und hielt mittelst leichter Truppen mit Chasse Verbindung. Chassé selbst stand etwa 1500 Metres von da , bei Braine l'Alleud , einem
*) Der Weg hat jezt nur noch auf der Nordseite den hohen Rand ; auf der Südseite ist er bódengleich ; man hat die Erde zu dem Hügel von da entnommen , der den Löwen trägt und die lakonische Inschrift : 18. Juni 1815 .
262 großen Flecken, in einem weiten , von Süd nach Nord gehenden Thale gelegen. Drei englische Reiterbrigaden standen hinter dem rechten Zentrum. Die Reserve bestand aus der braunschweig'schen Di= vision, zwischen Merbe-Braine und der Niveller Chauffee, der Brigade Lambert von der Division Cole bei dem Pachthofe von Mont St. Jean, dann zum Theil in der Höhe , zum Theil vorwärts desselben 6 englische reitende Batterien, die holländisch-belgische Reiterdivision Collaert und die beiden englischen schweren Reiterbrigaden Somerſet (Garden) und Ponsonby. Picton erhielt den Oberbefehl über den linken Flügel, der Prinz von Oranien den über das Zentrum, der Lord Hill den über den rechten Flügel. Es war Das noch nicht die ganze englisch-holländische Armee. Der Prinz Friedrich der Niederlande hielt , wie wir früher erwähnt, Hal beseßt und hatte die Division Stedmann, die indische Brigade, die hannöverische Reiterbrigade Estorff, dann noch die beiden Brigaden der Division Colville, die an demselben Morgen von Braine le Comte abmarschhirt waren , unter sich, in Allem an 17,000 Mann. Noch jetzt hatte Wellington Sorge vor der Umgehung eines rechten Flügels*) ; eine wenig begründete Sorge, auf die
*) Man findet Dies ausdrücklich bestätigt in einem Briefe an den Herzog von Berry vom 18. Juni 3 Uhr Morgens, der schon citirt worden : ,,Es ist möglich , daß der Feind uns über Hal umgeht, obgleich Wetter und Wege abscheulich sind, und obgleich ich den Prinzen Friedrich in Position zwischen Hal und Enghien halte. Wenn Das eintritt , so bitte ich Ew. Königliche Hoheit und Se. Majestät (Ludwig XVIII.) nach Antwerpen abzugehen, nicht auf leere Gerüchte hin , sondern erst auf die sichere Nachricht , daß der Feind mich über Hal umgangen und ungeachtet meiner Stellung nach Brüssel gekommen ist."
263 er selbst übrigens gewiß nicht Rücksicht genommen, wenn er nicht auf die Unterstützung Blüchers gerechnet hätte. Diese bedeutende Entsendung hatte seine eigenen Streitkräfte für die Schlacht auf 70,000 Mann_reduzirt, von denen 13,500 Mann Reiterei mit 159 Geschüßen. *) Schon vor 8 Uhr waren alle Anordnungen Welling= tons ausgeführt. Die französische Armee erwartete noch den Befehl zum Vorrüden. Mit Tagesanbruch hatte sie Weisung erhalten , sicly Die in Gefechtsbereitschaft zu sehen. Sie war bereit. Beschwerden einer schlaflosen Nacht unter strömendem
*) Die englisch-holländische Armee bestand in Allem am 95,503 m. incl. 16,017 M. Reiter 14. Juni aus mit 186 Gesch. u . 1 Raketbatt. 4,659 M. incl. 160 M. Reiter Verluste des 16. Juni . mit 5 Gesch . 268 M. incl. 145 M. Reiter Verluste des 17. Juni . Detaschirt waren 11 Reit.-Reg., 2. u. 3. Husaren der Legion, an der Grenze zwischen Ypern 900 M. incl. 900 M. Reiter und Tournay Das 81. engl. Reg., der Div . 401 M. Cole in Brüssel Das 14. holl Miliz-Bataillon, Div. Stedmann, in Oude586 m. narde Bei Hal die Div. Stedmann und die indische Brigade . 9,814 M. mit 16 Gesch. 2 Brigaden der Div. Colville, Johnstone (engl.) und Lyon 5,448 M. (Hannover) . 1,380 M. Brigade Estorff 1,860 M. Hauptpark in Brüssel Giebt für den Abgang 25,316 M. incl. 2,585 M. Neiter mit 27 Gesch., es bleiben also bei Mont St. Jean 70,187 M. , davon 13,432 M. Neiterei 159 Geschütze und 1 Raketbatterie.
264 Regen und auf schlammigem Boden waren vergessen ; sie dachte nur an den Kampf. Die Memoiren von St. Helena sagen , „ daß um 8 Uhr die Artillerieoffiziere , welche das Schlachtfeld rekognoszirt hatten , meldeten , die Artillerie könne, obwohl mit Schwierigkeiten, manövriren ; in einer Stunde würde es wesentlich leichter geschehen können." Napoleon stieg zu Pferd , ritt auf die Höhe von la belle Alliance und besichtigte nochmals die englische Linie. Der Generalleutnant Haro vom Genie, ward weiter vor gesendet , um sich zu überzeugen, ob etwa Verschanzungen vorhanden seien ; er kam sehr bald mit der Weldung zurück, daß keinerlei Anzeichen davon zu bemerken. Napoleon überlegte einen Augenblick und diftirte dann die Schlachtordnung , welche unmittelbar darauf von den Adjutanten an die verschiedenen Korps befördert ward. Die Armee rückte in 11 Kolonnen vor. Von diesen 11 Kolonnen waren 4 für das erste, 4 für das zweite Treffen und 3 für die Reserve beſtimmt. Die 4 Kolonnen des ersten Treffens bestanden : links die erste aus der Reiterei des 2. Korps (Reille) , die zweite aus den 3 Infanterie-Diviſionen deſſelben Korps, die dritte aus den 4 Infanterie-Divisionen des 2. Korps, Erlon, die vierte aus der Reiterei dieses Korps . Die 4 Kolonnen des zweiten Treffens waren : links die erste das Kürassierkorps Kellermann , die 2. das 6. Korps , Lobau , mit 2 Infanteriedivisionen ; die 3. die beiden leichten Reiterbevisionen Domon und Subervie, die seit gestern von den Korps Vandamme und Pajol entnommen waren ; die 4. das Küraſſierkorps Milhaud. Die 3 Kolonnen der Reserve waren : links die Division der schweren Garde-Reiterei, Grenadiere zu Pferde und Dragoner unter Guyot ; die mittlere die 3 Infanteriedivisionen der alten und jungen Garde, unter Friant,
265 Morand und Duhesmes ; rechts die leichte Garde =- Neiterei unter Lefebvre - Desnouettes , Jäger zu Pferde und Ulanen. Die Artillerie befand sich an den Seiten der Kolonnen, die Parks und Ambulancen am Ende. Um 9 Uhr trafen die Spißen der 4 Kolonnen des ersten Treffens da ein, wo sie aufmarschiren sollten. In demselben Augenblicke sah man in größerer oder gerin= gerer Entfernung auch die 7 andern Kolonnen über die Höhenrücken hervorkommen. Trompeten und Trommeln. ließen den Feldmarsch ertönen, die Musiker stimmten die alten Schlachtlieder an. „ Die Erde," sagt Napoleon, schien stolz , so viele Tapfere beisammen zu sehen ; das Schauspiel war prachtvoll , und der Feind , der es_voll= ständig übersehen konnte, mußte davon einen mächtigen Eindruck erhalten." Die 11 Kolonnen marschirten so genau und richtig auf, daß auch nicht eine einzige Unordnung entstand. Noch nie hatten so bedeutende Massen sich so leicht handhaben lassen. Die Reiterei des Reille'schen Korps , die auf dem linken Flügel des ersten Treffens marschirte , rückte an die Niveller Chaussee und entfaltete sich in drei Linien quer über dieselbe weg, fast in der Höhe der unteren Grenze des Holzes , im Süden vom Schloß Goumont ; sie klärte das ganze Terrain links hin auf und hatte vorgeschobene Posten gegen Braine l'Alleud ; ihre reitende Batterie stand an der Chauffee. Die Infanterie des Korps, 2. Kolonne, marschirte in dem Zwischenraume der Niveller und Charleroyer Chaufseen auf; sie nahm eine Front von 1800 bis 2000 Metres ein; die Diviſion Guilleminot, bei der wie gestern und vorgestern Jerôme Bonaparte sich aufhielt, hatte den linken Flügel neben der Niveller Chauffee, dem Gehölze von Goumont gegenüber, Foh die Mitte und Bachelu den rechten Flügel , mit dem er in der Nähe von la belle Alliance an die Brüsseler Chauſſee stieß.
266 Jede Infanterie - Diviſion ſtand in zwei Linien , die zweite 60 Metres hinter der ersten , die Artillerie vor der Front, die Parks dahinter, gegen die Niveller Chauſ= fee hin. Die Infanterie des Erlon'schen Korps, die 3. Kolonne, ſtand mit ihrem linken Flügel bei la belle Alliance , mit dem rechten dem Pachthofe la Haie gegenüber , jede Diviſion in 2 Linien von 60 Metres Abſtand, die Artillerie in den Intervallen der Brigaden. Die Reiterei Erlons, die 4. Kolonne, marschirte rechts in 3 Linien auf, und beobachtete la Hahe und Frichemont ; ihre Patrouillen streiften in der Richtung gegen Dhain ; ihre Batterie stand rechts. Das erste Treffen war kaum formirt, als die Spigen der Kolonnen des 2. Treffens an ihren Aufmarschlinien anfamen. Das Kürassierkorps Kellermann marschirte 200 Metres hinter der 2. Linie Reille's , ebenfalls in 2 Linien mit 60 Metres Abstand und gerade in der Mitte zwischen beiden Chauſseen auf. Auf jedem Flügel stand eine reitende Batterie. Das Korps Lobau rückte bis auf 200 Metres an die zweite Linie Reille's heran , blieb in Divisionsweise geschlossenen Kolonnen auf der linken Seite und längs der Charleroh-Brüsseler Chaussee ; die Kolonne hatte 200 Metres Tiefe, die Divisionen 50 Metres Intervalle ; die Artillerie stand links der Kolonne. Die Division Domon , hinter ihr Subervie, nahmen den Plaß auf der rechten Seite der Chaussee neben Lobau ein, Divisionsweise in geschlossener Schwadronskolonne, die Artillerie auf der rechten Flanke. Das Küraſſterkorps Milhaud marſchirte 200 Metres hinter der 2. Linie Erlons in 2 Linien, mit 60 Metres Abstand, links gegen die Brüffeler Chauffee, rechts gegen Frichemont gerichtet, auf; eine seiner Batterien stand auf dem linken Flügel, die andere in der Mitte.
267 Noch ehe diese 4 Kolonnen sich vollſtändig zum zweiten Treffen entfaltet hatten, trafen auch die Spitzen der Kolonnen des dritten Treffens oder der Reserve an ihren Aufmarschlinien ein. Die Grenadiere zu Pferde und die Dragoner schwere Division der Garde - Reiterei , Guyot - rückten bis 200 Metres hinter Kellermann , und marschirten in 2 Linien, mit 60 Metres Abstand, auf; die Artillerie stand in der Mitte. Die Infanterie der Garde marschirte neben der Chauſſee und etwas vorwärts Roſſomme in 6 Linien, mit 20 Metres Abſtand, auf; jede Linie bestand aus einer Brigade, deren Bataillone in geschlossenen Kolonnen neben einander rückten ; die Divisions - Artillerie ſtand rechts und links , die Reserve - Artillerie hinter den Kolonnen. Die Ulanen und Jäger zu Pferde von der Garde marschirten 200 Metres hinter Milhaud , in 2 Linien mit 60 Metres Abstand, auf. Um 104 Uhr war dieser große Aufmarsch vollendet ; alle Truppen waren in den ihnen angewiesenen Aufstell= ungen ; auf dem ganzen Schlachtfelde herrschte das tiefste Schweigen. Die Chausseen von Charleroy und Nivelles waren frei ; sie sollten das Mittel bilden , die Reserve-Artillerie rasch auf die verschiedenen Punkte zu bringen *). Ein Theil des Hauptparks war bei Quatrebras eingetroffen. Die hier aufgestellte Armee zählte in Allem **) 72,000 M. mit 15,000 M. Reiterei und 240 Geschützen. Sie war der Zahl nach der englischen Armee fast gleich, aber an Reiterei etwas und an Artillerie bedeutend überlegen.
*) Alle diese Details find fast wörtlich den Memoiren Napoleons, Th. 9, entnommen. **) Der Effektivbestand war gestern , beim Abmarſche von Quatrebras , 72,447 Mann ; bei der Verfolgung der englischen Reiterei waren etwa 200 m. verloren worden, was für den 18. früh etwa 72,000 M. ergiebt.
268 Sie hatte aber einen Nachtheil und zwar einen bedeutenden Nachtheil zu überwinden , sie sollte nämlich über einen fetten und durch den Regen entfeßlich aufgeweichten Boden hinweg einen Feind angreifen , der diesen Angriff in vortheilhafter Stellung erwartete. Napoleon ritt die Linien ab und ward von unaufhörlichen und enthuſiaſtiſchen Beifallrufen begrüßt. Aber indessen verfloß doch die Zeit ; man war bald an den Halbschied des Tages und noch war kein Kanonenschuß gefallen. Zwei oder drei Stunden mehr oder weniger konnten in solchem Boden keine sehr merkbare Veränderung Die Armee bedurfte natürlich einiger hervorbringen. Zeit, um die Beschwerden der Nacht zu verwinden und sich in Gefechtsbereitschaft zu sehen, aber sie konnte recht wohl gegen 7 oder 8 Uhr ihre Aufstellung genommen haben und das Gefecht beginnen.
Alle die Zeit , die man von da ab verstreichen ließ, war einem ungewiffen Loose verfallen und für Napoleon jedenfalls verloren. Derartige Verluste lassen sich im Kriege sehr selten wieder gut machen. Wellington konnte sich zu den Verzögerungen seines Gegners Glück wünschen . Er hatte gleichfalls prüfenden Blickes die Linien fei= ner Armee abgeritten, und obgleich ihn kein einziger Zuruf begrüßte, war sie doch darum nicht weniger entschlossen, tapfer ihre Schuldigkeit zu erfüllen. Gegen 11 Uhr diktirte Napoleon einen Befehl , der die ersten Andeutungen seines Schlachtplanes gab: ,,Etwa gegen 1 Uhr Nachmittags wird der Kaiser dem Marschall Net Befehl geben , den Angriff zu er= öffnen ; er wird gegen Mont St. Jean, den Vereinigungspunkt der beiden Chauſseen, gerichtet. Zu diesem Zwecke werden die 12pfündigen Batterien des 2. und 6. Korps an die des 1. Korps heranrücken ; dieſe 34 Geschüße werden die Truppen in der Gegend von Mont St. Jean beschießen.
269 Graf Erlon wird den Angriff damit beginnen , daß er seine linke Division zuerst vorrückt und sie dann nach Bedarf mit den andern Divisionen unterstüßt. Das 2. Korps wird derart vorrücken , daß es mit dem Grafen Erlon in gleicher Höhe bleibt. Die Sappeurkompagnien des 1. Korps haben sich be= reit zu halten , Mont St. Jean sofort zu verrammeln ." Das Zentrum war der stärkste Theil der englisch = holländischen Schlachtlinie ; es hatte eine Einbiegung nach Innen und war vor seinen beiden Endpunkten durch das feste Gehöfte von Goumont und durch la Haie Sainte verstärkt. Es war Das ein Grund , um den Hauptangriff dorthin nicht zu führen. Es gab aber noch einen wichtigeren Grund dafür , nämlich, daß Wellington vor seiner gänzlichen Ueberwältigung sich zurückziehen und hinter dem Weiler von Mont St. Jean, die Rechte an Mesnil und Estrée, die Linke an Vert-Coucou und den Soigne'r Wald gestütt , eine neue Stellung nehmen konnte, durch die er sowohl die Chauffee als die Alſem= berger Straße (faſt durchaus gepflastert) in gleicher Weiſe deckte. Es waren aber gerade diese Straßen , die ihm genommen werden mußten , um ihn von seiner Verbindung mit Antwerpen und mit den Preußen abzudrängen. Derselbe Grund spricht auch gegen den Angriff auf den rechten Flügel , der Wellington Blücher entgegen drücken würde. Wenn dagegen Napoleon den linken Flügel der eng= lisch -holländischen Stellung nahm , so gewann er sofort die Brüsseler Straße, warf den Feind in die Thäler von Merbe - Braine und Braine l'Alleud , in ein durchschnit tenes Terrain mit nur schlechten Nebenwegen , in die Richtung nach Flandern, d . h . in eine von den Preußen wegführende Richtung. Der Hauptangriff mußte also den linken Flügel treffen. Auch war ein glücklicher Zufall - dieser Flügel gerade der schwächste Theil der Stellung. Man brauchte bei dem Anmarsch nur die kleinen Gehöfte Papelotte und
270 la Haie zu markiren ; oben, auf dem Plateau, stand der Flügel völlig in der Luft. Wellington hatte einen der triftigsten Gründe, eine solche Aufstellung des linken Flügels nicht zu scheuen ; aber Napoleon ahnte diesen Grund noch nicht . Es spricht Alles dafür , daß Napoleon , als er den obigen Befehl diktirte , den Entschluß gefaßt hatte, den feindlichen linken Flügel zu umfassen und gleichzeitig mit dieſem einen andern kräftigen Angriff auf die Gegend über la Haie Sainte, den Zusammenstoß des linken Flügels mit dem Zentrum, zu richten. Erlon sollte dieſen Angriff beginnen , Lobau und ein Theil der ReserveReiterei ihn unmittelbar , rechts und links der Chaussee, unterstützen und der übrige Theil der Reserve - Reiterei und die ganze Garde ihm zur Reserve für den Noth= fall dienen. Reille würde den ihm gegenüber liegenden Theil der Stellung angreifen und so viel als möglich die Aufmerksamkeit und die Kräfte des Feindes dorthin ablenken. Wenn keine Störungen in diesem Kalkul des fran= zösischen Oberbefehlshabers eintraten, so mußte dieser, im Entwurfe so schöne und in der Ausführung so träftig disponirte Angriff zum Siege führen. Der Marschall Ney ward beauftragt, ihn unter den Augen seines Herrn und Meisters auszuführen ; er verfügte vorerst über die Korps von Reille und Erlon. Napoleon hatte , nachdem er die Linien durchritten, den höchsten Punkt bei dem Pachthofe Rossomme, etwas rechts desselben und der Chaussee nach Brüssel , in dem Steilrande eines nach Plancenoit abführenden Weges, zu seinem Aufenthaltsorte gewählt ; er übersah von da das ganze Gelände bis zur englisch-holländischen Stellung. Man brachte einen Tisch und Stuhl aus dem näch= ſten Hause herbei , stellte sie auf eine Strohſchicht, und nachdem er vom Pferde gestiegen , sezte sich der Kaiser an den Tisch und breitete die Karte der Gegend vor sich aus,
271 Er hatte noch das frühere Zutrauen in das Schickſal des Tages ; er glaubte Wellington noch immer von den Preußen getrennt und hielt ihn für das Opfer einer mit Sicherheit vorauszusehenden Niederlage.
Es war 114 Uhr *). Geſchüß- und Gewehrfeuer brachen auf dem äußersten linken Flügel der französischen Armee los. Reille ließ Goumont durch die Division Guilleminot angreifen. Dieser Angriff hatte , wie wir schon bemerkten , den Zweck, die Aufmerksamkeit des englischen Feldherrn hierher zu lenken, ihm diesen Punkt bedroht erscheinen zu laſſen und dadurch den Hauptangriff zu begünſtigen , der gegen dessen linken Flügel gerichtet werden sollte. Es war eine Diversion ; aber es war für die Erreichung des Zweckes keineswegs nöthig , daß die Wegnahme dieſes Theiles der Stellung durchgefeßt wurde. Sie war hier gerade stark. Das Schloß Goumont lag, wie wir schon bemerkten, auf der Höhe der südlichen Wand des Thales , das hier die englisch - holländische Linie deckte, und war auf etwa 300 Metres von dem Rande des Plateaus aus dominirt. Es bestand aus einem großen Wohnhause, einer Pachter= wohnung , einer Kapelle und Wirthschaftsgebäuden, die zusammen ein geschlossenes Viereck mit zwei Eingängen, an der Süd- und an der Nordseite, bildeten . Destlich vom Schlosse stieß ein großer Garten an dasselbe , der auf der Nordseite von einer Hecke, auf den beiden andern Seiten von starken und 2 Metres hohen Ziegelmauern eingefaßt war. Weiter östlich stieß daran ein noch viel größerer Baumgarten, der von dem erſteren Garten nur durch die Mauer getrennt , und auf den
*) Diese Zeit ist in den holländischen Rapporten angegeben. Englische Generale sahen mit der ihrer Nation eigenen Genauigkeit und Kaltblütigkeit beim ersten Kanonenschuß nach der Uhr und geben an, daß er 11 Uhr 35 Minuten fiel.
272 andern Seiten von sehr hohen , mit Bäumen durchwach= fenen und im Allgemeinen sehr dichten Hecken eingefaßt war , hinter denen noch ein ziemlich tiefer Graben herum lief. Im Süden von dem Schloffe, dem Garten und dem Baumgarten und mit etwa 30 Metres Zwischenraum erstreckte sich auf etwa 300 Metres Länge und etwas weniger Breite ein Gehölz *) , aus lichtem Hoch- und dichtem Unterholze bestehend ; das Gehölz stand auf einer gegen die französische Linie fanft abfallenden Lehne und reichte fast bis zur Sohle des Merbe - Brainer Thales, das hier übrigens nur erst eine Terrainfalte ist. Dest= lich daran stieß eine mit Hecken umfaßte Wiese, westlich erstreckt sich ein eben so eingefaßter Baumgarten in dem Thale hin und bis zur Niveller Straße. Alle diese äußeren Theile waren von 1 Bataillon
Nassauer, 700 Mann, der Division Perponcher und 2 Kompagnien Hannoveraner, davon 1 mit Büchsen, besetzt . 4 Kompagnien englische Garden und die Division Cooke standen im Schloß , dem Garten und dem Baumgarten, der daran stieß. Die Mauern waren krenelirt , und an denen des Gartens ein Banket angefeßt , um darüber feuern zu können. Guilleminot richtete seinen Angriff zuerst gegen das Gehölz und ließ dazu die 5 Bataillone der Brigade Bauduin in Staffeln vom linken Flügel aus vorgehen ; eine starke Blänkerkette ging voraus ; seine und Piré's Batterien bereiteten den Angriff vor. Die Bataillone drangen mit größtem Eifer vor , und trotz des hart= näckigsten Widerstandes , dem sie begegneten , trotz des dichten Unterholzes und trotz des Todes des tapfern . Bauduin, der gleich beim Beginne fiel , machten sie Fortschritte. Sie mußten indessen bald verstärkt werden . Guilleminot ließ die andere Brigade, rechts von Bauduin, *) Jetzt ausgerottet.
273 in's Gefecht rücken und Napoleon sandte Kellermann den Befehl, mit seinen beiden Batterien das Feuer gegen Goumont zu vermehren. Zwischen unserer Artillerie und der des feindlichen Zentrums entſpann sich darauf eine lebhafte Kanonade. Der Angriff erlangte von da ab eine fühlbare Ueber= legenheit über die Vertheidigung. Wellington hielt zu Pferde nahe an der Chauſſee von Nivelles , auf dem Plateau , und beobachtete den Gang des Gefechtes. Als er die Fortschritte Guilleminots sah, der im Begriff stand , ihm das Gehölz zu entreißen, befehligte er ein braunschweig'sches Bataillon dorthin ; ehe diese Verstärkung ankommen konnte, hatte Guilleminot das Holz genommen und während dieser die Arbeit schon für gethan hielt, brach plötzlich ein mörderisches Feuer auf die Seinigen herein. Die englischen Garden ver= kündeten auf diese Art ihre Anwesenheit und die Angreifer erkannten in den frenelirten Mauern und den besetzten Hecken eine neue Schwierigkeit. Die Mauern und Hecken waren über 2 Metres hoch ; man hatte keinerlei Material zum Uebersteigen ; die Ar= tillerie konnte nicht durch das Holz kommen , um etwa eine Bresche zu öffnen ; man hatte auch keine Petarden, nicht einmal Pulversäcke, um ein Feld der Mauern einzuwerfen , und das südliche Eingangsthor lag gerade in einem eingehenden Winkel und ward von einem Stüc der Gartenmauern in nächſter Nähe flankirt. Es war also geradezu unausführbar, hier zu stürmen. Offiziere und Soldaten wollten jedoch nicht zurück und beschossen sich_mit_den_Vertheidigern. Ihre heldenmüthige, aber unfruchtbare Tapferkeit machte sie zum Opfer eines sichern Feuers , das sie nur mit einem unsichern beantworten konnten. Die Kühnsten drangen durch kleine Lücken in den Baumgarten oder halfen einander über die Mauern weg; aber sie fanden nur den Tod, und niemals noch find so brave Männer ſo nußlos geopfert worden. 18 Charras, Waterloo.
274 Die Brigade Sohe war auf dieses gewaltige Hinderniß gestoßen. Die Brigade Bauduin hatte sich links gezogen , das Holz umgangen und den kleinen Baumgarten im MerbeBrainer Thale genommen ; sie traf auf die Westseite des Schlosses, sah sich durch die Mauern eben so aufgehalten und war dem Feuer der Scharten und der Geſchüße auf dem Plateau preisgegeben , die keinen andern Gegner hatten. Hier waren aber die Mauern frei ; eine halbe Bat= terie 12 Pfänder, die dort aufgefahren wäre, konnte in wenig Augenblicken eine Bresche herstellen und dadurch Es hat aber, wie es den Weg zum Sturme öffnen . scheint, Niemand daran gedacht ; Guilleminot, Jerôme Bonaparte und Reille selbst sehen ihre Bataillone von dem unsichtbaren Feuer nulos leiden , ohne daß ihnen diese Idee aufgestiegen wäre . Einige Kompagnien vom 1. leichten Regiment und eine Handvoll Sappeure waren bis an den nördlichen Eingang vorgedrungen und hatten ihn trotz des vom Plateau herabkommenden Kartätſchen- und Gewehrfeuers geöffnet. Aber auch dieser kühne Versuch hatte fehlge= schlagen. Einige tapfere Männer , an ihrer Spitze der Sousleutenant Legros , waren in den Hof gedrungen ; aber Alle hatten sie dort den Tod gefunden , und die Oeffnung, die sie hergestellt , ward sofort wieder verrammelt. Die Division Guilleminot , die hier nicht vorwärts konnte und nicht zurück wollte, war schon ziemlich er= schüttert, als das braunschweigische Bataillon und 4 Kompagnien englische Garden , die Wellington herbeibefehligt hatte, ankamen. Im Vereine mit dieser Unterstützung rückten auch die von uns geworfenen Truppen, die sich in das Thal und in den Obstgarten geflüchtet hatten, wieder vor und Guilleminot ward wieder bis in die Mitte des Holzes zurückgedrängt. Es war 1 Uhr.
275 Die Blänker waren auf der ganzen Linie, bis Papelotte hinab , im Feuer ; die feindlichen Blänker waren bis auf den Hang des Plateaus zurückgegangen. Auf dem französischen rechten Flügel eröffnete die Artillerie ein mächtiges Feuer und bereitete den für hier befohlenen Angriff vor. Der Kaiser hatte vor wenig Augenblicken eine Nachricht von höchster Bedeutung erhalten. Der Angriff von Goumont war in seinen ersten Stadien ; er schenkte ihm wenig Aufmerksamkeit und prüfte mit seinem Fernrohre den Horizont , als er bei Chapelle St. Lambert ein Truppenkorps wahrnahm . Chapelle St. Lambert ist ein Dorf, das in gerader Linie 1 Stunden nordöstlich vom Pachthofe Rossomme, in der Linie zwischen Wavre und Smohain liegt, und von dem lezteren Punkte etwas über 1 Stunde entfernt ist. An ihm vorüber zieht sich das Lasne-Thal eng und mit sehr schwierigen Zugängen, die westliche Begrenzung des Dyle-Plateaus bildend. Es war von der höchsten Wichtigkeit , schleunigst zu erfahren , was das für ein Truppenkorps war , das sich hier , so nahe den beiden gegenüberstehenden Armeen, zeigte. Die Divisionen Domon und Subervie erhielten sofort Befehl , zur Rekognoszirung dorthin abzugehen, und der General .Bernard , Adjutant Napoleons , ward ihnen mit einigen Reitern vorausgefandt, um die Meld= ungen noch etwas rascher zu erhalten. Napoleon hat gesagt , daß er Hoffnung gehabt habe, in den bemerkten Truppen ein Detachement Grouchy's zu finden ; es ist möglich, aber sehr wenig wahrscheinlich. Seit der Zeit, wo er sich von dem Marschall ge= trennt , hatte er zwei Depeschen von ihm erhalten , beide von Gembloux datirt, die erste den 17. Abends 10 Uhr, die andere den 18. früh 2 Uhr. Die erste Depesche ist bereits vorn abgedruckt *).
*) Vergl. S. 237.
18 *
T
276 Grouchy setzte darin die Unsicherheit auseinander, in der er sich über die von den Preußen eingeschlagene Richtung befand; er wußte nicht, ob sie sich über Wavre oder über Perwez (nicht weit von der Römerstraße) zurückzögen , und er gab an, daß er in der einen oder in der andern Richtung weiter vorgehen würde, je nach den Nachrichten, die er erhielt. In der zweiten Depesche meldet er , daß er nach Sart-lez-Walhain marschiren werde, ohne etwas über die von da aus weiter einzuschlagende Richtung beizufügen . Sart-lez-Walhain liegt 1 Stunde östlich des geraden Weges von Gembloux nach Wavre, und 4 Stunde nördlich der Römerstraße, und es geht somit aus der Lage dieſes von dem Marschall gewählten Zwischenpunktes her= vor, daß seine Ungewißheit noch immer fortdauerte. Diese beiden Depeschen waren um 2 Uhr und gegen 5 oder 6 Uhr früh im kaiserlichen Hauptquartiere einge= troffen. Napoleon hatte erst um 10 Uhr durch das nachfol= gende, vom Major - General gezeichnete Schreiben darauf geantwortet : ,,Der Kaiser hat Ihren letzten, aus Gembloux da= tirten Rapport erhalten. Sie sprechen darin nur von 2 preußischen Kolonnen , welche durch Souveniere und Sart-lez -Walhain gekommen ; die Meldungen sprechen aber noch von einer dritten Kolonne, die, ziemlich stark, bei Gery und Gentinnes passirt und die Richtung auf Wavre genommen hat. Der Kaiser befiehlt mir , Ihnen zu sagen, daß Se . Majestät in diesem Augenblicke die englische Armee an= greifen wird, die bei Waterloo, nahe am Soigne'r Walde, Stellung genommen hat , und da wünscht Se. Majestät, daß Sie Ihre Bewegungen gegen Wavre richten , um uns näher und in unsern Operationsbereich zu kommen, daß Sie die preußischen Korps , die diese Richtung ge= nommen und sich bei Wavre aufhalten könnten, drängen und daß Sie ehemöglichst dort anzukommen suchen.
277
Lassen Sie den preußischen Kolonnen , die rechts von Ihnen gegangen sind, einige leichte Truppen folgen, ihre Bewegungen beobachten und ihre Nachzügler aufsammeln. Vernachlässigen Sie nicht, Ihre Verbindung mit uns herzustellen." Es enthielt also diese um 10 Uhr geschriebene Ordre die ersten Weisungen an Grouchy, nach Wavre zu_mar= schiren , konnte also auf seine Bewegungen noch keinen Einfluß gehabt haben *). Auf der andern Seite ließ seine Depesche von 2 Uhr Morgens, worin er den beabsichtigten Marsch von Gemblour nach Sart-lez-Walhain meldete, nicht schließen, daß oder 12 Uhr eine seiner Abtheilungen schon bei um 11 Chapelle St. Lambert sein könne. Denn von Gembloux nach Sart-lez-Walhain sind 14 Stunde in gerader Linie und von da nach Chapelle St. Lambert dreimal mehr, ebenfalls in gerader Linie, was an 8 Stunden auf den Wegekrümmen giebt ; der Regen hatte aber die Wege aufgeweicht, das ganze Terrain war schwierig, sehr durchschnitten und voller Defileen , was Napoleon jedenfalls wußte. Die Hoffnung, welche er also bei dem Erscheinen von Truppen bei Chapelle St. Lambert gehabt haben will, erscheint sehr wenig wahrscheinlich. Wenn er aber auch wirklich eine solche Hoffnung ge= hegt, so dauerte sie wenigstens nicht lange. Der Generaladjutant Bernard war in der Richtung gegen Chapelle St. Lambert fortgesprengt, war dann abgesessen und, durch die Hölzer und Hecken verdeckt, nahe
*) Die Erzählungen von St. Helena behaupten, daß noch andere Ordres in der Nacht abgefertigt worden seien , die dem Marschall vorschrieben , nach Wavre zu marschiren und selbst Chapelle St. Lambert zu besetzen. Diese Ordres sind blos erfunden. Wir werden es später beweisen ; das Schreiben schon, welches oben steht, spricht dafür , denn es spricht von keiner vorhergehenden Ordre, giebt nicht einmal die leiſeſte Andeutung einer solchen.
278 genug an die Lasne herangekommen , um eine Blänkerlinie deutlich zu erkennen, die aus dem Thale emporſtieg und die Richtung nach Plancenoit einschlug. Es war preußische Infanterie. Schleunigst sprengte er zu Napoleon zurück und überbrachte ihm die unerwünschte Nachricht. Wie stark war aber der Feind, der auf diese Art die Kombinationen des französischen Oberfeldherrn durch= kreuzte ? War es die Avantgarde eines stärkeren Korps oder war es nur ein , in der Verwirrung des Rückzugs abgedrängtes Detaschement, das sich jetzt der englisch-holländischen Armee anschließen wollte ? Napoleon hatte einen Theil der Wahrheit sehr bald erfahren. Ein Offizier der Jäger zu Pferde brachte einen gefangenen preußischen Husaren zu Napoleon , der ihm bei einer Rekognoszirung gegen die Lasne in die Hände gefallen war. ,,Der Husar trug ein Schreiben; er war sehr intelligent und hatte alle wünschenswerthen Erläuterungen gegeben. Die Kolonne , die bei St. Lambert erschienen, war die Avantgarde Bülows, der mit 30,000 Mann anrückte und bei Ligny nicht mit gefochten hatte. Das Schreiben meldete die Ankunft des Korps ; Bülow ersuchte Wellington um Befehle. Der Husar gab an, daß er am Morgen in Wavre gewesen sei , daß die 3 anderen preußischen Korps dort lagerten, daß sie die Nacht vom 17. zum 18. dort zugebracht und keinen Franzosen sich gegenüber gesehen hätten *) . Diese für Napoleon so unerwartete Dazwischenkunft von 30,000 M. Preußen auf einem Schlachtfelde , auf dem er bereits den seinigen gleiche Kräfte gegen sich hatte, enthielt eine folgenreiche Störung, deren Wichtigkeit durch die nicht minder unerwartete Nachricht von der Ver= einigung der ganzen preußischen Armee bei Wavre noch wesentlich gesteigert ward. Von Wavre bis Smohain, * Memoiren, Th. 9.
279 woselbst der äußerste linke Flügel der englisch-holländischen Armee stand, sind in gerader Linie nur 3 Stunden. Der französische Feldherr ließ sich aber dadurch nicht von seinem Plane abbringen und setzte die so spät und kaum erst begonnene Schlacht fort. Lobau erhielt Befehl , mittelst einer divisionsweisen Frontveränderung die Brüsseler Chauſſee zu überschreiten und in der Richtung von Chapelle St. Lambert abzu= rücken , die Diviſionen Domon und Subervie zu unterstüßen und sich eine gute Zwischenposition zu suchen, wo er mit 10,000 M. 30,000 M. im Nothfalle aufhalten könne." Lobau hatte sich sofort in Bewegung geſetzt ; die Infanterie der Garde rückte an seinen Platz vor und gleich= zeitig schrieb der Major-General an Grouchh : Vom Schlachtfelde bei Waterloo, den 18. Juni, i Uhr Nachmittags. Sie haben heute früh 2 Uhr dem Kaiser geschrieben, daß Sie auf Sart-lez-Walhain rücken wollten ; Ihre Absicht war also , gegen Corbais oder Wavre zu mar= schiren *). Diese Bewegung stimmt mit den, Ihnen mitgetheilten Absichten Sr. Majestät überein. Der Kaiser befiehlt mir aber noch, Ihnen zu sagen, daß Sie immer in der Richtung nach uns zu manövriren sollen. Es ist Ihre Sache, zu sehen, wo wir sind, um sich darnach zu richten, um unsere Verbindung herzustellen , und um sich immer bereit zu halten, über diejenigen Truppen herzufallen , die unsere rechte Flanke beunruhigen wollen und sie zu vernichten. Jezt ist die Schlacht auf der Linie von Waterloo im Gange. Das feindliche Zentrum steht bei Mont St.
*) Eine voreilige Schlußfolgerung , wie wir später sehen werden. Als Grouchy nach Sart-lez-Walhain marschirte, wußte er noch nicht, in welcher Richtung er weiter rücken würde..
280 Jean; also , manövriren Sie , um sich an unsern rechten Flügel anzuschließen. P. S. Ein Schreiben, das aufgefangen ist, besagt, daß der General Bülow unsere Flanke angreifen solle. Wir glauben dieses Korps bei Chapelle St. Lambert zu entdecken; verlieren Sie also keinen Augenblick, um sich an uns heranzuziehen und sich an uns anzu = schließen und um Bülow zu erdrücken , den Sie bei der Ausführung seines Vorhabens überraschen werden." Wo war Das waren verspätete Instruktionen ! Grouchh, als sie niedergeschrieben wurden ? Wo wird er sein, wenn sie ihn erreichen ? Wann wird er sie erhalten ? Wo wird alsdann die preußische Armee sein? Blücher war sehr thätig und sehr kühn. Ließ sich an= nehmen, daß er seit Anbruch des Tages unthätig bei Wavre stehen geblieben? Und Grouch , Das wußte man , hatte erst Morgens von Gembloux abmarschiren wollen ; von Gembloux nach Wavre sind 6 Stunden, wenn man über Sart-lez-Walhain geht, es giebt nur schlechte Nebenwege und überall Defileen. Während die unerwünschten Nachrichten sich vervollständigten, auf welche hin die angegebenen dringenden Instruktionen an Grouchy abgingen , hatte Neh den Be= fehl erhalten, das Artilleriefeuer zu eröffnen, mit welchem der Angriff, dessen Ziel die Wegnahme von Mont St. Jean war, vorbereitet werden sollte. Um 1 Uhr war das Feuer in voller Stärke. Die 3 12pfündigen Batterien von Erlon, Reille und Lobau , die sich an die Divisionsbatterien des ersteren angeschlossen hatten und noch durch 2 Batterien der Garde verstärkt wurden, zusammen 78 Geschüße, standen . auf einem Absatze des Hanges von la belle Alliance, rechts der Straße, und beschoffen den engliſch-holländischen linken Flügel und die anstoßenden Theile des Zentrums auf das Wirkſamſte, während ihnen nur eine viel schwä= dere Artillerie gegenüber stand..
281 Gegen 14 Uhr glaubte Napoleon die feindlichen Linien durch die Masse der auf sie geschleuderten Projektile genugsam erschüttert und ließ Ney anweisen, mit den 4 Divisionen des 1. Korps den Angriff in eben so vielen Kolonnen, mit Staffeln vom linken Flügel, gegen la Haie Sainte zu beginnen , durch das Thal und auf das Pla= teau zu rücken. Mag es nun ein Mißverständniß bei der Ueberbringung des Befehles oder eine falsche Ansicht des Marschalls oder Erlons gewesen sein, kurz, die Divisionen formirten sich in geschlossener Kolonne, die Bataillone in Front mit 5 Schritt Abstand eins hinter dem andern . Auf einem günstigen Terrain wäre diese Formation, die mit Recht gar nicht gebräuchlich, schon gefährlich ge= wesen ; bei dem wechselnden Terrain, das auf tiefschmutzi= gem Boden zu durchschreiten war, wurde sie zur Thorheit. Man öffnete selbst der Reiterei die Bahn. Die erste oder linke Staffel ward von der Brigade Bourgeois, Division Allix *), formirt, die andere Brigade der Division , Quiot, war zum Angriffe gegen la Haie Sainte bestimmt ; die Diviſion Donzelot bildete die zweite, Marcognet die dritte und Durutte die vierte Staffel. Die Staffeln waren 400 Schritt von einander entfernt. Jede Division hatte 8 Bataillone, Donzelot 9 . Die eigenthümlichen Kolonnen hatten alſo 12 , 24 und 27 Glieder in der Tiefe und eine Front von 150 bis 200 Mann , je nach der Stärke der Bataillone **). **
*) Allir war versendet ; seine Division ward von dem ältesten seiner Brigadiers, Quiot, befehligt. **) Dieſe Formation des Erlon'schen Korps ist bis jezt von französischen wie ausländischen Schriftstellern nicht richtig dargestellt worden. Wir verdanken die genauen Angaben darüber der wohlwollenden Freundschaft eines Generals , der damals Stabsoffizier im Erlon'schen Korps war. In der sehr beachtenswerthen Mittheilung , die er uns zugehen ließ, gab er
282 Ney hielt zu Pferde auf der Chaussee. Er ordnete den Vormarsch an. Die Kolonnen setzten sich in Marsch und mit dem verdoppelten Rufe : „ Es lebe der Kaiser " stiegen sie in das Thal hinab, das beide Armeen trennte. Hatten sie am Tage von Ligny und Quatrebras unthätig bleiben müssen, so wollten Offiziere und Soldaten heute sich besonders auszeichnen. Die Brigade Quiot , gegen la Haie Sainte dirigirt, fam zuerst in's Gefecht. Sie war schon im lebhaftesten Feuer, als die Kolonnen zu ihrer Rechten noch unter dem Feuer der englischen Batterien den Hang in die Höhe stiegen. Der linke Flügel der englisch-holländischen Armee be= ſtand aus den beiden englischen Brigaden Kempt und Pack, den beiden hannöverischen Brigaden Vincke und Best und der holländisch - belgiſchen Division Perponcher mit den Brigaden Bylandt und Prinz Bernhard von Weimar. Die englischen Reiterbrigaden Vandeleur und Vivian deckten die linke Flanke. Kempt, Pack, Vincke , Best, Prinz Bernhard hatten alle 4 Bataillone ; von der letteren Brigade war ein fünftes in Goumont detachirt ; Bylandt hatte 5 Bataillone. Kempt stand mit dem rechten Flügel an der Chauffee nach Brüffel, 1 Bataillon (das 95. , mit Büchsen be= waffnet) war in Front und stand theils hinter den Hecken des Ohainer Weges, theils in einem kleinen, etwas vorwärts gelegenen Steinbruche; die 3 andern Bataillone standen in 3 Kolonnen mit Aufmarschdiſtanzen etwas zu= rück und etwa 100 Metres vom Kamme des Plateaus. Bylandt stand mit 4 Bataillonen aufmarschirt vor dem Kamme, mit 1 Bataillon dahinter.
noch an, daß der Kommandant des letzten Bataillons der Division Durutte seine Truppe in Divisionskolonne und Bereitschaft zur Karréformation gesetzt hatte, daß aber Durutte, der es bemerkte, ihn wieder in Front aufmarschiren ließ , „weil es so befohlen sei."
283 Pack stand in Bataillonskolonnen mit Aufmarschdistanzen 200 Metres hinter dem Kamme. Best stand mit 3 Bataillonen in Front aufmarschirt etwas gegen die Linie von Pack vorspringend, mit 1 Ba= taillon in Reserve. Vince stand eben so wie Best . Drei Batterien (20 Geschütze) standen auf dem Kamme im Feuer. Der Kamm des Plateaus wird auf der ganzen Ausdehnung der Aufstellung Pictons durch den Öhainer Weg bezeichnet, bis auf etwa 100 Metres an die Brüsseler Chaussee heran. Dieser Weg ist, wie wir schon bemerkten, mit dichten, aber lückenhaften Hecken eingefaßt. An einigen Punkten hatte man wie Scharten für die Geschütze eingeschnitten. Prinz Bernhard von Weimar hatte Frichemont mit 1 Bataillon, Smohain, la Haie, Papelotte mit einem andern Bataillon besetzt und hielt 2 Bataillone in Reserve. Er hatte noch 3 Geschüße, den Rest seiner bei Quatrebras von unserer Reiterei ruinirten Batterie. Die Aufstellung der Bataillone auf dem Plateau war derart, daß der größte Theil derselben von der Kanonade Ney's nur wenig zu leiden hatte ; denn der Kamm des Plateaus hat nur eine geringe Breite und dicht dahinter senkt sich das Terrain zu einer weiten Terrainfalte nieder, in welcher zwar Granatsplitter, aber nur sehr wenig Kugeln wirksam wurden. Trotz ihres Eifers konnten die französischen Kolonnen, durch das hohe Getraide und den tiefen Schmutz aufge= halten, nur langsam vorrücken. Die linke Kolonne ward durch das Büchsenfeuer von der andern Seite der Straße, oberhalb la Haie Sainte her, sehr gestört und zog sich merkbar rechts. Die zweite Kolonne ließ den Staffel-Abstand verloren gehen, und fo befanden sich beide in gleicher Höhe, als sie plötzlich das Kartätschenfeuer von 2 Batterien und bald darauf auch
284 das Gewehrfeuer des 95. englischen Regiments und Bylandts erhielten. Erlon ließ zum Angriff schlagen. Unsere Soldaten beschleunigten ihre Schritte , verjagten das 95., erreichten die Bataillone Bylandts , überrennen und zerstreuen sie in einem unwiderstehlichen Anlaufe , überschreiten den Ohainer Weg mittelst der Zwischenräume und Einſchnitte in den Hecken und nehmen die Geschüße. Die Ueberwindung der Hindernisse und der Angriff selbst haben die Kolonnen aufgelockert ; die Spitze muß halten, um die Ordnung wieder etwas herstellen zu können - da bricht plötzlich ein dichter Hagel von Flintenkugeln auf sie herein , die Bataillone von Kempt und vom rechten Flügel Pack's sind aufmarschirt und beschießen fie auf wenige Schritte. Der Angriff war überraschend und heftig ; in dem Bestreben, ihm zu begegnen, wird ebenfalls der Aufmarsch versucht. Aber zum Unglück war die fehlerhafte For= mation, die Unordnung, die beim Uebersteigen der Hecken entstanden, einer raschen Ausführung hinderlich, und während sie eben im Gange ist , fallen Kempt und Pack sie mit dem Bajonnet an und erzeugen dadurch die größte Verwirrung. Die tapfern Soldaten Erlons kämpfen im heftigsten Handgemenge entschlossen weiter; dadurch kommen ihre Gegner auch aus der Ordnung heraus ; der unerschrockene Picton , einer ihrer berühmtesten Generale aus dem Halbinselkriege , fällt , von einer Kugel in den Kopf getroffen *). Der Kampf bleibt nicht lange unentschieden. Als Wellington die Anstalten Erlons zum Angriffe erkannte, war er sofort nach seinem linken Flügel geeilt
*) Wellington sagt in seinem Bulletin : Picton hat einen ruhmvollen Tod gefunden, als er seine Diviſion zu einem Bajonnetangriffe vorführte, durch den er einen der ernstesten Angriffe , die auf unsere Stellung unternommen wurden, zurückwarf.
285 und hatte die schwere Dragonerbrigade Ponsonby , 1200 Pferde stark, dorthin gezogen. Sie ward in einer Terrainfalte, nahe der Chaussee, Ponsonby wartete auf einen hinter Kempt aufgestellt. günstigen Augenblick , und erfaßte ihn richtig. An der Spitze von zweien seiner Regimenter , 800 erlesenen Reitern , geht er durch die Intervallen von Kempt vor und stürzt sich auf die linke Flanke der französischen Kolonne , haut sie zusammen , treibt sie auf die Hecken zurück , zerstrent sie und kommt mitten unter ihnen vom Plateau herunter. Die Fahne des 105. Linienregiments wird genommen. Fast gleichzeitig erlitt die dritte Kolonne, Marcognet, dasselbe Schicksal wie die beiden ersten. Unter dem verheerenden Feuer einer Batterie, die sie schräg beschoß, hatte sie die Hecken überschritten und stieg nun rückwärts des Kammes den Hang hinab , als die Bataillone von Pack's linkem und Best's rechtem Flügel, die im hohen Getraide halb versteckt waren, sich erhoben und ein wahrhaft mörderisches Feuer auf sie eröffneten. Diesem folgte sehr bald eine gründliche Attake des 3. Regiments der Ponsonby'schen Brigade. Auf diese Art überrascht und wegen der fehlerhaften Formation ohne Zeit, Karré's zu formiren , schwankt die Division Marcognet, verwirrt sich und kommt rasch und in voller Verwirrung wieder in das Thal zurück ; das 45. Linienregiment wurde besonders mitgenommen und verlor seine Fahne. Die feindlichen Dragoner sind in ihrer Kampfwuth mitten darin. Die ausgedehnte Kanonade Ney's mußte von dem Augenblicke an verstummen, als die Kolonnen dem Kamme der Höhe sich näherten. Zwei Divisionsbatterien waren. jedoch mit vorgerückt, um sich anzuschließen, aber sie versanken zur Hälfte in dem Kothe der Thalsohle. Die verfolgende feindliche Reiterei traf sie in diesem Zustande und hieb in Einem Augenblicke Kanoniere, Trainsoldaten und Pferde nieder.
286 Die in der Stellung gebliebene Artillerie sah der Zerstörung und der Mețelei in unserer Infanterie zu, ungeduldig über das Handgemenge, das sie hinderte, auf die kecken Dragoner und auf die , bis auf den vorderen Hang vorgerückte englische Infanterie zu feuern . Wenig fehlte und auch sie hätten unter diesem Sturme zu leiden gehabt. Der Erfolg riß die Dragoner fort ; sie jagten durch das Thal und kamen bis an den linken Flügel der großen Geschüßlinie. Dort aber wurden sie von einer Kürassierbrigade und einem Ulanenregimente in Front und Flanke gefaßt und ihrem Siege ein Ziel gesetzt. Sie wurden mitten in ihrer Auflösung angegriffen und wäh= rend ein Theil unter den langen Schwertern der Kürassiere und den Lanzen der Ulanen fällt, kehrt der andere Theil um und jagt nach dem Plateau zurück, um hinter der Infanterie Schutz zu suchen, bei der auch die Brigade Vivian eingetroffen ist. Da hörte denn die Ver= folgung auf und es ward für unsere Reiter zum Sammeln geblasen , das im Thale selbst, unter dem Schuße der Artillerie erfolgte, die ihr Feuer nun wieder aufnehmen konnte. Ponsonby ist geblieben , 7 Lanzenstiche im Körper. Von seinen 1200 Dragonern sind kaum noch 600 übrig ; die andern sind umgekommen oder gefangen. Von den drei Regimentskommandanten sind die Oberstleutnants Hamilton todt und Muter schwer verwundet. Die Kühnheit der Engländer ward hier durch die Brigade Travers , 7. und 12. Kürassier-Regiment, und durch das 4. Ulanen-Regiment , Oberst Bro , bestraft. Travers war auf Napoleons Befehl vorgerückt , der den Angriff zu spät gewahrte ; Bro war durch seinen Divisionär, General Jacquinot, zum Angriffe befehligt; er wurde schwer verwundet. Die 4. Kolonne, als die drei andern .
Durutte,
hatte weniger Unglück,
287 Während sie erst aus 8 Bataillonen bestand , rückte sie doch nur mit 6 Bataillonen durch das Thal vor, weil Durutte auf eigene Verantwortung 2 Bataillone auf dem rechten Flügel der Artillerielinie zu deren Flan= kendeckung zurückgelaſſen hatte. Beim Vorrücken hatte er die Pachthöfe la Hahe und Papelotte mit einigen Kompagnien maskirt, war in guter Ordnung auf der Höhe angekommen und hatte ebenso die hier sehr lückenhaften Hecken durchschritten. Die Hannoveraner von Best und Vincke waren schon ziem= lich weit zurückgewichen , als plötzlich die leichten Dragoner Vandeleur's aus einer Terrainfalte vorbrechen und unerwartet angreifen. Anfangs hatten sie Erfolg ; die Bataillone hatten sich in Unordnung zusammengeballt, aber die Ueberraschung wirkte nicht fort , die Ordnung stellte sich her und das Feuer aus wirkhamster Nähe vertrieb sehr bald die Reiter , die sich weit ab erst wieder sammelten. Nachdem Dies erfolgt , war Vandeleur , der von der Unordnung unserer übrigen Kolonnen gehört hatte, zur Unterstützung Ponsonby's in das Thal gerückt. Durutte, der sah, daß links von ihm keine franzöſische Kolonne mehr auf dem Plateau war, benutzte diese Entfernung Vandeleur's zu seinem Rückzuge. Er hielt dabei das Nachrücken der Hannoveraner auf und kam dann wieder in seine erste Stellung. Er hatte etwa 600 Mann verloren. Als seine Division das Thal durchschritt, war Vandeleur mit dem 3. Ulanen und 3. Jäger-Regimente der Division Jacquinot im Gefechte und sah sich bald darauf genöthigt , dem Beispiele Ponsonby's zu folgen und zurückzugehen. Aber es geschah in guter Ordnung, unterstützt von der holländisch-belgischen Brigade Ghigny, die ebenfalls in's Thal herabgekommen war. Ghigny war auf die beiden Bataillone gestoßen , die Durutte zum Schuße der Artillerie zurückgelassen , und
288 hatte vergebens versucht , ihre beiden Karré's zu spren= gen. So war der Angriff auf den linken Flügel der eng= lisch-holländischen Armee vollständig mißlungen. Er kostete dem Erlon'schen Korps fast 5000 Mann, von denen 2000 Gefangene waren , und etwa 15 Ge= ſchüße waren gänzlich_ruinirt.*) Wenn auch die englisch-holländischen Divisionen we= niger gelitten hatten, so waren ihre Verluste doch auch sehr empfindlich. Die Dragoner Ponsonby's waren auf die Hälfte ge= schmolzen. In die Brigaden Kempt und Pack, die schon bei Quatrebras sehr gelitten, waren neue Lücken geriffen worden; die Brigade Bylandt, die schon durch die Kanonade viel verloren , dann mit dem Bajonnet zersprengt wurde, zählte kaum noch 1500 Mann ; ihr tapferer Chef und mehrere ihrer Stabsoffiziere waren außer Gefecht gesetzt. Endlich war der geschickte und unerschrockene Picton geblieben.
*) Der Oberst Jannin in ſeiner Brochüre (Camp. de Waterloo , Paris 1820) ſagt, daß bei diesem Zusammenstoß 40 Geschütze ruinirt worden seien. Seine Angabe ist von französischen und fremden Schriftstellern wiederholt worden, die sogar nach Baudoncourt (Histoire des Camp. de 1814 und 1815 en France , Paris 1826) beifügten, daß die ganze Artillerielinie unseres rechten Flügels sich nach dem vorliegenden Kamme in Bewegung gesetzt habe. Das ist ein doppelter Irrthum. Die Bewegung ward nur von den beiden Divisionsbatterien Donzelot's und Marcognet's ausgeführt. Der Bericht eines Augenzeugen, der vor uns liegt, läßt darüber gar keinen Zweifel. Napoleon sagt in der ersten Beschreibung von St. Helena, ,,etwa 15 Stück Geſchüße, die mit vorgingen, wurden von der feindlichen Reiterei in einen Hohlweg gejagt"; in der zweiten Beschreibung setzt er deren Zahl auf 7. Müffling (Geschichte des Feldzugs 2c.) sagt: Einige Züge englischer Reiterei .... stießen auf eine ohne Eskorte marſchirende Artilleriekolonne. Sie ward genommen. Da sie aber nicht fortzubringen war, so tödtete man die Pferde.
289 Die Kanonade zwischen den beiden Flügeln Brach auf's Neue los. Die Brigade Quiot , die gegen la Hahe Sainte an= rückte, hatte auch keinen Erfolg bei ihrem Angriffe. Wie fast alle größeren Pachthöfe in Belgien, ſo bildete auch la Haye Sainte ein geschlossenes viereckiges Gehöfte von Gebäuden und Mauern . Ein Baumgarten von 250 Metres Länge und 100 Metres Breite und ein Garten von etwa dieser Größe stießen daran an, der erstere füdlich , der zweite nördlich. Der Garten hat an der Ostseite eine Mauer , nördlich und westlich kleine Hecken. Der Baumgarten war mit höheren , aber wenig dichten Hecken eingefaßt ; er stößt östlich unmittel= bar an die Chauſſee und die Verlängerung der Gartenund Gehöstemauern . Der Pachthof hat 2 große Eingänge, je einen im Often und Westen. Auf der letteren Seite führt noch ein Thor in eine große Scheune, von der aus man in den Hof kommt. Eine kleine Thür führt in den Garten. Das Gehöft selbst liegt an dem unteren Ende des Hanges , der vom Plateau von Mont St. Jean herabkommt. Der Baumgarten liegt im Thale. Beide konnten vom Plateau aus wegen der Beschaf= fenheit des Hanges *) nicht gesehen werden. La Haye Sainte war seit gestern von dem 2. leich= ten Bataillon der Legion (Division Alten) befeßt wor= den , das 431 Mann zählte und vom Major Baring befehligt wurde. Es waren Vertheidigungsanstalten ge= troffen worden ; die Mauern waren frenelirt. Zwei
*) Jezt ist es anders. Auch von dieſem Hange ist viel Material zum Anschütten des Hügels genommen worden , der den Löwen von Waterloo trägt, und man sieht nur vom Rande des Plateau's aus die Gebäude von la Haye Sainte bis zum Fuße. 19 Charras, Waterloo.
290 Kompagnien standen im Gehöfte , drei im Baumgarten und eine im Garten. Der Angriff dieses Postens hätte sollen durch Ar= tillerie , namentlich durch Haubißen vorbereitet werden . Es war daran nicht gedacht worden ; es wiederholte sich hier derselbe Fehler, den man schon bei Goumont beging. Die Soldaten Quiot's stießen sich aber daran nicht. Sie erreichten den Baumgarten, durchbrachen die Hecken und vertrieben die Vertheidiger , die sich zurückzogen und ihren linken Flügel an die westliche Mauer des Gehöftes lehnten. Das östliche Thor ward gleichzeitig lebhaft beſtürmt. Artschläge fielen darauf nieder trotz des mörderischen Feuers aus den Scharten und der Kartätschen aus 2 Geschüßen, welche, hinter der die Straße sperrenden Barrikade stehend, die erstere lang hin bestrichen. *) Ein junger Ingenieuroffizier zeichnete sich bei dieſem gefahrvollen Angriff unter so vielen Tapfern noch besonders aus. Hoch gewachsen und von herkulischer Kraft sah man ihn an dem Thore, wie er wuchtige Artschläge gegen dasselbe führte , eine erste Verwundung nicht achtete und nur einer zweiten , die ihn ganz außer Gefecht fezte, gezwungen nachgab. Es war der Leutnant Vieux, dem das Schicksal ein anderes und entfernteres Schlachtfeld zum Heldentode bestimmt hatte. **) Aber das Thor war von innen gut verrammelt und wich den gewaltigen Anstrengungen nicht ; man erreichte
*) Im Gegensatze zu dem übrigen Theile des Zentrums der englisch - holländischen Stellung konnte man von diesem . äußersten Ende des genannten Zentrums den ganzen Abhang genau übersehen , da die Chauffee in einem tiefen Einschnitte die Höhe übersteigt. **) Vieux blieb als Bataillonschef auf der Bresche von. Konstantine. Er war bei der ersten Sturmkolonne , die der damalige Regimentskommandant der Zuaven, der unerschrockene Lamoricière, führte.
291 nichts als Soldaten.
einen großen
Verlust an Offizieren und
Der Prinz von Oranien, der gesehen hatte, wie der Baumgarten verloren und la Haye Sainte nach und nach von Quiot's Bataillonen umfaßt ward , ließ ein Bataillon hannöverische Landwehr , Lüneburg (Division Alten), zur Unterstützung vorrücken. Baring nahm nun einen Theil des Baumgartens wieder ; aber der Erfolg dauerte nicht lange, denn die Brigade Dubois (von den Milhaud'schen Kürassieren) war auf Befehl Napoleons in die Terrainfalte vorgerückt worden , die zwischen der Höhe von belle Alliance und la Haye Sainte liegt. Sie ging bis an den Baumgarten vor. Quiot zog darauf noch einige Reserven in's Gefecht und räumte Die Kürassiere den Letteren mit gefälltem Bajonnet. erfaßten den Moment ; die Kompagnien Barings , dem Gehöfte zunächst , konnten noch hineinkommen, das Ba= taillon Lüneburg aber unterlag dem Angriffe, ward ganz Quiot zusammengehauen und verlor seine Fahne. warf darauf zwei Kompagnien auf den Garten und nahm ihn. Die Reiterei hatte einen glänzenden Schlag ausge= führt ; sie war damit nicht zufrieden. Mag es nun auf Befehl oder aus Kampflust geschehen sein , sie verfolgte die Flüchtlinge, erstieg den Abhang und stand mit Einem Male vor den Karré's der hannöverischen Brigade Kielmannsegge, Division Alten . Ohne Besinnen griff ſie dieselben an und, abgeschlagen, wieder von Neuem. Wellington war nahe dabei. Er hatte eben Ponsonby gegen die Kolonnen Erlon's losgelassen und warf nun die Gardebrigade Somerset, 1400 Pferde , auf unsere Kürassiere. Urbridge , der Oberkommandant der Reiterei , führte den Angriff selbst an. Das Resultat
trat sofort ein ; die Kürassiere mußten der Uebermacht weichen und wurden in's Thal zurückgedrägt. Dort wurden sie glücklicher Weise von Quiot's Bataillonen aufgenommen, die durch ihre feste Haltung und ihr Feuer 19*
292 dem Feinde Halt geboten . Ohne einen Angriff zu_ver= suchen, kehrte Uxbridge um und auf das Plateau zurück. In diesem Gefechte mit unsern Kürassieren blieb der Kommandant der Gardedragoner , Oberstleutnant Fuller. Wellington entsendete nun 4 weitere Kompagnien der deutschen Legion (Division Alten) nach la Haye Sainte. Sie nahmen den Garten wieder , während die erneuerten Versuche Quiot's, von östlich und besonders von westlich her in das Gehöfte einzudringen, scheiterten, unsere Verluste dabei aber in jedem Augenblicke wuchsen. Weder Ney noch Napoleon dachten daran, durch Ge= schüßfeuer diese Mauern umlegen oder diese Gebäude durch Granaten in Brand stecken zu lassen, gegen welche sich die Brigade Quiot in fruchtlosen Anstrengungen erschöpfte . Während der erfolglosen Angriffe Erlons hatte das Gefecht um Goumont zwar mit derselben Heftigkeit, aber nicht mit besserem Erfolge als vorher fortgedauert. Die Division Foh war zur Verstärkung Guillemi = not's herangezogen worden. des
Den Letteren war es endlich gelungen , die Hecken großen Baumgartens zu öffnen. Er war darin
eingedrungen , während Foh den Posten rechts umfaßte. Der Baumgarten ward genommen , und alle feindliche Abtheilungen, die im Garten und im Gehöfte nicht Schuß finden konnten, in das Thal hinter demselben ge= worfen und bald den Abhang zum Plateau hinaufge= drückt. Da war aber die erste Linie des englischen Zentrums vorgerückt und Foy und Guilleminot müßten bis in die Höhe des Gehölzes zurückweichen, den Baum= garten aber, mit Todten bedeckt, wieder verlassen. Darauf folgende Versuche hatten keine befferen Erfolge. Der unerschrockene Foy mußte, schwer verwundet, vom Schlachtfelde weggebracht werden. Jerôme Bona= parte, von einer Flintenkugel am Arme getroffen , hatte sich auch weg und zu Napoleon begeben.
293 Der ganze Kampf um Goumont war ein ewiges Hin- und Herschwanken gewesen , dessen Detail unmög= lich genau dargestellt werden kann. Bald warfen die Angreifer ihre Gegner hinter die Umfassungen zurück und in das Thal am Fuße des rechten Theiles vom englischen Zentrum hinein, bald nahmen dieſe, mit Hilfe von Bataillonen, die dann von dem Plateau herabkamen, das verlorene Terrain wieder und gelangten in's Gehölz. Der Kampf war blutig für beide Theile, besonders aber für die Franzosen. Diese hatten hier schon an 10,000 Mann Infan= terie im Gefecht. *) Der lang andauernde Kampf hatte denn endlich auch die Aufmerksamkeit Napoleons erregt , und er hatte 8 Haubigen gegen dieses unnehmbare Schloß entsendet. Sie fuhren in der Nähe der Niveller Chauſſee auf und hatten sehr bald alle Gebäude in Flammen gesetzt, worin Hunderte von Verwundeten elend umkamen ; troßdem aber blieben der Garten und der große Baumgarten in den Händen des Feindes , und der Posten ward nicht genommen. Die Reiterdiviſion Piré demonstrirte von Beginn der Schlacht an gegen Braine l'Alleud, und Wellington hatte darauf auch 2 Reiter-Regimenter dorthin zu ent= sendet. Es war 3 Uhr. Der französische rechte Flügel ordnete um diese Zeit in seiner ursprünglichen Stellung seine übel zugerichteten Bataillone; im Zentrum ward der Baumgarten von la Haye Sainte besezt gehalten , auf dem linken Flügel rang man um Goumont; auf der ganzen Linie rollte das Artillerie- und Blänkerfeuer. *) Die Division Guilleminot hatte bei Eröffnung des Feldzugs 7800 Infanteristen , die Division Foy 4800. Sie hatten am 15. und 16. 3000 Mann verloren ; es blieben ihnen also zum 18. etwa 9600 Mann.
294 Wellington erwartete weitere Angriffe und traf ſeine Anstalten dagegen.
Eine Brigade Chaffé's, von Braine l'Alleud herbei= gerufen, hatte in der Nähe der Niveller Straße , in der Nähe von Merbe Braine Stellung genommen ; die Infanterie der braunschweigischen Division rückte im Zentrum ein ; die Division Clinton näherte sich demselben ; 200 Mann waren nach la Haye Sainte geschickt wor= den. Die hannöverische Brigade Vincke ward vom linken Flügel weggezogen und vorwärts des Pachthofes Mont St. Jean in Reserve gestellt. Dieser Flügel hatte zwar viel in dem Gefechte mit Erlon gelitten, aber Wellington konnte ihn jest ohne große Gefahr schwächen , denn das Bülow'sche Korps nahte heran ; Pirch I. und Ziethen waren nicht mehr sehr weit; Blücher hielt sein Versprechen; er war bei Bülow und ließ sein baldiges Vorrücken melden . Der Plan , den der englische und der preußische Heerführer gefaßt, nahte sich seiner Ausführung. Napoleon kannte nur den Anmarsch Bülow's , dessen baldiges Erscheinen auf dem Schlachtfelde von den vorgeschobenen Posten Domons gemeldet ward. Als ihm gegen 1 Uhr die erste Nachricht von der Anwesenheit Bülow's bei Chapelle St. Lambert zukam, hat er, wie er versichert, „ einen Augenblick gezweifelt, ob er nicht seine Operationslinie wechseln , auf die Niveller Straße verlegen, statt des englischen linken, den rechten Flügel angreifen , sich Braine l'Alleud's. bemächtigen und dann von dorther auf Mont St. Jean stoßen solle." Da dieses Manöver ihn jedoch von Grouchh noch weiter entfernt hätte , war es nicht berücksichtigt worden, und er hatte sich entschlossen , dem Angriffe der Preußen auf seine rechte Flanke direkt zu begegnen, Subervie, Domon und Lobau demselben entgegenzustellen und seinen ersten Schlachtplan gegen Wellington zu verfolgen. Ein gefahr= voller Entschluß.
295 Und um so mehr , als jetzt schon der unmittelbar bevorstehende Angriff Bülow's eine tiefgreifende Abänderung desselben bedingte. Der Angriff auf den englisch - holländischen linken Flügel , den schwächeren Theil ihrer Linie, wie er sagt, war gescheitert ; er verzichtete auf die Erneuerung desselben und faßte den Entschluß, nunmehr die Hauptanstrengun= gen gegen die Mitte ihres Zentrums zu richten. Er zog zwei 12 Pfünder-Batterien vom rechten Flügel weg und ließ sie dem englischen Zentrum gegenüber Position nehmen. Neh erhielt Befehl , die Wegnahme von la Haye Sainte zu beschleunigen. Der Marschall sandte die beiden ersten wieder ge= ordneten Bataillone Donzelot's zur Verstärkung dahin. Eine halbe Stunde später ward der Eingang in die Scheune erzwungen ; die Soldaten drangen in den Hof und die Gebäude und nahmen auch den Garten. Ba= ring wich diesem wüthenden Angriffe und zog sich auf das Plateau zurück. Vom 2. leichten Bataillon der Legion, das die Vertheidigung begonnen, waren nur noch 42 Mann übrig ; nur fünf Offiziere waren verschont, zwei in Gefangenschaft gerathen. Die Truppen , welche Baring nach und nach als Unterſtüßung erhalten, hatten in ähnlichen Verhältniſſen gelitten . *)
*) Die Lesarten über die Zeit , um welche la Haye Sainte genommen wurde, sind sehr verschieden. Wellington giebt in einem Briefe an Walter Scott (17. August 1815) an , daß es gegen 2 Uhr geschehen sei , was mit seinem Bülletin stimmt ; Napoleon sagt um 3 Uhr ; andere französische und deutsche Schriftsteller sagen um 4 oder 4 Uhr; Wagner nach 6 Uhr ; endlich hat der Major Baring selbst 1831 in dem hannöverischen Militair-Journal einen Bericht veröffentlicht, wonach die Wegnahme noch später erfolgt sei. Wir haben die Zeit so angenommen , wie sie uns aus den Mittheilungen eines in der Schlacht gegenwärtigen Offiziers hervorging , der in der Lage war , einige Vorfälle genau zu kennen.
296 Das 5. und 8. Bataillon der Legion (Division Alten) wurden darauf entsendet, um das Gehöfte wieder zu nehmen. Sie wurden jedoch von den Küraſſieren, die aus dem Thale wieder vorrückten , angegriffen , das letztere zersprengt , zusammengehauen und dessen Fahne genommen ; das erstere wiederstand zwar zweien auf ein= ander folgenden Angriffen , verdankte aber sein Entkommen nur der Brigade Somerset, die herbeieilte und das Gefecht aufnahm. Etwas vor 4 Uhr zog sich die erste Linie des englisch-holländischen Zentrums ein Wenig zurück ; Welling= ton ließ sie hinter den Kamm der Höhe zurückgehen, um dadurch die Verheerungen durch Kugeln und Granaten etwas zu mindern. Der Kamm hatte, ebenso wie auf dem linken Flügel, nur geringe Breite und das Terrain unmittelbar rückwärts davon senkte sich derart, daß von den daselbst stehenden Truppen nichts gesehen wurde. Obwohl die Artillerie und die Blänkerketten auf dem Kamme stehen blieben , glaubte Napoleon doch wohl an den Beginn eines Rückzugs. Milhaud erhielt Befehl, mit seinen beiden Divisionen vorzurücken, la Haye Sainte rechts zu lassen und das feindliche Zentrum nachdrücklich anzugreifen . Die leichte Division der Garde-Reiterei , die Ulanen und Jäger zu Pferde unter Lefebvre - Desnouettes unterstüßten diese Bewegung. Diese prachtvolle Reiterei , etwa 5000 Mann stark, rückte hinter la Haye Sainte in das Thal und gleich darauf sah man sie im Trabe den kothigen Abhang hin= aufreiten. Neh hatte sich an die Spitze der gepanzerten Schwadronen gestellt; der Marschall von Frankreich hatte den glänzenden Reitergeneral der Republik nicht ver= geffen.
Die Kugeln, später die Kartätschen, richteten nichts gegen sie aus. Sie erreichten den Kamm.
297 Neh führte sie an der westlichen Seite des Landrückens *) fort , an dem die Thäler von Goumont und la Haye Sainte entspringen. Er vermied dadurch die Hohlung des Ohainer Wegs. Die englische Artillerie hatte die Weisung , bis zum lezten Augenblicke zu feuern , dann die Proßen im Galopp zu den Reserven zurückgehen und die Bedienungsmannschaften mit dem Ladezeuge in die Karré's der Infanterie einrücken zu lassen. Die Karré's, jedes aus 2 Bataillonen formirt, schachbrettförmig in 2 Linien aufgestellt , erwarteten unbeweg= lich, schweigend und kaltblütig ihre Gegner , die unter dem wüthenden Geschrei : Es lebe der Kaiser ! anrückten . Kaum hatten sich die Karré's hinter den Artilleristen wieder geschlossen, als auch schon die Kürassiere mit Sturmesgewalt auf sie losbrachen . Aber die Nähe und Sie fetten ihr Größe der Gefahr erschütterte sie nicht. einen festen Widerstand entgegen. Nach und nach , oft gleichzeitig auf allen ihren Seiten angegriffen , wiesen sie die Kürassiere durch ein mörderisches Gewehrfeuer ab und auch die zweite Linie widerstand eben so kräftig als die erste. Vergebens wurden ganze Rotten von den zwar getroffenen , aber dadurch nicht aufgehaltenen Kürassieren niedergeriſſen ; die lebendigen Mauern schloſſen sich sofort wieder. Die Energie der englischen , hannöverischen und braunschweigischen Infanterie wuchs im Verhältniß der Tapferkeit des Angriffs. Es war nicht zu vermeiden, daß diese mächtigen und unaufhörlichen Anstrengungen unserer Reiterei sie in Unordnung brachten ; ihre Schwadronen kamen unter einander und verwirrten sich in dem Getümmel der An= griffe und Salven. Wellington gewahrte es und ließ nun durch die Intervallen der zweiten Linie drei ReiterBrigaden, die er zur Verfügung hatte, vorbrechen, So-
*) Vergl. S. 258 die Terrainbeschreibung.
298 merset mit den englischen Garden links , Trip mit den holländisch-belgischen Karabiniers in der Mitte und Dörnberg mit leichten Dragonern der englischen und der Le= gions-Reiterei auf dem rechten Flügel. Unsere Kürassiere waren solchergestalt in einem Augenblicke unvermeidlicher Unordnung gleichzeitig von Kugeln und Schwertern bedroht , hielten aber dem Angriffe wacker Stand und kamen mit ihren neuen Geg= nern in's Handgemenge. Der Kampf war zu ungleich. Neh wollte ihn abbrechen und ließ deshalb zum Sammeln blasen. Das konnte jedoch nur unterhalb des Kammes geschehen , wo Lefebvre-Desnouettes in Reserve geblieben war. Somerset, Trip und Dörnberg kamen daselbst mitten unter unsern Kürassieren an , Ney setzte sich an die Spitze der Garde-Regimenter , griff an, drängte die feindlichen Brigaden hinter ihre Infanterie zurück und stürzte sich nun abermals auf die Karré's . Die gesammelten Kürassiere rückten bald wieder vor ; das ganze Plateau in der Mitte des englischen Zentrums war mit unserer Reiterei bedeckt. Aber auch dieses Mal brachten die wiederholten Angriffe und das Feuer der Karré's die Unordnung in ihre Reihen und Ney sah sich gezwungen, das Plateau zu verlassen und seine Reiter in das Thal zurückzuführen, um sie daselbst zu formiren und zu Athem kommen zu lassen. Der Rückzug geschah in guter Ordnung, obwohl die Batterien, die eben noch in unserer Gewalt waren , jest wieder ihre verderbliche Thätigkeit aufgenommen hatten. Bei diesen Gefechten hatte die Brigade Somerset beträchtlich verloren . Der kühne Angriff, den Ney mit so ungleichen Kräften unternommen , war also gescheitert ; das Zentrum Wellingtons hatte ihm , wie vorher sein linker Flügel, widerstanden. Vielleicht hätte er einen bessern Erfolg errungen, wenn er von Infanterie unterſtüßt oder vorbereitet ge= wesen wäre. Aber es waren nur noch die Garden zur
299 Verfügung , und Napoleon hatte sie noch nicht aus den Händen geben wollen ; die Zeit nahte heran, wo er einen großen Theil dieser Reserve verwenden mußte, um dringenden Nothwendigkeiten auf einem andern Punkte des Schlachtfeldes zu entsprechen. Während des großen Reitergefechtes hatten die Divisionen Guilleminot und Foy weiter um Goumont ge= rungen, ohne im Ganzen mehr zu erreichen, als früher. Einmal waren sie jedoch auf dem Hange selbst bis zu der Barrikade der Niveller Chaussee vorgedrungen und hatten dadurch den Feind doch in so weit beschäftigt, daß die Ney'schen Angriffe von dieser Seite her etwas unterstüßt erschienen. Die Division Bachelu, die bei Quatrebras auf 3000 Mann geschmolzen war, hatte sich gegen Goumont gezo= gen , woselbst die Verluste in den Regimentern Guilleminot's und Foy's wuchsen. Auf unserm rechten Flügel war die Diviſion Allix, von Quiot befehligt, nach der Wegnahme von la Haye Sainte bis an den Ohainer Weg vorgedrungen , fonnten aber nicht darüber hinauskommen. Donzelot und Marcoguet , die bei dem Angriffe auf Picton so übel zugerichtet worden waren , schlugen sich auf dem Hange, ohne weiter zu dringen ; Durutte bestrebte sich dem Prinzen Bernhard Papelotte abzunehmen und hatte nicht nur keinen Erfolg, sondern sich vielmehr hinter seinem rechten Flügel decken müssen. Denn von dieser Seite her nahmen die Dinge in der That eine drohende Wendung an. Es war 5 Uhr und seit Stunde hatte Bülow seine einflußreiche Diversion begonnen . *)
*) Napoleon und im Allgemeinen auch die übrigen französischen Schriftsteller geben 4 Uhr als die Zeit des Bülow'schen Angriffs an. Er begann aber erst um 4 Uhr, wie es in gleicher Weise das preußische Bülletin, die Rapporte Bülow's, Müffling, die übrigen preußischen und die holländischen Schrift-
300 wwwm Das unter seinen Befehlen stehende Korps bestand aus den Infanterie-Divisionen Hacke , Ryssel , Losthin und Hiller und der Reiterdivision des Prinzen Wilhelm von Preußen , zusammen 31,000 Mann starf, mit 88 Geschützen, dermalen aber um 2000 Mann und 2 Ge= schütze schwächer, die im Rücken entsendet waren. Bülow war von seinem Bivouak bei Dion-le-Mont mit Tagesanbruch abgerückt und viel früher erwartet worden ; er hatte eine Menge Marschhindernisse zu überwinden gehabt. Er hatte nur vom Regen durchweichte Wege, in denen die Räder der Geschüße oft bis zur Achse einsanken, während seine Infanterie auf dem kothigen Boden und in dem hohen Getraide nur mühselig vorwärts fam. Seine Avantgarden-Division hatte nur erst gegen Mittag sich bei Chapelle St. Lambert aufschließen können und war daselbst von der nächſtfolgenden Division_vollständig getrennt , deren Marsch durch eine Feuersbrunſt in der Stadt Wavre aufgehalten worden war. Bülow hatte zwei Reiterei-Abtheilungen unter höhe= ren Offizieren entsendet, um das Terrain von der Dyle bis zur Lasne aufzuklären. Blücher traf eben von Wavre in Chapelle St. Lambert ein, als auch ihre Meldungen ankamen, daß sie keinerlei feindliche Abtheilungen ange= troffen hätten. Der Feldmarschall befahl sofort, den Lasnebach zu überschreiten , mit 2 Bataillonen und 4 Schwadronen das Holz von Paris zu besetzen und die Divisionen nach Maaßgabe ihres Eintreffens dahinter zu formiren. Es entsprach Dies dem von Wellington an Bülow_ge= stellten Ansuchen . Vor Chapelle St. Lambert führt ein enges Defilee
steller angeben. Selbst die englischen Werke, die doch die Mitwirkung der Preußen so viel wie möglich verringern möchten, sind mit diesen Zeugnissen einverstanden , und Das ist entscheidend.
301 zum Lasnebach steil und in leichtem, fast treibenden Sande hinab und von dem Bache aus geht ein fast eben so beschwerliches Defilee wieder nach dem Pariſer Holze hinauf. Einige französische Bataillone und Geschüße würden das Defilee längere Zeit halten und die preußischen Kolonnen am Debouchiren haben hindern können. Aber sie fanden das Terrain frei und ebenso auch das Pariser Holz. Es ward von der Avantgarde besetzt. Die Divisionen Losthin und Hiller und ein Theil der Reiterei des Prinzen Wilhelm waren rückwärts desselben vereinigt, als Ney mit seiner Reiterei inmitten des lebhaftesten Kampfes gegen das englische Zentrum war . Blücher wollte anfangs die vollständige Vereinigung des Bülow'schen Korps abwarten, ehe er es in's Gefecht brächte ; aber die wiederholten Angriffe Net's mochten ihm Bedenken für den Ausgang der Schlacht eingeflößt haben, namentlich für den Fall, daß sie von der Garde, deren geschlossene Kolonnen er an der Brüffeler Chauſſee stehen sah , unterstüßt würden , und ohne nun weiter zu warten, hatte er Bülow befohlen, aus dem Pariser Holze zu debouchiren und die Richtung von la belle Alliance einzuhalten. * ) Zwischen dem Pariser Holze , belle Alliance und Roſsomme besteht das Gelände aus einem gewellten Plateau, deffen Grenzhänge einerseits gegen Frichemont , anderer= feits gegen die Lasne flach abfallen , welche lettere in und dicht bei Plancenoit entspringt. Plancenoit liegt in einem Thale fast in gleicher Höhe mit Roffomme, von dem es kaum 1000 Metres ent= fernt ist. Lobau hatte auf dem Plateau diesseits des Pariſer Holzes Stellung genommen , die Reiterei in vorderster Linie, Vedetten dicht vor dem Holze.
*) Bülow sagt in seinem Rapport , daß Blücher das Vorrücken befohlen, " um der englischen Armee Luft zu machen. "1 -
302 Er hatte nur die Divisionen Simmer und Jannin *) bei sich , feine Reservebatterie war dem Marschall Ney überwiesen, und so hatte er nur 7500 M. Infanterie und Artillerie. Die Divisionen Domon und Subervie, die jetzt unter ſeinen Befehlen ſtanden, hatten 2000 Pferde und 12 Geschütze. Bülow war aus dem Holze vorgerückt, 12 Schwadronen vorauf, und unter deren Schuhe marschirte die Division Losthin, rechts an Frichemont gestützt, in Bataillonskolonnen auf. Die Division Hiller stand links von Lofthin und Prinz Wilhelm war hinter Hiller in Linie entwickelt. Während des Aufmarsches hatte sich Domon erfolglos mit den Schwadronen herumgehauen, die ihn deckten ; so= bald aber die Infanterie Losthins im Treffen stand und mehrere Batterien ihr Feuer eröffneten , mußte er tro der Unterstützung Subervie's zurückgehen . Bald war auch Lobau selbst engagirt. Gegen 5 Uhr erstreckte sich die Bülow'sche Schlachtlinie von Frichemont in der Richtung nach dem Pachthofe Hanotelet, parallel mit der Brüſſeler Chauſſee und recht= winklig auf die französische Front. Der Kampf war schon lebhaft; 40 Geschütze feuerten auf die Lobau'schen Divisionen, die der Uebermacht gegen= über eine feste Haltung zeigten. Um diese Zeit war es , daß Ney seine Reiterei in das Thal von la Haye Sainte zurückführte, um die hart mitgenommenen Schwadronen Milhauds und Lefebvre = Desnonettes neu zu ordnen. Auf dem Schlachtfelde schreckte Neh vor nichts zurück, und um den Kugeln, die ununterbrochen in die nur wenig gedeckte Reiterei einschlugen , auszuweichen , führte er die Schwadronen lieber wieder auf das Plateau zurück und ernente mit ihnen seine tapferen Angriffe. *) Die Division Teste war, wie bereits angegeben, bei der Grouchy'schen Kolonne.
303 Den Degen in der Hand ritt er an der Spiße von Milhaud und Lefebvre - Desnouettes in scharfem Trabe den Hang hinauf. Wellington erwartete ihn. Er war ruhig und kalt, wie immer, hatte rasch die Front ſeines Zentrums_abgeritten und gegen einen wiederholten Reiterangriff die nämlichen Maaßregeln angeordnet, wie vorher. Seine erste und zweite Linie waren von der Chauſſee nach Brüssel bis zum Thale von Merbe-Braine um diese Zeit folgendergestalt formirt : Brigade Ompteda (Legion), Kielmannsegge (Hannoveraner) , C. Halkett (Engländer), sämmtlich zur Division Alten gehörig ; dann Kruse (Nassauer Kontingent) , Maitland (Garden) , Mitchell (Eng= länder) und die Infanterie der braunschweigischen Division, zusammen 26 Bataillone. Außerdem standen 4 Bataillone , von denen 2 Gar= den (Brigade Byng), in Goumont. Die Diviſion Chaſſé, die nun ganz von Braine l'Alleud abgerufen war , da dort keinerlei Angriff mehr zu erwarten stand, war im Zentrum in die dritte Linie gerückt; die Division Clinton stand noch in Kolonne lang hin am oberen Nande des Merbe - Brainer Thales , das sonach die äußerste Grenze von Wellingtons Schlachtlinie bildete. Eigentlich war der rechte Flügel hinter das Zentrum gerückt worden. Von den 23 Bataillonen Chassé's und Clintons hatte noch keins einen Schuß gethan. Eben so war es mit der Brigade Lambert, 3 Bataillonen, die bei dem Pachthofe Mont St. Jean in Bereitschaft für das Zentrum wie für den linken Flügel stand. Die Reiterei war mit Ausnahme der Brigaden Bivian und Vandeleur, die auf dem äußersten linken Flügel standen , in dritter und vierter Linie zwischen den CharLeroyer und Niveller Chausseen. Die zwei Regimenter, die gegen Braine l'Alleud entfendet gewesen, waren wieder eingerückt , nachdem sich die Bewegungen Piré's als leere Demonstrationen erwiesen hatten.
304 Die Artillerie hatte viel gelitten ; ein Theil der Reservebatterien war vorgezogen worden. Infanterie und Reiterei hatten schon ziemlich viel verloren. Es waren selbst einige hundert Mann ausgeriſſen, die jezt im Svigne'r Walde gegen Brüſſel flohen ; aber die Uebrigen waren zuverläſſig. So stand es im englisch - holländischen Zentrum , als der neue Stoß der französischen Reiterei dagegen geführt wurde. Es war stark. Net mußte Dies erkannt haben. Aber er war noch nie vor einer schweren Schlachtenarbeit zurückgewichen. Wieder rückte er unter dem Kartätschenfeuer die Höhe hinan , und wieder stürzte er mit einer unbeschreiblichen Keckheit auf die feindlichen Karré's . Da erhielt auch das Küraſſierkorps Kellermanns von Napoleon Befehl, Ney zu folgen und ihn zu unterstützen. Er rückte augenblicklich vor, hielt aber, mit weiser Vorsicht, seine Karabinier-Brigade in Reserve. Die schwere Division der Garde - Reiterei , die Grenadiere zu Pferde und die Dragoner unter Guyot folgten ihm. Das waren wieder mehr als 4000 Pferde. Das rasche Vorrücken dieser Reiterei, die unter lau= tem Schlachtgeschrei ihre Säbel über den Helmen schwang und dicht hinter Milhaud und Lefebvre - Desnouettes an das Plateau kam, erregte in Allen das vollste Vertrauen auf den Ausgang des Tages. Niemand dachte, daß die engliſch-holländischen Linien dem Angriffe folcher Maſſen widerstehen könnten. Der Angriff war furchtbar darin stimmen Alle, Theilnehmer und Augenzeugen überein ; aber er überragte darum den hartnäckigen Muth Wellingtons und seiner Soldaten noch nicht. Vergeblich warf Ney seine letzte Schwadron und vergeblich auch die in Reserve gelassene Karabinier-Brigade in den Strudel der Schlacht ; vergeblich versuchten die
305 leichten Batterien mit ihren Kartätschenlagen die Bataillone der ersten Linie zu erschüttern , vergeblich wurden ganze Karré's umgeritten , zerstreut oder vernichtet und die ganze Division Alten auf der Brüsseler Straße zurückgedrückt , vergeblich wurden die vielen Schwadronen, die der Infanterie zu Hilfe kamen, zusammengehauen und zersprengt .... vergeblich Alles ! Fort und fort flatterten die Fahnen Großbritanniens hoch auf dem verhängnißvollen Plateau, und nach einem Kampfe von fast 2 Stunden, der ohne Beispiel in den Annalen der Kriege ist *), mußte unsere Reiterei , zerrissen von den unaufhörlichen Anstrengungen, von den wechselnden Erfolgen, den Arm ermattet von den vielen Streichen , mit feuchenden und von den vielen heftigen Bewegungen in dem fothigen Boden zu Schande gerittenen Pferden , zitternd vor Wuth sich entschließen, den Hang hinunterzugehen, den sie in der gewissensten Siegeshoffnung erstiegen. Diese Bewegung ward, wie man sagt, gewissermaaßen ohne Befehl ausgeführt, in Folge der Erschöpfung jedes Einzelnen. Es hat aber auch die kräftigst organisirte menschliche Natur ihre Grenzen. Die englisch-holländischen Truppen bezeugen es selbst ; trotz ihres erfolgreichen Widerstandes störten sie den Rückzug ihrer Gegner fast gar nicht. Auf beiden Seiten waren ungeheuere Verluste eingetreten. Ney hatte theils an Todten oder Verwundeten oder Gefangenen über das Drittheil seiner Leute und Pferde eingebüßt, und was er zurückbrachte, war nicht im Stande zu neuen Anstrengungen. Viele Reiter waren zwar zu= rückgekommen, aber nicht mehr beritten. Die Divisions-
*) Der Herzog von Wellington hat mir beim Veronaer Kongreffe selbst versichert, daß er in keinem Kriege etwas Bewundernswertheres gesehen, als die 10 oder 12 auf einander folgenden Angriffe der französischen Kürassiere auf die Truppen aller Waffen. (Précis historique et militaire etc. par Jomini.) 20 Charras, Waterloo.
306 generale l'Héritier, Delort, Colbert , die Brigadegenerale Travers , Dnop , Blancard waren verwundet oder durch das Stürzen ihrer Pferde verletzt oder kontusionirt; viele Obersten waren todt ; manche Regimenter formirten nur Eine Schwadron. Freilich war der Boden zwischen den beiden Chauf= seen auch mit Leichen und Trümmern der feindlichen Armee bedeckt. ,,Infanterie, Reiterei und Artillerie hatten entsetzliche Verluste erlitten ; Bataillone waren zu einer Handvoll Männer zusammengeschrumpft und wurden von Hauptleuten oder Subalternoffizieren kommandirt. Viele Kanonen waren zerschoffen , die deutschen und englischen Reiter-Brigaden, mit alleiniger Ausnahme derer von Vivian und Vandeleur auf dem linken Flügel, waren auf weniger als die gewöhnliche Stärke eines Regimentes zurückgeführt; die beiden Brigaden Somerset und Ponsonby formirten zusammen kaum 2 Schwadronen“*). So schildert derjenige Schriftsteller , der unter Allen, die über den Feldzug von 1815 geschrieben, in England am meisten im Ansehen und am wenigsten im Verdachte steht, derartige Schilderungen zu übertreiben, den Anblick des englischen Zentrums , und seine Worte sind richtig bis auf das Auslaſſen der holländisch-belgischen Reiterei, Ein anderer eng= die gleichfalls viel verloren hatte. lischer Schriftsteller sagt **), daß die ganze englisch-holländische Armee bis daher 20,000 Mann verloren habe, die Hälfte an Todten und Verwundeten , die Hälfte auf
* Siborne, History of the war etc. 1815. London 1848. 1. Band. **) John W. Pringle, Remarks of the Campaign of 1815 . Pringle giebt an , daß die Armee Wellingtons auf 34,000 M. geschmolzen gewesen sei ; er schätzt aber deren Stärke für den Anfang der Schlacht fälschlicher Weise auf nur 54,000 M.; nach seiner Berechnung hätten sich also nach den Angriffen Ney's die Verluste auf 20,000 M. belaufen.
307 der Flucht oder mit dem Transport der Letteren be= schäftigt. Der Divisionsgeneral Alten war außer Gefecht ge= sett, einer seiner Brigadiers , Ompteda , geblieben , eben so General van Merlen , eben so der Generalquartier= meiſter der Armee, Oberst Delancey, der Generaladjutant Barne verwundet ; die Mehrzahl der Generalstabsoffiziere Wellingtons und eine große Zahl Offiziere aller Waffen waren todt oder verwundet. Das hannöverische Regiment Cumberland , Husaren, neuerlichst erst formirt , ward beim Anblicke des furchtbaren Gemetzels vom Schrecken ergriffen, versagte, drehte um und entfloh mit seinem Obersten gegen Brüssel, woselbst es die Nachricht von der Niederlage der Armee aussprengte *). Um die Lücken auszufüllen , die in den beiden ersten Linien gerissen worden waren , hatte Wellington noch während des Reitergefechtes die ganze Division Clinton oberhalb Goumont und die Brigade Vincke oberhalb la Haye Sainte in dieselben vorgerückt. Sie hatten bereits viel gelitten ; es blieb nur noch die Division Chaſſe in Reserve. Der Kampf Ney's hatte also doch große Ergebniſſe gebracht. Aber wie bedeutend sie auch sein mochten, so konnten sie doch die großen Verluste, die unsere ReserveReiterei erlitten , und die zeitweilige Erschöpfung des Restes derselben nicht aufwiegen . Wie anders würden die Ergebnisse gewesen sein, wenn Napoleon seine Garde= bataillone auf das so heftig bestrittene Plateau gesandt hätte ; es war erobert," hat er geschrieben. Leider ha= ben wir sehen müssen , was für eine Art Eroberung Das war! Neh hatte bald erkannt, daß die Reiterei allein nicht ausreichen konnte, wie tapfer sie auch stritt. Auf dem *) Es ward von einem Oberst Hacke kommandirt , der darauf vor ein Kriegsgericht gestellt und abgesezt wurde. 20*
308 Höhepunkte des Kampfes sandte er seinen Adjutanten Heymės ab , um von Napoleon Infanterie zur Unterstützung zu erbitten. Aber Heymès erhielt nur die barsche Antwort: Infanterie ! Wo denken Sie, daß ich sie her= nehmen soll ? Soll ich welche machen *) ? (Où voulesvous que j'en prenne ? Voules-vous que j'en fasse ?) Der französische Heerführer unterlag jezt in der That den Konsequenzen der Lage, in die er sich verseßt, indem er darauf bestanden hatte, gleichzeitig eine Schlacht zu liefern und eine anzunehmen , in der Front die englischholländische Armee und auf der rechten Flanke Bülow zu bekämpfen. Während der Ney'schen Angriffe hatte das Gefecht um Goumont noch immer in der alten Weise fortge= dauert, obgleich die Division Bachelu an Guilleminot und Foy herangerückt war. Der große Baumgarten war ge= nommen, verloren und wieder genommen worden ; es war in dem Thale dahinter mit Erbitterung gestritten worden. Wellington hatte die Brigade Duplot der Diviſion Clinton (von der Legion) dorthin rücken müssen ; sie verlor viel, Duplot war geblieben , eine große Anzahl Offiziere war todt und verwundet, aber schließlich war der Posten doch in den Händen des Feindes geblieben. Quiot an der Spiße der Division Allix und die Division Donzelot hatten den Ohainer Weg nicht überschreiten können . Zwei oder drei Geschütze, die man auf die Höhe des Hanges oberhalb la Haye Sainte hinaufgebracht , konnten wegen des von der rechten Seite der Straße herüberkommenden Gewehrfeuers nicht stehen bleiben. Marcognet hatte gegen Pack, Kempt und Bylandt, die sich fortgesetzt auf dem Kamme hielten , ein Blänkergefecht mit wechselndem Erfolge geführt. Die Brigade *) Relation de la Camp. de 1815. Par le Colonel Heymès. Heymės fügt bei : „ Der Prinz Jerôme und der General Drouot haben diese Antwort vernommen . Sie ward so, wie sie gegeben, dem Marschall überbracht, und er erkannte von da ab, daß die Schlacht noch weit vom Gewinnen war.“
309 Lambert war von dem Pachthofe Mont St. Jean zu ihrer Unterstützung dorthin gerückt worden. Durutte hatte eine seiner Brigaden den Preußen ent= gegengestellt und mit der andern gegen Best gefochten. Er hatte Papelotte genommen und hielt sich daselbst ; aber la Haye, Smohain und Frichemont widerstanden ihm. Prinz Bernhard war daselbst von Bülow mit 3 Bataillonen unterstützt worden. Bei Plancenoit war das Gefecht einen Augenblick ge= fahrdrohend gewesen. Gegen 5 Uhr war Loban, wie erwähnt, mit den Infanterie-Divisionen Simmer und Jannin und den ReiterDivisionen Domon und Subervie mit der Hälfte des Bülow'schen Korps im Gefechte gewesen und hatte dessen Marsch aufgehalten. Aber kaum Stunde später ward Bülow durch die Divisionen Hacke und Ryssel verstärkt und seine ganze Reiterei und Artillerie , 3000 Pferde *) und 88 Geschütze, waren in Linie gerückt; 29,000 M. griffen 10,000 M. an. Vor einer solchen Uebermacht war Loban bis in die Höhe von Plancenoit zurückgewichen. Er stüßte nun seine Rechte an das Dorf. Den Rückmarsch selbst hatte er schachbrettförmig, mit der Kaltblütigkeit und Festigkeit ausgeführt , die ihn charakterisiren ; aber er war doch so nahe an die Brüsseler Straße herangekommen, daß bereits preußische Geschützkugeln in die Kolonnen der bei la belle Alliance stehenden Garden einschlugen. Diese Chaussee war aber die Operationslinie der Armee und mußte sonach sichergestellt werden . nächstdem zu fürchten, daß Lobau Plancenoit bald verlieren könnte und dann noch weiter zurückweichen müßte. Auf seinem rechten Flügel ward er von Bülow bereits überragt, der sich immer weiter links zog.
*) Etwa 1000 Pferde trafen erst nach der Schlacht ein, wie später gezeigt werden wird.
310 Es erhielt darum die Division Duhesme, die junge Garde , den Befehl , mit 3 Batterien gegen Plancenoit Die Ankunft dieser Elitetruppen und das abzurücken. Feuer ihrer 24 Geschütze hielt vorerst die Fortschritte des Feindes auf, aber nicht für lange. Die französische Gefechtslinie hielt mit ihrem rechten Flügel, der jungen Garde, Plancenoit mit Umgebungen bis zu dem Fußsteige, der nach le Caillou führt ; der linke Flügel, das Lobau'sche Korps, stand in der Richtung von Plancenoit gegen Papelotte , durch die Reiterei mit Durutte in Verbindung, deffen Division zum Theil Front rechts genommen hatte. Bülow lehnte seine Linke an den Lasne - Bach und stand mit dem rechten Flügel vorwärts Frichemont. • Blicher war durch den Aufenthalt, den das Einrücken der jungen Garde verursachte, aufgebracht und befahl „ Plance= noit um jeden Preis zu nehmen." Die Division Hiller formirte 3 Angriffskolonnen, jede zu 2 Bataillonen, und die Diviſion Ryffel ward zu ihrer Unterstützung bereit gestellt. Die Baumgärten und die ersten Häuser wurden entschlossen bestürmt. Aber der Widerstand wuchs auch und nach einem Feuergefecht auf 30 Schritt, wie ein preußischer Schriftsteller sagt, mußte Hiller seine Truppen wieder zurückführen. Aber er kehrte fofort, mit 2 Bataillonen verstärkt, wieder zurück und jetzt mußte, trotz aller Wunder von Thatkraft, die junge Garde Raum geben und ward aus dem Dorfe geworfen. Der Augenblick war kritisch ; preußische Batterien rückten bis auf 7 oder 800 Metres an die Chaussee heran , und außer der unmittelbaren Wirk= ung ihres Feuers war auch noch der moralische Einfluß zu fürchten, den der Kanonendonner so nahe hinter der Schlachtlinie auf diese lettere äußern konnte. Napoleon befahl, daß Morand mit 1 Grenadier- und 2 Jäger -Bataillonen der alten Garde und 2 Batterien Um abrücken und Plancenoit wieder nehmen sollte.
311 dieselbe Zeit rückten 1 Grenadier-Regiment und 1 Bat= terie desselben Korps auf einen Punkt etwas diesseits des Dorfes, an einem Wege, der nach Maiſon du Roi führt. Ein Bataillon Jäger zu Fuß, das bis jetzt zur Bewachung des Hauptquartiers in le Caillou zurückgeblieben war, hatte an den Pachthof le Chantelet zu rücken , da sich auch dort feindliche Reiterpatrouillen gezeigt hatten. Die Bewegung Morands ward mit derjenigen fühnen. Entschlossenheit durchgeführt, die von einem solchen Kommandanten und solchen Truppen zu erwarten ſtanden. Die alte versuchte Schaar warf sich im Sturmschritt auf die Vertheidiger von Plancenoit. Die junge Garde folgte und nach einem furchtbaren , aber ziemlich kurzen Kampfe waren Dorf, Gärten und Baumpflanzungen wieder genommen; die dominirenden Höhen wurden von unſerer Artillerie befeßt ; der ganze preußische linke Flügel mußte Raum geben und sich etwas rückwärts sammeln. Auch Lobau gewann wieder einiges Terrain. Napoleon schloß nun , daß die Angriffskraft Bülows erschöpft sei. Er sah nicht , was dieser Rückzug von wenig hundert Schritt verkündete. Es war jest 7 Uhr. Die Schlacht blieb noch un= entschieden. Es war noch über 2 Stunden Tag *). Die einzige Reserve , über die Napoleon noch verfügen konnte, waren 5000 M. Garden , die bei la belle Alliance mit der Ruhe der selbstbewußten Kraft ihrer Verwendung harrten. Wellington hatte mehr frische Truppen. Die Division Chassé , 7000 M. stark, die Reiterbrigaden Vivian Diese Truppen kamen und Vandeleur , 2500 Pferde. freilich der alten Garde nicht gleich, aber der englische Feldherr rechnete auch noch auf eine weitere und stärkere
*) Am 18. Juni geht die Sonne nach der Brüffeler Sternwarte um 8 Uhr 14 Minuten unter.
312 Reserve, die ihm auch nicht fehlen sollte, auf deren Mitwirkung sein ganzer Schlachtplan ruhte und deren nächſtbevorstehende Ankunft ihm von seinen Ordonnanzen berichtet worden war. Blücher hatte mehr als das Bülow'sche Korps versprochen und stand im Begriffe, sein Versprechen zu halten. Napoleon vermuthete Das nicht. Er wußte aber seit 1 Uhr Nachmittags, daß am Tage vorher sich die ganze preußische Armee bei Wavre vereinigt, und der Rapport eines Offiziers , den Grouchh abgesendet und der gegen 2 oder 3 Uhr eingetroffen war *), hatte ihm keine Hoffnung gelaſſen, daß der Marschall diese Armee ernstlich . beschäftigen würde. Zwei Divisionen und die Reiterei Pirchs I. **), dann das Ziethen'sche Korps hatten Wavre um Mittag ver= laffen. Birch I. hatte den Weg von Chapelle St. Lambert und Lasne verfolgt und erschien jezt mit seiner Kolonnenspiße vor dem Pariser Holze. Ziethen hatte den Weg über Fromont, Genval und um den Nordrand des Ohainer Holzes eingeschlagen ; das Gros seines Korps war bereits in der Höhe desselben, während die Avantgarde an dem Holze la Grande Huiſfière vorrückte. Ohne die sehr schlechte Wegebeschaffenheit wären beide Generale schon längst in Position gewesen ; sie brachten 30,000 M. mit. Thielemann , der schon im Abmarsche war , hatte in Wavre bleiben und sich gegen einen lebhaften Angriff
*) Oberstleutnant De la Fresnaye. Napoleon giebt nur an, daß gegen 2 Uhr ein Offizier Grouchy's auf dem Schlachtfelde eintraf, nennt ihn aber nicht. **) Die beiden andern Diviſionen Pirchs I. rückten erst um 4 Uhr von Wavre ab, wie in einem nachfolgenden Kapitel gezeigt werden wird.
313 vertheidigen müssen. Die Nachricht erreichte eben Blücher, machte aber keinen Eindruck auf ihn. Das Schicksal des Krieges lag vor und nicht hinter ihm . Der entschloſſene Greis hatte Thielemann antworten lassen , er möge nach Kräften Stand halten und im Nothfalle zurückgehen ; darauf aber hatte er sich weiter bemüht, den Marsch der Birch'schen und Ziethen'schen Truppen zu beschleunigen. Die entscheidende Krisis nahte heran. Ihren eigenen Kräften überlassen, hatte die ReserveReiterei das Plateau wieder räumen müſſen. Sie hatte auf dem Abhange Halt gemacht , und dort , unter dem Schuße der Artillerie und der Blänker , aber unter dem Feuer der feindlichen wieder in Thätigkeit getretenen Geschütze bestrebte sie sich , ihre zerschossenen und ver= stümmelten Schwadronen wieder zu formiren. Es war wichtig, daß sie jetzt nicht weiter zurückging ; denn ein fortgesettes Weichen würde die ganze, Wellington gegen= überstehende Truppenmasse mit fortgerissen haben , da ohnehin schon der von Plancenoit herüberhallende Ka= nonendonner die lebhaftesten Besorgnisse rege machte. Ney hatte diese Gefahr richtig erkannt und sie war der Grund , der ihn bewog , seine unerschrockenen Reiter in dem mörderischen Feuer verweilen zu laſſen. Lange konnte Das freilich nicht dauern. Er mußte unterſtüßt und frei gemacht werden *). Na= poleon entschloß sich dazu und wollte noch Mehr er= reichen. Napoleon war überzeugt, daß nicht nur die Armee Wellingtons in hohem Grade geschwächt , sondern auch in Auflösung sei ; daß keine Reserve mehr vorhanden, und da er Bülow zurückweichen fah , also auch hier sich sicher glaubte, er überhaupt an das Eingreifen der übrigen preußischen Korps nicht im Entferntesten dachte, so meinte er die Stunde gekommen , in der er durch einen großen *) Bulletin vom 18. Juni.
314 Die thatsächlichen Schlag den Sieg erringen könne. Folgen desselben konnten freilich bei der erschöpften und durch so hartnäckig lange und blutige Kämpfe hart_mit= genommenen Reiterei nicht sehr wichtig sein , aber der moralische Erfolg würde sicherlich bedeutend werden. Neh wird davon verſtändigt und angewiesen , rechts von Goumont Alles zusammenzuziehen, was er von dem Reille'schen Korps auftreiben könne, die Divisionen Quiot und Donzelot bei la Haye Sainte zu vereinigen und auch mit seiner Reiterei sich nach Möglichkeit bereit zu halten. Gleichzeitig führte Napoleon alle noch übrigen Bataillone der Garde zwischen la belle Alliance und la Haye Sainte vor. Es waren 10 , alle von den Grenadieren und Jägern der alten Garde *). Sechs von diesen Bataillonen werden in eben so viele Angriffskolonnen formirt, die mit kurzen Abständen ſtaffelförmig vorrücken sollen. Sie sollen das Plateau nehmen. Zwei Batterien der reitenden Garde-Artillerie rücken auf ihren linken Flügel . Sie werden der Bewegung folgen. Die 4 übrigen Bataillone bleiben in Reserve. Das Feuer unserer Artillerie war schwächer geworden die Munitionswagen mehrerer Batterien waren leer. Die letzte Reservebatterie rückt in's Gefecht. Es wird Befehl gegeben, überall das Feuer möglichst zu verstärken. Napoleon leitet in Person alle diese Anstalten. Er beschleunigt die Ausführung, die Umstände drängen. Er wendet sich an die Offiziere und Soldaten , er regt sie an , verspricht ihnen den Sieg , und um ihren Glauben daran zu stärken , verkündet er die Ankunft Grouchh's, der dem Feinde in den Rücken falle, während sie ihn in der Front angreifen würden .
*) Die Division der jungen Garde war in Plancenoit. Die Grenadier- und Jäger - Diviſion hatte jede 8 Bataillone ; davon waren 3 in Plancenoit, 2 an dem Wege von da nach Maiſon du Noi und 1 bei dem Pachthofe le Chantelet. 72
315 Ney empfängt das Kommando der 3000 schlachtengrauen Veteranen *) , deren Arme mit Chevrons und Unter seinem deren Leiber mit Narben bedeckt sind. Befehle rücken die Generalleutnants Friant, Roguet, Michel, die Marechaur de Camp Poret de Morvan, Harlet, Mallet mit vor, auf jedes Bataillon kommt ein General. Ney foll la Haye Sainte rechts lassen und sich dem Landrücken zuwenden , auf dem er seine Reiterangriffe geführt hat. Als Alles fertig war , erschallte der Sturmmarsch. Der furchtbare Phalanx seßt sich in Bewegung und rückt mit auf's Höchste gesteigertem Enthusiasmus und Kampflust an Napoleon vorüber ; er zeigt ihnen mit der Hand Sie verlassen das die Gegend, wo sie fechten sollen. Thal und steigen den Hang hinauf. Bei Goumont wie bei la Haye Sainte rufen eben= falls die Trommeln zum Sturme. Einige Bataillone, wie sehr sie auch durch das Feuer , das Eisen und die Ermattung gelitten, haben sich doch gesammelt und steigen zur feindlichen Stellung hinauf. Eine große Zahl von Soldaten, die verwundet, ermattet , entmuthigt waren, werden von neuem Muthe beseelt und schließen sich dem Angriffe an. Auch einige hundert Kürassiere , Dragoner , Grena= diere, Ülanen und Jäger der Garde, die sich noch auf ihre eigenen Kräfte wie auf die ihrer Pferde verlaſſen können , haben sich gesammelt und halten sich bereit, die Infanterie zu unterstüßen. Die trügerische Nachricht von Grouchy's Ankunft ist überall hin verbreitet worden. Den Generalen Reille, *) Nach dem schon erwähnten Schreiben Ney's an Fouché wären 4 Regimenter oder 8 Bataillone alter Garde unter seinen Befehlen auf das Plateau gerückt. Nach den Memoiren von St. Helena wären es erst blos 4 gewesen , denen 4 andere vorerst in Reserve geblieben wären. Wir folgen in unserer Darstellung einer Mittheilung , die alles Vertrauen verdient. Im Uebrigen kommt nicht sehr viel darauf an.
316 Erlon, ihren Diviſionären , wurde sie von Labédoyère, einem Generaladjutanten Napoleons , den Truppen durch die Elitegensd'armen mitgetheilt , die durch alle Linien eilten. Die Nachricht belebte die Schwachen und begei sterte die Tapfern. Niemand zweifelte mehr am Siege. Aber auch auf dem Plateau war mittlerweile Alles zu dem lezten höchsten Kampfe in Bereitschaft gesett worden. Die preußischen Bataillone und Schwadronen sind nahe; es bedarf nur noch einiger Fortsetzung des Gefechtes, um den Sieg zweifellos zu machen. Die geschickt vorbereitete Uebermacht kann nicht anders als die Wagschale des Sieges dorthin sinken zu machen. Die durch den Tod oder die Flucht gelichteten Reihen schließen sich und bleiben fest. Der Nerv, der wahre Kern der Armee , eine Auswahl tapferer Männer konnte allein den Schrecken dieses 6 stündigen Mordens widerstehen. Wellington , der Prinz von Oranien, Hill reiten von einem Bataillon zu dem andern, ermuthigen die Leute und fordern sie auf, ihre Pflicht zu erfüllen . Seinen Engländern ruft Wellington , wie Nelson bei Trafalgar, ihr Altengland in's Gedächtniß. ,,Steht fest, meine Jungen , was würde man in England von uns sagen, wenn wir hier weichen wollten ? " Den Niederlän= dern , Braunschweigern , Naſſauern sprach der junge und tapfere Prinz von Oranien zu und fragte sie, ob sie den Untergang ihres Vaterlandes , die Schmach und die Tyrannei der kaiserlichen Herrschaft auf's Neue erleben wollten? Und ein langes Hurrahrufen antwortete mit= ten in die sausenden Kugeln und springenden Granaten hinein diesen kräftigen Worten. Die Lage der englisch-holländischen Armee war freilich eine sehr schwierige geworden. *) Wellington sah es
*) Etwa gegen 7 Uhr ward durch die Nothwendigkeit , die Reserven vorzubringen, und den ungeheuren Menschenverlust die Lage des Herzogs sehr kritisch. (Rapport des östreichischen Generals Vincent an seine Regierung .) General Vincent ward
317 wohl, ward aber nicht davon erschüttert. Er wäre zurückgegangen, wenn er gefonnt hätte, hat Napoleon aus= gerufen - traurige Rache des Besiegten ! Der Schlachtplan des englischen Feldherrn bestand hauptsächlich in der Vertheidigung des Plateau's bis zur Ankunft der Preußen ; jezt waren sie nahe, und da sollte er mit den vielen Tapfern, die er noch aufrecht fah, darauf verzich= ten, sein Werk zu Ende zu bringen ? ,,Sie können fallen, sagte ihm Lord Hill, was haben Sie für Absichten, geben Sie Ihre Instruktionen!" ,,Festzuhalten bis zum letzten Manne." Kempt, der das Kommando Pictons übernommen hatte, ließ um Verstärkungen nachsuchen. Darauf soll er nicht rechnen, aber er soll die Vertheidigung fortsetzen." Die Erklärung des ganzen Tages liegt in diesen lakonischen Bescheiden, die des Alterthums, sowie der schönsten Zeiten unserer republikanischen Armee würdig sind. Es ist kleinlich und wenig ehrenhaft, seine Gegner zu erniedrigen . Die Verstärkung unseres Artilleriefeuers schien einen. bevorstehenden Angriff anzukündigen. Wellington eilt an den Rand des Plateau's vor und erfaßt bald durch den Rauch und das Blitzen der Geschütze hindurch die Bewegung der Garde, die an ihren hohen Bärmüzen leicht kenntlich ist. Er bereitet ihr einen kraftvollen Empfang . Die benachbarten Batterien werden angewiesen , ihr Feuer lediglich auf diese Elitefolonne zu vereinigen. Die braunschweigischen und nassauischen Bataillone stehen in zwei geschlossenen Kolonnen von 4 und 3 Bataillo= nen in erster Linie gerade in ihrer Richtung ; sie werden
bei Waterloo verwundet; er war als Kommissär im englischen Hauptquartiere. Gegen 7 Uhr Abends ..... der Herzog, der das Kritische des Augenblicks fühlte" .... (Rapport des Generals Alava, spanischen Ministers am niederländischen Hofe, und während der Schlacht im Stabe Wellingtons.)
318 also den ersten Stoß auszuhalten haben. Hinter ihnen steht die Gardebrigade Maitland entwickelt, in 4 Gliedern , in einer Terrainfalte versteckt und niedergelegt. Rechts von diesen steht Chassé mit einer Brigade in 2 Karrés , staffelweise , und mit der andern in geschlosse= nen Kolonnen als Reserve dahinter. Der Sturmmarsch der Tamboure und die lufter= schütternden Rufe ,, es lebe der Kaiser" dringen nach. und nach durch das Brüllen der Geschütze und verkün= den das Herannahen der Garde. Die Soldaten haben das Gewehr im Arm ; ihre Reihen schließen sich über den Lücken , die das Kartätschenfeuer reißt und bleiben gerichtet, wie auf der Parade. Net voran, den Degen in der Hand. Die Garde rückt immer weiter vor . Die Batterien vor ihr werden entweder genommen oder Die braunschweigischen gehen in Unordnung zurück. Bataillone gehen entgegen, werden aber geworfen und zersprengt ; der Prinz von Oranien geht darauf an der Spitze der Nassauer vor und versucht es , sie aufzuhalten ; eine Kugel wirft ihn vom Pferde, und seinen Truppen geht es wie den Braunschweigern. Siegesgeschrei erschallt darauf aus den französischen Kolonnen . Der General Friant, der verwundet aus dem Kampfe zurück muß , meldet Napoleon , der in dem Thale von la Haye Sainte geblieben, daß auf dem Plateau Alles gut gehe. *) Oberhalb la Haye Sainte und Goumont find Erlon und Reille im Gefecht mit der ersten Linie des Feindes . Trotz des Kartätschenfeuers, das auf die linke Flanke der Garde von einer englischen und einer von Chaſſé's Batterien losbricht , sezt sie ihr Vorrücken entschloſſen fort. Drei Bataillone Chassé's gehen ihr entgegen und greifen an, auch sie werden geworfen und in Unordnung gebracht. Aber plößlich erhebt es sich vor ihr, faſt unter ihren Füßen , wie eine rothe Mauer und ein ver-
*) Gourgaud, Campagne de 1815.
319 nichtendes Gewehrfeuer zerreißt ihre Glieder. Welling= ton , der hinter Maitlands Bataillonen hielt , rief ihnen zu: ,,Auf, Garden, und zielt gut ! " Sein Gebot wurde furchtbar gut erfüllt. Der unerschrockene Michel fällt, zum Tode getroffen , Mallet und eine Anzahl anderer Stabsoffiziere stürzen ; Ney stürzt mit seinem Pferde, dem vierten, das ihm heute unter dem Leibe getödtet wird ; die Garde stockt. Aber schon hat sich der Tapfere der Tapferen wieder erhoben , und auf den Ruf seiner Stimme stellt sich die Haltung her. Aber unglücklicher Weise , sei es nun Befehl oder Instinkt des Soldaten gewesen, die Kolonnen marschiren auf, um dem Gewehrfeuer zu antworten, das so furchtbare Verheerungen anrichtete , und dadurch maskiren sie die beiden Batterien, die ihnen folgten, die auf dem Kamme aufgefahren waren und deren Feuer bis dahin ihre Flanken gedeckt hat. Ein Holländer, in unsern Schulen gebildet, in unseren Reihen groß gezogen, aber der Fahne seines Vaterlandes treu, Chassé , ergreift richtig den Moment und stürzt sich mit einer halben Brigade in geschlossenen Kolonnen auf die linke Flanke der Garde. Wellington führt die Brigade Maitland vor. Die Garde, unter dem Kartätschen- und Gewehrfeuer auf die Hälfte geschmolzen , weicht zurück, dem Drucke der Uebermacht nachgebend ; aber sie weicht fechtend, lang= sam, in guter Ordnung, ohne überrannt zu werden. Mit den Bataillonen , die bei la Haye Sainte geblieben, soll der Angriff erneuert werden. Aber diese Bataillone kommen nicht heran. Die Sonne, die den ganzen Tag verdeckt gewesen, leuchtet jetzt mit ihren lezten Strahlen durch die Bäume hindurch, die gegen Braine l'Alleud hin den Horizont begrenzen. Es ist nahe an 8 Uhr. Eine ungeheure Gefahr ist seit einigen Augenblicken bei dem festen rechten Winkel hereingebrochen , den die
320 französische Schlachtlinie mit ihren Fronten von Goumont und Plancenoit her bei Papelotte bildet. Marcognet, der auf dem Plateau stand, und Durutte, der mit dem Prinzen Bernhard um la Haye stritt, wur= den plötzlich von zwei starken Infanteriekolonnen ange= griffen, die auf das Gehöfte losrückten. Gleich ihren Soldaten hielten sie sie anfangs wirklich für Grouchy'sche Kolonnen , zumal sie sich mit den Bataillonen des Prinzen Bernhard beschossen , sie an= griffen und zersprengten. Aber der Irrthum war kurz . Sie weichen vor den neuen Gegnern ; Durutte räumt Papelotte, Marcognet geht den Hang wieder hinunter, Lobau steht in Gefahr, im Rücken genommen zu werden, eine weite Lücke öffnet sich in der französischen Linie. Angstgeschrei erschallt ; in den Divisionen Marcognet und Durutte reißt Verwirrung ein ; Hunderte von Soldaten fliehen aus ihren Reihen und kommen athemlos bei belle Alliance an ; 32 Geſchüße fahren plößlich auf und überschütten die noch geordnet zurückgehenden Bataillone mit ihren Geschossen . Reitermassen erscheinen. Die Division Steinmetz, die Avantgarde Ziethens ist es , unterstützt von dessen Reiterei, die hier eingreift ; Blücher ist an ihrer Spitze und führt sie selbst vorwärts. *) *) Die Memoiren von St. Helena, Th. 9, S. 142, ſagen, „daß es Nacht geweſen ſei, als dieser Angriff erfolgte." Das preußische Bülletin und die preußischen Geschichtsschreiber sehen die Zeit auf 7½ Uhr ; das würde aber allein noch nicht hinreichen , um die ungenauigkeit der Memoiren zu beweisen. Die Sache wird aber durch die englischen Berichte außer Zweifel gestellt. Trotz des hervortretenden Bestrebens, der englischen Armee den Hauptantheil am Siege zu sichern, geben diese Berichte doch auch die Zeit, in der Papelotte von Ziethen genommen wurde, gegen 7 Uhr an. Der General Vincent, östreichischer Kommiſſär bei Wellington und auch in seiner Eigenschaft als Destreicher ohne Zweifel wenig geneigt, den Einfluß der preußischen Mitwirkung zu übertreiben, sagt in seinem Berichte, daß die Spitze des 1 preußischen Korps la Haye gegen 7 Uhr erreichte.
321 Bei diesem Anblicke hielt Napoleon die 4 Bataillone an, die sich schon in Marsch gesetzt hatten, um den Engländern entgegen zu rücken. Sie müssen eine Frontveränderung ausführen , und stehen nun mit der Linken gegen la Haye Sainte, mit der Rechten gegen la belle Alliance, und darauf formirt jedes Bataillon Karré. Napoleon hoffte an dieser Linie die Divisionen Marcognet und Durutte, die fortdauernd weichen und bei denen die Auflösung immer zunimmt, wieder zu sammeln . Das war aber eine flüchtige Hoffnung, denn die Divisionen Donzelot und Quiot haben von den Höhen oberhalb la Haye Sainte das siegreiche Vorrücken der Preußen und den Rückzug rechts der Chauffee gesehen ; sie staunen, zögern und gehen nun auch zurück. Um diese Zeit haben die englisch-holländischen Truppen mehrere Kolonnen formirt und gehen zu einem kräftigen Angriffe über. Wellington hat , sobald er das Vorrücken und Eingreifen Ziethens gesehen , in der That ein allgemeines Vorgehen angeordnet , und dieser Befehl kommt jezt zur Ausführung . Bald werden unser Zentrum und unser Die Soldaten Quiot's linker Flügel kräftig geworfen.
und Donzelot's überſtürzen den Rückzug ; la Haye Sainte wird verlassen ; ganze Reihen lösen sich auf und die übrigen gerathen in völlige Verwirrung. Die Bataillone der Garde, die auf dem Hange ihren heroischen Kampf fortgesetzt haben und nur noch in Trümmern vorhanden sind , das Korps Reille's , werden mit fortgerissen. Sie bleiben aber doch in Ordnung und weichen nur langsam. Reille kämpft noch um den untern Theil des Holzes bei Goumont. Ney nimmt die Infanterie der Garde links
Und schließlich sagt Napoleon in seiner ersten Darstellung (Camp. de 1815 , par Gourgaud) „ Es war zwischen 74 und 8 Uhr, als ein Schreckensruf erschallte ; Blücher mit ſeinem 1 . Korps griff das Dorf (Pachthof) la Haye (Papelotte) an , das sofort genommen ward." 21 Charras, Waterloo.
322 der Chaussee etwas gegen la belle Alliance zurück und formirt sie in zwei Karré's. Mit brennendem Auge und schäumendem Munde, seine Kleidung von Kugeln zerrissen , mit Blut und Schmutz bedeckt, ruft er Alle auf, ihre Pflicht zu thun. „Hier,“ ruft er , hier liegt die Unabhängigkeit des Va= terlandes, hier müssen wir aushalten bis zum letzten Manne! " und in seiner höchsten Aufregung trifft er Erlon, der sich eben so bemüht, feine Soldaten zu ſam= meln und in Haltung zu bringen, und sagt ihm : „ Wenn uns die englischen Kartätschen verschonen, so sind wir unferes Schicksales gewiß : wir werden gehangen ! " Wellington hatte, wie wir öfter erwähnten, von An= fang an die Reiterbrigaden Vivian und Vandeleur auf seiner äußersten Linken zur Deckung der Flanke gelaſſen ; mit der Ankunft Ziethens befehligte er sie in die Mitte, wohin sie ohne Zeitverlust abgingen; jetzt ließ er sie, die erstere rechts von la Hahe Sainte , die andere links von Goumont , vorbrechen. Sie waren gut ausgeruht und 2500 Pferde stark. Das rasche Vorgehen von Vivian vollendete die Auflösung der Divisionen Quiot und Donzelot ; ihre Flüchtlinge eilten zwischen den Karré's der Garde durch und weit über la belle Alliance hinaus . Die Batterien werden verlassen. Napoleon will die englischen Schwadronen aufhalten und wirft ihnen seine Eskorte entgegen, die aber, viel zu schwach, zusammengehauen wird ; der brave Guyot, der sie führte, fällt schwer verwundet . Einige Abtheilungen der Reserve-Reiterei, die gleichfalls den Angriff annehmen , sind eben so unglücklich . Aber die Karré's der Garde bleiben unerschüttert ; Vivian wird durch ihr Feuer abgewiesen. Dieser giebt den Angriff gegen sie auf, umreitet sie und eilt weiter, den Flüchtlingen nach. An seine Stelle kamen andere, ihm nachrückende Truppen mit den Karré's in's Gefecht; die Brigaden Adam und Lambert rücken gegen sie in's Feuer.
323 Reille wird in seiner rechten Flanke von Vandeleur und in seiner Front von der feindlichen Infanterie be= drängt; er verläßt das Holz von Goumont ; 2 oder 3 seiner Bataillone widerstehen dem Angriffe der Reiterei nicht und lösen sich auf, die übrigen aber, wie schwach sie auch geworden, bleiben in Ordnung und kommen so auch auf dem Kamme des Rückens von la belle Alliance an. Rechts der Brüsseler Chaussee nehmen die Dinge eine noch viel verderblichere Entwickelung. Ney ist dorthin geeilt. Auf einem aufgefangenen Pferde, im bloßen Kopfe, nur noch einen Degenstumpf in der Hand, gewahrt er einige hundert Mann , die Reste zweier Regimenter , die Durutte gesammelt hat. Er eilt zu ihnen. „ Kommt , meine Kameraden , folgt mir; ich will Euch zeigen, wie ein Marschall von FrankEs lebe der reich auf dem Schlachtfelde bleibt." *) w Marschall Ney! " antwortet der tapfere Haufe einstim mig und folgt ihm . Wie sie aus ihrer Terrainfalte vorkommen , stehen sie den Brigaden Kempt , Pack, Bh= landt, Best gegenüber , erhalten ein lebhaftes Feuer von denselben , Kartätschen dazwischen, preußische Reiterei attafirt, und so werden sie zersprengt und zusammenge= hauen; nur Wenige können eins der Karré's der Garde erreichen und dort Schuß suchen. Ney ist abermals mit seinem erschossenen Pferde gestürzt , aber keine Kugel hat ihn getroffen. Der Tod will ihn auf anderer Stätte erreichen. Vom Erlon'schen Korps ist nunmehr kein Bataillon, keine Kompagnie mehr übrig, die Artillerie ist ganz ver= loren. Bei Plancenoit ist die Lage fast verzweifelt.
Bülow
*) Eigene Worte des Marschalls. Wir geben sie nach den Mittheilungen eines Stabsoffiziers. Er schreibt: ich habe dieſe Worte deutlich gehört und werde sie nie vergeffen." 21 *
324 ist von zwei der Pirch'schen Divisionen verstärkt worden, etwa um 74 Uhr ; und seit der Zeit folgen sich die An= griffe unaufhörlich, denen Lobau, Duhesme und Morand widerstehen sollen . Von Ziethen umgangen, von den Reitereien des Prinzen Wilhelm und Pirchs I. überragt, die von den schwa= chen Schwadronen Domon's und Subervie's nicht mehr aufgehalten werden können , sieht sich Loban mit seinen beiden Infanterie-Divisionen zurückgedrückt. Die Unordnung zeigt sich in ihren Reihen, aber sie fechten weiter. In Plancenoit und am Bache fechten jest 18 preu= ßische Bataillone gegen die 11 von Duhesme und Mo= Sie nehmen die Kirche rand und werfen sie zurück. und den Kirchhof troß des wüthendsten Widerstandes und rücken immer weiter vor ; in den Gärten, Straßen und Häusern raft der Kampf mit einer entsetzlichen Wuth ; man mordet sich, wie in Ligny . Aber das Mißverhält= niß ist, zu groß ; die Ueberzahl muß siegen. Napoleon hatte sich , nach dem fruchtlosen Versuche seiner Eskortefchwadronen, im Galopp zu den beiden Bataillonen des 1. Grenadier-Regiments begeben , die auf der Höhe bei Rossomme standen und versuchte da noch einmal, theils selbst, durch seine Gegenwart, theils durch seine Adjutanten und Ordonnanzoffiziere , die in vollem Schrecken gegen Genappe fliehenden Soldaten um die beiden lebendigen Reduten zu sammeln, die in unerschüt= terlicher Ruhe mitten in dem sie umwogenden Getümmel standen. Aber alle Anstrengungen, sowohl von ihm und von den Offizieren seiner Begleitung, als von den durch feine Stimme aufgehaltenen Offizieren der Truppen wa= ren fruchtlos. Der Soldat, der das Eingreifen Grouchy's erwartete, war auf die Kolonnen Ziethen's gestoßen ; er war ohnehin voll von dem Verdachte eines Verrathes, der durch die neuerlichen Deſertionen neu aufgeftachelt worden, und fah sich nun als das Opfer eines furchtbaren Komplottes an; ihm erschien Alles verloren und so blieb er taub gegen alle Zurufe und floh weiter und
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immer weiter. Die Chauffee war verstopft mit Kanonen, Artilleriefuhrwerken , Ambulancen , theils im Marsche, theils umgestürzt , theils verlassen; es war kaum Hoffnung, auch nur einen Theil des Armeematerials zu retten. Dazwischen hinein trafen die erneuten Angriffe der englischen und Ziethen'schen Reiterei und steigerten den Schrecken und die Verwirrung auf's Höchste. Napoleon hatte sich darauf querfeldein gegen Genappe entfernt , wo er wohl hoffen mochte, eine Arrièregarde zufammen zu bringen. Es war bald 9 Uhr. Die Nacht brach herein. Auf den Höhen von Rossomme hörte man noch den Lärm des Gefechts, welches die Karré's der Garde gegen la belle Alliance hin fortführten ; sie wurden von Infanterie und Artillerie beschossen , von Reiterei angegrif= Plöblich brach er ab , ward schwächer und ver= fen. Die Karré's waren gebrochen . Die Hälfte ſtummte. ihrer Offiziere und Leute war todt oder verwundet , eine kleine Zahl wurde gefangen , die übrigen , obwohl sie durch die vielen Angriffe zersprengt waren, bahnten sich durch die Maffen der beiden siegreichen Armeen und durch die Trümmer der unfrigen einen Weg und ge= wannen die Richtung von Genappe. Auf den Zuruf, der ihnen im heftigsten Kampfe entgegen schallte, sich zu ergeben, um Schonung zu erhalten, hatten sie jene in ihrem soldatischen Cynismus erhabenen Worte erwidert, welche von der Legende überseßt worden : „ Die Garde stirbt, aber sie ergiebt sich nicht." Auch in Plancenoit hörte vor der Nacht noch der Widerstand auf; als das Dorf verloren war , sahen Lobau, Duhesme, Morand ihre Bataillone in der Front angegriffen , umgangen und umwickelt; sie zerbröckelten und suchten ihr Heil in der Flucht. Der tapfere Duhesme entging , schwer verwundet , dem Tode nur durch die Hingebung einiger Soldaten. Um diese Zeit oder wenig später verfielen auch Reille's
326 Bataillone, die fechtend und troß der wiederholten Angriffe in ziemlicher Ordnung bis an das Holz von Cal= Lois gekommen waren, der allgemeinen Auflösung. Nun war von der ganzen französischen Armee nicht Ein Bataillon , nicht Eine Schwadron mehr beisammen. Die Auflösung war allgemein und vollständig. Napoleon hatte die entscheidendste Schlacht unseres Zeitalters verloren. Dieses Resultat war die Folge der unerschütterlichen Zähigkeit Wellingtons , der kühnen Thatkraft Blüchers und der Geschicklichkeit und Uebereinstimmung Beider. Das Schicksal ließ sie bei belle Alliance fich treffen, wie um ihnen im Voraus das Urtheil der Geschichte zu zeigen. Beide hatten sie sich, von einigen Schwadronen esfortirt, bis auf die Höhen von Rossomme begeben, theils um die Niederlage zu beschleunigen, theils um mit eige= Auf ihrem nen Augen die Verwirrung zu übersehen. Rückwege von da trafen sie sich , das erste Mal wieder seit der Zusammenkunft vor der Ligny'er Schlacht. Sie saßen ab und umarmten sich , Einer dem Andern zum Siege Glück wünſchend. Es war 94 Uhr und die Nacht vollständig da.
Beide Feldherren beschlossen aber, ihren Sieg zu verfolgen und den Besiegten keine Zeit zum Fassen und Sammeln zu gönnen. Die englisch - holländische Armee war erschöpft und konnte nicht weiter vor ; sie bezog ihren Bivouak da , wo am Morgen noch der Aufmarsch der Franzosen stattgefunden hatte. Die Preußen übernahmen die Verfolgung . Blücher übertrug deren Leitung seinem Generalstabschef, dem General Gneisenau , und aufgeregt vom Siege, unermüdlich und feurig wie immer, suchte er ihn sofort auf. Gneisenau erhielt die Korps von Ziethen und Bülow, 1 Infanterie- Division und einen Theil der Reiterei Er dirigirte seine Pirch I. zu seiner Verfügung.
327 Truppen gegen Genappe , Armee zurück stürzte.
wohin sich die französische
Birch I. bekam die Weisung, seine andern 3 Divisionen und den Reſt ſeiner Reiterei zu sammeln und dann über Maransart gegen Bouſval zu rücken , daselbst die Dyle zu überschreiten und von da aus gegen diejenige französische Kolonne zu operiren , die am Nachmittage Thielemann bei Wavre angegriffen hatte. Mit der Nachricht von der Niederlage Napoleons würde diese Kolonne jedenfalls ihren Rückzug antreten und wenn sie dabei zwiſchen Thielemann und Pirch I. käme , würde auch sie einer Niederlage kaum entgehen können. Von den Höhen von Rossomme bis Genappe, wo= selbst Napoleon die Flucht aufzuhalten gedachte, ist es 14 Stunde. Er eilte querfeldein dorthin und bog dabei weit westlich von der Chauſſee ab, um jedes Zuſammentreffen mit der preußischen Reiterei zu vermeiden. Die Chauffee ist sehr breit , aber beim Durchschneiden von Genappe wird sie enger und die steinerne Dylebrücke bietet nur für 2 Wagen neben einander Raum. Das war bei den jeßigen Umständen ein folgenschwerer Uebelstand ; ein einziger Zufall konnte die Brücke sperren und das ganze Armee-Material, das vom Schlachtfelde zurückkam , stockte dann. Wenn man Veranſtaltungen getroffen hätte, die Brücken von Ways und Thy, die beide abwärts nahe bei Genappe sind , zu benußen, hätte sich der Uebelstand schon gemindert und würde wohl ganz geschwunden sein , wenn man im Laufe des Tages einige Bockbrücken erbaut hätte. Aber , zum Unglück ! war keine dieser alltäglichen Vorsichtsmaaßregeln ausgeführt worden. Keine Brücke war gebaut, keine Schwadron, kein Zug war vorhanden, um die Nebenwege, die nach Ways und Thh führen, zu bezeichnen und einen Theil der Fuhrwerke dahin abzulenken. Alles war auf der Chauſſee geblieben; binnen Kurzem war sie
328 verstopft und nun zerschnitten die Fahrer ihre Stränge und entflohen querfeldein mit ihren Pferden .. Die Dyle ist h Genappe selbst nach sehr starken Regengüssen betreffe ihres Wassers weder für Reiterei noch für Infanterie ein Hinderniß ; und ihre Steilränder verbieten nur das Ueberschreiten mit Fuhrwerken ; die Flüchtlinge hätten sie also ohne Weiteres überschreiten können. Aber vom Schrecken geblendet , hatten sie sich in das Dorf hineingestürzt, als ob sie dort Rettung vor dem Feinde finden könnten und daselbst ein entsetzliches Gedränge erzeugt. Die Wogen der Flucht thürmten sich immer höher an dem Hinderniß auf, als Napoleon, nur von wenig Offizieren begleitet, daselbst ankam; er wollte auch hinein und stak bald in dem Gewühle. Es erschien ihm vollständig unmöglich , in dieſe Unordnung auch nur etwas Ordnung zu bringen, oder eine Arrièregarde von nur einigen hundert Mann zu formi= ren; er begnügte sich, dem Strome des Rückzugs , den Trümmern seiner Armee zu folgen, und nach einer Stunde ward er außerhalb des Dorfes wie ein Wrack an's Ufer gespült. So kam er mitten im Troß nach Quatrebras . Dort war der Artilleriegeneral Nègre am Morgen mit faſt dem ganzen Hauptparke angekommen. Napoleon ertheilte ihm nun , ziemlich spät , den Befehl, zu wenden und mit dem ganzen Material nach der Grenze zurückzugehen. Gleichzeitig ward auch ein Offi= zier mit dem Befehle an Grouchy gesandt , er möge, da die Schlacht verloren sei, den Rückzug antreten. Napoleon war, sagt man, sehr in Verwirrung. Das erscheint ganz glaublich , da er sogar vergaß , dem Marschall zu sagen, wohin er wünsche, daß dieser seinen Rückzug neh= men möge. * ) *) Der Offizier, der mir dieſe Nachricht (von dem Verluste der Schlacht) überbrachte, sagte, daß Ew. Majestät gegen die Sambre zurückgingen , ohne mir jedoch einen Punkt angeben zu können , auf den Sie wünschten , daß ich mich zurückzöge. (Rapport des Marschall Grouchy an den Kaiser, vom 20. Juni.)
329 In diesem Augenblicke waren, wenn man Dem glauben darf, auch die Offiziere zurückgekehrt , welche vom Schlachtfelde aus entsendet worden ien, um die Diviſion Girard , die man gestern bei zigny gelaſſen , nach Quatrebras zu holen. Sie hatten sie nicht finden können. Napoleon sette nach kurzem Aufenthalte seinen Weg nach Charleroy fort. Mittlerweile war Gneisenau gegen Genappe gerückt und hatte dabei keine Hindernisse weiter getroffen , als die verlassenen Wagen , die Masse der flüchtigen berittenen und unberittenen Reiterei , der abgehezten Infanteristen , der Verwundeten aller Grade und Waffen , die alle in die allgemeine Flucht und den allgemeinen Schref= fen verwickelt waren - eine unförmliche Maſſe , die
dem Säbel der verfolgenden Reiterei nur durch ihre Verwirrung widerstand und aus der nur hier und da einige Schuß fielen , von Männern abgefeuert, die der Furcht und den Schrecken der unermeßlichen Auflöſung unzugänglich waren . Etwa um Mitternacht traf der preußische General mit seinen zahlreichen Schwadronen und seinen reitenden Batterien vor Genappe ein. Er ließ sofort das Dorf und das Thal mit Kugeln und Granaten beschießen und wartete das Eintreffen der Infanterie ab. Sie war dicht hinter ihm. Mit dem ersten Kanonenschuß enteilte Alles, was in Genappe zusammengehäuft war , und der Strom der Flucht wälzte seine Wellen eilig weiter. Einige muthige Männer wollten , als das Gedränge sich minderte , einen Widerstand veranstalten, der wenig= stens auf einige Augenblicke den Marsch des Feindes Es gelang ihnen auch , da und dort einige aufhielte. Offiziere und Soldaten aller Waffen zu sammeln : aber So wie die preußische Infanterie es war vergeblich. Der tapfere Lobau , der etwa erschien , zerstiebte Alles.
330 2 oder 300 Mann vereinigt hatte und sie vorführte, ge= rieth auf diese Art in Gefangenschaft. Genappe war voll von unsern Verwundeten. Die wüthenden Preußen mezelten deren Viele mitleidslos Duhesme war eins ihrer edelsten Opfer. nieder. „ Dieses Verbrechen ist unbestraft geblieben ! " ruft Napoleon in seinen Memoiren aus. Das ist leider wahr. Aber hatte er überhaupt das Recht , diese Grausamkeit zu brandmarken , er, der den General Roguet nicht einmal getadelt hatte , als dieser am Ligny'er Tage drohte, den ersten Grenadier, der ihm einen gefangenen Preußen brächte, erschießen zu lassen ? *) In und bei Genappe wurden eine Maſſe von Artillerie- und Verwaltungs-Fuhrwerken, die meisten Wa= gen der Generale und Napoleons , ja selbst sein eigener Reisewagen , in dem er von Paris gekommen und der der russischen Flucht entronnen war, mit Kleidern und einem Degen genommen. **) Eine herbe Ironie des Schicksals war es auch, daß man in einem Fourgon mit
*) Oberstleutnant Charras macht sich durch das Anführen der Ermordung Duhesme's einer absichtlichen Fälschung der geschichtlichen Wahrheit schuldig, die vielleicht mit dem allgemein verbreiteten Preußenhasse seiner Landsleute zuſammenhängt. Absichtlich sagen wir , weil in dem von ihm citirten, folglich gekannten Werke von Damit , die genauesten Details gegeben worden sind: Wie Duhesme in demselben Hause , wo Blücher sein Hauptquartier genommen, gefunden, wie er darauf von Blücher's eigenem Arzte behandelt worden. Derartige bestimmte Angaben hätten den Verfaſſer wenigstens zur weiteren Forschung veranlassen sollen , und da würde er sehr bald den Kern der Sache aufgefunden haben. Während wir uns im Uebrigen jeder Kritik enthalten haben, hielten wir es doch für nothwendig, wenigstens darauf hinzuweisen, daß ein solcher Rostfleck nicht an den preußischen Trophäen von Waterloo haftet. (Anmerk. d. Ueberf.) **) Fleury de Chaboulon sagt , daß auch das prachtvolle Diamantcollier darin war , das der Kaiser von seiner Schwester , der Prinzessin Borghese (Pauline Bonaparte), erhalten hatte.
331 dem kaiserlichen Wappen Pakete einer in Paris gedruckten, aber vom kaiserlichen Schlosse Laeken *) datirten Prokla= mation fand, die ,,an die Belgier und die Bewohner des linken Rheinufers" gerichtet war. Napoleon rief ihnen darin voll stolzen Uebermuthes zu: ,,Ein vorübergehender Sieg meiner Feinde hat Euch für einen Augenblick von meinem Reiche losgeriſſen. Ich habe Eure Klagen in meinem Exil, auf einem Felfen inmitten der Meere, vernommen . Der Gott der Schlachten hat über Eure schönen Provinzen verfügt ; Napoleon ist unter Euch. Ihr seid würdig, Franzosen zu sein. Steht Alle auf, schließt Euch an meine unüberwindlichen Phalange an und helft mit , die Ueber= reste der Barbaren zu vertilgen , die meine wie Eure Feinde sind. Sie fliehen , die Wuth und die Verzweiflung im Herzen.“ Schon seit längerer Zeit wurden derartige Vorher= sagungen ,,des Erwählten der Vorsehung," wie die französischen Bischöfe und der Papst sagten, durch die Er= eignisse mitleidslos zu Schanden gemacht. Die reiche Beute , die hier in ihre Hände fiel , hielt die Preußen nur kurze Zeit auf; sie eilten weiter in der Verfolgung unserer unglücklichen Armee. Der Mond ging auf und begünstigte ihr Vorschreiten durch unsere Trümmer hindurch. " Es war ein fortgesettes Jagen," sagt das preußische Bülletin in trauriger Wahrheit ; ,,wer ruhen wollte und sich keiner so lebhaften Verfolgung versah, wurde aufgestört und so mußten nach und nach 9 Bivouakplätze wieder aufgegeben werden ; in einigen Dörfern versuchten sie, sich zu halten, aber sobald Trompeten oder Trommeln sich hören ließen , flohen sie weiter oder warfen sich in die Häuser, worin sie entweder zusammengehauen oder gefangen wurden." Diese Soldaten, die so unerschrocken sich zeigten , die *) Dieses Schloß liegt Stunde von Brüffel und iſt gegenwärtig eine Residenz des Königs der Belgier.
332 während eines langen Schlachttages, an dem sie erst mit der gleichen Macht, dann aber gegen bedeutende Uebermacht gefochten , gleichzeitig in der Front angriffen und in der Flanke sich vertheidigten, so bewundernswerthe Ausdauer und Hingebung zeigten, sie waren der äußersten Demoralisation verfallen. Was hatte denn ihrem Heldenmuthe gefehlt, daß er der Welt diese erfchreckende Auflösung und unserer Geschichte eine so be= trübende Seite nicht ersparte ? Nichts als ein Führer, der, weniger hartnäckig in seiner Verblendung , sie rechtzeitig aus einem unmöglich gewordenen Kampfe herausführte. Mitten in dem allgemeinen Schrecken kamen auch Züge des Heldenmuthes vor , die der Geschichte angehören. Neh , der vielfach gestürzt , fontufionirt und überanstrengt war, konnte nur mit Mühe weiter gehen ; er hatte keinen Offizier, keine Ordonnanz mehr bei sich ; ein Soldat, ihm völlig unbekannt, stützte ihn , half ihm weiter und verließ ihn erst, als jenseits Genappe eine bessere und sicherere Hilfe erschien und der Major Schmidt von der Division Lefebvre-Desnouettes vor dem Helden von der Moskwa abſaß, ihm auf sein Pferd half und so mit eigener Gefahr das Wohl seines Marschalls erkaufte. *) Der General Durutte, in der Stirn einen Säbelhieb und durch das strömende Blut am Sehen gehindert, am rechten Handgelenk schwer verwundet , irrte querfeldein, seinem störrigen Pferde preisgegeben . Ein Kürasfierwachtmeister geſellte sich zu ihm , führte ihn und verließ ihn erst, als sie diesseits der Grenze in Sicherheit waren. Die Fahrer der Artillerie und des Trains hatten zwar zum größten Theil ihre Pferde ausgespannt oder die Stränge durchſchnitten, unbekümmert um das Schicksal der Geschütze und Wagen oder der Verwundeten.
*) Schreiben Ney's an Fouché, 26. Juni 1815 .
333 Aber Viele blieben ihrer Pflicht getreu bis zuleßt, bahnten sich einen Weg durch die Verwirrung und die Verlegenheiten aller Art und retteten das ihrem Muthe anvertraute Material oder die verstümmelten Soldaten, die sie fuhren. Zwei Fahnen waren gleich anfangs auf dem Schlachtfelde verloren gegangen. Es ward keine weiter verloren. In diesem trostlosen Gedränge von Reitern und Infanteristen , bewaffnet und nicht bewaffnet, sah man hier und da bei dem fahlen Mondlicht eine Gruppe Offiziere und Soldaten, die sich freiwillig um die Fahne des Regimentes geschaart hatten und die mit gezogenem Säbel oder aufgestecktem Bajonnet entschloffen und unerschütterlich sich durch die allgemeine Verwirrung Bahn brechen. „ Play für die Fahne" hieß es , wenn das Gedränge stockte , und fast immer reichte dieser einzige Ruf hin, die Menschen , die taub für jedes Kommandowort , wie für die Disziplin waren, zu vermögen, Plaß zu schaffen. Diese ruhmreichen Vertreter der militairischen Ehre hatten oft genug die Angriffe des Feindes zu erleiden, wiesen sie aber jederzeit zurück und retteten so ihre besiegten Fahnen vor den Angriffen der Sieger. Die Verfolgung hörte erst mit dem Tage auf. Um diese Zeit kamen die vordersten Schwadronen, vom Prinzen Wilhelm von Preußen geführt , in dem Wirthshause zum Kaiser, ein Stück über Frasnes, an der Chauſſee gelegen, an. Gneisenau befahl zu halten und ließ darauf auf der ganzen Linie zum Sammeln blafen. Die Hauptmasse der Infanterie erreichte Quatrebras und erhielt gleichfalls Befehl zum Halten. Die Truppen waren er= schöpft und bedurften einiger Stunden Ruhe. Diese Erschöpfung rettete Viele der Unsrigen. Die französische Armee war verschwunden. Als sie in die Nähe der Sambre kamen , gingen sie hin , woher sie vor 4 Tagen gekommen , die Soldaten Reille's und Erlon's gegen Marchiennes, die andern gegen Charleroy. Napoleon kam noch vor Sonnenaufgang nach Charleroy.
334 Schon waren ihm Flüchtlinge , besonders berittene Ka= valleristen vorausgeeilt. Es herrschte bereits Verwirrung in der Stadt. Napoleon durchritt sie und hielt erst jenseits auf der Wiese von Marcinelles. Zwei schlechte Wagen wurden von Charleroh herausgebracht ; er stieg mit Bertrand in den einen , bezeichnete 4 oder 5 seiner Offiziere für den andern und fuhr gegen Philippeville ab, ohne einen einzigen Reiter zur Eskorte. Es waren keinerlei Anordnungen getroffen worden, um den Rückzug des Brückenzuges , der LebensmittelKolonnen und den Transport der Verwundeten vom 16., die in Charleroy vereinigt worden waren , auszuführen oder die Flüchtlinge auf Sammelplätze zu dirigiren. Die Verwirrung ward hier bald ebenso allgemein , wie bei der Armee. Der Brückenzug und die Artilleriefuhrwerke wurden von den Trainsoldaten verlassen ; die hungrige Menge plünderte, was sie fand , die Wagen mit Brod, Mehl, Wein, Branntwein wurden umgestürzt, zerschlagen, verschleppt ; die Umgebungen der Stadt und die Straßen boten hier an der Grenze Frankreichs eine Wiederholung der Schreckensszenen von Wilna dar. Selbst die Kriegskasse , eine Summe von 6 Millionen, ward beraubt und in tausend Hände verstreut; man stritt mit Säbel und Bajonnet um Brod und Geld . Blücher hatte am Morgen dieses Tages sein Hauptquartier in Genappe genommen ', Wellington war in Waterloo geblieben. Von hier aus datirte er das Siegesbülletin , und durch diesen Zufall bekam die Schlacht den Namen, unter welchem sie in der Geschichte verzeich= net steht. Der englische Feldherr hat von der Schlacht des 18. Juni gefagt, daß es ,,ein Kampf der Riesen" gewe= sen sei. *) Man kann sie nicht besser bezeichnen. Nie-
*) Schreiben vom 26. Juni an den Feldmarschall Schwarbenberg. (Dispatches.) In einem Schreiben vom 20. Juni sagte Wellington zu
335 mals waren Armeen entschlossener auf einander losge= gangen , noch hatten sie blutiger gefochten. Aber zum Unglück für Frankreich war es auch die entsetzlichste und verderblichste Niederlage, die jemals eine französische Armee erlitten. Nachdem Napoleon unsere Legionen zu den entschei= dendsten Siegen in der Vollgewalt des Siegers geführt hatte, führte er sie nun noch zu Niederlagen. Er hat den Schmerz Frankreichs lindern wollen durch das Lob der Tapferkeit, das er ſeinen Soldaten spendete. Aber man wird sie nie genug und nach Verdienst preisen , denn 8 Stunden lang gaben sie Beweise einer Aufopferung und Unerschrockenheit, denen man gleich= kommen konnte , aber die niemals übertroffen wurden, noch übertroffen werden können . Denn die Verantwort= lichkeit der Niederlage fällt lediglich auf ihren Führer und nicht auf sie selbst. Mehr als einmal schon hatten fie, wie bei Waterloo, einer bedeutenden Uebermacht ent= gegengestanden und der Sieg war ihnen nicht zu Theil geworden ; aber ihr Führer hatte immer die Klugheit gehabt , nicht auf einem unmöglich gewordenen Kampfe zu bestehen und so war die Niederlage vermieden und der Rückzug in guter Ordnung bewerkstelligt worden. Mit etwas mehr Voraussicht und weniger Hart= näckigkeit würde es auch am 18. Juni so geworden sein. Der Sieg Wellingtons und Blüchers war theuer erkauft worden. Die Engländer hatten 8358 Mann tødt und verwundet , die Hannoveraner 2228 , die hol= ländisch-belgischen Truppen 3178 , die Braunschweiger 687, die nassauische Kontingentsbrigade von Kruse 643 ; das war ein Gesammtverlust von 15,094 Mann , oder beinahe der im Gefecht gestandenen Truppen ; 700
Dumouriez, dem Verräther von 1793 : „ Niemals noch habe ich eine solche Schlacht gesehen, noch einen solchen Sieg erfochten."
336 Offiziere, worunter 12 Generale, waren außer Gefecht gesetzt. *) Der Verlust der Preußen stieg auf 6999 Mann an Todten und Verwundeten, fast alle vom Bülow'schen Korps. **) Es war Das ein furchtbares Zeugniß der franzöſifchen Tapferkeit ; die Armeen Wellingtons und Blüchers waren um 22,000 Mann vermindert. Unsere Armee hatte noch mehr gelitten. Man hat ihre Verluste verschieden angegeben , weil die Umstände eine genaue Ermittelung derselben verhinderten. Napoleon, der die geringste Zahl nennt, seßt sie auf 23,600, darunter 7000 Gefangene. Aber ein offizielles Aftenstück, das sich im Depot de la Guerre in Paris befin= det , läßt mit Grund annehmen , daß diese Summe um 8-9000 Mann zu niedrig ist. ***) Unsere Generale hatten dem Schicksal des Krieges einen grausamen Tribut gezahlt; Michel , Duhesme, *) Rapport Wellingtons. Holländische offizielle Listen (in den Archiven des Kriegsministeriums im Haag). Geschichte des herzoglich braunschweigischen Armeekorps 2c. History of the Ling's German Legion, by Beamish. **) Wagner, Damiz. Man kann diese Ziffer als ein Marimum betrachten , denn die preußischen Schriftsteller bestreben sich eher , ihre Verluste zu vergrößern als zu verkleinern , weil sie sich den größtmöglichsten Antheil am Siege zuschreiben wollen. ***) Es ist ein detaillirter Standes ausweis der bei Paris vereinigten Armee vom 1. Juli (Note E.) divisionsweise aufgestellt. Darnach sind 37,000 Mann aller Korps, einschließlich der Offiziere, von Waterloo zurückgekehrt. Wenn man davon die Division Girard , damals 2000 Mann stark , abzieht, bleiben 35,000 Mann. Es ließe sich daraus schließen, daß die Armee, die 72,000 Mann stark bei Waterloo gefochten hat, 37,000 Mann dabei verloren. Es würde dieser Schluß aber nicht ganz genau sein , weil theils eine Anzahl Soldaten nach der Rückkehr über die Grenze desertirte, und weil anderntheils mehrere Korps, namentlich die Gardereiterei, am Tage vor dem 1. Juli einige Verstärkungen erhielten. Es ist darnach wahrscheinlich, daß unſere Verluste an Todten, Verwundeten und Gefangenen sich auf 31 bis 32,000 Mann erhoben haben.
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337 Desvaur (Kommandant der Gardeartillerie) und Bauduin waren geblieben. Friant, Barrois, Foy, Durutte, Guyot, Durrieu , l'Héritier, Delort , Colbert, Malet, Travers, Dnop, Blanrord, Lallemand, Farine, Guiton, Cambronne waren verwundet, dieser und Lobau gefangen . Den Verlusten an Truppen schloß sich der fast des ganzen Materials an. Am 18. früh hatten wir 248
Geschütze (mit Einschluß der Girard'ſchen Divisionsbat= terie) ; am andern Morgen waren nicht 50 vorhanden. Der Hauptpark und der Brückenzug waren fast gänzlich verloren gegangen . Es fehlte nichts an der Niederlage. Und zum Ueberfluß hatte Napoleon auch nicht Eine Reserve vorbereitet, die jetzt die nach Frankreich zurückfliehende Armee aufnehmen und ihr als Sammel- und Stützpunkt hätte Blücher und Wellington werden ihr dienen können. folgen und die andern Armeen, die schon vom Ausbruche der Feindseligkeiten benachrichtigt sind und die bald auch den Sieg der belgischen Armeen erfahren werden ; die Destreicher , die Russen, die deutschen Bundestruppen werden herbeeilen nach Paris , um die Preußen und Engländer zu verstärken und um Frankreich mit dem Gewichte ihrer Maſſen zu erdrücken.
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Charras, Waterloo.
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Dreizehntes Kapitel.
Prüfung der Napoleon'schen Kritik über die Pläne und Manövers von Wellington und Blücher - Betrachtungen über die Führung der Schlacht seiten der Franzosen. Es sind viele und sehr verschiedene Urtheile laut ge= worden über die Ursachen, welche die ungeheuere Niederlage unserer Waffen herbeiführten. Nach dem Urtheile Napoleons und der französischen Schriftsteller, die ihre Ansichten fast alle nach den Schriften von St. Helena gemodelt , haben Wellington und Blücher ihren Sieg nur dem allerunglaublichsten Zufalle zu verdanken. ,,Die Dispositionen des englischen Feldherrn waren bemitleidenswerth , oder richtiger gesagt, er hat eigentlich gar keine getroffen. Er hatte sich selbst in die Lage ver= setzt, keine treffen zu können ...... *) ,,Die Stellung von Mont St. Jean war schlecht ge= wählt. Die erste Bedingung eines Schlachtfeldes ist, keine Defileen im Rücken zu haben. Während der Schlacht wußte der englische Feldherr seine zahlreiche Reiterei nicht zu benußen .... Er hat nicht eingesehen, daß sein linker
*) Mémorial de las Cases.
339 Flügel angegriffen werden würde und mußte ; er erwar= tete den Angriff auf dem rechten Flügel. ,,Als er den Entschluß faßte, bei Waterloo die Schlacht anzunehmen, verließ er sich lediglich auf die Mitwirkung der Preußen ; diese konnte aber erst am Nachmittage ſtatt haben; er war also von 4 Uhr früh bis 5 Uhr Übends, d . h. 13 Stunden lang auf die eigenen Kräfte ange= wiesen. Eine Schlacht pflegt nicht länger als 6 Stunden zu währen , die ganze Mitwirkung beruhte also auf einer Täuschung ....
,,Das Wetter war in der Nacht vom 17. zum 18. ganz abscheulich, und in Folge dessen war der Boden bis 9 Uhr früh unpassirbar. Dieser Zeitverlust von 6 Stunden, von Tagesanbruch ab, gereichte lediglich dem Feinde zum Vortheile ; aber konnte dieser Feldherr das Schicksal eines solchen Kampfes von dem Wetter abhängig machen , das in der Nacht vom 17. zum 18. gerade sein würde ? ,,Wellington zeigte sich , mit Einem Worte , unfähig, und der Plan , den er im Einverständnisse mit Blücher ausführte, dieser, nach dem Zeugnisse aller Schriftsteller, die man für urtheilsbefähigt und parteilos halten darf *), sehr gut entworfene Plan "" ruhte blos auf einer Täuschung ". Der Sieg beweist nichts zu Gunsten der Sieger, denn er war lediglich Folge des Zufalls.“ So lautet die Ansicht des Besiegten.
Die Thatsachen widersprechen ihr allerwege. Die Dispositionen Wellingtons waren doch so gut, daß sein Gegner ihn stets in Bereitschaft zur Verthei= digung fand, mochte er angreifen, wo er wollte. Da er eine Defensivschlacht lieferte, deren Zweck vorerst dahin *) Wir führen von denselben nur Jomini an (Précis historique etc.) , der sicherlich einer Parteinahme für die Gegner Napoleons nicht beschuldigt werden kann, vorausgeseßt, daß es sich nicht um Ruffen handelt. 22 *
340 ging, die gewählte Stellung bis zur Ankunft der Preußen zu behaupten, hatte er wenig zu manövriren, was nächst= dem der Art und Weise der unter seinen Befehlen ſte= henden Truppen besonders entsprach ; was er aber ma= növrirte, war richtig angeordnet und gut ausgeführt. Die Stellung von Mont St. Jean bot dem Rückzuge feine größeren Schwierigkeiten dar , als die, welche Napoleon einnahm; sie hatte deren sogar weniger. Die breite Chauffee nach Brüſſel, die fast durchaus gepflasterte Straße über Alsemberg , die ebenfalls von Mont St. Jean nach der belgischen Hauptstadt führt , dann 3 Ne= benwege in derselben Richtung, die durch den Regen zwar beschwerlich, aber noch nicht unpafsirbar geworden waren, genügten sicherlich zum Rückmarsche des größten Theiles der Artillerie ; und der Wald von Soignes, Hochholz ohne Unterholz , der durchaus nicht ohne Weiteres umgangen werden konnte , der überallhin für Menschen und Pferde gangbar war , bot eine herrliche Deckung für die Infanterie und Reiterei bei der Verfolgung dar , ein leichtes und sicheres Mittel zur Bewerkstelligung des Rückzuges, selbst nach einer Auflösung. Die französische Armee, die so viel stärker an Artillerie war, befand sich mit dem Genapper Defilee im Rücken in einer weniger günstigen Lage für den Fall eines Rückzugs , und bei ihrer Flucht würde sie es für ein großes Glück gehalten haben , einen Wald, wie den Soigne'r, auf ihrem Wege zu treffen *). Unglücklicher Weise ist es auch gar nicht wahr , daß ,,der englische Feldherr seine zahlreiche Reiterei nicht zu benutzen verstanden hätte." In der ersten Periode der Schlacht wurde der Rückschlag gegen das Erlon'sche Korps
*) Man_hat_angeführt, Napoleon habe zwei Chauffeen als Rückzugswege gehabt, die nach Nivelles und die nach Charleroy. Das ist ein Frrthum , denn ein Rückzug über Nivelles würde die Armee zu sehr von Grouchy abgeführt und diesen dadurch allzusehr bloßgestellt haben.
341 durch diese Waffe entschieden ; er kostete uns fast 5000 Mann. In der zweiten Periode scheiterten die helden= müthigen und so oft wiederholten Angriffe Milhauds, Kellermanns und der Garden nicht blos an dem Wider= stande der englisch-holländischen Bataillone, sondern auch wegen des rechtzeitigen und geschickten Gebrauches , den Wellington von seiner Reiterei machte. Endlich aber spielte dieselbe Reiterei bei der Katastrophe eine sehr eingreifende Rolle, namentlich durch die beiden , bis dahin zurückgehaltenen 2500 Pferde starken Brigaden. Die Vertheilung der Truppen, wie sie Wellington getroffen , zeigt, daß er nicht , wie Napoleon sagt , einen Angriff auf seinen rechten Flügel, sondern wahrscheinlicher einen auf das Zentrum als auf den linken Flügel erwartete. Bei alledem aber war er auf dem lettgenann= ten Theile , als dieser angegriffen wurde , genügend in Verfassung , um Erlon eine ausgesprochene Niederlage beizubringen , und was ferner für seine gar nicht üble Voraussicht spricht, ist, daß Napoleon von da ab die Angriffe hauptsächlich gegen das Zentrum richtete. ,,Als er den Entschluß faßte, bei Waterloo die Schlacht anzunehmen, verließ er sich lediglich auf die Mitwirkung der Preußen." Das ist so unbestreitbar wie unbestritten. Aber die Angabe, daß diese Mitwirkung erst um 5 Uhr erfolgen konnte, ist ungenau . Denn wenn Bülow nicht durch den Brand in Wavre aufgehalten worden wäre, oder wenn er die Dyle oberhalb der Stadt überschritten , wenn er ferner in 2 Kolonnen marschirt wäre, was recht wohl anging, so würde er gegen 1 Uhr Mittags , anstatt um 44 Uhr auf dem Schlachtfelde wirksam geworden sein. Aber noch mehr; Blücher konnte der englisch - hollän= dischen Armee den erwarteten Beistand schon zwischen 8 und 9 Uhr Morgens leisten ; denn es hinderte ihn nichts, Ziethen und Birch I. zwei Stunden vor Tagesanbruch
342 abmarſchiren zu lassen , und diese beiden Generale , die, wohlbemerkt, seit gestern Mittag dicht bei Wavre und näher am Schlachtfelde lagerten, als Bülow , würden schwerlich mehr als 7 oder 8 Stunden Zeit gebraucht haben, um an ihre Bestimmung zu rücken . ,,Das Wetter war in der Nacht vom 17. zum 18 . ganz abscheulich und in Folge dessen war der Boden bis Dieser Zeitverlust von 9 Uhr früh unpafsirbar. 6 Stunden gereichte lediglich dem Feinde zum Vortheil." Wer Das schreibt oder daran glaubt , muß vergessen haben , daß es zwischen Wavre und Mont St. Jean ge= rade so geregnet hatte, wie bei Mont St. Jean selbst ; daß die Verbindungswege zwischen beiden Orten grundlos und die Felder sehr kothig waren , und daraus sehr we= fentliche Verzögerungen im Marsche der preußischen Korps zu der englisch-holländischen Armee entstehen mußten. Ohne die Regengüsse hätten die verschiedenen Korps nicht über 44 Stunde gebraucht, um die Entfernungen von Wavre nach Smohain und Plancenoit zurückzulegen. Die Mitwirkung der Preußen , auf welcher der Entschluß zur Schlacht ruhte, war also nichts weniger als eine Täuschung , vielmehr nur allzu möglich. Sonderbarer Weise vergißt aber Napoleon bei allen dem ungerechten und herben Tadel, den er über den Plan seiner Gegner und über die Manövers Welling= tons ausgießt , gerade den großen und unbestreitbaren Fehler, den der englische Feldherr wirklich beging : die Entsendung nämlich von 17,000 Mann nach Hal, 3 Stunden weg von dem Schlachtfelde, auf dem er die Schlacht_er= wartete und annahm *) .
*) Napoleon sagt darüber nur Folgendes : Ein Korps von 2000 Pferden ward am 17. rechts nach Hal entfendet, um mit einer rechtsseitigen Umgehung des Soigne'r Waldes und einem Marsche nach Brüssel zu drohen. Der Herzog von Wellington ward darüber besorgt , rückte seine 4. Diviſion, Colville, dahin;
343 Als Wellington dieses Detaſchement entfendete , hatte er zum Zweck, Brüffel gegen eine seinen rechten Flügel umgehende Bewegung zu decken. Er hat Das selbst ausgesprochen *). Er seßte also voraus , daß Napoleon ent= weder einen Flankenmarsch von 3 bis 4 Stunden ohne alle Dedung und im Angesichte der gan= zen englisch-holländischen Armee ausführen werde, oder daß er im Augenblicke der Schlacht einen starken Theil seiner Armee von sich entsenden werde, um ihn auf die Straße von Hal nach Brüssel zu werfen. Die erste dieser Voraussetzungen war vernünftiger Weise nicht anzunehmen und die zweite den von Napoleon geübten strategischen Grundsätzen , so wie seinen Gewohnheiten schnurstracks entgegen. Man schwächt sich auf dem Hauptpunkte, da , wo das Geschick der Armeen sich entscheiden foll, nicht auf solche Weise, um untergeordnete und zweifelhafte Erfolge anderwärts zu suchen. Mit großer Mühe die französische Reiterei kehrte rechts wieder in's Lager zurück, die englische Division blieb aber zur Beobachtung stehen und konnte darum keinen Theil an der Schlacht nehmen. " (Memoiren, 9. Theil.) Die Bewegung dieses Korps von 2000 Pferden, das nicht näher bezeichnet wird und von der nirgends anders als in den Memoiren von St. Helena die Rede , erscheint mehr als zweifelhaft. Es kann dagegen als gewiß angesehen werden , daß Napoleon aus den Schriften seiner Zeit die wahre Stärke des Detaschements in Hal ersehen hat (Diviſion Stedmann, indische Brigade, 2 Brigaden von Colville, Reiterbrigade Estorff) , und da er nur von Colville ſpricht , muß man denken , er wolle glauben machen, daß die andern Theile des Detaſchements mit bei Waterloo gefochten hätten. *) ,Es ist möglich, daß der Feind uns über Hal umgeht, obwohl Weg und Wetter abscheulich sind und ich auch das Korps des Prinzen Friedrich der Niederlande zwischen Hal und Enghien in Position habe. Wenn dieser Fall eintritt, bitte ich Ew . k. Hoheit und Se. Majestät (Ludwig XVIII .) ſich nach Antwerpen zu begeben , nicht auf leere Gerüchte hin, sondern erst auf die gewisse Nachricht, daß der Feind , mich über Hal umgehend , trotz mir in Brüssel eingerückt ist." (Früher schon angeführtes Schreiben an den Herzog von Berry.)
344 ließe sich die Voreingenommenheit Wellingtons im Laufe des 17. und am ersten Morgen des 18. noch einigermaaßen begreifen ; das Verständniß desselben hört aber, nachdem er die Armee Napoleons vor sich in Stellung und zum Angriffe bereit gesehen , vollkommen auf, und man muß sie ihm als einen ausgesprochenen Fehler zur Last legen: Wenn Wellington sein Detaschement aus Hal um 8 Uhr abberief, so konnte es am zeitigen Nach= mittag , trotz aller schlechten Wege , zu seiner Verfügung stehen. Er wollte es nicht heranziehen und daraus folgt, daß die englisch-holländische Armee viel schwerere Verluste erlitt, als es außerdem der Fall gewesen wäre und einen Augenblick wirklich gefährdet war. Der Fehler wird in seinem Gewichte durch die viel früher und mit aller Bestimmtheit erwartete Mitwirkung der Preußen und durch den Sieg selbst gemindert, aber selbst die Größe des letteren rechtfertigt ihn darum noch nicht. Man ist überrascht, daß gerade Wellington ihn begangen. Es ist übrigens der einzige Fehler , den man ihm, im Gegensate zu so vielen leidenschaftlichen und übel begründeten Vorwürfen, an dieſem Tage vorwerfen könnte. Er hat die Schlacht sehr gut geführt, troß der Verzögerungen der Preußen - zum Unglück für Frankreich ; er brachte seine Truppen nur nach Maaßgabe des Bedarfs in's Gefecht und verwendete sie mit Ueberlegung ; er hat bis zum entscheidenden Augenblick eine starke Reserve aufgespart. Er hat auch seine zweifelhafte Stunde ge= habt welcher Schlachtenlenker hätte sie nicht zuweilen ? Und um ein Beispiel nur zu bringen , befand sich nicht Napoleon bei Marengo in einer viel übleren Lage , als der glückliche Gedanke Defair's und die heroische Entschlossenheit Kellermanns die drohende Niederlage in einen entscheidenden Sieg verwandelten ? Napoleon sagt nun in seinen kritischen Ergießungen weiter von dem englischen Feldherrn : „ Troß der Diver= sion , welche Bülow mit seinen 30,000 Preußen unter-
345 nahm , hätte Wellington unter Tages zwei Mal seinen Rückzug angetreten, wenn er gefonnt hätte. O über den unerforschlichen Gang des menschlichen Thuns ! Dadurch, daß er durch die schlechte Wahl seines Schlachtfeldes sich selbst den Rückzug unmöglich machte, begründete er seinen Sieg!" *) Wir haben schon darauf hingewiesen , was man von der Unmöglichkeit eines Rückzugs durch das Hochholz des Soigne'r Waldes zu denken hat, durch den noch die breite Chaussee nach Brüſſel , die faſt ganz gepflasterte Alſem= berger Straße und drei Nebenwege parallel mit diesen beiden hindurch führten. Napoleon standen solche Erleichterungsmittel für den Fall eines Rückzugs nicht zu Gebote, und bei seiner zahlreicheren Artillerie bedurfte er ihrer noch mehr. Bei Eßlingen hatte er nur eine Schiffbrücke, als er den Rückzug antrat ; die Brücke reichte aber aus, weil der Rückzug in Zeiten begann. Welches kann denn aber der Augenblick sein, in dem Wellington an das Aufgeben des Schlachtfeldes gedacht hat? Etwa nach dem Erfolge gegen Erlon ? Oder nach dem Zurückschlagen des ersten Ney'schen Angriffs , gegen 5 Uhr , als Bülow gerade gegen Plancenoit vorrückte ? Oder etwa gegen 7 Uhr, als unsere ganze Reserve-Reiterei konsumirt war , von den tapfern aber fruchtlosen Angriffen gegen die englisch - holländische Mitte abließ ? und Ziethen und Birch I. auf dem Schlachtfelde eintrafen ? Oder etwa 4 Stunde später, als die Infanterie der alten Garde, von der Ueberzahl erdrückt , das Pla= teau wieder verließ und das Eingreifen Ziethens und Birchs I. fühlbar wurde ? So gestellt, beantworten sich diese Fragen selbst. Nein, Wellington hat keinen Gedanken an den Rückzug gehegt , konnte auch und zu keiner Zeit des Tages einen hegen. Wer das Gegentheil aufstellt und behauptet, sträubt sich gegen den Augenschein , oder erkennt weder
*) Memoiren, Th. 9, S. 175.
346 den Charakter des englischen Feldherrn , noch den Gang der Ereignisse dieses Tages , noch auch den Plan, der überhaupt der ganzen Schlacht zum Grunde lag. Das Stichwort dieses Planes war : der englisch - holländischen Armee die Hilfe der ganzen, wenigstens der halben preußischen Armee zuzuführen und ſo mit Zwei gegen Einen zu schlagen. Die Sache mußte, richtig durchgeführt, ent= scheidend werden. Bülow war bereits im Gefecht, Pirch I. und Ziethen rückten heran ; Wellington erhielt fortlaufend Mittheilungen über die Fortschritte ihres Marsches ; es strebte Alles der angenommenen Idee zu. Der englische Feldherr hatte also nichts weiter zu thun, als wozu er, ,,der Mann der Zähigkeit", ganz entschloffen war , näm= lich seine Stellung bis auf's Aeußerste zu halten und darin seine letzte Patrone zu verfeuern. Auf seiner Seite kamen auf jeden Soldaten, der fiel, zehn Preußen als Erfah ; auf Seite der Franzosen war von Ersatz nicht die Rede. Unter solchen Umständen, bei einem solchen Plane, kann kein Gedanke an Rückzug auftauchen, that es auch nicht, und in Ermangelung der Thatsachen würde die einfachste Betrachtung Dies er= weisen. Die französischen Schriftsteller in ihrer großen Mehrzahl haben sich hier von einem Gefühle übel angebrachter nationaler Eigenliebe leiten laſſen und sich bestrebt, Napoleon als einen Feldherrn hinzustellen , der eigentlich unbesiegbar , nur durch die Tücke des Schicksals unterlegen, und haben deshalb die unglaublichen Angaben und Aussprüche des Gefangenen von St. Helena für wahr genommen und verbreitet. Es giebt deren sogar, die noch weiter gehen und aus den zwei Malen , in denen Wellington zurückgegangen sein würde, wenn die schlechte Wahl seines Schlachtfeldes ihn nicht gehindert hätte, drei Male machen, und man hat ihnen geglaubt. So geht es aber ; keine Unwahrheit ist so sonnenklar, daß sie nicht durch die Macht der öfteren Wiederholungen in die Reihe der historischen Thatsachen eingedrängt werden könnte.
347 So heftig und absprechend Napoleon in der Beurtheilung seiner Gegner ist *), so unbedingt ist er auch in den Lobeserhebungen, die er sich selbst spendet. ,,Alles, was die Geschicklichkeit aufbieten konnte, hatte er gethan ! Nur durch das Zusammentreffen ganz unerhörter unglücklicher Zwischenfälle ist Alles noch umge= schlagen, nachdem schon Alles gewonnen war" **). An diesem furchtbaren Tage , einem der hervor= ragendsten in der ganzen Geschichte , sowohl wegen der Erbitterung, mit der gefochten wurde, als wegen der Interessen, um die es sich handelte, als auch wegen der Resultate , die erkämpft wurden , an diesem Tage war alſo in Napoleons Augen die erwiesene Unfähigkeit mit der vollendeten Geschicklichkeit im Kampfe, und diese ward nur besiegt durch das Zusammentreffen ganz unerhörter 11 unglücklicher Zwischenfälle. Es giebt ein Etwas, der Mensch nennt es in seiner Unfähigkeit die Grundlage der Dinge zu erkennen , bald Schicksal, bald Zufall , das mitunter den bestangelegten Plan zum Scheitern und den schlechtangelegtesten zum Gelingen bringt, die wissenschaftlich richtigsten Manöver, alle Anstrengungen des Talentes und des Genies fehl= schlagen läßt, dagegen der Mittelmäßigkeit, Unwissenheit und Thorheit den Erfolg in die Hand spielt. Die Geschichte der Kriege beweist Das durch gar viele Beiſpiele. Nur dann aber darf eine geschichtliche Darstellung behufs der Erklärung der Ereignisse zu diesen fast übernatürlichen Größen greifen , wenn jede auf Vernunftgründe basirte Erklärung sich lückenhaft zeigt. Der Krieg bleibt immer ein blutiges Ringen der Kräfte und ist seltener, als man es glaubt, ein Spiel des Zufalls .
*) In einer Anwandlung von Freimuth hat Napoleon doch einmal auf St. Helena gesagt, „daß der Marsch Blüchers nach Wavre einer jener Geniebliße gewesen sei , die nur bei großen Feldherren leuchten." **) Mémorial de las Cases.
348 Wir glauben nicht, daß zur Erklärung des 18. Juni das Hereinziehen geheimnißvoller Mächte erforderlich ist. Wir haben so eben.gezeigt, wie sehr die Anschuldig= ungen von Unfähigkeit und Ungeſchick, die Napoleon gegen seine beiden Gegner erhebt, falsch sind . Eben so find aber auch die Lobsprüche unverdient, die er sich selbst spendet. Er hat Fehler begangen , Fehler , die er früher nicht begangen haben würde. Wir haben diese Fehler hervor= gehoben und dargelegt. Am 18. Morgens hatte er trotz der Verzögerungen des vorigen Tages das wirklich große Glück, die englischholländische Armee zur Schlacht entschlossen sich gegen= über zu sehen ; sie war der Zahl nach der seinigen gleich, aber an Güte eines Theiles der Truppen und an Ar= tillerie der ſeinigen untergeordnet . Er wußte nicht , wo die preußische Armee stand , ob fie nahe oder entfernt war , er mußte also mit der Be= nußung der günstigen Gelegenheit eilen und da er einmal zur Schlacht entschlossen war , sie mit dem geringſt= möglichen Verzuge eröffnen. Und doch wartete er mit dem Beginn bis 114 Ühr und ordnete erst 2 Stunden später einen ernsthaften Angriff, den von Erlon, an. Er hat zur Entschuldigung dieses Zögerns die üble Beschaffen= heit des Erdbodens angegeben , der ein Manövriren der Artillerie nicht früher zuließ. Aber bei keinem unpar= teiischen Schriftsteller hat dieses Anführen Glauben ge= funden *) . Wellington ließ auf genau demselben Boden früh zwischen 6 und 8 Uhr alle die Bewegungen aus= führen , welche zur Herstellung seiner Schlachtordnung nothwendig waren. Napoleon hätte sich also auch um diese Zeit bewegen und seinen Angriff um 74 Uhr beginnen können, anstatt daß der erste Kanonenschuß erst 4 Stunden später fiel . *) Der General Jomini sagt unter Anderem ausdrücklich, daß das Verschieben des Angriffs „ein Fehler war“.
349 Er hat Dies unabsichtlich auch selbst gesagt , als er anführt, wie um 8 Uhr die ausgesendeten Artillerieoffiziere meldeten, daß die Artillerie , wenn auch mit einigen. Schwierigkeiten , manövriren könne, diese jedoch in einer Stunde wesentlich gemindert sein würden" *). Der Soldat bedurfte vielleicht nach den Beschwerden der Nacht einiger Zeit, um Nahrung zu sich zu nehmen, die Waffen zu reinigen und sich zum Gefecht vorzube reiten. Aber 2 Stunden waren dazu ausreichend . Wie oft hatte man nicht schon gesehen, daß die französischen Legionen nach einer eben so mühseligen Nacht mit Tagesanbruch gegen den Feind rückten und ihn angriffen ? Und setzte sich Bülow nicht nach derselben Nacht vor 4 Uhr früh gefechtsbereit in Marsch ? Unsere Armee hätte also , ohne übermenschliche Anstrengungen, sich spätestens um 6 Uhr in Marsch setzen und um 74 Uhr zum Angriffe bereit stehen können ** ). Es erforderte auch der Scheinangriff auf Goumont vorerst nur sehr geringe Artilleriebewegungen ; und war die Schlacht einmal im Gange, so waren die Nachtheile der erschwerten Beweglichkeit für beide Theile gleich, was wohl zu beachten ist. Napoleon verlor also ohne alle Ursache vier ganze Stunden. Das war ein unglücksschwerer Zeitverlust. Wurde er vermieden , so verlief die Schlacht anders ; das ist sehr wahrscheinlich. Die englisch-holländische Armee wäre dann von 74 Uhr an allen Anstrengungen der französischen Armee ausgeseßt , bis gegen 44 Uhr Nach= mittags auf ihre eigenen Kräfte beschränkt gewesen und ohne Zweifel, trotz der Zähigkeit ihres Generals , troß *) Memoiren, Th. 9. **) Nach den Memoiren von Napoleon, deren Darstellung wir hierin folgen, brauchte die französische Armee 11 Stunde zu ihrem Aufmarsch in Schlachtordnung. Wir haben es früher schon angegeben.
350 ihrer, wie Napoleon selbst sagt, bewundernswerthen Tapferkeit geschlagen worden ; Bülow wäre zu spät gekommen, um die Niederlage zu hindern , wäre vielleicht selbst mit hinein verwickelt worden. Wenn der Kampf um 74 Uhr anfing , hätte Blücher die Korps von Ziethen und Birch I. schwerlich bis um Mittag bei Wavre stehen lassen ; sobald der Kanonendonner eine Schlacht verkündet hätte, würde er sie Bülow nachgeschickt haben ; Das hätte etwa um 9 Uhr sein können und wäre folglich auch ohne Einfluß auf den Gang der Schlacht geblieben. Wellington hatte geglaubt, daß bereits Morgens ein oder mehrere preußische Korps eintreffen würden *). Die Vereinigung fand aber erst Nachmittags statt, weil, wie man annehmen muß, Blücher theils die Schwierigkeiten des Marsches nicht hoch genug angeschlagen , theils wohl auch, weil er den bei Ligny im Gefecht gewesenen Korps die möglichst längste Ruhe gestatten wollte. Das war eine Unklugheit. Eine mehrere Thätigkeit Napoleons würde sie zum Verderben der englisch-holländischen Armee gewendet haben. Mit dem Hinausschieben des Angriffs verzichtete also der französische Feldherr auf einen großen Theil der Wahrscheinlichkeit des Sieges. Indem er einen Aufschub von einigen Stunden gering achtete, verlegte er einen der Hauptgrundsäße der Kriegführung , den , daß man eine sich darbietende günstige Gelegenheit sofort ergreifen soll . Es ist keinem Zweifel unterworfen , daß dieser Hauptfehler aus der eben so leichthin gebildeten als hartnäcigen Ueberzeugung entsprang, die preußische Armee sei in Folge der Lignyer Schlacht unfähig , Etwas zu unternehmen. Außer diesem folgenschweren Fehler hat Napoleon auch noch andere in der Führung der Schlacht begangen, *) Schreiben an Sir Charles Stuart. Vergl. die früheren Anführungen.
351 die wir in der Reihenfolge durchgehen wollen , wie die Ereignisse verliefen. Das Schloß Goumont wäre vermöge seiner Lage dicht an dem dominirenden Kamme des Plateaus für unsere Truppen nicht haltbar gewesen , wenn sie es auch ge= nommen hätten. Der Angriff dort hatte nur den Zweck, durch eine Diversion die Bewegungen Erlons vorzubereiten und zu erleichtern. Er nahm aber sofort den Charakter eines gründlich durchzuführenden Hauptangriffs an , oder man ließ Dies wenigstens zu, und es blieb unter den Augen Napoleons auch dabei. Noch vor 5 Uhr Nachmittags hatte sich das ganze Reille'sche Korps nach und nach um diesen Posten zuſammengeschoben , der fortwährend nur von einer an Zahl geringeren Macht vertheidigt wurde, dergestalt, daß die Diversion ganz zu Gunsten des Feindes ausschlug und keine Infanterie zur Unterstützung der Ney'schen Reiterangriffe mehr vorhanden war. Der Angriff auf Goumont ward ferner mit einem befremdlichen Mangel an Voraussicht geführt. Man orientirte fich gar nicht über die Widerstandskraft des Schlosses , des Gehöftes und der anstoßenden Umfaſſungen , und wollte sie ohne die vorbereitenden Wirkungen der Artillerie nehmen. Erst nach drei Gefechtsstunden, nach der nußlosen Aufopferung so vieler Tapferen, dachte man daran, das Feuer einiger Haubißen auf die Gebäude zu richten , die sehr bald in Brand geriethen und die Engländer zur Räumung zwangen ; aber das half noch nichts gegen den Garten, der wirklich ein Redout war und gegen den alle Angriffe scheiterten , deſſen Mauern aber so leicht eingeschlagen werden konnten, wenn man die sehr alltägliche Vorsicht gebraucht hätte, die Sappeur - Abtheilungen mit Petarden oder Pulversäcken zu versehen. Es war wichtig la Haye Sainte bald zu nehmen ; man erlangte es aber erst nach 3 oder 4 Stunden und nach sehr fühlbaren Verlusten , weil man es versäumte,
352 einige Granaten in das Gehöfte zu werfen und deſſen Mauern zusammenzuſchießen . Auch bei Papelotte , bei la Hahe verfiel man in diesen Fehler. Wir haben in unserem Schlachtberichte die fehlerhafte Formation der Angriffskolonnen des Erlon'schen Korps angegeben , als dieses gegen den linken Flügel der feindlichen Stellung anrückte. In dieser Formation lag schon ein großer Fehler , der aber dadurch, daß man diese sonderbaren Kolonnen nicht unmittelbar durch Reiterei unterstüßte , noch vergrößert ward. Die Hilfe der Brigade Travers und der Schwadronen Jacquinot's kam zu spät ; das Korps hatte schon 5000 M., das Dritttheil seines Bestandes, verloren. Die Darstellungen von St. Helena gehen über die Niederlage Erlon's wie über einen unbedeutenden Zwischenfall hinweg. Sie hatte aber die Folge, daß das erste Korps für den ganzen übrigen Tag keine rechte Kraft mehr entfalten konnte. Das Studium der Schlacht führt zweifellos darauf hin. Napoleon hatte den englisch-holländischen linken Flügel als den schwächeren Theil der Stellung erkannt, und Dies auch ausgesprochen *) ; auch beweist Dies der um 11 Uhr erlassene Befehl genugsam **) . Nach den Unfällen Erlon's verzichtete aber der Kaiser hier auf weitere An= griffe und verwendete seine Kräfte gegen das Zentrum. Die Angriffe auf ein Zentrum bieten im Allgemei= nen die folgenreichsten Resultate, sind aber dafür die langwierigsten und schwierigsten. Sie werden darum auch gewöhnlich nur da angewendet , wo die Zeit nicht drängt und wo die Größe des wahrscheinlichen Erfolges die mehreren Schwierigkeiten des Angriffs aufwiegt.
*) Der Theil der englischen Linie zwischen la Haye Sainte und la Haye schien dem Kaiser schwächer als jeder andere Theil derselben zu sein. (Gourgaud .) **) Vergl. denselben Seite 268.
353 Bei Waterloo war nun , wie wir gesehen , das Zen= trum der stärkste Theil der englisch - holländischen Linie ; die Absicht des Angreifenden war , die Brüsseler Straße zu bekommen und Wellington von Blücher weg gegen Braine l'Alleud zu drängen ; Napoleon wußte ferner seit 1 Uhr um die Anwesenheit Bülow's bei Chapelle St. Lambert; die Ankunft der andern preußischen Korps war vorherzusehen und zu fürchten. Diese Erwägungen mußten in ihrer Gesammtheit dahin führen, daß der Angriff auf der Stelle mit den Reserven gegen den linken Flügel zu wiederholen war und daß dort die Entscheidung im Sturme errungen werden mußte , daß man dagegen die Schwierigkeiten und Langwierigkeiten eines neuen An= griffs auf das Zentrum zu vermeiden hatte. Es wurde aber unternommen , man verließ sich dabei , und darin liegt wieder eine der Hauptursachen des Zusammensturzes. Napoleon glaubte bis zum Erscheinen Bülow's bei Chapelle St. Lambert , daß die Mitwirkung preußischer Abtheilungen auf dem Schlachtfelde von Mont St. Jean zu den Unmöglichkeiten gehöre , und darauf glaubte er eben so hartnäckig , daß das Heranschieben dieses Generals das Aeußerste sei , was Blücher zu Unterstützung der englisch-holländischen Armee thun könnte. Man kann ferner nicht anders , als in den Anstalten, die Bülow gegenüber getroffen wurden , einen weiteren Fehler zu finden. Wenn Lobau , anstatt diesseits des Pariser Holzes zu bleiben , die Defileen der Lasne besezt hätte, würde er das Vorrücken Bülow's lange, vielleicht bis zum Eintreffen Pirch I. verzögert haben. Nachdem erst der englisch-holländische linke Flügel mit Infanterie angegriffen worden war , ohne dieser in gehöriger Nähe eine Unterstützung an Reiterei zu gewähren, und nachdem diese Angriffe abgeschlagen waren , griff man das Zentrum mit Reiterei ohne Unterſtüßung durch Infanterie an und ward abermals abgeschlagen. Troß ihrer Unerschrockenheit konnten die beiden Divisionen Milhaud's und die Division Lefebvre- Desnouettes sich nicht 23 Charras, Waterloo.
354 auf dem Plateau halten. Sie wiederholten ihren Versuch, wurden durch Kellermann und Guhot unterſtüßt und der Erfolg blieb der nämliche. Ein derartiger Versuch konnte auch gar keinen andern Ausgang haben, zumal da die feindliche Infanterie zum größten Theile durch den Kamm der Höhe gegen unser Artilleriefeuer gedeckt , also von den Angriffen der Ney'schen Schwadronen nicht erschüttert worden war. Es ist auch dieser Angriff, seine Wiederholung und feine Hartnäckigkeit unter so ungünstigen Umständen ge= tadelt worden. Napoleon hat aber die Verantwortlichkeit dafür von sich abgewiesen und die Veranlassung desselben in zwei verschiedenen Lesarten dargelegt. " Etwa gegen 4 Uhr“, hat er geschrieben, „ befahl der Kaiser dem Marschall Ney sich in la Haye Sainte zu behaupten , das Gehöfte zu kreneliren und mit mehreren Bataillonen zu beseßen , aber weiter keine Bewegung vor= zunehmen , bis man den Ausgang der preußischen Eine halbe Unternehmung übersehen könne. Stunde später , etwa gegen 5 Uhr , als die Preußen uns auf das Nachdrücklichste angriffen , suchten die Engländer la Haye Sainte wieder zu nehmen : sie wurden aber theils von dem Feuer unserer Infanterie, theils durch einen Reiterangriff zurückgewiesen; der Mar = schall Neh , von seinem Uebereifer fortgerissen, vergaß den erhaltenen Befehl ; er rückte auf das Plateau , das sofort von den Diviſionen Milhaud's und Lefebre-Desnouettes gekrönt war. Die Offiziere, die den Kaiser umgaben , sahen diese Bewegung , den Erfolg der Attaken, den Rückzug mehrerer englischen Karrés, das Schweigen vieler englischer Batterien , jubelten und riefen Sieg! Der Kaiser urtheilte anders und sagte zum Marschall Soult: ,,Das ist eine vorzeitige Bewegung, die wohl verderbliche Folgen für die Schlacht haben kann." Der Kaiser ließ darauf dem Kürassierkorps Kellermann befehlen , die auf dem Plateau befindliche Reiterei zu
355 unterſtüßen , damit diese nicht von der feindlichen Reiterei zurückgeworfen werde , was nach Lage der Sachen den Verlust der Schlacht herbeigeführt hätte. “ So lautet die erste der auf St. Helena diktirten Erzählungen. * ) Den Marschall Ney trifft hiernach die Verantwortlichkeit für die erste Verwendung der Reservereiterei allein und auf die bestimmteste Weise ; es wird dem noch beigefügt : Der Kaiser bezeichnet als die Hauptursachen des Verlustes der Schlacht bei Waterloo theils ..... und theils , daß der Marschall Ney mit der Reiterei zwei Stunden zu früh und troß der wiederholten Befehle des Kaisers angriff. Die zweite Erzählung lautet ganz anders. „Vor zwei Stunden **) hatte General Erlon la Haye genommen und ragte über den ganzen englischen linken und den Bülow'schen rechten Flügel hinaus . Die leichte Reiterei des ersten Korps ( Erlon ) verfolgte feindliche Infanterie auf dem Plateau von la Haye und ward von einer überlegenen feindlichen Reiterei zurückgeworfen. Der Graf Milhaud erstieg darauf mit seinen Kürassieren die Höhe und ließ auch den General Lefebvre- Desnouettes davon benachrichtigen, der darauf zu seiner Unterstützung im Trabe vorging. Es war fünf Uhr ; der Bülow'sche Angriff war in seiner stärksten Entwickelung und weit davon , daß man ihm die Spiße bot , zeigte er immer friſche Truppen, die seine Linie rechts verlängerten . Die englische Reiterei ward von den unerschrockenen Kürassieren und den Jägern der Garde zurückgeworfen ; die Engländer räumten den ganzen Theil des Schlacht= feldes zwischen la Haye Sainte und Mont St. Jean,
*) Campagne de 1815, par Gourgaud, S. 85, 86, 87, 93. **) Diese Worte beziehen sich auf eine vorhergehende Stelle ,,es war Uhr Abends". 23 *
356 auf dem ihr ganzer linker Flügel gestanden hatte und 11 wurden auf dem rechten zusammengedrängt." ,,Bei dem Anblicke dieser glänzenden Attaken ertönten auf dem ganzen Schlachtfelde Siegesrufe. Der Kaiser fagte: "1 Das ist um eine Stunde zu früh ; aber was geschehen ist , muß fortgeführt werden." Er sandte darauf den Kellermann'schen Kürassieren , die immer auf der Linken gestanden , den Befehl, in scharfem Trabe zur Unterstützung der auf dem Plateau fechtenden Reiterei vorzugehen. Der General Bülow bedrohte um diese Zeit Flanke oder Rücken der Armee , aber es kam darauf an, nirgends eine rückgängige Bewegung zu machen und ſich da zu behaupten , wohin die Reiterei , obwohl vorzeitig, vorgedrungen war.“*) Das war die zulegt diftirte und veröffentlichte Lesart. Napoleon hat also damit ſein letztes Wort über diesen Theil der Schlacht gesprochen , und dieses letzte Wort ist eine so vollkommene und unbedingte Rechtfertigung für den Marschall Ney , daß sein Name nicht einmal mehr genannt wird. Die ganze Verantwortlichkeit fällt auf den General Milhaud ; er geht ohne Befehl ins Gefecht, und verwickelt auch die Division Lefebvre - Desnouettes mit hinein. Aber diese ganze Angabe ist auf solche Ungenauig= feiten gestützt , daß sie unmöglich angenommen werden fann . Erlon hat niemals weder die englische Linke noch die Rechte Bülow's überragt ; die leichte Reiterei des erften Korps hat die englisch - holländische Infanterie nicht auf das Plateau über la Haye verfolgt, konnte also auch von einer überlegenen Reiterei nicht herunter geworfen werden und Milhaud konnte nicht durch eine imaginaire Niederlage veranlaßt werden , auf das Plateau zu rücken . Es ist nächstdem festgestellt, daß nicht ein einziger der Angriffe der Reſervereiterei in der Gegend über la Haye geführt ward , sie vielmehr alle links von la Haye Sainte, *) Mémoires, Th . 9 , S. 131 , 132, 133.
357 eine halbe Stunde davon, stattfanden. Es ist auch ein Phanta= fiegebilde, daß ,,die Engländer den ganzenTheil des Schlachtfeldes zwischen laHaye Sainte und Mont St. Jean, auf dem ihr ganzer linker Flügel gestanden, geräumt hätten und auf den rechten zusammengedrängt worden wären ." Der linke Flügel verließ zu keiner Zeit die Stellung , die er von Anfang an eingenommen und alle unsere Angriffe mit der Reservereiterei trafen auf den Raum zwischen den Chauffeen von Charleroy und Nivelles nach Brüssel. Es ist auch zu bemerken , daß Napoleon in seiner ersten Darstellung sich auf die Angabe beschränkte , daß die Milhaud'schen Kürassiere ,,mehrere englische Karrés zum Rückzuge und einen Theil ihrer Batterien zum Schweigen" zwangen. General Milhaud ist also von Napoleon mit Unrecht beschuldigt worden . Der Gefangene von St. Helena hätte besser gethan , die Beschuldigungen , die er vorher in so bestimmter Weise gegen den Marschall Ney er= hoben und dann vollständig aufgegeben hatte , nicht wieder vorzubringen und auf Milhaud zu schieben. Wir halten dafür , daß der Angriff des Plateaus durch unsere Reiterei auf Napoleons eigenen Befehl ſtatt= gefunden , der die rückgängige Bewegung der ersten Linie Wellington's zur besseren Deckung vor unserem Artillerie= feuer für den Beginn des Rückzugs ansah. Das wird dadurch noch wahrscheinlicher, daß Napoleon den Angriff aufhalten konnte und nicht aufhielt.
Diese ganze Epoche bietet zwei sehr geschiedene Momente dar und nicht einen einzigen , wie man nach den Darstellungen von St. Helena glauben möchte. Im ersten Moment erstiegen Milhaud und LefebvreDesnouettes das Plateau , führen daselbst während einer Stunde mehrere Angriffe aus und gehen , nachdem dieselben troß ihrer Anstrengungen mißglückt , wieder vom Plateau herunter. Im zweiten Moment steigen sie aber=
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mals hinauf, werden daselbst von Kellermann und Guyot * ) verstärkt, und die ganze Masse der Reiterei schlägt sich zwei Stunden lang mit größter Tapferkeit ; darauf müſſen sie abermals zurückgehen , geschmolzen , zerrissen , erschöpft. In dem Zeitraume zwischen diesen beiden Momenten ist es also möglich gewesen , den Angriff auf das Pla= Ein Befehl teau aufzuhalten , wie wir oben sagten. hätte Das bewirkt. Diesen Befehl hat aber Napoleon nicht gegeben , und es scheint uns unmöglich , daraus etwas Anderes zu schließen, als daß diese Angriffe mit feinen Ansichten übereinstimmten , daß sie auf seinen Befehl unternommen und mit seiner Zustimmung weiter geführt wurden. Das Unglück oder der Fehler lag nicht darin , daß ſie unternommen wurden , sondern darin , daß sie nicht durch Infanterie unterstützt wurden .
* In seiner Darstellung hat Napoleon vorgegeben, er hätte die Division Guyot in Reserve behalten wollen , sie sei aber ohne Befehl, „ von dem Verhängniß des Tages getrieben ", der Bewegung Kellermann's gefolgt , ohne daß man sie hätte aufhalten können. Aber das Verhängniß ist hier wiederum am unrechten Orte in Szene gesetzt. Guyot hat der napoleonischen Versicherung widersprochen, und bestätigt , daß er von Nachmittags 3 Uhr ab dem Marschall Ney zur Verfügung gestellt war. (Victoires et conquêtes etc. Th. 24.) Man kann es nicht glauben. Es giebt aber eine Thatsache , welche die Darstellung Napoleons widerlegt ; wir haben sie erwähnt und kommen hier auf sie zurück. Die Karabiniersbrigade des Kellermann'schen Korps ward zuerst von Kellermann selbst in Reserve gelaffen und kam viel später als die anderen drei Brigaden des Korps und als die Division Guyot in's Gefecht , erst , nachdem der Marschall Ney sie vorwärts beorderte. Aber Napoleon hat auch diese Vorbewegung nicht gehindert, und er hätte sie hindern können, wenn er sich eine Reiter-Reserve hätte aufsparen wollen , wie er angiebt. Die Karabiniersbrigade war 850 Pferde stark, also wohlbemerkt bis auf 200 oder 300 Pferde der Division Guyot, soweit diese auf dem Plateau focht, gleich; der andere Theil dieser Division war als Eskorteschwadron im Dienst bei Napoleon.
359 Sobald sich Napoleon , sehr zur Unzeit , entschlossen hatte, den Angriff des linken Flügels aufzugeben und die Hauptanstrengungen gegen das Zentrum zu richten, mußte er sie rasch in's Werk seßen. Er mußte ohne Zaudern die Reiterei Ney's mit der ganzen Infanterie der alten Garde unterstüßen, 50 Geschüße vorrücken und Lobau mit der jungen Garde es überlassen, die Preußen so lange aufzuhalten, als es eben möglich war. Es wäre Dies , darüber ist kein Zweifel , ein ernſtes und gefahrvolles Unternehmen gewesen ; es war aber das einzige , das etwas Aussicht auf Erfolge bot, und je mehr es aufgeschoben wurde, desto geringer wurden dieſe ohnehin sehr schwachen Aussichten und desto größer wuchs die Gefahr. Nach 3 oder 4 Uhr kam es darauf an, bei Plancenoit Biel zu wagen , als das einzige noch übrige Mittel, auf dem Plateau Viel zu gewinnen und den Sieg davon zu tragen. Napoleon hat das Gegentheil aufgeſtellt. In seinen beiden Darstellungen hat er die Angriffe auf das Plateau ,,als um eine, auch zwei Stunden zu früh " angegeben ; er fügt Dem noch bei , daß sein Plan gewesen sei, ste mit 100 Geschützen und den 16 Ba= taillonen alter Garde zu unterstüßen *). Er giebt ihre Zeit übrigens als 5 Uhr an **). Nach seiner Rechnung hätte er denn diese Angriffe um 6 oder 7 Uhr unternehmen sollen ; aber weder um 6 noch um 7 Uhr hatte er eine solche Infanterie noch zur Verfügung , von der Artilleriemasse gar nicht zu reden. Er hatte also Zeit und Streitmittel falsch berech= net, und seine Rechnung mußte falsch sein von dem *) Memoiren, Th. 9. **) Der Angriff auf das Plateau begann um 4 Uhr. Das ist durch alle fremdländischen Berichte festgestellt ; Einige setzen ihn selbst auf vor 4 Uhr. Napoleon sagt auch an einer andern Stelle seiner Memoiren „ der Angriff der Reiterei , um 4 Uhr Abends , ist etwas zu zeitig unternommen worden ". Mem. Th. 8, S. 202.
360 Augenblicke an , wo er den Angriff auf das Zentrum verschieben wollte,,,bis er den Ausgang der Bülow'schen Unternehmung übersehen könne." Etwa gegen 7 Ühr glaubte er diesen Ausgang zu übersehen und irrte sich abermals. Wenn Napoleon aber auch um diese Zeit noch die ganze alte Garde zur Verfügung gehabt hätte und die Reserve-Reiterei noch nicht in Gefahr gewesen wäre, so würde es doch nicht mehr an der Zeit geweſen sein , das englisch-holländische Zentrum anzugreifen. Denn wenn dasselbe bis 7 Uhr noch nicht erschüttert worden, dann war es um diese Zeit auch noch in der Verfaſſung, einen langen Widerstand zu leisten , und nächstdem waren Ziethen und Pirch I. um diese Zeit im Begriff in die Linie einzurücken . Um sieben Uhr blieb nun noch Etwas zu thun : den Rückzug anzutreten. Es war sogar schon sehr spät dazu. Napoleon gewahrte Dies nicht , und dieser Mangel an Verständniß der Lage führte ihn zu dem letzten Fehler, der dann den abgeschlagenen Angriff in eine Niederlage verwandelte. Napoleon blieb hartnäckig bei der Ueberzeugung, daß das Bülow'sche Korps das einzige sei , welches von der Blücher'schen Armee hatte zur Unterstützung der engliſch = holländischen Armee entfendet werden können , daß Wellington keine Reserve mehr habe , und so haschte er noch nach dem Siege, als es sich bereits darum handelte, der Auflösung vorzubeugen. · Anstatt sich zu begnügen , die Reserve-Reiterei, die noch auf dem Hange stand , aus dem Gefechte zu bringen und schleunigst auf der ganzen Linie von Goumont bis Smohain und Plancenoit den Rückzug anzutreten, ließ er 6 Bataillone der Garde, 3000 Mann , gegen das englisch-holländische Zentrum vorrücken und befahl ihnen, dasselbe nachdrücklichst anzugreifen. Der Angriff, der mit dem äußersten Muthe unternommen, aber von unserer erschöpften Reiterei nicht ge= nügend unterſtüßt ward, scheiterte an einer überwältigenden
361 Uebermacht; es gingen dabei die lezten Momente verloren, in denen der Rückzug hätte ausgeführt werden können und sollen. Der große Feldherr weiß nicht nur , den Augenblick zu erfaſſen , in welchem der Sieg zu erringen ist, er weiß auch einen Nachtheil zu ertragen , um eine Niederlage zu vermeiden . Der letzte Fehler Napoleons wird durch einen zweifachen Irrthum erklärt ; nachdem er die preußische Armee für überhaupt nicht im Stande gehalten hatte, auf dem Schlachtfelde von Waterloo mitzuwirken , blieb er hart= näckig bei der Ansicht, daß von ihr nur das Bülow'sche Korps zur Verwendung kommen könnte; dann erkannte er nicht, daß Wellington um 7 Uhr Abends noch immer eine starke Reserve hatte. Aber nächstdem ist es höchst wahrscheinlich, daß seine persönliche Stellung ihn dazu bewog, selbst dann noch um den Sieg zu ringen , als derselbe Plan unmöglich geworden war. Wenn er geschwächt au materieller Kraft und mora= lischem Ansehen nach Frankreich zurückkehrte , so lief er Gefahr vom Throne gestürzt zu werden. Seine schwan= kende Stellung forderte einen Sieg, und unter der Herr= schaft dieses egoistischen Grundgedankens verbiß er sich in einen Kampf gegen das Glück und spielte seinen leßten Soldaten aus , wie der unglückliche und ruinirte Spieler ſein leztes Goldſtück auf den grünen Haſardtiſch wirft. Wir haben also gesehen , daß an dem beweinenswerthen Tage von Waterloo Fehler begangen wurden, deren Zahl und Folgenschwere vollkommen ausreichen, den Zusammensturz zu erklären , ohne daß man nöthig hätte, zu dieser Erklärung das geheimnißvolle Walten des Schicksals herbeizurufen . Diese Fehler lassen sich in wenig Worten resumiren : Die Schlacht ging vier Stunden später an , als sie follte.
362 Der Angriff auf Goumont , der nur ein Scheinangriff sein sollte , ward wie ein Hauptangriff geführt und verbrauchte ohne entsprechende Gegenwirkung einen großen Theil der Infanterie, die dann zur Unterstützung der Reserve-Reiterei fehlte. Die Anordnungen zu dem erwähnten Angriffe, ebenso wie zu denen auf la Haye Sainte, Papelotte und la Hahe waren ohne alle Umsicht getroffen . Der Angriff auf Wellington's linken Flügel ward in einer mangelhaften Formation und ohne bereitgehaltene Unterstützung durch Reiterei ausgeführt ; man gab ihn auf, anstatt ihn mit Hilfe der Reserven zu erneuern . Anstatt die Lasne - Defileen zu beseßen ward Bülow diesseits des Pariser Holzes erwartet. Der Angriff auf das Zentrum erfolgte ohne genügende Vorbereitung durch Artillerie und die angreifende Reiteri ward nicht von Infanterie unterstützt. Derselbe Angriff ward dann von Infanterie allein wiederholt , da die Reiterei , welche hätte mitwirken sollen, durch einen dreistündigen Kampf erschöpft war. Endlich sette man sich der Niederlage aus und erlitt fie, weil der Kampf noch fortgesetzt wurde, als schon der Sieg, trotz der Tapferkeit unserer Soldaten, unmög= lich geworden und es höchste Zeit war , den Rückzug anzutreten. Napoleon war krank. Er litt an zwei Uebeln, von denen namentlich Eines ihm das Reiten sehr beschwerlich machte ; er blieb fast den ganzen Tag abgesessen , sah wenig selbst oder sah falsch und war oft genöthigt , den Fortgang der Dinge blos nach Meldungen zu beurtheilen , die ihn mehr als Ein Mal irre führen konnten. Er zeigte hier nicht die stoische Energie des alten Blücher, der auch leidend war , aber doch zwölf Stunden zu Pferde blieb, ohne abzusitzen. Wäre er kräftig und thätig wie ehemals gewesen, so würde er dem Gange der Dinge unmittelbar gefolgt ſein; er hätte diese oder jene Bewegung besser yor-
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bereiten oder ausführen lassen oder rechtzeitiger angeordnet ; Das ist gewiß. Eben so gewiß ist aber auch , daß er selbst bei besserem Gesundheitszustande das Einrücken Bülow's , Ziethen's und Pirch I. auf dem Schlachtfelde nicht vorhergesehen hätte, und es auch in der Wirklichfeit nicht vorhergesehen hat, auf welchem er schon gegen eine der feinigen gleich starke Armee zu kämpfen hatte. Er war von der Auflösung der preußischen Armee zu sehr überzeugt , als daß er hätte die Möglichkeit einer solchen Vereinigung aller Kräfte zugeben können . Und diese Vereinigung war die hervorragende Hauptursache des Zusammensturzes ; denn wie wichtig auch alle die vorerwähnten Fehler waren , sie hätten sich ausgleichen lassen , wenn Blücher nicht gekommen wäre. Wenn man den Angriff, den Napoleon lediglich von seinem Standpunkte aus betrachtet , d. h. also , ohne die Wahrscheinlichkeit der preußischen Mitwirkung in Rechnung zu ziehen, so muß man ihn als vortrefflich und von nachhaltiger Kraft erkennen. Er weist auf einen Heerführer hin , dem die großen Unternehmungen des Krieges geläufig sind ; er besteht vor der Kritik. Sobald man aber diese Mitwirkung zuläßt , ist er sofort seiner Grundlage entrückt und nicht mehr ausführbar. Auch scheint es , als ob die Führung der Schlacht auf französischer Seite mit dem Erscheinen Bülow's sich gewissermaßen dem Strome des Zufalls überlassen hätte. Die Bewegungen folgen hier zu spät auf einander , dort überſtürzen sie sich, sie werden unzusammenhängend, übel vorbereitet, unvollständig und schlecht ausgeführt. Soldaten und Offiziere wetteifern in Standhaftigkeit, Unerschrockenheit und Heldenmuth, aber die Mittel ent= sprachen dem Ziele nicht mehr. Man könnte sagen, daß der Heerführer das Gefühl seiner Ohnmacht hat , daß er nur noch auf unvorhergesehene Glücksfälle rechnet, um Er ge= den Schwierigkeiten der Lage Herr zu werden. traut fich's nicht , einen großen Schlag zu führen , als ihm dieser vielleicht noch einen Sieg bringen konnte, und
364 entschließt sich nicht zum Rückzuge , so lange er noch möglich ist. Dann geschieht das Unerwartete und das Eingreifen Ziethen's und Pirch I. entscheidet eine der entsetzlichsten Niederlagen. Napoleon seinerseits lehnt die beiden Hauptfehler seines ganzen Kalkuls, nämlich, daß er zuerst die Mitwirkung der Preußen gar nicht in Rechnung gezogen, und dann , daß er beim Erscheinen Bülow's nicht auch auf das Erscheinen weiterer Kräfte Rücksicht genommen. diese beiden Fehler lehnt Napoleon von sich ab. Wenn man ihn hört oder seinen Lobrednern glauben will , so konnte und durfte er irgend eine Mithilfe Blücher's gar nicht voraussehen , denn er konnte und mußte mit voller Sicherheit darauf rechnen , daß Grouchh mit seinen Kräften jedwede derartige Mitwirkung verhindere. Grouchy hat sie nicht verhindert; also war er schuldig und nicht Napoleon. ""Sein Benehmen war eben so wenig vorherzusehen, als ein Erdbeben, das seine Armee unterwegs verschlungen hätte." *) Das Echo hat diese Worte in der Welt wiederhallen lassen. Sind es Worte der Unpartheilichkeit und der Gerechtigkeit? Die Darstellung und die Prüfung der Thatsachen werden uns darüber Aufschluß geben.
*) Memoiren, Th. 9.
Vierzehntes Kapitel.
Der 18. Juni. - Wavre. - Grouchy kennt in den ersten Morgenstunden die von der preußischen Armee eingeschlagene Er hält das Projekt, nach Sart-lezRichtung noch nicht. Walhain zu marſchiren, aufrecht. -- Ursachen seines EntschlusMarsch von Erzelmans , Vandamme und Gérard nach ſes. Sart-lez-Walhain , von Pajol und Teste nach Grand-Leez . Grouchy eilt den Truppen voraus und trifft in Sart-lez-Walhain ein. - Er erfährt, daß die gesammte preußische Armee bei Wavre übernachtet hat. -- Er beschließt, seine Bewegung dorthin fortzusetzen. - Meldung davon an Napoleon . - Gegen Mittag wird die Kanonade von Waterloo hörbar. Nath Gérard's, von Grouchy abgelehnt. - Marsch nach Wavre. Bewegungen der preußischen Armee. 19 Angriff auf Wavre, gegen 4 Uhr. - Grouchy erhält die erste Depesche Napoleons, vom Schlachtfelde von Waterloo datirt. - Nach dreistündigem fruchtlosen Gefechte und nachdem auch die zweite Ordre Napoleons, vom Schlachtfelde von Waterloo, eingetroffen, entschließt sich Grouchy , die Dyle bei Limal zu überschreiten. Das Unternehmen gelingt. - Das Gefecht vorwärts Limal und bei Wavre endet erst gegen 11 Uhr. - Stellungen Grouchy's und der Preußen . Wie wir schon erwähnt haben , standen unter den Befehlen Grouchy's das Korps Vandamme, von dem die leichte Division Domon abgezweigt und von Napoleon
366 mit nach Waterloo genommen worden war , das Korps Gérard, die schwache Infanterie, Division Teste , vom Lobau'schen Korps , das Dragonerkorps Erzelmans und das leichte Korps Pajol , das durch den Abgang der Division Subervie auf die Diviſion Soult reduzirt war : in Allem 33,319 Mann , von denen etwa 5000 Mann Reiterei, mit 96 Geschüßen. Am 17. Abends , bei Einbruch der Nacht war , wie wir gleichfalls früher erwähnten , fast die ganze Maſſe dieser Truppen bei Gembloux. Gérard ſtand diesſeits, Vandamme etwas jenseits des Ortes, vor ihm, bei Sauvenière , Erzelmans , der wiederum 6 Schwadronen nach Sart-lez-Walhain und 3 Schwadronen nach Perwez ent= fendet hatte. Pajol und Teste dagegen standen um dieſe Zeit an 2 Stunden rückwärts von Gembloux, in Mazy, an der Straße von Charleroh nach Namur. Die Depesche, welche Grouchh an demselben Abend wir haben um 10 Uhr an Napoleon richtete, beweist es mehrfach erwähnt daß er um diese Zeit noch in voller Ungewißheit über die Richtung war, welche von der Hauptmaſſe der preußischen Armee eingeschlagen wor= den war; er wußte nicht , gingen sie über Wavre oder über Perwez *) , einem Dorfe , über 2 Stunden östlich der Linie von Gembloux nach Wavre, nahe bei der Chaussee von Namur nach Löwen und noch näher der Römerstraße, die nach Tongres und Mastricht geht. Aus Veranlassung dieser Zweifel hatte er beschlossen, nach Sart-lez-Walhain zu rücken, das ist also : eine mittlere Richtung zwischen Wavre und Mastricht anzuneh= men. Vandamme erhielt Befehl, früh 6 Uhr nach Sart*) Wenn die Masse der Preußen über Wavre geht, werde ich ihnen in dieser Richtung folgen ... wenn aber meine Erkundigungen beweisen , daß der Haupttheil der preußischen Macht über Perwez gegangen ist , werde ich in dieser Richtung weiter verfolgen. (Schreiben Grouchy's an Napoleon , d. d. Gembloux, 17. Juni, 10 Uhr Abends. Vergl. Seite 237.
367 lez-Walhain abzumarfchiren ; Erzelmans hatte ihm vor= auszugehen, Gérard ihm zu folgen. Pajol und Teste sollten ihren Bivouak um 5 Uhr aufheben, nach GrandLeez rücken und daselbst neue Befehle erwarten. *) GrandLeez liegt 1 Stunde östlich von Sauvenière . Von Sart-lez-Walhain aus gedachte Grouchh seine Bewegung in der einen oder in der andern Richtung fortzusetzen, je nach den Nachrichten , die ihm zugehen. würden. ,,Ich bitte Sie, hatte er Vandamme wiederholt, mit Ihrem Korps über Sart-lez-Walhain hinauszurücken , so daß Gérard mit seinem Korps diesseits bleiben kann. Ich denke , daß wir noch weiter , als bis zu dieſem Dorfe marschiren werden ; es wird sich also mehr um einen Halt, als um eine Stellung handeln. “ **) Am 18. Juni früh 2 Uhr war Grouchy immer noch in der alten Ungewißheit über die Marschrichtung der Preußen . Er meldete Napoleon seinen nach Sart-lezWalhain gerichteten Marsch und blieb bei dem Entschluſſe, die Truppen erst um 6 Uhr von Gembloux abrücken zu laſſen. Das war ein unnüßer Verlust an kostbarer Zeit. Eine seiner lebhaftesten Befürchtungen ging dahin, wie er sagt , daß er durch eine falsche Bewegung Blücher Raum zu einem Offensivstoße gegen die französische Operationslinie geben könne ; diese Befürchtung sei um so *) Schreiben Grouchy's an Vandamme , d. d . Gembloux, 17. Juni. (Im Archiv des Depot de la Guerre zu Paris .) Das Schreiben ist bis jetzt nicht veröffentlicht worden und enthält Aufschluß über einen bis jetzt sehr lebhaft bestrittenen Punkt in der Bewegung Grouchy's am 18. Juni, nämlich über die Stunde des Aufbruchs von Gembloux. Es steht ferner darin : General Pajol hat Befehl, nach Grand-Leez zu rücken, wo er seine fernerweite Marschrichtung , der von uns anzuneh menden entsprechend, angewiesen erhalten wird . **) Zweites Schreiben Grouchy's an Vandamme, aus Gembloux, 17. Juni, im Archive des Depot de la Guerre zu Paris befindlich.
368 lebhafter gewesen , je schwächer er sich der Zahl nach wußte, die Befürchtung war gerechtfertigt, durfte ihn aber nicht so lange an Gembloux fesseln . Aengstlich und unentschlossen, stieg Grouchh zeitig zu Pferde , um sich nach Sart-lez-Walhain vorzubegeben. Dort hoffte er endlich genaue Nachrichten über den Marsch der Preußen zu erhalten. Erzelmans marschirte trotz des erhaltenen Befehls, der um 6 Uhr sagte , erst um 7 Uhr ab ; Vandamme folgte ihm ; Gérard trat erst um 8 Uhr seinen Marsch an; *) die Reiterdivision desselben deckte den Marsch in der linken Flanke. Sie ward jetzt vom Maréchal de Camp Vallin befehligt , der den bei Ligny verwundeten General Maurin erseßte. Erzelmans marschirte nicht allzu langſam. Die Korps Vandamme und Gérard aber kamen gar nicht vorwärts. Sie marschirten mit einer starken Artillerie auf Nebenwegen , die durch den Marsch der Korps Thielemann und Bülow und durch den Regen verdorben waren, durch kothige Felder mit hohem Getraide; von Hecken durchzogen , in einem wechselnden Terrain , in dem die Defileen zu langem und öfterem Halten nöthigten ; der Marsch war beschwerlich und ging um so langsamer, als in Folge einer befremdlichen Anordnung das Ganze Eine große Kolonne bildete. **) Während dieser mühseligen Bewegung kam Groucht nach Sart-lez-Walhain.
*) Der Befehl Gérard's an sein Armeekorps ist veröffentlicht worden ; er setzt den Abmarsch auf 8 Uhr fest. **) ,Dieser Marsch wurde durch die außerordentlich schlechten Nebenwege äußerst beschwerlich und langsam , zumal das 3. Korps uns zu vielen Halten nöthigte , wie das immer vorkommt, wenn viele Defileen da sind und eine Kolonne so lang ist, als die vor ung“ Rapport des Generals Hulot. (Quelques Documents etc.) Die Division Hulot marschirte am 18. Juni an der Spize des 4. Korps..
369 Er hatte dort genau erfahren , daß die preußische Armee in der verflossenen Nacht bei Wavre vereinigt gewesen sei. Aber war sie noch dort, oder hatte sie sich schon in Bewegung gesetzt , um sich mit den Engländern zu vereinigen , entweder nach rechts hin oder indem sie gegen Brüssel oder Löwen zurückging ? Darüber war nichts Bestimmtes zu vernehmen , und man wußte eben so wenig, ob die englisch-holländische Armee vor dem Soigner Walde stehen geblieben war , oder ob sie ihn bei Fortsetzung ihres Rückzugs schon durchschritten hätte. Die Richtung nach Lüttich konnte man aufgeben ; Das war schon ein großer Gewinn , aber es blieb auch noch ein ungeheures Feld übrig , auf dem man im Finſtern tappte. Nach den Aufklärungen, die er erhielt, glaubte Grouchh den Marsch nach Wavre mit allen seinen Kräften fortsehen zu müssen , und als Erzelmans in Sart-lez -Walhain erschien, ließ er ihn umkehren und nordwestlich über Nil-Saint-Vincent und la Baraque weiter marschiren. Etwas später erhielt Vandamme denselben Befehl. Bajol und Teste , die um 5 Uhr von Mazh abmar= fchirt waren, hatten jezt beinahe Grand-Leez erreicht und erhielten Befehl, nach Tourinnes -les-Ourdons weiter zu marschiren. Grouchh meldete darauf seine Lage und die von ihm getroffenen Anordnungen. Oberstleutnant De la Fresnahe wurde mit der betreffenden Depesche abgesendet. Es war etwa 11 Uhr oder wenig später. *) Gérard war feinen Truppen vorausgeeilt und traf jezt beim Marschall ein. Er fand ihn im Hause eines Notars, Hollaert, beim Frühstücke und war seit wenig
*) Im Augenblicke meines Abganges wurde eine Kanonade gehört, die jedoch nicht das Ansehen einer allgemeinen Schlacht hatte; ich nahm meine Richtung nach der Kanonade zu" 2C. (Schreiben des Oberstleutnant De la Fresnaye an den Marschall Grouchy - Fragments historiques etc. par Gourgaud, Paris 1829. 24 Charras, Waterloo .
370 Augenblicken mit ihm im Gespräch, als der Oberst Simon Lorrière, *) Chef des Generalstabes beim 4. Korps, ihn benachrichtigte, daß man in dem anstoßenden Garten den Schall einer aus Westen herüberhallenden Kanonade vernähme. Der Marschall und Gérard verließen sofort das Haus und traten in einen Pavillon, der im Garten auf einem kleinen Hügel stand. Die Generale Balthus, Artilleriekommandant und Valazé, Ingenieur-Kommandant bei Gérard, so wie einige andere Offiziere kamen gleichfalls dorthin und lauschten schweigend dem Kanonenfeuer, das Simon Lorrière's Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein feiner Regen ging nieder; der Hall war nur schwach ; um ihn besser zu vernehmen , legten sich einige Offiziere mit dem Ohre an die Erde. Nach einer kurzen Frist hörte der Regen auf , die Wolken erhoben sich und das Feuer ward deutlicher ; plöglich und mit Einem Male brach aber eine solche Kanonade los , daß der Erdboden so zu sagen zitterte. Es war kein Zweifel mehr , Das war der Hall eines heftigen Feuers. Der Notar Hollaert und die Führer bezeichneten auf Befragen die Gegend von Mont St. Jean als die ihres Ursprunges . Es war 12 Uhr oder wenig weiter. **) Gérard trat mit dem Vorschlage auf, nach dem Eine große Schlacht, sagte er, Feuer zu marschiren. wird am Eingange des Soigne'r Waldes geliefert; es muß sofort abmarschirt werden , um daran Theil zu nehmen. Seine Infanterie kam in Sart = lez =Walhain_an;
*) Simon Lorrière war an die Stelle des Maréchal de Camp St. Rémy getreten, der kurz vor der Schlacht bei Ligny bei einer Rekognoszirung schwer verwundet worden war. **) Denn es war etwa 12 Uhr oder wenig später, als das Feuer der Geschüßmasse des rechten Flügels, 78 Stück, begann ; bis dahin waren in der Gegend von Goumont beiderseits nur wenige Geſchüße in Thätigkeit .
371 Vandamme war etwas weiter , bei Nil-Saint-Vincent ; Erzelmans jenseits ; Pajol und Teste rückten gegen Tou= rinnes. Gérard schlug vor , die Reiter-Division Vallin fofort nach den Brücken von Mousty und Ottignies zu senden, alle Kolonnen links abschwenken und dort über die Dyle gehen zu lassen, Pajol und Teste dagegen auf Wavre vorzuschieben , sie auf dem rechten Dyle-Ufer zu laffen und durch sie die ganze Bewegung zu verdecken. Sobald Vallin die Dyle überschritten , hätte er Refognoszirungen sowohl in der Richtung des Feuers , als auf dem Plateau zwischen Chapelle St. Lambert und Wavre *) zu entfenden, um Nachrichten von den Preußen einzuziehen. Durch diese Bewegung mußte die Verbindung mit Napoleon sehr bald hergestellt werden, der jezt im Kampfe stand ; die Grouchy'sche Kolonne kam mit jedem Schritte der Hauptkolonne näher. Man wußte die preußische Armee bei Wavre fon= zentrirt. Es war nicht mehr wahrscheinlich, daß sie dort geblieben sein könne und noch weniger , daß sie dort unbeweglich bleiben würde. Aber wenn man troßdem nach dem Ueberschreiten der Dyle vernähme, daß sie noch dort stünde, so würde man sie auf dem linken Flußufer angreifen und dadurch ihre Stellung umgehen , was unendlich viel besser wäre , als sie in der Front zu fassen. Diese beiden Vortheile würden den bedeutenden Uebelstand aufwiegen , der in der Detaschirung der bei= den schwachen Divisionen Pajol's und Teste wirklich lag. Wenn die preußische Armee dagegen am Morgen von Wavre abgerückt wäre oder jezt abrückte , so zeigte der Wiederhall des Feuers genugsam an , daß sie ihren Marsch gegen Mont St. Jean genommen hätte oder nähme, und dann müſſe man mit diesem Parallelmarsche gegen Napoleon hin sich beeilen, da dieser die beiden ver-
*) Dernières observations etc. par le Gén. Gérard. 24*
372 einigten Armeen Wellingtons und Blüchers gegen sich haben könnte, vielleicht auch schon hätte . Grouchh aber ließ sich von den Gérard'schen Erwägungen nicht überzeugen. Die veränderte Marschrichtung Vandamme's könnte erst um 12 oder 1 Uhr angenommen werden. Die Schlacht schiene am Eingange des Soigne'r Waldes , bei Mont St. Jean geliefert zu werden. Von da bis NilSaint-Vincent, wo Vandamme jezt ist, sind es in gera= der Linie 5 Stunden und auf den Nebenwegen, die man einschlagen muß, vielleicht 64 Stunden oder noch mehr. Gérard , der bei Sart-lez-Walhain stand , war noch 1 Stunde weiter entfernt. Das Zwischenterrain ist bergig und voller Defileen, besonders jenseits Mousth ; die Dyle war nicht watbar und mußte auf 2 engen Brücken überschritten werden. Aus den Schwierigkeiten, die den ge= strigen Marsch verzögert hatten, konnte man schließen, daß das Vandamme'sche Korps , als das vorderste , nicht vor 10 Uhr bei Mont St. Jean eintreffen werde , daß es aber sehr viel später erst dahin gelangen würde, wenn, wie vorauszusehen, die Dyle-Brücken vom Feinde zerstört worden seien. Vor 10 Uhr aber würde die jeßt bereits angefangene Schlacht entschieden sein. Von Wavre nach Mont St. Jean sind kaum 44 Stunden. *) Wenn die preußische Armee Morgens ab= marschirt war, so mußte sich der Einfluß ihres Eintref= fens auf dem Schlachtfelde schon zeigen , und Vandamme und Gérard konnten, jetzt erst von Nil-St. -Vincent und Sart-lez-Walhain abmarschirend , demselben nicht entge= gentreten. Wenn die preußische Armee jetzt erst Wavre verließe, müßte sie vor Sonnenuntergang ihre Vereinigung mit der englisch-holländischen Armee bewirkt haben, und Vandamme und Gérard fönnten noch weniger etwas dagegen thun, denn sie hätte den Vortheil der kürzeren Entfernung, nämlich 2 bis 3 Stunden weniger weit. *) Es sind 34 Stunden in gerader Linie.
373 Der Marschall nahm übrigens gar nicht an, daß die preußische Armee nach Mont St. Jean marschirt sei; seiner Ansicht nach stand sie entweder noch bei Wavre oder zog sich nach ·Brüssel , wenn nicht gar nach Löwen. In dem einen Falle fürchtete er die Gefahren eines lan= gen Flankenmarsches , den sie stören müßte, und in dem andern Falle besorgte er, den Raum zu einem Offensivstoße gegen unsere Verbindungslinien frei zu geben. Napoleon hatte ihn nicht zu sich beordert und that dies noch nicht; er glaubte also auch nicht , zu ihm abrücken zu sollen ; seine Instruktionen lauteten : den Preußen zu folgen, und er wollte dabei bleiben. Gérard dagegen blieb bei seiner Ansicht. Er hielt es für ausgemacht, daß die im Gange befindliche Schlacht die Folge eines zwischen Wellington und Blücher vereinbarten Planes sei , der auf der VerDiese Vereinigung einigung beider Armeen beruhte. hatte schon stattgefunden oder würde vor Ende des Ta= . ges stattfinden , man mußte also sofort nach Mont St. Jean rücken, um die Wirkung dieser Vereinigung so viel als möglich aufzuheben , wenn sie geschehen wäre oder bald geschehen würde, oder um sie zu verhindern , zu verzögern oder wenigstens zu stören, wenn die preußische Armee mit dem Beginne der Bewegung bis zum Losbrechen der Kanonade gezögert hätte. Gérard glaubte, daß weder die schlechten Wege noch die Entfernung verhindern könnten , daß die Kolonnenspißen des Marschalls etwa nach 44 Uhr bei Plancenoit und Frichemont debouchiren würden, wenn Blücher schon bei Wellington eingetroffen sei , oder , wenn Das noch nicht der Fall , und Blücher noch zwischen Dyle und: Lasne im Marsche wäre, daß man ihn dann rechtzeitig angreifen könnte. Gérard hatte, wie man wohl bemerkt, nicht nur den gestrigen Marsch sehr bald vergessen , bei dem er zu 3 Stunden Weges mehr als 6 Stunden Zeit gebraucht hatte, sondern er ließ auch den Marsch dieſes Morgens
374 außer Acht, bei dem er 4 Stunden gebraucht hatte, wäh= rend die Entfernung weniger betrug. Er vergaß ganz, daß das Korps Vandamme's und das seinige 54 und 64 Stunden von Plancenoit und Frichemont entfernt standen , und daß von Wavre aus nach dem ersteren dieser Punkte kaum 44 Stunden und nach dem andern noch weniger weit ist. Die Generale Balthus und Valazé nahmen an der Berathung Theil , *) waren aber nicht übereinstimmend. Der Erstere glaubte nicht , daß die Artillerie einem nur einigermaaßen raschen Marsche der Infanterie zu folgen vermöchte, und fürchtete, dabei sein Material in Gefahr zu bringen , während der Zweite hoffte , daß die Sappeurkompagnien manche Hindernisse wegräumen und manchen Weg herstellen würden . Schon daraus geht hervor , wie langſam der Marſch hätte sein müssen, denn rasch kommt man nicht vorwärts, wenn man sich seinen Weg erst mit Hacke und Schaufel in Stand seßen muß. Grouchy blieb bei seinem Entschluß, alle seine Kräfte Man könnte fast glauben, nach Wavre zu dirigiren. daß er die Ordre von 10 Uhr Morgens errathen habe, in der ihm Napoleon die baldigste Wegnahme dieser Stadt anbefahl. **) Gérard schlug darauf vor , daß der Marschall ihm gestatten möge , mit seinem 4. Korps allein gegen Mont St. Jean abzurücken , während die andern Korps im Marsche gegen Wavre bleiben würden.
*) Die Memoiren von St. Helena bringen hierbei eine ganze Rede Exzelmans : „Nach dem Feuer hin muß marschirt .. Ich bin ein alter Soldat der italienischen Armee" werden .... 2c. Erzelmans war aber um diese Zeit gar nicht in Sartlez-Walhain und hat Grouchh am 18. Juni gar nicht gesehen. Er hat Das selbst in einem Briefe an den Sohn des Marschalls ausgesprochen. Gérard sagte nach denselben Memoiren In zwei Stunden können wir im Feuer stehen." **) Vergl. Seite 276.
375 Das hätte aber sowohl die Haupt-, als die detaſchirte Kolonne in Gefahr gebracht, einzeln geschlagen und aufgerieben zu werden. Der Marschall wies den Vorschlag zurück, und um nun dieſem Quaſi-Kriegsrathe im Gar= ten des Notar Hollaert ein Ende zu machen, stieg er zu Pferde urd sprengte zu seiner Avantgarde, von der aus, jenseits Nil - Saint - Vincent , sich ebenfalls Gefchüßfeuer hören ließ. Wir haben früher schon die Aufstellung der preußischen Armee am 17. Abends in der Gegend von Wavre angegeben. Ziethen und Thielemann standen bei Bierges und la Bawette , auf dem linken Ufer der Dyle; von dem letzteren waren noch eine Division, Borde, und eine Reiter-Brigade auf dem rechten Ufer. Pirch I. und Bülow standen auf dem rechten Ufer, der erstere zwischen St. Anne und Aisemont , der zweite bei der Schenke ToutVent bei Dion-le-Mont ; eine Infanterie-Diviſion_ſtand von Bülow noch bis Vieux Sart , und 2 Bataillone, 4 Schwadronen, 2 Geschüße, unter dem Oberstleutnant Ledebür , hielten die Defileen bei Mont - Saint - Guibert besezt. Reiterpatrouillen streiften zwischen der Dyle und Lasne. Blücher ſandte mit Tagesanbruch, als Grouchh noch unschlüssig in Gembloux verweilte , sein schweres Gepäck nach Löwen zurück und befahl Bülow , nach Chapelle St. Lambert abzumarschiren. Das Korps ward lange durch eine, in Wavre ausgebrochene, heftige Feuersbrunst aufgehalten. Um 11 Uhr verließ der preußische Feldmarschall Wavre und ritt nach Chapelle St. Lambert, von wo aus er die weiteren Bewegungen Bülow's nach Maaßgabe der bei Mont St. Jean vorgehenden Ereignisse anordnen wollte. Die Generale Ziethen , Pirch I. und Thielemann hatten Befehl erhalten , der erstere über Fromont und Genval gegen Ohain, der zweite gegen Chapelle St. Lambert und der dritte gegen Couture- St.-Germain,
376 einem Dorfe am rechten Lasne-Ufer, etwa Stunden von Frichemont, abzumarſchiren. Thielemann sollte zu= lezt erst abmarschiren.
Gegen Mittag begann die Ausführung dieses Be= fehls. Ziethen war im Marsche. Pirch I. stak in dem Seine beiden vorderen Divisionen Wavre'r Defilee. waren beinahe hindurch ; die beiden letzten, Brause und Reckow, *) setten sich eben in Kolonne, um den ersteren zu folgen, als er die Meldung erhielt, daß die Franzofen sich bei Neuve- Sart zeigten. Darauf hin befahl er dem vorderen Theile des Korps, den Marsch fortzusetzen, Er selbst den beiden andern aber, stehen zu bleiben. sprengte nach Neuve-Sart , um zu sehen, was dort vor= ging. EtwaStunde noch von da traf er den Oberſt= leutnant Ledebür im Gefechte mit einer Reiter-Abtheilung, deren linker Flügel sich an den bewaldeten Grund des Pachthofes de la Plaquerie stüßte und deren rechter Es war das Flügel sich gegen Neuve-Sart erstreckte. Erzelmans'sche Korps. Er hatte einige Schwadronen nach Dion - le - Mont entsendet , und war so eben durch Er schien auf die Diviſion Vallin verstärkt worden. Infanterie zu warten , um vorzugehen und die Gehölze dicht hinter la Baraque anzugreifen. Ledebür kam von Mont Saint Guibert; er hatte die dortigen Defileen sehr spät und zwar dann erst ver= laſſen, als er erfuhr , daß Erzelmans' Avantgarde gegen Neuve-Sart herankam , daß er also umgangen und in Gefahr sei, abgeschnitten zu werden. Nichtsdestoweniger hatte er feinen Rückzug fechtend bewerkstelligen können, weil er durch einige Artillerie und die Reiter - Brigade Sohr (vom Korps Pirch I.), so wie durch 8 Schwadronen
*) Reckow hatte die Division Langen's übernommen , der bei Ligny geblieben war.
.
377 vom Bülow'schen Korps unterstützt worden war. * ) Seit zwei Stunden blänkerte er mit Erzelmans . Birch I. sah voraus, daß der Feind bald Infanterie erhalten würde und befahl darum den Diviſionen Brauſe und Recow, Kehrt zu machen und Ledebür entgegen zu gehen. Reckow hatte den einige hundert Metres hinter la Baraque am Wavre'r Wege gelegenen Pachthof l'Auzel und die beiden Hölzer beseßen lassen , zwischen denen er liegt , nämlich das von Warllombrout , das bis an die Dyle reicht und das von Sarats. Brause, in Einem Treffen, sollte in Reserve bleiben. Mit dem Eintreffen Necow's ging Ledebür zurück, ließ seine beiden Bataillone in den Hölzern und stellte seine Reiterei dahinter. Die Division Borcke , vom Thielemann'schen Korps, war noch nicht über die Dyle gerückt und erhielt Befehl, unmittelbar vor Wavre Stellung zu nehmen. General Birch I. übergab nun , nachdem er die er= wähnten Anordnungen getroffen , den Befehl über die gesammte Arrièregarde an den General Brause und begab sich zu den Divisionen seines Korps, die im Marsche nach Chapelle St. Lambert geblieben waren . Gegen 2 Uhr traf Vandamme vor la Baraque ein ; Grouchh kam zu ihm **). Von den Höhen bei la Baraque aus erblickte man auf dem Plateau jenseits der Dyle den Marsch preußischer Kolonnen in der Richtung nach dem Kanonenfeuer, das immer noch von Mont St. Jean herüber dröhnte. Grouchh befahl, daß Vandamme den Pachthof l'Auzel und die benachbarten Gehölze angreife und wegnehme.
*) Diese 8 Schwadronen waren das 1. Schlesische und 2. Pommersche Landwehr -Kavallerie - Regiment. Sie stießen erst nach der Schlacht von Waterloo wieder zu Bülow. **) ,, Erst gegen 2 Uhr kamen wir bei la Baraque_an." Schreiben des Generals Berthezène an den General Gérard. (Dernières Observations etc.)
378 Brause leistete wenig Widerstand. Nach kurzem Gefecht trat er in guter Ordnung den Rückzug an und ward , wie ein preußischer Schriftsteller *) angiebt , wenig gedrängt. Um 4 Uhr hatten seine Diviſion, die Diviſion Reckow und das Detaschement Ledebür die Dyle überschritten , Wavre paſſirt und befanden sich im Marsch gegen Chapelle St. Lambert **). Die Brigade Sohr hatte bei der Mühle von Bierges und die Diviſion Borcke in Basse-Wavre die Dyle überschritten. So standen die Sachen, als Thielemann , der den Bewegungen der Franzosen auf dem rechten Dyle -Ufer wenig Werth beilegte und im Begriff stand , fein Korps nach Blüchers Befehlen gegen Couture - Saint - Germain in Marsch zu ſehen , plößlich bemerkte, daß er diese Bewegung aufgeben müſſe. Das Vandamme'sche Korps nämlich, das bis jetzt von den Gehölzen von Manil und Sainte Anne größtentheils verdeckt worden war , marschirte jetzt in der Nähe des Flusses auf und bereitete einen Angriff auf Wavre vor. Die Artillerie desselben beschoß bereits die Vorstadt. Diese Vorstadt liegt auf dem rechten, die Stadt selbst auf dem linken Ufer der Dyle, über welche zwei Brücken von verschiedener Breite hinweg gehen. Die Dyle ist ein Nebenfluß der Schelde. Gewöhn= lich von geringer Tiefe , war ihr Wasserstand doch jetzt von den Regengüssen so angeschwollen, daß sie nicht wat= bar war. In der Gegend von Wavre fließt sie zwischen zwei parallelen Höhenzügen. Diese Höhen sind auf dem linken Ufer weniger hoch, aber steiler geböscht als auf Vom Fuß der rechtsseitigen Höhen bis dem andern.
*) Wagner. **) Reckow erhielt unterwegs den Befehl Blüchers, gegen Maransart zu rücken , Brause ging von Chapelle St. Lambert gegen Plancenoit , aber keiner von Beiden konnte mehr an der Schlacht von Waterloo Theil nehmen. Ledebür blieb die Nacht in Chapelle St. Lambert stehen.
379 zum Bette der Dyle ist es durchschnittlich einen starken Flintenschuß weit ; dieser Raum besteht aus sumpfigen Wiesen, die mit Bäumen besetzt und parallel mit dem Flusse von Wassergräben durchzogen sind, die voll Waſſer und 1 bis 2 Metres tief waren. Kaum Stunde abwärts von Wavre liegt Basse = Wavre, woselbst eine hölzerne Brücke über die Dyle geht. Aufwärts und mit ähnlichen Brücken versehen liegen die Mühle von Bierges und die Dörfer Limal und Lime= lette. Die Mühle von Bierges wird nordwestlich von der Höhe dominirt, auf der das gleichnamige Dorf liegt, und ist Stunde, Limal 1 Stunde und Limelette Stunde oder noch etwas mehr von Wavre. Keine der Brücken , weder die in Wavre noch die übrigen , waren zerstört , was von mehr Zutrauen als Vorsicht zeugt. Thielemann meldete sofort an Blücher, was vorging, und traf seine Vertheidigungsanordnungen . Die Division Stülpnagel, 9 Bataillone, befeßte das Dorf Bierges und die darunter liegende Mühle. Die Division Kemphen, 6 Bataillone, ſtellte sich auf der Höhe dicht hinter Wavre auf, mit ihrem rechten Flügel gegen Stülpnagel hin ; die Division Lock, 6 Bataillone, stellte sich rittlings der Brüsseler Straße auf, mit dem rechten Flügel gegen Kemphen. Borcke hatte, als er die Dyle überschritt , die Vorſtadt von Wavre mit 3 Bataillonen und 2 Schwadronen beſeßt, die daselbst stehen blieben. In Basse - Wavre blieben gleichfalls einige hundert Mann von ihm stehen. Borcke selbst aber marschirte mit den übrigen 6 Bataillonen seiner Division in der Richtung von Couture - SaintGermain ab. Thielemann befahl ihm, feinen Marſch fortzuſeßen *).
*) Wir folgen hier den Angaben Wagners. Damitz ſagt, daß Borcke mit seiner ganzen Division bei Wavre bleiben sollte, in Folge eines Mißverſtändniſſes bei der Ueberbringung des Befehles aber abmarſchirte. Tas erscheint wenig glaubhaft.
380 Limal und Limelette waren von 3 Bataillonen und 3 Schwadronen beobachtet , die Ziethen von seiner Arrièregarde dorhin detaschirt hatte , als er den Bivouak bei Vierges gegen Mittag verließ. Als Grouchh vor Wavre ankam , erhielt er das Schreiben von 10 Uhr Morgens , worin ihm Napoleon mittheilte, daß er im Begriff stehe , der englisch -holländischen Armee eine Schlacht zu liefern und ihm befahl, ,,ſeine Bewegungen gegen Wavre zu richten"*). Er schloß daraus, daß der Angriff, den er vorhatte, dem Oberkommandanten recht sein würde und beschleunigte nunmehr die Ausführung. Vandamme stand mit dem rechten Flügel Wavre, mit dem linken Bierges gegenüber. Um 4 Uhr, wie erwähnt, eröffnete seine Artillerie ihr Feuer gegen die Vorstadt. Wenig später begann auch das Feuer gegen die Mühle von Bierges. Excelmans stand rückwärts von Vandamme und wartete darauf, daß die Infanterie ihm Bahn breche. Eins seiner Regimenter rekognoszirte bis gegen die Chauffee von Namur nach Löwen. Die Avantgarden-Diviſion Gérard's, Hulot, erreichte die Höhen, auf denen Vandamme's linker Flügel stand; die Reiter-Division Vallin beobachtete Limal und Limelette. Pajol und Teste, die schon Befehl erhalten hatten, sich von Tourinnes heranzuziehen , sollten ihren Marſch beschleunigen und gegen Limal rücken. Der Oberst Zepelin konnte erst , als er schon die vordersten Truppen Vandamme's auf den Höhen erblickte, feine Vertheidigungsanstalten beginnen . Er ließ eilig die Brücken verrammeln , Krenaux in die Häuser und Gartenmauern der Vorstadt einschneiden und seßte dieſe ſeine Arbeit noch unter dem Feuer zweier Batterien fort, von
Se. Majestät wünscht, daß Sie Ihre Bewegungen gegen Wavre richten .. und daß Sie ehemöglichst dort anzukommen suchen. Vergl. das Schreiben S. 276 .
381 denen eine 12pfündig war ; ja seine Soldaten arbeiteten noch, als die Division Habert den Angriff eröffnete. Die Vorstadt ward mit großer Kraft angegriffen und vertheidigt ; Zepelin erhielt noch ein Bataillon der Division Luck zur Verstärkung und behauptete sich faſt 2 Stunden lang. Endlich ward er geworfen ; Habert zertrümmerte die Barrikaden und ging über beide Brücken troß des von den rückwärtigen Höhen herabkommenden enfilirenden Geschüßfeuers vor. Grouchy hatte befohlen , gleichzeitig mit diesem An= griffe einen gegen Bierges und einen dritten gegen Baſſe= Wavre zu führen. Dieser lettere Punkt ward von einem der Bataillone Haberts mit einiger Artillerie angegriffen, dem 3 Schwa= dronen Excelmans beobachtend zur Seite standen. Einige isolirte Häuser waren genommen worden , das Bataillon konnte aber nicht weiter vordringen und blänkerte jezt erfolglos gegen die Besaßung. Die Mühle von Bierges war von 2 Kompagnien, die von Bataillon unterstüßt wurden, besetzt ; 8 Ge= schüße standen auf dem Hange der unmittelbar dahinter befindlichen Höhe, auf der Stülpnagel mit seiner Division Stellung genommen hatte ; die Angriffe auf die Mühle waren völlig erfolglos gewesen. Die Division Lefol, welche hier gefochten hatte, ward darauf noch auf Grouchy's Befehl durch Truppen der Division Hulot erfeßt, die eben so wenig Erfolg erran = gen. Der unerschrockene Gérard führte sie selbst mit dem Degen in der Hand vor und ward an der Spiße eines Bataillons vom 9. leichten Regiment von einer Flintenkugel schwer verwundet . Seine Truppen wichen. Die Terrainschwierigkeiten in Verbindung mit der Zähigkeit des Feindes hatten darauf alle weitere Bemüh= ungen der Angreifer fruchtlos gemacht. Es war 7 Uhr.
Auf der ganzen Erstreckung von der Bierges-Mühle
382 bis Basse-Wavre ward lebhaft gefochten ; beide Ufer der Dyle waren mit starken Blänkerlinien befeßt. Um diese Zeit erhielt Grouchy die Depesche des Ma= jor-Generals, die vom Schlachtfelde von Waterloo 1 Uhr Nachmittags datirt ist *). In dieser Depesche billigte Napoleon, wie man sich erinnern wird , die Bewegung auf Sart- lez -Walhain , die nach seiner Meinung den Marschall auf Corbais oder Wavre führen mußte , empfahl ihm aber doch, immer in der Richtung von Mont St. Jean sich zu bewegen, theilte ihm das Erscheinen Bülows bei Chapelle St. Lambert mit und fügte darauf bei : ,,Ver= lieren Sie also keinen Augenblick, um sich an uns heranzuziehen und sich an uns anzuschließen und um Bülow zu erbrücken, den Sie bei Ausführung seines Vorhabens überraschen werden“ **). Bülow erdrücken ! Als diese Instruktionen an ihre Bestimmung gelangten , war Bülow schon längst bei Plancenoit und mit seinem Armeekorps im Kampfe mit Lobau, Duhesmes und Morand, und Grouchh war über 4 Stunden davon. Der Marschall entschloß sich zum Besten , was zu thun war und was er hätte schon früher thun sollen —die Dyle oberhalb Bierges zu überschreiten . Die Unternehmung war in doppelter Beziehung vortheilhaft , wenn sie gelang; denn sie umging die vergeblich in der Front angegriffene Stellung und gestattete , weithin zu streifen und die Verbindung mit Napoleon anzuknüpfen. Vandamme erhielt Befehl, die Gérard'ſchen Bataillone vor Bierges abzulösen und das Gefecht von da bis Baſſe= Wavre zu unterhalten. Die drei Infanterie - Diviſionen Gérards , deffen Korpskommando an Vichert übergeben worden war , marschirten links ab, thalaufwärts, bis Limal gegenüber, wo sie im Verein mit der Vallin'ſchen Reiterei den Uebergang erzwingen sollten. *) Rapport Grouchy's an Napoleon, Dinaut, 20. Juni. **) Vergl. das schon angeführte Schreiben, S. 280.
383 Limal und Limelette wurden, wie bereits erwähnt, von 3 Bataillonen und 3 Schwabronen beobachtet , die unter dem Obersten Stengel vom Ziethen'schen Korps detaſchirt worden waren. Die beiden Dylebrücken waren von Holz, also leicht zu zerstören, aber völlig unversehrt. Gegen 8 Uhr oder etwas später kam Vichery vor der Brücke von Limal an, warf rasch ein Bataillon vor und nahm nach kurzem Widerstande die Brücke. Ohne Zeitverlust rückte Vichert mit seinem ganzen Armeekorps nach und debouchirte. Stengel bestrebte sich, den Steilhang zu vertheidigen, der von der Brücke zum Dorfe hinaufführte, ward aber lebhaft zurückgeworfen. Vicherh nahm das Dorf und formirte sich darauf auf der Höhe , die Rechte an die Häuser gestüßt , die Linke durch die Diviſion Vallin gedeckt, in der Richtung von Neuf-Cabaret. Pajol und Teste , die oben eintrafen , schlossen hinter ihm auf. Die ganze Bewegung war der Aufmerksamkeit Thielemanns so vollständig entzogen worden, daß er sie erst aus den Meldungen Stengels , der um Verstärkungen nachsuchte, erfuhr. Es waren darauf sofort 6 Bataillone der Diviſion Stülpnagel , die noch auf der Höhe hinter Bierges stan= den, dann die Reserve-Reiterei unter dem General Hobe, die bisher hinter Wavre geblieben war , dorthin gesendet worden; die Division Kemphen und ein Theil der Division Luck hatten sich rechts zu ziehen. Aber darüber mußte einige Zeit hingehen. Der Tag neigte zum Ende. Vichery hatte eben die Höhen von Limal beseßt , als Stülpnagel vor dem Dorfe eintraf. Stengel ward mit 2 Schwadronen verstärkt und nahm den rechten Flügel ein. 2 Bataillone wurden in Angriffskolonnen formirt, 4 Bataillone dahinter, die Reserve-Reiterei desgleichen , und so rückte nun Stülpnagel vor, um Limal wieder zu nehmen. Die Bewegung schei= terte; seine beiden Angriffskolonnen trafen auf die Division Hulot, die sie beim Ueberschreiten eines Ravins
384 wwww mit einem lebhaften Gewehrfeuer empfing und zurückwarf, wodurch auch die zweite Linie mit fortgerissen wurde ; auf der rechten Seite wurde der Angriff Stengels durch Vallin abgewiesen. Die hereingebrochene Nacht verhinderte, daß Vichert von diesem Erfolge weiteren Nutzen zog. Die Preußen wurden bis in die Höhe des Dorfes Bierges und der Spize des Rirenſarter Holzes zurückgedrängt . Das Gefecht hörte auf dieser Seite erst gegen 11 Uhr auf. Fast eben so lange war es auch auf dem rechten Dyleufer fortgeführt worden , jedoch wurde , nachdem Grouchy das Gérard'sche Korps auf Limal dirigirt hatte, kein Erfolg mehr erlangt. Habert hatte die Vorstadt von Wavre genommen, wie wir sahen, und auf beiden Brücken ein Vorgehen versucht ; er hatte auch einige anstoßende Häuser genommen und sich einige Augenblicke gehalten. Aber er war ziemlich schwer verwundet worden ; seine Truppen wurden in die Vorstadt zurückgeworfen ; der Feind hatte die Brücken wieder barrikadirt und das Gefecht wurde von da ab nur durch ein beiderseitiges Blänfer- und Geschützfeuer von den beiden Dyle - Üfern aus fortgeführt. Die Mühle von Bierges und Baſſe - Wavre waren vom Feinde gehalten worden . Franzosen und Preußen bivouakirten in Flintenschußzweite von einander. Die Reiterei Hobe's stand hinter dem Rixensarter Holze; das Detaschement Stengel in demselben ; Stülpnagel zwischen Stengel und Bierges , dann in dem ge= nannten Dorfe, im Anschlusse an den rechten Flügel von Kemphen, der mit seinem linken bis Wavre reichte; Oberst Zepelin blieb in Wavre; Luck stand mit einem Theile seiner Division in Wavre, mit dem andern dicht dabei, und mit 1 Bataillon in Basse-Wavre. Vandamme ließ eine Abtheilung vor Baſſe -Wavre, hatte den linken Flügel in der Höhe der Mühle von
385 Bierges , stand mit der Hauptmasse seines Korps Wavre gegenüber und hielt die Vorstadt besetzt. Excelmans stand gegen Sainte Anne. Das Gérard'sche Korps , unter Vichery , blieb vor Bierges und dem Rixensarter Holze, in zweiter Linie von ihm Pajol und Teste. Um Mitternacht hatte Grouchh noch keinerlei Nachricht über den Ausgang der Schlacht, die bei Mont St. Jean geliefert worden war. Gegen 8 Uhr war das Rollen des Geschützfeners schwächer geworden ; vor 9 Uhr hatte es aufgehört. Der Westwind brachte nichts mehr als düsteres Schweigen . Thielemann wußte nicht mehr als sein Gegner.
Charras, Waterloo.
25
Fünfzehntes Kapitel.
worin Prüfung der Bewegungen Grouchy's am 18. Juni er gefehlt hat - Grouchy konnte die Niederlage bei Waterloo nicht aufhalten - falsche Versicherungen der Memoiren von St. Helena ihr Gegenstand . Wir haben so eben die Bewegungen des Marschalls Grouchh im Laufe des verhängnißvollen 18. Juni dar= gelegt. Napoleon hat sie , von St. Helena aus, als die ent= scheidende Ursache der Niederlage bei Waterloo bezeichnet, und fast alle französischen , so wie ein Theil der fremd= ländischen Schriftsteller sind seiner Meinung gefolgt. Diese Meinung ist aber irrthümlich. Sie ruht le= diglich auf einer vollständigen Verwirrung der Zeiten, auf angenommenen Thatsachen und Ungenauigkeiten aller Art. Grouchh ist ihr mit Entſchloſſenheit entgegengetreten, aber ist nicht immer weder ganz genau noch ganz aufrichtig gewesen. Wir haben über den 17. Juni die volle Wahrheit ermittelt und dargestellt . Selbst nach den Angaben Gérard's , einen der hartnäckigsten und strengsten Kritiker des Marschalls , ist der Marsch von Ligny und St. Amand nach Gembloux so
387
rasch ausgeführt worden , als es die vorwaltenden UmUnd doch war es Nacht , als die stände gestatteten. Truppen Vandamme's und Gérard's dorthin kamen, nachdem sie nur 34 und 3 Stunden Wegs zurückgelegt hatten. Grouchh ließ sie dort bivouakiren, nicht nur um ihnen einige Ruhe zu geben , sondern auch um die Nachrichten seiner nach Sart - lez- Walhain und Perwez entfendeten Dragoner abzuwarten. Er war damals in der That in einer vollkommenen Ungewißheit über die von der preußischen Hauptmacht eingeschlagene Richtung ; er wußte nicht , ob sie nach Wavre oder nach Lüttich zurückging. Das geht zur vollständigen Genüge aus der um 10 Uhr an Napoleon abgesendeten Depesche und aus den beiden kurz darauf an Vandamme erlassenen Schreiben hervor *) . Auch andern Tages um 2 Uhr früh war Grouchy noch im Unklaren. Die Rekognoszirungen hatten weder von Sart-lez-Walhain noch von Perwez Bestimmtes herbeigebracht. Er meldete wieder an Napoleon und fündigte seine Absicht an, nach dem ersteren der beiden Punkte zu marschiren. Dies war das Erste, was am 18. Juni geschah. Der Text der Depesche , die um 2 Uhr früh von Gembloux abging , ist nicht bekannt ; aber ihr Sinn er= hellt genügend aus einer Stelle in der verspäteten Antwort Napoleons : Grouchh hat sich über die Richtung seines Marsches von Sart-lez-Walhain ab nicht ausge= sprochen ; Napoleon schloß aber nichts desto weniger auf eine Fortseßung in den Richtungen von Corbais oder Wavre, und war damit einverstanden **). Der Schluß *) Vergl. die mehrerwähnte Depesche S. 237 und die Schreiben an Vandamme S. 367. **) Vergl. das Schreiben des Major-Generals vom Schlachtfelde von Waterloo, 18. Juni, 1 Uhr Mittags : „ Sie haben heute früh 2 Uhr dem Kaiser geschrieben, daß Sie auf Sart-lez-Walhain rücken wollten ; Ihre Absicht war also, gegen Corbais oder Wavre zu marschiren. Diese Bewegung stimmt mit den Ihnen mitgetheilten Absichten Sr. Majestät überein 2c.“ 25*
388 war aber gewagt und nur die Ereignisse haben ihn ge= rechtfertigt. Wenn Grouchy in der That entſchloſſen ge= wesen wäre, nach Corbais oder Wavre zu rücken, würde er es ausdrücklich gesagt haben, daß er dorthin marſchiren wolle; er würde dann auch den geraden Weg eingeschlagen und nicht über Sart-lez-Walhain einen Umweg von 1 Stunde gemacht haben. Die Richtung von Gembloux nach dem genannten Dorfe liegt aber zwischen denen von Gembloux nach Wavre und nach Lüttich (Römerstraße). Das ist der Grund , weshalb Grouchh nach Sart-lez-Walhain mar= schirte. Er hoffte vor oder bei seiner Ankunft dort endlich genaue Nachrichten darüber zu erhalten , wohin sich die Hauptmacht der Preußen zurückzöge ; er verschob die Entscheidung darüber , ob er den Marsch von Sart-lezWalhain weiter fortseßen werde, wenn und in welcher Richtung es geschehen würde , bis zum Eintreffen der erhofften Nachrichten. Auch darum hat er nichts weiter an Napoleon geschrieben, als daß er nach dem genannten Dorfe rücken werde. Ohne genaue Nachrichten und unentschlossen , schlug er einen Mittelweg ein. Diese Unentschlossenheit war auch die Ursache der Verzögerungen in dem Abmarsche seiner Truppen, die so lebhaft und mit so viel Recht getadelt worden sind. Vandamme marschirte erst um 7 Uhr ab, statt um 6, wie es Grouchy befohlen hatte. Das ist freilich wahr. Aber der Befehl selbst setzte die Abmarſchzeit viel zu spät. Grouchh hätte es wie Bülow halten und seine Bivouaks mit Tagesanbruch *), d. h. um 3 Uhr aufheben sollen. Die Bewegung nach Sart-lez-Walhain ist schwer ge= tadelt worden. Grouchh hätte nicht dorthin, sondern nach Mousth marschiren sollen. In Gembloux , wohin ihn Napoleon gesendet, war er von dessen Operationslinie *) Am 18. Juni geht die Sonne nach der Brüsseler Sternwarte um 3 Uhr 48 Minuten auf.
389 bereits zu weit entfernt, und kam durch die Richtung nach Sart-lez-Walhain noch weiter davon ab. Und wenn die Preußen in Wavre waren, so führte dieser Anmarsch zu einem Frontalangriffe , während er von Mousth aus gleich auf dem linken Ufer der Dyle vorrücken und sonach die großen Schwierigkeiten vermeiden konnte, welche der Fluß ihm entgegenseßte. Grouchy setzt dieser Kritik seine Instruktionen und die Ungewißheit entgegen , in der er sich über die Richtung der Preußen befand. Er hatte von Napoleon Befehl bekommen, die Preußen zu verfolgen und dieser Befehl war durchaus nicht der Bedingung unterworfen , ſich immer in Gemeinschaft mit der den Engländern auf der Straße von Charleroy nach Brüssel folgenden Armee zu halten und zu einer Mitwirkung bei deren Operation bereit zu sein. Ward denn diese Gemeinschaft und Mitwirkung nicht geradezu unmöglich, wenn die Preußen nach Lüttich zurückgingen ? Im Uebrigen schien Napoleon deren gar nicht zu bedürfen, denn er theilte dem Marschall nicht einmal ſeine Stellung in der Nacht vom 17. zum 18. mit. Grouchy fürchtete, Gelegenheit zu einem Offensivstoße gegen die Hauptverbindungslinie der Armee zu geben, wenn er nach Wavre vorging, ohne vorher sicher zu ſein, daß Blücher nicht nach Lüttich gerückt war. Das ist das Wesentliche der Grouchy'schen Vertheidigung. Seine Gründe sind aber nicht stichhaltig. Seine Instruktionen waren unvollständig und zu unbestimmt. Napoleon hätte ihm ausdrücklich anbefehlen sollen , sich so zu bewegen , daß er niemals aufhöre, sich in seinem Operationsbereiche zu befinden , und jederzeit bereit sei , ihn im Bedarfsfalle zu unterstützen. Das ist wahr. Napoleon hat sehr Unrecht daran gethan, daß er dem Marschall nicht seine Nachtſtellung vom 17. zum 18. und seine Absichten für den nächsten Tag mittheilte ; das ist wieder wahr.
390 Ein Offensivstoß Blüchers gegen unsere Verbindungslinie war keineswegs unmöglich, das ist gar nicht zu be= streiten. Aber das Alles reicht nicht aus, um den Marsch nach Sart-lez=Walhain gegenüber von dem nach Mousty zu rechtfertigen. Da er weder in seinen Instruktionen, noch in sicheren Nachrichten einen Anhalt finden konnte für Das, was zu thun war, so mußte er diesen aus den allgemeinen Verhältnissen abstrahiren. Denn in solchen Lagen ist das Zaudern nicht erlaubt ; man muß bei seinem Gegner Das voraussetzen, was deſſen Charakter und deſſen Intereſſen am meisten entspricht und auf eine derartige Handlungsweise desselben seine eigene gründen. Die Kunst des Heerführers würde eine sehr einfache ſein, wenn er immer nur nach bestimmten Befehlen und genau festgestellten Verhältnissen zu handeln hätte. Alles sprach dafür , daß es für Blücher am vortheil= haftesten sei, wenn er so rasch als möglich sich Wellington nähern und die Preußen mit der englisch - holländischen Armee vereinigen könnte. Seit der Eröffnung der Feindseligkeiten hatten die beiden verbündeten Feldherren nach der Vereinigung gestrebt ; jetzt, wo die eine ihrer beiden Armeen geschlagen war, durften sie am wenigsten darauf verzichten ; die wohlbekannte Thätigkeit, Energie und Kühnheit Blüchers und die eben so bekannte Zähigkeit Welling= tons bürgen dafür , daß ihr Plan so leicht nicht aufge= geben werden würde.
Wenn er gelang, so war Napoleon in Gefahr, von der Macht der beiden vereinigten Armeen erdrückt zu werden. Dem Marschall Grouchh lag es ob, vor allen anderen Dingen dafür zu sorgen , eine solche Katastrophe , die ja das größte Unglück war, das geschehen konnte, nach besten Kräften zu verhindern . Und um Dies zu erreichen, mußte er wiederum so rasch als möglich in eine operative Ver=
391 bindung mit Napoleon treten, und Darum mußte er nach Mousth marschiren. Von da aus war er besser als von irgend wo anders aus im Stande, entweder die nachtheiligen Folgen der schon stattgehabten Vereinigung zu vermindern oder die Vereinigung selbst zu stören , wenn sie noch nicht er= folgt war. Mousth liegt in gerader Linie kaum 3 Stunden von der Chaussee nach Brüssel und kaum 2 Stunden von Wavre. Es mußten entweder bei der Ankunft oder doch kurz nachher durch die Patruillen Nachrichten sowohl von Napoleon als von den Preußen eingehen und nach diesen Nachrichten konnte dann das Weitere beschlossen werden. Wenn die preußische Armee schon mit der englisch = holländischen vereinigt war , würde man sich unmittelbar an Napoleon haben anschließen können . Standen sie noch bei Wavre, so würde man auf dem linken Dyle-Ufer ihnen entgegengerückt und sie umgangen haben ; waren sie noch im Marsche von Wavre nach dem Plateau von Mont St. Jean und in die Lasne-Defileen verwickelt, so würde man ihnen in die Flanke gefallen sein. Waren sie von Wavre nach Brüssel zurückgegangen, so war daraus zu schließen, daß Wellington den Südrand des Soigne'r Waldes nicht vertheidigen wollte und man konnte dann über Wavre ihrer Spur folgen. Und wenn sie endlich Wavre gar nicht berührt , sondern links gelaſſen hätten, und auf der Chaussee von Namur gegen Löwen zurückgegangen wären, so hätte man über Wavre vorgehen und mittelst einer Wendung nach rechts ihre Flanke oder ihren Rücken anfallen können. Es hätte also Grouchh durch die Richtung seines Marsches gegen Mousty sich in den Stand gefeßt, nach Maaßgabe seiner Kräfte die gewichtigen Folgen des wahrscheinlichsten, ja des fast sichern Manövers seiner Gegner zu verringern , das die beiden verbündeten Armeen ihrer Vereinigung zuführte oder zugeführt hatte.
392 Es ist auch noch zu beachten , daß, wenn Blücher gegen Lüttich zurückgegangen wäre und nicht gegen Wavre, Brüssel oder Löwen, die Bewegung auf Mousty die Ver= bindungslinie der französischen Armee keineswegs preis gab , selbst in dem Falle nicht, daß sie in Folge falscher Nachrichten bis Wavre fortgefeßt worden wäre ; denn Grouchy konnte gleichzeitig sich links ziehen und doch mit seiner zahlreichen Reiterei die Richtung nach Lüttich so beobachten, daß dort nichts Bedenkliches vorgehen konnte, ohne daß er es nicht rechtzeitig erfahren mußte und Zeit hatte, bei einem Offensivstoße der Preußen umzukehren und sich ihnen entgegenzustellen . Ein Detaschement ſeiner Dragoner war bereits in Perwez ; es war also sicher, daß , wenn die preußische Armee gegen Lüttich zurückging, sie schon über diesen Punkt hinaus war ; war er aber einmal in Wavre, so war er auch in der Lage, eher als der Feind auf der Brüsseler Straße anzukommen. Ein Blick auf die Karte genügt, um Dies zu erkennen . Alle Voraussetzungen also , die man aufstellen kann, führen darauf hin , daß der Marsch Grouchy's nach Mousth und nicht nach_Sart - lez - Walhain gerichtet sein sollte ; die Rechtfertigung seines Marſches auf den zweiten dieser Punkte ist unmöglich, denn dieser Marsch war ein Fehler. Dieser Fehler hat aber keineswegs , noch konnte er einen Einfluß auf den Gang der Schlacht bei Waterloo ausüben. Wenn Grouchy ihn nicht begangen, wenn er von 3 Uhr Morgens ab nach Mousty zu marschirt wäre, so hätten unsere Waffen doch nicht minder eine Niederlage erlitten. Der Grund davon liegt in dem Mißverhältniß der Zahlen zwischen der Kolonne des Marschalls und der preußischen Armee. Mit 33,000 Mann konnte er Blücher nicht hindern, Wellington die entscheidende Hilfe zu bringen . Die preußische Armee war, wie fie in der Nacht vom 17. zum 18. bei Wavre lagerte, wenigstens 90,000 Mann stark. Kein tüchtiger Schriftsteller giebt Das nicht zu.
393 Napoleon hat es selbst in seiner ersten Darstellung des belgischen Feldzugs geſagt *), und nur erst in seinen Memoiren versucht er es aufzustellen, daß die Verluſte Blüchers in den Gefechten und durch Desertion dessen Armee auf 80 , 70 , ja selbst auf 60,000 Mann herabgebracht hätten. Die Schlacht von Waterloo ward durch das gegen 44 Uhr erfolgende Vorrücken Bülows gegen Plancenoit unentschieden ; das gegen 74 Uhr erfolgende Hereinbrechen. Ziethens über la Haye und Papelotte entschied fie ; und das fast gleichzeitige Eintreffen Pirchs I. hinter Bülow trug viel dazu bei , die Auflösung zu vollenden . Bülow hatte gegen 6500 Mann außer Gefecht gesetzt. Aber Ziethen und Birch I. hatten jeder nur 300 Mann verloren , was rückwärts schließen läßt, daß sie nur geringe Anstrengungen zu machen hatten. Bülow hat mit 29,000 Mann gefochten **). Ziethen mit 1 Infanterie - Division und fast seiner ganzen Reiterei ***) , Pirch I. mit 2 Infanterie - Diviſionen und 2 Brigaden seiner Reiterei †) . Die preußischen Truppen, welche bei Waterloo im Gefechte waren, kann man dem-
*) Troß der am 16. erlittenen Verluste war die preußische Armee am 18. noch 90,000 Mann stark." (Camp. de 1815 par Gourgaud.) Hier, wie in den Memoiren, nimmt Napoleon diese Armee vor Eröffnung der Feindseligkeiten auf 120,000 Mann an. **) Es ist erwähnt worden, daß 3 Reiter-Negimenter ( 12 Schwadronen) und 2 Bataillone des Bülow'schen Korps zu lange bei Wavre zurückgehalten worden, um noch an der Schlacht bei Waterloo Theil nehmen zu können. ***) Die anderen 3 Digifionen waren gegen Ohain hin noch zu weit zurück und kamen nicht mehr in's Gefecht. Außerdem waren noch 3 Bataillone und 3 Schwadronen bei Wavre unter dem Obersten Zepelin zurückgelassen worden , wie oben erwähnt ist. †) Die beiden andern Divisionen Pirchs I. und 1 ReiterBrigade rückten erst , wie wir gleichfalls schon erwähnt , gegen 4 Uhr Nachmittags von Wavre ab.
394 nach nicht über 45,000 Mann schäßen. Wellington und Blücher kannten die Stärke der französischen Armee bei ihrem Einrücken in Belgien ziemlich genau. Der Brief= wechsel des Ersteren beweist es ganz klar *). Der Eine wie der Andere waren überzeugt, daß am 18. früh fast die ganze französische Armee auf den Höhen bei la belle Alliance vereinigt stehe. Es fehlte ihrer Ansicht nach nur das Vandamme'sche Korps , und dieſe Ansicht hatten sie auch noch am nächsten Tage **). Während der Nacht blieben die beiden Generale in unausgefeßter Verbindung , und Wellington entschied sich nur erst auf die wiederholte Versicherung , daß ihm zwei preußische Armeekorps zu Hilfe kommen würden, für die Annahme der Schlacht. Das Alles sind festgestellte Thatsachen. Es ist auch außer Zweifel, daß es Blücher weder an Uebersicht noch an Vertrauen auf seine Truppen fehlte, noch an Entschlossenheit oder Kühnheit. Das genügt , um den Einfluß einer Mitwirkung Grouchy's am 18. Juni zu bemessen , wenn er nämlich manövrirt hätte, wie er sollte.
*) In den Archiven des Kriegsministeriums im Haag haben wir eine Note gefunden, die gleichfalls beweist, bis zu welchem Grade die verbündeten Generale von der Stärke der französischen Armee unterrichtet waren. Diese Note , d. d . Gent, 10. Juni , ist von Clarke , Herzog von Feltre (Minister Ludwigs XVIII.) gezeichnet und an den General Constant de Rebecque, Generalstabschef des Prinzen von Oranien, gerichtet. Sie geht sehr in's Einzelne und setzt den Stand der Armee, mit Ausschluß des Hauptparkes, also der Garde, des 1., 2. , 3. , 4. und 6. Korps , mit denen sie auch die 4 Reserve - Reiterkorps vermengt, auf 120,000 Mann fest. „ Die Person, welche mir diese Details zusendet ," schreibt Clarke , ist unterrichtet und vollkommen sicher , fürchtet aber eine Kompromittirung und hat deshalb nicht gewagt , sie mir schriftlich zu geben , sondern sie dem Gedächtnisse eines Offiziers anvertraut, der so eben ankommt und dessen Gesinnungen vollkommen zuverläſſig ſind.“ **) Rapport Wellingtons vom 19. Juni.
395 Wenn er nach Gembloux um 3 Uhr statt um 7 Uhr abmarſchirt, wenn er nach Mousth und nicht nach Sart= lez-Walhain gerückt, wenn er in zwei Kolonnen statt in einer marſchirt wäre , so würde er um 10 Uhr an der Dyle angekommen sein ; man kann diese Zeit aus der= jenigen schließen , welche die Spite feiner Infanterie, Vandamme, brauchte, um Nil Saint Vincent zu erreichen. Die Bewegung wäre sofort von der Patruille des Obersten Ledebür erkannt worden, der Mont St. Guibert besetzt hielt. Blücher hätte sofort Nachricht erhalten und ſeine Veranstaltungen treffen können , sich der Bewegung zu widersetzen. Die steinernen Brücken von Mousty und Ottignies, 4 Stunde von einander gelegen, waren aus Nachlässigkeit oder Selbstüberschäzung nicht zerstört worden. Ziethen, der bei Bierges bivouakirte *) , wäre mit ihrer Verthei= digung beauftragt worden und Pirch I. , der etwa gleich= zeitig von Sainte Anne und Aisemont abmarschirte, wäre über die Brücken von Limal und Limelette zu seiner Unterstützung abgerückt **). Selbst wenn man davon ab= sieht, daß Blücher die Stellung von Wavre nicht um= gehen laſſen durfte, hätte er nicht anders handeln können, denn er hätte den Flankenmarsch Bülows, der nach Chapelle St. Lambert unterwegs war, decken müssen. Grouchy hätte nun bei seiner Ankunft von Mouſty und Ottignies sich 40,000 Mann mit 150 Geschüßen gegenüber befunden, die hinter einem Flusse standen, der nicht watbar war und schwierige Zugänge hatte. Es hätte nicht so vieler Kräfte bedurft, um ihm, wenn auch nicht den Uebergang ganz zu verbieten, so doch ihm denfelben über Tags streitig zu machen, und während dieſes Gefechtes hätten Bülow und Thielemann , d . h. 50,000
*) Von Bierges nach Ottignies sind in gerader Linie nur Stunden. **) Von Sainte Anne und Aisemont bis Ottignies sind Stunden. ungefähr
396 Mann, die Schlacht von Waterloo bei Plancenoit und Papelotte entschieden. Das Gefecht, das Grouchh an diesem Tage bei Wavre lieferte , wäre bei Mousty und Ottignies geliefert worden. Es hatte, wie wir gesehen, von 4 Uhr Nachmittags bis 11 Uhr Abends gewährt und war immer noch ein unentschiedenes Gefecht, das noch manche Stunde erfordert hätte, ehe Grouchy zu Napoleons Unterstützung hätte abmarſchiren dürfen. Es ist aber zu bemerken , daß Grouchy es bei Wavre nur mit 16 oder 18,000 Mann zu thun hatte. Ein Zusammentreffen glücklicher, aber sehr wenig wahrscheinlicher Umstände hätte Grouchh möglicherweise in den Besit der Uebergänge von Mousth und Ottignies sehen können, ehe die Preußen in Verfaſſung waren, sich dem Uebergange zu widerseßen. Wenn Grouchh keinerlei Hindernisse antraf, konnte der Uebergang noch vor 12 Uhr beendet sein. Er hätte dann gewußt, daß die preußische Armee ihm nahe war ; er wäre ihr entgegengegangen , er hätte Ziethen und Pirch I. auf den Höhen hinter dem Limeletter Bache getroffen und hätte sie etwa um dieselbe Zeit angegriffen, in der ihm das heftigere Feuer verkündet hätte, daß auf seiner Linken , gegen Mont St. Jean hin, eine große Schlacht geschlagen wurde. Was würde er unter diesen Verhältnissen gethan haben? Würde er auf den Angriff verzichtet haben, um sofort zu Napoleon abzurücken ? Man darf Das an= nehmen. Dann aber würde Blücher eben so manövrirt haben. Er hätte Bülow gegen Chapelle St. Lambert und Plancenoit weiter marschiren , er hätte einen Theil von Thielemann ihm haben folgen, den andern Theil gegen Ohain rücken lassen und würde Ziethen und Pirch I. be= fohlen haben, Grouchy zu folgen, ihn zu necken, ihn anzugreifen , seinen Marsch durch alle Mittel zu verzögern und das Wenigste , was er erreichen konnte , wäre ge= wesen, daß seine beiden Generale zwar den französischen Marschall nicht verhindert hätten, an den letzten Mo-
397 menten der Schlacht Theil zu nehmen , wohl aber gleich= zeitig mit ihm bei Plancenoit eingetroffen wären. Aber auch bei diesen Voraussetzungen würde das Resultat der Schlacht sich gleich geblieben sein ; denn wenn auch die französische Armee im Augenblicke der höchsten Kriſis der Schlacht vereinigt gewesen wäre , so würde sie doch von der Wucht der gleichfalls vollständig vereinigten preußischen und englisch-holländischen Armee erdrückt worden sein. Es muß übrigens noch zur Steuer der Wahrheit darauf hingewiesen werden , daß , wenn Grouchh von Limelette abmarschirte und zum Fechten , also zum Manöveriren , gezwungen wurde, es im höchsten Grade un= wahrscheinlich ist, daß er vor 9 Uhr Abends bei Plancenoit angekommen wäre. Die beiden vorderen Diviſionen Pirch I., die um Mittag von Wavre abrückten und keinerlei Gefecht zu bestehen hatten , trafen erst , wie wir früher erwähnten , um 74 Uhr bei Bülow ein.
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Wenn nun aber Grouchy trotz der Kanonade bei Mont St. Jean die Korps von Ziethen und Pirch I. hinter dem Limeletter Bache angegriffen hätte ? Man darf auch diesen Fall annehmen ; es ist selbst wahrschein= licher, daß er so gehandelt hätte. Blücher hätte in dieſem wie in dem anderen Falle die Kräfte des Marschalls beurtheilen können, und würde immer die Korps Bülow und Thielemann zur Unterstützung Wellington's verfüg= bar behalten haben , während Ziethen und Birch I. den Auftrag erhielten, der Diversion Grouchy's Widerstand zu leisten. Diese beiden preußischen Generale würden in ihrer guten Stellung, in der Stärke von 4 gegen 3, mit einer um stärkeren Artillerie ganz gewiß im Stande gewesen sein, einen langen Widerstand zu leisten, und man bleibt diesseits der Grenzen der Wahrheit , wenn man deſſen Dauer bis 7 Uhr Abends annimmt. Am nächsten Morgen brauchte Grouchy , wie wir bald sehen werden , fast acht Stunden, um nur drei preußische Divisionen von
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etwa 15000 Mann Stärke zu schlagen und für den Augenblick außer Gefecht zu setzen. Wenn nun der Marschall bis 7 Uhr bei Limelette oder jenseits beschäftigt war, so konnte er , was er auch thun mochte, keinesfalls mehr irgend einen Theil an der Schlacht von Waterloo nehmen. Die beiden letzten Divisionen Pirch I., selbst die Reiterbrigade Sohr, die, wie wir erwähnt hatten, um 4 Uhr von Wavre abmarſchir= ten und sich , durch Blücher's wiederholte Befehle an= getrieben , aus allen Kräften beeilten , hatten mit voller Nacht doch die preußische Armee noch nicht erreicht. Welche Möglichkeiten man also auch annehmen möge, die Ungerechtigkeit der gegen Grouchh erhobenen Beschuldigungen tritt überall hervor, sobald man nämlich die bekannten Thatsachen berücksichtigt , oder , wenn man der einen Seite richtige Manövers unterlegt , auch so gerecht ist, der andern Seite die daraus nothwendig sich ergebenden Gegenmaaßregeln nicht vorzuenthalten. Wir wiederholen es : er konnte unter Berücksichtigung aller Umstände und aller strategischen Grundsätze operiren , es würde darum doch die Niederlage von Waterloo eben so gewiß und eben so vollständig gewesen sein, als fie es war. Der durchschlagende Grund für diesen Ausspruch liegt , wir wiederholen es ebenfalls , in dem beiderseitigen Kräfteverhältnisse zwischen dem Marschall und Blücher. Der Lettere hatte 90,000 Mann ; davon kämpfte die Hälfte mehr oder weniger lange gegen Na= poleon und entschied die Schlacht. Grouchh hätte gewiß etwas Schweres geleistet , wenn er mit seinen 33,000 Mann die andere Hälfte bei Wavre zurückhielt ; Das hätte aber nicht hingereicht , um das Schicksal unserer Und wenn er es aufgegeben Waffen zu beschwören. hätte, auf dem linken Dyle - Ufer zu manövriren , wenn er die unmittelbare Vereinigung mit Napoleon aufgesucht, wenn es ihm , aller Wahrscheinlichkeit entgegen , gelungen wäre, rechtzeitig neben ihm in die Schlachtlinie zu rücken,
399 so würde doch andrerseits die ganze preußische Armee zur Stelle gewesen sein und die Uebermacht der Zahl würde doch entschieden haben; 160,000 Mann mit 450 Ge= schüßen hätten 100,000 Mann mit 340 Geschützen zertrümmert. Grouch ist ferner sehr lebhaft getadelt worden , daß er bei dem Schalle des Kanonendonners in Sart-lezWalhain dem Rathe Gérard's nicht gefolgt sei . Der Tadel ist wohlverdient , nicht etwa weil es eine durchgehende Regel sei , nach dem Kanonendonner zu marschiren, denn diese Regel leidet viele Ausnahmen, namentlich, wenn man schon feindlichen Streitkräften gegenüber steht, sondern weil die Nothwendigkeit, links abzurücken, in Sart-lez-Walhain noch dringender vorlag, als in Gembloux. Der Marschall hatte nun endlich erfahren , wie er selbst zugiebt , daß die preußische Armee nicht gegen Lüttich zurückgegangen war; sie hatte sich in der Nacht bei Wavre vereinigt. Von da ab ließ der Widerhall der Schlacht , die vor dem Soigne'r Walde geschlagen wurde, mit Sicherheit darauf schließen, daß die preußische Armee entweder schon mitder englisch-holländischen vereinigt sei oder doch im Marsche dazu sich befinde; bei der Nähe, in der Blücher und Wellington sich befanden, hatten sie ein gemeinschaftliches Handeln gegen Napoleon für diesen Selben Tag verabreden müſſen . Wie Gérard es vorschlug , mußte man eilen , bei Mousth über die Dyle zu kommen, um sich der Hauptmacht zu nähern, die Verbindung herzustellen , gemeinschaftlich zu operiren, um entweder sie zu verstärken, wenn es noch Zeit war, oder wenn sich nicht mehr erreichen ließ , wenigstens die Ver= einigung Blücher's mit Wellington zu verzögern. Die Fortsetzung des Marsches nach Wavre war nichts als ein Hinausschieben des Augenblicks , in welchem man dieſe Reſultate erlangen konnte , und in solcher Lage sind Zögerungen verderblich. Grouchh entschloß sich doch dazu , weil, wie er sagte, er die Preußen mit um so mehr Recht bei Wavre vermuthete , als Excelmans ihre
400 Arrieregarde bei Neuve - Sart angetroffen hatte.
Aber
Das entschuldigt seinen Entschluß nicht , wir haben es schon dargelegt. Wenn er die Preußen bei Wavre vermuthete, und glaubte , sie auch bei seiner Ankunft dort anzutreffen , so hätte er immer auch die Dyle oberhalb paffiren müſſen , um ihre Stellung zu umgehen und ei= nen Frontalangriff zu vermeiden . Er hatte also Unrecht , die Ansicht Gérard's zu verwerfen , und man hat ihn deshalb mit Grund getadelt. Aber es ist daraus weiter geschlossen worden, daß, wenn er das von diesem gewandten General vorgeschlagene Manöver ausgeführt hätte , er die Niederlage von Wa= terloo verhindert haben würde und nichts kann unrichtiger sein. Was wir bisher gesagt , würde zum Beweise Deſſen schon allein hinreichen ; es ist indessen gut , die Sache noch mehr festzustellen und mitten aus den obwaltenden Verhältnissen von Zeit, Entfernung und Terrain heraus die Thatsachen und Möglichkeiten zu prüfen ; denn dieſe Verhältnisse sind von seinen Kritikern theils ungenau an= gegeben, theils gänzlich verkannt worden. Gérard schlug den Marsch gegen Mousty vor, als der heftigere Kanonendonner den Beginn einer Schlacht Es war also gegen Mont St. Jean hin verkündete. Mittag oder etwas später, denn erst um diese Zeit begann das Feuer der großen Batterie auf Napoleons rechten Flügel.* ) Das Korps Excelman's stand um diese Zeit mit einem Theile bei Neuve-Sart, mit einem andern Theile
*) Gérard sagt, daß er seinen Rath um 114 Uhr ertheilt habe (Dernières Observations, S. 30), aber in einem Auszuge aus einem Schreiben des Generals Valagé, den er später bringt (S. 31 und 32), daß es gewesen wäre, als ob eine furchtbare Kanonade losgebrochen sei. Die Kanonade bei Waterloo ward aber erst nach 12 Uhr wirklich heftig. Im Uebrigen kommt hier auf die Differenz einer halben Stunde nicht viel an.
401 bei Dion-le-Mont. Vandamme war bei Nil-Saint-Vincent und Gérard erreichte Sart-lez-Walhain ; Pajol und Teste marschirten von Grand-Leez gegen Tourinnes . Der Rath Gérard's, wie er ihn selbst ausführt, bestand darin : dem General Vallin , der bei seiner Aufklärung der linken Flanke zunächst an der Dyle stand, Befehl zu senden, in aller Eile nach Mousty zu rücken, über die Dyle zu gehen und sodann Rekognoszirungen gegen Chapelle St. Lambert und Frichemont zu entsenden , um nähere Nachrichten von den Preußen einzuziehen. Das fünfte Korps , Vandamme, das bei NilSaint-Vincent war, hätte links in die Richtung auf Mousth abzuschwenken gehabt. Das vierte Korps , Gérard , und das Reiterkorps Excelmans hätten dieser Bewegung zu folgen. General Pajol wäre zu befehligen, mit seiner Reiterei und der Division Teste vor Wavre zu rücken ; diese beiden vereinigten Abtheilungen hätten die Aufgabe erhalten , die schwache preußische Arrièregarde, die auf dem rechten Dyle-Ufer noch verweilte, über Wavre zurückzuwerfen und darauf das Thielemann'ſche Korps zu beobachten und unseren Marsch zur Armee des Kaisers zu verdecken.*) Welches hätte nun der Erfolg des von Gérard angerathenen Manövers sein können ? Die preußische Avantgarde , welche fast den ganzen Morgen bei Mont-Saint- Guibert geblieben, war bis ge= gen la Baraque zurückgegangen , wo sie in fester Haltung vor Excelmans stehen blieb. Die Brücken von Mousth und Ottignies waren nicht zerstört ; sie waren auch nicht *) Dernières Observations etc. Wir brauchen die Frrthümer Gérard's in seinen letzten Zeilen nicht speziell nachzuweisen ; um Mittag waren noch drei preußische Armeekorps in und bei Wavre ; es waren noch 18,000 Mann , also keine schwache Arrièregarde, auf dem rechten Ufer, und das Thielemann'sche Korps sollte um diese Zeit nach Couture abrücken . Wenn Pajol und Teste nach den Gérard'schen Annahmen vor Wavre ankamen , wäre Thielemann schon weit weg gewesen. 26 Charras, Waterloo.
402 bewacht. Vallin hätte sie also leicht und rasch wegnehmen können. Das unterliegt keinem Zweifel. Vandamme war in Nil - Saint - Vincent noch zwei Stunden in gerader Linie von den genannten Brücken entfernt, also 24 Stunden , wenn nicht 3 , nach den Wegekrümmen. Er hätte um 124 Uhr den Befehl erhalten können , seine Marschrichtung zu ändern ; aber die Wege waren noch viel schwieriger, als die von Gembloux bis Nil-Saint-Vincent ; *) er wäre also bei Mouſth und Ottignies zeitigstens gegen 5 Uhr angekommen. Gérard, der von Sart-lez-Walhain aus etwas weiter zu marſchiren hatte, dafür aber auch seinen Befehl eher erhielt, hätte den Fluß gegen 6 Uhr überschreiten können . Bon Mousty aus hatte man in gerader Linie noch 24 Stunden , also nach den Wegekrümmen noch über 3 Stunden bis Plancenoit und zwar auf sehr schlechten Wegen. Es wäre also nur möglich gewesen , die Infanterie vor 94 Uhr oder 10 Uhr auf dem Schlachtfelde Napoleons erscheinen zu lassen. Aber um diese Zeit war die Niederlage vollendet und Grouchh wäre nun gekommen, um in ſie verwickelt zu werden . Gérard hat 15 Jahre nach dem verhängnißvollen Ereigniß und mit der Erregung einer heftigen Debatte die Ansicht aufgestellt, daß man ,,bei Chapelle St. Lam= *) Der General Lamarque hat während eines langen Exils Zeit gefunden, den Schauplatz der Grouchy'schen Operationen genau durchzugehen. Er sagt über das Terrain, das Vandamme und Gérard von Nil - Saint - Vincent und Sart - lez - Walhain nach Mousth und Ottignies zu durchschreiten gehabt hätten : ,,Dieſes Terrain bot große Schwierigkeiten dar ; man wundert fich, in dieser Gegend ordentliche Berge und tiefe Thäler zu finden, Etwas wie die Vorberge der Alpen und Pyrenäen, über die ein Marsch der Artillerie sehr beschwerlich gewesen Notices sur wäre." (Mémoires du Général Lamarque les Cent-jours.) Wir haben das Terrain auch besichtigt und die Beschreibung Lamarque's richtig gefunden. Jetzt giebt es dort ziemlich gute Wege , aber sie sind erst nach 1815 gebaut worden.
463 bert oder Frichemont gegen 44 Uhr hätte ankommen können "*) ; dann, daß man „ doch ganz gewiß wenigstens um 74 Uhr hätte dort sein können “, und „ wenn wir uns dann dem Feinde zeigten , die Angriffe , die er gegen den Rücken und die rechte Flanke unserer Armee unternahm, ableiteten, ihn selbst zwischen zwei Feuer nahmen, man sieht , wir konnten nicht allein der Niederlage vorbeugen, sondern sogar die preußische Armee selbst in die allerbedenklichste Lage bringen.**) “ Diese Versicherungen haben um so mehr Glauben gefunden , als sie mit der von Napoleon gegen Grouchy erhobenen Anschuldigung übereinstimmten. Und doch halten sie vor der Kritik nicht Stand. Gérard stüßt sich auf eine Ungenauigkeit. Er sagt : "/ Von Sart-lez-Walhain bis Chapelle St. Lambert oder Frichemont sei es nicht weiter als vier Stunden ***), während es doch in gerader Linie zwischen den beiden ersteren Orten über 44 Stunden und zwischen dem ersten und letzten Orte über 54 Stunden sind , was auf den Wegen doch wenigstens 6 Stunden für die kürzere der beiden Entfernungen giebt. Das beweist bereits , daß es nicht möglich war , um 44 Uhr bei Chapelle St. Lambert zu sein.
Aber Gérard hat auch mit 74 Uhr noch nicht genug nachgegeben. Zwanzigtausend und mehr Mann Infanterie konnten mit ihrer Artillerie zwischen 12 Uhr Mittags und 74 Uhr Abends nicht eine Entfernung von 6 Stunden Weges zurücklegen , wo so viele Defileen zu passiren und überhaupt nur ganz abscheuliche, vom Regen total verdorbene Wege zu benußen waren.
*) Dernières Observations, S. 31. **) Ebendas. S. 37. ***) Ebend. S. 31. Bei dieser Broschure befindet sich auch eine sehr ungenaue Karte des Grouchy'schen Operationsfeldes. 26*
404 Es geht Dies auch aus der Langsamkeit hervor, mit der die preußischen Korps von Wavre nach Plancenoit und Papelotte trotz ihrer Eile marschirten ; es beweisen Dies ferner die Märsche von Gérard selbst und von Vandamme am 17. Juni und am 18. früh , bei denen sie zu dem Marsche vom Schlachtfelde von Ligny nach Gembloux „so rasch als es menschenmöglich war" doch 7 Stunden und von Gembloux nach Sart-lez-Walhain 4 Stunden gebraucht hatten. Es ist übrigens darauf hinzuweisen, daß, wenn man auch annehmen wollte , Grouchy hätte können um 74 Uhr bei Chapelle St. Lambert ankommen , wie Gérard es aufstellt , Dies doch eine unnüße Bewegung gewesen wäre , denn dort wäre er immer noch über eine Stunde von dem Schlachtfelde Napoleon's entfernt gewesen und hätte die schwierigen Defileen der Lasne noch vor sich gehabt. Der Marsch hätte also auf Plancenoit oder Frichemont anstatt auf St. Lambert gehen müssen , was den Weg um eine Stunde verlängert und nach Gérard's eigenen Vordersäßen das Einrücken Grouchy's in die Schlachtlinie auf 9 Uhr verschoben haben würde. Nur wenn man die Verhältnisse von Zeiten , Entfernungen und Terrain gänzlich außer Augen läßt, wenn man dazu annimmt, daß die preußischen Truppen trot ihrer Kampfbegierde , troß den Anregungen ihrer Befehlshaber und troß des Kanonenfeuers nicht so rasch marſchirt seien , als sie gekonnt hätten, und wenn man ferner voraussetzt , daß Gérard nicht wahr gesprochen , als er die Veranlassung des langsamen Marsches vom 17. auf die schlechten Wege schob, daß Vandamme und er selbst am Morgen des 18. nicht so rasch marschirt seien, als sie wohl gekonnt hätten, nur unter Annahme aller dieser Vorderfäße würde es möglich sein , den von Gérard gegen Grouchh erhobenen und so vielfach unge= prüft weiter verbreiteten Anschuldigungen Glauben bei= zumessen.
405 Aber man darf weiter gehen. Wenn man die Aussprüche Gérard's über die Zeit, binnen welcher Grouchy vor Plancenoit oder Frichemont ankommen konnte , für eben so wohlbegründet halten wollte , als sie es gerade nicht sind , so würde doch damit noch keineswegs bewiesen sein, daß der genannte Marschall im Stande gewesen wäre , einen glücklichen Einfluß auf den Ausgang der Schlacht von Waterloo auszuüben. Denn Gérard nimmt überall an , daß Grouchh seinen Weg hätte vollständig frei finden müssen. Das wäre ohne allen Zweifel nicht gewesen ; seine Bewegung hätte den Feind auf eine entsprechende angewiesen , die dieſe gewiß ausgeführt hätte. Am Mittag ſtand die Bülow’ſche Avantgarden-Diviſion bei Chapelle St. Lambert ; seine anderen Divisionen wa = ren zwischen da und Wavre im Marsche, und 2 Ba= taillone und 12 Schwadronen von ihm standen unter dem Obersten Ledebür am linken Dyle-Ufer, gegen la Baraque, Excelmans gegenüber. Um dieselbe Zeit marschirte Ziethen von Wavre ab , über Fromont gegen Ohain, und ließ 3 Bataillone und 3 Schwadronen unter den Obersten Stengel zur Beobachtung bei Limal . Um dieselbe Zeit ferner rückten die beiden vorderen Divisionen Birch I., nachdem sie die Dyle passirt , Bülow gegen Chapelle St. Lambert nach, und seine beiden anderen Diviſionen mit der Reiter -Brigade Sohr bereiteten sich zum Abmarsche vor, und endlich war auch Thielemann im Begriffe , gegen Couture , in der Richtung von Plancenoit, abzurücken und die Vertheidigung von Wavre ei= ner schwachen Arrièregarde zu überlassen. Die Bewegungen Excelmans, seine Vereinigung mit der Division Ballin und darauf die Ankunft der Vandamme'schen Infanterie brachten einige Abänderungen in den Befehlen Blücher's hervor , nach welchen die genannten preußischen Generale verfuhren. Bülow, Ziethen und Pirch des I. vordere Diviſionen seßten ihren Weg fort ; die beiden anderen Diviſionen
406 Pirch's I., Sohr und Thielemann blieben stehen; aber um 4 Uhr, das heißt also zur Zeit, wo Vandamme seinen Angriff auf Wavre eröffnete und Gérard auf den Höhen an der Dyle erschien , da marschirte Alles ab, was außer Thielemann und Stengel noch vor Grouchy zurückgeblieben war. So war der Verlauf der Dinge. Wenn nun Grouchy seinen Marsch nach dem Schlachht= felde von Waterloo gerichtet hätte , anstatt gegen Wavre zu rücken , so wäre ihr Verlauf folgender gewesen : Die Bewegung Vallin's, der die Brücken von Mousty und Ottignies zu gewinnen suchen mußte , und das An= rücken Excelmans gegen diefelben Punkte hätten dem Oberſten Ledebür Licht über die beabsichtigten und im Gange befindlichen Manöver gegeben , und die preußischen Ge= nerale würden sofort Dem entsprechend gehandelt haben. Ihre noch auf dem rechten Dyle-Ufer befindlichen Truppen wären bei Limal , an der Mühle von Bierges und in Wavre übergegangen , hätten sich mit den, am linken Flußufer zurückgelassenen Truppen vereinigt , einer Arrièregarde die Sorge für das zweckentsprechende Abbrechen, Barrikadiren und Vertheidigen der Brücke überlassen und ſich dann in Marsch gesetzt , um der Grouchh'schen Flankenbewegung entgegenzutreten. Da hiernächst die beiden schwachen Divisionen Pajol und Teste , trotz aller Anstrengung, nicht vor 6 oder 7 Uhr auf den Höhen von Wavre ankommen konnten, so lag auch hierhin keine Aussicht , die Preußen von dem angegebenen Manöver abzulenken. Grouchh wäre also mit seinen 29,000 Mann (Excelmans , Vandamme , Gérard) unterwegs auf das halbe Korps Pirch's I., auf das Thielemann'sche Korps und die Detaschements von Stengel und Ledebür gestoßen , zuſammen etwa 35,000 Mann, wovon 3000 Mann Rei= terei. Wir wollen annehmen , er hätte sie geschlagen ; aber zum Schlagen gehört Manövriren , namentlich überlegenen Kräften gegenüber, und Grouchh mußte mit
407 diesem Manövriren und Schlagen viel Zeit verlieren, bis er den Feind außer Gefecht gesezt und sich einen Weg zu Napoleon eröffnet hätte. Wenn er nun auch blos zwei Stunden aufgehalten worden wäre, was doch gewiß eine sehr geringe Annahme ist , so würde er doch nur mit der völligen Nacht auf dem Schlachtfelde ein= getroffen sein, zu einer Zeit also, wo außer den Todten und Verwundeten kein Franzose mehr auf demselben verweilte. Hierbei ist aber nicht außer Acht zu lassen , daß die 35,000 Preußen , die Grouchh auf seinem von Gérard vorgeschlagenen Marsche zu Napoleon getroffen hätte, gar feinen Theil an der Schlacht von Waterloo genommen haben.
Wenn man also die irrthümliche Versicherung , daß 74 Stunden hingereicht hätten, um von Sart-lez-Walhain und Nil-Saint-Vincent nach Plancenoit oder Frichemont zu marfchiren , für wahr annimmt, so würde doch die Grouchh'sche Kolonne dort nur angekommen sein, um mit in die Niederlage verwickelt zu werden. Wer Das nicht anerkennt, muß annehmen , daß die Führer der 35,000 Mann Preußen plötzlich entweder von Blindheit oder Lähmung getroffen worden seien. Es ist ganz recht , daß man den Rath Gérard's ge= rühmt hat , und Gérard hat ganz wohl daran gethan, die Ehre der Urheberschaft in Anspruch zu nehmen *), denn sein Rath entspricht den Grundfäßen der Krieg= führung ; aber es ist ganz unrecht gewesen , anzunehmen, daß deſſen Befolgung das Schicksal unserer Waffen ge= ändert hätte. Unsere Prüfung dieser wichtigen Frage , die so viele lebendige und langanhaltende Streitigkeiten hervorgerufen hat , würde aber unvollständig sein, wenn wir gewiffe
Grouchy hatte Das in seiner ersten Brochure in Abrede
gestellt.
408
Aussprüche der Schriften von St, Helena mit Stillschweigen übergehen wollten. Napoleon behauptet , er habe Grouchh vor seinem Abgange von Ligny mündlich ausdrücklich befohlen , sich immer zwischen Blücher und der Chaussee von Charleroh nach Brüssel zu halten, so daß er immer im Stande sei , sich mit der Hauptarmee zu vereinigen. Wahrscheinlich , fügt er bei, würde sich Blücher gegen Wavre zurückziehen ; der Befehl besagte, daß er, Grouchy, gleichzeitig dort sein solle ; wenn der Feind den Marsch gegen Brüssel fortsette und die Nacht unter dem . Schuße des Soigne'r Waldes verbrächte, sollte er ihn bis zu dessen Saume verfolgen , wenn er sich aber gegen die Maas wendete und damit ſeine Verbindungen mit Deutſchland sichern wollte, sollte er ihn durch die Avantgarde Pajol's beobachten, selbst aber mit den Korps von Excelmans , Vandamme und Gérard in Wavre bleiben , um solchergestalt mit dem Hauptquartier Verbindung zu er= halten , das auf der Charleroyer Chauffee gegen Brüſſel vorgehen werde. *) Grouchy hat diese Aufstellungen Napoleon's formell in Abrede gestellt und sagt , sie seien in der Muse der Verbannung erfunden worden. Alles spricht dafür , daß die Wahrheit hier auf Grouchy's Seite ist. Ein Befehl von dieser Wichtigkeit , wie ihn hier die Memoiren von St. Helena bringen , ein Befehl, der für alle Bewegungen des Marschalls ein ganz bestimmtes Anhalten gab, hätte, wenn er wirklich ertheilt worden wäre, in der von Napoleon an Bertrand diktirten Instruktion ausdrücklich und in hervorragender Weise aufEr ist daselbst nicht zu fingenommen werden müssen. den ; auch nicht die leiseste Andeutung ist vorhanden, dagegen sieht man deutlich, wie der französische Oberkommandant seinem General völlige Freiheit in seinen Bewegungen läßt und ihm nur anempfiehlt , „ den *) Memoiren 2c. Th . 9, S. 95.
409 ,,zu erkennen, was er vorFeind zu verfolgen" nehmen will." *) Das würde schon allein hinreichen , um darzuthun, daß Grouchy den Werth der Aufstellungen Napoleons richtig bezeichnet hat. Es giebt aber noch andere Gründe dafür. Napoleon sagt von St. Helena aus und nachdem die Ereignisse vorbei sind , daß er den Rückzug Blüchers gegen Wavre als wahrscheinlich angesehen habe. als er in Ligny Bertrand ſeine Instruktionen für Grouchy diftirte, waren seine Ansichten über die Bewegungen des preußischen Generals noch nicht so abgeklärt; er stellte zwei Möglichkeiten auf : entweder Blücher trennt sich von den Engländern , oder er sucht sich mit ihnen zu vereinigen , um mit Hilfe einer neuen Schlacht Brüssel und Lüttich zu decken," und weit entfernt, dem Marschall die Richtung nach Wavre vorzuschreiben,,,gleichzeitig mit Blücher dort zu sein," befahl er ihm , „ mit allen seinen Truppen nach Gembloux zu rücken , " nach Gembloux, das 2 Stunden östlich der vom Schlachtfelde nach Warre gehenden Direktion liegt. Er hat von dem letzteren Punkte gar nicht gesprochen und den Namen nicht schreiben lassen. Er hat aber auch Grouchh gar nicht befeh= len können,,,gleichzeitig mit Blücher in Wavre zu ſein,“ da er wohl wußte, daß Grouchh gar nicht im Stande war , Ligny am zeitigen Nachmittage zu verlassen , und daß Blücher mit seinem Marsche weit voraus sein mußte. Von Ligny nach Wavre sind 6 Stunden in gerader Linie und 8 Stunden auf dem kürzesten Wege. Der mündlich gegebene „ ausdrückliche“ Befehl der Memoiren von St. Helena ist sowohl von den schrift= lichen der Geschichte angehörigen Instruktionen , als auch von den Thatsachen derart widerlegt , daß er keinerlei Glauben verdient.
*) Vergl. dieſe Inſtruktion auf S. 234.
410 Napoleon behauptet ferner in seinem Eifer, sich darüber zu rechtfertigen, daß er keinerlei Anstalten getroffen, um sich der Vereinigung der Preußen mit der englischholländischen Armee zu widersetzen : er habe Grouchy in der Nacht vom 17. zum 18. den Befehl gefandt , mit einer starken Abtheilung Chapelle St. Lambert zu be= setzen. Die Memoiren von St. Helena erzählen diesen Vorgang folgendermaaßen : Der Kaiser sandte um 10 Uhr an den Marschall Grouchh , den man bei Wavre vermuthete , einen Offizier, um ihn davon in Kenntniß zu sehen, daß am an= dern Tage eine Schlacht geliefert werden würde, daß die englisch-holländische Armee vor dem Soigne'r Walde in Stellung wäre , mit dem linken Flügel an la Haye ge= stüßt , daß er ihm befehle , noch vor Tage aus seinem Lager bei Wavre eine Division aller Waffen von 7000 Mann mit 16 Geschüßen nach Chapelle St. Lambert zu senden , die sich an die große Armee anschließen und mit ihr fechten solle , und daß er , sobald der Feldmar= schall Blücher Wayre räume, möge es nun geschehen, um den Rückzug weiter nach Brüssel fortzusehen , oder um irgend wo anders hin zu rücken , mit dem größten Theile seiner Truppen zur Verstärkung der bezeich= neten Division herankommen solle. "" Um 11 Uhr, also eine Stunde nach Abgang die= fer Depesche , traf ein Rapport Grouchy's ein, d. d. Er meldete darin, Gembloux , 5 Uhr Abends. daß er mit seiner Armee in Gembloux angekommen sei *), aber nicht wisse, in welcher Richtung Blücher zurückge= gangen sei . Es ward darauf ein zweiter Offizier, um 4 Uhr früh , entsendet, um ihm die Ordre von 10 Uhr Abends zu wiederholen. Eine Stunde später,
*) Grouchy hat Das um 5 Uhr gar nicht melden können, denn Vandamme und Gérard kamen erſt um 9 Uhr und um 10 Uhr in Gembloux an.
411 um 5 Uhr , traf wieder ein Rapport Grouchy's aus Gembloux, 2 Uhr Morgens, ein ; der Marschall meldete darin 2c. Grouchh versichert , von diesen Depeschen erst durch die Memoiren von St. Helena etwas erfahren zu haben, und sendete auch kein Detaschement nach Chapelle St. Lambert. Das spricht schon sehr gegen die Wahrhaftig= keit der Memoiren, denn Grouchh war einer von den= jenigen Generalen , die den erhaltenen Befehlen nur zu sehr folgen und glücklich sind , wenn ihnen vorgeschrieben wird , was sie thun sollen ; er würde den Instruktionen Napoleons sicher gefolgt sein, wenn er sie erhalten hätte. Niemand hat die Namen oder den Grad der Offi= ziere erfahren , welche diese Befehle zu überbringen hatten. Keine Spur findet sich davon in den Registern des Generalstabes. Das spricht abermals gegen die von St. Helena hergekommene Erzählung. Die unbedingte Widerlegung findet sich aber in der Sache selbst, in der Depesche, welche am 18. früh 10 Uhr an den Marschall abgegangen und zu ſeinen Händen gekommen ist. Die Erzählung Napoleons stüßt sich auf zwei Angaben, nämlich, daß er Grouchh den 17. Abends bei Wavre vermuthet, und daß er auch die Vereinigung der preußischen Armee bei Wavre um diese Zeit gekannt habe. Beide Angaben sind irrthümlich. Napoleon hat Grouchh gar nicht bei Wavre vermuthen können , denn von Ligny über Gembloux , wohin ihn sein Befehl führte, bis Wavre find 9 Stunden, auf Nebenwegen, *) und aus der Langsamkeit seines eigenen Marsches von Quatrebras bis auf die Höhen von Rosſomme (24 bis 24 Stunden) konnte er schließen , daß Grouch , dem keine Chaussee zur Verfügung stand , noch langsamer marschiren mußte.
*) Die Chauffee, die jetzt Sombreffe, Gembloux und Wavre verbindet, existirte 1815 noch nicht.
412 Napoleon hat aber auch die Vereinigung der preußischen Armee bei Wavre nicht gekannt ; seine Depesche vom 18. Juni Vormittags 10 Uhr beweist es ganz klar. Er hat aber auch nicht befohlen gehabt, daß Grouchh ein Detaschement nach Chapelle St. Lambert schicken solle ; denn wenn er es gethan hätte , würde diese selbe Depesche es wieder erwähnt haben, würde gefragt haben, wie es mit der Ausführung dieses Befehls stünde , und umgekehrt; sie erwähnt nichts , giebt keinerlei Andeutun= gen davon. Der Name Chapelle St. Lambert und der Befehl, nach dieser Seite zu manövriren , kommen zuerst in der Depesche vor , die um 1 Uhr Nachmittags ge= schrieben ist, als die Ankunft des Bülow'schen Korps daselbst durch ein aufgefangenes Schreiben und das Verhör eines Gefangenen enthüllt worden war. Die Maaßregeln Napoleons würden im Nothfalle auch für sich allein hinreichen , um zu beweisen , daß er weder in der Nacht vom 17. zum 18. , noch am Morgen des letteren Tages daran gedacht hat, Chapelle St. Lambert besetzen zu lassen, und daß diese Idee erst bei Ankunft des Bülow'schen Korps auftauchte. Wenn Napoleon wirklich die Wichtigkeit dieses Punktes früher erkannt hätte, so würde er ihn mit einer Abtheilung seiner eigenen Armee besetzt haben, sobald er erfuhr, daß Grouchy zu weit entfernt war, um Dies rechtzeitig und mit ge= höriger Stärke zu thun. Aber er ergriff keine derartige Maaßregel, ja , er entsendete erst dann Rekognoszirung nach dem Lasne-Thal , als er Truppen auf den Höhen bei Chapelle St. Lambert gewahrte. Die Instruktionen , die in der Nacht vom 17. zum 18. an Grouchh gesendet worden sein sollen , sind, gleich den mündlich zu Ligny ertheilten Befehlen , erst hinter= drein , nach Maaßgabe der Ereignisse , erfunden worden. Am 16. Juni hat Napoleon das Schicksal des belgischen Feldzugs in seinen Händen gehalten. Seine Gleichgiltigkeit, seine Langſamkeit, sein Zaudern ließ es ihm entgleiten.
413 Der Sieg von Ligny hat ihm dieselben Aussichten wieder eröffnet, und sie verschwanden abermals vor denfelben Ursachen. Am 17. konnte er mit Tagesgrauen sich mit seiner ganzen bei Ligny stehenden Armee auf Blücher stürzen, oder er konnte ihm etwa 15,000 Mann nachſenden und mit dem Reſte der Armee nach Quatrebras eilen , sich mit Neh vereinigen , Wellington angreifen und in dem Einen wie in dem Andern Falle konnte er eine der beiden feindlichen Armeen zertrümmern und die andere auf längere Zeit hin außer Wirksamkeit ſeßen. Aber anstatt eines raſchen, klaren und kräftigen Entschlusses , anstatt eines raschen Vorrückens , blieb er bis Mittag unentschlossen und unthätig, machte dann Grouchy entweder zu stark oder zu schwach, ließ Blücher einen leichten Rückzug , faßte Wellington nicht , ließ ihnen die Zeit, ein gemeinsames Handeln zu verabreden und vorzubereiten, und als ob Das immer noch nicht genug Zeit für seine Gegner gewesen wäre , um ihre Maſſen zu einer für unsere Armee erdrückenden Macht anſchwellen zu lassen, wartete er auch am nächsten Tage bis zur Mitte desselben , ehe er die vor ihm stehende englischholländische Armee angriff. Er berücksichtigte endlich in seinem Schlachtplane die Mitwirkung der Preußen nicht, er befahl schlecht vorbereitete , unvollständige und unzusammenhängende Unternehmungen, oder ließ sie geschehen, ergriff den einzigen Augenblick nicht, in dem der Sieg möglich war und verbiß sich in den Kampf, als es Zeit war, ihn abzubrechen, um eine Niederlage zu vermeiden .
Der ganze große Apparat von Kritiken und Anschuldigungen, die von Napoleon und seinen Apologiſten gegen Grouchh, sein Schwanken, ſein Zögern und seine falschen Manöver gerichtet worden sind, hat weiter keinen Zweck, als die unermeßlichen Fehler des 17. und 18. Juni zu verdecken , Fehler , an denen Grouchy_unschuldig war, und die er niemals , und wenn er die vollendetſte Ge=
414 schicklichkeit, Thätigkeit und Energie entwickelt hätte, ausgleichen konnte. Manche Schriftsteller haben die Verhältniſſe, die Zei= ten, die Entfernungen, die Schwierigkeiten vergeſſen oder nicht beachtet und sind mit gutem Glauben in die Schlinge gegangen, die Napoleon und seine Lobredner der Ge= schichte gelegt haben. Man braucht aber nur diese Ge= schichte zu studiren, um sie zu vermeiden ; die Thatsachen liegen klar und greifbar vor. Der belgische Feldzug läßt sich mit zwei Worten kritisiren : es war der Feldzug der Verzögerungen und Verspätungen.
Sechzehntes Kapitel.
Napoleon trifft in Philippeville ein. Befehle in Depeschen, Er die er von da ausfertigt. Er geht nach Laon ab. hält dort Rath. Er geht nach Paris ab - trifft den 21 . Juni früh dort ein. - Berathung im Elisee-Bourbon. - Erklärung der Kammer der Abgeordneten. - Zaudern Napoleons. Seine allmählige Nachgiebigkeit. Seine Ohnmacht , sein Zorn gegenüber den steigenden Anforderungen der Kammern. Berathung in den Tuilerien, in der Nacht vom 21 . zum 22. Juni. Napoleon ist von Absetzung und Gefangennahme bedroht. ― Er entschließt sich zur Abdankung. - Ernennung einer provisorischen Regierung. Napoleon traf 3 oder 4 Stunden nach seiner Abreise Er hielt dort an, von Charleroy in Philippeville ein. um etwas auszuruhen und um von den durch die Niederlage nothwendig gewordenen Depeschen die wesentlichſten abzufertigen . An Rapp und Lamarque gingen die Befehle ab, mit ihren Armeekorps in forcirten Märschen nach Paris zu eilen ; an Lecourbe, nach Lyon zu rücken, und den Fest= ungskommandanten an der Nordgrenze und an der Maas ward die größte Beschleunigung ihrer Vertheidigungsanordnungen bei den nunmehr unmittelbar bevorstehen= den Angriffen eingeschärft.
416 Vor seiner Abreise von Paris hatte Napoleon die Regierung einem Regentschaftsrathe übergeben , der aus ſeinen Brüdern Lucian und Joseph , den Departementsministern und vier Staatsministern bestand ; Joseph war von ihm mit dem Vorſize betraut worden , nicht weil er der würdigste , sondern weil er der dem Throne Nächſte war. Napoleon richtete zwei Schreiben an ihn , welche er einem Sekretair und zwar weniger rasch, als er sonst pflegte , diftirte. Das Eine war zur Mittheilung an den Rath bestimmt und enthielt einen stark geschminkten Bericht der Ereignisse , das Andere , vertrauliche , schilderte die Auflösung , wie sie war und zählte, nicht ohne große Uebertreibung, die Hilfsmittel und Hoffnungen des Besiegten auf. "/Es ist noch nicht Alles verloren , " sagte er ; ,,ich denke , es werden mir , wenn ich Alles zuſammennehme, Von den Aufgebotenen und 150,000 Mann bleiben . den Nationalgarden, die Herz haben, werde ich 100,000 Mann bekommen ; die Depots geben 50,000 und so werde ich dem Feinde sofort 300,000 Mann entgegen= Die Geschütze werden mit den Lurusstellen können. pferden bespannt ; 300,000 Konskribirte lasse ich ausheben ; sie werden mit den Gewehren der Royalisten und der schlechtgesinnten Nationalgarden bewaffnet; ich werde in der Dauphinė , im Lyonnais , in Burgund, in Loth= ringen und in der Champagne das Aufgebot in Maſſe Aber verkünden ; ich werde den Feind niederwerfen. man muß mir helfen und mir nicht entgegentreten. Ich gehe jetzt nach Laon. Dort werde ich jedenfalls Truppen finden. Von Grouchh habe ich noch nichts gehört. Wenn er nicht zersprengt ist (was ich fast fürchte) , so habe ich binnen 3 Tagen 50,000 Mann ; damit werde ich den Feind hinhalten und Paris und Frankreich die Zeit verschaffen , ihre Schuldigkeit zu thun. Die Engländer marschiren langsam ; die Preußen haben Furcht vor den Bauern und werden sich nicht zu weit vor wagen. Es kann Alles wieder gut werden ; schreiben
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Sie mir, welche Wirkung dieses entsetzliche Zusammentreffen auf die Kammern gemacht hat. Ich denke , die Repräsentanten werden sich davon durchbrungen zeigen, daß es unter diesen entscheidenden Verhältnissen ihre Pflicht ist , sich zur Rettung Frankreichs um mich zu schaaren. Bereiten Sie sie darauf vor , daß sie mir würdig zur Seite stehen.“ Erst die Niederlage führte ihn auf die Maaßregeln, die der Eröffnung des Feldzugs vorauszugehen hatten. Napoleon nahm darauf die Feder und fügte bei : ,,Muth, Festigkeit ! " Diese Ermahnung war Joseph Bonaparte gegenüber nicht unnüß. Während dieser Pause in der Flucht, die hier in Philippeville eintrat , langten einige Haufen von Soldaten und Offizieren aller Waffen und Korps vor der Stadt an und wurden durch den Anblick der Wälle doch so weit wieder zur Besinnung gebracht , daß sie anhielAndere waren im Heranzuge. Napoleon_befahl, ten. sie zu sammeln und zu ordnen und dann nach Laon zu dirigiren. Er entfendete ferner Offiziere auf alle die Wege, die von den Flüchtigen benußt worden sein konn= ten und ließ ihnen Laon und Philippeville als Sammelpunkte bezeichnen . Von Charleroh aus hatte er bereits feinen Bruder Jerôme nach Avesnes gesandt , um dort wo möglich den Strom der Flucht aufzuhalten , die Korps wieder einigermaaßen zu reorganiſiren und dann nach Laon zu bringen. Darauf diktirte er dem, mittlerweile auch eingetroffe= nen Major-General , Marschall Soult, seine Instruktionen, verweilte noch einige Zeit , stieg dann in den Wagen und war mit Ende des Tages in Laon. ,,Dort werde ich jedenfalls Truppen finden" hatte er an Joseph Bonaparte geschrieben. Er konnte überhaupt keine andern Truppen dort finden , als die er selbst dorthin beordert hatte: ein Bataillon aktiver Na= tionalgarde nämlich, welches die Besaßung bildete. 27 Charras, Waterloo.
418 Am andern Morgen trieben ihn das Gewicht der Niederlage , der Kummer und die Besorgniß dazu , die Offiziere, seine Suite und den Minister Maret , der ihn begleitet hatte, zu einer Berathung zu vereinigen. Er wollte im Verein mit ihnen erörtern , was von der Gefahr der Lage erfordert würde. Nach der Erzählung eines Augenzeugen *) erklärte er bei der Eröffnung der Berathung, daß er die Armee keinesfalls verlassen werde. Es wurde ihm aber darin lebhaft entgegengetreten. Die Auflösung , wurde bemerkt , ist vollständig , wie Sie selbst gesehen haben. Alle Regimenter sind unter einander gekommen. Es wird Zeit kosten, bis sie wieder geordnet, bis die Trümmer der Armee wieder gesammelt find, die übrigens , wenn Grouchh nicht einer Niederlage entgangen ist, nur wenig in Betracht kommen können . Die Mehrzahl der Soldaten wird weder Waffen noch Munition haben ; die Artillerie ist verloren ; Sie haben feine Armee mehr. Alle Straßen stehen dem Feinde offen . Frankreich kann nur durch sich selbst gerettet werden. Alle Einwohner müssen zu den Waffen grei= fen. Ihre Anwesenheit in Paris ist nothwendig , um Ihren Feinden zu widerstehen und um die Hingebung der Patrioten zu erregen und zu leiten. Die Pariser werden sich schlagen , wenn sie uns sehen ; wenn Sie aber nicht da sind , werden tausend lügenhafte Gerüchte herumfliegen ; bald werden Sie todt, bald gefangen, bald irgendwo eingeschlossen gesagt werden. Die vorhandenen Aufgebote , die Nationalgarden werden mit Widerwillen oder gar nicht fechten. **) Diese Einwürfe erschütterten, wie der nämliche Zeuge versichert , Napoleons Zuversicht ; er gab endlich nach, verwahrte sich aber gewissermaaßen gegen die neue Rolle,
*) Fleury de Chaboulon. ** Fleury de Chaboulon.
2. Th . S. 197. 198. 199.
419 zu der er überging . Da Sie es für nothwendig halten, sagte er zu seinen Vertrauten , will ich nach Paris gehen ; ich bin aber fest überzeugt , daß Sie mich zu einer Thorheit verleiten. Ich gehöre hierher. Ich könnte auch von hier aus die Pariſer Angelegenheiten beſorgen und meine Brüder würden das Uebrige thun. *) Derselbe Mann, der zu andern Zeiten eine solche Raschheit, Sicherheit und Zähigkeit in seinen Entſchlüſſen an den Tag gelegt hatte, ließ sich jetzt durch seine Um = gebung von einer Idee zur andern überführen . Gestern hielt er es für nothwendig, in Laon_zu bleiben, um seine Armee rasch zu sammeln und wieder zu ordnen, um den durch die Niederlage und besonders durch den Glauben an einen niederträchtigen Verrath erschüt= terten Muth der Soldaten wieder aufzurichten. Morgen bestimmten ihn die Gegenreden einiger Rathgeber , diese schwierige Aufgabe Anderen zu überlassen und nach Pa= ris zu eilen. Er war darauf aufmerksam gemacht_wor= den, daß er nach Paris müſſe, um seinen Feinden entgegenzutreten. Diese wenigen Worte geben sowohl den Schlüſſel zu seinem Benehmen, wie zu der Art von Verwahrung, die ihm entschlüpfte ; sein Gewissen , wie verhärtet es auch sein mochte, schrak doch davor zusammen , daß er die Pflichten des Generals wegen der egoistischen Befürchtungen des Herrschers verleßen sollte. Napoleon sandte nun auf's Neue Adjutanten nach den verschiedenen Punkten aus , um den Rückzug und die Vereinigung der Trümmer der Armee bei aon zu beschleunigen. Andere Offiziere gingen nach la Fère ab , um die Vorräthe des dortigen Arsenals , namentlich an Feldartillerie, ohne Verzug nutzbar zu machen. Er behielt sodann nur noch Maret und Fleury de Chaboulon, einen seiner Sekretaire, bei sich und diftirte das Bulletin, das Ligny und Waterloo , den Sieg und
*) Ebendaselbst.
27*
420 die Niederlage verknüpfte ; er wollte dessen Veröffentlichung mit der Nachricht seiner unerwarteten Rückkehr zusammenfallen laſſen. Nach der Angabe Fleury de Chaboulons hätte Napoleon das Bulletin nach vollendetem Diktat den Generalen und Offizieren seiner Suite vorgelegt und sie aufgefordert, Wesentliches, das etwa ausgelassen sein könnte, zu erinnern; ,,meine Absicht ist, daß nichts verschwiegen werde. Frankreich muß die ganze Wahrheit erfahren.“ Aber entweder hegte er andere Absichten , oder sein , wie seiner Umgebungen Gedächtniß waren merkwürdig untreu. Das Bulletin wimmelte von groben Unrichtigkeiten. Bei Ligny betrug der Verlust nur 3000 Mann , bei Mont St. Jean war das Dorf dieses Namens genommen worden ; nur 15,000 Preußen waren zur Unterſtüßung der Engländer gekommen , die Schlacht war gewonnen, als plötzlich ein panischer Schrecken die Truppen ohne allen Grund fortriß und die größte Verwirrung überall hin verbreitete zc. Die Fehler des Führers wurden mit Hilfe einer Verleumdung versteckt , die eine tapfere und bis zum Heroismus hingebende Armee traf. Von Avesnes trafen Nachrichten ein. Jerôme Bona= parte schrieb , daß schon Tausende von Flüchtlingen vereinigt seien , daß deren Zahl beständig wüchse , daß die Generale Ordnung schafften und daß die Verluste sich gewiß nicht als so hoch herausstellen würden , wie man anfangs gefürchtet. Von Grouchh aber wußte man noch nichts. Napoleon befahl , daß mittelst Requisitionen in Laon Lebensmittel und Fourage , so wie Transportmittel zusammengebracht werden sollten , und betraute den Obersten von Bussh, einen seiner Adjutanten, mit der Ueberwachung dieser Anordnungen ; dann hinterließ er noch eine Ordre an den Marschall Soult, worin er ihm den Oberbefehl übergab und reiste Abends nach Paris ab, erschöpft von den Anstrengungen, wie von den physischen
421 und moralischen Leiden. Vor acht Tagen erft hatte er es verlassen. Seit dem vorigen Tage war Paris von einem düstern Gerüchte beunruhigt. Eine entscheidende Schlacht wäre verloren und die in Belgien eingerückte Armee in voller Auflösung ; Napoleon hätte sie nicht sammeln kön= nen und kehrte nach Paris zurück, um neue Hilfsmittel herbeizuschaffen. Fouché und ohne Zweifel auch andere Mitglieder des Regentschaftsrathes hatten ihren Vertrau= ten mitgetheilt , was sie auf Napoleons Befehl von Joseph Bonaparte erfahren. Daher stammte das Gerücht, das in einem Augenblicke die ganze Hauptstadt durchlief. Bemerkenswerth war dabei , daß Napoleon geſchrieben hatte , er werde bei der Armee bleiben und daß man sich dennoch erzählte , daß er sie verlassen würde. So wirkte sein Benehmen in Rußland und Deutschland in den Gemüthern fort. Da aber der Moniteur und die Rednerbühne stumm blieben , und die große Masse der Bevölkerung nicht im Stande war, dem Ursprunge der verhängnißvollen Neuigkeiten nachzuspüren, so bestätigte oder bestritt Jeder nach seinen Neigungen, Meinungen und Leidenschaften , was er hörte. Wer von den Royalisten den Triumph der Fremden behufs der Wiederaufrichtung des bourbonischen Thrones wünschte, erklärte die Nachrichten für wahr. Die Patrioten und die Bonapartisten gaben dagegen vor, Das sei Alles erfunden, um Unruhe zu stiften, das Land aufzuregen und um den Einfluß abzufchwächen, den die feit 4 Tagen nach und nach veröffentlichten Nachrichten von den wichtigen Erfolgen in der Vendée, von einem glücklichen Gefechte Suchet's an der piemon= testschen Grenze und von dem Siege bei Ligny auf die öffentliche Meinung geäußert hatten. Bei alledem blieb man aber doch im Ungewissen ; die Erwartung , hier der Hoffnung , dort der Furcht, war auf's Höchste gespannt. Dieser Zustand währte noch am andern Morgen
422 fort, als man auf Einmal die Rückkehr Napoleons nach Paris erfuhr. Nun war keine Ungewißheit mehr mög= lich. Der Kaiser hat abermals eine ganze Armee verloren" war der einstimmige Ruf. Napoleon war früh 4 Uhr angekommen. Er war im Elysee-Bourbon abgestiegen, nicht in den Tuilerien, als ob die Niederlage ihm das glanzvolle Schloß verbiete, in dem er so gern den Pomp der Mo= narchie Ludwigs XIV. entfaltet hatte. Coulaincourt, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten und sein intimster Vertrauter, hatte ihn empfangen. Er erlag der Ermattung und den Schmerzen . Sein Gesicht war entstellt , sein Athem beklommen . ,,Ich kann nicht mehr, sagte er, ich muß einige Stunden Ruhe haben , ehe ich an die Geschäfte gehen kann. . . . Meine Absicht ist, beide Kammern zu einer kaiserlichen Sitzung zu vereinigen. Ich werde ihnen die Unglücksfälle der Armee schildern ; ich werde die Mittel von ihnen_ver= langen, um das Vaterland zu retten ; dann werde ich wieder abreisen. *) “ Warum hatte er nicht diese Mittel selbst vor der Und wenn er Vereinigung der Kammern vorbereitet ? die Mitwirkung eines Parlamentes wünschte , warum hatte er es da so spät berufen ? Warum hatte er sich nicht wenigstens seit 3 Wochen, nicht den Tag nach dem Maifelde an dasselbe gewendet ? Die Nachricht Ihrer Unfälle ist schon verbreitet ; " hatte ihm Coulaincourt geantwortet ; die Aufregung der Gemüther ist sehr groß ; die Stimmung der Deputirten scheint feindseliger als je; es steht zu befürchten, daß sie Ihren Erwartungen nicht entsprechen. Ich beklage es, Sie hier in Paris zu erblicken ; es wäre besser geweſen, Sie hätten sich nicht von der Armee getrennt **) ; in
*) Mémoires de Fleury de Chaboulon. **) Ebendaselbst.
423 ihr allein ruht Ihre Stärke und Ihre Sicherheit." Joseph und Lucian Bonaparte kamen dazu und be= stätigten die Besorgniſſe Coulaincourt's ; Napoleon war dadurch wieder unschlüssig geworden und hatte auf einige Stunden später einen Ministerrath angeordnet, in welchem er dann die Nothwendigkeit einer kaiserlichen Sißung, die ihm vorher zweifellos erschien, besprechen wollte. Darauf hatte er sich zurückgezogen , um die ihm un= bedingt erforderliche Ruhe zu finden. Seine Natur widerstand nicht mehr den harten Arbeiten , der fortgesetten Schlaflosigkeit und den heftigen Aufregungen. Während er so gezwungener Weise einige Stunden verlor, die ihm zum Handeln so nothwendig waren, und an welche wohl noch andere , zu den Berathungen ver= wendete, sich anschließen konnten , kamen die Minister, die hohen Staatsbeamten, die Hofchargen nach dem Elhfee. Die mit Napoleon zurückgekommenen Offiziere wur- · den von der angstvoll erregten Menge mit Fragen be= stürmt ; sie waren noch voll von den Schrecken der Auflösung und schilderten dieſe mit getreuen Farben ; Furcht und Entmuthigung folgten ihren Worten, und aus den Sälen des Elysee drangen sie rasch nach Außen. Eine fünfzehnjährige Knechtschaft hatte viele Charaktere niedergedrückt und bei gar Vielen die Eigenschaften zerstört, welche bei großen Krisen allein das Wohl des Vaterlandes bewahren können : die Kühnheit und die Standhaftigkeit. Endlich, gegen 10 Uhr, trat der Miniſterrath zusam= men. Napoleon ließ ihm vorerst das Bülletin von Wa=
terloo vorlesen und fügte dann bei : ,,Die Armee hat gewiß an Menschen und Material Aber diese Verluste lassen sich beträchtlich verloren. rasch ersehen. Es sind höchstens 25,000 Mann todt, verwundet oder gefangen ; höchstens einige Tausend mögen sich verstreut haben, und auch sie werden bald frei-
424 willig oder gezwungen wieder bei ihren Fahnen eintref= fen. Es läßt sich auf die Rückkehr Grouchy's mit 25 In 5 oder 6 Tagen oder 30,000 Mann rechnen . werden also bei Laon wenigstens 65,000 Mann stehen, ein Bestand , der bis zum 1. Juli auf 85,000 oder 90,000 Mann gebracht sein wird, da 6000 Mann in den Depots der Garde und 15 oder 20,000 Mann in den übrigen um Paris befindlichen Depots unmittelbar zur Verfügung stehen. Rapp und Lamarque wer= den aus dem Elsaß und der Vendee herangezogen , sie werden ihren Marsch durch alle möglichen Mittel beschleunigen und vor dem 10. Juli einrücken ; die Nordarmee wird dann 130,000 Mann ſtark ſein. Das Artilleriematerial , das sich in la Fere und in Paris befindet, ist mehr als hinreichend , um die stattgehabten Verluste zu decken. Die nöthigen Zugpferde werden requirirt ; es werden übrigens nicht gar viele erforderlich sein , da die meisten Trainsoldaten sich mit ihren Pferden gerettet haben. Die englisch - holländische und die preußische Armee Sie können nur müssen beträchtlich gelitten haben. dann gegen die Aisne vorrücken, wenn sie Beobachtungskorps vor den Hauptfestungen der Nordgrenze zurücklassen und die der Somme mastiren. Wellington und Blücher können dann nicht mehr als 70 oder 80,000 Mann haben und sind genöthigt , ihre Bewegungen mit denen der östreichischen uud russischen Heere in Einklang zu bringen, die erst um den 20. Juli mit ihrer Stärke an der Marne eintreffen können. Auf diese Art werden wir einen vollen Monat gewinnen . Dann aber werden die Befestigungen von Paris fertig und mit einer starken Artillerie bewaffnet sein ; die Nationalgarde, die Tirailleurs werden verstärkt werden ; die Nationalgarden der anstoßenden Departements werden herbeibeordert, ebenso die Matroſenregimenter der atlantischen und der Nordküste. Das wird an 100,000 Mann Truppen ge= ben, die zwar nicht mobil, aber völlig geeignet sind , die
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425 Vertheidigung der Hauptstadt zu übernehmen und dadurch der Feldarmee ihre vollkommene Bewegungsfreiheit zu sichern. Das Zusammenwirken der englisch-holländischen und preußischen Armee mit den übrigen Armeen der Coalisation wird Verhältnisse herbeiführen , die ganz zum Vortheile der französischen Armee sein werden , die von einer zentralen Stellung aus und geſtüßt auf Paris manövriren kann. Der Marschall Suchet wird mit dem General Le= courbe bald 30,000 Mann Linientruppen vor Lyon ha= ben, ohne die Besatzung zu rechnen. Lyon ist bewaffnet, ausgerüstet und verschanzt ; Suchet wird dort die ganze östreichisch-særvinische Armee in Schach halten. Die Vertheidigung der Festungen ist gesichert. Das Mißgeschick von Waterloo kann also wieder ausgeglichen werden, aber es gehören Charakter, Energie und Festigkeit der Offiziere , der Regierung , der Kammern, der ganzen Nation dazu ! " *) Leider war diese Darstellung nicht ganz richtig . Er nahm die Existenz der Grouchy'ſchen Korps in Rechnung, ohne doch Nachrichten von dort zu haben; er übertrieb die wirklich vorhandenen Vertheidigungsmittel, verringerte in eigenthümlicher Weise die des Angriffs und rechnete ungenau mit der Zeit und dem Drange der Umstände ; dagegen war es wohl begründet , daß , wenn Alle in der Nation ihre Schuldigkeit thaten , troß dieser Rechnungsfehler noch nicht alle Hoffnungen auf Rettung verloren waren. Und wenn von allen Aussichten zur Rettung auch nur Eine übrig bleibt , so soll ein großes Volk sich ihr entschlossen zuwenden . Es ist gewiß ein großes Unglück , im Kampfe beſiegt
*) Camp. de 1815 par Gourgaud.
Mém. de Nap. Th . 9 .
426 zu werden, aber selbst die Niederlage ist dann nicht ohne Ruhm, sie zwingt dem Sieger Achtung ab. Das Natio= nalgefühl besteht lebendig und feurig fort und der Tag der Vergeltung und des Triumphes liegt dann nicht weit von dem des Sturzes. Es ist aber eine Schande, wenn man die Waffen niederlegt und sich unterjochen läßt, ehe die letzten Mittel des Widerstandes erschöpft und die letzten Patronen verfeuert sind ; und die Schande vernichtet das Nationalgefühl entweder ganz oder schwächt und verringert es doch wenigstens auf lange hinaus. Napoleon fuhr nach einem Augenblick des Schweigens und des Zögerns , während dessen er mit unruhigem Auge die Mienen seiner Minister musterte, fort : „ Zur Rettung des Vaterlandes bedarf ich einer zeitweiligen Diktatur. Ich könnte mich derselben bemächtigen , aber es wäre nüßlicher und würdiger , wenn sie mir von den Kammern übertragen würde. Wenn Spalt= ungen eintreten, ist Alles verloren.“ Die Diktatur! Er hatte sich derselben bemächtigt ; er hielt sie 15 Jahre fest und hatte von ihr einen so üblen Gebrauch gemacht, daß er ganz Europa, die Könige wie die Völker, gegen sich selbst wie gegen Frankreich erhoben hatte, das seinem thörichten Ehrgeize unterworfen war. Die Diktatur! Noch im verflossenen Jahre hatte er sie im vollen Besitze gehabt und in drei Monaten war das Vaterland von Feinden überschwemmt , entwaffnet, durch die eigenen Fehler seines Diktators zur Ohnmacht verurtheilt und einem schmachvollen Frieden unterworfen worden, der ihm die von der Republik eroberten Grenzen raubte. Die Probe war schon vorgenommen worden , er hatte sie nicht bestanden ; er hatte gezeigt , daß er nicht der Mann für große nationale Krisen und Augenblicke der höchsten Entscheidung war. Es gehörte eine Verblendung dazu, jetzt zu hoffen, daß man ihm wieder jene unumschränkte Machtvollkommenheit zutheilen werde, welche schon Ein Mal unser Unglück herbeigeführt hatte.
427 Die Minister schwiegen bei dieser unverhofften Enthüllung seiner Gedanken. Es bedurfte einer unmittelbaren Aufforderung an jeden Einzelnen , um ihn zum Sprechen zu veranlaſſen. Darin lag schon eine Antwort. Sie waren einstimmig darin , daß das Parlament sich niemals freiwillig unter die Diktatur Napoleons beugen werde ; sie waren aber auch einstimmig darüber, daß ohne das Parlament nichts auszurichten sei ; man werde aber die Mitwirkung der Kammern durch ,,Vertrauen und Aufrichtigkeit“ erlangen -- wie einer der Anwesenden, und gerade Der, der vom Gegentheil am meiſten durchdrungen war, hinzufügte. Aber ein Anderer, ein früherer Anbeter des Kaiserreichs , der jetzt von der Entmuthigung zur Offenheit aufgestachelt war, zog den Schleier weg, hinter den sein Kollege die wirkliche Sachlage zu verstecken ſuchte. ,,Die Mitwirkung der Repräsentanten zu den Absichten des Kaisers steht nicht zu erwarten ; sie glauben nicht, daß seine Hand berufen sei , das Vaterland zu retten, und bei dieser Stimmung dürfte ein großes Opfer noth= wendig werden." " Sprechen Sie deutlich , Regnauld ," sagte Napoleon barsch; sie wollen meine Abdankung, nicht wahr ? " Regnauld verbeugte sich, als Zeichen der Beiſtimmung, und fügte dann noch mit äußerster Offenheit hinzu : „ Ich glaube sogar, daß, wenn Ew. Majestät sich nicht ent= schließt, seine Abdankung anzubieten, die Kammer wagen könnte, sie zu verlangen.“ Bei diesen Worten brach Lucian Bonaparte los . Er glaube nicht an eine solche Kühnheit der Repräsentanten, aber wenn man sie erwarten dürfte, so müſſe man ihr zuvorkommen und gleichfalls Etwas wagen. ,,Der Kaiser sollte auf der Stelle die Diktatur ergreifen, Frankreich in Belagerungszustand erklären und alle Patrioten und alle gute Franzosen zu Deſſen Vertheidigung aufrufen.“ Lucian Bonaparte war Frankreich seit 12 Jahren entfremdet, war troß seiner Eigenschaft als Franzose in
428 lächerlicher Weise römischer Fürst geworden , war zwar ein Charakter , aber unüberlegt, heftig und mochte sich noch am Vorabend des 18. Brumaire glauben , als der General Bonaparte , im Strahlenglanze von zwanzig Siegen bislang jeder politischen Stellung fremd , sich ungestraft dem Einen als Vollender, dem Andern als den Begrenzer der Revolution, Diesem als den Friedensstifter, Jenem als den Widerhersteller der Bourbonischen Monarchie zeigen konnte, damit überall hin Ungewißheit und Zaudern verbreitete und so seinem Ehrgeize einen Weg bahnte, mitten durch die Befürchtungen und die Hoffnungen, durch den widerbelebten Haß und die gegen= seitigen Widersprüche der Parteien hindurch. Aber seit dieser Zeit hatte der Kaiser die Räthsel gelöst , die den General Bonaparte umhüllten ; die Republik war unter seinem scharfen Regimente verblichen, die Revolution war hinter 1789 zurückgedrängt ; der Krieg hatte unaufhörlich den ganzen Kontinent durchtobt und verheert ; bourbonisches Blut war in dem Schloßgraben von Vincennes " ge= floffen; drei aufeinanderfolgende Jahre ungeheurer Niederlagen und eine erzwungene Abdankung hatten den Lauf des ersten Kaiserreichs beschlossen , und das zweite, das im Fluge erobert und im Namen der Demokratie, der Freiheit und des Friedens eingeweiht worden war, hatte zur Aufrechthaltung des Adels, zur erblichen Pairie, zu den Täuschungen des Akte additionnel, zur allgemeinen Verschwörung Europa's und bereits zu der entsetzlichsten Katastrophe geführt. Die Verhältnisse waren vom 18. Brumaire des Jahres VIII bis zum 21. Juni 1815 für Napoleon ganz anders geworden. Der Schimmer des Sieges blendete nicht mehr die Augen der Menge, und die Parteien glaubten nicht mehr an die zweideutigen Versprechungen für die Zukunft. Wo sollte man denn die zu einem Staatsstreiche und zum Ergreifen der Diktatur nöthige Macht finden? In der Armee ? Sie war besiegt und aus den Fugen gerückt, weit von Paris und ihr Feld-
429 herr hatte sie eben verlassen. In den Depots ? Sie waren wenig zahlreich , die Generale übler Stimmung und es erschien sehr zweifelhaft , ob sie sich zu Gewalt= streichen gegen das Parlament hergeben würden, das auf der Stelle von 10,000 Mann Nationalgarden vertheidigt worden wäre, unter denen zwar Parteiungen herrschten, die aber fast. alle dem Kaiserreiche feindselig entgegen ſtanden. In den Aufgeboten ? Das waren gerade die Demokraten. Napoleon kannte ihren Geist so gut, daß er sie nicht hatte bewaffnen wollen. In den Tirailleurs der Nationalgarde ? Sie flößten ihm auch kein besonderes Vertrauen ein , denn kaum 3000 hatten erst Ge= wehre erhalten. In den untersten und unwissendſten Klaſſen der Pariser Bevölkerung ? Wenn sich auch aus ihnen eine momentane Hilfe hätte ziehen lassen, so würde diese selbst doch nur zu verzweifelten inneren Kämpfen geführt haben, die binnen Kurzem der napoleonischen Monarchie verderblich werden mußten. Unter solchen Umständen einen Staatsstreich zu wa= gen , hieß für Napoleon einem fast gewissen Untergange und im wenigst schlechten Falle dem fürchterlichen Wechſel= spiele eines Bürgerkrieges in dem Augenblicke entgegen= gehen , in dem es sich um die Vereinigung der ganzen Macht Frankreichs gegen seine äußeren Feinde handelte. Lucian Bonaparte sah Dies nicht ein. Er war von der Leidenschaft verblendet, begierig, sich, wie man sagt *), für das lange Fasten seines nunmehro verspäteten Ehrgeizes zu entschädigen. Napoleon durchschaute die Sachlage. Er hatte zwar eben erst gesagt : „ Ich könnte mich der Diktatur bemächtigen, " aber der unwiderleglichste Be= weis dafür , daß er sich selbst der dazu gehörigen Macht nicht bewußt war , lag darin, daß er eine Berathung hervorgerufen hatte. Wenn er die Macht gehabt , hätte er gehandelt und nicht erörtert. * Villemain , Souvenirs contemporains d'histoire et de littérature.
430 Die Berathung dauerte lange. Nur Carnot allein hatte sich, wie man sagt, der Meinung Lucians ange= schlossen, und hielt sich für eine neue Phase seines ehrlichen aber eigenthümlichen Lebenslaufes bereit , der ihn bereits aus dem Wohlfahrtsausschuß in das kaiserliche Kabinet und aus dem Jakobinerklubb in den Schooß des Adels geführt hatte. Napoleon hatte wieder das Wort ergriffen, hatte die Hilfsquellen des Landes von Neuem zusammengestellt, die Möglichkeiten erörtert, sie flüssig zu machen, und kam darauf wieder auf die Nothwendigkeit zurück, eine große Gewalt in seinen Händen vollständig zu vereinigen , die Diktatur zu ergreifen, was , wie er Die Repräsentanten wiederholte, nur von ihm abhänge. fürchte ich nicht," rief er aus ; was sie auch versuchen mögen, ich werde immer der Abgott des Volkes und der Armee sein und wenn ich Ein Wort sage , so sind sie niedergeworfen." Die Minister glaubten wirklich , daß Dies seine Ueberzeugung sei und daß er in der That nunmehr von der Besprechung zu der Ausführung der Gewaltmaaßregeln übergehen werde , als eine von den Mitgliedern des Ministerrathes nicht unerwartete Unterbrechung eintrat , und mit Einem Male zeigte, daß seine hochtrabenden Worte und das Vertrauen in die Liebe des Volkes und der Armee, mit dem er sich so brüstete, nicht einmal auf einer ehrlichen Täuschung beruhten. Die Repräsentantenfammer war nach der halbamtlichen Anzeige von Napoleons Rückkehr zeitig von ihrem Präsi= denten zusammenberufen worden und hatte sich sofort gegen alle etwaigen Diktaturgelüfte in Vertheidigungsstand gesetzt. Der berühmte Antrag Lafayette's war fast ohne Berathung einhellig angenommen worden : Die Kammer erklärt sich in Permanenz. Jeder Versuch , sie aufzulösen , ist Hochverrath. Wer sich eines solchen Versuches schuldig macht , wird als Vaterlandsverräther erklärt und sofort als solcher vor Gericht gestellt . . . Die Minister des Krieges , der auswärtigen Ange-
431 legenheiten, der Polizei und des Innern werden aufge= fordert, sich sofort in die Kammer zu verfügen." Das war ein wahrhaftiger Staatsstreich , denn der Akte additionnel ertheilte dem Kaiser das Recht, beide Kammern zu vertagen und nach Ermessen die der Deputirten aufzulösen. Aber in ganz Frankreich hatte Nie= mand diese zwitterhafte Verfassung ernstlich genommen ; sie war übereilt und im Geheimen ausgearbeitet , überraschend verkündet und nur von 14 Million Stimmen angenommen worden , während mehr als 6 Millionen Bürger sie durch Wegbleiben von der Abstimmung verwarfen, ein Wegbleiben, das von der freien Presse nach seinem wahren Werthe charakterisirt wurde und das weder in der Zahl noch in seiner Bedeutung gefälscht werden fonnte *). Der Kaiser, die Pairs und die Deputirten hatten zwar diese Verfassung beschweren, die von der ungeheuren Majorität des Volkes abgelehnt worden war, aber Niemand fühlte sich von diesem Eide sehr gefesselt. Ein großer Sieg würde ihn zu Gunsten Napoleons gelöst haben, eine Niederlage löste ihn zu seinem Sturze. Sein Beispiel hatte durch 15 Jahre hindurch bei Allen die Achtung vor dem Eide und der Gesetzlichkeit vernichtet.
*) Trotzdem war nach der Angabe von Zeitgenossen das Stimmensammeln nicht ohne alle Fälschungen abgegangen. Das ist wenigstens, so weit es die Armee betrifft, durch ein im Moniteur vom 25. November 1815 veröffentlichtes Schreiben bestätigt. Das Schreiben ist von dem Obersten , 2 Bataillonskommandanten und 12 andern Offizieren vom 1. leichten Regimente unterzeichnet und ohne Widerlegung geblieben ; es wird darin versichert, daß die beiden Kriegsbataillone des Regiments (etwa 1000 Mann) einstimmig ein ablehnendes Votum abgaben, worüber am 6. Mai 1815 ein Protokoll entworfen und an den Kriegsminister eingesendet worden ist. Bei der Verkündigung der Abstimmungsresultate kamen aber trotzdem auf die Armee überhaupt nur 320 ablehnende Stimmen.
432 Die Deputirtenkammer hatte von ihrem Beschluſſe dem Kaiser sofort durch eine besondere Botschaft Kenntniß gegeben, und diese Botschaft war gewiſſermaaßen die Antwort auf die schneidenden und zornigen Aussprüche des= ſelben. Die Lage hatte sich rasch abgeklärt. Napoleon mußte auf die Verwegenheit der Kammer entweder sofort mit einer Auflösung oder doch wenigstens mit einer Vertagung antworten, oder er durfte binnen Kurzem sein Absetzungsdefret erwarten ; denn auf dem Wege, welchen seine Widersacher eingeschlagen , gab es diesseits seines Sturzes keinen Halt. Er täuschte sich darüber nicht. Vor einem Augenblicke noch zeigte er so viel Vertrauen in seine Macht, in die Liebe des Volkes und der Armee ; wie verächtlich hatte er nicht von der Macht des Parlaments ge= sprochen und jetzt war er fassungslos , ohne Worte und starren Antliges , und als er das Schweigen brach, versette die plötzliche Umwandlung seiner Sprache die Brüder wie die Minister in Staunen: ,,Ich sehe , daß Regnauld mich nicht getäuscht hatte; ich werde abdanken, wenn es sein muß." Diese Worte wurden begierig aufgenommen und treuloser Weise sofort den Repräsentanten hinterbracht , die ſich dadurch in ihrer Feindseligkeit noch mehr ermuthigt fühlten. Gleich darauf faßte er sich wieder und fügte hinzu: ,,Ehe ich mich entscheide, muß man doch erst sehen, was daraus werden wird." Er wandte sich darauf an Regnauld und befahl ihm, in die Kammer zu eilen und dort die Stimmung zu erkunden , dabei , als Vorwand feines Erscheinens , die Rückkehr des Kaisers offiziell an= zusagen und dieser Neuigkeit, die für Niemand mehr eine war, einige nichtsbedeutende Worte beizufügen. Carnot erhielt denselben Auftrag für die Pairsfammer. Kaum waren die Genannten abgegangen, als Fouché bemerkte , daß die Repräsentantenkammer die Minister
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433 des Krieges, der auswärtigen Angelegenheiten, der Polizei und des Innern zu sich berufen habe, und von dem Erscheinen eines Ministers ohne Portefeuille wenig befriedigt fein werde. ,,Was liegt daran ! " rief Napoleon mit einer Anwandlung von Selbstständigkeit ; „ die Kammer hat nicht das Recht, meine Minister zu sich zu berufen. Ich befehle Ihnen, nicht von der Stelle zu weichen ! " Der Befehl blieb nicht lange in Kraft. Nach einer Stunde kam Regnauld in's Elysee zurück ; er meldete, daß die Kammer in der größten Aufregung sei, und daß man von ihr sofortige und äußerste Schritte erwarten dürfe. Lucian ergriff die Gelegenheit , seinen Rath, die Kammer zur Stelle aufzulösen, auf's Neue zu empfehlen. Fouché, Coulaincourt, Regnauld und Andere traten ihm mit mehr oder weniger Entschlossenheit ent= gegen. Aber Napoleon gab weder auf die südliche Redseligkeit seines Bruders , noch auf die Worte seiner Minister Acht und blieb stumm und in seine Gedanken versunken. Die Umstände wurden immer dringender ; die seit dem Morgen mit Unthätigkeit, Unentschlossenheit und fruchtlosen Reden verlorenen Stunden fingen an, wirksam zu werden. Die Feindseligkeit gegen den Kaiser drang sogar bis in die Verhandlung, die er selbst zusammengesezt hatte , für die er die ſorgſamſte Auswahl unter Denen getroffen , von deren Hingebung und unbedingter Unterwürfigkeit er am sichersten überzeugt war . ... die Pairskammer hatte den ihr von der Repräsentantenkam= mer übergebenen Antrag Lafayette's angenommen ! Fast um dieselbe Zeit traf auch eine weitere Botschaft der Repräsentantenkammer ein , durch welche die verlangten Minister noch gebieterischer aufgefordert wurden, sich ohne Verzug zu ihr zu verfügen ; die Berichte der Vertrauten, die zwischen dem Elysee und dem Palaste Bourbon fortgesetzt unterwegs waren, verkündeten, daß Lafayette und auch andere Repräsentanten entschlossen seien , wenn die Minister nicht sofort dem leßten Befehle der Kammergenügten, den Antrag auf Abseßung, ja selbst auf Arretur Charras, Waterloo. 28
434 des Kaisers einzubringen , und daß dieſer Antrag gewiß angenommen werden würde. Diese Nachrichten, Schlag auf Schlag einander folgend , rüttelten Napoleon aus seiner Fühllosigkeit auf. Er war überzeugt, daß ein offener Kampf mit dem Parlamente, wenn nicht unmöglich, so doch wenigstens er= folglos fein würde ; er griff also zur List, suchte die Sache in die Länge zu ziehen , einen Aufschub zu gewinnen, während dessen er noch die seinen Händen entschlüpfende Gewalt festhalten konnte - vielleicht, daß ein Zwischenfall , ein Fehler seiner Gegner, eine Spaltung in ihnen, ein Umschlag der öffentlichen Meinung, mit einem Worte, daß ein glückliches Ereigniß einträte , das er zu seinem Vortheile benutzen könnte; er gab sofort den eben an die Miniſter ertheilten Befehl auf und sendete sie in die Um nicht sofort vom Throne Repräsentantenkammer. gestürzt zu werden , stieg er selbst die obersten Stufen herab. Um aber die Größe seiner Nachgiebigkeit einigermaaßen zu verhüllen , beauftragte er die Minister mit einer Botschaft und begann diese zu diktiren. Während dieser Arbeit, die nicht lange währen konnte, schrieben die vier nach dem Palais Bourbon beschiedenen Minister an den Präsidenten der Repräsentantenkammer, um ihm ihre bevorstehende Ankunft mitzutheilen. Die auf's Höchste gestiegene Ungeduld mußte beruhigt und einem bevorstehenden entscheidenden Beschluſſe mußte vorgebeugt werden. Um 6 Uhr traten Davoust, Coulaincourt, Carnot und Fouché in die Kammer. Lucian Bonaparte war ihnen vorangeeilt. Napoleon vertraute nicht vollständig der Festigkeit, Geschicklichkeit und Hingebung seiner Minister und hatte ihn deshalb zu seinem Generalkommiſſar ernannt, mit der Verlesung der Botschaft und ihrer Vertheidigung in der Debatte beauftragt. Diese Wahl legte für sich allein genügendes Zeugniß ab von der Bewegung seines Innern. Der ehemalige Präsident des Rathes der Fünfhundert, der Hauptmitschuldige des Attentates vom
435 www 18. Brumaire , der in dieſen Mauern nichts als Wider= willen und wohlbegründeten Haß erregen konnte - wie fonnte Dieser seiner Sendung der Vermittelung entspre= chen, die Geister gewinnen, die Befürchtungen verwischen und die Gemüther versöhnen ? Auf seinen Antrag ging die Kammer in eine geheime Sizung über. Er verlas die Botschaft. Es war eine übersichtliche und mehr oder weniger falsche Darstellung der Niederlage von Waterloo, eine Anzeige der genom= menen und noch beabsichtigten Maaßregeln zur Herstell= ung der Armee, ein Aufruf zur Vereinigung aller Ge= walten und aller Klassen der Bevölkerung und am Schluſſe kam der Antrag an beide Kammern , es möge jede fünf Glieder aus ihrer Mitte wählen, um mit den Miniſtern über die Mittel der Landesvertheidigung und über die Möglichkeit von Friedensunterhandlungen zu berathen *). Die Verlesung ward schweigend angehört , aber eine außerordentliche Aufregung, eine heftige Debatte und Tumult folgten ihr. Die Ansicht der Kammer trat flar hervor, als sie den Rednern Beifall riefen , die es aussprachen , daß Napoleon auf dem Throne ein unüberwindliches Hinderniß für alle Unterhandlungen sei , daß die erste Bedingung für die Rettung des Vaterlandes seine Abdankung sei und daß, wenn diese nicht eintrete, feine Absetzung nothwendig werde. Für jest ging die Kammer nicht weiter und begnügte sich mit dieser ziemlich offenen Aufforderung. Sie er= wartete die Wirkung derselben und ernannte mittlerweile die fünf Kommissare, die ſonach faktisch in die Regierung eintreten sollten. Sie näherte sich ihrem leidenschaftlich angestrebten Ziele. *) Wir sind in dieser Darstellung den Angaben von Lallemant, Fleury de Chaboulon, Thibeaudeau, Vaulabelle 2c. gefolgt. Lucian Bonaparte hat in einer Brochure : ,,La vérité sur les cent- jours" wie er sagt , den Text der Botschaft genau angegeben. Wenn derselbe richtig ist, war er noch unbedeutender, als wir ihn oben brachten. 28 *
436 Lucian Bonaparte und die vier Minister begaben sich darauf in die Pairskammer. Die Botschaft ward äußerst kalt aufgenommen und erregte eine sehr unbedeutende Diskussion, die sofort durch die Wahl der fünf Kommiſſare beendet ward, welche von der Pairskammer eben so wie von der Repräsentantenkammer verlangt worden waren. Bei seiner Rückkehr gab Lucian Bonaparte ein treues Bild von der stürmischen Aufregung der einen und der Kälte der andern Kammer ; er kam auf sein Lieblingsthema zurück und drängte zu einer Auflösung der Repräsentantenkammer. Was fürchten Sie ? " sagte er dem Kaiser; das Auflösungsdekret liegt innerhalb der Grenzen „Aber die RepräsenIhrer konstitutionellen Gewalt. - ,,Aber tanten werden Widerstand leisten, " antwortete dieser,,,man müßte Gewalt gebrauchen und das würde das Zeichen, der Anfang des Bürgerkrieges sein ; ich mag ein solches Unglück nicht über Frankreich heraufbeschwören.“ Die Aufrichtigkeit dieser Worte steht zu bezweifeln ; sie schienen mehr bestimmt, seine Entmuthigung und seine Ohnmacht zu verbergen. Der Bürgerkrieg , hatte er sich denn am 18. Brumaire und bei seiner Abreise von Elba besonnen, ihn anzufachen ? Er war im Rhonethal ausgebrochen und wüthete noch in der Vendee *). Lucian blieb ungeachtet der Weigerungen seines Bruders bei der Nothwendigkeit der Auflösung stehen. E8 war in seinen Augen eine unverzeihliche Schwäche , vor dieser Maaßregel zurückzuschrecken oder noch nach Zeitgewinn zu streben. Die Repräsentanten lärmten, aber sie hätten keine Macht ; der kleinste Schlag würde sie niederwerfen .
*) Am 20. Juni focht Lamarque bei la Roche Servière gegen 18 oder 20,000 royalistischer Insurgenten und tödtete oder verwundete ihrer 12 bis 1500 Mann. (Rapport des Generals Lamarque, am 24. Juni in der Repräsentantenkammer verleſen.)
437 Der Rath ward von der Mehrzahl der Minister verworfen; Napoleon faßte aber doch noch keinen Entschluß. Er fühlte , wie ihm die Macht entschlüpfte und hatte doch weder den Muth , sie hinzugeben, noch die Kühnheit , sie festzuhalten. Sein Charakter , wie rasch , wie entschlossen, wie stolz er sich im Glück auch zeigte, beugte sich leicht vor den Widerwärtigkeiten. Während der Nacht versammelten sich unter Cambacérès Vorſize die Miniſter , die Kommiſſare der beiden Kammern und Lucian Bonaparte zu einer Sigung in den Tuilerien. „ Die Ersteren schlugen", wie ein Augenzeuge_ſagt *), ,,ruhig eine Aushebung, ein Sicherheitsgefeß und Finanzmaaßregeln vor , ziemlich so wie früher, wo man vom Senate Rekruten und vom gesetzgebenden Körper Geld verlangte, übergingen aber die Niederlage von Waterloo, ihre Ursachen, ihre Ausdehnung , die Lage der Armee, die Hilfsquellen und die in der Repräsentantenkammer angeregte Frage über die Hindernisse , welche durch die Person Napoleon's dem Frieden erwüchsen, mit Stillschweigen.“ Hierüber herrschte allenthalben vollständige Uebereinstimmung. Lafayette erklärte, daß er im Voraus jedes weitere Opfer und jede weitere Maaßregel gut heiße, ,,weil er es für die oberste Pflicht halte, den Einfall der Feinde und den Einfluß des Auslandes zurückzuweisen.**) Die Verschiedenheiten der Ansichten traten aber sofort hervor , als dieser alte Freund der Freiheit die Frage wegen der Unterhandlungen anregte, eine Frage , die von den Ministern in Folge einer kleinlichen Anordnung nicht berührt worden war , als ob ihr Schweigen darüber hinreichen könne, um sie von der Debatte auszuschließen. *) Thibaudeau. Le Consulat et l'Empire. Thibaudeau war einer der von der Pairskammer ernannten Kommiſſare **) Mémoires du Général Lafayette .
438 ,,Es ist nothwendig", sagt er,,,daß die Vertheidigung des Landes und die Diplomatie Hand in Hand gehen ; dies ist sogar von der in den Kammern verlesenen Botschaft anerkannt worden ; da aber der Feind jede Unterhandlung mit dem Kaiser verweigert , so müssen wir ihm von den Kammern ernannte Unterhändler senden, die in deren Auftrage und im Namen des Volkes auftreten." Die Annahme dieser Ansicht wäre der Anfang der Absetzung gewesen. Lucian und die Minister, mit Ausnahme Fouché's , traten ihr entgegen. Die Majorität des Rathes lehnte ſie ab . Lafayette rief darauf die in der Kammer durch die Botschaft angeregten Debatten in's Gedächtniß zurück, wies auf die nicht zu bezweifelnde Ansicht der Kammer von der Nothwendigkeit der Abdankung hin und schlug darauf dem Rathe vor , sich in's Elysee zu begeben, um Napoleon zu bestimmen, im Interesse des Vaterlandes der Krone zu entsagen . Cambacérès trug aber in seiner Behutsamkeit doch Bedenken , diesen Vorschlag_der_Ab= stimmung zu unterwerfen , obschon er mehrseitig lebhaft unterstützt ward. Es war heller Tag geworden; man mußte doch endlich den Kommissaren der beiden Kammern die Unterlagen zu einem Berichte geben , worin wenigstens von den Mitteln zur Herstellung des Friedens die Rede war. Der Bruder Napoleon's und die Minister konnten sich dieser Erwägung nicht verschließen . Sie schlugen vor, daß Bevollmächtigte vom Kaiser ernannt und be fehligt würden, sofort im Namen der Nation die Unterhandlungen zu eröffnen. Das war kein Mittelweg zwi= schen den Forderungen der gegenwärtigen Partheien, kaum eine Ausflucht. Die Majorität nahm ihn aber trotz der Protestationen Lafayette's und seiner Kollegen in der Nepräsentantenkammer an ; er erklärte, daß die Kammer sich damit nicht einverstehen werde, daß sie ent= schloffen seien, auf der Tribune dagegen aufzutreten, und daß sie die Ueberzeugung hegten , der Widerstand,
439 den man ihnen entgegenseße , werde baldigst vor dem Drange der Nothwendigkeit weichen. Darauf trennte man sich. Einige Stunden später traten die Kammern zuſammen. Die Repräsentantenkammer war aufgeregt und lärmend und verlangte bald den Bericht ihrer Kommiſſion über die während der Nacht in den Tuilerien stattgehabte Sizung. Man antwortete, er ſei noch nicht fertig. Aufregung und Tumult wuchsen. Man verhehlte die Wahrheit. Lange vor der Eröffnung der Kanmersißungen hatte Napoleon seine Brüder und seine Minister wieder in's Elysee beschieden. Unentschlossen , ohnmächtig , unfähig zum Handeln, wie er war , suchte er seine Schwäche unter fortwährenden Diskussionen zu verbergen. Aber diesmal waren seine Rathgeber einstimmig und erklärten ihm, daß die Zeit der Winkelzüge vorbei sei und ihm nur noch die Abdankung übrig bleibe, zu der er sofort schreiten müsse. Selbst Lucian unterstützte diese Meinung; er hatte sich über die öffentliche Meinung in Paris beffer orientirt , hatte das ſteigende Ansehen der Repräsentantenkammer , das namentlich durch den gestrigen Beschluß hervorgerufen worden war , erkannt , und war dadurch so abgekühlt worden , daß er jezt eben so dringend zur Abdankung rieth, wie er gestern zu Gewaltmaßregeln gerathen hatte. Die Abdankung ließ ihm die Aussicht auf einen Theil der Macht, auf Reichthum, aber eine Abseßung beschränkte ihn auf die unfruchtbare und lächerliche Auszeichnung seiner römischen Fürstlichkeit. Es schien einen Augenblick, als ob Napoleon geneigt sei, seinen Stolz und seinen Egoismus hintanzuſeßen und das Opfer zu bringen , das man von ihm verlangte. Regnauld war sofort in die Repräsentantenkammer geeilt, und beschwor die Kommiſſare, ihren Bericht zu verzögern, der allerdings, wenn er nichts als eine genaue Erzählung des Vergangenen enthielt , jedenfalls zu raschen und entscheidenden Beschlüssen führen mußte. Warten Sie
440 nur einige Augenblicke“, sagte Regnauld,,,und Sie wer= den der Kammer eine Entschließung mitzutheilen haben, die sie zufriedenstellt und doch jedes unangenehme Aufsehen vermeidet." Nach der Ansicht von Napoleon's Gegnern war die Abdankung besser als die Abseßung ; die Kommiſſion ging also auf Regnauld's Vorstellungen ein, und Das veranlaßte die Verzögerung , über welche die Kammer ungeduldig ward. Regnauld war aber in seinem Eifer zu weit gegan= gen. Als er zu Napoleon zurückkehrte, fand er ihn noch immer sprechend , diskutirend und vor jedem Entſchluſſe zurückweichend. Erst nach langen Anstrengungen und nachdem auf's Neue die beunruhigendsten Nachrichten aus dem Palais Bourbon eingegangen waren , und die Ver= trauten berichtet hatten, daß dem Verlesen des Kommissionsberichtes sofort das Absetzungs-Dekret, möglicherweise die Arretur folgen würde , gelang es , ihn wieder zu ei= ner Konzession zu vermögen. Aber sie war wiederum unvollständig. Napoleon genehmigte, daß die Kommiſſionen es als eine in der letzten Nacht in den Tuilerien beschlossene und von ihm genehmigte Maaßregel verkündeten , daß Bevollmächtigte von den Kammern ernannt und abgesendet würden , um mit den verbündeten Mächten direkt zu unterhandeln. Man stellte ihm vergebens vor, daß er doch das Versprechen beifügen möchte, abzudanken, wenn sich herausstelle , daß er das alleinige Hinderniß des Friedens sei. Er verweigerte Das hartnäckig und glaubte genug gethan zu haben, um den Ungeſtüm seiner Gegner zu mäßigen und einen Zeitgewinn zu erlangen. Seine Verblendung kam seiner Schwäche gleich. Regnauld kehrte sofort in's Palais Bourbon zurück, um der Kommission diese Beistimmung zur Abänderung ihres Berichtes zu überbringen ; er forderte sie auf, noch weiter zu warten , weil er überzeugt sei , daß man vom Kaiser sehr bald auch noch das jetzt verweigerte Versprechen erhalten werde.
441 Ein längeres Zögern war aber unmöglich. Die Repräsentanten waren schon seit zwei Stunden versammelt und außer sich. Die Kommiſſion mußte endlich den wiederholten Aufforderungen nachgeben ; sie begab sich in die Kammer und ihr Berichterstatter auf die Tribune. Der Bericht war außerordentlich kurz ; die Kommiſſion sagte, daß in der Situng in den Tuilerien zwei Beschlüsse gefaßt worden seien , die sie hiermit der Kammer vorlege. Die erste bestand in der Konzession , die man so eben erst und mit so großer Mühe von Napoleon erhalten hatte; es ward dargestellt , als sei er mit 16 Stimmen gegen 5 gefaßt worden. Der zweite Beschluß ging da= hin, daß die Miniſter der Kammer die nöthigen Maaßregeln vorschlagen würden , um Menschen , Pferde und Geld zu erhalten, sowie andere , um die Feinde im Innern niederzuhalten." Die Minister waren bereit, sie den Kammern vorzulegen und die Kommission erklärte deren Berathung und Annahme für dringlich. Die Kommiſſion erkannte sehr wohl das Unzureichende in dem ersten Beschlusse ; sie strebte aber immer noch dahin , eine äußerste Maaßregel zu vermeiden , weil sie noch auf den Erfolg der Vorstellungen hoffte, die dem Kaiser unaufhörlich gemacht wurden. Sie ließ darum auch durch ihren Berichterstatter - doch sprach er Das nicht als solcher — beifügen , wie er Ursache habe zu glauben, daß die Kammer sehr bald eine Botschaft empfangen werde , in welcher sich der Kaiser bereit erkläre, das von ihm zu verlangende Opfer zu bringen, wenn er wirklich als ein unübersteigliches Hinderniß Dem entgegenstehe, daß die Nation über ihre Unabhängigkeit unterhandeln dürfe. Aber selbst diese Hoffnung, die als eine Milderung dem Berichte beigefügt ward , war nicht im Stande, die Ungeduld und den Zorn zu besänftigen. Sie ward mit einer jener unbeschreiblichen tumultuarischen Szenen be=
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antwortet, die in großen Krisen eine Gefahr für die berathenden Versammlungen sind. Mehrere Redner versuchten nach einander, aber ohne Erfolg , die Aufmerksamkeit zu fesseln. Die Geister strebten einmal leidenschaftlich ihrem Ziele zu ; die Kammer erblickte eine Berechnung in dieser halben Nachgiebigkeit und in dem Zaudern ihres Gegners ; sie fürchtete einen Hinterhalt , eine Erneuerung der Gewaltmaßregeln des Brumaire. Beunruhigende Gerüchte kamen unaufhörlich von Außen herein, Truppen würden gegen ſie zuſammengezogen ; es würden Versuche gemacht, die Vorstädte irre zu führen und zu gewinnen; Proſkriptionsliſten und Todesurtheile würden im Elysee vorbereitet. Die Ba= taillone der Nationalgarde, die sich seit gestern freiwillig um die Versammlung geschaart , schienen nicht ausreichend zu sein, um sie gegen die sinnlose Hingebung zu schützen , die man bei den Linientruppen vorausseßte. In den Gruppen , die sich auf allen Seiten bildeten, stachelte man sich gegenseitig auf, die Abseßung vorzuschlagen , aber Niemand schlug sie vor. Die Zeit verstrich und man handelte nicht. Endlich gelang es einem Redner , den Lärmen zu übertönen ; er war im Begriff mit einem Antrage zu schließen, der dem allgemeinen Wunsche entsprechen werde, als er vom Präsidenten unterbrochen ward , der der Kammer ankündigte, daß sie vor 3 Uhr eine Botschaft vom Kaiser erhalten würde , die ihren Wünschen entsprechen dürfte." Diese Versicherung war so eben von Regnauld, dem unermüdlichen Zwischenträger der Zögerungen und der · Ohnmacht des Kaisers , dem Präsidenten mündlich ertheilt worden. Sie war aber zu unbestimmt und auch die Frist zu lang, als daß sie die Leidenschaften und die Befürchtun= gen der Versammlung hätte beschwichtigen können . " Was ? " rief ein Mitglied ,,,vor 3 Uhr , warum so spät ? Es ist kaum 1 Uhr." — ,,Man will Zeit ge=
443 winnen !" riefen mehrere Stimmen. Rufe der Ungeduld, der Aufregung und des Zornes erschallen von allen Seiten; der Tumult fängt von Neuem an. Der Repräsentant, der so eben vom Präsidenten unterbrochen worden war, erfaßt einen Augenblick halber Stille und schlägt, seinen ersten Gedanken halb verhüllend , der Kammer vor, den Kaiser bei der Wohlfahrt des Staates und bei dem geheiligten Namen des Vaterlandes auf= zufordern , seine Abdankung zu erklären.“ Der Sache nach war der Antrag eine ziemliche ge= bieterische Forderung. Er ward von allen Seiten mit Beifall begrüßt und unterstüßt ; der Präsident mußte ihn der Abstimmung unterbreiten und sicher wäre er geneh= migt worden, als in demselben Augenblicke ein General eintritt und verlangt , daß man Eine Stunde warte. „ Es sei ! " rief Lafayette auf's Aeußerste getrieben, "/ Eine Stunde ! aber nicht mehr . Wenn wir in Einer Stunde nicht die Abdankung haben , werde ich die Ab= segung vorschlagen." Und dabei zeigte er mit der Hand auf das Zifferblatt der am Plafond befindlichen Uhr. Die Kammer verwilligte die verlangte Frist und ver= tagte die Situng. Regnauld hatte voller Schrecken dieser Szene beigewohnt, die eine bestimmte Verkündigung von dem Schickſale ſeines Herrn enthielt. Er eilte, ihm davon Nachricht zu geben. Napoleon war immer noch unentschieden , verzehrt sowohl von dem Fieber des Ehrgeizes wie von dem der Verzweiflung ; seine Stimme bebte; seine Züge waren verzerrt ; er ging mit großen Schritten um den Konferenztisch herum, an dem seine Minister saßen. In dem einen Augenblicke erklärte er sich bereit , den dringenden Bitten seiner Brüder und seiner Minister nachzugeben und im nächsten ergriff er wieder das Wort , sprach von seiner Macht, von der Schwäche der Kammern , erzürnte sich darüber , daß nur Entmuthigung und Abfall ihn umgäben ; dann schwieg er wieder still , stieß einzelne,
444 unzusammenhängende Worte aus und warf seinen Gegnern beleidigende Ausrufe hin. Er war wie ein Sterbender, der sich gegen die Krallen des Todes wehrt und seine letzten Kräfte in ver= geblichen Kämpfen und unfruchtbaren Verwünschungen gegen den Beschluß der Natur erschöpft , oder vielmehr wie ein römischer Kaiser, der sich in einen Winkel feines Palastes geflüchtet hat, der schon die Tritte der erbitterten Verschwörer hört und doch noch das Schwert zurückweist, das ihm ein treugebliebener Freigelassener reicht und mit dem er sich selbst den Tod geben könnte. Napoleon hatte mit einem Scheine von Ruhe Reg= nauld berichten lassen ; als er aber von dieser Entschei= dung der Kammer hörte, die fast schon ein Beschluß war, brauste er wild auf. „ Was ", rief er ,,,Gewalt! Ich werde nicht abdanken. Die Kammer ist aus Jakobinern und Ehrgeizigen zusammengesetzt , die nur darum Ver= wirrung wollen, um für sich Posten zu fischen. Ich hätte sie vor der Nation anklagen , fie fortjagen sollen "1 aber die verlorene Zeit ist wieder einzubringen In seinen Augen war Ieder ein Jakobiner , der den Despotismus nicht liebte , und Jeder ein Ehrgeiziger, der die kaiserliche Livree nicht trug. Jakobiner, die ihren Grundsätzen treu geblieben , gab es wohl kaum auf den Bänken der Repräsentantenkammer, wenn es aber doch einige gab , so sollte man bald sehen , daß ihr Einfluß kein bestimmender war. Als die Jakobiner einen Thron stürzten, verstanden sie gleichzeitig sowohl der innern wie der äußern Feinde Herr zu werden. Keiner im Rathe glaubte an eine Verwirklichung der gegen die Kammern ausgestoßenen Drohungen, Alle aber hielten es für gerathen , der Aufforderung nachzugeben, die leßte der bewilligten Fristen zu benußen und so verdoppelten sie ihre Bitten. Lucian war am dringendsten. Sie haben den Augenblick vorüber gehen lassen, in dem fie Ihre Krone retten konnten", sagte er zu seinem Bru-
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der ; beeilen Sie sich, wenigstens die letzte Möglichkeit zu benußen und sie Ihrem Sohne zu übertragen." Lucian kannte die Mißachtung , die auf Joseph, seinem älteren Bruder , besonders seit der Flucht am 30. März haftete ; man sagt, er habe nach der Regentschaft ge= trachtet. Aber alle diese Bemühungen und diese Einstimmigkeit aller seiner Räthe konnten Napoleon nicht zu einem Entschlusse bewegen. Er rechnete ohne Zweifel noch wie bei Waterloo auf einen glücklichen Zufall , um seine Lage wieder herzustellen. Bald kamen auch mehrere Reprä= sentanten, selbst Der mit, der den schon drohenden Schlag noch für eine so kurze Zeit abgewendet hatte; sie drangen in den Ministerrath, wie in eine in Bresche gelegte Zitadelle, und bestätigten die Erzählungen Regnauld's, wenn sie sie nicht noch übertrieben ; sie sprachen von der ver= zweifelten Entschlossenheit der Kammer ; sie beschworen nun ihrerseits Napoleon , in seinem eigenen Intereſſe keinen Augenblick länger mit dem Opfer zu zögern , das erst gewünscht, dann verlangt, nun gefordert werde, überhaupt aber unvermeidlich sei. Es bedurfte jedoch noch eines weiteren Drängens, um Napoleon zu diesem Schritte zu bewegen, der, wenn auch nicht zum Unglück für Frankreich, das verhängnißvolle Abentheuer vom 20. März abschloß. Die von der Kammer bewilligte kurze Frist nahte sich ihrem Ende. Der Präsident sendete den Militairkommandanten des Palastes an den Kaiser mit dem Auftrag ab , ihn einzuladen, sofort seine Abdankung einzusenden, und ihm zu sagen,,, daß die Kammer nicht länger warten würde und drohe, ihn als außer dem Gefeße stehend zu erklären.“ Auf diesen wörtlich ausgerichteten Auftrag verschwand das Zögern und Napoleon unterwarf sich. Mit einem bittern Lächeln wendete er sich an Fouché und sagte : ,,Schreiben Sie diesen Herren, daß sie sich ruhig verhalten mögen; ich werde sie gleich zufrieden stellen."
446 Darauf nahm er Lucian zur Seite und diftirte ihm nun ſeine Abdankung ; durch so viel Weigerungen , Versprechungen , Machtlosigkeiten , Zorn und Verzweiflung hindurch hatte er sie bis zum letzten Augenblicke verschoben. Sie war bündig . Nachdem er erkannt hätte, daß er nicht auf die Ver= einigung aller Bestrebungen und aller Kräfte , wie auf die Mitwirkung aller öffentlichen Autoritäten zählen könne, erklärte er sein politisches Leben für abgeschloffen und fügte dann bei : „ Ich erkläre meinen Sohn unter dem Die Titel Napoleon II. zum Kaiser der Franzosen . gegenwärtigen Minister werden den Regentschaftsrath bilden. Das Interesse , welches ich an meinem Sohne habe, bewegt mich, die Kammern aufzufordern , die Regentschaft sofort durch ein Gesetz zu ordnen .“ Es war die Wiederholung der 15 Monate früher zu Fontainebleau versuchten Vorbehalte. Jede der beiden Kammern sendete darauf, als Antwort für diese Erklärung, eine Deputation an Den, der von ihnen gezwungen worden war , vom Throne herabzusteigen, wenn er nicht von ihnen herabgestürzt sein wollte, mit dem Auftrage,,, ihm im Namen der Nation die Dankbarkeit und die Hochachtung auszusprechen , mit welcher sie das edelmüthige Opfer annehme , welches er der Unabhängigkeit und dem Wohle des französischen Volkes darbringe." Das war Alles. Die Anerkennung der Proklamirung Napoleon's II. ward vom Parlament zum Theil umgangen, trotz einiger Versuche, die auf der Tribune der Repräsentantenkammer und der lebhaften und wiederholten Bestrebungen, die in der Pairskammer statthatten. Die ausübende Gewalt ward sofort einer Kommiſſion übergeben, die aus zwei Pairs und drei Repräsentanten bestand und in ihren betreffenden Kammern gewählt ward.
447 Das war der Sache nach eine provisorische Regierung statt einer Regentschaft, und um es noch deutlicher zu machen , stellte diese Kommission ihre Verordnungen, sowie die ganze Justizpflege, als im Namen des franzöſischen Volkes erflossen, aus . Das Kaiserthum war zu Ende. Napoleon ward wieder , wie in Fontainebleau , ver= laffen ; in einem Augenblicke war sein Palast leer. Heruntergebracht durch die Niederlage, krank, niedergeschlagen , belastet von den Fehlern einer ganzen Regierung, entmuthigt wie nur ein Mann es je sein kann, Wem sollte er noch Furcht einflößen ? Die Repräsentantenkammer war es, denn die Pairsfammer hatte nichts als sein gehorsames Instrument werden sollen, die Repräsentantenkammer war es , welche die Zügel der Regierung, die Diktatur ergriff. Das war gut , aber noch nicht genug. Die Lage des Landes war zwar von einem erschwe= renden Elemente befreit, aber sie blieb darum immer noch außerordentlich gefährlich. Man hatte so eben zwei Tage gegen den ohnmächti= gen Willen eines Mannes gekämpft, den ein Defret von einem einzigen Saße in der ersten Stunde beseitigt hätte. Während dieses Kampfes war nichts geschehen , weder seiten des Kaisers, noch seiten seiner Gegner, um unseren Verlusten abzuhelfen , und die feindlichen Armeen hatten gewiß eilig ihre Vormärsche fortgeseßt , um sie noch zu vermehren. Das ließ sich gar nicht bezweifeln. Napoleon hinterließ eine geschlagene und zersprengte Armee, die ihrerseits wieder den Patriotismus und die Fähigkeiten mehrerer ihrer Generale in Zweifel zog. Die Aushebung der alten Soldaten , der mobilen Nationalgarden war noch sehr unvollständig , die der Konſkribirten von 1815 hatte kaum begonnen ; die Befestigungsarbeiten um Paris waren nicht vollendet ; die Tirailleurs der Nationalgarde waren nicht sehr zahlreich und fast
448 ohne Waffen ; die Aufgebote waren ganz ohne Waffen ; der Schatz leer; das Land in Partheiungen ; eine Menge tüchtiger Bürger durch eine verhaßte Politik außer Fassung gebracht, durch die Niederlage erschüttert und durch die Manifeste der Verbündeten irre geführt. Es war also sofort nothwendig, das Sammeln und Vereinigen der Armee zu beschleunigen und mit äußerster Strenge jeden Offizier und Soldaten zu bedrohen , der seine Fahne verließe ; die Stäbe mußten von den schäd= lichen Elementen gereinigt werden ; Lecourbe, Clauzel, Lamarque und andere durch ihre Talente hervorragende Männer mußten sofort zur Hauptarmee berufen werden ; Männer von Hingebung , Energie und bekannten Fähigkeiten mußten befördert werden ; die Aushebungen waren zu beschleunigen ; die Tirailleurs in die Verschanzungen der Hauptstadt zu werfen ; die Nationalgarden von zweifelhafter Treue waren zu entwaffnen , eben so die nicht friegstüchtig erscheinenden ; die Tirailleurs der Pariser Nationalgarde konnten verdoppelt , verdreifacht werden ; fie mußten Waffen erhalten , militairisch organisirt wer= den , und endlich war das Aufgebot in Maſſe zu verkünden und alles Nothwendige in Requisition zu stellen . Man mußte den Nationalkrieg proklamiren, und zu gleicher Zeit verkünden , daß man entschlossen sei , ihn bis auf's Aeußerste und mit den größten Opfern durch= zuführen ; Frankreich hatte dann nach dem Frieden seine Regierung sich selbst zu wählen ; das für die Feigen und die Verräther so bequeme Schaukeln mußte aufhören. Dem Feinde war die Abdankung Napoleon's und der Sturz seiner Familie anzuzeigen und er aufzufordern, seinen Verrath einzustellen. Verweigerte er Dies , so war sein Ziel offen darzulegen : Es galt dann der Wiederherstellung der Bourbons , wo nicht der Zerstückelung des Vaterlandes. Durch alle möglichen Mittel mußten die Tapfern begeistert, die Zaghaften ermuthigt , die Uebelgesinnten erdrückt werden. Die ganze Nation mußte im Patriotis-
449 mus entflammt und in allen Herzen der Haß gegen den Feind erregt werden . Es waren mit einem Worte eine außerordentliche Thätigkeit , eine außerordentliche Energie , viel Kühnheit und eine unerschütterliche Standhaftigkeit nothwendig. Wenn Frankreich einen Monat früher von Napoleon be= freit gewesen wäre, hätte es damit sicherlich seine Rettung gefunden. Jezt freilich konnte man unter dem Drucke der Niederlage und der begonnenen Fehler nur noch zweifelhafte Hoffnungen für den Erfolg hegen. Aber er blieb doch möglich , und Das war völlig genug , um den Kammern den Willen einzuflößen, ihnen die Pflicht aufzulegen , Alles zu thun, um ihn zu erreichen. Wenn sie zögerten , wenn sie erörterten anstatt zu handeln , oder nur zu halben Maaßregeln griffen , wenn ſie den Manifesten der Verbündeten trauten, anstatt einen unvermeidlichen Krieg vorzubereiten , wenn sie vor dem Aufgebote der ganzen Nation zurückschreckten , so mußte der Untergang des Vaterlandes , der durch den Kaiser schon so nahe herangerückt war , sich binnen wenig Tagen vollenden. Sie verdienten dann die Verachtung der Geschichte und den Abscheu Frankreichs. In demselben Augenblicke , in welchem die Regierung in ihre Hände kam und Napoleon seine Abdankung an Lucian diktirte , trafen Nachrichten ein, die ganz geeignet waren, ihnen Vertrauen einzuflößen und sie zu groß= herzigen Entschlüssen zu bestimmen. Davoust verkündete sie den Repräsentanten, Carnot den Pairs : Grouchy stand an der Grenze und führte seine Korps schlagfertig und ohne große Verluste zurück; 20,000 Mann standen bei Avesnes, einige Tausend bei Philippeville. Man verfügte also über 60,000 Mann, die bald vereinigt sein konnten und die durch ihre Manövers das Herankommen Blücher's und Wellington's verzögern mußten. Und Das war wahr. Charras, Waterloo.
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Siebzehntes Kapitel .
Thielemann greift den 19. mit Tagesanbruch Grouchh an, muß aber nach einem längeren Kampfe den Rückzug gegen RhodeSainte- Agathe antreten. Grouchy , der nun die Niederlage bei Waterloo erfahren , tritt seinen Rückzug gegen Namur an. Nächsten Tags marschirt er in dieser Richtung weiter. Bewegungen Thielemanns und Pirchs I. - Die Reiterei der beiden preußischen Korps greift Grouchy an. - Gefecht bei Namur. Am 21. früh sind die Grouchy'schen Korps bei Dinant vereinigt und marschiren gegen Givet. -- Grouchy rückt über Rocroy gegen Rheims . Die von Waterloo zurückgeMarsch der englischkehrten Korps vereinigen sich bei Laon. Einnahme von holländischen und der preußischen Armee. Avesnes . P Operationsplan , der zwischen Blücher und Wellington vereinbart worden. - Auf Befehl des Marschalls Soult Dessen wird an Blücher ein Waffenstilstandsantrag gestellt. Antwort. - Einnahme von Cambray und Peronne. Ludwig XVIII. trifft in Cambray ein. Soult geht nach Soiſſons zurück. Bestand der von Waterloo zurückgekehrten Korps am 25. Juni. - Grouchy vereinigt sich bei Soissons , mit denselben. und übernimmt das Kommando der ganzen Armee. -- Stärke derselben. ---- Die Preußen besetzen Compiègne. Gefecht bei Villers-Cotterets. ― Grouchy führt die Armee nach Paris zurück. Stellung derselben am 29. Juni. ― Stellungen der beiden verbündeten Armeen an demselben Tage. Die letzte Stunde des 18. Juni war verrónnen und noch wußte Grouchh nichts von dem Resultate des 9stündigen Kampfes, deffen donnernden Widerhall er vernommen.
451 Diese Unbekanntschaft mit dem Ausgange der Schlacht in Verbindung mit der Unmöglichkeit , in der er sich be= funden hatte, die so verspätet an ihn erlassenen und so langsam ihm überbrachten Befehle zu erfüllen, verursachten ihm die lebhafteste Unruhe. Wir haben gesehen, daß er nach langen und vergeblichen Versuchen auf die Front der Stellung endlich zu der Einsicht gekommen war , daß er sie in der Flanke umgehen müſſe , daß er darauf die Dyleübergänge bei Limal überraschend genommen und mit der Hälfte seiner Stärke die dominirenden Höhen zwischen da und Bierges besetzt hatte. Er beschloß, diese Bewegung weiter durch= zuführen . Um Mitternacht schrieb er von seinem Hauptquartiere Limal aus an Vandamme, der noch auf dem rechten Ufer geblieben war, zu ihm zu stoßen und vor Wavre nur so viel zurückzulaſſen, als erforderlich ſei, um dort das De= bouchiren zu verhindern. „ Ich stelle das ganze Gérard'sche Korps mit unter Ihre Befehle ," fuhr er fort, und feine Worte bezeugen die Wichtigkeit , die er seinem Ziele beilegte, so wie die Besorgniſſe, die ihn erfüllten ; ,,wir werden von hier aus mit Tagesanbruch alle Kräfte aufbieten ; wir werden den Feind bei Wavre durch einen Scheinangriff beschäftigen und ich hoffe es, daß wir werden zum Kaiser stoßen können , wie er es befohlen hat. Man sagt, er habe die Engländer geschlagen , aber ich habe keine Nachrichten von ihm und ich bin sehr in Ver= legenheit, wie ich ihm welche von uns zusenden soll. Mein lieber General , im Namen des Vaterlandes bitte ich Sie, die gegenwärtigen Anordnungen sofort auszuführen. Ich sehe darin die einzige Möglichkeit , aus der schwierigen Lage herauszukommen , in der wir sind, und davon hängt das Wohl der Armee ab . Ich_er= warte Sie"*). *) Dieses Schreiben ist bis jetzt noch nicht veröffentlicht worden ; es befindet sich in den Archiven des Dépôt de la 29*
452 Excelmans erhielt dieselben Befehle wie Vandamme. Grouchh beabsichtigte also, seine Kräfte auf dem linken Dyle-Ufer zu vereinigen , von da aus sehr frühzeitig. einen lebhaften Angriff zu führen, solchergestalt das Terrain vor ihm vom Feinde frei zu machen, um die Mög= lichkeit zu erhalten , zu Napoleon umwenden und ihn unterstützen zu können . Er konnte , da er den Ausgang der auf seiner Linken gelieferten Schlacht nicht kannte, vernünftiger Weise gar nichts Anderes thun. Gegen Mitternacht erhielt Thielemann durch einige Reiterpatruillen die ersten Nachrichten vom Siege; sie waren aber noch unbestimmt. Er beschloß aber doch darauf hin, die Offensive zu ergreifen, um Grouchh hin= ter die Dyle zurückzuwerfen . Seine Vorbereitungen waren rascher beendet, als die des französischen Marschalls und so hatte er die Initiative des Angriffs . Thielemann ließ troß der eigenen Schwäche den Obersten Stengel mit 3 Bataillonen und 3 Schwadronen des Ziethen'schen Korps zu dem Letteren abrücken. Er ließ ferner 3 Bataillone der Division Kemphen in Bierges, als seinen linken Flügel und unterstützte sie durch 2 Bataillone derselben Division, die hinter dem Dorfe blieben. Von der Division Luck wurden 3 Bataillone, die bei Wavre standen, abberufen und rechts von Bierges in gleicher Höhe mit dem Dorfe aufgestellt. In das Aligne= ment mit diesen kamen 3 Bataillone der Division Stülpnagel, die die Spiße des Rixensarter Holzes mit zu halten hatten und von 3 andern Bataillonen derselben Diviſion unterſtüßt wurden, die bei Point-du-Jour, einer Häuſergruppe am Ostrande des Holzes, standen . Der Rest der Infanterie blieb wie am vorigen Tage an der Mühle von
Guerre zu Paris. Das Postscriptum lautet : Gefangenenberichte besagen, daß Bülow und Blücher uns gegenüber stehen; ich zweifle aber sehr daran.
453 Bierges, in und bei Wavre und in Basse-Wavre. Reiterei stand hinter dem Rixensarter Holze.
Die
Als mit Tagesanbruch diese Dispositionen ausgeführt wurden, ließ Thielemann gegen Grouchy's linken Flügel hinter dem Holze 12 Schwadronen vorbrechen, etwa 1000 Pferde , die in 2 Kolonnen , jede von 6 Schwadronen, formirt waren ; eine reitende Batterie von 8 Geſchüßen ging voran. Stülpnagel sollte zur Unterstützung nahe folgen. Um diese Zeit waren die von Vandamme und Excelmans verlangten Truppen noch nicht auf den Höhen von Limal bei Grouchy eingetroffen ; er hatte aber doch 4 Infanterie- und 2 Reiter- Divisionen ; hiernächst traf Excelmans' vordere Division eben an der Brücke von Limal ein. Er befahl, daß Teste gegen Bierges vorging, Pécheur gegen die feindliche Mitte rückte und Hulot das Rixensarter Holz angriffe. Vichery blieb in Reſerve, eben so wie die Excelmans'schen Dragoner. Pajol , der seit zwei Tagen, wie erwähnt , nur die Division Soult hatte, rückte im Verein mit der Diviſion Vallin auf den äußersten linken Flügel ; von letterer Division wurden mehrere Schwadronen gegen Chapelle St. Lambert ent= sendet, um Nachrichten einzuziehen . Die Batterie, welche an der Spize der preußischen Reiterei vorgegangen war, hatte während der diesseitigen Vorbereitungen Stellung genommen, ward bald von einer zweiten verstärkt und beide beschossen nun lebhaft unsern linken Flügel. Grouchy entwickelte eine überlegene Artillerie, die dem Feinde sehr bald 5 Geschüße demontirte, der benachbarten Reiterei vielen Schaden zufügte und beide veranlaßte, sich bald hinter das Rixensarter Holz zurückzuziehen. Hulot warf die im Holze stehende Infanterie und drang ein; er kam mit Stülpnagel in ein heftiges Ge= fecht. Die Angriffe Pécheur's und Teste's famen gleichzeitig in Gang.
454 Nach einem vierstündigen Gefecht hatte Pécheur eine Lücke in die preußische Linie gerissen ; Hulot nahm das Rixensarter Holz vollends weg, Pajol und Ballin debouchirten aus demselben und drohten den rechten preußischen Flügel zu umgehen, so daß Thielemann zu einer Frontveränderung genöthigt ward , die er durch Zurücknehmen des rechten Flügels mit dem Stüßpunkte Bierges, wo Kemphen sich entschloſſen hielt, ausführte. Die neue Position , die er genommen , lehnte linken Flügel an Bierges , das Zentrum stand bei fleinen Gehölz der Eremitage, der rechte Flügel , Theil aus Reiterei bestehend , erstreckte sich gegen Dorf Chambre.
den dem zum das
Diese Bewegung ward mit Festigkeit ausgeführt und war eben vollendet, als Thielemann endlich bestimmte Nachrichten von dem durch Wellington und Blücher erfochtenen Siege erhielt. Es hatte ziemlich lange gedauert, bis sie zu ihm gekommen *) . Er theilte sie seinen Truppen sofort mit und ver= suchte , mit dem ersten Feuer ihrer aufwallenden Begei= sterung das verlorene Terrain wieder zu nehmen , um seinen Gegner möglichst lange auf dem Plateau der Dyle festzuhalten . Blücher hatte mitgetheilt, daß er ein preußisches Korps auf die Rückzugsstraße des nach Wavre vorgegangenen französischen Korps entsenden werde, jede Verlängerung des Gefechtes war also ein offenbarer Gewinn.
Der rechte Flügel und die Mitte der Preußen gingen vor; das Rixensarter Holz ward wieder genommen ; aber Hulot gab es so leicht nicht auf, sondern nahm es abermals ; Teste nahm auch Bierges , die Mühle ward ge= räumt ; Vandamme führte dort die Diviſion Berthézène,
*) Die preußischen Schriftsteller versichern , daß zwei Offiziere in der Nacht noch von Blücher an Thielemann abgesendet worden seien, daß sich aber beide verirrt hätten.
455 die er auf dem rechten Ufer gelassen hatte, über die Dyle und warf sie noch auf den preußischen linken Flügel. Thielemann sah sich in die Flanke genommen, jah auch unsere Fortschritte auf dem andern Flügel, sah den Weg nach Löwen in Gefahr und befahl deshalb den Rückzug, den er nur noch so lange aufschob, als er Zeit brauchte, um seine Truppen aus Wavre zu ziehen. Sobald diese eingetroffen , trat er den Rückmarsch in 3 Kolonnen an und nahm die Richtung über Ottemburg und Rhode-Sainte-Agathe, das 3 Stunden von Löwen und nicht ganz so weit von Wavre ist. Ein starkes Artilleriefeuer unterſtüßte den Abmarsch der Truppen. Vandamme ließ die Division Habert über Wavre vorgehen und kam auf die Höhen von la Ba= wette ; unsere Reiterei war über Chambre vor , als der Generalstabsoffizier eintraf, der am Abend vorher durch Napoleon von Quatrebras aus zu Grouchy entfendet worden war. Er theilte den Verlust der Schlacht und die Auflösung der Armee mit. Es war 11 Uhr. Dieser Offizier , auf einem jedenfalls müden Pferde, hatte 12 Stunden Zeit zu eben so viel Stunden Weges gebraucht und Niemand als er allein war mit der Beforgung eines Auftrages betraut worden, von deſſen Verzögerung das Wohl von 30,000 Mann abhing. Grouchh war von dem entsetzlichen Berichte, der ihm zugleich die Gefahr seiner eigenen Lage vorführte, niedergeschmettert; er berief Vandamme und drei oder vier andere Generale zu sich , um ihren Rath einzuholen. Er weinte, sagt ein Augenzeuge ; es war , als hätte er vorhergesehen, von welchen schnöden Vorwürfen und Verläumdungen sein Gedächtniß gekränkt werden würde. Der einzige und verspätete Bote hatte auch nicht ein= mal einen schriftlichen Befehl. Sein ganzer Auftrag lautete dahin, mitzutheilen, daß die Armee besiegt, aufgelöst und auf der Flucht sei ; Napoleon ziehe sich gegen die Sambré zurück. Gegen welchen Punkt mochte er winschen , daß Grouchh zurückginge ? Der Oberbefehlshaber
456 hatte in seiner Verwirrung vergessen, darüber etwas zu sagen. War überhaupt dieser Rückzug noch möglich? Es schien wenigstens zweifelhaft. Blücher hatte gewiß schon seit gestern Nachricht von dem Gefecht bei Wavre, und unmittelbar nach dem Siege hatte er gewiß genügende Kräfte entsendet , um die feindliche Kolonne , die eins seiner Korps angegriffen , zu zersprengen . Mit jedem Augenblicke durfte man diese Kräfte erwarten , konnte ihren Angriffen auf Flanken und Rücken entgegensehen, während Thielemann umkehrte und die Front bedrohte - und wenn hier auf dem Plateau der Dyle zufällig das Manöver Blüchers noch nicht wirksam wurde, so war es doch binnen Kurzem zu erwarten. Vandamme, der hier in Worten weiter ging , als in den Thaten, schlug vor, sich Thielemann nachzustürzen und seinen Rückzug auf Löwen durch zerschmetternde Schläge in eine Flucht zu verwandeln , dann sich gegen Brüssel zu wenden und von da die Straße nach Flandern zu gewinnen, die gewiß nicht besetzt sei. Die Unternehmung wäre noch mehr toll als kühn gewesen , denn sie hätte den Rückzug verlängert und dem Feinde alle Zeit ge= Lassen, ihn gänzlich zu verlegen. Vandamme blieb auch der einzige Vertreter seiner Idee. Nach kurzer Erörterung kam man darin überein, daß man sobald als möglich nach der Grenze zurückeilen müsse. Zwei Richtungen boten sich dazu dar : die eine über Fleurus, mit den Uebergängen von Marchienne und Charleroh , die andere über Namur , am Zusammenflusse der Sambre und Maas, mit der Richtung nach Givet. Die Erstere war fitrzer, aber sie war jedenfalls entweder schon von den englisch - preußischen Massen besetzt oder im Begriffe es zu werden ; man durfte nicht auf sie reflektiren ; die Andere führte weit ab , aber sie gab gerade deshalb Sie ward ge= Hoffnung, dem Feinde auszuweichen. wählt.
457 Grouchy ließ seine Infanterie auf den Höhen von la Bawette halten, deckte sie rechts mit der Division Soult, links mit der Diviſion Vallin , und befahl diesen beiden Divisionen, noch eine Zeitlang Thielemann durch ihm nachfolgende Abtheilungen beobachten zu laſſen. Thielemann zog sich gerade jest ohne Aufenthalt zurück. Gleichzeitig erhielt Excelmans Befehl , mit 7 Dragoner - Regi= mentern nach Namur zu eilen und diesen Punkt zu sichern ; kurz darauf marſchirte er selbst mit dem Gėrard'schen Korps dorthin ab. Vandamme mit seinem Korps und den Divisionen Teste und Pajol blieb noch auf dem linken Dyle - Ufer und blieb überhaupt viel zu lange da. Glücklicher Weise sette Thielemann seinen Rückzug nach Rhode-Sainte-Agathe unaufhaltſam fort und bezog dort seinen Bivouak. Keine feindliche Abtheilung zeigte Vandamme schlug sich gegen Wavre im Anmarsche. darauf, aber sehr spät erst , die Richtung nach Namur ebenfalls ein und kam gegen Mitternacht nach Gembloux, ohne daß er nöthig gehabt hätte , einen Schuß zu thun. Seine erschöpften Truppen bedurften der Ruhe. Er blieb in und bei Gembloux stehen. Excelmans und Grouchh mit dem Gérard'ſchen Korps hatten ebenfalls das Terrain vor sich frei gefunden. Der Erstere stand bereits in Namur, der Andere bei Sombreffe, auf der Straße von Nivelles nach Namur. In den Gefechten bei Wavre hatte Thielemann nach den preußischen Angaben 2476 Mann verloren und so hoch konnten die Verluste Grouchy's wohl auch steigen. Der französische Marschall war jeßt, in Namur, Sombreffe und Gembloux stehend, in einer wesentlich besseren Lage als an diesem Morgen. Aber seine Rettung war noch nicht gewiß. Man konnte ihm immer noch auf seinem Marsche nach der Grenze zuvorkommen , während man gleichzeitig durch eine Verfolgung drängte. Er mußte also seinen Marsch ohne Zeitverlust weiter be= schleunigen.
458 Und doch marschirte er ziemlich langfam. Vandamme verließ seinen Bivouak bei Gembloux erst um 7 Uhr früh ; er war einsichtig genug , um zu be= greifen, daß Eile Noth thue, aber er war schon von der Nachricht der Niederlage entmuthigt und kümmerte sich so wenig um die Erhaltung seiner Truppen als um ſeine eigene (denn es fehlte ihm nicht an Muth). Er konnte die Zeit, die er zu viel auf den Schlaf verwendet hatte, theuer bezahlen müſſen. Er marschirte über die Abtei Argenton nach Namur, auf einem Nebenwege, der durch ein langes Defilee geht, wodurch seine Bewegung arg verzögert wurde. Er hatte jedoch das Defilee passirt und seine Spite war nur noch 1 Stunde von Namur , als bei seiner Arrièregarde , in der Gegend von Rhisnes, Kanonendonner hörbar wurde. Schon seit einiger Zeit hörte man ihn bei Temploux, auf der Chaussee von Nivelles nach Namur ; Grouchy, wie Vandamme waren angegriffen. Der Marschall war, wie man sieht, auch nicht rascher marschirt, als sein General, war vielleicht durch dessen Zögerungen aufgehalten worden und hatte nicht verstanden , ihn zur Eile zu bewegen. Templour ist 2 Stunden von Namur. Bei Rhisnes griff die Thielemann'sche Reiterei , unter Hobe, bei Templour das Korps Pirchs I. an, um den Rückzug streitig zu machen. Am 18. Juni hatte Thielemann, wie wir bereits er= wähnt , am Anfange des Gefechtes von Wavre den General Borcke , einen seiner Divisionskommandanten , mit 6 Bataillonen über Couture-Saint-Germain entsendet. Borcke war mit Einbruch der Nacht bei ChapelleSaint-Lambert angekommen und hatte daſelbſt Befehl von Blücher bekommen, Bivouak zu beziehen und weitere Be= fehle abzuwarten. Am 19. früh gegen 7 Uhr erfuhr Borcke vom Obersten Stengel, der von Limal zum Ziethen'schen Korps rückte, das neue Gefecht bei Wavre und beschloß , da er von Blücher noch keine Befehle erhalten , wieder zu Thiele-
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mann zu rücken . Es war ihm aber nicht gelungen , die Vereinigung herzustellen ; denn als er eben das Rixenfarter Holz nahe bei dem gleichnamigen Dorfe durch= schritten hatte, sah er Grouchh auf den Höhen bei Wavre und in der Furcht sich zu sehr auszusetzen, blieb er stehen und beobachtete seinen Gegner. Er hatte also deſſen Rückzug bemerkt und gab Thielemann davon Nachricht , aber wahrscheinlich erst ziemlich spät in der Nacht. Thielemann hatte erst am nächsten Morgen 5 Uhr Rhode-Sainte-Agathe verlassen und war Grouchy nachgerückt. Er hatte seine ganze Reiterei und eine reitende Batterie vorgenommen *) und an Hobe den Befehl ge= geben , rasch und ohne auf die Infanterie zu warten, gegen Gembloux vorzustoßen , während Borde unmittel bar die Dyle überschreiten sollte und er selbst mit dem übrigen Theile der Truppen rasch den Spuren Hobe's folgte. Es begreift sich , daß er sich jetzt beeilte , den unglaublichen Fehler wieder gut zu machen , den er beging, als er Grouchy aus den Augen ließ, von dessen Rückzug er erst durch den glücklichen Zufall des Borcke'schen Marsches Kenntniß erhielt. Birch I. , der , nach den Ideen Blüchers , im Verein mit Thielemann die französische Kolonne vernichten ſollte, die sich über Wavre hinaus vorgewagt hatte , und der jezt bei Templour angriff, hatte weder größere Einsicht, noch größere Thätigkeit gezeigt. Noch vor Mitternacht des 18. Juni war er von Plancenoit abmarschirt ; er hatte 8 Schwadronen Huſaren, die Brigade Sohr und 2 Diviſionen Infanterie bei sich ; bei Maransart zog er eine daselbst befindliche dritte In-
* In Rhode - Sainte - Agathe waren noch 7 Schwadronen zu ihm gestoßen , die vom Rheine ankamen und aus Sachsen bestanden, die zu den nach den Bestimmungen des Wiener Kongresses an Preußen gegebenen Landestheilen gehörten.
460 fanterie-Division an sich *), überschritt dann die Dyle bei Bousval und kam am 19. um 11 Uhr Vormittags erst bei Mellery an, woselbst er einen Bivouak bezog. Grouchy stand um diese Zeit vorwärts Wavre und erhielt eben die Nachricht von Napoleons Niederlage. Während seines Marsches hatte Birch es wohl ver= sucht, Patrullen links zu senden , um die Verbindung mit Thielemann anzuknüpfen ; es war ihm Das aber Von Rekognoszirungspartheien , die er nicht gelungen. nach seinem Einrücken in's Bivouak absendete, erfuhr er, daß die Defileen bei Mont-Saint-Guibert von Franzosen befeßt seien ; aber diese Nachrichten bestimmten ihn zu keiner Bewegung, er blieb vielmehr den ganzen 19. und die darauf folgende Nacht zaghaft in Mellery stehen. Alle Abtheilungen Grouchy's waren 2 bis 3 Stunden von da an ihm vorbei gerückt und er hatte nichts davon erfahren. Erst am 20. um 5 Uhr Morgens erfuhr er den Rückzug des französischen Marschalls. Da hatte er denn ſein Lager verlassen und war auf die Chaussee von Sombreffe nach Namur gerückt. Aber er hatte auch diesen Marsch mit solcher Langsamkeit und solchen Verzögerungen ausgeführt , daß es bereits um 4 Uhr war, als seine Avantgarde auf die Kolonne stieß, welche auf dieser Straße marſchirte und sie bei dem Pachthofe Boquet, nahe diesseits Temploux, angriff. Diese Avantgarde, 3 Bataillone 8 Schwadronen stark und unter dem Kommando Sohr's , stürzte sich sofort in's Gefecht, konnte aber den Marsch der Kolonne nicht mehr aufhalten, die vor 6 Uhr auf den Höhen diesseits Namur eintraf. Um dieselbe Zeit traf auch Vandamme dort ein. Er ward nicht mehr verfolgt ; der Angriff, den er bei Rhisnes auszuhalten gehabt, war nur von einer Reiter= *) Der übrige Theil seiner Infanterie war in der Nichtung nach Genappe und Quatrebras.
461 brigade und einer Batterie unternommen worden ; zwei bis drei Bataillone der Arrièregarde , Division Lefol, waren bei dem Angriffe in Unordnung gerathen , aber sie waren rasch von dem 20. Dragoner-Regimente, Oberst Briqueville, und von den zwei Huſaren-Regimentern des General Clary unterſtüßt worden. Nach diesem kurzen Zusammenstoß war die feindliche Brigade , die keine Ün= terſtüßung in der Nähe hatte und auch vom Terrain genirt war , gegen die Namurer Chaussee hin gerückt, um sich mit den Truppen Pirch I. zu vereinigen , von denen aus gleichfalls Geschützfeuer herüberhallte. Grouchh übertrug Vandamme die Vertheidigung der Zugänge von Namur und der Stadt selbst , die bis zur Nacht gehalten werden sollte , und ließ ihm dazu seine drei Diviſionen und die Diviſion Teſte ; dann ging er mit dem Gérard'schen Korps über die Sambre und schlug die Straße nach Dinant ein, auf der die Reiterei von Pajol und Vallin , sowie die Reserveartillerie schon voraus waren. Die Verwundeten , das Gepäck und das Dragoner= korps Erzelmans waren schon am zeitigen Morgen nach Dinant abgegangen. Die Straße dorthin geht durchaus auf dem linken Ufer der Maas, unmittelbar am Strome, wird fortwährend von Felskegeln dominirt und bildet ein 7 bis 8 Stunden langes Defilee. Pirch I. griff lebhaft an , ward aber mit größter Vandamme hielt seine Stellung Festigkeit empfangen. bis 8 Uhr. Er trat dann den Rückzug an, durchschritt Namur und ließ die schwache Division Teste in der Stadt, um die Vertheidigung noch fortzusehen. Teſte war ein Mann von großer Entschlossenheit und ward von seinen Truppen trefflich unterstützt; so konnte er seinen Auftrag sehr gut erfüllen. Lange wies er alle Versuche ab, die Stadtmauer zu ersteigen oder die Thore einzuschlagen, und als er endlich die Stadt verließ , war es gegen 10 Uhr. Birch I. hatte 1646 Mann verloren.
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Und doch marschirte er ziemlich langsam. Vandamme verließ seinen Bivouak bei Gembloux erst um 7 Uhr früh ; er war einſichtig genug , um zu be= greifen, daß Eile Noth thue, aber er war schon von der Nachricht der Niederlage entmuthigt und kümmerte sich so wenig um die Erhaltung seiner Truppen als um seine eigene (denn es fehlte ihm nicht an Muth) . Er konnte die Zeit, die er zu viel auf den Schlaf verwendet hatte, theuer bezahlen müssen. Er marſchirte über die Abtei Argenton nach Namur, auf einem Nebenwege, der durch ein langes Defilee geht, wodurch seine Bewegung arg verzögert wurde. Er hatte jedoch das Defilee paſſirt und seine Spite war nur noch 1 Stunde von Namur, als bei seiner Arrièregarde , in der Gegend von Rhisnes, Kanonendonner hörbar wurde. Schon seit einiger Zeit hörte man ihn bei Templour, auf der Chauffee von Nivelles nach Namur ; Grouchy, wie Vandamme waren angegriffen . Der Marschall war, wie man sieht, auch nicht rascher marſchirt, als ſein General, war vielleicht durch deſſen Zögerungen aufgehalten worden und hatte nicht verstanden , ihn zur Eile zu bewegen. Templour ist 2 Stunden von Namur . Bei Rhisnes griff die Thielemann'sche Reiterei , unter Hobe, bei Temploux das Korps Pirchs I. an, um den Rückzug streitig zu machen. Am 18. Juni hatte Thielemann, wie wir bereits er= wähnt , am Anfange des Gefechtes von Wavre den General Borcke, einen seiner Divisionskommandanten , mit 6 Bataillonen über Couture- Saint- Germain entsendet. Borcke war mit Einbruch der Nacht bei ChapelleSaint-Lambert angekommen und hatte daselbst Befehl von Blücher bekommen, Bivouak zu beziehen und weitere Befehle abzuwarten. Am 19. früh gegen 7 Uhr erfuhr Borcke vom Obersten Stengel, der von Limal zum Ziethen'schen Korps rückte, das neue Gefecht bei Wavre und beschloß, da er von Blücher noch keine Befehle erhalten, wieder zu Thiele-
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mann zu rücken. Es war ihm aber nicht gelungen , die Vereinigung herzustellen ; denn als er eben das Rixen= ſarter Holz nahe bei dem gleichnamigen Dorfe durch= schritten hatte, sah er Grouchy auf den Höhen bei Wavre und in der Furcht sich zu ſehr auszusetzen , blieb er ſtehen und beobachtete seinen Gegner . Er hatte also deſſen Rückzug bemerkt und gab Thielemann davon Nachricht , aber wahrscheinlich erst ziemlich spät in der Nacht. Thielemann hatte erst am nächsten Morgen 5 Uhr Rhode-Sainte-Agathe verlassen und war Grouchy nachgerückt. Er hatte seine ganze Reiterei und eine reitende Batterie vorgenommen *) und an Hobe den Befehl ge= geben, rasch und ohne auf die Infanterie zu warten, gegen Gembloux vorzustoßen , während Borde unmittelbar die Dyle überschreiten sollte und er selbst mit dem übrigen Theile der Truppen rasch den Spuren Hobe's folgte. Es begreift sich, daß er sich jetzt beeilte , den unglaublichen Fehler wieder gut zu machen , den er beging, als er Grouchh aus den Augen ließ, von dessen Rückzug er erst durch den glücklichen Zufall des Borcke'ſchen Marsches Kenntniß erhielt. Birch I. , der , nach den Ideen Blüchers , im Verein mit Thielemann die französische Kolonne vernichten sollte, die sich über Wavre hinaus vorgewagt hatte , und der jezt bei Templour angriff, hatte weder größere Einsicht, noch größere Thätigkeit gezeigt. Noch vor Mitternacht des 18. Juni war er von Plancenoit abmarschirt ; er hatte 8 Schwadronen Huſaren, die Brigade Sohr und 2 Divisionen Infanterie bei sich ; bei Maransart zog er eine daselbst befindliche dritte In-
*) In Rhode - Sainte - Agathe waren noch 7 Schwadronen zu ihm gestoßen , die vom Rheine ankamen und aus Sachsen bestanden, die zu den nach den Bestimmungen des Wiener Kongresses an Preußen gegebenen Landestheilen gehörten.
460 fanterie-Division an sich * ), überschritt dann die Dyle bei Bousval und kam am 19. um 11 Uhr Vormittags erst bei Mellery an, woselbst er einen Bivouak bezog. Grouchy stand um diese Zeit vorwärts Wavre und erhielt eben die Nachricht von Napoleons Niederlage. Während seines Marsches hatte Pirch es wohl versucht, Patrullen links zu senden , um die Verbindung mit Thielemann anzuknüpfen ; es war ihm Das aber nicht gelungen. Von Rekognoszirungspartheien , die er nach seinem Einrücken in's Bivouak absendete, erfuhr er, daß die Defileen bei Mont-Saint-Guibert von Franzosen besetzt seien; aber diese Nachrichten bestimmten ihn zu keiner Bewegung , er blieb vielmehr den ganzen 19 . und die darauf folgende Nacht zaghaft in Mellery ſtehen. Alle Abtheilungen Grouchy's waren 2 bis 3 Stunden von da an ihm vorbei gerückt und er hatte nichts davon erfahren. Erst am 20. um 5 Uhr Morgens erfuhr er den Rückzug des französischen Marschalls . Da hatte er denn sein Lager verlassen und war auf die Chauffee von Sombreffe nach Namur gerückt. Aber er hatte auch dieſen Marsch mit solcher Langsamkeit und solchen Verzögerungen ausgeführt , daß es bereits um 4 Uhr war, als seine Avantgarde auf die Kolonne stieß, welche auf dieser Straße marſchirte und sie bei dem Pachthofe Boquet, nahe diesseits Temploux, angriff. Diese Avantgarde, 3 Bataillone 8 Schwadronen stark und unter dem Kommando Sohr's , stürzte sich sofort in's Gefecht, konnte aber den Marsch der Kolonne nicht mehr aufhalten, die vor 6 Uhr auf den Höhen diesseits Namur eintraf. Um dieselbe Zeit traf auch Vandamme dort ein. Er ward nicht mehr verfolgt ; der Angriff, den er bei Rhisnes auszuhalten gehabt, war nur von einer Reiter*) Der übrige Theil ſeiner Infanterie war in der Nichtung nach Genappe und Quatrebras.
461 brigade und einer Batterie unternommen worden ; zwei bis drei Bataillone der Arrièregarde , Division Lefol, waren bei dem Angriffe in Unordnung gerathen , aber sie waren rasch von dem 20. Dragoner-Regimente, Oberſt Briqueville, und von den zwei Husaren-Regimentern des General Clary unterstützt worden. Nach diesem kurzen Zusammenstoß war die feindliche Brigade, die keine Unterstützung in der Nähe hatte und auch vom Terrain genirt war, gegen die Namurer Chauffee hin gerückt, um sich mit den Truppen Pirch I. zu vereinigen, von denen aus gleichfalls Geschützfeuer herüberhallte. Grouchh übertrug Vandamme die Vertheidigung der Zugänge von Namur und der Stadt selbst , die bis zur Nacht gehalten werden sollte , und ließ ihm dazu seine drei Divisionen und die Division Teste ; dann ging er mit dem Gérard'schen Korps über die Sambre und schlug die Straße nach Dinant ein, auf der die Reiterei von Pajol und Vallin , sowie die Reserveartillerie schon voraus waren. Die Verwundeten , das Gepäck und das Dragoner= korps Erzelmans waren schon am zeitigen Morgen nach Dinant abgegangen. Die Straße dorthin geht durchaus auf dem linken Ufer der Maas, unmittelbar am Strome, wird fortwährend von Felskegeln dominirt und bildet ein 7 bis 8 Stunden langes Defilee. Birch I. griff lebhaft an , ward aber mit größter Festigkeit empfangen. Vandamme hielt seine Stellung bis 8 Uhr. Er trat dann den Rückzug an, durchschritt Namur und ließ die schwache Division Teste in der Stadt , um die Vertheidigung noch fortzusehen. Teſte war ein Mann von großer Entschlossenheit und ward von seinen Truppen trefflich unterstützt; so konnte er seinen Auftrag sehr gut erfüllen. Lange wies er alle Versuche ab, die Stadtmauer zu ersteigen oder die Thore einzuschlagen, und als er endlich die Stadt verließ , war es gegen 10 Uhr. Pirch I. hatte 1646 Mann verloren.
462 Unser Verlust überstieg 6 oder 700 Mann nicht ; auch dieser wäre zu vermeiden gewesen , wenn man sich beim Marsche besser dazu gehalten hätte. Obwohl Teste aus Mangel an raschen Zerstörungsmitteln die Brücke über die Sambre hatte stehen lassen
müſſen , wagte doch der preußische General nicht , ihn zu verfolgen. Er blieb in Namur . Thielemann hatte mit seiner Infanterie nicht über Gembloux hinaus kommen können. Die Absichten Blüchers waren trotz Grouchy's Lang= samkeit gescheitert. In demselben Augenblicke , in welchem Napoleon am 21. früh bei Sonnenaufgang am Palais Elysee aus dem Wagen stieg , traf die Division Teste in Dinant ein. Grouchh hatte nun alle seine Truppen wieder vereinigt. Im Laufe des Tages ward noch bis Givet marſchirt und dort, unter den Kanonen der Festung, das Bivouak bezogen. Es ward darauf Brod vertheilt , das den Truppen seit 3 Tagen fehlte. Die Patronen konnten aber nicht ersetzt werden ; der Platz war, obgleich in vor= derster Linie, zu schlecht versorgt dazu. *) Grouchh hatte noch keinerlei Instruktionen für seinen ferneren Rückzug erhalten. **) Nachdem er seine Korpsfommandanten gehört hatte , beschloß er , über Rocroy nach Rheims zu marschiren. Am zweitfolgenden Tage erhielt er in Aubigny bei Rethel einen Befehl , in wel-
*) Schreiben Grouchy's an Vandamme, d . d. Givet, 21. Juni . (Archiv des Depôt de la Guerre.) Noch nicht veröffentlicht. **) „Kommen Sie , sobald Sie können , zu mir. Meine Absicht ist , die Korpskommandanten zu vereinigen , um ihre Ansicht über unseren weiteren Marsch zu hören, für den bis jetzt noch kein Befehl des Kaisers vorliegt." Schreiben Grouchy's au Vandamme, d. d. Givet, 21. Juni . Archiv des Depôt de la Guerre . Noch nicht veröffentlicht.
463 chem der Marschall Sonlt anordnete, daß er über Rheims nach Soissons rücken solle. *) Während Grouchy so seine Kolonnen noch intakt über die französische Grenze zurückführte , sammelte und ordnete sich die bei Waterloo geschlagene Armee bei Laon. Schon am zweitfolgenden Tage nach der Schlacht hatten Reille und Erlon etwa 12,000 Mann ihrer Korps bei Avesnes wieder gesammelt. 5-6000 Mann der Garde, der Reserve-Reiterei und des Lobau'schen Korps waren ebendaselbst vereinigt. Es war wenigstens einige Ordnung in diesen Trümmern und so hatte man sie über Verviers gegen Laon in Marsch gesetzt, wo sie am 22. Juni ankamen. An demselben Tage traf auch eine Kolonne von 5-6000 Mann aller Waffen und aller Korps von Philippeville aus , wo der Marschall Soult sie gesammelt, bei Laon ein ; Soult selbst war 24 Stunden eher nach Laon gekommen. Der Kaiser hatte ihm, wie wir erwähnten , bei seiner Abreise nach Paris das provisorische Oberkommando übertragen. Am 22. Juni waren also an dem von Napoleon bestimmten Sammelplate an 20 bis 22,000 Mann vorhanden ; aber ein Dritttheil diefer Leute war ohne Waffen und von der gesammten Artillerie waren höchstens noch 30 Geschüße und eben so viele Munitionswagen vorhanden. Man bedurfte noch einiger Zeit , um die Regimen= ter, Diviſionen und Korps zu reorganisiren , die entseß= lich zusammengeschmolzen und gänzlich untereinander ge= kommen waren. Auch die Disziplin war bei der Auflösung vergessen worden und mußte in's Gedächtniß zu= rückgerufen werden . Die Reorganisation ward eifrig betrieben .
*) Schreiben Grouchy's an Vandamme, d. d. Aubigny, 23. Juni. (Depôt de la Guerre.) Noch nicht veröffentlicht. Das Schreiben Soult's iſt aus Laon , vom 23. Juni früh 8 Uhr datirt.
464 Der größte Theil der Soldaten und der SubalternSie suchten offiziere war vom besten Willen beseelt. selbst ihre Fahnen auf und sammelten sich um sie. Viele dieser ehrwürdigen Feldzeichen kamen erst in Laon wieder zum Vorschein , man hatte sie verloren ge= Enthusiastische Zurufe glaubt und sie waren gerettet. begrüßten ihr Wiedererscheinen und Freudenthränen net= ten die Wangen der seit Langem schon verhärteten Krieger. So fand auch das 85. seine Fahne wieder , die der Bataillonschef Rullière , der über Philippeville zurückkehrte , mitbrachte; mit unerschrockenem Muthe hatte er sie noch in den letzten Phasen der Schlacht den sieg= reichen Preußen wieder entrissen und mit dem Beiſtande einiger Tapferer sie beschützt und glücklich aus der langen Verwirrung gerettet. Aber wenn auch die große Masse der Besiegten sich rasch und freiwillig wieder um ihre Fahnen sammelte und nach neuen Kämpfen dürftete, so gab es doch auch Andere, die diesem großherzigen Beispiele nicht folgten. Ein Schreiben des Obersten v. Bussy, dann Berichte von Soult und Anderen legen dafür ein betrübendes Zeugniß ab. ... Eine Anzahl von Bussy schrieb dem Kaiser : Soldaten ist desertirt ; sie haben die Posten der Natio= nalgarde durchbrochen , durchstreifen die Dörfer, die sie in Angst versehen , und eilen auf Nebenwegen ihrer Heimath zu ; sie verkaufen sowohl ihre Dienstpferde , als auch die, welche sie gestohlen haben , und oft zu dem Die bescheidenen Preise von 12 bis 15 Francs
Behörden glauben nicht , daß mehr als das Fünftel der ausgeschriebenen Lieferungen eingehen werde ; denn der Bauer versteckt, aus Furcht vor dem Wegnehmen , seine Wagen und Pferde. *) Soult entwarf dem Kaiser und dem Kriegsminister
*) Ungedrucktes Schreiben im Depôt de la Guerre.
465 ein jedenfalls allzu düsteres Gemälde der Lage , aber in vielen Punkten war es doch richtig. Es herrsche , wie er sagte, eine große Gährung in der Armee , besonders unter den Chefs und Generalen ; die Generale Pirė, Kellermann , *) Rogniat , Tromelin und Andere waren ohne Erlaubniß nach Paris gereist , und es war zu er= warten , daß noch andere Abtheilungskommandanten und Offiziere ohne Truppen ihrem Beispiele folgen würden . Die Truppen glaubten an Verrath, und man vernahm von ihnen die schlimmsten Andeutungen ; die Disziplin war verloren, die Infanterie demoralisirt 2c. **) General Leclerc des Essarts meldete gleichzeitig dem Kriegsminister, daß der Maréchal de Camp Sabatier, der das Genie im Lobau'schen Korps befehligte, durch St. Menehould paſſirt ſei , „ entsetzliche Nachrichten über die Armee verbreitet und erklärt habe, er gehe nach Hause, nach Bar-sur-Ornain . “ ***) Und auch Neh, der erste Soldat auf dem Schlacht= felde, Ney, der bei Waterloo in der letzten Stunde eben so unerschütterlich gewesen war , wie in den Schrecken des Russischen Rückzuges , Ney zeigte sich durch die Niederlage entmuthigt und war, nachdem er den Kaiser vergebens an der Grenze gesucht , nach Paris geeilt ; von der Tribune der Pairskammer verkündete er ganz Frankreich seine vollkommene Muthlosigkeit und erklärte , es gäbe keine Armee mehr, und Hoffnung sei nur noch in schleunigen Unterhandlungen zu finden. Der Feind war glücklicher Weise noch ziemlich ent= fernt von Laon. Er hatte sich aber doch beeilt.
*) Kellermann kam bald wieder zurück. Er war am 24. Juni an der Spitze seines Korps ; ein Schreiben , das an den Marschall Soult gerichtet und von ihm gezeichnet ist, beweist es. **) Ungedruckte Schreiben vom 21. und 22. Juni, aus Laon datirt. (Depôt de la Guerre .) ***) d. d. St. Menehould , den 22. Juni (Depôt de la Guerre .) 30 Charras, Waterloo
466 Am Tage nach der Schlacht war das Hauptquartier Wellingtons nach Nivelles gekommen . Er ließ dort die Abtheilung des Prinzen Friedrich der Niederlande, 16,500 Mann, die so unnöthiger Weise gestern bei Hal geblieben war, zu sich stoßen und glich dadurch seine Verluste aus. Am 20. Juni war er in Binche, am 21. in Malplaquet und am nächsten Tage in CateauCambrésis ; Valenciennes und le Quesnah wurden maskirt. Blücher, der für den Augenblick nur eine Division Birch I. und die Korps Ziethen und Bülow, von denen das lettere bei Plancenoit so sehr gelitten , bei sich sah, hatte sein Hauptquartier am 19. in Gosselies , während feine Reiterei die Verfolgung der Flüchtigen auf den Straßen von Avesnes , Beaumont und Philippeville fortsette. Am 20. war er in Merbes-le- Château, am 21. in Noyelle, am 22. in Catillon-sur-Sambre. An diesem Tage fiel Avesnes in seine Hände. Einige Hundert, von 2 Feldbatterien geworfene Grana= ten und die Explosion eines Pulvermagazins , die eine Kurtine beschädigte, reichten hin, um den Kommandanten zur Kapitulation zu bewegen . Er hatte noch 47 Ge= schüße mit 12 bis 1500 Schuß, 1 Million Flintenpatronen und eine Besatzung von 200 Veteranen und 3 Bataillonen aktiven Nationalgarden, etwa 1500 Mann. Die Nationalgarden wurden entwaffnet und nach Haus geschickt, die Veteranen aber als Kriegsgefangene be= handelt.
Durch diese so leichte Wegnahme von Avesnes be= kam Blücher einen guten Depôtplag. Am 23. blieben die beiden feindlichen Hauptquartiere stehen . Wellington entsendete 1 Reiter und 1 InfanterieBrigade mit 3 Batterien gegen Cambrah, um gegen diese Festung, in der man Einverständnisse hatte , einen
467 Handstreich zu versuchen. Seine Kolonnen , die etwas lang geworden waren, rückten besser zusammen; seine Trains und Brückenzüge waren auch noch zurück. Blücher wartete Thielemann und Pirch I. ab, die von Gembloux und Namur her kamen . Beide Feldherren konzentrirten ihre Kräfte , ehe fie weiter in Frankreich eindrangen . Im Laufe des Tages kamen sie in Catillon zusammen und vereinbarten daselbst ihren Operationsplan .
Sie beschlossen, daß ihre Armeen vereint gegen Paris vorrücken sollten, daß der Marsch auf dem rechten Dise-Ufer ausge= führt würde, um die französische Armee, die nach den Rapporten bei Laon und Soissons sich sammele, zu um= gehen, daß in dem Falle von Brückenzerstörungen der eng= lische Pontonpark benußt werden würde , da preußischer Seits erst 10 Pontons angekommen waren, daß man die Belagerungsparks heranrücken lassen werde, und daß die englisch-holländische Armee le Quesnah, Valenciennes und die Pläße links der Sambre, die preußische Armee dagegen Landrecies , Maubeuge , Ma= rienbourg, Philippeville , Givet und das deutsche Bundeskorps , das im Luxemburgischen stand , die Maasfeſt= ungen oberhalb Givet belagern solle. In Folge dieser Uebereinkunft detaſchirte Wellington den Prinzen Friedrich der Niederlande mit den 3 Infanterie-Brigaden , die bei Waterloo nicht gefochten hat= ten, und 1 Reiterbrigade, Blücher dagegen das ganze Birdy'sche Korps . Nach Abrechnung dieser Entsendungen würde die englisch-holländische Armee noch fast 60,000 Mann zäh= len, die preußische Armee aber etwas stärker sein. Sie wollten also mit 120,000 Mann auf die Hauptstadt losrücken und dabei der bei Laon stehenden Armee 30*
468 die Flanke bieten, die die Festung la Fère und den dort befindlichen Dise-Uebergang , so wie alle Brücken weiter unterhalb zu ihrer Disposition hatte! Man hat , nicht etwa auf irgend welche Beweise ge= stüßt, sondern lediglich nach der Wahrscheinlichkeit rech= nend, gesagt, die beiden Heerführer hätten bereits Kennt= niß von Napoleons Abdankung gehabt , als sie diese Beschlüsse faßten. Was aber viel gewisser , Das ist, daß sie einen richtigen Einblick in die Größe unserer Niederlage hatten und wußten , daß Napoleon keine Reserve vorbereitet hatte, die unsere Verluste ersetzen könnte. *) Wenn sie übrigens am 23. die Abdankung noch nicht wußten , so erfuhren sie sie doch am nächsten Tage in offizieller Weise . Auf Befehl des Marschall Soult hatte der General Morand sie dem General Ziethen anzuzeigen, der sie mit einem Gesuch um Waffenſtillſtand Blücher mittheilen sollte. Soult handelte hier den Instruktionen der provisorischen Regierung oder der Exekutivkommiſſion gemäß, die sich dem Glauben hingab , die Verbündeten würden nach Napoleons Abdankung ihren Vormarsch aufhalten. Hat= ten denn nicht auch die Souveraine in ihren Manifesten erklärt, daß sie nur mit Napoleon , nicht mit Frankreich Krieg führten ? Die ausschweifenden Forderungen Blücher's mußten diese Annahme vernichten ; er wolle in einen Waffen= stillstand willigen , wenn Napoleon ihm ausgeliefert und die Festungen im Norden , an der Maas und Mosel übergeben würden.
*) Wellington_schrieb von Nivelles am 20. Juni an Dumouriez : „ich habe noch nie eine Schlacht, wie die vorgestrige, gesehen, noch jemals einen solchen Sieg erfochten. Ich hoffe , mit Bonaparte ist es zu Ende." Seine Korrespondenz vor der Eröffnung des Feldzugs beweist klar , wie wir auch schon erwähnten , daß er über die Streitkräfte Napoleons ganz genau unterrichtet war. 7
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469 Er verlegte an diesem Tage sein Hauptquartier nach Genappe. Er rückte in zwei Kolonnen vor ; die linke bestand aus den Korps von Ziethen und Thielemann und rückte über Guise, Ovigny und Chaunh nach Compiègne; die rechte bestand aus dem Bülow'schen Korps und rückte über Nouvion und St. Quentin gegen Pont St. Maxence. Die Dise geht durch Compiègne, wie durch die lettgenannte Stadt. Die erste Kolonne nahm das Fort Guise, ohne einen Schuß zu thun und bivouakirte in dessen Höhe, die Avantgarde bei Ovigny , Patrouillen bei la Fère und 12 Schwadronen gegen Laon. Die zweite Kolonne kam nicht über Nouvion hinaus. Am 25. Juni kam Zicthen bis Cérish , Thielemann bis Ovigny und Bülow bis Essigny . Eine Division Ziethens stellte sich vor la Fère auf und forderte den Kommandanten zur Uebergabe auf. Das preußische Hauptquartier kam nach St. Quentin. Blücher erhielt Sie dort abermalige Waffenstillstandsanerbietungen . waren von den durch die provisorische Regierung er= nannten Bevollmächtigten ausgegangen . Er übersendete durch zwei seiner Generalstabsoffiziere dieselbe Antwort, die er schon an Morand ertheilt. Am 26. Juni sette die preußische Armee ihre Be= wegungen wieder fort. Ziethen kam bis Chaunh, Thielemann nach Guiscard , Bülow nach Reſſous ; Patrullen gingen bis Verberie, Pont- Sainte-Maxence und Creil. Eine der Ziethen'schen Divisionen , Jagow, sette die Nacht hindurch ihren Marsch gegen Compiègne fort. Blücher stand nur noch 25 Stunden von Paris . In der Festung la Fère kommandirte der Maréchal de Camp Berthier , ein braver Mann ; er verweigerte die Uebergabe und kümmerte sich wenig um den Schaden, den zwei oder drei Feldbatterien in der Stadt_an= richteten. Seit der Nachricht von der Niederlage bei Waterloo war die Desertion bei den Bataillonen der aktiven Nationalgarde eingeriſſen, die mit einem schwachen
470 Depôt der Linie und 150 Kanonieren und Artilleriearbeitern die Garniſon bildeten. Aber er wußte , daß eine Kapitulation nur dann nicht entehrt , wenn sie auf einer gangbaren und wohlvertheidigten Bresche abge= fchlossen wird. Der Kommandant des kleinen Forts in Ham hatte dieselbe Pflichttreue und Festigkeit gezeigt. Wellington war nicht so rasch marſchirt als Blücher, da er seinen Brückenzug abwarten wollte. Am 26. bivouafirte er zwischen Péronne und Vermand , fast zwei Märsche rechts rückwärts von Blücher. Cambray war in Folge der Schwäche der Garnison mittelst Leiterersteigung genommen worden ; Wellington hatte dabei 30 oder 40 Mann verloren ; die Citadelle ergab sich ohne den mindeſten Widerstandsversuch. Péronne kapitulirte, als ein Hornwerk mittelst Leiterersteigung genommen , der Platz selbst aber noch unversehrt war. Ludwig XVIII. war von dem englischen Feldherrn aus Gent herbeigerufen worden und hatte sich mit ſei= nem Hofe und seinen Miniſtern nach Cambrah begeben. Abermals befand sich die weiße Fahne unter der Obhut der fremden Bajonnette. Von nun an gab es in Frankreich zwei Regierun= gen. Soult hatte den Flankenmarsch der Preußen und Engländer auf dem rechten Ufer der Dise nichts weniger als erwartet; er glaubte , sie würden über Vervins gegen Laon rücken *) und war darin so sicher , daß er die beiden Reserve-Reiterkorps nach Rheims sandte und die Brücken über die Dife weder zerstören noch auch be= obachten ließ.
*) Vergl. das schon erwähnte Schreiben Soult's vom 23. Juni 8 Uhr früh an Grouchy.
471 Am 23. hatte er sein Hauptquartier nach Soissons verlegt, um sich durch die Aisne zu decken ; er hatte auch Grouchy, wie schon erwähnt, dorthin beordert. Die Garde hatte den Rückmarsch dorthin am 24 . begonnen und das Gros der Armee war am 25. und 26. gefolgt ; die leichte Reiterdivision Jacquinot blieb vor Laon. Es waren in der Zeit des dortigen Aufenthaltes noch 5-6000 Flüchtlinge wieder eingerückt. *) An dem letteren Tage früh war auch Grouchh für ſeine Person in Soiſſons eingetroffen ; seine Truppen wurden für den Abend erwartet. Die ganze Armee wußte jest um die Abdankung Napoleons und wenn man einige meuterische Bewegun= gen in zwei oder drei Garderegimentern und die Deſertion einiger hundert Mann dieses Korps nach Paris abrechnet, so hatte diese Nachricht durchaus nicht den nachtheiligen Einfluß geübt, den man gefürchtet hatte. **) Soldaten wie Offiziere sahen ein, daß Frankreich auch ohne den Kaiser noch immer das Vaterland blieb , und daß sie es zu vertheidigen hatten. Die Niederlage und die Verwaistheit, in der er sie zurückgelaffen , hatten ebensowohl dem General wie dem Kaiser geſchadet.
*) Nach einem übersichtlichen Bestande , den Soult an den Kriegsminister einreichte, betrug am 25. Juni die Stärke der gesammelten Abtheilungen 27,760 Mann aller Waffen , von denen 5085 Mann Reiterei und 2705 Artillerie und Genie incl. der Parks ; da aber das 1. Reserve-Reiterkorps dabei nicht mit aufgeführt ist und man dasselbe auf 1000 Mann und Pferde anschlagen kann (es war am 1. Juli 1127 Mann stark), so geht daraus hervor , daß am 25. die von Waterloo zurückgekehrte und durch Soult gesammelte Armee an 29,000 Mann stark war, von denen 6000 Mann Reiterei waren. **) Unter andern Zeugnissen für Das , was wir sagen , sei das des Generals Berthezène erwähnt , der gewiß in dieser Hinsicht unverdächtig ist. „ Diese Nachricht brachte auf unsere Soldaten nicht den Einfluß hervor , der zu befürchten stand ; die Desertion war unerheblich ; man kann sogar sagen , daß sie erst einige Tage nachher auftrat." (Souvenirs milit . Th . II.)
472 Grouchh hatte bei der Durchreise durch Rheims einen Beschluß der provisorischen Regierung erhalten, wornach ihm an Soult's Stelle der Oberbefehl über die Armee ertheilt ward. Damit war der Befehl verbunden , die Armee nach Paris zurückzuführen. *) Soult war schon längst ein Gegenstand des Verdach= tes für die Armee, weil er als Kriegsminister einen allzu lebendigen Royalismus zur Schau getragen hatte. Aus dieser Rücksicht war seine Beseitigung nothwendig. Aber wenn auch die patriotische Hingebung , so wie die Unerschrockenheit Grouchy's wohlbekannt waren , so fehlten ihm doch die Eigenschaften eines Obergenerals , namentlich unter den obwaltenden Umständen. Die unter seine Befehle gestellten Truppen zählten an 60,000 Mann . Von dieser Anzahl war etwa die Hälfte, d . h. die von Wavre zurückkehrende Kolonne (über 22,000 Mann Infanterie, 5000 Mann Reiterei **) und wahrscheinlich 2500 Mann der andern Waffen) , in trefflichem Stande , mit 100 gut bespannten Geschüßen und mit Allem wohl versehen. ***) Von der andern Hälfte waren höchstens 20,000 Mann bewaffnet , die Artillerie fehlte fast gänzlich , †) aber doch waren dieſe 20,000 Mann , die jest wieder in Ordnung waren, großer Anstrengungen fähig , und was an Gewehren und Geschützen fehlte , kam gewiß bald von Paris her an. Mit dieſen Kräften konnte Grouchy handeln , ma= növriren , den Anmarsch des Feindes verzögern und
*) Rede Grouchy's in der Pairskammer, 1. Juli 1815 . **) Schreiben Grouchy's an den Kriegsminister , d . d. Rethel, 24. Juni. (Depôt de la Guerre.) ***) Grouchy hatte Munition aus Mezières entnommen. †) Namentlich hatten die Reiterkorps Milhaud und Kellermann nicht ein einziges Geſchüß gerettet. (Nachschrift aus einem von Kellermann an Soult gerichteten Schreiben vom 24. Juni. Archiv des Depôt de la Guerre.)
473 dadurch der Regierung die Zeit zu den nöthigen Verthei= digungsmaaßregeln verschaffen. Aber wo stand der Feind ? Der Marschall sollte es Mochte er Nachrichten erhalten haben bald erfahren. oder war es Vorsicht , kurz er war in Sorge um die linke Flanke der Armee, die Soult so gänzlich unbeachtet gelassen und befahl noch an demselben Abend Erlon, mit seinem Korps Compiègne zu besetzen. Kellermann sollte ihn unterstützen. Die vier Infanterie-Divisionen Erlon's zählten nur noch 4643 Mann einschließlich der Offiziere, mit nur 6 Geſchüßen, die man ihm eben erst zuKellermann hatte nur 1462 Mann getheilt hatte. *) ohne Geſchüße. **) Um 5 Uhr Erlon marschirte die Nacht hindurch. früh stießen seine Spißen vor Compiègne auf die der Breußen. Jagow, der wie erwähnt , von Ziethen dorthin entsendet worden und gleichfalls die Nacht durchmarschirt war, stand seit einer halben Stunde mit seiner Division und einiger Reiterei in Compiègne. Erlon griff sofort an; aber nach kurzem Gefechte er= fuhr er von flüchtigen Bauern , daß die ganze preußische Armee herankomme, worauf er zurückging und, sich links haltend, über Verberies nach Senlis kam , um den Korps entgegenzutreten, die entweder Pont-Saint-Maxence und Creil schon besetzt hatten oder jeden Augenblick dort er= wartet werden durften und zu debouchiren versuchen würden. Er sendete darauf sowohl von seinen Bewegungen als von denen der Preußen Meldung an Grouchy. Die Kürassiere Kellermann's eilten voraus und kamen
*) Bestand vom 26. Juni , unterzeichnet vom Chef des Generalstabes vom 1. Korps. (Archiv des Depôt de la Guerre.) **) Bestand vom 24. Juni, von Kellermann unterzeichnet.
474 etwa gegen 10 Uhr Abends vor Senlis an ; als sie aber dort einrücken wollten , wurden sie von so lebhaftem Gewehrfeuer empfangen , daß sie wieder umkehren mußten. Der Feind war schon in der Stadt. Erlon, der nicht durch einen nächtlichen Kampf seine Truppen in Gefahr bringen wollte, suchte gleichwohl den Rücken und die Flanke der Armee nach besten Kräften zu decken und zog sich darum gegen Mont l'Évêque, wo er Stellung nahm und unbehelligt blieb. Grouchy sendete nach Empfang der von Erlon er= statteten Meldung Vandamme den Befehl ,,, ohne eine Minute zu verlieren " mit allen seinen Divisionen und von den Orten , wo sie eben stünden , sofort nach la Ferté Milon aufzubrechen , von wo sie über Azy nach Dammartin zu rücken hätten. Der ganze übrige Theil der Armee ward sofort gegen Villers-Cotterets in Marsch gesetzt. Wenn man nicht Soult's unglaubliche Nachlässigkeit sehr theuer bezahlen wollte , mußte man sich in der That beeilen. Ziethen hatte Compiègne passirt und drei seiner Divisionen durch den Wald bei Bethencourt vorgerückt; die vierte, Pirch II. und seine Reiterei , marſchirten ge= gen Villers-Cotterets. Thielemann war bei Compiègne über die Diſe gegangen und blieb dort stehen , Bülow bei Pont - Saint - Maxence und hatte Senlis mit einer Division besezt, deren Avantgarde mit Kellermann zu= sammengetroffen war. Grouchh kam spät nach Villers - Cotterets und hielt sich nicht lange dort auf. Noch vor Tagesanbruch hob er seine Bivouaks auf und schlug die Richtung über Nanteuil gegen Dammartin ein. Seine letzte Arrièregarde wurde jedoch in VillersCotterets von Pirch II. angegriffen und aus der Stadt geworfen. Es waren so unvollständige Sicherheitsmaaßregeln ergriffen worden , daß die Preußen dicht an der Stadt eine leichte Batterie nehmen konnten , überhaupt
475 aber ihr Angriff das Ansehen eines wirklichen Ueberfalls gewann. Grouchh kehrte bei dem Schalle des Gefechtes um, sprengte zurück und ließ seine Arrièregarde unterſtüßen. Birch II. war aufmarschirt , die Linke am Schloffe, die Rechte bei Longpré. Die Kanonade hatte begonnen ; er versuchte vergebens, aus der Stadt zu debouchiren, plöglich aber wurde sein linker Flügel von rückwärts her angegriffen. Es war Vandamme, der bei der ihm vor= geschriebenen Bewegung seinem rechten Flügel die Richtung von Soissons auf der Chaussee nach Villers-Cotterets an= gewiesen hatte und nun zum Angriffe kam. Eine Division Infanterie griff die Stadt an , eine Reiter-Brigade umging sie ; die Preußen wurden geworfen und zersprengt und schlugen von Bonneuil aus die Richtungen von Compiègne nach Crespy ein. Nach diesem kräftigen Stoße seßte Grouchy seinen Rückzug fort, befahl aber Vandamme , anstatt über la Ferté Milon nach Dammartin zu rücken, von dem erst= genannten Orte aus die Straße von Meaux einzuschla= gen und über Lagny gegen Paris zu marſchiren. Als Grouchh bei Levignon diesseits Nanteuil antraf, fand er den Ort von Ziethen besetzt. Die Milhaud'= schen Kürassiere und Reille mit seinem Korps waren schon jenseits ; der Marschall , der mit der Garde marschirte , schien abgeschnitten ; er vermied ein Gefecht, bog nach einer kurzen Kanonade links ab gegen Azh , und rückte nach Claye, wo er bivouafirte . Am Abende vereinigten sich Reille und Erlon bei Gonesse, an der Gabelung der Straßen von Paris nach Soissons und nach Senlis und nahmen bei Bourget, zwei Stunden von Paris , Stellung. Reille hatte 16 Stunden zurückgelegt. Erlon war etwas langsamer mar= schirt , weil er den Rückzug zu decken hatte , war aber in kein ernsthaftes Gefecht verwickelt gewesen. Am nächsten Morgen , den 29. Juni , rückten beide in die nördlichen Befestigungslinien von Paris ein. Die
476 Garde traf noch Vormittags , Vandamme mit seinen Korps gegen Abend ein und rückte auf die Südseite, wo er auf den Höhen von Montrouge Stellung nahm. Blücher hatte an diesem Tage sein Hauptquartier in Gonesse, das Bülow'sche Korps stand in Bourget, Zie= then in Blemménil, Thielemann in Dammartin. Die englische Armee , deren Oberbefehlshaber nicht die brennende Ungeduld Blücher's theilte , stand noch in Gournay , Clermont , Saint - Martin - Longeau , PontSainte-Maxence auf dem rechten Diſe-Ufer, zwei Märsche und weiter von den Preußen entfernt. Bei einem kräftigen und einsichtigen Oberkommando hätten die Uebereilung des Einen und die Zögerungen des Andern eine derbe Züchtigung erhalten können . Beide aber wußten wohl, weshalb sie etwas Der= artiges nicht zu erwarten hatten ; politische Elemente waren im Spiel. "1 Ich glaube, daß wir die Sachen zu dem von uns Allen erwünschten Ende bringen werden , ohne einen Schuß darum zu thun. Ich gedenke den 1. Juli in Paris zu sein." So schrieb Wellington am 28. Juni an den Minister Liverpool.*)
*) Dispatches_2c.
Achtzehntes
Kapitel.
Von den Kammern erlassene Dekrete. - Die RegierungsSeine kommission. Fouché der Präsident derselben. Zwecke. - Sein Benehmen. - Die Regierungskommiſſion ernennt auf ſeinen Einfluß hin Maſſéna zum Oberkommandanten - Fouché verwickelt auch Davoust, der Pariser Nationalgarde. den Kriegsminister , in seinen Verrath . - Gemeinschaftliche Berathung der Regierungskommission , der Bureaux der beiden Davoust erklärt jeden WiderKammern und der Minister. Unterwerfung unter Luddie stand für unmöglich und schlägt wig XVIII. vor. - Zwischenfall. - Die Versammlung beschließt, Unterhändler zu Wellington und Blücher zu senden. Davouſt wird zum Oberkommandanten der bei Paris verDie einigten Armee ernannt, bleibt aber Kriegsminister. -
Regierungskommiſſion beschließt , daß nur die Zugänge von Paris vertheidigt werden sollen. · Besorgnisse und Aufregung der Pariser Bevölkerung. - Waffenstillstandsantrag von Davoust, im Auftrage der Regierungskommission an Wellington und Blücher gestellt. - Blücher rekognoszirt die Verſchanzungslinie im Norden von Paris. - Zusammenkunft desselben mit Die beiden Oberkommandanten beschließen, daß Wellington. die preußische Armee auf die Nordseite von Paris rücken soll. - Bewegungen dieser , sowie der englisch-holländischen Armee. - Bestand der unter Davouſt ſtehenden Truppen vom 1. Juli. -
478 Er hätte beide feindliche Armeen nach einander schlagen können . Nathssißung in den Tuilerien. Excelmans marſchirt Er haut eine preußische nach Verſailles und Rocquencourt . Reiter-Brigade zusammen und kehrt darauf in seinen Bivouak bei Montrouge zurück. Kriegsrath in la Villette. ― Ergebnisse. Antwort Blücher's auf den Waffenſtillſtandsantrag. dom Schreiben Wellington's an Denſelben über dieſen Gegenstand. - Davouft wird von der Regierungskommiſſion ermächtigt, zu kapituliren. Bewegungen der preußischen Armee. Gefechte bei Sèvres, Meudon, Molineaux, Issy. Stellung der preußischen Armee am 2. Juli Abends . Benehmen der Kammern. - Die Armee räumt Paris. Schluß. Einzug Ludwig's XVIII. in Paris.
Mehrfache Einflüsse wirkten auf die Kammern ein, als sie Napoleon zur Abdankung zwangen. Theils fürchteten sie die Wiederkehr eines verhaßten Despotismus, der für das Vaterland nur verderblich gewesen war, theils waren sie überzeugt , daß er , der Besiegte von Waterloo , nicht mehr im Stande sei, das Vaterland zu vertheidigen, dann hofften sie, daß seine Abdankung zu Verhandlungen führen werde, als deren Folge eine baldige Räumung des Landes , ein ehrenhafter Frieden eintreten dürfte und daß eine Regierung nachfolgen werde, die von der Nation selbst gewählt worden sei. Die verbündeten Souveraine hatten feierlich erklärt, daß sie nur mit Napoleon, nicht mit Frankreich Krieg führten, und daß sie unserem Lande keine Dynastie aufzwingen würden. Ihre Erklärungen waren ein feierliches Dementi, den Unterschriften der Bevollmächtigten Ludwig's XVIII. gegen= über, welche diese unter den Allianztraktat gesetzt hatten. Aber die Kammern bemerkten Das nicht ; sie vergaßen, daß die Geschichte der feierlichen Manifeste allzu oft nichts weiter ist, als eine Erzählung offizieller Lügen. Indessen waren doch ihre Hoffnungen nicht ohne Rückhalt, denn sie hatten beschlossen , daß die Verthei-
479 digungsanstalten mit den Unterhandlungen Schritt halten sollten. Sie hatten den Nationalkrieg erklärt , alle waffenfähigen Bürger zur Rettung des Vaterlandes aufgefordert, ein Anlehen dekretirt und alle Hilfsmittel des Schatzes der provisorischen Regierung zur Verfügung ge= stellt , außerdem aber sie ermächtigt, Waffen und Transportmittel ſoweit nöthig in Natura zu requiriren, die Gefeße über die persönliche Freiheit aufzuheben und Alle , welche beschuldigt würden , Aufregungen oder Stö= rungen der öffentlichen Ruhe zu verursachen oder Verbindungen mit dem Feinde zu unterhalten , zu arretiren oder unter polizeiliche Aufsicht zu stellen. Diese Maaßregeln waren vortrefflich und durch die außerordentliche Gefahr der Lage gerechtfertigt . Sie erinnerten an die Energie jener großen Nationalversammlung , welche auch in einem Augenblicke der äußersten Gefahr das Vaterland gerettet hatte. Sie zündeten bereits in manchem Herzen und begeisterten manche Ge= müther. Es war schon viel, solche Maaßregeln an= geordnet zu haben , aber es war nichts, wenn man nicht auch eine durchgreifende Ausführung derselben sicherstellte. Die Kammern vertrauten der von ihnen gewählten ausübenden Gewalt , überließen ihr die Ausführung der Dekrete und verzichteten auf jede Kontrole und Anregung. Aber diese Behörde verrieth die nationale Sache durch ihre Schwäche, Unfähigkeit und Treulosigkeit. Die Regierung bestand aus Fouché , Carnot, Qui= nette , Coulaincourt und Grenier. Die drei ersten waren alte Konventsmitglieder und hatten für Ludwig's XVI. Tod gestimmt. Coulaincourt war der Hauptveranstalter des Eppenheimer Hinterhaltes ; Grenier war ein verdienter General , den nichts an die Bourbons feſſelte. Die Kammern hatten also durch ihre Wahlen zur Genüge gezeigt , daß sie diese Fürsten von sich abwiesen und nicht mit ihnen verhandeln wollten. Drei Königsmörder und einer der Hauptmitschuldigen an dem Morde des Herzogs von Enghien mußten wohl Alles thun,
480 um eine neue Restauration zu vermeiden , bei der es sich gewiß um ihr Vermögen, wenn nicht um ihre Köpfe handelte. Die Kammer wenigstens war davon überzeugt. Aber Fouché war von einer politischen Treulosigkeit ohne Grenzen. Carnot war nur noch ein Schatten ; Quinette war eine kraftlose Mittelmäßigkeit; Coulaincourt war entmuthigt und Grenier war so gemäßigt, daß die Kraft darüber verloren ging. Das hatten die Kammern nicht beachtet. Die ausübende Gewalt hatte bei ihrer ersten Sizung Fouché zum Präsidenten erwählt. Das alte Konventsmitglied, der Herzog des Kaiser= reichs, war schon im vollen Abfalle begriffen und bereitete seine Rückkehr zu der gefallenen und geächteten Dynaſtie und seine Versöhnung mit ihr vor. Er durfte jezt noch weder auf eine Theilnahme bei seinen Kollegen, noch auf eine Unterstützung bei dem Parlamente rechnen ; aber er kannte ihre moralische Schwäche. In dem zweitägigen Kampfe gegen Napoleon war die ganze Energie der Männer verbraucht worden , welche, die einen wegen ihrer Glücksgüter , die anderen wegen ihrer Stellungen , oder wegen Furcht vor gewaltsamen Wiedervergeltungsmaaßregeln, noch andere aus Anhänglichkeit an die Grundsäte der Revolution oder aus Patriotismus , den Bourbons Feind waren. Sie fürchteten vor Allem die Volksbewegungen, und die gefährliche Lage Frankreichs erfor= derte gerade sehr umfassende. Napoleon hatte während der drei Monate seiner Regierung nichts von dieser unerläßlichen Erhebung aller Kräfte und Leidenschaften des Landes hören wollen , und hatte nicht gewagt, sie loszulassen; die Majorität der Kammern , die Kollegen Fouché's würden es eben so wenig wollen oder wagen. Bei dieſer Ansicht von der Sachlage konnte Fouché hoffen , daß er, wenn es auch nicht möglich sein werde, ihnen eine formelle Zustimmung zur Restauration der Bourbons abzuringen , doch dahin gelangen würde, daß sie sich Dem nicht wiederseßten.
481 Hierzu war vorerst nöthig , Denen eine Sicherheit zu bieten , die bei der Bewegung vom 20. März am meisten betheiligt waren , dann mußte der Ehrgeiz verlockt, die Hoffnung auf den Frieden erneuert und unterhalten werden ; es mußten aber auch die öffentliche Meinung herabgestimmt , die Vertheidigungsmittel zu Nichte gemacht werden und endlich mußte Alles rasch geschehen. Fouché unternahm diese nichtswürdige Arbeit mit seiner gewöhnlichen Hinterlist und mit einer unerhörten Thä= tigkeit. Sofort nachdem er den Präsidentenstuhl in der Regentschaft eingenommen, entließ er einen der entschloffen= ſten und tüchtigsten Partheigänger der Bourbons aus dem Gefängniß und entsendete durch dessen Vermittelung Agenten an Wellington , um den Marsch der verbündeten Heere zu beschleunigen und an Ludwig XVIII . , um ihn aufzufordern, denselben ohne Zögern nachzufolgen. Er untersagte die Volksversammlungen , bei denen sich die Massen so leicht erhißen , unterdrückte an den Bilderläden Alles , was den Haß gegen die alte Monarchie unterhalten konnte , und ließ überall durch vertraute Agenten die düstersten und entmuthigendsten Ge= rüchte verbreiten . Durch seinen Einfluß war Masséna zum Oberkommandanten der Pariser Nationalgarde ernannt worden, Masséna, der Frankreich zwar bei Zürich gerettet , aber in Portugal seine letzten Kräfte verbraucht hatte, der sich jetzt nur nach Ruhe und nach dem ungestörten Genusse der unermeßlichen Reichthümer sehnte, die er überall und von Allen genommen hatte. Maſſéna hatte sein neues Amt mit einem Tagesbefehle angetreten, worin er die Pflichten der Nationalgarde „ auf die Erhaltung der inneren Ordnung, der Sicherheit der Personen und des Eigenthums" beschränkte. Damit hatte Fouché schon eines der Hauptverthei= digungsmittel in seine Hand genommen. 31 Charras, Waterloo.
482 Gleichzeitig brachte aber Fouché noch das Wichtigste, die Leitung der Militairangelegenheiten , unter seinen Einfluß. Davoust, der in den glücklichen wie in den unglücklichen Feldzügen mit Recht berühmt geworden und ge= blieben war , hatte sich unter der Restauration bei Seite gehalten und verbarg seinen Widerwillen gegen die Bourbons nicht. Er dachte und sagte , daß man troß der Niederlage unserer Armee noch Widerstand leisten könne und müsse. Er erließ strenge Befehle gegen die Deſertion , die auf die Nachricht der Niederlage bei Waterloo bei den aktiven Nationalgarden eingerissen war , die zur Hälfte bewaffnet und kaum uniformirt , in den Festungen stan= den ; er beschleunigte das Sammeln und Ordnen der von Waterloo zurückgekommenen Abtheilungen ; er befahl Grouchh, sich mit Soult zu vereinigen und den Befehl über die Armee zu übernehmen ; er organisirte die verwendbaren Kräfte der Depots , die in und bei Paris standen, befehligte Waffen und Material nach Laon, ord= nete die Beschleunigung und Vervollständigung der Aushebung von 1815 an , traf Vorbereitungen zum Heranziehen der Truppen , die durch die Unterwerfung der Vendee verfügbar geworden waren, und war im Begriff, die Tirailleure der Nationalgarde zu bewaffnen. Sein ganzes Benehmen zeugte von seiner Ent= schloffenheit, einen Kampf um das Vaterland durchzu= fechten. Aber die Einwirkung Fouche's schwächte diese Entschlossenheit erst ab und dann verschwand sie gänzlich . Davoust ward auf geschickte Weise gewonnen und über die Rolle aufgeklärt , die ihm unter den Bourbons bestimmt wäre ; er hatte sich darauf dem Verräther übergeben und seine unbedingte Mitwirkung zugesagt. Sein Benehmen ward von da ab ein anderes. Seine früheren Anordnungen wurden fo gänzlich umgeändert, daß acht oder zehntausend Mann , die vollständig bewaffnet, ausgerüstet und wohl auch bekleidet, in den
483 Depots verfügbar waren , daselbst verblieben und kein Detafchement, kein Geschütz , kein Gewehr nach Laon ge= sendet wurden . Davoust war einer von den Männern, wie sich deren nur zu viele in der Kriegsschule Napoleon's gebildet hat= ten; sie thaten Wunder von Energie auf dem Schlacht= felde , sie vergaßen des Vaterlandes, sie waren allen Verführungen ihrer Privatinteressen zugänglich und verfielen bei den großen politischen Krisen den Parteimanövern wie der Entmuthigung. Diese Männer waren um so gefährlicher im Rathe, als man immer geneigt ist zu glauben , daß die Tapfer= keit des Soldaten die Festigkeit und Hingebung des Bürgers in sich schließe. Fauché hatte Davoust sofort benußt, um im Parlamente selbst eine Meinung heimisch zu machen, die er nicht hätte geltend machen können. An dem Tage, an welchem sich 60,000 Mann bei Soissons konzentrirten, hatte er eine Sigung der Büreaux beider Kammern , der Glieder der Regentschaft und der Minister veranstaltet , in der die Sachlage erörtert wer= den sollte. Nach einigen Worten , in denen er seine Meinung dahin aussprach, daß der Widerstand gegen den Feind schwierig , wenn nicht gar chimärisch sei, hatte er sich plötzlich an den Freimuth, die Kenntnisse und die Erfahrung Davoust's gewandt. Diese Frage war , wie eben so die darauf zu ertheilende Antwort vorher verabredet. Davoust stützte sich auf die erlangte Kenntniß der Hilfsquellen und auf die Rapporte, welche er über die Lage und die Stimmung der Armee erhalten , und er= klärte darauf seine innerste Ueberzeugung von der Unmöglichkeit weiteren Widerstandes und von der Nothwendigkeit, die Bourbons wieder aufzunehmen , um das größte Unglück zu vermeiden. Darauf drückte er, um seinen Ansichten das Aufregende zu nehmen, was sie für Viele innerhalb und außerhalb des versammelten Rathes 31*
484 haben konnten, sich dahin aus, daß man eine Deputation an den König senden möge, ihm vorschlage, mit der Tricolore in Paris einzuziehen , ohne eine fremde Garde, daß er beide Kammern beibehalte, daß er ohne Unterschied Sicherheit für Personen und Eigenthum gewähr= leiste und alle Zivil- und Militair-Staatsdiener in ihren Aemtern, Graden, Ehren, Gehalten und Vorrechten belasse. Die erste Folge dieser verzweifelten Schilderung , zu der Fouché allein den Schlüssel hatte, war eine Ver= wirrung unter den Anwesenden. Die vier Kollegen Fouché's waren überrascht und ohne Fassung. Sie hatten auf die Thätigkeit, den Charakter und die Worte Davoust's , wie auf Fouché gebaut , dem sie die Leitung der Staatsangelegenheiten eben so überlassen , wie die Kammern sie in ihre Hände gelegt hatten, und nach einer fünftägigen Frist erklärten Beide, daß Alles verloren sei. Die Verzögerung einer solchen Erklärung und die Vorschläge selbst bildeten einen wirklichen Verrath. Es wäre für einen Mann von einiger Energie ein Leichtes ge= wesen, Davoust sofort abzusetzen und gegen ihn , wie gegen Fouché die Anklage zu erheben. Aber weder Carnot, noch Quinette, noch Coulaincourt , noch Grenier hatten den wenigen Muth, der dazu erforderlich gewe= sen wäre. Sie beschränkten sich auf einige unbeſtimmte Vorwürfe, auf kraftlose Widerlegungen ; die Erörterung ward allgemein und schwächte sich unter der Wucht der von Davoust vertretenen Ansichten und der von Fouché aufgestellten Sophismen bald ab . Endlich brachte der Lettere fie zum Ende, indem er unter der schweigenden Zustimmung der Versammlung die Präsidenten der beiden Kammern, Cambacérès und Laujuinais , aufforderte , dieselben auf die Zurückberufung der Bourbons vorzubereiten. Der Königsmörder , der Prokonsul von Nantes , der Minister vom 20. März mußte, ehe er sich auf die Seite der Bourbons stellte , Versprechungen und ausdrückliche Garantien erhalten haben, auf die Alle Anspruch erheben
485 konnten. Der Egoismus jedes Einzelnen gab ihnen diese Zuversicht - wer war mehr kompromittirt als Fouché? Es war ein großer Schritt, den Fouché damit zu seinem Ziele hin gethan hatte, daß er in einer derartig zusammengesetzten Versammlung die Unmöglichkeit ferneren Widerstandes und die Nothwendigkeit der Unterwerfung unter den König hatte zur Anerkennung bringen können. Ein Zwischenfall nöthigte ihn freilich , wieder etwas einzulenken ; es war der Bericht der nach Laon gesendeten Bevollmächtigten, die bei den feindlichen Feldherren hatten einen Waffenstillstand nachsuchen und Verhandlungen einleiten sollen. Wir haben die harte Antwort Blüchers schon mitge= theilt, die er durch zwei seiner Offiziere mündlich überbringen ließ. Die Antwort Wellingtons war zwar schrift= lich ertheilt , aber womöglich noch bestimmter ablehnend ; er hatte erklärt , keinerlei Vollmacht zu Waffenstillstands= verhandlungen zu besigen, hatte eine Zusammenkunft, um die gebeten war, verweigert , aber doch in der höflichen Weise, die ihm eigen, beigefügt, daß, wenn die Zusammen kunft ganz besonders gewünscht werde, er auch bereit ſei, sie zu bewilligen, obgleich ihr einziges Reſultat nur ein Zeitverlust sein könne. Es giebt Hoffnungen , die durch nichts zu zerstören sind und Täuschungen, die selbst dem Augenschein noch nicht weichen. Die Bevollmächtigten hatten sich mit den beiden Of= fizieren Blüchers unterhalten und aus diesen Gesprächen beruhigende Schlüsse gezogen, welche sie jetzt der Regier= ung mittheilten. Die Verbündeten hätten nicht den Beschluß gefaßt, Frankreich eine zweite Restauration aufzuerlegen ; ste wollten diese Entdeckung benußen , um zu den Souverainen zu eilen, deren Anwesenheit am Rheine, gegen Mannheim hin, sie in Erfahrung gebracht. Das war aber noch nicht Alles . Sie hofften viel von einer Zusammenkunft mit den feindlichen Feldherren
486 und hüteten sich wohl zu sagen , daß Wellington einen Zeitverlust als das einzig mögliche Resultat bezeichnet hatte ; dagegen forderten sie die Regierung auf, sofort Unterhändler zu den beiden Feldherren zu senden, da sie selbst, wegen der Aufsuchung der Souveraine, keine Zeit mehr zu diesem Geschäfte hätten. Die Mitglieder der Situng hatten durch diese Nach= richten wieder einige Zuversicht erlangt ; man konnte unterhandeln; die Verbündeten bestanden nicht auf der Wiederherstellung der Bourbons ; man brauchte sich also nicht zu beeilen, diesen Fürsten entgegenzukommen . Es war nur Eins wirklich dringend , die Ernennung nämlich der von den Bevollmächtigten erwähnten Unterhändler. Fouché hatte natürlich dieser Wandlung der Ansichten, dieser Wiederkehr der Hoffnung nicht entgegentreten wollen. Die wegen der Kammern an Cambacėrės und Laujuinais ertheilten Aufträge wurden zurückgezogen und da er nun einmal Alles erledigte, so ernannte er auch jetzt, in Ge= genwart seiner schweigsamen Kollegen , die Unterhändler : vier davon waren den Bourbons wenig entgegen und einer war ein erwiesener Royalist. Die Bevollmächtigten hatten in ihrer Depesche noch darauf hingewiesen, wie es nothwendig sei , die Verthei= digungsanstalten zu beschleunigen , denn , troß ihrer befremdlichen Hoffnungen meinten sie doch, daß sie in Erfahrung gebracht hätten, wie die feindlichen Armeen einen großen Werth auf Paris legten und so nahe als möglich heranzukommen suchten. Dieser Hinweis war aber gar nicht beachtet worden, die Situng war aufgehoben worden und Davoust , der jeden Widerstand für unmöglich erklärt hatte, war immer noch Kriegsminister. Alles, was in dieser Sitzung vorgekommen, war rasch zur Kenntniß der Mehrzahl der Kammermitglieder gelangt. Die Kecksten so wie die Besorgtesten waren zu Fouché geeilt, hatten Erklärung über sein Benehmen gefordert, ihn selbst des Verrathes beschuldigt ; es war aber nichts
487 als ein Hin- und Herreden dabei herausgekommen. Kein Pair, kein Repräsentant hatte auf der Tribune auch nur einen Verdacht geäußert. Alle fürchteten sich, das Land in Aufregung zu brin= gen und durch die Aufregung irgend eine volksthümliche Erhebung zu bewirken, der sie dann nicht im Stande ge= wesen sein würden, entgegenzutreten . Fouché hatte diese zweifelhafte Kleinmüthigkeit durchschaut und wußte nunmehr das Feld für seine Machinationen vollkommen frei und mehr als jemals . Er hatte sie lebhaft weiter geführt. Seine Vertrauten kamen und gingen jest offen und unaufhörlich zwischen ihm und dem Hauptquartiere Wellingtons , so wie dem Hofe Ludwigs XVIII., der der englischen Armee nachfolgte. Er hatte auch Grouchy wegen einer neuen Restau= ration ausforschen lassen , der Marschall hatte sich aber äußerst abgeneigt gezeigt. Das hätte eine große Verlegenheit werden können , wenn Grouchy sie nicht selbſt beseitigt hätte. Er traute seiner eigenen Kraft nicht, schrak vor der großen Verantwortlichkeit des Oberkom= mando's zurück, besonders nachdem er die Unordnung gesehen , die , freilich durch seine eigene Schuld , auf dem Marsche von Soiſſons nach Paris eingerissen, und reichte ſeine Entlassung ein. Fouché hatte ihn unter Zustimm= ung seiner gehorsamen Kollegen durch Davouſt erseßt . Als Kriegsminister und Oberkommandant in Einer Person konnte Davoust alle Vertheidigungsbestrebungen noch besser vereiteln. Die Kammern hatten sich dieser Ernennung auch nicht mehr widersezt als die Kollegen Fouché's . Die Regierung hatte ihnen ein Gesetz vorgelegt, woSie durch Paris in Belagerungsstand erklärt wurde. nahmen es an. Sie hatten auch eine Adresse an die Armee erlaſſen, allgemeine Redensarten ohne Farbe noch Kraft, und hatten aus ihrer Mitte Kommissare gewählt, welche die Soldaten ansprechen sollten.
484 haben konnten, sich dahin aus, daß man eine Deputation an den König senden möge, ihm vorschlage, mit der Tricolore in Paris einzuziehen , ohne eine fremde Garde, daß er beide Kammern beibehalte, daß er ohne Unterschied Sicherheit für Personen und Eigenthum gewähr= leiſte und alle Zivil- und Militair-Staatsdiener in ihren Aemtern, Graden, Ehren, Gehalten und Vorrechten belaſſe. Die erste Folge dieser verzweifelten Schilderung, zu der Fouché allein den Schlüſſel hatte , war eine VerDie vier Kollegen wirrung unter den Anwesenden. Fouché's waren überrascht und ohne Fassung . Sie hat= ten auf die Thätigkeit, den Charakter und die Worte Davouſt's , wie auf Fouché gebaut , dem sie die Leitung der Staatsangelegenheiten eben so überlassen , wie die Kammern sie in ihre Hände gelegt hatten, und nach einer fünftägigen Frist erklärten Beide, daß Alles verloren sei. Die Verzögerung einer solchen Erklärung und die Vorschläge selbst bildeten einen wirklichen Verrath. Es wäre für einen Mann von einiger Energie ein Leichtes ge= wesen , Davoust sofort abzusetzen und gegen ihn , wie gegen Fouché die Anklage zu erheben. Aber weder Carnot, noch Quinette, noch Coulaincourt , noch Grenier hatten den wenigen Muth , der dazu erforderlich gewe= fen wäre. Sie beschränkten sich auf einige unbestimmte Vorwürfe, auf kraftloſe Widerlegungen ; die Erörterung ward allgemein und schwächte sich unter der Wucht der von Davoust vertretenen Ansichten und der von Fouché aufgestellten Sophismen bald ab . Endlich brachte der Leßtere sie zum Ende, indem er unter der schweigenden Zustimmung der Versammlung die Präsidenten der beiden Kammern, Cambacérès und Laujuinais , aufforderte , dieselben auf die Zurückberufung der Bourbons vorzubereiten. Der Königsmörder , der Prokonsul von Nantes , der Minister vom 20. März mußte, ehe er sich auf die Seite der Bourbons stellte , Versprechungen und ausdrückliche Garantien erhalten haben, auf die Alle Anspruch erheben
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konnten. Der Egoismus jedes Einzelnen gab ihnen diese Zuversicht - wer war mehr kompromittirt als Fouché ? Es war ein großer Schritt, den Fouché damit zu ſeinem Ziele hin gethan hatte, daß er in einer derartig zusammengesetzten Versammlung die Unmöglichkeit ferneren Widerstandes und die Nothwendigkeit der Unterwerfung unter den König hatte zur Anerkennung bringen können. Ein Zwischenfall nöthigte ihn freilich, wieder etwas einzulenken ; es war der Bericht der nach Laon gesendeten Bevollmächtigten, die bei den feindlichen Feldherren hatten einen Waffenstillstand nachſuchen und Verhandlungen einleiten sollen. Wir haben die harte Antwort Blüchers schon mitge= theilt, die er durch zwei seiner Offiziere mündlich über= bringen ließ. Die Antwort Wellingtons war zwar schrift= lich ertheilt, aber womöglich noch bestimmter ablehnend ; er hatte erklärt , keinerlei Vollmacht zu Waffenstillstandsverhandlungen zu besigen, hatte eine Zusammenkunft, um die gebeten war , verweigert , aber doch in der höflichen Weise, die ihm eigen, beigefügt, daß, wenn die Zuſammenkunft ganz besonders gewünscht werde, er auch bereit sei, sie zu bewilligen , obgleich ihr einziges Resultat nur ein Zeitverlust sein könne. Es giebt Hoffnungen , die durch nichts zu zerstören sind und Täuschungen , die selbst dem Augenschein noch nicht weichen. Die Bevollmächtigten hatten sich mit den beiden Of= fizieren Blüchers unterhalten und aus diesen Gesprächen beruhigende Schlüſſe gezogen, welche sie jetzt der Regier= ung mittheilten. Die Verbündeten hätten nicht den Beschluß gefaßt, Frankreich eine zweite Restauration aufzuerlegen ; sie wollten diese Entdeckung benutzen , um zu den Souve= rainen zu eilen , deren Anwesenheit am Rheine , gegen Mannheim hin, sie in Erfahrung gebracht. Das war aber noch nicht Alles . Sie hofften viel von einer Zusammenkunft mit den feindlichen Feldherren
486 und hüteten sich wohl zu sagen , daß Wellington einen Zeitverlust als das einzig mögliche Resultat bezeichnet hatte; dagegen forderten sie die Regierung auf, sofort Unterhändler zu den beiden Feldherren zu senden, da ſie selbst, wegen der Aufsuchung der Souveraine, keine Zeit mehr zu diesem Geschäfte hätten. Die Mitglieder der Sihung hatten durch diese Nachrichten wieder einige Zuversicht erlangt; man konnte unterhandeln ; die Verbündeten bestanden nicht auf der Wiederherstellung der Bourbons ; man brauchte sich also nicht zu beeilen, diesen Fürsten entgegenzukommen . Es war nur Eins wirklich dringend , die Ernennung nämlich der von den Bevollmächtigten erwähnten Unterhändler. Fouché hatte natürlich dieser Wandlung der Ansichten, dieser Wiederkehr der Hoffnung nicht entgegentreten wollen. Die wegen der Kammern an Cambacėrės und Laujuinais ertheilten Aufträge wurden zurückgezogen und da er nun einmal Alles erledigte, so ernannte er auch jetzt, in Ge= genwart seiner schweigsamen Kollegen, die Unterhändler : vier davon waren den Bourbons wenig entgegen und einer war ein erwiesener Royalist. Die Bevollmächtigten hatten in ihrer Depesche noch darauf hingewiesen , wie es nothwendig sei , die Verthei= digungsanstalten zu beschleunigen, denn, troß ihrer be= fremdlichen Hoffnungen meinten sie doch, daß sie in Erfahrung gebracht hätten, wie die feindlichen Armeen einen großen Werth auf Paris legten und so nahe als möglich heranzukommen suchten. Dieser Hinweis war aber gar nicht beachtet worden, die Situng war aufgehoben worden und Davouſt, der jeden Widerstand für unmöglich erklärt hatte, war immer noch Kriegsminister. Alles, was in dieser Sizung vorgekommen, war rasch zur Kenntniß der Mehrzahl der Kammermitglieder gelangt. Die Kedsten so wie die Besorgtesten waren zu Fouché geeilt, hatten Erklärung über sein Benehmen gefordert, ihn selbst des Verrathes beschuldigt ; es war aber nichts
487 als ein Hin- und Herreden dabei herausgekommen. Kein Pair, kein Repräsentant hatte auf der Tribune auch nur einen Verdacht geäußert. Alle fürchteten sich, das Land in Aufregung zu brin= gen und durch die Aufregung irgend eine volksthümliche Erhebung zu bewirken, der sie dann nicht im Stande ge= wesen sein würden, entgegenzutreten. Fouché hatte diese zweifelhafte Kleinmüthigkeit durch= schaut und wußte nunmehr das Feld für seine Machinationen vollkommen frei und mehr als jemals. Er hatte sie lebhaft weiter geführt. Seine Vertrauten kamen und gingen jest offen und unaufhörlich zwischen ihm und dem Hauptquartiere Wellingtons , so wie dem Hofe Ludwigs XVIII., der der englischen Armee nachfolgte. Er hatte auch Grouchy wegen einer neuen Restau= ration ausforschen lassen , der Marschall hatte sich aber äußerst abgeneigt gezeigt. Das hätte eine große Verlegenheit werden können , wenn Grouchy sie nicht ſelbſt beseitigt hätte. Er traute seiner eigenen Kraft nicht, schrat vor der großen Verantwortlichkeit des Oberkommando's zurück, besonders nachdem er die Unordnung gesehen, die, freilich durch seine eigene Schuld , auf dem Marsche von Soissons nach Paris eingerissen, und reichte feine Entlassung ein. Fouché hatte ihn unter Zustimm= ung seiner gehorsamen Kollegen durch Davouſt erſeßt. Als Kriegsminister und Oberkommandant in Einer Person konnte Davouſt alle Vertheidigungsbestrebungen noch besser vereiteln. Die Kammern hatten sich dieser Ernennung auch nicht mehr widersett als die Kollegen Fouché's . Die Regierung hatte ihnen ein Gesetz vorgelegt, wodurch Paris in Belagerungsstand erklärt wurde. Sie nahmen es an. Sie hatten auch eine Adresse an die Armee erlaſſen, allgemeine Redensarten ohne Farbe noch Kraft, und hatten aus ihrer Mitte Kommissare gewählt, welche die Soldaten ansprechen sollten .
488 Man begnügte sich nicht mit der Parodie auf die Absetzung Ludwigs XVI., man parodirte auch die zu den Armeen gesandten Konventsdeputirten. Nach diesen großen Maaßregeln hatte die Regierung oder vielmehr Fouché , der sein Ziel immer vor Augen hatte, eine Verordnung erlassen , die ein neuer Schritt zum Untergange war. Er hatte bestimmt, daß nur die Zugänge zu Paris vertheidigt werden sollten , und zwar lediglich durch die Linientruppen , die deshalb außerhalb der Mauern in ihren Lagern blieben ; daß die Nationalgarde die Ordnung im Innern aufrecht zu erhalten hätte und außerhalb der Stadt nur auf das eigene Verlangen der Legionen oder Bataillone verwendet werden könnte, daß dagegen die Tirailleurs der Nationalgarde, ihrem Anerbieten entsprechend, als Unterstützung der Linientruppen auftreten sollten und zur Vertheidigung der der Stadt zunächst befindlichen Posten zu befehligen seien. Diese Verordnung ward am 28. Juni Abends erlassen und fand sofort einen getreuen Widerhall in einem vom Seinepräfekten gezeichneten und an die Bewohner von Paris gerichteten Aufrufe. Dieser Mann, den man nam= haft machen muß, hieß de Bondh. Er empfahl den Bürgern die Sicherheit ihrer Personen , ihrer Familien und ihres Eigenthums vor Augen zu haben und sich einer weisen und vollständigen Zurückhaltung zu befleißigen. So weit waren die Zustände in Paris gediehen, und eben so wenig wie die Verordnung der Regierung hatte dieſe feige Proklamation in der Kammer auch nur eine Bemerkung hervorgerufen , als die von Grouchh zurückgeführte Armee sich, wie wir schon erwähnten , theils nördlich, theils südlich vor den Mauern der Stadt lagerte. Es war der 29. Juni. Während in den offiziellen Regionen theils die Schwäche, theils die Mitschuld es geschehen ließen , daß Fouché und Davoust den Weg für Wellington und Blücher, so wie für die Rückkehr Ludwigs XVIII. ebneten,
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war die Masse der Pariser Bevölkerung voller Aufregung und Besorgnisse. Das Wort „ Verrath" erschallte in der Stadt wie in den Vorstädten. Alles war empört , die Aufgebote drohten , die Truppen in den Depots waren wüthend, die Tirailleurs riefen laut nach Waffen , die Jugend der Schulen und des Handels, die in freiwillige Artilleriekompagnien formirt waren, verzehrte sich in Ungeduld ; eine Menge Nationalgardisten eilten zu ihren Stabsquartieren und verlangten gegen den Feind geführt zu werden ; die ganze Masse der tüchtigen Bevölkerung verlangte nichts als eine Leitung , um der Hauptſtadt Frankreichs die wiederholte Schande einer Kapitulation vor dem Feinde zu ersparen. Die Ankunft der 60,000 Mann, die Grouchy_herangeführt, steigerte die Begeisterung auf's Höchste. Die Armee zeigte jetzt den besten Geist . Sie wollte bis zum legten Athemzuge fechten, die Schmach der Niederlage in Blut abwaschen, und auf sie gestüßt, im Vereine mit ihr konnte es jeden Augenblick geschehen , daß die , bei der Aussicht auf eine Unterwerfung unter den Feind em= pörten Patrioten sowohl die Regierung wie das Parlament fortjagten , um eine andere Regierung einzusetzen, die gewillt wäre, den großen Beispielen nachzufolgen, welche Portugiesen, Spanier, Ruſſen, Deutsche und Frankreich selbst schon vor zwanzig Jahren gegeben. Fouché und Davouſt mußten dieſe erschreckende Mög= lichkeit in's Auge fassen. Der geringste Zwischenfall, die Unfolgsamkeit eines Generals , das Losbrechen einiger Bürger konnte sie zur Wirklichkeit machen. Sie erkannten. Das wohl, denn der Eine war durch seine Polizei von der allgemeinen Gährung unterrichtet und der Andere konnte es von seinem Hauptquartiere zu la Villette aus selbst gewahren, wie die Truppen und mehrere Generale unzufrieden und aufgebracht waren ; er folgerte daraus, daß man der Armee und dem Volke nicht die Zeit laſſen dürfe, sich zu verſtändigen und daß Alles rasch der Lösung entgegengeführt werden müsse.
490 In der Nacht vom 29. zum 30. berichtete er offiziell an Fouché : „ Es darf kein Augenblick verloren werden . . . wir müssen Ludwig XVIII . proklamiren, ihn bitten, feinen Einzug in die Hauptstadt ohne fremde Truppen zu hal= ten ... es giebt kein anderes Mittel , das Vaterland zu retten. " Wenige Stunden darauf erhielt er eine Umschreibung seines eigenen Berichtes als Antwort; sie schloß mit der Ermächtigung : zu den feindlichen Vorposten zu senden und für einen Waffenstillstand alle Opfer zu bringen, die mit der Pflicht und der Würde vereinbar seien." Pflicht und Würde , so verstanden , wie Fouché und Davoust sie verstanden , setzten ihnen keinerlei Grenze. Fouché sagte in seinem Schreiben , er habe es auf sich genommen, dem Marschall diese Vollmacht zu ertheilen. Er hielt es aber doch für klug, nachher auch seine Kollegen von der Regierung mit zu verwickeln, denn eine getheilte Verantwortlichkeit ist jederzeit weniger gefährlich. Zum ersten Male stieß er auf einigen Widerstand , und nach einer lebhaften Debatte mußte er einen Courier an Davoust absenden , der die Erlaubniß auf einen rein militairischen Waffenstillstand beschränkte. Ein derartiger Waffenstillstand war aber schon den nach Laon entsendeten Bevollmächtigten, die jeßt die verbündeten Monarchen aufsuchten, verweigert worden . Die neuen Unterhändler waren kaum glücklicher gewesen, denn seit drei Tagen waren sie fort und hatten noch nichts von sich hören laſſen. Wo man schon abschläglich beschieden worden war, durfte Davouſt auch keinen Erfolg erwarten. Es scheint aber, als ob eine während der Berathung eingegangene und sofort an Davouſt beförderte Depesche Hoffnungen für bessere Erfolge erregt habe. Suchet meldete nämlich mit dem Telegraphen aus Chambéry , daß er so eben mit dem östreichischen Oberkommandanten, General Frimont , einen breitägigen Waffenstillstand ab= geschlossen hätte . Aber die Entscheidung des Krieges lag
491 nicht bei Lyon, sondern bei Paris ; es ließ sich also aus der Handlungsweise Frimonts nicht auf die Wellingtons oder Blüchers schließen. Das war doch gewiß klar. Davouſt richtete nichts destoweniger an den engliſchen und an den preußischen Oberkommandanten einen dringenden Antrag auf Waffenstillstand ; er berief sich auf Das, was bei Lyon geschehen und sagte, „ daß sie doch keine anderen Instruktionen von ihren Regierungen haben könnten , als der östreichische General von der feinigen.“ Es war, hat man behauptet, damals fein aufrichtiger Wunsch , der französischen Hauptstadt die Erniedrigung durch eine nochmalige Besetzung mit fremden Truppen zu ersparen. Es ist möglich , obwohl es befremdlich erscheint. Wenn er aber aufrichtig war, so war er sehr verblendet. Er hatte Alles gethan, um die Vertheidigungsanstalten herabzubringen und außer Wirksamkeit zu setzen, weil er sich selbst überredet hatte oder sich von Fouché hatte dazu bewegen lassen , zu glauben , daß, wenn die Regierung, die Kammern und die Pariser Bevölkerung einmal die Unmöglichkeit des Widerstandes vor sich sähen , sie die Bourbons willkommen heißen würden, und daß dann die feindlichen Generale Halt machen müßten. Aber in Folge des Widerstrebens der Einen und der Besorgniß vor der Haltung der Armee und der Bevölkerung bei den Andern. geschah Dies nicht und Davouſt hatte ſonach, was dem alltäglichsten Scharfsinn schon vorher klar sein mußte, der Sache nach nur dahin gearbeitet, daß Paris in die Hände der Verbündeten fiel. Er wies Fouché auf's Neue darauf hin , wie noth= wendig es sei , sofort Ludwig XVIII . zu proklamiren ; aber Fouché fand dazu keinen Gehilfen und konnte es doch nicht allein thun. Davoust, der schon vorher die Stimmung der Armee richtig durchschaut, erhielt nun noch schlagendere Beweiſe davon.
492 Die Repräsentantenkammer hatte, wie schon erwähnt, eine Adresse an die Armee erlassen. Einige Generale wollten Das benußen, um ihre Ansicht auszusprechen, und einer derselben , der General Freiſſinet , erließ eine Antwort, die von Haß gegen die Bourbons durchglüht war. Die Adreſſe ward rasch bei den nördlich von Paris gelagerten Truppen verbreitet und erhielt sofort die Unterschrift der meisten Generale , und Davoust , um Ver= dacht zu vermeiden und einer persönlichen Gefahr zu entgehen, konnte selbst die ſeinige nicht verweigern. Die Lage wurde in der That schwierig ; in einer Versammlung , die wenige Schritte vom Davoust'schen Hauptquartiere gehalten wurde , ward Fouché des Ver= rathes beschuldigt und General Dejean schlug vor, mit 2 Bataillonen in die Tuilerien zu rücken und den Präfidenten der Regierung gefangen zu nehmen und auf der Stelle zu erschießen. Dieser Antrag fand zwar keine Annahme , konnte aber doch jeden Augenblick verwirklicht werden. Außerdem liefen auch Abschriften der Freiſſinet'schen Adresse unter den Truppen um und erregten ihren Enthusiasmus *) . Ein Kommandeur , der nur einige Energie , einigen Patriotismus noch im Herzen getragen , hätte nicht Än= stand genommen, von einer solchen Stimmung der Armee Nußen zu ziehen, selbst wenn er eine mährchenhafte Hoffnung auf Waffenstillstand hegte. Nichts hält den Feind so sicher auf, als die feste Entschlossenheit zum Schlagen. Und Davouſt ſollte noch mehr vor sich sehen einen sicheren Sieg , der ihm winkte. Blücher hatte gegen 1 Uhr Nachts das Dorf Aubervilliers mit 8 Bataillonen und 8 Schwadronen angreifen lassen , während eine andere Kolonne gegen Bondy_de= monstrirte. Aubervilliers liegt auf dem rechten Ufer des
*) Es war darin von Napoleon und seiner Familie gar nicht die Rede.
493 Stunde von dieser Stadt, dicht Kanals von St. Denis, vor unserer Verschanzungslinie. Es ward nur von einem einzigen Bataillon verthei= digt und nach einem lebhaften Widerstande genommen. Die schwache Abtheilung zog sich, da sie keine Unterſtüßung erhielt, in guter Ordnung nach den Schanzen zurück, worauf ein mehrstündiges Blänkergefecht ohne Zweck noch Bedeutung folgte. Blücher hatte aber aus der sichern Haltung unserer Truppen und nach einer sorgsamen Rekognoszirung unserer Vertheidigungslinie erkannt, daß er selbst im Vereine mit der englisch-holländischen Armee nicht im Stande ſein werde, sie zu bezwingen. Diese Armee war aber noch weit zurück. Ihre Avantgarde fonnte im Laufe des Tages nicht über Louvres Hinauskommen, und am Abend war sie zwischen da und Pont -Sainte - Marence aufgestaffelt. Drei ihrer Divisionen, also das Drittheil ihrer Infanterie, und die ganze Reſerve-Artillerie standen aber dicht bei dem letztgenann= ten Punkte , mehr als 10 Stunden von den Preußen entfernt. Wellington war Nachmittags zu einer Konferenz mit dem preußischen Feldherrn herangekommen und bei dieser Lage und Stellung ihrer Armeen beschlossen sie, mit einem Theile derselben auf die Südseite von Paris zu rücken. Durch die Nachlässigkeit Napoleons, die von der provisorischen Regierung und Davouſt fortgesetzt wurde, war Paris auf dem linken Seine-Ufer nicht verschanzt worden . Es waren drei oder vier Redouten dort in Arbeit, kaum 300 Erdarbeiter waren dabei beschäftigt - Das war Alles , was vor wie nach Waterloo dort geschehen war. Die feindlichen Generale wußten Dies; Fouché hatte es ihnen nicht verhehlt , und darauf gründeten sie ihren Operationsplan. Dieser Plan bestand darin , daß die ganze preußische Armee auf das linke Seine - Ufer rücken und mit Hilfe
494 Die der dortigen Hügelkette Paris einschließen sollte. Verbindungen würden unterbrochen und die Verproviantirung zweifelhaft und ein Gegenstand der Beunruhigung werden. Die englische Armee rückte an die Stelle der Preußen vor die nördlichen Fronten . Die Ausführung folgte dem Plane auf dem Fuße nach. Gegen 5 Uhr Abends rückte das Thielemann'sche Korps, das am Morgen von Dammartin nach Gonesse marſchirt war, über Argenteuil nach St. Germain, und sandte eiligst die Reiterbrigade Sohr , die ihm vom Pirch'schen Korps überwiesen worden *), dahin voraus, um eine fleine Abtheilung zu unterstüßen , die sich überraschender Weise in den Besit der Seine-Brücke bei Pecq, am Fuße der St. Germainer Höhe, gesezt hatte. Das Ziethen'sche Korps folgte dieser Bewegung 5 Stunden später über Maiſons , woselbst gleichfalls eine Brücke über die Seine war. Bei ein wenig mehr Vorsicht Seite der Franzosen hätte diese Brücke zerstört sein kön= nen; sie war aber nicht einmal beobachtet. Um die Bewegung zu verdecken , hatte Ziethen seine Vorposten unserer Stellung gegenüber stehen lassen. Auch Bülow verblieb zu diesem Zwecke vor der Stadt. Andern Tags, am 1. Juli, seßte Bülow gegen 6 Uhr Morgens seine Reiterei und Reserve-Artillerie nebst einer Infanterie-Division über Argenteuil gegen St. Germain in Marsch; später , am Nachmittage, folgten die anderen Divisionen nach Maaßgabe des Eintreffens der vorderen. englischen Divisionen . Gegen Mittag stand also die Blücher'sche Armee wie folgt: Die Reiter - Brigade Sohr bei Verſailles , etwas hinter ihr die fliegende Kolonne, die er bei Pecq ange= troffen hatte, Ziethen und Thielemann bei St. Germain, Bülow mit der Reiterei und einer Infanterie-Division
*) Dieses Korps war, wie früher erwähnt, an der Sambre zurückgelassen worden.
495 bei Argenteuil, mit den andern Truppen in der Ebene von St. Denis. Wellington hatte seiner Armee nicht einmal einen Nachtmarsch zugemuthet und jetzt kamen höchstens 15,000 Mann derselben vor unseren Linien an. Ein Drittheil aber und seine Reserve - Artillerie war noch weit hinter Louvres und der Rest war zwischen da und Bourget zurück. Die beiden feindlichen Armeen waren fonach auf eine Strecke von über 15 Stunden verzettelt, im Ganzen durch die Detaſchirungen auf ihrer Verbindungslinie und den Ab= gang bei den anstrengenden Märschen noch nicht 110,000 Mann stark, und einem energischen Zugreifen Davouſt's vollkommen Preis gegeben. Der Marschall hatte in der That nach den offiziellen Bestandslisten 71,000 Mann *) aller Waffen , bewaffnet und ausgerüstet , davon 15,000 Mann Reiterei ; dann 6000 Tirailleurs , denn er hatte 3000 Mann mehr bewaffnen lassen, als unter Napoleon geschehen war, ferner die Pariser Nationalgarde und 1000 Mann aktive Nationalgarde des Departements . Der Artilleriedienst in den Schanzen wurde von der Artillerie der Linie , der Marine , der Invaliden und von den Kompagnien der Schulen versehen , welche letz= tere mit Richtkanonieren aus der Linie verstärkt worden waren. Davouſt wußte schon sehr frühzeitig, wenn nicht schon am Abende vorher um den Marsch der preußischen Armee. Wenn er zwischen 7 und 8 Uhr, ja noch um 10 Uhr mit 50,000 Mann vorgebrochen wäre , hätte er Bülow, der nicht 20,000 Mann hatte, über den Haufen gerannt , wäre dann den Engländern entgegengerückt, die in einzelnen Marschkolonnen herankamen , hätte diesen einen ansehnlichen Verlust beigebracht und sie bis über die Dife zurückgeworfen. *) Vergl. Note E. am Schlusse. (Archiv des Dépôt de la Guerre.)
496 In weiterer Folge hätten auch die Korps Thielemann und Ziethen, deren Verbindungslinie genommen war, einer Niederlage nicht entgehen können. Blücher, trotz seinem Jugendfeuer, und Wellington mit seiner weiſen Mäßigung hatten jedenfalls die Gefahr erkannt, der sie sich bei ihrer Operation aussetzten. Sie hatten aber , wie man sagt, und wie auch Alles beweist, auf die von Fouché zugesagte Unthätigkeit der franzöſiſchen Armee gerechnet . Davoust, der sich seinem Lehrmeister im Verrathe so folgsam erwies, hielt auch dessen Zusage. Die Nachricht von der Bewegung der preußischen Armee auf das linke Seine - Ufer hatte sich im Lager ver= breitet. Generale , Offiziere und Soldaten verlangten laut, gegen den Feind geführt zu werden. Vandamme ließ melden, daß preußische Kolonnen bei St. Germain stünden. Davouſt war aber entschlossen, dem Feinde volle Bewegungsfreiheit zu gestatten und ließ das Feuer in einem schwächlichen Angriffe auf Aubervilliers und in nichtssagenden anderweitigen Demonstrationen verrauchen. Er befahl Vandamme , der alle Truppen auf dem linken Seine-Ufer befehligte , Excelmans über Versailles gegen St. Germain vorzuschicken und ihn mit dem 3. und 4. Korps zu unterstüßen ; er ließ Erlon und die Garden. sich zum Abmarsche bereit halten, um diese Bewegung durch ein Vorgehen über die Seine - Brücke bei Neuilly zu unterstüßen ; er verkündete, daß er Alles zu einer großen Schlacht vorbereite und vor 10 Uhr noch ging er nach Paris hinein. Er war von Fouché zu einer Art Kriegsrath be= schieden worden , der um diese Zeit in den Tuilerien zusammenberufen worden war. Wenn man sich nicht schlagen will, beruft man einen Kriegsrath. Das ist ein Grundsatz von allgemeiner Geltung, und es kann als ziemlich gewiß angesehen werden, daß sich immer für die wenigst herzhaften und schwach-
497 müthigsten Entschließungen eine Majorität zuſammenfinden wird. Fouché kannte diesen Grundsatz und wandte ihn an, war auch außerdem so ziemlich, der Zusammensetzung des Kriegsrathes nach, seiner Sache gewiß. Er war nämlich aus den Mitgliedern der Regierung, den Ministern, den Präsidenten, Vicepräsidenten und Sefretairen der Kammern, dann aus den Marschällen Masféna, Soult, Lefebvre und Grouchy, den Generalen Gazan, Evain und Mouton-Duvernet gebildet. Davoust eröffnete die Berathung mit einer übersicht= lichen Darstellung des Standes der bei Paris vereinigten Kräfte und ihrer Stellungen , dann der Bewegungen der feindlichen Armeen, und darauf schloß er wie immer da= mit, daß der Widerstand unmöglich sei. Carnot hatte mit dem General Grenier beide Ufer . der Seine rekognoszirt und legte Beider Ansichten folgendermaaßen dar: ,,Die Feldverschanzungen sind auf dem rechten Ufer so weit gediehen, daß Paris vor jedem Angriffe ſichergestellt ist, aber auf dem linken Ufer ist Alles offen und die Unternehmungen des Feindes finden freien Spielraum. Die Preußen haben ihre Hauptmacht auf dieses Ufer versezt und scheinen zum Angriffe entschlossen. Es wird ohne Zweifel leicht sein, sie zurückzuwerfen, aber sie kön= nen entweder nach ihrer Vereinigung mit den Engländern ihren Angriff erneuern oder sich auf dem Höhenzuge_ver= schanzen, der sich links von Sepres gegen Meudon und rechts gegen St. Cloud erstreckt ; in dieser Stellung können sie die Ankunft der übrigen Armeen der Verbündeten abwarten , Paris einschließen , ihm die Lebensmittel ab= schneiden , unserer Armee den Rückzug verlegen und sie schließlich zwingen, sich auf Discretion zu ergeben." Paris die Folge ung, von Charras,
war freilich auf der Südseite offen , das war der Sorglosigkeit Napoleons und der Regier= der Carnot auch ein Glied war ; die Preußen Waterloo. 32
494 der dortigen Hügelkette Paris einschließen sollte.
Die
Verbindungen würden unterbrochen und die Verprovian= tirung zweifelhaft und ein Gegenstand der Beunruhigung werden. Die englische Armee rückte an die Stelle der Preußen vor die nördlichen Fronten. Die Ausführung folgte dem Plane auf dem Fuße nach. Gegen 5 Uhr Abends rückte das Thielemann'sche Korps, das am Morgen von Dammartin nach Gonesse marschirt war, über Argenteuil nach St. Germain, und fandte eiligst die Reiterbrigade Sohr , die ihm vom Pirch'schen Korps überwiesen worden * ) , dahin voraus, um eine kleine Abtheilung zu unterſtüßen , die sich überraschender Weise in den Besitz der Seine-Brücke bei Pecq, am Fuße der St. Germainer Höhe, gesezt hatte. Das Ziethen'sche Korps folgte dieser Bewegung 5 Stunden später über Maiſons , woselbst gleichfalls eine Brücke über die Seine war. Bei ein wenig mehr Vorsicht Seite der Franzosen hätte dieſe Brücke zerstört sein können ; sie war aber nicht einmal beobachtet. Um die Bewegung zu verdecken , hatte Ziethen seine Vorposten unserer Stellung gegenüber stehen lassen. Auch Bülow verblieb zu diesem Zwecke vor der Stadt. Andern Tags, am 1. Juli, sette Bülow gegen 6 Uhr Morgens seine Reiterei und Reſerve-Artillerie nebst einer Infanterie- Division über Argenteuil gegen St. Germain in Marsch ; später , am Nachmittage, folgten die anderen Diviſionen nach Maaßgabe des Eintreffens der vorderen englischen Divisionen. Gegen Mittag stand also die Blücher'sche Armee wie folgt: Die Reiter - Brigade Sohr bei Versailles , etwas hinter ihr die fliegende Kolonne, die er bei Pecq angetroffen hatte, Ziethen und Thielemann bei St. Germain, Bülow mit der Reiterei und einer Infanterie-Division *) Dieses Korps war, wie früher erwähnt, an der Sambre zurückgelassen worden.
495 bei Argenteuil, mit den andern Truppen in der Ebene von St. Denis. Wellington hatte seiner Armee nicht einmal einen Nachtmarsch zugemuthet und jetzt kamen höchstens 15,000 Mann derselben vor unseren Linien an. Ein Drittheil aber und seine Reserve -= Artillerie war noch weit hinter Louvres und der Rest war zwischen da und Bourget zurück. Die beiden feindlichen Armeen waren sonach auf eine Strecke von über 15 Stunden verzettelt, im Ganzen durch die Detaſchirungen auf ihrer Verbindungslinie und den Abgang bei den anstrengenden Märschen noch nicht 110,000 Mann stark, und einem energischen Zugreifen Davoust's vollkommen Preis gegeben. Der Marschall hatte in der That nach den offiziellen Bestandslisten 71,000 Mann *) aller Waffen, bewaffnet und ausgerüstet , davon 15,000 Mann Reiterei ; dann 6000 Tirailleurs , denn er hatte 3000 Mann mehr bewaffnen lassen, als unter Napoleon geschehen war, ferner die Pariser Nationalgarde und 1000 Mann aktive Nationalgarde des Departements. Der Artilleriedienst in den Schanzen wurde von der Artillerie der Linie , der Marine, der Invaliden und von den Kompagnien der Schulen versehen , welche leztere mit Richtkanonieren aus der Linie verstärkt worden waren. Davonst wußte schon sehr frühzeitig, wenn nicht schon am Abende vorher um den Marsch der preußischen Armee. Wenn er zwischen 7 und 8 Uhr, ja noch um 10 Uhr mit 50,000 Mann vorgebrochen wäre, hätte er Bülow, der nicht 20,000 Mann hatte, über den Haufen gerannt , wäre dann den Engländern entgegengerückt, die in einzelnen Marschkolonnen herankamen , hätte diesen einen ansehnlichen Verlust beigebracht und sie bis über die Oise zurückgeworfen . *) Vergl. Note E. am Schluffe. (Archiv des Dépôt de la Guerre .)
496 In weiterer Folge hätten auch die Korps Thielemann und Ziethen , deren Verbindungslinie genommen war, einer Niederlage nicht entgehen können . Blücher, trotz seinem Jugendfeuer, und Wellington mit seiner weisen Mäßigung hatten jedenfalls die Gefahr erkannt, der ſie ſich bei ihrer Operation ausſeßten. Sie hatten aber , wie man sagt , und wie auch Alles beweist, auf die von Fouché zugesagte Unthätigkeit der französischen Armee gerechnet . Davoust, der sich seinem Lehrmeister im Verrathe so folgsam erwies, hielt auch deſſen Zuſage. Die Nachricht von der Bewegung der preußischen Armee auf das linke Seine - Ufer hatte sich im Lager ver= breitet. Generale , Offiziere und Soldaten verlangten laut, gegen den Feind geführt zu werden. Vandamme ließ melden, daß preußische Kolonnen bei St. Germain stünden. Davouſt war aber entschlossen, dem Feinde volle Bewegungsfreiheit zu gestatten und ließ das Feuer in einem schwächlichen Angriffe auf Aubervilliers und in nichtssagenden anderweitigen Demonſtrationen verrauchen. Er befahl Vandamme, der alle Truppen auf dem linken Seine-Ufer befehligte , Excelmans über Versailles gegen St. Germain vorzuschicken und ihn mit dem 3. und 4 . Korps zu unterstützen ; er ließ Erlon und die Garden sich zum Abmarsche bereit halten , um diese Bewegung durch ein Vorgehen über die Seine - Brücke bei Neuilly zu unterstützen; er verkündete, daß er Alles zu einer großen Schlacht vorbereite und vor 10 Uhr noch ging er nach Paris hinein. Er war von Fouché zu einer Art Kriegsrath be= schieden worden , der um diese Zeit in den Tuilerien zusammenberufen worden war . Wenn man sich nicht schlagen will, beruft man einen Kriegsrath. Das ist ein Grundsatz von allgemeiner Gelt= ung , und es kann als ziemlich gewiß angesehen werden, daß sich immer für die wenigst herzhaften und schwach=
497 müthigsten Entschließungen eine Majorität zusammenfinden wird. Fouché kannte diesen Grundsatz und wandte ihn an, war auch außerdem so ziemlich, der Zusammensetzung des Kriegsrathes nach, seiner Sache gewiß. Er war nämlich aus den Mitgliedern der Regierung, den Ministern, den Präsidenten, Vicepräsidenten und Sefretairen der Kammern, dann aus den Marschällen Masſéna, Soult, Lefebvre und Grouchy, den Generalen Gazan, Evain und Mouton-Duvernet gebildet. Davouſt eröffnete die Berathung mit einer übersicht= lichen Darstellung des Standes der bei Paris vereinigten Kräfte und ihrer Stellungen , dann der Bewegungen der feindlichen Armeen, und darauf schloß er wie immer da= mit, daß der Widerstand unmöglich sei. Carnot hatte mit dem General Grenier beide Ufer. der Seine rekognoszirt und legte Beider Ansichten fol= gendermaaßen dar : ,,Die Feldverschanzungen sind auf dem rechten Ufer so weit gediehen, daß Paris vor jedem Angriffe sichergestellt ist, aber auf dem linken Ufer ist Alles offen und die Unternehmungen des Feindes finden freien Spielraum. Die Preußen haben ihre Hauptmacht auf dieses Ufer verseßt und scheinen zum Angriffe entschlossen. Es wird ohne Zweifel leicht sein, sie zurückzuwerfen, aber sie können entweder nach ihrer Vereinigung mit den Engländern ihren Angriff erneuern oder sich auf dem Höhenzuge ver= schanzen, der sich links von Sepres gegen Meudon und rechts gegen St. Cloud erstreckt; in dieser Stellung können sie die Ankunft der übrigen Armeen der Verbündeten abwarten, Paris einschließen , ihm die Lebensmittel_ab= schneiden , unserer Armee den Rückzug verlegen und ſie schließlich zwingen, sich auf Discretion zu ergeben." Paris die Folge ung , von Charras,
war freilich auf der Südseite offen , das war der Sorglosigkeit Napoleons und der Regier= der Carnot auch ein Glied war ; die Preußen 32 Waterloo.
498. hatten die Seine überschritten , weil die Regierung nicht einmal die sehr gewöhnliche Vorsicht angewandt hatte, die Brücken zu zerstören oder zu beschen. Das ist ganz wahr ; aber weiter ist auch nichts wahr. Die Vereinig= ung der preußischen und der englischen Armee stand nicht. zu befürchten ; denn in dieſem Augenblicke bedurfte es nur eines einigermaaßen kräftigen Entschlusses, um den größten Theil der einen zu zersprengen und um den andern zu schlagen und hinter die Dise zurückzuwerfen. Aber wenn auch dieses Manöver , auf welches der gesunde Menschenverstand selbst des letzten Soldaten kommen mußte, nicht ausgeführt wurde, war es doch unmöglich, daß Preußen und Engländer sich da vereinigten , wo es Carnot angab ; denn sie hätten damit ihre Verbindungslinien völlig Preis gegeben , ohne eine andere von nur einiger Sicherheit anstatt deren nehmen zu können . Es war auch gar nicht zu befürchten, daß die Preußen auf den Höhen zwischen Meudon und St. Cloud Stellung nähmen ; denn man hatte alle Zeit, ihnen dort zuvor zu kommen , und selbst wenn man sie sich dort aufstellen ließe , konnten sie über Suresnes und Neuilly umgangen werden . Carnot vergaß, obwohl es erst 15 Monate her war, daß sich am 30. März 1814 nur 20,000 Mann ohne eine Schanze und ohne einen Graben zu ihrer Deckung im Norden von Paris einen ganzen Tag lang gegen eine verbündete Armee gehalten hatten, die doppelt • so stark war, als die Wellingtons. Jezt waren die Zugänge dieser Seite verschanzt und die Werke gut bewaffnet. Wenn man 12,000 Mann Linientruppen in ihnen ließ , die 6000 Tirailleure , die durch eine Austheilung von Gewehren auf 15,000 Mann gebracht werden konnten, dazu gab, so war die Nordseite gegen die Angriffe der Engländer sichergestellt und mit 60,000 Mann konnte man den Preußen auf der Südseite entgegenrücken.
499 Die englische Armee hatte durch die Verluste bei Wa= terloo sehr an Güte verloren *) . Auf die anderen Armeen konnte man vor Paris nicht vor dem 10. Juli rechnen , und selbst da konnten nur das bayerische Korps und die russische Avantgarde ein= getroffen sein , die heute noch 4 Märsche von Chalons sur Marne standen. Das würden freilich mehr als 60,000 Mann gewesen sein, hinter denen in wenig Tagen noch mehr als 200,000 Mann Russen , Württem= berger , Destreicher angekommen wären , denen wiederum starke Reſerven folgten. Aber wenn man in der Zwischenzeit die Engländer und Preußen schlug , wie Das sehr wahrscheinlich) , fast gewiß war , so konnte die mora= lische Wirkung des Sieges die Nation zum Aufstande bringen und sie zum Aeußersten entflammen , und einem solchen Aufstande gegenüber würden die Souveraine wohl gezaudert haben , den Krieg um die Existenz weiter fortzuseßen. Sie würden einem Uebereinkommen beigepflichtet haben , das einer großen Nation nicht unwürtig gewesen wäre. Denn selbst mit den alleransehnlichsten Streit= kräften bleibt es doch ein furchtbares Unternehmen , ein Volk von 25 oder 30 Millionen Seelen , das um seine Unabhängigkeit kämpft, unterjochen zu wollen . Und selbst wenn man kapituliren wollte, ließ sich Das leichter nach einem Siege , als unter dem Drucke
*) Am 25. Juni schrieb Wellington an den Miniſter Bathurst: Wir sind in recht übler Lage, wir haben kaum des Sollbestandes an Munition und ich glaube, daß ich mit Ausnahme meiner alten Infanterie aus Spanien , nicht nur überhaupt die schlechteste Armee, sondern auch noch die schlechtest ausgerüstete und den schlechtesten Generalstab habe , den man jemals gesehen hat. (Dispatches Th. 12.) , Wenn man nun auch Biel darauf rechnet, daß der General übertrieb , um den Eifer des Ministers anzuspornen und die Ankunft von Verstärkungen und Ausrüstungsgegenständen zu beeilen, so bleibt doch immer noch ein Zurückgehen des innern Werthes übrig. 32 *
500 einer Niederlage, wie die von Waterloo es war , ausführen. Das etwa hätte man den Aufstellungen und Be= fürchtungen Carnot's antworten können , des ehemaligen militairischen Berichterstatters des Wohlfahrtsausschusses, der jetzt so herabgekommen war . Masséna unterstützte sie , geführt von seiner gegen= wärtigen Schwäche, getragen aber von dem Rufe seiner früheren Energie. Soult übertrieb noch und bestätigte, daß das linke Ufer nicht haltbar sei, daß selbst die Schanzen des rechten Ufers zwischen St. Denis und la Villette leicht zu nehmen seien und daß der Feind dann mit unferen Truppen zugleich in Paris eindringen würde. Fouché resumirte aus diesen von berühmten Heer= führern ausgegangenen Ansichten , die er übrigens wohl vorausgesehen , wie gewöhnlich, daß eine sofortige Unterwerfung nothwendig sei. Aber der Stolz und der Patriotismus eines alten Soldaten empörten sich gegen all diese Schändlichkeiten : der Marschall Lefebvre behauptete, man könne und müſſe sich vertheidigen und nicht eine entehrende Kapitulation erstreben. Dupont (von der Eure), Thibaudeau und der General Gazan sprachen in demselben Sinne. Sie waren die Einzigen . Die Versammlung trug aber doch Bedenken, die Verantwortlichkeit eines formellen Beſchluſſes auf sich zu Laden. Lefebvre, der dargelegt hatte, daß die Werke der Nordseite zu einem langen Widerstande geeignet seien , hatte gefragt , wie viel man wohl Zeit brauchen würde , um sich auch auf der Südseite so zu verschanzen. Das war ein Mittel, um einer Entscheidung zu entschlüpfen . Es handelte sich hier um eine Spezialfrage, die außer= halb der Kompetenz der nichtmilitairischen Rathsmitglieder lag , und gerade diese waren in großer Mehrzahl_da. Die Regierung wurde aufgefordert, diese Frage einem
501 aus Sachverständigen zusammengesetzten Spezialkomittee vorzulegen, und darauf ging man auseinander. Während dieser Erörterungen hatte Excelmans feinen Bivouat bei Montrouge verlassen und war gegen Ver= sailles vorgerückt, woselbst man die Preußen wußte. Vandamme hatte unter dem General Piré noch 8 Schwadronen Jäger zu Pferde, 3 Schwadronen Huſaren und 1 Bataillon des 44. Linienregiments zu seinem Dragonerkorps stoßen lassen. Excelmans war , wie es scheint , von der Bewegung des Feindes gut unterrichtet und hatte Piré mit den Jägern zu Pferde und der Infanterie rechts durch das Gehölz von Meudon und Ville d'Avray mit dem Befehle entsendet , sich auf der Straße von Versailles nach St. Germain, bei Rocquencourt, in Hinterhalt zu legen ; er selbst war mit den übrigen Truppen über Plessis- Piquet vorgerückt. Etwa 14 Stunde vor Versailles, bei Vélizy, stieß er auf eine preußische Kolonne , die Brigade Sohr, etwa 7 bis 800 Pferde start. Sie ward in Front und Flanke angegriffen, über den Haufen und nach Versailles zurückgeworfen. Sie versuchte es vergeblich , sich dort zu halten. Das Gewehrfeuer einiger Nationalgarden, die frei= willig auf den Kampfplatz geeilt waren , und ein wiederholter Angriff Excelmans' bewog sie zum schleunigen Rückzuge gegen St. Germain. Bei Rocquencourt fiel fie in den aufgestellten Hinterhalt und nach einem herzhaften Widerstande ließ sie ihren Kommandanten und drei Viertheile ihrer Leute und Pferde dort liegen. Ein halbes Bataillon Tirailleurs der Nationalgarde, die sich bei Montrouge freiwillig an Pirė angeſchloſſen, benahm sich bei diesem Gefechte sehr gut. Excelmans setzte darauf seine Bewegung fort und traf gegen 7 Uhr Abends vor Marly ein. Eine Division des Thielemann'schen Korps, Borcke, rückte eben vor. Excelmans, der nicht genug Infanterie bei sich hatte, wich dem Gefechte aus und zog sich über Verſailles wieder
502 nach Montrouge zurück, woselbst er erst spät in der Nacht eintraf. Er sollte von allen den Korps unter Vandamme's Befehlen unterstützt worden. Es war nicht geschehen. In dem Augenblick , als die Bewegung beginnen sollte, war Gegenbefehl eingetroffen. Davoust hatte ihn , nachh kurzer Berathung mit Fouché , von den Tuilerien aus erlassen. Erlon und die Garde, die zu Vandamme stoßen sollten, hatten ihre Bivouaks nicht verlassen. In allen Lägern , im Süden wie im Norden von Paris , waren Offiziere und Soldaten entrüstet über die Unthätigkeit, zu der man sie verurtheilte, und über den abermaligen Verlust eines Tages . Ueberall schrie man über Verrath ; er war offenkundig. Unter diesen Zornesausbrüchen der Armee tagte der Kriegsrath, an den die vom Marschall Lefebvre angeregte Frage übergeben worden war. Er versammelte sich unter dem Vorsize Davouſt's um 9 Uhr Abends im Hauptquartiere zu la Villette. Die Frage Lefebvre's hatte zu einer Masse anderer Fragen geführt, zu deren Erledigung mittelst Regierungsbeschlusses alle in Paris gegenwärtigen Marschälle, diejenigen Korpskommandanten, von denen Davoust erwarten könne, daß sie zur Aufklärung der Sachlage beitragen würden, die Oberkommandanten der Artillerie und des Geniewesens und der General Gazan zusammenberufen wurden. Derselbe Beschluß regulirte die Fragen, wie folgt : 1) In welchem Zustande sind die Verschanzungen und deren Bewaffnung, sowohl auf dem rechten wie auf dem linken Seine-Ufer? 2) Kann die Armee alle Annäherungen an Paris vertheidigen, auch auf dem linken Ufer der Seine ? 3) Kann die Armee das Gefecht auf allen Punkten gleichzeitig annehmen ? 4) Kann der Obergeneral hoffen , im Falle eines ungünstigen Gefechtes so viel Mittel verfügbar zu halten
503 oder zu sammeln , als nöthig sind , um einem Sturme auf Paris selbst entgegenzutreten ? 5) Reicht die Munition für mehrere Gefechte aus ? 6) Kann dafür garantirt werden , daß sich die Stadt hält, und auf wie lange ? Es ist ein Protokoll zu entwerfen , dasselbe von den anwesenden Marschällen und Generalen zu zeichnen und mit beendigter Sigung der Regierung zuzusenden." Alle in Paris gegenwärtigen Marschälle hatten der Aufforderung entsprochen. Die Meinungen theilten sich ; die Debatte war äußerst lebhaft. Sie ging sofort aus den Grenzen heraus , in welche die Regierung sie hatte bannen wollen. Die hauptsächlichsten der gestellten Fragen konnten nur verneinende oder zweifelhafte Antworten erhalten, und schon daraus , daß sie so gestellt waren, erhellte zur Genüge, daß man nur auf diese Antworten wartete, um zu kapituliren. Die eigene Verantwortlichkeit wäre dann durch die Autorität so vieler berühmter Generale gedeckt gewesen. Bei etwas Rechtschaffenheit und Entschlossenheit han= delte es sich jetzt nur um die Fragen, ob Munition und Lebensmittel für mehrere Tage ausreichten ? Bot ein Angriff auf die preußische und englische Armee in ihrer jezigen gewagten Stellung Aussicht auf Erfolg oder darf man ihn als gewiß annehmen ? Darauf wollten auch die charakterfesten Männer die Erörterung beschränken. Munition war da ; die Kommandanten der Artillerie , der Verwaltung und Davoust ſelbſt beſtätigten es. Die genauen Nachweise , die man über den Feind hatte, verbunden mit einem Blicke auf die Karte, ließen dem Soldaten keinen Zweifel über den Erfolg und gestatteten gar keine Diskussion ; die Engländer und Preußen wären über die Diſe zurückgeworfen wor= den; man mußte also schlagen und bald den Sieg suchen, der unsere durch die Niederlage gedrückten Fahnen wieder aufrichten würde, der uns einige Zeit verſchaffen würde,
504
um neue Vertheidigungsmittel heranzuziehen, und endlich uns beſſere Bedingungen verschaffen konnte, wenn es denn endlich unterhandelt sein mußte, wenn die von dem Rheine Die Ansprüche des heranrückenden Massen ankamen. Feindes werden durch eine entmuthigte Haltung nicht ermäßigt. Im Anfang stellte Niemand die Aussichten auf einen großen Erfolg in Frage. Aber mehrere und namentlich die Marschälle wiesen darauf hin, daß es sich hier um eine politische und nicht um eine rein militairische Frage handle und daß man sie auch durch politische BetrachtNach ihrer Meinung fordere die ungen lösen müſſe. Politik eine sofortige Unterwerfung unter die Bourbons. Erst mit der Thronbesteigung Ludwigs XVIII. würden die fremden Armeen ihren Marsch aufhalten und das Land bald räumen ; Frankreich würde die durch die Charte eingesetzten Freiheiten wieder erhalten, die Wohlthaten des Friedens würden das glückliche Gedeihen hervorrufen. Es wären keine gewaltsamen Reaktionen zu fürchten. Die Güte und Großmuth des Königs böten dafür ge= nügende Bürgschaft , und Soult , Davoust , Grouchy, der nach seiner Rückkehr sich zum Royalismus bekehrt hatte, Masséna und Andere wiederholten eifrig, man dürfe sich auf das gute Herz des Chefs der Bourbons verlaſſen, das ja auch in seinem eigenen Interesse die vergangenen Kränkungen der Vergessenheit übergeben müsse. Auf die ihnen entgegengestellten Einwürfe gaben sie an, daß ein Sieg über das englisch-preußische Heer nur zu erhöhten Forderungen und schließlich zu einer beding= ungslosen Unterwerfung Frankreichs führen müſſe. Die Debatte erhitte sich mehr und mehr. Endlich behauptete Davoust, der Sieg sei , wie überhaupt der Ausgang jedes Gefechts , noch sehr zweifelhaft und feineswegs als gewiß anzusehen; wenn man geschlagen und in die Stadt hineingeworfen würde, müßte ein unabsehbares Unglück über die Hauptstadt von Frankreich hereinbrechen. Der Mittelpunkt des Reichthums , der Künste,
505 der erleuchtetsten Männer, der ganzen Ziviliſation dürfte den Wechselfällen des Krieges nicht Preis gegeben werden. Von den Truppenkommandanten antwortete Van= damme mit großherziger Begeisterung und einer Energie, die freilich ihm morgen nicht mehr inwohnen sollte ! Der Sieg wäre gewiß ; da man aber daran zweifle, so wollten auch sie den Zweifel annehmen und selbst die Mög= lichkeit setzen , daß in Folge einer Niederlage der Kampf sich nach Paris hineinwälze : sie sähen aber auch darin feinen Grund zur Unterwerfung; es sei kein leichtes Ding, in eine Stadt von 700,000 Einwohnern mit stürmender Hand einzudringen, wo die geschlagenen Truppen die Unterstügung aller Patrioten fänden , an jeder Straßenecke sich eine neue Verschanzung aufthürme man könne wohl vorhersagen , daß der Eingedrungene eine gänzliche Niederlage erleiden würde. Paris sei nur ein Theil Frankreichs. Im Jahre 1814 hätten 25 oder 30 Departements traurig aber tecken Muthes die Schrecken und Lasten des Krieges er= tragen ; sie litten noch darunter und würden wieder zu leiden haben. Wollte Paris im Nothfalle weniger Pa= triotismus zeigen ? Alle die dort vereinigten Denkmäler und Wunderwerke der Wissenschaften und Künste wären, selbst wenn sie in große Gefahr kämen, das Opfer nicht werth, das ihnen in der Ehre der Armee und der Nation gebracht werden sollte. Sie hatten Recht so zu reden. Man müßte die Zivilisation verwünschen mit sammt ihren Wissenschaften und Künsten , wenn sie den Erfolg hätte, daß sie den Völkern Mißachtung der eigenen Würde lehrte und sie zu der Feigheit ehrloser Kapitulationen treibe. Die unerschrockenen Bewohner und ruhmwürdigen Mönche zu Saragossa kümmerten sich wenig um das Schicksal der grossen Mairitter Velasquez und Anderer, die in den Klöstern und brennenden Kirchen aufgehan= gen waren , als dieses durch unsere Bomben und Granaten zertrümmert wurde ; sie hatten nichts vor Augen,
506 Die Ruffen füllten als das Wohl ihres Vaterlandes. eins der schönsten Blätter der neueren Geschichte , als sie durch die Verheerung des eigenen Landes und die Einäscherung des heiligen Moskau den Untergang ihres mächtigen Feindes herbeiführten . Im Uebrigen war die Sorge der Marschälle um die Meisterwerke des menschlichen Geistes keineswegs aufrichtig gemeint. Einer von ihnen ließ sich darüber einen Fingerzeig entschlüpfen. Es ist klar," sagte er zu Bandamme, der Einer der Eifrigsten war, „ daß Sie in Paris keinen Ziegel besitzen." " Wenn Sie deren besißen," antwortete dieser , „ so wiſſen wir so gut wie Sie , daß Sie dieselben nur durch Gemeinheiten erworben haben.“ Nach so beleidigenden Worten war keine Diskussion mehr möglich. Sie dauerte ohnehin schon 6 Stunden. Die Opponenten waren ermüdet und zogen sich zurück. Davouſt benutte Dies und entwarf die Antworten auf die von der Regierung gestellten Fragen. Hier ist der Wortlaut : 1. Frage: (Zustand der Befestigungen ?) Antwort : Der Zustand der Befestigungen und deren Bewaffnung ist auf dem rechten Ufer im Allgemeinen befriedigend, wenn sie auch noch nicht vollendet sind. Auf dem linken Ufer ist so gut wie nichts vorhanden. 2. Frage: (Ob die Armee Paris digen kann ?) Antwort : Sie kann es, bestimmte Zeit hinaus. Sie darf an Lebensmitteln und dem Verluste nicht aussehen.
decken und verthei= aber nicht auf unsich einem Mangel der Rückzugslinien
3. Frage: (Ob die Armee auf allen Punkten zugleich das Gefecht annehmen kann ?) Antwort : Es ist schwer, die Armee auf allen Punkten gleichzeitig anzugreifen ; wenn es aber geschähe , würde wenig Aussicht auf Widerstand übrig bleiben. 4. Frage: (Ob im Falle einer Niederlage man dem gewaltsamen Eindringen des Feindes in Paris wider-
507 ſtehen könne ?) Antwort : Kein General kann für die Folgen einer Schlacht stehen. 5. Frage: (Ob die Munition für mehrere Gefechte ausreiche?) Antwort : Ja. 6. Frage: (Ob man dafür stehen könne, daß sich die Stadt halte ?) Antwort : Dafür kann man durchaus nicht stehen. Das Schriftstück, aus dem Hauptquartier von la Villette, früh 3 Uhr datirt , wurde sofort zu Fouché ge= sendet, obgleich es nichts weniger als ein Protokoll war. Er erwartete es ungeduldig . Sofort nach dem Empfange berief er seine Kollegen. Nach kurzer Berathung waren sie darüber einig , daß eine sofortige Kapitulation nothwendig sei, und Davouſt ward darauf hin ermächtigt, darüber zu unterhandeln . Am Morgen vorher hatte er , wie wir erwähnten, sich wegen Bewilligung eines Waffenstillstandes an Wellington und Blücher gewendet. Beide hatten ihn auf der Stelle verweigert , aber doch in "sehr verschiedenen Ausdrücken. Der Erste entschuldigte sich gewissermaaßen, daß er auf das Ansuchen nicht eingehen könne , aber er müsse sich den Absichten der alliirten Souveraine, die er zu kennen glaube , fügen und könne deshalb zu seinem Bedauern dem Blutvergießen keinen Einhalt thun. Der Zweite ließ sich von dem ganzen Ungeſtüm feines Cha= rakters, von seiner Rauhheit und seinem Haffe fortreißen und erlärte, daß er seinen Sieg benutzen wolle, bedrohte Paris mit den Folgen eines Sturmangriffes und ver=weigerte jedwede Unterhandlung über einen Waffenstillstand , ehe er nicht in Paris eingerückt sei, was er für nothwendig halte, um die rechtlichen Leute in Schuß zu nehmen gegen die Plünderung , die ihnen von Seiten des Pöbels drohe.“ Blücher hatte in seinem Herzen noch die verlegende Erinnerung an die Bülletins des Kaiserreichs bewahrt, die mit ihren Beleidigungen selbst seine Königin nicht
508 verschont hatten ; blindlings , wie Napoleon seine Anklagen gegen die deutschen Patrioten geschleudert , gab . fie Blücher der ehrenwertheſten Bevölkerung zurück. Solch ein entseglicher Nationalhaß hatte sich unter der unaufhörlichen Einwirkung des Ehrgeizes Eines Mannes herausgebildet und Frankreich ward noch Einmal das Opfer desselben.
Von St. Germain aus, wohin er sein Hauptquartier verlegt, hatte Blücher Wellington die von ihm gegebene Antwort mitgetheilt. Der englische Feldherr mit der Ruhe und der Sicherheit des Urtheils , die ihn auszeich= neten, war damit unzufrieden und suchte seinem Berbündeten einer richtigeren Anschauung ihrer Lage zugäng= lich zu machen. Er schrieb ihm darüber und wir müssen dieses Schreiben mittheilen , denn es wirft ein helles Licht über den wirklichen Stand der Dinge. Gonesse, 2. Juli 1815 . Wenn wir jetzt mit den Kräften , die Sie und ich unter unsern Befehlen haben, Paris angreifen wollten, so würden wir sehr viel auf's Spiel seßen. Ich bin überzeugt , daß es unmöglich ist, von hier aus Erfolge zu erringen (auf der Nordseite). Ich müßte also mit meiner Armee zwei Mal die Seine überschreiten und das Boulogner Holz gewinnen, ehe ich zum Angriff gelangte, und auch wenn wir dann ſieg= ten, würden unsere Verluste sehr groß sein. Man muß sich großen Verlusten aussehen, wenn es nöthig ist, aber hier ist es nicht nöthig. Wenn wir noch einige Tage warten, trifft die Armee des Fürsten Wrede ein, mit ihr die verbündeten Souveraine , welche über das Weitere entscheiden werden , oder, wenn wir es vor= ziehen , könnten wir auch unsere Sachen selbst abmachen und in den angeſuchten Waffenstillstand willigen. Die Bedingungen , die ich für entsprechend halte und unter deren Bewilligung ich allein auf die Abschließung desselben eingehen werde, sind :
509 1 ) daß wir in unsern jeßigen Stellungen bleiben, 2) daß die französische Armee Paris räumt und hinter die Loire geht, 3) daß die Bewachung von Paris so lange der Nationalgarde übergeben wird , bis der König es anders befiehlt, 4) daß eine Kündigungsfrist festgestellt werde. Es ist wahr, daß wir solchergestalt den eitlen Ruhm, an der Spitze unserer siegreichen Armeen in Paris einzuziehen , nicht haben werden; aber ich zweifle , wie ich schon erwähnte, daß wir jetzt die Mittel haben , einen Angriff auf Paris durchzuführen, und wenn wir den Feldmarschall Fürsten Wrede abwar= ten , um den Angriff auszuführen, so werden wir , wie im letzten Jahre, die Souveraine geneigt finden , die Stadt ihres Verbündeten zu schonen, gar nicht einzu= rücken , oder nur in Folge eines Waffenstillstandes einzurücken , der nicht viel anders sein wird , als der , den wir jetzt schon abschließen könnten. Ich bitte Ew. Durchlaucht, die Gründe, die ich so eben angegeben, zu erwägen und mir dann Ihre Ent= schließung mitzutheilen. *) So giebt Wellington vor dem Forum der Geschichte den Generalen Recht, welche im Kriegsrathe von la Villette sich gegen die Kapitulation ausgesprochen hatten; er zeugt gegen die vier Kollegen Fouché's, die in Uebereinstimmung mit Diesem , Davouſt die Vollmacht sandten, abzuschließen. Der Marschall beeilte sich , feine Vollmacht zu be= nußen. Die Aufregung der Armee , die von heftigen Szenen im Kriegsrathe Nachricht erhalten hatte , konnte jeden Augenblick in einem unwiderstehlichen Aufstande emporlodern. Er sandte den General Revest , der kürz= lich Stabschef bei Vandamme geworden war, an Blücher,
*) Dispatches 2c.
510 nicht über einen Waffenstillstand , sondern um über die Grundlagen der Bedingungen zu unterhandeln , unter welchen Paris übergeben und die französische Armee von dort wegrücken könne. Blücher hatte sich gegen Davoust roh und beleidigend über die Pariser Bevölkerung ausgesprochen und deshalb richtete wahrscheinlich der französische Marschall sein neues Anerbieten an ihn und nicht an Wellington. Die preußische Armee war jest in einer Lage, in der sie die Ueberhebungen und hochmüthigen Anforderun= gen ihres Oberkommandanten theuer bezahlen konnte. Am 2. Juli früh hatte sich Bülow nach einem Nachtmarsche mit Ziethen und Thielemann bei St. Germain vereinigt ; von dem Letzteren stand eine Diviſion als Avantgarde in Rocquencourt. Die englische Armee beendete ihre Ver= einigung in der Ebene von St. Denis. Wellington ließ von seinen Pontonnieren bei Argenteuil Brücken schlagen, und Blücher ließ die Brücken von Bezons und Chatou , die von den Einwohnern abgebrochen worden waren, wieder ausbessern. Das waren Hilfsmittel, um den Umweg über St. Germain zu vermeiden und den Zwischenraum zwischen beiden Armeen zu verringern . Blücher war im Zuge, seinen Marsch auf die Südseite von Paris fortzusehen. Aber selbst nach der Herstellung der genannten Brücken war es immer noch von der Ebene von St. Denis bis zum Plateau von Montrouge 8 Stunden und weiter. Die preußische Armee rückte in zwei Kolonnen vor ; die linke , das Korps Ziethen, ging über Ville d'Avrah, Sèvres, Meudon ; die rechte, Thielemann, über Rocquencourt, Versailles und Vélizy . Bülow folgte auf dem letzteren Wege als Reserve. Die Bewegung fing spät an und ging langſam. Erst um 3 Uhr Nachmittags kam Ziethen in Sèvres an , wohin er unsere Vorposten , die bei Ville d'Avrah gestanden, zurückgedrückt hatte.
511 Sèvres war mit 2 Bataillonen besett. Ziethen be= fehligte die Division Steinmetz zum Angriffe , ließ sie durch die Divisionen Pirch II . und Henkel unterstüßen und von der vierten , Jagow , Saint Cloud beobachten, wo auch ein französisches Detaschement stand. Ungeachtet Der Widerstand war äußerst lebhaft. der sehr untergeordneten Stärke konnte Sèvres doch erst nach zwei Stunden genommen werden , und während dieser Zeit sprengte man einen Bogen der Brücke von St. Cloud und der von Sèvres. Ziethen sette darauf seinen Marsch fort , rief Jagow ab , sandte Steinmetz nach les Molineaux , Pirch II. nach Meudon , und ließ Henkel in Sèvres stehen. Les Molineaux und Meudon wurden genommen ; Vandamme war mittlerweile einge= troffen, wollte ersteren Punkt wieder nehmen , hatte aber zu wenig Truppen da und wurde abgeschlagen. Er ging darauf gegen Issy zurück. Die Nacht kam heran. Ziethen beschloß troßdem den Angriff auf dieses Dorf, das Vandamme mit einer Division besetzt hatte. Der Angriff, der sofort von Steinmetz und Birch II. begonnen wurde, endete erst gegen Mitternacht zum Vortheile der Preußen. Vandamme hatte auch nur so manövrirt , wie sie es wünschen konn= ten. Er war am Morgen durch Paris gekommen und hatte da Fouché gesehen ; vor den Einflüsterungen dessel= ben verschwand die zuversichtliche Energie, die er im Kriegsrathe von la Villette gezeigt. Er war jetzt ein Vertreter der Kapitulation geworden. Pirch II. nahm seine Bivouaks bei Issy , Steinmetz an der Clamart'er Mühle, Jagow zu Meudon , Henkel bei les Molineaux . Von Thielemann stand eine Diviſion bei Châtillon, zwei bei Vélizy und eine zwischen Châtenay und Sceaux . Das Bülow'sche Korps ſtand in Verſailles, in Montreuil und Rocquencourt. Am Nachmittage hatte Wellington eine Division fich
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zwischen Argenteuil , Asnières , Courbevoie und Suresnes ausbreiten lassen ; er beobachtete die Brücke von Neuilly. Davoust sah ebenso wie alle Andern die Fortsetzung des Blücher'schen Marſches voraus, deſſen Nichtung durch die Wegnahme von St. Germain genügend angedeutet war; es wäre leicht gewesen, ihn zu beobachten ; er hätte in jeder Stunde wissen müſſen, wie es stand. Wenn er entschloffen gewesen wäre , von den beiderseitigen Lagen Vortheil zu ziehen , hätte er gegen 3 Uhr , durch das Boulogner Holz und die Seine gedeckt, über die Brücken von St. Cloud und Sèvres mit allen Kräften vorrücken können, die zur Vertheidigung der Nordfronten nicht unentbehrlich waren und wenn er mit Vandamme, an der Spiße der auf der Südseite gelagerten Korps, in Uebereinstimmung handelte , so konnte es wohl nicht fehlen, daß er Ziethen und Thielemann mit seiner Macht von 50 bis 60,000 Mann erdrückte, da ihre Stärke 35,000 Mann nicht überstieg ; dann wäre er Bülow entgegen gegangen und hätte ihn ebenso geschlagen , ehe er Zeit gefunden hätte, über die Seine zurückzugehen. Welling= ton hätte nur noch zurecht kommen können, um die Trümmer der preußischen Armee aufzunehmen und würde schleunigst seinen Rückzug hinter die Dise angetreten haben. Dieser große Erfolg war möglich, war gewiß. Aber Davouſt wollte nicht. Fouché hatte die Unthätigkeit unserer Armeen versprochen, und der Marschall hielt dieſes Versprechen . Aber diese seine schmachvolle Entſchloſſenheit wurde heute wieder auf eine neue und harte Probe gestellt. Sein Abgesandter , der General Revest , war bei seiner Sendung von der Ziethen'schen Avantgarde aufgehalten worden und konnte nicht zu Blücher gelangen . Ziethen hatte ihn , nachdem er seinen mündlichen Auftrag ange= hört, wieder nach Paris geschickt. Er gab ihm ein Schreiben an Davoust mit, worin er diesem sagte, er wage
513 nicht, dem preußischen Obergeneral das Waffenstillstands= verlangen vorzutragen ; man könne einen Waffenſtillſtand nur dann bewilligen , wenn Paris und die Armee sich ergeben wollten. Davoust hatte es gelesen ; er hatte die Beleidigung gefühlt, die ihm, wie der Armee, angethan war ; er dachte nicht daran, sie zu strafen. Die unverschämten Forder= ungen des Feindes erweckten in diesem entwürdigten Her= zen nur die Furcht , daß sie sich nicht würden erfüllen lassen , ohne eine Insurrektion der Bevölkerung, wie der Armee, hervorzurufen. Fouché theilte diese Sorgen und fandte sofort seine Vertrauten zu Wellington und Blücher , um sie zu be= schwören , die Bevölkerung und die Armee nicht auf's Aeußerste zu treiben. Wir halten sie nur mit großer Mühe zurück, ließ er den feindlichen Generalen sagen ; aber sie werden gegen uns wie gegen Euch losbrechen, wenn wir ihnen vom Niederlegen der Waffen sprechen. Der Abgesandte Fouché's an Blücher war der Ge= neral Tromelin , der vor Laon von der Armee deſertirt war. *) Der Andere war ein Engländer, Macirone, ehemaliger Adjutant Murats , des gefallenen Königs. Tromelin kam in der Nacht zu Versailles , dem preußischen Hauptquartiere, an ; Macirone ward von unsern Vorposten angehalten, sie hätten ihn beinahe erschossen. Davoust fuhr fort, die Armee durch die Ankündigung einer nahen Schlacht irre zu führen , wie Fouché es in Paris that ; er befahl Vandamme , in der Front zu de= monstriren. Vandamme stand mit seinem linken Flügel in Gentilly , mit der Mitte bei Montrouge, sein rechter Flügel hinter Vaugirard. Mit dem Morgengrauen schob er eine Division ge= gen Issy vor, wo die Preußen sich verrammelt hatten. *) Tromelin kommandirte eine Brigade im Lobau'schen Korps. 33 Charras, Waterloo.
514 Sie ward abgewiesen . Sie ward mit einer andern Division verstärkt, der Angriff jedoch abermals abgeschlagen ; Ziethen hatte faſt ſein ganzes Korps in's Gefecht gebracht, während Vandamme mit wenig Truppen focht. Das mörderische und nutzlose Gefecht währte noch fort, als Tromelin , der Blücher bis Meudon begleitet hatte, zu Vandamme kam.
Das Feuer hörte auf. Es war 7 Uhr Morgens . Blücher war durch das Schreiben Wellingtons und die Bemerkungen Fouché's überzeugt worden und ermäßigte seine Forderungen . Tromelin hatte den Auftrag , den Präsidenten der Regierung zu benachrichtigen, daß er nun die Unterhändler wählen und nach St. Cloud senden möge. Um 4 Uhr Nachmittags würden sie dort die preußischen und englischen Bevollmächtigten vorfinden. Als Basis der Verhandlungen war die Uebergabe von Paris und der Rückzug der Armee hinter die Loire festgesetzt worden . Die schmachvolle Nachricht verbreitete sich bald in den französischen Reihen. Offiziere und Soldaten bra= chen in Drohungen und Verwünschungen los gegen Da= voust, Vandamme , gegen einige Marschälle und Gene= rale, gegen Fouché und die Regierung. Sie wären verrathen und verkauft; fie verkündeten laut, welchen Preis man jedem der Verräther für seine Schande bezahlt. *) In Paris nahm die Gährung überhand, namentlich in den Vorstädten, unter den Aufgebo= Aber der Zorn blieb ohne ten und den Tirailleurs. Leitung und verrauchte ohne Ergebniß. Um 4 Uhr trafen sich die Unterhändler im Palaſte Es waren einerseits der preußische von St. Cloud.
*) Souvenirs militaires par le Général Berthezène.
515 General Müffling und der englische Oberst Hervey , an= dererseits Bignon , seit Napoleons Sturz Minister des Aeußern , Guilleminot , der Chef des Generalstabes der Armee geworden war, und Bondy, Seinepräfekt. Wellington und Blücher wohnten der Zusammen= funft bei. Sie dauerte lange und endete mit einer Kapi= tulation , einem einfachen Uebereinkommen , in welchem Frankreich nicht genannt wurde, und das sich nur auf Paris und die Armee bezog : auf Paris , um ihm die Sicherheit der Personen und des öffentlichen wie priva= ten Eigenthums mit Ausschluß des Kriegsmaterials , zu garantiren , auf die Armee, um sie zu verpflichten , binnen drei Tagen ihre jeßigen Stellungen zu verlassen und sich binnen acht Tagen hinter die Loire zu begeben. Welcher Anlaß zu Betrachtungen ! Der Palast von St. Cloud sah jezt , wie die durch die Fehler des Kaiserreichs abermals herbeigezogenen und durch die nämlichen Fehler auch abermals siegreichen Eroberer ihre Be= dingungen uns auferlegten , und dieser selbe Palaſt war auch der Zeuge des Attentats vom 18. Brumaire ge= wesen, von dem aus die Regierung Napoleons und nach seinen Lobrednern die Wohlfahrt Frankreichs begann . Die Kapitulation ward fofort von Wellington und Blücher ratifizirt , zwei Stunden später auch von Da= voust, dem Fouché, mit seiner gewöhnlichen Klugheit, die Ehre und die Verantwortlichkeit derselben überließ. Um 11 Uhr Abends gelangte sie mittelst Regierungsdekrets an die in geheimer Sizung vereinigten Kammern. Bis dahin hatten die beiden Kammern sorgfältig ver= mieden, sich in die Führung der Regierungsangelegen= „Fouché reißt die Regierung an heiten einzumischen. sich! Er verräth uns !" hatte man zwar auf allen Seiten und von allen Bänken her gerufen , aber man hatte doch nichts weiter gethan , als das Resultat seiner MaWas man selbst zu thun nicht növers abzuwarten . Die Ursachen einer solchen, wagte, ließ man ihm zu. 33*
3
516 in der Geschichte unerhörten Zurückhaltung lagen bei den Einen in der Ueberzeugung, daß nur eine Ergebung an die Bourbons der Zerstückelung Frankreichs vorzubeugen vermöge, bei den Andern in der Ermattung , bei Vielen in der Ueberzeugung von der Unmöglichkeit des Widerstandes , bei Allen in dem Schrecken vor einem Volksaufstande. - Die Pairskammer , die jeden Tag einige Zeit ver= sammelt gewesen, hatte müßige Anschuldigungen über die Unfälle des letzten Feldzugs und diejenigen Mittheilun= gen angehört, welche die Regierung so gut war, ihr zugehen zu lassen. Die Repräsentantenkammer hatte auch solche Mittheilungen, kleine Bülletins , in denen Fouché über die militairischen Vorgänge berichtete, erhalten ; sie hatte einigen patriotischen Adressen Beifall gespendet, die ihr von Pariser und auswärtigen Freiwilligen , von den Schulen 2c. überfandt worden waren; sie hatte die mündlichen. Berichte derjenigen ihrer Mitglieder angehört , die ſie, jedoch ohne die geringste Machtvollkommenheit, zur Armee gesendet; dann aber hatte sie sich in die Diskussion über einen Verfassungsentwurf vertieft, mit dem sie Frankreich bereichern wollte. Diese Diskussion ist ihr lebhaft vorgeworfen worden, aber mit Unrecht . Denn nicht Deswegen verdienten die Repräsentanten Tadel, Haß und Verachtung , sondern weil sie systematisch die nationale Vertheidigung vernach= lässigt und vergessen hatten. Auch der Konvent berieth und beschloß mitten unter den Gefahren und Aufregungen des Vaterlandes über Verfaſſungen , und Niemand hatte ihn darum getadelt ; denn der Konvent verstand es, mit dieser Arbeit zugleich die Organisation des Krieges zu fördern und den Sieg zu erringen. Die Kapitulation von Saint Cloud war von der Mehrzahl vorhergesehen und selbst in ihren einzelnen Bestimmungen so erwartet worden , wie sie war und
517 erregte daher auch keinerlei beachtenswerthe Debatten. Fouché war so klug gewesen, sie ihnen zugleich mit zwei Proklamationen Ludwigs XVIII., aus Cambray vom 25 . und 28. Juni zuzusenden. Die zweite , sehr bestimmt gehaltene, verwilligte im Voraus vollständige Amnestie für Alles, was nach dem 23. März, dem Tage, an wel= chem der König die Grenze überschritt , geschehen war, bedrohte mit Strenge nur die Häupter der Bewegung des 20. März, erinnerte an die freisinnigen Bestimmun= gen der Charte, versprach dieselben noch zu ergänzen, gab den Besitzern der Nationalgüter die erforderlichen Zusicherungen und beruhigte ebenso das Land , das wegen der Wiedereinführung der Zehnten und der Feudalrechte besorgt war. Die Verlesung dieser Stücken war ein Verbannungsoder Todesurtheil für Manche, die es hörten. Aber das Unglück Anderer bewegt nur großmüthige Herzen. Die feierlichen Zusagen des Königs wurden von einer ungeheuren Majorität mit übel verhehlter Genugthuung aufgenommen. Man wußte übrigens , daß der König seit zwei Tagen auf dem Schlosse Arnonville , ganz nahe bei Paris war und den zahlreichen Besuchern, welche ihm die Huldigung ihrer Ergebenheit darbrachten, die Zuſa= gen selbst bestätigt hatte. Das genügte vollständig, um über die durch die Ka= pitulation auf die Armee, auf Paris , auf Frankreich ge= worfene Schande mit Stillschweigen wegzugehen. Man kam aber überein, daß in der öffentlichen Situng , welche in einigen Stunden gehalten werden sollte, die Königlichen Proklamationen nicht erwähnt und nur die Kapitulation verlesen werden würde. Es war ein Akt politischer Klugheit, daß man hier nur die Wirkung, nicht die Ursache sehen ließ , geboten von der Aufregung des Volkes . Mit Sonnenaufgang , als man sich trennte , zogen sich unsere Truppen von den Außenposten ab ; Preußen und Engländer erſeßten sie.
518 Die öffentliche Sigung zeigte Das, was in der geheimen vorher bestimmt worden war. Es ließ sich keine Protestation hören. Dagegen erließen die Repräsentanten eine Adresse an die Armee, worin sie erklärten , daß sie der Armee dankten und daß sie ihr Schicksal von dem der Armee nicht trennen würden." Mehrere Repräsentanten wurden mit der Uebergabe derselben beauf= tragt. Nachdem Das geschehen war, hatten sie ganz ernst= haft ihr Verfassungsprojekt wieder vorgenommen . Alles bereitete sich auf die Räumung von Paris vor. Die Schanzen wurden entwaffnet und die Geschütze gegen die Loire in Marsch gesetzt. Munitionstransporte folgten nach. Die einzelnen Korps erhielten ihre Be= fehle zum Abmarsche. Aller Orten folgten diesen Maaßregeln die Ausbrüche des Zornes und der Wuth. Offiziere und Soldaten zerbrachen ihre Degen und Gewehre, zerrissen ihre Uniformen und verließen die verrathenen Fahnen , Zusam= menrottungen fanden Statt ; die Generale, welche zu be= schwichtigen suchten , wurden insultirt und die Drohung erschallte, nach Paris zu ziehen und an den Verräthern Gerechtigkeit zu üben. Auf mehreren Punkten traten die Offiziere zusammen , um sich zu verständigen, gegen Kapitulation zu protestiren und zu sehen, ob sich ein General von Ruf fände, der das Kommando der Armee übernehmen und sie gegen den Feind führen wolle. Die Nachrichten dieser Tumulte, die von den Deſer= teuren in verschiedenen Quartieren der Stadt verbreitet worden, vermehrte dort die Aufregung und führte gleichfalls zu Zusammenrottungen. Abtheilungen der Freiwilligen aus den Vorstädten rückten gegen die innere Stadt und riefen : Nieder mit den Verräthern ! Tirail= leurs der Nationalgarde und Soldaten , die bewaffnet ihre Kasernen verließen und auf die Straßen eilten, Flintenschüsse, Geschrei erhöhten den Tumult. Einen Augenblick schien es wirklich, als ob Regierung, Kammern
519 und Kapitulation von dem Strome des Volfsunwillens weggeschwemmt werden würden . Aber diese Ausbrüche waren nur konvulsivisch , das lezte Zucken der erschöpften Nerven . Kein Chef fand sich für die Truppen , die fechten wollten. Die Truppen entfräfteten sich in ihrer eigenen Verzweiflung ; die Tirailleurs der Nationalgarde ließen sich auflösen; und die zwölf Legionen der Nationalgarde zerstreuten selbst die Volkshaufen. Man hatte ihr ge= sagt und sie hatte es auch geglaubt, daß diese aus allen Klassen bestehende Masse von Bürgern , die nach Rache für das beleidigte Vaterland dürstete , die Läden, Hotels und alle die Reichthümer der Bürgerſchaft plün= dern wolle. Es war die Blücher'sche Verläumdung, die jezt von Franzosen verbreitet ward , eine Verläumdung, die schon widerlegt war und es noch mehr werden sollte, die aber dem Verrathe hilfreich beistand , wie man auch ſeit der Zeit wieder gesehen hat , daß sie der Schwäche, der Feigheit und dem Ehrgeize dienen mußte gegen die Hingebung und den ehrlichsten und aufgeklärtesten Pa= triotismus. Am 6. Juli früh beseßten die Engländer und PreuBen alle Barrieren der Stadt ; die letzten französischen Kolonnen rückten gegen die Loire ab. Die Armee war noch, wir wiederholen es , 71,000 Mann stark, davon 15,000 Mann Reiterei , und sie hatte an 200 bespannte Feldgeschüße. Um diese Zeit war das Korps Rapp_unter die Kanonen von Straßburg zurückgedrängt , Lecourbe unter die von Béfort. Keiner von ihnen hatte die Befehle erhalten , die nach Napoleons Angaben von Philippeville aus am 19. Juli an sie erlassen worden waren , und den zufolge sie nach Paris und Lyon rücken sollten. Aber wenn sie sie auch erhalten hätten , würde ihnen doch die Ausführung sehr schwer geworden sein , da die Alliirten bei den ersten Kanonenschüssen , die an der Sambre fielen, Rhein und Mosel überschritten. Suchet
520 war, nachdem sein dreitägiger Waffenstillstand ohne Erneuerung abgelaufen war, in vollem Rückzuge nach der Rhone begriffen. Lamarque hatte zwar die Vendee beruhigt, aber war nicht nach Paris gekommen ; wie Rapp und Lecourbe hatte auch er keinen Befehl dazu erhalten. Brune ward in der Front durch ein piemontesisches Korps gedrängt und in den Flanken von 4-5000 roya= listischen Insurgenten aus der Dauphiné und der Provence beunruhigt. Er zog sich nach Toulon. Marseille steckte bei der Nachricht der Niederlage von Waterloo die weiße Fahne auf und verjagte mit der Garnison auch die kaiserlichen Beamten; der Royalismus der Stadt wurde durch entsetzliche Mordszenen entehrt , denen bald noch andere von nicht minderer Wildheit folgen sollten: Decaen und Clauzel, die an den Pyrenäen standen , hatten zwar noch keinen Angriff erfahren, aber der royalistische Aufstand organisirte sich doch im ganzen Süden. Am 7. Juli besetzten Blücher und Wellington Paris. Funfzehn Monate nach dem ersten Einfalle der Frem= den erduldete jezt die Hauptstadt Frankreichs die zweite Besetzung durch ihre Feinde. Jahrhunderte hindurch oder als unsere Grenze kaum 40 Stunden vom Montmartre war , hatte die alte Monarchie sie vor dieser Demüthigung bewahrt ; auch die Republik hatte in den schwierigsten Lagen vermittelst ihrer Siege diefes Loos abgewendet und die verbündeten Armeen der Könige weit zurückgeworfen. Dem Kaiserthum blieb es vorbehalten, durch seine ehrgeizigen Thorheiten alle Völker, alle Aristokratien und alle Könige gegen uns zu verbinden und der Welt zu zeigen, daß Paris nicht unverletzlich sei. In der Nacht vom 7. zum 8. Juli befehligte Blücher ein Detaschement in die Tuilerien, um Fouché's Kollegen wegzujagen. Wenige Stunden später war auch der Palast der Kammer von der bewaffneten Macht ge= sperrt , und als die Repräsentanten wieder dorthin
521 kamen , um ihre Erörterungen über eine konstitutionelle Theorie weiter fortzuseßen, machte man ihnen begreiflich), daß diese trübselige Komödie der Verblendung, der Furcht und des Verrathes ihr Ende gefunden habe. Unglücklicherweise schloß dieses Ende nicht die verdiente Züch tigung in sich. Der Minister des Innern hatte so eben an die Präfekten ein Rundschreiben erlassen , worin er sagte : „ Die Kommandanten der verbündeten Armeen haben sich feierlich verpflichtet .... unsere Institutionen, un= sere Interessen, unsere nationalen Farben zu achten. “ Unter Tags wurde auf den Tuilerien die weiße Fahne aufgehißt; Ludwig XVIII . hielt seinen Einzug in Paris und setzte sich wieder auf. den Thron , den er vor 31 Monat verlassen hatte. Um in die Tuilerien zu gelangen, mußte er die pren= ßischen Bivouaks auf dem Carouſſelplaße und im Tuilerien= garten durchschreiten. Fouché war sein Miniſter. Die zweite Restauration wurde also von fremden Truppen und von dem abtrünnigen Königsmörder , dem geadelten und dotirten Minister des Kaiserreichs , wieder aufgerichtet. Fouché erhielt übrigens bald den Lohn seiner Arbeit : den Tod in einer schmachvollen Verbannung. Die Fremden aber fingen an, ihren Lohn zu verlangen . Es war das Lösegeld für Frankreich , und kam ihm theuer zu stehen. Eine Million Soldaten aller europäischen Länder waren während vier Monaten über unser Gebiet vertheilt und lebten auf Kosten von 60 Departements und des Staatsschates. 18 Festungen und Forts wurden 3 Jahre lang von 150,000 Mann Engländern, Preußen und Deutschen auf Kosten unserer Finanzen besetzt ; eine Kriegskontribution von 700 Millionen Franks, die auf eine Milliarde stieg durch die Bezahlung von Entschädigungen , die von verschiedenen Staaten und vielen Personen verlangt wur=
522 den ; unsere Grenze von 1789 verletzt; eine halbe Million Franzosen von ihrem Vaterlande losgerissen , Das waren die Opfer , die uns aufgelegt wurden ; und wenig fehlte, so folgte man auch in der Losreißung gan= zer Provinzen dem Beiſpiele, das Napoleon in den Zeiten seiner thörichten Eroberungen gegeben hatte. Der Geldverlust war groß, der Landverlust war schmerzlich ; aber Das war wenig , wenn man es mit den übrigen Folgen des Sieges der Fremden verglich. Die Fahnen Frankreichs waren erniedrigt ; seine mora= lische Geltung, die schon 1814 gelitten hatte , war für lange Zeit hinaus vernichtet ; sein Kriegsruhm war_ver= dunkelt; eine blutige Reaktion zerriß den ganzen Süden ; tyrannische Gesetze wurden auf eine grausame Weise verkündet und angewendet ; der Schrecken herrschte an zwei Jahre lang im Lande , bis der Herrscher selbst vor so viel Ausschreitungen zurückwich . Und so hatte dieſes Abenteuer vom 20. März , das in seinem Erfolge so wunderbar schnell war, wie in ſeinem Sturze, die entsetzlichsten Leiden über Frankreich heraufbeschworen. Aber der Held desselben sollte seinem Antheile an der Buße nicht entgehen. Nach einer peinlichen und erzwungenen Abdankung war er im Innern des Palastes Elysée - Bourbon ge= blieben und lauschte in der Unruhe seines bald wieder= belebten, bald verzagenden Ehrgeizes, ob nicht seine Soldaten oder die Volksmaſſen plöglich wieder Vertrauen zu ihm gewönnen und mit Enthusiasmus zu ihm zurück= kehrten, um ihm die mit Widerwillen niedergelegte Krone auf's Neue zu überbringen ; er hatte aber nichts vernommen , als den Lärmen einiger Tausend Menschen, die sich von Zeit zu Zeit vor seiner Wohnung verfammelten , mehr aus Neugierde an dem Schauſpiele einer gefallenen Größe, als aus Lust zur Hingebung an ihn. Nach dreien langen Tagen vergeblichen Wartens hatte er den kaum in der Form angemessenen Aufforderungen
523 Fouché's, der den Willen der Kammern ausdrückte, nachgegeben und war nach Malmaison übergesiedelt , dieser alten Residenz des ersten Konsuls des Siegers von Ma= rengo. Dort sah er sich überwacht und als Gefangenen behandelt; aber ohne zu verrathen , daß er es bemerkt, verlangte er bei der Nachricht vom Ueberschreiten der Dise durch die Preußen von der Regierung, daß sie ihm erlaube , das Kommando der Armee zu übernehmen , sie in's Gefecht zu führen , als bloßer General zu dienen, unter der ausdrücklichen Zusicherung, daß er nach keiner andern Stellung trachte. Fouché und seine Kollegen kannten schon den Werth derartiger Versprechungen ; er war bereits mitten in seinen Bestrebungen, bei denen er sich nicht aufhalten wollte, hatte das Anerbieten des gefallenen Herrschers rauh abgewiesen und ihn mit Aufbietung aller seiner Geschicklichkeit und Kraft auf den Weg nach Rochefort gebracht. Da gab es für Napoleon eine fast sichere Aussicht für das Gelingen seiner Pläne. Aber dieselbe Unent= schiedenheit seines Geistes , die ihn bei Waterloo , am Tage vorher und nachher , in Fesseln geschlagen , be= herrschte ihn auch hier, und bald war er genöthigt, um nur nicht in die Hände der Bourbons zu fallen, die noch nach Rache wegen des Blutes eines der Ihrigen dürste= ten, sich eine Freistatt am Bord einer englischen Escadre zu suchen. Er wandte sich an den Prinz-Regenten , an die Na= tion , auf die er hundert Male öffentlich Beleidigungen geschleudert hatte, und verlangte frei zu leben unter dem. Schuße ihrer Gesetze. Das ward ihm verweigert. Der Rath der verbündeten Souveraine hatte im Voraus schon über sein Schicksal entschieden . Das Leben sollte ihm gegönnt sein , aber das Leben in einem eng begrenzten Raume, bewacht wie die Zugänge zu einem Gefängnisse, ein beschränktes Dasein, ohne Familie, fast ohne Freunde, unter einem mörderischen Klima, Das war der Beschluß gewesen. England übernahm die Ausführung.
524 Dieses furchtbare Ende eines solchen Mannes und einer solchen Regierung hat heftige Beschuldigungen, bittere Wehklagen in Menge hervorgerufen . Es ist ein unerschöpflicher Schat geworden für die Geschichtsschreibung, Poesie, Theater , Flugschriften, für die gesammte Literatur und für alle Künste. Sie vergessen, daß dieser Mann nur Ein Ziel kannte : feine eigene Erhebung , daß seine Regierung zwei Male Frankreich an den Rand des Verderbens gebracht; sie übersehen seine Fehler, seine Thorheiten, seine Verbrechen, und haben einen Mythus an die Stelle der Wahrheit gesetzt ; sie zeigen einen Märtyrer anstatt eines Büßenden, und in Folge solcher mehr oder weniger aufrichtigen Phantasiegebilde ist es dahin gekommen , daß Der, wel= cher Europa verheert hatte, die Völker niedergetreten, Frankreich erschöpft, einen unversöhnlichen Nationalhaß entzündet , die Leuchte der Revolution verlöscht, unser Vaterland zu den Einrichtungen und Mißbräuchen der alten Monarchie zurückgebracht , daß dieser Mann für den Schußengel der Nationalitäten , den Messias des Fortschritts und der Zivilisation gelten konnte. Man kommt von diesen unglaublichen Irrthümern zurück, und Das ist ein Glück. Man sieht in dem Ende Napoleons eine Strafe der Vorsehung und eine wohl= verdiente Buße. Alle Religionen verlegen die Belohnungen und Be= strafungen für das menschliche Thun in ein anderes Leben und stimmen damit mit einem angeborenen Gefühle des Menschen überein. Es ist ein allgemeiner Glaube, ein Trost für die Gerechten , für die Unterdrückten , und eine Schutzwehr für die Gesellschaft. Aber bei dem Anblicke des fortgesetzten Triumphes der Verderbtheit wird dieser Glaube auch bei den Festesten erschüttert und der Zweifel siegt in den Seelen ob. Es ist also ganz hervorragend gut und nüßlich , daß wenig= stens zuweilen die des Hochverrathes an den Nationen der beleidigten Menschheit Schuldigen, jene nimmersatten
525 Ehrgeizigen , welche die Völker ihrem Egoismus opfern, sie durch Eroberungen in Schmerz und Wehe versenken, schon auf dieser Erde von den ragenden Höhen in die Abgründe gestürzt werden . Wollte man sie beklagen , so würde man den Reg= ungen einer falschen Großmuth nachgeben, die himmlische Gerechtigkeit lästern und ihren Nachahmern Muth_zu= sprechen. Ich selbst, und ich bekenne es laut, ich sehe trockenen Auges Napoleon an einem Fels inmitten der Meere ge= schmiedet ; ich spende meine Thränen den Opfern seines Ehrgeizes. Sie flossen, als ich die Felder durchwanderte, auf denen so viele Tausende schlafen, die unter den Fahnen Frankreichs gefallen , hier in einem kurzen Sieges= rausche, dort in einer allzu dauerhaften Niederlage. Noch lastet dieſe Niederlage auf unſerer Nation, man darf sich darüber nicht täuschen, denn man hat sich daran gewöhnt, Frankreich da im angestrengtesten Kampfe zu glauben, wo nur Ein Mann und Eine Armee gefochten haben, Ein Mann , deſſen militairisches Genie sich in dem Uebermaaße des Despotismus erschöpft hatte , Eine Armee, die der Zahl nach schwach war und in Folge unerhörten Zauderns bei allen Vertheidigungsanordnungen und in Folge der Doppelzüngigkeit einer entnervenden Politik ohne alle Reserven geblieben war. Das Volk sah den Kampf, aber es konnte nicht daran Theil nehmen.
Noten.
A. Der Bestand der französischen Korps bei ihrem Einrücken in Belgien ist nach offiziellen Bestandslisten_ge= fertigt, die sich im Dépôt de la Guerre vorfinden. Das weitere Detail ist: 1 ) Für das 1. Armeekorps ein Bestand vom 10. Juni, gezeichnet vom Stabschef dieses Korps. 2) Für das 2. Armeekorps desgleichen. Wir haben aber als noch genauer die Ziffer vom 14. Juni gebracht, die sich in der vom General Reille herrührenden Notiz der Brochure: Documents inédits sur la Campagne de 1815 , publiés par le duc d'Elchingen , vorfindet. Die Ziffer weist übrigens gegen die vom 10. Juni nur eine Vermehrung von 198 Mann nach. 3). Für das 3. Armeekorps desgleichen. Wir haben diesem Bestande aber 1662 Mann und 55 Offiziere der Infanterie beigefügt , die noch vor Eröffnung des Feld= zugs von verschiedenen Detaschirungen her beim Korps wieder einrückten, wie Das durch zwei offizielle Eingaben belegt wird. 4) Für das 4. Armeekorps ein Bestand vom 1. Juni und gezeichnet vom Stabschef dieses Korps. Dieser Be= stand umfaßt aber Detaschements mit, die nicht mehr vor der Eröffnung des Feldzugs wieder einrücken konnten,
527 wie namentlich 2 Bataillone vom 6. leichten ; und da der General Gérard , der Korpskommandant, in seiner Brochure: Quelques Documents sur la bataille de Waterloo angiebt, daß seine gesammte Infanterie noch nicht 13,000 Mann stark gewesen, so haben wir den Effektivstand auf 12,800 Mann angenommen. 5) Für das 6. Korps ein Bestand vom 10. Juni, ge= zeichnet vom Stabschef dieses Korps. 6) Für die Kaisergarde ein bei deren Stabe zuſam= mengestellter Bestand , d. d. Paris 15. Juni , der den genauen Stand der zur „,,belgischen Armee" abgerückten Offiziere und Soldaten enthält. 7) Für die 4 Reserve - Reiterkorps Bestände vom 1. Juni. 8) Ein Bestand für den Hauptpark vom Monat Juni ist nicht vorhanden. Wir haben deſſen Bestand mit noch nicht ganz 10 Mann pro Geſchütz berechnet. B. Der Bestand der Armee unter den Befehlen Wellingtons ist nach folgenden Unterlagen berechnet worden : 1 ) Eine offizielle allgemeine Beſtandsliſte vom 6. Juni 1815, die sich in den Archiven des niederländischen Kriegsministeriums vorfindet. 2) Ein offizieller Bestand vom 12. Juni 1815 , der sich eben da befindet und sich blos auf die holländischbelgischen Truppen bezieht. 3) Ein Bestand der königlich großbrittanisch-deutſchen Legion , der aus den Archiven dieses Korps stammt und in: Beamish , History of the king's german legion gegeben ist. 4) Geschichte des herzoglich braunschweigischen Armeeforps 2c. im Jahre 1815, worin ein Truppenbestand_ent= halten. 5) Die Korrespondenz Wellingtons : The Dispatches of the fieldmarshal duke of Wellington.
528
Die Bestandesübersicht vom 6. Juni enthielt die 2 Brigaden des hannöverischen und Reservekorps mit ; wir haben sie wieder abgerechnet, weil diese Brigade in Antwerpen stand und blieb. Diese Uebersicht giebt auch weder den Stand aller englischen Batterien , noch den des Hauptparkes . Wir haben diese unbekannten Größen nach dem mittleren Werthe der bekannten Bestände kalkulirt und für den Hauptpark 10 Mann pro Geschütz ange= nommen. Wir haben auch noch 2 englische Batterien beigefügt, die nach dem 6. Juni eintrafen. Die Bestandsliste vom 12. Juni über die holländischbelgischen Truppen erwähnt 616 Mann Nassauer nicht mit, die ihre Brigade an demselben Tage erreichten ; sie führt aber 2 Batterien auf, die noch in der Organisation waren und nicht mit am Feldzuge Theil nahmen , etwa 450 Mann. Wir haben die erste der beiden Zahlen zu, die zweite abgerechnet. Die Bestandsliste der deutschen Legion , die Beamish giebt und die sich auf die Zeit unmittelbar vor Ausbruch der Feindseligkeiten bezieht , weist nach, daß in diesem Korps vom 6. bis 14. Juni nur unbedeutende Verän= derungen vorgekommen waren. Die Stärke des Kontingentes Nassau ist aus Wel= lingtons Dispatches entnommen. Vom 6. bis 15. Juni und während des Feldzugs erhielten die wirklich englischen Truppen weder ein Ba= taillon noch eine Schwadron Zuwachs. Zwischen den beiden Daten selbst beschränkten sich die Veränderungen auf die Bewegung in den Hospitälern . Wir können also die von uns gegebene Zahl für die englisch-holländische Armee am Vorabende des Beginnens der Feindseligkeiten bis auf wenige Mann genau be= zeichnen.
=
8 :
529
C. Der Bestand der verschiedenen Korps der preußischen Armee ist aus dem übersichtlichen und im Allgemeinen unparteiischen Werke : Wagner, Feldzug von 1815, Ber= lin 1825, entlehnt. Wir haben ihn nur in zwei Punkten geändert. Wir haben den Bestand des Hauptparkes bei= gefügt, der ihm fehlt, und dessen Stärke mit 10 Mann pro Geschütz berechnet, und dann haben wir die Artilleriemannschaft, das Genie zc. mit 30 Mann pro Geſchüßz in Rechnung genommen , denn Wagners Angaben sind in dieser Beziehung offenbar zu schwach, um richtig sein zu können. Davon ein schlagendes Beispiel. Das Ziethen'sche Korps hatte 96 Geschüße ; und nach Wagner hätte es dazu an Artillerie, Genie 2c. nur 1019 Mann, also 10 Köpfe pro Geschütz gehabt. Damit , preußischer Offizier wie Wagner, hat deſſen Bestände wiedergegeben. Sie sind auch von allen wirklichen Geschichtsschreibern angenommen worden . Die Offiziere sind eingerechnet. Bei der englischholländischen und der französischen Armee haben wir es eben so gehalten .
D. Das 6. Korps , das etwas links vom 3. Korps la= gerte, hatte sich am 15. Juni früh 3 Uhr *) in Marsch gesezt und rückte auf das leztgenannte zu, dessen Be= wegungen es folgen sollte. Als es auf dasselbe stieß, mußte es halten , weil dasselbe sich noch in seiner Aufstellung befand. Schon dauerte der Aufenthalt über eine Stunde , als der Kommandant des 6. Korps, der fürchtete , der aufgestiegene dichte Nebel möchte ihm den Marsch des 3. Korps verdecken, mich mit dem Be=
*) Das ist ein Gedächtnißfehler , denn es hieß: „ Graf Lobau wird das 6. Korps um vier Uhr in Marsch setzen 2c.“ 34 Charras, Waterloo.
530 fehle vorsandte, ihm von dem Abmarsche von deſſen letzten Abtheilungen Meldung zu erstatten. Als ich in ihrem Lager ankam, fand ich Alles so ruhig, als ob an feinen Marsch zu denken wäre ; die Soldaten puzten ihre Waffen, ordneten oder besserten ihre Bekleidung aus und ich ſeyte die Offiziere in Erstaunen , als ich ihnen sagte, daß die Armee sich links von ihnen zusammendrängte und nur auf ihren Abmarsch wartete , um demselben nachzufolgen. Ich wartete noch ziemlich lange, und da ich mir die Verzögerung gar nicht zu erklären vermochte , begab ich mich nach dem Hauptquartiere des Grafen Vandamme und begegnete einem General , dem ich meine Zweifel mittheilte und der mir darauf entgegnete, daß die in der Nacht an den General Vandamme abgesendeten Befehle nicht an ihn gelangt seien, weil der Stabsoffizier , der allein mit der Ueberbringung beauftragt gewesen , mit dem Pferde gestürzt sei und den Schenkel gebrochen habe, ehe er seinen Auftrag zu erledigen vermocht. In demfelben Augenblicke traf auch der General Rogniat an der Spiße des großen Parks ein * ) und erhielt , glaube ich, dieselbe Auskunft .... . . Ich kenne den General Vandamme wenig oder gar nicht ; ich habe keinerlei Interesse daran, ihn zu entschuldigen ; aber ... es scheint mir unzweifelhaft , daß er keinerlei Befehl erhalten hat ; denn er war noch ungestört in ſeinem Hauptquartiere , als die Truppen, die ihm folgen sollten, eintrafen und hinter seinem Lager aufschlossen , eine Bewegung, die der Nebel ihm verbarg, und erst nach einer gewissen , zu den unvermeidlichen Erörterungen nöthigen Frist, ertheilte er mit der größten Geſchwindigkeit den Befehl , das Defilee zu paſſiren, * Es muß heißen : des Genieparks. Nach dem Marsch, befehle ſollten 2 bis 3 Wagen deſſelben mit den Mariniers, den Sappeuren der Garde und der Reserve marſchiren und hinter dem 1. Regimente Vandamme's einrücken ; die anderen Wagen dieses Korps sollten links vom Korps bleiben.
531 das sein Korps trennte, was in meiner Gegenwart mit einer bemerkenswerthen Genauigkeit und Schnelligkeit geschah. (Campagne de Waterloo par E. F. Janin , Colonel de l'ancien Etat - major, en non-activité ; broch. in-8 ° . Paris 1820. E.
Bestand der Armee bei Paris am 1. Juli 1815 . Kaisergarde. Generalleutnant Drouot. Hauptquar= tier: Villiers bei Neuilly . Infanterie.
Grenadier-Division 2159 M.) 5766 M. Jäger-Division 2254 " 1353 " Junge Garde Reiterei. Grenadiere, Dragoner, Ulanen, 3392 Jäger, Gensd'armen 1864 "" Artillerie, Genie zc. 1. Armeekorps. Generalleutnant Erlon . Hauptquar= tier : Belleville. Infanterie. 1. Division 1116 M.) 2. 1312 "" "" 4309 M. 3. 699 "/ " 4. 1182 "" " Reiterei. 1 leichte Division 1064 "1 Artillerie, Genie zc. 133 2. Armeekorps . Generalleutnant Reille. Hauptquar= tier : la Chapelle. Infanterie. 5. Division 1340 M. 6. 2092 "! " 7057 M. 7. 2064 " "" 9. 1561 " "" Reiterei. 2. leichte Division 1248 "" 513 " Artillerie, Genie 2c. 6. Armeekorps. Generalleutnant Reille. Infanterie. 19. Division 1829 M. 2790 M. 20. 961 " "" Artillerie -- findet sich im Bestande nicht vor. 34*
532
1. Korps der Reserve - Reiter ei . Generalleutnant Pajol. Hauptquartier : la Villette. 1991 M. Reiterei. Artillerie nicht erwähnt. 3. Korps der Reserve - Reiterei. Generalleutnant
Kellermann. Reiterei. Artillerie.
Hauptquartier : Neuilly. 1641 M. 111 "
4. Korps der Reserve - Reiterei . Generalleutnant Milhaud. Hauptquartier : Auteuil. 1127 M. Reiterei. Artillerie nicht erwähnt. 3. Armeekorps . Generalleutnant Vandamme. Hauptquartier : Petit-Montrouge. 8. Division 2742 M. Infanterie. 2896 " 10 . "" 9854 M. 11 . 2670 "" " 1546 " *) 21 . "" Reiterei nicht erwähnt. Artillerie — desgl. 4. Armeekorps. Generalleutnant Vichery (unter dem Oberbefehle Vandamme's). Hauptquartier : Bau-
girard. Infanterie. 12. Division 2719 M.) 8366 M. 13 . 3117 " " 14 . 2530 " "" 1200 Reiterei . Artillerie nicht erwähnt. 2. Korps der Reserve - Reiterei. Generalleutnant Excelmans (unter dem Oberbefehle Vandamme's). Hauptquartier: Montrouge. 2000 M. Reiterei. Artillerie nicht erwähnt. *) Division Teste, vom 6. Korps detaſchirt.
533
Die Reiter-Division des 3. Armeekorps 600 M. kann geschätzt werden auf Die Artillerie der unter Vandamme's Oberbefehl stehenden Korps kann ge= 2600 " schätzt werden auf
Dies dazu gerechnet giebt : 38,142 M. Inf. , 14,263 M. Reit. , 5221 M. Art.
57,626 M. Detaſchements aus den Depots der Garde und der Linie, einschließlich von Leuten , die allein von Waterloo zurückgekehrt sind :
General Beaumont in Belleville. Infanterie (einschließlich 375 verab= schiedet Gewesener aus den Departe= ments Seine und Marne und Seine und Diſe).
1653 M.
General Tilly in Berch. Infanterie. Artillerie.
492 " 58 ""
General Ambert in la Villette. Infanterie. Artillerie und Genie.
3209 " 84 "
General Meunier gegenüber Aubervilliers. Infanterie. 1939 "
General Pully in Boulogne. Infanterie. Reiterei.
2031 "" 334
General Allir in St. Denis . Infanterie. Artillerie und Genie.
1848 " 485 "
534 In den Pariser Kasernen. Infanterie (einschließlich 300 verabschiedet Gewesener aus den Depar= tements Seine und Diſe).
1012 M.
Summa der Detaschements : 12,214 M. Inf., 334 M. Reit., 627 M. Art.
13,175 M. Der Stand der am 1. Juli bei Paris vereinigten Truppen betrug also 70,800 Mann (einschließlich der Offiziere), von denen 50,356 M. Infanterie, 14,597 M. Reiterei, 5848 M. Artillerie, Genie zc. waren. Der Bestand, dem wir diese Ziffern entnommen, giebt aber noch weiter an: 6000 M. Tirailleurs der Pariser Nationalgarde. 432 " Bestand von 2 Bataillonen aktiver Nationalgarde des Departements 3ndre. 400 "" Bestand von 1 Bataillon desgl. der Departements Indre und Loire. Am 1. Juli trafen noch ein : 631 M. 1. und 2. Bataillon Haute Marne, noch nicht eingekleidet.
Inhalt.
Vorwort des Uebersezers Vorwort Erstes Kapitel Der Wiener Kongreß erhält die Nachricht von Napoleons Ankunft in Frankreich. Erklärung vom 13. März. -- Bündniß. - Vorbereitungen zum Kriege. Die öffentliche Meinung in Deutschland und England. Stärke und Stellung der verbündeten Armeen zu Anfang Juni 1815. - Feldzugsplan der Verbündeten. Zweites Kapitel Ursachen des Erfolges Napoleons gegen die Bourbons . Die Revolution wäre auch ohne ihn ausgebrochen. - Seine Sprache, seine Versprechungen während des Marsches auf Paris. Das Volk läßt sich davon fortreißen - die Maaßregeln des Kaisers enttäuschen es aber bald. - Vorspiegelungen Napoleons , Anfangs um die Beschlüsse des Wiener Kongreſſes zu verhüllen, dann um ihre Tragweite zu verringern. Murat hat die Möglichkeit des Friedens nicht gestört, Der es gab deren überhaupt nur im Siege. Enthusiasmus des Volkes iſt abgekühlt durch die Doppelzüngigkeit und die Verheimlichungen Napoleons. Die Armee in ihrer Reorganiſation durch die Bourbons ihr Effektivstand am 1. Januar und 1. April 1815 erst drei Wochen nach der Rückkehr nach Paris trifft Napoleon Anstalten , um die Wehrkraft Frankreichs zu vermehren. Bezeichnung dieser Maaßderen Erfolge. Stand der bewaffneten regeln Macht Anfang Juni 1815. - Formation der Armeekorps deren Stärke. ― Stärke der Festungsbesatzungen.
Seite. III V
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Seite. 52 Drittes Kapitel Napoleons Feldzugsplan. 60 Viertes Kapitel Zusammensetzung der gegen Belgien bestimmten Armee deren, Vereinigung an der Sambre. Stellung derselben am 14.Juni ihre Stärke unter den Waffen Napoleons Ta= ihre moralischen Elemente. gesbefehl. 71 Fünftes Kapitel . Zusammensetzung und Organisation der Armee Wellingtong ihre Stärke Anordnung ihrer Kantonnirungen nach dem Stande vom 14. Juni Fehler derselben. Zusammensetzung und Organisation der ― Blücher'schen Armee ihre Stärke Anordnung ihrer Kantonnirungen nach dem Stande vom 14. Juni - Fehler derselben. Vereinbarte Maaßregeln beider Feldherren für den Fall eines Angriffs. Der Geist in den beiden Armeen. Wellington, Blücher. 91 Sechstes Kapitel Die geCharleroy. ― Napoleon. Der 15. Juni. wählte Operationslinie. Marschbefehle für den 15. Juni. Marsch des linken Flügels. Wegnahme von Thuin und Marchienne. Uebergang über die Sambre. Marsch der Mitte der Armee. -- Wegnahme von Charleroy. Pajol hält diesseits Gilly. Marsch des rechten Flügels . - Desertion Bourmonts. - Die Avantgarde kommt in Chatelet an. — Das ganze Ziethen'sche Armeekorps ist fast vereinigt. - Gefecht bei Gosselies. - Der Marschall Ney erhält das Kommando des linken Flügels. - Er sendet eine Avantgarde nach Frasnes. - Gefecht von Gilly. Stellung der verschiedenen Korps bei Einbruch der Nacht. - Unvollständiger Erfolg des Tages. - Be trachtungen . 123 Siebentes Kapitel Der 15. Juni. Namur. - Brüffel . Ordre Blüchers zur Konzentrirung der Armee vom 14. Abends. Die Bewegungen Pirchs I., Thielemanns und Bülows im Laufe des 15. -- Stellung der preußischen Armee in der Nacht vom 15. zum 16. Juni. 30gerungen Wellingtons, ehe er seine Armee in Marsch setzt. Spezialbefehl des Stabschefs des Prinzen von Oranien. Armeebefehl, Divisionsweise zu sammeln. Falsche Direktion auf Nivelles. Befehl zur theil-
537
Seite. Befehl • weisen Konzentrirung von 10 Uhr Abends. zur Vereinigung der Armee nach ihrem linken FlüBetrachtungen. gel. 134 Achtes Kapitel Der 16. Juni. Ligny. Lange Unthätigkeit der französischen Armee. Napoleons Zaubern . Endlich, gegen 8 Uhr, entschließt er sich, die Armee auf den beiden Straßen von Brüffel und Namur vorzurücken. Er theilt sie in zwei Flügel und eine Reserve. Seine Ordre an Marschall Ney an Grouchy. Napoleon kommt bei Fleurus an. -- Formation der französischen Armee. Rekognoszirung. Stellung der Preußen. Zusammenkunft Blüchers und Wellingtons. — Napoleon entſchließt sich zur Schlacht. Ordre an den Marschall Ney, erlaffen um 2 Uhr. Frontveränderung der französischen Armee. Entsprechende Bewegungen der preußischen Armee. Angriff Vandamme's auf St. Amand - auf la Haye. Bewegungen unAngriff Gérard's auf Ligny. seres rechten Flügels. - Neue Ordre an Ney , von 34 Uhr. --- Stand der Schlacht zwischen 5 und 5 Uhr. Napoleon erfährt den Marsch einer Kolonne in seiner linken Flanke. Er entsendet einen Generaladjutanten zu ihrer Rekognoszirung und hält die gegen St. Amand und Ligny begonnene Bewegung der Reserven auf. A Fortsetzung des Kampfes um Napoleon erfährt, St. Amand, la Haye und Ligny. daß diese Kolonne das Erlon'sche Korps ist. Er giebt ihm keinen Befehl , am Kampfe Theil zu nehmen. Die ReLobau trifft vor Fleurus ein. serven treten ihren Vormarsch gegen St. Amand und Ligny wird genommen. -- Das Ligny wieder an. Zentrum der preußischen Armee wird zersprengt. Rückzug der beiden Flügel. Stellung beider Armeen nach der Schlacht. - Ihre Verluste. - Be= trachtungen. 181 Neuntes Kapitel Ney erhält gegen 10 Quatrebras. Der 16. Juni. Uhr den Befehl, auf Quatrebras zu rücken. Seine Stärke der engInstruktionen an seine Generale. lisch-holländischen Truppen bei Quatrebras. - Stellung bei Quatrebras. - Dispositionen des Prinzen Ankunft Wellingtons. - Er begiebt von Oranien. fich zu Blücher. w Um 2 Uhr greift Ney den Prinzen
538 Seite. von Oranien an. Wegnahme von Simioncourt. Stand Nückkehr Wellingtons nach Quatrebras. Englisch -holländische des Gefechts um 3½ Uhr. Verstärkungen. Der Angriff Bachelu's auf ihren linken Flügel abgewiesen . - Angriff Foy's imZentrum. Tod des Herzogs von Braunschweig. - Vordringen Guilleminots im Holze von Bossu. - Herzog Bernhard von Weimar geht zurück. ― Stand des Gefechts um 5 Uhr. ― Wellington erhält weitere Verstärk ungen. - Ney zieht Kellermann mit einer KüraſſierBrigade .herbei. - Glänzender Angriff dieser Brigade und der Division Piré. Die Kürassiere werden geworfen. → Die französische Linie wird gedrängt. Wellington erhält abermals Verstärkungen. Ney muß zurückgehen er kommt nach Frasnes zurück. Stellung beider Armeen um 9 Uhr Abends. ― Ihre Verluste. Erlon trifft wieder ein seine Bewegungen an diesem Tage. 207 Behntes Kapitel • Ursachen des Marsches Erlons gegen St. Amand und seines Kontremarsches am 16. Juni. Prüfung der Maaßnahmen dieses Generals und derer Ney's. Napoleon allein konnte die Verantwortlichkeit dafür übernehmen , Erlon gegen die preußische Armee abrücken zu lassen. - Die Erzählungen von St. Helena sind erfunden und den Ereignissen angepaßt. 225 Eilftes Kapitel Der 17. Juni. Gembloux. La maison du Roi. Pajol wird auf der Namurer Straße zur Rekognoszirung vorgesendet. Unthätigkeit des Theiles der Armee, der bei Ligny gefochten hat. Anblick des Schlachtfeldes. Napoleon, der in Fleurus geblieben, erfährt, daß Pajol eine preußische Batterie ge= nommen und Gefangene gemacht hat. Sein Generaladjutant Flahault überbringt die ersten NachDepesche richten von dem Gefecht bei Quatrebras. des Majorgenerals aus Fleurus an Ney. -- Napoleon begiebt sich zwischen 8 und 9 Uhr früh nach St. Amand. Er nimmt den verschiedenen Truppen die Revue ab. - Seine Gedanken. - Rückkehr einer gegen Quatrebras entsendeten Rekognoszirung. Napoleon läßt die Garde und die Milhaud'schen Kürassiere gegen Marbais abrücken, wohin er bereits das Lobau'sche Korps und 2 Diviſionen leichte Nei-
539
Seite. terei gesendet. — Zweite Depesche des Majorgenerals an Ney , aus Ligny, Mittags. — Die Armee in zwei Theile getheilt, einer unter dem Kaiser, einer unter Grouchy. Stärke dieser Theile. Mündliche Instruktionen Napoleons an Grouchy. - Bemerkungen des Marschalls. - Napoleon empfängt Meldungen aus Gembloux. Schriftliche Instruk tionen an Grouchy . - Er erhält Befehl, nach Gembloux zu rücken. Verzögerte Bewegung des Marschalls. - Stellung seiner Truppen in der Nacht vom 17/18. Juni. Um 10 Uhr Abends meldet er an Napoleon. - Marsch der preußischen Armee nach Wavre. - Konzentrirung derselben. - Nückzug der englisch-holländischen Armee nach Mont St. Jean. - Napoleon trifft bei Quatrebras ein. Verfolgung von Wellingtons Arrièregarde auf der Spätes Eintreffen der franzöBrüsseler Straße. fischen Armee auf den Höhen diesseits la belle Alliance. - Stellung derselben in der Nacht. - Bersprechen Blüchers an den englischen General. - ErBetrachtungen. gebnisse des 16. Juni. 255 Bwölftes Kapitel Der 18. Juni. Waterloo. Napoleon erfährt, daß die englisch-holländische Armee sich nicht bewegt hat; - mit Anbruch des Tages überzeugt er sich selbst, daß dies begründet. Sein Vertrauen in den Ausgang der Schlacht , die er liefern will. Das Vertrauen Wellingtons ist nicht minder groß. -Beschreibung der englischen Stellung. - Um 6 Uhr rückt Wellington ein. Seine Stärke. - NaUm poleon refognoszirt die feindliche Stellung. 9 Uhr fangen die Franzosen an , ihre Schlachtordnung einzunehmen. Instruktionen an Grouchy . Instruktionen für die bevorstehende Schlacht. Schlachtplan Napoleons. Um 11 Uhr eröffnet er mit dem Angriff auf Goumont das Gefecht. Neille damit beauftragt. Erste Wechselfälle diefes Angriffs. - Napoleon erfährt die Ankunft Bülow's -Maaßregeln in Folge bei Chapelle St. Lambert. dieser Nachricht. - Neue Instruktionen an Grouchy. Erlon greift den englischen linken Flügel an ; er wird mit großem Verluste abgeschlagen. -Frucht lose Angriffe auf la Haye Sainte. - Fortsetzung Stand der Schlacht des Kampfes bei Goumont.
540
Seite. Anordnungen Wellingtons. - Naum 3 Uhr. poleon verzichtet auf den Angriff des feindlichen linken Flügels und beschließt , die Hauptanstrengungen Wegnahme von la gegen die Mitte zu richten. Angriff Milhaud's und LefebvreHaye Sainte. Desnouettes gegen das englisch-holländische Zentrum, Um 44 um 4 Uhr. - Sie werden abgeschlagen. Uhr rückt das Bülow'sche Korps in die Linie. Dessen Stellung um 5 Uhr. Ney erneuert den Angriff mit den Reitern von Milhaud und LefebvreDesnouettes . Anordnungen Wellingtons in Voraussicht dieses wiederholten Angriffs. Lage seiner Armee. Ney wird von Kellermann und Guyot unterstützt. Der Angriff wird abermals abgeschlagen. Verluste Ney's. Verluste des englisch - holländischen Zentrums. Stand der Schlacht auf dem linken und rechten Flügel. Fortsetzung des Gefechts gegen Bülow. Angriff von 6 Bataillonen alter Garde gegen das englischholländische Zentrum ; er wird abgeschlagen. Um 7 Uhr greift die Ziethen'sche Avantgarde bei Papelotte in's Gefecht ein. Anfang der Unordnung in der französischen Armee. Allgemeines Vorrücken der engliſch-holländischen Armee. Die Unordnung wächst reißend . Zwei Divisionen Pirch I. Das Dorf rücken gegen Plancenoit in die Linie. Allgemeine wird von den Preußen genommen. Die Preußen Auflösung der französischen Armee. verfolgen. Die Verfolgung hört erst mit Tagesanbruch auf. Napoleon trifft in Charleroy ein und begiebt sich nach Philippeville. - Beiderseitige Verluste. 338 Dreizehntes Kapitel Prüfung der Napoleon'schen Kritik über die Pläne und Manövers von Wellington und Blücher - Betrachtungen über die Führung der Schlacht seiten der Franzosen. 365 Vierzehntes Kapitel Grouchy fennt in den Wavre. Der 18. Juni. ersten Morgenstunden die von der preußischen Armee Er hält das eingeschlagene Richtung noch nicht. Projekt, nach Sart-lez-Walhain zu marschiren , aufMarsch von Ursachen seines Entſchluſses. recht. Excelmans , Vandamme und Gérard nach Sart-lez-
541 Seite. Walhain, von Pajol und Teſte nach Grand-Leez. Grouchy eilt den Truppen voraus und trifft in Sart-lez-Walhain ein. Er erfährt, daß die gesammte preußische Armee bei Wavre übernachtet hat. Er beschließt, seine Bewegung dorthin fortzusetzen. -- Meldung davon an Napoleon. ― Gegen Mittag wird die Kanonade von Waterloo hörbar. Rath Gérard's , von Grouchy abgelehnt. - Marsch nach Wavre. Bewegungen der preußischen Armee. Angriff auf Wavre, gegen 4 Uhr. - Grouchy erhält die erste Depesche Napoleons , vom Schlachtfelde von Waterloo datirt. Nach dreistündigem fruchtlosen Gefechte und nachdem auch die zweite Ordre Napoleons , vom Schlachtfelde von Waterloo, eingetroffen, entschließt sich Grouchy , die Dyle bei Limal zu überschreiten. Das Unternehmen gelingt. Das Gefecht vorwärts Limal und bei Wavre endet erst gegen 11 Uhr. - Stellungen Grouchy's und der Preußen.
386 Fünfzehntes Kapitel Prüfung der Bewegungen Grouchy's am 18. Juni Grouchy konnte die Niederworin er gefehlt hat lage bei Waterloo nicht aufhalten ― falsche Versicherungen der Memoiren von St. Helena - ihr Gegenstand . 415 Sechzehntes Kapitel • Napoleon trifft in Philippeville ein. Befehle in Depeschen , die er von da ausfertigt. ― Er geht nach Laon ab. Er hält dort Rath. Er geht nach Paris ab trifft den 21. Juni früh dort ein. Berathung im Elisee-Bourbon. Erklärung der Kammer der Abgeordneten . Zaudern Napoleons. Seine allmählige Nachgiebigkeit. - Seine Ohnmacht, sein Zorn gegenüber den steigenden Anforderungen der Kammern. Berathung in den Tuilerien , in der Nacht vom 21. zum 22. Juni. Napoleon ist von Absetzung und Gefangennahme beErdroht. - Er entschließt sich zur Abdankung. nennung einer provisorischen Regierung. 450 Siebzehntes Kapitel Thielemann greift den 19. mit Tagesanbruch Grouchy an, muß aber nach einem längeren Kampfe den Nückzug gegen Rhode - Sainte- Agathe antreten. Grouchy, der nun die Niederlage bei Waterloo erfah-
542 Seite. Näch r ren, tritt seinen Rückzug gegen Namu an. sten Tags marschirt er in dieser Richtung weiter. -- Die - Bewegungen Thielemanns und Pirchs I. Reiterei der beiden preußischen Korps greift Grouchy Gefecht bei Namur. Am 21. früh find an. die Grouchy'schen Korps bei Dinant vereinigt und en marschir gegen Givet. Grouchy rückt über Nocroy Die von Waterloo zurückgekehrgegen Rheims. ten Korps vereinigen sich bei Laon. - Marsch der englisch-holländischen und der preußischen Armee. Einnahme von Avesnes. Operationsplan , der zwischen Blücher und Wellington vereinbart worden . Auf Befehl des Marschalls Soult wird an Blücher ein Waffenstillstandsantrag gestellt. Deffen Antwort. Einnahme von Cambray und Peronne. Ludwig XVIII. trifft in Cambray ein. - Soult geht nach Soissons zurück. Beſtand der von Waterloo zurückgekehrten Korps am 25. Juni. --- Grouchy vereinigt sich bei Soissons mit denselben und übernimmt das Kommando der ganzen Armee. - Stärke derselben. - Die Preußen besetzen Compiègne . - Gefecht bei Villers-Cotterets. Grouchy führt die Armee nach Paris zurück. Stellung derselben am Stellungen der beiden verbündeten 29. Juni. Armeen an demselben Tage. 477 Achtzehntes Kapitel Die ReVon den Kammern erlaſſene Dekrete. Fouché der Präsident dergierungskommission. Sein Benehmen. Seine Zwecke. selben. Die Regierungskommission ernennt auf seinen Einfluß hin Masséna zum Oberkommandanten der Parifer Nationalgarde. - Fouché verwickelt auch Davoust, - Gemeinden Kriegsminister , in seinen Verrath . schaftliche Berathung der Regierungskommission , der Bureaur der beiden Kammern und der Minister. Davouſt erklärt jeden Widerstand für unmöglich und schlägt die Unterwerfung unter Ludwig XVIII. vor. Die Versammlung beschließt, Zwischenfall . Unterhändler zu Wellington und Blücher zu senden . - Davouft wird zum Oberkommandanten der bei Paris vereinigten Armee ernannt, bleibt aber KriegsDie Regierungskommission beschließt, minister. daß nur die Zugänge von Paris vertheidigt wer den sollen.-- Besorgnisse und Aufregung der Pariſer
543 Bevölkerung. -- Waffenstillstandsantrag von Davouſt, im Auftrage der Regierungskommission an Wellington und Blücher gestellt. Blücher rekognoszirt die Verschanzungslinie im Norden von Paris. Zuſammenkunft desselben mit Wellington. Die beiden Oberkommandanten beschließen, daß die preußische Armee auf die Nordseite von Paris rücken soll. — Bewegungen dieser, sowie der englisch-holländischen Armee. Bestand der unter Davouſt ſtehenden Truppen vom 1. Juli. Er hätte beide feindliche ArRathssitzung meen nach einander schlagen können . in den Tuilerien. - Excelmans marschirt nach Versailles und Rocquencourt . - - Er haut eine preußische Reiter-Brigade zusammen und kehrt darauf in seinen Bivouak bei Montrouge zurück. Kriegsrath in la Villette. Antwort Blücher's auf Ergebnisse. den Waffenstillstandsantrag. Schreiben Wellington's an Denselben über diesen Gegenstand. Davouft wird von der Regierungskommiſſion ermächtigt, zu kapituliren. Bewegungen der preußischen Armee. Gefechte bei Sèvres, Meudon, les Molineaux, Iffy. — Stellung der preußischen Armee am 2. Juli Abends . Benehmen der KamDie Armee räumt Paris . mern. Einzug Ludwig's XVIII. in Paris . Schluß.
Berichtigungen.
Wegen längerer Abwesenheit des Herrn Uebersetzers vom Druckort haben sich nachfolgende Fehler eingeschlichen, um deren Berichtigung der Leser freundlichst ersucht wird. S. 8 3. 7 v. o. statt linken Flügel lies rechten Flügel. 14 v. u. "! der die " der den. " 12 "} dürfte. " 12 " 9 b. u. " durfte " auch. "! 17 " 2 v. D. " aber auch " 41 statt Durch lies mehrmals Ourcq. lies Rocroy. " 61 3. 4 v. o . statt Rodroy " fast. " 61 " 7 b. 0. "/ fest 13 v. o. " von den " von dem . " 61 Sie " Die Anderen. " 66 " 2 v. u. " 72 " 15 v. o. " (1. M. Collaert) " (1. sq. Collaert). 73 " 8 v. o. hinter Chassé fehlt ein " " 74 " 4 v . o. lies Brig. Kruse. " 74 " 16/17 v. o. statt Dornberg lies Dörnberg .
Dresden, Druck von E. Blochmann und Sohn.
衛 Waterloo.
fünf
Pläne und Karten
zur
Geschichte
des
Feldzuges
von 1815 .
Waterloo .
Bom
Oberstleutnant Charras .
Dresden. Verlagsbuchhandlung von Rudolf Kunze. 1858.
Inhalt.
Nr. 1. Nr. 2.
Plan des Kriegsschauplahes von 1815 Plan der Schlacht von Ligny •
Nr. 3. Plan der Schlacht von Quatre-Bras .
Seite 5
9 11
Nr. 4. Plan der Schlacht bei Waterloo Nr. 5. Karte des östlichen u . nördlichen Theils von Frankreich 13
Dresden, Druck von E. Blochmann und Sohn.
པ་
5
Nr. 1.
Erläuterung
zum
Plane des Kriegsschauplatzes von
1815.
Die auf der Karte von Belgien angegebenen Wege sind diejenigen, die im Monat Juni 1815 vorhanden waren.
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Landrecies . Sambre FU .
ZEICHENERKLÄRUNG . Grenze von 1814. Gegenwärtige Grenze Strafsen Römerstrasse.
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Litho JH.Klahr, Druck v.J.Braundorf, Dresden .
Weger
Verlagsbuchhandlung v. Rudolf Kuntze in Dresden .
1Lieue- 1 Stunde- 4 Kilometer - 1500 Schritt. 4 3 2
5 Stunden
Geschichte desFeldzuges von 1815 von Oberstl.Charras.
7
Nr. 2 .
Erläuterung zum Plane der
Schlacht
von
Ligny . My
Französische Armee. AA. Kaiserliche Garde. BB. Viertes Cavaleriereservecorps (Milhaud).
CC. Drittes Armeecorps (Vandamme). DD. Division Girard (vom 2. Armeecorps abgeschickt). EE. Viertes Armeecorps ( Gérard) . FF. Zweites Cavaleriereservecorps (Excelmans). GG. Erstes Cavaleriereservecorps (Pajol).
Breußische Armee. KK. Erstes Armeecorps (Ziethen). JJ. Zweites Armeecorps (Pirch I.) II. Drittes Armeecorps (Thielemann).
NB.
Die beiden Armeen sind auf dem Plane ſo dargestellt,
wie sie um halb 3 Uhr Nachmittags, im Augenblick, wo die Schlacht beginnen sollte, aufgestellt waren.
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Geschichte des Feldzugs von 1815 von Oberstl. Charras.
Verlagsbuchhandlung v.RudolfKuntze inDresden.
Lith. v. H.Verbeek, Druck o.J.Braunsdorf,Dresden.
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4000Schritt.
9
Nr. 3.
Erläuterung
zum Plane
der
Schlacht
von
Quatre -Bras.
Französische Armee.
AA. Division Foy. BB. Division Bachelu. DD .
Zweites Armeecorps (Reille) .
CC. } Diviſion Piré. MM. Division Lefebvre-Desnouettes (faiserliche Garde).
Englisch -holländische Armee.
EE. Brigade Bylandt FF. Brigade des Prinzen v. Sachsen-Weimar. NB.
Division Corps Perponcher. Ides Prinzen v. Oranien.
Die beiderseitigen Truppen sind auf dem Plane in dem
Augenblick dargestellt , in dem sie sich kurz vor zwei Uhr, dem Augenblick, in dem die Schlacht begann, befanden. Das Hölzchen von Boſſu und das von Hutte sind auf dem Plane so dargestellt, wie sie im Juni 1815 waren .
Plan
des
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