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German Pages [530]
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)
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Heike Braun
Geschichte des Gottesvolkes und christliche Identität Eine kanonisch-intertextuelle Auslegung der Stephanusepisode Apg 6,1–8,3
Mohr Siebeck
Heike Braun, geboren 1977; 1997–2001 Studium der Sozialen Arbeit an der KSFH und der Katholischen Theologie an der PTH in Benediktbeuern; 2001–2004 Studium der Katholischen Theologie an der Universität Regensburg; 2004–2005 Pastoralpraktikantin in der Pfarrei St. Bonifaz/St. Georg, Regensburg; seit 2005 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, Universität Regensburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-151622-1 ISBN 978-3-16-150227-9 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meinem Vater und meiner Mutter
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2009/2010 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation mit dem Titel „Innehalten auf dem Weg – ‚Biblische Auslegung‘ der Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 im Kontext der christlichen Bibel“ angenommen. Für die Publikation wurde sie geringfügig überarbeitet. „Innehalten“ möchte auch ich und auf den Weg zurückblicken, den ich während der Promotion gegangen bin, auf allen mehr oder weniger anstrengenden Etappen begleitet von einigen wertvollen Weggefährten, die sich zwischen den Zeilen meiner Arbeit eingeschrieben haben. So gilt mein Dank zuallererst meinem „Doktorvater“ Prof. Dr. Tobias Nicklas, der mir bereits in den ersten zwei Jahren 2005-2007, als er selbst noch den Lehrstuhl für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Radboud Universität Nijmegen inne hatte, aus der Entfernung viel Unterstützung für meine Dissertation sowie für die Arbeit an dem damals großenteils vakanten Lehrstuhl für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments an der Universität Regensburg gegeben hat. Auch seit er selbst Inhaber dieses Lehrstuhls ist, hat er mir als Mitarbeiterin eine sehr produktive Arbeitsatmosphäre gewährt und mich bei meiner Arbeit nicht nur fachlich äußerst hilfreich, sondern auch menschlich sehr angenehm begleitet. Herzlich gedankt sei auch Prof. Dr. Christoph Dohmen für seine bereitwillige Erstellung des Zweitgutachtens sowie für weiterführende inspirierende Gespräche. Meinen Dank möchte ich weiterhin an den emeritierten Prof. Dr. Hubert Ritt richten, der den Beginn meiner Promotion in die Wege geleitet hat. Außerdem danke ich herzlich Prof. Dr. Jörg Frey für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II“. Für das aufmerksame Korrekturlesen einzelner Teile meiner Dissertation danke ich sehr herzlich OStD Lothar Ott, Sonja Ott-Dörfer, Bernadette Braun, Anita Ramoser, Sigrid Petermichl, Dr. Bernhard Bleyer sowie meiner Schwester Tanja Six. Bei so manchen Computer technischen Rätseln haben mich Matthias Hötzinger und Matthias Lehner unterstützt, denen ich für ihre viele Geduld dabei sehr dankbar bin.
VIII
Vorwort
Vor allem möchte ich meiner Familie danken: meinen Eltern, ohne die ich diesen Weg nicht einschlagen hätte können, meiner Schwester Tanja Six für ihr immer offenes Ohr und ihre Ermutigungen, meinem Schwager Dominik Six, der mir einen praktischen Steh-Schreibtisch geschreinert hat, damit ich die Promotion „durchstehe“, und meiner Nichte Magdalena für die vielen kleinen Aufheiterungen. Nicht zuletzt richte ich einen herzlichen Dank an viele liebe Freunde, die mich durchgängig auf diesem Promotionsweg begleitet haben, nicht nur indem sie mir interessiert zugehört haben, sondern besonders auch indem sie mit mir so manch „ungewöhnliche Wege“ beim Klettern an wunderbaren Felsen, beim Radfahren und vielem mehr gegangen sind und mir auf diese Weise immer wieder zu neuer Energie verholfen haben. Allen voran danke ich dafür Matthias Hötzinger, Sigrid Petermichl, Matthias Lehner, Anna Jankowfsky, Jochen Spahn, Dr. Marit Möhwald, Maximilian Kreuzer, Theresa Jindra und Elisabeth Gurschler, aber auch allen anderen, die zusätzlich verschiedene kürzere und längere Wegetappen mit mir beschritten haben. Regensburg im März 2010
Heike Braun
Inhaltsverzeichnis Vorwort..........................................................................................................VII I Einleitung ....................................................................................................... 1 1 Stephanus – der erste christliche Märtyrer, ein Symbol der Trennung? ....... 1 2 Überblick über den Forschungsstand ............................................................ 6 2.1 Die Stephanusepisode zwischen Tradition und Redaktion ................................... 7 2.2 Die Stephanusepisode als Quelle historischer Fakten ....................................... 10 2.2.1 Das hellenistische Judenchristentum ................................................. 11 2.2.2 Stephanus – der erste Märtyrer......................................................... 12 2.2.3 Die Theologie der ‚Hellenisten‘ ....................................................... 14 2.2.4 Reflexion über die Frage der Historizität ........................................... 16 2.3 Die Stephanusepisode als literarische und theologische Komposition .................. 18 2.3.1 Die Vision des Stephanus ............................................................... 18 2.3.2 Die Stephanusrede......................................................................... 21 2.3.2.1 Hauptthemen..................................................................... 21 2.3.2.2 Geschichte Israels .............................................................. 22 2.3.3 Die Bedeutung des Tempels ............................................................ 24 2.4 Die Stephanusepisode als Teil lukanischer Geschichtserzählung ........................ 26 2.4.1 Die Stephanusepisode im Kontext des lukanischen Doppelwerks............ 27 2.4.2 Die Stephanusepisode in weiteren Kontexten ...................................... 29 2.5 Fazit ...................................................................................................... 31 3 Fragestellung ............................................................................................... 32 II Hermeneutisch-methodische Überlegungen ............................................... 34 1 Die Stephanusepisode als Text der christlichen Bibel................................. 34 1.1 Der Text ‚christliche Bibel‘ ........................................................................ 34 1.1.1 Der Text als dialogisches Netz-Werk ................................................ 34 1.1.2 Die christliche Bibel – ein besonderer Text ........................................ 36 1.1.3 Die christliche Bibel als Geschichtserzählung der Gottesbegegnung ........ 38 1.2 Das lukanische Doppelwerk als Text der christlichen Bibel .............................. 43 1.2.1 Geschichtserzählung der Gottesbegegnung im lukanischen Doppelwerk .. 43 1.2.2 Erzählung des „Weges des Heils“ in zwei Teilen ................................. 46 1.3 Erzählung des „Weges des Heils“ in der Apostelgeschichte .............................. 48 1.3.1 Übersichtsplan über den mehrdimensionalen „Weg des Heils“ ............... 48
X
Inhaltsverzeichnis 1.3.2 Etappen des „Weges des Heils“ in der Apostelgeschichte...................... 50 1.3.3 Die Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 an der Grenze Jerusalems ................ 53
2 Grundlinien kanonisch-intertextueller Auslegung....................................... 56 2.1 Zentrierung am ‚Bibel-Text‘ ....................................................................... 58 2.2 Orientierung am Leser ............................................................................... 60 2.2.1 Der Leser als Kommunikationspartner .............................................. 60 2.2.2 Ziel des Lesens ............................................................................. 61 2.3 „Grenzen der Interpretation“ ....................................................................... 63 2.4 ‚Regeln‘ für das Lesen ............................................................................... 65 2.5 Methodische Umsetzung einer kanonisch-intertextuellen Auslegung .................. 69 2.5.1 Grundlinien.................................................................................. 69 2.5.2 Umsetzung einer kanonisch-intertextuellen Auslegung anhand der Stephanusepisode ................................................................................. 72
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: „Biblische Auslegung“ der Stephanusepisode ........................................................................................... 77 1 Strukturanalyse ............................................................................................ 77 1.1 Abgrenzung des Textes Apg 6,1-8,3 ............................................................. 77 1.2 Strukturüberblick...................................................................................... 78 1.2.1 Szenische und thematische Rahmenbedingungen Apg 6,1-7,1 ................ 78 1.2.2 Die Stephanusrede Apg 7,2-53......................................................... 79 1.2.3 Folgen der Stephanusrede Apg 7,54-8,3............................................. 82 1.3 Der Text Apg 6,1-8,3 ................................................................................ 84 2 Lektüre von Apg 6,1-7 ................................................................................ 98 2.1 Strukturanalyse ........................................................................................ 98 2.2 Lektüre ................................................................................................... 99 Apg 6,1 .............................................................................................. 99 Apg 6,2-6 .......................................................................................... 107 Apg 6,7 ............................................................................................ 124 2.3 Fazit .................................................................................................... 129 3 Lektüre von Apg 6,8-7,1 ........................................................................... 131 3.1 Strukturanalyse ...................................................................................... 131 3.2 Lektüre ................................................................................................. 132 Apg 6,8 ............................................................................................ 132 Apg 6,9-12 ........................................................................................ 136 Apg 6,13-14 ...................................................................................... 147 Apg 6,15-7,1 ..................................................................................... 159 3.3 Fazit .................................................................................................... 163 4 Lektüre von Apg 7,2-8 .............................................................................. 165 4.1 Strukturanalyse ...................................................................................... 165 4.2 Lektüre ................................................................................................. 167
Inhaltsverzeichnis
XI
Apg 7,2a-b ........................................................................................ 167 Apg 7,2c-4a ....................................................................................... 168 Apg 7,4b-5 ........................................................................................ 179 Apg 7,6-7 .......................................................................................... 187 Apg 7,8 ............................................................................................ 193 4.3 Fazit .................................................................................................... 200
5 Lektüre von Apg 7,9-16 ............................................................................ 203 5.1 Strukturanalyse ...................................................................................... 203 5.2 Lektüre ................................................................................................. 204 Apg 7,9-10 ........................................................................................ 204 Apg 7,11-12 ...................................................................................... 212 Apg 7,13-14 ...................................................................................... 215 Apg 7,15-16 ...................................................................................... 220 5.3 Fazit .................................................................................................... 231 6 Lektüre von Apg 7,17-19 .......................................................................... 233 6.1 Strukturanalyse ...................................................................................... 233 6.2 Lektüre ................................................................................................. 234 Apg 7,17-18 ...................................................................................... 234 Apg 7,19 ........................................................................................... 240 6.3 Fazit .................................................................................................... 244 7 Lektüre von Apg 7,20-43 .......................................................................... 246 7.1 Strukturanalyse ...................................................................................... 246 7.2 Lektüre ................................................................................................. 250 7.2.1 Apg 7,20-22 ............................................................................... 250 Fazit zu Apg 7,20-22 ........................................................................... 256 7.2.2 Apg 7,23-29 ............................................................................... 258 Apg 7,23-24 .............................................................................. 258 Apg 7,25 .................................................................................. 263 Apg 7,26-29 .............................................................................. 266 Fazit zu Apg 7,23-29 ........................................................................... 274 7.2.3 Apg 7,30-34 ............................................................................... 276 Apg 7,30-32 .............................................................................. 276 Apg 7,33-34 .............................................................................. 284 Fazit zu Apg 7,30-34 ........................................................................... 290 7.2.4 Apg 7,35-43 ............................................................................... 291 Apg 7,35 .................................................................................. 292 Apg 7,36-38 .............................................................................. 297 Apg 7,39-41 .............................................................................. 306 Apg 7,42-43 .............................................................................. 314 Fazit zu Apg 7,35-43 ........................................................................... 324 7.3 Fazit .................................................................................................... 326
XII
Inhaltsverzeichnis
8 Lektüre von Apg 7,44-50 .......................................................................... 328 8.1 Strukturanalyse ...................................................................................... 328 8.2 Lektüre ................................................................................................. 330 Apg 7,44-47 ...................................................................................... 330 Apg 7,48-50 ...................................................................................... 349 8.3 Fazit .................................................................................................... 359 9 Lektüre von Apg 7,51-53 .......................................................................... 362 9.1 Strukturanalyse ...................................................................................... 362 9.2 Lektüre ................................................................................................. 362 Apg 7,51-53 ...................................................................................... 362 9.3 Fazit .................................................................................................... 386 10 Lektüre von Apg 7,54-8,1a...................................................................... 389 10.1 Strukturanalyse..................................................................................... 389 10.2 Lektüre ............................................................................................... 391 Apg 7,54 ........................................................................................... 391 Apg 7,55-56 ...................................................................................... 395 Fazit zu Apg 7,55-56 ........................................................................... 409 Apg 7,57-58a ..................................................................................... 411 Apg 7,58b-60 ..................................................................................... 417 Apg 8,1a ........................................................................................... 426 10.3 Fazit ................................................................................................... 428 11 Lektüre von Apg 8,1b-3 .......................................................................... 430 11.1 Strukturanalyse..................................................................................... 430 11.2 Lektüre ............................................................................................... 430 Apg 8,1b ........................................................................................... 430 Apg 8,2 ............................................................................................ 436 Apg 8,3 ............................................................................................ 440 11.3 Fazit ................................................................................................... 444 IV Zusammenfassende Reflexion................................................................. 446 1 Hermeneutisch-methodische Skizze.......................................................... 446 1.1 Texte der christlichen Bibel kanonisch-intertextuell auslegen .......................... 446 1.2 Die Stephanusepisode kanonisch-intertextuell auslegen.................................. 447 2 Die Stephanusepisode – eine Schwellenerzählung der Geschichte des Gottesvolkes ........................................................................................ 448 2.1 Die Stephanusepisode als Schwellenerzählung ............................................. 448 2.2 Selbstvergewisserung durch Vergegenwärtigung der Geschichte...................... 453 3 Stephanus – an der Schwelle zwischen Judentum und Christentum ......... 458 3.1 Stephanus als Prototyp des christlichen Märtyrers? ....................................... 458 3.2 Stephanus als ‚Symbol der Trennung‘? ....................................................... 460
Inhaltsverzeichnis
XIII
Literaturverzeichnis..................................................................................... 471 Stellenregister ............................................................................................... 487 Sachregister .................................................................................................. 499
I Einleitung 1 Stephanus – der erste christliche Märtyrer, ein Symbol der Trennung? Und sie steinigten Stephanus, der anrief und sprach: Herr Jesus, nimm meinen Geist. Und auf die Knie gefallen schrie er mit lauter Stimme: Herr, nicht rechne ihnen diese Sünde an. Und als er dies gesagt hatte, entschlief er.1
Apg 7,59-60
Die letzten Worte des Stephanus erinnern an die Gebete Jesu kurz vor seinem Tod: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23,34a)2 und „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23,46a). Die Apostelgeschichte beschreibt also den Tod des Stephanus als Nachfolge, denn mit diesen Gebeten ist trotz der Gewaltsituation ein vertrauensvolles Bekenntnis zu Jesus, dem »Herrn«, formuliert. Damit entspricht Stephanus genau den Forderungen Jesu an seine Jünger, sich in Verfolgungs- und Gerichtssituationen zu ihren Überzeugungen und vor allem zu ihrem Herrn zu bekennen (Lk 12,11-12; 21,12-13). Zugleich schildert Apg 7,59-60 den Tod des Stephanus als Nachahmung des Kreuzestodes Jesu Christi, denn ebenso wie Jesus betet Stephanus sogar in dieser Todessituation für seine Gegner und erfüllt damit in vollkommener Weise das Gebot der Feindesliebe. Auf der Grundlage dieser Darstellung wird Stephanus in der christlichen Tradition als ‚Prototyp des Märtyrers‘ bekannt und verehrt. So beschreibt IRENAEUS VON LYON (ca. 140-200 n. Chr.) Stephanus als den, der „als erster von allen Menschen den Spuren des Herrn im Martyrium gefolgt ist, da er wegen des Bekenntnisses zu Christus als erster getötet wurde, …“ (haer. 3,12,10).3 1
Sämtliche Übersetzungen sind von Heike Braun, sofern nicht anders vermerkt. Lk 23,34a ist textkritisch stark umstritten und nur in einigen Textzeugen überliefert. Zum textkritischen Problem vgl. METZGER, BRUCE M., A Textual Commentary on the Greek New Testament, London/New York 1971, 180. EHRMAN, BART D., The Text of the Gospels at the End of the Second Century, in: DERS., Studies in the Textual Criticism of the New Testament (NTTS 33), Leiden/Boston 2006, 71–99, hier 88–89. 3 IREN., haer. 3,12,10 (FC 8/3, 147, übersetzt von Norbert Brox). Ähnlich schreibt Irenäus von Lyon: „… Stephanus, der als erster des Zeugnisses für Christus wegen getötet wurde, …“ IREN., haer. 4,15,1 (FC 8/4, 113, übersetzt von Norbert Brox). Vgl. dazu 2
2
I Einleitung
In der Kirchengeschichte des EUSEBIUS VON CAESAREA (um 325 n. Chr.) findet sich dann der Brief der Gemeinden von Vienne und Lyon (nach 177 n. Chr.), in dem Stephanus ausdrücklich als der „vollkommene Zeuge“ (o` te,leioj ma,rtuj) bezeichnet wird, insofern er für seine Feinde gebetet habe (h.e. 5,2,5).4 Es zeigt sich also, dass der Bericht über die Steinigung des Stephanus als Vorbild für spätere christliche Martyriumsdarstellungen rezipiert wurde, denn die Gruppe der Märtyrer, von der dieser Brief handelt, folgt dem Beispiel des Stephanus als vorbildlichem Nachfolger Jesu Christi.5 Ähnliche Vorstellungen von Stephanus als ‚Prototypen des Märtyrers‘ finden sich beispielsweise auch bei Tertullian, Gregor von Nyssa und Augustinus6 und in Märtyrerdarstellungen, die weniger auf das Sterben Jesu Christi als auf den Tod des Stephanus Bezug nehmen.7 Prototypische Bedeutung wird dem Tod des Stephanus aber auch aufgrund seiner Folgen zugeschrieben, die Apg 8,1b festhält:
auch BAUMEISTER, THEOFRIED, Genese und Entfaltung der altkirchlichen Theologie des Martyriums (Traditio Christiana 8), Bern 1991, XX. Ähnlich stellt Eusebius von Caesarea Stephanus vor: „Dieser [Stephanus] war nach dem Herrn der erste, der getötet wurde; schon gleich nach seiner Wahl wurde er, wie wenn er eben dazu erhoben worden wäre, von den Mördern des Herrn gesteinigt. Er erwarb sich also als erster den von seinem Namen angedeuteten Kranz der Märtyrer Christi, welche des Sieges würdig sind.“ EUS., h.e. 2,1,1. Übersetzung von KRAFT, HEIN2 RICH (Hg.), Eusebius von Caesarea. Kirchengeschichte, München 1981, 117. 4 „Sie beteten für die Peiniger ganz so wie Stephanus, der vollkommene Märtyrer: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an.“ EUS., h.e. 5,2,5. Übersetzung von BAUMEISTER, Genese, XXI-XXII, 91, Anm. 2–4. Er sieht hier ein Beispiel dafür, dass der Titel „Märtyrer“ bereits rezipiert war (auch in Abgrenzung von ‚Bekenner‘). Die hohe Wertschätzung der martyrologischen Zeugnisterminologie zeige sich darin, dass man sie auch in diesem Sinn auf Christus anwende. Das häufige Vorkommen der Zeugnisterminologie in der hl. Schrift könne ein Grund dafür gewesen sein, dass man sie im 2. Jh. auf die im höchsten Ansehen stehende Gruppe von Verfolgten bezog. Deutlich werde auch, dass mit dem ma,rtuj-Begriff ein Wort-Tat-Zusammenhang verbunden sei. Die Datierung des Briefes um 177/78 ist unsicher. 5 Vgl. PESCH, RUDOLF, Die Apostelgeschichte (EKK.NT V/1), Neukirchen-Vluyn 1986, 267. 6 Aus den vielen weiteren Beispielen, die sich noch anführen ließen, sei hier noch auf folgende verwiesen: Tertullian verwendet Stephanus als Beispiel eines „geduldigen“ Märtyrers (pat. 14,1) und rezipiert Apg 7,59 (vgl. Acta Carpi, lateinische Rezension, 4,6; Passio Pionii 21,9; Acta Iulii Veterani 4,4). Zu Gregor von Nyssa vgl. encom. 28-30 (O. Lendle). Bei Augustinus finden sich verschiedene Hinweise auf den Märtyrer Stephanus, z.B. serm. 90 (PL 38,564) oder serm. de vetere testamento 49, 10-11 (CCL 41,621). 7 Vgl. NICKLAS, TOBIAS, Gebete in frühchristlichen Märtyrerakten, Sambata-Konferenz 2008, 20 [derz. unveröffentlicht].
1 Stephanus – der erste christliche Märtyrer, ein Symbol der Trennung?
3
„Und an jenem Tag entstand eine große Verfolgung gegen die Gemeinde in Jerusalem, und alle wurden zerstreut über die Landschaften Judäas und Samariens hinweg, außer den Aposteln.“ Diese Notiz nimmt EUSEBIUS folgendermaßen auf: „Nach der auf den Martertod des Stephanus folgenden ersten und größten Verfolgung, welche die Kirche in Jerusalem von Seiten der Juden zu erdulden hatte, zerstreuten sich alle Jünger mit Ausnahme der zwölf allein über Judäa und Samaria, …“ (h.e. 2,1,8).8 Durch diese geringen textlichen Abweichungen gegenüber Apg 8,1b wird nicht nur die Verfolgung als erste und größte gedeutet, sondern auch ein Gegenüber von ‚den Juden‘ und ‚der Kirche in Jerusalem‘ beschrieben. Zwar zeigt der Kontext bei Eusebius, dass es ihm eigentlich um eine positive Darstellung der Apostel und Zeugen Christi geht und weniger um ein negatives Bild ‚der Juden‘, denn kurz darauf berichtet er, die zerstreuten Jünger hätten „das Wort des Glaubens … nur erst den Juden“ (h.e. 2,1,10) verkündet. Dennoch bietet eine solche Deutung von Apg 8,1b Nährboden für möglicherweise gefährliche Auswirkungen. Ein Beispiel dafür berichtet Bischof Severus von der Insel Menorca: Nachdem 415 n. Chr. angeblich Reliquien des Stephanus aus Palästina mit nach Menorca gebracht worden waren, zerbrach das bisher friedliche Verhältnis zwischen Juden und Christen auf dieser Insel. Christen brannten die Synagoge nieder und ‚bekehrten‘ unter massivem Druck 500 Mitglieder der jüdischen Gemeinde zum Christentum.9 Auch in der Auslegungsgeschichte wird die Aussage über die Verfolgung und Zerstreuung der Jerusalemer Gemeinde (Apg 8,1b) und deren Rezeption als Grundlage dafür verwendet, das Martyrium des Stephanus als Wendepunkt innerhalb der Geschichte des Christentums im Sinne einer Trennung vom Judentum zu betrachten.10 Prägend für diese Linie innerhalb der Forschungsgeschichte sind Ausführungen von FERDINAND CHRISTIAN BAUR (1866/67), der beispielsweise 8
EUS., h.e. 2,1,8. Übersetzung von KRAFT, Eusebius. Kirchengeschichte, 118. Vgl. HAACKER, KLAUS, Die Stellung des Stephanus in der Geschichte des Urchristentums, in: ANRW II, 26/2 (1995) 1515–1553, hier 1516 mit Anm. 2. Dieser Brief findet sich in ‚Patrologia Latina‘ 20, 731-746 und 41, 821-832. Haacker verweist auf HUNT, EDWARDS D., St. Stephen in Minorca. An Episode in Jewish-Christian Relations in the Early 5th Century A.D., in: JThSt N.S. 33 (1982) 106–123. Als weiteres Beispiel führt Haacker Edessa an: Dort sei durch den Bischof Rabbula (angeblich auf kaiserlichen Befehl) eine Synagoge in eine Kirche umgewandelt und dem heiligen Stephanus geweiht worden. Vgl. Chron. Edess. 51 (T.U. 9, 1892), 106. 10 Dies zeigt MATTHEWS, SHELLY, The Need for the Stoning of Stephen, in: MATTHEWS, SHELLY/GIBSON, E. LEIGH, Violence in the New Testament, New York/London 2005, 124–139, hier 129–130, anhand einzelner Beispiele auf. 9
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I Einleitung
konstatiert: Der „in Stephanus mit Einem [sic!] Male in seiner vollen Macht und Bedeutung sich aussprechende Geist des Christenthums“ bestand in seinem Universalismus: „Dass das Wesen der wahren Religion nicht in den äusseren Formen eines an einem bestimmten Ort gebundenen Tempelcultus bestehen könne, der grosse Gedanke, in welchem das Judenthum schon damals durch das Christenthum sich aufgehoben sah.“11 Baur betrachtet die Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 also als Informationsquelle historischer Ereignisse und versteht folglich auch die Ausführungen über den Tempel als Wiedergabe historischer Aussagen des Stephanus, in dem sich deshalb ‚der Geist des Christentums‘ verkörpere. So leitet er aus der Stephanusrede theologische Ansichten ab, die zum einen mit jüdischen Vorstellungen nicht vereinbar sind und zum anderen sogar das Judentum ‚aufheben‘, übertreffen und damit irrelevant machen. Als Zeichen dafür, dass mit den Ansichten des Stephanus der Gegensatz zwischen Christentum und Judentum zum ersten Mal ausgesprochen wurde, sieht er die „Thatsache der Verfolgung, als deren Opfer er [Stephanus] fiel …“12 Die Steinigung des Stephanus ist für Baur damit ein Beweis dafür, dass Stephanus aus jüdischer Sicht häretische Vorstellungen (bezüglich Gesetz und Tempel) verkündet hat. Besiegelt werde dieser „Riss“, der „nothwendig Judenthum und Christenthum immer weiter von einander trennen musste“13 in der Christenverfolgung, die nach der Steinigung des Stephanus einsetzte (Apg 8,1b.3). Nicht nur im 19. Jahrhundert werden diese Deutungen Baurs fortgeführt, sondern auch in Auslegungen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein sind ähnliche Tendenzen zu finden. So ist etwa ERNST HAENCHEN (1956) der Meinung, das Bild, das die Stephanusrede vom „jüdischen Volk“ entwerfe, passe auch zu dem, was die Apostelgeschichte sonst erzähle: „die Juden sind es, die Verfolgung um Verfolgung gegen die Christen entfesseln.“14 Das Vorgehen der Jerusalemer Juden gegen Stephanus wird also zum Teil sogar als typisches Beispiel oder „Symbol für die grundsätzliche Haltung des Judentums gegenüber dem Christentum“15 gesehen. Auch die mit dem Tod des Stephanus einsetzende Trennung des Christentums vom Judentum klingt bei Haenchen an, wenn er den Beginn der Heidenmission als Auswirkung der Verfolgung nach dem Tod des Stephanus als Eröffnung eines „wichtigen Abschnitts der Kirchengeschichte“ 11 BAUR, FERDINAND CHRISTIAN, Paulus, der Apostel Jesu Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und seine Lehre. Ein Beitrag zu einer kritischen Geschichte des Urchristenthums, 1. Teil, Leipzig 21866, 66–67. 12 BAUR, Paulus, 49. Ergänzung durch Heike Braun. 13 BAUR, Paulus, 49. 14 HAENCHEN, ERNST, Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen 71977, 281. 15 So beschreibt HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1516 zusammenfassend die von Baur geprägte Forschungsgeschichte.
1 Stephanus – der erste christliche Märtyrer, ein Symbol der Trennung?
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bezeichnet, denn jetzt bleibe „das Christentum endgültig vor dem Schicksal bewahrt eine bloß messianische jüdische Sekte zu werden.“16 Selbst wenn die Drastik der Formulierungen im Vergleich zu Baur abnimmt, werden auch in etlichen Auslegungen des 20. Jahrhunderts Stephanus als einem Repräsentanten hellenistischer Christen kult-, gesetzes- und tempelkritische Positionen zugeschrieben und diese als Zeichen der radikalen Abgrenzung des Christentums vom Judentum begriffen.17 Unübersehbar prägen solche Forschungstraditionen, in denen Stephanus und sein Tod als „Symbol der Trennung von Judentum und Christentum“18 erscheinen, ein gefährliches Bild ‚des Judentums‘, das sich mit Gewalt gegen das Christentum wehre, und eine Vorstellung der Beziehung zwischen Judentum und Christentum als Trennungsverhältnis oder sogar Ersetzungs- und Überlegenheitsverhältnis. Wenn nämlich die Rede davon ist, das Christentum sei „die wahre Religion“ und durch christliches Gedankengut des Stephanus sei „das Judenthum schon damals durch das Christenthum in sich aufgehoben“19, scheint ‚aufgehoben‘ zwei Bedeutungen zu haben: (1) Das Christentum übertreffe das Judentum und so sei (2) das Judentum aufgehoben, beseitigt. Apg 6,1-8,3 als einzige historisch verwertbare Quelle über die Gestalt des Stephanus – abgesehen von zwei kurzen Rückbezügen auf diesen Text in Apg 11,19 und 22,2020 – hat also eine ambivalente Rezeptionsgeschichte: Als Prototyp des christlichen Märtyrers erinnert Stephanus beispielhaft an das Sterben Jesu und liefert ein Vorbild für nachahmende Nachfolge Christi sowie absolutes Vertrauen auf Christus. Als Symbol der Trennung von Judentum und Christentum dagegen trägt er zum Vergessen (und damit Leugnen) der identitätsstiftenden Wurzeln des Christentums im Judentum bei. Damit besteht die Gefahr, ein verzerr-
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HAENCHEN, Apostelgeschichte, 288. Vgl. HENGEL, MARTIN, Zwischen Jesus und Paulus. Die »Hellenisten«, die »Sieben« und Stephanus (Apg 6,1-15; 7,54-8,3), in: ZThK 72 (1975) 151–206. PESCH, Apg, 238–239. CONZELMANN, HANS, Die Apostelgeschichte (HNT 7), Tübingen 21972, 56 u.a. Vgl. dazu auch den Überblick über den Forschungsstand in I, 2. Zur Diskussion um die Rekonstruktion einer ‚Hellenistischen Theologie‘ auf der Grundlage der Stephanusepisode vgl. auch HILL, CRAIG C., Acts 6,1-8,4: division or diversity?, in: WITHERINGTON, BEN III, History, Literature and Society in the Book of Acts, Cambridge 1996, 129–153. 18 HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1517. 19 Beide Zitate BAUR, Paulus, 66. 20 Vgl. HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1519. Ausführliche Besprechung von Apg 22,20 bieten BAUMEISTER, Anfänge der Theologie des Martyriums (MBTh 45), Münster/Aschendorff 1980, 131–132. BAUMEISTER, Genese, XX. 17
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tes, einseitiges Bild von der Entstehung des Christentums zu bekommen21 und dessen Verhältnis zum Judentum unangemessen zu bestimmen.22 Beide Seiten dieser Rezeptionsgeschichte basieren auf einem Verständnis der Apostelgeschichte als „Geschichte des Urchristentums“23 und somit auch der Stephanusepisode als vorwiegend historischer Quelle, die nach ihrem Informationsgehalt über die Anfänge der apostolischen Zeit und die Entstehung des sogenannten Urchristentums befragt wird.24 Demgegenüber wird die Historizität der Apostelgeschichte zwar mittlerweile in der Forschung meist relativiert und differenzierter beurteilt.25 Dennoch haben diese Forschungstraditionen des 19. Jahrhunderts lange Zeit Spuren hinterlassen, wie sich auch im Überblick über Forschungen zur Stephanusepisode zeigt.26
2 Überblick über den Forschungsstand Da die Arbeiten zur Stephanusepisode eng mit der Forschung zum gesamten lukanischen Doppelwerk und speziell zur Apostelgeschichte zusammenhängen, orientiert sich folgender Überblick über Untersuchungen zu
21 Eine ausführliche Untersuchung zu den wechselseitigen Prozessen der Trennung von Judentum und Christentum bietet z.B. FRANKEMÖLLE, HUBERT, Frühjudentum und Urchristentum, Vorgeschichte – Verlauf – Auswirkungen (4. Jahrhundert v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr.), Stuttgart 2006. Dort finden sich weiterführende Literaturangaben. 22 Die Gefahren, die hinter der aufgezeigten Wirkungsgeschichte stehen beobachten auch MATTHEWS, Need for the Stoning, 125. HILL, division or diversity, 152–153. 23 HAENCHEN, Apostelgeschichte, 109. EISEN, UTE, Die Poetik der Apostelgeschichte. Eine narratologische Studie (NTOA 58), Göttingen 2006, 34, Anm. 93, beobachtet, dass von dieser historischen Perspektive auf die Apostelgeschichte ein Teil der Forschung – insbesondere im angelsächsischen Bereich – immer noch geprägt sei. In jüngster Zeit knüpfe auch die Monographie von HENGEL, MARTIN/SCHWEMER, ANNA MARIA, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, mit einem Beitrag von Ernst Axel Knauf (WUNT 108), Tübingen 1998, wieder daran an. 24 Vgl. MATTHEWS, Need for the Stoning, 127. Gegen die Historizität der Stephanusperikope spreche, dass die Kriterien, die bei der Frage nach dem historischen Jesus angewandt werden, bei Stephanus ebenfalls geprüft werden können. So greife bei Stephanus weder das Kriterium der Mehrfachbezeugung noch das Kriterium der Dissimilarität. 25 Vgl. WIKENHAUSER, ALFONS, Die Apostelgeschichte (RNT 5), Regensburg 41961, 16. SCHNEIDER, GERHARD, Die Apostelgeschichte (HThK V/1), Freiburg/Basel/Wien 1980, 128. SCHILLE, GOTTFRIED, Die Apostelgeschichte des Lukas (ThHK 5), Berlin 3 1990, 16. ZMIJEWSKI, JOSEF, Die Apostelgeschichte (RNT 5), Regensburg 1994, 29–30. 26 Vgl. auch KLEIN, HANS, Lukasstudien (FRLANT 209), Göttingen 2005, 106–110.
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Apg 6,1-8,3 weitgehend an der Actaforschung des 20. Jahrhunderts.27 Diese lässt sich in (1) eine quellen- und traditionskritische, (2) eine redaktionskritische, (3) eine kompositionskritische und (4) eine erzählanalytische Fragerichtung gliedern.28 Die jeweiligen hermeneutisch-methodischen Zugangsweisen zur Apostelgeschichte spiegeln sich auch in den Untersuchungen zur Stephanusepisode, wobei die Übergänge zwischen den einzelnen Ansätzen – insbesondere zwischen kompositionskritischen und erzählanalytischen – häufig fließend sind, was eine klare Einteilung der Arbeiten erschwert. Selbst wenn hier keine Untersuchungen explizit berücksichtigt werden, die in die quellenkritische Ausrichtung einzuordnen sind, wird kurz auf die Quellenfrage zur Stephanusepisode eingegangen, da ihr auch in späteren Arbeiten unterschiedliches Gewicht zugekommen ist. 2.1 Die Stephanusepisode zwischen Tradition und Redaktion Ähnlich stark diskutiert wie für die Apostelgeschichte insgesamt wurde auch für die Stephanusepisode im Besonderen die Frage nach den ihr zugrunde liegenden Quellen.29 Da diese in den letzten Jahren stark in den Hintergrund gerückt ist, wird hier nur ein kurzer Überblick über Forschungstendenzen zur Quellenlage der Stephanusepisode gegeben. 27
Primär werden Monographien und einzelne Studien zu Apg 6,1-8,3 oder zu Passagen daraus besprochen, die die Tendenzen der jeweiligen Fragerichtungen widerspiegeln. Für umfassende Übersichten über die Forschung zum lukanischen Doppelwerk vgl. BOVON, FRANÇOIS, Luke the Theologian. Thirty-Three Years of Research (1950-1983), transl. by Ken Mc Kinney (PTMS 12), Alison Park, Pa. 1987. VERHEYDEN, JOSEPH, The Unity, of Luke-Acts. What Are We Up To?, in: DERS. (Hg.), The Unity of Luke-Acts (BEThL 142), Leuven 1999, 3–56. NEUDORFER, HEINZ-WERNER, Der Stephanuskreis in der Forschungsgeschichte seit F. C. Baur, Giessen/Basel 1983. 28 Diese Einteilung folgt EISEN, Poetik, 34. In der historischen Phase bis Anfang der 50er Jahre sei die Apostelgeschichte primär als historisches Dokument der apostolischen Zeit und als erste Kirchengeschichte untersucht worden. Die redaktionskritische Phase setze mit dem Erscheinen von Hans Conzelmanns „Die Mitte der Zeit: Studien zur Theologie des Lukas“ 1954 (s.u.) ein und dauere bis in die 70er Jahre. Die nächste Neuorientierung hin zur Übergangsphase bzw. kompositionskritischen Phase erfolge 1974 mit Charles H. Talberts „Literary Patterns“. Die Übergänge von der Kompositionskritik zur erzählanalytischen Phase seien zwar fließend, aber einer der ersten Hauptvertreter, der den Narrativ Criticism auf das lukanische Doppelwerk anwandte, sei Robert C. Tannehill in seinem Kommentar zum lukanische Doppelwerk „The Narrative Unity of Luke-Acts“ 1986. Für einen ausführlicheren Überblick über die Geschichte der Actaforschung vgl. EISEN, Poetik, 32–43. 29 Einen Überblick über die Quellenforschung bieten beispielsweise BROER, INGO, Einleitung in das Neue Testament. Studienausgabe, Würzburg 2006, 157–162. SCHNEL5 LE, UDO, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 2005, 312–318. PLÜMACHER, ECKHARD, Apostelgeschichte, in: TRE 3 (1978), 483–528, hier 491–501.
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Hinter dem Martyriumsbericht Apg 6,1-7,1; 7,54-8,3 wird häufig mindestens eine Quelle – meist eine ‚antiochenische Quelle‘ aus dem hellenistisch-jüdischen Bereich – angenommen, die Lukas mehr oder weniger stark bearbeitet hat.30 Weit verbreitetes Argument dafür ist die Beobachtung, dass die Darstellung in diesem Bericht zwischen einer Lynchjustiz und einer regulären Gerichtsverhandlung schwankt. Auch die Relativierung des Idealbildes der Jerusalemer Urgemeinde (Apg 2,42-47; 4,32-35) durch Apg 6,1-6 und die Namensliste in Apg 6,5 würden auf die Benutzung einer Quelle hinweisen.31 Im Tempellogion Apg 6,13-14 werden ebenfalls Traditionen über die Theologie der ‚Hellenisten‘ vermutet.32 Kontroverser diskutiert wird dagegen die Quellenlage der Stephanusrede, bei der von sehr unterschiedlichem Umfang an Tradition und Redaktion ausgegangen wird. So reicht die Spannweite von der Annahme, die Rede sei fast vollständig auf eine Vorlage zurückzuführen und die redaktionellen Anteile seien sehr gering (vgl. GÜNTER STEMBERGER 1976/1990),33 bis hin zur Meinung, man müsse nicht strikt zwischen Tradi30 Allerdings sei auch eine zusammenhängende antiochenische Quelle nicht direkt nachweisbar. Vielmehr werde in Apg 6-15 auf größere Überlieferungskomplexe und Einzeltraditionen zurückgegriffen. Vgl. SCHNELLE, Einleitung, 313. BROER, Einleitung, 159. 31 Vgl. PLÜMACHER, Apostelgeschichte, 496–497. Es hätten wahrscheinlich zwei voneinander unabhängige und erst sekundär miteinander in Berührung gebrachte Traditionskreise – eventuell schriftlich – vorgelegen. Der erste Traditionskreis dürfte in Jerusalem überliefert worden sein, der zweite in Antiochia (vgl. Apg 6,5). Vgl. EBD., 498. BROER, Einleitung, 159. Ausführliche quellenkritische Untersuchungen zur Stephanusepisode bietet BIHLER, JOHANNES, Die Stephanusgeschichte im Zusammenhang der Apostelgeschichte (MThS.H 16), München 1963, 2–5(8). Quellenkritische Überlegungen in jüngerer Zeit finden sich bei ZMIJEWSKI, JOSEF, Die Stephanusrede (Apg 7,2-53) – Literarisches und Theologisches, in: DERS., Das Neue Testament – Quelle christlicher Theologie und Glaubenspraxis. Aufsätze zum Neuen Testament und seiner Auslegung, Stuttgart 1986, 85–128, hier 88. DSCHULNIGG, PETER, Die Rede des Stephanus im Rahmen des Berichts über sein Martyrium (Apg 6,8-8,3), in: Judaica 44 (1988) 195–214, hier 203– 204. Vorsichtig äußert sich auch TAYLOR, NICHOLAS H., Stephen, the Temple, and Early Christian Eschatology, in: Revue biblique 110,1 (2003) 62–85, hier 69–72, zur Quellenfrage. 32 Vgl. MUßNER, FRANZ, Wohnung Gottes und Menschensohn nach der Stephanusperikope (Apg 6,8-8,2), in: PESCH, RUDOLF u.a. (Hg.), Jesus und der Menschensohn (FS A. Vögtle), Freiburg/Basel/Wien 1975, 283–299, hier 284. BREHM, H. ALAN, Vindicating the Rejected One: Stephen’s Speech as a Critique of the Jewish Leaders, in: EVANS, CRAIG A./SANDERS, JAMES A. (Hg.), Early Christian Interpretation of the Scriptures of Israel. Investigations and Proposals (JSNTS 148), Sheffield 1997, 266–297, hier 271. Brehm sieht auch in Apg 6,11 eine Tradition, die mit hellenistisch-jüdischer Hingabe an Gesetz und Tempel zu tun habe. 33 Vgl. STEMBERGER, GÜNTER, Die Stephanusperikope (Apg 7) und die jüdische Tradition, in: DERS., Studien zum rabbinischen Judentum (SBAB 10), Stuttgart 1976/1990, 229–250, hier 245–246. Ähnlich SCHNEIDER, GERHARD, Stephanus, die Hellenisten und Samaria, in: KREMER, JACOB, Les Actes des Apôtres. Traditions, rédactions, théologie
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tion und Redaktion trennen und die Rede stelle hauptsächlich eine Komposition des Verfassers dar (H. ALAN BREHM 1997).34 Dementsprechend hat die Frage nach den Traditionen, ihrer Herkunft und ihrem Charakter ebenfalls unterschiedlich starkes Gewicht und der Kontext der Stephanusrede sowie einzelne theologische Inhalte darin werden bei abnehmendem Interesse an der strikten Trennung von Tradition und Redaktion stärker in den Vordergrund gerückt. Unter quellen- und traditionskritischer Perspektive wird außerdem nach der Verbindung von Martyriumsbericht und Rede gefragt. Dabei reichen die Meinungen ebenfalls von einer ursprünglichen Einheit über die Eintragung der Rede durch Tradenten des Berichts bis hin zu einer Verbindung durch lukanische Komposition. Ein eigenes Konzept über das Verhältnis von Tradition und Redaktion in der Apostelgeschichte entwirft KLAUS KLIESCH (1975) mit der Annahme eines heilsgeschichtlichen Credos als Grundlage aller Reden der Apostelgeschichte, das zugleich Schlüssel für das Verständnis der Reden sei.35 Die Sonderstellung der Stephanusrede lasse sich darauf zurückführen, dass Lukas hier nur den alttestamentlichen Teil dieses Credos verwende. Von dieser Annahme aus schließt Kliesch auf die Funktion der Stephanusrede als Wendepunkt innerhalb des lukanischen Konzepts, das die Geschichte des Wortes darstellen wolle. Seiner Meinung nach diene der alttestamentliche Teil dazu, die Vorwürfe des Stephanus zur Anklage gegen die Juden werden zu lassen.36 Demnach betrachtet Kliesch den Text zwar unter traditionsgeschichtlicher Perspektive, aber dennoch als literarische und theologische Größe. Diesem Konzept schließt sich JOSEF ZMIJEWSKI an, der darüber hinaus unterstreicht, dass Anspielungen auf das Alte Testament, einige durchlaufende Motive und die klare auf Steigerung angelegte Struktur der Rede lukanische Komposition deutlich erkennen lassen. Dementsprechend arbeitet er auch theologische Hauptaussagen der Rede heraus.37 (BEThL 48), Gembloux/Leuven 1979, 215–240, hier 215–216. WILCKENS, ULRICH, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen (WMANT 5), Neukirchen-Vluyn 31974, 216. 34 Vgl. BREHM, Vindicating, 271–274. Stärkeres Interesse an der Redaktion haben auch: BIHLER, Stephanusgeschichte, 2–5. HOLTZ, TRAUGOTT, Beobachtungen zur Stephanusrede Acta 7, in: REINMUTH, ECKART/WOLFF, CHRISTIAN (Hg.), Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze (WUNT 57), Tübingen 1965, 106– 120. 35 Vgl. KLIESCH, KLAUS, Das heilsgeschichtliche Credo in den Reden der Apostelgeschichte (BBB 44), Köln/Bonn 1975, 175. Neu und einzigartig sei die Zusammenschau des christologischen Teils mit den alttestamentlichen Teilen. 36 Vgl. KLIESCH, Credo, 178, 181. 37 Vgl. ZMIJEWSKI, Stephanusrede, 89–98. Vgl. auch I, 2.3.2.1.
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Insgesamt zeigt sich bei der Frage nach den Quellen der Stephanusepisode innerhalb der redaktionskritischen Untersuchungen ein immer stärkeres Interesse an Eigenschaften, Herkunft, Umfang und Verarbeitung der Quellen durch Lukas, also am Verhältnis von Tradition und Redaktion.38 2.2 Die Stephanusepisode als Quelle historischer Fakten Angestoßen von HANS CONZELMANN (1954), für den die lukanische Erzählung ein „Bild“39 von der Geschichte Jesu und seiner Gemeinde zeichnet, das nicht immer mit den historischen Ereignissen übereinstimmt, wird die Apostelgeschichte zwar in weitgehendem Konsens als „theologische Geschichtsschreibung“ und Lukas als „Tendenzschriftsteller“40 bezeichnet. Trotzdem wurde die Stephanusepisode weiterhin sogar bis in jüngere Zeit unter historischer Perspektive betrachtet und nach ihrem Informationsgehalt über geschichtliche Hintergründe ausgewertet. Dabei wurde vor allem ausgehend von den Personen bzw. Personengruppen und Situationsbeschreibungen im sogenannten „Martyriumsbericht“41 (Apg 6,1-7,1; 7,548,3) nach dem frühen hellenistischen Judenchristentum, Stephanus als ‚erstem Märtyrer‘ und dessen Bedeutung für die Entstehung des frühen Christentums gefragt.42 Beispielsweise untersucht MARTIN HENGEL in seinem Aufsatz „Zwischen Jesus und Paulus. Die »Hellenisten«, die »Sieben« und Stephanus“ (1975) die Stephanusepisode als „Quelle“, in der das „frühe hellenistische Judenchristentum auftaucht“, mithilfe der „philologisch-historischen Methode“43. Seine umfassenden Ausführungen zum Problem der Witwenversorgung, zur Gestalt der Urgemeinde,44 zu Stephanus, dessen Theologie und Martyrium sowie zur Bedeutung dieser Ereignisse für die Entstehung 38
Vgl. BROER, Einleitung, 158. SCHNELLE, Einleitung, 312. Vgl. CONZELMANN, HANS, Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas, Tübingen 51964, 5. Im Anschluss an Dibelius formuliert Conzelmann: „Unser Ziel ist nicht die Erforschung der Vorlagen und Quellen als solcher und nicht die Rekonstruktion der historischen Vorgänge.“ 40 Alle Zitate: HENGEL, MARTIN, Zwischen Jesus und Paulus. Die »Hellenisten«, die »Sieben« und Stephanus (Apg 6,1-15; 7,54-8,3), in: ZThK 72 (1975) 151–206, hier 154– 155. 41 Vgl. SCHNEIDER, GERHARD, Die Apostelgeschichte. I. Teil (HThK V/1), Freiburg u.a. 1980, 434, Anm. 7. 42 Vgl. auch I, 1. 43 HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 151. 44 Die Begriffe ‚Urgemeinde‘ und ‚Urchristentum‘ werden in dieser Arbeit nur verwendet, wenn die rezipierte Forschungsmeinung möglichst genau wiedergegeben werden soll. Da mit diesen Termini Vorstellungen von Normativität und damit die Gefahr der ideologischen Überhöhung verbunden sind, werden sie sonst vermieden. Stattdessen wird von der ‚(ersten) Gemeinde in Jerusalem‘, dem ‚entstehenden Christentum‘ oder Ähnlichem gesprochen. 39
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des frühen Christentums wurden häufig als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen rezipiert. 2.2.1 Das hellenistische Judenchristentum Die Gestalt der Urgemeinde und das hellenistische Judenchristentum untersucht Hengel primär anhand der in Apg 6,1-7,1; 7,54-8,3 auftretenden Personengruppen. So sieht er aufgrund von ausführlichen sprachlichen Analysen und kontextuellen Beobachtungen das entscheidende Merkmal der ‚Hellenisten‘ darin, dass ihre Muttersprache Griechisch ist,45 im Gegensatz zu den aramäisch oder hebräisch sprechenden ‚Hebräern‘.46 Demnach habe auch der Konflikt um die Witwenversorgung sprachliche Ursachen, die mit sozialen und religiösen zusammenhängen.47 Aus außerbiblischen Quellen (z.B. Flavius Josephus) über jüdische Synagogengemeinden schließt Hengel, der Siebenerkreis sei Führungskollegium der selbstständigen Gemeindegruppe der ‚Hellenisten‘, deren geistiger Führer Stephanus sei.48 Der Erklärung des Verhältnisses zwischen Siebener- und Zwölferkreis scheint Hengel allerdings keine Quellen zugrunde zu legen. Hier nimmt er an, die Siebenerzahl „mag mit der wesentlich kleineren Zahl dieser Gruppe zusammenhängen, deutet vielleicht aber gleichzeitig eine gewisse Unterordnung der Sieben unter die Zwölf an.“49 Ebenfalls sprachlich argumentiert Hengel, wenn er die hohe Bedeutung der „judenchristlichen Hellenisten“ für die Entstehung des Christentums darin sieht, dass ihnen der „eigentliche Brückenschlag von Jesus zu Paulus“ zu verdanken sei. Sie hätten nämlich als erstes die Jesustradition in die griechische Sprache übertragen und „zugleich durch ihre Kritik an Ritualgesetz und Kult die paulinische Freiheitspredigt vorbereitet“50. Ähnliche Funktion für die Entstehung des Christentums räumt GERD THEIßEN den ‚hellenistischen Judenchristen‘ ein.51 Theißen befragt zwar die Stephanusepisode als „Quelle“ ebenfalls danach, was „wirklich“ hinter 45 Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 161. Die Sprache als Hauptdifferenz zwischen Hellenisten und Hebräern ist bis heute weitgehender Forschungskonsens hinsichtlich dieser Frage. Ähnlich SCHNEIDER, Stephanus, 218–220. TAYLOR, Eschatology, 64–66. Vgl. auch Lektüre von Apg 6,1. 46 Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 166–172. Das belege auch spätere jüdische Literatur, wie z.B. Philo, Josephus, rabbinische Literatur und der spätere christliche Sprachgebrauch seit Eusebius. 47 Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 177–180. 48 Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 175, 180. 49 HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 180. 50 HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 203. 51 Vgl. THEIßEN, GERD, Hellenisten und Hebräer (Apg 6,1-6): Gab es eine Spaltung der Urgemeinde?, in: LICHTENBERGER, HERMANN (Hg.), Frühes Christentum (FS M. Hengel, III), Tübingen 1996, 323–343, hier 324, 340.
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dem Streit in Apg 6 steht, möchte aber – im Unterschied zu Hengel – auch die Tendenz des lukanischen Doppelwerks berücksichtigen, „Konflikte und Spannungen in der Gemeinde harmonisierend darzustellen.“52 So bezieht er auf weiten Strecken Texte des lukanischen Doppelwerks in seine Überlegungen mit ein, aber argumentiert ebenso häufig mit außerbiblischen Hintergrundinformationen. Selbst wenn er dabei in einiger Hinsicht zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie Hengel, spricht er sich vor allem gegen eine Spaltung in der Urgemeinde aus. Vielmehr habe es lediglich verschiedene theologische Strömungen gegeben.53 2.2.2 Stephanus – der erste Märtyrer Bei der Betrachtung der Stephanusepisode als Informationsquelle über die Gestalt des Stephanus wird nicht nur nach einer zeitgeschichtlichen Einordnung seines Martyriums gefragt, sondern vor allem nach seiner Bedeutung für die Entwicklung des frühen Christentums. Zur zeitlichen Datierung der Ereignisse um Stephanus stellt MARTIN HENGEL die Hypothese auf, sie hätten kurz vor der Bekehrung des Paulus, also zwischen 32 und 34 n. Chr. stattgefunden.54 In jüngerer Zeit wertet NICHOLAS H. TAYLOR (2003) drei Möglichkeiten für das Todesdatum des „hellenistischen Juden“ Stephanus kritisch aus: 31-34 n. Chr., der von den meisten Forschern angenommene Zeitraum 36-37 n. Chr. und 40 n. Chr. im Zusammenhang mit der Caligula-Krise.55 Auch Aussagen über die Funktion des Stephanus als erstem Märtyrer für die Entstehung des frühen Christentums suggerieren, Apg 6,1-8,3 entspreche einer historisch richtigen Quelle. Beispielsweise ist M. HENGEL der Meinung, „Verfolgung und Vertreibung der judenchristlichen ‚Hellenisten‘ aus der Heiligen Stadt“ sei eine „verständliche Folge des Stepha-
52
Vgl. THEIßEN, Hellenisten und Hebräer, 323, 326. Ähnlich SCHNEIDER, Stephanus,
221. 53
Vgl. THEIßEN, Hellenisten und Hebräer, 340. Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 172. Ähnlich DORMEYER, DETLEV, Weisheit und Philosophie in der Apostelgeschichte (Apg 6,1-8,1a und 17,16-34), in: FAßNACHT, MARTIN /LEINHÄUPL -W ILKE, A NDREAS /LÜCKING, STEFAN (Hg.), Die Weisheit – Ursprünge und Rezeption, FS Löning, Karl (NTA, Neue Folge 44), Münster/Aschendorf 2003, 155–184, hier 171–172. Für eine Datierung der Stephanusepisode in den Zeitraum 32-36 n. Chr. nennt er zwei Begründungsmöglichkeiten im Zusammenhang der Amtszeit des Pilatus. 55 Vgl. TAYLOR, Eschatology, 66–69. Zwar könne das Todesdatum des Stephanus auf der Basis der Informationen der Apostelgeschichte oder anderer verfügbarer Hinweise nicht definitiv festgelegt werden, aber sollte 40 n. Chr. zutreffen, läge in der Apostelgeschichte zumindest ein indirekter Bericht über den Einfluss des frühen Christentums auf diese Tumultzeit vor. 54
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nusmartyriums“56 gewesen und dadurch habe die Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden begonnen.57 Entscheidende Bedeutung schreibt auch DETLEV DORMEYER (2003) Stephanus als erstem Märtyrer zu. Durch strukturelle und inhaltliche Analysen von Apg 6,1-8,1a und Apg 17,16-34 in Einordnung ihrer geistig-kulturellen Umwelt der philosophischen Schulen des Hellenismus kommt D. Dormeyer zum Ergebnis: Stephanus sei der erste Blutzeuge des gekreuzigten Jesus Christus und in gewisser Weise auch Abbild des irdischen und himmlischen Urbildes, da in seinem Gesicht Wirken, Leiden und Herrlichkeit Jesu Christi anschaulich werden (6,15; 7,55-56). Die Biographie des Stephanus entspreche demzufolge ebenfalls der Jesu sowie der der Patriarchen und Propheten, so dass Stephanus zu einer positiven Identifikationsfigur werde.58 Neben seinem Martyrium werden also aus der Stephanusepisode auch biographische Informationen über Stephanus abgeleitet, wie z.B. eine pneumatische Begabung, die sich in seinen Wundertaten, seiner Verkündigung und seiner Vision auswirkte.59 Hauptsächlich wird die Bedeutung des Stephanus für die Entstehung des frühen Christentums damit verbunden, dass er als „geistiger Führer“60 der ‚Hellenisten‘ und somit als deren Repräsentant verstanden wird. Deshalb wird versucht, aus Apg 6,1-8,3 theologische Positionen des Stephanus selbst sowie der hellenistischen Judenchristen abzuleiten.61 56
Beide Zitate: HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 196–197. Zu dieser Einsicht gelangt Hengel allerdings nicht nur aufgrund der als historisch richtig bewerteten Theologie der ‚Hellenisten‘, sondern auch durch nicht näher belegte Annahmen. So sei es möglicherweise als „göttliche Anweisung betrachtet“ worden, die Heilige Stadt, in der das Blut Jesu und das seines Zeugen Stephanus vergossen worden war, zu verlassen. 57 Auch Darstellungen wie die von BAUMEISTER und BROX suggerieren, die lukanische Schilderung des Stephanusmartyriums entspreche einem historischen Tatsachenbericht. Vgl. BAUMEISTER, THEOFRIED, Anfänge der Theologie des Martyriums (MBTh 45), Münster/Aschendorff 1980, 123–132. BROX, NORBERT, Zeuge und Märtyrer. Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie (StANT V), München 1961, 61–68. 58 Vgl. DORMEYER, Weisheit, 169. Er untersucht primär Vorkommen und Verhältnis von Weisheit und Philosophie in der Apostelgeschichte, besonders anhand von Apg 6,18,1a und Apg 17,16-34. 59 Vgl. BIHLER, Stephanusgeschichte, 29. 60 HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 185–186. Er leitet primär aus den Anklagen und dem Prozess gegen Stephanus dessen theologische Positionen ab, weniger aus seiner Rede. Ähnlich THEIßEN, Hellenisten und Hebräer, 327. Stephanus sei als „geistiger Führer“ primus inter pares des Siebenerkreises und damit Repräsentant des eschatologischen Jerusalem. 61 Neben den genannten Autoren setzt sich auch PETER DSCHULNIGG das Ziel, aus dem Martyriumsbericht Aussagen über Stephanus zu filtern, um daraus das Bild des ersten Märtyrers etwas zu erhellen und mit dem Aussageziel der Rede zu vergleichen. Besonderen Wert auf Stephanus als ersten Märtyrer legt THIESSEN, JACOB, Die Stephanusrede: Apg 7,2-53; untersucht und ausgelegt aufgrund des alttestamentlichen und
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2.2.3 Die Theologie der ‚Hellenisten‘ Als Grundlage für die Untersuchung der Theologie des Stephanus bzw. der ‚Hellenisten‘ werden entweder die Anklagen (Apg 6,11.13-14), die Stephanusrede oder einzelne Aspekte daraus herangezogen. Vor allem wird die Haltung der ‚Hellenisten‘ zu Gesetz und Tempel diskutiert und versucht, eine theologische Verhältnisbestimmung zu den ‚Hebräern‘ bzw. dem ‚damaligen Judentum‘ zu erreichen. Im Großen und Ganzen stehen sich hier zwei Thesen gegenüber: 1. Stephanus und mit ihm die Hellenisten nehmen – im Gegensatz zu den Hebräern – eine liberale Haltung zu Gesetz und Tempel ein, insofern sie deren Öffnung für die Heiden vertreten. Eine tempelkritische Haltung leitet beispielsweise GERD THEIßEN (1996) aus den Anklagen gegen Stephanus ab, gegen den Tempel und das Gesetz zu reden. Zu dieser Deutung gelangt Theißen, indem er Beobachtungen aus dem Text mit Informationen aus der Zeitgeschichte verbindet.62 jüdischen Hintergrundes, Nürnberg 1998. Seine Untersuchungen erfolgen mithilfe eines „historisch-biblischen Ansatzes“ (S. VII) und dem „hermeneutischen Ansatz der Ganzinspiration der Heiligen Schrift“ (S. VIII). Die Theologie des Stephanus und der Hellenisten arbeitet Thiessen hauptsächlich aus der Stephanusrede heraus, die er als historisch gehaltene Rede versteht (S. IX). Selbst wenn diese Arbeit einige interessante vergleichende Analysen mit alttestamentlichen Texten präsentiert, gibt der im Ansatz der Ganzinspiration der Heiligen Schrift implizierte Anspruch, biblische Texte würden absolute Richtigkeit und Wahrheit beinhalten, Anlass zu kritischen Nachfragen. 62 THEIßEN, Hellenisten und Hebräer, 334–336. Möglicherweise sei Stephanus für eine Öffnung des Tempels für Heiden eingetreten, denn dies sei das einzige Delikt, das zur widersprüchlichen Situation zwischen Lynchjustiz und geregeltem Gerichtsverfahren in Apg 6,8-7,1.54-60 passe. Der Tempel bildete nämlich eine Rechtsenklave in der römischen Provinz Judäa, so dass in diesem Fall der Tod dem Übeltäter selbst angelastet wurde im Sinne einer „legal zugelassenen Gemeinschaftsjustiz“. Auch eine implizite Proklamation einer Veränderung des zukünftigen Tempels in eine Art Synagoge wäre historisch möglich, weil es analoge Aussagen im Urchristentum gebe, wie z.B. in Röm 12,1-2; 1 Kor 3,16; Joh 2,14-21; Mk 14,58; 15,38. Eine tempelkritische Haltung sehen auch: ZUGMANN, MICHAEL, „Hellenisten“ in der Apostelgeschichte. Historische und exegetische Untersuchungen zu Apg 6,1; 9,29; 11,20 (WUNT II 264), Tübingen 2009, bes. 295– 377. DSCHULNIGG, Rede des Stephanus, 195–214, bes. 203–204. Gesetzeskritik könne Stephanus allerdings nicht zugeschrieben werden. NEUDORFER, HEINZ-WERNER, The Speech of Stephen, in: MARSHALL, IAN HOWARD/PETERSON, DANIEL (Hg.), Witness to the Gospel: The Theology of Acts, Grand Rapids 1998, 275–294, hier 290–294. Die Theologie der Hellenisten sei durch Offenheit für die Heiden charakterisiert, wie nicht nur die Stephanusrede zeige. Auch die positive Beurteilung von Nicht-Juden im Verlauf der Apostelgeschichte weise darauf hin, dass die Mission der Heiden durch die Hellenisten begonnen habe. So könne hellenistische Theologie auch als „Brücke“ zur paulinischen Theologie bezeichnet werden, insofern die Hellenisten wohl wichtige Teile der ursprünglich aramäischen Jesustradition auf Griechisch überliefert haben (z.B. Röm 3,2526; 2 Kor 5,21).
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2. Die Hellenisten nehmen eine torakonservative und tempeltreue Haltung ein, die in Kontinuität zu Jesus (und damit auch zu den Hebräern) steht. MARTIN HENGEL begründet diese These zum einen mit zeitgeschichtlichen Überlegungen über die ‚Hellenisten‘ in Jerusalem,63 zum anderen mit redaktionskritischen Analysen. So zeige sich insbesondere in den Gegenanklagen des Stephanus (Apg 7,51-53) der Geist gewirkte eschatologische Enthusiasmus des Stephanus, der schon in den Quellen enthalten sei. Dieser führe zu Kritik an Gesetz und Tempel und setze somit die eschatologisch motivierte, torakritische Intention der Botschaft Jesu fort.64 Für GERHARD SCHNEIDER (1979) lässt sich aus dem Konflikt um die Witwenversorgung und aus der Verfolgung der Hellenisten historisch sicher eine torakritische Haltung als Tempelkritik ableiten. Die Gesetzeskritik der Hellenisten stelle eine Verbindung mit Jesus sowie eine Vorläuferrolle der gesetzesfreien Heidenmission des Paulus dar, was redaktionskritische Überlegungen belegen würden.65 Der Ansicht, die Theologie der Hellenisten sei tora- und tempeltreu, folgt in neuerer Zeit auch TERENCE L. DONALDSON (1997). Aus religionshistorischer und -soziologischer Perspektive betrachtet er die Theologie der Hellenisten als innerjüdische Bewegung66 und zeigt anhand ähnlicher Geschichtsrückblicke in jüdischen Strömungen, an Elementen der Mosetypologie und der Prophetenverfolgung,67 dass die „sektiereri63
Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 185. Vgl. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 190–194. Weder aus den Anklagen noch aus der Rede lasse sich viel für die Theologie der ‚Hellenisten‘ ableiten. Aber schon die Quelle, die sich in Apg 7,51-53 niederschlage, zeichne Stephanus als „Paradigma des frühesten urchristlichen, geistgewirkten Enthusiasmus“. In neuerer Zeit stellt auch D. DORMEYER die Aussagen des Stephanus zu Tempel und Gesetz in eine Linie mit Jesu Botschaft. Durch Vergleiche mit der Tempelkritik Jesu und seinen alttestamentlichen Vorgängern sowie mit Kritik griechisch-römischer Philosophen an der Vergöttlichung von Bildwerken kommt er zum Ergebnis, die Stephanusepisode spiegle in religiöser Hinsicht eine frühe judenhellenistische Radikalität, die sich im frühen Christentum allerdings nicht in dieser Art durchgesetzt habe. Vgl. DORMEYER, Weisheit, 169–171. 65 Vgl. SCHNEIDER, Stephanus, 237–240. Zu diesem Ergebnis kommt er vor allem aus redaktionskritischen Gründen, die Zweifel am historischen Aussagewert der Stephanusrede und an den Anklagen gegen Stephanus begründen. In dieser Hinsicht grenzt er sich von Hengel ab, selbst wenn er dessen sonstige Argumentation als weitgehend plausibel beurteilt. 66 Vgl. DONALDSON, TERENCE L., Moses Typology and the Sectarian Nature of Early Christian Anti-Judaism: A Study in Acts 7, in: P ORTER, STANLEY E./EVANS, CRAIG A. (Hg.), New Testament Backgrounds (The Biblical Seminar 43), Sheffield 1981/1997, 230–352, hier 238. 67 Vgl. DONALDSON, Mosetypologie, 245–248. Vgl. 1 QS 1,21-33, Ass.Mos. 5,1-6,1; Dtn 18,15-18; Jer 2,30; Neh 9,26; 2 Chr 36,15f. 64
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sche Polemik“68 der Stephanusrede nicht antijüdisch ist, sondern tief im Judentum wurzelt. 2.2.4 Reflexion über die Frage der Historizität Zeigen schon die bisher genannten Autoren, dass sie einzelnen Textpassagen der Stephanusepisode unterschiedlichen historischen Aussagewert zuschreiben, so reflektieren die im Folgenden vorgestellten Untersuchungen ausführlich über eine dem Text angemessene Perspektive und Erhebung historischer Fakten. Beispielsweise grenzt sich KLAUS HAACKER (1995) entschieden von einem historischen Blickwinkel und von einer unkritischen Ableitung theologischer Positionen des Stephanus aus seinen Anklagen ab. Haacker geht es vielmehr „um etwas mehr Gerechtigkeit für Stephanus und für Lukas in der Rekonstruktion der Geschichte des Urchristentums.“69 Deshalb betrachtet er die Stephanusepisode aus unterschiedlichen Perspektiven, um sie in die Geschichte des Urchristentums einzuordnen. So liest er von der Stephanusepisode im Vergleich mit Apg 3-5 neue gesellschaftliche Faktoren ab, die den Konflikt um die Witwenversorgung erklären könnten.70 Aufgrund von sprachlichen und kontextuellen Untersuchungen sowie Vergleichen mit den Anklagen gegen Jesus und Paulus sieht Haacker in den Anklagen gegen Stephanus Apg 6,11.13-14 keinen historischen Aussagewert bezüglich theologischer Positionen des Stephanus.71 Auch die Stephanusrede wertet er zur Frage nach Gesetz und Tempel mithilfe ihres näheren und weiteren Kontextes und Vergleichen mit anderen Reden der
68
Vgl. DONALDSON, Mosetypologie, 234–245. Auf der Basis verschiedner Konzepte, die Einheit und Verschiedenheit des Judentums zwischen 200 v. Chr. und 100 n. Chr. zu verstehen, definiert er „sektiererische Polemik“ mit zwei Merkmalen: (1) „ÜberrestMentalität“, d.h. eine strikte Trennung zwischen Gerechten und Sündern in Israel; (2) Exklusivismus, d.h. alle außerhalb der Sekte, besonders Jerusalemer Einrichtungen, haben sich mit den Sündern verbunden und stehen darum außerhalb der Grenzen der wahren Gemeinschaft. 69 HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1519. 70 Vgl. HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1520. Der Konflikt um Stephanus sei der Beginn einer „neuen Phase im Verhältnis der Urkirche und jüdischen Umwelt“, die durch eine Verschlechterung der Beziehungen gekennzeichnet sei. Da sich unter anderem die Haltung des lao,j verändert habe, entstehe aus dem bisherigen Konflikt zwischen frommen Laienbewegungen und der Jerusalemer Oberschicht nun eine Konfrontation zwischen einer ausgegrenzten Minderheit und der Mehrheit der judäischen Bevölkerung samt ihrer Führung. 71 Vgl. HAACKER, Stellung des Stephanus, 1520–1530. Anlass der explizit als Verleumdung bezeichneten Anklagen seien nämlich Elemente der Jesusüberlieferung, die nicht nur in bestimmten Teilgruppen der Urgemeinde tradiert wurden.
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Apostelgeschichte sowie dem zu beobachtenden „Leitwortstil“72 aus.73 Ähnlich untersucht Haacker die Gegenanklagen des Stephanus in Apg 7,51-53 und kommt zum Ergebnis, die Besonderheit der Stephanusrede – gegenüber anderen Reden der Apostelgeschichte – sei der typologische Rückgriff auf das Alte Testament gegenüber dem pauschalen Hinweis auf den Plan Gottes. Demnach zeichne sich Stephanus nicht durch seine theologische Position aus, sondern sein argumentatives Mittel, das ihn als einen auszeichne, der an Weisheit und Geist überlegen sei.74 Da sich theologisch kritische Positionen des Stephanus bzw. der ‚Hellenisten‘ nicht verifizieren lassen, analysiert Haacker den Konflikt um Stephanus, der „eine tiefe Zäsur in den Beziehungen der Urkirche zur übrigen jüdischen Gesellschaft“75 bedeute, sozialpsychologisch mit Hilfe der „Frustrations-Aggressions-Hypothese“ von Dollard/Miller u.a. (1939-1941).76 Dieser sozialpsychologischen Hypothese setzt Haacker allerdings als einzige Erklärung eine teleologische Geschichtstheologie entgegen, die von Paulus gelehrt und von Lukas übernommen worden sei.77 So zeigt sich in Analyse, Methodik und Argumentationsweise von Haacker, dass er text- und kontextorientierte Ansätze anwendet, wenn er die Stephanusepisode in der Geschichte des Urchristentums verortet. HUBERT FRANKEMÖLLE (2006) reflektiert ebenfalls den historischen Aussagewert der Stephanusepisode. Wenn er in Apg 6,1-8,3 Hinweise auf „die vielfältigen Prozesse des langsamen Herauswachsens der christusgläubigen Juden aus der pharisäischen Richtung bzw. der gegenseitig wachsenden Entfremdung dieser beiden jüdischen Glaubensrichtungen“78 72
HAACKER, Stellung des Stephanus, 1537. Zitiert hier BUBER, MARTIN, Leitwortstil in der Erzählung des Pentateuchs, in: DERS., Werke 2. Bde. Schriften zur Bibel, München/Heidelberg 1964, 1131–1149. 73 Vgl. HAACKER, Stellung des Stephanus, 1535–1539. Da das Gesetz nicht relativiert werde, sei Stephanus nicht als Vorläufer des Paulus zu betrachten, der sich mit seiner Relativierung des Gesetzes zur Position des Stephanus bekehrt habe. 74 Vgl. HAACKER, Stellung des Stephanus, 1540–1542. Als Beispiele für Missionsreden nennt er Apg 2,23-32; 4,11; 13,27. 75 Beide Zitate: HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1544. Ergänzung durch Heike Braun. 76 Vgl. HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1547–1548. Die Motivation zur formellen Kriminalisierung des Stephanus vor dem Synedrium könnte durch die verschärften Spannungen zwischen der Jesusbewegung und der jüdischen Umwelt im Milieu des hellenistischen Diasporajudentums in Jerusalem erklärt werden. 77 Vgl. HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1548. Sollte Paulus durch Stephanus theologisch vorbereitet worden sein, dann am ehesten von dieser Geschichtstheologie her, da sie auch im vergeblichen Zeugnis vor Juden einen Teil der zielstrebigen Geschichtslenkung Gottes sehe. Paulus könnte diese Überzeugung an der Geschichte des Stephanus gewonnen haben. 78 FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 241.
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entdeckt, verwendet er den Text ebenfalls als Quelle historischer Informationen über die Entstehung des frühen Christentums und gelangt zum Teil zu ähnlichen Ergebnissen wie oben genannte Untersuchungen.79 Der entscheidende Unterschied zu diesen liegt allerdings darin, dass Frankemölle seine Perspektive auf die Stephanusepisode ausdrücklich reflektiert. Selbst wenn er autororientiert den Text und seinen geschichtlichen Kontext in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen – für ein historisch orientiertes Buch – stelle, sei er sich bewusst, dass die neutestamentlichen Texte „nicht objektiv die Wirklichkeit ‚an sich‘ wiedergeben, sondern eine gedeutete und gesellschaftlich bedingte Konstruktion der Wirklichkeit.“80 Darüber hinaus sei seine eigene Lektüre ebenfalls von ihm als empirischem Leser subjektabhängig. 2.3 Die Stephanusepisode als literarische und theologische Komposition In Anknüpfung an das wachsende Interesse an der schriftstellerischen Leistung von Lukas innerhalb der redaktionskritischen Phase wird die Stephanusepisode immer stärker als literarischer und theologischer Text betrachtet. Zwar wird dabei häufig an quellen-, traditions- und redaktionskritische Analysen angeknüpft, aber der Schwerpunkt auf die Komposition des Lukas und die darin enthaltenen theologischen Aussagen gelegt. Oft werden Einzelaspekte fokussiert, die aber meist nicht isoliert untersucht werden, sondern innerhalb ihres näheren oder weiteren literarischen und theologischen Kontextes der Apostelgeschichte bzw. des gesamten lukanischen Doppelwerks. Primär finden sich hier Studien zur Stephanusrede oder ihrem Bezug zu den Anklagen Apg 6,11.13-14. Außerhalb der Rede scheint vor allem die Vision des Stephanus Apg 7,55-56. von Interesse zu sein. Einige Autoren thematisieren vor dem Hintergrund ihrer Untersuchungen zu theologischen Aussagen der Stephanusepisode auch die Rolle ‚der Juden‘ bzw. ‚des Judentums‘ oder das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum im lukanischen Doppelwerk. 2.3.1 Die Vision des Stephanus Den Höhepunkt der Stephanusepisode sieht RUDOLF PESCH (1966) in der Vision des Stephanus (Apg 7,55-56), die er im Gesamtzusammenhang der Stephanusperikope und der gesamten Apostelgeschichte deuten möchte.81 79
Vgl. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 242–248. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 223. 81 Vgl. PESCH, RUDOLF, Die Vision des Stephanus. Apg 7,55-56 im Rahmen der Apostelgeschichte (SBS 12), Stuttgart 1966, 24. Er stellt als Grundlage verschiedene Deutungsversuche im Lauf der Forschungsgeschichte vor und bewertet sie kritisch. Als Lücke darin entdeckt er die Deutung der Vision im Gesamtzusammenhang der Stephanusperikope und der ganzen Apostelgeschichte. Vgl. dazu EBD., 9–23. 80
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Unter der Prämisse, Lukas gehe es weniger um die Darstellung eines Märtyrerschicksals, sondern vielmehr um die Funktion des Stephanus als literarische Gestalt im Prozess der Heilsverkündigung, stellt er die These auf, die Stephanusepisode sei eine heilsgeschichtliche Wende.82 Aus der Untersuchung der Vision im Kontext der Stephanusepisode, der Apostelgeschichte sowie unter Berücksichtigung von Lk 12,8-9 und Parallelen in der AssMos 10,3 und Jes 3,13 LXX83 entwickelt Pesch den Auslegungsvorschlag, die Vision markiere den Selbstausschluss der Jerusalemer Juden von der Verkündigung des Evangeliums, d.h. zugleich vom Heil, und damit den Übergang der Verkündigung von den Juden zu den Heiden.84 Die Gestalt des Stephanus darin habe prophetische Funktion.85 FRANZ MUßNER (1975) untersucht ebenfalls die Vision Apg 7,55 und das in Apg 7,56 formulierte Kerygma im Zusammenhang der ganzen Stephanusepisode nach ihrer lukanischen Schlussredaktion.86 Anhand einer Analyse der Vision im Zusammenhang von Apg 6,11.13-14 und Apg 7,445087 grenzt er sich von der Deutung der Stephanusepisode als ‚Wende von der Juden- zur Heidenmission‘ ab. Diese Meinung untermauert Mußner durch kontextuelle Untersuchungen88 und Vergleiche mit diversen Gerichtsaussagen in der Apostelgeschichte, die dem Stil alttestamentlicher Propheten entsprechend bei unterlassener Umkehr Gericht ankündigen, 82 Vgl. PESCH, Vision, 27–29. Apg 6,15 bestätige nämlich als Ausdruck einer geistgewirkten Befähigung die Rede vorwegnehmend, und Apg 7,55 sei dann die natürliche Fortsetzung von Apg 6,15. Weiterhin sei an den Bekenner- und Verleugnerspruch Lk 12,8.9 zu erinnern, der in Apg 7,55 erfüllt werde. Vgl. EBD., 35–36. 83 Vgl. PESCH, Vision, 48–58. Besonders betrachtet er den Bezug zu Apg 7,51-53 und zum weiteren Kontext Apg 1,8; 9,1ff; 22,6ff; 26,1ff. 84 Vgl. PESCH, Vision, 38, 60–62. Ein Hinweis darauf liege darin, dass die Zerstreuung bis nach Samaria schon vor dem Begräbnis des Stephanus erwähnt und Saulus, der später das Evangelium bis ans Ende der Erde tragen wird, bereits in 7,58 eingeführt werde. Die interessante Beobachtung einer ‚Wende‘ birgt m.E.n. allerdings auch die Gefahr, der Stephanusepisode und dem lukanischen Doppelwerk antijudaistische Tendenzen vorzuwerfen, besonders wenn von einem ‚Selbstausschluss der Jerusalemer Juden vom Heil‘ gesprochen wird. Die Betrachtung des Stephanus mit prophetischer Funktion wird in dieser Arbeit aufgegriffen und weiter untersucht. 85 Vgl. PESCH, Vision, 60–62. 86 Vgl. MUßNER, Wohnung Gottes, 283. 87 Vgl. MUßNER, Wohnung Gottes, 286–288. Den Zusammenhang von Apg 6,11.1314; 7,44-50 und 7,55-56 beschreibt er als „Bogen“. Darin werde deutlich, dass die Idee von der Wohnung Gottes der verbindende Topos der Stephanusperikope sei und damit vor allem die Frage nach dem jetzigen ‚Ort‘ Gottes gestellt werde, die in 7,55-56 eine Antwort finde. Alttestamentliche Beispiele: 1 Kön 8,11; 2 Chron 5,14; Ez 8,1-3; 10,4; 43,4-5. 88 Vgl. MUßNER, Wohnung Gottes, 289–292. Die Judenmission gehe nämlich nach dem Tod des Stephanus bis zur Ankunft des Paulus in Rom weiter (Apg 14,1; 17,12; 21,20).
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aber zugleich zeigen, dass dem Gericht Heil folgt. Seiner Ansicht nach verdeutlicht Lukas vielmehr die Mittlerstelle Israels und die Kontinuität der Heilsgeschichte.89 Bei dieser Wahrnehmung der Stephanusepisode in ihrem literarischen und theologischen Kontext argumentiert Mußner autorzentriert und traditionsgeschichtlich, wenn er z.B. die Stephanusepisode als kerygmatische Aussage versteht, in der sich die theologische Haltung des Heidenchristen Lukas niederschlage, die auf das hellenistische Judenchristentum zurückgehe.90 In jüngster Zeit fragt NICOLE CHIBICI-REVNEANU (2007) speziell nach der besonderen Bedeutung des ‚Stehens‘ des Menschensohnes in Apg 7,55-56 angesichts des sonst ausgeformten Motivs der sogenannten ‚sessio ad dexteram‘.91 Dabei bezieht sie nicht nur den unmittelbaren Kontext der Stephanusepisode in ihre Überlegungen ein, sondern auch intertextuelle Bezüge, wie z.B. die von Apg 6,11-7,1; 7,54-60 zur Passion Jesu, und darüber hinaus eine Reihe deuterokanonischer Texte. Da einige ihrer Ergebnisse im Laufe dieser Arbeit rezipiert werden, sei hier lediglich auf zwei Besonderheiten aufmerksam gemacht: (1) Als entscheidendes Kriterium der Bewertung aller aufgeführten Deutungsmöglichkeiten des ‚Stehens des Menschensohnes‘ betrachtet Chibici-Revneanu die Frage, ob die Rezipienten des Textes die jeweiligen Aussagen bzw. Anspielungen verstehen können.92 (2) Die Analogien zwischen dem Martyrium des Stephanus und der Passion Jesu werden nicht nur hinsichtlich Stephanus befragt, sondern auch hinsichtlich des hier vermittelten Bildes von Jesus.93
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Vgl. MUßNER, Wohnung Gottes, 292–296. Neben Gerichtsaussagen an das Volk Israel finden sich in der Apostelgeschichte Gerichtsankündigungen an Einzelpersonen (Apg 12,23; 13,11) sowie Hinweise auf das Endgericht über die ganze Welt (Apg 10,42; 17,31; 28,17ff.), von denen ebenso wenig eine Verwerfung Israels abgeleitet werden könne. 90 Vgl. MUßNER, Wohnung Gottes, 297–299. 91 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, NICOLE, Ein himmlischer Stehplatz: Die Haltung Jesu in der Stephanusvision (Apg 7.55-56) und ihre Bedeutung, in: NTS 53 (2007) 459–482, hier 459. 92 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 471. Als Ergebnis hält sie fest: „Die ‚statio ad dexteram‘ in Apg 7,55-56 konnte wohl als bewusste Verfremdung der ‚sessio‘ aufgefasst werden, mit deren Hilfe das Motiv der Throngemeinschaft um ein märtyrerchristologisches Moment erweitert werden sollte.“ (EBD., 459). Die Formulierung dieses interessanten Ergebnisses gibt trotz der Beachtung der Rezipienten Anlass zur Fragen, ob hinter der Rede von einer ‚bewussten Verfremdung‘ die Annahme eines (empirischen) Autors steht. 93 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 483–487.
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2.3.2 Die Stephanusrede In etlichen Betrachtungen der Stephanusrede im Rahmen der Reden innerhalb der gesamten Apostelgeschichte werden häufig ihre Besonderheiten im Vergleich zu anderen Reden aufgezeigt. Von großem Interesse ist weiterhin die Frage nach den in der Stephanusrede enthaltenen Hauptthemen und nach der Sicht der Geschichte Israels.94 2.3.2.1 Hauptthemen Bei der Untersuchung der Stephanusrede unter theologischer Perspektive steht häufig die Suche nach einer Hauptaussage oder mehreren zentralen Aussagen und Leitlinien im Vordergrund. JOSEF ZMIJEWSKI (1986) geht zwar von der traditionskritischen Annahme eines heilsgeschichtlichen Credos (K. KLIESCH) als Vorlage der Rede aus (s.o.), betont aber dennoch, sie sei insgesamt lukanische Komposition. Bei der Analyse der theologischen Inhalte kombiniert Zmijewski literarund quellenkritische Erkenntnisse, philologische und kontextuelle Argumente sowie Vergleiche mit alttestamentlichen Texten95 und arbeitet auf diese Weise zwei Hauptintentionen der Stephanusrede heraus: (1) den Nachweis der (positiven) heilsgeschichtlichen Kontinuität zwischen Israel und der Kirche (bis in die christliche Gegenwart) und (2) die Distanzierung vom Judentum, das sich dem Heiligen Geist widersetzt, also auch die negative Kontinuität der Juden zur Zeit des Lukas mit den ungehorsamen Vätern Israels.96 Während sich Zmijewski ausdrücklich an schon erarbeitete literar- und quellenkritische Untersuchungen anlehnt, betont H. ALAN BREHM (1997), die Stephanusrede samt Apg 7,51-53 sei eine Einheit mit dem Hauptthema ‚Kritik an den jüdischen Führern‘, insofern sie Jesus und Stephanus verwerfen (7,51) und das Gesetz missachten.97 Diese Thesen belegt Brehm 94
Häufig wird auf die besonders vielen Bezüge zu alttestamentlichen Texten aufmerksam gemacht. Nach der Funktion der Stephanusreden in der Apostelgeschichte fragt beispielsweise SOARDS, MARION L., The Speeches in Acts: Their Content, Context, and Concerns, Louisville KY 1994. SOARDS, MARION L., The Speeches in Acts in Relation to Other Pertinent Ancient Literature, in: ETL 70 (1994) 65–90. Im Rahmen eines Vergleichs mit anderen Reden, besonders den sog. Missionsreden, wird die Stephanusrede schon erwähnt bei: WILCKENS, ULRICH, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Formund traditionsgeschichtliche Untersuchungen (WMANT 5), Neukirchen 31974. PLÜMACHER, ECKHARD, Die Missionsreden der Apostelgeschichte und Dionys von Halikarnass, in: NTS 39 (1993) 161–177. 95 Vgl. ZMIJEWSKI, Stephanusrede, 99–121. 96 Vgl. ZMIJEWSKI, Stephanusrede, 121. Für Einzelergebnisse vgl. EBD., 103–121. 97 Vgl. BREHM, Vindicating, 273–274. Er spricht sich gegen eine Rekonstruktion einer Theologie der Hellenisten aus, die mit ihrer Gesetzes- und Tempelkritik die charakteristische Form des Christentums verkörpere, das in Antiochia wurzle und das einen Kontrast
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mithilfe der Analyse von neun Summarien der Geschichte Israels (z.B. Neh 9,6-37) als traditionsgeschichtlichen Hintergrund der Stephanusrede. Daran zeigt er, dass die Rede verschiedene Themen aus dem Alten Testament und der Literatur des zweiten Tempels kombiniert sowie auf die prophetische Kritik an den Israeliten wegen ihres Ungehorsams anspielt.98 Auch bei der Untersuchung von Einzelelementen der Stephanusrede bezieht Brehm alttestamentliche Texte als traditionsgeschichtliche Hintergründe ein.99 Daraus leitet Brehm das Ergebnis ab, die Stephanusrede sei eine Verteidigung gegen die Anklagen in Apg 6,11.13-14.100 2.3.2.2 Geschichte Israels Aufgrund ihres langen Geschichtsabrisses wird die Stephanusrede auch im Hinblick auf die lukanische Sicht der Geschichte Israels untersucht. In umfassender Weise widmet sich dieser Thematik beispielsweise JOACHIM JESKA (2001), der sich in seiner Monographie „Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas: Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels“ zum Ziel setzt, alle antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels (SGI) systematisch zu untersuchen, um eine hinreichend gesicherte Basis für die Analyse und Interpretation von Apg 7 und Apg 13 zu erhalten.101 Damit steht er Forschungen nahe, die längere Ausführungen zu antik-jüdischen Summarien der Geschichte Israels liefern und dabei die traditionsgeschichtliche Frage mit der Rückfrage nach Aufbau und Funktion der jeweiligen SGI verbinden.102 Neu ist neben zur judaisierenden Jerusalemer Gemeinde darstelle. Gegen diese Annahme sprechen für ihn Apg 6,9, die Bezeichnung »falsche Zeugen« in Apg 6,13-14 und das Fehlen von Blasphemie, Mose- und Tempelkritik als angebliche Hauptthemen der Rede. 98 Vgl. BREHM, Vindicating, 271–276. Der motivische Vergleich mit neun Summarien der Geschichte Israels und mit anderer jüdischer Literatur belege die Einheit der Rede, insofern einige Motive durchwegs vorkommen, andere Elemente nur in einigen Summarien, und insofern das Muster „Summarium der Geschichte Israels“ für verschiedene Ziele und Intentionen verwendet werde. Ein direkter Einfluss der Summarien der Geschichte Israels auf Apg 7 dürfe allerdings nicht angenommen werden. 99 Vgl. BREHM, Vindicating, 287–288, 290–297. Beispielsweise untersucht er Am 5,25-27; 2 Chr 36,13-16 u.a. in ihrem Kontext, um sie für das Verständnis einzelner Passagen der Stephanusrede auszuwerten. 100 Vgl. BREHM, Vindicating, 297. Die Rede kritisiere nicht nur die Verwerfung der von Gott gesandten Boten durch die Väter und die jüdische Führerschaft, sondern behaupte implizit, Gott rechtfertige diese Boten. 101 Vgl. JESKA, JOACHIM, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas: Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels (FRLANT 195), Göttingen 2001, 13. 102 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 33–44. Er ordnet seine Arbeit selbst in die Nähe von Earl Richard, Marion L. Soard oder Alan H. Brehm ein. Ähnlichkeiten habe seine Untersuchung außerdem mit Rainer Storch, Peter Dschulnigg und Clark Howard Klee,
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der ausführlichen systematischen Untersuchung der antik-jüdischen SGI die Frage nach der Funktion der Einzeltexte in ihren näheren und weiteren Kontexten sowie nach der schriftstellerischen und theologischen Leistung des Lukas.103 So arbeitet Jeska durch einen Vergleich mit biblischen „Leittexten“ und antik-jüdischen SGI das besondere Profil der Vergangenheitsdarstellungen und Aktualisierungen von Apg 7 heraus und formuliert vor dem Hintergrund der Funktion von Apg 7 in seinem Kontext eine mögliche programmatische Funktion für das Geschichtskonzept des lukanischen Doppelwerkes:104 Die Stephanusrede diene zur Vorbereitung und Legitimierung der Universalisierung der Christus-Botschaft und damit der Abrahamskindschaft. Als solche habe Lukas sie bewusst an den Anfang einer neuen Phase seines Werkes gestellt, wie Jeska aus autororientierter Perspektive formuliert.105 Das lukanische Verständnis der Geschichte Israels im Mund des Stephanus zu untersuchen, ist auch das Ziel von ODA WISCHMEYER (2006), die die Grundannahme vertritt, dass die Rede eine Komposition des Lukas die ausführlich nach Aufbau und Funktion von Summarien der Geschichte Israels (SGI) fragen. Von ausschließlich traditionsgeschichtlichen Ansätzen, z.B. Traugott Holtz oder Klaus Kliesch, grenzt er sich ab. 103 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 115–118. Jeska verneint traditionsgeschichtliche Linien für die Argumentationsform des SGI insgesamt oder sogar Abhängigkeiten zwischen einzelnen SGI. Vielmehr seien SGI sowohl auf der Ebene der erzählten Welt als auch auf der Ebene der Komposition der ganzen Schrift immer tendenziös und spiegelten einen selektiven und kreativen Umgang mit den Traditionen und immer neu aktualisierenden Rezeptionen der Geschichte. Deswegen könne man von einem SGI aus auch nach dem Konzept einer ganzen Schrift und dem Standort des Verfassers fragen. Jeska zeigt, dass SGIs sich in der Regel aus einem Geschichtsrückblick und Aktualisierungen zusammensetzen. Indem letztere meist die zentralen Punkte des Rückblicks zusammenfassen, dienen sie dazu, die Auswirkungen der summarisch dargebotenen Geschichte auf die Gegenwart zu verdeutlichen. Demnach werde Geschichte in einem SGI nie funktionslos überliefert, was auch der häufige Perspektivenwechsel von Solidarisierung und Distanzierung zeige. 104 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 154–155. Zur Analyse von Apg 7, bei der Jeska jeweils zentrale Motive der einzelnen Abschnitte des SGI herausstellt vgl. EBD., 156– 189. Zur Funktion für den Mikrokontext Stephanusepisode vgl. EBD., 189–193. Zur Funktion für das lukanische Doppelwerk vgl. EBD., 194–213. Einzelne Ergebnisse von Jeskas Untersuchungen werden auch im Laufe der vorliegenden Arbeit an geeigneter Stelle aufgenommen. 105 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 265–267. In historischer Hinsicht ist Jeska der Ansicht, das Einbeziehen antik-jüdischer SGI in die Interpretation von Apg 7,2-53 trage zwar zur Erforschung der Geschichte des Urchristentums bei, könne aber nicht für die Theologie der Hellenisten herangezogen werden, sondern gebe ausschließlich Aufschluss über Theologie und Geschichtsdenken des Lukas. Trotz dieser wertvollen Untersuchungen stellt sich dennoch die Frage nach dem zugrundeliegenden Verständnis vom ‚Autor‘.
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ist, in der Lukas signifikante Aspekte seiner eigenen Konzeption der Geschichte Israels als Basis für das Verständnis der Geschichte Jesu skizziert.106 Aufgrund struktureller und inhaltlicher Vergleiche der Stephanusrede mit kanonischen, deutero- und außerkanonischen Geschichtssummarien107 zeigt Wischmeyer, dass das Spezifikum der lukanischen Geschichtsdarstellung darin liegt, dass das deuteronomistische Muster in eine neue christliche Sicht von Geschichte eingefügt werde.108 Indem Jeska und Wischmeyer die Stephanusrede als Teil eines umfassenderen literarischen und theologischen Kontextes kanonischer, deuterokanonischer und außerkanonischer Summarien der Geschichte Israels analysieren,109 erweitern sie die Interpretationsmöglichkeiten der Stephanusrede erheblich. Dabei erweist sich ihre textzentrierte Arbeitsweise allerdings zugleich als deutlich autororientierter Ansatz. 2.3.3 Die Bedeutung des Tempels Von großem Interesse ist weiterhin die Tempelthematik innerhalb der Stephanusrede. So ist beispielsweise für MICHAEL BACHMANN (1999) die Frage, ob der Verfasser der Apostelgeschichte den Tempel positiv oder negativ betrachtet, für das ganze lukanische Werk und dessen Auffassung des Judentums relevant.110 Um eine Antwort aus der Tempelthematik in der 106 Vgl. WISCHMEYER, ODA, Stephen’s Speech before the Sanhedrin Against the Background of the Summaries of the History of Israel, in: CALDUCH-BENAGES, NURÍA/ LIESEN, JAN (Hg.), History and Identity. How Israel’s Later Authors Viewed Its Earlier History (DCLY 2006), Berlin/New York 2006, 341–358, hier 341–343. Zwar geht Wischmeyer im Anschluss an Hengel davon aus, dass Lukas die Bedeutung der Hellenisten für das frühe Christentum ‚wahrheitsgetreu‘ beschreibt, lässt aber zugleich offen, in welchem Umfang der Geschichtsabriss der Stephanusrede den Inhalt der historischen Rede liefert. 107 Vgl. WISCHMEYER, Stephen’s Speech, 348–353. 108 Vgl. WISCHMEYER, Stephen’s Speech, 354–355. Ihre ausführlichen Untersuchungen führen zu aufschlussreichen Ergebnissen. Beispielsweise versteht Wischmeyer die Stephanusrede als Ausdruck der kritischen Trennung der Christengemeinde von der Geschichte Israels als kollektive und uniform interpretierte Geschichte ‚unserer Väter‘ sowie zugleich als Zeugnis des Beharrens auf die eine Geschichte Gottes mit seinem Volk (348–351). Auch VAN DE SANDT, HUUB, Why is Amos 5,25-27 quoted in Acts 7,42f.?, in: ZNW 82 (1991) 67–87, untersucht die lukanische Geschichtsdarstellung mit dem Ziel zu zeigen, dass die alternative Historiographie des Lukas in Apg 7,38-44 von seinem Studium und seiner Neuinterpretation der Septuagintaversion des Alten Testaments herrührt. 109 Aufgrund dieses Kontextes, in den Jeska und Wischmeyer die Stephanusepisode stellen, könnten ihre Untersuchungen auch unter I, 2.4 aufgeführt werden. Allerdings ordnen sich die dort genannten Autoren deutlicher narrativen Ansätzen zu. Hier sieht man also die fließenden Übergänge zwischen der kompositionskritischen zur erzählanalytischen Fragerichtung. 110 Vgl. BACHMANN, MICHAEL, Die Stephanusepisode (Apg 6,1-8,3). Ihre Bedeutung für die lukanische Sicht des jerusalemischen Tempels und des Judentums, in: VERHEY-
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Stephanusrede zu finden, betrachtet er sie aufgrund von redaktionsgeschichtlichen Gesichtspunkten in ihrem gesamten Kontext, insbesondere der Vision. Darüber hinaus bezieht er diachrone Daten in seine Überlegungen mit ein.111 Als Ergebnis hält Bachmann fest, Lukas respektiere den Jerusalemer Tempel als gottgewollte Institution durchaus, sehe aber auch die Möglichkeit, den Tempel falsch zu verstehen und damit zu missbrauchen. Weder darin noch in der Darstellung des Auferweckten als des erhöhten Fürsprechers liege Antijudaismus.112 Vielmehr könne die Stephanusrede vor dem Hintergrund des deuteronomistischen Schemas vom gewaltsamen Prophetengeschick als Fortsetzung einer innerjüdischen Argumentation gelesen werden. Bachmann kommt also zu einem ähnlichen Ergebnis wie Mußner, stellt aber die Tempelthematik stärker in den Mittelpunkt seiner Arbeit.113 Auch HUUB VAN DE SANDT (2004) findet in der Stephanusrede keine grundsätzliche Ablehnung des Tempels, sondern Kritik an einem missverstandenen Umgang mit dieser Institution. Zu diesem Ergebnis kommt er, wenn er nach dem zugrunde liegenden Hauptthema von Apg 7,44-50 fragt. Entscheidend dafür sei, die Bedeutung der Juxtaposition der Heiligtümer skhnh, und oi=koj sowie die Bedeutung von skh,nwma und dessen Verhältnis zu tw/| oi;kw| VIakw,b114 zu erheben. Da vor allem Texte aus der Septuaginta konstituierende Komponenten von Apg 7,44-50 seien, analysiert van de DEN, JOSEPH
(Hg.), The Unity of Luke-Acts (BEThL 142), Leuven 1999, 545–562, hier 545–548. Bezüglich der Frage nach der Einstellung zu den Juden im lukanischen Doppelwerk gebe es zwei konträre Meinungen: während z.B. Haenchen und Sanders eine antijüdische Position entdecken, interpretieren Jervell und Brawley das lukanische Werk projüdisch. 111 Beispielsweise formuliert Bachmann die These, in der Vision des Stephanus gehe es um den himmlischen Tempel und Jesus als priesterlichen Fürsprecher. Dafür führt er diachrone Argumente an und verweist auf die traditionsgeschichtliche Einbettung einiger wichtiger Motive von Apg 7,54ff. Vgl. BACHMANN, Tempel, 554–559. 112 Vgl. BACHMANN, Tempel, 561–562. Dass Lukas davon weit entfernt ist, zeige der Vergebungsruf an den Fürsprecher (Apg 7,60). Auch die Nennung von Judäa und Samaria in Apg 8,1 oder den Blick auf die Heidenchristen sieht Bachmann nicht als Einwand gegen das, was Lk 21,24; Lk 2,36-38 oder Apg 28,20 verdeutlichen. 113 Die Tempelthematik in der Stephanusrede und ihre Einordnung ins Judentum und Judenchristentum in Jerusalem untersucht auch TAYLOR, Eschatology, 62–85. Er betrachtet die Tempelthematik innerhalb eines weiteren Kontextes der frühchristlichen Eschatologie und im Rahmen der lukanischen Einstellung zum Tempel. Neben zeit- und religionsgeschichtlichen Überlegungen, bezieht er auch redaktionskritische Ergebnisse in seine Untersuchungen mit ein. So kommt er zum Ergebnis, Stephanus stehe mit seiner Kritik an Tempel und Kult in Kontinuität mit Jesus und entspreche somit auch den Ansichten der palästinischen Hebräer und hellenistischen Christen der Diaspora. Vgl. EBD., 84–85. So kann auch Taylor keine absolute Verwerfung des Tempels feststellen. 114 Vgl. VAN DE SANDT, HUUB, The Presence and Transcendence of God: An Investigation in the Light of the LXX, in: ETL 80 (2004) 30–59, hier 30–35.
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Sandt die relevanten Passagen sprachlich und inhaltlich sowie in ihren ursprünglichen Kontexten, bevor er aufzeigt, wie Lukas diese miteinander für seine Aussageabsicht verbindet.115 So liegt die Besonderheit von van de Sandts Arbeit wohl primär in diesen exakten und umfassenden Untersuchungen alttestamentlicher Intertexte in ihrer Septuaginta-Fassung. Dadurch misst er nicht nur dem unmittelbaren Kontext der Stephanusepisode im Rahmen der Apostelgeschichte, sondern darüber hinaus sogar im Kontext neutestamentlicher Texte als Teil der christlichen Bibel entscheidende Bedeutung bei. Zugleich fragt er nach der Funktion der analysierten Textstelle innerhalb der Apostelgeschichte und der Theologie des Lukas116 und kombiniert diese biblische Betrachtung des Textes mit einer Einbettung in den historischen Hintergrund des Textes.117 2.4 Die Stephanusepisode als Teil lukanischer Geschichtserzählung Wird das lukanische Doppelwerk als Erzählung verstanden, in der (von Lukas) eine Welt mit eigener Logik entworfen wird, wird weniger die Rekonstruktion theologischer Gedanken des Lukas fokussiert als vielmehr die erzählte Welt mithilfe narrativer Analysen nachgezeichnet.118 Dementsprechend wird auch die Stephanusepisode als Teil dieses Erzählkontextes betrachtet und häufig mittels literaturwissenschaftlicher Ansätze untersucht. Darüber hinaus wird die Stephanusepisode in breitere Kontexten antikhellenistischer und -jüdischer Literatur eingeordnet, und die hermeneutisch-methodischen Ansätze werden entsprechend erweitert. Auch bei diesen Untersuchungen von Apg 6,1-8,3 als Erzählung wird oft die Frage nach dem darin vermittelten Bild vom Judentum bzw. vom Verhältnis zwischen Judentum und Christentum gestellt. 115
Für Apg 7,38b-43 zieht er Dtn 4,1-28 und Am 25,25-27 heran, für Apg 7,44 vor allem Ex 33,7-11.12-17. Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 35–42. Für Apg 7,45 sei besonders 2 Sam 7,1-7 konstitutiv, daneben aber auch 2 Sam 8,10.13-20; 6,17; Dtn 12,10-11; Jos 18,1; 19,51; 23. Vgl. EBD., 42–47. Im Hintergrund von Apg 7,46 könne Ps 131,1-5 (LXX) stehen, daneben 2 Sam 7,1-17; Ex 33,12-17; 1 Kön 6,1-2.14; 8,9-20; Jes 66,1c. Vgl. EBD., 47–53. Für Apg 7,47-50 kommt vor allem Jes 66,1-2a (4) in den Blick. Vgl. EBD., 53–56. 116 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 58–59. Auch im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte gelte der Himmel als Wohnort Gottes. Da am Ende der Stephanusepisode schrittweise die universale Ausbreitung des Evangeliums beginne (Apg 8,1-3), markiere sie einen wichtigen Übergang hin zur Mission außerhalb Jerusalems bis zu den Heiden. Diese Ausführungen zeigen ebenfalls die fließenden Übergänge zwischen kompositionskritischen Ansätzen und dezidiert narrativen Analysen. 117 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 58. Die lukanische Idee der göttlichen Transzendenz passe dazu, dass zur Zeit des Lukas der Tempel in Jerusalem bereits von den Römern zerstört worden sei. 118 Vgl. EISEN, Poetik, 40.
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2.4.1 Die Stephanusepisode im Kontext des lukanischen Doppelwerks GÜNTER WASSERBERG (1998) fragt beispielsweise nach dem Bild des Judentums im lukanischen Doppelwerk. Er ist der Meinung, Lukas lege das christliche Heilsgeschehen als die universale Erfüllung jüdischer Heilsverheißung aus, so dass der lukanische Entwurf christlicher Heilsgeschichte eine Interpretation von Judentum sei.119 So will Wasserberg „in Anlehnung an den narrative bzw. literary criticism gerade die von Lukas erzählte Welt untersuchen und darstellen“120, um auf diese Weise Lukas und seine Adressatenschaft in ihrem Selbstverhältnis gegenüber jüdisch-biblischer Überlieferung und Synagogengemeinschaft zu erfassen. Da von dort aus Rückschlüsse auf die realhistorische Situation der lukanischen Christen gezogen werden sollen, bediene sich die Arbeit auch des historischkritischen Methodenkanons.121 Unter vielen anderen Texten des lukanischen Doppelwerks widmet sich Wasserberg auch der Stephanusepisode122 und betrachtet sie als „Einleitung der ersten großen Wende in der Apostelgeschichte“123. Als Teil des lukanischen Erzählwerks betrachtet auch HEINER GANSERKERPERIN (2000) die Stephanusepisode innerhalb seiner Untersuchung zur Bedeutung des Tempels im lukanischen Doppelwerk, von der unter anderem auf die Darstellung des Verhältnisses zwischen Judentum und Christentum geschlossen werden könne. Ganser-Kerperin sieht hier nämlich zum einen die theologische Frage nach dem Verhältnis von Israel und Kirche aufgeworfen, zum anderen die historische Frage nach den Auswirkungen der Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr., die als positiver Anreiz für die literarische Gestaltung des Tempelmotivs im lukanischen Doppelwerk fungiert habe.124 Insofern im lukanischen Erzählwerk Übergang und Verhältnis von jüdischer, jüdisch-christlicher und heidnisch-christlicher Kultur reflektiert würden und dabei der Tempel eine zentrale Rolle spiele, zielt Ganser-Kerperin darauf ab, die verschiedenen erzählerischen Funktionen des Tempels im lukanischen Doppelwerk näher zu beschreiben.125 Als Ansatz wählt er die strukturale Analyse, um unter „pragmatischem Aspekt den 119 Vgl. WASSERBERG, GÜNTER, Aus Israels Mitte – Heil für die Welt. Eine narrativexegetische Studie zur Theologie des Lukas (BZNW 92), Berlin u.a. 1998, 3–4. 120 WASSERBERG, Israels Mitte, 31. 121 Vgl. WASSERBERG, Israels Mitte, 31. 122 Vgl. WASSERBERG, Israels Mitte, 233–255. 123 WASSERBERG, Israels Mitte, 254. Die Universalität des Heils beginne nämlich, sich auf paradoxe Weise zu erfüllen, denn der Widerstand gegen das Evangelium führe nicht zu seinem Ende, sondern bringe es voran bis zur Völkerwelt. 124 Vgl. GANSER-KERPERIN, HEINER, Das Zeugnis des Tempels. Studien zur Bedeutung des Tempelmotivs im lukanischen Doppelwerk (NTA, Neue Folge 36), Münster/ Aschendorff 2000, 24–27. 125 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 28.
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Text als Bestandteil eines kommunikativen Prozesses zwischen dem Autor und seinen Lesern verstehen und beschreiben zu können.“126 Daher werde primär nach der Perspektive des „impliziten Lesers“127 gefragt, die durch den Text selbst rekonstruierbar sei. Weiterhin gehe es darum, die Leserlenkung der ersten Leser zu rekonstruieren, da es sich um einen historisch vorgegebenen Text handle. Entsprechend seiner Zielsetzung fokussiert Ganser-Kerperin nach einer Darstellung des narrativen Zusammenhangs und der narrativen Grundstruktur der Stephanusepisode die Funktion des Tempelmotivs in Apg 6,8-8,1. Dabei bezieht er unter anderem Vergleiche mit anderen Texten des lukanischen Doppelwerks, insbesondere Apg 17,16-34 ein.128 Auch DIETRICH RUSAM (2003) ordnet sich dem literary criticism nach R.C. Tannehill zu, wenn er „nach der Funktion der Schriftzitate und Anspielungen auf einzelne gra,fai im Rahmen des gesamten lk Doppelwerks“129 fragt. Besonders fokussiert er dabei, inwiefern biblische Heilserwartungen durch die Zitierung oder Alludierung im Kontext des lukanischen Doppelwerks uminterpretiert werden. Dienen die Schriften insgesamt nur der Darstellung und Interpretation von Leben, Passion, Auferstehung und Erhöhung Jesu oder soll zugleich den (heidenchristlichen) Zeitgenossen des Lukas gezeigt werden, wie (Heiden-)Christen die jüdischen Schriften lesen sollen?130 Demnach untersucht Rusam mit einem intertextuellen131 und an den Erstadressaten orientierten Ansatz verschiedene Zitate oder Anspielungen auf alttestamentliche Texte. Bei der Frage nach der Bedeutung des no,moj betrachtet Rusam unter anderem die Stephanusrede. Anhand von ausführlichen Gegenüberstellungen entsprechender Verse der Rede mit Intertexten zeigt er, die Schrift diene dazu, die jüdische Hörerschaft auf ihren Gesetzesungehorsam aufmerksam zu machen, ähnlich wie es in vielen anderen Texten des lukanischen Doppelwerks der Fall sei.132
126
GANSER-KERPERIN, Tempel, 30. GANSER-KERPERIN, Tempel, 30. Der implizite Leser sei eine interne Textinstanz im kommunikativen Geschehen der Textlektüre. 128 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 232-262. 129 RUSAM, DIETRICH, Das Alte Testament bei Lukas (BZNW 112), Berlin u.a. 2003, 30. 130 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 31. 131 Den Begriff Intertextualität definiert Rusam in Anlehnung an Kristeva. Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 32–34. 132 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 127–149. 127
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2.4.2 Die Stephanusepisode in weiteren Kontexten TODD PENNER (2004) stellt die Stephanusepisode in den breiten Kontext griechisch-römischer Rhetorik und Historiographie, jüdischer Literatur sowie lukanischer Reden und Erzählabschnitte, wobei er zugleich soziokulturelle Kontexte in seine Überlegungen mit einbezieht. Das Endprodukt seiner umfassenden Untersuchungen bezeichnet er selbst als „a study of both modern scholarly uses of the Hellenist narrative and the Lukan ‘use‘ of the Hellenists read against the Greco-Roman and Jewish literary and sociocultural contexts“133. Penner grenzt sich vom Interesse ab, hinter dem Text historische Fakten über das frühe Christentum zu finden, wie es häufig immer noch der Fall sei.134 Vielmehr versteht er die Apostelgeschichte als narrative, apologetische Geschichtsschreibung bzw. „progymnastic poetics“135, wie er sie auf der Basis seiner Jahre langen Studien nennt. Ausgehend von einer engen Verbindung zwischen der Art, wie wir Texte lesen und der Art, wie Texte geschrieben werden – „a hermeneutical dance of sorts … between text, interpreters, and respective historical and cultural contexts: We are shaped by the text inasmuch as we shape it“136 – kombiniert Penner also Ansätze der Analyse antiker Rhetorik und Historiographie mit modernen literaturwissenschaftlichen Ansätzen, um zu zeigen, dass die epideiktische Rhetorik von Apg 6-7 die Selbstidentität christlicher Leser fokussiert.137 Inner133 PENNER, TODD, In Praise of Christian Origins. Stephen and the Hellenists in Lukan Apologetic Historiography, New York/London 2004, xxxvii. Er kommt zwar von der Religionsgeschichtlichen Schule, geht aber einen eigenen Weg. 134 PENNER, Praise, xxxiii. Vielmehr seien Geschichte und Theologie zwei Seiten desselben Vorhabens der Apostelgeschichte. Ähnlich kritisiert S. MATTHEWS, dass in der Forschung häufig immer noch eine historische Gestalt hinter der Stephanusepisode angenommen werde. Vgl. MATTHEWS, Need fort he Stoning, 125, 127. Die Annahme der Historizität hinter der Erzählung müsse sehr kritisch hinterfragt werden, insbesondere angesichts des christlichen Antijudaismus. So orientiert sich Matthews ebenfalls an der Erzählung der Steinigung, zieht Kriterien der historischen Jesusforschung als Argumente heran sowie Quellen frühchristlicher Literatur und den soziologischen Kontext des Römischen Reiches. Auch CRAIG C. HILL wendet sich gegen generalisierende Schlüsse aus der Stephanusepisode über die Theologie der Hellenisten bzw. der Hebräer als historische Fakten, orientiert sich stark am Text selbst und bedenkt, dass die ‚jüdischen Christen‘ Palästinas im 1. Jh. ein sehr komplexes Phänomen waren, ebenso wie das damalige Judentum. Vgl. HILL, division or diversity?, 129–153. 135 PENNER, Praise, xi. 136 PENNER, Praise, xxvii. 137 Vgl. PENNER, Praise, xi, xxi. Das Verhältnis zwischen der neuen christlichen Gemeinde und den Juden sei eine permanente Interaktion. In jedem Stadium seien die Juden positiv und negativ involviert (S. xix). Fast an jedem Punkt würden die Juden die christliche Bewegung verwerfen, aber ebenso würden sich fast an jedem Punkt Juden anschließen. Lukas behandle jüdische Themen für eine jüdische Hörerschaft.
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halb der Apostelgeschichte, in der Lukas die von den Propheten angekündigte, wachsende Vermischung der neuen christlichen Gemeinde mit den Völkern und deren Integration zeige, würden die ‚Hellenisten‘ ein Stadium dieser Vermischung verkörpern. So behandle das Zentrum von Apg 6-7 mit den Anklagen gegen Stephanus bezüglich Gesetz und Tempel Themen, die in der gesamten Apostelgeschichte zentral seien.138 Einzelne Passagen der Stephanusepisode betrachtet auch MICHAEL FULLER (2006) in einem weiten Kontext, wenn er das exilische Modell der Restauration Israels in frühjüdischer Literatur und im lukanischen Doppelwerk untersucht. Die Tradition der Wiederherstellung habe wichtige Interpretationsmuster bereitgestellt, durch die Juden zur Zeit des Zweiten Tempels ihre Zukunftshoffnungen verstehen und artikulieren konnten. Diese Hoffnungen enthielten meist drei Hauptmotive: (1) die zukünftige Sammlung Israels, (2) die Vernichtung der Völker und anderer Feinde, (3) den neuen Tempel.139 Um zu zeigen, wie diese Elemente in frühjüdischen Schriften und in Texten des lukanischen Doppelwerks aufgegriffen und verändert wurden,140 zieht Fuller unter anderem aus der Stephanusepisode das Motiv des babylonischen Exils (Apg 7,42-43) und der Zwölf (Apg 6,17; 8,1b) heran. In einem ebenfalls sehr umfassenden Kontext bespricht KERSTIN SCHIFFNER (2008) die Stephanusepisode als Teil des lukanischen Doppelwerks. Sie versucht nämlich zu zeigen, „dass zentrale Exodusthemen … über Stichwortbezüge, Allusionen, interfigurale Verknüpfungen und Strukturparallelen über die gesamte Breite des lukanischen Werkes zur Sprache kommen und dessen Darstellung prägen.“141 So untersucht Schiffner nicht nur, wie vielfältig das Exodusmotiv „zur Zeit des Lukas“, sondern auch in „ersttestamentlichen Schriften“142 und Texten der zwischentestamentlichen Zeit aufgenommen und für die je eigene Zeit transparent gemacht werde. Der Stephanusrede komme eine besondere Bedeutung zu, weil darin „die 138
Vgl. PENNER, Praise, xx. Die Art, in der Stephanus darauf antwortet, sei epideiktisch („progymnastic“), nicht juridisch. Der Unterschied zwischen Stephanus und der jüdischen Führerschaft sei Streit bezüglich Ethos: Verfolgung des Gerechten durch Ungerechte. „The encomium on the righteous Stephen further reflects on the Christian community, which he represents.“ 139 Vgl. FULLER, MICHAEL, The Restauration of Israel. Israel’s Regathering and the Fate of the Nations in Early Jewish Literature and Luke-Acts (BZNW 138), Berlin u.a. 2006, 12, 270. 140 Vgl. FULLER, Restauration, 1. 141 SCHIFFNER, KERSTIN, Lukas liest Exodus. Eine Untersuchung zur Aufnahme ersttestamentlicher Befreiungsgeschichte im lukanischen Werk als Schrift-Lektüre (BWANT 172), Stuttgart 2008, 16. Die Prägung gehe so weit, dass es sogar möglich sei, versuchsweise einen Gesamtaufbau von Lk-Apg nachzuzeichnen, der sich an der Handlungsfolge Exodus 1 bis Josua 24 orientiere. 142 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 17.
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‚doppelte‘ Exoduslektüre des Lukas in einem Text“ enthalten sei: Zum einen erzähle Lukas die Befreiungsgeschichte aus Ägypten nach, zum anderen vollziehe er den Schritt auf die Ebene der „messianischen Exoduslektüre“143. Ihren Ansatz beschreibt Schiffner als synchrone, narrative Analyse, die die Grundstruktur der Texte in ihrer vorliegenden kanonisch überlieferten Gestalt als Leitmoment der Auslegung nehme, also im umfassenden Sinn als „literaturwissenschaftliche Methodik“ oder „rhetorical criticism“144. Allerdings kombiniere sie synchrone und diachrone Fragestellungen, um einem facettenreichen Gebilde wie der jüdischen Relektüre der Exodustradition in der zwischentestamentarischen Zeit auf die Spur zu kommen.145 Schiffners Erläuterung, sie würde bei der narrativen Analyse mit dem Text in einen gemeinsamen Prozess eintreten,146 erinnert an einen leserorientierten Ansatz. Die Zielformulierung, „den exemplarischen Autor Lukas als einen zu zeigen, der in seiner eigenen Darstellung ganz entscheidend davon geprägt ist, dass und wie er die Schrift liest“147, führt aber eher vom Eindruck einer Leserorientierung weg. 2.5 Fazit Diese Auswahl aus der Forschungsliteratur zeigt, dass die Stephanusepisode tendenziell nicht mehr primär als Informationsquelle historischer Fakten verstanden wird, sondern immer mehr als theologische Geschichtsschreibung oder Geschichtserzählung im Stil antik-hellenistischer und jüdischer Historiographie. Zwar verändern sich damit zum einen die Fragestellungen an die Stephanusepisode und zum anderen auch die hermeneutischmethodischen Zugänge, so dass vermehrt mithilfe von literaturwissenschaftlichen Ansätzen der Einbettung des Textes in seine literarischen Kontexte – vor allem ins lukanische Doppelwerk und in antike hellenistische und jüdische Literatur – Bedeutung beigemessen wird. So lassen sich eine wachsende Orientierung am Text Apg 6,1-8,3 selbst und ein stärkeres Interesse an seiner Funktion als Teil seines literarischen Kontextes feststellen. Dennoch zeigt sich eine bleibende Tendenz zu diachronen Fragen, wie 143 Beide Zitate: SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 18. Dieser Schritt erfolge besonders in Apg 7,52f.55f. 144 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 35 mit Anm. 83. Damit lehnt sie sich an Joseph B. Tyson an. 145 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 51. 146 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 34, Anm. 82: „… die Lektüre lässt weder meine Wahrnehmung noch das Wahrgenommene unverändert.“ 147 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 19. In Anlehnung an U. Eco sei der ‚exemplarische Autor‘ Lukas eine Art Chiffre, ohne damit etwas über eine historische Gestalt zu sagen.
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z.B. nach der Theologie des Autors ‚Lukas‘ und dem Verständnis der Erstadressaten. Außerdem werden von der Stephanusepisode als einziger zugänglicher Quelle über Stephanus weiterhin mehr oder weniger reflektiert Rückschlüsse auf historische Ereignisse gezogen, die hinter dem Text stehen könnten, selbst wenn er betont als ‚theologische Geschichtsschreibung‘ bzw. ‚-erzählung‘ bezeichnet wird. Thematisch setzt sich zunächst die Frage nach der Bedeutung des Stephanus und seines Martyriums für die Entstehung des Christentums fort, die auch in der historischen Phase der Forschung im Zentrum stand. Bei den stärker literarisch und theologisch orientierten Untersuchungen wird dann meist nach der lukanischen Sicht des Judentums bzw. dem Verhältnis von Juden und Christen gefragt.148 Demnach hat die Traditions- und Rezeptionsgeschichte, die anfangs skizziert wurde, deutliche Spuren in der Forschung zur Stephanusepisode hinterlassen: Zum einen in der historischen Frage nach ihrer Bedeutung (als Quelle) für die Entstehung des Christentums und im Ringen um einen reflektierten Umgang mit der Frage nach der Historizität des Textes, zum anderen in der eher theologischen Frage nach der hier vermittelten (lukanischen) Sicht des Verhältnisses von Judentum und Christentum.
3 Fragestellung In Fortsetzung der literaturwissenschaftlich orientierten Forschungsansätze betrachtet auch die vorliegende Untersuchung die Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 als literarischen Text bzw. als eine ‚Erzählung‘,149 die einen Teil ihres Kontextes ‚Apostelgeschichte‘ bzw. ‚lukanisches Doppelwerk‘ bildet 148
Hier schlägt sich also nieder, was Daniel Marguerat über die Exegese des lukanischen Doppelwerks zusammenfassend festhält: Die Frage nach dem Verhältnis von Juden und Christen sei zu einem Spannungsfeld in der Exegese geworden. Vgl. MARGUERAT, DANIEL, The First Christian Historian. Writing the ‚Acts of the Apostles‘, translated by Ken McKinney, Gregory J. Laughery and Richard Bauckham (SNTSMT 121), Cambridge 2002 (Franz. Orig., 1999), 130–133. 149 In Anlehnung an SCHNELLE, UDO, Historische Anschlussfähigkeit. Zum hermeneutischen Horizont von Geschichts- und Traditionsbildung, in: FREY, JÖRG/SCHNELLE, UDO, Kontexte des Johannesevangeliums (WUNT 175), Tübingen 2004, 47–78, hier 57, Anm. 51, wird hier ein weiter Erzählbegriff vorausgesetzt, der nicht auf bestimmte literarische Gattungen fixiert ist. Erzählung wird „als eine bedeutungs- oder sinnhafte bzw. Bedeutung oder Sinn stiftende Sprachform“ aufgefasst, das heißt: „Schon die narrative Form menschlicher Selbst- und Weltthematisierungen verleiht Widerfahrnissen und Handlungen Sinn und Bedeutung – unabhängig vom jeweiligen Inhalt der erzählerischen Präsentation.“ Vgl. auch die in EBD. angegebene Literatur. Vgl. auch EISEN, Poetik, 40, die das lukanische Doppelwerk „als ein das menschliche Leben prägend wollender theologisch deutender Weltentwurf mit eigener Plausibilität und Logik“ bezeichnet.
3 Fragestellung
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und diese ‚Geschichtserzählung‘ mit gestaltet. Von daher stellt sich als erste Frage: Wie funktioniert der Text Apg 6,1-8,3 als Erzählung innerhalb der Apostelgeschichte und des lukanischen Doppelwerks? Da die Stephanusepisode zugleich sehr deutlich über das lukanische Doppelwerk hinaus biblischen Kontext aufnimmt – schon eine erste Lektüre zeigt z.B. deutliche Anspielungen auf alttestamentliche Texte –, wird sie zugleich als ‚biblischer Text‘, d.h. als Teil der christlichen Bibel aus Altem und Neuem Testament wahrgenommen. Angesichts dieses Kontextes ergibt sich als zweite Frage: Wie funktioniert der Text Apg 6,1-8,3 als Erzählung innerhalb der christlichen Bibel aus Altem und Neuem Testament? Diese literarische bzw. biblische Kontextualisierung der Stephanusepisode bestimmt auch die Perspektive auf Stephanus als Figur dieses Textes:150 Welches Bild wird von Stephanus gezeichnet und welche Funktion für den Text erhält Stephanus damit? Insofern insbesondere die Rede des Stephanus mit ihrem Abriss über die Geschichte Israels offensichtlich den biblischen Kontext aufnimmt, ist besonders zu fragen: Welches Bild der Geschichte Gottes mit Israel wird hier vermittelt und welche Funktion hat die derart interpretierte Geschichte für den Text? Im Hinblick auf diese Fragen wird für die Untersuchung der Stephanusepisode als methodisch-hermeneutischer Zugang kanonisch-intertextuelle Auslegung gewählt, da der Text Apg 6,1-8,3 durch eine dichte Vernetzung mit seinem weiten Kontext ‚Kanon der christlichen Bibel‘ gekennzeichnet ist. Nach einer Skizze hermeneutischer und methodischer Überlegungen steht im Zentrum der Arbeit die exegetische Analyse der Stephanusepisode,151 deren Ergebnisse zu Antwortversuchen auf die formulierten Fragen gebündelt werden. Auf dieser Grundlage wird abschließend reflektiert, inwiefern der Text Apg 6,1-8,3 die beiden anfangs aufgeführten Stränge seiner Rezeptionsund Auslegungsgeschichte trägt. 150 Damit soll nicht die historische Existenz einer Gestalt namens ‚Stephanus‘, die in den Anfängen der Jerusalemer Gemeinde im Zusammenhang mit gewalttätigen Anfechtungen von Jerusalemer Juden gesteinigt wurde und an die sich die christliche Tradition als ‚ersten Märtyrer‘ erinnert, bestritten werden. Vielmehr soll lediglich die Perspektive auf Stephanus geändert werden, insofern er als Protagonist der Erzählung betrachtet wird. 151 Zur Vorgehensweise der exegetischen Studien in Form einer (Modell-)Lektüre von Apg 6,1-8,3 vgl. II, 2.5.
II Hermeneutisch-methodische Überlegungen 1 Die Stephanusepisode als Text der christlichen Bibel Was bedeutet es, die Stephanusepisode als Text in den verschiedenen literarischen Kontexten Apostelgeschichte, lukanisches Doppelwerk und christliche Bibel zu betrachten? Und welche methodisch-hermeneutischen Anforderungen bringt dieses Verständnis der Stephanusepisode mit sich? Bei der folgenden Reflexion über die Wahrnehmung der Stephanusepisode als Text innerhalb ihrer Kontexte werden, ausgehend von einer literaturwissenschaftlich orientierten Betrachtung des Textbegriffs, Besonderheiten des Textes ‚christliche Bibel‘ beleuchtet, um darin dann das lukanische Doppelwerk, die Apostelgeschichte und speziell die Stephanusepisode als Teil-Text einzuordnen. 1.1 Der Text ‚christliche Bibel‘ 1.1.1 Der Text als dialogisches Netz-Werk Die etymologische Ableitung des Begriffs „Text“ aus dem lateinischen texere „weben, flechten, bauen“, legt es nahe, einen Text als ein Netz bzw. Netz-Werk zu verstehen. Die einzelnen Komponenten eines Textes, die Zeichen (in Form von Worten), sind über grammatische Vorgaben, Rückverweise, Parallelen und Oppositionen, Wiederholungen etc. miteinander verknüpft. Texte sind aber nicht nur syntaktisch, sondern auch paradigmatisch verwebt, insofern aus semantischen Feldern, Konnotationen und Assoziationen, Vor- und Rückverweisen sprachliche Einheiten, „text-ile Muster“1, gestaltet werden. Ein Text bildet also eine „erzählte Welt“2, die in 1 NICKLAS, TOBIAS, Leitfragen leserorientierter Exegese. Methodische Gedanken zu einer „biblischen Auslegung“, in: BALLHORN, EGBERT/STEINS, GEORG, Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007, 45– 61, hier 46. Zum Begriff „Text“ und seiner Etymologie vgl. auch HIEKE, THOMAS/ NICKLAS, TOBIAS, »Die Worte der Prophetie dieses Buches«. Offenbarung 22,6-21 als Schlussstein der christlichen Bibel Alten und Neuen Testaments gelesen (BThS 62), Neukirchen-Vluyn 2003, 96 sowie RITT, HUBERT, Das Reden Gottes im Sohn – Zur textlinguistischen Methode der neutestamentlichen Exegese, in: SCHREINER, JOSEF/DAUTZEN2 BERG, G ERHARD (Hg.), Gestalt und Anspruch des Neuen Testaments, Würzburg 1969, 366–384, hier 369. 2 Vgl. DOHMEN, CHRISTOPH, Die Bibel und ihre Auslegung, München 22003, 96. Diese „Wort-Welt“ sei von der „Welt des Textes“, d.h. der Welt, aus der der Text stammt, zu
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sich eine eigene Struktur und Verweissysteme enthält. Diese verbinden den einzelnen Text wiederum jeweils mit anderen Systemen, da sie andere Texte und auch vom Leser Erlebtes in Erinnerung rufen und sich somit einen Ort in einer schon vorhandenen Welt der Texte suchen.3 Deshalb kann ein Text als dialogisch und als „offenes System“ bzw. mit UMBERTO ECO als „offenes Kunstwerk“4 oder „Rhizom“5 beschrieben werden. Als solches kann Text nicht von „Intertextualität“ getrennt werden, denn zu einem Einzeltext gehört sein näherer und weiterer Kontext immer wesentlich dazu.6 Diese räumliche Vorstellung von Text als dialogischem Netz-Werk führt weiter zur Beobachtung, dass ein Text verschriftete Sprachhandlung ist (KONRAD EHLICH), die die ursprüngliche Sprechsituation überdauert und somit diatope und diachrone Sprechsituationshindernisse überwindet.7 Durch den Text entsteht also eine Sprachhandlung, die nicht vom Sprecher unterscheiden. Letztere müsse vor allem untersucht werden, wenn der Text aus einer ganz anderen Welt stamme als der Leser. Dies geschehe meist durch sprachliche Analysen, Methodenschritte historisch-kritischer Exegese und sozialgeschichtliche, soziologische, kultur-anthropologische Untersuchungen. Da der Leser aber nur mit der „WortWelt“ Kontakt habe, sei diese besonders zu berücksichtigen. 3 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 46–47. Er verweist besonders BAIL, ULRIKE, Gegen das Schweigen klagen. Eine intertextuelle Studie zu den Klagepsalmen Ps 6 und Ps 55 und der Erzählung von der Vergewaltigung Tamars, Gütersloh 1998, 28–29, sowie BERGER, KLAUS, Exegese des Neuen Testaments, Heidelberg/Wiesbaden ³1991, 17. 4 ECO, UMBERTO, Das offene Kunstwerk, Frankfurt/Main 81998. 5 ECO, UMBERTO, Semiotik und Philosophie der Sprache, München 1985, 126. Vgl. auch PELLEGRINI, SILVIA, Elija – Wegbereiter des Gottessohnes. Eine textsemiotische Untersuchung im Markusevangelium (HBS 26), Freiburg u.a. 2000, 88–91. 6 Vgl. STEINS, GEORG, Die „Bindung Isaaks“ im Kanon (Gen 22). Grundlagen und Programm einer kanonisch-intertextuellen Lektüre (HBS 20), Freiburg i.Br. u.a. 1999, 53. Er nimmt den Gedanken von J. KRISTEVA auf: „Textualität hängt an der Inter-Textualität.“ PELLEGRINI, Elija, 102 bestimmt Kontext als „Platz, den ein Teiltext in der thematischen Progression des Gesamttextes einnimmt.“ NICKLAS, TOBIAS, Gedanken zum Verhältnis zwischen christlichen Apokryphen und hagiographischer Literatur: Das Beispiel der Veronica-Traditionen, in: NTT 62 (2008) 45–63 hier 48, Anm. 8, versteht „Kontext“ nicht nur literarisch, sondern auch als „außertextliche Gegebenheiten“, die in Bezug zur Interpretation gesetzt werden. Dieses erweiterte Verständnis von Kontext legt sich besonders angesichts der Bedeutung des Lesers für die Konstitution von ‚Textsinn‘ nahe (vgl. II, 2.1). Vgl. auch STEINS, Bindung Isaaks, 82: „Die Lektüre eines kanonischen Textes geschieht fortlaufend als doppelte Kontextualisierung, einer textuellen und einer transtextuellen.“ 7 Vgl. DOHMEN, CHRISTOPH, Biblische Auslegung. Wie alte Texte neue Bedeutungen haben können, in: HOSSFELD, FRANK-LOTHAR/SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, LUDGAR (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments (FS Erich Zenger) (HBS 44), Freiburg u.a. 2004, 174–191, hier 179, bezieht sich auf EHLICH, KONRAD, Text und sprachliches Handeln. Vgl. auch HIEKE, THOMAS, Die Genealogien der Genesis (HBS 39), Freiburg u.a. 2003, 326–327.
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allein und direkt initiiert wird, sondern von ihm konserviert wird, so dass dem Text „Botenfunktion“ zukommt. Aktualisiert wird diese Sprachhandlung dann vom Leser8 bzw. Hörer und sie erreicht erst durch diesen ihr Ziel. Diese besondere Kommunikationssituation hat mindestens folgende zwei Konsequenzen: Erstens stellt zwar der Text die Bedingung der Möglichkeit der Sprachhandlung dar, legt also auch ihren Rahmen fest, aber ihre konkreten Bedingungen (z.B. Umfang, Kontextualisierung etc.) bestimmt der Adressat (Leser). Zweitens hat der Adressat (Leser) nur mit dem Boten (Text) der Sprachhandlung zu tun, nicht mit dem Absender (Autor) selbst.9 Da ein Text als verschriftete Sprachhandlung von seinem Autor sowie von Ort und Zeit unabhängig ist, wird er nicht nur strukturell offen auf verschiedenste andere Texte hin, sondern auch inhaltlich offen für die Interpretation durch den Leser. Folglich ist ein Text prinzipiell polysem.10 Insofern die Bibel als Ganze und die Einzeltexte in ihr grundsätzlich literarische Texte sind, zeigen sie ebenfalls diese Merkmale, sind aber darüber hinaus durch einige Besonderheiten charakterisiert. 1.1.2 Die christliche Bibel – ein besonderer Text Schon am Wort Bibel11 selbst lassen sich Besonderheiten dieses Textes und der darin enthaltenen Einzeltexte ablesen, denn es verweist darauf, dass die Bibel in einem komplexen Überlieferungsprozess aus einer Vielzahl an
8 Zum Leserbegriff vgl. ausführlich II, 2.2. Vorweg gegriffen sei an dieser Stelle nur, dass zur besseren Lesbarkeit in dieser Arbeit lediglich die maskuline Form ‚Leser‘ verwendet wird. Dasselbe gilt für andere Begriffe, wie z.B. ‚Hörer‘, ‚Autor‘, ‚Verfasser‘, ‚Adressat‘, ‚Rezipient‘ u.a. 9 Vgl. DOHMEN, Biblische Auslegung, 179–180. Das, was ein Autor mit einem Text sagen wollte (intentio auctoris), und das, was der Leser in diesem Text versteht (intentio lectoris), könne sich nur in dem treffen, was sie mit dem Text ‚verbindet‘. Vgl. auch DOHMEN, Bibel, 36–39. 10 Vgl. HIEKE, THOMAS, Vom Verstehen biblischer Texte. Methodisch-hermeneutische Erwägungen, in: BN 119/120 (2004) 71–89, hier 75, 80. Vgl. auch SCHWIENHORSTSCHÖNBERGER, LUDGAR, Einheit und Vielheit. Gibt es eine sinnvolle Suche nach der Mitte des Alten Testaments?, in: HOSSFELD, FRANK-LOTHAR (Hg.), Wieviel Systematik erlaubt die Schrift? Auf der Suche nach einer gesamtbiblischen Theologie (QD 185), Freiburg/Basel/Wien 2001, 48–78, bes. 66. 11 Vgl. DOHMEN, Bibel, 11–12. Das Wort ‚Bibel‘ kommt vom griechischen ta. bibli,a, der Pluralform von to. bibli,on „Buch(rolle)“, „Schrift“, „Brief“, „Dokument“. Zur Verschiebung vom griechischen Plural ta. bibli,a zum lateinischen Singular biblia vgl. DOHMEN, CHRISTOPH /OEMING, MANFRED, Biblischer Kanon warum und wozu? Eine Kanontheologie, Freiburg/Basel/Wien 1992, 27.
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Büchern gewachsen ist, aber trotzdem als ein Buch gelesen werden kann.12 Dementsprechend kann man von „biblisch gewordenen“13 Texten sprechen, um diesen Wachstumsprozess im Bewusstsein zu halten, aber zugleich auszudrücken, aus welcher Perspektive ein Bibel-Text betrachtet wird: Es ist die Perspektive einer Zeit, in der eine feststehende, abgeschlossene christliche Bibel vorliegt. Die christliche Bibel ist also zunächst eine literarische Größe, ein Buch, das aus einer festen Zusammenstellung verschiedener Bücher besteht. Diese Einheit ‚Bibel‘ konstituiert sich nämlich dadurch, dass die einzelnen Bücher durch verschiedenste literarische Verbindungslinien miteinander vernetzt sind, was an der Reihenfolge der Schriften zu sehen ist, an den Makrostrukturen einzelner Buchgruppen und auch an Einzeltexten. Denn häufig setzen jüngere Schriften ältere zur Lektüre voraus, indem sie diese zitieren, auf sie anspielen oder an ihrer Bild-, Ideen-, Motiv- oder Figurenwelt teilhaben und dadurch diese älteren Texte aktualisieren oder diskutieren.14 Durch diesen komplexen Textzusammenhang entsteht also ein „dialogisch-intertextuell strukturiertes literarisches Werk“15. In besonderer Weise zeigt sich dieses Verhältnis von Vielfalt und Einheit in der christlichen Bibel, die sich als ein Buch in zwei Teilen präsentiert, wobei die beiden Teile Altes und Neues Testament „ungetrennt und unvermischt“ nebeneinander stehen.16 Dies formuliert die Päpstliche Bi12
Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 95. Die Einheit des Textes „Bibel“ betone auch immer wieder N. Lohfink. Vgl. beispielsweise LOHFINK, NORBERT, Was wird anders bei kanonischer Schriftauslegung? Beobachtungen am Beispiel von Ps 6, in: JBTh 3 (1988) 29–53, hier 29. DERS., Eine Bibel – zwei Testamente, in: DOHMEN, CHRISTOPH/ SÖDING, THOMAS (Hg.), Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen biblischer Theologie, Paderborn u.a. 1995, 71–81, hier 79. Ähnlich KÖRTNER, ULRICH, Der inspirierte Leser. Zentrale Aspekte biblischer Hermeneutik, Göttingen 1994, 85. 13 NICKLAS, TOBIAS, Biblische Texte als Texte der Bibel interpretiert: Die Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) in „biblischer Auslegung“, in: ZKTh 126,3 (2004) 241–256, hier 241, Anm. 2. Mit der Rede von „biblisch gewordenen“ Texten in Anlehnung an LÜHRMANN, DIETER, Fragmente apokryph gewordener Evangelien in griechischer und lateinischer Sprache (MThST 59), Marburg 2000. Zum Begriff Text im Hinblick auf „biblische Auslegung“ vgl. II, 2.1. 14 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 96. HIEKE, THOMAS, „Biblische Texte als Texte der Bibel auslegen“ – Dargestellt am Beispiel von Offb 22,6-21 und anderen kanonrelevanten Texten, in: BALLHORN/STEINS, Bibelkanon, 331–345, hier 339, weist darauf hin, dass sogar wenige Worte oft einen großen Kontext oder eine lange Geschichte vergegenwärtigen (vgl. 1 Chr 1,1-4; Dtn 31,24-29 u.a.). Insofern sich in dieser Vernetzung der Texte ihr Entstehungsprozess niederschlage, könne dieser als „produktive Rezeption“ beschrieben werden. Vgl. DOHMEN, Biblische Auslegung, 175. DERS., Bibel, 22. 15 STEINS, Bindung Isaaks, 83, 95. 16 Vgl. NICKLAS, Biblische Texte, 241. STEINS, Bindung Isaaks, 35–36, sieht im Rekurs auf Intertextualitäts- und Rezeptionstheorie einen wirklichen Neuansatz in der Diskussion um das hermeneutische Grundproblem des Verständnisses der Zwei-Einheit der
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belkommission bildhaft: „Ohne das Alte Testament wäre das Neue Testament ein Buch, das nicht entschlüsselt werden kann, wie eine Pflanze ohne Wurzeln, die zum Austrocknen verurteilt ist.“17 Damit wird nicht nur die literarische Beziehung zwischen den Schriften des Alten und Neuen Testaments ausgedrückt, sondern auch eine inhaltliche Beziehung angedeutet. Dies führt weiterhin zur Beobachtung, dass sich im Begriff ‚christliche Bibel‘ nicht nur ihre Eigenart als literarische Größe ausdrückt, sondern auch ihre Gestalt eines konkreten Arrangements Heiliger Schriften, dem ein Konzept zugrunde liegt, das als „Kanon“ begriffen werden kann.18 Mit der Rede von der Bibel als Kanon Heiliger Schriften ist zugleich der (formale) Anspruch verbunden, den darin enthaltenen Texten überzeitliche Relevanz zuzuschreiben. So fordern diese Eigenschaften der historisch gewachsenen, literarischen Größe ‚christliche Bibel‘ zur Frage nach den Verbindungslinien und (Gestaltungs-)Elementen auf, die die Vielstimmigkeit doch zu einer Einheit verknüpfen und den ‚kanonischen‘ (überzeitlichen) Anspruch der Heiligen Schrift und ihrer Einzeltexte legitimieren. Damit sind dann auch Anforderungen an den Leser bzw. die Auslegung biblischer Texte verbunden.19 1.1.3 Die christliche Bibel als Geschichtserzählung der Gottesbegegnung Worin liegt also die Besonderheit biblischer Texte, die ihnen bleibende Bedeutung verleiht, insbesondere in Abgrenzung von historischen Dokumenten, deren Relevanz sich aus ihrem Informationsgehalt ableitet?20 christlichen Bibel. Sie bieten nämlich die Möglichkeit, die Funktionsweise des hochkomplexen Gebildes „Kanon“ präzise zu beschreiben. „Die hermeneutische Situation verlangt nach einer ständigen kanonisch-intertextuellen Lektüre, um das Dialogpotential des Textes zu aktivieren und die verschiedenen Stimmen zu hören.“ 17 PÄPSTLICHE BIBELKOMMISSION, Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 152 vom 24. Mai 2001), Bonn 2001, 161. 18 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 77, 87–88 mit Anm. 158, 111. Die Idee des Kanons als Konzept beinhalte die Vorstellung eines begrenzten und göttlich legitimierten Textbestandes als Grundlage für eine Glaubensgemeinschaft. Häufig seien im Begriff ‚Kanon‘ verschiedene, zum Teil schwierige Implikationen enthalten, wie z.B. festgefügte Listen von Texten, der Gedanke der Inspiration von Schriften oder eine im Nachhinein den Texten durch eine autoritative Lehrentscheidung zugesprochene Eigenschaft. STEINS, Bindung Isaaks, 17–26, erläutert ausführlich, dass mit „Kanon“ eine „Qualitätsveränderung“ des Textes benannt ist, „die sich in den drei Merkmalen Kontext, Struktur und Rezeptionsmedium ausdrückt“ (17). 19 Vgl. dazu II, 2. 20 Hinsichtlich der bleibenden Bedeutung biblischer Texte formuliert RÜSEN, JAN, Historische Methode und religiöser Sinn – dialektische Bewegungen in der Neuzeit, in: DERS., Geschichte im Kulturprozess, Köln/Weimar 2002, 26, das Problem, zwischen der
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Das grundlegende Spezifikum der Bibel ist, dass sie nicht irgendeine Geschichte als vergangenes Geschehen bezeugt, sondern eine Geschichte der Gottesbegegnung21 durch vielfältige Geschichten, unterschiedliche Bilder, Gattungen, Formen und Stimmen erzählt. Damit ist die Auffassung verbunden, dass ‚Geschichte‘ nicht einfach identisch ist mit wirklich vollzogenem Geschehen der Vergangenheit, sondern Geschichte nur greifbar ist – und zwar aus der Perspektive der Gegenwart –, insofern sie zur Sprache gebracht wird. Geschichte ist also nur „als sprachlich vermittelte und gestaltete Erinnerung zugänglich“22 und somit zugleich Deutung. Denn die Sprache zeichnet nicht nur vergangene Ereignisse nach, sondern gestaltet diese und prägt somit die Wahrnehmung der präsentierten Vergangenheit. Demnach existiert Geschichte nicht einfach, sondern wird durch die sprachliche Vermittlung konstruiert23 und mit Bedeutung bzw. ‚Sinn‘ versehen, so dass sie für die Gegenwart ‚sinnvoll‘ wird.24 Damit trägt Geschichte auch immer zur Sinnbildung bei, denn ein Ereignis erhält erst im Nachhinein durch „Erfahrung, Deutung und Orientierung“25 sein Sinnpotential. Die darin enthaltenen Identitätsangebote werden wiederum durch Sprache vermittelt, wobei dem Erzählen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Durch das Erzählen von Geschichte wird nämlich deren Sinnpotential erschlossen, indem vergangene Ereignisse plausibel in (eventuell neue) sachliche, zeitliche und räumliche Zusammenhänge eingeordnet und gedeutet werden. Außerdem rufen Erzählungen Erinnerungen hervor, die für dauerhafte Identitätsbildung entscheidend sind, und ermöglichen Rezeption und Traditionsbildung.26 Insbesondere gilt diese identitätsbildende ErinneVergangenheit der Entstehung biblischer Texte und der Gegenwart ihrer Bedeutung werde durch Historisierung eine zeitliche Lücke eröffnet, die … nicht mit den gleichen methodischen Mitteln der Kritik geschlossen werden kann.“ 21 Vgl. STEINS, GEORG, Kanon und Anamnese. Auf dem Weg zu einer Neuen Biblischen Theologie, in: BALLHORN/STEINS, Bibelkanon, 110–129, hier 121. 22 SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 47–78, hier 51. 23 Vgl. SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 50, erklärt, Konstruktion meine nicht etwas Willkürliches, sondern sei an Methoden und Realitätsvorgaben gebunden; die Sachgehalte von Quellen müssten in einen sinn- und bedeutungsvollen Zusammenhang gebracht werden. Der Unterschied zu „Re-konstruktion“ liege darin, dass damit eine Kenntnis des Ursprünglichen suggeriert werde. Vgl. auch RÜSEN, JAN, Kann gestern besser werden? Essays zum Bedenken der Geschichte, Berlin 2003, 12. 24 Vgl. SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 52–53. 25 RÜSEN, JAN, Was heißt: Sinn der Geschichte?, in: MÜLLER KLAUS E./RÜSEN, JAN, Historische Sinnbildung, Reinbek 1997, 38. Vgl. auch RÜSEN, Kann gestern besser werden?, 11. 26 Vgl. SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 56–57, 59. Nach Th. Luckmann gilt dies insbesondere für religiöse Erfahrungen, denn durch Erzählungen werden „die Erfahrungen von Transzendenz kommunikativ gestaltet und zur Wiedererzählung bereit-
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rungsleistung für verschriftete Erzählungen, weil durch diese die erzählte, erinnerte Geschichte Distanz vom Kommunikationsgeschehen der mündlichen Erzählung bekommt und somit zeitlich und räumlich geöffnet wird für verschiedene Rezipienten (und deren Denk-, Interpretations- und Transformationsleistung).27 In dieser Eröffnung der Geschichte als Raum der Gottesbegegnung für Spätere unterscheidet sich das Zeugnis biblischer Texte primär von rein historischen Quellen oder Geschichtsbüchern. Biblischer Text hat also anamnetische Strukturen ausgebildet, die für seine Zeugnisqualität entscheidend sind.28 Dass anamnetische Strukturen nicht nur in einzelnen Bibeltexten enthalten sind (z.B. Ps 114), sondern Merkmal der gesamten Schrift sind, zeigt sich beispielsweise an der Struktur des Pentateuchs: Er setzt im Unvordenklichen der Schöpfung als Wahrnehmungshorizont für alles Folgende ein, erzählt von der Entstehung und Geschichte des Volkes Israel in Ägypten und dann vor allem von seinem Weg ins verheißene Land, auf dem zwei Stationen als Orte – bzw. sogar ‚Gipfel‘ – des Innehaltens markiert werden: der Sinai (ab Ex 19) und die Schwelle zum verheißenen Land (Dtn). An beiden Orten kommt die Handlung durch eine Rede Gottes bzw. Moses zum Stillstand, in denen in je eigener Weise ‚Vergangenes‘ erzählt und so vergegenwärtigt wird. So kann der Pentateuch insgesamt als Erzählung von der Stiftung einer Beziehung verstanden werden, „die so gestaltet ist, dass sie die je gegenwärtigen Rezipienten immer wieder in das Stiftungsgeschehen hineinversetzt.“ Er ist eine Art ‚Urgeschichte‘ als „Entwurf einer bedeutungsvollen, identitätsstiftenden, handlungsleitenden Vergangenheit für eine distinkte Gruppe.“29 Die Begegnung mit dem Pentateuch soll demnach nicht in eine gestellt“. Darüber hinaus werden religiöse Erfahrungen durch Rituale verarbeitet, „in welchen Erzählungen kommemoriert werden und mit welchen die transzendente Wirklichkeit beschworen wird.“ Vgl. LUCKMANN, THOMAS, Religion – Gesellschaft – Transzendenz, in: HÖHN, HANS-JOACHIM/GABRIEL, KARL, Krise der Immanenz. Religion an den Grenzen der Moderne, Frankfurt 1996, 112-127, hier 120. 27 Vgl. SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 58. 28 Vgl. STEINS, Kanon und Anamnese, 122, leitet daraus ab, Biblische Theologie müsse sich – den Anspruch der Texte aufnehmend – als Reflexion der schriftimmanenten Vergegenwärtigungsmechanismen und -möglichkeiten begreifen. Daraus ergeben sich zwei Aufgaben: (1) auf der Materialebene das biblische Zeugnis in seiner Vielfalt präsentieren und dabei Widersprüche nicht nivellieren, sondern als mögliche Form der Präsentation von Transzendenzerfahrung wahrnehmen, (2) die Zeugnisqualität des Textes zum Gegenstand machen. 29 Beide Zitate STEINS, Kanon und Anamnese, 127–128. Zur ausführlichen Darstellung der anamnetischen Struktur des Pentateuchs vgl. EBD., 124–127. SCHIFFNER, KERSTIN, Lukas liest Exodus. Kanongrenzen überschreitende Beobachtungen, in: BALLHORN /S TEINS, Bibelkanon, 304–313, hier 306, zeigt ähnliches am Beispiel des Exodus, der als zentrale Befreiungserfahrung Israels fast in jedem biblischen Buch enthalten sei,
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ferne Vergangenheit zurückversetzen, sondern in die Gegenwart einer Gottes-Beziehung. Darüber hinaus spiegelt sich dieses anamnetische Moment ebenfalls in den Großformationen der Bibel.30 Innerhalb des neutestamentlichen Kanons zeigt sich dieses anamnetische Moment in pointierter Weise in den Evangelien als „Jesus-ChristusErzählungen“31. Indem sie dem vorösterlichen, historischen Jesus wieder das Wort geben, holen sie nämlich „den Hörenden zum Anfang zurück und führen ihn in die Begegnung mit Jesus wie am ersten Tag, als er seinen Zeitgenossen mit Anruf und Zusage … begegnete.“32 Damit werden die Erfahrungen mit Jesus von Nazaret durch das Erzählen nicht nur erinnert, sondern vergegenwärtigt. Alle vier Evangelien stimmen in den „BasisDaten ihrer Jesus-Christus-Geschichte“ überein, strukturieren aber das Material unterschiedlich und geben damit Orientierung für die Identitätsstiftung der jeweiligen Rezipienten.33 Außerdem zeigt der gesamte neutestamentliche Kanon mit seinen Sammlungseinheiten eine anamnetische bzw. „heilsgeschichtliche“34 Struktur: Auf die vier Evangelien als narrative Darstellungen der vorösterlichen Jesus-Geschichte folgen Texte der nachösterlichen Zeit in Form der ebenfalls narrativen Apostelgeschichte und der primär lehrhaften Apostelbriefe. Die Offenbarung des Johannes blickt schließlich auf die nahe bein „erinnernd-aktualisierender bzw. -aktualisierter Lektüre“. Der Exodus werde zum zentralen Inhalt des kulturellen Gedächtnisses Israels und damit in der jeweiligen Gegenwart übersetzbar. In Anlehnung an ASSMANN, JAN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 2005, 52, 76. 30 Vgl. STEINS, Kanon und Anamnese, 128. Als Beispiel führt Steins die Abfolge der „Vorderen“ und „Hinteren Propheten“ im TaNaK an. Durch die Post-Position der Prophetenschriften im engeren Sinne werde die zuvor erzählte Geschichte Israels im Land (von Jos bis 2 Kön) für die Gegenwart kommentiert und unter den göttlichen Zukunftsvorbehalt gestellt. 31 SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 58. 32 BORNKAMM, GÜNTHER, Geschichte und Glaube im Neuen Testament. Ein Beitrag zur Frage der „historischen“ Begründung theologischer Aussagen, in: DERS., Geschichte und Glaube. Erster Teil. Gesammelte Aufsätze Bd. III., München 1968, 9–24, hier 13. 33 Vgl. SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 60. Als Beispiel bespricht Schnelle ausführlich Paulusbriefe und das Johannesevangelium. Vgl. EBD., 60–75. RÜSEN, Kann gestern besser werden?, 29–30, erläutert: Die Evangelien vermitteln Menschen „eine Vorstellung von ihrer Zugehörigkeit, ihrer kollektiven Identität …: nationale Begründungs- und Erfolgsgeschichten, religiöse Heilsgeschichten zum Beispiel.“ 34 NIEBUHR, KARL-WILHELM, Die Gestalt des neutestamentlichen Kanons. Anregungen zur Theologie des Neuen Testaments, in: BALLHORN/STEINS, Bibelkanon, 95–109, hier 100. Mit dem Begriff „heilsgeschichtliche Struktur“ wird der inhaltliche Aspekt stärker betont, während ‚anamnetische Struktur‘ die Funktion in den Vordergrund stellt. Vgl. auch SÖDING, THOMAS, Einheit der Heiligen Schrift? Zur Theologie des biblischen Kanons (QD 211), Freiburg 2005, 277–279, 300–303.
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vorstehende Wiederkunft des auferstandenen Jesus Christus voraus und korrespondiert somit der Anfangstellung des Tetraevangeliums. Dass diese heilsgeschichtliche Anordnung der neutestamentlichen Schriften ein anamnetisches Moment enthält, zeigt sich beispielsweise an der Stellung der Apostelgeschichte: Sie bildet nämlich die narrative Verbindung zwischen der vorösterlichen Jesus-Geschichte und der nachösterlichen ‚Geschichte‘ der apostolischen Zeit, indem sie als ‚zweiter Teil des Lukasevangeliums‘ die Jesus-Geschichte verlängernd aufnimmt und den narrativen Anknüpfungspunkt für die ‚Apostelschriften‘ bildet, für deren Verständnis sie einige Grundlinien vorgibt. „Damit erhält sie eine Scharnierfunktion für den gesamten [neutestamentlichen] Kanon.“35 Die Apostelgeschichte lässt nämlich Kontinuitätslinien über alle Sammlungseinheiten des Neuen Testaments hinweg erkennen und verdeutlicht dadurch ihren heilsgeschichtlichen Zusammenhang.36 Darüber hinaus ist die anamnetische Struktur prägendes Moment des Verhältnisses zwischen Altem und Neuem Testament, wie auch die Bibelkommission mit dem Bild von der Pflanze und ihren Wurzeln ausdrückt. Das zeigt etwa schon der Beginn des Neuen Testaments Mt 1,1: Bi,bloj gene,sewj VIhsou/ Cristou/ ui`ou/ Daui.d ui`ou/ VAbraa,m. Hier wird Jesus Christus nicht nur unmittelbar mit David und Abraham verbunden, sondern es wird auch die Geschichte dieser beiden Gestalten erinnert. Dies wird in der darauf folgenden Genealogie Mt 1,1-17 weiter ausgeführt, denn sie trägt in Anlehnung an alttestamentliche Genealogien zur Klärung und Deutung des Ursprungs Jesu Christi bei, schafft Verbindung zwischen diesem Ursprung und den Rezipienten der Genealogie und dient auf diese Weise der Identitätsstiftung. Zusätzlich wird die Verlängerung der darin aufgezeigten Kontinuitätslinie in die Zukunft hinein vorbereitet.37 Bevor die Geschichte Jesu 35
NIEBUHR, Gestalt, 104. Ergänzung durch Heike Braun. Niebuhr zeigt das heilsgeschichtliche Interesse des neutestamentlichen Kanons anhand der Entstehungsgeschichte des Kanons. Vgl. EBD., 98–99. Ausführlich dazu auch NIEBUHR, KARL-WILHELM, Exegese im kanonischen Zusammenhang. Überlegungen zur theologischen Relevanz der Gestalt des neutestamentlichen Kanons, in: AUWERS, JEAN-MARIE/DE JONGE, HENK JAN (Hg.), The Biblical Canons (BEThL 163), Leuven 2003, 557–584. SCHRÖTER, JENS, Die Apostelgeschichte und die Entstehung des neutestamentlichen Kanons. Beobachtungen zur Kanonisierung der Apostelgeschichte und ihrer Bedeutung als kanonischer Schrift, in: AUWERS/DE JONGE, The Biblical Canons, 395–429. 36 Vgl. NIEBUHR, Gestalt, 101, 104. Besonders deutlich seien diese Kontinuitätslinien anhand der Personenkontinuität zu sehen, wie z.B. an Jakobus im neutestamentlichen Kanon. Für ausführliche Beispiele vgl. EBD., 105–109. 37 Vgl. HIEKE, Genealogien, 300–301. Hinsichtlich der geschichtlichen Situation der nachexilischen Zeit Israels könne man auch sagen: Kontinuität, Stabilität, Identität sind die wichtigen Stichworte, Grundfunktionen von Genealogien für die Gegenwart der Leser. Dazu komme Hoffnung auf die Zukunft in der Weise, dass mit der genealogischen Kontinuität die Erwartung auf eine Fortsetzung der Lebenslinie in die Zukunft verbunden
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erzählt wird, wird also an die Geschichte Israels erinnert und diese als Ursprung der Geschichte Jesu vorgestellt und lebendig gehalten.38 Damit wird auch die Deutung des Christusereignisses von der Schrift her legitimiert, insofern diese „Offenbarungsgrundlage und Legitimation dieser Deutung“39 ist. Nicht nur am Anfang, sondern auch am Ende des Neuen Testaments findet sich ein Text, in dem die anamnetische Struktur der Bibel besonders deutlich zum Ausdruck kommt, denn Offb 22,6-21 nimmt verschiedene Strukturen, Motive, Figuren, Bilder u.v.m. aus alttestamentlichen und neutestamentlichen Texten auf. Auch an diesem Text verdeutlicht sich darum, was an den Großstrukturen der Bibel bereits mehrfach gezeigt wurde.40 Weiterhin ist es naheliegend in der Apostelgeschichte, der innerhalb des Neuen Testaments eine Scharnierfunktion zukommt, ebenfalls Texte zu finden, in denen wie in einem „Knotenpunkt“41 verschiedene Fäden des dialogischen Netz-Werks ‚christliche Bibel‘ zusammenlaufen. Deutlich präsentiert sich etwa die Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 als ein solcher Einzeltext. So wird in dieser Arbeit untersucht, inwiefern sich in der Stephanusepisode der anamnetische Charakter der Bibel spiegelt und damit die Geschichte der Gottesbegegnung erzählend erinnert und vergegenwärtigt wird. 1.2 Das lukanische Doppelwerk als Text der christlichen Bibel Da ein Einzeltext als dialogisches, offenes System entscheidend von seinem Kontext geprägt ist, wird zunächst gefragt, inwiefern sich das lukanische Doppelwerk – insbesondere die Apostelgeschichte – als biblischer Text mit anamnetischen Strukturen und Momenten präsentiert und wie sich die Stephanusepisode darin verorten lässt. 1.2.1 Geschichtserzählung der Gottesbegegnung im lukanischen Doppelwerk Das traditionelle Verständnis des lukanischen Doppelwerks als erste „Geschichte des Christentums“ und zwar in zwei Teilen, wobei der Apostelgeschichte als zweitem Teil noch stärker dieser Charakter eines Geschichtsist. Insgesamt haben Genealogien also eine allgemeine, politische, gesellschaftliche und theologische Funktion. 38 HIEKE, THOMAS, BIBLOS GENESEOS. Mt 1,1 vom Buch Genesis her gelesen, in: AUWERS/DE JONGE, The Biblical Canons, 635–649. 39 DOHMEN, CHRISTOPH, Hermeneutik des Alten Testaments, in: Hermeneutik der Jüdischen Bibel und des Alten Testaments, Stuttgart 1996, 133–210, hier 204. Vgl. auch HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 59. 40 Vgl. dazu die Untersuchung von HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie. 41 Vgl. PELLEGRINI, Elija, 84. NICKLAS, Leitfragen, 55, verweist auf SCHWEIZER, H., Literarkritik, in: ThQ 168 (1988) 23–43, bes. 31, der diesen Begriff verwende.
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werks zugeschrieben wird,42 ist in breitem Konsens kritisch differenziert worden. Aufgrund des Selbstverständnisses und der Intention des lukanischen Doppelwerks, die im Proömium des Lukasevangeliums Lk 1,1-4 formuliert werden, und aufgrund motivischer, gestalterischer und sprachlicher Merkmale wird das lukanische Doppelwerk – besonders die Apostelgeschichte – in die antike hellenistische und vor allem jüdische Geschichtsschreibung eingeordnet.43 Deshalb wird die Gattung der Apostelgeschichte als (apologetisch-)historiographische Monographie44 bestimmt. Antik-jüdische Geschichtsschreibung zielt darauf ab, im Ringen um das Zusammenleben mit der dominanten hellenistischen Kultur und um das Überleben in ihr jüdisches Selbstverständnis zu formulieren.45 In einer Übergangssituation, in der die eigene jüdische Identität bedroht oder zumindest in Frage gestellt wird, erfolgt mithilfe von Geschichtsschreibung in (aktualisierender) Erinnerung an die eigene Vergangenheit Selbstvergewis42 Folglich wird traditionell ‚Lukas‘ als der erste Geschichtsschreiber des Christentums bezeichnet. Vgl. DIBELIUS, MARTIN, Der erste christliche Historiker, in: DERS., Aufsätze zur Apostelgeschichte (FRLANT 42), Göttingen 21957, 108–119, hier 110. MARGUERAT, DANIEL, The First Christian Historian. Writing the „Acts of Apostles“ (MSSNTS 121), Cambridge 2002, 31–34. SCHRÖTER, JENS, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte, in: BECKER, EVE-MARIE (Hg.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129), Berlin 2005, 237–262, hier 250–254 u.v.m. Zur Diskussion um die Gattung der Apostelgeschichte und ihr Verhältnis zum Lukasevangelium vgl. beispielsweise PLÜMACHER, ECKHARD, Apostelgeschichte, in: TRE 3 (1978) 483–528, hier 501–515. VERHEYDEN, JOSEPH, The Unity, of Luke-Acts. What Are We Up To?, in: DERS. (Hg.), The Unity of Luke-Acts (BEThL 142), Leuven 1999, 3–56. ZMIJEWSKI, Apg, 16–19. 43 Vgl. BACKHAUS, KNUT/HÄFNER, GERD, Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese, Neukirchen-Vluyn 2007, 31. Ausführliche Untersuchungen zur Einordnung der Apostelgeschichte in die antike Geschichtsschreibung finden sich bei PENNER, TODD, In Praise of Christian Origins: Stephen and the Hellenists in Lukan Apologetic Historiography, New York/London 2004. PLÜMACHER, Apostelgeschichte, 513–515. BREYTENBACH, CILLIERS/SCHRÖTER, JENS/DU TOIT, DAVID S. (Hg.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. Festschrift für Eckhard Plümacher zu seinem 65. Geburtstag (AJEC 57), Leiden/ Boston 2004 u.a. 44 Vgl. JERVELL, JACOB, Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen 1998, 77. CONZELMANN, Apg, 7. PLÜMACHER, ECKHARD, Cicero und Lukas: Bemerkungen zu Stil und Zweck der historischen Monographie, in: VERHEYDEN, Unity, 759–775. WEDDERBURN, ALEXANDER J. M., Zur Frage der Gattung der Apostelgeschichte, in: LICHTENBERGER, HERMANN (Hg.), Geschichte – Tradition – Reflexion. FS Martin Hengel III: Frühes Christentum, Tübingen 1996, 303–322. u.a. BACKHAUS, Historiographie, 33, spricht sogar noch genauer von einer „Teilmonographie“, weil die Apostelgeschichte zweiter Teil des Lukasevangeliums sei. 45 Deshalb könne sie als „intentionale Geschichte“ bezeichnet werden. Vgl. BACKHAUS, Historiographie, 31.
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serung ‚nach innen‘ und Selbstbehauptung ‚nach außen‘.46 Analog dazu dient die Apostelgeschichte der Selbstvergewisserung und Identitätssicherung innerhalb der Umbruchsphase, die darin besteht, die „Ekklesia unter den Heiden zu verorten“47, während beispielsweise Matthäus- und Markusevangelium noch umgekehrt den Ort der Heiden in der „Ekklesia“ beschreiben wollen. Insofern kann die Apostelgeschichte als apologetische Geschichtsschreibung über die „christliche Erstepoche, eingezeichnet in ihre biblisch-jüdische Urgeschichte“48, gelesen werden, die der Identitätsfindung und -bekräftigung der jungen entstehenden Gemeinschaft durch Erinnerung an ihre Ursprünge dient. Ähnlich wie die Geschichte Gottes mit Israel immer Gegenstand (apologetisch-)jüdischer Geschichtsschreibung ist, ist sie dies auch im lukanischen Doppelwerk. Der Eintrag weltgeschichtlicher Ereignisse in ihm dient somit primär dazu zu zeigen, dass die Geschichte Gottes mit Israel alle Menschen und Völker (Lk 2,1) angeht und sich innerhalb der Weltgeschichte ereignet.49 Bei all dem denkt jüdisches Geschichtsverständnis teleologisch, so dass Geschichte als eine Bewegung auf ein von Gott gesetztes Ziel verstanden wird.50 Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden dabei ein kontinuierlich zusammenhängendes Ganzes. Darüber hinaus qualifiziert das Geschehen die jeweilige Zeit – macht sie zu Heils- bzw. Unheilszeiten –, so dass ein und dasselbe Geschehen verschiedene Zeiten umgreifen und je neu Gegenwart werden kann, nicht als einfache Wiederholung, sondern bleibende (eschatologische) Gegenwärtigkeit (vgl. Lk 1,1).51 Damit wird Geschichte zum „Begegnungsraum mit Gott. … In ihrer kanonischen Endgestalt liest sie sich als fortlaufende Verknüpfung von noch erwarteten und bereits erfüllten Verheißungen. In dieser Verheißungsgeschichte kommt der Erinnerung eine geradezu subversive Rolle zu: Sie ist kontrapräsen46
BACKHAUS, Historiographie, 34. Ähnlich SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 58, HASYLVIA, Zeiten der Wiederherstellung. Studien zur lukanischen Geschichtstheologie als Soteriologie, Münster/Aschendorf 2003, 53–58. Dabei könne durchaus auch hellenistische Wertvorstellung einbezogen und angeeignet werden. 47 BACKHAUS, Historiographie, 34. Mit „Ekklesia“ sei die entstehende christliche Gemeinschaft gemeint. 48 BACKHAUS, Historiographie, 35. 49 Vgl. HAGENE, Zeiten, 55–56, fügt hinzu, dass in jüdischer Geschichtsschreibung häufig Existenzbedrohung und radikales Infragestellen des gesamten Volkes thematisiert werden. 50 Dabei wird auch mit dem Einbruch von Neuem bzw. Einmaligem gerechnet. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 27. 51 In Lk 1,1 drücke sich beispielsweise aus, dass die „erfüllten“ Ereignisse als gottgewirkte Ereignisse ihre eschatologische Gegenwärtigkeit behalten. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 25–26. SCHÜRMANN, HEINZ, Das Lukasevangelium (HThK III/1), Freiburg 1969, 5. GENE,
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tisch, von ihr geht zugleich ein revolutionärer wie hoffnungsstiftender Impetus aus.“52 1.2.2 Erzählung des „Weges des Heils“ in zwei Teilen Analog zu jüdischer Geschichtsschreibung, die immer zugleich Geschichtstheologie enthält,53 weil ihr Gegenstand die Geschichte der Gottesbegegnung ist, wird auch Lukas54 als „Theologe der Heilsgeschichte“55 bezeichnet. Vor diesem Hintergrund beschreibt HANS KLEIN das Konzept des lukanischen Doppelwerks mit der Wendung „Weg des Heils“.56 Damit wird nämlich in Apg 16,17 das Geschehen, das im lukanischen Doppelwerk erzählt wird, prägnant zusammengefasst, wenn die von einem Wahrsagegeist besessene Magd in Philippi von Paulus und seinen Begleitern sagt: ou-toi oi` a;nqrwpoi dou/loi tou/ qeou/ tou/ u`yi,stou eivsi,n( oi[tinej katagge,llousin u`mi/n o`do.n swthri,ajÅ »Diese Menschen sind Diener des höchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkündigen.«57 Inhaltlich umschreibt der „Weg des Heils“ sowohl eine Botschaft als auch einen Lebenswandel und verweist darauf, dass Heil nur auf einem Weg zu erreichen ist, der den Weg Jesu nachahmt (vgl. Lk 9,51-19,27; 13,23-24.33; Apg 13,10; 18,25 u.a.).58 52 HAGENE, Zeiten, 55. Zu den Kennzeichen (apologetisch-)jüdischer Geschichtsschreibung vgl. weiterhin beispielsweise BACKHAUS, Historiographie, 30–35. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 58–59. ZMIJEWSKI, Apg, 24–30. 53 Vgl. HAGENE, Zeiten, 55. 54 Es besteht weitgehender Konsens darüber, dass Lukasevangelium und Apostelgeschichte auf einen Verfasser zurückgehen, von dem zwar nicht viel bekannt ist, der aber traditionell ‚Lukas‘ genannt wird. So wird er auch in dieser Arbeit als ‚Lukas‘ bezeichnet, wenn Aussagen aus autorzentrierter Perspektive gemacht werden. Zur Diskussion um die Verfasserfrage des lukanischen Doppelwerks vgl. KLEIN, Lukasstudien, 11–40. SCHRÖTER, JENS, Lukas als Historiograph. Das lukanische Doppelwerk und die Entdeckung der christlichen Heilsgeschichte, in: BECKER, EVE-MARIE (Hg.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung (BZNW 129), Berlin 2005, 237–240. VERHEYDEN, Unity, 3–56. PESCH, Apg, 24 u.v.m. 55 Begründet wird dies primär mit der Beobachtung, dass Lukas schon die Jesusdarstellung in weltgeschichtliche Koordinaten eintrage (Lk 2,1; 3,1) und die Apostelgeschichte als zweiten Teil seines Werkes anfüge, die noch stärker mit weltgeschichtlichen Ereignissen verwoben sei. Vgl. KLEIN, Lukasstudien, 105. ZMIJEWSKI, Apg, 25. SCHRÖTER, Lukas als Historiograph, 247–254 u.a. 56 Vgl. KLEIN, Lukasstudien, 106. KLEIN, Lukasevangelium, 53. 57 Apg 16,17 ist die einzige Stelle, an der die Wortkombination o`do.j swthri,aj zu finden ist. Vgl. KLEIN, Lukasstudien, 111. KLEIN, Lukasevangelium, 53. 58 Vgl. KLEIN, Lukasstudien, 111. Heil und der Weg dorthin bestehe primär in der Nachfolge Jesu, in Glaube, Offenheit für die Zukunft und für die Königsherrschaft Gottes. Das zeigt sich z.B. an der breit entfalteten Darstellung des Weges Jesu nach Jerusalem (Lk 9,51-19,27; besonders 13,23-24.33), an Paulus’ Weg, der dem Weg des Herrn
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Dieses theologische Konzept präsentiert sich als „Weg des Heils“, der von zwei eng miteinander verwobenen Dimensionen – einer zeitlichen und örtlichen – strukturiert und von einigen Hauptprotagonisten beschritten wird, die wiederum von einer Vielzahl von Nebenfiguren begleitet, aufgehalten oder angetrieben werden. Vermittelt wird die Theologie des „Weges des Heils“ im Erzählen verschiedener Episoden, weshalb die Form der Apostelgeschichte als Episodenstil bezeichnet wird. Die einzelnen Episoden werden nämlich nicht durch Zwischenüberschriften oder andere optische Signale voneinander abgegrenzt, sondern die Gliederungssignale der Geschichte werden erzählt, indem eine Umgruppierung der zeitlichen, örtlichen und personalen Gegebenheiten erfolgt und somit neue Konstellationen auf dem Geschichtsweg entstehen.59 Zur Einheit „Weg des Heils“ auch in Kontinuität mit dem vorangegangenen Weg Israels werden die einzelnen Episoden durch verschiedene Gestaltungselemente zusammengebunden. Beispielsweise fassen Summarien wichtige Inhalte zusammen und Reiseberichte verorten den „Weg des Heils“ geographisch in einer Kontinuitätslinie, die sich von Jerusalem bis nach Rom erstreckt. Dieses stellt aber noch nicht das Ende des Weges dar, sondern verweist sogar noch weiter über sich hinaus. Das Ziel ist nämlich das »Ende der Erde« (Apg 1,8).60 Auch verschiedene Arten von Reden61 verstärken die Einheit des „Weges des Heils“, indem sie vorangegangene Ereignisse rückblickend deuten, ihre übergeschichtliche Bedeutung aufzeigen und gelegentlich vorausschauend künftige Ereignisse vorbereiten.62 So markieren sie meist wichtige Wendepunkte oder Schwellen auf dem „Weg des Heils“ und tragen in seine sonstige Dynamik statische Elemente ein, die einem Innehalten auf dem Weg gleichen. Sogar sprachlich spiegelt sich die Kontinuität des erzählten Geschehens als Fortsetzung des vergangenen entspricht (Apg 13,10; 18,25), oder an der Bezeichnung der christlichen Botschaft oder des entstehenden Christentums als „Weg Gottes“ (Apg 9,2; 18,26, 19,23; 22,4, 24,14.22). 59 Vgl. WOLTER, MICHAEL, Das Lukasevangelium (HNT 5), Tübingen 2008, 16–17. Die einzelnen Episoden selbst werden in verschiedenen Gattungen geschildert, wie z.B. Wundergeschichten, Erzählabschnitte, Visionen, u.v.m. 60 Vgl. EISEN, Poetik, 165, 169. Vgl. auch II, 1.3. 61 Für einen ausführlichen Überblick dazu vgl. SOARDS, Speeches. WILCKENS, ULRICH, Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen (WMANT 5), Neukirchen 31974. PLÜMACHER, Apostelgeschichte, 502– 506. YAMADA, KOTA, A Rhetorical History: The Literary Genre of the Acts of the Apostles, in: PORTER, STANLEY E./OLBRICHT, THOMAS H. (Hg.), Rhetoric, Scripture and Theology. Essays from the 1994 Pretoria Conference (JSNT SS, 131), Sheffield 1996, 230– 350. 62 Vgl. PLÜMACHER, Apostelgeschichte, 502–505, nennt als Beispiel Apg 7,2-53; 22,1-21 u.v.m. Die insgesamt 24 Redestücke machen ca. ein Drittel der gesamten Apostelgeschichte aus.
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Weges Israels. Es werden nämlich nicht nur in auffälliger Weise Sprache und zum Teil auch episodischer Erzählstil der Septuaginta nachgeahmt (vgl. Lk 1,5-79),63 sondern auch durch Anspielungen oder sogar wörtliche Einspielungen Ereignisse der Geschichte Israels vergegenwärtigt.64 1.3 Erzählung des „Weges des Heils“ in der Apostelgeschichte Durch die Erzählung im Episodenstil wird der „Weg des Heils“ als eine Art mehrdimensionaler Weg mit verschiedenen Etappen skizziert, denn seine zeitliche und örtliche Strukturierung ist aufs Engste mit seiner inhaltlichen Dimension verbunden, die darüber hinaus von verschiedenen Protagonisten vermittelt wird. Dies soll nach einem Überblick über das gesamte lukanische Doppelwerk vor allem anhand der Apostelgeschichte aufgezeigt werden, um darin die zu untersuchende Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 einordnen zu können. 1.3.1 Übersichtsplan über den mehrdimensionalen „Weg des Heils“ Eine zeitliche Dimension wird schon im Proömium des Lukasevangeliums (Lk 1,1-4) durch das Vorhaben formuliert, basierend auf Augenzeugen alles der Reihe nach genau aufzuschreiben (pa/sin avkribw/j kaqexh/j). Dementsprechend wird der Eindruck chronologisch zuverlässiger Abfolge dadurch verstärkt, dass stellenweise weltgeschichtliche Ereignisse und Gestalten in die Erzählung aufgenommen werden (Lk 2,1; 3,1; Apg 17; 18,2; etc.). Allerdings enthalten diese „Synchronismen“65 teilweise nicht ganz korrekte bzw. widersprüchliche Angaben und werden mit fiktionalen Erzählelementen kombiniert. Dadurch werden die jeweiligen historischen Ereignisse transparent für theologische Interessen.66
63 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 21. Zur ausführlichen Charakterisierung des Episodenstils vgl. EBD., 16–22. WOLTER, MICHAEL, Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: BREYTENBACH, CILLIERS/SCHRÖTER, JENS/DU TOIT, DAVID S. (Hg.), Die Apostelgeschichte und die hellenistische Geschichtsschreibung. Festschrift für Eckhard Plümacher zu seinem 65. Geburtstag (AJEC 57), Leiden/Boston 2004, 253–284, bes. 258–279. 64 Beispielsweise zeigt SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, ausführlich strukturelle, motivische und sprachliche Analogien des lukanischen Doppelwerks mit der Exoduserzählung. KOET, BART, Isaiah in Luke-Acts, in: DERS., Dreams and Scripture in Luke-Acts. Collected Essays (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 42), Leuven u.a. 2006, 51–79, untersucht, inwiefern Jesajatexte das lukanische Doppelwerk prägen. Vgl. weiterhin Untersuchungen von DOBLE, PETER, The Psalms in Luke-Acts, in: MENKEN, M. J. J./MOYISE, STEVE (Hg.), The Psalms in the New Testament, London/New York 2004, 83–117. u.a. 65 ZMIJEWSKI, Apg, 319. 66 Vgl. BACKHAUS, Historiographie, 35–41.
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Das Lukasevangelium als Erzählung der Geschichte Jesu Christi von seiner Geburt bis zu seiner Erhöhung, umfasst in zeitlicher Hinsicht eine Etappe von ca. 30 Jahren,67 in denen in örtlicher Hinsicht – stark vereinfacht – eine Wegstrecke von Galiläa nach Jerusalem zurückgelegt wird. Beide Dimensionen werden dabei ausdifferenziert. So wird die Geschichte Jesu von Beginn an narrativ in die Geschichte Israels eingeschrieben, indem die lukanische Kindheitsgeschichte durch Sprache, Handlungsträger, szenische Darstellung und verheißungsgeschichtliche Leitmotive biblische Erzählungen der Geschichte Israels einspielt. Dadurch erscheint die Geschichte Israels als eine „unvordenklich alte biblisch-jüdische Urgeschichte“68 der Jesus-Geschichte und des Christus-Geschehens, so dass der Eindruck von Kontinuität mit dieser Vergangenheit entsteht und diese zugleich bleibend aktualisiert wird, indem Jesus mit seinem Weg die Richtung des Weges Israels fortschreibt. Auch inhaltlich und ‚örtlich‘ wird in der Kindheitsgeschichte – ebenfalls in Analogie und sogar direkter Aufnahme alttestamentlicher Darstellungsweise – im prophetischen Wort des Simeon Lk 2,30-32 in Anspielung auf Jesajaworte das Ziel der Erzählung des „Weges des Heils“ umrissen: Heil für die Völker und das Volk Israel.69 Ebenso wird am Ende des Lukasevangeliums der Weg Jesu nicht nur als Fortsetzung des Weges Israels erzählt, sondern auch als Ausgangspunkt für die noch ausstehende Erfüllung des verheißenen Ziels ‚Heil für die Völker zusammen mit Israel‘. Denn auf dem Weg nach Emmaus deutet Jesus seinen Tod und seine Auferstehung als Erfüllung der gesamten Schrift (Lk 24,26-27), betont also die Kontinuität zur Geschichte Israels. Außerdem beauftragt der Auferstandene seine Jünger zur Verkündigung an alle Völker (Lk 24,47) und mit der Erzählung von der Erhöhung des Auferstandenen wird seine Wiederkunft vorbereitet (Lk 24,50). Demnach setzt der im Lukasevangelium erzählte (gegenwärtige) Wegabschnitt den vorangegangenen Weg aktualisierend fort und gibt zugleich Wegweisungen für ausstehende Etappen bis zum verheißenen Ziel. Insofern die Apostelgeschichte mit einer Zusammenfassung des Lukasevangeliums beginnt (Apg 1,1-2), präsentiert sie sich als Fortsetzung des Weges Jesu, der seinen Ursprung in der Geschichte Israels hat und bis zu seinem Tod, seiner Auferweckung und Erhöhung geführt hat. Sie setzt au67
Vgl. EISEN, Poetik, 221–222. Vgl. BACKHAUS, Historiographie, 43. 69 Lk 2,34 greift außerdem das spezielle Schicksal Jesu in verschlüsselter Weise auf. Vgl. BACKHAUS, Historiographie, 51–52. EISEN, Poetik, 150–151. Für ausführliche Untersuchungen zu Lk 2,30-32 und den Anspielungen auf Jes 40,3-5; 42,6; 49,6; 60,1-3 vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 139–143. KOET, Dreams, 99–122. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 78–85. WASSERBERG, Israels Mitte, 136–147 u.a. Vgl. außerdem den Exkurs zum Verstockungsmotiv im lukanischen Doppelwerk in III, 9. 68
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ßerdem nicht nur zeitlich (Erscheinung des Auferstandenen und Himmelfahrt) und örtlich (Jerusalem) exakt am Ende des Lukasevangeliums als ihrer „Ur-Geschichte“70 an, sondern auch inhaltlich. So signalisieren der Verkündigungsauftrag in Apg 1,8 (in Aufnahme von Lk 24,47) und die Erhöhung des Auferstandenen in Apg 1,9-11 (in Rückgriff auf Lk 24,50), dass der schon erfolgte und vorgezeichnete Weg nun weitergegangen werden kann.71 Dabei wird zugleich als Ziel die Verkündigung der Königsherrschaft Gottes bis ans »Ende der Erde« (Apg 1,8) formuliert. Dieses wird allerdings innerhalb der Apostelgeschichte nur ansatzweise erreicht, da der von ihr erzählte Abschnitt des „Weges des Heils“ mit der Verkündigung der Königsherrschaft Gottes durch Paulus in Rom endet. 1.3.2 Etappen des „Weges des Heils“ in der Apostelgeschichte Der Beginn der Apostelgeschichte signalisiert nicht nur eine Verlängerung des Weges Israels und seiner Fortsetzung im Weg Jesu Christi,72 sondern zeichnet auch eine Art mehrdimensionaler Landkarte für die folgenden Etappen vor. Der inhaltlichen Dimension zuzuordnen ist die Zusammenfassung der Verkündigung des Auferstandenen mit dem Hinweis, dass er von der ‚Königsherrschaft Gottes‘ spricht (Apg 1,3: … le,gwn ta. peri. th/j basilei,aj tou/ qeou/). Diese prägt den in der Apostelgeschichte erzählten Weg und spannt durch die erneute Erwähnung in Apg 28,31 (khru,sswn th.n basilei,an tou/ qeou/ …) eine theologische Klammer um ihn.73 Auch die Ankündigung der Gabe des Heiligen Geistes und der Auftrag zur Zeugen70
BACKHAUS, Historiographie, 43. Die Apostelgeschichte präsentiert sich auch im weiteren Erzählverlauf als Fortsetzung der bisherigen Geschichte Israels und Jesu. Immer wieder knüpft sie nämlich durch vielfältige (externe) Analepsen an die Geschichte Jesu (in Form des Lukasevangeliums) und darüber hinaus an die Geschichte Israels an und vergegenwärtigt sie durch die narrative Gestaltung von Episoden. Außerdem greift sie immer wieder auf das verheißene Ziel des „Weges des Heils“ proleptisch voraus, so dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich gegenseitig durchdringen. Vgl. EISEN, Poetik, 222. 71 Vgl. EISEN, Poetik, 221. Die Apostelgeschichte erzähle – ebenso wie das Lukasevangelium – einen Zeitraum von ca. 30 Jahren. 72 Vgl. EISEN, Poetik, 144. Die Anknüpfung an den Weg Israels erfolge beispielsweise, indem 40 Tage als Zeit der Erscheinung des Auferstandenen genannt werden. Damit werde nämlich auf Ereignisse aus der Geschichte Israels angespielt, wie z.B. auf die 40 Jahre lange Wüstenzeit Israels oder auf den Aufenthalt des Mose auf dem Berg Sinai. Damit werde die Zeit zwischen Auferstehung und Erhöhung implizit in den Horizont der Geschichte Israels, speziell der Zeit des Mose, gestellt und daran angeknüpft. 73 Vgl. EISEN, Poetik, 144–145. ‚Königsherrschaft Gottes‘ wird „endgültig zum summarischen Begriff dafür, was die Verkündigung von und über Jesus bedeutet.“ Beispielsweise findet sich der Begriff h` basilei,a tou/ qeou/ auch im Rahmen der ersten Verkündigung außerhalb Jerusalems in Apg 8,12.
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schaft (Apg 1,8: avlla. lh,myesqe du,namin evpelqo,ntoj tou/ a`gi,ou pneu,matoj evfV u`ma/j kai. e;sesqe, mou ma,rturej e;n te VIerousalh.m kai. ÎevnÐ pa,sh| th/| VIoudai,a| kai. Samarei,a| kai. e[wj evsca,tou th/j gh/j. »Aber ihr werdet die Kraft empfangen des Heiligen Geistes, der auf euch herabkommen wird, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Erde.«) in Aufnahme von Lk 24,47-49 benennen die inhaltliche Dimension der Wegetappen, die in der Apostelgeschichte erzählt werden. Inhaltlich wird damit als Ziel des „Weges des Heils“ also Zeugenschaft bis ans »Ende der Erde« formuliert. Neu eingeführt werden darüber hinaus unter anderem74 die Frage der Jünger nach der Apokatastasis der Königsherrschaft für Israel (Apg 1,6: ku,rie( eiv evn tw/| cro,nw| tou,tw| avpokaqista,neij th.n basilei,an tw/| VIsrah,lÈ) und der Ausblick auf die Parusie (Apg 1,11: … ou-toj o` VIhsou/j o` avnalhmfqei.j avfV u`mw/n eivj to.n ouvrano.n ou[twj evleu,setai o]n tro,pon evqea,sasqe auvto.n poreuo,menon eivj to.n ouvrano,n. »… Dieser Jesus, der vor euch in den Himmel hinauf genommen worden ist, dieser wird kommen, wie ihr ihn in den Himmel gehen gesehen habt.«). Damit wird ein thematischer und zeitlicher Horizont des „Weges des Heils“ umrissen, der aber in zeitlicher Hinsicht als ein Geheimnis Gottes (Apg 1,7) ausdrücklich offen bleibt. Dementsprechend zeigt auch das Ende der Apostelgeschichte, dass der Zeitpunkt der Parusie und Apokatastasis tatsächlich außerhalb der Erzählung in offener Zukunft liegt. Aber auch die Zeugenschaft bis ans »Ende der Erde« steht noch aus, denn mit der Verkündigung der Königsherrschaft Gottes in Rom ist das »Ende der Erde« noch nicht erreicht.75 Neben diesem inhaltlichen und (offenen) zeitlichen Rahmen wird auch die räumliche Dimension des Weges auf zwei Ebenen abgesteckt: 1. Eine vertikale Achse – zwischen ‚Himmel‘ und ‚Erde‘76 – entsteht durch die Betonung der Erhöhung des Auferstandenen (Apg 1,2.9). Inhaltlich geht es dabei um die Verheißung Gottes und ihre Verwirklichung, also um Geistausgießung und Königsherrschaft Gottes. 2. Eine horizontale Achse wird durch den Auftrag des Auferstandenen zur Zeugenschaft von Jerusalem über ganz Judäa und Samarien bis ans 74
Weitere gegenüber dem Schluss des Lukasevangeliums eingeführte Themen sind die Terminierung der Geisttaufe und die Entgegensetzung von Wasser- und Geisttaufe. Vgl. EISEN, Poetik, 146. 75 Vgl. WOLTER, Lukanisches Doppelwerk, 261. EISEN, Poetik, 153. 76 EISEN, Poetik, 161, 166, erläutert im lukanischen Doppelwerk, sei der Himmel der Raum Gottes, die Erde der Raum der Menschen und der Tiere (Apg 4,24; 14,15; 27,26) und der Hades der Raum der Toten. Dem Himmel sei Gott und alles, was ihm gehört, zugeordnet, so dass davon die Engel, der Heilige Geist, Stimmen, Gegenstände herabkämen und eines Tages von dort der Messias als Richter kommen werde (Lk 21,27; Apg 1,11; 3,21). Während die Grenze zwischen Himmel und Totenreich als impermeabel semantisiert sei, sei die Grenze zwischen Himmel und Erde durchlässig.
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»Ende der Erde« (Apg 1,8), gewissermaßen als Landkarte für den weiteren „Weg des Heils“ und sein Ziel, skizziert. Inhaltlich geht es auf dieser Ebene um die Rezipienten der Verheißungen von Geistausgießung und Königsherrschaft Gottes. Denn mit dem geographischen Programm wird zugleich ein ethnisches formuliert, insofern das »Ende der Erde« nach antikem Verständnis Spanien ist, also in der Völkerwelt liegt, weit entfernt vom verheißenen Land. Es geht also um die Überschreitung von geographischen und ethnischen, implizit auch religiösen Grenzen.77 Insofern die Apostelgeschichte die Geschichte der Begegnung Gottes mit Israel und die Geschichte Jesu Christi vergegenwärtigt und fortsetzt, ist in Analogie dazu der hier erzählte „Weg des Heils“ immer auch mit erfahrbarem Unheil für Einzelne oder die junge Gemeinschaft (entstehendes Christentum) verbunden.78 Diese befindet sich nämlich in einer „Schwellenphase“79, in der sie sich ihrer Grenzen, ihres Rechts und ihrer Zukunft oftmals unsicher ist. So enthält die Erzählung vom „Weg des Heils“ „schmerzhafte Trennungsprozesse“80 im Zusammenhang mit Ordnungstransformationen, wie beispielsweise die häufige Ablehnung der Verkündigung von Petrus und Paulus zeigt. Gerade an solchen Stationen der Grenzüberschreitung werden die dabei ablaufenden Konflikte auf der horizontalen Ebene mit der vertikalen Achse verknüpft und von ihr rückversichert, indem von letzterer aus Gott, seine Engel, der Heilige Geist oder der Erhöhte stabilisierend ins Geschehen eingreifen. Außerdem erfolgt an solchen Schwellen häufig die nötige Selbstvergewisserung durch erinnernde Rückverweise an Weg-Etappen Israels oder Jesu Christi innerhalb von Reden, die also anamnetische Momente in die Erzählung einbringen. Da die Redner meist als Geistbegabte charakterisiert werden, deutet sich in ihnen darüber hinaus die enge Verknüpfung von vertikaler und horizontaler Dimension an.81 Nach solchen Elementen der Selbstvergewisserung führen die Trennungsprozesse dann
77 Vgl. EISEN, Poetik, 165, 169. Das könne nicht nur auf syntagmatischer Ebene der Erzählung nachgewiesen werden, sondern werde auch von Apg 28,28.30 akzentuiert. 78 Vgl. KLEIN, Lukasstudien, 117. Als Beispiel dafür nennt er Apg 7, wo eine Kette von Fakten aufgezählt werde, die das Versagen des Gottesvolkes angesichts der Führung durch Gott darlegen. 79 BACKHAUS, Historiographie, 47. 80 Vgl. EISEN, Poetik, 226. 81 Vgl. EISEN, Poetik, 105–108, 186–187, 222, 226. Eine ähnliche Durchdringung von vertikaler und horizontaler Achse geschehe in Prolepsen, die häufig in Form von Visionen und Träumen erfolgen. Vgl. auch KOET, Dreams, 11–24, bes. 12, 16, 24, legt dar, dass Träume und Visionen als göttliche Kommunikationsmittel dienen. Lukas verwende sie unter anderem, um die Heidenmission zu rechtfertigen.
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oftmals zu neuem Aufbruch und ermöglichen weitere grenzüberschreitende Zeugenschaft.82 Der Selbstvergewisserung in den Prozessen der Ordnungstransformation dienen weiterhin die Protagonisten der Apostelgeschichte, insofern sie schon zu Beginn der Erzählung als ‚Zeugen Jesu Christi‘, die aus dem Lukasevangelium bekannt sind, eingeführt werden. Sie realisieren den „Weg des Heils“ mit seinen verschiedenen Dimensionen und vergegenwärtigen als (Augen-)Zeugen Jesu Christi lebendig die identitätsstiftende Kontinuität zu diesem und zur Geschichte Israels.83 Der selbstvergewissernden Orientierung dient auch das Bild der Jerusalemer Gemeinde, das besonders die Summarien (Apg 2,43-47; 4,32-37; 5,12-16) als Vorbild dafür, wie es immer sein könnte bzw. sollte, zeichnen. So geben die Jerusalemer Szenen im ersten Abschnitt der Apostelgeschichte (Apg 1,4-8,3) eine Art „Stammbaum“84 für die werdende christliche Gemeinschaft, um (neben Israel als Wurzel) an die zusätzlichen Wurzeln der eigenen Gruppenidentität zu erinnern.85 Insofern die Apostelgeschichte den „Weg des Heils“ in einer Erzählung skizziert, die durch ihre besonderen Gestaltungselemente eigene WegEtappen, solche aus dem lukanischen Doppelwerk und darüber hinaus aus der Geschichte Israels immer wieder erinnernd aufgreift, sind hier also in verdichteter Form die für biblische Texte charakterisierenden anamnetischen Momente enthalten.86 1.3.3 Die Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 an der Grenze Jerusalems Entsprechend der geographischen Struktur, die der Auftrag des Auferstandenen in Apg 1,8 skizziert, werden in der Apostelgeschichte folgende 82
Vgl. EISEN, Poetik, 226. Besonders signifikant seien dabei Apg 7,55-56 und 10,1016, weil nur an diesen Stellen der Erzähladressat genaueren Einblick in den Raum „Himmel“ bekomme. Vgl. EBD., 166–167. Möglicherweise ist demnach dieser Einblick in den Himmel ein Signal für das Vorliegen einer Grenzüberschreitung. Vgl. auch Lektüre von Apg 7,55-56. 83 Vgl. BACKHAUS, Historiographie, 49. Ausführlich bespricht er die Gestalt des Paulus als „erzählstrategische Brücke“. 84 BACKHAUS, Historiographie, 48. Die Summarien, die das Jerusalembild prägen, könnten also mit ätiologischen Urgeschichten und dem Stammbaum am Anfang des Evangeliums verglichen werden, die der Vergegenwärtigung der (biblischen) Wurzeln als Wahrnehmungshorizont dienen. Deshalb könne auch von einer Jerusalemer „Urzeit“ gesprochen werden. 85 Vgl. BACKHAUS, Historiographie, 47–48. 86 Vgl. BACKHAUS, Historiographie, 42, erklärt, das lukanische Doppelwerk präsentiere sich als Verbindung von Theologie und Geschichtsschreibung zu einer „sinn-vollen“, „identitäts-stiftenden“ Einheit vermittelt durch Erzählen, also einer besonders nachhaltigen Gestalt von Deutung und von Theologie.
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Etappen und Stationen des „Weges des Heils“, der sich über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren erstreckt,87 erzählt:88 Die erste Etappe Apg 1,4-8,3 enthält die Verkündigung des Evangeliums in Jerusalem. Dabei wird zeitlich, räumlich und personell vielfältig das Lukasevangelium aufgegriffen. Obwohl die Anfänge der Jerusalemer Gemeinde nach der Geistausgießung (Apg 2,1-41)89 als Idealbild von Harmonie dargestellt werden, zeichnen sich immer wieder Konflikte, die sich zudem noch steigern, zwischen den Nachfolgern Jesu und Kreisen der jüdischen Führungsschicht in Jerusalem ab (Apg 4,1-3.18.21.29; 5,18.33.40). Das Ende der Jerusalemer Zeit bildet die Stephanusepisode Apg 6,1-8,3, die Gegenstand der hier vorliegenden Untersuchung ist. Darin leuchtet zwar im Konflikt um die Versorgung der hellenistischen Witwen noch einmal das Motiv der Harmonie auf, aber letztlich mündet diese in den Konflikt um Stephanus. Dieser Mann, erfüllt von Glauben und Heiligem Geist, vergegenwärtigt seinen Gegnern in einem umfassenden Geschichtsrückblick den Verlauf ihres eigenen Heils- und vor allem auch Unheilsweges. Letzterer spiegelt sich schließlich auch in der Steinigung des Stephanus, die in eine große Verfolgung und Zerstreuung der Jerusalemer Gemeinde mündet. Damit steht die Stephanusepisode an der Grenze der Jerusalemer Zeit und an der Schwelle zur zweiten Etappe. Die zweite Etappe Apg 8,4-11,18 umfasst die Verkündigung des Evangeliums in ganz Judäa und Samarien. Besondere Stationen dabei sind nicht nur die Taufe eines Äthiopiers durch Philippus (Apg 8,26-40), sondern vor allem auch die Berufung von Saulus, der bisher die Anhänger des »(neuen) Weges« verfolgt hat (Apg 9,2), zum Verkündiger unter den Völkern (Apg 9,3-22). Darüber hinaus markiert die Taufe des Gottesfürchtigen Kornelius durch Petrus (Apg 10,1-11,18) einen Schritt im Prozess der Ordnungstransformation, insofern die beschneidungsfreie Aufnahme unter die christlichen Juden als ausdrücklicher Wille Gottes erklärt wird.
87
Vgl. EISEN, Poetik, 221. Da die Apostelgeschichte im Episodenstil erzählt wird, gibt es verschiedene Gliederungsansätze. Vgl. dazu SCHNELLE, Einleitung, 307–310. SCHNEIDER, Apg, 66 gliedert folgendermaßen: Einleitung 1,1-26; I. Teil: 2,1-5,42; II: 6,1-15,35; III: 15,36-28,31. Eine wieder andere Dreiteilung sieht WEISER, ALFONS, Die Apostelgeschichte (ÖTK 5/1.2), Würzburg 21989, 27–28. ROLOFF, JÜRGEN, Die Apostelgeschichte (NTD 5), Göttingen 2 1988, 13–14, schlägt eine Fünfteilung vor. M.E.n. ist neben dem Prolog Apg 1,1-3 eine geographische Gliederung in drei Teile gemäß Apg 1,8 plausibel: 1,4-8,3; 8,4-11,18; 11,19-28,31. 89 Die Geistausgießung erfolgt über alle Anwesenden in Jerusalem, verschiedener ethnischer und religiöser Herkunft. 88
1 Die Stephanusepisode als Text der christlichen Bibel
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In der dritten Etappe Apg 11,19-28,31 wird vor allem durch Paulus das Evangelium unter den »Völkern«90 verkündet. Dabei trifft Paulus auf gespaltene Reaktionen von jüdischer Seite, wie sich an seiner letzten Station in Rom zusammenfassend ablesen lässt91 – die einen lehnen seine Verkündigung ab, die anderen nehmen sie an (Apg 28,24). Bei den »Völkern« dagegen stößt er größtenteils auf Akzeptanz. In der Apostelgeschichte wird also inhaltlich die Verheißung Simeons Lk 2,30-32 schrittweise erfüllt und der Weg wird räumlich ‚breiter‘ insofern er neben dem Volk Israel auch die (anderen) »Völker« einschließt. Das letzte Ziel des „Weges des Heils“ bleibt allerdings auf unbestimmte Zukunft hin offen, weil am Schluss der Apostelgeschichte das »Ende der Erde« noch nicht erreicht ist und auch die verheißene Apokatastasis bei der Parusie Christi weiterhin aussteht. Insgesamt erweist sich das lukanische Doppelwerk also als Umsetzung der heilsgeschichtlichen (anamnetischen) Struktur des Neuen Testaments. Die Erzählung der Jesus-Geschichte und dessen Fortsetzung in der Apostelgeschichte als Etappen auf dem „Weg des Heils“ interpretieren sich nämlich gegenseitig. Dabei wird ihr historisches Nacheinander, das durch ihr literarisches Nacheinander abgebildet wird, „kerygmatisch überbrückt: Die Geschichte Jesu wird nicht nur in der Verkündigung durch seine Zeugen reaktualisiert“, sondern deren Geschichte „‚überholt‘ die Zeit der Zeugen und ist in ihrer Deutung … auch überall bleibend präsent, wo Jesus Christus verkündigt und geglaubt wird.“92 Darüber hinaus wird in vielfältiger Weise auf die Geschichte Israels erinnernd zurückgegriffen und die Kontinuität zu dieser vergegenwärtigt. Insbesondere in der Apostelgeschichte spiegelt sich diese „heilsgeschichtliche“ Struktur. Nicht nur innerhalb ihrer Erzählung vom „Weg des Heils“ werden nämlich räumliche, ethnische und religiöse Schwellen markiert, überschritten und transformiert, sondern sie steht als Ganzes an der Schwelle zwischen zwei großen Etappen des „Weges des Heils“ – der vor 90
Entsprechend dem griechischen Begriff ta. e;qnh im Gegenüber zu o` lao,j wird in dieser Arbeit in der Regel von den »Völkern« statt von »Heiden« gesprochen. Eine ausführliche Untersuchung zu diesen Begriffen bietet z.B. NEUBRAND, MARIA, Israel, die Völker und die Kirche. Eine exegetische Studie zu Apg 15 (SBB 55), Stuttgart 2006, 21– 23. 91 Da es an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde, die einzelnen Missionsreisen des Paulus ausführlich zu besprechen, sei auf entsprechende Untersuchungen verwiesen, wie z.B. SCHNELLE, UDO, Paulus. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Berlin/New York 2003, 137–176. WICK, PETER, Paulus, Göttingen 2006, 77–78. EBEL, EVA, Das Leben des Paulus, in: WISCHMEYER, ODA (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe (UTB 2767), Tübingen/Basel 2006, 83–96. WISCHMEYER, ODA, Das Missionswerk des Paulus, in: DIES., Paulus, 97–106, bes. 98–102. 92 WOLTER, Lukasevangelium, 33.
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österlichen und der nachösterlichen – und verknüpft diese durch vielfältige Verbindungslinien. In dieser „Scharnierfunktion“93 ist sie nicht nur vergegenwärtigende Fortsetzung der Zeit Jesu, sondern auch Grundlage für die Fortsetzung der apostolischen Zeit, die in den Apostelbriefen thematisiert wird.
2 Grundlinien kanonisch-intertextueller Auslegung Aufgrund der Wahrnehmung von Apg 6,1-8,3 als literarischen Text, der innerhalb des lukanischen Doppelwerks als Erzählung des „Weges des Heils“ an der Schwelle zwischen zwei Etappen in der Apostelgeschichte verortet ist, und als Text innerhalb des Kanons in seiner Gestalt als ‚christliche Bibel‘ wird für dessen Untersuchung der methodisch-hermeneutische Zugang „kanonisch-intertextuelle Auslegung“94 gewählt. Grundsätzliches 93
NIEBUHR, Exegese, 569. Dieses Konzept wurde von GEORG STEINS geprägt. Besonders wichtig: STEINS, Bindung Isaaks. DERS., Der Bibelkanon als Denkmal und Text. Zu einigen methodologischen Aspekten kanonischer Schriftauslegung, in: AUWERS/DE JONGE, The Biblical Canons, 177–198. STEINS, GEORG, Kanonisch lesen, in: BLUM, ERHARD/ UTZSCHNEIDER, HELMUT (Hg.), Lesarten der Bibel. Untersuchungen zu einer Theorie der Exegese des Alten Testaments, Stuttgart 2006, 45–64. Nahezu denselben Ansatz bezeichnet CHRISTOPH D OHMEN mit dem Begriff „biblische Auslegung“. Vgl. insbesondere: DOHMEN, Biblische Auslegung, 174–191. Siehe auch: HIEKE, Genealogien. DERS., Neue Horizonte. Biblische Auslegung als Weg zu ungewöhnlichen Perspektiven, in: ZNT 12 (2003) 65– 76. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie. NICKLAS, Biblische Texte, 241–256. DOHMEN, Biblische Auslegung, 182, erklärt, die Bezeichnung „biblische Auslegung“ möchte darauf verweisen, dass „die Eigenart eines Textes (Textualität) für die Auslegung berücksichtigt werden muss.“ NICKLAS, TOBIAS, Neutestamentliche Texte als Teil des Buches »Bibel« lesen, in: rhs 48 (2005) 151–159, hier 154, sieht im Begriff „Bibel“ gegenüber „Kanon“ folgende Vorteile: eine Bibel beschreibt „eine greifbare literarische Größe …, die konkrete Ausprägung eines Arrangements heiliger Schriften als Buch. »Kanon« dagegen meint das zu dieser Ausprägung führende Konzept. … Interpretiert werden soll aber eigentlich nicht der Kanon, sondern Texte, die Teil des Kanons sind … der »Text« der Bibel.“ Die Rede von „biblischer Auslegung“ umgehe außerdem die Gefahr, den „Begriff »neutestamentlicher Kanon« dahingehend misszuverstehen, dass eine »kanonische Auslegung« des Neuen Testaments durchführbar wäre.“ Trotz dieser Vorteile der Terminologie „biblische Auslegung“ wird hier die Bezeichnung „kanonisch-intertextuelle Auslegung“ verwendet. Dafür spricht nämlich, dass damit der zugrunde liegende Ansatz leichter in die internationale bibelwissenschaftliche Diskussion eingeordnet werden kann. Denn der Begriff „kanonisch“ weist zum einen darauf hin, dass diesem Konzept als hermeneutischer Leitbegriff „Kanon“ als „sinnstiftende Instanz und privilegierter Auslegungskontext“ zugrunde liegt, und zum anderen, dass grundlegende Gedanken des canonical approach von B. S. Childs und des canonical criticism von A. Sanders aufgenommen werden. Die Weiterführung dieser Ansätze spiegelt sich im Adjektiv „intertextuell“, denn damit wird auf das zugrundeliegende Textualitätskonzept als Intertex94
2 Grundlinien kanonisch-intertextueller Auslegung
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Anliegen dieses Ansatzes ist nämlich, „ein Auslegungskonzept vorschlagen zu können, das der Bibel selbst angemessen ist“95, was zur grundlegenden Frage führt, „ob die Bibel selbst Vorgaben für ihr Verstehen macht“96. Wegen dieses Grundanliegens und wegen der Sicht der christlichen Bibel als eines besonderen Textes im Sinne eines dialogischen Netz-Werkes, das aus vielfältigen biblisch gewordenen Einzeltexten besteht, setzt eine kanonisch-intertextuelle Auslegung am biblischen „Endtext“, also dem „synchronen Neben-, ... Mit- und Ineinander der biblischen Texte“97 an. Damit ist keine grundsätzliche Absage an diachrone Fragestellungen beabsichtigt, sondern vielmehr eine Änderung der Fragerichtung. Diese ergibt sich vor allem aus den oben skizzierten Überlegungen zur theologischen Bedeutung der christlichen Bibel, die als erinnernde Erzählung die Geschichte der Gottesbegegnung vergegenwärtigt.98 tualität und die Konzeption von Auslegung nach dem Rezeptions-/Lektüreparadigma hingewiesen. Vgl. STEINS, Bindung Isaaks, 4, 27, 30. DERS., Bibelkanon, 188. Außerdem besteht im internationalen Diskurs bei der Rede von „kanonisch-intertextueller Auslegung“ weniger als bei der Bezeichnung „biblische Auslegung“ die Gefahr einer Verwechslung mit unpräzise definierten bibelwissenschaftlichen Ansätzen. 95 DOHMEN, Biblische Auslegung, 174. Vgl. auch DERS., Bibel, 88. „Biblische Auslegung“ versuche also, das Elementare – die Bibel als Bibel – für die Auslegung wieder zu entdecken. Dieses Anliegen entspricht der Ansicht Martin Bubers: „Biblische Texte sind als Texte der Bibel zu behandeln, das heißt: einer Einheit, die, wenn auch geworden, aus vielen und vielfältigen, ganzen und fragmentarischen Elementen zusammengewachsen, doch eine echte organische Einheit und nur als solche wahrhaft zu begreifen ist.“ BUBER, MARTIN, „Ein Hinweis für Bibelkurse“, in: BUBER, MARTIN/ROSENZWEIG, FRANZ (Hg.), Die Schrift und ihre Verdeutschung, Berlin 1936, 310–315, hier 314–315. STEINS, Kanonisch lesen, 54, formuliert als Leitfrage einer kanonischen Lektüre: „Wie ist unter der Voraussetzung der Bibel als Kanon einer Glaubensgemeinschaft diese Eigenart der Bibel in der Lektüre zur Geltung zu bringen?“ EBD., 55–56, diskutiert auch bevorzugte Leitmetaphern kanonischer Lektüre. 96 DOHMEN, Biblische Auslegung, 174. 97 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 96. Die textkritische Problematik der Bezeichnung „Endtext“ soll dabei nicht übersehen werden. Vgl. auch STEINS, Bindung Isaaks, 29. Er betont die Unterscheidung von „final form“ des Textes als Endgestalt von der Endgestaltung im Sinne von Endredaktion. 98 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 97. STEINS, Kanon und Anamnese, 129, erklärt dazu, das Formalprinzip der Anamnese erschließe, was kanonisch-intertextuelle Lektüre meine. DERS., Bindung Isaaks, 229–230, begründet die Unzulänglichkeit der Unterscheidung diachroner und synchroner Methoden als Basis für eine Situierung der kanonisch-intertextuellen Lektüre darin, dass in der normalen Anwendung dieses Begriffspaares die sinnkonstitutierende Rolle der Lesenden unberücksichtigt bleibe. Im legitimen Methodenpluralismus gehe es darum, die verschiedenen Methoden differenziert zu beurteilen. Die Adäquatheit einer Methode bemesse sich nach dem gewählten Ziel des Rückgriffs auf die Texte und der dem Ziel entsprechenden Modellierung des Gegenstandes. Zur Reflexion über das Verhältnis von Diachronie und Synchronie vgl. auch DOH-
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II Hermeneutisch-methodische Überlegungen
Ziel einer kanonisch-intertextuellen Auslegung ist „das Erklären und Deuten von sprachlichen Äußerungen“ und – entsprechend einem weitgefassten Begriff von „Auslegen“ bzw. „Ex-egese“ – ein „Herausholen von Sinn bzw. Bedeutung“99 aus dem Text. Aufgrund des dynamischen Textverständnisses100 als eines dialogischen Netz-Werkes und verschrifteter Kommunikation ist es kaum möglich, den „einen – jenseits des Kontextes der Interpretation – vom Autor gestifteten absolut gültigen Sinn eines Textes festzustellen“101. Vielmehr leisten zum einen die Textstruktur, die von Intertextualität geprägt ist, zum anderen der Leser einen entscheidenden Beitrag zur Sinnkonstitution eines Textes. Folglich kennzeichnet sich kanonisch-intertextuelle Auslegung als ein textzentrierter und leserorientierter Zugang zu biblisch gewordenen Einzeltexten in ihrem Kontext ‚christliche Bibel‘.102 2.1 Zentrierung am ‚Bibel-Text‘ Insofern zum dialogischen Netz-Werk Text wesentlich sein Intertext gehört, muss bei der Auslegung primär die Textstruktur des Einzeltextes in ihrer Verknüpfung mit seinen Intertexten reflektiert werden. Bei einem biblisch gewordenen Text stellt die christliche Bibel den „privilegierten Intertext“ oder Kontext dar, womit „der Raum (und damit eine bestimmte MEN, CHRISTOPH, Das Zelt außerhalb des Lagers. Exodus 33,7-11 zwischen Synchronie und Diachronie, in: KIESOW, KLAUS/MEURER, THOMAS, Textarbeit. Studien zu Texten und ihrer Rezeption aus dem Alten Testament und der Umwelt Israels, Festschrift für Peter Weimar (AOAT 294), Münster 2003 157–169, hier 168. Dohmen betont ebenfalls die eigenständige Gleichberechtigung synchronen und diachronen Fragens: auf der Basis einer synchronen Analyse dürfen und können keine Urteile zur Diachronie gefällt werden, d.h. keine entstehungsgeschichtlichen Schlussfolgerungen gezogen werden. Vgl. auch HIEKE, Verstehen, 86. 99 DOHMEN, Biblische Auslegung, 179. Zu den Termini „Exegese“, „Hermeneutik“, „Interpretation“ vgl. ausführlicher DOHMEN, CHRISTOPH, Exegese, in: LThK3 3 (1995) 1087–1096, hier 1087. DERS., Bibel, 31–35, erläutert, inwiefern Auslegung eine besondere Form von Kommunikation ist. Auf der einen Seite stehe der Text als „stummer“ Kommunikationspartner (Absender), auf der anderen Seite der Leser (Adressat). Da der Text von sich aus nicht auf verschiedene Situationen reagieren könne, bedürfe es eines Lesers und einer Auslegung, um den inhärenten Sinn des Textes freizulegen. In ähnlicher Hinsicht bezeichnet Umberto Eco Texte als „träge Mechanismen“, die vom Leser angetrieben werden müssen, um etwas hervorzubringen. Vgl. ECO, UMBERTO, Lector in Fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten, München/Wien 31998, 63–64. 100 Vgl. NICKLAS, Christliche Apokryphen, 48. 101 NICKLAS, Leitfragen, 48. Zur Frage nach der ursprünglichen Intention des Autors vgl. auch KÖRTNER, Inspirierter Leser, 89. Von einem narratologischen Zugang her begründet die Absage an die Suche nach der Intention des empirischen Autors beispielsweise EISEN, Poetik, 14, 63–69. 102 Vgl. STEINS, Bindung Isaaks, 13–14, 16. Die kanonische Form der Literatur berühre auch die Frage, wie der moderne Leser das biblische Material versteht.
2 Grundlinien kanonisch-intertextueller Auslegung
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Gruppe von Texten) markiert und abgesteckt [ist], in dem intertextuelle Beziehungen notiert, ausgewertet und für die Interpretation fruchtbar gemacht werden.“103 Die Einbettung eines Textes in seinen literarischen Kontext kann hinsichtlich der Textstruktur nicht nur auf der Ebene einer Autor-Intention im Sinne von expliziten Zitaten oder Anspielungen beobachtet werden.104 Vielmehr gibt es neben diesen klassischen Fällen von Intertextualität verschiedenste andere „Markierungen“, durch die eine Referenz zu einem oder mehreren anderen Texten hergestellt wird. Dabei ist „Markierung“ die operationalisierbarste aller intertextuellen Eigenschaften, insofern sie die führende Rolle des fokussierten Textes („Hypertext“105) bei der Interpretation unterstreicht.106 Intertextualität ist also nicht nur eine den Texten inhärente Eigenschaft. Zwar können intertextuelle Qualitäten vom Text durch verschiedene Signale angezeigt werden, aber vollzogen werden sie in der Interaktion zwischen Text und Leser. Wichtig für die Interpretation ist also vor allem der Impuls, der einen Leser vom Hypertext zu anderen Texten („Hypo-“ oder „Subtexten“107) bewegt. Dementsprechend wird bei einem reflektierten Lektürevorgang und bei der Auslegung nach der Intention der intertextuellen Referenz und nach der textuellen Strategie, mit der die Referenz durchgeführt wird, gefragt, d.h. es werden die bedeutungskonstitutiven Prozesse der Intertextualität berücksichtigt.108 Insofern die intra- und intertextuellen Strategien des Textes seine Bedeutung entscheidend mitbestimmen, wird deutlich, dass der ‚Text‘ im Prinzip erst durch den Leser und seinen Akt des Lesens zur ‚Existenz‘ 103
STEINS, Bindung Isaaks, 99. Ergänzung durch Heike Braun. Vgl. auch HIEKE, Biblische Texte, 337. 104 Vgl. PELLEGRINI, Elija, 140–142. 105 STEINS, Bindung Isaaks, 100. TRIMPE, BIRGIT, Von der Schöpfung bis zur Zerstreuung. Intertextuelle Interpretationen der biblischen Urgeschichte (Gen 1-11) (Osnabrücker Studien zur Jüdischen und Christlichen Bibel 1), Osnabrück 2000, 50, Anm. 161. 106 Vgl. PELLEGRINI, Elija, 134. NICKLAS, Leitfragen, 59, erläutert: Markierungen bzw. Signale, die auf Beziehungen des fokussierten Textes zu anderen Texten hinweisen, können schon in strukturellen Parallelen oder in „Leerstellen“ liegen, die mithilfe von Ideen, Bildern oder Vorstellungen von Intertexten zu füllen sind. Ähnlich STEINS, Bindung Isaaks, 80: „Der Kanon ist ein Potential für eine Vielzahl dialogischer Bezüge auf verschiedenen Systemebenen.“ 107 HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 9. STEINS, Bindung Isaaks, 100. TRIMPE, Schöpfung, 50, Anm. 161. 108 Vgl. PELLEGRINI, Elija, 129–130. Da Intertextualität beim Leseverfahren eine operative Kategorie sein soll, müsse ihr Inhalt konkret definiert und in der Lektüre benutzbar sein. So werde gefragt, welchen Beitrag Intertextualität als operative Kategorie für das semiotische Lesemodell leisten kann. Auf Intertextualität als kooperative Kategorie wird also auch bei der Fragen nach dem Leser, dem Lesen und Auslegen erneut eingegangen werden müssen.
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kommt.109 Deshalb versteht sich kanonisch-intertextuelle Auslegung, gerade weil sie textzentriert ist, zugleich als leserorientiert.110 2.2 Orientierung am Leser Die tiefe Verankerung des Lesers im Textbegriff111 gilt in besonderem Maß für das Verständnis der christlichen Bibel als „Gestalt gewordener Dialog“112, der die Mitarbeit seiner Rezipienten erfordert.113 Welches Verständnis von ‚Leser‘, ‚Lesen‘ und ‚Interpretieren‘ liegt daher dem Konzept der kanonisch-intertextuellen Auslegung zugrunde? 2.2.1 Der Leser als Kommunikationspartner Auf der Grundlage des skizzierten Textverständnisses beinhaltet Leserorientierung den Grundsatz, „der Text selbst und vor allem auch der durch den Überlieferungsprozess bedingte, gegenüber seiner ursprünglichen Entstehungssituation neue Kontext (biblisches Buch, „Kanon“), erlauben Lesevorgänge, die in sich schlüssig und plausibel sowie dem Text und seinem (veränderten) Kontext angemessen sind.“114 Vor diesem Hintergrund verfolgt kanonisch-intertextuelle Auslegung das Ziel einer stark „am Text und dessen gleichsam ‚überzeitlichen‘ Gehalt orientierte Ideallektüre“115. Da es also letztlich nicht darum geht, „einen ideellen Typ ‚Leser‘ zu beschreiben, sondern darum, das Lesen zu beobachten, wie es sich tatsächlich vollzieht“116, das heißt den Leseprozess, 109
Vgl. PELLEGRINI, Elija, 72–73, erläutert, dass man von einer Textintention nur in Folge einer Unterstellung seitens des Lesers sprechen kann, die Initiative des Lesers also vor allem darin liegt, über die Textintention zu mutmaßen. 110 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 47. Radikal gesprochen macht erst der Leser den Text zu einem Text. Aus narratologischer Sicht formuliert EISEN, Poetik, 13–14: Da Erzählen auch heißt „Weltentwerfen“, sei Ziel der Narratologie, in die erzählte Welt einzutauchen, diese in ihren Strukturen und Funktionsweisen zu erfassen und ihre Bedeutung zu entschlüsseln. Zur Leserorientierung vgl. II, 2.2. 111 Zum hier zugrunde liegenden Textbegriff vgl. besonders II, 1.1.1. 112 STEINS, Bindung Isaaks, 84. Deshalb sei Schriftauslegung primär im Rahmen einer Rezeptionstheorie zu entwerfen. 113 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 47, sieht in dieser tiefen Verankerung der Leserorientierung in der Textintention den entscheidenden Unterschied zu radikal leserorientierten Ansätzen, in denen der Text als Text zurückzutreten droht. 114 HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 5–6. Dabei sei nicht von Interesse, ob diese Lesevorgänge so vom Autor intendiert waren, es werde also nicht zwischen einer „primären und sekundären Funktion“ unterschieden und nicht angezielt, einen historischen Lesevorgang der Primäradressaten zu rekonstruieren. 115 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 14, Anm. 30. Problematisch an dieser Bezeichnung sei, dass sie einen „idealen Lektürevorgang“ impliziert, was aber dem Gedanken der Polysemie literarischer Texte widerspreche. 116 PELLEGRINI, Elija, 58.
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legt sich das Konzept des Modelllesers nach UMBERTO ECO nahe.117 „Modellleser“ meint „eine Art Ideal-Leser“, „den der Text nicht nur als Mitarbeiter vorsieht, sondern sich auch zu erschaffen versucht.“118 Es handelt sich dabei also nicht um einen empirischen, realen Leser, sondern um eine literaturwissenschaftliche Kategorie, die schon in der Struktur des Textes verankert ist und die verschiedenen expliziten und impliziten Bezüge des Textes realisieren und für die Interpretation ‚fruchtbar machen kann‘. Dennoch erfolgt die tatsächliche Modelllektüre natürlich doch durch einen empirischen Leser, der sich diesem Ideal annähern will. Er versucht also zu abstrahieren, welche Strategien der Text enthält, um ein sinnvolles, dem Text angemessenes Verstehen zu ermöglichen und gegebenenfalls Fehlinterpretationen auszuschließen.119 Der Modellleser ist sozusagen der ‚ideale Partner‘ des dialogischen Netz-Werkes ‚Text‘, der von diesem sowohl geschaffen wird als auch dessen Strategie, sozusagen die ‚Kommunikationsregeln‘, ausführt, um aus dem Text dessen inhärenten Sinn zu erschließen. Da sich hinter dem Begriff Leser bzw. Modellleser also viele Operationen des Dialogs zwischen diesem und dem Text verbergen, kann man vom „Leser zum Lesen“ gelangen120 und zunächst nach dem Ziel eines idealen Lektüreprozesses fragen, bevor der Weg dorthin reflektiert wird. 2.2.2 Ziel des Lesens Zielt ein Text als dialogisches Netz-Werk grundsätzlich darauf ab, Information, „Inhalt“, „Sinn“ zu vermitteln, so verfolgt Lesen dementsprechend das Ziel, den Text zu „verstehen“, „Sinn“ darin zu finden. Da Auslegung (Exegese) und Interpretation ebenfalls Sinn bzw. Bedeutung aus sprachlichen Äußerungen ‚herausholen‘ wollen,121 stellt Lesen einen grundlegen117 Vgl. ECO, Lector, 14. PELLEGRINI, Elija, 104, erklärt, dass sich die Konturen des Modelllesers zwischen zwei Polen spannen: 1. dem kulturellen Code, der die Kommunikation zwischen der Produktion und der ersten Rezeption ermöglichte, und 2. der textuellen Strategie, die aus dem kulturellen Code das auswähle, was von Fall zu Fall hervorzuheben sei. Der Modellleser gleiche einer bewussten, kontrollierten Haltung. 118 ECO, UMBERTO, Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur, München 32004, 19. 119 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 6–7. HIEKE, Verstehen, 74–75, sieht darin auch die Basis, „den Text vor dem Hintergrund konkreter Lesesituationen verstehen zu können, ohne ihn gleich in einem interessegeleiteten Gebrauch zu vereinnahmen.“ 120 Vgl. PELLEGRINI, Elija, 66. Durch diese Operationen stelle der Leser aufgrund schon bekannter Informationen neue her, lese aus dem Text „Sinn“ heraus. Der Text stehe also zwischen den zahlreichen bekannten Codes und Informationen einer umfangreichen Enzyklopädie einerseits und dem Leser andererseits. 121 Vgl. DOHMEN, Biblische Auslegung, 179. Zu den Termini „Exegese“, „Hermeneutik“, „Interpretation“ vgl. II, 2.1.
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II Hermeneutisch-methodische Überlegungen
den Akt von Auslegung und Interpretation dar, die sich umgekehrt als reflektierter Fall von Lesen erweisen.122 Lesen als Element der Kommunikation zwischen Text und Leser kann also als „intentionale Kooperation“123 verstanden werden, die die Absicht hat, den Sinngehalt bzw. -zusammenhang (Kohärenz) des Textes zu rekonstruieren.124 Kohärenz gibt es allerdings erst dann, wenn der Text durch den Akt des Lesens zur Existenz kommt. So ist sie ein Produkt und zugleich ein Postulat des Lesers, der sich vom Text mit seiner Strategie und den darin enthaltenen Kooperationserwartungen leiten lässt. Zunächst schenkt der Modellleser dem Text Vertrauen, postuliert Kohärenz, bis er diese mit-konstruiert hat, wobei Kohärenz-Hypothesen von Texten enttäuscht werden können. Demnach ist Kohärenz also provisorischer und prozeduraler Natur, weil sie sich im Leser während der Lektüre formt. So ist sie „ein interpretatorisches Endergebnis des Leseprozesses“125, denn Kohärenz ist erst dann erreicht, wenn alle Teile und Details eine sinnvolle Erzählfunktion erfüllen.126 Weiterhin zielt (insbesondere reflektiertes) Lesen – ebenfalls gelenkt vom dialogischen Charakter des Textes – auf die Erhebung von Sinnpotentialen. Da nämlich jeder Text in seinen dialogischen Kontext eingebunden ist, ereignet sich sowohl in seinem Binnenraum als auch im Zwischenraum der verschiedenen Texte eine dialogische Sinnerweiterung des Einzeltextes, so dass jeder Text notwendigerweise polyvalent ist.127 Die Polyvalenz wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass ‚Sinn‘ und ‚Kohärenz‘ nur durch die Mitarbeit des Lesers konstituiert werden können und somit vom Dialog zwischen Text und Leser abhängen. Beide Ziele – Erhebung von Sinn bzw. Kohärenz und von Sinnpotentialen – treffen in besonderer Weise bei der Auslegung von biblischen Texten zu, insofern sich die christliche Bibel als „verstetigter Dialog“ mit dem
122 Vgl. STEINS, Bindung Isaaks, 87. Er nennt deshalb den Exegeten auch „VorLeser“. Ähnlich PELLEGRINI, Elija, XI, 45. Auslegung bzw. Interpretieren sind also zwar nicht vollkommen gleichzusetzen mit Lesen, aber auch nicht grundsätzlich vom Lesevorgang unterschieden. 123 PELLEGRINI, Elija, 59. Vgl. auch ECO, Lector, 226, der Auslegen bzw. Interpretieren als „die semantische Aktualisierung dessen“ bezeichnet, was „der Text (als Strategie) durch die Mitarbeit seines Modell-Lesers zum Ausdruck bringen will“. 124 Vgl. PELLEGRINI, Elija, XI, 74. Zu linguistischen Definitionen von Kohärenz – auch im Zusammenhang mit „Sinn“ – und deren Wende aufgrund des Übergangs zu einer dynamischen Textauffassung vgl. EBD., 73–75. 125 PELLEGRINI, Elija, 75. Die provisorische, prozesshafte Natur von Kohärenz werde an der Beobachtung deutlich, dass sowohl der Text seine ‚Fragen‘ (d.h. ungeklärte Punkte) in sich hat als auch der Leser. Allerdings müsse der Leser zunächst seine Fragen, die sein ‚Interesse‘ darstellen, zurückstellen. Vgl. EBD., 72. 126 Vgl. PELLEGRINI, Elija, 89, 433. Vgl. auch HIEKE, Verstehen, 74–75. 127 Vgl. STEINS, Bindung Isaaks, 77–83.
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„Bauprinzip Vielstimmigkeit“128 umschreiben lässt. Denn der Bedeutungsaufbau erfolgt nicht nur durch direkte Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem, sondern die Signifikationsbeziehung wird durch die Koexistenz der verschiedenen Stimmen als Zeichen aufgebrochen. Jeder Einzeltext, der neben anderen Einzeltexten, Büchern und Kanonteilen steht, wird also durch den Dialog mit diesen Kon-Texten polyvalent.129 Dabei ist der Bibelkanon für die Wahrnehmung der Bedeutung von Einzeltexten nicht erst sekundär und fakultativ wichtig, sondern erweist sich von vorneherein als primärer Kontext. Somit bietet der Kanon ‚christliche Bibel‘ sogar dort dialogisierenden Einfluss, wo keine ausdrückliche Bezugnahme zu anderen Texten erfolgt; denn schon allein durch die Platzierung im kanonischen Kontext steht eine Text-Stimme neben der anderen bzw. mit ihnen im Dialog, der durch den Leser aktuiert wird.130 Auch für Bibeltexte gilt also, dass der Leser erst die Bibel zu dem macht, was sie ist, da der Text nichts Abgeschlossenes, Fertiges ist, sondern der Leser sich ihn erst aneignen muss.131 Wenn sich die Sinnkonstitution vor diesem Hintergrund als offener, dialogischer Prozess darstellt, so dass „Sinn“ immer wieder neu durch die Interaktion von Text und Leser konstituiert wird, drängt sich die Frage nach den „Grenzen der Interpretation“132 auf. 2.3 „Grenzen der Interpretation“ Textzentrierung impliziert nicht nur, dass sich kanonisch-intertextuelle Auslegung bei der Erhebung der Sinnpotentiale primär vom Text und seinen Strategien leiten lässt, sondern auch, dass Kriterien für die Grenzen der Interpretation vom Text selbst gesetzt werden, nicht vom (empirischen) Autor. Dies ist besonders bei biblisch gewordenen Texten einsichtig, denn da die christliche Bibel in einem komplexen Prozess entstanden ist, kann häufig nicht mehr klar erkannt werden, auf welche Subtexte ein empirischer Autor verweisen wollte. Außerdem können im Laufe des Überlieferungsprozesses biblisch gewordener Texte ursprüngliche Verweissysteme 128
STEINS, Bindung Isaaks, 74. Vgl. STEINS, Bindung Isaaks, 77. HIEKE, Verstehen, 81–82. 130 Vgl. STEINS, Bindung Isaaks, 77, 78, 92. 131 Vgl. STEMBERGER, GÜNTER, Hermeneutik der Jüdischen Bibel, in: DOHMEN/STEMBERGER, Hermeneutik, 23–132, hier 130. Der rabbinische Grundsatz, „Die Tora ‚ist zur Auslegung gegeben‘“, sei also ernst zu nehmen. Ähnlich HIEKE, Genealogien, 16: „Bei jedem Lektürevorgang … zeigt sich mitunter ein neuer Aspekt, eine andere Facette des Textes. Das ist sowohl durch die mehrdimensionale Gestaltung der Texte bedingt, als auch durch ihre Verortung im Kontext der Bibel …, als auch durch den Beitrag, den … jeder Leser beim Lektürevorgang zur Sinnkonstitution leistet. Texte, insbesondere Bibeltexte, sind mit einer Partitur vergleichbar …“ 132 ECO, UMBERTO, Die Grenzen der Interpretation, München 1992, Titel. 129
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verloren gegangen, stattdessen neue Kontexte und dadurch zusätzliche Sinnpotentiale entstanden sein.133 Da demnach Texte als dynamische Systeme auf verschiedenste Weisen interpretiert werden können, ist dem Text an sich als limitierendem Faktor für die Interpretation umso höhere Bedeutung beizumessen. Die Grenzen der Sinn- und Interpretationspotentiale zeigt der Text in seinen Strategien selbst, mit denen er den Leser lenkt. So gibt es strategische Strukturen und Details im Text, die bestimmte Interpretationen zulassen und andere dagegen ausschließen. Daher ergibt sich als Aufgabe für kanonisch-intertextuelle Auslegung, den Text und seine Strategien aufmerksam wahrzunehmen und daran die Grenzen der Interpretation auszuloten.134 Bestimmt werden diese Grenzen nicht nur vom Einzeltext, sondern auch von der jeweiligen Gestalt der Bibel, insofern sie die Textwelt darstellt, die als Ganzes das Zeugnis der Glaubensgemeinschaft bildet.135 Damit liegt in der Dialogstruktur des Textes ‚Bibel‘ sowohl das Moment der Sinnoffenheit als auch das der Sinnbegrenzung begründet, denn der „Sinn des einzelnen Textes wird polyvalent – innerhalb des Spielraumes der Vorgabe der jeweiligen Gestalt der Bibel.“136 Dieses Bewusstsein wird auch mit dem Konzept des Modelllesers wach gehalten, insofern er als textimmanente Größe aus der Strategie des Textes erwächst und diese in idealer Weise umzusetzen versucht, so dass er einer Beliebigkeit von Interpretationsmöglichkeiten entgegensteuert. Allerdings ist auch der Versuch einer Modelllektüre eines Textes immer nur im Kontext der derzeitigen konkreten Lebensperspektive (hier Anfang 21. Jh.) möglich, also nur aus der Perspektivik des jeweils Interpretierenden.137 Deshalb ist dieser umso stärker auf den biblisch gewordenen Text mit sei133
Vgl. NICKLAS, Christliche Apokryphen, 48. In diesem Zusammenhang betont DOHBiblische Auslegung, 187, die Entstehung des biblischen Kanons aus Traditionsliteratur. Der Autor schränke den Sinn eines Textes auf eine historische Situation und biographische Konstellation ein, während der Leser (d.h. alle möglichen Leser aller Zeiten) für die Aktualität und „Lebendigkeit“ des Textes stehe. 134 Vgl. HIEKE, Verstehen, 76. STEINS, Bindung Isaaks, 93–94. Vgl. auch ECO, Grenzen, bes. 22, 51, 168. ECO, Wald, 122–123: „Man kann aus den Texten herauslesen, was sie nicht explizit sagen (und die ganze Interpretations-Kooperation des Lesers beruht auf diesem Prinzip), aber man kann nicht das Gegenteil dessen, was sie sagen, in sie hineinlesen.“ Ein Text sei ein Organismus, System interner Relationen, das bestimmte mögliche Zusammenhänge aktualisiert, andere unterdrückt. Darum müsse man unterscheiden zwischen Offenheit im Sinne von Unabschließbarkeit und im Sinne von Beliebigkeit. 135 Vgl. DOHMEN, Biblische Auslegung, 187. NICKLAS, Biblische Texte, 254, führt auf der Grundlage einer prozeduralen Interpretation von Joh 2,1-11 exemplarisch vor, welche Interpretationen am Text selbst nicht gerechtfertigt werden können. 136 STEINS, Bindung Isaaks, 81. Vgl. auch PELLEGRINI, Elija, 75–78. 137 In diesem Bewusstsein erfolgt auch in dieser Arbeit eine (Modell-)Lektüre von Apg 6,1-8,3.
MEN,
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nen Strategien innerhalb seines Kontextes ‚christliche Bibel‘ als limitierende Faktoren der Interpretation verwiesen,138 um am Text orientierte, intersubjektiv vermittelbare Deutungen zu suchen.139 Aufgrund des dynamischen Charakters von Texten und der Tatsache, dass Lektüre und Interpretation immer von der Perspektivik des Lesenden geprägt sind, lassen sich also über die ‚Grenzen der Interpretation‘ keine allgemein gültigen Aussagen machen. Vielmehr können die Grenzen jeweils nur mühsam in Auseinandersetzung mit einer Einzelinterpretation eines Einzeltextes sichtbar gemacht werden.140 2.4 ‚Regeln‘ für das Lesen Welche ‚Regeln‘ für eine erfolgreiche Kommunikation mit dem Leser stellt der Text durch seine „Strategien“141 auf, so dass dem Text angemessene Interpretationen möglich werden? Entscheidend für eine Modelllektüre ist das „Prinzip des ökonomischen Kommunizierens“142, das auf der Produktionsseite beinhaltet, dass ein Autor mit einer Art Strategie nur das Nötigste sagt, um das Ziel seiner Kommunikation zu erreichen. Auf der Seite der Rezeption entspricht dem das „Prinzip des ökonomischen Lesens“ bzw. das „Prinzip der ökonomischen Interpretation“143, d.h. der Leser entschlüsselt nur die Informationen, die er beim Aufbau einer Sinnhypothese für sinntragend hält. Der Strategie des Textes entsprechend kann also auch die Lesekooperation als Strategie bezeichnet werden.
138 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 107–108: Die Suche nach einem „Modelllesevorgang“ bedeute auch, dass dieser Versuch „der nicht mehr überschaubaren Zahl von tatsächlich erfolgten, empirischen Lesevorgängen mehr oder weniger korrespondiert. … Auch die nur hypothetisch rekonstruierbaren ‚historischen Erstleser‘ des Textes dürften ihn nur dann angemessen verstanden haben, wenn sie zumindest einige der aufgedeckten intertextuellen Zusammenhänge aktualisierten.“ Es gehe also eher um eine Art „Falsifizierungsprinzip“, mit dem festgestellt wird, ob eine Interpretation noch als „angemessen“ bezeichnet werden kann. Vgl. NICKLAS, TOBIAS, Christliche Apokryphen lesen. Definition – hermeneutisches und methodisches Programm. Mit einer Interpretation des „unbekannten Evangeliums“ auf P. Egerton 2, Habilitationsschrift [derz. noch nicht publiziert], 210. 139 Vgl. NICKLAS, Christliche Apokryphen, 49. 140 Vgl. NICKLAS, Neutestamentliche Texte, 152–153. Wie Grenzen der Interpretation an Einzeltexten in Auseinandersetzung mit Einzelinterpretationen ausgelotet werden können, zeigt NICKLAS, Biblische Texte. 141 Vgl. ECO, Lector, 66, der von einem „Spiel“ spricht. 142 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 49. Dies sei auch entscheidendes Kriterium zur Unterscheidung von einem beliebigen Lesevorgang. 143 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 49. Ähnlich PELLEGRINI, Elija, 82–83, 89.
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Lesen ist also ein ökonomisches Verfahren und ein strategisches „Sichhin-und-her-Bewegen“144 durch den Text. Es bedeutet, „die Punkte oder Knoten des Textes zu entdecken, wo die Kooperation erwartet und gefordert wird“, sowie „diese Punkte als Verbindung zu aktualisieren, die den Text mit der Intra- und Extratextualität verbinden und zusammenhalten.“145 Das Wahrnehmen der Knotenpunkte und der gezielte Umgang mit ihnen kann als „rhizomatische Lektüre“146 bezeichnet werden, bei der Rückbezüge hergestellt werden, so dass eine zweite (kritische) Lektüre, eine Relektüre, des Textes erfolgt. Da der Leser aus diesen Knotenpunkten langsam seine Interpretation konstruiert, verdeutlicht die Metapher „rhizomatische Lektüre“ zugleich den engen Zusammenhang zwischen Lesen und Auslegen bzw. Interpretieren. Welche konkreten Regeln hat der Leser bei einer solchen Lektüre zu beachten, die ihm zu ‚sinn-voller‘ Interpretation verhelfen? Um möglichst vielen dieser Eigenschaften von Text und Lektürevorgang zu entsprechen, erfolgt eine „prozedurale Interpretation“147. Diese wird sowohl dem Wesen eines Textes gerecht als auch dem Prozess des Lesens, das sich schrittweise von einfachen bis hin zu komplexeren Operationen aufbaut. Somit erklärt prozedurale Interpretation auch, wie der Rezipient den Text-Zusammenhang konstruiert.148 Insofern prozedurale Interpretation das Nacheinander der Lektüre des auszulegenden Textes erfassen möchte, ist ein grundlegender Vorgang davon die Reflexion der Leserichtung, die für das Verständnis des Textes nötig ist. Dabei wird die Vorstellung zugrunde gelegt, dass der Modellleser den Text von Anfang bis Ende liest und der Lesevorgang zwischen diesen beiden Punkten so einfach wie möglich ist. Allerdings gibt es sehr wohl Texte, die ihren Modellleser stellenweise zu mehrfacher Lektüre, zum Überspringen von Passagen oder zum Zurückblättern zu Abschnitten zwingen, damit er zu einem Verständnis ihrer Bedeutung gelangt. Gerade der 144
STEINS, Kanon und Anamnese, 129. PELLEGRINI, Elija, 90. 146 PELLEGRINI, Elija, 91, 433. „Das Modell der semiotischen Enzyklopädie ist … das Rhizom: Jeder Punkt des Rhizoms kann und muß mit jedem anderen Punkt verbunden werden; es gibt eigentlich keine Punkte oder Positionen in einem Rhizom: Es gibt nur Linien … Das Rhizom hat keine Mitte“. So könne es die aktive, instruktionsorientierte Textstruktur verdeutlichen. Zu „Rhizom“ als Metapher für Text vgl. ECO, Philosophie, 126. 147 NICKLAS, Leitfragen, 49. 148 Vgl. ausführlich PELLEGRINI, Elija, 60–62, 87–88. Aus der Perspektive der Semiotik bezeichnet sie schon das Zeichen an sich von seinem Wesen her als prozedural: „ein unendliches Sichentfalten von Hinweisen und Echos“, ein „prozedurales Phänomen, das man auch in Etappen durchlaufen und in statischen Zusammenfassungen rückbetrachten kann“. Zugleich sei das Zeichen Ausdruck der Grenze. Prozedurale Interpretation werde außerdem der Zeit als Kategorie des Lesens gerecht. 145
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Text ‚Bibel‘ will aufgrund seiner besonderen Wesensmerkmale ein Buch aus zwei Teilen – Altem und Neuem Testament – nicht nur geradlinig von vorne nach hinten gelesen werden, sondern „kreiert Schleifen, die zum Zurückblättern und zur Neuinterpretation zwingen. Auf manche Texte muss mehrfach zurückgekommen werden, während andere nicht unbedingt schon bei der ersten Lektüre gelesen werden müssen.“149 Auch dafür bietet schon der erste Satz des Neuen Testaments ein Beispiel: Bi,bloj gene,sewj VIhsou/ Cristou/ ui`ou/ Daui.d ui`ou/ VAbraa,m (Mt 1,1). Indem Jesus Christus hier vor allem anderen als Sohn Davids und Abrahams vorgestellt wird, wird die hohe Bedeutung Davids und Abrahams für das Verständnis dieses Jesus Christus ersichtlich. Um zu erfahren, worin wiederum Davids und Abrahams Bedeutung liegt, muss in entsprechende alttestamentliche Texte „zurückgeblättert“ werden150 oder es müssen zumindest Assoziationen zu diesen Gestalten wachgerufen werden. Da der Text – unter anderem wegen des Prinzips des ökonomischen Kommunizierens – seine Fragen in sich hat, ruft er zugleich im Leser Fragen hervor. Bei der Suche nach Sinnpotentialen formuliert daher TOBIAS NICKLAS die grundlegenden Leseoperationen prozeduraler Interpretation in Form von folgenden sieben Fragen:151 1. Welche Ausschnitte aus der „Enzyklopädie“152 sind zu aktualisieren, welche zu „narkotisieren“?
149 NICKLAS, Leitfragen, 53. Er betont in diesem Zusammenhang, dass der Text der Bibel aber auf keinen seiner Teiltexte verzichten kann, ohne entscheidende Sinnpotentiale zu verlieren. Als Beispiel für dieses Kreieren von Schleifen führt er Joh 2,17 und Offb 22,6-17 an. Vgl. auch NICKLAS, TOBIAS, Die johanneische „Tempelreinigung“ (Joh 2,1222) für Leser der Synoptiker, in: ThPh 80 (2005) 1–16, hier 15. Ähnlich spricht STEINS, Kanon und Anamnese, 129, von einem „Sich-hin-und-her-Bewegen“ in den Strukturen des Kanons. 150 Vgl. HIEKE, THOMAS, BIBLOS GENESEOS, 635–649. Vgl. auch II, 1.1.3. Auch innerhalb des lukanischen Doppelwerks wird der Leser immer wieder zum „Zurückblättern“ und Lesen in Schleifen aufgefordert. Beispielsweise verweist Apg 1,1 (To.n me.n prw/ton lo,gon evpoihsa,mhn peri. pa,ntwn( w= Qeo,file( w-n h;rxato o` VIhsou/j poiei/n te kai. dida,skein »Das erste Buch/Wort habe ich über alles gemacht, Theophilus, was Jesus begonnen hat sowohl zu tun als auch zu lehren«) zusammenfassend auf einen ‚ersten Teil‘, das Lukasevangelium, als Grundlage für die nun folgende Fortsetzung von all dem, was Jesus getan und gelehrt hat. Wer die Inhalte von Worten und Taten dieses Jesus nicht kennt, muss zum Lukasevangelium ‚zurückblättern‘. 151 Für ausführliche Erläuterungen dieser Fragen vgl. NICKLAS, Leitfragen, 53–61 und dort angegebene Literatur. 152 Bei semantischen Untersuchungen, reiche in der Regel die lexikalische Bedeutung eines Wortes nicht, um seinen Sinn in einem Text zu verstehen. Vielmehr sei eine Enzyklopädie eines Wortes zu erheben, d.h. der Ausdruck mit allen seinen möglichen Interpretationen, seinem situationellen Vorkommen und dem mit ihm verbundenen Weltwissen zu verbinden. Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 53–54. PELLEGRINI, Elija, 106, 431,
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2. Da ein Text neben dem Gesagten auch ‚Leerstellen‘ und Unerwartetes bzw. „Knotenpunkte der textuellen Strategie“ enthält, ist zu fragen: An welchen Stellen ist vom Leser gefordert, implizite Informationen in explizite umzusetzen, und welche Möglichkeiten werden ihm dafür zur Verfügung gestellt?153 3. Wo ist eine Kooperation des Lesers durch Aktivieren einer Szenographie erwartet, um das enzyklopädische Hintergrundwissen zu reglementieren und zugänglich zu machen?154 4. Wie erzeugt der Text beim Leser welche Erwartungen, und wie wirken sich diese auf die Lektüre aus?155 5. Wie und durch welche Strategien kann der Leser sich dem „Thema“ des Textes nähern?156 Für erzählende Texte sind außerdem die folgenden beiden Fragen bedeutend: 6. Wie entwickelt der Leser sein Bild von den Charakteren der erzählten Welt des Textes? 7. Auf welche Weise wird dem Leser der „Point of View“ der Erzählung mitgeteilt bzw. vorenthalten, und auf welche Weise wird er vom „Point of View“ der Erzählung überzeugt?157 definiert Enzyklopädie als „Menge an Information zum Weltwissen, die durch Worte und Sprache fixiert ist.“ 153 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 54. Er unterscheidet zwei Gruppen impliziter Informationen: lexikalische Präsuppositionen, die durch einen bestimmten Ausdruck vermittelt sind, und Ergänzungsfragen, wenn der Leser an Knotenpunkten gefordert wird, Fragen zu stellen und zu beantworten, damit der Text weiterhin als kohärent rezipiert werden kann. Vgl. auch PELLEGRINI, Elija, 86–87. ECO, Lector, 28–30. NICKLAS, TOBIAS, Literarkritik und Leserrezeption. Ein Beitrag zur Methodendiskussion am Beispiel Joh 3,22-4,3, in: Biblica 83 (2002) 175–192. 154 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 57. Vgl. auch PELLEGRINI, Elija, 110. ECO, Lector, 101– 105. NICKLAS, Formkritik, 499–500. 155 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 59. Eine der wichtigsten Aktivitäten des Modelllesers liege in Vorhersagen bzw. in Vermutungen über den weiteren Erzählverlauf aufgrund bereits Erzähltem. Manchmal müsse der Leser „inferentielle Spaziergänge“ in andere bekannte, vergleichbare Textwelten unternehmen, wenn vom Text Signale dazu ausgehen. Für den Modellleser genüge es, sich bewusst zu machen, warum, d.h. aufgrund welcher Inferenz, er sich vom Text wegbewegt, und was er genau außerhalb des Textes sucht. Vgl. auch PELLEGRINI, Elija, 108–109, 131. ECO, Lector, 149. 156 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 60. Ähnlich PELLEGRINI, Elija, 114. Die Bestimmung eines Themas bringe eine vorübergehende Kohärenz in den Text, die immer wieder von der weiteren rhizomatischen Lektüre hinsichtlich eines dominierenden Themas rekonstituiert werden müsse. 157 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 61. Dabei sei zu beachten, dass die Perspektive nicht eindimensional sein muss, insofern nicht nur der „Erzähler“, sondern auch die Charaktere der erzählten Welt eine „Perspektive“ auf diese erzählte Welt haben. So hänge die Konstruktion eines Charakters durch den Leser stark davon ab, wie viel der Erzähler über die
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Im Verlauf einer Modelllektüre werden mithilfe dieser Fragen, die im eigentlichen Lektüre- bzw. Interpretationsvorgang kein Nach-, sondern ein In- und Zueinander darstellen, Interpretationsmöglichkeiten erhoben, die am Text selbst legitimierbar sind.158 2.5 Methodische Umsetzung einer kanonisch-intertextuellen Auslegung 2.5.1 Grundlinien Wie kann nun das Grundanliegen kanonisch-intertextueller Auslegung verfolgt werden, den Vorgaben, die ein biblischer Text in seinem Kontext Bibel mit ihren besonderen Eigenschaften macht, bei der Analyse und Interpretation gerecht zu werden? Grundlage für die Umsetzung einer kanonisch-intertextuellen Auslegung bildet eine begründete Entscheidung für die zugrunde gelegte Form des Untersuchungstextes (Hypertextes) und seines „biblischen“ Kontextes in Gestalt eines bestimmten biblischen Kanons, der einen wichtigen Beitrag zur Sinnkonstitution eines Textes leistet.159 Insofern der Text als ein dialogisches Netz-Werk mit einer Strategie verstanden wird, durch die er die Kommunikation mit dem Leser lenkt, wird anhand einer ersten Strukturanalyse des Hypertextes versucht, die verschiedenen textinhärenten Redeebenen und -situationen zu klären. Außerdem werden dabei narrative bzw. poetisch-rhetorische Gestaltungselemente, geprägte Sprachelemente (Formeln, Wendungen, Schemata) sowie geprägte Strukturen (Textsorten) analysiert, wodurch Gemeinsamkeiten mit anderen Texten, also auch intertextuelle Bezüge, angezeigt werden, die als Verständnishilfen dienen können.160 Im Lektüreprozess werden dann vom Modellleser die oben formulierten Fragen prozeduraler Interpretation gestellt, wenn sie der Text herausfordert, so dass das Zusammenspiel von Textstrategie und Lesestrategie rePerspektive des Charakters mitteile. Vgl. EISEN, Poetik, 72. „Erzähler“ meine nicht einen empirischen Erzähler, sondern die im Text verankerte „Stimme, die die Geschichte erzählt“. 158 Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 61, sowie HIEKE, Verstehen, 85. ECO, Lector, 73: Diese sieben Leseoperationen führen zum Bild des Textes als einer „Strategie, die den Bereich seiner – wenn nicht ‚legitimen‘, so doch legitimierbaren Interpretationen konstituiert.“ 159 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 12, merken dazu an: selbst wenn bestimmte Beobachtungen kanonischer Auslegung lediglich für die jeweils zugrunde liegende Kanonform gelten, sind sehr häufig aufgrund der Konstanten viele Feststellungen von der Kanonform im Detail unabhängig. Dennoch ist eine Festlegung der Kanongestalt und damit der Perspektive auf den Text, nötig. Vgl. auch STEINS, Bindung Isaaks, 99: „Der Bibelkanon als objektiver Dialog und privilegierter Intertext ermöglicht den Aufbau unterschiedlicher Text-Text-Relationen, die nicht im voraus theoretisch abgeleitet, sondern nur am konkreten Text aufgezeigt werden können.“ 160 Vgl. HIEKE, Verstehen, 87.
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flektiert wird. Wenn sich dabei die Frage stellt, inwiefern der Hypertext über sich hinaus auf andere Texte verweist, die für sein Verständnis von konstitutiver Bedeutung sind, müssen diese Subtexte auf ihre Sinnpotentiale in ihrem eigenen ‚ursprünglichen‘ Zusammenhang untersucht werden. Vor diesem Hintergrund kann dann geprüft werden, was durch das Herauslösen aus ihrem alten Kontext und das Einfügen in den neuen geschieht. Hier entstehen jeweils zwei Fragerichtungen: (1) Welche Sinnerweiterung gewinnt der zu untersuchende Hypertext durch die jeweiligen Subtexte? (2) Wie lesen sich die Subtexte im Licht des Hypertextes neu?161 Neben dieser interpretatorischen Auswertung der intertextuellen Einbettung des Untersuchungstextes ist nach der Funktion der literarischen Komposition hinsichtlich der Textstrategien und Leserlenkung sowie hinsichtlich der Kontextualisierung im primären biblischen Kontext zu fragen.162 Vor diesem Hintergrund wird noch deutlicher, worin Ziel und Ertrag kanonisch-intertextueller Auslegung liegen: Sie reflektiert mit wissenschaftlichen Kriterien die Vorgänge, die sich beim Lesen des Textes innerhalb der gesamten christlichen Bibel als erstem Kontext abspielen, und „erhebt in seinem nie abgeschlossenen Prozess Sinnmöglichkeiten (Sinnpotentiale), die ein Text durch seine kontextuelle Einbettung bereit hält bzw. die sich durch immer neue Text-Text-Korrelationen ergeben, auch wenn sie nicht von einem Autor oder Endredaktor intendiert waren.“163 Damit grenzt sich kanonisch-intertextuelle Auslegung notwendigerweise von der Erhebung der Entstehungsgeschichte der Texte durch historischkritische Methoden ab.164 Dennoch behalten historisch-kritische Fragen und Analysen ihren eigenen Wert und sind notwendigerweise in einer kanonisch-intertextuellen Auslegung zu berücksichtigen, sofern sie für das Verstehen des Textes wichtige historische, soziale und politische Hintergründe – also damit auch die Enzyklopädie des Textes – klären.165 161
Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 9. Vgl. auch STEINS, Bindung Isaaks, 100. Der Text sei Kreuzungspunkt verschiedener Linien im kanonischen Intertext. Bei der Spurensuche hintergründiger Texte werde schrittweise ein Beziehungsgeflecht aufgedeckt, das sich in der Rezeption des kanonbewussten Lesers aufgebaut habe. Durch je verschiedene Kontextualisierungen erscheine der Text in je neuer Beleuchtung und verändere sich somit der Sinnaufbau. Dieses Verfahren gleiche darum einem Spiel mit einer großen Zahl an Möglichkeiten. 162 Vgl. HIEKE, Verstehen, 87. 163 HIEKE, Verstehen, 85. Vgl. auch STEINS, Bindung Isaaks, 25–26. 164 Vgl. DOHMEN, Zelt, 168. Sowie HIEKE, Genealogien, 323–324. Die unterschiedlichen Perspektiven verdeutlicht auch NICKLAS, Literarkritik, 175–179, 191–192 am Beispiel von Kohärenzstörungen: Diese werden in der biblischen Auslegung als Textstrategien zur Leserlenkung begriffen, nicht mehr als Kriterien für entstehungsgeschichtliche Hypothesen ausgewertet. 165 Vgl. HIEKE, Verstehen, 87–89.
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Fragt man bei der interpretatorischen Auswertung nach der Funktion des Textes in seinem primären biblischen Kontext, gelangt man letztlich wieder zur Vorentscheidung für eine bestimmte Kanongestalt der Bibel als privilegierten Kontextes und ihre Bedeutung für die Sinnkonstitution des Einzeltextes zurück. Da biblisch gewordene Texte auch in anderen Kontexten denkbar sind, nämlich z.B. in anderen Kanongestalten, wird also gefragt, was es für das Verstehen des Textes bedeuten kann, dass er Teil einer christlichen Bibel geworden ist.166 So ist z.B. bei der Lektüre eines Textes innerhalb der christlichen Bibel eine spezielle Reflexion eben dieser bewusst christlichen Perspektive167 nötig. Aufgrund der engen Verbindung von ‚Kanon‘ und der den jeweiligen Kanon tragenden ‚Gemeinschaft‘168 kann der Kanon christlicher Heiliger Schriften gleichzeitig (mit einigen Unterschieden) der Kanon voneinander getrennter christlicher Konfessionen sein. Daher lässt sich aus einer „kanonischen Auslegung“ der christlichen Bibel nicht die Lehre einer christlichen Konfession ableiten, da es verschiedene Formen christlicher Bibeln gibt und innerhalb der jeweils einen Bibel ebenfalls verschiedene Stimmen in Dialog treten und die biblischen Texte als literarische Texte grundsätzlich polysem sind.169 Durch diese Vielfalt wird der Kanon vielmehr ein „Dokument eines lebendigen Diskurses“170 – möglicherweise von ökumenischer Relevanz. Darüber hinaus ist das Spezifikum der christlichen Bibel als eines zweigeteilten Textes aus Altem und Neuem Testament zu bedenken. Bei der Wahl einer speziell christlichen Perspektive ist daher zu reflektieren, dass 166
Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 46. Vgl. auch HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 12. Da man grundlegend von einer bestimmten Bibel ausgehe und Beobachtungen zur Interpretation der Texte darin mache, müsse im Blick auf andere Kanonformen – hinsichtlich Umfang und Anordnung – geprüft werden, inwieweit diese Differenzen für die Auslegung eine Rolle spielen. Auch STEINS, Bindung Isaaks, 32, erklärt, dass kanonisch-intertextuelle Lektüre bei jeder Kanongestalt und Textform möglich sei. Welche Kanongestalt gewählt werde, beruhe auf Vorentscheidungen, die nicht mit der gewählten Methode zusammenhängen. 167 Diese scheint zwar dem Konzept eines Modellleser zu widersprechen, aber da sich der Modellleser aufgrund der Vorentscheidung zur christlichen Bibel als privilegiertem Intertext bewegt, handelt es sich um einen Modellleser der christlichen Bibel. 168 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 102 mit Anm. 190, weisen darauf hin, dass die Verbindung von Kanon und kanontragender Gemeinschaft besonders J. A. SANDERS betone. 169 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 103. Die Vielfalt des Einzeltextes sowie die „Dialogik der vielen Stimmen innerhalb des Kanons, die Möglichkeit unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen auch aufgrund verschiedener Situationen und die Offenheit der einzelnen Texte selbst lassen es nicht zu, aus dem Kanon der christlichen Bibel allein die Perspektive einer einzigen Kirche gegen alle anderen zu erheben.“ 170 OEMING, MANFRED, Biblische Theologie als Dauerreflexion im Raum des Kanons, in: DOHMEN, CHRISTOPH/SÖDING, THOMAS (Hg.), Eine Bibel – zwei Testamente. Positionen biblischer Theologie, Paderborn u.a. 1995, 83–95, hier 90.
II Hermeneutisch-methodische Überlegungen
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auf den ersten Kanonteil – christlich gesprochen „Altes Testament“ – auch eine legitime jüdische Perspektive möglich ist. Gerade durch den leserorientierten Zugang und die Erkenntnis, dass kanonische Texte ihre Bedeutung erst durch ihre Kontexte erhalten, wird deutlich, dass auch zwei Leseweisen – eine jüdische und eine christliche – des gleichen Textes (TaNaK / Altes Testament) legitim sind.171 Indem bei der prozeduralen Interpretation durch das Hintereinander des Lesens eines biblischen Textes die Einzelschritte der Sinnkonstitution nachvollziehbar gemacht werden, kann nicht nur das ‚Wie‘ der Interpretation deutlicher werden, sondern auch das ‚Warum‘, das gerade im Dialog der Interpretationen biblischer Texte häufig entscheidend ist.172 2.5.2 Umsetzung einer kanonisch-intertextuellen Auslegung anhand der Stephanusepisode Diesen hermeneutisch-methodischen Überlegungen zu kanonisch-intertextueller Auslegung entsprechend verfahren auch die folgenden exegetischen Analysen von Apg 6,1-8,3 nach den Prinzipien der Textzentriertheit und Leserorientiertheit, wobei mit der Rede vom ‚Leser‘ das Konzept des Modelllesers als Strategie des Textes, also kein empirischer Leser der Apostelgeschichte, gemeint ist.173 Als privilegierter Kontext der Stephanusepisode wird die christliche Bibel aus Altem und Neuem Testament definiert.174 Die Analyse von Apg 6,1-8,3 und sämtlicher neutestamentlicher Subtexte erfolgt anhand der Texte der kritischen Ausgabe des griechischen Neuen Testaments,175 für die Untersuchung alttestamentlicher Subtexte wird deren Version der Septuaginta in ihrer kritischen Ausgabe176 herangezogen. 171
Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 97, 102. Vgl. NICKLAS, Leitfragen, 61. 173 Darin liegt neben besserer Lesbarkeit ein Grund dafür, dass in dieser Arbeit bei der Verwendung der männlichen Form ‚Leser‘ immer zugleich die weibliche Form impliziert ist. 174 Zur genaueren Einordnung von Apg 6,1-8,3 in die Apostelgeschichte und das lukanische Doppelwerk siehe II, 1.3. Eine exakte Abgrenzung vom unmittelbaren Kontext erfolgt in III, 1 „Strukturanalyse“. 175 NESTLE, EBERHARD/ALAND, KURT (Hg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 27 1998 (= NA27). 176 Eine Grundlage bietet hier RAHLFS, ALFRED/HANART, ROBERT (Hg.), Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes. Editio altera, Stuttgart 2006. Die Texte sind entnommen aus BIBLE WORKS 7, Software for Biblical Exegesis and Research, Norfolk 2006. Da sämtliche alttestamentliche Texte aus dem sog. ‚Septuaginta-Kanon‘ zitiert werden, wird der Hinweis „LXX“ hinter der Angabe der Bibelstelle in der Regel weggelassen. Eine Ausnahme stellt wegen der eigenen Zählweise in der ‚Septuaginta‘ die Angabe der Psalmen dar. 172
2 Grundlinien kanonisch-intertextueller Auslegung
73
Exkurs zur Verwendung des sog. ‚Septuaginta-Kanons‘177 Bei der Entscheidung, als Textgrundlage für die Analyse von Apg 6,1-8,3 eine christliche Bibel zu verwenden, deren erster Teil der sog. ‚Septuaginta-Kanon‘ in seiner kritischen Edition darstellt, ist das Problem zu bedenken, dass diese Form der ‚Septuaginta‘ keiner jemals im Judentum oder im Christentum existierenden verbindlichen ‚kanonischen‘ Sammlung griechischer Heiliger Schriften entspricht.178 Vielmehr handelt es sich dabei um einen konstruierten (christlichen179) Text, der sich in Umfang und Reihenfolge am Codex Alexandrinus und dabei an der jeweils ältesten rekonstruierbaren Textform orientiert. Ursprung und Entwicklung der uns heute vorliegenden ‚Septuaginta‘ sind also als komplexer Überlieferungsprozess zu begreifen.180 Obwohl es zur Zeit der Entstehung der neutestamentlichen Literatur weder einen klar umrissenen, allgemein verbindlichen Kanon jüdischer oder christlicher Heiliger Schriften gegeben hat,181 und griechische Bibeltexte, die neutestamentliche Autoren verwendeten, nicht in allen Details dem kirchlich tradierten Text der ‚Septuaginta‘ entsprachen, lassen sich dennoch einige Argumente für die ‚Septuaginta‘ als Analysegrundlage anführen. 1. Aus historisch(-kritischer) Perspektive ist eine Entscheidung für den ‚SeptuagintaKanon‘ gegenüber einem hebräisch-masoretischen Kanon von daher gerechtfertigt, dass auch der masoretische Text nur eine „auswählende Festlegung“182 auf eine von vielen verschiedenen Textformen darstellt, die ab Ende des 1. Jh. n. Chr. greifbar ist und erst im frühen Mittelalter abgeschlossen wird. Insofern auch der ‚Septuaginta‘ ein langer Prozess
177 Für eine ausführliche Reflexion über den ‚Septuaginta-Kanon‘ vgl. HIEKE/ NICKLAS, Worte der Prophetie, 113–124. 178 Vgl. TILLY, MICHAEL, Einführung in die Septuaginta, Darmstadt 2005, 17, 106. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 117–118. Umfassende Ausführungen dazu finden sich in KARRER, MARTIN/KRAUS, WOLFGANG, Umfang und Text der Septuaginta, in: Karrer, Martin/Kraus, Wolfgang (Hg.), Die Septuaginta – Texte, Kontexte, Lebenswelten. Internationale Fachtagung veranstaltet von Septuaginta Deutsch (LXX.D), Wuppertal 20.-23. Juli 2006 (WUNT 219), Tübingen 2008, 8–63, bes. 38–39, 61–63. 179 Vgl. TILLY, Einführung in die Septuaginta, 17. Auch HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 113, erläutern, dass der Begriff „Septuaginta“ aus christlicher Perspektive formuliert sei. 180 MÜLLER, MORGENS, Die Septuaginta als Teil des christlichen Kanons, in: KARRER /KRAUS, Septuaginta, 708–727, hier 719, bezeichnet die Septuaginta als „Traditionszeuge“ davon, „wie sich – jedenfalls ein Teil – des Judentums seine heiligen Schriften in einem hellenistischen Kontext zurechtlegen konnte.“ STEYN, GERT J., Which „Septuagint“ are We Talking about in New Testament Scholarship? Two Examples from Hebrews, in: KARRER/KRAUS, Septuaginta, 697–707, hier 699, betont, dass man eigentlich gar nicht mehr von „der“ Septuaginta sprechen könne. Zur Textüberlieferung der Septuaginta vgl. z.B. TILLY, Einführung in die Septuaginta, 13–15; KARRER, MARTIN, Die Entstehungsgeschichte der Septuaginta und das Problem ihrer maßgeblichen Textgestalt, in: KARRER/KRAUS, Septuaginta, 40–62. 181 Vgl. TILLY, Einführung in die Septuaginta, 106. 182 HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 118.
II Hermeneutisch-methodische Überlegungen
74
der Auswahl aus vorhandener Textvielfalt zugrunde liegt,183 gleicht sie in dieser Hinsicht dem masoretischen Text. Beide ‚Kanonformen‘ sind also als Relektüre jüdischer Offenbarungsschriften zu beschreiben. Dass diese Relektüre in der ‚Septuaginta‘ in eine griechisch-hellenistische, d.h. nicht zwingend unjüdische, Welt hinein erfolgt, was schon allein im Akt der Übersetzung zum Ausdruck kommt, und diese Welt zugleich die Welt des Neuen Testaments ist,184 spricht für die Wahl des ‚Septuaginta-Kanons‘ als Grundlage für die Untersuchung alttestamentlicher Texte, die für die Auslegung von Apg 6,1-8,3 relevant sind. 2. Auch theologische Unterschiede im Vergleich zum masoretischen Text legen die Verwendung der ‚Septuaginta‘ im Rahmen intertextueller Untersuchung neutestamentlicher Texte nahe. So spiegelt sich im Aufbau des ‚Septuaginta-Kanons‘ ein geschichtstheologischer Entwurf, indem in einem ersten Teil die Vergangenheit des Gottesvolkes in chronologischer Reihenfolge geschildert wird, die weisheitlichen Lehrschriften zu einer Gott angemessenen Daseinsgestaltung der Gegenwart anleiten und ein dritter Teil die Propheten als „Künder der Zukunft“185 darstellen. Durch diese Anordnung ist die ‚Septuaginta‘ offen für den Anschluss des Neuen Testaments als zweiten Teil der christlichen Bibel. Zugleich entsteht in der ‚Septuaginta‘ durch diese Reihenfolge und durch die zusätzlichen Bücher, vor allem die Makkabäerbücher oder Jesus Sirach, der Eindruck einer kontinuierlichen Offenbarung Gottes im Alten und Neuen Testament. Außerdem verdeutlicht sich die Verbindung zwischen Altem und Neuem Testament dadurch, dass Spätwerke der ‚Septuaginta‘ in zeitlicher Nähe zur Entstehung der frühesten neutestamentlichen Texte anzusiedeln sind.186 Darüber hinaus entstehen durch die in der ‚Septuaginta‘ gegenüber dem masoretischen Text zusätzlichen Texte nicht nur zeitliche, sondern auch intertextuell und theologisch bedeutsame Verbindungen zum Neuen Testament, wie beispielsweise die „Goldene Regel“ in Tob 4,15 und Mt 7,12 oder der Gedanke gegenseitiger Vergebung in Sir 28,2 und Mt 6,12 zeigen.187 183
Laut TILLY, Einführung in die Septuaginta, 13, bietet die sehr umfangreiche handschriftliche Überlieferung der Septuaginta eine größere Vielfalt von Varianten als die Textüberlieferung aller anderen Bibelübersetzungen zusammen. Zum Kanonisierungsprozess der Septuaginta vgl. EBD., 13–15. KARRER, Entstehungsgeschichte, in: KARRER /KRAUS, Septuaginta, 40–61. 184 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 118–119. 185 HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 123. Zum Aufbau der Septuaginta vgl. weiterhin KRAUS, WOLFGANG, Umfang und Aufbau der Septuaginta, in: KARRER/KRAUS, Septuaginta, 10–39. TILLY, Einführung in die Septuaginta, 18–21. 186 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 121–123. Angesichts dessen betonen sie, dass das Neue Testament nicht von seinem jüdischen Hintergrund zu isolieren sei. Als Beispiel eines Spätwerks der Septuaginta sei Sapientia Salomonis genannt. TILLY, Einführung in die Septuaginta, 24, spricht davon, dass die Einteilung der Bücher in der Septuaginta von einem christlichen Blickwinkel zeuge. 187 Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 123–124. Sie führen als weitere Beispiele für solche Brücken zwischen den beiden Teilen der christlichen Bibel die Vorstellung der Auferweckung der Toten an, die in 2 Makk zu finden ist, sowie das paulinische
2 Grundlinien kanonisch-intertextueller Auslegung
75
3. Ein weiteres Argument für die Verwendung der ‚Septuaginta‘ liegt darin, dass fast alle neutestamentlichen Autoren als Basis ihrer literarischen Produktion nicht die hebräischen Heiligen Schriften, sondern deren griechische Übersetzungen verwenden.188 Nicht nur bei expliziten Zitaten aus der Schrift, sondern auch bei impliziten Anspielungen stehen meist die griechischen Schrifttexte im Hintergrund. Aus ihnen speisen sich also Sprachstil und auch literarische Formen neutestamentlicher Texte. Durch diese „Septuaginta-Mimesis“ werden die neutestamentlichen Texte in eine Art „schriftprophetische Traditionskontinuität“189 eingeordnet, so dass zugleich auch die theologische Gedankenführung vom ‚Septuaginta-Kanon‘ gefärbt wird.190 Diese Nachahmung der ‚Septuaginta‘ ist insbesondere ein auffälliges Charakteristikum des lukanischen Doppelwerks, dessen Sprachstil ist nämlich stark von „Septuagintismen“ geprägt, und zwar auf lexikalischer Ebene, in syntaktischen Ausdrücken bis hin zum episodischen Erzählstil.191 Daher scheint bei intertextuellen Untersuchungen von Texten des lukanischen Doppelwerks die ‚Septuaginta‘ als Basis besonders gerechtfertigt. 4. Zu alldem kommt ein rein sprachlicher Grund, der für die ‚Septuaginta‘ als Textgrundlage spricht. So lassen sich intertextuelle Bezüge der griechischen Texte des Neuen Testaments leichter zu griechischen Texten des Alten Testaments aufzeigen als zu hebräischen Texten desselben. Zugleich wird dabei implizit anerkannt, dass auch das Griechische eine „im Kanon ‚brauchbare‘ Sprache“192 ist, in der Gott sein Wort kundtut. 5. Weiterhin liegt die Wahl der ‚Septuaginta‘ als Textgrundlage für alttestamentliche Intertexte von Apg 6,1-8,3 insbesondere im hermeneutisch-methodischen Zugang kanoDenken, das in den Kontext weisheitlicher Spekulationen etwa der Sapientia Salomonis gesetzt werden könne. 188 Vgl. TILLY, Einführung in die Septuaginta, 100, führt als Beleg dafür an, dass die neutestamentlichen Schriftzitate in 212 Fällen vom MT abweichen, während sie sich in 185 Fällen von der LXX unterscheiden. 189 Vgl. TILLY, Einführung in die Septuaginta, 100–102. Die Septuaginta und das Neue Testament weisen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf, „die von keinem anderen bekannten Koinetext bezeugt werden“ (102). 190 In diesem Zusammenhang muss allerdings auch darauf hingewiesen werden, dass sich die neutestamentlichen Texte in Zitaten und Anspielungen nicht nur auf die Septuaginta und masoretischen Text, sondern auch auf im heutigen Sinn „apokryphe“ Texte beziehen. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 120–121, thematisieren hierbei das Problem, dass die Entscheidung, als Bezugsrahmen für intertextuelle Untersuchungen die „christliche Bibel“ in Gestalt von ‚Septuaginta‘ und Neuem Testament heranzuziehen, auch eine Veränderung, nämlich in manchen Büchern eine Ausweitung, in anderen eine Einschränkung bedeutet. Aus leserorientierter Sicht, sei diese Entscheidung aber gerechtfertigt. 191 WOLTER, Lukasevangelium, 21, führt viele Beispiele für dieses Phänomen an und sieht in der stilistischen Angleichung an die Septuaginta die Funktion zu zeigen, dass das erzählte Geschehen eine Fortsetzung der Geschichte Israels sei. Ähnlich auch BROER, Einleitung, 171. Vgl. weiterhin JERVELL, Apg, 74–75. PLÜMACHER, Apostelgeschichte, 490–491. KLEIN, Lukasevangelium, 48–49. 192 HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 120.
II Hermeneutisch-methodische Überlegungen
76
nisch-intertextueller Auslegung begründet. Wenn nämlich die Sprache des lukanischen Doppelwerks besonders stark dem Kolorit der ‚Septuaginta‘ ähnelt und alttestamentliche Texte dieser Form einspielt, legt folglich der Grundsatz der Textzentriertheit dieser Arbeitsweise die Verwendung der ‚Septuaginta‘ nahe. Die Entscheidung für die ‚Septuaginta‘ rechtfertigt außerdem die leserorientierte Perspektive, da diese nicht nach empirischen Erstlesern fragt, sondern das Konzept eines Modelllesers verwendet, der im Text der heute vorliegenden ‚christlichen Bibel‘ situiert ist. Diese aber steht in der Regel – trotz der thematisierten Problematik – in Form der kritischen Ausgabe von A. RAHLFS zur Verfügung.193
Zu Beginn der vorliegenden exegetischen Arbeit erfolgt eine Strukturanalyse der gesamten Stephanusepisode Apg 6,1-8,3, die die Kommunikationssituationen der Textstelle transparent macht sowie erste Hinweise auf Leitbegriffe und mögliche Knotenpunkte gibt (III, 1). Gegliedert nach den Textabschnitten, die sich aus der Strukturanalyse ergeben, schließt sich die ausführliche Textanalyse in Form einer (Modell-) Lektüre an (III, 2-11). Hierzu werden auf der Basis detaillierter Untersuchungen zur Struktur der einzelnen Textpassagen semantische und syntaktische Textsignale herausgearbeitet und hinsichtlich der Strategie des Textes und seiner Sinnpotentiale reflektiert. Besonderes Augenmerk gilt dabei Anspielungen auf und Einspielungen von alttestamentlichen und neutestamentlichen Intertexten, um die damit aktivierten Kontexte für die Interpretation der Stephanusepisode heranziehen zu können. Abschließend werden Überlegungen zur Funktion der Stephanusepisode in ihren Kontexten Apostelgeschichte, lukanisches Doppelwerk und christliche Bibel angestellt. Weiterhin wird darüber reflektiert, inwieweit der Text der Stephanusepisode die anamnetischen Strukturen der christlichen Bibel widerspiegelt.
193
Vgl. HIEKE/NICKLAS, Worte der Prophetie, 124.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung der Stephanusepisode 1 Strukturanalyse 1.1 Abgrenzung des Textes Apg 6,1-8,3 Der Beginn der Stephanusepisode mit 6,1 lässt sich zum einen durch die summarische Notiz über die Verkündigungstätigkeit der Apostel in Jerusalem in 5,42 begründen, zum anderen durch die relative Zeitangabe evn de. tai/j h`me,raij tau,taij in 6,1. Damit sowie mit der Wachstumsnotiz plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n wird zwar eine Verbindung zur Verkündigung der Apostel in Jerusalem hergestellt, aber auch der Anfang einer neuen Szene markiert, die durch die Benennung eines neuen Gegenstandes evge,neto goggusmo,j und durch die Einführung neuer Personengruppen (ai` ~Elleni,stai und oi` ~Ebrai/oi) gleich im Anschluss an die Zeitangabe skizziert wird.1 Das Ende der Stephanusepisode bildet die Notiz über den Vernichtungsversuch der Gemeinde durch Saulus in 8,3. Zwar könnte auch mit dem Tod des Stephanus in 7,60 oder der Zustimmung dazu durch Saulus in 8,1a2 das Ende der Stephanusepisode angezeigt werden, zumal 8,1b erneut mit einer relativen Zeitangabe (evge,neto de. evn evkei,nh| th/| h`me,ra|) beginnt und durch die Ortsangaben kata. ta.j cw,raj th/j VIoudai,aj kai. Samarei,aj der örtliche Rahmen Jerusalems verlassen wird. Allerdings zeigen sich neben der Bemerkung über die Bestattung des Stephanus und die Klage über seinen Tod (8,2) auch verschiedene inhaltliche und motivische Anknüpfungen an 6,1-8,1a,3 die es nahe legen, 8,1b-3 als Abschluss der Stephanusepisode zu verstehen. Dass 8,4 (oi` me.n ou=n diaspare,ntej dih/lqon euvaggelizo,menoi to.n lo,gon. »Die Zerstreuten zogen nun umher und verkündeten als Frohbotschaft das Wort.«) trotz des Rückgriffs auf 8,1b (pa,ntej de. diespa,rhsan) den Neueinsatz des nächsten Erzählabschnitts signalisiert, zeigt sich daran, dass durch den Hinweis auf das Umherziehen 1 Ähnlich markiert die Wendung evn de. tai/j h`me,raij tau,taij in Apg 1,15 nach einer summarischen Schilderung (Apg 1,14) den Beginn eines neuen Abschnitts. Auch in Apg 2,47 findet sich die Kombination aus einem Summarium der Gemeindesituation und einer Wachstumsnotiz zur Markierung eines Szenenwechsels. 2 Zur Position und Funktion von Apg 8,1a vgl. Lektüre von Apg 7,54-8,1a und von Apg 8,1b-3. 3 Vgl. dazu Lektüre von Apg 8,1b-3.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
78
der Zerstreuten ein indirekter Ortswechsel von Jerusalem hin zu zunächst unbestimmten Orten stattfindet. Außerdem ist 8,4 bereits zur folgenden Erzähleinheit zu rechnen, weil diesem Summarium die Abschlussnotiz 8,40 korrespondiert.4 Die Stephanusepisode ist also eingerahmt von zwei summarischen Verkündigungsnotizen: Zum einen hält 5,42 die Verkündigung der Apostel in Jerusalem fest, zum anderen weist 8,4 auf die Verkündigung der Zerstreuten an unbestimmten Orten hin. Damit deutet sich eine besondere Position der Stephanusepisode innerhalb der Erzählung des „Weges des Heils“ an. 1.2 Strukturüberblick Die Stephanusepisode lässt sich in drei große Abschnitte einteilen, die durch verschiedene Elemente miteinander verbunden sind: Das Erzählstück Apg 6,1-7,1 präsentiert szenische und thematische Rahmenbedingungen, in die die Stephanusrede Apg 7,2-53 eingebettet ist, und auf die auch das daran anschließende Erzählstück Apg 7,54-8,3 zurückgreift. Somit bilden zwei narrative Teile einen Rahmen um die Stephanusrede. 1.2.1 Szenische und thematische Rahmenbedingungen Apg 6,1-7,1 Das Erzählstück Apg 6,1-7,1 gliedert sich in zwei Unterabschnitte: Apg 6,1-7 berichtet von einem Konflikt um die Versorgung der hellenistischen Witwen in der Gemeinde von Jerusalem und dessen Lösung durch die Wahl des Siebenergremiums, durch die Stephanus als erster der Sieben eingeführt wird. Dieser Erzählabschnitt ist von zwei summarischen Wachstumsnotizen (6,1.7) eingerahmt, wird durch den Wechsel von Erzählbericht (6,1-2a.5-6) und direkter Rede (6,2b-4) strukturiert und inhaltlich von den Schlüsselbegriffen oi` maqhtai,, diakonei/n trape,zaij und diakoni,a tou/ lo,gou durchsetzt, mit denen ein Bild von der Situation der Jerusalemer Gemeinde vermittelt wird. Der zweite Unterabschnitt Apg 6,8-7,1 schildert nach einer summarischen Notiz über das Wirken des Stephanus (6,8) Angriffe von Juden in Jerusalem gegen ihn, die in Anklagen vor dem Synedrium münden. Geprägt ist dieses Erzählstück von einer klimaktischen Darstellung der Menge der Gegnerschaft und deren Vorgehen gegen Stephanus (6,9-12) sowie von einer Gerichtsszene (6,12c-7,1), in der Vorwürfe gegen Stephanus in direkter Rede formuliert werden. Dabei werden Leitbegriffe eingeführt, die für die Stephanusrede entscheidend sind: r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n 4
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 344. BARRETT, Acts, 435. SCHNEIDER, Apg, 481, u.a. Noch deutlicher wird der Beginn einer neuen Erzähleineinheit in Apg 8,5, da hier Philippus als einer der Verkündiger des Wortes und zwar nun konkret in der (Haupt-)Stadt Samariens (@h`Ð po,lij th/j Samarei,aj) eingeführt wird.
1 Strukturanalyse
79
kai. to.n qeo,n (6,11) und r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ kai. tou/ no,mou (6,13-14). 6,1-7 Konflikt um die Witwenversorgung in Jerusalem und Konfliktlösung 6,1 Einleitung (Wachstumsnotiz, Konflikt) 6,2-6 Umgang mit der Konfliktsituation 6,7 Summarische Wachstumsnotiz 6,8-7,1 Angriffe gegen Stephanus und Gerichtsszene 6,8 Summarische Notiz über das Wirken des Stephanus im Volk 6,9-12 Vorgehen gegen Stephanus 6,13-7,1 Gerichtsszene 1.2.2 Die Stephanusrede Apg 7,2-53 Nach einer Redeeinleitung (7,2a) und einer Anrede der Zuhörer (7,2b) wird in 7,2c als Thema der Stephanusrede das Erscheinen des Gottes der Herrlichkeit vor unserem Vater Abraham (o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa,m) genannt. Davon ausgehend lässt sich als grundlegendes Gliederungsprinzip von 7,2-53 die Erwähnung verschiedener Gestalten der Geschichte Israels, von denen in irgendeiner Weise ein besonderer Gottesbezug festgehalten wird, ausmachen. Damit sind meist – in Analogie zu h` gh/ als Schlüsselbegriff des Redeabschnitts 7,2-8 – Ortsangaben verbunden, so dass diese ebenfalls zur Strukturierung der Stephanusrede beitragen. Auch die in 7,6-7 formulierten Verheißungen Gottes an Abraham und seine Nachkommen werden innerhalb der Stephanusrede immer wieder aufgegriffen und stellen demnach einen Leitgedanken dar, der zugleich der Gliederung der Rede dient (vgl. besonders 7,17). Dementsprechend enthalten die Verheißungen in 7,6-7 Begriffe, die im Laufe der Rede mehrmals aufgenommen werden und damit nicht nur Struktursignale darstellen, sondern auch Hinweise auf inhaltliche Leitlinien der Stephanusrede geben. Besondere Bedeutung kommt dem Begriff o` to,poj zu, der nicht nur ein wichtiger Leitbegriff der Rede ist (7,33.49), sondern zugleich eine Verbindung zu den Anklagen gegen Stephanus herstellt (6,13-14). Auch mit den Begriffen pa,roikoj (7,6.29), kako,w (7,6.19.34) und latreu,w (7,7.42) entsteht immer wieder ein Rückbezug zu den Verheißungen von 7,6-7. Darüber hinaus werden am Beginn der Stephanusrede 7,2-8 neben qeo,j5 folgende Begriffe eingeführt, die auch an anderen Stellen der Rede aufgegriffen werden und damit zur strukturellen und inhaltlichen Orientierung beitragen: w;fqh (7,2.26.30), o` path,r/oi` pate,rej h`mw/n/u`mw/n (7,2.11.
5
307.
Vgl. Apg 7,2.6.7.9.17.20.25.32.35.37.42.43.45.46.55.56. Vgl. auch PENNER, Praise,
80
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
12.15.19.38.39.45-46.51.52), katoike,w (7,2.4.48), metoike,w (7,4.43), kata,scesij (7,5.45), evpagge,llomai (7,5.17) und diaqh,kh peritomh/j (7,8.51). Über Stichwort- und Motivverknüpfungen werden nicht nur einzelne Passagen innerhalb der Rede verbunden, sondern erfolgt auch eine Anbindung der Rede insgesamt an die rahmenden Erzählstücke. So greift die Stephanusrede aus der Gerichtsszene neben o` to,poj auch Mwu?sh/j (7,20.29.31.32.35.37.40.44) und o` no,moj (7,53; 7,38 implizit) auf, und aus der Charakterisierung des Stephanus in 6,5.8 finden sich h` ca,rij (7,10) und h` sofi,a (7,10.22) wieder. Eine Verbindung zu 7,54-8,3 wird primär über die Charakterisierung der Gegner (7,54.57) in Analogie zu den Vorwürfen gegen sie in 7,51-53 und über das Motiv des Himmels (7,49.55-56) hergestellt. Eine weitere Gliederungshilfe der Stephanusrede bieten stellenweise Zeitangaben (vgl. 7,17.19.23.30.45), der Wechsel von narrativen und dialogischen Passagen sowie anderen Stilelementen, wie z.B. ein hymnischer Abschnitt in 7,35-39 mit der stereotypen Wendung ou-to,j evstin @o` Mwu?sh/j# und die Vorwürfe in 7,51-53. Der größte Teil der Stephanusrede wird in Form einer ‚Erzählung‘ dargeboten, in direkter Rede werden in der Regel nur Worte Gottes (7,6-7.33-34) oder Prophetenworte präsentiert (7,42b-43.49-50), abgesehen vom Dialog zwischen einem Israeliten und Mose in 7,26-28 und der Bitte der Israeliten um Götter in 7,40. Dadurch wird auf diese Textstellen besondere Aufmerksamkeit gelenkt. Insgesamt lässt sich die Stephanusrede in folgende fünf Abschnitte gliedern: Apg 7,2c-8 schildert ausgehend von der Erscheinung Gottes vor Abraham (7,2c), dass dieser ins verheißene Land geführt wird (7,3-5a), von Gott Verheißungen (7,5b-7) und den Bund der Beschneidung empfängt (7,8a). Dieser wird von Abraham und seinen Nachkommen weitergegeben (7,8b). In Apg 7,9-16 wird berichtet, dass der nach Ägypten verkaufte Josef eine Führungsposition bekommt (7,10) und so seine Verwandtschaft nach Ägypten holen lässt (7,14). Nach dem überleitenden Abschnitt Apg 7,17-19,6 in dem summarisch die Erfüllung einiger Elemente der Verheißungen an Abraham notiert wird, erfolgt in Apg 7,20-43 eine Erzählung der Geschichte Moses.7 Dieser lange 6 Apg 7,17-19 wird häufig als Teil der Erzählung der Mosegeschichte gesehen, etwa von GAVENTA, Acts, 117. JERVELL, Apg, 235. PENNER, Praise, 94–95. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 361. ZMIJEWSKI, Apg, 308, 318 u.a. Aufgrund der Orientierung an den namentlich genannten Gestalten der Geschichte Israels wird in dieser Arbeit Apg 7,20 als Beginn der Erzählung der Mosegeschichte betrachtet. Vgl. ähnlich FITZMYER, Acts, 365. WISCHMEYER, Stephen’s Speech, 344. 7 Manche Untersuchungen zählen auch Apg 7,44-45 oder bis 7,50 zur Erzählung der Mosegeschichte hinzu, z.B. ZMIJEWSKI, Apg, 309. KLIESCH, Credo, 118. WISCHMEYER,
1 Strukturanalyse
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Redeabschnitt wird primär durch Zeitangaben (7,20.23.30), direkte Reden (7,27-28.33-34.42b-43) und eine Passage in hymnischem Stil (7,35-39) strukturiert. Außerdem geben kommentierende Verse (7,25.35) und die Darstellung des Moses als abgelehnter Heilsmittler Gottes Lektüreanweisungen. Während die bisherigen Redeabschnitte zu Beginn jeweils eine Gestalt aus der Geschichte Israels genannt haben, stellt Apg 7,44-50 zunächst das »Zelt des Zeugnisses« als thematischen Ansatzpunkt der folgenden Textpassage in den Vordergrund. So werden Josua, David und Salomo nur im Zusammenhang mit dem Thema ‚Zelt des Zeugnisses‘ zur Zeit der Wüstenwanderung und dessen ‚Nachfolgern‘ im verheißenen Land erwähnt. Nach einem Prophetenwort zu dieser Thematik (7,49-50) werden die Adressaten der Rede in Apg 7,51-53 direkt angesprochen und dabei mit Vorwürfen konfrontiert, in denen einige Motive der Stephanusrede sowie der Anklagen gegen Stephanus (6,11.13-14) aufgegriffen werden. Insgesamt präsentiert die Stephanusrede also einen Abriss über die Geschichte Israels (7,2-50) und endet mit daran anknüpfender Kritik an den Hörern der Rede.8 Die Struktur der Stephanusrede 7,2-53 kann folgendermaßen dargestellt werden:
Stephen’s Speech, 344. Einen Einschnitt nach Apg 7,43 beobachten dagegen: SOARDS, Speeches in Acts, 59. PENNER, Praise, 94–95. GAVENTA, Acts, 117. FITZMYER, Acts, 365. JERVELL, Apg, 243. SCHNEIDER, Apg, 447. u.a. Für ausführlichere Erläuterungen vgl. die Strukturanalyse zu Apg 7,44-50. 8 JESKA, Geschichte Israels, 115–118, 145–146, 156, bezeichnet Apg 7,2-50 als Summarium der Geschichte Israels bzw. „Vergangenheitsdarstellung“ und Apg 7,51-53 als „Aktualisierung“.
82
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
7,2a Redeeinleitung 7,2b Anrede mit Höraufruf 7,2c-8 Geschichte der Erscheinung Gottes vor Abraham 7,2c-4a Gott erscheint Abraham in Mesopotamien 7,4b-5 Abraham kommt ins verheißene Land 7,6-7 Verheißungen Gottes 7,8 Gott gibt Abraham den Bund der Beschneidung 7,9-16 Geschichte Gottes mit Josef in Ägypten 7,9-10 Josef in Ägypten 7,11-12 Große Hungersnot in Ägypten und Kanaan 7,13-14 Der zweite Aufenthalt »unserer Väter« in Ägypten 7,15 Jakob in Ägypten 7,16 Begräbnis »unserer Väter« in Sichem, im Grab Abrahams 7,17-19 Übergang: Die Zeit der Erfüllung der Verheißungen naht 7,17 Erfüllung der positiven Verheißung Gottes 7,18 Ein »anderer« König in Ägypten 7,19 Erfüllung der negativen Verheißung Gottes 7,20-43 Geschichte Gottes mit Mose 7,20-22 Biographieartiger Überblick über Moses Kindheit und Jugendzeit 7,23-29 Moses Funktion in Konfliktsituationen 7,30-34 Erscheinung Gottes vor Mose 7,35-43 Mose als Heilsmittler Gottes und dessen Ablehnung 7,44-50 Orte der Anwesenheit Gottes 7,44-47 Das Zelt des Zeugnisses und seine ‚Nachfolger‘ 7,48-50 Kritische Stellungnahme zum ‚(Gottes-)Haus‘ Salomos 7,51-53 Vorwürfe gegen die Zuhörer der Stephanusrede 1.2.3 Folgen der Stephanusrede Apg 7,54-8,3 Das Erzählstück Apg 7,54-8,3 weist erneut zwei Teile auf: Der erste Unterabschnitt Apg 7,54-8,1a beschreibt als Reaktion auf die Stephanusrede die weitere Ablehnung des Stephanus durch seine Gegner, die in seiner Steinigung endet. Dabei werden in der Schilderung der Gegner mit den Formulierungen diepri,onto tai/j kardi,aij auvtw/n (7,54) und sune,scon ta. w=ta auvtw/n (7,57) der Vorwurf am Ende der Rede avperi,tmhtoi kardi,aij kai. toi/j wvsi,n (7,51) aufgegriffen. Die Vision des Stephanus (7,55-56) ist durch das Stichwort o` ouvrano,j mit dem Prophetenwort von 7,49-50 verbunden und durch die Wendung do,xa qeou/ mit dem Beginn der Rede 7,2c. Strukturiert wird diese Textpassage durch einen Subjektwechsel zwischen Stephanus, von dem auch drei kurze direkte Reden wiedergegeben werden (7,56.59.60), und seinen Gegnern, unter denen Saulus
1 Strukturanalyse
83
namentlich genannt wird (7,58b). Ähnlich wie in Apg 6,9-7,1 ist eine Steigerung des gewalttätigen Vorgehens gegen Stephanus, der ebenfalls im Rückgriff auf Apg 6,1-7,1 charakterisiert wird, prägend. Abschließend berichtet Apg 8,1b-3 als Folge des Todes des Stephanus summarisch von einer Verfolgung der Gemeinde von Jerusalem primär durch Saulus, unterbrochen von einer kurzen Notiz über die Bestattung und Totenklage über Stephanus (8,2). 7,54-8,1a Ablehnung des Stephanus bis zur Steinigung 7,54 Ablehnende Reaktion der Zuhörer auf die Stephanusrede 7,55-56 Vision des Stephanus 7,57-58a Verschärfte Ablehnung durch die Gegner 7,58b-60 Steinigung des Stephanus 8,1a Einverständnis des Saulus 8,1b-3 Folgen des Todes des Stephanus: Verfolgung der Gemeinde von Jerusalem 8,1b Verfolgung und Zerstreuung der Gemeinde von Jerusalem 8,2 Bestattung von und Totenklage über Stephanus 8,3 Saulus versucht, die Gemeinde zu vernichten
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
84
1.3 Der Text Apg 6,1-8,3 6,1 VEn de. tai/j h`me,raij tau,taij plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n evge,neto goggusmo.j tw/n ~Ellhnistw/n pro.j tou.j ~Ebrai,ouj( o[ti pareqewrou/nto evn th/| diakoni,a| th/| kaqhmerinh/| ai` ch/rai auvtw/nÅ 2a proskalesa,menoi de. oi` dw,deka to. plh/qoj tw/n maqhtw/n ei=pan\ b ouvk avresto,n evstin h`ma/j katalei,yantaj to.n lo,gon tou/ qeou/ diakonei/n trape,zaijÅ 3 evpiske,yasqe de,( avdelfoi,( a;ndraj evx u`mw/n marturoume,nouj e`pta,( plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj( ou]j katasth,somen evpi. th/j crei,aj tau,thj( 4 h`mei/j de. th/| proseuch/| kai. th/| diakoni,a| tou/ lo,gou proskarterh,somenÅ 5a kai. h;resen o` lo,goj evnw,pion panto.j tou/ plh,qouj b kai. evxele,xanto Ste,fanon( a;ndra plh,rhj pi,stewj kai. pneu,matoj a`gi,ou( kai. Fi,lippon kai. Pro,coron kai. Nika,nora kai. Ti,mwna kai. Parmena/n kai. Niko,laon prosh,luton VAntioce,a( 6a ou]j e;sthsan evnw,pion tw/n avposto,lwn( b kai. proseuxa,menoi evpe,qhkan auvtoi/j ta.j cei/rajÅ 7a Kai. o` lo,goj tou/ qeou/ hu;xanen b kai. evplhqu,neto o` avriqmo.j tw/n maqhtw/n evn VIerousalh.m sfo,dra( c polu,j te o;cloj tw/n i`ere,wn u`ph,kouon th/| pi,steiÅ 8 9
10 11a b 12a b c
Ste,fanoj de. plh,rhj ca,ritoj kai. duna,mewj evpoi,ei te,rata kai. shmei/a mega,la evn tw/| law/|Å avne,sthsan de, tinej tw/n evk th/j sunagwgh/j th/j legome,nhj Liberti,nwn kai. Kurhnai,wn kai. VAlexandre,wn kai. tw/n avpo. Kiliki,aj kai. VAsi,aj suzhtou/ntej tw/| Stefa,nw|( kai. ouvk i;scuon avntisth/nai th/| sofi,a| kai. tw/| pneu,mati w-| evla,leiÅ to,te u`pe,balon a;ndraj le,gontaj o[ti avkhko,amen auvtou/ lalou/ntoj r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n kai. to.n qeo,nÅ suneki,nhsa,n te to.n lao.n kai. tou.j presbute,rouj kai. tou.j grammatei/j kai. evpista,ntej sunh,rpasan auvto.n kai. h;gagon eivj to. sune,drion(
1 Strukturanalyse
13a e;sthsa,n te ma,rturaj yeudei/j le,gontaj\ b o` a;nqrwpoj ou-toj ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ kai. tou/ no,mou\ 14a avkhko,amen ga.r auvtou/ le,gontoj o[ti b VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj katalu,sei to.n to,pon tou/ton kai. avlla,xei ta. e;qh a] pare,dwken h`mi/n Mwu?sh/jÅ 15 kai. avteni,santej eivj auvto.n pa,ntej oi` kaqezo,menoi evn tw/| sunedri,w| ei=don to. pro,swpon auvtou/ w`sei. pro,swpon avgge,louÅ 7,1a Ei=pen de. o` avrciereu,j\ b eiv tau/ta ou[twj e;ceiÈ 2a b c 3a b c 4a b 5a b 6a b c 7a b c d 8a b c d
7,17
o` de. e;fh\ :Andrej avdelfoi. kai. pate,rej( avkou,sateÅ ~O qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa.m o;nti evn th/| Mesopotami,a| pri.n h' katoikh/sai auvto.n evn Carra.n kai. ei=pen pro.j auvto,n\ e;xelqe evk th/j gh/j sou kai. ÎevkÐ th/j suggenei,aj sou( kai. deu/ro eivj th.n gh/n h]n a;n soi dei,xwÅ to,te evxelqw.n evk gh/j Caldai,wn katw,|khsen evn Carra,nÅ kavkei/qen meta. to. avpoqanei/n to.n pate,ra auvtou/ metw,|kisen auvto.n eivj th.n gh/n tau,thn eivj h]n u`mei/j nu/n katoikei/te( kai. ouvk e;dwken auvtw/| klhronomi,an evn auvth/| ouvde. bh/ma podo.j kai. evphggei,lato dou/nai auvtw/| eivj kata,scesin auvth.n kai. tw/| spe,rmati auvtou/ metV auvto,n( ouvk o;ntoj auvtw/| te,knouÅ evla,lhsen de. ou[twj o` qeo.j o[ti e;stai to. spe,rma auvtou/ pa,roikon evn gh/| avllotri,a| kai. doulw,sousin auvto. kai. kakw,sousin e;th tetrako,sia\ kai. to. e;qnoj w-| eva.n douleu,sousin krinw/ evgw,( o` qeo.j ei=pen( kai. meta. tau/ta evxeleu,sontai kai. latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw|Å kai. e;dwken auvtw/| diaqh,khn peritomh/j\ kai. ou[twj evge,nnhsen to.n VIsaa.k kai. perie,temen auvto.n th/| h`me,ra| th/| ovgdo,h|( kai. VIsaa.k to.n VIakw,b( kai. VIakw.b tou.j dw,deka patria,rcajÅ
85 6,13f.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
86 7,5-7
6,13f.
9a b 10a b c 11a b 12 13a b 14
15a b 16a b
17
18 19
7,20
Kai. oi` patria,rcai zhlw,santej to.n VIwsh.f avpe,donto eivj Ai;guptonÅ kai. h=n o` qeo.j metV auvtou/ kai. evxei,lato auvto.n evk pasw/n tw/n qli,yewn auvtou/ kai. e;dwken auvtw/| ca,rin kai. sofi,an evnanti,on Faraw. basile,wj Aivgu,ptou kai. kate,sthsen auvto.n h`gou,menon evpV Ai;gupton kai. ÎevfÐ o[lon to.n oi=kon auvtou/Å h=lqen de. limo.j evfV o[lhn th.n Ai;gupton kai. Cana,an kai. qli/yij mega,lh( kai. ouvc hu[riskon corta,smata oi` pate,rej h`mw/nÅ avkou,saj de. VIakw.b o;nta siti,a eivj Ai;gupton evxape,steilen tou.j pate,raj h`mw/n prw/tonÅ kai. evn tw/| deute,rw| avnegnwri,sqh VIwsh.f toi/j avdelfoi/j auvtou/ kai. fanero.n evge,neto tw/| Faraw. to. ge,noj Îtou/Ð VIwsh,fÅ avpostei,laj de. VIwsh.f metekale,sato VIakw.b to.n pate,ra auvtou/ kai. pa/san th.n sugge,neian evn yucai/j e`bdomh,konta pe,nteÅ kai. kate,bh VIakw.b eivj Ai;gupton kai. evteleu,thsen auvto.j kai. oi` pate,rej h`mw/n( kai. metete,qhsan eivj Suce.m kai. evte,qhsan evn tw/| mnh,mati w-| wvnh,sato VAbraa.m timh/j avrguri,ou para. tw/n ui`w/n ~Emmw.r evn Suce,mÅ Kaqw.j de. h;ggizen o` cro,noj th/j evpaggeli,aj h-j w`molo,ghsen o` qeo.j tw/| VAbraa,m( hu;xhsen o` lao.j kai. evplhqu,nqh evn Aivgu,ptw| a;cri ou- avne,sth basileu.j e[teroj ÎevpV Ai;guptonÐ o]j ouvk h;|dei to.n VIwsh,fÅ ou-toj katasofisa,menoj to. ge,noj h`mw/n evka,kwsen tou.j pate,raj Îh`mw/nÐ tou/ poiei/n ta. bre,fh e;kqeta auvtw/n eivj to. mh. zw|ogonei/sqaiÅ
1 Strukturanalyse
87 6,13f.
20a b c 21a b 22a b
VEn w-| kairw/| evgennh,qh Mwu?sh/j kai. h=n avstei/oj tw/| qew/|\ o]j avnetra,fh mh/naj trei/j evn tw/| oi;kw| tou/ patro,j( evkteqe,ntoj de. auvtou/ avnei,lato auvto.n h` quga,thr Faraw. kai. avneqre,yato auvto.n e`auth/| eivj ui`o,nÅ kai. evpaideu,qh Mwu?sh/j ÎevnÐ pa,sh| sofi,a| Aivgupti,wn( h=n de. dunato.j evn lo,goij kai. e;rgoij auvtou/Å
23
~Wj de. evplhrou/to auvtw/| tesserakontaeth.j cro,noj( avne,bh evpi. th.n kardi,an auvtou/ evpiske,yasqai tou.j avdelfou.j auvtou/ tou.j ui`ou.j VIsrah,lÅ kai. ivdw,n tina avdikou,menon hvmu,nato kai. evpoi,hsen evkdi,khsin tw/| kataponoume,nw| pata,xaj to.n Aivgu,ptionÅ evno,mizen de. sunie,nai tou.j avdelfou.j Îauvtou/Ð o[ti o` qeo.j dia. ceiro.j auvtou/ di,dwsin swthri,an auvtoi/j\ oi` de. ouv sunh/kanÅ th/| te evpiou,sh| h`me,ra| w;fqh auvtoi/j macome,noij kai. sunh,llassen auvtou.j eivj eivrh,nhn eivpw,n\ a;ndrej( avdelfoi, evste\ i`nati, avdikei/te avllh,loujÈ o` de. avdikw/n to.n plhsi,on avpw,sato auvto.n eivpw,n\ ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth.n evfV h`mw/nÈ mh. avnelei/n me su. qe,leij o]n tro,pon avnei/lej evcqe.j to.n Aivgu,ptionÈ e;fugen de. Mwu?sh/j evn tw/| lo,gw| tou,tw| kai. evge,neto pa,roikoj evn gh/| Madia,m( ou- evge,nnhsen ui`ou.j du,oÅ
24a b 25a b 26a b c 27a b 28 29a b 30
31a b 32a b 33a b
Kai. plhrwqe,ntwn evtw/n tessera,konta w;fqh auvtw/| evn th/| evrh,mw| tou/ o;rouj Sina/ a;ggeloj evn flogi. puro.j ba,touÅ o` de. Mwu?sh/j ivdw.n evqau,mazen to. o[rama( prosercome,nou de. auvtou/ katanoh/sai evge,neto fwnh. kuri,ou\ evgw. o` qeo.j tw/n pate,rwn sou( o` qeo.j VAbraa.m kai. VIsaa.k kai. VIakw,bÅ e;ntromoj de. geno,menoj Mwu?sh/j ouvk evto,lma katanoh/saiÅ ei=pen de. auvtw/| o` ku,rioj\ lu/son to. u`po,dhma tw/n podw/n sou( o` ga.r to,poj evfV w-| e[sthkaj gh/ a`gi,a evsti,nÅ
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
88
6,13f.
34a b c d 35a b 36
37a b 38
39a b c 40a b c 41a b c 42a
b
43a
b
ivdw.n ei=don th.n ka,kwsin tou/ laou/ mou tou/ evn Aivgu,ptw| kai. tou/ stenagmou/ auvtw/n h;kousa( kai. kate,bhn evxele,sqai auvtou,j\ kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se eivj Ai;guptonÅ Tou/ton to.n Mwu?sh/n o]n hvrnh,santo eivpo,ntej\ ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth,nÈ tou/ton o` qeo.j Îkai.Ð a;rconta kai. lutrwth.n avpe,stalken su.n ceiri. avgge,lou tou/ ovfqe,ntoj auvtw/| evn th/| ba,tw|Å ou-toj evxh,gagen auvtou.j poih,saj te,rata kai. shmei/a evn gh/| Aivgu,ptw| kai. evn evruqra/| qala,ssh| kai. evn th/| evrh,mw| e;th tessera,kontaÅ ou-to,j evstin o` Mwu?sh/j o` ei;paj toi/j ui`oi/j VIsrah,l\ profh,thn u`mi/n avnasth,sei o` qeo.j evk tw/n avdelfw/n u`mw/n w`j evme,Å ou-to,j evstin o` geno,menoj evn th/| evkklhsi,a| evn th/| evrh,mw| meta. tou/ avgge,lou tou/ lalou/ntoj auvtw/| evn tw/| o;rei Sina/ kai. tw/n pate,rwn h`mw/n( o]j evde,xato lo,gia zw/nta dou/nai h`mi/n( w-| ouvk hvqe,lhsan u`ph,kooi gene,sqai oi` pate,rej h`mw/n( avlla. avpw,santo kai. evstra,fhsan evn tai/j kardi,aij auvtw/n eivj Ai;gupton eivpo,ntej tw/| VAarw,n\ poi,hson h`mi/n qeou.j oi] proporeu,sontai h`mw/n\ o` ga.r Mwu?sh/j ou-toj( o]j evxh,gagen h`ma/j evk gh/j Aivgu,ptou( ouvk oi;damen ti, evge,neto auvtw/|Å kai. evmoscopoi,hsan evn tai/j h`me,raij evkei,naij kai. avnh,gagon qusi,an tw/| eivdw,lw| kai. euvfrai,nonto evn toi/j e;rgoij tw/n ceirw/n auvtw/nÅ e;streyen de. o` qeo.j kai. pare,dwken auvtou.j latreu,ein th/| stratia/| tou/ ouvranou/ kaqw.j ge,graptai evn bi,blw| tw/n profhtw/n\ mh. sfa,gia kai. qusi,aj proshne,gkate, moi e;th tessera,konta evn th/| evrh,mw|( oi=koj VIsrah,lÈ kai. avnela,bete th.n skhnh.n tou/ Mo,loc kai. to. a;stron tou/ qeou/ Îu`mw/nÐ ~Raifa,n( tou.j tu,pouj ou]j evpoih,sate proskunei/n auvtoi/j( kai. metoikiw/ u`ma/j evpe,keina Babulw/nojÅ
1 Strukturanalyse
89 6,13f.
44
45
46 47 48 49a b c d 50 51a b 52a b c 53
~H skhnh. tou/ marturi,ou h=n toi/j patra,sin h`mw/n evn th/| evrh,mw| kaqw.j dieta,xato o` lalw/n tw/| Mwu?sh/| poih/sai auvth.n kata. to.n tu,pon o]n e`wra,kei\ h]n kai. eivsh,gagon diadexa,menoi oi` pate,rej h`mw/n meta. VIhsou/ evn th/| katasce,sei tw/n evqnw/n( w-n evxw/sen o` qeo.j avpo. prosw,pou tw/n pate,rwn h`mw/n e[wj tw/n h`merw/n Daui,d( o]j eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ kai. hv|th,sato eu`rei/n skh,nwma tw/| oi;kw| VIakw,bÅ Solomw.n de. oivkodo,mhsen auvtw/| oi=konÅ avllV ouvc o` u[yistoj evn ceiropoih,toij katoikei/( kaqw.j o` profh,thj le,gei\ o` ouvrano,j moi qro,noj( h` de. gh/ u`popo,dion tw/n podw/n mou\ poi/on oi=kon oivkodomh,sete, moi( le,gei ku,rioj( h' ti,j to,poj th/j katapau,sew,j mouÈ ouvci. h` cei,r mou evpoi,hsen tau/ta pa,ntaÈ Sklhrotra,chloi kai. avperi,tmhtoi kardi,aij kai. toi/j wvsi,n( u`mei/j avei. tw/| pneu,mati tw/| a`gi,w| avntipi,ptete w`j oi` pate,rej u`mw/n kai. u`mei/jÅ ti,na tw/n profhtw/n ouvk evdi,wxan oi` pate,rej u`mw/nÈ kai. avpe,kteinan tou.j prokataggei,lantaj peri. th/j evleu,sewj tou/ dikai,ou( ou- nu/n u`mei/j prodo,tai kai. fonei/j evge,nesqe( oi[tinej evla,bete to.n no,mon eivj diataga.j avgge,lwn kai. ouvk evfula,xateÅ
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
90
6,13f.
54 55
56
57a b 58a b 59a b 60a b c 8,1a
VAkou,ontej de. tau/ta diepri,onto tai/j kardi,aij auvtw/n kai. e;brucon tou.j ovdo,ntaj evpV auvto,nÅ u`pa,rcwn de. plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou avteni,saj eivj to.n ouvrano.n ei=den do,xan qeou/ kai. VIhsou/n e`stw/ta evk dexiw/n tou/ qeou/ kai. ei=pen\ ivdou. qewrw/ tou.j ouvranou.j dihnoigme,nouj kai. to.n ui`o.n tou/ avnqrw,pou evk dexiw/n e`stw/ta tou/ qeou/Å kra,xantej de. fwnh/| mega,lh| sune,scon ta. w=ta auvtw/n kai. w[rmhsan o`moqumado.n evpV auvto.n kai. evkbalo,ntej e;xw th/j po,lewj evliqobo,lounÅ kai. oi` ma,rturej avpe,qento ta. i`ma,tia auvtw/n para. tou.j po,daj neani,ou kaloume,nou Sau,lou( kai. evliqobo,loun to.n Ste,fanon evpikalou,menon kai. le,gonta\ ku,rie VIhsou/( de,xai to. pneu/ma, mouÅ qei.j de. ta. go,nata e;kraxen fwnh/| mega,lh|\ ku,rie( mh. sth,sh|j auvtoi/j tau,thn th.n a`marti,anÅ kai. tou/to eivpw.n evkoimh,qhÅ Sau/loj de. h=n suneudokw/n th/| avnaire,sei auvtou/Å
8,1b VEge,neto de. evn evkei,nh| th/| h`me,ra| diwgmo.j me,gaj evpi. th.n evkklhsi,an th.n evn ~Ierosolu,moij( pa,ntej de. diespa,rhsan kata. ta.j cw,raj th/j VIoudai,aj kai. Samarei,aj plh.n tw/n avposto,lwnÅ 2 suneko,misan de. to.n Ste,fanon a;ndrej euvlabei/j kai. evpoi,hsan kopeto.n me,gan evpV auvtw/|Å 3 Sau/loj de. evlumai,neto th.n evkklhsi,an kata. tou.j oi;kouj eivsporeuo,menoj( su,rwn te a;ndraj kai. gunai/kaj paredi,dou eivj fulakh,nÅ
1 Strukturanalyse
91
Apg 6,1-8,3 6,1 Und in diesen Tagen, als die Jünger an Zahl zunahmen, entstand Murren der Hellenisten gegen die Hebräer, weil/darüber dass ihre Witwen übersehen wurden beim täglichen Dienst. 2a Also beriefen die Zwölf die Menge der Jünger ein und sagten: b Nicht wohlgefällig ist es, dass wir das Wort Gottes zurücklassen, um den Tischen zu dienen. 3a Seht euch aber um, Brüder, nach sieben Männern von euch – gut bezeugt, erfüllt von Geist und Weisheit –, b die wir einsetzen werden für diesen Bedarf, 4 wir aber werden am Gebet und am Dienst des Wortes festhalten. 5a Und das Wort fand Gefallen vor der ganzen Menge b und sie wählten Stephanus, einen Mann erfüllt von Glauben und heiligem Geist, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaos, einen Proselyten aus Antiochia. 6a Die stellten sie vor die Apostel b und betend legten sie ihnen die Hände auf. 7a Und das Wort Gottes wuchs b und die Zahl der Jünger in Jerusalem nahm überaus zu, c auch eine große Menge der Priester gehorchte dem Glauben. 8 9
10 11a b 12a b c 13a b 14a b
Stephanus aber, erfüllt von Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen im Volk. Es standen aber auf einige der sogenannten Synagoge der Libertiner, der Kyrenäer und der Alexandriner und von denen aus Kilikien und Asien, die mit Stephanus diskutierten, und sie waren nicht stark genug, sich der Weisheit und dem Geist, in dem er redete, entgegenzustellen. Da schoben sie Männer vor, die sagten: Wir haben ihn reden hören blasphemische Worte gegen Mose und Gott. Und sie hetzten das Volk, die Ältesten und die Schriftgelehrten auf und sie traten heran und packten ihn und führten ihn zum Synedrium und sie stellten falsche Zeugen auf, die sagten: Dieser Mensch hört nicht auf, Worte zu reden gegen [diesen] heiligen Ort und das Gesetz; wir haben ihn nämlich sagen hören: Dieser Jesus, der Nazoräer, wird diesen Ort zerstören und ändern die Gebräuche, die uns Mose übergeben hat.
92
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
15
Und während alle, die im Synedrium saßen, gespannt auf ihn blickten, sahen sie sein Gesicht wie ein Gesicht eines Engels. 7,1a Und es sagte der Hohepriester: b Dies verhält sich so? 2a b c 3a b c 4a b
5a b 6a b c 7a b c d 8a b c d
Der aber sagte: Ihr Brüder und Väter, hört! Der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham als er in Mesopotamien war, bevor er sich in Charran ansiedelte, und er sprach zu ihm: Geh weg aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft, und hierher in das Land, das ich dir zeigen werde. Darauf ging er weg aus dem Land der Chaldäer und siedelte sich in Charran an. Und von dort hat er ihn nach dem Tod seines Vaters in dieses Land umgesiedelt, in dem ihr jetzt wohnt, und er gab ihm keinen Besitz darin, auch nicht einen Fuß breit und er verhieß, es ihm zu seinem Besitz zu geben und seiner Nachkommenschaft nach ihm – obwohl er kein Kind hatte. Es sagte aber Gott so: Seine Nachkommenschaft wird fremd sein in einem fremden Land und sie werden sie versklaven und sie werden sie misshandeln 400 Jahre lang; und den Volksstamm, dem sie dienen werden, werde ich richten, sprach Gott, und danach werden sie ausziehen und sie werden mir dienen an diesem Ort. Und er gab ihm den Bund der Beschneidung; und so zeugte er den Isaak und beschnitt ihn am achten Tag, und Isaak den Jakob, und Jakob die zwölf Patriarchen.
1 Strukturanalyse
9a b 10a b c 11a b 12 13a b 14 15a b 16a b
17
18 19
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Und die Patriarchen, eifersüchtig geworden, verkauften Josef nach Ägpyten. Und Gott war mit ihm und er rettete ihn aus allen seinen Bedrängnissen und er gab ihm Wohlwollen und Weisheit vor Pharao, dem König von Ägypten, und er setzte ihn ein als Vorsteher über Ägypten und über sein ganzes Haus. Es kam aber eine Hungersnot über ganz Ägypten und Kanaan und große Bedrängnis und unsere Väter fanden keine Nahrungsmittel. Als Jakob gehört hatte, dass es Getreide gab in Ägypten, sandte er unsere Väter ein erstes Mal aus. Und beim zweiten Mal gab sich Josef seinen Brüdern zu erkennen und offenbar wurde dem Pharao die Herkunft des Josef. Josef sandte aus und ließ zu sich rufen Jakob, seinen Vater, und die ganze Verwandtschaft – 75 Seelen. Und Jakob zog hinab nach Ägypten und es starb er (selbst) und unsere Väter und sie wurden nach Sichem überführt und gelegt in das Grab, das Abraham für eine Summe Silbers von den Söhnen Hemmors in Sichem gekauft hatte. Als sich (aber) die Zeit der Verheißung näherte, die Gott dem Abraham zugesagt hatte, wuchs das Volk und wurde zahlreich in Ägypten, bis ein anderer König über Ägypten aufstand, der den Josef nicht kannte. Indem dieser mit List gegen unser Geschlecht vorging, misshandelte er unsere Väter, indem er sie zwang, ihre Säuglinge zu Ausgesetzten zu machen, damit sie nicht am Leben erhalten wurden.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
94 20a b c 21a b 22a b 23 24a b 25a b 26a b c 27a b 28 29a b 30
31a b 32a b 33a b
In dieser Zeit wurde Mose geboren und er war wohlgefällig für Gott; der wurde aufgezogen drei Monate lang im Haus des Vaters, und nachdem er ausgesetzt worden war, nahm ihn die Tochter Pharaos auf und erzog ihn (für) sich als Sohn. Und Mose wurde erzogen in der ganzen Weisheit der Ägypter, und er war mächtig in seinen Worten und Taten. Als sich ihm die Zeit von vierzig Jahren erfüllte, überkam es sein Herz, nach seinen Brüdern, den Söhnen Israels, zu sehen. Und als er einen sah, dem Unrecht angetan wurde, kam er ihm zu Hilfe und verschaffte Recht dem Misshandelten, indem er den Ägypter erschlug. Er meinte (aber), [seine] Brüder verstünden, dass Gott durch seine Hand ihnen Heil gebe; sie aber verstanden nicht. Und am folgenden Tag erschien er ihnen, die sich stritten, und er versuchte, sie zu versöhnen zum Frieden, indem er sprach: Männer, Brüder seid ihr! Warum tut ihr einander Unrecht? Der aber, der dem Nächsten Unrecht tat, stieß ihn weg und sagte: Wer hat dich zum Anführer und Richter über uns eingesetzt? Willst du mich etwa auf dieselbe Weise töten wie du gestern den Ägypter getötet hast? Und Mose floh bei diesem Wort und er wurde Fremder im Land Midian, wo er zwei Söhne zeugte. Und als erfüllt worden waren vierzig Jahre erschien ihm in der Wüste des Berges Sinai ein Engel in der Flamme eines Feuers eines Dornbusches. Und Mose wunderte sich, als er die Erscheinung sah, und als er hinzuging, um genau zu betrachten, geschah die Stimme des Herrn: Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs. Und Mose begann zu zittern und wagte nicht, genau zu betrachten. Und es sprach zu ihm der Herr: Löse das Schuhwerk von deinen Füßen. Denn der Ort, auf dem du stehst, ist heilige Erde.
1 Strukturanalyse
34a b c d 35a b 36 37a b 38
39a b c 40a b c 41a b c 42a
b 43a
b
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Ich habe wahrhaftig die Unterdrückung meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Stöhnen habe ich gehört, und ich bin herabgestiegen, um sie zu erretten; und nun, auf! Ich will dich nach Ägypten senden. Diesen Mose, den sie verleugneten, indem sie sagten: Wer hat dich eingesetzt zum Anführer und Richter? Diesen hat Gott als Anführer und Befreier gesandt durch die Hand eines Engels, der ihm erschienen ist im Dornbusch. Dieser hat sie herausgeführt, indem er Wunder und Zeichen getan hat im Land Ägypten und im Roten Meer und in der Wüste, 40 Jahre. Dieser ist der Mose, der zu den Söhnen Israels gesprochen hat: Einen Propheten wird euch Gott erstehen lassen aus euren Brüdern, wie mich. Dieser ist es, der in der Versammlung in der Wüste zwischen dem Engel, der mit ihm am Berg Sinai redete, und unseren Vätern war, der lebendige Worte empfing, um sie uns zu geben, dem unsere Väter nicht gehorsam werden wollten, sondern sie stießen ihn weg und wandten sich in ihren Herzen nach Ägypten um, indem sie zu Aaron sprachen: Mach uns Götter, die uns vorausgehen sollen! Denn was mit diesem Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat, geschehen ist, wissen wir nicht. Und sie machten ein Kalb in jenen Tagen und sie brachten ein Opfer dar dem Götzen und sie freuten sich an den Werken ihrer Hände. Es hat sich aber abgewandt Gott / es hat aber umgewendet Gott und er hat sie übergeben, dem Heer des Himmels zu dienen, wie geschrieben steht im Buch der Propheten: Habt ihr mir etwa Gaben und Opfer dargebracht 40 Jahre lang in der Wüste, Haus Israel? Und ihr habt das Zelt des Moloch und den Stern [eures] Gottes Raiphan getragen, die Statuen, die ihr gemacht habt, um euch vor ihnen niederzuwerfen, und ich werde euch umsiedeln über Babylon hinaus.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
96 44
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46 47 48 49a b c d 50 51a b 52a b c 53
Das Zelt des Zeugnisses hatten unsere Väter in der Wüste wie der mit Mose Redende angeordnet hatte, es zu machen gemäß dem Vorbild, das er gesehen hat. Und das führten unsere Väter, die es übernommen hatten, mit Josua ein bei der Besitzergreifung der Völker, die Gott hinausstieß vor dem Angesicht unserer Väter bis zu den Tagen Davids, der Wohlwollen fand vor den Augen Gottes und sich erbat, eine Zeltwohnung für das Haus Jakob zu finden. Und Salomon hat ihm ein Haus gebaut. Doch der Höchste wohnt nicht in von Menschenhand Gemachten wie der Prophet sagt: Der Himmel ist mein Thron und die Erde ein Schemel für meine Füße. Was für ein Haus werdet ihr mir bauen, spricht der Herr, oder welcher ist der Ort meiner Ruhe? Hat nicht meine Hand das alles gemacht? Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, immer widersetzt ihr euch dem Heiligen Geist – wie eure Väter auch ihr. Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und getötet haben sie die, die voraus angekündigt haben das Kommen des Gerechten, dessen Verräter und Mörder nun ihr geworden seid, ihr, die ihr das Gesetz durch Anordnungen von Engeln empfangen und nicht gehalten habt.
1 Strukturanalyse
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Als sie aber dies hörten, waren sie in ihren Herzen aufs äußerste aufgebracht und sie knirschten mit den Zähnen gegen ihn. Und erfüllt von heiligem Geist, zum Himmel blickend sah er Gottes Herrlichkeit und Jesus stehend zur Rechten Gottes. Und er sprach: Siehe, ich schaue die Himmel geöffnet und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehend. Sie aber schrien mit lauter Stimme, hielten sich ihre Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn los und sie trieben ihn aus der Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ihre Obergewänder zu den Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß, und sie steinigten Stephanus, während er anrief und sagte: Herr, Jesus, nimm meinen Geist! Und auf die Knie gefallen schrie er mit lauter Stimme: Herr, nicht rechne ihnen diese Sünde an! Und als er dies gesagt hatte, entschlief er. Saulus aber war einverstanden mit seiner Ermordung.
1b Und es geschah an jenem Tag eine große Verfolgung gegen die Gemeinde in Jerusalem. Alle wurden zerstreut über die Lande Judäas und Samariens – außer den Aposteln. 2 Es bestatteten aber den Stephanus gottesfürchtige Männer und hielten große Totenklage über ihn. 3 Saulus aber versuchte, die Gemeinde zu vernichten, indem er in die Häuser eindrang, Männer und Frauen fortschleppte und in den Kerker auslieferte.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
2 Lektüre von Apg 6,1-7 2.1 Strukturanalyse Durch die relative Zeit- und Situationsangabe zu Beginn von 6,1 wird dieser Abschnitt zum einen mit dem vorangegangenen verbunden, zum anderen aber auch der Einsatz einer neuen Szene markiert. Genauere Informationen zur Situation liefert 6,1 durch die Nennung der zwei Personengruppen, Hellenisten und Hebräer, deren Verhältnis durch einen Konflikt um die Witwenversorgung bestimmt wird, wie der o[ti-Satz erklärt. 6,2-6 erzählen das Geschehen selbst innerhalb dieser Situation. Dabei handelt 6,2a von der Einberufung der Gemeindeversammlung als Reaktion auf die Konfliktsituation, 6,2b-4 enthält eine Rede der Zwölf, in der sie die Wahl von sieben Männern für die Versorgung des Tischdienstes an den Witwen vorschlagen und zugleich Wahlkriterien aufstellen (6,3) sowie ihre eigenen Aufgaben betonen (6,4). Als Reaktion auf die Apostelrede berichten 6,5-6 von der Zustimmung der Gemeindeversammlung und dem Vorgang der Wahl der sieben Männer. Daraufhin schließt die dreigliedrige Wachstumsnotiz in 6,7 die Szene summarisch ab. Indem sie die zahlenmäßige Zunahme der Jünger von 6,1 fast wörtlich aufnimmt, formt sie zusammen mit diesem Einleitungsvers eine Art Rahmen um die Szene. Demnach lässt sich Apg 6,1-7 folgendermaßen gliedern: 6,1 Einleitung (Wachstumsnotiz, Konflikt) 6,2-6 Umgang mit der Konfliktsituation 6,2a Einberufung der Gemeindeversammlung durch die Zwölf 6,2b-4 Rede der Zwölf 6,5 Reaktion der Versammlung: Zustimmung und Wahl 6,6 Beauftragung der Sieben zu ihrem Dienst 6,7 Summarische Wachstumsnotiz
2 Lektüre von Apg 6,1-7
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2.2 Lektüre Apg 6,1 6,1
VEn de. tai/j h`me,raij tau,taij plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n evge,neto goggusmo.j tw/n ~Ellhnistw/n pro.j tou.j ~Ebrai,ouj( o[ti pareqewrou/nto evn th/| diakoni,a| th/| kaqhmerinh/| ai` ch/rai auvtw/nÅ »Und in diesen Tagen, als die Jünger an Zahl zunahmen, entstand Murren der Hellenisten gegen die Hebräer, weil / darüber dass ihre Witwen übersehen wurden beim täglichen Dienst.«
Die unbestimmte und zugleich relative Zeitangabe evn de. tai/j h`me,raij tau,taij, mit der in 6,1 eine neue Situation eingeleitet wird, ordnet diese in das vorhergehende Geschehen ein.9 Den Hintergrund, sozusagen die ‚Bühne‘, für die einsetzende Szene bildet also Apg 5,42: pa/sa,n te h`me,ran evn tw/| i`erw/| kai. katV oi=kon ouvk evpau,onto dida,skontej kai. euvaggelizo,menoi to.n cristo,n VIhsou/n. »Und keinen Tag hörten sie auf, im Tempel und von Haus zu Haus zu lehren und als Heilsbotschaft zu verkündigen den Christus Jesus.« Damit ist zugleich die Schilderung der ersten Jerusalemer Gemeinde von Apg 1-5 zusammengefasst: eine Art Idealzustand, geprägt von einmütiger Harmonie, Gebet, gemeinsamer Mahlfeier und Verkündigung durch die Apostel sowie von ständigem Wachstum (vgl. besonders Apg 2,42-47; 4,32-35). Die Situation dieser Jerusalemer Gemeinde10 wird hier zunächst mit dem Genitivus absolutus plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n beschrieben. Bezieht man ihn auf evn de. tai/j h`me,raij tau,taij, dann charakterisiert er »diese Tage«, d.h. die erste Zeit der Jerusalemer Gemeinde, mit der Information, dass die Jünger – damit sind hier in einem weiten Sinn die Nachfolger Jesu gemeint, die an Jesus als den Christus glauben,11 – an Zahl zunehmen. In9
Verbindung mit dem vorangegangenen Kontext stellt zum einen die Übergangspartikel de, her, zum anderen das Demonstrativpronomen tau,taij, das sich auf unmittelbar Naheliegendes bezieht. Vgl. BAUER, WALTER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg. von KURT und BARBARA ALAND, Berlin/New York 61988, 1206. 10 In der relativen Zeitangabe evn de. tai/j h`me,raij tau,taij liegt also implizit auch eine Ortsangabe: die Szene spielt ebenfalls in der Jerusalemer Gemeinde. Vgl. FITZMYER, Acts, 346. JERVELL, Apg, 215. ZMIJEWSKI, Apg, 283. BARRETT, Acts, 307. 11 Das Lexem maqhth,j findet sich innerhalb der Apostelgeschichte hier zum ersten Mal. Seine Verwendung im Lukasevangelium – analog zu den anderen Evangelien – und im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte zeigen, dass es sich um Jünger im weitesten
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
sofern in »diesen Tagen« die Apostel ununterbrochen im Tempel und in Häusern lehren und verkündigen (Apg 5,42), kann auch ein Zusammenhang zwischen dieser Verkündigung der Apostel und dem Zahlreichwerden der Jünger angezeigt werden. In diese Richtung weisen auch andere Textstellen, in denen solche Wachstumsnotizen mit Lehre und Verkündigung der Apostel verbunden sind. Beispielsweise werden laut Apg 2,41 als Ergebnis der Petrusrede zu Pfingsten und der anschließenden Taufe der Gemeinde 3.000 neue Mitglieder hinzugefügt. Ähnliches findet sich z.B. in 2,47; 4,4; 5,1412 und im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte in 6,7; 7,17; 9,31; 12,24.13 Ebenso kann sich der Genitivus absolutus aber auch auf die folgende Aussage evge,neto goggusmo,j beziehen.14 Dann erklärt plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n also das Entstehen des Murrens näher: „als/während die Jünger an Zahl zunahmen, entstand Murren“ oder auch in kausalem Sinn „weil die Jünger an Zahl zunahmen, entstand Murren“.15 Wegen dieser doppelten Bezugsmöglichkeit des Genitivus absolutus entsteht der Eindruck, der von Apg 1-5 bekannte kontinuierliche Wachstumsprozess16 der Jerusalemer Gemeinde werde hier fortgesetzt und sei davon geprägt, dass er nicht nur harmonisch verläuft, sondern auch mit Konflikten behaftet ist: evge,neto goggusmo.j tw/n ~Ellhnistw/n pro.j tou.j ~Ebrai,ouj17 »es entstand Murren der Hellenisten gegen die Hebräer«. Sinn handelt, die Jesus nicht unbedingt persönlich gekannt haben, aber an ihn als den Christus glauben. Vgl. RENGSTORF, KARL HEINRICH, maqhth,j, in: ThWNT IV, 417–465, hier 462–464. Er spricht von „Christen“, was allerdings nur bedingt möglich ist, da historisch gesehen das Christentum erst im Entstehen ist. Darum wird in Folgendem mit NEUSNER von „christlichen Juden“ gesprochen. Vgl. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 28– 29, zitiert NEUSNER, JACOB, Formen des Judentums im Zeitalter seiner Entstehung, in: DERS., Das pharisäische und talmudische Judentum, Tübingen 1984, 3–32, hier 3, 22. 12 Vgl. JERVELL, Apg, 151. SCHNEIDER, Apg, 422 mit Anm. 14. GAVENTA, Acts, 111. 13 Diese Textstellen lassen ebenfalls den Zusammenhang zwischen Verkündigung und Wachstum der Gemeinde vermuten, zumal plhqu,nw im Aktiv intransitiv innerhalb der Apostelgeschichte abgesehen von Apg 7,17 ausschließlich in Missionsberichten begegnet, und in dieser Weise im übrigen Neuen Testament sonst nicht verwendet wird. Vgl. DELLING, GERHARD, plhqu,nw, in: ThWNT VI, 279–282, hier 281. 14 Der Genitivus absolutus bestimmt nämlich inhaltlich betrachtet als Umstandsangabe das Verb des übergeordneten Satzes (hier: evge,neto goggusmo,j) näher und steht somit in einer engen inhaltlichen Beziehung zu diesem. Vgl. HOFFMAN, ERNST G./SIEBENTHAL, HEINRICH VON, Griechische Grammatik zum Neuen Testament, Riehen 1985, 394. 15 Vgl. DORMEYER, DETLEV/GALINDO, FLORENCINO, Die Apostelgeschichte. Ein Kommentar für die Praxis, Stuttgart 2003, 100. JERVELL, Apg, 215. FITZMYER, Acts, 346. 16 Vgl. Apg 1,15; 2,41.47; 4,4; 5,14; 9,31; 12,24 u.v.m. Während häufig eine präzisierende Angabe über den Umfang des Wachstums gemacht wird, fehlt eine solche in Apg 6,1. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 157, 283. 17 Die Wendung evge,neto goggusmo,j statt einer Verbform von goggu,zw konstatiert das Entstehen des Murrens. Da der Aorist Medium evge,neto möglicherweise ingressiv ver-
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Konfliktsituationen der stetig wachsenden Jerusalemer Gemeinde sind dem Leser – trotz aller Stilisierung zu einem harmonischen Ideal – ebenfalls bekannt, denn bereits Apg 4,1-3.17-19 und 5,17-18.21-42 erzählen von der Verhaftung der Apostel durch die jüdische Führerschaft wegen ihrer Verkündigungstätigkeit, für die sie sich rechtfertigen müssen.18 Auch die Episode über Hananias und Saphira in Apg 5,1-11 stellt ein Beispiel für die Störung der idealen Gemeinde und zwar auf der Ebene der Gemeindemitgliederdar. Die beiden handeln nämlich völlig konträr zur Schilderung des harmonischen Gemeindelebens, in dem niemand eigenes Eigentum hat und jedem vom Gemeinschaftseigentum so viel gegeben wird, wie er nötig hat (Apg 4,32-37). Bei diesem Vorfall sorgt Petrus für die Bestrafung von Hananias und Saphira und damit implizit für die Wiederherstellung der Idealgemeinde, von der gleich im Anschluss in Apg 5,12-16 erneut summarisch berichtet wird. Vor diesem Hintergrund reiht sich Apg 6,1 in die Erzählung von Konflikten auf der Gemeindeebene trotz des Bildes der Idealgemeinschaft ein.19 Allerdings sind nun nicht nur Einzelpersonen beteiligt, sondern die beiden unbestimmt großen Personengruppen ai` ~Elleni,stai und oi` ~Ebrai/oi, die hier unvermittelt zum ersten Mal genannt werden, und den Eindruck vermitteln, die Dimension dieses Konflikts übersteige die der bisherigen Störungen des Gemeindelebens. Die Handlungsträger des Murrens, ai` ~Elleni,stai und oi` ~Ebrai/oi, gegen die sich das Murren der Hellenisten richtet, werden nicht näher beschrieben, sondern ausschließlich durch diese spannungsvolle Beziehung zueinander charakterisiert. Welche Personengruppen werden also damit bezeichnet? Mit ai` ~Elleni,stai sind wohl, in Ableitung vom Verb e`lleni,zein »sprechen wie ein Grieche«, ganz allgemein griechischsprachige (christliche) Juden20 gemeint, auf deren Anwesenheit in Jerusalem auch Apg 9,29 hinwendet wird, könnte hier auch der Anfangspunkt des Murrens ausgedrückt werden. Das würde darauf verweisen, dass auch die folgenden Ausführungen von diesem Murren handeln. Außerdem kann diese Wendung darauf hinweisen, dass das Murren Auslöser für das Folgende ist. Nach RENGSTORF, KARL HEINRICH, goggusmo,j, in: ThWNT I, 727–737, hier 736–737, hat goggusmo,j hier keinen Bezug zum alttestamentlichen Gebrauch und meint das sehr nachdrückliche unzufriedene Murren eines Teils der Gemeinde wegen nicht erfüllter Ansprüche. 18 In Apg 4,17-18 wird z.B. der Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Gemeinde und dem Konflikt deutlich, denn das Verkündigungsverbot wird dort damit begründet, die weitere Verbreitung im Volk zu stoppen (i[na mh. evpi. plei/on dianemhqh/| eivj to.n lao,n). 19 Vgl. ähnlich BACKHAUS, Historiographie, 48. 20 Vgl. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 242. Er definiert „Hellenisten“ mit den beiden Eigenschaften „griechischsprachiger Jude“ zu sein und sich der Jesusbewegung angeschlossen zu haben. Für letzteres spreche, der Hinweis des Kontextes, dass es um die entstehende und wachsende Gemeinde christlicher Juden in Jerusalem geht. Gegen eine
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
weist. Analog ist auch die zweite Gruppe oi` ~Ebrai/oi in sprachlicher Hinsicht charakterisiert, nämlich als Aramäisch oder Hebräisch sprechende (christliche) Juden. Demnach treten hier also zwei Fraktionen innerhalb der Jerusalemer Gemeinde auf, die sich hinsichtlich ihrer Sprache unterscheiden, was unter anderem Konfliktpotential mit sich bringt. Auf unterschiedliche theologische Positionen lassen die Bezeichnungen »Hellenisten« und »Hebräer« nicht automatisch schließen,21 wie auch 6,1 zeigt. Hier wird nämlich primär dieser goggusmo,j der Hellenisten fokussiert, »weil« oder »darüber dass« ihre Witwen beim täglichen Dienst übersehen werden: o[ti pareqewrou/nto evn th/| diakoni,a| th/| kaqhmerinh/| ai` ch/rai auvtw/n. Grund und Gegenstand des Murrens liegen demnach in einem betont regelmäßigen Übersehen der hellenistischen Witwen.22 Selbst wenn nun klar ist, dass die Hellenisten einen länger andauernden Mangelzustand beklagen, für den die Hebräer scheinbar in irgendeiner Weise mitverantwortlich sind, bleibt offen, wer genau für diese hellenistischen Witwen zuständig ist.23 Auch eine Ursache für den Missstand wird nicht explizit erwähnt, nur die Situationsangabe plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n könnte darauf hinweisen, dass ein Zusammenhang mit der ständig wachsenden Gemeinde besteht.24 Ebenfalls unklar bleibt der exakte Inhalt
Definition der Hellenisten als christliche Juden spreche allerdings Apg 11,20, wo offen ist, ob sich die Hellenisten bereits der Jesusbewegung angeschlossen haben. Vgl. auch JERVELL, Apg, 216. ZMIJEWSKI, Apg, 283. Entweder seien sie im Ausland geboren worden und hätten sich nach ihrer Niederlassung in Jerusalem einer der dort ansässigen hellenistischen Synagogen angeschlossen, oder sie seien aus der Diaspora als Wallfahrer nach Jerusalem gekommen. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 242, weist dagegen darauf hin, dass die Herkunft der Hellenisten aus der Diaspora aufgrund der Zweisprachigkeit Palästinas keineswegs zwingend sei. 21 Zur Diskussion um die Unterscheidung zwischen Hellenisten und Hebräern sowie um das Verständnis des Verbs e`lleni,zein im Sinn von „leben wie ein Grieche“, so dass damit eine bestimmte theologische Position impliziert sei, vgl. beispielsweise FITZMYER, Acts, 346–348 und ZMIJEWSKI, Apg, 283–284. Ausführlich dazu: NEUDORFER, Speech, 293–294. HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 157–171. PENNER, Praise, 60–71. SCHNEIDER, Apg, 406–416. WITHERINGTON, Acts, 240–247 u.v.m. Vgl. auch I, 2 „Überblick über den Forschungsstand“. 22 Dies deutet nicht nur das Imperfekt pareqewrou/nto gleich zu Beginn des o[ti-Satzes an, sondern unterstreicht auch das Adjektiv kaqhmeri,nh. 23 Das Übersehen der Witwen wird nämlich im Passiv formuliert. Codex D fügt an dieser Stelle evn th/ diakoni,a tw/n `Ebrai,wn hinzu, was darauf schließen lässt, dass tatsächlich die Hebräer für diesen Dienst zuständig waren. Konkretere Angaben fehlen aber auch hier. Vgl. JERVELL, Apg, 216. 24 Vgl. die beiden oben geschilderten Bezugsmöglichkeiten des Genitivus absolutus. ZMIJEWSKI, Apg, 284, weist darauf hin, dass kein vorsätzliches Übersehen der hellenistischen Witwen durch die Hebräer im Hintergrund stehen dürfte, da durch das Passiv pareqewrou/nto und die Formulierung evge,neto goggusmo.j tw/n ~Ellhnistw/n pro.j tou.j
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des täglichen Witwendienstes, da er nicht näher erläutert und im bisherigen Verlauf der Apostelgeschichte noch nicht ausdrücklich erwähnt wird. Vom täglichen Gemeindeleben ist bisher nur das Idealbild der Liebes- und Gütergemeinschaft bekannt, das beispielsweise Apg 2,44-46 skizziert. Demnach bilden ausnahmslos alle ‚Gläubigen‘ eine Gütergemeinschaft (Apg 2,44), indem jeder sein Hab und Gut verkauft, so dass jedem soviel gegeben werden kann, wie er zum Leben braucht (Apg 2,45). Konkret wird diese Gemeinschaft auch im täglichen (kaqV h`me,ran) Gebet im Tempel und bei den Mahlfeiern in den Hausversammlungen umgesetzt (Apg 2,46). Wenn Apg 4,3235 ein ähnliches Bild zeichnet, werden dabei noch die Apostel als besonders Verantwortliche für die fürsorgliche Verteilung des gemeinsamen Besitzes vorgestellt.25 Diese Sonderrolle der Apostel innerhalb der Gemeinde, die durch Sorge und Dienst der Gemeindemitglieder füreinander charakterisiert ist, zeigt sich auch in diversen Notizen über Heilungen oder allgemein über das Wunderwirken durch die Apostel.26
Da Apg 6,1 am Dienst an den hellenistischen Witwen als Beispiel besonders Bedürftiger zeigt, dass diese Verteilung nicht reibungslos und gleichberechtigt funktioniert, wird das bisherige Idealbild der Jerusalemer Gemeinde nun diesbezüglich enttäuscht.27 Nicht nur ein Kontrast zum Idealzustand der Gemeinde wird hier gezeichnet, sondern auch zur Aufforderung in den Gesetzes- und Propheten~Ebrai,ouj kein expliziter Vorwurf ausgesprochen und keiner Seite direkt die Schuld zugewiesen werde. Eine weitere Erklärung für den Konflikt könnte die außerbiblische Information geben, dass es in der wachsenden Gemeinde wahrscheinlich besonders viele (hellenistische) Witwen gab. Diasporajuden siedelten nämlich häufig erst in relativ hohem Alter nach Jerusalem über, um in der heiligen Stadt begraben werden zu können. Wenn die Ehemänner dann starben, hatten ihre Witwen mit ihnen zugleich ihre Hauptquelle wirtschaftlicher und sozialer Unterstützung verloren, zumal sie keine Familie in Jerusalem hatten. Vgl. etwa WITHERINGTON, Acts, 248. Hier zeigt sich, dass zum Verständnis des Textes zum einen biblische Intertexte beitragen, zum anderen besonders für einen erzählenden Text auch außerbiblische Informationen als ‚Weltwissen‘, das ebenfalls zur Enzyklopädie eines Wortes gehört. Zum Begriff ‚Enzyklopädie‘ vgl. NICKLAS, Leitfragen, 53–54, und II, 2.4. 25 Vgl. hier besonders Apg 4,35: kai. evti,qoun para. tou.j po,daj tw/n avposto,lwn. 26 Vgl. beispielsweise in diesem Zusammenhang Apg 2,43; 4,30; 5,12-15. Vgl. FITZMYER, Acts, 345. 27 Vgl. SPENCER, Acts, 65. Ähnlich FITZMYER, Acts, 348. BARRETT, Acts, 307. ZMIJEWSKI, Apg, 284. Historisch gesehen, gab es im Judentum, das wohl auch für die christlichen Gemeinden zunächst Vorbild war, zwei Arten der Armenfürsorge. Ortsansässige Arme erhielten wöchentlich am Vortag des Sabbats für 14 Mahlzeiten Geld, das zuvor bei allen Gemeindemitgliedern gesammelt wurde. Fremde Arme dagegen bekamen täglich eine Speisung, wobei diese ebenfalls aus der Gemeinde zusammengetragen wurde. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 424. Allerdings trifft wohl keine dieser beiden Möglichkeiten vollständig auf Apg 6,1 zu, zumal der bisherige Kontext keine Hinweise darauf gibt.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
büchern, für Witwen in ihrem Los besonders tiefer Armut zu sorgen (vgl. Dtn 14,29; 24,17; 26,12; Jes 1,23; 10,2; Jer 7,6; 22,3; Mal 3,5).28 So wie darin Gott als ‚Vater der Waisen und Beschützer der Witwen‘ vorgestellt wird, unterstützt im Lukasevangelium Jesus die Witwen (vgl. Lk 18,1-8; 20,45-47; 21,1-6).29 Insofern laut Apg 6,1 in der entstehenden christlichen Gemeinde in Jerusalem diesen Idealen nicht gefolgt wird, deutet sich auch eine ‚theologische‘ Dimension des Konflikts an. Außerdem bekommt der Leser von dem so knapp geschilderten Konflikt eine Vorstellung, indem goggusmo,j das Murren des Volkes Israels einspielt, von dem Ex 16 handelt: In der Erzählung vom Mannawunder murrt das Volk Israel in der Wüste gegen Mose und Aaron, weil es befürchtet verhungern zu müssen, wie Ex 16,2 berichtet: diego,gguzen pa/sa sunagwgh. ui`w/n Israhl evpi. Mwush/n kai. Aarwn »[es] murrte die ganze Gemeinschaft der Israeliten gegen Mose und Aaron.«30 In diesem Kontext wird verschiedentlich deutlich, dass mit goggusmo,j eigentlich ein Fehlverhalten des Volkes gegenüber Gott bezeichnet wird. So konstatiert Mose in Ex 16,8, das Murren richte sich eigentlich gegen Gott: … ouv ga.r kaqV h`mw/n o` goggusmo.j u`mw/n evstin avllV h' kata. tou/ qeou/ »… Nicht gegen uns geht nämlich euer Murren, sondern vielmehr gegen Gott.« Damit bringt das Volk Israel implizit Gottvergessenheit und mangelndes Vertrauen zu Gott zum Ausdruck, insofern dieser das Volk gerade durch das Führen in die Wüste aus der Knechtschaft in Ägypten befreit, die Wüstenwanderung also der Befreiung, nicht dem Tod dienen soll.31 Fehlverhalten zeigt sich außerdem laut Ex 16,16b darin, dass Israel sich zunächst der Anweisung des Herrn widersetzt:32 sunaga,gete avpV auvtou/ e[kastoj eivj 28
Vgl. FITZMYER, Acts, 345. JERVELL, Apg, 216. Vgl. SPENCER, Acts, 65. 30 Übersetzung aus KRAUS, WOLFGANG/KARRER, MARTIN (Hg.), Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009. Daraus sind ebenfalls die Übersetzungen aller anderer alttestamentlicher Texte, die in dieser Arbeit betrachtet werden, entnommen. 31 Vgl. JACOB, BENNO, Das Buch Exodus, Stuttgart 1997, 455, 458. Auch in Ex 16,3 zeige sich ein Fehlverhalten gegen Gott, da „jedes sehnsüchtige Zurückschauen nach Ägypten ein Murren gegen IHN und seine Wohltaten, ein Aufgeben der Zukunft, …, des Sinai und des gelobten Landes“ sei (Vgl. Num 14,9). Das Mannawunder habe zum Ziel, dem verzagten Menschen zu zeigen, dass der Schöpfer sich mit der Schöpfung nicht erschöpft habe, sondern sein Machtwort noch andersartige Nahrung und Hilfe bringen, sowie zu erziehen. Der Mensch sollte nämlich lernen, dass sein himmlischer Vater ihn nicht fallen lassen werde. Vgl. EBD., 485. 32 Dass goggusmo,j in der LXX häufig mit einem Fehlverhalten des Volkes gegenüber Gott zusammenhängt, zeigen auch Dtn 1,27; Num 14,2.36; Jos 9,18; Num 11,1; 17; Weish 1,11. Über eine Verbindung zu Lk 5,30 könnte ebenfalls nachgedacht werden, da diese Stelle neben Apg 6,1 die einzige ist, an der goggusmo,j mit pro,j + Akk. kombiniert ist. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 423, Anm. 18. Die Empörung der Schriftgelehrten und Phari29
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tou.j kaqh,kontaj gomor kata. kefalh.n kata. avriqmo.n yucw/n u`mw/n e[kastoj su.n toi/j suskhni,oij u`mw/n sulle,xate. »Sammelt davon ein, ein jeder für die Angehörigen, ein Gomor pro Kopf, nach der Zahl eurer Seelen. Sammelt jeder von euch mit euren Zeltgenossen!« Noch deutlicher formuliert die Aufnahme dieses Mannaereignisses in Num 11,1, dass es sich dabei um ein Fehlverhalten des Volkes gegen den Herrn handelt, zumal dabei der Zorn des Herrn als Reaktion festgehalten wird: kai. h=n o` lao.j goggu,zwn ponhra. e;nanti kuri,ou kai. h;kousen ku,rioj kai. evqumw,qh ovrgh/| kai. evxekau,qh evn auvtoi/j pu/r para. kuri,ou kai. kate,fagen me,roj ti th/j parembolh/j. »Und das Volk murrte Schlechtes vor dem Herrn, und der Herr hörte es und wurde wütend vor Zorn, und es entflammte unter ihnen ein Feuer vom Herrn und verzehrte einen Teil des Lagers.«
Wenn sich ein Teil der Jerusalemer Gemeinde in Apg 6,1 ebenfalls in einer Versorgungsnotlage befindet und darauf mit Murren reagiert, kann der Leser vor dem Hintergrund des Mannakonflikts mit einer ähnlichen Notsituation rechnen, in der das Verhältnis zu Gott und seinen Weisungen tangiert ist. So zeigt sich auch hier eine ‚theologische‘ Dimension des Konflikts. Denn es entspricht – in Nachahmung der Fürsorge Gottes für Israel in der Wüste – dem Idealbild der Jerusalemer Gemeinde, dass innerhalb des harmonischen Wachstumsprozesses jeder gemäß seines täglichen Bedarfs versorgt ist (vgl. Apg 2,44-46; 4,32-35). Insgesamt kann Apg 6,1 als „verbindende Zeit- und Situationsangabe mit Begründung“33 bezeichnet werden, denn der Leser wird über die – wenn auch unbestimmte – Zeit, den Ort (Jerusalem) und die vorherrschende Grundsituation informiert. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass die Gemeinde weiterhin wächst und in ihr offensichtlich mindestens zwei Gruppen (Hellenisten und Hebräer) existieren, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen, weil die Witwen der Hellenisten bei der Sorge um den täglichen Dienst nicht beachtet werden. Somit reiht sich zunächst die Szene in den Gang der bisherigen Vorstellung der Jerusalemer Gemeinde ein, die grundsätzlich aus frommen Juden verschiedener Herkunft und Sprache (+Hsan de. eivj VIerousalh.m katoikou/ntej VIoudai/oi( a;ndrej euvlabei/j avpo. panto.j e;qnouj tw/n u`po. to.n ouvrano,n. »In Jerusalem aber wohnten Juden, gottesfürchtige Männer von allen Völkern unter dem Himmel.« Apg 2,5) besteht und sich in einem stetigen Wachstumsprozess befindet (Apg 2,41.47 u.a.). Andererseits bringt Apg 6,1 aber auch etwas Überraschendes und Neues: Wurde bisher primär das Bild einer Idealgemeinde gezeichnet, in der alle in völliger Einheit harmonisch zusammenleben, wie säer darüber, dass Jesus mit Sündern isst, würde dann auch die Qualität eines Fehlverhaltens mit theologischer Dimension implizieren. 33 WEISER, Apg, 164.
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die Summarien in Apg 2,42-49; 4,32-35 und 5,12-16 suggerieren, so wird dieses Bild hier gebrochen. Zum einen wird deutlich, dass das prinzipiell erfreuliche Wachstum der Gemeinde auch Probleme mit sich bringen kann, da nicht mehr alle gleichermaßen versorgt werden können. Zum anderen überrascht doch die Existenz zweier, noch dazu divergierender Gruppen innerhalb dieser Idealgemeinde. Zwar ist auch in Apg 2,5 im Rahmen des Pfingstereignisses schon die Rede von verschiedensprachigen Gruppen in Jerusalem, und in Apg 3-5 werden immer wieder Konflikte – primär zwischen Aposteln und den jüdischen Autoritäten sowie Einzelgestalten – erzählt, aber Spannungen weiteren Ausmaßes auf der Ebene der Gemeindemitglieder sind bisher nicht zu finden. Insofern hier also neue Umstände in das bisherige Bild eingezeichnet werden, deutet sich ein Wendepunkt in der Geschichte an. Obwohl hier eine neue Szene eingeleitet wird, sind die Angaben über Ort, Zeit und Personen recht vage, so dass der Leser einige Leerstellen aus dem bisherigen Hintergrund schließen oder aber noch offen lassen muss. Als Handlungscharaktere werden keine Einzelpersonen eingeführt, sondern ausschließlich Gruppen (Jünger, Hellenisten, Hebräer, Witwen), deren Beziehungen zueinander ebenfalls nur angedeutet werden. Deutlich ist allerdings, dass die Atmosphäre in der Gemeinde momentan von irgendeiner Art Konflikt34 beherrscht wird. Damit ist die Erzählung in zwei Richtungen geöffnet: zum einen kann dieses Problem weiter entfaltet, zum anderen eine Lösung dafür gesucht werden.
34 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 346, Anm. 41, favorisiert eine offene Formulierung, da für sie aus Apg 6,1 nicht eindeutig hervorgeht, worin die Differenzen genau bestehen. Gegen eine Engführung auf die Armenfürsorge hellenistischer Witwen, sei eventuell ein umfassenderer Diakoniebegriff zugrunde gelegt. Vgl. dazu auch STANDHARTINGER, ANGELA, »Wie die verehrte Judith und die besonnenste Hanna.« Traditionsgeschichtliche Beobachtungen zur Herkunft der Witwengruppen im entstehenden Christentum, in: CRÜSEMANN, FRANK, Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel, FS L. Schottroff, Gütersloh 2004, 103–126, hier bes. 106.
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Apg 6,2-6 2a b 3a
b 4 5a b
6a b 2a b 3a
b 4 5a b
6a b
proskalesa,menoi de. oi` dw,deka to. plh/qoj tw/n maqhtw/n ei=pan\ ouvk avresto,n evstin h`ma/j katalei,yantaj to.n lo,gon tou/ qeou/ diakonei/n trape,zaijÅ evpiske,yasqe de,( avdelfoi,( a;ndraj evx u`mw/n marturoume,nouj e`pta,( plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj( ou]j katasth,somen evpi. th/j crei,aj tau,thj( h`mei/j de. th/| proseuch/| kai. th/| diakoni,a| tou/ lo,gou proskarterh,somenÅ kai. h;resen o` lo,goj evnw,pion panto.j tou/ plh,qouj kai. evxele,xanto Ste,fanon( a;ndra plh,rhj pi,stewj kai. pneu,matoj a`gi,ou( kai. Fi,lippon kai. Pro,coron kai. Nika,nora kai. Ti,mwna kai. Parmena/n kai. Niko,laon prosh,luton VAntioce,a( ou]j e;sthsan evnw,pion tw/n avposto,lwn( kai. proseuxa,menoi evpe,qhkan auvtoi/j ta.j cei/rajÅ »Also beriefen die Zwölf die Menge der Jünger ein und sagten: Nicht wohlgefällig ist es, dass wir das Wort Gottes zurücklassen, um den Tischen zu dienen. Seht euch aber um, Brüder, nach sieben Männern von euch, gut bezeugt, erfüllt von Geist und Weisheit, die wir einsetzen werden für diesen Bedarf, wir aber werden am Gebet und am Dienst des Wortes festhalten. Und das Wort fand Gefallen vor der ganzen Menge und sie wählten Stephanus, einen Mann erfüllt von Glauben und heiligem Geist, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaos, einen Proselyten aus Antiochia. Die stellten sie vor die Apostel und betend legten sie ihnen die Hände auf.«
In welche der beiden möglichen Richtungen sich die Konfliktsituation entwickelt, bleibt zunächst noch offen, wenn 6,2a die Einberufung einer Versammlung der Jünger durch die Zwölf notiert und ihre Rede einleitet. Durch das an den Beginn des Verses gestellte Partizip proskalesa,menoi wird nicht nur das Einberufen betont, sondern auch sofort die Rolle des neu eingeführten Personenkreises oi` dw,deka deutlich. Sie besitzen also entsprechende Autorität, um eine Versammlung der Jünger zusammenzu-
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rufen und dabei auch Wortführer zu sein, wie die Fortsetzung zeigt. Diese Darstellung entspricht der Sonderstellung der Zwölf, die Jesus laut Lk 6,13 aus dem Kreis seiner Jünger ausgewählt und Apostel genannt hat: kai. o[te evge,neto h`me,ra( prosefw,nhsen tou.j maqhta.j auvtou/( kai. evklexa,menoj avpV auvtw/n dw,deka( ou]j kai. avposto,louj wvno,masen\ »und als es Tag geworden, rief er seine Jünger heran und wählte aus ihnen zwölf aus, die er auch Apostel nannte.« So finden sich im lukanischen Doppelwerk also oi` avpo,stoloi und oi` dw,deka als synonyme Bezeichnungen für die Kerngruppe der Jünger des irdischen Jesus, die nicht konsequent „zwölf Apostel“ genannt werden.35 Innerhalb der Apostelgeschichte werden sie ausschließlich an dieser Stelle als oi` dw,deka bezeichnet.36 Dadurch wird ihre Funktion als Repräsentanten des Zwölfstämmevolkes und ihre Aufgabe, das wahre eschatologische Israel, das auch Heiden umfasst, zu sammeln und die heilsgeschichtliche Kontinuität zu wahren,37 akzentuiert. Ihre Rolle als Autoritäten, insofern sie besonders privilegierte Zeugen Jesu sind, tritt dagegen in den Hintergrund. Wenn sie im Folgenden ab 6,2b gemeinsam als Sprecher dargestellt werden (ei=pan) – obwohl das praktisch schwer umsetzbar und vorstellbar ist –, treten sie deutlich als Kollektiv auf, aus dem keiner speziell genannt wird. Damit wird der Eindruck einer homogenen Gruppe erweckt, die sich in ihrer Meinung und Haltung einig ist. Mit der Beschreibung der Adressaten der Zwölf to. plh/qoj tw/n maqhtw/n »die Menge der Jünger« ist im Rückgriff auf 6,1 (plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n) an eine Versammlung der gesamten (wachsenden) Gemeinde der Jünger zu denken, die sich mindestens aus Hellenisten und Hebräern zusammensetzt.38 So zeichnet 6,2a zunächst das Bild einer organisierten Ge35
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 90–91. KLEIN, Lukasevangelium, 238. Weitere Beispiele für die synonyme Verwendung beider Bezeichnungen: Lk 8,1; 9,1.12; 22,3.47. Dort werden die Apostel ausdrücklich »die Zwölf« genannt. 36 Lediglich bei der Nachwahl des Matthias Apg 1,26 und zu Beginn der Pfingstrede Apg 2,14 erscheinen sie implizit mit diesem Namen, wenn von den Elf die Rede ist und jeweils ein weiterer Apostel (Matthias bzw. Petrus) gesondert erwähnt wird. Bis Apg 16,4 werden sie ausschließlich „die Apostel“ bezeichnet. Danach treten sie in der Apostelgeschichte gar nicht mehr auf. Vgl. FITZMYER, Acts, 348–349. JERVELL, Apg, 285. BARRETT, Acts, 311. 37 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 91–93. FULLER, Restauration, 267. Vgl. auch die Untersuchungen zu Apg 8,1b. 38 Das Lexem to. plh/qoj weist ebenfalls auf eine Versammlung der gesamten Gemeinde hin, denn wörtlich bedeutet es „die Menge“ bzw. auch „Volksversammlung“, im Sprachgebrauch religiöser Gemeinschaften dann auch „die Gemeinde“. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1344–1345. LIDDELL, HENRY G./SCOTT, ROBERT, A Greek-English Lexicon.
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meinde, in der die Zwölf eine Sonderposition innehaben und in dieser Konfliktsituation auch wahrnehmen. Die Rede der Zwölf setzt sich aus einer beurteilenden Feststellung der Situation (6,2b), einem Lösungsvorschlag (6,3) und einer abschließenden Bemerkung über den Dienst der Zwölf (6,4) zusammen. Zu Beginn ihrer Rede (6,2b) beurteilen die Zwölf die derzeitige Lage als Missstand:39 ouvk avresto,n evstin. Da das Adjektiv avresto,n auch impliziert, dass etwas vor Gott nicht richtig ist, erhält diese Einschätzung der Zwölf den Charakter einer indiskutablen, apodiktischen Feststellung.40 Diese wird aber nicht als direkter Vorwurf an die Versammlung formuliert, weil keine ‚Ihr-Aussage‘, sondern ausschließlich eine ‚Wir-Aussage‘ gemacht wird, mit der sich die Zwölf selbst in diese Misslage miteinbeziehen. Diese sehen sie zunächst darin, dass sie selbst das Wort Gottes ‚zurücklassen‘, d.h. vernachlässigen (h`ma/j katalei,yantaj to.n lo,gon tou/ qeou/), um dem Dienst an den Tischen nachzukommen (diakonei/n trape,zaij).41 Während laut 6,1 der Konfliktherd im Übersehen der hellenistischen Witwen liegt, wird in der Rede der Zwölf nun als erstes die Vernachlässigung ihres Dienstes am Wort Gottes als Missstand thematisiert. Erst danach wird mit diakonei/n trape,zaij die von den Hellenisten beklagte Notlage aufgegriffen und damit dieser „tägliche Dienst an den Witwen“ näher bestimmt. Da h` trape,za den Tisch meint, an dem die Mahlzeiten eingenommen werden,42 handelt es sich um einen ‚Tischdienst‘ (wörtlich: »Dienst an den Tischen«). Insofern diakoni,a / diakone,w im lukanischen Doppelwerk für jede Funktion in der Gemeinde gebraucht wird, ist in 6,2b damit kein Amt bezeichnet,43 sondern wohl eine Armenspeisung als karitative Aufgabe. Indem bei dieser Beurteilung der Konfliktsituation die Vernachlässigung des Dienstes am Wort Gottes durch den (finalen) Infinitiv (diakonei/n) als Folge des „Dienstes an den Tischen“ erscheint, wird deutlich, dass beide für das Gemeindeleben wesentlichen Aufgaben in irgendeiner Weise den Zwölf obliegt. Dadurch entsteht nämlich der Eindruck, die Zwölf seien zu sehr mit dem Tischdienst beschäftigt und hätten daher keiWith a Revised Supplement, 1996, Oxford 91940 (ND 1996), 1417. Außerdem greift to. plh/qoj auf die unbestimmte Wachstumsnotiz in Apg 5,14 (ma/llon de. proseti,qento pisteu,ontej tw/| kuri,w|( plh,qh avndrw/n te kai. gunaikw/n) zurück, so dass das Bild einer wachsenden Gemeinde bestätigt wird. 39 Das vorangestellte ouvk betont deutlich das Negative. 40 Vgl. BARRETT, Acts, 311. 41 Hier könnte es sich um einen finalen Infinitiv handeln. Vgl. BARRETT, Acts, 311. 42 Vgl. FITZMYER, Acts, 349. 43 Vgl. JERVELL, Apg, 217: „Stiftungstext“ für diese Verwendung von diakonei/n trape,zaij sei Lk 22,24-30.
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ne Zeit mehr für den Dienst am Wort.44 Damit reiht sich diese Darstellung in das bisher gezeichnete Bild der Jerusalemer Gemeinde ein, denn beispielsweise erwähnen die Summarien Apg 2,42-47 und 4,32-35 ebenfalls Verkündigung (Dienst am Wort) und Dienst an den Armen, sogar speziell die Sorge um Mahlzeiten für die Bedürftigen, als Aufgaben, die das Gemeindeleben allgemein und die Rolle der zwölf Apostel im Besonderen prägen.45 Angesichts des engen Zusammenhangs dieser beiden Dienste, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis und der Bedeutung beider. Ist der Dienst am Wort Gottes wichtiger und höher zu bewerten als der Dienst an den Tischen? Selbst wenn zunächst ein solcher Eindruck erweckt wird, kann diese Frage hier noch nicht beantwortet werden.46 Nach dieser grundsätzlichen Feststellung der Missstände, wenden sich die Zwölf abrupt mit dem betont vorangestellten Imperativ evpiske,yasqe de, »seht euch [prüfend] um nach«47 an die Versammlung der Jünger, die sie mit avdelfoi, ansprechen (6,3a). Diese vertrauliche Anrede impliziert die Zusammengehörigkeit der Zwölf und aller Versammelten zu einer Gemeinde sowie die Gleichstellung aller auf einer Ebene. Außerdem drückt sich darin das Wohlwollen der Sprecher gegenüber ihren Zuhörern aus, bei denen dadurch auch Offenheit für die Rede entstehen kann.48 Auf diese 44
Wie schon 6,1 vermuten lässt, ist die Vernachlässigung dieser Aufgabe möglicherweise auf die stetig anwachsende Gemeinde zurückzuführen, die u.a. auch einen immer größeren Organisationsaufwand mit sich bringt. Selbst wenn die Apostel lediglich die Verantwortung für den Tischdienst haben, nimmt diese wohl bei der zunehmenden Zahl der Gemeindemitglieder auch schon genug Raum ein, so dass die Gefahr besteht, den Dienst am Wort zu vernachlässigen. Vgl. JERVELL, Apg, 217. ZMIJEWSKI, Apg, 285. 45 Vgl. JERVELL, Apg, 217. Ähnliche Aussagen finden sich in Apg 4,37; 5,2. 46 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 285, sieht im Verkündigungsdienst den eigentlichen Auftrag der Zwölf. Wenn sie „weiterhin wie bisher die karitativen Aufgaben erfüllen, dann wird sie das ... derart in Anspruch nehmen, daß ihr (neben dem Gebet: V.4) eigentlicher Auftrag, nämlich der Verkündigungsdienst, zu kurz kommt.“ Ähnlich SCHNEIDER, Apg, 424. 47 evpiske,ptomai meint wörtlich „ins Auge fassen“, „mustern“, hier: „sich (prüfend) umsehen nach“. Häufig wird es verwendet, um das „Sorgetragen“ Gottes um jemanden, das zuerst dem Volk Israel, dann aber auch Nichtjuden gilt (vgl. Apg 15,14.36; Lk 1,68.78), auszudrücken. Vgl. JERVELL, Apg, 237. NEUBRAND, Israel, 111, Anm. 14. TANNEHILL, ROBERT C., The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation. Volume 2: The Acts of the Apostles, Minneapolis 1990, 187. Vgl. auch Apg 7,23. 48 Die Anrede avdelfoi, ist sowohl in der Septuaginta als auch im Neuen Testament eine bekannte Anrede zwischen Mitgliedern einer Glaubensgemeinschaft. Dass sie besonders auch in den entstehenden christlichen Gemeinden verwendet wird, zeigen die paulinischen Briefe. Beispielsweise sind laut Phlm 1 Paulus und Timotheus »Brüder« im Glauben. Auch Phlm 5 verweist darauf, dass „die genannten ‚Brüder‘ und ‚Schwestern‘ durch ein gemeinsames ‚Band‘ miteinander verbunden sind – ein Band der Liebe zueinander, das seine Qualität durch den gemeinsamen Glauben an Jesus Christus erhält.“
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Weise bestätigt sich der Eindruck, die Zwölf würden der Versammlung keinen Vorwurf wegen der Missstände machen. Vielmehr unterbreiten sie ihr einen – wenn auch imperativischen – Vorschlag zur Lösung der Problemlage49 und betonen dabei, dass die Gemeinde selbst daran beteiligt werden soll. Der Imperativ evpiske,yasqe beauftragt sie nämlich, selbst für eine Lösung zu sorgen und dafür ihren eigenen Kreis heranzuziehen: a;ndraj evx u`mw/n. Explizit sollen also aus der Gemeinde selbst sieben Männer gesucht werden, die neben der Zugehörigkeit zur Gemeinde folgende Kriterien erfüllen: ein gutes Zeugnis haben sowie erfüllt von Geist und Weisheit sein. Das erste Kriterium marturou,menoi meint sehr allgemein, dass sie insgesamt und von verschiedenen Seiten her »wohl bezeugt« sein müssen, d.h. man gut von ihnen reden muss. Worin so ein guter Ruf genauer besteht, wird nicht gesagt,50 sondern lediglich plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj als zweites Kriterium hinzugefügt.51 Selbst wenn dieses hier nicht weiter konkretisiert wird, vermittelt es einen Eindruck über die geforderte Qualifizierung der Kandidaten. Als geistbegabt sind nämlich im Lukasevangelium von Anfang an nicht nur Johannes der Täufer, und der Prophet Simeon, sondern auch vor allem Jesus bekannt. In der Apostelgeschichte stehen häufig Verkündigung und Wundertaten mit pneu,ma in Verbindung. So ist schon in Apg 1,8 der Auftrag des Auferstandenen, die Jünger sollen Zeugen sein mit der Geistbegabung verbunden, und das Pfingstereignis schildert die Geistbegabung aller Anwesenden und wird vom – ebenfalls geistbegabten – Petrus als Erfüllung der Verheißung der endzeitlichen Geistausgießung über alle gedeutet (Apg 2,4.17-21). Darüber hinaus wird die Besitzgemeinschaft der Gemeinde als geistgewirkt vorgestellt.52 Demnach ist deutlich, dass die besondere Qualifizierung der Sieben durch Geistbegabung im Zusammenhang mit positiven Auswirkungen auf die Gemeinde steht. Auch das lukanische Vorzugswort sofi,a meint hier eine „besondere NICKLAS, TOBIAS, The Letter to Philemon: A Discussion with J. Albert Harrill, in: PORSTANLEY. E. (Hg.), Paul’s World (Pauline Studies), Leiden/Boston 2007, 201–220, hier 210–212. Vgl. auch Apg 2,14 u.a. 49 Die Konjunktion de, könnte ebenfalls darauf hinweisen, dass ein Gegensatz zu der in 6,1-2 festgestellten Misslage formuliert wird. 50 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 999–1000. FITZMYER, Acts, 349. ZMIJEWSKI, Apg, 285, interpretiert dieses Kriterium in dem Sinn, man müsse ihnen vertrauen können, weil sie mit Geld und Gaben der Gemeinde umgehen müssen, d.h. sie müssen selbstlos, unparteiisch und gegen Versuchungen gefeit sein. SPENCER, Acts, 67, sieht darin eine Führungsrolle der Sieben innerhalb der Gemeinde der Hellenisten impliziert. 51 Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Kriterien, insofern der gute Ruf aufgrund des Erfülltseins mit Geist und Weisheit zustande kommt. Sprachlich stehen sie allerdings nur als Aufzählung nebeneinander. 52 Vgl. JERVELL, Apg, 218. TER,
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charismatische Gabe, vom Geist gewirkt“53 und erinnert ebenfalls an die Darstellung Jesu im Lukasevangelium, z.B. Lk 2,40.52. Erst nach der Nennung dieser Kriterien wird mit ou]j katasth,somen evpi. th/j crei,aj tau,thj »die wir einsetzen werden für diese Notwendigkeit« (6,3b) ausgedrückt, wofür sich diese sieben Männer qualifizieren sollen. Nachdem laut 6,1-2 die ideale Gütergemeinschaft, in der jeder nach seinem Bedarf versorgt wurde (vgl. Apg 4,35: kai. evti,qoun para. tou.j po,daj tw/n avposto,lwn( diedi,deto de. e`ka,stw| kaqo,ti a;n tij crei,an ei=cen. »und sie legten [den Preis des Verkaufs] zu den Füßen der Apostel, zugeteilt aber wurde jedem einzelnen, je wie es einer brauchte.«), durch die Vernachlässigung des Tischdienstes für die hellenistischen Witwen ins Wanken geraten ist, sollen die Sieben nun für diesen Bedarf (crei,a)54 eingesetzt werden (kaqi,sthmi)55 und damit zur Wiederherstellung der idealen Gemeinde beitragen. Ihre Hauptaufgabe56 besteht demnach scheinbar zunächst im Dienst an den Tischen, der Anlass der Notlage ist. Warum ausgerechnet sieben Männer gewählt werden sollen, bleibt offen. Damit könnte angedeutet werden, dass es sich um ein Gremium mit einer besonderen Funktion innerhalb der Gemeinde handelt, da jüdische Kollegien häufig aus sieben Mitgliedern bestanden (vgl. Jos 6,4; Est 1,14; Jer 52,25)57 und in Apg 21,8 »die Sieben« als feste Bezeichnung dieser Männer gebraucht wird.58 53 JERVELL, Apg, 218. Im hellenistischen Gebrauch meint sofi,a „Klugheit, Einsicht, Verstehen“. In diesem Sinn könnte es in Lk 2,40.52 und Apg 6,10; 7,10.22 ebenfalls verstanden werden, ähnlich wie in Lk 7,35; 11,31; 21,15. 54 crei,a bedeutet wörtlich „Bedarf“, „Notwendigkeit“, aber auch „Dienst“. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1746–1747. Daher steht dem (Tisch-)Dienst für die hellenistischen Witwen (diakoni,a), der mit dem Aspekt der Fürsorge konnotiert ist, nahe. Zur Grundbedeutung der Wortgruppe diakone,w, diakoni,a, dia,konoj vgl. WEISER, ALFONS, diakone,w, diakoni,a, dia,konoj, in: EWNT2 I, 726–732, hier 726–727. 55 kaqi,sthmi bedeutet in der Verbindung mit tina. evpi, tinoj „jemanden einsetzen über jemanden/etwas“, wie z.B. in Gen 41,33; Dtn 1,13.15. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 792. 56 ZMIJEWSKI, Apg, 285, spricht von einem „geistlichen Amt für die Gemeinde“. Zwar könnten kaqi,sthmi und die Zahl sieben in Analogie zu antiken Kollegien auf ein „Amt“ hindeuten, aber um Missverständnisse mit einem heutigen Amtsbegriff zu vermeiden, wird hier der Begriff „Aufgabe“ favorisiert. 57 Vgl. GAVENTA, Acts, 114. 58 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 285. PESCH, Apg, 228, betont, dass eine Analogie zu jüdischen Vorbildern unsicher bleibe. BARRETT, Acts, 312, nennt als Beispiel, Josephus erwähne nach Dtn 16,18 sieben Richter in jeder Stadt Galiläas; weiterhin Megillah 26a „die sieben besten Männer einer Stadt“. FITZMYER, Acts, 349, meint, die ungerade Primzahl sieben sei in der jüdischen Gesellschaft eine gebräuchliche Zahl, weil sie für Abstimmungen günstig ist. Ähnlich WITHERINGTON, Acts, 249. Auf eine Funktion in wichtigen Angelegenheiten verweist auch Est 1,10, wo die Rede von sieben Hofbeamten ist, die König Artaxerxes direkt dienen (toi/j e`pta. euvnou,coij
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Unklar ist auch, wer die sieben Männer für diese Aufgabe einsetzen wird. Sind mit »Wir« ausschließlich die Sprecher, d.h. die Zwölf, gemeint, dann würde die Gemeinde die Sieben zwar auswählen, aber die Zwölf würden sie einsetzen. Damit wäre die neue Gruppe implizit dem Zwölferkreis untergeordnet.59 Das »Wir« hinter kaqi,sthmi kann aber auch die Zwölf zusammen mit den Versammelten meinen, zumal sich die Zwölf durch die Anrede avdelfoi, als Teil der Gemeinde bezeichnen, und keine Hierarchie zu erkennen ist. Aufschlussreich für die Funktion des Siebenerkreises als Vorschlag für die Konfliktlösung sind Anspielungen auf ähnliche Situationen des Volkes Israel: Wurde bereits durch das Motiv des Murrens (6,1) die Mannaproblematik von Ex 16; Num 11,1 aufgenommen, so spielt Apg 6,2-3 auf Num 11,13-1760 an, wo im Zusammenhang mit dem Mannawunder ein weiterer Konflikt und dessen Lösung berichtet wird. Israel murrt gegen Gott, weil es kein Fleisch zu essen hat. Da Mose überfordert mit dieser Angelegenheit ist (Num 11,13-15), weist ihn der Herr an: suna,gage, moi e`bdomh,konta a;ndraj avpo. tw/n presbute,rwn Israhl ou]j auvto.j su. oi=daj o[ti ou-toi, eivsin presbu,teroi tou/ laou/ kai. grammatei/j auvtw/n… »Versammle mir 70 Männer von den Ältesten Israels, von denen du selbst weißt, dass sie Älteste des Volkes sind, und ihre Schreiber, …« (Num 11,16b) Daraufhin folgt in Num 11,17b die Zusage Gottes: kai. avfelw/ avpo. tou/ pneu,matoj tou/ evpi. soi. kai. evpiqh,sw evpV auvtou,j kai. sunantilh,myontai meta. sou/ th.n o`rmh.n tou/ laou/ kai. ouvk oi;seij auvtou.j su. mo,noj »und ich werde von deinem Geist nehmen, der auf dir liegt, und auf sie legen, und sie werden mit dir zusammen den Eifer des Volkes auf sich nehmen und du wirst sie nicht alleine tragen.«
Wird der Konflikt in Num 11,13 mit einer Gruppe von Repräsentanten des Volkes (e`bdomh,konta a;ndraj avpo. tw/n presbute,rwn Israhl … kai. grammatei/j auvtw/n »70 Männer von den Ältesten Israels, … und ihre Schreiber«) geregelt, so wird die Beteiligung des Volkes in Apg 6,2-3 noch stärker hervorgehoben, weil dort das ganze Volk versammelt wird und die Auswahl der Sieben treffen soll. Jeweils sind die Männer von besonderen toi/j diako,noij tou/ basile,wj VArtaxe,rxou). In Est 1,13 werden sieben Weise genannt, die der König zu Rate zieht, da sie sich in der Geschichte auskennen sowie Gesetzes- und Rechtskundige seien (toi/j fi,loij auvtou/ kata. tau/ta evla,lhsen Astin poih,sate ou=n peri. tou,tou no,mon kai. kri,sin). 59 Vgl. FITZMYER, Acts, 349. ZMIJEWSKI, Apg, 285. Ihm zufolge wird die Einsetzung durch die Zwölf in 6,6 bestätigt. Die Unterordnung unter das Apostelamt sei auch daran zu erkennen, dass die Zwölf die Initiative für die Wahl der Sieben ergreifen und die Qualifikationen dafür festsetzen. 60 Vgl. PENNER, Praise, 266.
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Qualitäten gekennzeichnet, nämlich in Num 11,13 insofern sie oi` presbute,roi und oi` grammatei/j sind, in Apg 6,3, insofern sie die Kriterien marturou,menoi »gut bezeugt« und plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj »erfüllt von Geist und Weisheit« erfüllen müssen. Die Charakterisierung als Geistbegabte spielt ebenfalls auf Num 11,17 an, wonach Gott die ausgewählten Männer mit Geist erfüllt und sie genau mit dieser besonderen Qualifizierung Mose zur Unterstützung an die Seite stellt. Analog ist damit zu rechnen, dass die Geistbegabung der Sieben mit ihrer Aufgabe zusammenhängt, die zur Unterstützung der Zwölf und damit zugleich zur Konfliktlösung beiträgt. Noch deutlicher wird der Zusammenhang zwischen den Auswahlkriterien und der zu bewältigenden Unterstützungs- und Problemlösungsaufgabe durch die Anspielung auf Dtn 1,13-15.61 Weil Mose zur Zeit der Wüstenwanderung angesichts des Wachstums Israels (Dtn 1,1011) und seiner Sturheit (Dtn 1,12) das Volk mit seinen Lasten (Konflikten) nicht allein tragen kann, fordert er in Dtn 1,13 das Volk auf: do,te e`autoi/j a;ndraj sofou.j kai. evpisth,monaj kai. sunetou.j eivj ta.j fula.j u`mw/n kai. katasth,sw evfV u`mw/n h`goume,nouj u`mw/n »Gebt euch weise, verständige und kluge Männer für eure Stämme, dann werde ich sie als eure Anführer einsetzen.« Nachdem Israel diesem Vorschlag zugestimmt hat (Dtn 1,14), setzt Mose diesen laut Dtn 1,15a sofort um: kai. e;labon evx u`mw/n a;ndraj sofou.j kai. evpisth,monaj kai. sunetou.j kai. kate,sthsa auvtou.j h`gei/sqai »Und ich nahm von euch weise, verständige und kluge Männer und setzte sie ein, damit sie euch führen.« Diese »Anführer« fungieren hauptsächlich als Richter (Dtn 1,16-18), die Mose unterstützen.
Ähnlich wie in Dtn 1,13.15 (do,te e`autoi/j a;ndraj; e;labon evx u`mw/n a;ndraj) ist laut Apg 6,3 (evpiske,yasqe … a;ndraj evx u`mw/n) die gesamte Gemeinde an der Konfliktlösung beteiligt, und ebenso sollen sich die Kandidaten unter anderem durch Weisheit auszeichnen. Der Zusammenhang dieses Kriteriums mit ihrer Aufgabe, nämlich Konfliktlösung, wird in Dtn 1,13-15 noch offensichtlicher, da es hier um Rechtssprechung geht, während Apg 6,3 nicht einmal den Konflikt von Apg 6,1 direkt aufgreift.62 Insofern in Dtn 1,13.15 Mose derjenige ist, der diese Männer einsetzt (kaqi,sthmi), in Apg 6,3 aber die Zwölf zusammen mit der ganzen Versammlung Subjekt von kaqi,sthmi sind, wird hier die Beteiligung der Ge61 Vgl. PENNER, Praise, 266. Auf Dtn 1,13.15 weisen ebenfalls hin: SCHNEIDER, Apg, 426. BARRETT, Acts, 312. 62 Vgl. PENNER, Praise, 266, sieht in den Parallelen hinsichtlich der Auswahlkriterien einen Hinweis darauf, dass Lukas die Führerschaft der Jerusalemer Gemeinde vor dieselben Probleme stellt wie sie Mose im Volk Israel zu lösen hatte.
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meinde an der Konfliktlösung stärker betont, was dem Idealbild der Jerusalemer Gemeinde korrespondiert.63 Indem Apg 6,2-3 auf diese Texte durch Stichwortverbindungen, kontextuelle oder motivische Analogien anspielt, wird deutlich, dass die hier skizzierte Konfliktlösung Ähnlichkeiten mit einem bestimmten Muster hat, das aus der Geschichte des Volkes Israel bekannt ist und dort sogar von Gott selbst vorgeschlagen wird.64 Dadurch wird der Eindruck einer beispielhaft harmonischen Konfliktlösung in der Jerusalemer Gemeinde bestärkt. Außerdem kann die Funktion der Sieben als Unterstützung für die Zwölf verstanden werden – in Analogie zu den Männern, die dem besonders privilegierten Mittler Gottes, Moses, zur Seite gestellt werden. Ein solches Verständnis legt sich auch nahe, insofern das Ende der Rede der Zwölf (6,4) speziell deren Dienst in Abgrenzung von den Sieben thematisiert (h`mei/j de,).65 Inwiefern sie sich von diesen unterscheiden, wird durch die Nennung ihrer Aufgaben aufgezeigt, die sie unbedingt auszuführen haben bzw. umsetzen wollen, wie das futurische proskarterh,somen66 unterstreicht. 63
Darüber hinaus spielt Apg 6,5a auf die Formulierung der Zustimmung zu diesem Vorschlag in Dtn 1,14 an (s.u.). Die Unterstützungsfunktion in richterlicher Konfliktlösung wird ebenfalls in Ex 18,13-26 deutlich, also in dem Text, den Dtn 1 rezipiert. Dort macht angesichts der Überlastung des Mose sein Schwiegervater den Vorschlag: kai. su. seautw/| ske,yai avpo. panto.j tou/ laou/ a;ndraj dunatou.j qeosebei/j a;ndraj dikai,ouj misou/ntaj u`perhfani,an kai. katasth,seij auvtou.j evpV auvtw/n cilia,rcouj (Ex 18,21). Apg 6,3 zeigt Analogie dazu, insofern ebenfalls das gesamte Volk an der Konfliktlösung beteiligt wird und die Auswahl der richterlichen Helfer mit evpiske,ptomai formuliert wird. Auch die Qualifizierung der Männer verweist in beiden Texten auf eine besondere Gottesbeziehung (Apg 6,3: plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj; Ex 18,21: a;ndraj dunatou.j qeosebei/j) und zugleich auf ethische Qualitäten (Apg 6,3: marturoume,nouj; Ex 18,21 a;ndraj dikai,ouj). In Ex 18 wird eine Art Aufgabenteilung beschrieben, insofern die ausgewählten Männer für geringfügige Rechtsentscheide zuständig sein sollen, während Mose die schwierigen Angelegenheiten vorbehalten bleiben. Ähnliches ist in Apg 6,4 impliziert (s.u.). Auf Ex 18,21 machen beispielsweise PENNER, Praise, 266; SCHNEIDER, Apg, 426. BARRETT, Acts, 312 aufmerksam. 64 Ähnlich PENNER, Praise, 266: „just as the Iraelites under Moses were in need of organized leadership during their formative period, so the assembly under the apostles also requires a similar structure.” TALBERT, CHARLES H., Reading Acts. A Literary and Theological Commentary on The Acts of the Apostles, New York 1997, 73, sieht darin ein Spiegelbild alttestamentlicher Formen der Wahl nachträglicher Führer. Diese Form enthalte vier Komponenten: (1) Das Problem (Ex 18,14-18; Num 27,12-14); (2) die vorgeschlagene Lösung (Ex 18,19-23; Num 27,15-17); (3) die Qualifikationen der neuen Führerschaft (Ex 18,21; Num 27,18-21); (4) die Situation abgesehen von den neuen Leitern (Ex 18,25; Num 27,22-23). Ähnlich wie Apg 1,15-26 sei auch Apg 6,1-6 als Imitation dieser Form aus der LXX gestaltet. 65 Deutlich betont beginnt 6,4 mit dem Personalpronomen h`mei/j. 66 proskartere,wmai bedeutet „sich emsig beschäftigen mit etwas, dauernd bedacht sein auf etwas“, hat also durativen Aspekt. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1433. Hier könnte
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Die Aufgaben der Zwölf – im Unterschied zu den Sieben – bestehen offenbar vor allem im Gebet (h` proseuch,), einem seit 6,1 noch nicht genannten Aufgabengebiet, und im Dienst am Wort (h` diakoni,a tou/ lo,gou), womit auf die Feststellung des Missstandes (6,2b) zurückgegriffen wird. Durch diese doppelte Erwähnung, wenn auch in Variation,67 wird das Wort Gottes als Zuständigkeitsbereich des Zwölferkreises hervorgehoben. Beinhaltet h` proseuch, entweder die übliche Feier der christlichen Liturgie (Apg 1,14; 2,42) oder auch die Teilnahme an den jüdischen Tempelgebeten (Apg 3,1), d.h. auf jeden Fall einen Dienst für die Gemeinde, so umfasst die eng damit verbundene diakoni,a tou/ lo,gou die Verkündigung, also den Auftrag, den die Apostel von Jesus empfangen haben (Lk 24,47-48; Apg 1,8) und den sie nun ausführen wollen.68 Enthält dieser auffordernde Vorsatz zugleich eine Überordnung der Aufgaben »Gebet« und »Dienst am Wort« über karitative Dienste, wie hier »Dienst an den Tischen«, die die Sieben übernehmen sollen? Die Abgrenzung der Dienste durch das betonte h`mei/j de, könnte diese Vermutung nahe legen. Allerdings gibt es sonst keine Hinweise auf eine solche Dienst-Hierarchie, so dass man vielleicht eher von ‚Arbeitsteilung‘ sprechen kann.69 Indem 6,4 den Dienst am Wort von 6,2b wieder aufnimmt, entsteht ein Rahmen um den Vorschlag zur Wahl der Sieben, die für den Dienst an den Tischen zuständig sein sollen. Auf diese Weise wird der enge Zusammenhang zwischen diesen beiden Diensten unterstrichen, die beide für die Gemeinde prägend sind. Somit scheint der Dienst an den Tischen und am Wort Gottes – zumal ursprünglich als Teilbereiche der Apostel dargestellt (Apg 4,35; 6,2) – in einem nicht trennbaren Verhältnis zueinander zu stehen.70 Die Zwölf werden nicht nur als Hauptverantwortliche für bestimmte ein modales Futur vorliegen, mit dem das Wollen, Sollen oder Können unterstrichen wird. Vgl. BARRETT, Acts, 314. 67 In 6,2b (o` lo,goj tou/ qeou/) ist nicht die Rede von einem „Dienst“ am Wort Gottes, so dass 6,4 (h` diakoni,a tou/ lo,gou) die Zuständigkeit hinsichtlich des Wortes Gottes etwas konkretisiert. Dafür fehlt in 6,4 der Zusatz tou/ qeou/. Somit ergänzen sich die beiden Formulierungen gegenseitig. 68 Vgl. FITZMYER, Acts, 349. ZMIJEWSKI, Apg, 286. JERVELL, Apg, 218. Er ist der Meinung, die Apostel hätten nun keine diakonische Aufgabe mehr, weil die Verteilung der Güter an die Gemeinde (4,35) von anderen übernommen wird. Dagegen meint SCHNEIDER, Apg, 425, die Rede lasse erkennen, dass das Hauptanliegen der Zwölf darin liege, die apostolische Wortverkündigung nicht zu beeinträchtigen. Das werde durch 6,7 unterstrichen. 69 Ähnlich PESCH, Apg, 229. BARRETT, Acts, 313. 70 Vgl. JERVELL, Apg, 218. SPENCER, Acts, 67, verweist darauf, dass Jesus den Aposteln oft zeigt, dass „niedrigere“ Aufgaben des Tisch-Dienstes und der Nächstenliebe Hand in Hand mit eher „spirituellen“ Aufgaben wie Gebet oder Verkündigung gehen (vgl. Lk 6,12-21; 9,10-17; 22,14-27). PESCH, Apg, 228, sieht schon in der Geistbegabung als Auswahlkriterium für die Sieben einen Hinweis darauf, dass sie ähnlich wie „die
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Dienste dargestellt, sondern auch für die Gemeinde insgesamt und die Erfüllung der darin entstehenden Aufgaben, insofern sie die Gemeinde versammeln, auf die Misslage aufmerksam machen und sich zugleich um eine Lösung bemühen. Da die Wahl der Sieben der mangelhaften Versorgung der hellenistischen Witwen Abhilfe verschaffen soll, stellt sie nicht nur die Ermöglichung dieses karitativen Dienstes sicher, sondern wahrt auch die Einheit der Gemeinde in Jerusalem, insofern hiermit der Konflikt zwischen Hellenisten und Hebräern gelöst werden soll.71 Wurde der Text nach der recht vagen Situations- und Konfliktbeschreibung von 6,1 für zwei Richtungen geöffnet, – nämlich erstens eine weitere Entfaltung des Konflikts und zweitens einen Lösungsversuch –, so tritt ab 6,2 Letzteres ein. Es geht hier also nicht um eine ausführliche Beschreibung oder Analyse der Probleme, sondern es wird vielmehr deutlich, dass und wie Lösungen gesucht werden: Die Zwölf als Initiatoren nehmen diese Aufgabe in die Hand, beziehen aber zugleich die gesamte Gemeinde mit ein, die ja schließlich grundlegend von dieser Spannungssituation betroffen ist. Auf diese Weise entsteht das Bild einer gut funktionierenden und zusammenwirkenden Gemeinde mit einer Art Aufgabenteilung. Dieses Idealbild wird unterstrichen, wenn 6,5a die positive Reaktion der Versammlung auf die Rede der Zwölf notiert kai. h;resen o` lo,goj evnw,pion panto.j tou/ plh,qouj72 »Und das Wort fand Gefallen vor der ganzen Menge« (6,5a) und dabei 6,2 aufnimmt, wo to. plh/qoj tw/n maqhtw/n an eine Versammlung der ganzen Gemeinde denken lässt. Diese Zustimmung manifestiert sich sofort in der Umsetzung des Vorschlags, sieben Männer zu wählen (6,5b). Da die Wahl nur kurz mit dem Verb evxele,xanto formuliert wird, stellt sich die Frage, wer genau Subjekt des Wählens ist: alle Versammelten oder nur die Zwölf?73 Auch der genauere Wahlvorgang wird nicht geschildert, sondern vielmehr wird durch die Zwölf“ vorgestellt wurden. Allerdings betrachtet er die Sieben als Leiter der hellenistischen Gemeinde, was der Text nicht fokussiert. Auch ZMIJEWSKI, Apg, 94, weist darauf hin, dass sich im lukanischen Zeugenbegriff Wort- und Tatverkündigung verbinden analog zu Jesu Verkündigung des Reiches Gottes in Wort und Tat. Der Auftrag des Auferstandenen in Lk 24,48; Apg 1,8 enthalte daher beides. 71 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 285. Dies deute auch der Ausdruck „Dienst an den Tischen“ an, der neben der gesamten Armenfürsorge und Liebestätigkeit auch die Vorstellung von gemeinsamen Mahlzeiten bzw. Tischgemeinschaft mit einschließe. 72 Die Wendung h;resen … evnw,pion panto.j tou/ plh,qouj statt des einfachen h;resen tini gleicht der Formulierung in 2 Sam 3,36; Jer 18,4 LXX. Vgl. FITZMYER, Acts, 349. ZMIJEWSKI, Apg, 286. 73 SCHNEIDER, Apg, 427, meint, die Gemeinde wähle die Sieben aus. evxele,xanto entspreche dem Vorschlag evpiske,yasqe (6,3) und das Verb evkle,gomai bezeichne eine nicht von Gott oder Jesus vorgenommene Auswahl von Personen, wie Apg 15,22.25 zeige.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
angefügte Namensliste über die Gewählten informiert. Demnach ist nicht der Ablauf der Wahl von Interesse, sondern von wem der Dienst an den hellenistischen Witwen ausgeführt werden wird. Dies korrespondiert mit der Rede der Zwölf, die auch nicht auf die Wahlmodalitäten eingeht, sondern ausschließlich von den Kandidaten und geforderten Eigenschaften sowie den für sie vorgesehenen Dienst handelt. Der erste Mann, der gewählt wird, hat den geläufigen griechischen Namen Ste,fanoj, der „Kranz, Krone, Preis oder Lohn“ bedeutet und oft mit einem Siegeskranz in Spielen oder athletischen Wettbewerben konnotiert ist.74 Dass dieser Stephanus, der dem Leser bisher nicht bekannt ist, in verschiedener Hinsicht eine besondere Gestalt ist, zeigt sich nicht nur an seiner Stellung an der Spitze der Kandidatenliste und an der Tatsache, dass er die erste Einzelperson ist, die im Erzählabschnitt seit 6,1 genannt wird, während bisher ausschließlich Gruppen als Handlungsträger auftraten. Dass Stephanus aus diesen verschiedenen Gruppen innerhalb der Gemeinde herausragt, wird vor allem durch seine Charakterisierung a;ndra plh,rhj pi,stewj kai. pneu,matoj a`gi,ou deutlich. Damit wird nämlich betont, dass er die von den Zwölf geforderten Wahlkriterien (a;ndraj … plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj) vollkommen erfüllt.75 Dieser Zusatz wäre nicht unbedingt nötig, weil man davon ausgehen kann, dass die erfolgte Wahl an sich die Erfüllung dieser Kriterien einschließt, also auch die anderen sechs Gewählten ähnlich charakterisiert werden könnten. Insofern diese Erfüllung nur bei Stephanus ausdrücklich erwähnt wird, während bei allen anderen Kandidaten eine nähere Beschreibung fehlt – außer bei Nikolaos, der als Proselyt bezeichnet wird –, wird Stephanus nicht nur hervorgehoben, sondern auch die Erwartung geweckt, dieser Stephanus mit genau diesen betonten Eigenschaften, spiele im Folgenden noch eine besondere Rolle.76 Da diese den Wahlkriterien entsprechende Charakterisierung in Variationen innerhalb der weiteren Episode immer wieder wie ein roter Faden auftauchen wird (6,8.10; 7,55), dient der so vorgestellte Stephanus als eine Art Schwelle zwischen dem bisherigen Bericht und der folgenden Erzählung.
74
Vgl. FITZMYER, Acts, 350. Innerhalb des Neuen Testaments begegne das Motiv des Siegeskranzes beispielsweise in 1 Thess 2,9; 2 Tim 4,8; Jak 1,12; Offb 2,10; 3,11; 12,1 etc. Diese Texte zeigen, dass Christen endzeitlich einen »Stephanos« erhalten, wenn sie siegreich sind. 75 Vgl. FITZMYER, Acts, 350. pneu/ma (6,3) wird in 6,5 präzisiert mit pneu/ma a`,gion. Wesentliche Inhalte von pi,stij im lukanischen Doppelwerk sind das Reich Gottes (Apg 8,12; 19,8; 20,25) und der Name Jesu Christi (Apg 4,17f.; 5,28.40; 9,27f.; 24,24). Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 153–154. 76 Vgl. FITZMYER, Acts, 350. JERVELL, Apg, 219. ZMIJEWSKI, Apg, 286. Bestätigt wird das später in 6,8.10, wo Stephanus auf ähnliche Weise charakterisiert wird. Zmijewski meint, der erste Platz des Stephanus unter den Sieben könnte sogar historisch sein.
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Darüber hinaus verbindet die Qualifizierung plh,rhj … pneu,matoj a`gi,ou Stephanus mit Jesus, der in Lk 4,1 (plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou) mit denselben Worten charakterisiert wird und auch sonst im Lukasevangelium pointierter als Geistträger vorgestellt wird als in den anderen Evangelien. Beispielsweise verkündet Jesus bei seinem ersten öffentlichen Auftreten in Nazaret (Lk 4,16-30) die Aussage von Jes 61,1-2 (pneu/ma kuri,ou evpV evme, … »Geist des Herrn ist auf mir …«) habe sich heute erfüllt (Lk 4,21b: sh,meron peplh,rwtai h` grafh. au[th evn toi/j wvsi.n u`mw/n »Heute ist erfüllt worden diese Schrift, die ihr in den Ohren habt«).77 Jesus wird also nicht nur als Geistträger, sondern im Zusammenhang damit als Prophet dargestellt. Insofern die Wendung plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou in exakt dieser Form zur Charakterisierung des Stephanus dient (6,5; 7,55),78 wird er deutlich in Analogie zu Jesus gezeichnet, was auch den Eindruck vermittelt, Stephanus sei eine prophetische Gestalt.79 Die anderen gewählten Männer treten vergleichsweise in den Hintergrund. Während Philippus später in Apg 8,5-40 als bedeutende Gestalt im Rahmen der Mission in Samaria begegnet und in Apg 21,9 als Evangelist und Vater von vier unverheirateten, prophetisch begabten Töchtern bezeichnet wird,80 sind von den anderen fünf Männern der Liste aus dem Kontext des lukanischen Doppelwerks keine näheren Informationen zu erheben. Lediglich Nikolaos, der an letzter Stelle der Liste steht, wird wieder mit einem Zusatz versehen: prosh,luton VAntioce,a. Die Bezeichnung als Proselyt gibt nicht nur Auskunft über die religiöse Herkunft des Nikolaos selbst, sondern auch über die der anderen Männer, die vermutlich von Geburt an Juden sind, da von ihnen nichts anderes erwähnt wird.81 Im Kontext der Apostelgeschichte und des bisherigen Bildes der Gemeinde in Jerusalem ist seit Apg 2,11 klar, dass sich diese aus Juden und Proselyten zu77
Als Geistträger wird Jesus z.B. auch in Lk 3,22; 10,21 vorgestellt. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 427, Anm. 57. Außer Stephanus wird nur noch Barnabas in Apg 11,24 mit exakt dieser Wendung charakterisiert. 79 Darüber hinaus wird Stephanus aufgrund seiner Geistbegabung mit weiteren Figuren des lukanischen Doppelwerks verbunden, die im Zusammenhang mit ihrer Geistbegabung jeweils zu einer besonderen Aufgabe berufen sind, z.B. Johannes der Täufer (Lk 1,15); Zacharias (Lk 1,67); Elisabet (Lk 1,41); Maria (Lk 1,35); Petrus (z.B. Apg 4,8); Barnabas (Apg 11,24); Paulus (z.B. Apg 13,9). 80 Diese Textstellen sprechen auch gegen die Vermutung, Philippus könne mit dem Apostel Philippus Apg 1,13 identifiziert werden. Vgl. FITZMYER, Acts, 350. JERVELL, Apg, 219. ZMIJEWSKI, Apg, 286. 81 Vgl. FITZMYER, Acts, 350, schließt darauf, dass alle sieben Judenchristen sind, weil bisher in der Apg noch nicht über Heidenchristen in Jerusalem berichtet wurde. Zur Diskussion und Widerlegung, dass Nikolaos mit dem Gründer der gnostischen Sekte der Nikolaiten (Offb 2,6.15) zu identifizieren sein könnte, wie es schon bei Irenäus Adv Haer I 26,3 zu finden ist, vgl. JERVELL, Apg, 219. ZMIJEWSKI, Apg, 286 u.a. 78
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sammensetzt und Letztere demnach ebenfalls im Pfingstereignis mit dem Heiligen Geist begabt und zu christlichen Juden geworden sind.82 Interessanterweise wird nun mit Nikolaos einem Proselyten sogar eine spezielle Aufgabe innerhalb der Gemeinde zugeschrieben. Damit bestätigt sich die gleichwertige Geistbegabung aller, unabhängig von geographischer, sozialer und religiöser Herkunft (Apg 2,1-11.17-21), die unter anderem zu allen (auch besonderen) Aufgaben und Diensten der Gemeinde befähigt und verpflichtet.83 So zeigt die Liste der Sieben, dass die Jerusalemer Gemeinde Mitglieder verschiedener religiöser und geographischer Herkunft enthält, die aber innerhalb des Gemeindelebens gleichwertig sind und dementsprechend zu einem harmonischen Funktionieren der Gemeinde beitragen. Zwar könnte die Tatsache, dass alle sieben griechische Namen tragen, als Hinweis darauf verstanden werden, dass sie alle zur Gruppe der Hellenisten gehören, so dass sie für den Dienst an den hellenistischen Witwen besonders geeignet seien, insofern dabei zumindest keine sprachlichen Schwierigkeiten zu erwarten seien.84 Allerdings spricht gegen eine solche Deutung nicht nur der historische Befund, dass griechische Namen allgemein, auch unter Hebräern, weit verbreitet waren,85 und dass bei den meisten (christlichen) Juden in Jerusalem Zweisprachigkeit angenommen werden kann. Auch der Kontext lässt eine solche Schlussfolgerung in den Hintergrund rücken, denn zum einen ist die Zugehörigkeit zu den Hellenisten keine Bedingung für die Wahl der Sieben, und zum anderen bleibt die ursprüngliche Verantwortung für den Witwendienst offen oder wird sogar mit den Aposteln selbst verbunden (vgl. Apg 4,32). So steht im Vordergrund des Erzählduktus weniger das Interesse an der Herkunft der Sieben als vielmehr die Ausstattung mit Geist und Weisheit bzw. Glaube als Kriterium für die Wahl in diesen Siebenerkreis, um der Lösung der Konfliktlage innerhalb der Gemeinde zu dienen.
82
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 286. ROLOFF, Apg, 110. Im Rahmen der lukanischen Darstellung sei Nikolaos der erste ehemalige Heide, der auf dem Umweg über das Judentum Christ wurde. 83 JERVELL, Apg, 219, sieht ein ähnliches gleichwertiges Nebeneinander von Juden und Proselyten im pisidischen Antiochia, d.h. einer christlichen Gemeinde außerhalb Jerusalems (vgl. Apg 13,43). Darauf könnte zusätzlich die Nennung Antiochias als Herkunftsort des Philippos verweisen. Dabei könnte es sich aber auch um das syrische Antiochia handeln, das ab Apg 11,26 Wirkungsfeld von Paulus und Barnabas ist und von dem es heißt, dass dort die Jünger zum ersten Mal Cristianoi, genannt wurden. 84 Vgl. JERVELL, Apg, 219. ZMIJEWSKI, Apg, 286. 85 Vgl. FITZMYER, Acts, 350. Er spricht sich aber auch dafür aus, dass die meisten der Sieben wohl Hellenisten und ursprünglich Diasporajuden waren. Vgl. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 242.
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Im Anschluss an die Aufzählung dieses Wahlergebnisses berichtet 6,6a vom weiteren Vorgehen: ou]j e;sthsan evnw,pion tw/n avposto,lwn »Die stellten sie vor die Apostel«. Insofern die Sieben demnach von ihren ‚Wählern‘86 vor die Apostel gestellt werden, wird deutlich, dass die Gemeinde hinter ihnen steht und sie hinsichtlich ihrer Aufgabe bejaht. Wozu aber werden die Sieben genau vor die Apostel geführt? Ein möglicher Hinweis diesbezüglich liegt darin, dass der Zwölferkreis nun oi` avpo,stoloi genannt wird, nicht mehr oi` dw,deka (6,2). Da die Betitelung als »Apostel« stärker mit der Leitungsfunktion und Autorität innerhalb der Gemeinde konnotiert ist als »die Zwölf«, lässt die Gemeinde die Sieben nun vor die Apostel treten, um sie von diesen beglaubigen und bestätigen zu lassen.87 Ebenso fraglich ist die Funktion von Gebet und Handauflegung kai. proseuxa,menoi evpe,qhkan auvtoi/j ta.j cei/raj »und betend legten sie ihnen die Hände auf« (6,6b). Gebet ist innerhalb der Apostelgeschichte von Anfang an als wichtiges Element des idealen Gemeindelebens bekannt, denn zunächst werden die Apostel als Betende dargestellt (Apg 1,14; 3,1; 12,5.12 u.a.) und dann mit ihnen die Gemeinde (Apg 2,42; 4,31; 20,36 u.a.). Dabei geht das Gebet zum Teil der Erfüllung mit dem Heiligen Geist einer Gruppe oder einzelner voraus, zum Teil folgt es der Notiz über die Geisterfüllung, so dass es als Wirkung von letzterer erscheint. So könnte das Gebet auch in Apg 6,6 Hinweis darauf sein, dass die Wahl der sieben Geist erfüllten Männer im Einvernehmen mit Gott stattgefunden hat. In eine ähnliche Richtung weist Apg 1,24, wo die Apostel vor der Nachwahl des Matthias als zwölftem Apostel beten, so dass diese tatsächlich von Gott legitimiert zu sein scheint.88 Dies erinnert an die Wahl der zwölf Apostel durch Jesus (Lk 6,12). Da Jesus davor eine Nacht lang auf dem Berg betet, entsteht der Eindruck, er wähle die Apostel im Dialog mit Gott.89 86
Das Subjekt dieses Relativsatzes ist identisch mit dem von evxele,xanto (6,5b). Vgl. JERVELL, Apg, 219–220. Eine Amtseinführung sieht er nicht, weil es sich nicht um ein Amt handle. Auch von Unterordnung unter die Apostel sei nicht die Rede, selbst wenn die Apostel nach Lk 22,24ff. Leiter des Volkes seien. FITZMYER, Acts, 351 und ZMIJEWSKI, Apg, 288, sprechen sich dagegen für eine Amtseinsetzung durch die Apostel aus, v.a. durch Gebet und Handauflegung. 88 Vgl. FITZMYER, Acts, 351. Er sieht hier einen Hinweis darauf, dass es sich beim Gebet in 6,6 ebenfalls um eine Art Amtseinführung handle. Allerdings ist der Witwendienst, zu dem die Sieben primär gewählt wurden, nicht als ‚Amt‘ im heutigen Sinn zu verstehen, sondern eher als Aufgabe bzw. Dienst. 89 Dies entspricht der Beobachtung, dass Gebet als Kommunikationsform mit Gott im lukanischen Doppelwerk in verschiedenster Weise eine wichtige Rolle spielt. So wird Jesus beispielsweise stärker als Betender und damit unmittelbar mit Gott verbunden, dargestellt als in den anderen Evangelien (vgl. Lk 3,22; 9,28 u.a.). Vgl. KLEIN, Lukasevangelium, 410. 87
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Hilfreich für die Funktion der Verbindung von Gebet90 und Handauflegung ist die Beobachtung, dass Handauflegung im biblischen Sinn grundsätzlich eine Symbolhandlung für die Übertragung von Kraft von einer Person auf eine andere ist. Gemäß ihrer biblischen Grundbedeutung „Segnung“ drückt sie meist Solidarität zwischen Personen aus sowie eine spirituelle Gabe und kann in Ableitung davon in unterschiedlichen Kontexten begegnen.91 Apg 6,6 erinnert am ehesten an Num 27,18-23,92 wo Gott Mose beauftragt, Josua, einem mit Geist begabten Mann (o]j e;cei pneu/ma evn e`autw/| »der Geist in sich hat« Num 27,18b), die Hände aufzulegen (evpiqh,seij ta.j cei/ra,j sou evpV auvto,n »du sollst deine Hände auf ihn legen«), ihn vor den Priester Eleasar und die ganze Gemeinde treten zu lassen (sth,seij auvto,n »ihn [vor den Priester Eleazar] stellen« Num 27,19a) und ihm seine Anweisungen zu geben (Num 27,18-19.22-23). Außerdem soll Mose ihm einen Teil von seiner eigenen Würde geben (dw,seij th/j do,xhj sou evpV auvto,n »etwas von deinem Ansehen auf ihn geben« Num 27,20a), so dass die ganze Gemeinde der Israeliten bei der Einnahme des verheißenen Landes auf ihn hört (Num 27,20). Handauflegung dient hier also der öffentlichen, unmittelbar auf Gott zurückgehenden Beauftragung Josuas, als Moses Nachfolger das Volk Israel bei der Einnahme des verheißenen Landes anzuführen, und ihn zugleich für diesen Auftrag angemessen auszurüsten, indem ihm ein entsprechender Anteil der do,xa des Moses gegeben wird.93
Analog zu Num 27,18-23 kann auch die Handauflegung durch die Apostel als führende Autoritäten des Volkes im Rahmen einer Gemeindeversammlung als eine Art Installationsritus dienen, bei dem den Sieben nicht nur offiziell ihre primäre Aufgabe (in Nachfolge der Apostel) übertragen wird, sondern ihnen möglicherweise auch entsprechende Autorität und Kraft von den Aposteln gegeben wird. Handauflegung findet sich auch in neutestamentlichen Texten als Segensgeste (Mk 10,13) oder als Wundergeste bei Krankenheilungen (Mk 5,23; Lk 4,40; Apg 9,12), Symbol und Mittel der Geistspendung bei oder nach der Taufe (Apg 8,17-18; 19,5-6) und als
90 Die Partizipialkonstruktion proseuxa,menoi evpe,qhkan illustriert diese unmittelbare Verbindung. 91 Als Übertragungs- und Stellvertretungsritus ist Handauflegung bei Opfer- und Entsühnungshandlungen zu finden, z.B. in Lev 1,3ff.; 8,14; 16,21 u.v.m. Bei Gerichtsvorgängen kann sie als Indikationsgestus dienen, z.B. Lev 24,14 und Dan 13,34. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 289. FITZMYER, Acts, 351. 92 Vgl. GAVENTA, Acts, 115. FITZMYER, Acts, 351. ZMIJEWSKI, Apg, 289. In Num 8,10 werden auch die Leviten per Handauflegung beauftragt. 93 Vgl. SEEBASS, HORST, Numeri. 3. Teilband Numeri 22,2-36,13 (BK AT IV/3), Neukirchen-Vluyn 2007, 228–230.
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Ordinationsritus bei Amtseinsetzungen (1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6).94 Gemeinsam ist diesen verschiedenen Sinnpotentialen von Handauflegung, dass als Handlungsträger jeweils Personen mit besonderer Autorität oder Funktion auftreten, nämlich beispielsweise Jesus, die Apostel oder Paulus.
In Apg 6,6 wird die Frage nach der Funktion von Gebet und Handauflegung zusätzlich dadurch erschwert, dass unklar ist, wer diese Handlungen vollzieht, denn Subjekt von kai. proseuxa,menoi evpe,qhkan auvtoi/j ta.j cei/raj »betend legten sie ihnen die Hände auf« könnten entweder die Apostel sein oder aber die gesamte Versammlung samt den Aposteln. Sind die Apostel alleiniges Subjekt, so könnte eher an eine ‚Amtsübertragung‘ gedacht werden, weil sie als Leiter der Gemeinde den Sieben gegenüber höhergestellt sind. Erfolgen Gebet und Handauflegung aber durch die gesamte Versammlung, so handelt es sich wohl eher um eine Delegation zu einer besonderen Aufgabe. Für die Apostel als Subjekt spricht zum einen, dass die Sieben ausdrücklich vor sie gestellt werden, zum anderen, dass in 6,4 Gebet explizit als Aufgabe der Apostel genannt wird. Sie würden hier dann also diesem Dienst nachkommen. Darüber hinaus treten in 6,3 die Apostel als Initiatoren der Wahl auf, die auch die Bedingungen dafür festsetzen.95 Trotz dieser Argumente aus dem Kontext weist die Satzkonstruktion eher daraufhin, dass die gesamte Gemeinde betet und die Hände auflegt, da 6,6b immer noch den Satz von 6,5a fortsetzt und seitdem kein Subjektwechsel stattgefunden hat. Ist die Gemeinde in 6,5a Subjekt der Zustimmung zu den Worten der Zwölf – wenn auch in unpersönlicher Formulierung –, so ist sie es auch in 6,5b bei der Wahl der Sieben und sogar im Relativsatz 6,6a. Nach diesem schließt nun 6,6b mit einem kai, parallel zu 6,5a.b an, so dass nichts darauf hinweist, die Apostel seien nun alleiniges Subjekt.96 Dazu kommt, dass es sich bei der Aufgabe, für die die Sieben 94
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 289. Apg 13,3 dagegen sei keine Ordination im eigentlichen Sinn, sondern höchstens eine Vorstufe dazu. Da die Handauflegung von Gleichrangigen vorgenommen wird, könne sie eher als Aussendung verstanden werden. Ähnlich meint BARRETT, Acts, 316, der Akt deute ein Segnen an, das mit der Einsetzung in eine neue Art von Dienst einhergehe. Ähnlich MUßNER, FRANZ, Apostelgeschichte (NEB.NT 5), Würzburg 1984, 42. WITHERINGTON, Acts, 251. 95 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 288–289. Er spricht sich für eine Handauflegung durch die Apostel aus, da die Apostel ausdrücklich sagen würden, dass sie selbst diese sieben Männer für die genannte Aufgabe einsetzen werden (katasth,somen). Dieses Argument trägt der Text nur zum Teil, da Subjekt zu katasth,somen auch die Apostel zusammen mit der Versammlung sein kann. SCHNEIDER, Apg, 429, lehnt wegen 6,3b ausdrücklich ab, dass die Gemeinde ebenfalls die Hände auflege. 96 Dafür spricht sich auch SPENCER, Acts, 67 aus. Vgl. auch BARRETT, Acts, 315. TALBERT, CHARLES H., Reading Acts. A Literary and Theological Commentary on The Acts of the Apostles, New York 1997, 75.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
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gewählt werden, nach 6,1.2.4 nicht ausdrücklich um ein Amt handelt, sondern um einen Dienst. Demnach gibt es auch gute Gründe dafür, lediglich von einer offiziellen Beauftragung der Sieben durch die Gemeinde und die Apostel im Sinn eines Segens, d.h. dem Ausdruck persönlicher Zuneigung und Übertragung von Kraft für eine bestimmte Aufgabe, zu sprechen.97 Deutlich wird bei dieser Wahl dann insgesamt, wie eng und einmütig die Apostel und die Gemeinde zusammenarbeiten: Haben die Zwölf in 6,2b-4 die Wahl der Sieben initiiert und Bedingungen dafür festgesetzt, so reagiert die Gemeinde sogleich positiv darauf mit Zustimmung und Durchführung der Wahl selbst, bei der die Zwölf zunächst in den Hintergrund rücken, aber dennoch ihre Kriterien und Anweisungen eingehalten werden, wie die Charakterisierung des Stephanus zeigt. Anschließend bindet die Gemeinde ihre Entscheidung wieder an die Apostel zurück, indem sie die Gewählten vor sie treten lässt und ihnen (gemeinsam mit den Aposteln) zur Beauftragung mit Gebet die Hände auflegt.98 Nach dieser Wahl und Einführung der Sieben für den täglichen Tischdienst an den hellenistischen Witwen sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass im Folgenden die Sieben ihre Aufgabe ausführen und sich dadurch die Spannungen, die nach 6,1 die Situation beherrschen, lösen. Apg 6,7 6,7a b c
Kai. o` lo,goj tou/ qeou/ hu;xanen kai. evplhqu,neto o` avriqmo.j tw/n maqhtw/n evn VIerousalh.m sfo,dra( polu,j te o;cloj tw/n i`ere,wn u`ph,kouon th/| pi,steiÅ
6,7a b c
»Und das Wort Gottes wuchs und die Zahl der Jünger in Jerusalem nahm überaus zu, auch eine große Menge der Priester gehorchte dem Glauben.«
Überraschenderweise nimmt 6,7 keinen ausdrücklichen Bezug auf dieses konkrete Problem, sondern vermittelt nun erneut den Eindruck einer spannungsfreien Gemeinde, indem ein dreifaches Wachstum notiert wird: (a) des Wortes Gottes, (b) der Anzahl der Jünger in Jerusalem, (c) der gläubig gewordenen Priester.
97 Sollte hier also nicht die Hierarchie im Vordergrund des Interesses stehen, läge darin eine weitere Parallele mit Num 27,18-23 vor. Dort wird nämlich besonders in Vers 19 deutlich, dass durch das Vorgehen keine Unterordnung Josuas betont wird, denn schließlich soll Josua vor die Gemeinde treten, die er führen soll. Auch mit Eleasar ist keine Überordnung anvisiert. Vielmehr bezeichnet dieser die neben Mose wirkende Amtsperson, die Moses herausragender Gefährte war. Vgl. SEEBASS, Numeri, 229. 98 Ähnlich ZMIJEWSKI, Apg, 288.
2 Lektüre von Apg 6,1-7
125
Die Wendung kai. o` lo,goj tou/ qeou/ hu;xanen »und das Wort Gottes wuchs« (6,7a), die nur im lukanischen Doppelwerk zu finden ist,99 erinnert an den Dienst am Wort Gottes, der als spezielle Aufgabe der Zwölf vorgestellt wurde (6,2.4). Innerhalb des bisherigen Erzählberichts wird hier demnach auf den kontinuierlichen Verkündigungsdienst der Apostel hingewiesen, wie auch das Imperfekt von auvxa,nw unterstreicht. Das starke zahlenmäßige Wachstum der Jünger in Jerusalem kai. evplhqu,neto o` avriqmo.j tw/n maqhtw/n evn VIerousalh.m sfo,dra »und die Zahl der Jünger in Jerusalem nahm überaus zu« (6,7b) kann dann als Effekt der Verkündigung verstanden werden, in dem Sinn, dass die Zahl derer zunimmt, die das Wort Gottes annehmen. Diesen Zusammenhang zwischen dem Wachstum des Wortes Gottes und dem der Jünger legt zusätzlich der Parallelismus von Apg 6,7a.b nahe.100 Außerdem greift die Formulierung kai. evplhqu,neto o` avriqmo.j tw/n maqhtw/n evn VIerousalh.m sfo,dra die Notiz von der zahlenmäßigen Zunahme der Jünger in 6,1 auf (plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n), so dass der Bericht über die Konfliktsituation und die Wahl der Sieben von diesen beiden Wachstumsnotizen gerahmt wird. So entsteht der Eindruck, die Wahl der Sieben habe tatsächlich zur Konfliktlösung beigetragen, insofern die Gemeinde weiter wachsen kann. Während in 6,1 Jerusalem als Schauplatz vorausgesetzt wird, erwähnt 6,7b Jerusalem ausdrücklich, so dass nicht nur die zahlenmäßige Zunahme in der Gemeinde von Jerusalem lokalisiert wird, sondern nachträglich auch die gesamte Szene. Außerdem wird im Vergleich zu 6,1 durch den Zusatz sfo,dra und das Imperfekt evplhqu,neto als Ausdruck kontinuierlicher Zunahme eine Steigerung hinsichtlich des Wachstums verzeichnet.101 Darüber hinaus setzt 6,7b auch die bisherigen Wachstumsnotizen fort. Während diese konkrete Zahlenangaben enthalten (vgl. Apg 1,15: die ursprüngliche Zahl der Jünger betrug 120; Apg 2,41: an Pfingsten kommen ca. 3.000 dazu; Apg 4,4: noch einmal 5.000), lässt Apg 6,7b mit der undefinierten Angabe sfo,dra lediglich auf ein – noch weiter gesteigertes – sehr hohes Wachstum schließen.102 Diese unbestimmte Wachstumsnotiz ähnelt der Aussage in Apg 5,14 (»umso mehr« (ma/llon) an den Herrn Glaubende wurden hinzugefügt, »Mengen« (plh,th) an Männern und Frauen), im Rahmen der summarischen, idealisierenden Darstel99
Vgl. JERVELL, Apg, 220. Zu Wachstumsnotizen vgl. JERVELL, Apg, 220. Vgl. Apg 12,24; 19,20; auch 13,49. In 12,24 findet sich sowohl auvxa,nw als auch plhqu,nw. Für Jervell entspricht diese Formulierung dem Ausdruck, dass viele „dem Herrn hinzugetan wurden“ u.a. 2,41.47; 5,14; 11,24; auch 4,4; 9,35.43; 19,21. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 474–475. FITZMYER, Acts, 351. Vgl. auch Lektüre von Apg 7,17. 101 Vgl. JERVELL, Apg, 220. ZMIJEWSKI, Apg, 290. 102 Vgl. FITZMYER, Acts, 351. Ausführlich zu den Wachstumsnotizen vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 474–475. 100
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
lung des Wunderwirkens der Apostel, die unmittelbar an die Störung der Gemeinschaft durch Hananias und Saphira anschließt. So zeigen diese beiden Problemschilderungen eine analoge Dynamik, insofern der Konfliktsituation jeweils unmittelbar ein Bericht über ein stetiges Wachstum und einen erneuten Idealzustand der Gemeinde folgt. Überraschenderweise wird in 6,7c ein dritter Zuwachs betont:103 polu,j te o;cloj tw/n i`ere,wn u`ph,kouon th/| pi,stei »auch eine große Menge der Priester gehorchte dem Glauben«. Da Priester weder in bisherigen Wachstumsnotizen eigens genannt werden noch in der Erzählung seit 6,1 auftauchen, stellt sich die Frage, welche Funktion ihnen an dieser Stelle zukommt. Im lukanischen Doppelwerk begegnet das Priestermotiv – im Vergleich zur Beobachtung, dass es in neutestamentlichen Texten eine recht geringe Rolle spielt – vergleichsweise besonders pointiert.104 Als erster Protagonist des Lukasevangeliums wird der Priester Zacharias eingeführt (Lk 1,5: i`ereu,j tij ovno,mati Zacari,aj) und zusammen mit seiner Frau Elisabet, die ebenfalls priesterlicher Abstammung ist, als gewissermaßen vorbildlicher, gesetzestreuer Israelit beschrieben (Lk 1,6: h=san de. di,kaioi avmfo,teroi evnanti,on tou/ qeou/( poreuo,menoi evn pa,saij tai/j evntolai/j kai. dikaiw,masin tou/ kuri,ou a;memptoi. »Und sie waren beide gerecht vor Gott, indem sie untadelig wandelten in allen Geboten und Gesetzen des Herrn.«).105 Dieser Charakterisierung entspricht die Schilderung, dass ihm bei der vorschriftsgemäßen Darbringung des Rauchopfers im Tempel ein Engel des Herrn erscheint und ihm die Geburt des Johannes ankündigt. Auch im weiteren Verlauf der Episode zeigt sich, dass sich Zacharias seiner Funktion als Priester entsprechend durch besondere reziproke Nähe zu Gott kennzeichnet (vgl. Lk 1,57-80; besonders 1,67-79). Neben der Erwähnung von i`ereu,j in Lk 5,14; 17,14 mit Hinweis auf die Rolle, gemäß der Aussatztora Lev 13-14 durch Jesus geheilte Aussätzige zu reinigen bzw. dadurch die Heilung durch Jesus zu bestätigen, findet sich in der Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter Lk 10,30-35 eine kritische Darstellung eines Priesters. Es wird nämlich erzählt, wie ein Priester und ein Levit, obwohl sie beide die distinkte Gottesbeziehung Israels, die im Jerusalemer Tempelkult zum Ausdruck gebracht wird, perso103 Dass diese Aussage über die Priester eng mit den beiden anderen Aussagen verbunden wird, zeigt der Anschluss mit te an. Die Kombination polu,j und o;cloj gleich am Satzanfang betont die große undefinierte Menge an Priestern. Das Imperfekt impliziert einen dauerhaften Gehorsam, ähnlich wie 6,7a.b. 104 Vgl. SCHRENK, GOTTLOB, i`ereu,j, in: THWNT III, 257–265, hier 263–264. 105 Vgl. BOVON, Evangelium nach Lukas, 52–53. WOLTER, Lukasevangelium, 74. Auf eine Anspielung auf Zacharias verweist auch BRUCE, FREDERICK F., The Book of Acts, Grand Rapids, Mich. 2008, 123.
2 Lektüre von Apg 6,1-7
127
nifizieren,106 an einem Verletzten auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho vorübergehen, während sich ein Samaritaner sich ihm annimmt. In einer negativen Rolle sind die Priester auch aus Apg 4,1 bekannt, wo sie zusammen mit dem Tempelhauptmann und den Sadduzäern als Gegner der Apostel und ihrer Verkündigung auftreten.107 Gegenüber den kritischen Bildern der Priester im lukanischen Doppelwerk wirkt die Notiz in Apg 6,7c nun als Kontrastbild, das den Erfolg des Wachstums des Wortes zusätzlich verstärkt.108 Angesichts der positiven Darstellung eines Priesters in Gestalt des Zacharias, der in vorbildlicher Weise die besondere Gottesbeziehung Israels zur Anschauung bringt, indem er treu gegenüber dem Gesetz und dem Tempeldienst ist, kann Apg 6,7c als eine Art Ergänzung gelesen werden: Mit der Erwähnung, dass eine »große Menge« (polu,j o;cloj) genau solcher Priester »dem Glauben gehorcht«, also an Jesus Christus glaubt,109 wird implizit ausgedrückt, dass zur Gemeinde von Jerusalem sogar einige dieser gesetzes- und tempeltreuen Priester gehören.110 Diejenigen, die die besondere Nähe zwischen Gott und Israel repräsentieren, ‚gehorchen‘ nun auch zusätzlich dem Glauben (an Christus). Worin die ursprüngliche Funktion der Priester liegt, zeigt sich auch in der Erzählung vom Erscheinen Gottes vor Israel am Sinai Ex 19,3-25. Innerhalb der Rede Gottes wird näm106
Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 396. Vgl. SPENCER, Acts, 66. Auch in Lk 1,5-25.57-80 werde Zacharias bereits als Kontrast zur sonst negativ konnotierten Priesteraristokratie abgesetzt; ähnlich auch der Levit Barnabas in Apg 4,36-37. Auch LARKIN, WILIAM J., Acts (The IVP New Testament Commentary Series, 5), Downers Grove u.a. 1995, 102, verweist auf den Kontrast zu Apg 4,1, daneben Apg 5,17. 108 Selbst wenn die Priester im weiteren Verlauf von Apg 6,1-8,3 nicht mehr auftreten, können sie mit Blick auf die gesamte Stephanusepisode an dieser Stelle als Vorverweis auf die Gesetzes- und Tempelthematik fungieren, die in der Auseinandersetzung mit Stephanus eine zentrale Rolle spielt (vgl. Apg 6,13-14; Apg 7,48-50). ZMIJEWSKI, Apg, 290, sieht in diesen ‚Christus gläubigen‘ Priestern einen Gegenpol zu den führenden Schichten des Volkes, nicht zuletzt den Synedristen, die als Gegner des Stephanus dargestellt werden. Ähnliche Rolle würden sie in der Verfolgung der Gemeinden durch Paulus einnehmen (Apg 9,1-2; 22,5; 26,10), die hier schon vorbereitet werde. Ähnlich JERVELL, Apg, 220. 109 pi,stij bedeute hier in einem objektiven Sinn den christlichen Glauben und die ihm entsprechende Lebensweise, vgl. etwa Lk 8,21; 11,28; 18,8; 22,32; Apg 11,24; 13,8. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 430. Ähnlich JERVELL, Apg, 221. FITZMYER, Acts, 351, sieht grundsätzlich die Möglichkeit, dass hier essenische Priester gemeint sind, weil der ursprüngliche Kern der Qumramischen Essener aus Priesterfamilien stammte, aber wohl nicht ausschließlich, da wegen 6,7b wohl die Rede von Priestern in Jerusalem sei, wo es natürlich auch essenische Priester gegeben habe. 110 Vgl. auch TANNEHILL, Narrative, 81. Ähnlich ROLOFF, Apg, 110–111. Hier sei angezeigt, dass nun alle Gruppen und Kreise des Volkes in der Gemeinde repräsentiert sind. 107
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
lich in Ex 19,22 erstmals die Aufgabe der Priester thematisiert:111 kai. oi` i`erei/j oi` evggi,zontej kuri,w| tw/| qew/| a`giasqh,twsan mh,pote avpalla,xh| avpV auvtw/n ku,rioj … »Und die Priester, die sich Gott nähern, sollen sich heiligen, damit der Herr sich nicht von ihnen abwende. …« Diese Erwähnung der Priester die nicht als Institution, sondern als oi` evggi,zontej kuri,w| tw/| qew/| eingeführt werden, enthält implizit das Grundproblem dieses Textes: die Frage der Nähe zu Gott. Während das Thema der Heiligkeit in Ex 19,12ff. von den Personen her bedacht wird, betrachtet Ex 19,20-24 es vom Gedanken der Heiligkeit des Raumes und unterstreicht, dass die räumliche Heiligkeitskonzeption der personalen korrespondiert.112 Die Charakterisierung der Priester greift außerdem das Thema der Gottesbeziehung Israels auf, das für Ex 19 zentral ist. So beauftragt Gott Mose in Ex 19,6, dem Volk mitzuteilen: u`mei/j de. e;sesqe, moi basi,leion i`era,teuma kai. e;qnoj a[gion tau/ta ta. r`h,mata evrei/j toi/j ui`oi/j Israhl »Ihr aber sollt für mich ein königliches Priestergemeinwesen und ein heiliger Volksstamm sein.« Als Bedingung für diese herausragende Stellung Israels nennt Gott, auf seine Stimme zu hören und den Bund zu halten: kai. nu/n eva.n avkoh/| avkou,shte th/j evmh/j fwnh/j kai. fula,xhte th.n diaqh,khn mou e;sesqe, moi lao.j periou,sioj avpo. pa,ntwn tw/n evqnw/n evmh. ga,r evstin pa/sa h` gh/ »Und jetzt, wenn ihr meine Stimme wirklich hört und meine Verfügung bewahrt, sollt ihr mir ein kostbares Volk von allen Volksstämmen sein. Mein ist nämlich die ganze Erde« (Ex 19,5). In Ex 19,5-6 geht es also um die Identität Israels als erwähltes Eigentumsvolk Gottes in Abgrenzung von allen Völkern. Wenn diese Hervorhebung Israels in Ex 19,6 mit dem Begriff der Priesterschaft (i`era,teuma) umschrieben wird, zeigt sich, dass Israel im Hören auf Gottes Stimme und im Halten seines Bundes die ansonsten Priestern vorbehaltene „besondere Gottesnähe bzw. einzigartige Gottesbegegnung“113 gewährt wird.
Die Verwendung des Priestermotivs in Ex 19 macht also deutlich, dass die ursprüngliche Funktion von Priestern in der besonderen Nähe zu Gott und damit in der Repräsentation der Identität Israels als erwähltes Volk Gottes 111 Vgl. FISCHER, GEORG/MARKL, DOMINIK, Das Buch Exodus (NSK.AT 2), Stuttgart 2009, 218. 112 Vgl. DOHMEN, CHRISTOPH, Exodus 19-40 (HThK.AT), Freiburg/Basel/Wien 2004, 75. Durch die Formulierung der Heiligkeit in Bezug auf die Priester und im Anschluss daran in Bezug auf den Berg würden nämlich Heiligkeitsbereiche als getrennte und aufeinander bezogene entfaltet. Besonders deutlich werde dies in Verbindung mit V 10.14, wo das Volk geheiligt werde. In diese Darstellung der Korrespondenz von räumlicher und personaler Heiligkeitskonzeption füge sich auch die Erwähnung in Ex 19,24 ein, die Priester sollen nicht gewaltsam versuchen, zu Gott hinaufzusteigen. Es gehe also nicht um unterschiedliche Grenzziehungen für verschiedene Personengruppen, sondern um den Umgang mit dem Heiligen. 113 DOHMEN, Exodus, 63. Die Bezeichnung „Heiliges Volk“ sei nicht primär aus der Charakterisierung des priesterlichen Königreiches entwickelt, sondern im Blick auf die bevorstehende Gottesbegegnung, die ein „heiliges Volk“ verlange, weil Gott selbst heilig ist, und es keine Unmittelbarkeit zwischen dem Heiligen und dem Profanen geben könne (vgl. Ex 19,10; Dtn 28,9).
2 Lektüre von Apg 6,1-7
129
besteht. Die eigentlich nur Priestern zukommende Gottesnähe kann aber auch auf das Volk unter den Bedingungen des Gehorsams und der Bundestreue übertragen werden. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass in Apg 6,7c Gottesnähe und Glaube an Jesus Christus114 also ausgerechnet bei dieser Personengruppe, die die Identität Israels als erwähltes, Gott besonders nahes Volk verkörpert, miteinander kombiniert werden. Deutet sich damit möglicherweise eine Veränderung der Identität des Volkes an? Insgesamt trägt diese dreifache Wachstumsnotiz von 6,7 im bisherigen Lektüreverlauf erneut zum Bild einer kontinuierlich wachsenden idealen Gemeinde in Jerusalem bei. Dieses wird hier sogar noch weiter gesteigert, indem von einem sehr großen zahlenmäßig unbestimmten Zuwachs die Rede ist und unter den Mitgliedern sogar die Priester, die nicht nur als gesetzes- und tempeltreue Oberschicht (Apg 4,1), sondern auch als das erwählte Israel repräsentierende und Gott besonders nahe (Ex 19,5-6.22; Lk 1,5) Personengruppe bekannt ist, eigens hervorgehoben wird. Als eigentlich bewegende Kraft, die zwar an sich eine innere Größe ist, aber nach außen (im starken Zuwachs) wirksam wird, zeigt sich das Wort Gottes, dessen »Wachstum« als erstes festgehalten wird. Da die Gemeinde demnach trotz der zwischenzeitlichen Konfliktsituation scheinbar wie bisher einen harmonischen Idealzustand zeigt, kann darauf geschlossen werden, dass die Wahl der Sieben zur Konfliktlösung beigetragen hat, wie beabsichtigt.115 Allerdings geht 6,7 nicht mehr explizit auf die konkrete Situation ein, so dass die Dynamik der Erzählung von 6,1-6 durch diese allgemein gehaltene summarische Wachstumsnotiz retardierend angehalten wird. Damit markiert sie zum einen den Abschluss des bisherigen Erzählberichts, zumal dieser durch Wiederaufnahme von 6,1 eingerahmt wird. Zum anderen öffnet sie den Text aber auch, insofern sie zusammenfassend die Situation skizziert, die für das Folgende den Hintergrund bietet. 2.3 Fazit Das kurze Erzählstück Apg 6,1-7 berichtet, dass in der wachsenden Jerusalemer Gemeinde eine mangelhafte Versorgung der bedürftigen hellenistischen Witwen Unmut erregt. Damit fügt sich diese Szene in das von Apg 1-5 gezeichnete Bild der Gemeinde von Jerusalem, die sich aufgrund der Verkündigung des Wortes durch die Apostel in einem stetigen Wachstumsprozess befindet, aber auch mit Konflikten mit den Jerusalemer Autoritäten (Apg 4,1-3.17-19; 5,17-18.21-42) und mit einzelnen Gemeindemit114 115
Siehe oben: Erklärung zu u`ph,kouon th/| pi,stei (Apg 6,7c). Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 290.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
gliedern (Apg 5,1-11) konfrontiert wird. Im Vergleich zu Letzterem erscheint das in 6,1 erwähnte Murren der Hellenisten gegen die Hebräer allerdings als Ausdruck eines Konflikts auf der Gemeindeebene mit einem gesteigerten Ausmaß. Der bisher als ein Ideal geschilderte Zustand eines harmonischen Gemeindelebens (Apg 2,42-43; 4,32-33), der durch diese Witwenproblematik erneut ins Wanken gerät, wird durch den Umgang damit in 6,2-6 doch weiter aufrechterhalten. Denn die Wahl von sieben Männern, die primär für den Witwendienst zuständig sein sollen, erzeugt erneut das Bild einer gut funktionierenden und in einer Art Arbeitsteilung zusammenwirkenden Gemeinde. Außerdem wird im Anschluss daran ein weiteres, sogar gesteigertes Wachstum der Jerusalemer Gemeinde notiert (6,7). Auch damit ordnet sich Apg 6,1-7 in die Dynamik der Schilderung von Apg 4-5 ein, in der Störungen des Idealbildes jeweils in eine erneute Auflösung ins Ideal münden (vgl. Apg 4,32-37: Idealzustand – Apg 5,1-11: Konflikt – Apg 5,12-16: erneuter Idealzustand). Da sowohl das Problem der Witwenversorgung als Konfliktherd als auch die Wahl der Sieben nur knapp umrissen werden, ist es kaum möglich aus Apg 6,1-7 eine reale Situation zu konstruieren. Selbst wenn sich historische Ereignisse im Text niedergeschlagen haben können, präsentiert er sich im Kontext des lukanischen Doppelwerks als Stilisierung einer idealen Konfliktlösung in einer Krisensituation der Gemeinde von Jerusalem.116 So wird der Witwenkonflikt vor allem vor dem Hintergrund der Kontrastfolie der idealen Jerusalemer Gemeinde sowie Gott und Jesus als Idealvorbildern der Witwensorge greifbar. Dass das Problem der Witwenversorgung nicht nur eine soziale, sondern auch eine theologische Dimension hat, zeigt darüber hinaus die Anspielung an das Murren Israels gegen Gott im Kontext des Mannawunders (Ex 16). Auch die Konfliktlösung wird mithilfe intertextueller Referenzen idealisiert. In Analogie zur Wahl nachträglicher Anführer des Volkes Israel als Unterstützung für Mose (Num 11,13-17; Dtn 1,13-15 in Aufnahme von Ex 18,13-26) ist an der Konfliktlösung die gesamte Gemeinde – initiiert von den Zwölf als privilegierte Jünger Jesu und Repräsentanten des wiederhergestellten Israel – beteiligt. Während bei der Schilderung der Konfliktlösung Wahlmodus und -vorgang in den Hintergrund rücken, sind primär die Wahlkandidaten mit ihren Qualifikationen (marturou,menoi( plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj) von Interesse. Von diesen wird besonders Stephanus hervorgehoben, der mit Zügen einer prophetischen Gestalt und in Analogie zum lukanischen Jesus charakterisiert wird. Somit stellt Stephanus eine Verbindung zur ‚Jesus-Christus-Geschichte‘ des Lukasevangeliums dar 116
Ähnlich PENNER, Praise, 275–276.
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
131
und verweist zugleich auf die folgende Episode, als deren Hauptfigur er geschildert wird. Insgesamt ist das Erzählstück Apg 6,1-7 zum einen deutlich in den ersten Abschnitt der Apostelgeschichte, der Verkündigung in Jerusalem, eingebunden. Zum anderen öffnet sich der Text durch die Einführung neuer Personengruppen (Hellenisten, Hebräer, die Sieben), einer neuen Konfliktdimension und neuer Figuren – besonders Stephanus, aber auch Philippus – für die Fortsetzung der Erzählung vom „Weg des Heils“.
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1 3.1 Strukturanalyse Nach einer kurzen summarischen Notiz über das Wirken des Stephanus (6,8) erzählt 6,9-12 von sich steigernden Angriffen gegen Stephanus durch verschiedene Personengruppen. Zunächst wird in 6,9-10 von Auseinandersetzungen zwischen Vertretern hellenistischer Synagogen und Stephanus berichtet, wobei Stephanus aufgrund seiner Begabung mit Weisheit und Geist diesen Kritikern überlegen ist. Daraufhin lasten ihm laut 6,11 heimlich angestiftete Männer Blasphemie an, und das Volk samt Presbytern und Schriftgelehrten wird gegen Stephanus aufgehetzt (6,12a). Letztendlich wird Stephanus sogar vor das Synedrium geschleppt (6,12b), woraufhin ab 6,13 der Beginn einer Gerichtsverhandlung geschildert wird. 6,13-14 geben in direkter Rede die Anklagen von Falschzeugen gegen Stephanus wieder: Er kritisiere Tempel und Gesetz (6,13) und behaupte, auch Jesus, der Nazoräer, wollte den Tempel und das Gesetz auflösen (6,14). Indem 6,15 Stephanus in der außergewöhnlichen Erscheinung eines engelgleichen Gesichts beschreibt, wird die Gerichtsverhandlung unterbrochen. Erst 7,1 nimmt sie mit der Frage des Hohenpriesters, mit der Stephanus zur Stellungnahme aufgefordert wird, wieder auf. So kann man Apg 6,8-7,1 folgendermaßen gliedern:117
117
Denkbar wären auch andere Gliederungsmöglichkeiten. Beispielweise könnte 6,8 auch als Abschluss von 6,1-7 gelesen werden. ZMIJEWSKI, Apg, 295, schlägt vor, 6,11-14 als einen Abschnitt zu betrachten. Dabei wird allerdings dem Ortswechsel in 6,12b keine Aufmerksamkeit geschenkt.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
132 6,8 6,9-12
6,13-7,1
Summarische Notiz über das Wirken des Stephanus im Volk Vorgehen gegen Stephanus 6,9-10 Auseinandersetzung mit hellenistischen Synagogenmitgliedern 6,11 Intrige gegen Stephanus 6,12a Hetzkampagne gegen Stephanus 6,12b Stephanus wird vor das Synedrium geschleppt Gerichtsszene 6,13-14 Anklage gegen Stephanus durch Falschzeugen 6,15 Engelsähnliches Erscheinen des Stephanus 7,1 Frage des Hohenpriesters
3.2 Lektüre Apg 6,8 6,8
Ste,fanoj de. plh,rhj ca,ritoj kai. duna,mewj evpoi,ei te,rata kai. shmei/a mega,la evn tw/| law/|Å »Stephanus aber, erfüllt von Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen im Volk.«
Die pointierte Stellung Ste,fanoj de, am Satzanfang von 6,8 markiert einen Neueinsatz, weil damit die Person hervorgehoben wird, die im folgenden Abschnitt im Zentrum steht. Zugleich knüpft Vers 8 hiermit an das Vorangehende an, wo Stephanus ebenfalls schon durch seine Position an erster Stelle der Siebenerliste und durch die Charakterisierung in 6,5 hervorgehoben wird.118 Noch deutlicher wird diese Verknüpfung durch die Beschreibung des Stephanus als plh,rhj ca,ritoj kai. duna,mewj »erfüllt von Gnade und Kraft«, die an seine Charakterisierung plh,rhj pi,stewj kai. pneu,matoj a`gi,ou »erfüllt von Glaube und heiligem Geist« in 6,5 erinnert. Indem diese beiden Eigenschaften, die neben der besonderen Zugehörigkeit zur Gruppe der Sieben bisher die einzigen Informationen über Stephanus sind, hier wieder eingespielt werden, werden sie zugleich betont. Inwiefern bringt allerdings die Variation in der Formulierung im Vergleich zu 6,5 inhaltliche Unterschiede mit sich?
118 Auch die Konjunktion de,, die hier wohl als bloße Übergangspartikel zu verstehen ist, deutet eine Verbindung zu 6,1-7 an. Gegen einen adversativen Gebrauch von de, an dieser Stelle spricht, dass in 6,7 vom großen Wachstum der Gemeinde die Rede ist, das in engem Zusammenhang mit der Wahl der sieben Tischdiener und der Verkündigung des Wortes Gottes zu stehen scheint. Vgl. Lektüre von Apg 6,1-7.
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
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Ca,rij umfasst als Wiedergabe des hebräischen dsx „Freundlichkeit gegenüber anderen Menschen wie auch der Zuneigung JHWHs“119, also ein auf Gegenseitigkeit und Dauer angelegtes solidarisches Verhalten gegenüber den Mitmenschen, bei dem Gott eine wesentliche Rolle spielt. Du,namij bedeutet im Neuen Testament zunächst – geprägt von der du,namij Jesu – »prophetische Kraft«, aber vor allem im lukanischen Doppelwerk auch »Wunderkraft«. Ganz allgemein beinhaltet du,namij aber eine Fähigkeit,120 so dass hier insgesamt über Stephanus ausgesagt wird, er habe »Kraft« bzw. »Fähigkeit zu etwas«. Wozu Stephanus aufgrund seines Erfülltseins mit Gnade und Kraft fähig ist, berichtet sofort die Fortsetzung von Vers 8:121 evpoi,ei te,rata kai. shmei/a mega,la evn tw/| law/| »[Stephanus] tat Wunder und große Zeichen im Volk.« Die grundsätzliche Aussage,122 dass er Wunder und große Zeichen wirkt, verleiht der Figur des Stephanus zwar etwas mehr Profil, das aber dennoch skizzenhaft bleibt, da sein Wunder- und Zeichenwirken nur ganz allgemein ohne spezielle Beispiele notiert wird.123 Durch das Adjektiv mega,la wird sein Wirken zusätzlich als bedeutungsvoll qualifiziert. Die betont am Ende des Satzes angegebene Zielgruppe evn tw/| law/|124 zeigt erneut die allgemeinen und umfassenden Ausmaße von Stephanus’ Wirksamkeit an, konkretisiert sein Wirken aber zugleich und stellt eine Verbindung zum Idealbild der Jerusalemer Gemeinde von Apg 1-5 her.
119 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 348, s. auch Anm. 48. Besonders Lukas verwendet ca,rij selten allein auf der zwischenmenschlichen Ebene, vgl. Apg 4,33; Lk 1,30; 2,40.52. 120 Vgl. FRIEDRICH, GERHARD, du,namij, in: EWNT2 I, 860–867. Vgl. Lk 4,14.36; 24,19; Apg 1,8; 4,33 u.a. 121 Auch die Wortstellung, d.h. die Charakterisierung plh,rhj ca,ritoj kai. duna,mewj zwischen Stephanus als Subjekt des Satzes und dem Verb, bestätigt, dass das Ausführen von großen Wundern und Zeichen mit dieser (besonderen) Begabung zusammenhängt. 122 Der Wechsel des Tempus vom Aorist hin zum Imperfekt deutet an, dass es sich um ein dauerhaft anhaltendes Wunderwirken handelt. 123 Vgl. FITZMYER, Acts, 356. 124 o` lao,j meint im lukanischen Doppelwerk das Gottesvolk, zu dessen Rettung Gott aktiv geworden ist. KLEIN, Lukasevangelium, 241, bezeichnet es als „das machtlose, auf Hilfe angewiesene, zum Hören bereite, aufgeschlossene Gottesvolk“. Grundsätzlich ist der Begriff positiv konnotiert, negativ nur, wenn der lao,j sich gegen die Botschaft stellt. Während lao,j oder pa/j o` lao,j die Gesamtheit des Volkes meint, bezeichnet plh/qoj tou/ laou/ die konkrete Volksmenge (vgl. 6,2). Der o;cloj unterscheidet sich vom lao,j nur insofern als er sich aus zufällig zusammenkommenden Menschengruppen zusammensetzt. Zum Unterschied zwischen den beiden Begriffen vgl. Lk 20,1-26. Vgl. KLEIN, Lukasevangelium, 241. WOLTER, Lukasevangelium, 638–639. Zu lao,j vgl. auch NEUBRANDT, Israel, 21–23. Durch die Verwendung des Lexems o` lao,j in 6,8 wird also eine umfassende Wundertätigkeit des Stephanus in Jerusalem verdeutlicht. Vgl. JERVELL, Apg, 224. FITZMYER, Acts, 356.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Die Wendung te,rata kai. shmei/a findet sich innerhalb der Apostelgeschichte zum ersten Mal125 in der Deutung des Pfingstereignisses Apg 2,17-21 mit Worten aus Joel 3,1-5 als eschatologisches Ausgießen des Geistes über alle Menschen durch Gott selbst. Als Wirkung dieser Geistausgießung wird angekündigt, alle Menschen würden gleichgestellt und Propheten werden (Apg 2,17-18), und Gott werde Wunder und Zeichen tun: kai. dw,sw te,rata evn tw/| ouvranw/| a;nw kai. shmei/a evpi. th/j gh/j ka,tw( ai-ma kai. pu/r kai. avtmi,da kapnou/. »Und ich werde Wunder am Himmel oben und Zeichen auf der Erde unten geben, Blut und Feuer und Dampf von Rauch.« (Apg 2,19) Demnach ist es hier Gott selbst, der Zeichen und Wunder wirkt und damit letztendlich universales und eschatologisches Heil anzielt (Apg 2,21).126 Ausgehend davon rekurriert Apg 2,22 auf die Wunder- und Zeichentätigkeit Jesu, in der eigentlich Gott handelt und Jesus beglaubigt. Gleich nach Pfingstereignis und -rede berichtet Apg 2,43, dass auch die Apostel aufgrund der Geisterfüllung Wunder und Zeichen wirken: polla, te te,rata kai. shmei/a dia. tw/n avposto,lwn evgi,neto. »und viele Wunder und Zeichen durch die Apostel geschahen.« (Apg 2,43)127
Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass die von Stephanus vorgestellten Charakteristika plh,rhj pi,stewj kai. pneu,matoj a`gi,ou (6,5) und plh,rhj ca,ritoj kai. duna,mewj (6,8) einander korrespondieren, insofern pneu/ma eine du,namij bewirkt, die in Zeichen- und Wundertätigkeit im Volk Gestalt annimmt.128 Außerdem deuten dieser Zusammenhang und die Ähnlichkeit mit der Schilderung der Apostel in Apg 1-5 an, dass auch Stephanus durch sein Wirken zum stetigen Wachstum der Gemeinde beiträgt. Darüber hinaus gewinnt das Profil des Stephanus schärfere Konturen, indem seine Beschreibung als erfüllt mit pneu,ma, ca,rij und du,namij die 125
Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 348. Dass ursprünglich Gott mit seinem Zeichen- und Wunderwirken (shmei/a kai. te,rata) Heil anzielt, wird zum ersten Mal in Gottes Ankündigung seiner Zeichen und Wunder in Ägypten (Ex 7,3) ausgedrückt, insofern die darauf folgenden Plagen (Ex 7,810,29) schließlich dazu führen, dass Israel aus Ägypten ausziehen kann. Dementsprechend dient von da an die Doppelform tera,ta kai. shmei/a als Chiffre für das Befreiungshandeln Gottes für Israel, wie z.B. in Dtn 6,22; 7,19; Ps 77,43; 134,9 LXX; Jer 32,20. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 348–349. 127 Das Wunder- und Zeichenwirken der Apostel wird weiterhin in Apg 4,30-31; 5,12 erwähnt. Im weiteren Verlauf der Apg wird diese Kette von Zeichen- und Wunderwirkmächtigkeit auch durch Philippus (Apg 8,13) sowie Paulus zusammen mit ihm Barnabas verlängert (Apg 14,3; 15,2). SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 348, betont, dass te,rata kai. shmei/a (auch in umgekehrter Reihenfolge) im lukanischen Doppelwerk dadurch qualifiziert sind, dass von ihnen in dieser geprägten Sprachform erst nach dem Pfingstereignis, also nach der „Be-Geisterung“, die Rede ist. 128 Vgl. JERVELL, Apg, 224, der einen Zusammenhang zwischen Apg 6,5 und 6,8 sieht: ca,rij sei dasselbe wie pi,stij und ungefähr dasselbe wie du,namij. Letzteres sage mit anderen Worten aus, dass Stephanus geisterfüllt ist, denn Geist sei die Kraft in den Wundern und Zeichen. 126
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
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Darstellung Jesu zu Beginn seines öffentlichen Wirkens Lk 4,14-30 und den Rückblick darauf Lk 24,19 einspielt.129 Jesus wird zum einen schon durch den Hinweis auf seinen Besitz der du,namij tou/ pneu,matoj »Kraft des Geistes« (Lk 4,14) als Prophet gekennzeichnet, zum anderen aber besonders, indem er den Sendungsauftrag Jesajas verliest und daraufhin deutet (Lk 4,1821). Dabei verschmelzen nämlich das Ich des Jesaja-Textes und das Ich Jesu derart, dass Jesus und der Prophet samt seinem Sendungsauftrag miteinander identifiziert werden.130 Dadurch wird der Sendungsauftrag Jesu zunächst als Verkündigung des Heils und darüber hinaus sogar als Erfüllung dieser prophetischen Heilsverheißungen gedeutet.131 Diese Charakterisierung Jesu als wahrer Prophet, der die schriftgemäßen Heilsverheißungen erfüllt, wird auch im Rückblick der Emmausjünger auf Jesu Handeln bestätigt. So sagen sie in Lk 24,19b über Jesus: o]j evge,neto avnh.r profh,thj dunato.j evn e;rgw| kai. lo,gw| evnanti,on tou/ qeou/ kai. panto.j tou/ laou/. »der war ein Mann, ein Prophet mächtig in Werk und Wort vor Gott und dem ganzen Volk.«132
Durch diese wörtlichen Verknüpfungen zur Charakterisierung Jesu als wahrer Prophet mit dem Auftrag, die Heilsverkündigungen der Schrift zu erfüllen, wird Stephanus als prophetische Gestalt in Analogie zu Jesus gezeichnet. Sogar eine strukturelle Ähnlichkeit zu Jesus ist zu erkennen, insofern er laut Lk 4,14-30 von seinem ersten öffentlichen Auftreten an als Prophet vorgestellt wird, und Stephanus ebenfalls von seiner ersten Erwähnung an prophetische Züge annimmt. Da Stephanus somit in eine Folie eingezeichnet wird, die der Leser nicht nur aus der Geschichte Jesu, sondern auch von anderen Propheten Israels kennt, wird seine Erwartung bezüglich Stephanus entsprechend gelenkt. Zum einen rechnet er mit der Er129
Darüber hinaus finden sich in Lk 4 insgesamt in dichter Aufeinanderfolge Formulierungen der Geistbegabung Jesu (vgl. z.B. Lk 4,1-13). 130 Die Identifizierung Jesu mit Jesaja erfolgt, indem pneu/ma kuri,ou evpV evme, (Lk 4,18a) an die Herabkunft des Geistes auf Jesus bei seiner Taufe erinnert (Lk 3,22), durch das Salbungsmotiv (Geistbesitz als Folge von Geistsalbung), das die titularen MessiasAussagen von Lk 2,11.26 einspielt, und durch Jesu Erklärung in Lk 4,21 selbst. Erzähltechnisch wird diese Identifizierung dadurch unterstützt, dass der Leser die Prophetenworte aus dem Mund Jesu hört, und Jesus die Schriftrolle sofort nach der Lektüre schließt. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 19–20. KLEIN, Lukasevangelium, 189. 131 Zum konkreten Inhalt des Verkündigungsauftrags durch die Zitatenkombination aus Jes 61,1-2 und Jes 58,6d LXX sowie zu einem gründlichen Vergleich mit Lk 4,18-19 vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 192. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 301–309, sieht hier das zentrale Thema des Lukasevangeliums zum Ausdruck gebracht: Befreiung, und zwar aus irdischen wie Überirdischen Unterdrückungsstrukturen. 132 Rückblickend zeigt sich also, dass Jesus schon zu Beginn seines öffentlichen Wirkens die Grundlage für beide Teile dieses zusammenfassenden Urteils legt: in Lk 4,14-30 ‚Mächtigkeit in Wort‘, in Lk 4,31-41 ‚Mächtigkeit in Tat‘. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 187.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
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zählung über einen Heilsmittler Gottes in Wort und Tat (vgl. Lk 4,18-19; 24,19), zum anderen ist er aber auch auf das gewaltsame Geschick eines Propheten vorbereitet, das bei Jesus schon in Lk 4,24.29 angedeutet wird und sich letztlich in seinem Tod manifestiert. Apg 6,9-12 9
10 11a b 12a b c 9
10 11a b 12a b c
avne,sthsan de, tinej tw/n evk th/j sunagwgh/j th/j legome,nhj Liberti,nwn kai. Kurhnai,wn kai. VAlexandre,wn kai. tw/n avpo. Kiliki,aj kai. VAsi,aj suzhtou/ntej tw/| Stefa,nw|( kai. ouvk i;scuon avntisth/nai th/| sofi,a| kai. tw/| pneu,mati w-| evla,leiÅ to,te u`pe,balon a;ndraj le,gontaj o[ti avkhko,amen auvtou/ lalou/ntoj r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n kai. to.n qeo,nÅ suneki,nhsa,n te to.n lao.n kai. tou.j presbute,rouj kai. tou.j grammatei/j kai. evpista,ntej sunh,rpasan auvto.n kai. h;gagon eivj to. sune,drion( »Es standen aber auf einige der sogenannten Synagoge der Libertiner, der Kyrenäer und der Alexandriner und von denen aus Kilikien und Asien, die mit Stephanus diskutierten, und sie waren nicht stark genug, sich der Weisheit und dem Geist, in dem er redete, entgegenzustellen. Da schoben sie Männer vor, die sagten: Wir haben ihn reden hören blasphemische Worte gegen Mose und Gott. Und sie hetzten das Volk, die Ältesten und die Schriftgelehrten auf und sie traten heran und packten ihn und führten ihn zum Synedrium«
Entsprechend der ambivalenten Erwartung, die 6,8 in Rückgriff auf Lk 4,18-19.24.29 weckt, berichtet 6,9, dass Mitglieder verschiedener Synagogen aufstehen und mit Stephanus diskutieren. Betont wird hiermit eine starke Opposition gegen Stephanus, wie schon der Beginn des Satzes mit avni,sqhmi »aufstehen«133 ankündigt und die Aufzählung einer zahlenmäßig nicht näher bestimmten Gruppe von Synagogenmitgliedern (tinej tw/n evk th/j sunagwgh/j) unterschiedlicher (diaspora-
133 avni,sqhmi bedeutet zunächst allgemein „aufstehen, um etwas zu tun“ und wird dann durch suzhte,w am Satzende spezifiziert. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 138. Vgl. auch Lk 11,7.8; 17,12 u.a.
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
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jüdischer) Herkunft, die zusammen gegen Stephanus streiten134 (suzhtou/ntej tw/| Stefa,nw|), bestätigt. Um wen handelt es sich bei den Gegnern des Stephanus genau? – Die Umschreibung tinej tw/n evk th/j sunagwgh/j klärt nicht eindeutig, ob es sich um eine einzige aus verschiedenen Diasporajuden zusammengesetzte Synagoge handelt, was der Singular evk th/j sunagwgh/j vermuten lässt, um zwei oder sogar um fünf Gruppen.135 Auch aus der Auflistung erfährt man nur, dass es sich wohl um hellenistische Diasporajuden handelt, die sich entsprechend ihrer Herkunft in Jerusalem zu „landsmannschaftlichen Synagogengemeinden“136 zusammengeschlossen haben. Die Liste gibt nämlich vor allem Aufschluss über Status und Herkunft der Synagogenvertreter: Liberti,noi bezeichnet ursprünglich freigelassene Sklaven oder ihre Nachkommen und verweist demnach wohl auf eine Gruppe von Juden, die ursprünglich aus Italien stammt.137 Kurhnai,oi deutet auf Diasporajuden aus der römischen Provinz Zyrene in Nordafrika hin und vAlexandrei/j auf ehemalige Bewohner der hellenistischen Kulturmetropole Alexandria.138 Weiterhin werden Vertreter aus zwei Gebieten Kleinasiens genannt, nämlich Kilikia an der Südwestküste Kleinasiens139 und Asia, der westlichsten römischen Provinz Kleinasiens.140 134 suzhte,w tini, bedeutet „disputieren“ oder „streiten mit jemandem“. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1548. Mit demselben Verb wird in Apg 9,29 ein Streitgespräch zwischen Saulus und den Hellenisten beschrieben. 135 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 299. FITZMYER, Acts, 356–357. JERVELL, Apg, 225. Für die Zweiteilung würde die Absetzung der Libertiner, Kyrenäer und Alexandriner einerseits von den Vertretern aus Kilikien und Asia andererseits sprechen. Sie könnte angezeigt werden durch tw/n avpo,,, zu dem man tw/n evk th/j sunagwgh/j ergänzen könnte. 136 ZMIJEWSKI, Apg, 299. 137 Liberti,noi ist die griechische Übertragung des lateinischen Libertini, das wiederum substantiviertes Adjektiv von libertus ist, also wörtlich ‚freier Mann‘ heißt. Vgl. FITZMYER, Acts, 356. ZMIJEWSKI, Apg, 299. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 349, ergänzt, diese hätten zwar römisches Bürgerrecht, aber geringere Rechte als Vollbürger. 138 Vgl. FITZMYER, Acts, 357–358. Versteht man kai, im ersten Fall als Adverb, könnten diese beiden Gruppen in Jerusalem auch Teil der Synagoge der Libertiner gewesen sein. 139 Kilikia könnte entweder das geographische Gebiet um den Golf von Alexandria und die Stadt Tarsus herum, aus der Paulus stammt, meinen oder die römische Provinz, die nach einer Spaltung Ende des 1. Jh. v. Chr. von Vespasian 72 n. Chr. wieder hergestellt wurde. Vgl. FITZMYER, Acts, 358. Ausführliche Überlegungen zu den genannten Gebieten finden sich z.B. bei SCHNEIDER, Apg, 436, Anm. 19, 20. ROLOFF, Apg, 113. BARRETT, Acts, 323–324. 140 Vgl. FITZMYER, Acts, 358. Auffällig ist bei der gesamten Aufzählung eine Mischung aus Statusgruppen, nämlich den Libertini, und Herkunftsorten. Dies ist für WASSERBERG, Israels Mitte, 239, ein Hinweis darauf, dass die Einführung dieser Gruppen für die Lesenden einen Vorverweis auf die später zu erzählenden Paulusreisen darstellen.
138
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Dass in Jerusalem Gruppen aus verschiedenen Diasporagebieten zusammenkommen, ist auch aus der Völkerliste Apg 2,5-11 bekannt, auf die 6,9 beispielsweise durch die Nennung von Zyrene und Asia zurückgreift. Im Kontext des Pfingstereignisses dient die Völkerliste dazu anzudeuten, dass die Diasporajuden aus unterschiedlichen Gebieten ebenfalls mit dem Geist begabt werden und Empfänger der Heilsverkündigung sind.141 Auf Ähnliches kann auch Apg 6,9 hinweisen, nachdem 6,8 explizit o` lao,j als Zielgruppe von Stephanus’ Wirken nennt und nun Diasporajuden aus verschiedensten Regionen aufgeführt werden. Zugleich wird dabei aber deutlich, dass genau aus diesem Volk, das aus unterschiedlichen Nationen zusammengesetzt ist, Ablehnung kommt. Darüber hinaus kann in der Auflistung der diasporajüdischen Synagogengemeinden ein Hinweis enthalten sein, dass die Gegner des Stephanus aus seinen eigenen Reihen gestellt werden. Aufgrund seines griechischen Namens und seines primären Aufgabengebietes der Sorge um die hellenistischen Witwen kann nämlich angenommen werden, dass auch Stephanus ein Diasporajude ist.142 Allerdings ist davon im Text nie explizit die Rede. Auch der Anlass für den Disput bleibt in 6,9 offen.143 Vom Text selbst wird allerdings bisher primär fokussiert, dass sich Vertreter verschiedener Herkunft zu einer offenbar starken und mächtigen Opposition zusammenschließen und zusammen (suzhte,w) gegen die Einzelperson Stephanus streiten.144 Trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit sind die Gegner Stephanus unterlegen, wie 6,10 betont:145 kai. ouvk i;scuon avntisth/nai th/| sofi,a| kai. tw/| pneu,mati w-| evla,lei. »und sie waren nicht stark genug, sich der Weisheit und dem Geist, mit dem er redete, entgegenzustellen.« Besonders gelte dies für die Gruppe aus der Asia, die für die Verhaftung des Paulus verantwortlich sein wird. 141 Damit werde das Bild einer anfanghaften „Wiederherstellung Israels“ gezeichnet. Vgl. FULLER, Restauration, 259, 261. 142 Skeptisch zu dieser Meinung äußern sich etwa GAVENTA, Acts, 118; ZMIJEWSKI, Apg, 299. 143 Dazu können nur Vermutungen angestellt werden, wie sie z.B. bei JERVELL, Apg, 225; FITZMYER, Acts, 358; ZMIJEWSKI, Apg, 299, zu finden sind. Beispielsweise könnten die Zeichen und Wunder (6,8) den Streit verursacht haben oder Diskussionen über die Schrift im Hintergrund stehen, da Wunderwirken im lukanischen Doppelwerk immer auch mit Verkündigung zusammenhänge und die Initiative für die Debatte scheinbar von den Synagogen ausgehe. 144 Die Frage, ob es sich um eine, zwei oder fünf Synagogen handelt, tritt meiner Ansicht nach in den Hintergrund. Auf jeden Fall entsteht der Eindruck einer großen Opposition. 145 Die Betonung der Unterlegenheit wird durch die vorangestellte Wendung ouvk i;scuon avntisth/nai ausgedrückt. Zusätzlich impliziert das Imperfekt ouvk i;scuon eine dauerhafte Unterlegenheit. Auch das kai, am Satzanfang kann adversativ verstanden werden und auf einen Gegensatz zum Vorhergesagten hinweisen.
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Indem avntisth/nai Weisheit und Geist als Dativobjekt nach sich zieht, werden diese den Synagogenvertretern nun als Opponenten entgegengesetzt, während Stephanus lediglich als deren Träger erscheint, wie der Relativsatz w-| evla,lei festhält. Damit wird erneut deutlich, dass Stephanus die Kriterien der Wahlkandidaten (6,3: plh,reij pneu,matoj kai. sofi,aj; 6,5: plh,rhj pi,stewj kai. pneu,matoj a`gi,ou) vollkommen erfüllt und sich diese Qualitäten in ihm in zwei miteinander verbundenen Richtungen auswirken: zum einen in Zeichen- und Wundertätigkeit (6,5), zum anderen in besonderer Redefähigkeit (6,10).146 Genau darin liegt darüber hinaus der Grund für die Überlegenheit des Stephanus über seine Gegner, die im Unterschied dazu dem Geist in der Gestalt des Stephanus entgegenstehen.147 Insofern in Stephanus’ Redefähigkeit Weisheit und Geist selbst zu Wort kommen, erfüllt sich, was im Pfingstereignis grundgelegt ist (vgl. Apg 2,4). Außerdem ist Stephanus damit in die Reihe von Propheten gestellt, von denen es heißt, durch sie spreche der Geist (vgl. Apg 21,11; 28,25).148 Nicht zuletzt findet sich dieser enge Zusammenhang in Jesus selbst, der den Auftrag an den Propheten Jesaja zur Heilsverkündigung auf seine eigene Person und Sendung bezieht (vgl. Lk 4,18-22).149 Mit dem erneuten Hinweis auf sofi,a und pneu/ma bestätigt sich also das Bild von Stephanus als einer prophetischen Gestalt.150 Darüber hinaus spielt 6,10 die Zusage Jesu an seine Jünger Lk 21,15 ein: evgw. ga.r dw,sw u`mi/n sto,ma kai. sofi,an h-| ouv dunh,sontai avntisth/nai h' avnteipei/n a[pantej oi` avntikei,menoi u`mi/n. »Denn ich werde euch Mund und Weisheit geben, der alle, die sich euch entgegenstellen, nicht standhalten oder widersprechen können.«
146 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 128. TANNEHILL, Narrative, 83, beobachtet, dass sofi,a in der Apostelgeschichte nur vier Mal und zwar ausschließlich in Apg 6-7 vorkommt (6,3.19; 7,10.22). Insbesondere präsentiere die Weisheit Stephanus als einen Interpreten der biblischen Geschichte. Außerdem sei Stephanus dadurch mit Josef, Mose und Jesus (Lk 2,40.52) verbunden. 147 Vgl. JERVELL, Apg, 225. 148 Ähnlich spricht der Geist in Apg 8,29 zu Philippus, in Apg 13,4 zu Paulus. Vgl. EISEN, Poetik, 160. Außerdem wird Stephanus in die Reihe von geistbegabten Rednern gestellt; vgl. Petrus (Apg 11,15) und Paulus (Apg 13,9). 149 Vgl. dazu auch Apg 6,8. Eine Ähnlichkeit zur Charakterisierung Jesu findet sich auch im Begriff sofi,a (vgl. Lk 2,52). Eine analoge Aussage wird auch über Johannes den Täufer in Lk 2,40 gemacht. 150 Vgl. auch Weish 7,7.25, wo Weisheit als Manifestation der Gegenwart Gottes dargestellt wird. Vgl. SPENCER, Acts, 69.
140
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Da mit ähnlicher Formulierung die Überlegenheit des Stephanus über seine Gegner formuliert wird, erfüllt sich hier diese Verheißung Jesu, und Stephanus wird als Gestalt gezeichnet, die mit der Weisheit Jesu begabt ist.151 Im Anschluss an diese Notiz der Unterlegenheit der Gegner unter Stephanus berichtet 6,11 von einem verschärften Vorgehen gegen ihn: to,te152 u`pe,balon a;ndraj le,gontaj o[ti avkhko,amen auvtou/ lalou/ntoj r`h,mata bla,s fhma eivj Mwu?sh/n kai. to.n qeo,n. »Da schoben sie Männer vor, die sagten: Wir haben ihn reden hören blasphemische Worte gegen Mose und Gott.« Drahtzieher dieser Intrige sind die in 6,9 genannten Gegner,153 die Männer (a;ndraj) dazu anstiften (u`poba,llw154), äußerst belastende Aussagen über Stephanus zu machen, die sie selbst gehört hätten (avkhko,amen). Da weder diese rekrutierten Männer näher vorgestellt werden, noch Adressaten der Vorwürfe genannt werden, entsteht der Eindruck, diese würden ganz allgemein und überall geäußert.155 Dem entspricht auch, dass der konkrete Inhalt der »blasphemischen Worte« (lalou/ntoj r`h,mata bla,sfhma)156 nicht formuliert wird, sondern Stephanus ganz umfassend erstens Opposition gegen die von Mose verkörperte Tora und zweitens direkt Blasphemie angelastet wird: r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n kai. to.n qeo,n. Mit dieser Formulierung wird der enge Zusammenhang zwischen beidem verdeutlicht. Schon r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n kann als Gotteslästerung aufgefasst werden, insofern im Gesetz letztlich Gott seinen Wil-
151
Vgl. TANNEHILL, Narrative, 83. ECKEY, WILFRIED, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom. 1. Apg 1,1-15,35, Neukirchen-Vluyn 2000, 161. FINSTERBUSCH, KARIN, Christologie als Blasphemie: Das Hauptthema der Stephanusperikope in lukanischer Perspektive, in: BN 92 (1998) 38–54, hier 41. JERVELL, Apg, 225, erklärt, stw,ma (Lk 21,15) und pneu,ma (6,10) könnten gleichgesetzt werden, weil sich die pneumatische Begabung des Stephanus im Reden zeige. Laut SCHNEIDER, Apg 435, Anm. 18, findet sich avnqi,sthmi im lukanischen Doppelwerk nur in Lk 21,15; Apg 6,10; 13,8. Nur in letzterem Text werde einer Personengruppe ‚widerstanden‘. Ein ähnlicher Inhalt wird in Lk 12,11-12, allerdings mit anderer Wortwahl formuliert. Vgl. dazu auch Lektüre von Apg 7,55-56. 152 Da to,te laut BDR § 459,2 ein zeitliches Nacheinander anzeigen kann, wird diese neue Handlung in direkten Zusammenhang mit 6,9-10 gebracht. 153 Dies zeigt die Satzkonstruktion, denn die Gegner sind weiterhin Subjekt des Satzes. Außerdem kann die Partizipialkonstruktion a;ndraj le,gontaj sogar final im Sinne von „sie sollten sagen“ verstanden werden. Vgl. BDR § 339. 154 u`poba,llw wird oft für „geheimes Vorschlagen“ (evtl. durch Flüstern) verwendet. Vgl. BARRETT, Acts, 325. Laut WASSERBERG, Israels Mitte, 240, handelt es sich um ein neutestamentliches Hapaxlegomenon. 155 Vgl. JERVELL, Apg, 226, meint, diese Gerüchte würden unter den Menschen verbreitet. 156 Erneut wird Stephanus also als Redner vorgestellt, noch dazu mit demselben Lexem wie in 6,10: lale,w.
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
141
len ausdrückt.157 Damit wird nicht nur der Tora hohe Bedeutung beigemessen, sondern auch die Schwere der Vorwürfe gegen Stephanus offensichtlich. Diese überraschen angesichts der wiederholten Charakterisierung des Stephanus als geisterfüllter Mann (6,5.8.10), dessen Begabung sich unter anderem in seinen Worten niederschlägt (6,10). Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Gegner in dieser Intrige falsche Aussagen gegen Stephanus treffen.158 Diese Anschuldigungen gegen Stephanus spielen das Verhör Jesu vor dem Synedrium Mk 14,55-65 ein.159 Die Frage des Hohenpriesters nach dem Selbstverständnis Jesu su. ei= o` cristo.j o` ui`o.j tou/ euvloghtou/È »Bist du der Gesalbte, der Sohn des Hochgelobten?« (Mk 14,61)160 bejaht Jesus zunächst indirekt mit der kurzen Antwort evgw, eivmi »Ich bin es« (Mk 14,62a)161. Daraufhin wird sein Selbstverständnis vor allem in der Ankündigung Mk 14,62b-c ausgedrückt: kai. o;yesqe to.n ui`o.n tou/ avnqrw,pou evk dexiw/n kaqh,menon th/j duna,mewj kai. evrco,menon meta. tw/n nefelw/n tou/ ouvranou/. »und ihr werdet sehen den Sohn des Menschen sitzend zur Rechten der Macht und kommend mit den Wolken des Himmels.« Damit spricht Jesus von sich selbst als erhöhter Menschensohn in der Funktion des endzeitlichen Richters und kündigt somit implizit seinen verstockten Richtern, die nicht einmal aufgrund der gerade gehörten Offenbarungsworte umkehren und glauben, das Gericht an.162 Dieses Menschensohnwort versteht der Hohepriester offensichtlich als Infra-
157
Evtl. könnte r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n kai. to.n qeo,n übersetzt werden mit „blasphemische Worte gegen Mose und sogar gegen Gott“ oder „blasphemische Worte gegen Mose und zwar/d.h. gegen Gott“. Vgl. BDR § 442,8. Diesen engen Zusammenhang sieht auch ZMIJEWSKI, Apg, 300. Nach FITZMYER, Acts, 358 könnte hier auch eine Verletzung von Ex 22,27b gemeint sein: qeou.j ouv kakologh,seij kai. a;rcontaj tou/ laou/ sou ouv kakw/j evrei/j. JERVELL, Apg, 226, beobachtet, dass blasfhmo,j im lukanischen Doppelwerk nur hier auftauche. 158 Vgl. JERVELL, Apg, 226, führt als Argument für eine Intrige an, dass vorher immer wieder die Gesetzestreue der ganzen Gemeinde beschreiben werde, erst in 6,9 komme ein plötzlicher Umschwung. WASSERBERG, Israels Mitte, 240, argumentiert mit dem Hinweis, dass Mose und die Propheten bei Lk das jüdische Fundament für das Bekenntnis zu Jesus schlechthin sind (vgl. Apg 3,22f.). 159 Für die Untersuchung des Zusammenspiels mit der Passion Jesu wird in der Regel die Darstellung des Markusevangeliums als Grundlage gewählt. Nur wichtige Abweichungen bei Mt werden ausdrücklich erwähnt. 160 Dagegen: Mt 26,63: o` cristo.j o` ui`o.j tou/ qeou/Å 161 Dagegen: Mt 26,64a: su. ei=paj. 162 Vgl. SCHENKE, LUDGAR, Das Markusevangelium. Literarische Eigenart – Text und Kommentierung, Stuttgart 2005, 333. Zum Zusammenhang mit Apg 7,55-56 vgl. Lektüre von Apg 7,55-56.
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gestellung der Einzigkeit Gottes, denn er reagiert in Mk 14,64a darauf mit den Worten: hvkou,sate th/j blasfhmi,ajÈ »Habt ihr die Gotteslästerung gehört?«163 Wenn sich daraufhin konsequenterweise alle Anwesenden einig sind, Jesus müsse sterben, wie es das Gesetz für Blasphemie vorsieht (vgl. Lev 24,16), wird zwar noch kein formelles Todesurteil über Jesus verhängt,164 aber das Gegenüber einer mächtigen Gegnerschaft einerseits und Jesu andererseits deutlich.
Offensichtlich wird also Stephanus in 6,11 ein ähnlicher Vorwurf gemacht wie Jesus vor dem Synedrium. Allerdings ist die Szenerie jeweils eine andere: Während Jesus sich in einer Gerichtsverhandlung vor dem Synedrium befindet und der Blasphemievorwurf vom Hohenpriester formuliert wird, ist die Situation, in der irgendwelche Männer diese Aussagen über Stephanus machen, nicht greifbar. Durch diesen Unterschied wird akzentuiert, dass die Vorwürfe gegen Stephanus ganz umfassend und überall von einer unbestimmt großen Gegnerschaft aus den Reihen diasporajüdischer Synagogenmitglieder, also aus dem Volk, vorgebracht werden.165 Nicht nur die Initiatoren der Gegnerschaft gegen Jesus bzw. Stephanus unterscheiden sich voneinander, sondern auch die mithilfe des Blasphemievorwurfs verhandelten Themen. Während im Verhör Jesu Blasphemie im Selbstverständnis Jesu als der Christus, Sohn Gottes und in der Ankündigung besteht, er werde als Menschensohn mit richterlicher Funktion kommen, hat Blasphemie laut Apg 6,11 mit Worten gegen Mose und Gott zu tun.166 Diese Differenz deutet darauf hin, dass im Prozess gegen Jesus die Frage nach dessen (richtig verstandenen) Rolle als Christus und Sohn Gottes zur Debatte steht167, während im Fall des Stephanus um ein richti-
Ähnlich formuliert die Parallele Mt 26,65b.d: evblasfh,mhsen … hvkou,sate th.n blasfhmi,an. Vgl. LUZ, ULRICH, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 26-28) (EKK I/4), Neukirchen-Vluyn 2002, 183–184. 164 Das formelle Todesurteil erfolgt erst in Mk 15,15 parr. Mt 7,1. Vgl. GNILKA, JOACHIM, Das Evangelium nach Markus (EKK II/2), Neukirchen-Vluyn 1979, 440–441. LUZ, Evangelium nach Matthäus, 184. 165 Zwar steht auch Jesus einer Menge an Gegnern gegenüber, was in Mk 14,64 zu sehen ist (pa,ntej), aber noch stärker wird betont, dass die Führenden des Volkes, repräsentiert durch den Hohenpriester, die Hauptverantwortlichen für den Tod Jesu sind. 166 Noch deutlicher und konkreter wird das in Apg 6,13, wo auch noch Worte gegen den Tempel hinzukommen. 167 BÖTTRICH, CHRISTFRIED, Proexistenz im Leben und Sterben. Jesu Tod bei Lukas, in: FREY, JÖRG/SCHRÖTER, JENS (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament (WUNT 181), Tübingen 2005, 413–436, hier 431, zeigt, dass es auch im Lukasevangelium beim Tod Jesu, der primär nach dem Topos des Prophetengeschicks (Lk 6,23; 11,4751; 13,34-35; Apg 7,52) und des leidenden Gottesknechts Jes 53 dargestellt wird, um die Frage nach dem Selbstverständnis Jesu geht. 163
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ges Verständnis des Gesetzes, d.h. einer der zentralen „Basiskategorien jüdischer Identität“168, und um den Bezug zu Gott gerungen wird. Zu dieser Beobachtung kommt hinzu, dass die Blasphemiethematik in der lukanischen Passionsdarstellung fehlt169 und somit innerhalb des lukanischen Doppelwerks nur in diesem Kontext der Stephanusepisode vorkommt, aber im Vergleich zu Mk 14,55-65 par. in veränderter Gestalt. Welche Funktion haben also diese mit der Gesetzesthematik verbundenen Blasphemievorwürfe, die noch dazu ohne einen konkreten Anlass gegenüber Stephanus geäußert werden?170 Dies bleibt im Moment noch ein Rätsel, da diese Blasphemievorwürfe innerhalb der Stephanusepisode bisher keinen Anknüpfungspunkt haben. Durch die Referenz von 6,11 auf das Verhör Jesu vor dem Synedrium entsteht beim Leser auf jeden Fall der Eindruck, im Konflikt um Stephanus gehe es um ähnlich entscheidende Themen wie im Prozess Jesu. Außerdem wird die Erwartung geweckt, auch das Geschick des Stephanus würde sich ähnlich zuspitzen wie das Jesu. Dementsprechend notiert 6,12a: suneki,nhsa,n te to.n lao.n kai. tou.j presbute,rouj kai. tou.j grammatei/j »Und sie hetzten das Volk, die Ältesten und die Schriftgelehrten auf«. Initiatoren dieser Hetze sind die Synagogenmitglieder aus Vers 9,171 so dass weiterhin ein- und dieselbe Gegnerschaft gegen Stephanus auftritt, die immer wieder neue Taktiken anwendet und Mitstreiter aktiviert. Das Verb sugkine,w172 und die enge Anknüpfung an das Vorherige durch te173 spiegelt die Dynamik wider, mit der sich die Hetzkampagne fortentwickelt. So stehen Stephanus jetzt nicht mehr nur einige diasporajüdische Synagogenmitglieder (6,9: tinej tw/n evk th/j sunagwgh/j) gegenüber, sondern das ganze Volk (o` lao,j) samt seiner führenden Autoritäten (oi` presbute,roi kai. oi` grammatei/j), die zum Teil wohl sogar Mitglieder des Synedriums sind.174 Indem hier zum ersten Mal das Volk mit den religiösen Führern zu einer 168
GANSER-KERPERIN, Tempel, 242. In Lk 22,65; 23,39 findet sich zwar auch der Terminus blasfhme,w, aber hier ist es Jesus, dem gelästert wird. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 300. 170 Vgl. dazu 6,13-14. 171 Vgl. JERVELL, Apg, 226, meint, ti,nej aus 6,9 dürfte Subjekt zu suneki,nhsan sein. Ähnlich BARRETT, Acts (1994), 326. Auch a;ndrej aus 6,11 wäre möglich, was allerdings für den Inhalt keinen entscheidenden Unterschied macht, weil hinter diesen a;ndrej ja die ti,nej aus 6,9 stehen. Zu lao,j siehe Apg 6,8. 172 SCHNEIDER, Apg, 437, Anm. 32, erklärt, sugkine,w sei neutestamentliches Hapaxlegomenon und komme auch in der LXX nicht vor. 173 Vgl. BDR § 443,2. 174 Wegen des engen Zusammenhangs zwischen lao,j, presbute,roi und grammatei/j könnte man folgendermaßen übersetzen: „… das Volk und zwar die Ältesten und Schriftgelehrten …“ 169
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Art „großen Koalition“175 von jüdischen Gegnern zusammengeschlossen wird, bekommt der Konflikt um Stephanus innerhalb des Judentums öffentlichen Charakter. Wie bisher bleibt auch hier der konkrete Anlass dafür offen und wird nur in einen unbestimmten Zusammenhang mit 6,10-11 gebracht.176 Eine weitere Zuspitzung erfolgt, indem in 6,12b.c auch noch Gewalt ins Spiel kommt: kai. evpista,ntej sunh,rpasan auvto.n kai. h;gagon eivj to. sune,drion »und sie traten heran und packten ihn und führten ihn zum Synedrium«. Sowohl evfi,sthmi177 als auch sunarpa,zw178 veranschaulichen das gewaltsame Vorgehen gegen Stephanus. Da das Subjekt erneut die Gegner von 6,9, nun auch noch zusammen mit dem gerade aufgehetzten Volk, den Presbytern und Schriftgelehrten ist, wird das Ungleichgewicht zwischen Stephanus als Einzelnem und seiner Gegnerschaft immer größer. Indem Stephanus von seiner gewaltigen und gewalttätigen Opposition letztlich vor das Synedrium gebracht wird (6,12c), wird durch die Ortsangabe aus der bisher offenen Szene eine geschlossene. Zugleich wird damit die Intensität des Konflikts noch weiter verstärkt, denn die offene Hetze gegen Stephanus mündet demnach in eine offizielle Gerichtsverhandlung, sofern die Ortsangabe eivj to. sune,drion ein Verhör vor den Jerusalemer Autoritäten impliziert.179 Somit hat sich der anfängliche Streit zwischen einigen diasporajüdischen Synagogenvertreteren, aus dem Stephanus als Überlegener hervorging, über eine Denunziation (6,11) und eine große Hetzkampagne bis hin zu einer öffentlichen Angelegenheit vor Gericht stetig gesteigert. Aufgrund der schwerwiegenden Vorwürfe der Blasphemie (6,11) darf der Leser eine nach strikten Regeln verlaufende Verhandlung, wegen Lev 24,11-16 sogar mit Todesurteil, erwarten. Die Dynamik der Szene bildet sich zusätzlich sprachlich ab: Die Aneinanderreihung kurzer parallel konstruierter Teilsätze, die durch kai, miteinander verknüpft sind und jeweils nur knappe Informationen über die Kernaktivitäten der Gegner liefern, lässt die Handlungsfolge auch hier in einer hohen Geschwindigkeit erscheinen, die die Hektik der aufgehetzten Menge illust175 ZMIJEWSKI, Apg, 300, spricht von einer „großen Koalition von jüdischen Gegnern des Christentums“. Allerdings kristallisiert sich das Christentum in diesem Stadium erst noch aus dem Judentum heraus. Vgl. auch FITZMYER, Acts, 359. SCHNEIDER, Apg, 434, Anm. 13. LARKIN, Acts, 104. 176 Darauf weist die enge Anknüpfung an den Satz von 6,10-11 mit te, hin. 177 evfi,sthmi bedeutet »herantreten an« und hat oft auch den Nebensinn des Plötzlichen. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 668. 178 sunarpa,zw heißt wörtlich »gewaltsam ergreifen«. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1566. sunarpa,zw findet sich außerdem in Lk 8,29 als Ausdruck für die Gewalt eines Dämonen über einen Mann. Vor diesem Hintergrund wird die Gewalt gegen Stephanus illustriert. Vgl. außerdem Apg 19,29; 27,15. 179 Vgl. FITZMYER, Acts, 359. ZMIJEWSKI, Apg, 301.
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riert. Außerdem zeichnen die kurzatmigen Parataxen das Bild einer sehr aktiven und dominanten Gegnerschaft gegenüber Stephanus als passivem Opfer.180 Auch die Apostel werden in Apg 4,1-21 und 5,17-41 aufgrund ihrer Heilungstätigkeit und Verkündigung ebenfalls mit dem Widerstand der jüdischen Führungsschicht in Jerusalem konfrontiert, verhaftet und vor dem Synedrium verhört. Dabei reagieren sie jeweils mit einer Rede und werden daraufhin in der Regel von den jüdischen Autoritäten mit Auflagen hinsichtlich ihrer Verkündigungstätigkeit entlassen.181 Zwar wird in diesen Szenen das sonst vorherrschende Idealbild der Gemeinde in Jerusalem gebrochen,182 aber im Unterschied zum Konflikt um Stephanus besteht die Gegnerschaft der Apostel primär aus der Führungsschicht, nicht aus dem Volk selbst. Jesu Gegner sind im lukanischen Passionsbericht183 ebenfalls zunächst jüdische Führergruppen.184 So werden schon zu Beginn in Lk 22,1-2 oi` avrcierei/j kai. oi` grammatei/j »die Oberpriester und die Schriftgelehrten« als ‚Todesfeinde‘ eingeführt, insofern sie einen Grund für die Tötung Jesu suchen.185 Wenn Lk 22,2b evfobou/nto ga.r to.n lao,n »sie fürchteten nämlich das Volk« als Hindernis für die Tötungsabsicht notiert, erscheinen 180
In diesen parallel konstruierten Parataxen steht immer das Verb im Aorist in der 3. Person Plural am Anfang des Teilsatzes. Als ‚Opfer‘ wirkt Stephanus auch dadurch, dass er nicht mehr namentlich auftaucht. 181 Vgl. Apg 4,5: VEge,neto de. evpi. th.n au;rion sunacqh/nai auvtw/n tou.j a;rcontaj kai. tou.j presbute,rouj kai. tou.j grammatei/j evn VIerousalh,m »Es geschah aber, dass sich am folgenden Tag ihre Oberen und die Ältesten und die Schriftgelehrten in Jerusalem versammelten«. Apg 5,21.27: Parageno,menoj de. o` avrciereu.j kai. oi` su.n auvtw/| suneka,lesan to. sune,drion kai. pa/san th.n gerousi,an tw/n ui`w/n VIsrah.l … Agago,ntej de. auvtou.j e;sthsan evn tw/| sunedri,w|Å kai. evphrw,thsen auvtou.j o` avrciereu,j. »Als aber der Hohepriester gekommen war und seine Begleiter, riefen sie das Synedrium zusammen und den ganzen Rat der Alten der Söhne Israels … Als sie sie hergebracht hatten, stellten sie sie vor das Synedrium. Und es fragte sie der Hohepriester.« Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 340. TANNEHILL, Narrative, 84. 182 Dagegen sieht ZMIJEWSKI, Apg, 301, in der Stephanusepisode den ersten Bruch dieser idealen Harmonie. Später finde sich eine ähnliche Situation bezüglich Petrus in Apg 12,3 und diverse Male bezüglich Paulus in Apg 9,23.26-27; Apg 23 oder 17,5.13; 20,3; 21,27, wo das Volk als Gegnerschaft gegen Paulus auftritt. 183 Die Personenregie in der Mk-Passion ist weitgehend identisch mit der lukanischen Darstellung. Vgl. GNILKA, Evangelium nach Markus, 220. Der Beginn der Mt-Passion (Mt 26,1-5) unterscheidet sich darin von den anderen beiden synoptischen Darstellung ein wenig, denn zunächst ergreift Jesus in Mt 26,1b-2 selbst souverän das Wort – nicht seine Gegner. Vgl. LUZ, Evangelium nach Matthäus, 51, 55. 184 Wenn auch in anderer Zusammensetzung. Vgl. z.B. Lk 22,66: to. presbute,rion tou/ laou/( avrcierei/j te kai. grammatei/j. Hier ist allerdings auch eine Parallele zu Apg 6,12 zu sehen. 185 Ähnlich Mk 14,1 und Mt 26,4. Vgl. GNILKA, Evangelium nach Markus, 220. LUZ, Evangelium nach Matthäus, 53. Zwar nennt Apg 6,12 oi` avrcierei/j nicht – in der ganzen Stephanusepisode ist nur in Apg 7,1 vom Singular o` avrciereu,j die Rede –, aber da Stephanus in 6,12 vor das Synedrium gebracht wird, sind diese auch hier enthalten.
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diese eigentlich mächtigen Führungsgruppen nun abhängig vom Volk.186 Dem Volk dagegen wird nicht nur ein gewisser Einfluss zugeschrieben, sondern auch zunächst eine positive Grundhaltung gegenüber Jesus.187 Demnach steht zu Beginn der lukanischen Passionserzählung die jüdische Führungsschicht einerseits in Opposition zu Jesus mit dem Volk im Rücken andererseits.
Hinsichtlich dieser Personenkonstellation differiert die Situation um Stephanus allerdings, da zu den hellenistischen Synagogenmitgliedern als Initiatoren (Apg 6,9), unbekannte Männer (Apg 6,11), dann das Volk (Apg 6,12a) und erst zuletzt die jüdische Führungsschicht (Apg 6,12a) zur Gegnerschaft gegen Stephanus hinzugezogen wird. Da also ein Teil des jüdischen Volkes (o` lao,j) als eigentlicher Drahtzieher im Vorgehen gegen Stephanus dargestellt wird, kann im Vergleich zur Passion Jesu eine Umkehrung der Reihenfolge festgestellt werden, durch die das Volk in der Stephanusepisode gegenüber der Lukaspassion belastet wird.188 Außerdem entsteht dadurch der Eindruck, Stephanus erleide ein ähnliches Schicksal wie ein Prophet, der in seiner eigenen Heimat nicht aufgenommen wird. Diese Differenz hinsichtlich der Gegnerschaft bestätigt sich im weiteren Verlauf der lukanischen Passionserzählung. Während in der Stephanusepisode sehr schnell eine große und starke „Koalition“ gegen Stephanus entsteht, tritt o` lao,j in der Lukaspassion erst im Verhör vor Pilatus mit den Führungsgruppen als Handlungseinheit gegen Jesus auf.189 Danach wird allerdings wieder nur allgemein von der Gegnerschaft Jesu gesprochen, während o` lao,j nur noch als „Zuschauer“ der Kreuzigung Jesu explizit genannt wird (Lk 23,35).190 186 Vgl. KLEIN, Lukasevangelium, 658. Auch in Lk 19,47; 20,19 sei das Volk Hintergrund für Jesu Festnahme. 187 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 692–693. Auch in Lk 20,19; 20,20; 21,38 wird die positive Akzeptanz Jesu in der Jerusalemer Bevölkerung ausgesagt. Nach BAUER, Wörterbuch, 305, ist in Lk 22,2 die Konjunktion ga,r adversativ wiederzugeben (wie u.a. in Joh 20,9; Röm 1,18). Für die Akzeptanz Jesu bei der Jerusalemer Bevölkerung spricht auch Lk 22,6b kai. evzh,tei euvkairi,an tou/ paradou/nai auvto.n a;ter o;clou auvtoi/jÅ 188 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 725, 740. Ähnlich verhält es sich beim Verhör vor Pilatus Lk 23,4, bei dem zwar auch plötzlich eine Volksmenge auftritt, aber diese ebenfalls als o;cloj bezeichnet wird. Zum Unterschied zwischen den beiden Begriffen Lk 20,1-26. Vgl. EBD., 638–639. KLEIN, Lukasevangelium, 241. 189 Besonders Lk 23,18: pamplhqei,, nachdem in Lk 23,13 tou.j avrcierei/j kai. tou.j a;rcontaj kai. to.n lao,n als Gesprächspartner des Pilatus genannt wurden. Vgl. auch Mk 14,1.53.55; Mk 15,1-15 parr. Mt 27,11-26. Vgl. TANNEHILL, Narrative, 84. 190 Vor diesem Hintergrund der vergleichsweise passiven Rolle des Volkes in der Passion Jesu, kommt seine initiierende Rolle gegen Stephanus noch deutlicher zum Ausdruck. Allerdings geht es im Verlauf der Stephanuserzählung ebenfalls in der Handlungseinheit mit dem Synedrium auf, da die Rede des Stephanus im Rahmen einer Verhandlung vor dem Synedriums erfolgt und als Subjekt des Vorgehens gegen Stepha-
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Mit ähnlicher Wortwahl wird aber das Vorgehen der jeweils gegnerischen Gruppen mit dem Verb -a;vgw formuliert. Ähnlich wie Stephanus vor das Synedrium geführt wird (kai. h;gagon eivj to. sune,drion 6,12c), notiert Lk 22,66 wie Jesus von den Ältesten des Volkes, den Hohenpriestern und Schriftgelehrten vor dasselbe Gremium gebracht wird (kai. avph,gagon auvto.n eivj to. sune,drion auvtw/n »und sie führten ihn weg zum Synedrium«). Laut Lk 23,1 bringt dann das Synedrium (a[pan to. plh/qoj »die ganze Menge«)191 Jesus vor Pilatus (h;gagon auvto.n evpi. to.n Pila/ton »sie führten ihn zu Pilatus«), und letztlich wird der Aufbruch zur Kreuzigung ähnlich eingeleitet: Kai. w`j avph,gagon auvto,n … »Und als sie ihn abführten …« (Lk 23,26).192 Demnach scheint das Verb -a;vgw in der Passion Jesu immer wieder eine nächste, schärfere Stufe im Prozessverlauf zu markieren.
Ebenso wird mit -a;vgw in Apg 6,12 eine weitere Steigerungsstufe im Vorgehen gegen Stephanus angezeigt, so dass hierin auch eine strukturelle Ähnlichkeit zur lukanischen Darstellung der Passion Jesu zu sehen ist.193 Diese Parallelen geben der Erwartung des Lesers eine Richtung für den weiteren Verlauf der Stephanusepisode vor. Apg 6,13-14 13a b 14a b 13a b 14a b
e;sthsa,n te ma,rturaj yeudei/j le,gontaj\ o` a;nqrwpoj ou-toj ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ kai. tou/ no,mou\ avkhko,amen ga.r auvtou/ le,gontoj o[ti VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj katalu,sei to.n to,pon tou/ton kai. avlla,xei ta. e;qh a] pare,dwken h`mi/n Mwu?sh/jÅ »und sie stellten falsche Zeugen auf, die sagten: Dieser Mensch hört nicht auf, Worte zu reden gegen [diesen] heiligen Ort und das Gesetz; wir haben ihn nämlich sagen hören: Dieser Jesus, der Nazoräer, wird diesen Ort zerstören und ändern die Gebräuche, die uns Mose übergeben hat.«
nus nach 7,54 nur noch unspezifisch avkou,ontej genannt werden. Vgl. Ausführungen zu Apg 7,2 und 7,54-60. 191 a[pan to. plh/qoj findet sich nur bei Lk als Bezeichnung für die Gesamtheit des Synedriums (vgl. Lk 1,10; 8,37; 19,37; Apg 15,12; 23,7). Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 738–739. KLEIN, Lukasevangelium, 698. 192 Subjekt sind hier diejenigen, die auch im Prozess vor Pilatus gegen Jesus vorgegangen sind, d.h. erneut die Hohenpriester, führenden Männer und das Volk. 193 Diese Parallelität wird noch deutlicher vor dem Hintergrund, dass in der markinischen und matthäischen Passionserzählung die Verbindung der jüdischen Führungsgruppen mit dem Verb -a;vgw nicht so konsequent zu finden ist, wie im lukanischen Passionsbericht. Vgl. Mk 14,53; 15,1; 15,16; 15,20b; Mt 26,57; 27,11; 27,31b.
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Passend zum Ortswechsel hin zum Synedrium wird in 6,13a ein neuer Personenkreis eingeführt:194 ma,rturej yeudei/j. Diese bringen stellvertretend für die große Gruppe der Stephanusgegner, von denen sie aufgestellt werden (e;sthsan)195, Anklagen gegen Stephanus vor. Damit ist offensichtlich die Szene einer Gerichtsverhandlung eröffnet, wie auch die bisherigen Analogien zum Prozess Jesu bereits erwarten ließen. Die Etikettierung der Zeugen als yeudei/j weist von vorneherein auf die Qualität ihrer Aussagen hin,196 die in 6,13b-14 in direkter Rede formuliert werden. Als ma,rturej yeudei/j verletzen sie nämlich das Gebot Ex 20,16: ouv yeudomarturh,seij kata. tou/ plhsi,on sou marturi,an yeudh/ »Du sollt nicht bezeugen gegen deinen Nächsten ein Falschzeugnis.«197 Außerdem signalisiert das Motiv ma,rturej yeudei/j eine Anspielung auf den Prozess Jesu vor dem Synedrium nach markinischer Darstellung Mk 14,55-56. Mk 14,55-56 55 Oi` de. avrcierei/j kai. o[lon to. sune,drion evzh,toun kata. tou/ VIhsou/ marturi,an eivj to. qanatw/sai auvto,n( kai. ouvc hu[riskon\ 56 polloi. ga.r evyeudomartu,roun katV auvtou/( kai. i;sai ai` marturi,ai ouvk h=sanÅ 55 56
»Die Oberpriester aber und das gesamte Synedrium suchten gegen Jesus ein Zeugnis, um ihn töten (lassen) zu können, und sie fanden nichts. Viele nämlich legten falsches Zeugnis gegen ihn ab und gleich lautend waren die Zeugnisse nicht.«
Schon zu Beginn der Verhandlung dienen hier Falschzeugen als Begründung für den Misserfolg bei der Suche des Synedriums nach einem Grund für die Tötung Jesu. Konsequenterweise wird dann der in direkter Rede formulierte Vorwurf gegen Jesus in Mk 14,57 folgendermaßen eingeleitet: kai, tinej avnasta,ntej evyeudomartu,roun katV auvtou/
194 Selbst wenn Ortswechsel und neuer Personenkreis einen Einschnitt markieren, wird dennoch deutlich, dass 6,13 als Weiterführung von 6,12 zu verstehen ist, weil der Satz von 6,12 – übergeleitet mit te, – fortgesetzt wird. 195 Das unbestimmte Subjekt hinter e;sthsan kann grammatikalisch mit den in 6,12 genannten Gruppen oder der seit 6,9 immer größer gewordene Gruppe der Gegner insgesamt gefüllt werden. 196 Auch rückwirkend wird die Annahme erhärtet, die Vorwürfe in 6,11 seien ebenfalls nicht gerechtfertigt. Laut SCHNEIDER, Apg, 437, Anm. 38, begegnet ma,rturaj yeudei/j im Neuen Testament nur hier. 197 Dieses Gebot wird auch in Lk 18,20 zitiert. Auf eine Gerichtssituation bezieht sich mit ähnlichen Worten Dtn 19,16-19, wobei als Konsequenz für falsche Zeugen das ‚Wegschaffen aus der Mitte‘ des Volkes formuliert wird (Dtn 19,19). Vgl. FITZMYER, Acts, 359. Laut RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 129, weist schon die Bezeichnung der Zeugen als ‚lügnerisch‘ den impliziten Leser auf die Unwahrheit der Aussagen hin. Außerdem wisse der Leser genau, dass nicht Jesus den Tempel zerstört hat, sondern die Römer. Vgl. auch WASSERBERG, Israels Mitte, 242–243.
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le,gontej »Und einige standen auf und legten falsches Zeugnis gegen ihn ab, indem sie sagten: …« Wenn Mk 14,59 die Aussage dieser Falschzeugen mit den Worten kai. ouvde. ou[twj i;sh h=n h` marturi,a auvtw/n »Und auch in diesem Fall war ihr Zeugnis nicht gleich lautend« kommentiert, bleibt kein Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um falsche Zeugen handelt.198 Da die Bedrängnis von ungerechten Zeugen auch in den Psalmen zum Bild des leidenden Gerechten gehört (vgl. Ps 27,12; 35,11; 109,2-3), trägt die Rede von yeudomarturi,a bzw. yeudomarture,w im Kontext der Passionserzählungen zur Darstellung Jesu in Anlehnung an den leidenden Gerechten bei.199
Durch diese Referenz auf das Verhör Jesu wird zusätzlich im Voraus deutlich, dass die Anklagen gegen Stephanus lügnerische Aussagen sind. Außerdem wird Stephanus durch die Konfrontation mit lügnerischen Zeugen erneut mit Jesus parallelisiert und so wieder die Erwartung geweckt, er könne ein ähnliches Schicksal erfahren wie der ‚leidende Gerechte‘ Jesus.200 Auffälligerweise wird das Motiv des Falschzeugnisses im lukanischen Doppelwerk nicht im Prozess Jesu erwähnt, sondern nur hier zur Einführung der Anklagen gegen Stephanus. Ähnlich wie die Verlegung des Blasphemievorwurfs (6,11) von der Verhandlung Jesu in die Stephanusepisode ist auch diese Verlegung der Falschzeugen zunächst ein Rätsel. Welche Funktion innerhalb des lukanischen Doppelwerks kommt dem Motiv des Falschzeugnisses an genau dieser Stelle zu? Die Anklagen der lügnerischen Zeugen lauten dann: o` a;nqrwpoj ou-toj ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ kai. tou/ no,mou\ »Dieser Mensch hört nicht auf, Worte zu reden gegen [diesen] heiligen Ort und das Gesetz;« (6,13b). Die vermeintliche Anstößigkeit und das schwere Gewicht der Vorwürfe werden gleich zu Beginn betont, indem Stephanus mit abschätzigem Unterton als o` a;nqrwpoj ou-toj bezeichnet wird und das vorangestellte ouv pau,etai dem angeblichen Vergehen des Stephanus den Anschein von ununterbrochener Permanenz gibt. Konkret wird Stephanus angelastet, er rede 198 Ebenso deutlich akzentuiert Mt 26,59-60 das Motiv der Falschzeugen, indem schon die Suche nach Zeugen für einen Tötungsgrund als Suche nach einem Falschzeugnis qualifiziert wird. Vgl. LUZ, Evangelium nach Matthäus, 175. 199 Die Formulierung der Redeeinleitung in Apg 6,13a zeigt eine besonders große Nähe hierzu: e;sthsa,n te ma,rturaj yeudei/j le,gontaj. 200 Rückblickend wird die Erwartung des Lesers evtl. schon in Apg 6,9 in Richtung eines negativen Konfliktverlaufs, ähnlich der Passion Jesu, gelenkt. Der Beginn der Auseinandersetzungen wird nämlich mit avne,sthsan ebenfalls als ein Aufstehen formuliert, so wie auch in Apg 6,13 und Mk 14,57. So legt sich der Eindruck nahe, (avn)i,sthmi markiere das Aufstehen von Gegnern gegen jemanden.
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(lalw/n r`h,mata) erstens gegen diesen heiligen Ort (kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ) und zweitens gegen das Gesetz (kata. tou/ no,mou). Während letzteres als Variation von 6,11 verstanden werden kann, wo das Gesetz mit Mose umschrieben wird, kommt der Vorwurf der pausenlosen Rede gegen diesen Heiligen Ort, d.h. den Tempel,201 unvermittelt. Angezeigt wird nur ein Rückverweis auf 6,11 (lalou/ntoj r`h,mata bla,sfhma) durch lalw/n r`h,mata und damit ein Zusammenhang zwischen den Anklagen von 6,13 und den Blasphemievorwürfen von 6,11. So wird Stephanus auch in 6,13 implizit Blasphemie vorgeworfen, was an der Korrespondenz von lalw/n r`h,mata kata. … tou/ no,mou (6,13b) mit lalou/ntoj r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n (6,11) besonders deutlich wird. Aber auch lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ kann Blasphemie implizieren, insofern die Bezeichnung des Tempels mit o` to,poj o` a[gioj ou-toj die Vorstellung fokussiert, der Tempel sei Ort der Anwesenheit Gottes.202 Im Vergleich zu 6,11 stellen die Anklagen also eine Steigerung dar,203 insofern mit der Rede gegen den Tempel ein dritter Inhalt hinzugefügt wird und ouv pau,etai die Ausmaße der angeblichen Blasphemie unterstreicht. Indem sich die Ankläger in 6,14 als Ohrenzeugen des Stephanus ausgeben (avkhko,amen ga.r auvtou/ le,gontoj o[ti), ähnlich wie die Sprecher in 6,11204, verleihen sie ihren Aussagen nicht nur den Anschein von Glaubwürdigkeit, sondern begründen sie zugleich (ga,r). Als Grund für ihre Anklagen nennen sie, Stephanus behaupte von Jesus zwei Dinge: Jesus werde erstens »diesen Ort« zerstören (ou-toj katalu,sei to.n to,pon tou/ton) und 201
Die Umschreibung des Tempels mit o` to,poj oder o` to,poj ou-toj ist in der biblischen Tradition vielfach belegt, wie z.B. Dtn 12,5.11.13-14 u.a.; Jer 7,14; Neh 4,7; 2 Makk 5,17-20; Mt 24,14. Vgl. PENNER, Praise, 80, 308. TANNEHILL, Narrative, 93. BARRETT, Acts, 327. GANSER-KERPERIN, Tempel, 44, erklärt, dass der Ausdruck o` to,poj outoj im Zusammenhang mit einer Unheilsansage eine innerbiblische Verbindung zwischen den Vorwürfen gegen Stephanus und den „prophetischen Unheilsdrohungen gegen das Land, die Stadt und den Tempel herstelle, wie sie vor allem in den Unheilsaussagen des Jeremia formuliert seien (Jer 7,3.7.12.14 u.a.). Insofern Stephanus durch diese Verbindung implizit in Analogie zu Aussagen des Jeremia gestellt wird, deuten sich hier erneut prophetische Züge des Stephanus an. 202 Vgl. FITZMYER, Acts, 359, weist darauf hin, dass die Verwendung von to,poj auch als Referenz auf Gott selbst verwendet wird (vgl. Esth 4,14: hm-maqôm »der Ort« als Surrogat für den Namen Gottes). Ähnlich ZMIJEWSKI, Apg, 301 und JANKOWSKI, GERHARD, Und sie werden hören. Die Apostelgeschichte des Lukas. Erster Teil (1,1-9,31) – Eine Auslegung, in: TeKo 91/92 (2001), 3-169, hier 115. Sie sehen darin eine Bestätigung dafür, dass es um das Innerste des Gottesglaubens Israels gehe. Vgl. JERVELL, Apg, 226, entdeckt einen Zusammenhang zwischen dem Vorwurf der Gesetzes- und der Tempelkritik, insofern der Tempel bei Lukas „Gesetzesbereich“ sei, da im Tempel und durch ihn das Gesetz erfüllt werde. 203 Vgl. WASSERBERG, Israels Mitte, 242. 204 Durch die Formulierung im Perfekt wird also die Wirkung der angeblich gehörten Worte auf die Zeugen in der Anklage selbst präsentiert.
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zweitens die von Mose überlieferten Bräuche205 verändern (avlla,xei ta. e;qh a] pare,dwken h`mi/n Mwu?sh/j). Stephanus wird demnach also nicht aufgrund eigener Aussagen angeklagt, wie 6,11.13 suggerieren, sondern aufgrund der Verkündigung angeblicher Aussagen Jesu über diesen Ort und die Bräuche des Mose. So entsteht der Eindruck, Stephanus nehme zu den Themen Tempel und Gesetz des Mose dieselbe Haltung ein wie Jesus. Das wird schon allein erzähltechnisch dadurch abgebildet, dass Stephanus und Jesus durch eine parallele Satzkonstruktion nahezu miteinander identifiziert werden: 6,13b o` a;nqrwpoj ou-toj ouv pau,etai lalw/n r`h,mata … 6,14b VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj katalu,sei … Wird in 6,13 mit o` a;nqrwpoj ou-toj eine abfällige Behauptung über Stephanus begonnen, so steht auch in 6,14 mit VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj in abschätzigem Unterton betont der am Anfang, über den Stephanus angeblich spricht.206 Auch die Inhalte der Aussagen werden parallel konstruiert, denn zuerst wird ‚dieser Ort‘ thematisiert und dann das Gesetz, das in 6,14 mit seinem Bezug zu Mose umschrieben wird. Letzteres greift die Vorwürfe von 6,11 auf, so dass ein Zusammenhang zwischen diesen und Jesu angeblicher Ankündigung der Änderung der mosaischen Bräuche, angezeigt wird. Damit 205
Da e;qoj in eine Reihe mit Mwu?sh/j (6,11) und no,moj (6,13) gestellt wird, dürfte mit diesen drei Begriffen nichts grundsätzlich Verschiedenes ausgedrückt werden. Möglicherweise wird hier zwar der Aspekt kultischer Gesetze und somit der Zusammenhang zum Tempel etwas akzentuiert. Aber letztlich geht es vor dem Hintergrund von 6,11.13 weiterhin um die Haltung zum Gesetz des Mose insgesamt. Über die Bedeutung von e;qoj an dieser Stelle gibt es divergierende Meinungen. So versteht SCHNEIDER, Apg, 439, primär kultische Gesetzgebung darunter. Für BARRETT, Acts, 428–429, dagegen handelt es sich um Gesetze, die schriftlich und mündlich überliefert wurden, weil sie ausdrücklich mit Mose verbunden werden (vgl. Apg 15,1; 16,21; 21,21; 26,3; 28,17). FITZMYER, Acts, 359, sieht eher einen Bezug auf das, was in pharisäisch-rabbinischer Tradition mit dem gesprochenen Gesetz gemeint ist (vgl. Josephus). 206 o` Nazwrai/oj ist bei Lk eine gängige Bezeichnung für Jesus synonym zu o` Nazarhno,j. KUHLI, HORST, Nazarhno,j, Nazwrai/oj, in: EWNT2 II, 1117–1121, hier 1120, sieht in der Verwendung von o` Nazwrai/oj in Apg 22,8 auch die Identität des erhöhten Christus mit dem irdischen Jesus bestätigt. Demnach sei diese Bezeichnung nicht nur für die Herkunft Jesu reserviert (vgl. auch Apg 2,22; 3,6; 4,10 im Zusammenhang des Wunderwirkens Jesu). WAGNER, VOLKER, Mit der Herkunft Jesu aus Nazaret gegen die Geltung des Gesetzes?, in: ZNT 92 (2001) 273–282, hier 281, formuliert aufgrund etymologischer Untersuchungen die These, mit o` Nazwrai/oj werde Jesus auch als einer dargestellt, „der das Gesetz gewohnheitsmäßig bewahrt und befolgt“. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 351, Anm. 66, sieht vor diesem Hintergrund die Paradoxität der Anklagen in 6,13-14 gesteigert.
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verdeutlicht sich erneut, dass die in 6,13-14 vorgebrachten Anklagen ebenfalls als Blasphemievorwurf verstanden werden können. 6,11
auvtou/ (Stephanus) lalou/ntoj r`h,mata bla,sfhma eivj Mwu?sh/n kai. to.n qeo,nÅ
6,13
o` a;nqrwpoj ou-toj (Stephanus) ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ kai. tou/ no,mou\
6,14
Ihsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj katalu,sei to.n to,pon tou/ton kai. avlla,xei ta. e;qh a] pare,dwken h`mi/n Mwu?sh/jÅ207
Da Stephanus fast mit Jesus bzw. dessen Einstellungen zu Tempel und Gesetz identifiziert wird, wird gewissermaßen zusammen mit Stephanus zugleich Jesus angeklagt. Indem ihnen Tempel- und Gesetzeskritik vorgeworfen wird, wird ihnen ihre Verbindung mit den zentralen Institutionen jüdischen Selbstverständnisses208 abgesprochen. So stehen sich in dieser Gerichtsszene zwei Parteien polarisierend gegenüber: auf der einen Seite die lügnerischen Zeugen stellvertretend für die von 6,9-12 gewachsene Gegnerschaft, für die implizit Tempel und Gesetz entscheidende Bedeutung haben, auf der anderen Seite Stephanus mit Jesus, denen Tempel- und Gesetzeskritik angelastet wird. Dabei bleibt das jeweilige Verständnis von Tempel und Gesetz allerdings noch offen. Zeigt sich schon innerhalb der Stephanusepisode die enge Verbindung des angeklagten Stephanus mit Jesus, so wird diese zusätzlich dadurch un207
Das Thema ‚Gesetz‘ (‚Mose‘) wird in 6,13.14 im Gegensatz zu 6,11 allerdings als zweites genannt. 208 Vgl. TILLY, MICHAEL, Jerusalem – Nabel der Welt. Überlieferung und Funktionen von Heiligtumstraditionen im antiken Judentum, Stuttgart 2002, 2. Der Tempel als abgetrennter, heiliger Raum habe fundierende bzw. identitätsstiftende Bedeutung und zwar vor allem durch das, „was seine vergangene, gegenwärtige und zukünftige subjektivische Bedeutung ist für die Existenzsicherung, für die integrierende und abgrenzende Gruppenidentität seiner Erbauer, dann für diejenigen, deren Brennpunkt des religiösen Lebens bzw. deren (von Gott selbst zugewiesenen) tatsächlichen Lebensmittelpunkt er darstellt, und schließlich für alle diejenigen, denen er als integratives und identitässtiftendes Symbol vergangenen oder zukünftigen Heils dient.“ Vgl. auch CRÜSEMANN, FRANK, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992, 381–425. GANSER-KERPERIN, Tempel, 333. Der Tempel habe in der Darstellung frühjüdischer Schriften die Funktion eines „Gravitationszentrums“ jüdischer Identität übernommen, „insofern eine beständige Spannung zwischen dem Tempel als Ideal theologischer Reflexion und dem konkreten Vollzug des kultischen Tuns am Tempel in Jerusalem bestand.“
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terstrichen, dass Apg 6,13-14 die Anklagen gegen Jesus vor dem Synedrium Mk 14,57-58 par.209 einspielt. Mk 14,57 kai, tinej avnasta,ntej evyeudomartu,roun katV auvtou/ le,gontej 58 o[ti h`mei/j hvkou,samen auvtou/ le,gontoj o[ti evgw. katalu,sw to.n nao.n tou/ton to.n ceiropoi,hton kai. dia. triw/n h`merw/n a;llon avceiropoi,hton oivkodomh,swÅ 57 »Und einige standen auf und legten falsches Zeugnis gegen ihn ab, indem sie sagten: 58 Wir haben gehört, dass er gesagt hat: Ich werde diesen von Menschenhand gemachten Tempel zerstören und nach drei Tagen einen anderen aufrichten, der nicht von Menschenhand gemacht ist.« Gemeinsam ist beiden Darstellungen zunächst, dass die Anklagen gegen Jesus und gegen Stephanus jeweils von lügnerischen Zeugen vorgebracht werden (s.o.). Beide Male weisen sich die Falschzeugen mit dem Verb avkou,w210 als Ohrenzeugen des Angeklagten (auvtou/ le,gontoj) aus, womit in Mk 14,58 Jesus gemeint ist, in Apg 6,14a Stephanus. Inhaltlich bezieht sich die Anklage gegen Jesus auf seine angebliche Ankündigung, er werde den Tempel zerstören (Mk 14,58a: evgw. katalu,sw to.n nao.n tou/ton), und ebenso bringen die Falschzeugen des Stephanus diese Tempelzerstörung an (Apg 6,14b: VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj katalu,sei to.n to,pon tou/ton), die sie allerdings von Stephanus über Jesus gehört haben.211 So lassen sich die Kommunikationssituationen folgendermaßen darstellen: Mk 14,57-58 Jesus (Tempelwort) auvtou/ le,gontoj o[ti evgw. katalu,sw
Apg 6,13-14 Jesus (Tempelwort) VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj katalu,sei
Falschzeugen
Æ
Synedrium/Leser
Æ
Synedrium/Leser
tinej avnasta,ntej evyeudomartu,roun hvkou,samen
Stephanus
Falschzeugen
auvtou/ le,gontoj o[ti
ma,rturaj yeudei/j avkhko,amen
209 Vgl. parallel dazu Mt 26,61. Ähnliche Vorwürfe werden auch gegen Paulus formuliert (vgl. Apg 21,28; 24,6). 210 Es steht allerdings in Mk 14,58 im Aorist (hvkou,samen), in Apg 6,14a im Perfekt (avkhko,amen). 211 Vgl. auch den parallelen Satzbau und die ähnliche Wortwahl: In beiden Wendungen wird zuerst betont das Subjekt vorangestellt, so dass evgw, mit VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj gleichzusetzen ist. Darauf folgen die Tat des Auflösens sowie das Objekt davon. Beide Male wird also Jesus als (in der Zukunft) Handelnder vorgestellt.
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Diese Einspielung von Mk 14,57-58 par. unterstreicht also die enge Verbindung von Jesus und Stephanus, die schon innerhalb von Apg 6,13-14 zu sehen ist, und stellt Stephanus deutlich als Verkündiger der angeblichen Worte Jesu über den Tempel dar. Stephanus wird sogar wieder mit prophetischen Zügen gezeichnet, insofern zum einen die Bezeichnung des Tempels als o` to,poj (o` a[gioj) ou-toj, und zum anderen die Ansage der Tempelzerstörung auf prophetische Unheilsankündigungen anspielen, wie sie vor allem bei Jeremia zu finden sind (vgl. Jer 7,3.7.12.14 u.a.).212 Neben diesen Gemeinsamkeiten zeigt Apg 6,14 aber auch folgende Unterschiede gegenüber der Anklage gegen Jesus Mk 14,58: In Mk 14,58a wird der Tempel als o` nao.j ou-toj »dieser Tempel« bezeichnet und zusätzlich als ceiropoi,htoj »von Menschenhand gemacht« näher beschrieben. Darin ist impliziert, dass der Tempel, der primär als von Menschen errichtetes Gebäude betrachtet wird,213 einem Götzenbild gleicht, da ceiropoi,htoj in frühjüdischer Literatur als Bezeichnung von Götzenbildern im Gegenüber zum wahren Gott Israels verwendet wird.214 Diese Spitze wird noch deutlicher durch die Fortsetzung der angeblichen Ankündigung Jesu in Mk 14,58b:215 kai. dia. triw/n h`merw/n a;llon avceiropoi,hton oivkodomh,sw. »und nach drei Tagen werde ich einen anderen aufrichten, der nicht von Menschenhand gemacht ist.« So werden hier offensichtlich zwei ‚Arten‘ von Tempeln einander kontrastierend gegenüber gestellt, wobei der von Menschenhand gemachte Tempel deutlich negativ konnotiert wird.216 Zugleich wird die Frage nach der Vollmacht und dem (Selbst-)Verständnis Jesu thematisiert, insofern er angeblich innerhalb von drei Tagen einen anderen Tempel 212 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 44. Vgl. auch Dtn 12,5.11; Jes 22,4-14 und die Unheilsweissagungen Jesu über Jerusalem und den Tempel Lk 13,34-35; 19,41-44; 23,28-31. Laut SCHNEIDER, Apg, 438, hat Apg 6,14b auch die Form einer prophetischen Ansage. Außerdem führten solche prophetischen Unheilsansagen immer wieder zu Verfolgung der Propheten. 213 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 41, Anm. 8. 214 Vgl. Lev 26,1.30; Jes 2,18; Weish 14,8 u.a. Auch pagane Tempel werden als ceiropoi,htoj bezeichnet (vgl. Jes 16,12; Apg 17,24). Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 54. SIEGERT, FOLKER, „Zerstört diesen Tempel …!“ Jesus als „Tempel“ in den Passionsüberlieferungen, in: HAHN, JOHANNES (Hg.), Zerstörungen des Jerusalemer Tempels. Geschehen – Wahrnehmung – Bewältigung (WUNT 147), Tübingen 2002, 108–139, hier 112. 215 Vgl. dazu auch Mk 13,1-2, wonach Jesus die Vergänglichkeit des Tempels als Bauwerk (oivkodomh,) betont und unterschwellig die Betrachtung des Tempels als rein bewunderungswürdiges Bauwerk kritisiert. Ähnlich in der sogenannten Tempelreinigung Jesu Mk 11,15-19. Vgl. dazu SCHENKE, Markusevangelium, 332. GNILKA, Evangelium nach Markus, 197–201, 269–270. Zur johanneischen Darstellung der Tempelaktion Jesu Joh 2,12-22, wo es um die Vorstellung geht, dass Jesu Leib zum eschatologischen Tempel, d.h. Ort der Begegnung Gottes mit den Menschen wird, und zum Zusammenhang zwischen Joh 2,13-22 mit Mk 11,17.22-25 par. vgl. NICKLAS, Johanneische „Tempelreinigung“, 1–16. 216 Dieser Kontrast wird auch in Apg 7,48-50 eine wichtige Rolle spielen.
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aufbauen wolle, der noch dazu nicht von Menschenhand gemacht sei. Auch der weitere Kontext Mk 14,59-65 zeigt, dass primär um das (Selbst-)Verständnis Jesu als Christus und Sohn Gottes sowie dessen religiöse und politische Relevanz gerungen wird.217
Wenn im Unterschied dazu in Apg 6,14a der Tempel als o` to,poj ou-toj bezeichnet wird, wird nicht nur durch die intratextuelle Referenz zu 6,13b die Parallele zwischen Stephanus und Jesus unterstrichen, sondern anhand des Tempels auch ein anderer Aspekt fokussiert als in Mk 14,58. Es geht offensichtlich primär um die Vorstellung vom Tempel als Ort der Gegenwart Gottes. Für die Falschzeugen des Stephanus gibt es keinen Zweifel, dass der Tempel der Ort Gottes ist, denn sie bezeichnen ihn nicht als eine Art von Götzenbild o` nao.j ou-toj ceiropoi,htoj, sondern eben als o` to,poj (o` a[gioj) ou-toj. Das für die Falschzeugen Anstößige liegt also darin, dass Jesus den Ort der Gegenwart Gottes zerstören werde und Stephanus dies verkündet. Insofern es um den Tempel als Ort Gottes geht, steht damit auch die Haltung zu Gott selbst auf dem Spiel, so dass das »Reden gegen diesen heiligen Ort« (6,13b) auch als Blasphemie verstanden wird. Dieser Fokussierung des Tempels als Ort der Anwesenheit Gottes entspricht auch, dass Apg 6,14 die Ankündigung eines »nicht von Menschenhand gemachten« Tempels (Mk 14,58), mit der das (Selbst-)Verständnis Jesu akzentuiert wird, nicht aufnimmt, sondern Jesus und Stephanus zusätzlich das Ändern der Bräuche des Moses (avlla,xei ta. e;qh a] pare,dwken h`mi/n Mwu?sh/j) vorgeworfen wird.218 An der Position zum Gesetz als Ausdruck des Willens Gottes kann nämlich ebenfalls die Einstellung zu Gott selbst abgelesen und dadurch möglicherweise als blasphemisch beurteilt werden. Darüber hinaus reiht sich diese Verbindung von Tempel und Gesetz in die lukanische Darstellung des Tempels als Zentrum der Identität Israels ein. Der Tempel wird dabei häufig mit der Tora verbunden, insofern das religiöse Geschehen am Tempel durch die Tora motiviert und normiert ist (vgl. Lk 1,9; 2,42; Apg 25,8 u.a.).219
217
Vgl. dazu Apg 6,11. ZMIJEWSKI, Apg, 301 und PESCH, Apg, 238, sehen darin einen Hinweis, dass Jesus eine Haltung gegenüber Tempel und Gesetz einnimmt, die nicht die Zustimmung des allgemeinen Judentums seiner Zeit findet, sondern für viele anstößig ist. Dieses wiederum erinnere an Mt 5,17-43; Mk 2,23-28; 3,2-6 u.a. 219 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 94–95. Da der Tempel als Kristallisationspunkt jüdischen Lebens das Zentrum der kulturellen und religiösen Identität Israels darstelle, müsse Gottes Geschichte mit seinem Volk von dort ausgehen (vgl. Lk 1-2) und ihn immer wieder in den Blick nehmen. 218
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Exkurs: Funktion des Tempels in Jerusalem im lukanischen Doppelwerk Die hohe Bedeutung des Tempels innerhalb des lukanischen Doppelwerks spiegelt sich darin, dass er als spezieller Ort in Jerusalem, dem geographischen und theologischen Zentrum des lukanischen Doppelwerks,220 Teil der räumlichen Strukturierung der Erzählung vom „Weg des Heils“ ist.221 Dementsprechend kann an den Episoden, die in Jerusalem und besonders im Tempel lokalisiert werden oder diese Orte thematisieren, deren Funktion abgelesen werden.222 So beginnt das lukanische Doppelwerk im Tempel in Jerusalem (Lk 1,5-7) und verortet die Erzählung damit unter anderem mithilfe der Figuren Zacharias und Elisabet in der Geschichte Israels.223 Außerdem ist der Weg Jesu kontinuierlich mit dem Tempel verbunden: beispielsweise wird Jesus im Tempel als der Messias Israels erkannt (Lk 2,2240) und dabei seine Sendung auf Israel und die Völker hin identifiziert (Lk 2,29-32).224 Auch als Ziel des Weges Jesu wird von Anfang an (Lk 9,51) Jerusalem und damit verbunden seine »Aufnahme« (h` avnalh,myij)225 genannt. Dementsprechend ist das Wirken Jesu seit seinem Einzug in Jerusalem primär im Tempel situiert (vgl. Lk 19,45-21,38). Nachdem das Lukasevangelium mit der Rückkehr der Jünger in den Tempel, wo sie Gott lobpreisen, endet (Lk 24,53) und so im Rückgriff auf Lk 1,5-25 ein Rahmen um das Evangelium entsteht, beginnt die Apostelgeschichte ebenfalls in Jerusalem (Apg 1,4). Der Tempel spielt dann vor allem nach dem Pfingstereignis für die Jerusalemer Gemeinde als Ort des Gebetes (Apg 2,46; 5,12.42) und als Ort der Verkündigung und Lehre durch die Apostel (vgl. Apg 3,1-4,4; 5,42) eine weiterhin wichtige Rolle.226 Nach der Zerstreuung der Jerusalemer Gemeinde (Apg 8,1.3) bleibt Jerusalem nach wie vor theologisches Zentrum, da dort große Entscheidungen getroffen werden (Apg 11; 15) und auch Paulus immer wieder dorthin zurückkehrt.227 Jerusalem und insbesondere der Tempel erweist sich innerhalb des lukanischen Doppelwerkes in zweifacher Weise als Zentrum: Zum einen wird der Tempel (und Jerusalem) 220 Vgl. EISEN, Poetik, 161. GANSER-KERPERIN, Tempel, 318, zeigt, dass die Tempelthematik besonders gehäuft in den programmatisch bedeutsamen Anfangs- und Endabschnitten von Lukasevangelium und Apostelgeschichte zu finden ist. 221 Vgl. dazu II, 1.2 und 1.3. 222 Dem korrespondiert die Aussage von TILLY, Jerusalem, 4, dass im Rahmen eines literarischen Textes die spatialen Bezeichnungen von Stadt und Tempel zunächst kaum mehr als Chiffren sind, deren Füllung davon abhängt, welche Bedeutung und Funktion ihnen jeweils im Rahmen der Kommunikation zukommt und welche spezifischen Inhalte und Konnotationen mit ihnen verbunden sind. 223 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 307. 224 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 321. 225 Vgl. BÖTTRICH, Proexistenz, 433. Die Heilsbedeutung des Todes Jesu sei daran abzulesen, dass er in Konsequenz und Korrespondenz seines Lebens als „Retter“ stirbt. Als solcher habe er sich primär auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem erwiesen. Dort erfülle sich nur noch sein Leben, denn der Tod am Kreuz sei Teil seines Weges von Geburt an bis zur ‚Aufnahme‘ in Jerusalem (Lk 9,51). Vgl. EBD., 414, 431. 226 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 210, schreibt dem Tempel eine leitmotivische Funktion im Erzählzyklus Apg 3,1-8,1a zu. 227 Gleich nach seiner Berufung kehrt Saulus nach Jerusalem zurück (Apg 9,26-30). Vgl. Weiterhin Apg 11,30; 15,4-29; 18,22; 21,15-23,30; 28,17. Für eine ausführlichere Darstellung vgl. Lektüre von Apg 8,3 und besonders EISEN, Poetik, 161–162.
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als Ort des Heils und der Heilsverkündigung dargestellt, vor allem in Lk 1-2 (Lk 1,5-7; 2,29-32 u.a.) und Apg 3-5.228 Dabei zeigt er sich häufig als Institution der religiösen Kultur Israels, so dass er „als integratives und identitätsstiftendes Symbol vergangenen und zukünftigen Heils“229 verstanden werden kann. Zum anderen präsentiert sich der Tempel als Ort des Konfliktes. Schon seit dem Erkennen der Sendung Jesu für Israel und die Völker (Lk 2,29-32) – im Tempel in Jerusalem – ist die zentrale Frage nach der Einbeziehung der Völker in das Heil Gottes ebenfalls in besondere Weise mit dem Tempel verknüpft, insofern dieser als „Zeichen der kulturellen Identität Israels gleichzeitig auch ein Zeichen der Abgrenzung gegenüber anderen Identitäten“230 ist. So entfachen sich im Tempel und um den Tempel bzw. auch Jerusalem einige Auseinandersetzungen. Beispielsweise wird die Zerstörung Jerusalems und des Tempels von Jesus als prophetische Unheilsverkündigung angesagt und somit theologisch als Strafgericht gedeutet (Lk 13,34-35; 21,5-6),231 im Tempel wird die Ablehnung Jesu verortet (Lk 19,48; Lk 20,1-21.38)232 und auch die Apostel werden aufgrund ihrer Verkündigungstätigkeit mit der Tempelaristokratie konfrontiert (Apg 4,1-22; 5,17-42). Für Paulus und die Auseinandersetzung um seine Völkermission ist der Tempel ebenfalls Ort und Gegenstand des Konfliktes (besonders Apg 21,28; 24,12).233 Insgesamt zeigt sich, dass der Tempel in Jerusalem zwar kontinuierlich als Ort der Präsenz Gottes zugleich Ort religiöser Kultur und damit Symbol der religiösen Identität Israels bleibt, aber tendenziell im Laufe der Erzählung des „Weges des Heils“ Konflikte am und um den Tempel in Jerusalem zunehmen. Besonders häufen sich solche Auseinandersetzungen an entscheidenden Stationen auf diesem Weg, z.B. vor dem Tod Jesu. Insofern Tod und Auferstehung Jesu aber noch nicht das Ende des „Weges des Heils“ bedeuten, sondern dieser noch durch das Zeugnis bei den Völkern bis »ans Ende der Erde« fortgesetzt wird, gehen auch die Auseinandersetzungen um die Bedeutung des Tempels als Ort Gottes und Symbol religiöser Identität Israels weiter.
Da sich in 6,14 erneut die markinische Darstellung des Prozesses Jesu als Subtext erweist, wird auch hier deutlich, dass das Tempelmotiv – ähnlich wie der Blasphemievorwurf und das Motiv der Falschzeugen – innerhalb des lukanischen Doppelwerks nicht im Prozess Jesu, sondern in der Stephanusepisode zu finden ist.234 Welche Funktion innerhalb des lukanischen Doppelwerks hat diese Übertragung des Tempelmotivs auf die Stephanusepisode?
228 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 221. Besonders in Apg 3,1-4,4 stehe der Tempel dabei im Dienst endzeitlicher Erneuerung. 229 TILLY, Jerusalem, 2. 230 GANSER-KERPERIN, Tempel, 325. Vgl. Apg 22,17-21; 28,17-31 u.a. 231 Vgl. EISEN, Poetik, 163–164. 232 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 322–325. 233 Im Mittelteil wird die Tempelthematik besonders in Apg 15,13-21; 17,22-31 aufgegriffen. 234 Diese Beobachtung ist vielfach belegt, beispielsweise ZMIJEWSKI, Apg, 301. SCHNEIDER, Apg, 437–438. SPENCER, Acts, 69 u.v.m. Meist wird versucht, den Grund für diese Verlegung in den zugrundeliegenden Quellen zu suchen. Andere Lösungen bieten dagegen TANNEHILL, Narrative, 94. CHIBICNI-RENEANU, Himmlischer Stehplatz, 473.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Eine Spur für einen Antwortversuch kann der Vergleich zwischen Apg 6,13-14 und Mk 14,58-65 sein: Im Prozess gegen Jesus wird mit dem ‚Tempelwort‘ die Frage nach dem (Selbst-)Verständnis Jesu und damit verbunden das Verständnis Gottes thematisiert. Davon, ob Jesu Selbst- und Gottesverständnis als Blasphemie begriffen wird, hängt letztlich die Entscheidung über Jesu Leben oder Tod ab. Analog dazu steht in der Stephanusepisode mit dem ‚Tempelwort‘ das Verständnis des Tempels als Ort der Gegenwart Gottes – als solcher ist er zentrale Größe des religiösen Selbstverständnisses – zur Debatte. Ist Stephanus’ (und Jesu) Haltung zum Tempel als Ort Gottes und damit zu Gott selbst als Blasphemie zu beurteilen? Dass es hier um das religiöse Selbstverständnis geht, wird dadurch unterstrichen, dass die Ankündigung eines »nicht von Menschenhand gemachten Tempels« Jesu fehlt und stattdessen Stephanus (und Jesus) zusätzlich Gesetzeskritik vorgeworfen wird.235 Insofern das Tempelmotiv im Prozess Jesu eine der entscheidenden Stellen im Lauf der Jesus-Christus-Geschichte markiert, kann die Verlegung dieses entscheidenden Motivs innerhalb des lukanischen Doppelwerks in die Stephanusepisode signalisieren, dass diese für die Erzählung des „Weges des Heils“ eine ebenfalls sehr entscheidende Stelle bedeutet. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die Frage nach dem religiösen Selbstverständnis zentral ist, wobei offensichtlich die Einstellung zum Tempel als Ort der Präsenz Gottes und auch zum Gesetz eine wichtige Rolle spielt.236
235
Ein weiterer Hinweis darauf, dass es primär um das religiöse Selbstverständnis geht, liegt darin, dass im Fall des Stephanus ausschließlich vor dem jüdischen Gerichtshof „Synedrium“ rein religiöse Vorwürfe erhoben werden. Jesus dagegen muss sowohl vor das Synedrium als auch vor Pilatus treten, insofern bei der Frage nach dem Verständnis Jesu als Messias sowohl dessen religiöser als auch römisch-politischer Kompetenzbereich zur Debatte steht. Ähnliche Themen werden in der lukanischen Darstellung der Verhandlungen Jesu behandelt, selbst wenn ihm dort andere Vorwürfe gemacht werden: Lk 22,67-71; 23,1-7. Vgl. dazu WOLTER, Lukasevangelium, 739–740. KLEIN, Lukasevangelium, 698. 236 Die Verlegung des Tempelmotivs innerhalb des lukanischen Doppelwerks von der Passionserzählung in die Stephanusepisode erklärt TANNEHILL, Narrative, 94, folgendermaßen: „Our narrator is keenly concerned with the temple’s fate. Therefore, the charge is not eliminated but is transferred to a context that provides more freedom for theological comment than the passion story, namely, the Stephen episode with its extensive speech.“ CHIBICNI-RENEANU, Himmlischer Stehplatz, 473, Anm. 60. „Angesichts der hohen Bedeutung, die Jerusalem und der Tempel für Lukas als Ausgangspunkt des weltweiten Evangeliums haben (vgl. Lk 24,53; Apg 2,46; 5,42 u.a.), ist … zu vermuten, dass Lukas eine so grundsätzliche Tempelkritik bewusst weiter von Jesus abrücken wollte und an
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
159
Damit enthält 6,13-14 einen Schlüssel für entscheidende thematische Linien der weiteren Stephanusepisode (vgl. Apg 7,48-50) sowie für die Funktion von Apg 6,1-8,3 innerhalb der Erzählung des „Weges des Heils“. Da die hier aufgeworfenen Fragen eng mit der Figur des Stephanus verbunden werden und dessen Profil durch Parallelen zu Jesus immer stärker mit prophetischen Zügen gezeichnet wird, ist für Stephanus ein entsprechendes Schicksal zu erwarten. Zunächst ist gemäß einem regulären Gerichtsverfahren vor dem Synedrium im Folgenden mit einer Reaktion der Synedristen auf die vorgebrachten Anklagen sowie mit einer Stellungnahme des Angeklagten selbst zu rechnen. Apg 6,15-7,1 6,15 7,1a b 6,15
7,1a b
kai. avteni,santej eivj auvto.n pa,ntej oi` kaqezo,menoi evn tw/| sunedri,w| ei=don to. pro,swpon auvtou/ w`sei. pro,swpon avgge,louÅ Ei=pen de. o` avrciereu,j\ eiv tau/ta ou[twj e;ceiÈ »Und während alle, die im Synedrium saßen, gespannt auf ihn blickten, sahen sie sein Gesicht wie ein Gesicht eines Engels. Und es sagte der Hohepriester: Dies verhält sich so?«
Als erste ‚Reaktion‘ der Synedristen auf diese Anklagen237 schildert 6,15: kai. avteni,santej eivj auvto.n pa,ntej oi` kaqezo,menoi evn tw/| sunedri,w| »Und während sie gespannt auf ihn blickten, alle, die im Synedrion saßen …«. Da das vorangestellte Partizip avteni,santej ein gespanntes und genaues, aber auch unverständiges Hinblicken auf Stephanus ausdrückt, wird deutlich, dass die Gestalt, in der sie ihn sehen, nicht als Irrtum oder Einbildung abgehandelt werden kann.238 So steht eindeutig Stephanus im Mittelpunkt explizit aller Synedristen (pa,ntej oi` kaqezo,menoi evn tw/| sunedri,w|),239 nun aber nicht als einer, der in besonderer Weise handelt oder spricht wie bisher (6,8.10), sondern weil er plötzlich in einem außergewöhnlichen Zustand zu sehen ist: ei=don to. pro,swpon auvtou/ w`sei. pro,swpon avgge,lou. »sahen sie sein Gesicht wie ein Gesicht eines Engels.« Dieser Erscheinung
eine Stelle seines Entwurfs gesetzt hat, an dem sich die Geschichte langsam von Jerusalem und dem Tempel fortbewegt auf die weltweite Mission zu.“ 237 Die Konjugation kai, markiert einen direkten Anschluss an das Bisherige. 238 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 303. JERVELL, Apg, 227. 239 Ähnlich wie in den Passionsberichten – besonders bei Lk – treten die Synedristen als Handlungseinheit auf. Vgl. auch Lektüre von Apg 7,54.57-58a.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
des Stephanus mit einem engelsgleichen Gesicht240 kommt der Charakter der Geheimnishaftigkeit zu,241 nicht nur für die Synedristen, sondern auch für den Leser. Ähnlich wird mit dem Verb avteni,zw in Lk 4,20b die Reaktion der Anwesenden bei der ersten öffentlichen Rede Jesu in der Synagoge von Nazaret berichtet: pa,ntwn oi` ovfqalmoi. evn th/| sunagwgh/| h=san avteni,zontej auvtw/| »und die Augen aller in der Synagoge blickten gespannt auf ihn.« Sie blicken also gespannt auf den, der sich gerade in Gestalt eines Propheten dargestellt hat, und bringen damit zum Ausdruck, dass sie die Bedeutung der Prophetenworte und Jesu prophetisches Auftreten noch nicht verstehen.242 Da mit dieser Notiz der Handlungsverlauf retardierend unterbrochen wird, erzeugt sie für die Erzählung zugleich Spannung.
Aufgrund der sprachlichen und auch kontextuellen Analogien zur Antrittsrede Jesu in Nazaret kann auch Apg 6,15 als retardierendes Moment verstanden werden, in dem Stephanus als prophetische Gestalt bestätigt wird.243 Letzteres legt sich vor allem aufgrund von Ex 34,29b nahe, wo ein verändertes Aussehen von Moses Gesicht notiert wird: Ex 34,29b Mwush/j ouvk h;|dei o[ti dedo,xastai h` o;yij tou/ crw,matoj tou/ prosw,pou auvtou/ evn tw/| lalei/n auvto.n auvtw/|.
240 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 302. JERVELL, Apg, 227, merkt an, dass solche Erscheinungen aus dem Frühjudentum bekannt sind. JANKOWSKI, Und sie werden hören, 116, nennt BamR 10,5 als Beispiel dafür, dass die Kombination aus Geistbegabung und Ähnlichkeit mit einem ‚Gottesboten‘ nach weisheitlich rabbinischer Tradition Merkmal prophetischen Auftretens ist. Für FITZMYER, Acts, 360, kommt Gott Stephanus hier zu Hilfe. 241 Das wird dadurch unterstützt, dass es keine (sprachlichen) Anzeichen dafür gibt, dass Stephanus diesen Zustand aktiv herbeigeführt hat. 242 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 193. Nicht nur der typische Lukanismus avteni,zein (bei Lukas finden sich 12 von 14 Belegen im Neuen Testament) impliziere das Unverständnis, sondern auch die Fortsetzung Lk 4,21, insofern Jesus dort seinen Zuhörern zu besserem Verstehen verhilft (vgl. auch Lk 4,23-27). 243 Zur Darstellung Jesu als Prophet in Lk 4,14-30 vgl. Apg 6,8. Darüber hinaus ist die hohe sprachliche Ähnlichkeit zwischen Apg 6,15a und Lk 4,20b zu beachten: Subjekt sind jeweils alle in der Synagoge Anwesenden (pa,ntej), deren Verhalten wird mit avteni,zw im Partizip formuliert, der, auf den sie blicken, mit auvto,j. Diese Analogien könnten darauf hinweisen, dass auch die Verhandlung des Stephanus öffentlichen Charakter hat, insofern dieses Moment in Lk 4,14-30 wichtig ist. Bemerkenswert sind auch strukturelle und z.T. inhaltliche Parallelen zwischen diesen beiden Texten, die sich im wieteren Handlungsverlauf zeigen werden. Vgl. dazu Lektüre von Apg 7,54.58.
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
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»Mose wusste nicht, dass die Hautfarbe seines Angesichts einen glänzenden Ausdruck angenommen hatte, als er mit ihm (Gott) sprach.« Als Mose mit den kurz davor beschriebenen Gesetzestafeln vom Sinai heruntersteigt, wird also sein Gesicht mit dem Verb doxa,zw beschrieben. Das weist darauf hin, dass die Herrlichkeit Gottes (do,xa) von seinem Angesicht zurückstrahlt, „so dass die Israeliten im Strahlen des Angesichts des Mose Gottes Nähe sozusagen ‚sehen‘ können.“244 Ursache für dieses strahlende Gesicht ist also die Nähe Gottes mit seiner Herrlichkeit zum Offenbarungsmittler Mose, wie zum einen die Fortsetzung des Satzes (evn tw/| lalei/n auvto.n auvtw/|) klar macht, zum anderen die Furcht der Israeliten, von der in Ex 34,30 als Reaktion auf dieses ‚(Herrlichkeit Gottes) strahlende‘ Gesicht des Mose berichtet wird. Demnach bedeutet das Strahlen des Gesichts nicht etwas für die Person des Mose, sondern für die, die an seinem Gesicht etwas sehen und ablesen können. Auch das Verdecken des ‚strahlenden‘ Gesichts (Ex 34,33-35) illustriert den Sinn dieses Strahlens: es soll das Besondere der Mose-Offenbarung dem Profanen entziehen und somit bewahren. Deutlich wird das daran, dass Mose sein Gesicht nur außerhalb des Zeltheiligtums verdeckt, wenn er also nicht mit Gott spricht oder dem Volk Gottes Willen verkündet. Demnach drückt das strahlende Gesicht des Mose „die Nähe Gottes bei seinem Volk in der Mose vermittelnden Offenbarung“245 aus und betont die besondere Rolle des Mose als Mittler zwischen Gott und Volk.
Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass auch das veränderte Gesicht des Stephanus seine Ursache in Gott selbst hat, der ihn wie Mose als einen Propheten bestätigt. Der Vergleich mit einem engelsgleichen Gesicht, d.h. mit einem Gottesboten,246 deutet dann auch darauf hin, dass er in seiner prophetischen Rolle eine Mittlerfunktion einnimmt. In Analogie zu Mose ist diese Erscheinung des geistbegabten Stephanus (6,5.8.10) wohl auch Zeichen besonderer Nähe Gottes, als deren Ausdruck das engelsgleiche Gesicht des Stephanus Gottes Herrlichkeit sehen lässt.247
244
DOHMEN, Exodus, 374. DOHMEN, Exodus, 375. Anhand der Decke über dem strahlenden Angesicht werde der Zentralgedanke zur Offenbarungsvermittlung aus Ex 25-31 in Verbindung mit dem Zeltheiligtum verdeutlicht. Die in Moses strahlendem Gesicht sichtbare Nähe Gottes zu seinem Volk bleibe auch über den Tod des Mose bestehen, insofern gerade ab Ex 34,2935 „Mose“ zum Inbegriff der von ihm vermittelten Offenbarung, der „Tora“ wird. Trotz der klaren Aussage, Gottes Angesicht könne von keinem Menschen geschaut werden (Ex 33,20), werde Gottes Gegenwart durch die Mose-Tora über das Sinaiereignis herausgehoben und zur Grundlage des Kultes für alle Zeiten. Dessen Anfang finde sich in der Fortsetzung vom Bau des Zeltheiligtums und dem mit ihm verbundenen Gottesdienst. 246 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 352. 247 Da 7,55-56 von einer Vision des Stephanus berichtet, kann darüber nachgedacht werden, ob 6,15 ebenfalls eine Vision, nämlich der Herrlichkeit Gottes, impliziert. 245
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Als göttliche Bestätigung für die Gestalt des Stephanus vor dem Synedrium kann 6,15 auch aufgrund von Anspielungen an die Verklärung Jesu verstanden werden.248 Diese wird in Lk 9,29 ebenfalls mit dem Hinweis auf ein verändertes Gesicht Jesu (kai. evge,neto evn tw/| proseu,cesqai auvto.n to. ei=doj tou/ prosw,pou auvtou/ e[teron »und es wurde, während er betete, das Aussehen seines Gesichtes ein anderes«) eingeleitet. Zusätzlich zeigt sich Jesus in einem weiß strahlenden Gewand,249 was ebenfalls an die Darstellung von Engeln erinnert (vgl. Mk 16,5; Lk 24,4; Joh 20,12; Apg 1,10; Offb 15,6).250 Danach wird die Begegnung mit Elija und Mose geschildert, mit der Jesus in die Nähe dieser beiden Propheten gerückt wird. Dass diese Erscheinung Jesu zusammen mit Elija und Mose als Offenbarungsgeschehen dient, wird klar, wenn sie in den Worten Gottes aus der Wolke mündet, die Jesus als „seinen“ (Gottes) Sohn bezeichnen.
Insgesamt bestätigt sich durch diese ‚göttliche‘ Unterbrechung also das bisherige Bild der Szene: Stephanus ‚erscheint‘ als eine Geist erfüllte, prophetische Gestalt, die offensichtlich in besonderer Nähe zu Gott steht. Die Anklagen seiner zumindest zahlenmäßig übermächtigen Gegnerschaft dagegen erweisen sich als Falschzeugnisse, insofern Stephanus Gott auf seiner Seite hat.251 Diese ‚göttliche‘ Parteinahme für Stephanus wird allerdings von den Synedristen nicht begriffen, denn in 7,1 tritt der Hohepriester als Vorsitzender einer regulären Gerichtsverhandlung auf und geht ungeachtet dieser engelsgleichen Erscheinung des Stephanus zur ‚Tagesordnung‘ über,252 indem er fragt: eiv tau/ta ou[twj e;ceiÈ »Dies verhält sich so?« 248
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 303. SCHNEIDER, Apg, 440. Ähnlich Mt 17,2. Mk 9,2c.3 weist nur auf das Gewand Jesu hin. 250 Vgl. NICKLAS, TOBIAS, Angels in Early Christian Narratives on the Resurrection of Jesus: Canonical and Apocryphal Texts, in: REITERER, FRIEDRICH V./NICKLAS, TOBIAS/ SCHÖPFLIN, KARIN (Hg.), Angels. The Concept of Celestial Beings – Origins, development and Reception (DCLY 2007), Berlin/New York 2007, 291–311, hier 294, 296, 299, 301. Dort finden sich weitere Beispiele 1 Hen 71,1; TLevi 8,2; TJob 3,1; 4,1; 5,2; 2 Makk 11,8. Die genannten Engel sind alle Boten des Auferstandenen bzw. in Apg 1,10 Erhöhten. Indem Stephanus mit seinem engelsgleichen Gesicht auf sie anspielt, wird er mit diesen Boten des Auferstandenen und Erhöhten parallelisiert. Dieser Zug wird sich in Apg 7,55-56 bestätigen. 251 Der Nähe Gottes, die sich hier im engelsgleichen Gesicht des Stephanus abbildet, entsprechen auch die Worte o` qeo.j th/j do,xhj, mit denen die Stephanusrede beginnt (7,2b). 252 Dass diese Reaktion der ‚Vision‘ von 6,15 nicht angemessen ist, deutet die Anknüpfung mit de, an, die adversativ verstanden werden kann. Außerdem bestätigt sich in der Fortsetzung der Verhandlung, die das engelgleiche Aussehen des Stephanus ignoriert, der Eindruck, eigentlich stünden die Ankläger und Synedristen im Unrecht, insofern sie sich nun auch noch über die göttliche Beglaubigung des Stephanus hinwegsetzen. Vgl. 249
3 Lektüre von Apg 6,8-7,1
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Ohne Stephanus namentlich anzusprechen, knüpft der Hohepriester mit seiner kurzen, sachlichen Frage an die Anklagen von 6,13-14 an253 und gibt dem Stephanus damit die Möglichkeit, sich an das Synedrium zu richten, zu den Vorwürfen gegen ihn Stellung zu nehmen oder seine Schuld bzw. Unschuld zu beweisen.254 Mit dem Auftreten des Hohenpriesters als oberstem Repräsentanten des Synedriums wird noch einmal der offizielle Charakter deutlich, den der Konflikt um Stephanus angenommen hat. So wird die Situation des Stephanus auch hier in Analogie zu Verhandlungen der Apostel vor dem Synedrium (Apg 5,1ff; 5,17) und zu Jesu Prozess gezeichnet.255 Während Jesus auf die Frage des Hohenpriesters entweder mit Schweigen oder mit nur wenigen Worten reagiert,256 antworten die Apostel mit einer mehr oder weniger ausführlichen Rede zu ihrer Verteidigung. Auf welche Weise Stephanus reagiert, wird die lange Rede Apg 7,2-53 zeigen. 3.3 Fazit Der Erzählabschnitt Apg 6,8-7,1 ist geprägt von Bestätigungen, Steigerungen und Überraschungen bzw. Rätseln. Bestätigt werden die prophetischen Züge des Stephanus, wenn 6,8 seine besondere Erfüllung mit Gnade und Kraft, die sich in seinem Wunderwirken im Volk ausdrückt, in Analogie zur Darstellung Jesu als Prophet (Lk 4,14-30) festhält. Damit geht auch einher, dass Stephanus Ablehnung erfährt (6,9-14) – gemäß dem typischen Geschick der Propheten Israels und Jesu. Dieser Widerstand wird in sich steigernder Form präsentiert: Zum einen wird die bereits angedeutete Analogie zwischen Stephanus als prophetischer Gestalt und Jesus intensiviert, wie nicht nur 6,10 zeigt, wo sich Lk 21,15 erfüllt, sondern vor allem die Schilderung der Verhandlung und besonders die Anklagen gegen Stephanus (6,11.13-14). Diese entsprechen nämlich motivisch weitgehend den Anklagen gegen Jesus nach Mk 14,55-65. Bei der Darstellung des Stephanus als prophetischer Verkündiger des Tempelwortes Jesu (6,14a) – in Analogie zu prophetischer Unheilsverkündigung, wie z.B. Jer 7 – bildet sich die enge Verknüpfung mit Jesus sogar sprachlich ab. ZMIJEWSKI, Apg, 303. Für JERVELL, Apg, 227, liegt darin eine Verhärtung der Ankläger und Synedristen gegen Gott. Vgl. auch BARRETT, Acts, 330. 253 tau/ta bezieht sich wohl auf die Anklagepunkte. 254 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 303. JERVELL, Apg, 227–228. FITZMYER, Acts, 360. 255 Ähnlichkeit besteht auch zum Prozess gegen Paulus Apg 22,5; 23,2.5. 256 Vgl. Mk 14,60-61 par. Mt 26,62-63a. GNILKA, Evangelium nach Markus, 436 und LUZ, Evangelium nach Matthäus, 177, erklären, dass das Schweigen erneut an den Gerechten erinnert, dessen Feinde auf Verderben sinnen, der aber gegenüber ihren Anschlägen seinen Mund nicht öffnet (Ps 38,14f.; 39,10; Jes 53,7).
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Zum anderen zeigt sich eine Steigerung hinsichtlich der Gegnerschaft des Stephanus, insofern sie zahlenmäßig von 6,9-12 ständig anwächst und vor allem mit immer stärkerer Gewalt gegen Stephanus vorgeht. Handelt es sich in 6,9 lediglich um einen Disput (suzhte,w), so findet in 6,11 eine Intrige (u`poba,llw) statt, in 6,12a eine Hetze (sugkine,w, sunarpa,zw), die letztlich in einer offiziellen Gerichtsverhandlung vor dem Synedrium mündet (6,12b). Dabei werden Stephanus schärfste Vorwürfe gemacht, nämlich grundsätzlich Blasphemie (6,11), die sich in permanenter Tempelund Gesetzeskritik konkretisiere (6,11.13-14). Überraschend ist zunächst vor dem Hintergrund von 6,1-7, dass der dort angerissene Konflikt um die Versorgung der hellenistischen Witwen nicht mehr erwähnt wird, obwohl doch Stephanus als einer der sieben Tischdiener eigentlich zur Lösung dieses Problems gewählt wurde. Stattdessen wird Stephanus – abgesehen von 6,8 – als Redner dargestellt. Damit bestätigt sich der Eindruck, 6,1-7 diene nicht dazu, eine historische Begebenheit zu schildern, sondern dazu, das Idealbild der Jerusalemer Gemeinde als Rahmen und Kontrast zum Konflikt um Stephanus zu zeichnen. Überraschungen bieten dann besonders die Anklagen gegen Stephanus: Sie werden nicht nur unvermittelt formuliert, insofern keine konkreten Hintergründe oder Anlässe dafür geschildert werden, sondern überraschen vor allem, weil mit ihnen Motive aus Mk 14,55-65 in die Stephanusepisode übertragen werden, die in der lukanischen Darstellung des Prozesses Jesu fehlen: der Blasphemievorwurf, die Falschzeugen und die Tempelthematik. Das Motiv der Falschzeugen dient dazu, die Anklagen gegen Stephanus im Voraus als falsch zu qualifizieren und damit die Lektüre zu lenken. Ein Vergleich mit Mk 14,55-65 zeigt, dass besonders mit der Tempelkritik als Blasphemievorwurf – auch in Verbindung mit der Gesetzesthematik – die Frage nach der Haltung zum identitätsstiftenden Zentrum ‚Tempel‘ als Ort der Anwesenheit Gottes thematisiert wird. Implizit steht damit zugleich das religiöse Selbstverständnis zur Debatte. So kann als These formuliert werden: Das vom markinischen Prozess Jesu in die Stephanusepisode verlegte Tempelmotiv dient dazu, die Stephanusepisode als eine entscheidende Station innerhalb der lukanischen Erzählung des „Weges des Heils“ zu markieren. Neben dem Vergleich mit Mk 14,55-65 kann diese These vor allem durch die Beobachtung der Bedeutung und Funktion des Tempels an signifikanten Stellen des lukanischen Doppelwerks untermauert werden (vgl. Exkurs). Wird die Dynamik in Apg 6,8-14 durch ein rasches Erzähltempo unterstrichen, so stellt 6,15 ein retardierendes Moment dar, in dem die besondere Nähe Gottes im engelsgleichen Anblick des Stephanus – ähnlich wie bei Mose in Ex 39,29 und Jesus Lk 9,29 – sichtbar bestätigt wird.
4 Lektüre von Apg 7,2-8
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Damit ist die Szenerie, in der die Stephanusrede ihren Ort findet, vorbereitet. Es scheint, als würden sich zwei ungleiche Parteien gegenüberstehen: auf der einen Seite eine (zahlenmäßig) übermächtige Gegnerschaft aus Synagogenmitgliedern, Volk und führenden Autoritäten, auf der anderen Seite die Einzelfigur Stephanus, mit ihm implizit Jesus (6,13-14). Auf seiner Seite ist wegen 6,15 auch Gott zu verorten. Aufgrund der vielen Parallelen zu Mk 14,55-65 erfolgt in Apg 6,9-7,1 in gewisser Weise eine Aktualisierung und Relektüre des Prozesses Jesu. Dabei wird eine der zentralen Fragen der Stephanusrede aufgeworfen: Wo ist der Ort Gottes?
4 Lektüre von Apg 7,2-8 4.1 Strukturanalyse Nach der kurzen Bemerkung in 7,2a, dass Stephanus nun das Wort ergreift, wendet sich dieser zunächst mit einer Anrede und einem Höraufruf an seine Zuhörer (7,2b). Daraufhin beginnt der erste Teil der Stephanusrede, die insgesamt vier große Abschnitte umfasst.257 7,2c nennt mit der Aussage o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa,m »der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham« das Thema dieses ersten Hauptteils und bestimmt die angesprochene Situation örtlich und zeitlich näher durch die beiden Ortsangaben Mesopotamien und Charran, die durch eine relative Zeitangabe (pri,n) miteinander verbunden sind. Daraufhin schildert Vers 3 das Erscheinen Gottes, indem er in direkter Rede die Aufforderung Gottes an Abraham wiedergibt. Nach der kurzen Notiz über die Umsetzung dieses Auftrags durch Abraham (7,4a) berichtet 7,4b, wie dieser in das Land umgesiedelt wird, in dem die Zuhörer der Rede wohnen. Daraufhin erzählt 7,5, wie Gott das Verhältnis Abrahams zu dem Land bestimmt, indem nach einer negativen Aussage (7,5a) Gott dem Abraham und dessen Nachkommen dieses Land als Besitz verheißt (7,5b). In der wörtlichen Rede Gottes (7,6-7) erfolgt ein Ausblick auf die Zeit der Nachkommen Abrahams mit der Ankündigung der 400 Jahre dauernden Knechtschaft in einem fremden Land unter einem fremden Volk (7,67a), der Zusage des Beistands Gottes (7,7b) und der Reaktion der Nachkommen Abrahams darauf (7,7b-d). Nach diesen Zukunftsaussagen, die die unmittelbare Situation Abrahams verlassen, blendet 7,8a-c wieder in dessen Zeit zurück. Hier wird als weiterer wichtiger Aspekt der Geschichte Abrahams der Bund der Beschneidung als Gabe Gottes thematisiert und 257
Vgl. Strukturanalyse der gesamten Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 in III, 1.
166
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
berichtet, dass Abraham, Isaak und Jakob ihn umsetzen. Damit wird zugleich eine lange Zeitspanne bis hin zu den zwölf Stammvätern umrissen. Gliederungsmerkmale innerhalb dieses Abschnittes sind vor allem direkte Reden Gottes, Ortsangaben sowie die Zeitstruktur, die häufig mit den wechselnden Orten und Personengruppen zusammenhängt und zum Teil durch diese indirekt zum Ausdruck kommt. So kann die Struktur von 7,2-8 folgendermaßen dargestellt werden: 7,2a 7,2b 7,2c-4a
7,4b-5
7,6-7
7,8
Redeeinleitung Anrede mit Höraufruf Gott erscheint Abraham in Mesopotamien 7,2c Notiz über das Erscheinen Gottes mit Orts- und Zeitangabe 7,3 Aufforderung Gottes an Abraham 7,4a Reaktion Abrahams: Hinausgehen nach Charran Abraham kommt ins verheißene Land 7,4b Umsiedelung Abrahams ins verheißene Land (Bezug zu Zuhörern) 7,5a Negative Bestimmung des Verhältnisses von Abraham zum Land 7,5b Landverheißung Gottes an Abraham und seine Nachkommen Verheißungen Gottes 7,6 Negative Ankündigungen 7,7a-b Gottes Gericht über die Unterdrücker 7,7c-d Positive Verheißungen Gott gibt Abraham den Bund der Beschneidung 7,8a Notiz der Bundesgabe 7,8b-c Einhalten und Weitergabe des Bundes durch Abraham, Isaak, Jakob
4 Lektüre von Apg 7,2-8
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4.2 Lektüre Apg 7,2a-b 7,2a o` de. e;fh\ b :Andrej avdelfoi. kai. pate,rej( avkou,sateÅ 7,2a »Der aber sagte: b Ihr Brüder und Väter, hört!« Die Formel o` de. e;fh hält fest, dass Stephanus258 die Aufforderung des Hohenpriesters zur Stellungnahme (7,1) annimmt.259 Die nun folgende Rede ist demnach eingebettet in die Szenographie der bisher geschilderten Gerichtsszene (6,12c-7,1),260 so dass dieser entsprechende Ausführungen zu erwarten sind. Gemäß rhetorischer Konventionen antiker Reden beginnt die Stephanusrede mit einer Anrede und einem Höraufruf (7,2b). In der Doppelanrede avdelfoi. kai. pate,rej drückt sich zum einen die Zusammengehörigkeit des Redners Stephanus und seiner Hörer in einer Glaubensgemeinschaft und damit ihre Gleichstellung aus (avdelfoi,),261 zum anderen eine gewisse Distanz und Hierarchie (pate,rej).262 Demnach spiegelt diese doppelte Anrede die Situation der Rede wider, denn vor dem Hintergrund von 6,8-7,1 setzt sich die Zuhörerschaft des Stephanus aus seinen Anklägern der diasporajü-
258 Selbst wenn Apg 7,2-53 keine vom historischen Stephanus gehaltene Rede wiedergibt, sondern eine literarisch gestaltete Rede ist, wird in den vorliegenden Untersuchungen der Einfachheit halber – entsprechend der Erzählwelt – stellenweise der Redner ‚Stephanus‘ genannt. 259 Die Konjunktion de, ist hier als einfache Anknüpfung zu verstehen, nicht im adversativen Sinn. Ungeachtet traditionskritischer Diskussionen über die Einheit von Stephanusrede und rahmendem Erzählstück Apg 6,1-7,1 zeigt sich hier literarisch ein enger Zusammenhang, so dass Apg 6,1-7,1 einen wichtigen Verstehenshorizont der Stephanusrede bereitstellt. 260 Darüber hinaus ist das Verständnis der Szenographie auch von anderen Reden der Apostelgeschichte geprägt, wie z.B. Apg 1,15-22; 2,14-39; 3,12-26; 4,8-12. 261 Zur Anrede avdelfoi, vgl. Lektüre von Apg 6,3. ZMIJEWSKI, Apg, 312. JERVELL, Apg, 232 und FITZMYER, Acts, 369, betonen, durch die in der Anrede enthaltene Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft sei auch impliziert, dass Stephanus und seine Hörer auf gemeinsame Stammväter zurückgehen und von einer gemeinsamen Geschichte geprägt sind. 262 Die gängige respektvolle Anrede kann die Anerkennung der amtlichen Stellung und Autorität der Synedristen implizieren. Vgl. DORMEYER/GALINDO, Apg, 111. FITZMYER, Acts, 369. Nach ZMIJEWSKI, Apg, 312, ist hier schon ein Hinweis auf die Distanzierung des Stephanus von seinen Hörern am Ende der Rede enthalten (7,52). Ähnlich SPENCER, Acts, 70.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
dischen Synagogengemeinden (6,9-11) bzw. dem gesamten Volk (6,12a) und den Synedristen (6,12.15) zusammen. Der ebenfalls in antiken Reden gängige Aufruf avkou,sate kann zunächst als nachdrückliche Bitte um Aufmerksamkeit verstanden werden und signalisiert außerdem eine hohe Bedeutung des folgenden Redeinhalts. Bekannt ist dieser Höraufruf dem Leser nämlich aus Apg 2,22a, wo Petrus das entscheidende Kerygma über das Handeln Gottes in Jesus Christus (Apg 2,22b-24) folgendermaßen einleitet: a;ndrej VIsrahli/tai( avkou,sate tou.j lo,gouj tou,touj »Ihr Israeliten, hört diese Worte«.263 Diese Aufforderung erinnert darüber hinaus an den häufigen Anfang der Reden des Mose im Buch Deuteronomium (a;koue Israhl), in denen er dem Volk Israel Gesetze und Rechtsvorschriften von Gott übermittelt (Dtn 4,1; 5,1; 6,4) oder vom Einzug ins verheißene Land spricht (Dtn 9,1; 20,3).264 Von Stephanus und seiner Rede kann demnach ein ähnlich entscheidender Inhalt erwartet werden wie vom Repräsentanten der Apostel und von Mose. Apg 7,2c-4a 2c
~O qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa.m o;nti evn th/| Mesopotami,a| pri.n h' katoikh/sai auvto.n evn Carra.n kai. ei=pen pro.j auvto,n\ e;xelqe evk th/j gh/j sou kai. ÎevkÐ th/j suggenei,aj sou( kai. deu/ro eivj th.n gh/n h]n a;n soi dei,xwÅ to,te evxelqw.n evk gh/j Caldai,wn katw,|khsen evn Carra,nÅ
3a b c 4a 2c
»Der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham als er in Mesopotamien war, bevor er sich in Charran ansiedelte, und er sprach zu ihm: Geh weg aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft, und hierher in das Land, das ich dir zeigen werde. Darauf ging er weg aus dem Land der Chaldäer und siedelte sich in Charran an.«
3a b c 4a
263
Ähnlich Apg 13,16; 15,14; Apg 22,1. Diese Reden werden nicht nur bedeutenden Gestalten der Apostelgeschichte in den Mund gelegt, mit denen Stephanus dadurch Ähnlichkeit bekommt. Darüber hinaus markieren diese Reden entscheidende Ereignisse im Verlauf der Verkündigung des Evangeliums innerhalb der Apostelgeschichte: die „Antrittsrede“ des Paulus (Apg 13,16-52), die Entscheidung zu beschneidungsfreier Völkermission in Apg 15 und die Verteidigungsrede des Paulus in Jerusalem (Apg 22). So kann auch von der Stephanusrede die Markierung eines entscheidenden Ereignisses erwartet werden. Vgl. JERVELL, Apg, 232. FITZMYER, Acts, 369. 264 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 355. In diesen Mose-Reden werde zwar das Volk Israel als Gesamtheit angesprochen, aber implizit sei in Apg 7,2 ebenfalls das ganze Volk gemeint.
4 Lektüre von Apg 7,2-8
169
Die ersten Worte o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa,m »der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham« in 7,2c benennen wie eine Überschrift das Thema dieses Redeabschnitts.265 Hierbei vermittelt die Wendung o` qeo.j th/j do,xhj gleich zu Beginn bestimmte Vorstellungen von Gott, wie anhand von Ps 28,3 LXX266 deutlich wird, auf den hier angespielt wird.267 Ps 28,3 LXX fwnh. kuri,ou evpi. tw/n u`da,twn o` qeo.j th/j do,xhj evbro,nthsen ku,rioj evpi. u`da,twn pollw/n »Die Stimme des Herrn über den Wassern, der Gott der Herrlichkeit hat gedonnert, der Herr über vielen Wassern«. Mit der Rede von der Stimme des Herrn, des Gottes der Herrlichkeit (o` qeo.j th/j do,xhj), die die Chaoswasser bändigt, wird Gott als der mächtige Schöpfergott dargestellt, der auf der Erde Leben ermöglicht und erhält, wie auch Vers 4 unterstreicht. Der »Gott der Herrlichkeit« ist also einer, der durch seine Herrlichkeit in Beziehung zu den Menschen tritt, indem er seine do,xa bzw. sich in der do,xa offenbart.268 Insofern hier die schöpferische Kraft Gottes ausgedrückt wird, zeigt sich, dass do,xa zum einen Gottes grundsätzliche Weltüberlegenheit und Transzendenz beinhaltet, zum anderen Gottes Wirken in der Welt.269 Letzteres wird auch im Exodus deutlich, der neben der Schöpfung als grundlegendes Geschehen geschildert wird, in dem die göttliche Herrlichkeit in die menschliche
265
Im Verlauf der Lektüre von Apg 7,2-53 wird sich zeigen, dass diese Wendung sogar als Überschrift über die gesamte Rede verstanden werden kann. 266 Die Wendung o` qeo.j th/j do,xhj findet sich in exakt dieser Form nur in Apg 7,2 und Ps 28,3. Dies fällt besonders angesichts des häufigen Vorkommens des do,xa-Begriffs innerhalb der christlichen Bibel auf. Vgl. dazu LANGER, GERHARD, Herrlichkeit als kbd in der hebräischen Bibel – mit einem Schwerpunkt auf dem Pentateuch, in: KAMPLING, RAINER (Hg.), Herrlichkeit. Zur Deutung einer theologischen Kategorie, Paderborn u.a. 2008, 21–56, hier 21. Eine Anspielung auf Ps 28,3 beobachten z.B. FITZMYER, Acts, 369. JERVELL, Apg, 232. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 354, Anm. 81. 267 Aufgrund der Komplexität des do,xa-Begriffs im jüdisch-christlichen Schrifttum kann hier – ausgehend von Ps 28,3 – nur ein kurzer Überblick über wesentliche Aspekte davon gegeben werden. Eine sehr ausführliche Untersuchung zum do,xa-Begriff bietet CHIBICI-REVNEANU, NICOLE, Die Herrlichkeit des Verherrlichten. Das Verständnis der do,xa im Johannesevangelium (WUNT II 231), Tübingen 2007, 354–464. Zu do,xa als Übersetzungsbegriff zu hebr. dwbk vgl. EBD., 354–362, bes. 360–362. 268 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 425. Die do,xa begegnet „wesentlich als etwas, wodurch Beziehungen zwischen Gott und Mensch gestaltet und strukturiert werden.“ EBD., 457. Durch die Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch als eines von do,xa geprägten Beziehungsgeschehens werde die Personalität Gottes und seiner Beziehungen unterstrichen. Zur do,xa als relationaler Begriff vgl. EBD., 374–404, 457–458. Ausführlich zu do,xa als Offenbarungsbegriff vgl. EBD., 404–426. 269 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 458, 462 u.a.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Wirklichkeit einbricht.270 Auf das Exodusgeschehen deutet Ps 28 ebenfalls hin, wenn mit dem Bild von der »Flamme des Feuers« (flo,ga puro,j Ps 28,7) auf die Erscheinung des Herrn vor Mose am Horeb (Ex 3) und vor dem Volk Israel am Sinai (Ex 19; 24,17 u.a.) angespielt wird.271 In diesen Texten zeigt sich, dass die do,xa Gottes seine Selbstoffenbarung und sein Eingreifen in die Geschichte als personales Geschehen kennzeichnet, in dem Gott aber dennoch unverfügbar bleibt. Die gleichzeitige Verhüllung und Verborgenheit Gottes trotz der Offenbarung seiner do,xa wird nämlich daran deutlich, dass Gott nur gehört, aber nicht unmittelbar gesehen werden kann, sondern nur in Gestalt eines Feuers oder einer Wolke (Ex 24,17-18 u.a.). Besonders bezeichnend dafür ist Ex 33,18-23; 34,29-35,272 wo das Gott Sehen ausführlich thematisiert wird. Am Exodusereignis insgesamt ist exemplarisch zu sehen, dass Gott mit seiner do,xa heilvoll in die Geschichte eingreift.273 Darüber hinaus zeigt sich ein enger Zusammenhang zwischen der do,xa Gottes und einer Kultgemeinde, die der do,xa Gottes begegnet. So werden nach der Errichtung der Stiftshütte alle weiteren Herrlichkeitserscheinungen an dieses mobile Heiligtum gebunden (Ex 25,8-9; 40,34f.; Lev 9,6; Num 14,10 u.a.).274 Dementsprechend wird dann auch der Tempel bzw. Zion oder Jerusalem als Wohnstätte der Gottesherrlichkeit und damit als zentraler Ort der kultisch gestalteten do,xa-Beziehung zwischen Gott und Menschen betrachtet.275 Dabei ist zwar zunächst das Volk Israel als primäre Kultgemeinde im Blick, aber letztlich geht es um eine allumfassende „Sammlung des Gottesvolkes und der Fremdvölker unter die do,xa des Gottes Israels.“276 Daran zeigt sich, dass die do,xa Gottes nicht nur Mittel ist, um sich mit bleibender Transzendenz den Menschen zu offenbaren, sondern auch Inhalt einer Hoffnung, die sich auf die Neugestaltung von Beziehungen durch do,xa bezieht. Der do,xa-Begriff hat demnach auch eine soteriologische und eschatologische Dimension. So drückt sich in der 270 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 425. Erfahrbar sei die do,xa in einem visuellen Eindruck oder als inhaltliche Erkenntnis. Im Exodusgeschehen werde deutlich, dass Wunder Gottes Herrlichkeit illustrieren (Ex 16,7.10; Num 14,22 u.a.). Darüber hinaus offenbare sich Gottes Herrlichkeit im Gericht (Num 14,10), in der Weisheit (Weish 9,11; 10,14) und in der Schrift (Ex 25ff. im Kontext der Herrlichkeitserscheinungen von Ex 24,16f.). Vgl. EBD., 413–417, 419–422. Besonders die offenbarungstheologische Komponente mache das jüdische Herrlichkeitsverständnis anschlussfähig für eine christologische Anwendung auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Vgl. EBD., 425. 271 Ausführlich zu dwbk im Pentateuch vgl. LANGER, Herrlichkeit, 25–47. Zu den Bildern Feuer und Wolke vgl. EBD., 32–33. 272 Vgl. dazu auch die Untersuchungen zu Apg 6,15; 7,44-50. Vgl. DOHMEN, Exodus, 347–352. LANGER, Herrlichkeit, 37–46. 273 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 460. Auf diesen Aspekt deutet auch Ps 28,11 hin. 274 Vgl. dazu DOHMEN, Exodus, 247–248, 398–402. LANGER, Herrlichkeit, 33–34. 275 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 427, 449. Dies zeige sich auch am salomonischen Tempel (1 Kön 8,10-11; 2 Chr 5,13-14). Die kultische Dimension des do,xaBegriffs wird auch in Ps 28,1-2.9-11 deutlich. 276 CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 461. Vgl. auch Lk 2,32.
4 Lektüre von Apg 7,2-8
171
Hoffnung auf zukünftige und endzeitliche Herrlichkeit die Hoffnung auf die Wiedererrichtung des Zion, auf gerechtes Gericht Gottes, auf das Kommen des messianischen Retters und auf die Auferstehung aus.277
Insofern die Stephanusrede mit den Worten aus dem „Theophaniehymnus“278 Ps 28,3 die grundlegende Offenbarung Gottes in seiner herrlichen Schöpferkraft impliziert und damit programmatisch279 das Thema des Folgenden formuliert, zeigt sich: Es geht um den grundsätzlich transzendenten Gott, der sich in seinem herrlichen, schöpferischen, heilvollen und richterlichen Wirken in der Geschichte offenbart, und dem seiner Herrlichkeit entsprechende Ehre dargebracht werden soll (vgl. Ps 28,1-2).280 Mit der Rede von diesem »Gott der Herrlichkeit« geht es also zugleich um eine Geschichte der Gottesbegegnung und -beziehung. Vor diesem Hintergrund erweist sich also der Blasphemievorwurf gegen Stephanus (6,11) von Anfang an als nicht haltbar. Vielmehr entspricht die Rede vom »Gott der Herrlichkeit« dem, was im engelsgleichen Gesicht des Stephanus sichtbar ist (6,15).281
277 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 461. Dies wird auch in Ps 28,10 angedeutet. EBD., 462–464, zeigt auf, dass besonders hier spezifisch christliche bzw. christologische (Um-)Prägungen des do,xa-Begriffs ihren Anknüpfungspunkt finden. Als Grundaussage christologischer do,xa-Reflexion kristallisiere sich heraus: „Die do,xa Jesu Christi ist Gottes do,xa.“ Vgl. dazu auch Apg 7,55; Lk 9,26.31f.; 21,27; 24,26. 278 ZENGER, ERICH, Psalmen. Auslegungen, Bd. 3 Dein Angesicht suche ich, Freiburg u.a. 2003, 118. In diesem Psalm werde die besondere Gestalt des biblischen Monotheismus sichtbar, denn es gehe um die spezifische göttliche Wirkmächtigkeit, die dem Herrn allein zukomme. Hier zeige sich nämlich deutlich, wie Aussagen, die mit anderen Göttern verbunden waren, in einem komplexen Prozess auf JHWH übertragen wurden, vgl. bes. Ps 28,1-2. Zur Auslegung von Ps 28 insgesamt vgl. EBD., 113–120. Zu dwbk in den Psalmen vgl. auch LANGER, Herrlichkeit, 47–55. 279 Programmatisch kann dieser Beginn mit o` qeo.j th/j do,xhj insofern genannt werden, als die Stephanusrede grundlegende Aspekte der Rede von der do,xa Gottes spiegelt. So zeigt sich die Dimension der Offenbarung, besonders ausführlich am grundlegenden Geschehen des Exodus (Apg 7,33-45), aber auch die kultische Dimension ist enthalten (bes. Apg 7,40-43.44-50), wobei immer die Dialektik zwischen der Transzendenz und der Immanenz Gottes reflektiert wird. Darüber hinaus thematisiert Apg 7,55-56 die eschatologische und richterliche Dimension und zeigt zugleich die christliche Anknüpfung und Prägung des do,xa-Begriffs. 280 Vgl. ZENGER, Psalmen 3, 115–116. In diesem ersten Teil des Psalms werden die Gottessöhne aufgefordert, dem Herrn Ehre und Ehrfurcht (do,xan kai. timh,n) und dem Namen des Herrn do,xa darzubringen und sich vor ihm niederzuwerfen (proskune,w). 281 Auch für JERVELL, Apg, 232, ist der Titel o` qeo.j th/j do,xhj nicht nur „Ornament“, sondern ein Rückverweis auf 6,15, wo das Gesicht des Stephanus die Herrlichkeit Gottes widerspiegelt, sowie ein Vorverweis auf 7,55, wo er als Geistbegabter den Abglanz der göttlichen Herrlichkeit sogar sieht.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Inwiefern der Gott der Herrlichkeit sich offenbart, wird in 7,2c ausgeführt: w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa,m »(Der Gott der Herrlichkeit) erschien unserem Vater Abraham«. Deutlich betont wird hier, dass es sich um ein von Gott initiiertes Offenbarungsgeschehen (w;fqh) handelt.282 Mit Stephanus und seinen Zuhörern hat dieses insofern zu tun, als Abraham ihr gemeinsamer Stammvater ist: o` path.r h`mw/n. Durch den Rückgriff auf die Anrede der Zuhörer (pate,rej) wird also ihre Herkunft von und Zugehörigkeit zu Abraham angesprochen, die auch Stephanus mit ihnen teilt (h`mw/n). Stephanus und seine Zuhörer sind demnach durch gemeinsamen Ursprung und Geschichte miteinander verbunden. Auf die den Zuhörern und dem Redner gemeinsame Nachkommenschaft Abrahams wird in der Apostelgeschichte an zwei weiteren Stellen hingewiesen, nämlich Apg 3,13 (o` qeo.j VAbraa.m kai. Îo` qeo.jÐ VIsaa.k kai. Îo` qeo.jÐ VIakw,b( o` qeo.j tw/n pate,rwn h`mw/n »Der Gott Abrahams und [der Gott] Isaaks und [der Gott] Jakobs, der Gott unserer Väter«) und Apg 13,26 (a;ndrej avdelfoi,( ui`oi. ge,nouj VAbraa,m »Ihr Männer, Brüder, Söhne aus dem Geschlecht Abrahams«). Beide Male ist diese Erinnerung an die verbindende Herkunft von dem vorbildlich glaubenden Abraham Ausgangspunkt für den Vorwurf, die Zuhörer und deren Führerschaft hätten Jesus getötet, Gott aber habe ihn auferweckt. Diesem Kontrastschema entsprechend kann der Leser auch in 7,2c nach dem Hinweis auf die ursprüngliche Verbindung mit Abraham eine ähnliche Fortsetzung erwarten.283 Allerdings behandelt die Stephanusrede zunächst weiterhin die Erscheinung Gottes vor Abraham: o;nti evn th/| Mesopotami,a| pri.n h' katoikh/sai auvto.n evn Carra,n »als er in Mesopotamien war, bevor er sich in Charran angesiedelt hatte«. Überraschenderweise stimmt diese Ortsangabe nicht mit der Erzählung im Buch Genesis überein, denn laut Gen 11,31 erscheint Gott Abraham, während dieser sich zusammen mit seiner Familie in Charran, einer Zwischenstation auf dem Weg nach Kanaan, befindet: kai. e;laben Qara to.n Abram ui`o.n auvtou/ kai. to.n Lwt ui`o.n Arran ui`o.n tou/ ui`ou/ auvtou/ kai. th.n Saran th.n nu,mfhn auvtou/ gunai/ka Abram tou/ ui`ou/ auvtou/ kai. evxh,gagen auvtou.j evk th/j cw,raj tw/n Caldai,wn poreuqh/nai eivj th.n gh/n Canaan kai. h=lqen e[wj
282 w;fqh wird z.B. auch in den Offenbarungsgeschehen Gen 17,1; 26,24; Ex 3,1 verwendet. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 313. FITZMYER, Acts, 369. In Ex 16,10; Num 14,10; 16,19; 17,7; 20,6 begegnet sogar die Wendung h` do,xa kuri,ou w;fqh. Weiterhin bezeichnet w;fqh das Erscheinen des Auferstandenen Lk 24,34; Apg 13,31; 1 Kor 15,5-8 und das Erscheinen des Engels (des Herrn) Lk 1,11; 22,43 sowie das Erscheinen Elijas und Moses in Mk 9,4 parr. Mt 17,3. 283 Das Kontrastschema wird erst am Ende der Rede (7,51-53) deutlich, kann aber schon hier die Richtung des Lektürevorgangs lenken.
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Carran kai. katw,|khsen evkei/ »Und Thara284 nahm Abram, seinen Sohn, und Lot, Sohn seines Sohnes Arran, und Sara, seine Schwiegertochter, die Frau seines Sohnes Abram, und führte sie aus dem Land der Chaldäer weg, um ins Land Kanaan zu ziehen, und er ging bis Charran und dort ließ er sich nieder.« Auch der Aufbruch Abrahams nach der Offenbarung Gottes, den Gen 12,4 notiert, bestätigt dies: Abram de. h=n evtw/n e`bdomh,konta pe,nte o[te evxh/lqen evk Carran »Abram aber war 75 Jahre alt, als er aus Charran wegging.«
Indem Apg 7,2c die Erscheinung Gottes vor Abraham ausdrücklich vor (pri,n) Abrahams Aufenthalt in Charran ansetzt und noch dazu Mesopotamien als Erscheinungsort nennt, wird dieses Ereignis im Vergleich zur Genesisdarstellung um eine Station auf dem Weg Abrahams nach vorne in seine Heimat verlegt. Im Rahmen der Genealogie Terachs wird nämlich das Land der Chaldäer (Gen 11,28: … evn th/| gh/| h-| evgenh,qh evn th/| cw,ra| tw/n Caldai,wn »… im Land, in dem er geboren worden war, in dem Land der Chaldäer«), das in Mesopotamien liegt,285 als Heimat Abrahams und seiner Familie genannt. Diese Vorverlagerung akzentuiert, dass Gott Abraham von seinem Ursprung an herausgerufen und geführt hat, betont also die ursprüngliche Initiative Gottes für den Weg Abrahams und folglich für den der Zuhörer selbst wie die Anrede (:Andrej avdelfoi. kai. pate,rej) und Einführung Abrahams (o` path.r h`mw/n VAbraa,m) ausdrücken. Weiterhin deutet die Situierung der Erscheinung Gottes vor Abraham darauf hin, dass das Thema ‚Land‘ fokussiert wird, denn im Vergleich zur Einführung Abrahams in Gen 11,26-32, wo er in die Genealogie Terachs eingebettet wird, also die familiäre Abstammung und Situation im Vordergrund steht,286 wird Abraham in Apg 7,2 ausschließlich mit seinem Herkunftsland verbunden. Mit dieser Gestaltung des Rekurses auf Abraham wird außerdem im Hinblick auf das Thema der Offenbarung Gottes (o` qeo.j th/j do,xhj 284 Die Schreibweise der Eigennamen in den Übersetzungen der alttestamentlichen Texte folgt KRAUS/KARRER, Septuaginta deutsch, entsprechend dem griechischen Text der Septuaginta. Bei der Besprechung der alttestamentlichen Texte wird in dieser Arbeit jedoch die Schreibweise der Eigennamen aus der Einheitsübersetzung übernommen, da diese für den Leser geläufiger sind. 285 Vgl. FITZMYER, Acts, 370: Die unterschiedlichen Bezeichnungen der Herkunft Abrahams im hebräischen Text (Ur) und in der LXX cw,ra tw/n Caldai,wn schließen einander nicht aus, insofern Ur viele Jahrhunderte später zu Babylonien gehörte. Dieses wurde zur Zeit der Dynastie babylonischer Könige (626-539 v. Chr.), die auch Chaldäer genannt wurden, dementsprechend ‚Land der Chaläder‘ bezeichnet. Darauf weisen assyrische Königsinschriften aus dem 9. Jh. hin, die das südliche Land als Kaldu und seine Bewohner als Kaldai bezeichnen, Siedler im Land zwischen Euphrat und Tigris, nördlich des Persischen Golfs. 286 Vgl. HIEKE, Genealogie, 138. Die Linie Abrahams in Gen 11,27-25,11 stehe unter der permanenten Spannung zwischen (verheißener) Nachkommenschaft und deren Gefährdung.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
w;fqh) gezeigt, dass Gotteserscheinung bzw. -präsenz auch, ja sogar ursprünglich, außerhalb des verheißenen Landes möglich ist.287 Dass das Hauptinteresse auf dem Handeln Gottes liegt, unterstreicht weiterhin Apg 7,3b.c, wo das eigentliche Offenbarungsgeschehen nach einer kurzen Einleitung (kai. ei=pen pro.j auvto,n 7,3a) in direkter Rede Gottes an Abraham aus dem Mund des Stephanus wiedergegeben wird: Gott stellt die anspruchsvolle Forderung an Abraham, nicht nur sein (Heimat-)Land, sondern auch seine engsten sozialen Beziehungen zu verlassen (e;xelqe evk th/j gh/j sou kai. ÎevkÐ th/j suggenei,aj sou »geh weg aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft« 7,3b). Ergänzend dazu (kai,) gibt Gott Abraham – ebenfalls auffordernd (deu/ro288) – das Zielland an, von dem er keinen Namen nennt. Vielmehr wird es ausschließlich durch seinen Bezug zu Gott charakterisiert, insofern es das Land ist, das Gott Abraham zeigen werde (kai. deu/ro eivj th.n gh/n h]n a;n soi dei,xw289 »und hierher in das Land, das ich dir zeigen werde« 7,3c). Gott, der hier durch die Rede des Stephanus zu Wort kommt, wird also erneut als aktiv Handelnder gezeichnet, indem er sein Erscheinen vor Abraham mit dieser ‚anspruchsvollen Aufforderung‘ verbindet. Darin formuliert er implizit ein Beziehungsangebot an Abraham, der alles ihm bisher Vertraute verlassen und sich ganz auf Gott verlassen soll. Dieser bietet ihm ‚relative‘ Sicherheit an, nämlich in Bezug auf Gottes Führung. Damit wird deutlich die Rede Gottes an Abraham Gen 12,1-3 eingespielt:290
287 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 156. Die Akzentuierung des Handelns Gottes an Abraham bestätigt sich im weiteren Verlauf der Abrahamspassage Apg 7,3-8, besonders in Apg 7,4. Die Vorverlagerung der Erscheinung vor Abraham in die Zeit vor der Umsiedelung nach Haran finde sich auch in Ps-Philo. Außerdem zeichne diese Struktur der Abrahamsgeschichte z.B. Jos 24,2-4; Ps 104,8-11; Neh 9,7f. nach. Vgl. auch SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 356, 358–359: Mesopotamien sei mit Babylonien gleichzusetzen; darum werde deutlich, dass Apg 7,2 Abraham in der Diaspora berufen sein lasse. Damit werde darauf hingewiesen, dass Gottes-Beziehung in jedem Land möglich sei. JANKOWSKI, Und sie werden hören, 117–118, meint, hier werde deutlich, dass die Stephanusrede nicht vom Zentrum des jüdischen Lebens, vom Land Israel und dem Tempel her denke, sondern von der Diaspora, in einer Zeit, in der das Land und der Tempel zerstört seien. 288 Nach FITZMYER, Acts, 370, ist das Adverb deu/ro hier imperativisch gebraucht. 289 Wegen des Futurs dei,xw kann bereits vermutet werden, dass Gott Abraham sicher führen wird, so dass sich in dieser Aufforderung zugleich eine Prophezeiung andeutet. 290 Vgl. FITZMYER, Acts, 369–370. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 130.
4 Lektüre von Apg 7,2-8
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Gen 12,1-3 1 kai. ei=pen ku,rioj tw/| Abram e;xelqe evk th/j gh/j sou kai. evk th/j suggenei,aj sou kai. evk tou/ oi;kou tou/ patro,j sou eivj th.n gh/n h]n a;n soi dei,xw 2 kai. poih,sw se eivj e;qnoj me,ga kai. euvlogh,sw se kai. megalunw/ to. o;noma, sou kai. e;sh| euvloghto,j 3 kai. euvlogh,sw tou.j euvlogou/nta,j se kai. tou.j katarwme,nouj se katara,somai kai. evneuloghqh,sontai evn soi. pa/sai ai` fulai. th/j gh/j 1 »Und der Herr sagte zu Abram: Gehe weg aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde. 2 Und ich werde dich zu einem großen Volksstamm machen und dich segnen und deinen Namen groß machen und du wirst gesegnet sein. 3 Und ich werde diejenigen segnen, die dich segnen, und diejenigen, die dich verfluchen, werde ich verfluchen; und gesegnet werden in dir alle Stämme der Erde werden.« Mit dieser Anweisung Gottes zum Auszug, die mit einer Verheißung verbunden ist, wird die Geschichte Abrahams eingeleitet291 sowie zugleich von der Urgeschichte zur Vätergeschichte übergeleitet. Dabei dominiert der Aspekt der Verheißung, zumal diese mit einem umfassenden Segen verbunden ist, der sogar über Israel hinaus weist und dadurch schon ansatzweise die Vätergeschichte mit der Geschichte des Volkes Israel verklammert.292
In Apg 7,3 sind aus Gen 12,1-3 neben der Redeeinleitung die Aufforderung an Abraham, sein Land und seine Verwandtschaft zu verlassen, sowie die Bezeichnung des Ziellandes fast wörtlich übernommen. Allerdings fehlt hier gegenüber dem Subtext die Aufforderung, das Haus des Vaters zu verlassen, d.h. „das stärkste Band naturgegebener Zusammengehörigkeit zu lösen“ und „mit Tradition und Vorfahren zu brechen“293, so dass hiermit der Aspekt der Familie in den Hintergrund gerückt wird. Zentraler 291 Vgl. WESTERMANN, CLAUS, Genesis, 2. Teilband. Genesis 12-36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn 1981, 166. Er sieht hier eine „zweite Einleitung der Geschichte Abrahams“ nach Gen 11,27-32, die als „theologisch bestimmte Überleitung“ diene. 292 Vgl. SEEBASS, HORST, Genesis II, Vätergeschichte I (11,27-22,24), NeukirchenVluyn 1997, 15, 17. Dieser Segen komme einer Berufung Israels gleich. Wie JHWH bisher der einzige in der Völkerwelt genannte Gott gewesen sei, so werde auch hier sein Wirken nicht auf Israel beschränkt, selbst wenn es sich an Abram bzw. Israel orientiere. Grundlegende Intention von Gen 12,3 sei „die Ätiologie der Ätiologien Israels, also die Urgeschichte in ein (von Jahwe her) angemessenes Verhältnis zur Israelgeschichte setzen.“ Es solle Israel ein Woraufhin benannt werden, das alle Sippen der Erde einbezieht, ohne die Verwirklichung schon beschreiben zu können. Ähnlich WESTERMANN, Genesis II, 166, 168. 293 JACOB, BENNO, Das erste Buch der Tora. Genesis, Berlin 1934, 334. Vgl. auch SEEBASS, Genesis II, 13.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
scheint vielmehr das Thema ‚Land‘ zu sein, denn während Gen 12,1 zweimal vom Land spricht, nämlich einmal vom Heimatland und einmal vom Zielland, und damit die ebenfalls zweifache Rede von der Verwandtschaft einrahmt, wird in Apg 7,3 die nur einfache Erwähnung der Verwandtschaft von der zweifachen Thematisierung des »Landes« eingerahmt. Das Zurücktreten des Themas ‚Verwandtschaft‘ in Apg 7,3 wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass die ausführliche Zusage von Nachkommenschaft und Segen (Gen 12,2-3) fehlt. Dadurch werden nicht nur der Aufforderungscharakter der Gottesrede – auch hervorgehoben durch den Zusatz deu/ro – und die Ungewissheit des Verlassens von Vertrautem betont, sondern zugleich das Zielland.294 Indem es durch die Wendung h` gh/ h] a;n soi dei,xw »das Land, das ich dir zeigen werde« umschrieben wird, steht außerdem wieder das aktive Handeln Gottes im Vordergrund.295 Auch anhand der kontextuellen Einbettung zeigt sich als Hauptinteresse der Stephanusrede bezüglich der Abrahamsgeschichte die ursprüngliche Initiative Gottes für die Geschichte Abrahams und folglich des Volkes Israel sowie als weiterer Schwerpunkt das Thema ‚Land‘. Während nämlich Gen 12,1 unmittelbar mit der Rede Gottes beginnt, nachdem im Rahmen einer ausführlichen Genealogie Abrahams Abstammung und derzeitiger Aufenthaltsort erläutert werden, nennt Apg 7,2-3 den Beginn der Abrahamserzählung interpretierend »Erscheinen des Gottes der Herrlichkeit«.296 Erst daraufhin erwähnt Apg 7,2 den von der Genesiserzählung abweichenden Aufenthaltsort Abrahams – unabhängig von genealogischen Angaben – und gibt erst danach die direkte Rede Gottes von Gen 12,1-3 in verkürzter Form wieder. Wie die Gottesrede in 7,3,b.c erwarten lässt, hält 7,4a Abrahams Reaktion darauf fest: to,te evxelqw.n evk gh/j Caldai,wn katw,|khsen evn Carra,nÅ »Darauf ging er weg aus dem Land der Chaldäer und siedelte sich in Charran an.«
294 Gegen RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 130, der in der Ortsangabe eine Ersetzung von mit dem Ziel, die Aussage zu verkürzen, sieht. Darum könne dieser Unterschied inhaltlich vernachlässigt werden. 295 JACOB, Genesis, 335, erklärt das „Zeigen des Landes“ bedeute, Gott werde über die Beschaffenheit des Landes durch Augenschein belehren (Vgl. Dtn 32,49; 34,1). Die Ausführung davon erfolge in Gen 12,7; 13,14-16. Da ein bereits existierendes Gut, das verheißen wird, einem gezeigt werden müsse, würden alle Offenbarungen, in denen das Land Kanaan zugesagt wird, in diesem selbst erfolgen (Gen 12,7; 13,14; 15,7; 17,8; 24,7; 26,3-4 u.a.). 296 Von einem Erscheinen (w;fqh) Gottes vor Abraham ist in der Genesiserzählung explizit erst in Gen 12,7 die Rede, also in Sichem bei der Landverheißung für die Nachkommenschaft Abrahams.
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Demnach folgt Abraham der Aufforderung Gottes unmittelbar und widerspruchslos, wie nicht nur die Konjunktion to,te andeutet, sondern vor allem die Partizipialkonstruktion evxelqw,n, die die erste Forderung Gottes e;xelqe evk th/j gh/j sou (7,3b) aufnimmt.297 Abweichend von dieser wird aber das Land nicht mehr als ‚Abrahams Land‘ bezeichnet, sondern distanzierend als Land der Chaldäer. Die Übersiedelung nach Charran als weitere Reaktion Abrahams neben seinem folgsamen Aufbruch greift dann die Orts- und Zeitangabe von 7,2c (pri.n h' katoikh/sai auvto.n evn Carra,n »bevor er sich in Charran niedergelassen hatte«) auf. Dadurch bildet Abrahams Zwischenaufenthalt in Charran einen Rahmen um die Aufforderung Gottes und ihre Umsetzung durch Abraham, was noch einmal unterstreicht, dass Gott Abraham nicht auf dieser Zwischenstation erschienen ist, sondern den Weg Abrahams durch seine Erscheinung initiiert hat. An dieser Stelle sind vor allem zwei Subtexte interessant: Zum einen spielen nämlich die Landesbezeichnungen auf Gen 11,27-32 an, zum anderen erinnert der Erzählduktus Aufforderung Gottes – Reaktion Abrahams an Gen 12,4-5. In der so genannten Genealogie Terachs298 Gen 11,27-32 wird nicht nur der Herkunftsort Abrahams mit h` cw,ra tw/n Caldai,wn »Land der Chaldäer« (Gen 11,28) bezeichnet, indem Abraham ausführlich als Sohn Terachs (Gen 11,27.31)299 vorgestellt wird, sondern auch indem in Gen 11,31 die Übersiedelung vom Land der Chaldäer nach Charran folgendermaßen geschildert: kai. e;laben Qara to.n Abram ui`o.n auvtou/ kai. to.n Lwt ui`o.n Arran ui`o.n tou/ ui`ou/ auvtou/ kai. th.n Saran th.n nu,mfhn auvtou/ gunai/ka Abram tou/ ui`ou/ auvtou/ kai. evxh,gagen auvtou.j evk th/j cw,raj tw/n Caldai,wn poreuqh/nai eivj th.n gh/n Canaan kai. h=lqen e[wj Carran kai. katw,|khsen evkei/ »Und Thara nahm Abram, seinen Sohn, und Lot, Sohn seines Sohnes Arran, und Sara, seine Schweigertochter, die Frau seines Sohnes Abram, und führte sie aus dem Land der Chaldäer weg, um ins Land Kanaan zu ziehen, und er ging bis Charran und dort ließ er sich nieder.« Hauptakteur der Übersiedelung nach Charran ist hier deutlich Terach als Subjekt des ganzen Satzes,300 während Abraham, wie auch die übrigen Familienmitglieder, lediglich
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Gen 12,4 formuliert die gehorsame Umsetzung der Aufforderung Gottes, nämlich ausdrücklich: kai. evporeu,qh Abram kaqa,per evla,lhsen auvtw/| ku,rioj … »Und Abram machte sich auf den Weg, gerade wie der Herr zu im gesprochen hatte …« 298 Vgl. HIEKE, Genealogien, 126, 128. 299 Gen 11,27: Qara evge,nnhsen to.n Abram In Gen 11,31 wird Abraham zweimal als o` u`io,j auvtou/ (Qara) bezeichnet. 300 Die Verben e;laben – evxh,gagen – h=lqen – katw,|khsen (durchgehend in der 3. Person Singular, obwohl im Prinzip eine Bewegung der gesamten Familie geschildert wird) unterstreichen die aktive Rolle Terachs.
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von seinem Vater mitgenommen wird (e;laben).301 Fokussiert wird also Terach als Familienoberhaupt, der seine ganze Familie nach Charran übersiedelt.
Demgegenüber ist es laut Apg 7,4a Abraham, der aus dem Land der Chaldäer hinausgeht und sich in Charran ansiedelt (katoike,w). Dass hier ausschließlich Abraham interessiert, wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass seine Familienmitglieder und insbesondere sein Vater Terach gar nicht erwähnt werden; dadurch entsteht der Eindruck, Abraham allein würde aus dem Land der Chaldäer nach Charran ziehen. Auch hinsichtlich der Motivation für die Übersiedelung nach Charran zeigt sich ein Unterschied zwischen den beiden Darstellungen: Während Terach mit seiner Familie ausdrücklich das Land Kanaan anzielt (poreuqh/nai eivj th.n gh/n Canaan) – wobei der Grund für dieses Ziel offen bleibt – und auf dem Weg dorthin Zwischenstation in Charran macht,302 ist die Übersiedelung Abrahams nach Charran laut Apg 7,4a Reaktion auf die Aufforderung Gottes. Dabei wird das Zielland nicht bei seinem Namen genannt, sondern nur als das, das Gott zeigen werde, bezeichnet. An dieser Differenz wird erneut deutlich, dass in der Stephanusrede die Initiative Gottes für den Weg Abrahams in das verheißene Land das entscheidende, grundlegende Moment ist.303 Gemeinsam ist beiden Darstellungen, dass Charran als Zwischenstation ebenfalls eine wichtige Bedeutung zukommt, insofern dort eine Art Innehalten stattfindet, bevor etwas Neues beginnt. In der Genesiserzählung ist Charran der Ort, an dem die Familie Terachs bzw. Abrahams unbestimmte Zeit verweilt und die Erscheinung Gottes vor Abraham dessen Aufbruch in Gang setzt. In der Stephanusrede ist es der Ort, an den Abraham nach der Gotteserscheinung zieht, aber nur als Durchgangsstation.304 Ähnliche Beobachtungen wie beim Vergleich mit Gen 11,27-31 lassen sich an Gen 12,4-5 machen: Ausdrücklich wird nämlich in Gen 12,4 ebenfalls Abrahams unmittelbare Befolgung und Umsetzung der Aufforderung Gottes festgehalten, wenn auch mit anderer Wortwahl:305 301 Auf eine Sonderstellung Abrahams könnte höchstens hinweisen, dass er als erster der drei Söhne Terachs genannt wird, und immer wieder eigens erwähnt wird, wenn es um Handlungen Terachs geht (im Unterschied zu Nahor). 302 Vgl. JACOB, Genesis, 329. 303 In Gen 11,31 könnte auch einfach Terach Initiator des Weges nach Kanaan sein. 304 Vgl. auch die Fortsetzung 7,4b und die Rahmung der Gottesrede durch die Erwähnung von Charran 7,2.4. 305 Vgl. JACOB, Genesis, 339. In ähnlicher Weise wie in Gen 12,4 zeige sich Abrahams Gehorsam bei der Umsetzung der Beschneidung in Gen 17,23 (auch an den Formulierungen der LXX wird der Gehorsam Abrahams deutlich), insgesamt also bei der Erfüllung der beiden großen Gottesforderungen, die die ganze folgende Geschichte konstituieren: die Heimat zu verlassen, sichert das Land, die Beschneidung zu vollziehen,
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kai. evporeu,qh Abram kaqa,per evla,lhsen auvtw/| ku,rioj kai. w;|ceto metV auvtou/ Lwt Abram de. h=n evtw/n e`bdomh,konta pe,nte o[te evxh/lqen evk Carran »Und Abram machte sich auf den Weg, gerade wie der Herr zu ihm gesprochen hatte, und mit ihm ging Lot. Abram aber war 75 Jahre als, als er aus Charran wegging.«
Die vom Subtext Gen 12,4-5 abweichenden Ortsangaben deuten auch hier eine Vorverlagerung der Aufforderung Gottes an, da Apg 7,4a als vorläufiges Ziel Abrahams Charran nennt, das in Gen 12,4 ausgerechnet der Ort ist, von dem er wegzieht. Endgültiges Ziel ist laut Gen 12,5 stattdessen – ebenso wie Gen 11,31 (und in Folge davon) – Kanaan, das Abraham sogar erreicht: kai. evxh,lqosan poreuqh/nai eivj gh/n Canaan kai. h=lqon eivj gh/n Canaan »und sie gingen weg, um ins Land Kanaan zu ziehen, und sie kamen ins Land Kanaan.« Im Vergleich zu Gen 12,4-5 fehlt in Apg 7,4a außerdem nicht nur eine Altersangabe zu Abraham, sondern auch die Erwähnung seiner Familie.306 So bestätigt sich der Eindruck, dass die Stephanusrede besonderes Interesse an der Gestalt Abrahams und an Gottes Beziehung zu ihm hat. Dass dabei primär das ‚Land‘ eine Rolle spielt, das Gott Abraham zeigen wird, ist auch in der Fortsetzung Apg 7,4b-5 zu sehen. Apg 7,4b-5 4b 5a b 4b 5a b
kavkei/qen meta. to. avpoqanei/n to.n pate,ra auvtou/ metw,|kisen auvto.n eivj th.n gh/n tau,thn eivj h]n u`mei/j nu/n katoikei/te( kai. ouvk e;dwken auvtw/| klhronomi,an evn auvth/| ouvde. bh/ma podo.j kai. evphggei,lato dou/nai auvtw/| eivj kata,scesin auvth.n kai. tw/| spe,rmati auvtou/ metV auvto,n( ouvk o;ntoj auvtw/| te,knouÅ »Und von dort hat er ihn nach dem Tod seines Vaters in dieses Land umgesiedelt, in dem ihr jetzt wohnt, und er gab ihm kein Eigentum darin, auch nicht einen Fuß breit und er verhieß, es ihm zu seinem Besitz zu geben und seiner Nachkommenschaft nach ihm – obwohl er kein Kind hatte.«
Die relative Orts- und Zeitangabe kavkei/qen markiert zwar einen neuen Abschnitt auf dem Weg Abrahams, bindet diesen allerdings zugleich sehr eng an den gerade erwähnten Aufenthalt in Charran an. Dieses wird also nicht legt den Grund zum Gottesvolk. Beides erfolge im unmittelbaren Gehorsam auf das Wort Gottes. Dagegen SEEBASS, Genesis II, 17, sieht hier nicht den Gehorsam Abrahams im Vordergrund. 306 Laut JACOB, Genesis, 328, entspricht die Wanderung in eine neue Heimat den toledot, insofern ein neues Leben beginnt. So müsse vor dem Eintritt in das fremde Land der Personenstand aufgenommen werden (vgl. auch Gen 11,31).
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nur zum Ausgangsort für die folgende Schilderung, sondern insgesamt zu einer Durchgangsstation Abrahams. Die Notiz über den Tod von Abrahams Vater scheint hier einen unbestimmten Zeitraum zu überbrücken, da sie als Zeitangabe formuliert ist (meta. to. avpoqanei/n to.n pate,ra auvtou/). Gerade angesichts der Beobachtung, dass in 7,2-4 die Familie und besonders der Vater Abrahams gegenüber der Genesiserzählung in den Hintergrund rückt – wie schon die Auslassung der Aufforderung, das Haus des Vaters zu verlassen, besonders verdeutlicht –, überrascht diese Erwähnung des Todes von Abrahams Vater. Ihre Funktion lässt sich durch einen Vergleich mit der Nachricht von Terachs Tod in Gen 11,32 erschließen. Die Notiz kai. evge,nonto ai` h`me,rai Qara evn Carran diako,sia pe,nte e;th kai. avpe,qanen Qara evn Carran. »Und Tharas Tage ergaben in Charran 205 Jahre und Thara starb in Charran.« (Gen 11,32) schließt zum einen die Genealogie Terachs ab, bei der seine Familie und sein Weg vom Land Chaldäa nach Charran mit dem Ziel Kanaan vorgestellt werden. Zum anderen leitet sie zur folgenden Episode über, indem unmittelbar an sie anschließend die Aufforderung Gottes an Abraham Gen 12,1-3 folgt. Diese wiederum löst die Fortsetzung des Weges Abrahams von Charran nach Kanaan aus (Gen 12,4-5).307 In Terach und Abraham spiegelt sich also schon die Lebensweise der Väter und des Volkes Israel als die von Wanderern, deren Ziel das verheißene Land ist.308 Außerdem markiert die Notiz, ‚jemand starb in einem Land‘ immer einen Gegensatz zu einem anderen Land, und zwar mit Bezug auf eine Wanderung von Land zu Land.309 Somit wird hier mithilfe der Aussage ›Thara, der nach Kanaan gehen wollte, starb in Charran‹ ein Kontrast gezeichnet zwischen der Durchgangsstation Charran und dem Land Kanaan, in das Abraham aufbrechen und gelangen wird.310 Zugleich entsteht ein Gegensatz zwischen den Zeiträumen, die mit diesen Ländern (und Personen) verbunden sind, hier also zwischen der Zeit Terachs (und seiner Vorfahren) und der Zeit Abrahams (und seiner Nachkommen).311 307 Vgl. SEEBASS, Genesis II, 4. Gen 11,32 markiere einen ersten Schluss, der Abram auch literarisch Raum gewähren solle. HIEKE, Genealogien, 243, erläutert, dass Todesund/oder Begräbnisnotizen des „Ahnherrn“ oder der Hauptperson Toledot-Abschnitte abschließen. Häufig schließe sich eine offene Frage an, die einen neuen Spannungsbogen beginne. 308 Vgl. JACOB, Genesis, 330. Implizit werde hiermit gesagt, dass Terach auch in Charran begraben wurde. So zeige sich in Terach das Los des von ihm abstammenden Israel: Wandern und anderswo sterben und begraben werden. Jacob weist außerdem auf einen Gegensatz zu den Erzvätern Israels hin, die in Hebron begraben sind. Da Terach in Charran gestorben ist, sei er auch nicht in Hebron begraben. Vgl. WESTERMANN, Genesis II, 161. 309 Vgl. JACOB, Genesis, 326, 330. Vgl. auch Gen 35,12; 48,7; Dtn 34,5 u.a. 310 Vgl. SEEBASS, Genesis II, 4. 311 WESTERMANN, Genesis II, 161–162. merkt an, dass zu dem Weg durch die Zeit, der Abraham mit der Urgeschichte verbindet, in Gen 11,27-32 der Weg durch den Raum hinzutrete. So sei es kein Zufall, dass am Anfang der Vätergeschichte von den beiden
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Im Vergleich dazu ist an Apg 7,4b vor allem zweierlei zu bemerken: Erstens wird Terach hier nicht namentlich genannt – im Gegensatz zu Gen 11,32, wo sein Name sogar zweimal fällt. Stattdessen wird Terach über Abraham definiert, nämlich als »sein Vater« (o` path.r auvtou/). Diese Umkehrung gegenüber Gen 11,27-32, wo Abraham fast ausschließlich über seinen Bezug zu Terach gezeichnet wird, entspricht erneut dem betonten Interesse am (Stamm-)Vater Abraham. Zweitens fungiert auch die zeitlich formulierte Todesnotiz in Apg 7,4b als eine Art Abschluss und Überleitung. Sie markiert nämlich das Ende des Aufenthalts in der Durchgangsstation Charran und ist somit Ausgangspunkt dafür, dass und wie Abraham in das Land gelangt, in dem auch seine Nachkommen leben: metw,|kisen auvto.n eivj th.n gh/n tau,thn eivj h]n u`mei/j nu/n katoikei/te, »er hat ihn umgesiedelt in dieses Land, in dem ihr jetzt wohnt«. Dieser Neubeginn innerhalb der Geschichte Abrahams geht mit einem Subjektwechsel einher, denn hinter metw,|kisen steht Gott, während bei der Übersiedelung nach Charran Abraham selbst Subjekt ist (7,4a). Demnach wird erneut die Handlung Gottes in den Vordergrund gestellt, insofern er Abraham »umsiedelt« (metoiki,zw)312 und damit zugleich seine auffordernde Zusage erfüllt, Abraham das (Ziel-)Land zu zeigen (7,3c). Noch deutlicher wird die Fokussierung der Aktivität Gottes vor dem Hintergrund von Gen 12,4-5, wo Abraham als aktives Subjekt auftritt, wenn vom (Heraus-)Gehen (poreu,omai; evxe,rcomai) aus Charran berichtet wird, bei dem er seine Familie mitnimmt (lamba,nw), mit der er dann nach Kanaan kommt (e;rcomai).313 Abraham übernimmt hier also eine Art ‚Führungsrolle‘,314 die in Apg 7,4 deutlich Gott zugeschrieben wird. Damit entspricht Apg 7,4 eher der Selbstaussage Gottes in Gen 15,7, wo er sich als der Gott vorstellt, der Abraham aus dem Land der Chaldäer herausgeführt hat (evgw. o` qeo.j o` evx-
großen Reichen die Rede sei, die später für die Geschichte Israels bestimmend sein werden, Mesopotamien und Ägypten: Anfangs führe der Weg von Ägypten nach Kanaan, später nach dem Exil von Mesopotamien nach Kanaan. 312 Das Verb metoiki,zw bedeutet wörtlich „einen anderen Wohnsitz anweisen“, „umsiedeln“, „wegführen“. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1041. Innerbiblisch findet sich metoiki,zw nur noch in Apg 7,48 und 1 Chr 8,6, wo es – im Gegensatz zu Apg 7,4 – jeweils im Sinn gewaltsamer Deportation verwendet wird. 313 Die Aktivität Abrahams wird zusätzlich durch die Verwendung verschiedener Verben des Gehens unterstrichen, mit denen der Weg bis nach Kanaan beschrieben wird, während in Apg 7,4b nur das Ergebnis davon in Form einer Umsiedelung durch Gott festgehalten wird. Darüber hinaus wird hier im Gegensatz zu Gen 12,5 erneut die Familie Abrahams nicht erwähnt. 314 Vgl. JACOB, Genesis, 340.
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agagw,n se evk cw,raj Caldai,wn »Ich bin der Gott, der dich aus dem Land der Chaldäer herausgeführt hat«),315 mit dem Ziel, ihm dieses Land zu geben.
Wenn Apg 7,4c das Land mit dem Relativsatz eivj h]n u`mei/j nu/n katoikei/te »in dem ihr jetzt wohnt« genauer definiert, fehlt erneut eine namentliche Nennung im Gegensatz zu Gen 12,5, wo Abraham konkret nach Kanaan gelangt. Vielmehr wird es in Apg 7,4b explizit in Bezug zur gegenwärtigen Zuhörerschaft gestellt und damit verdeutlicht, dass die bisherige Geschichtserzählung auch für sie relevant ist. Die Zuhörer sind unmittelbar mit dieser verbunden, insofern es die Geschichte ihres Vaters Abraham ist (o` path.r h`mw/n VAbraa,m 7,2c). Letztendlich sind auch sie als Nachkommen Abrahams durch Gott in dieses Land gekommen.316 Unterstrichen wird diese Kontinuität durch die Verwendung des Wortfelds ‚wohnen‘: zweimal ist die Rede vom Wohnen Abrahams in Charran (katoike,w) und ebenso wohnen (katoike,w) die Hörer in diesem Land, in das Gott Abraham umgesiedelt hat (metoiki,zw). So wird durch diese „Kurzaktualisierung“317 deutlich, dass die Verheißung des Landes an Abraham für die Hörer in Erfüllung gegangen ist.318 Überraschenderweise spricht Stephanus in diesem aktualisierenden Zusammenhang zwischen Abraham bzw. dem Land und den Hörern davon, dass sie (u`mei/j) dort wohnen, und distanziert sich damit von ihnen, obwohl er in der Anrede a;ndrej avdelfoi. kai. pate,rej (7,2b) und im Rekurs auf Abraham als o` path.r h`mw/n »unser Vater« (7,2c) seine Verbindung mit ihnen ausdrückt. Nach dieser kurzen aktualisierenden Notiz blickt 7,5 sofort wieder in die Geschichte Abrahams zurück und thematisiert erneut seinen Bezug zu dem von Gott verheißenen Land. So wie Gott derjenige ist, der Abraham überhaupt in das Land umgesiedelt hat, bestimmt er laut 7,5319 auch das Ver315
Allerdings findet sich in Gen 15,7 der artikellose Plural cw,raj statt des Singulars h` gh/ mit Artikel (Gen 12,1; Apg 7,4). 316 Vgl. FITZMYER, Acts, 370–371. Für JERVELL, Apg, 233, drückt sich hier aus, dass die Geschichte der Geburt des Volkes Gottesgeschichte sei. Dementsprechend würden nur Start- und Endpunkt der Wanderung erwähnt sowie der Einfluss Gottes auf dieses Ziel und der Bezug zu den jetzigen Hörern betont. 317 JESKA, Geschichte Israels, 142, bezeichnet 7,4 als „Kurzaktualisierung“ innerhalb der Vergangenheitsdarstellung – ähnlich 7,7.38. Sie würden die Öffnung zu gelingendem Dasein außerhalb des verheißenen Landes und unter Fremdherrschaft vorbereiten. Zur Funktion von „Aktualisierungen“ innerhalb von Summarien der Geschichte Israel vgl. EBD., 86–94, 142–148. 318 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 314, sieht hier eine Vorwegnahme dessen, was im weiteren Geschichtsverlauf klar werde (vgl. 7,51ff.). 319 Gott ist weiterhin Subjekt der beiden parataktisch hinzugefügten Sätze (ouvk e;dwken, evphggei,lato).
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hältnis zwischen Land und Abraham und zwar in zweifacher Weise, nämlich negativ und positiv. Zunächst betont320 die negative Aussage kai. ouvk e;dwken auvtw/| klhronomi,an evn auvth/| ouvde. bh/ma podo,j »und er gab ihm keinen Besitz darin, auch nicht einen Fuß breit« (7,5a), dass Gott Abraham das Land nicht als Eigentum (klhronomi,a), d.h. dauernden Besitz oder dauernde Heimat gibt.321 Das Bild von einer bzw. »keiner Fußbreite« an Landesbesitz verdeutlicht dies, zumal vor dem Hintergrund von Dtn 2,5. Gott spricht in Dtn 2,5 dem Volk Israel den Besitz des Landes Ser mit folgenden Worten ab: … ouv ga.r mh. dw/ u`mi/n avpo. th/j gh/j auvtw/n ouvde. bh/ma podo,j o[ti evn klh,rw| de,dwka toi/j ui`oi/j Hsau to. o;roj to. Shir »… denn ich werde euch von ihrem Land nicht einmal einen Fußbreit geben, weil ich Esau den Berg Ser zum Anteil gegeben habe.« Demnach ist Gott eigentlicher Besitzer des Landes und Israel Mitbewohner eines Lebensraumes, den Gott ihm zusammen mit den umliegenden Völkern zugeteilt hat (vgl. auch Dtn 2,3.9).322
Ähnlich liegt laut Apg 7,5a das Land in der Verfügungsgewalt Gottes, was sich auch in der positiven Aussage von Apg 7,5b ausdrückt: kai. evphggei,lato dou/nai auvtw/| eivj kata,scesin auvth.n kai. tw/| spe,rmati auvtou/ metV auvto,n( ouvk o;ntoj auvtw/| te,knou. »und er verhieß, es ihm zu seinem Besitz zu geben und seiner Nachkommenschaft nach ihm – obwohl er kein Kind hatte.« Obwohl Gott Abraham das Land als dauerndes Eigentum verwehrt, verheißt er es ihm dennoch als (temporären) Besitz (kata,scesij323). Gott bleibt also Eigentümer des Landes, teilt es Abraham nur als Gabe zu. Die 320
Der Halbsatz beginnt (ouvk) und endet (ouvde.) mit einer Verneinung. klhronomi,a bedeutet hier wohl „Eigentum“, nicht „Erbstück“ im engeren Sinn. Vgl. JERVELL, Apg, 233. ZMIJEWSKI, Apg, 314. Das Moment des dauernden Besitzes kennzeichne die Verwendung im theologischen Zusammenhang, wie in Jos 18,3, Ex 23,30; Num 14,24. klhronomi,a enthält nicht den Gedanken, dass Israel schon vor der tatsächlichen Inbesitznahme des Landes durch Gottes Verheißung ein Recht auf das Land hat, wie Num 34,2 (Futur: e;stai) zeigt. So könnte die Wortwahl hier den Aspekt des Fremdseins unterstreichen. Nach FOERSTER, WERNER, klhrono,moj, in: ThWNT III, 766– 786, hier 777, 782, taucht klhrono,moj bzw. klhronomei,n im Neuen Testament häufig in Verbindung mit dem Reich Gottes auf. Das Erbe sei die neue Welt, in der Gott allein und ganz herrscht. Außerdem würden Israel, Palästina, der Tempel, die Tora als klhronomi,a qeou/ bezeichnet, z.B. Mt 8,11f. 322 Vgl. BRAULIK, GEORG, Deuteronomium 1-16,17 (NEB-AT 15), Würzburg 1986, 30. Israel erscheine weder als einziger Empfänger eines von JHWH gegebenen Landes noch als einzig rechtmäßiger Bewohner Ostjordaniens. Der Besitz des Landes sei nur gesichert, wo er von Gott dem betreffenden Volk verliehen werde. 323 kata,scesij bedeutet in Gen 17,8; Ez 33,24; 36,5 LXX die Gabe des Landes durch Gott. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 853. 321
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Beziehung Gott – Abraham ist demnach stark vom Land als Bezugspunkt geprägt. Die Verheißung des Landbesitzes gilt darüber hinaus der Nachkommenschaft Abrahams, wird damit also betont in die Zukunft ausgedehnt.324 Dadurch wird indirekt erneut eine Brücke zu den Zuhörern geschlagen, für die Abraham Vater (7,2c) ist und die in diesem Land wohnen, in das Gott Abraham umgesiedelt hat. Damit bestätigt sich, dass Gottes Verheißung an Abraham bei den Zuhörern bereits (zum Teil) erfüllt ist und die Geschichte Abrahams für sie prägend ist. Durch den partizipialen Zusatz über Abrahams Kinderlosigkeit ouvk o;ntoj auvtw/| te,knou entsteht implizit eine doppelte Verheißung an Abraham: Wenn sich Gottes Zusage des Landbesitzes an Abraham und seine Nachkommen erfüllen soll, obwohl Abraham noch keine Kinder hat, werden ihm hier indirekt auch Nachkommen verheißen.325 Diese Landzusage an Abraham und seine Nachkommen spielt deutlich Gen 17,8 ein: Gen 17,8 kai. dw,sw soi kai. tw/| spe,rmati, sou meta. se. th.n gh/n h]n paroikei/j pa/san th.n gh/n Canaan eivj kata,scesin aivw,nion kai. e;somai auvtoi/j qeo,j. »Und ich werde dir und deiner Nachkommenschaft nach dir das Land geben, in dem du als Fremder wohnst, das ganze Land Kanaan, zum ewigen Besitz, und ich werde ihnen Gott sein.« Das Land wird hier in zweifacher, scheinbar widersprüchlicher Weise zu Abraham in Beziehung gesetzt: Einerseits ist es das Land, in dem er als Fremder lebt (paroike,w), so dass eine bleibende Distanz ausgedrückt wird. Andererseits wird es das Land Kanaan genannt, das Gott Abraham und seinen Nachkommen als »ewigen Besitz« (kata,scesij aivw,nioj) gibt.326 Beide Momente erinnern an die Tatsache, dass das Land und Abraham letztlich nur durch Gott miteinander in Beziehung stehen, denn ohne Gott wäre Abraham nicht ins Land Kanaan gekommen und ohne Gott würde er es nicht als (ewigen) Besitz bekommen. Der Verheißungscharakter des Landesbesitzes wird dadurch umso deutlicher. Die Bedeutung des Landes wird also relativiert, insofern es demnach vor allem eine Funktion hinsichtlich der Beziehung Gott – Abraham bzw. seinen Nachkommen hat. Das zeigt auch der unmittelbare Kontext: Diese Landverheißung folgt nämlich auf die wiederholte Zusage von Nachkommen (Gen 17,4-6), die in Gottes Gabe eines »ewigen Bundes« (Gen 17,7a: diaqh,kh aivw,nioj) und die Konstatierung einmündet, Gott werde ihr 324 Es ist nicht nur die Rede von den Nachkommen Abrahams, die an sich schon die Zukunft implizieren, sondern ausdrücklich wird noch metV auvto,n hinzugefügt. 325 Vgl. JERVELL, Apg, 233. Auch VAHRENHORST, MARTIN, Land und Landverheißung im Neuen Testament, in: EBNER, MARTIN, Heiliges Land (JBTh 23; 2008), Neukirchen-Vluyn 2009, 123–148, hier 133, weist darauf hin, dass die Nachkommens- und Landverheißung im Geschichtsrückblick der Stephanusrede ebenso eng miteinander verbunden seien wie in der Genesis. 326 Vgl. SEEBASS, Genesis II, 105.
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Gott sein (Gen 17,7b: ei=nai, sou qeo,j kai. tou/ spe,rmato,j sou meta. se,). Da auch Gen 17,8 mit der Wendung e;somai auvtoi/j qeo,j »ich werde ihnen Gott sein« endet, bildet diese einen Rahmen um die Landverheißung an Abraham und seine Nachkommen. Die Landverheißung bleibt in Kraft, bedeutet aber keinen Anspruch auf das Land. Unbedingt lebenswichtig ist allein, dass Gott an seinem Volk festhält.327 Dass es letztendlich auch bei der Landverheißung um die Beziehung zu Gott geht, verdeutlicht weiterhin die Aufforderung Gottes, Abraham und seine Nachkommen sollen den Bund halten (Gen 17,9), dessen Zeichen die Beschneidung ist (Gen 17,13). Akzentuiert wird dabei das Thema Nachkommenschaft und somit die in unbestimmte Zukunft bleibende Gottesbeziehung, indem die Erzählung von dieser Bundesgabe mit der Verheißung der Geburt Isaaks fortgesetzt wird (Gen 17,15-19). Das Land wird ebenfalls in der Landverheißung von Gen 15,18 als Element der Beziehung Gott – Abraham bzw. seinen Nachkommen gezeichnet: evn th/| h`me,ra| evkei,nh| die,qeto ku,rioj tw/| Abram diaqh,khn le,gwn tw/| spe,rmati, sou dw,sw th.n gh/n tau,thn avpo. tou/ potamou/ Aivgu,ptou e[wj tou/ potamou/ tou/ mega,lou potamou/ Euvfra,tou. »An jenem Tag verfügte Gott für Abram eine Verfügung, indem er sagte: Deiner Nachkommenschaft werde ich dieses Land geben, vom Fluss Ägyptens bis zum großen Fluss, dem Euphrat.«328 Auch hier ist das Fremdsein Abrahams im Land ausgedrückt, wenn Gen 15,19-21 das Land durch geographische Angaben umgrenzt und als Land verschiedener (kanaanitischer) Stämme definiert.329 Zugleich erhält die Landverheißung hier ähnlich verbindlichen und verbindenden Charakter wie in Gen 17,8, insofern sie als Bundesschluss Gottes mit Abraham (die,qeto ku,rioj tw/| Abram diaqh,khn) bezeichnet wird und diaqh,kh ganz allgemein eine „bindende Verpflichtung“ meint, die Gott dem Bundespartner gegenüber 327 Vgl. WESTERMANN, Genesis II, 316. Israel lebe allein vom Wirken seines Gottes, in dessen Geschichtswirken die Gabe des Landes und die Vertreibung aus dem Land möglich sei. Nach SEEBASS, Genesis II, 105, kommt dem Land Kanaan damit eine Sonderrolle für die weltweit vorstellbaren Abraham-Nachkommen zu: dort werde Israel es noch einmal besonders mit Gott zu tun bekommen. Das Heilige Land habe eine von der Bundesformel her zu begründende Rolle. 328 Hiermit wird fast wörtlich die erste Verheißung an Abraham bzw. seine Nachkommen nach der Ankunft in Kanaan, genauer in Sichem (Gen 12,7), wiederholt, die dort Gen 12,2-3 fortsetzt. Gott offenbart sich (w;fqh) Abraham dort ausgerechnet an einem Ort kanaanitischen Kultus, zeigt ihm das Land und sagt es seinen Nachkommen als Gabe zu (dw,sw). Abraham reagiert darauf mit dem Bau eines Altares. Vgl. JACOB, Genesis, 344– 345. Der Altar sei ein „Denkmal“ für diese bedeutende Gotteserscheinung. Altarbau wird von Abraham erneut in Gen 12,8; 13,18 erzählt, von Isaak in Gen 26,25, von Jakob in Gen 35,7. Demnach bauen alle drei Erzväter Altäre. Vgl. auch SEEBASS, Genesis II, 19. 329 Laut SEEBASS, Genesis II, 1 zeigt der Kontext dieser Bund stiftenden Landverheißung, dass hiermit die erste Periode der Abrahamserzählung, in der das Thema „Land“ im Vordergrund steht, „gekrönt“ wird. Zugleich eröffne Gen 15 in der Verknüpfung des Themas „Land“ mit dem Thema „leiblicher Erbe von Sara“ (Gen 15,4) die zweite Periode der Geschichte Abrahams, in der seine Nachkommenschaft fokussiert werden wird.
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eingeht.330 Indem sowohl Nachkommens- als auch Landesverheißung in diese Bundesgabe münden und ihr Gestalt geben, zeigt sich, dass beides verwoben ist mit der Beziehung Gott – Abraham bzw. seinen Nachkommen. Zentral scheint dabei ebenfalls der Aspekt der Nachkommen zu sein, insofern er sich von Anfang (Gen 12,2-3) an durch die Erzählung hindurch zieht und auch im Folgenden breit entfaltet wird.331
In ähnlicher Weise wie in den Genesistexten wird auch in Apg 7,5b der Verheißungscharakter der Landgabe hervorgehoben. Zwar fehlt die ausdrückliche Rede vom Fremdsein im Land Kanaan, aber vor dem Hintergrund, dass Gott auch nur ein fußbreites Stück Land als Besitz verwehrt (7,5a) – ein Umstand, der das Fremdsein implizieren kann – wird der Kontrast der in 7,5b formulierten Verheißung umso deutlicher. Abraham wird nicht nur gezeichnet als eine Gestalt, der und deren Nachkommen Land verheißen wird, sondern auch als kinderlos (ouvk o;ntoj auvtw/| te,knou). Damit wird der Verheißungsaspekt der Geschichte Abrahams noch stärker betont und dieser den Adressaten der Stephanusrede kontrastierend gegenübergestellt. Steht nämlich für Abraham die Erfüllung der Verheißungen noch aus, so ist sie in den Zuhörern und für sie schon teilweise erfüllt worden.332 Weiterhin kann in der Landesverheißung von Apg 7,5b eine Relativierung des Land(-besitzes) gegenüber Gen 17,8 festgestellt werden, da die Charakterisierung des Besitzes als eines ewigen (aivw,nioj) fehlt.333 Insgesamt zeigt sich im Vergleich von Apg 7,5 mit Gen 15 und Gen 17 also Folgendes: Apg 7,5a beginnt indirekt mit dem Aspekt des Fremdseins im Land, der in Gen 17,8 explizit, in Gen 15,19-21 implizit erwähnt wird. Auf dieser Grundlage berichtet Apg 7,5b kontrastierend explizit nur von der Landverheißung Gottes an Abraham und lediglich implizit von der Nachkommensverheißung. Diese ist nämlich nur in der auch an sie gerichteten Landver330 Vgl. WESTERMANN, Genesis II, 272. Für ihn bedeutet hier das hebräische tyrb nicht ‚Bund‘, sondern im weiteren Sinn eine bindende Verpflichtung, so dass es einmal dem Schwur, ein anderes Mal der Verheißung sehr nahe komme. Letzteres sei hier der Fall. Dabei stünden sich zunächst nicht gleichberechtigte und -verpflichtete Partner gegenüber, denn die Verheißungen an die Väter seien ohne jede Bedingung ergangen. Vgl. EBD., 274. 331 Vgl. auch Gen 17,2-6.15-22. 332 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 157. Auch ZMIJEWKSI, Apg, 314, versteht Apg 7,5b als Hinweis dafür, dass Abraham eigentlich ein Fremder in diesem verheißenen Land sei. Infolgedessen komme damit ein Kontrast zum Ausdruck: Einerseits werde Abraham als Vater der Zuhörer eingeführt, andererseits als Fremdling in ihrem Land (weil er dort keine bleibende Heimat hatte). Die Abrahamskindschaft sei demnach nicht an ein bestimmtes Land gebunden, was dem Selbstverständnis des hellenistischen Judenchristentums entspreche. 333 Ähnlich in Neh 9,7f.15.23-25. Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 157, der hier außerdem die weitere Schilderung des Weges Israels vorgezeichnet (vgl. Apg 7,16; 7,45f.).
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heißung enthalten, wobei ausdrücklich die Kinderlosigkeit Abrahams zur Zeit der Verheißung erwähnt wird. So kehrt sich die Reihenfolge in der Stephanusrede gegenüber der Abrahamserzählung in den Subtexten Gen 15 und Gen 17 um: Ist in Letzteren das Thema Nachkommenschaft von Anfang an von zentraler Bedeutung, so wird in Apg 7,5 zum einen der Landesbesitz und zum anderen der Verheißungscharakter fokussiert. Die Rollenverteilung bleibt gegenüber den Genesistexten weitgehend unverändert, denn in beiden Texten wird Gott als Initiator der Beziehung zu Abraham – und letztlich des Bundes – dargestellt. In Apg 7,5 ist dieser Aspekt sogar noch stärker hervorgehoben, da Abraham im Gegensatz zu den Genesisdarstellungen gar nicht als handelnd greifbar wird.334 Apg 7,6-7 6a b c 7a b c d
evla,lhsen de. ou[twj o` qeo.j o[ti e;stai to. spe,rma auvtou/ pa,roikon evn gh/| avllotri,a| kai. doulw,sousin auvto. kai. kakw,sousin e;th tetrako,sia\ kai. to. e;qnoj w-| eva.n douleu,sousin krinw/ evgw,( o` qeo.j ei=pen( kai. meta. tau/ta evxeleu,sontai kai. latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw|Å
6a b c
»Es sagte aber Gott so: Seine Nachkommenschaft wird fremd sein in einem fremden Land und sie werden sie versklaven und sie werden sie misshandeln 400 Jahre lang; und den Volksstamm, dem sie dienen werden, werde ich richten, sprach Gott, und danach werden sie ausziehen und sie werden mir dienen an diesem Ort.«
7a b c d
Diese Rolle Abrahams als Empfänger der Verheißungen Gottes, der als souverän Handelnder geschildert wird, setzt sich weiterhin fort. 7,6a weist nämlich das Folgende ausdrücklich als Worte Gottes aus (evla,lhsen de. ou[twj o` qeo,j), nennt aber Abraham nicht explizit als Adressaten.335 Durch diese Art der Einleitung gewinnen die folgenden Worte Gottes allgemein 334 Beispielsweise fehlt in der Darstellung der Stephanusrede der dialogische Charakter von Gen 15. Wird Abraham dort z.B. als Glaubender dargestellt (Gen 15,6), dessen Glaube Einfluss auf seine Beziehung zu Gott hat, so wird in Apg 7,5 keine Reaktion von Abraham auf diese Verheißungen berichtet. 335 Dass Abraham das Gegenüber Gottes ist, ist allerdings nicht nur durch Apg 7,2-5 klar, sondern auch durch Apg 7,6b, denn to. spe,rma auvtou/ nimmt direkt Apg 7,5b (tw/| spe,rmati auvtou/) auf.
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gültigen Charakter und es entsteht der Eindruck, Gott würde sie selbst sprechen, obwohl sie zunächst in indirekter Rede336 formuliert sind. Wie das adversative de, schon andeutet, wird inhaltlich im Folgenden ein Gegensatz zum Vorangehenden ausgedrückt: Zwar handelt es sich im Rückgriff auf 7,5b ebenfalls um eine Zukunftsansage (nun ausschließlich) für die Nachkommenschaft Abrahams (to. spe,rma auvtou/), so dass erneut die Verheißungen an Abraham im Vordergrund stehen. Aber diese werden nun in 7,6 nicht mehr positiv formuliert, sondern enthalten drei negative Ankündigungen: In der ersten Ansage e;stai to. spe,rma auvtou/ pa,roikon evn gh/| avllotri,a| »seine Nachkommenschaft wird fremd sein in einem fremden Land« (7,6b) wird der Aspekt des Fremdseins, der schon in 7,5a angedeutet wird, stark betont. So wird er mit zwei unterschiedlichen Lexemen ausgedrückt, nämlich zuerst bezüglich der Nachkommenschaft Abrahams selbst (pa,roikon) und dann bezüglich des Landes, in dem sie sich befinden wird (evn gh/| avllotri,a|).337 Zusätzlich wird das Fremdsein dadurch hervorgehoben, dass die hier angespielte Situation nicht konkretisiert wird und ein Kontrast zur positiven Verheißung von 7,5b, Abrahams Nachkommenschaft werde Besitz in dem von Gott gezeigten Land haben, entsteht. Noch bedrohlicher sind die zweite und dritte Ankündigung, die Nachkommenschaft werde versklavt (kai. doulw,sousin auvto,) und dabei schlecht behandelt werden (kai. kakw,sousin).338 Insofern durch diese allgemeine Aussage die für diese Unheilssituation Verantwortlichen und auch das Land, in dem sich dies alles ereignen wird, anonym bleiben, aber grundsätzlich negativ konnotiert sind, wird zum einen das Ausgeliefertsein der Nachkommenschaft Abrahams unterstrichen, zum anderen die Ungewissheit der angekündigten Situation verdeutlicht. Begrenzt wird dieses Unheilsszenario nur durch die Zeitangabe e;th tetrako,sia. Noch einmal betont 7,7a (kai. to. e;qnoj w-| eva.n douleu,sousin) diese düsteren Zukunftsankündigungen und konkretisiert ein wenig – unter wörtlichem Rückgriff auf 7,6c (kai. doulw,sousin auvto,) –, wem die Nachkommenschaft Abrahams als Sklaven dienen werde: to. e;qnoj. Es handelt sich also in Korrespondenz zum fremden Land (7,6b) um nicht näher benannte Nicht-Israeliten. Bei der Schilderung dieses Tiefpunkts formuliert 7,7a eine Wende:339 krinw/ evgw,. Dass Gott diese Wende durch das Richten
336
Vgl. to. spe,rma auvtou/ in Apg 7,6b ist in 3. Person Singular formuliert. Klingt tautologisch. Laut SEEBASS, Genesis II, 77, betont Gen 15,13, dass Ägypten nur vorübergehend zum Land für Israel wurde. 338 Die Bedrohlichkeit wird sehr deutlich, indem mit den zwei verschiedenen Lexemen doulo,w und kako,w Ähnliches ausgedrückt wird. 339 Diese korrespondiert der zeitlichen Begrenzung in Apg 7,6b. 337
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dieses Volkes (to. e;qnoj) selbst initiiert,340 wird auch sprachlich unterstrichen. Bei krinw/ evgw, handelt es sich nämlich plötzlich um eine direkte Rede Gottes, wie nicht nur der Subjektwechsel hin zur ersten Person Singular – zusätzlich betont durch das Pronomen evgw, – hervorhebt, sondern auch die Parenthese o` qeo.j ei=pen (7,7b). Damit werden also die Gerichtsansage von 7,7a und auch das in 7,7c-d Folgende explizit als Zukunftsankündigung341 Gottes ausgewiesen. Da auch hier kein konkreter Adressat genannt wird, wirken diese Gottesworte ebenfalls wie allgemein gültige Ankündigungen. Die Umkehrung der Verhältnisse durch Gott als Richter des bisher mächtigen fremden Volkes hat für die Nachkommenschaft Abrahams die folgenden beiden positiven Konsequenzen: Erstens kündigt Gott an, Abrahams Nachkommen werden nach seinem Gericht über das fremde Unterdrückervolk herausgehen (meta. tau/ta342 evxeleu,sontai), wobei wohl zu ergänzen ist ‚aus dem fremden Land der Sklaverei‘ (7,6b). Die Nachkommenschaft Abrahams wird also wieder unabhängig von Unterdrückervolk und -land. Indem das Verb evxe,rcomai die Aufforderung Gottes an Abraham (7,3b) und dessen gehorsame Befolgung (7,4) wieder aufnimmt, wird von Abrahams Nachkommen nun eine ähnliche Situation des Herausgehens vor Augen gestellt. Selbst wenn in 7,7c offen bleibt, wohin die Nachkommen ziehen, deutet der Rekurs auf Abraham das verheißene Land als mögliche Zielrichtung an. Eine Analogie zu Abraham besteht außerdem darin, dass auch das angekündigte Herausgehen aus dem Unterdrückerland von Gott initiiert wird (7,7c). Demnach scheint sich diese Bewegung ‚Herausgehen aus einem Land – hineingehen ins verheißene Land‘ kontinuierlich durch die Geschichte Israels durchzuziehen. Als weitere positive Folge des Gerichtes kündigt Gott in 7,7d an: kai. latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw| »und sie werden mir dienen an diesem Ort«. Mit diesem in Aussicht gestellten ‚Gottesdienst‘ reagieren die Nachkommen Abrahams angemessen auf das Gericht Gottes, durch das sie aus dem fremden Sklavenland herausziehen konnten. Damit wird also angedeutet, dass die von Gott initiierte positive Beziehung zu Abrahams Nachkommen adäquat von diesen beantwortet wird. Deutlich sind in Apg 7,6-7 nicht nur intratextuelle Bezüge auf Apg 7,3-5, sondern darüber hinaus wird fast wörtlich Gottes Ankündigungen an Abraham von Gen 15,13-14 aufgenommen: 340 to. e;qnoj ist nun Objekt des Gerichtes Gottes, während es in Apg 7,6b implizites Subjekt der Versklavung der Nachkommen Abrahams ist. 341 Vgl. die Formulierungen im Futur: krinw/, evxeleu,sontai, latreu,sousin. 342 meta. tau/ta kann das Herausgehen als zeitliche und evtl. sogar kausale Folge des Gerichts Gottes ausweisen. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1032–1033.
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Gen 15,13-14 13 kai. evrre,qh pro.j Abram ginw,skwn gnw,sh| o[ti pa,roikon e;stai to. spe,rma sou evn gh/| ouvk ivdi,a| kai. doulw,sousin auvtou.j kai. kakw,sousin auvtou.j kai. tapeinw,sousin auvtou.j tetrako,sia e;th 14 to. de. e;qnoj w-| eva.n douleu,swsin krinw/ evgw, meta. de. tau/ta evxeleu,sontai w-de meta. avposkeuh/j pollh/j
Apg 7,6-7 6a evla,lhsen de. ou[twj o` qeo.j b c
e;th tetrako,sia\ kai. to. e;qnoj w-| eva.n douleu,sousin krinw/ evgw,( b o` qeo.j ei=pen( c kai. meta. tau/ta evxeleu,sontai
7a
d
13 »Und es wurde zu Abram gesagt: Du wirst untrüglich erkennen, dass deine Nachkommenschaft fremd sein wird in einem Land, das nicht ihr eigenes ist, und sie werden sie versklaven und sie werden sie misshandeln und sie werden sie erniedrigen 400 Jahre lang. 14 Den Volksstamm aber, dem sie dienen werden, werde ich richten. Danach aber werden sie ausziehen nach hier mit viel Hausstand.«
o[ti e;stai to. spe,rma auvtou/ pa,roikon evn gh/| avllotri,a| kai. doulw,sousin auvto. kai. kakw,sousin
kai. latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw|.
6a »Es sagte aber Gott so: b
Seine Nachkommenschaft wird fremd sein in einem fremden Land
c
und sie werden sie versklaven und sie werden sie misshandeln
400 Jahre lang; und den Volksstamm, dem sie dienen werden, werde ich richten, b sprach Gott, c und danach werden sie ausziehen
7a
d
und sie werden mir dienen an diesem Ort.«
Der Vergleich dieser Textstellen zeigt, dass beide grundsätzlich ähnlich die aussichtslose Lage vor Augen halten, in der sich die Nachkommen Abrahams als Fremde in einem fremden Land,343 versklavt und schlecht behandelt, befinden werden.344 Auch die Wende durch das Gericht Gottes mit 343
Die Veränderung von gh/| ouvk ivdi,a| (Gen 15,13) zu gh/| avllotri,a| (Apg 7,6) ist inhaltlich kaum von Bedeutung. 344 In Gen 15,13 steht pa,roikoj sogar voran. Vgl. JACOB, Genesis, 398. In Apg 7,6 fehlt lediglich kai. tapeinw,sousin auvtou.j aus Gen 15,13. Abgesehen von traditionskriti-
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der Folge, dass die Nachkommen aus dem Land ihrer Unterdrückung hinausgehen werden,345 wird in beiden Texten deutlich. Allerdings akzentuiert Apg 7,6-7 diese Initiative Gottes noch etwas stärker durch den Zusatz o` qeo.j ei=pen, der dies alles als Gottesrede betont. Dass wieder Gottes Handeln in Apg 7,6-7 im Vordergrund steht, zeigt sich außerdem daran, dass der Adressat seiner Worte nur implizit Abraham ist. Die Verheißung großen Besitzes, den die Nachkommen bei ihrem Auszug mitnehmen würden (Gen 15,14: meta. avposkeuh/j pollh/j)346 fehlt in Apg 7,7. Vielmehr steht der Gottesbezug eindeutig im Vordergrund, wie die im Vergleich zu Gen 15,14 zusätzliche Ankündigung kai. latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw| in Apg 7,7d als Ziel der Nachkommen Abrahams unterstreicht.347 Während im Genesistext lediglich der erfolgreiche Auszug der Nachkommen verheißen und dieser in Gen 15,15 mit einer Zusage an Abraham selbst sowie letztlich in der Bundesgabe Gottes Gen 15,18 bestätigt wird,348 führt also Apg 7,7d Gottesdienst »an diesem Ort« als weitere Folge des Auszugs aus dem fremden Land an und stellt damit das Motiv der Gottesbeziehung erneut ins Zentrum. Interessanterweise spielt die Formulierung latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw| deutlich auf Ex 3,12b an:
schen Erwägungen dieser Auslassung, die Apg 7,6 näher an die Version von Gen 15,13 im MT bringt, sind damit inhaltlich keine besonderen Veränderungen verbunden. Vgl. zu den traditionskritischen Diskussionen RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 131–132. 345 Vgl. JACOB, Genesis, 399. Das Gericht, das die Unterdrücker erleiden werden, werde in Parallele zu den Leiden der Unterdrückten gesetzt; die Art des Strafgerichts werde (noch) verschwiegen. Das Gegenstück dazu werde der triumphierende Auszug Israels sein (Ex 3,20ff.; 11,1ff.; 12,35f.). 346 WESTERMANN, Genesis II, 269, versteht dies als geringe Entschädigung für die Leiden in Ägypten. 347 Das Verb latreu,ein wird auch im Rahmen der Abkehr Israels von Gott in Apg 7,42 verwendet, dort aber für den Götzendienst. Somit verweist es schon darauf, dass in der Stephanusrede insgesamt das Thema Gottesdienst von zentraler Bedeutung ist. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 357–358, Anm. 102, äußert sich allerdings skeptisch zu dieser Meinung. M.E.n. erweist sich das Thema Gottesdienst durchaus als zentral für diese Rede. 348 Vgl. JACOB, Genesis, 399. tyrb sei die rechtsverbindliche Zusage, die Gott nicht mehr zurücknehmen werde.
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Ex 3,12b ei=pen de. o` qeo.j Mwusei/ le,gwn o[ti e;somai meta. sou/ kai. tou/to, soi to. shmei/on o[ti evgw, se evxaposte,llw evn tw/| evxagagei/n se to.n lao,n mou evx Aivgu,ptou kai. latreu,sete tw/| qew/| evn tw/| o;rei tou,tw|. »Es sagte aber Gott zu Mose: Ich werde mit dir sein! Und das soll für dich das Zeichen sein, dass ich dich sende: Wenn du mein Volk aus Ägypten herausführst, dann werdet ihr Gott an diesem Berg verehren.«
Wenn dort Gott dem zweifelnden Mose als Zeichen seines Auftrags, das Volk Israel aus Ägypten herauszuführen, Gottesdienst des Volkes (latreu,sete tw/| qew/|) ankündigt, wird ein ähnlicher Zusammenhang formuliert wie in Apg 7,7. Durch diese Einspielung in einen Text, der sich ansonsten nah an Gen 15 anlehnt, kann also die negative Verheißung von Apg 7,6 mit Israels Sklaverei in Ägypten in Verbindung gebracht und implizit auf das Exodusereignis angespielt werden.349 Interessant ist dabei besonders, dass Apg 7,7d die Ortsangabe evn tw/| o;rei tou,tw| von Ex 3,12b ändert. Während der Exodustext damit den Gottesdienst eindeutig auf den Berg Horeb lokalisiert, kann die Ortsangabe in Apg 7,7d durch die Formulierung evn tw/| to,pw| tou,tw| mit verschiedenen Inhalten gefüllt werden.350 Aufgrund des unmittelbaren Kontextes der Verheißungen an Abraham, die mit der Zusage des Landbesitzes in 7,5 beginnen, kann »dieser Ort« zunächst »das Land« bezeichnen. Dies korrespondiert mit der Fokussierung des Themas ‚Land‘, die sich im gesamten Redeabschnitt im Vergleich zu den Subtexten zeigt. Darüber hinaus kann der Ausdruck evn tw/| to,pw| tou,tw| den Tempel meinen, da mit dieser Wendung die Anklagen gegen Stephanus 6,13-14 aufgegriffen werden (ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ … katalu,sei to.n to,pon tou/ton »Er hört nicht auf, gegen diesen heiligen Ort zu reden … er [Jesus] werde diesen Ort zerstören«). Wenn demnach der Tempel implizit als von Gott selbst angekündigter Ort des
349
Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 358. Innerhalb Ex 1-15 werde der Dienst für Gott immer wieder als Ziel des Auszugs Israels genannt, wenn Mose mit dem Pharao verhandelt. So finde sich latreu,w z.B. in Ex 7,16.26; 8,16; 9,1.13; 10.3 u.a. 350 Einen Überblick über die Diskussion verschiedener Interpretationsmöglichkeiten bietet z.B. FITZMYER, Acts, 372. Kanaan und Jerusalem nennen u.a. FITZMYER, Acts, 372. SCHNEIDER, Apg, 455. BARRETT, Apg, 345. JESKA, Geschichte Israels, 157. Zwar kann Jerusalem aufgrund der engen Verbindung mit dem Tempel impliziert sein, aber der unmittelbare Kontext verweist stärker auf ‚das Land‘ und den Tempel. Letzteren erwähnen u.a. ZMIJEWSKI, Apg, 315. SCHNEIDER, Apg, 455.
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Gottesdienstes vorgestellt wird, wird freilich der Vorwurf, Stephanus rede blasphemisch gegen den Tempel als Ort Gottes, entkräftet.351 Die unspezifische Formulierung evn tw/| to,pw| tou,tw| öffnet also grundsätzlich verschiedene Sinnpotentiale für »diesen Ort« des Gottesdienstes.352 Selbst wenn der unmittelbare Kontext der Stephanusrede an das Land oder den Tempel denken lässt,353 kann man an dieser Stelle mit Sicherheit nur sagen, dass das Ziel des verheißenen Auszugs der Dienst für Gott ist. Dieser Dienst ist von so zentraler Bedeutung, dass er bereits in die erste Ankündigung des Aufenthalts in Ägypten und des darauf folgenden Auszugs integriert wird.354 Apg 7,8 8a b
kai. e;dwken auvtw/| diaqh,khn peritomh/j\ kai. ou[twj evge,nnhsen to.n VIsaa.k kai. perie,temen auvto.n th/| h`me,ra| th/| ovgdo,h|( kai. VIsaa.k to.n VIakw,b( kai. VIakw.b tou.j dw,deka patria,rcajÅ
c d 8a b
»Und er gab ihm den Bund der Beschneidung; und so zeugte er den Isaak und beschnitt ihn am achten Tag, und Isaak den Jakob, und Jakob die zwölf Patriarchen.«
c d
351
Vgl. PENNER, Praise, 308–309. Vgl. auch WASSERBERG, Israels Mitte, 246. TANNarrative, 92–93. HAACKER, Geschichte des Urchristentums, 1537. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 132, beobachtet in Apg 7,7 außerdem eine Anspielung auf Lk 1,73f. Stephanus spitze diese Verheißung auf den Tempel zu. Daraus schließt Rusam sogar, dass das lukanischen Geschichtsbild Tempel und -kult als Ziel der Heilsgeschichte Gottes mit Israel darstelle. Dies ist m.E.n. an der Stephanusepisode allerdings nicht uneingeschränkt zu sehen. 352 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 358, Anm. 104, beobachtet, dass die Ortsangabe o` to,poj ou-toj innerhalb der Exoduserzählung selbst ebenfalls polysem ist; beispielsweise nennen Ex 7,16; 8,16 die Wüste als Zielort des Auszugs und Ex 9,1.13; 10,3.7 formulieren absolut, ohne einen Ort des Dienstes auszuführen. 353 PENNER, Praise, 309, Anm. 98, sieht in Jer 7,3-4.6-7 eine ähnliche Neuinterpretation von o` to,poj ou-toj, mit dem im Buch Deuteronomium meist der Tempel gemeint sei (Dtn 12,5.11.13-14 u.a). In Jer 7,3-4 und Jer 7,6-7 dagegen stünden die beiden Bedeutungen von o` to,poj ou-toj ‚Tempel‘ und ‚Land‘ nebeneinander. 354 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 358. STEMBERGER, Stephanusrede, 234–235. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 132. „Ziel des Exodus war zufolge Stephanus der Gottesdienst nicht am Berg (so Ex 3,12), sondern im Tempel …; und all dies war bereits Abraham von Gott verheißen.“ NEHILL,
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Nach diesen Verheißungen Gottes in indirekter und direkter Rede notiert 7,8a als weiteres Ereignis aus der Geschichte Gottes mit Abraham355: kai. e;dwken auvtw/| diaqh,khn peritomh/j\ »Und er gab ihm den Bund der Beschneidung;« Gott ist also wieder derjenige, der die Beziehung zu Abraham weiterhin gestaltet, nun mit dem Bund der Beschneidung, der als Gabe Gottes charakterisiert wird. Da die Verwehrung von dauerhaftem Besitz des Landes gegenüber Abraham in 7,5a kai. ouvk e;dwken auvtw/| klhronomi,an parallel zu 7,8a formuliert ist, werden die beiden Gottesbeziehung gestaltenden Gaben einander gegenübergestellt. Während beide Male Gott als ‚Geber‘ die Beziehung initiiert, wird über die jeweiligen Gaben klhronomi,a und diaqh,kh eine gegenteilige Aussage gemacht: Dauerhafter Besitz (klhronomi,a) des Landes ist nicht entscheidend für die Beziehung zu Gott, wie die Verneinung in 7,5a und die daran anschließenden Verheißungen an Abrahams Nachkommenschaft andeuten, der Bund356 der Beschneidung (diaqh,kh peritomh/j) dagegen ist relevant für den Gottesbezug. Dies gilt auch für die Zukunft, was die Fortsetzung in 7,8b.c impliziert. Wenn sich an diese kurze Notiz mit kai. ou[twj die Zeugung Isaaks (evge,nnhsen to.n VIsaa,k) anschließt, wird ein unmittelbarer Zusammenhang der Zeugung mit dieser Bundesgabe angedeutet.357 Außerdem wird mit dieser ersten Erwähnung eines konkreten Nachkommens Abrahams indirekt auf die implizite Verheißung von Nachkommenschaft an den kinderlosen Abraham zurückgegriffen und angezeigt, dass diese nun beginnt sich zu erfüllen.358 Zugleich ist damit der Anfang der Erfüllung der negativen und positiven Verheißungen, die an die Nachkommen Abrahams gegeben wurden (7,5.6-7), gesetzt. Ausdrücklich wird Isaak in den Bund Gottes mit Abraham einbezogen durch den Hinweis, dass Abraham Isaak am achten Tag beschneidet (kai. perie,temen auvto.n th/| h`me,ra| th/| ovgdo,h), und dasselbe über Isaak und Jakob festgehalten wird: kai. VIsaa.k to.n VIakw,b. Da in die355
Dass sich Apg 7,8 an das Vorangegangenen anschließt, zeigt die Verbindung mit
kai,. 356
Übersetzt man diaqh,kh hier mit „Verfügung“ oder „Willenserklärung“ (vgl. BAUER, Wörterbuch, 366), kann der Aspekt der Initiative und Souveränität Gottes hinsichtlich der Beziehung zu Abraham und seinen Nachkommen verdeutlicht werden sowie der Gedanke, dass Abraham und seine Nachkommen dieser Gabe Gottes entsprechen und antworten müssen, um die Beziehung zu Gott ebenfalls mitzugestalten. 357 Vgl. FITZMYER, Acts, 372, ergänzt das elliptische Adverb ou`,twj: ‚Abraham in seinem beschnittenen Zustand‘ wurde Vater von Isaak. Der enge Zusammenhang zwischen der Bundesgabe durch Gott und der Zeugung Isaaks deutet sich außerdem dadurch an, dass Abraham nicht ausdrücklich als Subjekt von evge,nnhsen genannt wird. So könnte rein grammatikalisch auch Gott Subjekt von evge,nnhsen sein. Dies entspricht der engen Verbindung zwischen der Bundesgabe und der Verheißung der Geburt Isaaks in Gen 17,1016. 358 Vgl. JERVELL, Apg, 234.
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ser Notiz ein Verb fehlt, kann vor dem Hintergrund von 7,8b sowohl evge,nnhsen als auch perie,temen ergänzt werden. Dasselbe gilt für die ebenfalls elliptische Notiz kai. VIakw.b tou.j dw,deka patria,rcaj (7,8d), die wohl nicht nur die Zeugung der zwölf Patriarchen durch Jakob, sondern auch deren Beschneidung impliziert. Durch diese dichte Aneinanderreihung auf der Grundlage der Notiz von der Bundesgabe Gottes an Abraham entsteht der Eindruck, dieser Bund werde durch die Beschneidung von Generation zu Generation tradiert, bleibe also auch zwischen Gott und den Nachkommen Abrahams bestehen.359 Somit wird der Bund der Beschneidung zu einem deutlichen Element der Kontinuität zwischen Abraham, Isaak, Jakob und den zwölf Patriarchen und darüber hinaus den Adressaten der Stephanusrede als Nachkommen Abrahams.360 Diese Beobachtungen bestätigen sich angesichts der Erzählung von Gen 17, die durch diaqh,kh peritomh/j361 eingespielt wird. Dort wird fast durchgehend in Form von direkter Rede Gottes erzählt, wie dieser seinen Bund (der Beschneidung) mit Abraham schließt. Damit eng verknüpft ist die Verheißung einer großen Nachkommenschaft Abrahams (z.B. Gen 17,2: kai. qh,somai th.n diaqh,khn mou avna. me,son evmou/ kai. avna. me,son sou/ kai. plhqunw/ se sfo,dra »und ich werde meine Verfügung einsetzen zwischen mir und zwischen dir und ich werde ich überaus zahlreich machen«), mit der Gott ebenfalls seinen Bund schließen will, wie Gen 17,7 festhält: kai. sth,sw th.n diaqh,khn mou avna. me,son evmou/ kai. avna. me,son sou/ kai. avna. me,son tou/ spe,rmato,j sou meta. se. eivj genea.j auvtw/n eivj diaqh,khn aivw,nion ei=nai, sou qeo.j kai. tou/ spe,rmato,j sou meta. se,. »Und ich werde meine Verfügung aufstellen zwischen mir und zwischen dir und zwischen deiner Nachkommenschaft nach dir, für ihre Generationen, als ewige Verfügung, dass ich dein Gott und der deiner Nachkommenschaft nach dir bin.« Gott schließt also einen zweifachen Bund mit Abraham, nämlich mit ihm persönlich und mit ihm samt den Nachkommen, wobei beides nicht zu trennen ist.362 Die Art und Weise,
359
Die elliptische Formulierung kann jeweils mit perie,temen ergänzt werden. Vgl. JERVELL, Apg, 234. Er sieht hier einen Hinweis darauf, dass im Rahmen des lukanischen Kontextes der Zusammenhang zwischen der Verheißung und dem Beschnittensein wichtig sei (Apg 2,39; 3,35f.). 361 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 159. Hier liege ein neutestamantliches Hapaxlegomenon vor. Auch in der LXX, in zwischentestamentarischer Literatur, bei Josephus und Philo sei diese Formulierung nicht zu finden. Die Wurzeln lägen in Gen 17,10-13, aber es zeige sich hier ein innovativer Umgang mit dem Vokabular der LXX. 362 Vgl. JACOB, Genesis, 419, 422. Den Bund mit Abraham allein schließe Gott im Hinblick auf die ganze Menschheit, den mit den Nachkommen für das eine Volk. Beides sei nicht zu trennen, da Israel der Priester der Menschheit werden solle. Ähnlich sei beim Sinaibund ein national-religiöser und ein menschheitlicher Gedanke nebeneinander gestellt (Ex 19,5f.). WESTERMANN, Genesis II, 312, betont, dass die feierliche Versicherung 360
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wie dieser Bundesschluss formuliert ist, zeigt, dass hier die auf der Verheißung beruhende Gottesbeziehung Institution wird. Gemeint ist in Gen 17 nämlich die in der Zusage Gottes begründete Gottesbeziehung Israels als etwas für die Dauer Eingerichtetes.363 Nach der Zusage des Landes Kanaan für Abraham und seine Nachkommen (Gen 17,8), die aufs engste mit dem Bundesschluss bzw. mit der Verheißung, ihr Gott zu sein, verknüpft ist,364 fordert Gott von Abraham und seinen Nachkommen, diesen Bund zu halten (Gen 17,9), und gibt zugleich an, wie sie das bewerkstelligen können. Als Zeichen des Bundes zwischen Gott und Abraham dient nämlich laut Gen 17,10-11 die Beschneidung: 10 kai. au[th h` diaqh,kh h]n diathrh,seij avna. me,son evmou/ kai. u`mw/n kai. avna. me,son tou/ spe,rmato,j sou meta. se. eivj ta.j genea.j auvtw/n peritmhqh,setai u`mw/n pa/n avrseniko,n 11 kai. peritmhqh,sesqe th.n sa,rka th/j avkrobusti,aj u`mw/n kai. e;stai evn shmei,w| diaqh,khj avna. me,son evmou/ kai. u`mw/n »10 Und dies ist die Verfügung, die du bewahren wirst, zwischen mir und euch und zwischen deiner Nachkommenschaft nach dir für ihre Generationen: Alles Männliche unter euch wird beschnitten werden 11 und ihr werdet am Fleisch eurer Vorhaut beschnitten werden und es wird Zeichen der Verfügung zwischen mir und euch sein.« Demnach wird der Bund gehalten, indem alle männlichen Kinder am achten Tag beschnitten werden365 und zwar in jeder Generation (Gen 17,12a: kai. paidi,on ovktw. h`merw/n peritmhqh,setai u`mi/n pa/n avrseniko.n eivj ta.j genea.j u`mw/n »Und ein Kind von acht Tagen wird von euch beschnitten werden, alles Männliche in euren Generationen«).366 Zusammenfassend unterstreicht Gen 17,13b noch einmal, dass dieser Bund, dessen Zeichen die Beschneidung ist, ein ewiger Bund ist:367 kai. e;stai h` diaqh,kh mou evpi. th/j sarko.j u`mw/n eivj diaqh,khn aivw,nion »und meine Verfügung wird auf eurem Fleisch sein als ewige Verfügung.«
Gottes etwas „zwischen mir (Gott) und dir (Abraham)“ ist. Das werde in der Struktur der folgenden Gottesrede weiter entfaltet. 363 Vgl. WESTERMANN, Genesis II, 315–316. Während tyrb in V. 4 den Akt der Zusage meint, bedeute es in Vers 7 einen Status, der durch diesen Akt hergestellt werde, etwas für immer zwischen Abrahams Nachkommen und Gott Bestehendes. 364 Vgl. JACOB, Genesis, 422, versteht die Gabe des Landes genau an dieser Stelle (in diesem Kontext) als Zusage, JHWH werde ihr Gott sein im Land, das er ihnen gegeben hatte. 365 Vgl. JACOB, Genesis, 423. Dies könne erst ab Isaak gelten, der zum Zeitpunkt des Bundesschlusses noch nicht geboren ist. WESTERMANN, Genesis II, 318 und SEEBASS, Genesis II, 105, sehen in Gen 17,9.10a.11b.13b.14b einen Zusammenhang; dabei handle es sich um eine (gesetzliche) Bestimmung über die Beschneidung. 366 Beschneidung am achten Tag wird auch in Lev 12,3 als Gesetz formuliert. 367 Vgl. JACOB, Genesis, 426. Verdeutlicht werde die Bedeutung dieses Bundes der Beschneidung am Gegenbeispiel. Unbeschnittensein komme Bundesbruch gleich und müsse sanktioniert werden, wobei die Ausrottung aus dem Stammesverband eine allgemeine Drohung mit dem Gericht Gottes sei und damit den Ernst des Gesetzes ausdrücke (Gen 17,14).
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Betont wird in dieser Erzählung, dass am Anfang die Zusage Gottes steht: Er initiiert den Bund und sorgt zugleich für reiche Nachkommenschaft und für die ewige Aufrechterhaltung des Bundes eben mit diesen Nachkommen, indem er ihnen das Land Kanaan gibt368 und ihnen Gott ist. Erst daraufhin fordert er von Abraham und seinen Nachkommen, etwas dazu beizutragen, dass dieser Bund bestehen bleibt: die Beschneidung. Demnach ist der Mensch nicht wie ein Vertragspartner zu einer äquivalenten Gegenleistung verpflichtet, sondern soll auf Gottes Bundesangebot antworten.369 Allerdings ist das Gebot der Beschneidung ein kategorischer Imperativ,370 der keine Ausnahme duldet, wie das vorangestellte peritmhqh,sesqe in Gen 17,11 zeigt. Der Sinn der Beschneidung ist hier klar: Sie soll ein Zeichen des Bundes sein, den Gott zwischen sich und Abraham und dessen Nachkommen „als einen ewigen Bund in der Hinsicht errichtet, daß er ihnen das Land Kanaan zum ewigen Besitz geben und ihr Gott sein werde.“371 Nicht gesagt wird, wer die Beschneidung vornehmen soll, d.h. die Verantwortung wird der Gesamtheit auferlegt. Dies entspricht der Tatsache, dass der Bund mit dem ganzen Volk geschlossen wird, und die Beschneidung somit Zeichen der Zugehörigkeit zum Gottesvolk bzw. Bekenntniszeichen ist, mit dem das Volk seinen Willen zum Bleiben in dieser Gottesbeziehung bezeugt.372
Indem die kurze Notiz in Apg 7,8a mithilfe des Stichwortes diaqh,khn peritomh/j die ausführliche Erzählung des Genesistextes nur knapp zusammenfasst, rückt die Tatsache des Beschneidungsbundes zwischen Gott und Abraham ins Zentrum. Dieser Bund ist hier im Gegensatz zu Gen 17 nicht mit der Landverheißung verknüpft, sondern Land und Beschneidungsbund sind zwei „gute Gaben“373 Gottes. Dies unterstreicht die Bezeichnung des Beschneidungsbundes als eine Gabe (di,dwmi) Gottes an Abraham, während Gen 17 mit dem Verb ti,qhmi eher an eine Art Vertrag 368
Auch die erste Erwähnung eines Bundesschlusses zwischen Gott und Abraham bzw. seinen Nachkommen Gen 15,18 wird mit der Landesgabe verbunden. Der Kontext Apg 7,6-7 als Allusion auf Gen 15,13-14 zeigt zwar auch Intertextualität zwischen Apg 7,8 und Gen 15,18, aber aufgrund des Stichworts peritomh, ist die Anspielung auf Gen 17 auffälliger. 369 Vgl. JACOB, Genesis, 422–423. 370 Der Indikativ Futur kann auch imperativische Bedeutung haben. Im Hebräischen wird Beschneidung durch das Passiv ausgedrückt, was darauf hinweist, dass nicht der Akt der Beschneidung beschrieben werden soll, sondern ein Zustand gefordert wird (Vgl. auch Gen 34,15.22; Ex 12,48; Lev 6,22; 7,6; Num 18,10). Indem Beschneidung ein Zeichen an und im Leib ist, ist sie ein character indelebilis. Vgl. JACOB, Genesis, 424. 371 JACOB, Genesis, 432. Insofern es ein Bund an ihrem Leib und dadurch ein ewiger Bund sein soll, sei die Beschneidung das Zeichen der Zugehörigkeit Abrahams und seines Geschlechts zu Gott, eine Eigentumsmarke, ein Siegel. 372 Vgl. WESTERMANN, Genesis II, 318, 320. JACOB, Genesis, 433. „Die Vollziehung der Beschneidung ist die Willigkeit, in den Bund Gottes einzutreten und ihn zu wahren, ein Symbol des Gehorsams gegen Gott.“ Vgl. auch SEEBASS, Genesis II, 110. 373 JESKA, Geschichte Israels, 159.
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denken lässt, wie auch die ausdrückliche Forderung einer ‚Gegenleistung‘ zum Halten des Bundes in Form von Beschneidung bestätigt. Zwar ist auch Apg 7,8 mit dieser Forderung konnotiert – zumal durch das Stichwort der Beschneidung Gen 17 eingespielt wird –, aber ausdrücklich wird sie nicht erwähnt, sondern es wird vielmehr der Aspekt der bedingungslosen Initiative Gottes betont. Darüber hinaus fehlt in Apg 7,8 die Bezeichnung als eines »ewigen Bundes« (diaqh,kh aivw,nioj). Diese Charakterisierung ist allerdings mitgedacht, da Apg 7,8b-d von der fortwährenden Zeugung und Beschneidung (am achten Tag) ‚von Generation zu Generation‘ von Abraham bis zu den zwölf Patriarchen berichtet. Zugleich klingt darin an, dass Abraham und seine Nachkommen der Forderung Gottes entsprechen, den Bund durch die Beschneidung einzuhalten (Gen 17,9). Dies wird umso deutlicher vor dem Hintergrund, dass die Erwähnung Isaaks (Apg 7,8b) die Verheißung einspielt, Sara werde trotz ihres hohen Alters Isaak gebären, mit dem und dessen Nachkommen Gott ebenfalls einen ewigen Bund schließen werde (Gen 17,15-21).374 Nicht nur damit beginnt die Erfüllung des ewigen Bundes mit Abraham und seinen Nachkommen, sondern auch durch den Bericht von der Beschneidung Abrahams, Ismaels und aller Männer seines Hauses (Gen 17,23-27) – also aller in Gen 17,12-13 genannten. Zwar spielen Ismael und die anderen Männer im Haus Abrahams in Apg 7,8 keine Rolle, aber in der Form der Aneinanderreihung der Nachkommen zur Verdeutlichung der gehorsamen Erfüllung des Bundes ähneln sich Gen 17,23-27 und Apg 7,8 dennoch. Demnach weist auch die Aufzählung von Abraham über Isaak und Jakob375 bis zu den zwölf Patriarchen in Apg 7,8b-d auf die Umsetzung des Beschneidungsbundes hin. Besonders deutlich wird das durch die Anspielung auf die Geburt Isaaks nach Gen 21,1-4. Dort zeigt sich nicht nur, dass Isaaks Geburt letztlich auf Gott zurückzuführen ist,376 sondern auch, dass Abraham Isaak gemäß der Anweisung Gottes am achten Tag beschneidet: perie,temen de. Abraam to.n Isaak th/| ovgdo,h| h`me,ra| kaqa. evnetei,lato auvtw/| o` qeo,j »Abraham aber beschnitt Isaak am achten Tag, so wie der Herr ihm befohlen hatte« (Gen 21,4).
374
„Isaak wird deswegen so ausgezeichnet, weil er der erste in den Bund hineingeborene Sohn und der Sohn des Gottesknechtes Abraham ist.“ JACOB, Genesis, 429. 375 Vgl. JACOB, Genesis, 418, erklärt, Jakob sei der eigentliche Vater des Volkes Israel, denn er habe die Schar der Söhne gezeugt, nach denen sich die zwölf Stämme nennen; nach ihm heißt das ganze Volk „Haus Jakobs“ und die „Kinder Israels“. Aber in erhöhtem Sinn sei Abraham der zuerst von Gott berufene, der Vater. 376 Indem in Apg 7,8b das Subjekt nicht ausdrücklich genannt wird, in Apg 7,8a aber eindeutig Gott Subjekt ist, kann auch hier – zumal vor dem Hintergrund von Gen 21,1-4 – der Eindruck entstehen, Gott habe Isaak gezeugt.
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Darüber hinaus ähnelt die Aufzählung von Isaak, Jakob und den zwölf Patriarchen biblischen Genealogien, wie z.B. Gen 25,19b Abraam evge,nnhsen to.n Isaak »Abraham hatte Isaak gezeugt«.377 Besonders Genealogien im Buch Genesis zeigen, dass diese als Struktursignal und Leseanweisung fungieren. In literarischer Hinsicht dienen biblische Genealogien nicht nur der Rückbindung an den Ursprung, sondern auch der Überbrückung großer Zeitabschnitte, dem Abschluss von Nebenlinien bzw. der Zuspitzung auf bestimmte Hauptlinien sowie der Rhythmisierung einer Erzählung. Häufig wird durch sie außerdem ein Erzählbogen zu Ende gebracht und zugleich ein neuer Spannungsbogen aufgebaut, z.B. indem ein neues Problem oder eine offene Frage eingeführt wird.378 Neben diesen literarischen Funktionen besteht eine der wichtigsten Bedeutungen biblischer Genealogien in der Konstruktion von Identität. Mittels der genannten Namen und Generationen sowie der damit verknüpften Erzählungen entsteht nämlich eine kontinuierliche Linie „gesegneter“ Söhne, durch die sich „das Volk Israel“ konstituiert und zugleich Abgrenzung von anderen Völkern erfolgt. Da sich Genealogien nicht konkret historisch festlegen, sondern mit Chiffren und Leerstellen arbeiten, fordern sie zu Aktualisierung und Stellungnahme des Lesers heraus, so dass auch dessen Identität zur Debatte steht.379 Darüber hinaus transportieren biblische Genealogien theologische Botschaften: Gott interveniert ständig im genealogischen System, indem er z.B. seine Erwählung in Segen und Verheißung von Nachkommenschaft und Land konkretisiert. Somit werden Segen und Verheißungen als von Gott selbst genealogisch verankert dargestellt und die Weitergabe von Generation zu Generation festgehalten.380
Auch die genealogieartige Aufzählung in Apg 7,8 überbrückt in literarischer Hinsicht einen langen Zeitraum, nämlich von Abraham bis zu den zwölf Patriarchen und strukturiert damit die Stephanusrede, insofern sie die Erzählung über Abraham zum Abschluss bringt und einen neuen Span377
Die Geburt Jakobs wird unmittelbar im Rahmen der Toledot Isaak erzählt (Gen 25,21-26). Vgl. auch die Liste der Söhne und Enkel Jakobs Gen 46,8-27 und die Auflistung der zwölf Patriarchen Ex 1,1-5. 378 Vgl. HIEKE, Genealogien, 343–352. Dort findet sich eine Zusammenfassung der ausführlichen Analysen zu den Genealogien im Buch Genesis und deren gesellschaftlichen, politischen und ethnischen Funktionen sowie zu deren theologischen Botschaften. 379 Vgl. HIEKE, Genealogien, 300–301, 347–349. 380 Vgl. HIEKE, Genealogien, 303–307, 348–351, erläutert, dass Gott kein Bestandteil der Genealogien im Sinne einer Theogonie ist. Innerhalb von Genealogien können außerdem bezüglich der Realisierung von Verheißungen Störungen berichtet werden, die zeigen, dass es keinen „‚Automatismus‘ in der (Heils-)Geschichte“ gibt. Vielmehr sage Gott seinen Segen und seine Verheißungen jeder Generation individuell neu zu und die Realisierung kann sehr lange dauern.
200
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
nungsbogen eröffnet. Außerdem wird die Rückbindung alles Folgenden an Abraham bzw. Gott selbst deutlich. Dadurch, dass nur bestimmte Namen herausgegriffen werden und andere unerwähnt bleiben, kristallisiert sich außerdem die Linie heraus, die zur Bildung des Volkes Israel führt – ähnlich wie im Buch Genesis.381 So dienen auch in Apg 7,8 die genannten Personen als „Identitätskonzepte und in Literatur kristallisierte Gotteserfahrungen“, die den Hörer bzw. Leser der Rede zu einem „aktuellen Nachvollzug des Geschehens“ auffordern und zur „aktive[n] Mitarbeit an der Konstituierung von Sinn und Identität anhand der Personen und Generationen, die ihren Weg mit Gott gingen.“382 Indem am Ende der Reihe von Apg 7,8 die zwölf Patriarchen stehen, wird schon ein Übergang zur Fortsetzung der Rede geschaffen, da mit ihnen der Spannungsbogen eröffnet wird, der in Apg 7,9-16 behandelt wird. 4.3 Fazit Die Aussage o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa,m »der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham« in 7,2b formuliert programmatisch das Thema dieses ersten Redeabschnitts Apg 7,2b-8 und sogar der gesamten Stephanusrede: Es geht um den transzendenten Gott, der sich in der Geschichte offenbart, d.h. es geht um eine Geschichte der Gottesbegegnung. Damit ist die Stephanusrede zum einen in die Gerichtssituation 6,12-7,1 eingebettet, denn die Rede vom »Gott der Herrlichkeit« widerlegt schon am Anfang den Blasphemievorwurf gegen Stephanus (6,11) und fasst die Nähe des transzendenten Gottes, die im engelsgleichen Gesicht des Stephanus zu sehen ist (6,15), in Worte. Zum anderen werden hier sowie im gesamten ersten Redeabschnitt richtungsweisende Grundlagen für den weiteren Verlauf der Rede gelegt. Die Erzählung der Geschichte von der »Erscheinung des Gottes der Herrlichkeit vor unserem Vater Abraham« präsentiert sich in Apg 7,2-8 als deutende und aktualisierende Geschichtserzählung. Indem die aus den Abrahamserzählungen im Buch Genesis eingespielten Subtexte verändert werden,383 erhält die Geschichte Abrahams in der Stephanusrede nämlich ein eigenes Profil: 381
Vgl. die Erwähnung der zwölf Patriarchen am Ende der Aufzählung von Apg 7,8 und ihre namentliche Nennung in Ex 1,1-5, womit das entstandene Volk Israel umrissen wird. Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 159, spricht von einer „Zwischenglieder-Rolle“, d.h. Isaak und Jakob dienen nur dazu, die Lücke zwischen Abraham und Joseph zu schließen. Dies sei in Summarien der Geschichte Israels durchaus üblich, z.B. in Jos 24,3f.; Sir 44,22f.; 4 Esr 3,15f.; LibAnt 23,8f.; 1Hen 89,11f. 382 HIEKE, Genealogien, 352. Ergänzung durch Heike Braun. 383 Zum Beispiel wird die Reihenfolge der Texte im Vergleich zu den Genesistexten zum Teil verändert, es werden Aspekte weggelassen, andere besonders fokussiert, Ex
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Während alle Erzählungen in Gen 12,1-25,18 um die Persönlichkeit Abrahams gruppiert sind, tritt Abraham in Apg 7,2c-8 zugunsten von Gottes Handeln in den Hintergrund. Zwar fokussiert Apg 7,2c-8 ebenfalls den Verheißungscharakter der Offenbarungen Gottes, zeigt aber diesbezüglich zugleich Unterschiede zu den Genesiserzählungen: Dort dient als Achse, um die sich die Geschichte Abrahams dreht, der erste Ansatz zu einem Volk durch die Realisierung der Nachkommensverheißung in der Geburt Isaaks, ohne die alle anderen Verheißungen in der Luft hängen.384 Demgegenüber tritt das Thema der Nachkommenschaft in Apg 7,2c-8 in den Hintergrund, während das Thema ‚Land‘ deutlich hervorgehoben wird. Diesbezüglich zeigt sich zugleich eine Relativierung der Bedeutung des verheißenen Landes, z.B. indem sich Gott Abraham außerhalb des Landes offenbart, der dauernde Besitz des Landes für Abraham nur als Verheißung dargestellt wird und als Ziel des Herausführens aus der Knechtschaft Gottesdienst evn tw/| to,pw| tou,tw| »an diesem Ort« genannt wird. Dass die von Gott initiierte Gottesbeziehung im Vordergrund steht, drückt sich weiterhin in Apg 7,8 aus, insofern der Beschneidungsbund – im Unterschied zu den Genesistexten unabhängig von der Landverheißung – als Gabe Gottes bezeichnet wird und mit einer summarischen Notiz in Analogie zu biblischen Genealogien aufgezeigt wird, dass von Abraham bis zu den zwölf Patriarchen diesem Anspruch Gottes gehorsam entsprochen wird, um im Bund mit ihm zu bleiben. So wird die Abrahamsgeschichte als eine Art Ideal-Anfang der Geschichte Israels gedeutet, insofern sie von Gott außerhalb des Landes mittels ‚anspruchsvoller‘ Verheißungen auf den Weg gebracht wird, und zwar nicht nur ins verheißene Land, sondern auch an jeden Ort (7,7d) für unbegrenzte Zeit.385 Ideal scheint auch die Umsetzung der Beschneidung durch die Väter Israels zu sein, durch die der Bund mit Gott über Generationen weitergegeben wird.
3,12 wird mit Gen 15,13-14, kombiniert. So findet eine Art Relektüre von Genesisbildern statt. Vgl. Gen 15,13-14 in Apg 7,6-7. 384 Vgl. JACOB, Genesis, 331. Durch dieses Grundmotiv werde nicht nur die Disposition des Ganzen bestimmt, sondern auch Einzelheiten würden nur dadurch verständlich. 385 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 358–359. In Anm. 106 fügt sie mit ASSMANN, Kulturelles Gedächtnis, 201, hinzu, dass damit ein entscheidender Punkt biblischer Geschichte implizit aufgenommen werde: auch der Bundesschluss am Sinai finde außerhalb des Landes statt, gehe also der Landnahme voraus, sei von keinem Territorium abhängig. In diesem Bund könne man daher überall verbleiben. Außerdem argumentiert Schiffner im Hinblick auf die lukanische Gemeinschaft als Erstadressaten der Apostelgeschichte: Lk gehe es unter den aktuellen Bedingungen zur Zeit seines Schreibens – Herrschaft Roms, Verlust von Land und Tempel – darum zu zeigen, dass der Dienst für JHWH an jedem Ort möglich ist.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Das eigene Profil der Abrahamsgeschichte in Apg 7,2c-8 steht dennoch nicht im Widerspruch zur Funktion der Genesistexte. So ist nämlich schon allein Gen 12,1-8 eine grundlegende Erzählung zur Selbstdeutung Israels vor seinem Gott, die zugleich in die Abrahamserzählung einführt. Dabei steht weniger die Berufung Abrahams in Gottes Nachfolge im Mittelpunkt als vielmehr die Konstitution des Gottesvolkes im Festhalten am Gotteswort und an der Verheißung trotz allergrößter Verzögerungen bei deren Realisierung. Auf diese Weise erhält Gen 12,1-8 eine Zeit überspannende, bis heute geltende Verbindlichkeit, die sich auch in Apg 7,2c-8 spiegelt. Zwar interessieren hier nicht so sehr die Gottesvolk- und Menschheitserschließenden Aspekte der Abrahamserzählungen, sondern vielmehr der Gottesbezug Abrahams und das Verhältnis zum Land. Aber gemeinsam ist Apg 7,2c-8 mit den Genesistexten, dass hier Erschließung der Wirklichkeit von Geschichte stattfindet, die (universales) Potential für Gegenwart und Zukunft hat.386 Das zeigt sich z.B. in den kurzen Bezugnahmen zur Hörerschaft (7,2c.4) und der genealogieartigen Aufzählung von Abraham bis zu den zwölf Patriarchen (7,8). Auch die Fortsetzung der Stephanusrede entfaltet, inwiefern die Geschichte der Erscheinung des Gottes der Herrlichkeit vor Abraham für Gegenwart und Zukunft wegweisende Bedeutung hat. So werden im Lauf der Rede die Verheißungen Gottes an Abraham immer wieder aufgegriffen und von deren sukzessiven Erfüllung erzählt. Insbesondere die Fokussierung des Themas ‚Land‘ zieht sich auch weiterhin durch die Stephanusrede hindurch. Entsprechend der Relativierung der Bedeutung des Landes für die Begegnung mit Gott, auf die Apg 7,2bc-8 hinweist, wird der polyseme Begriff o` to,poj ou-toj (7,7d) an verschiedenen Stellen der Rede implizit oder explizit mit unterschiedlichen Bedeutungen gefüllt. Neben diesen inhaltlichen Grundlagen für die Stephanusrede bietet Apg 7,2c-8 zumindest ein gestalterisches Mittel, das auch in anderen Redeabschnitten zu finden ist: ein Wechsel von statischen und dynamischen Elementen. Das statische Moment der Notiz von der Erscheinung des Gottes der Herrlichkeit vor Abraham in Mesopotamien (7,2c) wird durch die Aufforderung Gottes 7,3 aufgebrochen, so dass damit die Dynamik von 7,4 initiiert wird. Diese wiederum wird zum einen von der Kurzaktualisierung (7,4b) und zum anderen vom Bericht der Verheißung in 7,5 durch ein statisches Element unterbrochen. Die Verheißungen in 7,6 zeigen durch die 386
Vgl. SEEBASS, Genesis II, 12, 20–21. Ähnlich WESTERMANN, Gen 12-36, 183: „Was einmal später das Gottesverhältnis und der Gottesdienst des sesshaften Israel im Besitz des Landes sein wird, ist nicht alles, was das AT vom Gottesdienst zu sagen hat, es ist auch nicht das Endgültige; vielmehr gehört Abraham auf dem Weg dazu.“
5 Lektüre von Apg 7,9-16
203
Aneinanderreihung negativer Zukunftsankündigungen eine unheilvolle Dynamik, die dann von einer positiven Dynamik (7,7) abgelöst wird, deren Urheber erneut Gott ist. In 7,8 kommen statische und dynamische Elemente zusammen, denn die Form der genealogieartigen Auflistung stellt an sich ein retardierendes Moment im Erzählverlauf dar, überbrückt aber zugleich einen großen Zeitraum, der von innerer Dynamik zeugt. So spiegelt sich in diesem Wechsel von dynamischen und statischen Erzählmomenten die inhaltliche Dynamik der Geschichte Gottes mit Abraham.
5 Lektüre von Apg 7,9-16 5.1 Strukturanalyse Die kurze Notiz über den Verkauf Josefs nach Ägypten in 7,9a schließt zunächst durch die Wiederaufnahme von oi` patria,rcai unmittelbar an 7,8 an, markiert aber durch die Einführung der neuen Person Josef und durch die Ortsangabe Ägypten zugleich den Beginn eines neuen Abschnitts. In 7,9b-10 wird unter dem Vorzeichen des Beistands Gottes die positive Umkehrung von Josefs bedrängender Situation hin zu seiner Erhöhung zum »Vorsteher« (h`gou,menoj) über Ägypten und das ganze Haus des Pharao berichtet. 7,11 lenkt mit der großen Hungersnot in ganz Ägypten und Kanaan auf »unsere Väter« zurück und hält besonders deren schlechte Lage fest. Von ihnen wird in 7,12 Jakob herausgegriffen, womit zugleich eine Verbindung zu 7,8 hergestellt wird. Nach der Notiz, Jakob habe »unsere Väter« ein erstes Mal nach Ägypten geschickt, berichtet 7,13-14 sofort die Ereignisse der zweiten Reise nach Ägypten: Josef gibt sich seinen Brüdern zu erkennen (7,13a), und der Pharao (7,13b) erkennt die Herkunft des Josef. Dieser ruft seinen Vater Jakob und seine ganze Familie nach Ägypten (7,14). Nachdem 7,15a kurz das Kommen Jakobs nach Ägypten festhält, notiert 7,15b-16 sogleich seinen Tod sowie den der Stammväter, was einer relativen Zeitangabe ähnelt. Mit dem vergleichsweise ausführlichen Bericht über das Begräbnis »unserer Väter« und der Bestimmung ihres Grabes wird der Abriss über die Geschichte Josefs beendet. Insgesamt ist 7,9-16 von sehr kurzen Erzählabschnitten geprägt, die fast stichpunktartig Ereignisse aus der Geschichte um Josef, Jakob und »unsere Väter« auflisten, ohne bei einem Ereignis länger zu verweilen.387 Die Struktur dieses Abschnitts lässt sich folgendermaßen darstellen:
387
Vgl. die stereotype Aneinanderreihung meist parallel konstruierter Sätze kai, + Verb in Apg 7,9-10.13.15-16.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
204 7,9-10
7,11-12
7,13-14
7,15
7,16
Josef in Ägypten 7,9a Die Patriarchen verkaufen Josef nach Ägypten 7,9b-10 Gottes Beistand und dadurch bewirkter Aufstieg Josefs in Ägypten Große Hungersnot in Ägypten und Kanaan 7,11a Situation allgemein in Ägypten und Kanaan 7,11b Situation »unserer Väter« in Kanaan 7,12 Jakob sendet »unsere Väter« zum ersten Mal nach Ägypten Der zweite Aufenthalt »unserer Väter« in Ägypten 7,13 Bekanntwerden der Herkunft Josefs vor seinen Brüdern und dem Pharao 7,14 Josef lässt seinen Vater und seine ganze Familie nach Ägypten kommen Jakob in Ägypten 7,15a Jakobs Ankunft 7,15b Der Tod Jakobs und »unserer Väter« in Ägypten Begräbnis »unserer Väter« in Sichem, im Grab Abrahams
5.2 Lektüre Apg 7,9-10 9a b 10a b c 9a b 10a b c
Kai. oi` patria,rcai zhlw,santej to.n VIwsh.f avpe,donto eivj Ai;guptonÅ kai. h=n o` qeo.j metV auvtou/ kai. evxei,lato auvto.n evk pasw/n tw/n qli,yewn auvtou/ kai. e;dwken auvtw/| ca,rin kai. sofi,an evnanti,on Faraw. basile,wj Aivgu,ptou kai. kate,sthsen auvto.n h`gou,menon evpV Ai;gupton kai. ÎevfÐ o[lon to.n oi=kon auvtou/Å »Und die Patriarchen, eifersüchtig geworden, verkauften Josef nach Ägpyten. Und Gott war mit ihm und er rettete ihn aus allen seinen Bedrängnissen und er gab ihm Wohlwollen und Weisheit vor Pharao, dem König von Ägypten, und er setzte ihn ein als Vorsteher über Ägypten und über sein ganzes Haus.«
Indem oi` patria,rcai das Ende von 7,8 tou.j dw,deka patria,rcaj aufgreift, wirkt 7,9 zunächst wie eine Fortführung der genealogieartigen Aufzählung über die Weitergabe des Bundes der Beschneidung. Zugleich kündigt sich
5 Lektüre von Apg 7,9-16
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aber ein neuer Abschnitt an, da es nicht mehr um den Bund der Beschneidung geht, sondern um den Verkauf Josefs nach Ägypten388 (to.n VIwsh.f avpe,donto eivj Ai;gupton). Dabei wird sogar ein deutlicher Kontrast zu 7,8 gezeichnet, wo die Patriarchen in einer positiven Linie mit Abraham und der mit ihm verbundenen von Gott initiierten Geschichte eingeführt werden. Dagegen werden die Patriarchen nun sofort durch das Partizip zhlw,santej389 und die Auswirkungen dieser Eifersucht, d.h. den Verkauf Josefs nach Ägypten, negativ qualifiziert. Auf diese Weise wird also angesichts der Kontinuität der Väter, die 7,8 darstellt, nun eine Krise verzeichnet, da statt der Weitergabe der Verheißungen und des Bundes der Beschneidung von den Patriarchen eifersüchtiges Handeln berichtet wird.390 Die Charakterisierung der Patriarchen als zhlw,santej spielt Gen 37,11 ein, wo über die Brüder Josefs berichtet wird, dass sie aufgrund von Josefs Traumvision über dessen besondere Erwählung »eifersüchtig« auf diesen sind: evzh,lwsan de. auvto.n oi` avdelfoi. auvtou/ »Seine Brüder aber beneideten ihn«.391 Nach der Erzählung von der Abwesenheit der Brüder auf den Weiden in Sichem und der Aussendung Josefs durch seinen Vater Jakob, treffen Josef und seine Brüder in Gen 37,18 wieder aufeinander. Dabei fassen die Brüder sofort den Mordplan gegen Josef und fordern sich selbst gegenseitig noch einmal direkt dazu auf: nu/n ou=n deu/te avpoktei,nwmen auvto,n … »Jetzt also auf, töten wir ihn …« (Gen 37,20a). Ihre Motivation zum Anschlag auf Josef liegt in ihrer Eifersucht auf dessen herausragende Stellung, die in seinen Traumvisionen ausgedrückt wird, denn die Brüder greifen in ihren Aussagen direkt auf diese Träume zurück kai. ovyo,meqa ti, e;stai ta. evnu,pnia auvtou/ »und wir werden sehen, was mit seinen Träumen sein wird!« (Gen 37,20c) und nennen Josef o` evnupniasth.j evkei/noj »jener Träumer« (Gen 37,19).392 Eifersucht und daraus entstandener Hass als Motive der Brüder legen sich auch vor dem Hintergrund nahe, dass die besondere Liebe Jakobs zu Josef (Gen 37,4) und die Verheißung an Josef in der Traumvision den Hass (mise,w) der Brüder entzündet haben 388
Die Nennung Josefs und Ägyptens als Schauplatz für das Folgende untermauert den Beginn eines neuen Abschnitts. 389 Das Wortfeld zh/loj / zhlo,w hat sowohl im allgemeinen als auch im biblischen Sprachgebrauch zunächst die Bedeutung „Eifer“ bzw. „eifern“, „eifrig sein für“ und kann positiv oder negativ im Sinn von „Eifersucht“, „Neid“ bzw. „eifersüchtig sein“ und „mit Neid erfüllt sein“ verwendet werden (vgl. auch Apg 17,5). Vgl. BAUER, Wörterbuch, 683–684. PENNER, Praise, 319. 390 Vgl. FITZMYER, Acts, 373. JERVELL, Apg, 235. PESCH, Apg, 250. SCHNEIDER, Apg, 455. 391 Vgl. WEIHS, ALEXANDER, Jesus und das Schicksal der Propheten. Das Winzergleichnis (Mk 12,1-12) im Horizont des Markusevangeliums (BThSt 61), NeukirchenVluyn 2003, 59. Er erklärt, das Verb zhlo,w stehe betont am Satzanfang, so dass große Eifersucht impliziert sei. 392 Vgl. WESTERMANN, CLAUS, Genesis. 3. Teilband Genesis 37-50 (BK I/3), Neukirchen-Vluyn 1982, 32. WEIHS, Schicksal der Propheten, 59.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
(Gen 37,8).393 Ihre Eifersucht bezieht sich also auf die herausgehobene Position Josefs in Bezug auf seinen Vater Jakob einerseits und in Bezug auf Gott andererseits. Diese Sonderstellung Josefs qualifiziert das eifersüchtige Vorgehen seiner Brüder zusätzlich als äußerst verwerflich und sogar als Frevel vor Gott.394 Während Gen 37,20-27 die Auseinandersetzung der Brüder über den Umgang mit Josef schildert, erwähnt Apg 7,9 nur das Ergebnis davon (to.n VIwsh.f avpe,donto eivj Ai;gupton) und greift damit auf Judas Vorschlag (deu/te avpodw,meqa auvto.n toi/j Ismahli,taij tou,toij »Auf, verkaufen wir ihn an diese Ismaeliten« Gen 37,27) und die Umsetzung davon (kai. avpe,donto to.n Iwshf toi/j Ismahli,taij ei;kosi crusw/n kai. kath,gagon to.n Iwshf eivj Ai;gupton »und sie verkauften Joseph an die Ismaeliten für 20 Goldstücke; und sie brachten Joseph nach Ägypten hinab« Gen 37,28b) zurück. Mit demselben Verb avpodi,dwmai schildert Gen 37,36 sogar noch konkreter, dass Josef in Ägypten an den Hof des Pharao gelangt (oi` de. Madihnai/oi avpe,donto to.n Iwshf eivj Ai;gupton tw/| Petefrh tw/| spa,donti Faraw avrcimagei,rw| »Die Medienäer aber verkauften Joseph nach Ägypten an Petephres, den Eunuchen von Pharao, Oberkoch«).
Indem Apg 7,9 den Mordgedanken von Josefs Brüdern (Gen 37,20) nicht erwähnt, werden sie diesbezüglich zwar im Vergleich zur Genesisdarstellung entlastet,395 aber bezüglich des Verkaufs ins ferne, fremde Ägypten werden sie deutlich als unmittelbare Täter dargestellt. Denn ausdrücklich wird ihre Eifersucht als Motivation für den Verkauf Josefs genannt, im Gegensatz zur Genesiserzählung.396 Im Vordergrund der kurz zusammengefassten Ereignisse von Gen 37 steht demnach die Tatsache, dass Josef
393
Vgl. WESTERMANN, Genesis III, 27–32. SCHARBERT, JOSEF, Genesis II (NEB.AT 16), Würzburg 1986, 238–240. JACOB, Genesis, 697–700. Die Auszeichnung Josefs durch die besonderen Kleider lehre, dass Jakobs Vaterliebe in dem erstgeborenen Sohn der Rahel von Anfang an den künftigen Herrscher sah. Die Brüder hassten Josef, weil der Vater ihn vorzog und weil er diese Träume, in denen Gott spreche, hatte und erzählte. Das Anstößige darin sei eine geträumte Herrschaft des Jüngsten über die ganze Familie. 394 WEIHS, Schicksal der Propheten, 64, 67. 395 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 162. Eine Entlastung gegenüber Gen 37 deute sich auch darin an, dass nur Eifersucht als Motiv für das Vorgehen gegen Josef erwähnt wird, ihr Hass nicht. 396 Dort wird zwar die Eifersucht der Brüder genannt, aber nicht ausdrücklich als Motivation für den Verkauf Josefs dargestellt. Vielmehr werden in der Schilderung des Verkaufs selbst (Gen 37,28) die Ismaeliten als Käufer erwähnt, während die Initiative der Brüder dabei in den Hintergrund rückt. Vgl. zur Eifersucht als Motivation im Vergleich zur Genesisdarstellung auch PENNER, Praise, 319. DSCHULNIGG, Rede, 200. ZMIJEWSKI, Apg, 310, 316–317. JERVELL, Apg, 234. u.a. WEIHS, Schicksal der Propheten, 62, Anm. 177, weist darauf hin, dass sich Eifersucht als Motivation für den Verkauf Josefs auch in der breiten Aufnahme der Josefsgeschichte in TestXII finde. Neutestamentlich werde dieses Motiv weiterhin in Mk 12,7c aufgenommen, wo es als Interpretationshinweis des Todes Jesu dienen könnte. Vgl. EBD., 60–64, 66–69.
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nach Ägypten gekommen ist und wie er dorthin gelangt ist.397 Auffälligerweise werden in 7,9 nicht Josefs Brüder als Täter bezeichnet, sondern distanzierend zu ihm oi` patria,rcai. So geht es weniger um die Bruderbeziehung398 zu Josef als vielmehr um einen Kontrast dieser hier genannten patria,rcai zu der positiven Kontinuitätslinie, die 7,8 skizziert.399 Außerdem wird die kontrastierende Gegenüberstellung der Patriarchen einerseits und Josefs andererseits fokussiert. Das wird besonders deutlich, wenn 7,9b das besondere Gottesverhältnis, das auch die Genesiserzählung thematisiert,400 mit der Aussage kai. h=n o` qeo.j metV auvtou/ »und Gott war mit ihm« festhält und gleich im Anschluss daran die Auswirkungen dieses grundsätzlichen401 ‚Mit-Sein‘ Gottes in dreifacher Weise beschrieben (7,10a-c) wird. Gottes Nähe bewirkt zunächst ganz allgemein eine positive Wende in den Bedrängnissen in Ägypten (kai. evxei,lato auvto.n evk pasw/n tw/n qli,yewn auvtou/ »Und er rettete ihn aus allen seinen Bedrängnissen« 7,10a). Diese konkretisiert sich in einer besonderen Begünstigung Josefs vor dem Pharao, die von Gott initiiert ist402 (kai. e;dwken auvtw/| ca,rin kai. sofi,an evnanti,on Faraw. basile,wj Aivgu,ptou »und er gab ihm Wohlwollen und Weisheit vor Pharao, dem König von Ägypten« 7,10b). Indem der Pharao nicht namentlich vorgestellt wird, sondern ausschließlich in seiner Funktion als basileu.j Aivgu,ptou, wird einerseits noch einmal das für Josef fremde Land Ägypten aufgegriffen (wie in 7,9a). Andererseits wird dadurch auf die Machtposition des Pharao hingewiesen, so dass zugleich die hohe Bedeutung der Gnadengaben Gottes für Josef unterstrichen wird. 397 Diese Unmittelbarkeit drückt auch Josef aus, wenn er sich laut Gen 45,4-5 seinen Brüdern zu erkennen gibt: evgw, eivmi Iwshf o` avdelfo.j u`mw/n o]n avpe,dosqe eivj Ai;gupton … o[ti avpe,dosqe, me w-de … »ich bin euer Bruder Joseph, den ihr nach Ägypten verkauft habt! …, dass ihr mich hierher verkauft habt …« Allerdings fehlt hier die Eifersucht als Motiv der Brüder. 398 So nennt etwa WESTERMANN, Genesis III, 37 Gen 37 eine „reine Familienerzählung“. 399 Da die Patriarchen in Apg 7,11.12.15 als oi` pate,rej h`mw/n bezeichnet werden, geht es auch um ihre Verbindung zu der Gruppe, die im weiteren Verlauf der Rede mit oi` pate,rej h`mw/n zusammengefasst werden und die Kontinuitätslinie bis hin zur Hörerschaft der Rede schaffen. 400 Neben Josefs Gottesbezug steht in der Genesiserzählung seine besondere Beziehung zu Jakob im Vordergrund. Da diese in Apg 7,9 nicht erwähnt wird, geht es hier nicht um eine Familiengeschichte, sondern um einen von Gott Begünstigten und dessen Ablehnung durch die Patriarchen. 401 Das betont vorangestellte Imperfekt h=n verleiht dieser Aussage grundsätzlichen Charakter. Dies wird auch in Apg 7,10 deutlich, wo das ‚Mit-Sein‘ Gottes in seinen Auswirkungen konkretisiert wird. SPENCER, Acts, 72, spricht von einer Art ‚Überschrift‘ über den Leidensweg Josefs. 402 Gott ist Subjekt von e;dwken, so dass er als Geber von ca,rij und sofi,a dargestellt wird.
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Diese zeigt sich auch darin, dass Josef infolge dieser Begünstigung durch Gott beim Pharao in die Position eines leitenden Beamten403 über Ägypten und das ganze Haus des Pharao eingesetzt wird (kai. kate,sthsen auvto.n h`gou,menon evpV Ai;gupton kai. ÎevfÐ o[lon to.n oi=kon auvtou/ »und er setzte ihn ein als Vorsteher über Ägypten und über sein ganzes Haus.« 7,10c). Hierin besteht die höchste Steigerungsstufe der positiven Wende, die letztlich durch Gottes ‚Mit-Sein‘ bewirkt ist, denn Josef rückt aus der Rolle des nach Ägypten Verkauften (Sklaven) in besondere Nähe des Pharao, zu dem das hierarchische Gefälle fast aufgehoben scheint. Eine ähnliche Dynamik wie in 7,9b-10 wird mithilfe des Motivs vom ‚Mit-Sein‘ Gottes mit Josef in der Genesiserzählung narrativ entfaltet: So wird nach der nochmaligen Erwähnung, dass Josef durch die Ismaeliter nach Ägypten an den obersten Hofbeamten Potifar verkauft wurde (Gen 39,1), festgehalten: kai. h=n ku,rioj meta. Iwshf … »und der Herr war mit Joseph …« (Gen 39,2). Damit wird überschriftartig über die folgenden Ereignisse in Ägypten gesetzt, dass Josef zwar in einem fremden Land und in fremder Hand sei, aber nicht verlassen, weil Gott mit ihm ist.404 Darüber hinaus bewirkt Gottes Nähe auch Gunst für Josef bei seinem Herrn, Potifar, der ihn sogar als Verwalter seines ganzen Hauses einsetzt:405 kai. eu-ren Iwshf ca,rin evnanti,on tou/ kuri,ou auvtou/ euvhre,stei de. auvtw/| kai. kate,sthsen auvto.n evpi. tou/ oi;kou auvtou/ kai. pa,nta o[sa h=n auvtw/| e;dwken dia. ceiro.j Iwshf »Und Joseph fand Wohlwollen vor seinem Herrn, er gefiel ihm aber und er setzte ihn über sein Haus und er gab alles, was ihm gehörte, in Josephs Hand« (Gen 39,4). Erneut aufgegriffen wird das ‚Mit-Sein‘ Gottes, als Josef wegen der falschen Anschuldigung, die Frau des Potifars vergewaltigt zu haben, im Gefängnis sitzt (Gen 39,1923). An dieser Stelle wird ebenfalls betont, dass Gottes ‚Mit-Sein‘ zur Begünstigung Josefs durch den Gefängnisobersten führt: kai. h=n ku,rioj meta. Iwshf kai. kate,ceen auvtou/ e;leoj kai. e;dwken auvtw/| ca,rin evnanti,on tou/ avrcidesmofu,lakoj »Und der Herr war mit Joseph und goss Erbarmen über ihn aus und er gab ihm Wohlwollen vor dem Gefängnisoberaufseher« (Gen 39,21). Josef wird sogar in eine Sonderstellung über das Gefängnis erhoben (Gen 39,22).406 Weiterhin zeigt sich in Gen 41, dass Josef, trotz widrigen Umständen, durch Gottes ‚Mit-Sein‘ Autoritäten für sich gewinnt. Nach den Vorerfahrungen des Mundschenks und Oberbäckers im Gefängnis bittet auch der Pharao Josef um Deutung seines Traumes (Gen 403
Zu h`gou,menoj vgl. BAUER, Wörterbuch, 696. Vgl. JACOB, Genesis, 727. WESTERMANN, Genesis III, 57, spricht von einem theologischen Leitmotiv. Infolge des ‚Mit-Seins‘ Gottes könne Josef sogar als avnh.r evpitugca,nwn »ein Mann, der Erfolg hatte« bezeichnet werden (Gen 39,2), dem der Herr alles gelingen lässt (kai. o[sa a'n poih/| ku,rioj euvodoi/ evn tai/j cersi.n auvtou/ Gen 39,3). 405 Laut JACOB, Genesis, 728 handelt es sich um eine „Generalverwaltung“, d.h. weitestgehende Vollmacht. 406 Vgl. WESTERMANN, Genesis III, 65. Das ‚Mit-Sein‘ Gottes in Gen 39,2-6.21a.23 bildet also einen Rahmen um die Erzählung Gen 39,7-20. 404
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41,14-15). Die Fähigkeit zur Traumdeutung und zu klugen Ratschlägen führt der Pharao ebenfalls auf die Anwesenheit Gottes in Josef zurück (o]j e;cei pneu/ma qeou/ evn auvtw/| »[ein Mann], der Gottes Hauch in sich hat« Gen 41,38b). Infolgedessen setzt der Pharao Josef in feierlicher Investitur407 als zweitmächtigsten Mann408 über sein Haus (su. e;sh| evpi. tw/| oi;kw| mou »Du wirst über meinem Haus sein« Gen 41,40a) und ganz Ägypten ein (ivdou. kaqi,sthmi, se sh,meron evpi. pa,shj gh/j Aivgu,ptou »Siehe, ich setze dich heute über das ganze Land von Ägypten!« Gen 41,41b). In Gen 39-41 wird also geschildert, wie sich das ‚Mit-Sein‘ Gottes auf Josefs Handeln und Ergehen auswirkt.409 So erfährt Josefs Schicksal in Ägypten dreimal eine äußerst positive Wende, wobei sogar eine Steigerung festzustellen ist: Zuerst erhält Josef im eher privaten Bereich des Hauses des Potiphar eine Sonderstellung, dann im Gefängnis und letztlich im Haus des Pharao, d.h. öffentlich mit Verantwortung für ganz Ägypten.410
Da Apg 7,10a im Unterschied zur Genesiserzählung keine konkreten Beispiele für Josefs Bedrängnisse (qli,yij) anführt, wird nicht so sehr die bedrohliche Lage Josefs fokussiert, sondern vielmehr die Tatsache, dass Gott das zunächst bedrängende Schicksal Josefs in Ägypten wendet.411 Die Notiz, dass Gott Josef ca,rij und sofi,a412 in den Augen des Pharao gegeben hat (7,10b), unterstreicht ähnlich wie Gen 39,21 zum einen Gottes Nähe zu Josef, zum anderen, dass die besondere Begabung durch Gott beim Pharao eine positive Sicht Josefs bewirkt.413 Außerdem wird Josef durch die Gaben von ca,rij und sofi,a mit Stephanus (6,3.8.10) und Jesus 407
Vgl. JACOB, Genesis, 751. WESTERMANN, Genesis III, 9–10. SEEBASS, HORST, Genesis III, Josephsgeschichte (37,1-50,26), Neukirchen-Vluyn 2000, 70, führt eine weitere Deutungsmöglichkeit an: es könnte auch die Erhebung eines Mannes aus niederstem Stand zum hohen Beamten geschildert werden, bei der der Pharao Besonderes tat. 408 Vgl. SEEBASS, Josephsgeschichte, 69. Ein bestimmtes Amt ergebe sich aus der Beauftragung des Pharaos nicht, weil Gen 49,33 keine Funktionen nennt. 409 Vgl. WESTERMANN, Genesis III, 67. Das bedeute nicht, dass Josef gegen die anderen, die ‚Heiden‘, ist, sondern dass Gott sie um Josefs willen fördere. 410 Durch diese Begünstigungen Josefs wird nicht nur Ägypten positiv konnotiert, sondern auch eine Verbindung zu den Vätern und zu David hergestellt. Die feste Wendung des ‚Mit-Seins‘ Gottes bezeichnet nämlich auch Gottes Wirken an Isaak und Jakob. Auch Davids Aufstieg wird auf Gottes ‚Mit-Sein‘ zurückgeführt (2 Sam 7,3; Jos 1,9; 6,27; Ri 2,18; 6,16; 1 Sam 10,7 u.a.). Vgl. WESTERMANN, Genesis III, 58. 411 Ähnlich JESKA, Geschichte Israels, 201. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 359. PESCH, Apg, 250, sieht in Josef sogar – in Anspielung auf Ps 34,20 – einen Prototypen des leidenden Gerechten. 412 JESKA, Geschichte Israels, 163, merkt an, dass die Ausstattung Josefs mit sofi,a nicht Gen 41,33.39 LXX entspricht, aber im hebräischen Text vorgezeichnet (~kx) sei und sich vor allem an anderen SGI zeigen lasse (Ps 105,22; Weish 10,13f.). 413 Zwar wird grammatikalisch Josef als direkter Empfänger dieser Gaben dargestellt, aber der Pharao ist aufgrund der Formulierung evnanti,on Faraw, gewissermaßen sekundärer Empfänger.
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(Lk 2,40.52; Apg 10,38414) parallelisiert. Auf diese Weise zeichnen diese Eigenschaften auch Josef als eine Gestalt aus, die ähnlich wie ein Prophet eine besondere Rolle im Vermittlungsprozess zwischen Gott und Menschen einnimmt.415 Diese Verbindung kann auch als eine Art Verteidigung für Stephanus verstanden werden, denn wenn Josefs Begabung mit ca,rij und sofi,a auf Gottes ‚Mit-Sein‘ zurückzuführen sind (7,9b.10a), kann dasselbe für Stephanus’ besondere Qualifizierung gelten. Da Josef – ähnlich wie Stephanus – auf Ablehnung stößt, aber seine besondere Begabung vom Pharao erkannt wird, kann der Pharao als Vorbild für das Synedrium dienen, auch Stephanus’ prophetische Begabung anzuerkennen.416 Beim Bericht der Einsetzung Josefs über Ägypten (7,10c) fällt auf, dass Gen 41,40-45 Josefs Funktion nur umschreibt, während Josef in 7,10c als h`gou,menoj bezeichnet wird, was seine Vorrangstellung zusätzlich unterstreicht. Außerdem ist hier – im Gegensatz zu Gen 41,40-45 – nicht ganz klar, wer Subjekt zu kate,sthsen ist, d.h. wer Josef in diese Position einsetzt. Da unmittelbar davor von der Gunst in den Augen des Pharao die Rede ist und es natürlich ihm als König von Ägypten zukommt, derartige Führungspositionen zu besetzen, liegt die Vermutung nahe, der Pharao sei Subjekt des Satzes. Grammatikalisch ist aber ebenso Gott als Subjekt denkbar, weil 7,10c den Satz fortsetzt, der in 7,9b mit Gott als Subjekt beginnt, und sich parallel an die drei vorangehenden Aussagen über Gott anschließen lässt.417 Gott als Subjekt für die Erhöhung Josefs findet sich auch in Gen 45,8, wo Josef selbst zu seinen Brüdern sagt: nu/n ou=n ouvc u`mei/j me avpesta,lkate w-de avllV h' o` qeo,j kai. evpoi,hse,n me w`j pate,ra Faraw kai. ku,rion panto.j tou/ oi;kou auvtou/ kai. a;rconta pa,shj gh/j Aivgu,ptou »Jetzt also habt nicht ihr mich hierher weggeschickt, sondern Gott, und er hat mich wie zum Vater Pharaos und zum Herrn seines ganzen Hauses und zum Regierenden über das ganze Land von Ägypten gemacht.«
414 Vgl. BARRETT, Acts, 347. Apg 10,38 hält fest, dass gute Taten und Heilungen Jesu im ‚Mit-Sein‘ Gottes gründen. 415 Vgl. dazu die Rolle der sofi,a in Weish 1,4-7; 7,7b.27. Vgl. auch die Ausführungen zu Apg 6,3.8.10. JERVELL, Apg, 235, sieht in den Worten ca,rij kai. sofi,a evnanti,on Faraw, auch eine Erinnerung an Gen 41,37-38, (fronimw,teroj kai. sunetw,tero,j). ZMIJEWSKI, Apg, 317, bezeichnet Josef den Prototypen des leidenden Gerechten, Weisen und des Retters, insofern Lk 2,40 ausdrücke, dass Gott in Jesus ist und in Jesus das Heil wirkt. JESKA, Geschichte Israels, 199–201, dagegen problematisiert die typologische Interpretation Josefs in Apg 7,9-16. 416 Vgl. SPENCER, Acts, 72. Ironischerweise begegne Stephanus sogar innerhalb des verheißenen Landes einer Opposition von jüdischer Autorität (Synedrium), während Josef außerhalb des Landes dem Pharao als ägyptischer Autorität gegenüberstehe. 417 BARRETT, Acts, 384, spricht sich für Gott als Subjekt aus, denn Lk wolle Gott als den darstellen, der den Kurs der Geschichte bestimmt (vgl. auch Apg 4,28).
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Dabei unterstreicht er mit den Bezeichnungen ku,rioj und a;rcwn zugleich seine eigene Führungsposition,418 die jedoch letztlich die Größe von Gottes Handeln abbildet, wie der Kontext zeigt. In Gen 45,1-4 gibt sich Josef nämlich seinen Brüdern zu erkennen, indem er sie an ihre Vergehen an Josef erinnert (Gen 45,4).419 In der daran anschließenden kurzen Schilderung der Zeit, seitdem Josef nach Ägypten verkauft wurde (Gen 45,5-8), wird deutlich, dass letztlich Gott Josef nach Ägypten gesandt hat, um den Fortbestand seiner Brüder – trotz ihrer Eifersucht – und Jakobs zu erhalten.420
Insgesamt zeigt sich vor dem Hintergrund der Genesiserzählungen, dass in 7,9-10 vor allem Gottes Initiative für Josefs Aufstieg in Ägypten in den Mittelpunkt gerückt wird. Betont wird dabei zugleich das Land Ägypten, indem es nicht nur in 7,9a, sondern auch in 7,10b.c gleich zweimal hintereinander genannt wird. Obwohl dieses als fremdes Land negativ konnotiert sein müsste, wird es hier positiv qualifiziert, insofern es das Land ist, in dem Gott dem Josef Gunst beim ebenfalls überraschend positiv dargestellten Pharao gewährt und damit Josefs Aufstieg ermöglicht.421 Damit geht einher, dass die Beziehung zwischen Josef und dem Pharao als ausgesprochen positive vorgestellt wird – gegen die Erwartung eines Unterdrückungsverhältnisses, da der Pharao Herrscher des fremden Ägypten ist, in das Josef verkauft wurde. Demgegenüber fällt umso stärker auf, dass das Verhältnis zwischen den Patriarchen und Josef als eine TäterOpfer-Beziehung qualifiziert wird, obwohl es eine Bruder-Beziehung sein sollte, wie die Intertexte zeigen.422 Außerdem wird der Kontrast zwischen der Beziehung der Patriarchen zu Josef einerseits und der Gottes zu Josef andererseits akzentuiert. Die eifersüchtigen Patriarchen verkaufen Josef ins weit entfernte Ägypten, Gott aber ist gerade dort – d.h. außerhalb des Landes – bei Josef und wendet sein bedrohliches Geschick.423
418
Eine ähnliche Wortwahl findet sich auch in der Rezeption der Josefsgeschichte in Ps 104,21 LXX. Vgl. BARRETT, Acts, 347. SEEBASS, Josephsgeschichte, 110. 419 Vgl. WESTERMANN, Genesis III, 164. 420 Vgl. SEEBASS, Josephsgeschichte, 113. Obwohl ein Tat-Folge-Zusammenhang für die Brüder Schlimmes hätte wirken müssen, habe Gott überraschend und unverdient einen erlösenden Weg gewählt. 421 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 164. 422 Die Täterrolle der Patriarchen wird dadurch verstärkt, dass sie gemäß der Linie von Apg 7,8 die Verheißung und den Bund Gottes weitergeben sollten, davon aber hier – im Gegensatz zu ihren Vorfahren – keine Rede ist. Vgl. FITZMYER, Acts, 373. JERVELL, Apg, 235. 423 Ähnlich verstehen PENNER, Praise, 319. TANNEHILL, Narrative, 92 u.a. Apg 7,9-16 als Geschichte der Verwerfung eines von Gott Begünstigten.
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Apg 7,11-12 11a b 12 11a b 12
h=lqen de. limo.j evfV o[lhn th.n Ai;gupton kai. Cana,an kai. qli/yij mega,lh( kai. ouvc hu[riskon corta,smata oi` pate,rej h`mw/nÅ avkou,saj de. VIakw.b o;nta siti,a eivj Ai;gupton evxape,steilen tou.j pate,raj h`mw/n prw/tonÅ »Es kam aber eine Hungersnot über ganz Ägypten und Kanaan und große Bedrängnis und unsere Väter fanden keine Nahrungsmittel. Als Jakob gehört hatte, dass es Getreide gab in Ägypten, sandte er unsere Väter ein erstes Mal aus.«
Nach der Schilderung des Einzelschicksals Josefs in Ägypten berichtet 7,11 von einer allgemeinen Notsituation.424 Deutlich betont wird dabei die Schwere dieser Hungersnot, zum einen durch die Verbreitung »über ganz Ägypten« und über Kanaan, zum anderen durch die Rahmung der beiden betroffenen Länder durch limo.j … kai. qli/yij mega,lh. Indem qli/yij auch Josefs Situation als nach Ägypten Verkaufter (7,10a) charakterisiert, wird diese mit der nun allumfassenden Notsituation parallelisiert. Allerdings entsteht auch ein Kontrast zu Josef, dessen Vorsteherschaft über Ägypten und das ganze Haus des Pharao in 7,10c mit ähnlichen Worten beschrieben wird (h`gou,menon evpV Ai;gupton kai. ÎevfVÐ o[lon to.n oi=kon auvtou/), wie die Verbreitung der Hungersnot (limo.j evfV o[lhn th.n Ai;gupton kai. Cana,an). Auffälligerweise wird im Rahmen dieses negativen Ereignisses das Land Kanaan zum ersten Mal innerhalb der Stephanusrede namentlich genannt – nachdem es in 7,2b-8 lediglich umschrieben wurde – und dabei über das gemeinsame Schicksal der Hungersnot mit Ägypten verbunden. Die Schwere der bedrängenden Hungersnot unterstreicht weiterhin 7,11b mit dem vorangestellten verneinten Imperfekt ouvc hu[riskon.425 Durch die Erwähnung von oi` pate,rej h`mw/n wird nicht nur speziell Kanaan fokussiert, sondern auch erneut eine Verbindung zu den Adressaten der Rede, einschließlich Stephanus, hergestellt und damit die Relevanz dieser Geschichte für sie angedeutet.
424
Die Konjunktion de, kann andeuten, dass es sich um einen Gegensatz zu Josefs Aufstiegsgeschichte handelt. 425 Der verneinte Imperativ deutet einen fortdauernden Mangel an Nahrung an. Dieser wird hier ungewöhnlich beschrieben, da das Nomen co,rtasma in der LXX Futter für Tiere meint (vgl. Gen 42,27; 43,24). Das Verb corta,zw findet sich allerdings in Ps 36,19 und Lk 9,17 für Nahrung. Vgl. BARRETT, Acts, 348.
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Mit der Wendung h=lqen de. limo,j spielt Apg 7,11a auf die Erzählung der Hungersnot in Gen 41,54-42,5 an: Nach der Schilderung der sieben fetten Jahre in Ägypten (Gen 41,46-49) und der Geburt der beiden Söhne Josefs (Gen 41,50-52) wird als Kontrast dazu von einer Hungersnot mit universaler Ausdehnung berichtet: kai. h;rxanto ta. e`pta. e;th tou/ limou/ e;rcesqai kaqa. ei=pen Iwshf kai. evge,neto limo.j evn pa,sh| th/| gh/| … »und die sieben Jahre der Hungersnot fingen an zu kommen, so wie es Joseph gesagt hatte. Und es trat eine Hungersnot auf der ganzen Erde auf …« (Gen 41,54) Obwohl Ägypten ebenfalls von dieser großen Hungersnot betroffen ist (kai. evpei,nasen pa/sa h` gh/ Aivgu,ptou »Und das ganze Land von Ägypten litt unter Hunger« Gen 41,55a), stellt es dennoch eine Ausnahme dar: evn de. pa,sh| gh/| Aivgu,ptou h=san a;rtoi »im ganzen Land von Ägypten aber gab es Brot« (Gen 41,54c). Dementsprechend wird auch in Gen 41,55-57 fokussiert, dass Josef in Ägypten, die von ihm angelegten Getreidespeicher öffnet und alle Welt zu ihm kommt, um Getreide zu kaufen. Die Hungersnot in Kanaan, die Apg 7,11a unmittelbar zusammen mit der in Ägypten erwähnt, wird erst in Gen 42,1-5 thematisiert, wenn als Begründung dafür, dass die Söhne Israels nach Ägypten kommen, genannt wird: h=n ga.r o` limo.j evn gh/| Canaan »es war nämlich Hungersnot im Land Kanaan.« (Gen 42,5b)
In der kurzen Zusammenfassung dieser ausführlichen Erzählung in Apg 7,11 werden weder die Ausnahmerolle Ägyptens noch speziell Josefs als ‚Getreidespender‘ erwähnt. Im Mittelpunkt steht vielmehr das gemeinsame Schicksal der Hungersnot in Ägypten und Kanaan sowie deren umfassendes, andauerndes Ausmaß insbesondere für »unsere Väter«. Vor diesem Hintergrund handelt 7,12 von einer Art Lösungsversuch426 für diese Hungersnot: avkou,saj de. VIakw.b o;nta siti,a eivj Ai;gupton evxape,steilen tou.j pate,raj h`mw/n prw/ton. »Als Jakob gehört hatte, dass es Getreide gibt in Ägypten, sandte er unsere Väter zum ersten Mal aus.« Durch Jakob, der in 7,8 durch die Reihe der Weitergabe des Bundes der Beschneidung als Vater der zwölf Patriarchen eingeführt wurde, entsteht implizit eine Verbindung zu Abraham und den zukunftsträchtigen Verheißungen an diesen. Obwohl in 7,11 betont wird, dass Ägypten ebenso von der Hungersnot bedroht ist wie Kanaan, gibt es dort doch angeblich Getreide. Das veranlasst Jakob in der Position des Vaters dazu, »unsere Väter« ein erstes Mal (prw/ton) dorthin427 zu senden. Damit wird in Apg 7,12 kurz umrissen, was Gen 42,1-5 anschaulich erzählt. 426
Auf einen Gegensatz zu Apg 7,11 kann die Konjunktion de, hindeuten. Auffälligerweise wird Ägypten nicht ausdrücklich als Ziel genannt, ähnlich wie in Gen 42,5. 427
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Die meisten wörtlichen Ähnlichkeiten dazu sind innerhalb der Rede Jakobs in Gen 42,2 zu finden: ivdou. avkh,koa o[ti e;stin si/toj evn Aivgu,ptw| kata,bhte evkei/ kai. pri,asqe h`mi/n mikra. brw,mata i[na zw/men kai. mh. avpoqa,nwmen. »Siehe, ich habe gehört, dass es in Ägypten Getreide gibt; zieht hinab nach dort und kauft für uns ein wenig Nahrungsmittel, damit wir leben und nicht sterben!« Abgesehen von kleinen Unterschieden in der Wortwahl, die den Sinn nicht verändern,428 entspricht Apg 7,12 weitgehend dem ersten Teil von Jakobs Auftrag. Nicht erwähnt wird in Apg 7,12 die konkrete Intention, in Ägypten Nahrung zu kaufen, um zu leben, nicht zu sterben. Auch das Zurückbehalten Benjamins durch den Vater (Gen 42,4) fehlt in Apg 7,12, obwohl dieses für den weiteren Verlauf der Genesiserzählung bedeutend ist. Im Unterschied zu Gen 42,1-5 fällt außerdem die Bezeichnung für die Gruppe derer, die Jakob nach Ägypten sendet, auf: Im Genesistext werden sie toi/j ui`oi/j auvtou/ (Gen 42,1), oi` avdelfoi. Iwshf (Gen 42,3) und letztlich oi` ui`oi. Israhl (Gen 42,5) genannt, also durch ihre Beziehung zu Jakob bzw. Josef, d.h. durch Verwandtschaftsverhältnisse, definiert. Diese besondere Kennzeichnung der Söhne Jakobs spielt in den Genesistexten keine unbedeutende Rolle. Oi` ui`oi. Israhl findet sich zum ersten Mal in der Josefsgeschichte – dann wieder in Gen 46,5.8, beim endgültigen Eintreffen in Ägypten – und kann als eine Art Schlüssel verstanden werden. Denn das Eintreffen der Söhne Israels in Ägypten, dem späteren Land der Knechtschaft, aus dem sie einst wieder herausgeführt werden sollen, ist maßgeblich für die Geschichte Israels.429
Wenn Apg 7,12 im Unterschied zu Gen 42,1-5 berichtet, Jakob sende oi` pate,rej h`mw/n »unsere Väter« nach Ägypten, wird die bleibende Bedeutung dieser Reise nach Ägypten für die Geschichte Israels bis hin zu den Adressten der Rede angedeutet. Da keine Details aus Gen 42,1-5 sowie aus dem ersten Besuch in Ägypten (Gen 42,6-38) erwähnt werden, rücken in der Stephanusrede zwei andere Schwerpunkte in den Vordergrund: dass es in Ägypten Getreide gibt, also mit Ägypten Überlebensmöglichkeit verbunden wird, und dass die Väter nach Ägypten kommen.
428 Statt si/toj (Gen 42,2) findet sich in Apg 7,12 der Diminutiv siti,a, der häufig ohne diminutiven Sinn gebraucht wird. Statt evn Aivgu,ptw| (Gen 42,2) verwendet Apg 7,12 die korrektere Form eivj mit Akkusativ: eivj Ai;gupton. Der Wechsel zwischen beiden Formen ist allerdings geläufig. evxape,steilen (Apg 7,12) betont die Initiative Jakobs im Vergleich zum Imperativ kata,bhte (Gen 42,2). Dass es sich hier um ein Aussenden handelt, formuliert aber auch Gen 42,4 in negativer Weise (ouvk avpe,steilen). Vgl. auch BARETT, Acts, 349. 429 Vgl. JACOB, Genesis, 762.
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Apg 7,13-14 13a b 14
kai. evn tw/| deute,rw| avnegnwri,sqh VIwsh.f toi/j avdelfoi/j auvtou/ kai. fanero.n evge,neto tw/| Faraw. to. ge,noj Îtou/Ð VIwsh,fÅ avpostei,laj de. VIwsh.f metekale,sato VIakw.b to.n pate,ra auvtou/ kai. pa/san th.n sugge,neian evn yucai/j e`bdomh,konta pe,nteÅ
13a b 14
»Und beim zweiten Mal gab sich Josef seinen Brüdern zu erkennen und offenbar wurde dem Pharao die Herkunft des Josef. Josef sandte aus und ließ zu sich rufen Jakob, seinen Vater, und die ganze Verwandtschaft – 75 Seelen.«
In Anknüpfung an die Notiz von einer ersten Reise der Väter nach Ägypten leitet 7,13 deren zweiten Besuch dort mit der Wendung kai. evn tw/| deute,rw| ein.430 Dadurch entsteht – verglichen mit dem Erzählverlauf des Genesistextes – eine große Leerstelle zwischen dem ersten und diesem zweiten Aufenthalt der Väter in Ägypten. Daher ist der Leser gefordert, diese Leerstelle durch das Einspielen der Erzählungen über diese Zwischenzeit Gen 41,6-44,34 zu füllen. Dem kurzen Bericht avnegnwri,sqh VIwsh.f toi/j avdelfoi/j auvtou/ zufolge geht es bei der Erwähnung dieses zweiten Besuchs in Ägypten nicht um die Hungersnot bzw. das Getreide in Ägypten, das 7,12 als Grund für die Aussendung »unserer Väter« angibt. Im Zentrum steht vielmehr, dass etwas von Josef (wieder-)erkannt bzw. bekannt wird (avnagnori,zomai),431 zunächst durch seine Brüder und dann durch den Pharao. Auffälligerweise ist nun von den »Brüdern Josefs« die Rede, während bisher die Verwandschaftsverhältnisse innerhalb der Josefserzählung nicht erwähnt wurden. Damit wird eine neue Verhältnisbestimmung signalisiert: War Josef seinen Brüdern, die ihn als Patriarchen nach Ägypten verkauft haben (7,9a),432 unterlegen, so steht Josef ihnen jetzt zwar in der mächtigen Position als h`gou,menoj evp’ Ai;gupton (7,10c) gegenüber, gibt sich ihnen aber als einer ihrer Brüder zu erkennen. So deutet sich eine verbindende Gleichstellung von Josef und seinen Brüdern auf einer gemeinsamen Ebene an.433 430
Die darin implizierte Zeit- und Ortsangabe markiert den Beginn eines neuen Abschnitts innerhalb der Erzählung der Josefsgeschichte. Laut BARRETT, Acts, 349, kann der Artikel tw/| bei deute,rw| anaphorisch mit Rückbezug auf prw/ton von Vers 12 sein; evtl. auch in dem Sinn, dass erwartet wird, der Leser kenne die alttestamentliche Geschichte. 431 Der Dativ nach dem Passiv avnegnwri,sqh ist wohl ein Dativ des Handelnden. Vgl. BARRETT, Acts, 349. 432 Die Patriarchen werden darüber hinaus im Rahmen ihrer Verbindung zu Kanaan (7,12) als oi` pate,rej h`mw/n »unsere Väter« bezeichnet. 433 PENNER, Praise, 319, sieht in oi` avdelfoi, einen Rückgriff auf die Anrede der Zuhörer mit a;ndrej avdelfoi, in 7,2. Ebenso wie die Brüder Josefs eifersüchtig auf diesen sind,
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Durch das Verb avnagnori,zomai434 wird hier auf den Anfang der Erzählung über das zweite Zusammentreffen von Josef und seinen Brüdern in Gen 45,1c angespielt: … avnegnwri,zeto toi/j avdelfoi/j auvtou/. »… als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab.« Statt die Ereignisse von Gen 45,120 auszuführen bleibt Apg 7,13a bei diesem knappen Tatsachenbericht und fügt in paralleler Formulierung eine weitere Aussage über Josefs Bekanntwerden hinzu: kai. fanero.n evge,neto tw/| Faraw. to. ge,noj Îtou/Ð VIwsh,f. »und offenbar wurde dem Pharao die Herkunft des Josef« (7,13b). Inhaltlich sind damit zwar ebenfalls Gen 45,2 (kai. avfh/ken fwnh.n meta. klauqmou/ h;kousan de. pa,ntej oi` Aivgu,ptioi kai. avkousto.n evge,neto eivj to.n oi=kon Faraw »Und er ließ einen Schrei los mit Weinen. Alle Ägypter aber hörten es und es war hörbar bis in Pharaos Haus.«) und Gen 45,16 (kai. dieboh,qh h` fwnh. eivj to.n oi=kon Faraw le,gontej h[kasin oi` avdelfoi. Iwshf evca,rh de. Faraw kai. h` qerapei,a auvtou/ »Und die Nachricht wurde verbreitet bis in Pharaos Haus; man sagte: Josephs Brüder sind da! Pharao aber und sein Hofstaat freuten sich.«) zusammengefasst, aber durch sprachliche Unterschiede setzt Apg 7,13 wiederum andere Schwerpunkte. Mit to. ge,noj statt oi` avdelfoi, (Gen 45,16) kann einerseits auf Josefs Stammeshintergrund verwiesen werden. Da dem Pharao mit to. ge,noj bekannt werden würde, dass Josef ein Hebräer ist, würde so die Besonderheit unterstrichen, dass Josef als Fremder Wohlwollen vor dem Pharao bekommen hat und als solcher zum h`gou,menoj über Ägypten erhoben wurde (7,10). to. ge,noj kann aber andererseits den Stamm oder die Familie in kollektiverem Sinn meinen und damit ausdrücken, dass dem Pharao letztlich Josefs Brüder (und Vater) persönlich bekannt werden – ähnlich wie in Gen 45,2.16.435 Aufgrund der Kürze der Notiz sind beide Bedeutungsinhalte möglich. Während Gen 45,16-20 von der positiven Reaktion des Pharao auf Josefs Familie erzählt, bleibt der Umgang des Pharao mit seiner Erkenntnis in
seien auch die Gegner des Stephanus als dessen »Brüder« eifersüchtig auf ihn und widersetzen sich ihm. 434 avnegnwri,sqh bedeutet wörtlich „wieder bekannt gemacht werden“. Vgl. FITZMYER, Acts, 373. Einige Handschriften lesen einfach evgnwri,sqh in Abweichung von Gen 45,1 LXX. 435 Vgl. BARRETT, Acts, 349. Er favorisiert aufgrund der Verwendung von to. ge,noj in Apg 7,19 mehr die zweite Möglichkeit aus. Für die erste Variante spricht allerdings, dass auch in der Genesiserzählung die Begünstigung Josefs trotz seines Fremdseins geschildert wird. Dort erkennt nämlich der Pharao Josefs Abstammung bereits, bevor er ihn zum zweitmächtigsten Mann Ägyptens erhebt, denn der Obermundschenk beschreibt Josef als neani,skoj pai/j Ebrai/oj tou/ avrcimagei,rou »ein junger Mann, ein hebräischer Sklave des Oberkochs« (Gen 41,12).
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7,13 offen. Vielmehr macht 7,14 eine Aussage über Josef:436 avpostei,laj de. VIwsh.f metekale,sato VIakw.b to.n pate,ra auvtou/ kai. pa/san th.n sugge,neian evn yucai/j e`bdomh,konta pe,nte. »Josef sandte aus und ließ zu sich rufen Jakob, seinen Vater, und die ganze Verwandtschaft – 75 Seelen.« Die Wendung avpostei,laj … metekale,sato437 spiegelt die autonome Position Josefs (7,10c) wider. Durch das Verb avposte,llw entsteht eine Analogie zu 7,12, wo das Aussenden »unserer Väter«, d.h. Josefs Brüder, durch Jakob mit evxaposte,llw formuliert wird. Josef sendet also ebenfalls seine Brüder, aber in umgekehrte Richtung, nämlich nach Kanaan zurück zu Jakob, um diesen kommen zu lassen.438 Demnach sind die Brüder erneut in der Rolle der Gesandten, Josef nun in der des Sendenden und Jakob in der des Empfangenden. Zum ersten Mal werden hier Josef und Jakob, der nun ausdrücklich als dessen Vater (o` path.r auvtou/) bezeichnet wird,439 miteinander in Verbindung gebracht. Allerdings ist damit eine Umkehrung der Rollen verbunden, denn während Jakob in 7,12 gemäß der Rollenverteilung einer patriarchalen Familienordnung seine Söhne nach Ägypten sendet, übernimmt hier Josef diese Aufgabe gegenüber seinem Vater bzw. seinen Brüdern und sogar seiner ganzen Verwandtschaft440 (pa/san th.n sugge,neian). Dass Josef die gesamte Verwandtschaft mit beträchtlicher Größe kommen lässt, wird durch die Zahlenangabe evn yucai/j e`bdomh,konta pe,nte441 unterstrichen. Dadurch entsteht zugleich ein Kontrast zur Situation Josefs bei seiner Ankunft in Ägypten: verkauft, alleine ohne seine Verwandtschaft, in einem fremden Land (7,9a). Mit dem Begriff sugge,neia wird auf Gottes Aufforderung an Abraham zurückgegriffen, sein Land und seine Verwandtschaft zu verlassen (e;xelqe evk th/j gh/j sou kai. ÎevkÐ th/j suggenei,aj sou( kai. deu/ro eivj th.n gh/n h]n a;n soi dei,xw »Geh weg aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft, und hierher in das Land, das ich dir zeigen werde.« 7,3). Josef hat also mit Abraham gemeinsam, alleine, ohne Verwandtschaft, allerdings unter besonderer Nähe Gottes in einem fremden Land zu sein. Indem Josef nun seine 436
Apg 7,14 schließt mit de, an das Vorangehende an. Das vorangestellte Partizip avpostei,laj bedeutet in der Kombination mit dem Verb metekale,sato »lassen« und drückt demnach den Gedanken aus, dass dieses Herbeirufen durch jemand anders geschehen ist. Josef befindet sich also in der Position, andere etwas ausführen lassen zu können. BAUER, Wörterbuch, 197, sieht in dieser Konstruktion einen Indikativ Präsens oder Futur. Vgl. auch SCHNEIDER, Apg, 457. 438 Dieser Eindruck legt sich auch daher nahe, dass die Brüder Josefs gerade in Ägypten sind (7,13). Gen 45,9-20 bestätigen dieses Bild. 439 Implizit drückt das schon 7,13 aus, da dort die von Jakob ausgesandten oi` pate,rej h`mw/n (7,12) als Brüder Josefs identifiziert werden. 440 suggenei,a steht hier konkret für „die Verwandten“, wie auch in Lk 1,61; Apg 7,3. Sonst findet es sich im Neuen Testament nicht. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 457, Anm. 94. 441 Laut FITZMYER, Acts, 374, ist die Präposition evn hier in einem ungewöhnlichen Sinn verwendet, eventuell in Anlehnung an Dtn 10,22. 437
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ganze Verwandtschaft nach Ägypten kommen lässt, entsteht zugleich eine Art Gegenbewegung zu Abrahams Situation, denn die Verwandtschaft Josefs wird in einem fremden Land wieder zusammengeführt.442 Durch einige Stichwortverbindungen sowie vor allem durch strukturelle und inhaltliche Parallelen erweist sich Gen 45,9-20 als Subtext von Apg 7,14. Nachdem Josef sich seinen Brüdern zu erkennen gegeben hat, formuliert Gen 45,9-13 in direkter Rede Josefs Auftrag an seine Brüder, seinem Vater (o` path.r mou) von seinem durch Gott ermöglichten Aufstieg in Ägypten zu erzählen und ihn zusammen mit seiner ganzen Familie nach Ägypten zu bringen.443 Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Gott selbst Josef in die entsprechende Position über ganz Ägypten erhoben hat, also die Aufforderung an die Verwandtschaft, nach Ägypten zu kommen, letztlich von Gott initiiert ist (Gen 45,9b: evpoi,hse,n me o` qeo.j ku,rion pa,shj gh/j Aivgu,ptou »Gott hat mich zum Herrn über das ganze Land von Ägypten gemacht«; Gen 45,13: pa/san th.n do,xan mou th.n evn Aivgu,ptw| »meine ganze Herrlichkeit in Ägypten«). Außerdem fokussiert die Rede Josefs erneut die Verwandtschaftsverhältnisse, denn Jakob wird nicht namentlich genannt, sondern ausschließlich als Vater Josefs definiert (Gen 45,9.13), und Gen 45,10-11 schildert die Verwandtschaft Jakobs bzw. Josefs anschaulich und umfassend: su. kai. oi` ui`oi, sou kai. oi` ui`oi. tw/n ui`w/n sou ta. pro,bata, sou kai. ai` bo,ej sou kai. o[sa soi, evstin … su. kai. oi` ui`oi, sou kai. pa,nta ta. u`pa,rconta, sou »du und deine Söhne und die Söhne deiner Söhne, deine Schafe und deine Rinder und alles, was dir gehört, … du und deine Söhne und dein ganzer Besitz.«444 Das Ziel von Josefs Auftrag besteht in einer dauerhaften Ansiedlung seiner Verwandtschaft in einem eigenen Gebiet, um Josef nahe zu sein (Gen 45,10: kai. e;sh| evggu,j mou) und um ein gutes Leben – ohne Hunger – führen zu können (kai. evkqre,yw se evkei/ e;ti ga.r pe,nte e;th limo,j i[na mh. evktribh/|j su. kai. oi` ui`oi, sou kai. pa,nta ta. u`pa,rconta, sou »und ich werde dich dort ernähren, denn noch fünf Jahre lang ist Hungersnot, damit du nicht zugrunde gehst, …« Gen 45,11a).445 Diese Absicht ist zusätzlich in der Aufforderung des Pharao enthalten, mit der er auf die Ankünft von Josefs Brüdern in Ägypten reagiert: kai. paralabo,ntej to.n pate,ra u`mw/n kai. ta. u`pa,rconta u`mw/n h[kete pro,j me kai. dw,sw u`mi/n pa,ntwn tw/n avgaqw/n Aivgu,ptou kai. fa,gesqe to.n muelo.n th/j gh/j »und holt euren Vater und euren Besitz und kommt zu mir und ich werde euch von allen Gütern Ägyptens geben und ihr werdet das Mark des Landes essen!« (Gen 45,18; vgl. auch Gen 45,20).
442 Gott als eigentlicher Initiator davon, dass die Verwandtschaft Josefs bzw. Jakobs nach Ägypten kommt, ist implizit vorausgesetzt, denn Josef kann sie nur aufgrund seines von Gott ermöglichten Aufstiegs zu sich kommen lassen. Vgl. auch Gen 45,9.13. 443 Dieser Reihenfolge entspricht auch Apg 7,13-14. 444 Apg 7,14 bietet statt dieser Aufzählung nur das Lexem suggenei,a. 445 Vgl. JACOB, Genesis, 817. Er sieht als eigentlichen Grund für die Einladung, der Vater und die Verwandtschaft sollen Josef nahe sein.
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Indem hiermit der Pharao als höchste Instanz Ägyptens den Auftrag, den Josef einige Verse vorher formuliert, bestätigt, wird der Pharao „ein Werkzeug des göttlichen Planes, die ganze Familie wieder zusammenzuführen und das Haus Israel auf die Einladung eines Pharao nach Ägypten kommen zu lassen.“446
Im Vergleich zu Gen 45,9-20 fällt besonders auf, dass das Ziel von Josefs Aufforderung, sich in Ägypten dauerhaft anzusiedeln und dort ein gutes Leben zu führen, in Apg 7,14 nicht erwähnt wird. Auch die Bestätigung durch die Beauftragung des Pharao (Gen 45,18-20) fehlt, so dass die Initiative und Führungsposition Josefs unterstrichen wird. Außerdem konzentriert sich Apg 7,14 auf das Zusammenführen der gesamten Verwandtschaft Josefs in Ägypten, denn die Zahlenangabe der Familienmitglieder ist das einzige Detail, das in dieser kurzen Zusammenfassung der Genesiserzählung die anschaulichen Schilderungen über die Verwandtschaft in Gen 45,10-11 widerspiegelt. Dass mit dieser Zahlenangabe die Zusammenführung der Familie Jakobs bzw. Josefs in Ägypten betont wird, zeigt auch Gen 46,26-27. Dort wird die Auflistung der Mitglieder der Familie Jakobs, die nach Ägypten zieht (Gen 46,8-25), mit folgender Notiz abgeschlossen: pa/sai yucai. oi;kou Iakwb ai` eivselqou/sai eivj Ai;gupton e`bdomh,konta pe,nte.447 »Alle Seelen von Jakobs Haus, die nach Ägypten einzogen, waren 75.« (Gen 46,27b) In Aufnahme von Gen 46,27448 beendet Ex 1,5 die genealogieartige Aufzählung der Söhne Israels, die nach Ägypten gekommen waren (Ex 1,1-4), in ähnlicher Weise: Iwshf de. h=n evn Aivgu,ptw| h=san de. pa/sai yucai. evx Iakwb pe,nte kai. e`bdomh,konta.449 »Joseph aber war (schon) in Ägypten. Es waren aber alle Menschen aus Jakob 76 an der Zahl.« Hiermit wird zugleich zur Geschichte des wachsenden Volkes Israel in Ägypten übergeleitet, denn die daran anschließende Notiz vom Tod Josefs und der zahlreichen Vermehrung der Söhne Israels in Ägypten (Ex 1,6-7) zeigt, dass die Genealogie in Ex 1,5 zu einem neuen Geschichtsabschnitt hinführt.450 Den Aspekt des Wachstums des Volkes Israel in Ägypten fokussiert Dtn 10,22. Zugleich wird dabei auf die Erfüllung der Verheißung an Abraham hingewiesen, indem – 446
JACOB, Genesis, 821. Ein drittes Mal werden ähnliche Inhalte in Gen 45,21-28 formuliert, wenn von der Ausführung des Auftrags durch Josefs Brüder erzählt wird. 447 Der hebräische Text gibt allerdings die Zahl 70 an, was aus der Auflistung und der Addition in Gen 46,26 auch plausibel ist. Vgl. BARRETT, Acts, 350. Vgl. JERVELL, Apg, 235. FITZMYER, Acts, 374. Zur Frage der Tradition dieser Zählung vgl. STEMBERGER, Stephanusrede, 236–237. 448 Vgl. JACOB, BENNO, Das Buch Exodus, Stuttgart 1997, 5. 449 Auch hier nennt der hebräische Text die Zahl 70. 450 Da auf Apg 7,14 ebenfalls die Todesnotiz Jakobs und »unserer Väter« folgt, könnte auch Apg 7,14-15 der Überleitung zur Geschichte Israels in Ägypten dienen. Für diese Überleitungsfunktion sprechen außerdem Analogien zwischen Apg 7,17-19 und Ex 1,7-22.
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ausgehend von den Anfängen Israels in überschaubarer Zahl (70) – das große Wachstum des Volkes aufgezeigt wird: evn e`bdomh,konta451 yucai/j kate,bhsan oi` pate,rej sou eivj Ai;gupton nuni. de. evpoi,hse,n se ku,rioj o` qeo,j sou w`sei. ta. a;stra tou/ ouvranou/ tw/| plh,qei. »Mit 70 Seelen zogen deine Väter nach Ägypten, nun aber hat der Herr, dein Gott, dich zahlreich gemacht wie die Sterne am Himmel.« (Dtn 10,22)
Vor dem Hintergrund dieser Texte kann auch Apg 7,14 dazu dienen, zum einen die Überführung des gesamten Stammes Jakobs von Kanaan nach Ägypten zu betonen (vgl. Gen 46,27),452 und zum anderen darauf aufbauend auf das Wachstum des Volkes Israel in Ägypten hinzuweisen (vgl. Ex 1,5.6-7; Dtn 10,22). Damit wird dann implizit auf die Erzählungen über die Erfüllung der Verheißung an Abrahams Nachkommen, sie werden in einem fremden Land Fremde sein (7,6a), und somit auf die Fortsetzung der Stephanusrede vorbereitet.453 Apg 7,15-16 15a b 16a b
kai. kate,bh VIakw.b eivj Ai;gupton kai. evteleu,thsen auvto.j kai. oi` pate,rej h`mw/n( kai. metete,qhsan eivj Suce.m kai. evte,qhsan evn tw/| mnh,mati w-| wvnh,sato VAbraa.m timh/j avrguri,ou para. tw/n ui`w/n ~Emmw.r evn Suce,mÅ
15a b 16a b
»Und Jakob zog hinab nach Ägypten und es starb er (selbst) und unsere Väter und sie wurden nach Sichem überführt und gelegt in das Grab, das Abraham für eine Summe Silbers von den Söhnen Hemmors in Sichem gekauft hatte.«
451 Auch Philo bietet zwar für Gen 46,27 und Ex 1,5 die Zahl 75, aber für Dtn 10,22 die Zahl 70. Dies entspricht also der LXX-Version. Vgl. BARRETT, Acts, 350. 452 Ähnlich beobachtet SCHILLE, Apg, 181, dass es hier um die Volkwerdung Israels gehe. JERVELL, Apg, 235, ist der Ansicht, es gehe auch darum, wie Israel in Ägypten gerettet wird. Dieser Aspekt ist zwar impliziert, insofern 7,11-12 die Hungersnot als Hintergrund dafür angibt, dass die Väter nach Ägypten kommen, aber im Vergleich zu den Genesistexten tritt der Rettungsaspekt m.E.n. in den Hintergrund. 453 Dass das Wachstum des Volkes von Gott gewirkt ist, thematisiert die Apostelgeschichte auch hinsichtlich der entstehenden christusgläubigen Gemeinde. So werden beispielsweise in Apg 1,13.15 Angaben über die Anfangsgemeinde gemacht und in den Summarien mehr oder weniger konkrete Wachstumsnotizen verzeichnet, in denen deutlich wird, dass Gott implizit Initiator des Wachstum ist (z.B. Apg 2,47). Damit zeigt sich Analogie zwischen diesem ursprünglichen Gottesvolk und dem Gottesvolk, von dem in der Apostelgeschichte erzählt wird. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 317–318.
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Dass 7,13-14 ein Überschreiten der Grenzen Kanaans durch das Volk Israel fokussiert, legt auch die Fortsetzung nahe.454 7,15a berichtet nämlich in knappen Worten die Umsetzung der Aufforderung Josefs an seinen Vater: kai. kate,bh VIakw.b eivj Ai;gupton. »Und Jakob zog hinab nach Ägypten«. Dabei wird allerdings nur Jakobs Kommen nach Ägypten notiert, während die eben genannte ganze Verwandtschaft nicht erwähnt wird. Dass auch sie nach Ägypten kommt,455 impliziert lediglich die sofort anschließende Erwähnung ihres Todes: kai. evteleu,thsen auvto.j kai. oi` pate,rej h`mw/n »und es starb er (selbst) und unsere Väter« (7,15b). Auffälligerweise wird dabei wieder mit der Bezeichnung oi` pate,rej h`mw/n die Aktualität dieser Geschichte für die Hörer und Stephanus hervorgehoben. Auch hier erweist sich die Stephanusrede als eine akzentuierende Zusammenfassung der Erzählung über Jakobs Aufbruch nach und seine Ankunft in Ägypten in Gen 46,1-34: Die größte Parallele zeigt Apg 7,15a mit Gen 46,6b:456 eivsh/lqon eivj Ai;gupton Iakwb kai. pa/n to. spe,rma auvtou/ metV auvtou/. »da zog er nach Ägypten ein, Jakob und seine ganze Nachkommenschaft mit ihm«. Da dort aber die Verwandtschaft Jakobs ebenfalls explizit erwähnt wird, fällt ihr Fehlen in Apg 7,15a umso stärker auf. Ebenso werden in 7,15a sämtliche Illustrationen über den Aufbruch Jakobs nach Ägypten (Gen 46,1-5) und seine Ankunft ausgelassen (z.B. die Begegnung zwischen Jakob und Josef Gen 46,28-34). Demnach konzentriert sich die Stephanusrede erneut auf die Tatsache, dass Jakob nach Ägypten kommt. Dies bestätigt sich auch dadurch, dass Jakobs restliche Lebenszeit in Ägypten nicht erzählt wird, sondern mit Apg 7,15b aus dem Erzählverlauf des Genesistextes gleich der Beginn der Ereignisse um Jakobs Sterben Gen 47,29 (h;ggisan de. ai` h`me,rai Israhl tou/ 454
Ähnlich PENNER, Praise, 319: Apg 7,11-15 „explains how Israel ended up in Egypt“. Darüber hinaus versteht er 7,13-14 als Ausdruck von Josefs Gnade: „it also further characterizes Joseph as merciful, because he reached out to those who had persecuted him.“ Darin korrespondiere er mit Stephanus, der ebenfalls mit ca,rij (6,9) und sofi,a (6,10) erfüllt sei und Gnade gegenüber seinen Gegnern zeige (7,60). Der Aspekt der Vergebung und die Analogie mit Stephanus sind zwar nachvollziehbar, aber ob darin das Zentrum der Erzählung der Josefsgeschichte besteht, ist angesichts des unmittelbaren Kontextes und des Dialogs mit den Subtexten fraglich. 455 Vgl. FITZMYER, Acts, 374. ZMIJEWSKI, Apg 317–318, sieht in diesem Umzug der Patriarchen nach Ägypten den Beginn der Erfüllung des ersten Teils von Gottes Zukunftsankündigung in 7,6 parr. Gen 15,13f. 456 Die Verwendung von katabei,nw in Apg 7,15a erinnert an die Aufforderung Gottes Gen 46,3 und seine Zusage Gen 46,4, so dass hiermit auf diesen Kontext von Gen 46,6 angespielt wird. Die Wortwahl von Apg 7,15a ähnelt darüber hinaus sehr stark Dtn 10,22a: evn e`bdomh,konta yucai/j kate,bhsan oi` pate,rej sou eivj Ai;gupton nuni. de. evpoi,hse,n se ku,rioj o` qeo,j sou w`sei. ta. a;stra tou/ ouvranou/ tw/| plh,qei. »Mit 70 Seelen zogen deine Väter nach Ägypten, nun aber hat der Herr dein Gott, dich zahlreich gemacht wie die Sterne am Himmel.«
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avpoqanei/n »Israel aber näherten sich die Tage des Sterbens«) aufgegriffen wird. Aber auch diese Begebenheiten werden nicht ausgeführt, sondern es wird nur an die Todesnotiz von Gen 49,33 (… evxe,lipen kai. prosete,qh pro.j to.n lao.n auvtou/ »… erlosch er und wurde seinem Volk hinzugefügt«) mit veränderter Wortwahl erinnert.
Die pauschale Formulierung des Todes »unserer Väter« kai. evteleu,thsen auvto.j kai. oi` pate,rej h`mw/n (7,15b) zeigt besonders Analogien zur Notiz vom Tod Josefs,457 all seiner Brüder und seines ganzen Geschlechts458 im Rahmen der einleitenden Verse des Buches Exodus: Ex 1,6 evteleu,thsen de. Iwshf kai. pa,ntej oi` avdelfoi. auvtou/ kai. pa/sa h` genea. evkei,nh.459 »Joseph aber starb und alle seine Brüder und jenes ganze Geschlecht.«460 Dieser Todesnotiz Ex 1,6 kommt im Kontext von Ex 1,5-7 Überleitungsfunktion zu. Sie steht nämlich zwischen der kurzen Aufzählung der Mitglieder der Familie Jakobs, die nach Ägypten gekommen ist (Ex 1,5), und der Wachstumsnotiz der Nachkommenschaft der Söhne Israels in Ägypten (Ex 1,7). Sie schließt also die Anfangsgeschichte Israels in Ägypten um Josef ab und ermöglicht zugleich den Beginn der Geschichte der nachfolgenden Generationen Israels in Ägypten (Ex 1,7). Damit wird außerdem der vergangene Geschichtsabschnitt erinnernd zusammengefasst und die Zeit bis zu den folgenden Ereignissen überbrückt.
Ähnlich wirkt Apg 7,15, da auch hier nur Anfang und Ende des Aufenthalts Jakobs und implizit seiner Familie in Ägypten festgehalten werden.461 Daran zeigt sich erneut die Konzentration auf die Tatsache, dass Jakob und seine Familie nach Ägypten gekommen sind. Während das Leben dort in seinen Einzelheiten nicht von Interesse ist. Überraschend ausführlich wird allerdings in 7,16 das Begräbnis der verstorbenen Väter thematisiert: kai. metete,qhsan eivj Suce.m kai. evte,qhsan evn
457 Ausführlich erzählt wird vom Tod Josefs in Gen 50,22-26, den Apg 7,15 aber nicht explizit erwähnt. Allerdings verwendet Apg 7,15 dasselbe Verb für das Sterben Josefs wie Gen 50,26: teleuta,w. 458 Nach JACOB, Exodus, 6, meint „ganzes Geschlecht“ die in Ex 1,5 (HT) genannten „70 Seelen“. 459 Es scheint fast, als würde Apg 7,15b lediglich Iwshf durch auvto,j, d.h. Jakob, ersetzen und pa,ntej oi` avdelfoi. auvtou/ kai. pa/sa h` genea. evkei,nh durch oi` pate,rej h`mw/n. 460 Auf Ex 1,6 verweisen z.B. BARRETT, Acts, 350. SCHILLE, Apg, 181. 461 Eine ähnliche Übergangsfunktion zeigt die Notiz vom Tod des Vaters Abrahams Apg 7,4a im Kontext der Stephanusrede. Vgl. Lektüre von Apg 7,2-8.
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223
tw/| mnh,mati462 »und sie wurden nach Sichem überführt und gelegt in das Grab, …« Während von Überführung und Begräbnis der Väter sehr allgemein463 berichtet wird, wird ihr Grab selbst wesentlich eingehender beschrieben. Deutlich hervorgehoben wird die Lokalisierung des Grabes in Sichem, indem die Ortsangabe eivj/evn Suce,m464 einen Rahmen um Vers 16 bildet. Darüber hinaus greift die genauere Definition des Grabes als w-| wvnh,sato VAbraa.m timh/j avrguri,ou para. tw/n ui`w/n ~Emmw.r evn Suce,m »das Abraham für eine Summe Silbers von den Söhnen Hemmors in Sichem gekauft hatte.« auf Abraham zurück, mit dessen Verheißungsgeschichte die Rede begonnen hat (7,2c-8). Durch diesen Rekurs unterstreicht die Stephanusrede die kontinuierliche Verbindung der Väter zu Abraham, sowie die Bedeutung von Abrahams Verheißungsgeschichte, durch die ein Anfang gesetzt ist, der die weitere Geschichte Israels prägt.465 Das Ungleichgewicht zwischen einem einerseits sehr allgemein gehaltenen Begräbnisbericht und andererseits detaillierter Lokalisierung und Identifizierung des Grabes466 – noch dazu vor dem Hintergrund, dass die meisten Ereignisse der Josefsgeschichte in 7,9-16 nur angerissen oder indirekt 462 mnh,ma findet sich im Neuen Testament nur noch als Bezeichnung des Grabes Jesu in Lk 24,1; Mk 16,2 und des Grabes Davids in Apg 2,29. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 457, Anm. 100. 463 Nicht nur die passive Formulierung (metete,qhsan und evte,qhsan) verleiht diesem Bericht allgemeinen Charakter, sondern auch die Tatsache, dass weder das Vorgehen bei Überführung und Begräbnis genauer geschildert noch einer der Väter beispielhaft herausgegriffen wird. 464 Zur Stadt Sichem in der Bibel vgl. TILLY, Jerusalem, 109–111. Sichem begegne vor allem als Paradigma dafür, wie eine kanaanäische Stadt im Laufe der Landnahme zu einer israelitischen Stadt wurde (Gen 34,1-31; 35,4; 12,6). Darüber hinaus sei Sichem der Ort der Versammlung aller Stämme Israels unter Josua (Jos 24,1-28) und Hauptstadt des Nordreiches unter Jerobeam I. (1 Kön 12,25), wo sich unter Rehabeam die nordisraelitischen Stämme versammelten (1 Kön 12,1ff.). Sichem sei aber auch als Schauplatz gesetzloser Handlungen bekannt (Hos 6,9; Sir 50,26). Weiterhin sei Sichem nicht nur geographischer und wirtschaftlicher Mittelpunkt des Westjordanlandes und ein politisches Zentrum des Nordreiches, sondern habe auch zentrale religiöse Bedeutung, da es am Berg Garizim, dem heiligen Berg und kultischen Mittelpunkt der samaritanischen Religionsgemeinschaft, liege. Laut FRITZ, VOLKMAR, Sichem, in: TRE 31, 245–247, hier 246, spiegeln alle anderen Erwähnungen von Sichem neben 1 Kön 12,1.25 die Bedeutung der Stadt während der Königszeit oder dienen zur geographischen Bestimmung anderer Orte (vgl. Jes 17,7; Jos 10,7). Die Zurückführung einer Kultstätte in Sichem auf Abraham (Gen 12,5f.) oder Jakob (Gen 35, 17-20) weise auf ein bedeutendes Heiligtum vor Ort. Auch die Lokalisierung der Verpflichtung der Stämme auf Jahwe durch Josua in Sichem (Jos 24) setze eine kultische Bedeutung des Ortes voraus. 465 Ähnliches impliziert Apg 7,8. 466 Beispielsweise werden die Söhne des Hemor eingeführt, die in der Stephanusrede keine Rolle mehr spielen werden. Auch die Angabe der Bezahlung mit Silbergeld überrascht.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
eingespielt werden – überrascht allerdings. Darüber hinaus ist das Zueinander der Intertexte, auf die hier angespielt wird, rätselhaft. Welche Sinnpotentiale und Funktion hat also diese auffällige Notiz von 7,16? Nachdem Apg 7,15 speziell den Tod Jakobs (Gen 49,33) erwähnt, spielt Apg 7,16 – dem Plot der Genesiserzählung folgend – auf Gen 50,1-13 an. Die dort berichtete Umsetzung von Jakobs Wunsch (Gen 47,29-31; 49,29-32), nicht in Ägypten begraben zu werden, sondern im Grab, das Abraham in Mamre gekauft hat, schließt Gen 50,13 folgendermaßen ab: kai. avne,labon auvto.n oi` ui`oi. auvtou/ eivj gh/n Canaan kai. e;qayan auvto.n eivj to. sph,laion to. diplou/n o] evkth,sato Abraam to. sph,laion evn kth,sei mnhmei,ou para. Efrwn tou/ Cettai,ou kate,nanti Mambrh »Und seine Söhne nahmen ihn hinauf in das Land Kanaan und sie begruben ihn in der Doppelhöhle, der Höhle, die Abraham erworben hatte im Erwerb einer Grabstätte vom Chettäer Ephron gegenüber von Mambre.« Gen 50,1-13 hält nicht nur fest, dass die „Liebespflicht“467 des Begräbnisses als Angelegenheit der Familie ordnungsgemäß ausgeführt wurde, sondern stellt auch mit dieser ‚Rückkehr‘ Jakobs nach Kanaan ein Vorbild für den späteren Einzug Israels in das Land der Verheißung vor Augen.468
Da die Darstellung der Josefsgeschichte in Apg 7,9-16 tendenziell die in den Genesiserzählungen betonten familiären Beziehungen in den Hintergrund stellt und primär akzentuiert, dass und wie die Verwandtschaft Jakobs nach Ägypten kommt, verweist Apg 7,16 mit der Anspielung auf Gen 50,13 ebenfalls insbesondere auf den späteren Einzug Israels ins verheißene Land. Auffälligerweise widerspricht aber die Ortsangabe eivj Suce,m (Apg 7,16) der von Jakobs Grab kate,nanti Mambrh (Gen 50,13)469 und verweist vielmehr auf das Grab Josefs.
467 JACOB, Genesis, 926–927, 937. Gen 49,31 zeige, dass diese Liebespflicht von jeder Generation zu erfüllen sei. Auch in Gen 23 werde deutlich, dass es sich um einen Liebesdienst handle. 468 Vgl. JACOB, Genesis, 937. 469 Mamre ist auch Begräbnisort Abrahams (Gen 25,9-10). Auch Jub 46,9f; JosAnt II 1999f; TestXII nennen Mamre bei Hebron als Begräbnisort Abrahams und Jakobs sowie der Söhne Jakobs. Sichem als Begräbnisort der Erzeltern ist dagegen erst aus patristischen Zeugnissen bekannt, wie z.B. Julianus Africanus (3. Jh.), Hieronymus (Ep. 57,10; 108,13), Georgius Syncellus (9. Jh.). Für eine ausführliche Diskussion über die Tradition der Begräbnisorte der Erzeltern und zur Frage nach einer samaritanischen Quelle vgl. STEMBERGER, Stephanusrede, 237. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 360, Anm. 114. FITZMYER, Acts, 374. u.a. BARRETT, Acts, 351, stellt drei Erklärungsversuche für Apg 7,16 vor. Eine Übersicht über verschiedene Erklärungsversuche für die Lokalisierung des Grabes in Sichem bietet auch RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 133–134.
5 Lektüre von Apg 7,9-16
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Jos 24,32 beschreibt nämlich das Begräbnis Josefs folgendermaßen: kai. ta. ovsta/ Iwshf avnh,gagon oi` ui`oi. Israhl evx Aivgu,ptou kai. katw,ruxan evn Sikimoij evn th/| meri,di tou/ avgrou/ ou- evkth,sato Iakwb para. tw/n Amorrai,wn tw/n katoikou,ntwn evn Sikimoij avmna,dwn e`kato.n kai. e;dwken auvth.n Iwshf evn meri,di. »Auch die Gebeine Josephs führten die Israeliten aus Ägypten hinauf und bestatteten (sie) in Sichem, in dem Feldstück, das Jakob von den Amoräern, die in Sichem wohnen, für 100 Lämmer erwarb und Joseph zum Anteil übergab.« Erst am Ende des Buches Josua wird also die Umsetzung von Josefs Wunsch (Gen 50,24-25), dorthin zurückzukehren, wo er herkommt, und dort begraben zu werden,470 berichtet. So markiert diese Notiz vom Begräbnis Josefs das Ende der Patriarchengeschichte.471
Vor diesem Hintergrund kann auch Apg 7,16 innerhalb der Stephanusrede als Signal für das Ende der Erzählung der Patriarchengeschichte dienen – zumal auch der Bericht über das Sterben Jakobs und der Väter (7,15) auf die Notiz von Josefs Tod (Gen 50,26; Ex 1,6) anspielt und diese im Kontext von Ex 1,1-7 zur Geschichte der nachfolgenden Generationen Israels in Ägypten überleitet.472 Der Ort Sichem ist allerdings nicht nur mit dem Grab Josefs verknüpft, wie schon die genaue Lokalisierung in Jos 24,32 andeutet, sondern auch mit dem Erwerb des entsprechenden Feldes durch Jakob, worüber Gen 33,1820 berichtet. Gen 33,18-19 18 kai. h=lqen Iakwb eivj Salhm po,lin Sikimwn h[ evstin evn gh/| Canaan o[te h=lqen evk th/j Mesopotami,aj Suri,aj kai. parene,balen kata. pro,swpon th/j po,lewj 19 kai. evkth,sato th.n meri,da tou/ avgrou/ ou- e;sthsen evkei/ th.n skhnh.n auvtou/ para. Emmwr patro.j Sucem e`kato.n avmnw/n »18 Und Jakob kam nach Salem, der Stadt der Sikimer, die im Land Kanaan liegt, als er aus Mesopotamien in Syrien kam, und er lagerte im Angesicht der Stadt. 19 Und er erwarb den Teil des Ackers, worauf er sein Zelt aufgestellt hatte, von Emmor, Sichems Vater, für 100 Lämmer«. Von einem Grab – wie in Apg 7,16 und Jos 24,32 – ist hier allerdings nicht die Rede. Vielmehr notiert Gen 33,20: kai. e;sthsen evkei/ qusiasth,rion kai. evpekale,sato to.n qeo.n Israhl »und er errichtete dort eine Opferstätte und rief den Gott Israels an.« Mit dem Erwerb dieses Ackers durch Jakob und dem Bau einer Opferstätte für den Gott Israels wird nicht nur der Beginn der Inbesitznahme des Landes Kanaan gekenn-
470
Vgl. JACOB, Genesis, 944–945. Josef wolle inmitten seines Volkes weiterleben. Vgl. JACOB, Genesis, 944. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 360. 472 Vgl. Ausführungen zu Apg 7,15. 471
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
zeichnet, sondern durch den Bau der Opferstätte (Gen 33,20) auch Gen 34 vorbereitet.473 In dieser Erzählung fungiert Sichem nämlich als paradigmatische, kanaanäische Siedlung, die im Verlauf der Landnahme zu einer israelitischen Stadt wird (vgl. auch Gen 35,4-5).474
Die Ortsangabe »Sichem« in Apg 7,16 ist also durch diese intertextuellen Referenzen mit dem durch Jakob initiierten Anfang des Volkes Israel in Kanaan (Gen 33,18-20) konnotiert. Durch die Notiz vom Bau einer Opferstätte für den Gott Israels ist Sichem von Beginn an auch als Ort des Gottes Israels ausgewiesen. Im Rahmen der Stephanusepisode ist dies also ein Beispiel dafür, dass nicht nur der Tempel in Jerusalem Ort Gottes ist.475 Indem Sichem außerdem auf das Grab Josefs (Jos 24,32) verweist, signalisiert die Erwähnung dieser Ortsangabe zugleich das Ende der Erzählung der Patriarchenerzählung. Dieser Markierung eines deutlichen Einschnitts in der Geschichte Israels entspricht auch die detaillierte Definition des Grabes der Väter in 7,16b. Diese drückt nämlich aus, dass ein – auch für Hörer und Redner – entscheidender Abschnitt der Geschichte Israels ‚ordnungsgemäß‘ zu Ende gebracht wird. Das deutet auch die Anspielung der Definition des Grabes in 7,16b (w-| wvnh,sato VAbraa.m timh/j avrguri,ou para. tw/n ui`w/n ~Emmw.r evn Suce,m) auf den Grabkauf durch Abraham in Gen 23 an: Gen 23,1-2 betont zunächst, dass der Tod Saras im verheißenen Land der erste Grund für den Grabkauf durch Abraham ist. Er möchte für Sara eine Grabstätte haben, ihr also über
473
Das Grab Abrahams verortet dann Gen 25,9 »gegenüber von Mambre«. Vgl. JAGenesis, 649 und WESTERMANN, Genesis II, 644–645. Für sie besteht die Funktion von Gen 33 vor allem darin, Gen 34 vorzubereiten. SEEBASS, HORST, Genesis II/2. Vätergeschichte II (23,1-36,43), Neukirchen-Vluyn 1999, 413 sieht die besondere Bedeutung dieses Textabschnitts darin, dass Jakob, ausdrücklich mit dem Ehrennamen Israel bezeichnet – mitten unter Kanaanäern ein eigenes Grundstück erwirbt, um dort ein Heiligtum dem Gott (El) zu errichten, der Jakob den Ehrennamen Israel gab. Es gehe hier um mehr als nur eine Kultstiftung, denn diese Stiftung müsse als ein weit in die Zukunft reichendes Symbol der Israel-Benennung verstanden werden. 474 Vgl. TILLY, Jerusalem, 109. Vgl. weiterhin Gen 12,6. 475 TILLY, Jerusalem, 112, erklärt, dass Sichem mit dem Heiligtum auf dem Garizim als separates Kultzentrum der Samaritaner, die das Kultmonopol Jerusalems ablehnten, verbunden ist. Vor diesem religionsgeschichtlichen Hintergrund liegt es nahe, hinter Apg 7,16 eine samaritanische Polemik gegen den Tempel in Jerusalem zu sehen. So wurde auch häufig eine samaritanische Quelle hinter Apg 7,16 gesucht. STEMBERGER, Stephanusrede, 238, verweist auf Dahl und Spiro. EBD., 239–240 spricht sich aber gegen eine samaritanische Quelle aus. Ähnlich RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 133–134. SCHNEIDER, Apg, 451. PESCH, Apg, 251. Für die Frage nach der Funktion von Apg 7,16 im Kontext der Stephanusepisode sind hier primär die Konnotationen Sichems in den relevanten Subtexten von Interesse. COB,
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den Tod hinaus gebührenden Liebesdienst erweisen.476 Darüber hinaus kommt diesem Grab umfassendere Bedeutung zu, was ausgehend von der Zusammenfassung des Grabkaufs verdeutlicht werden kann, die Gen 23,16-18477 folgendermaßen formuliert: 16
kai. h;kousen Abraam tou/ Efrwn kai. avpekate,sthsen Abraam tw/| Efrwn to. avrgu,rion o] evla,lhsen eivj ta. w=ta tw/n ui`w/n Cet tetrako,sia di,dracma avrguri,ou doki,mou evmpo,roij 17 kai. e;sth o` avgro.j Efrwn o]j h=n evn tw/| diplw/| sphlai,w| o[j evstin kata. pro,swpon Mambrh o` avgro.j kai. to. sph,laion o] h=n evn auvtw/| kai. pa/n de,ndron o] h=n evn tw/| avgrw/| o[ evstin evn toi/j o`ri,oij auvtou/ ku,klw| 18 tw/| Abraam eivj kth/sin … »16 Und Abraham hörte Ephron und er bezahlte Ephron den Geldbetrag, den er in die Ohren der Söhne des Chet gesprochen hatte, 400 Doppeldrachmen Silber, auf seinen Wert von Kaufleuten geprüft. 17 Und Ephrons Feld, das bei der Doppelhöhle lag, das im Angesicht von Mambre liegt, das Feld und die Höhle, die auf ihm lag, und jeder Baum, der auf dem Feld stand, der im Gebiet rings darum steht, wurde 18 Abraham zum Erwerb …« In diesem hier beschriebenen Grab werden sowohl Abraham (Gen 25,9-10) als auch Isaak (Gen 35,27-28) und Jakob (Gen 49,29-32; 50,13)478 samt ihren Frauen begraben. So wird es als Ruhestätte der drei Erzväter und -mütter für die „wandernden, und in ägyptischer Fremde lebenden Geschlechter der Magnet und für die einst im Lande lebenden Nachkommen der Einigungspunkt sein.“479 Damit verbunden ist, dass durch dieses Grab der Väter das Land Kanaan für Israel zum ‚Land der Väter‘ wird. Diese hohe Bedeutung des Grabes schlägt sich erzählerisch in den Ausführungen zum Kaufpreis für das Feld nieder. Nicht nur die Höhe des Preises von 400 Silberschekeln, die Abraham bereitwillig zahlt, deutet an, dass dieses Feld samt dem Grab sehr viel wert ist,480 sondern auch die Ausführlichkeit, mit der der Kaufpreis thematisiert wird, deutet auf die Bedeutsamkeit des Grabes hin. Sie entspricht nämlich der Genauigkeit von Gen 33,19, wo der Preis für das von Jakob erworbene Feld, auf dem er eine Opferstätte errichtet und das später Grabstätte Josefs wird, angegeben wird, und den Ausführungen zum Preis für die Tenne Araunas, wo der Tempel erbaut werden soll (2 Sam 24,24-25). Demnach ist das von Abraham erworbene Grab ähnlich heilig wie die Opferstätte bzw. der Tempel.481 476
Vgl. JACOB, Genesis, 505, 512. Vgl. auch Gen 25,9-10; 35,27-28; 49,29-32; 50,13. 478 Wenn diese Texte auf den Erwerb des Feldes durch Abraham zum Zweck eines Erbbegräbnisses verweisen, geben sie ebenfalls Verkaufsobjekt, Lage des Feldes, Käufer und Verkäufer an. 479 JACOB, Genesis, 512. 480 Vgl. JACOB, Genesis, 510–511. WESTERMANN, Genesis II, 459. Dass 400 Silberschekel ein hoher Preis für ein Feld sind, zeigen beispielsweise Jer 32,9; 1 Kön 16,24; Lev 27,3.16; Dtn 22,29. 481 Vgl. JACOB, Genesis, 513. David sagt z.B., dass man nicht mit Geschenktem opfert (2 Sam 24,24). Die Ähnlichkeit mit dem Kauf des Feldes für einen Altar und den Tempel zeigt, dass auch der Erwerb des Grabes nicht nur einen Rechtstitel schafft, sondern zugleich das Herz bindet. 477
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Zwar geht es in Gen 23 zunächst vor allem um den Vorgang des Begräbnisses, für den das durch Abraham rechtmäßig erworbene Grundstück notwendige Voraussetzung ist.482 Aber darüber hinaus will Abraham mit diesem formellen Kauf bekunden, laut göttlicher Verleihung gehöre ihm das ganze Land Kanaan schon jetzt.483 So wird hiermit die Erfüllung der Verheißung Gottes an Abraham und seine Nachkommen, das verheißene Land zu besitzen (Gen 17,8 u.a.) antizipiert.484
Durch die Referenz auf den Grabkauf durch Abraham, sogar mit Erwähnung des Kaufpreis (Gen 23,16-18) wird in Apg 7,16b ebenfalls die hohe Bedeutung des Grabes als ‚einigendes Magnet‘ für das Volk Israel thematisiert, durch das Kanaan, in dem Abraham zuerst keinen Besitz hatte, zum Land »unserer Väter« geworden ist. So kann 7,16 aufgrund dieser intertextuellen Referenz als Vorbereitung darauf dienen, dass der weitere Verlauf der Stephanusrede ebenfalls von der Erfüllung der Verheißung an Abraham handeln wird. Außerdem weist 7,16 auf die bleibende Verbindung der Väter Israels untereinander, aber auch zu den Zuhörern und zum Redner hin, da in den eingespielten Berichten vom Begräbnis Jakobs (Gen 50,113) und Josefs (Gen 50,24-25; Jos 24,32), sowie in Gen 23 jeweils der Aspekt der bleibenden Vereinigung der Väter im Tod enthalten ist. Trotz dieser Parallelen unterscheidet sich Apg 7,16b hinsichtlich der Angaben zu Verkäufer und Ort von Gen 23,16-18 und ähnelt dabei stärker Gen 33,18-20 bzw. Jos 24,32, wie folgende Übersicht zeigt:
482
Vgl. WESTERMANN, Genesis II, 461. Für die Väterzeit sei ein solcher Vorgang sehr unwahrscheinlich, weil er zur Lebensweise von Kleinviehnomaden schlecht passe. Aber aus der Zeit und Erfahrung des Exils, in der die aus der Heimat Vertriebenen wenigstens den Platz, an dem „ihre Toten“ ruhen, zu eigen haben wollen, sei dies verständlich. In der Zeit des Exils erhielt die Familie eine bestimmende Bedeutung für das Weiterbestehen des Volkes Israel und seiner Religion, deshalb gehören die Fundamente der Familie und die Fundamente des Gottesvolkes zusammen (vgl. auch Gen 17 und das Sinai-Gesetz). 483 Vgl. JACOB, Genesis, 513. 484 Dass in der Erzählung über den Grabkauf durch Abraham zugleich die Verheißung von Landbesitz thematisiert wird, legt auch Gen 23,4 nahe, wo Abraham sich als pa,roikoj kai. parepi,dhmoj bezeichnet. Vgl. JACOB, Genesis, 507.
5 Lektüre von Apg 7,9-16 Apg 7,16b
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w-| wvnh,sato VAbraa.m timh/j avrguri,ou para. tw/n ui`w/n ~Emmw.r evn Suce,mÅ »das Abraham für eine Summe Silbers von den Söhnen Hemmors in Sichem gekauft hatte.«
Gen 23,16-18
avpekate,sthsen Abraam tw/| Efrwn to. avrgu,rion o] evla,lhsen eivj ta. w=ta tw/n ui`w/n Cet tetrako,sia di,dracma avrguri,ou …17 kai. e;sth o` avgro.j Efrwn o]j h=n evn tw/| diplw/| sphlai,w| o[j evstin kata. pro,swpon Mambrh … »Abraham bezahlte Ephron den Geldbetrag, den er in die Ohren der Söhne des Chet gesprochen hatte, 400 Doppeldrachmen Silber …17 Und Ephrons Feld, das bei der Doppelhöhle lag, das im Angesicht von Mambre liegt, …«
Gen 33,18-20
kai. h=lqen Iakwb eivj Salhm po,lin Sikimwn h[ evstin evn gh/| Canaan … kai. evkth,sato th.n meri,da tou/ avgrou/ ou- e;sthsen evkei/ th.n skhnh.n auvtou/ para. Emmwr patro.j Sucem e`kato.n avmnw/n ... 19
»Und Jakob kam nach Salem, der Stadt der Sikimer, die im Land Kanaan liegt, … 19 Und er erwarb den Teil des Ackers, worauf er sein Zelt aufgestellt hatte, von Emmor, Sichems Vater, für 100 Lämmer ...« Jos 24,32
kai. ta. ovsta/ Iwshf … katw,ruxan evn Sikimoij evn th/| meri,di tou/ avgrou/ ou- evkth,sato Iakwb para. tw/n Amorrai,wn485 tw/n katoikou,ntwn evn Sikimoij avmna,dwn e`kato.n kai. e;dwken auvth.n Iwshf evn meri,di »Auch die Gebeine Josephs … bestatteten (sie) in Sichem, in dem Feldstück, das Jakob von den Amoräern, die in Sichem wohnen, für 100 Lämmer erwarb und Joseph zum Anteil übergab.«
In der Verortung des Grabes »unserer Väter« in Sichem findet sich also eine Kombination486 des Grabes Jakobs (Gen 50,13), das Abraham erworben hat (Gen 23,16-18), und des Grabes Josefs (Jos 24,32), das auf Jakobs Kauf (Gen 33,18-20) verweist. Dadurch werden alle Väter, einschließlich Abraham, mit Sichem verbunden. Das überrascht insofern, als durch den 485 Laut Jos 24,32 sind die Verkäufer oi` vAmmorai,wn nicht die Söhne Hamors, des Stadtfürsten von Sichem. Apg 7,16 lehnt sich hier also näher an den hebräischen Text an – entgegen sonstiger Gepflogenheit. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 360, Anm. 116. 486 FITZMYER, Acts, 374, sieht hier eine Verwechslung zwischen dem Land von Jakobs Begräbnis mit dem Land, das Jakob von den Söhnen des Hemor gekauft hat. Allerdings geht es in Apg 7,16 wegen des Plurals metete,qhsan und evte,qhsan nicht nur um das Begräbnis von Jakob. ZMIJEWSKI, Apg, 318, führt die Diskrepanz in Apg 7,16 zu den alttestamentlichen Texten auf eine Tradition zurück, in der verschiedene alttestamentliche Texte vermischt wurden. Es sei möglich, dass der Verfasser des heilsgeschichtlichen Credos diese Änderungen bewusst vorgenommen hat und damit einen Bezug zur Verheißung herstellt, die Väter dürften noch nicht als Lebende im verheißenen Land bleiben, aber als Tote. Ähnlich JERVELL, Apg, 235.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Grabkauf Abrahams Hebron als Grabesstätte der Erzväter zum bleibenden Bezugspunkt für Israel wurde (Gen 23,16-18).487 Welche Funktion hat also diese betonte Verlagerung nach Sichem? Da durch die erneute Erwähnung Sichems wiederum Tod und Begräbnis Josefs eingespielt werden (wie in Apg 7,16a), wird hier die Geschichte Israels stark gerafft dargestellt, denn auch im alttestamentlichen Text endet die Geschichte Josefs eigentlich erst in Jos 24,32, also in Sichem. Auf diese Weise wird in 7,16b ein großer Abschnitt der Geschichte übersprungen und so tritt die faktische Geschichte Josefs und seiner Familie in Ägypten in den Hintergrund. Von primärem Interesse ist dagegen die Verlagerung von Mamre nach Sichem, d.h. (zur Erzählzeit) ins Zentrum des samaritanischen Gebietes.488 Dadurch wird noch einmal unterstrichen, dass Abraham und seine unmittelbaren Nachkommen im verheißenen Land selbst zunächst keinen Besitz hatten (7,5).489 Zugleich kann durch diese Verlagerung des Begräbnisortes der Erzeltern angedeutet werden, dass Gottes ‚Mit-Sein‘ – wie es in Josefs Geschichte thematisiert wird – und der damit verbundene Segen nicht an den Besitz des Landes geknüpft ist, sondern auch außerhalb möglich ist.490 Im Kontext der Apostelgeschichte kann dieser Hinweis auf Sichem auch schon als Vorbereitung auf die Fortsetzung des „Weges des Heils“ verstanden werden, dessen nächste Station unmittelbar im Anschluss an den Tod des Stephanus die Verkündigung in Samaria sein wird (vgl. Apg 8,4).491
487
Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 360, Anm. 114. SPENCER, Acts, 73. Vgl. GAVENTA, Acts, 124. 489 Vgl. STEMBERGER, Stephanusrede, 239–240. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 133–134. PESCH, Apg, 251. 490 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 360. STEMBERGER, Stephanusrede, 240. Vgl. auch Apg 7,33. Diese Andeutung sei nicht nur als Polemik, sondern auch als Trostrede aufzufassen. Es komme nicht darauf an, im heiligen Land zu leben, der Mensch sei stets auf der Wanderschaft, nicht in das heilige Land, sondern in die verheißene göttliche kata,pausij. SPENCER, Acts, 73, sieht hierin ebenfalls eine Bekräftigung der Polemik gegen die Meinung, Gottes Taten seien auf ausgewählte heilige Bereiche begrenzt. Außerdem werde hier die Tendenz des lukanischen Doppelwerks fortgeführt, die Samaritaner ebenfalls als erwähltes Volk Gottes zu betrachten (vgl. Apg 8). Spencer argumentiert primär zeitgeschichtlich: Zur Zeit des Stephanus sei eine starke anti-sichemitische/-samaritanische Tendenz unter den Juden, die Jerusalem verehren, weit verbretiet (vgl. Sir 50,25f.; T. Levi 7,2; Ant 11,340-41). Das lukanische Doppelwerk setze diese feindlichen Beziehungen zwischen Samaritanern und Juden voraus, aber überall werde mit den Samaritanern wohlwollend umgegangen (Lk 9,51-56; 10,25-37; 17,11-17). 491 Vgl. GAVENTA, Acts, 124. WHITHERINGTON, Acts, 268. 488
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5.3 Fazit Der kurze Abriss über die Josefsgeschichte in Apg 7,9-16 schildert diese als eine Kontrastgeschichte. Die eifersüchtigen Patriarchen stellen nämlich einen Gegensatz zu den Stammvätern, die in der Notiz über die Weitergabe des Beschneidungsbundes (7,8) erwähnt werden, dar und ein Gegenüber zu Josef, der sich durch Gottes grundsätzliches ‚Mit-Sein‘ auszeichnet (7,9).492 So stehen sich auch Gott und die Patriarchen polarisierend gegenüber, da diese den von Gott begünstigten Josef ablehnen. Mit diesem Kontrast geht zugleich einher, dass die Josefsgeschichte als eine Geschichte der Nähe Gottes gestaltet ist: Relativ ausführlich wird geschildert, inwiefern Gottes ‚Mit-Sein‘ mit Josef in Ägypten eine Wende der bedrängenden Lage Josefs bewirkt (7,10). Vermittelt durch diesen wirkt sich Gottes Nähe auch auf Josefs bzw. Jakobs gesamte Verwandtschaft, d.h. »unsere Väter«, aus, denn diese kommen – veranlasst von der Gott gewirkten Führungsposition Josefs – nach Ägypten, das angesichts der allgemeinen Hungersnot eine Überlebensmöglichkeit bietet (7,11-12). Demnach basiert der Fortbestand »unserer Väter« in Ägypten bis zu ihrem Tod auf Gottes Nähe.493 Somit wird die Josefsgeschichte auch als Beispiel für die Erscheinung Gottes in der Geschichte (7,2b) erzählt. Zu einer derart gedeuteten Geschichtserzählung kommt es primär durch Anspielungen auf verschiedene Subtexte. Strukturell folgt Apg 7,9-16 zwar weitgehend dem Text von Gen 37-50,494 spielt aber meist nur kurz wenige Elemente daraus ein, so dass der Leser häufig gefordert ist, ausgelassene Passagen oder ganze Subtexte aus dem Grundplot der Genesiserzählung selbst einzublenden. Durch die Kürze der Schilderung, die eigene Art ihrer Zusammenstellung und die Kombination mit Referenzen auf Subtexte außerhalb der Josefserzählung, erhalten bestimmte Aspekte daraus besonderes Gewicht, während andere in den Hintergrund treten.
492 Auch in 7,13-14 kann ein Kontrast zwischen Josef und den Patriarchen gesehen werden, wenn man es als Vergebungshandeln versteht, dass Josef sich seinen Brüder trotz ihres Vergehens zu erkennen gibt und diese zusammen mit Jakob und der ganzen Verwandtschaft nach Ägypten kommen lässt. Vgl. Lektüre von Apg 7,13-14. 493 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 164, der in der Todesnotiz angedeutet sieht, dass es sich wohl um das Ende eines guten Lebens handelt, insofern nichts Gegenteiliges erwähnt wird. 494 Das wird an einem Vergleich von Apg 7,9-16 mit der groben Gliederung der Josefsgeschichte deutlich. JACOB, Genesis, 693, teilt die Josefserzählung Gen 37-50 in folgende vier Abschnitte ein: Gen 37-40: Der Verkauf Josefs nach Ägypten (Judas Familie) und Josef im Gefängnis (vgl. Apg 7,9a); Gen 41,1-44,17: Die Erhöhung Josefs, die Brüder vor ihm (vgl. Apg 7,10.12); Gen 44,18-47,27: Josef gibt sich zu erkennen, die Übersiedlung der Familie, Josefs Wirken in Ägypten (vgl. Apg 7,13.14); Gen 47,2850,26: Jakobs Ende (vgl. Apg 7,15-16).
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Im Zentrum der Josefserzählung in 7,9-16 steht die Nähe Gottes ausgerechnet im fremden Ägypten, fern vom verheißenen Land, die zu einer begünstigenden Wende für Josef und »unsere Väter« führt. Demnach wird anhand der Josefsgeschichte eine „Entschränkung“495 des Heilshandelns Gottes über die Grenzen des verheißenen Landes hinaus aufgezeigt496 und es wird damit implizit ein Beispiel des Erscheinens des »Gottes der Herrlichkeit« in der Geschichte geschildert (7,2b). Das wird auch daran deutlich, dass sich in der Zusammenführung von Josef, Jakob und deren ganzer Verwandtschaft im fremden Ägypten, die einen weiteren Schwerpunkt des Redeabschnitts darstellt, der erste Teil der Verheißungen Gottes an Abrahams Nachkommen erfüllt: »sie werden fremd in einem fremden Land« (7,6). Dabei wird jedoch noch nicht auf deren Knechtschaft hingewiesen, weil Ägypten und der Pharao durchwegs positiv dargestellt werden.497 Da also Apg 7,9-16 die Nähe Gottes und deren Auswirkungen primär in Ägypten verortet, steht hier zugleich die Frage nach dem Verhältnis des entstehenden Volkes Israel zum verheißenen Land im Hintergrund – in Anknüpfung an 7,2-8. Verheißt Gott dort nach einer kurzen Notiz vom Ankommen in Kanaan (7,4b-5) sofort eine Entfernung davon (7,6), so schildert 7,9-16 die Verwirklichung dieser Ankündigung. In diesem Abschnitt werden nämlich insgesamt vier Wege von Kanaan nach Ägypten notiert, die noch dazu eine sich sukzessiv steigernde Anzahl an Israeliten zurücklegt – angefangen von einem einzelnen (Josef) bis hin zu 75 (Familie Jakobs). Durch diesen kontinuierlichen und letztlich vollständigen Ortswechsel wird der Weg Israels hier deutlich als eine Entfernung vom verheißenen Land dargestellt.498 Die Begräbnisnotiz (7,16) impliziert zwar eine bleibende Verbindung zum verheißenen Land, aber indem die Grabesstätte aller Väter samt Abraham in Sichem lokalisiert wird, deutet sich auch hier an, dass es nicht nur einen einzigen heiligen Ort gibt.499 Das ent495 JESKA, Geschichte Israels, 201. Im Kontext des lukanischen Doppelwerks entspreche diese Entschränkung der Durchbrechung der Konzentration auf die Judenmission in Apg 10f. 496 SEEBASS, Josephsgeschichte, 10. Folgt man der zusammenfassenden Interpretation von Seebass, in der Josefsgeschichte gehe es um das „überwältigende Heilshandeln Gottes mit prominenter Rolle Ägyptens“, so liegt in Apg 7,9-16 eine Analogie dazu. Der Josefsgeschichte (in ihrer Endfassung) liege ein eigentümliches Handeln Gottes zugunsten Israels als Haus und Kollektiv mit dem Ziel des Heiligen Landes zugrunde (vgl. z.B. Gen 48; 49). Der Erfolg in Ägypten und die Versöhnung mit den Brüdern gehören zum Motiv „Erfolg im Exil“, das die ehrenvolle Heimkehr vorbereitet. Vgl. EBD., 11. 497 Diese positive Darstellung Ägyptens gibt es im Genesistext allerdings auch, z.B. in Gen 50,6. Vgl. SEEBASS, Josephsgeschichte, 196. 498 Vgl. SPENCER, Acts, 72. 499 Vgl. SPENCER, Acts, 73. Er sieht hier im Kontext der Stephanusepisode auch einen polemischen Akzent, denn es sei impliziert, dass Gott nicht nur im verheißenen Land und an bestimmten Orten handle.
6 Lektüre von Apg 7,17-19
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spricht dem häufigen Ortswechsel in 7,9-16, der zeigt, dass Israel nicht immer im Land Kanaan war, aber gerade auf seinen Wegen, die möglicherweise auch ‚Umwege‘ waren, Gottes Nähe erfahren hat. Im Kontext der Stephanusrede bilden also die Geschichte Abrahams500 und Josefs die gemeinsame Basis der Verheißungsgeschichte Israels. An ihnen wird illustriert, dass sich das Volk Israel außerhalb des verheißenen Landes konstituiert und dass sich in der Spannung von Nähe und Distanz zum verheißenen Land ein Leben der Gottesnähe vollzieht.501 Das Ende der Erzählung dieser Basisgeschichte wird sorgfältig durch die Begräbnisnotiz 7,16, die auf verschiedene Subtexte anspielt, gestaltet. Die Aktualität dieser Josefsgeschichte für die Adressaten der Stephanusrede, die immer wieder durch die verbindende Wendung »unsere Väter« ausgedrückt wird, zeigt sich auch dadurch, dass sich der im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte geschilderte „Weg des Heils“ geographisch ebenfalls vom verheißenen Land entfernt. Daher wird sich auch hier die Frage nach der Nähe Gottes außerhalb des verheißenen Landes erneut stellen.
6 Lektüre von Apg 7,17-19 6.1 Strukturanalyse Apg 7,17-19 kann als kleine Einheit betrachtet werden, die als Überleitung oder Verbindungsglied502 innerhalb der Stephanusrede fungiert. Zunächst greift 7,17a durch den Hinweis auf die Verheißung Gottes an Abraham auf 7,5-7 zurück. Zugleich wird in 7,17b ein Bezug zu 7,9-16 hergestellt, indem die Erfüllung der Verheißung durch das Wachstum des Volkes Israel in Ägypten situiert wird. Wenn 7,18 mit der Erwähnung eines »anderen« Königs in Ägypten, der Josef nicht kennt, die Erfüllung der Verheißung Gottes zeitlich begrenzt, wird zum einen bereits ein neuer Abschnitt der Geschichte Israels angekündigt, zum anderen aber auch an die Josefsgeschichte angeknüpft. 7,19 schildert dann, dass das Volk Israel in Ägypten durch diesen »anderen« König schlecht und lebensbedrohlich behandelt wird. Auch damit wird die Verheißung Gottes an Abraham von 7,6 aufgegriffen. 500 Es fällt auf, dass die Erwähnung Abrahams in 7,2.16 einen Rahmen um beide Abschnitte der Geschichtserzählung bildet. 501 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 360, interpretiert die Erzählung der Abrahamsund der Josefsgeschichte in Apg 7,2-16 zusammenfassend: „In der Spannung zwischen verheißenem Land(besitz) und dem Ringen um ein (gutes) Leben außerhalb dieses Landes vollzieht sich, … gelingendes jüdisches Leben.“ 502 Vgl. FITZMYER, Acts, 374.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
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So kann dieser überleitende Abschnitt insgesamt mit ‚Sich nahende Erfüllung der Verheißungen Gottes‘ überschrieben und folgendermaßen gegliedert werden: 7,17
7,18 7,19
Erfüllung der positiven Verheißung Gottes 7,17a Periodisierende Zeitangabe 7,17b Inhalt der Erfüllung der (positiven) Verheißung Ein »anderer« König in Ägypten Erfüllung der negativen Verheißung Gottes
6.2 Lektüre Apg 7,17-18 17
Kaqw.j de. h;ggizen o` cro,noj th/j evpaggeli,aj h-j w`molo,ghsen o` qeo.j tw/| VAbraa,m( hu;xhsen o` lao.j kai. evplhqu,nqh evn Aivgu,ptw| a;cri ou- avne,sth basileu.j e[teroj ÎevpV Ai;guptonÐ o]j ouvk h;|dei to.n VIwsh,fÅ
18 17
»Als sich (aber) die Zeit der Verheißung näherte, die Gott dem Abraham zugesagt hatte, wuchs das Volk und wurde zahlreich in Ägypten, bis ein anderer König über Ägypten aufstand, der den Josef nicht kannte.«
18
Nachdem der Bericht über Tod und Begräbnis der Väter (7,15-16) einen unbestimmten Zeitraum umfasst, setzt 7,17 mit kaqw.j de,503 eine Markierung darin. Allerdings wird damit erneut eine nicht näher definierte Zeitspanne eingeführt, wie h;ggizen o` cro,noj deutlich ausdrückt. Die Unabgeschlossenheit dieses Zeitraums ist nämlich nicht nur im Imperfekt von evggi,zw (»nahe kommen«, »sich nähern«504) enthalten, sondern auch in o` cro,noj (»Zeitraum«, »Zeitdauer«505). Obwohl dieser Zeitraum quantitativ offen bleibt, so wird er doch qualitativ näher bestimmt: th/j evpaggeli,aj h-j
503
Vgl. FITZMYER, Acts, 374. kaqw,j in temporalem Sinn ist ungewöhnlich und tritt so nur noch in 2 Makk 1,31; Neh 5,6 auf. Wird de, adversativ verstanden, so wird deutlich, dass hier etwas Neues beginnt, da vorher vom Tod der Väter die Rede war, nun dagegen vom Wachstum des Volkes berichtet werden wird. Mit de, im Sinne von „und“ kann aber auch die Anknüpfung an die Josefgeschichte angezeigt werden. Die positive Lage Josefs und seiner Familie im fremden Ägypten scheint nun weiterzugehen. 504 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 430. 505 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1770. o` kairo,j dagegen bezeichnet eher einen „Zeitpunkt“. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 800–801. Ähnlich BARRETT, Acts, 352.
6 Lektüre von Apg 7,17-19
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w`molo,ghsen o` qeo.j tw/| VAbraa,m506 »Als sich (aber) die Zeit der Verheißung näherte, die Gott dem Abraham zugesagt hatte«. Damit wird nicht nur die Bedeutsamkeit dieser Zeit und der darin von Gott zugesicherten Ereignisse ausgedrückt, sondern auch die Verlässlichkeit Gottes, denn o` cro,noj th/j evpaggeli,aj ist wohl elliptisch formuliert und kann als „Zeit der Erfüllung der Verheißung“507 verstanden werden. Bei dem Geschehen innerhalb dieser besonders qualifizierten Zeit handelt es sich zunächst betontermaßen508 um ein Wachstum des Volkes Israel in Ägypten hu;xhsen o` lao.j kai. evplhqu,nqh evn Aivgu,ptw »wuchs das Volk und wurde zahlreich in Ägypten« (7,17), das allerdings zeitlich begrenzt wird (a;cri ou-) durch einen Königswechsel in Ägypten (7,18). Durch die Ortsangabe Ägypten schließt die Wachstumsnotiz unmittelbar an 7,9-16 an. Wird dort schon deutlich, dass der Aufenthalt des Volkes im fremden Ägypten durch das Wirken Gottes mittels Josef ermöglicht und somit zunächst positiv konnotiert ist, so wird dieser Gedanke von 7,17 weitergeführt. Nicht nur das Kommen des Volkes Israel nach Ägypten hat mit Gott zu tun, sondern auch das Wachstum des Volkes genau dort, außerhalb des verheißenen Landes, da es (der Erfüllung) der Verheißung Gottes entspricht. Darauf, dass es hier um die Verheißungen Gottes an Abraham geht, wird sorgfältig aufmerksam gemacht. Noch vor dem Relativsatz h-j w`molo,ghsen o` qeo.j tw/| VAbraa,m, signalisiert nämlich das Stichwort evpaggeli,a einen Rückgriff auf die Verheißungen Gottes von 7,5b (evphggei,lato). Während dort das Wachstum des Volkes nur mit der Landverheißung an die Nachkommen Abrahams impliziert ist, wird nun ausdrücklich genau dieses Wachstum als Anfang der Erfüllung der Verheißungen Gottes an Abraham vorgestellt.509 Damit ergänzt 7,17 die in 7,5-7 formulierten Verheißungen an Abraham entsprechend Gen 12,2; 15,5; 17,2.6 u.a.510 506
Die Charakterisierung dieser Zeit als eine von Gott verheißene impliziert schon h` evpaggeli,a, wird aber zusätzlich auch im Relativsatz h-j w`molo,ghsen o` qeo.j tw/| VAbraa,m explizit formuliert und konkretisiert. 507 Vgl. JERVELL, Apg, 236. cro,noj markiert auch in Apg 7,23 einen neuen Zeitabschnitt, der ausdrücklich mit einer ‚Erfüllung‘ zusammenhängt: ~Wj de. evplhrou/to auvtw/| tesserakontaeth.j cro,noj … Vgl. auch Apg 7,30. Diese Zeitangaben stellen ein Strukturelement dar. 508 Die Betonung des Wachstums entsteht zum einen durch die Voranstellung von hu;xhsen, zum andern durch die zusätzliche Aussage evplhqu,nqh evn Aivgu,ptw, die als eine Art Folge des Wachstums verstanden werden kann. 509 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 318. JERVELL, Apg, 235–236. FITZMYER, Acts, 374. Damit bestätigt sich rückbezüglich der Eindruck, in Apg 7,5b sei die Verheißung von Nachkommen an Abraham impliziert. 510 Vgl. dazu Lektüre von Apg 7,5-7. VAHRENHORST, Land, 133–134, zeigt, dass die gegenwärtige Existenz im Land Israel im Geschichtsrückblick der Stephanusrede als
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Indem dieses Wachstum in Ägypten verortet wird, zeigt sich, dass zwar die Zusage von Landbesitz an Abraham und seine Nachkommen noch aussteht (7,5b), sich aber die Erfüllung der Verheißung fortsetzt, die in 7,9-16 begonnen hat: die Nachkommen Abrahams »werden Fremde in einem fremden Land« (7,6b).511 Somit verknüpft 7,17 die Erzählungen der Abrahamsgeschichte (7,2-8) und der Josefsgeschichte (7,9-16) miteinander.512 Durch den Aspekt der Verheißungen Gottes werden also alle bisher erwähnten Geschichtsetappen miteinander verbunden und dadurch wird die Kontinuität der Geschichte Israels zum Ausdruck gebracht. Dieses Wachstumsmotiv, formuliert mit den Verben auvxa,nw und plhqu,nw, im unmittelbaren Zusammenhang mit der Josefsgeschichte, spielt den Bericht vom Wachstum der Söhne Israels in Ägypten Ex 1,7 ein: oi` de. ui`oi. Israhl huvxh,qhsan kai. evplhqu,nqhsan kai. cudai/oi evge,nonto kai. kati,scuon sfo,dra sfo,dra evplh,qunen de. h` gh/ auvtou,j. »Die Israeliten aber nahmen zu und wurden zahlreich und wurden übermäßig viele und wurden sehr, sehr stark. Das Land aber machte sie zahlreich.« Diese pleonastisch formulierte Wachstumsnotiz betont nach dem Hinweis auf den Tod Josefs und seiner Brüder (Ex 1,6), auf den schon Apg 7,15 referiert, dass der nach Ägypten gekommene Stamm Jakobs (Ex 1,5) die Grundlage dafür gelegt hat, dass – gerade dort – das Volk Israel entstehen kann. Besonders durch die Bezeichnung oi` ui`oi. Israhl wird auf den Ursprung des Volkes im Stamm und Stammvater Jakob verwiesen.513
Dass aus Jakob und seiner Verwandtschaft in Ägypten das Volk Israel entstanden ist, wird in Apg 7,17 nicht nur durch die auch in Ex 1,7 verwendeten Verben auvxa,nw und plhqu,nw ausgedrückt, sondern zusätzlich durch die Bezeichnung o` lao,j statt oi` ui`oi. Israhl verdeutlicht.514 So liegt Apg 7,17 zufolge in der Volkwerdung in Ägypten aus dem Stamm Jakobs die erste Erfüllung der Verheißung Gottes an Abraham.
Erfüllung der göttlichen Verheißung von Apg 7,5-6 dargestellt wird. Der Beginn des Exodusgeschehens werde nämlich als Zeit, auf die die Verheißung zielt (Apg 7,17) bezeichnet. Die Erfüllung dieser Verheißung komme dann mit der Landnahme zum Abschluss (Apg 7,45). Die Konsequenz daraus, das Leben im Land, dauere bis in die Gegenwart, die die Stephanusrede im Blick habe. 511 Da 7,6 mit einer negativen Ankündigung fortfährt, deutet die Erfüllung des ersten Teils der Verheißung, »fremd in einem fremden Land« werden, auf eine entsprechend unheilvolle Fortsetzung hin. 512 Vgl. FITZMYER, Acts, 374. Für ihn verdeutlicht sich hierin, dass Gott mit Abraham und Josef ähnlich umgeht. 513 Vgl. HOUTMAN, CORNELIS, Exodus. Volume 1 (Historical Commentary on the Old Testament), Kampen 1993, 110–111. 514 Vgl. SCHNEIDER, Apg, 457, Anm. 106. GAVENTA, Acts, 125, verweist auf Lk 1,10; 2,32; Apg 2,47; 13,17; 28,17.
6 Lektüre von Apg 7,17-19
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Dass 7,17 der Zusammenfassung einer von Gott verheißenen und ermöglichten Zeit des Wachstums und damit Entstehung des Volkes Israel (in Ägypten) dient, wird auch dadurch deutlich, dass mit der Formulierung hu;xhsen o` lao.j kai. evplhqu,nqh für die Apostelgeschichte charakteristische Wachstumsnotizen aufgegriffen werden. So wird zu Beginn der Stephanusepisode die Situation der Jerusalemer Gemeinde einleitend mit plhquno,ntwn tw/n maqhtw/n »als die Jünger an Zahl zunahmen« (Apg 6,1) beschrieben. Auch nach dem Konflikt um die Witwenversorgung und die Wahl der Sieben befindet sich die Jerusalemer Gemeinde laut Apg 6,7 in einer Wachstumssituation: kai. o` lo,goj tou/ qeou/ hu;xanen kai. evplhqu,neto o` avriqmo.j tw/n maqhtw/n evn VIerousalh.m sfo,dra »Und das Wort Gottes wuchs und die Zahl der Jünger in Jerusalem nahm überaus zu«. So wie dort auvxa,nw auf das Wort Gottes bezogen ist und unmittelbar mit dem Zahlreichwerden der Jünger verbunden ist, wird auch im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte immer wieder summarisch der Zusammenhang des kontinuierlichen Wachstums des Wortes Gottes mit dem Anwachsen der entstehenden Gemeinden festgehalten (Apg 9,31; 12,24; 19,31). Mit dieser Betonung der Wirksamkeit des Wortes Gottes – trotz vorheriger Konflikte – wird häufig zugleich der Übergang zu einer neuen Etappe der Erzählung des „Weges des Heils“ markiert.515
Aufgrund der analogen Formulierung in Apg 7,17 befinden sich sowohl das Volk Israel in Ägypten als auch die Jünger und die Jerusalemer Gemeinde – später auch die entstehenden Gemeinden – in einer vergleichbaren Situation des Wachstums, die mit Gottes Verheißungs-Wort zu tun hat (Apg 7,17: th/j evpaggeli,aj h-j w`molo,ghsen o` qeo,j; Apg 6,7: o` lo,goj tou/ qeou/ hu;xanen). Letztlich setzt sich das Wachstum des Volkes Israel in Ägypten, das die Abrahamsverheißung anfanghaft erfüllt, sogar in dem Wachstum des Wortes Gottes und der Jünger in Jerusalem fort,516 so dass die Kontinuität zu dieser Geschichte Israels und zu diesen Verheißungen deutlich wird. Da dieses ursprüngliche Wachstum in Ägypten verortet ist, zeigt sich erneut, dass Gottes Nähe und Zusagen auch außerhalb des verheißenen Landes wirksam sind. In struktureller Hinsicht stehen diese Wachstumsnotizen innerhalb der Apostelgeschichte – wie in Ex 1,7 – am Ende eines Erzähl- und damit Geschichtsabschnitts, den sie zusammenfassen. Somit dienen sie auch als Überleitung zu einer neuen Etappe.517 Dementsprechend kommt 7,17 eben515 Vgl. zu diesen summarischen Wachstumsnotizen auch die Ausführungen zu Apg 6,7. Dort finden sich auch Anmerkungen zu den Worten auvxa,nw und plhqu,nw. 516 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 318, 475. JERVELL, Apg, 236. Es lasse sich auch eine Verbindung zu Gal 4,4 erkennen, wonach in der „Fülle der Zeit“ in Jesus die endgültige Verheißung erfolgen soll. 517 Vgl. Apg 9,31; 12,24; 19,20. Vgl. FITZMYER, Acts, 374. ZMIJEWSKI, Apg, 318, 475.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
falls eine ähnliche Scharnierfunktion zu: Die Zeit des Stammes Jakobs mit der Volkwerdung in Ägypten – also die Erfüllung der positiven Verheißung – wird zusammengefasst und zugleich wird ein neuer Abschnitt eingeleitet. Dies zeigt sich in 7,18 besonders deutlich. Denn dort signalisieren eine Zeitangabe (a;cri ou-) und ein neues Subjekt (basileu.j e[teroj ÎevpV Ai;guptonÐ) das Ende dieser Wachstumsphase.518 Da der anonym als e[teroj bezeichnete König von Ägypten519 nur durch die Negativaussage o]j ouvk h;|dei to.n VIwsh,f näher beschrieben wird, entsteht der Eindruck, dieser »andere« König trage zur Beendigung des positiven Wachstums des Volkes bei. Hier wird nämlich ein Kontrast zu Apg 7,10 formuliert: Apg 7,10b e;dwken auvtw/| ca,rin kai. sofi,an evnanti,on Faraw. basile,wj Aivgu,ptou c kai. kate,sthsen auvto.n h`gou,menon evpV Ai;gupton … b »und er gab ihm Gnade und Weisheit vor Pharao, dem König von Ägypten c und er setzte ihn ein als Vorsteher über Ägypten ...« Apg 7,18
a;cri ou- avne,sth basileu.j e[teroj ÎevpV Ai;guptonÐ o]j ouvk h;|dei to.n VIwsh,fÅ »bis ein anderer König über Ägypten aufstand, der den Josef nicht kannte.«
Während der Pharao, König von Ägypten, laut Apg 7,10 Josefs besondere Begabung mit ca,rij und sofi,a wahrnimmt und Gott Josef durch den Pharao als Vorsteher über Ägypten einsetzt (kati,sthmi), steht nun ein »anderer« König über Ägypten auf (avni,sthmi), der im Gegensatz zum Pharao von 7,10 Josef – und folglich auch dessen besondere Begabung – nicht kennt.520 Wirkt sich die positive Beziehung zwischen dem Pharao und Josef laut 7,10-16 insgesamt lebenserhaltend auf Josef und seine Familie aus, so weckt die Unkenntnis in 7,18 die Erwartung einer negativen Entwick518
Nach FITZMYER, Acts, 375, handelt es sich bei a;cri ou- um eine elliptische Formulierung für a;cri tou, cro,nou h`w. Laut BDR § 216,3, wird a;cri ou- auch als uneigentliche Präposition für „bis“ verwendet. 519 FITZMYER, Acts, 37, merkt an, es könne sich evtl. um Seti I. (1308-1290 v. Chr.) handeln, also um die 19. Ägyptische Dynastie, die den Königsthron von Thebes in Oberägypten ins Nil Delta verlagert in der Hoffnung, die Kontrolle über West-Asien wiederzugewinnen. Auch sein Nachfolger Ramesses II. (1290-1224 v. Chr.), unter dem der Aufbau weitergeht, wäre denkbar. Solche historischen Annahmen über Datierung und Identifizierung dieses Königs bleiben allerdings hypothetisch und treten m.E.n. im Rahmen der biblischen Auslegung in den Hintergrund. 520 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 362.
6 Lektüre von Apg 7,17-19
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lung. Diese Überleitungsfunktion von 7,18 unter dem Vorzeichen des Kontrastes zwischen dem bisherigen (wachsenden) Zusammenleben der Jakobsnachkommenschaft in Ägypten und der Situation unter diesem »anderen« König bestätigt sich daran, dass hiermit wörtlich Ex 1,8521 wiedergegeben wird: Ex 1,8 avne,sth de. basileu.j e[teroj evpV Ai;gupton o]j ouvk h;|dei to.n Iwshf. »Es stand aber ein anderer König auf in Ägypten, der Joseph nicht kannte.« Diese Aussage im Anschluss an die Notiz vom Wachstum der Söhne Israels in Ägypten (Ex 1,7) dient im Kontext der Eröffnung des Buches Exodus (Ex 1,1-8)522 dazu, den neuen König mit dem Pharao zur Zeit Josefs zu kontrastieren.523 Da im Anschluss daran narrativ entfaltet wird, wie sich die Unkenntnis im Handeln dieses »anderen« Königs auswirkt, und so zur Knechtschaft Israels übergeleitet wird, kann Ex 1,8 als eine Art negative Überschrift zu dieser Etappe bezeichnet werden.
Ähnlich wie Ex 1,8 das Buch Exodus einleitet, indem es dieses mit dem Ende des Genesisbuches verwebt, leitet auch Apg 7,18 zu einer neuen Situation in Ägypten über, die von Anfang an negativ konnotiert ist. Dabei dienen Ägypten und die Gestalt des Josef als Scharnier. Zum einen wird durch die kontrastierende Darstellung der Herrscher – jeweils als »König von Ägypten« bezeichnet –, die für die Situation Israels mitverantwortlich sind, gezeigt, dass Leben im fremden Land sowohl positiv, als auch negativ sein kann.524 Zum anderen wird die Erfüllung der Verheißung Gottes eng an Josef geknüpft, denn die Verheißung von Nachkommenschaft realisiert sich in Ägypten zur Zeit des zum Vorsteher »eingesetzten« (kati,sthmi) Josef und endet ebenfalls in Ägypten zu einer Zeit der Unkenntnis525
521 Vgl. FITZMYER, Acts, 375. JERVELL, Apg, 236. ZMIJEWSKI, Apg, 318. BARRETT, Acts, 352. 522 Vgl. WEIMAR, PETER, Exodus 1,1-2,10 als Eröffnungskomposition des Exodusbuches, in: VERVENNE, MARC, Studies in the Book of Exodus. Redaction – Reception – Interpretation (BEThL 126), Leuven 1996, 179–208, hier 200. Dort findet sich eine detaillierte Untersuchung der Verwebtheit zwischen dem Ende des Genesisbuches und dem Anfang des Exodusbuches. 523 Vgl. JACOB, Exodus, 7. 524 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 362, Anm. 124. JESKA, Geschichte Israels, 165. 525 Vgl. FITZMYER, Acts, 375, sieht in dieser Unkenntnis über Josef einen Hinweis darauf, dass mit diesem »anderen« König eine beträchtliche Zeit nach Josef markiert werde. Denn in Codex D und einigen Handschriften finde sich die Leseweise evmnh,sqh statt h;|dei. Ähnlich JERVELL, Apg, 236.
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des Josef bei gleichzeitigem »Aufstehen« (avni,sthmi) eines »anderen« Königs.526 Apg 7,19 Entsprechend der Erwartung einer negativen Wende unter dem »anderen« König, berichtet 7,19, wie »dieser«527 mit dem Volk Israel umgeht: 7,19
ou-toj katasofisa,menoj to. ge,noj h`mw/n evka,kwsen tou.j pate,raj Îh`mw/nÐ tou/ poiei/n ta. bre,fh e;kqeta auvtw/n eivj to. mh. zw|ogonei/sqaiÅ
7,19
»Indem dieser mit List gegen unser Geschlecht vorging, misshandelte er unsere Väter, indem er sie zwang, ihre Säuglinge zu Ausgesetzten zu machen, damit sie nicht am Leben erhalten wurden.«
Zunächst wird das Handeln dieses Königs durch die allgemein gehaltene Formulierung in 7,19a als ein umfassend schlechtes Behandeln (kako,w) charakterisiert, das mit Hinterlist (katasofi,zomai)528 zusammenhängt. Indem die ‚Opfer‘ dieses Vorgehens als to. ge,noj h`mw/n und tou.j pate,raj Îh`mw/nÐ bezeichnet werden, entsteht nicht nur eine aktualisierende Verbindung zu den Hörern, einschließlich Redner (Stephanus), sondern auch zur Josefserzählung. Dort wird nämlich festgehalten, dass dem Pharao Josefs ge,noj529 (7,13b) bekannt wurde, und die Familie Jakobs bzw. Josefs wird in 7,11.12.15 mit oi` pate,rej h`mw/n umschrieben. Dadurch, dass also die ‚Opfer‘ der schlechten Behandlung unter dem »anderen« König mit der Familie Josefs einerseits identifiziert und mit den Zuhörern der Stephanusrede andererseits verknüpft werden, entsteht wieder der Eindruck der Kontinuität und bleibenden Relevanz der Geschichte Israels. Da mit kako,w auch in 7,6c die negative Verheißung der Knechtschaft der Nachkommen Abra526
Dass mit diesem »anderen« König eine negative Wende eintritt, legt auch die Verbindung zu den Gegnern des Stephanus nahe, die laut Apg 6,9 gegen ihn aufstehen (avni,sthmi) – wie der König über Ägypten in Apg 7,18 – und Stephanus’ Begabung mit ca,rij und sofi,a nicht anerkennen. 527 Durch den relativen Satzanschluss mit ou-toj wird dieser »andere« König betont als Subjekt an den Anfang des Satzes gestellt, so dass er deutlich als Initiator der schlechten Ereignisse erscheint. 528 Laut BARRETT, Acts, 352, ist katasofi,zomai ein spätes Wort, das in Ex 1,10 eines der ersten Vorkommen hat. Vgl. auch Jud 5,11; 10,19. Außerdem sei es ein Äquivalent zu katapanourghsa,menoj (Ps 82,4 LXX). Es ist ein neutestamentliches Hapaxlegomenon. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 459, Anm. 111. 529 ge,noj meint „Volk“ oder „Nation“. Es wird hier statt des sonst im lukanischen Doppelwerk geläufigen lao,j verwendet. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 313.
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hams (kakw,sousin e;th tetrako,sia) formuliert wird, deutet die erneute Verwendung dieses Verbs in 7,19 darauf hin, dass sich damit ebenfalls »die Zeit der Erfüllung der Verheißungen nähert«, wie 7,17a ankündigt.530 Durch die Stichworte to. ge,noj, katasofi,zomai und kako,w spielt 7,19 auf die Schilderung der schlechten Behandlung des Volkes Israel in Ägypten Ex 1,9-14 an. Nach der Feststellung des »anderen« Königs in Ägypten (Ex 1,8), das Volk Israel sei stark gewachsen (ivdou. to. ge,noj tw/n ui`w/n Israhl me,ga plh/qoj kai. ivscu,ei u`pe.r h`ma/j. »Seht, das Geschlecht der Israeliten ist eine große Menge und stärker als wir.« Ex 1,9), fordert dieser König in Ex 1,10 sein Volk (tw/| e;qnei) auf: deu/te ou=n katasofisw,meqa auvtou,j. »Wohlan, lasst uns mit List gegen sie vorgehen.« Motiviert ist dieser Befehl von der Angst, das Volk Israel könnte durch weiteres Zahlreichwerden zu große Macht in Ägypten bekommen (mh,pote plhqunqh/| kai, h`ni,ka a'n sumbh/| h`mi/n po,lemoj prosteqh,sontai kai. ou-toi pro.j tou.j u`penanti,ouj kai. evkpolemh,santej h`ma/j evxeleu,sontai evk th/j gh/j »damit es nicht noch zahlreicher wird und, wenn Krieg über uns kommt, auch sie sich unseren Feinden anschließen und uns bekriegen und aus dem Lande ausziehen«). Zwar wird hier der ägyptische König als Initiator für die hinterlistige, schlechte Behandlung des Volkes Israel dargestellt, aber zugleich werden die Ägypter durch die Aufforderung zur Mitwirkung zu Mitverantwortlichen. Dementsprechend sind die Ägypter in der Regel Subjekt bei der Schilderung der konkreten Unterdrückungsmaßnahmen (Ex 1,11-14), die zunächst in harter Arbeit beim Städtebau (Ex 1,11: kai. evp- e,sthsen auvtoi/j evpista,taj tw/n e;rgwn i[na kakw,swsin auvtou.j evn toi/j e;rgoij kai. wv|kodo,mhsan po,leij … »Und er setzte über sie Arbeitsaufseher ein, damit die sie durch die Arbeiten unterdrückten. Sie bauten feste Städte …«) besteht sowie generell in einem »Knechten« (Ex 1,14: … kata. pa,nta ta. e;rga w-n katedoulou/nto531 auvtou.j meta. bi,aj »bei allen Arbeiten, durch die sie sie mit Gewalt knechteten«).
In Apg 7,19a wird also der Grundplot dieses Exodustextes eingespielt, aber verkürzt auf das mit katasofi,zomai532 aus Ex 1,10 und kako,w533 aus Ex 530
Vgl. JERVELL, Apg, 236. Der Zeitraum der Erfüllung der Verheißung beginnt also mit der positiven Entwicklung Israels in Ägypten, setzt sich aber auch in den negativen Aussagen fort und scheint noch nicht abgeschlossen zu sein, wie schon in der Formulierung von 7,17a kaqw.j de. h;ggizen o` cro,noj th/j evpaggeli,aj angedeutet wird. 531 Diese Zusammenfassung der Unterdrückungsmaßnahmen mit katadoulo,w wird von der Formulierung der Verheißung der Knechtschaft in Apg 7,6-7 (douleu,w) eingespielt. 532 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 362 mit Anm. 128. katasofi,zomai sei ein Neologismus, der in der LXX neben Ex 1,10 nur noch in Jdt 5,11 (der Nacherzählung von Ex 1) und Jdt 10,19 verwendet werde. Das sei der Versuch, die Wurzel sof- beizubehalten und damit der hebräischen Formulierung ~kx nahe zu bleiben, die Bedeutung aber eindeutiger zu machen: „Es geht um die negativen Formen von Weisheit, um eine Weisheit als Klugheit, die sich gegen andere richtet.“ Es lege sich die Übersetzung „Hinterlist“ nahe, weil der Pharao keine andere Wahl hatte, als zuerst hinterlistig zu handeln,
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
1,11 benannte Unterdrückungsvorgehen, ohne explizit einen Grund534 dafür zu nennen und ohne Konkretisierungen dazu anzuführen. Dabei wird das Vorgehen des Pharao noch rigoroser dargestellt als in Ex 1,9-14.535 Er wird nämlich im Vergleich zum Exodusbericht zusätzlich belastet, indem die Aufforderung an die Ägypter, an der schlechten Behandlung mitzuwirken und die Umsetzung dieses Auftrags in Apg 7,19 fehlt und so der König von Ägypten also als allein Verantwortlicher vorgestellt wird.536 Nach dieser zusammenfassenden Notiz konkretisiert 7,19b an einem Beispiel, worin die hinterlistige, schlechte Behandlung durch den König von Ägypten besteht: tou/ poiei/n ta. bre,fh e;kqeta auvtw/n eivj to. mh. zw|ogonei/sqai. »indem er sie zwang, ihre Säuglinge zu Ausgesetzten zu machen, damit sie nicht am Leben erhalten wurden.«537 Da das Aussetzen der Säuglinge das Ziel hat, diese zu töten (eivj to. mh. zw|ogonei/sqai538), wird nicht nur die Grausamkeit des ägyptischen Königs illustriert, sondern es wird auch die lebensbedrohliche Gesamtlage des Volkes deutlich, denn der Tod der Säuglinge als Nachkommen Israels würde langfristig die Ausrottung des ganzen Volkes nach sich ziehen.539 So bestätigt sich der scharfe Kontrast, der sich schon bei der Einführung des »anderen« Königs (7,18) weil er keine Legitimation für einen Tötungsbefehl hatte. Zum hebräischen Begriff ~kx vgl. JACOB, Exodus, 8. 533 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 362 mit Anm. 126. kako,w werde auch in der Exoduserzählung als zusammenfassender Begriff für die Unterdrückungsmaßnahmen des Pharao verwendet (vgl. Ex 1,11; 5,22.23). 534 Zwar notiert Apg 7,17 das Wachstum des Volkes Israel in Ägypten, aber dieses wird in Apg 7,19 nicht ausdrücklich als Grund für Pharaos Vorgehen genannt. In Ex 1,914 dagegen wird das Wachstum des Volkes als Hintergrund für das Vorgehen immer wieder in Variationen notiert. 535 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 363. 536 Dass der König von Ägypten in Apg 7,19 als allein verantwortlich für die schlechte Behandlung des Volkes Israel dargestellt wird, zeigt sich auch im Vergleich zu Num 20,15: kai. evka,kwsan h`ma/j oi` Aivgu,ptioi kai. tou.j pate,raj h`mw/n »und die Ägypter uns und unsere Väter schelcht behandelten«. Im Unterschied zu Apg 7,19a sind in dieser zusammenfassenden Erinnerung an die Unterdrückung in Ägypten nämlich oi` Aivgu,ptioi Subjekt. Da als Opfer h`mei/j und oi` pate,rej h`mw/n genannt werden, entsteht eine Aktualisierung für die Hörer, der Apg 7,19a ähnelt. Indem die Fortsetzung in Num 20,16 berichtet, dass Gott auf das Rufen Israels hin sein Volk aus Ägypten herausführt, wird sofort an Gottes Rettungshandeln erinnert. Dieser Zusammenhang wird in Apg 7,19 allerdings noch nicht hergestellt. 537 Der substantivierte Infinitiv im Genitiv ist hier als eine Art epexegetischer Infinitiv zu verstehen und mit „so dass er machte“ oder „indem er machte“ zu übersetzen. Vgl. BDR § 394; 400,8. BARRETT, Acts, 353. 538 zw|ogone,w heißt wörtlich ‚lebendig machen‘, hier aber wohl ‚am Leben erhalten‘, wie auch häufig in der LXX, z.B. Ex 1,18.22 und auch Lk 17,33. Vgl. SCHILLE, Apg, 182. SCHNEIDER, Apg, 458, Anm. 115. 539 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 319. JERVELL, Apg, 236.
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ankündigt: Während das Volk unter dem Pharao zur Zeit Josefs verheißungsgemäß wächst (7,5-6.17), soll es nun vernichtet werden.540 Nachdem Apg 7,17-19a schon Ex 1,8-14 als Subtext eingespielt hat, wird dem Grundplot der Exoduserzählung folgend mit dem Verb zw|ogone,w in Apg 7,19b eine Anspielung auf Ex 1,15-22 signalisiert. So berichtet Ex 1,17, dass die Hebammen der Hebräer den Befehl des Königs von Ägypten, bei der Geburt alle männlichen Kinder der Hebräerinnen zu töten (Ex 1,15-16), aus Gottesfurcht nicht ausführen: evfobh,qhsan de. ai` mai/ai to.n qeo.n kai. ouvk evpoi,hsan kaqo,ti sune,taxen auvtai/j o` basileu.j Aivgu,ptou kai. evzwogo,noun ta. a;rsena. »Die Hebammen aber fürchteten Gott, und sie taten nicht, wie ihnen der König von Ägypten befohlen hatte, und sie ließen die männlichen (Kinder) am Leben.« Dass der Plan des Pharao durch Gottes Mitwirken scheitert,541 betont noch einmal Ex 1,20 mit dem Hinweis auf die Begünstigung der Hebammen durch Gott und das weiterhin starke Wachstum des Volkes (kai. evplh,qunen o` lao.j kai. i;scuen sfo,dra). Daraufhin mobilisiert der Pharao sein ganzes Volk (o` lao.j auvtou/), d.h. die Ägypter, zur Ausführung eines neuen Tötungsplans: pa/n a;rsen o] eva.n tecqh/| toi/j Ebrai,oij eivj to.n potamo.n r`i,yate kai. pa/n qh/lu zwogonei/te auvto,. »Pharao aber befahl seinem ganzen Volk: Jedes Männliche, das den Hebräern geboren wird, werft in den Fluss. Und jedes Weibliche – lasst es am Leben« (Ex 1,22). Auch hier wird wieder zwischen den männlichen und weiblichen Kindern der Hebräer unterschieden und mit zw|ogone,w der Kontrast zur eigentlichen Tötungsabsicht des Pharao ausgedrückt.
Im Vergleich zu dieser anschaulichen Erzählung setzt die kurze zusammenfassende Notiz in Apg 7,19b eigene Akzente. Da der Kindermord nicht als Auftrag an die Hebammen bzw. die Ägypter dargestellt wird, diese exekutiven Zwischenglieder also fehlen, wird die unmittelbare Hauptverantwortung des Königs von Ägypten unterstrichen. Signifikant ist auch die umgekehrte Verwendung des Verbs zw|ogone,w. Drückt Apg 7,19b damit in verneinter Form die Tötungsabsicht aus, so steht es in Ex 1,15-22 positiv dafür, dass die Hebammen den Befehl zur Tötung der Jungen nicht ausführen, sondern sie »am Leben lassen« (Ex 1,17.18). Da in Apg 7,19b eine solche Unterlassung fehlt, bekommt der Kindermord hier stärkeres Gewicht und wirkt umfassender als in der Exoduserzählung. Unterstrichen wird dies durch die Wortwahl ta. bre,fh, was die Gesamtheit der »Säuglin-
540 Da es hier laut Apg 7,17 um die Zeit der Erfüllung der Verheißung Gottes an Abraham geht und Gott dabei Knechtschaft, aber auch Befreiung daraus durch sein Gericht ankündigt (7,6-7), kann der Leser allerdings mit einer positiven Wende rechnen. 541 Vgl. WEIMAR, Exodus, 194. Das Handeln des Pharao stehe auch in Ex 2,5-10 unter dem Vorzeichen des Scheiterns, das durch das Handeln Gottes zustande kommt.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
ge« meint,542 während Ex 1,15-22 zwischen Jungen (a;rsen) und Mädchen (qh/luj) unterscheidet und durchgehend nur die Jungen töten lassen will. Außerdem wird der allgemeine Charakter des Vorgehens zusätzlich dadurch verstärkt, dass als Tötungsmaßnahme generell das Aussetzen der Säuglinge genannt wird (tou/ poiei/n ta. bre,fh e;kqeta) – ohne beispielsweise konkret das Werfen in den Nil zu erwähnen (Ex 1,22) und ohne zwischen Mädchen und Jungen zu unterscheiden –, sowie dadurch, dass keine Rede vom Scheitern der Tötungsabsicht ist.543 Mit dieser Skizze einer lebensbedrohlichen Situation wird nicht nur festgehalten, inwiefern sich die negativen Verheißungen Gottes an Abraham erfüllen (7,6-7.17), sondern auch auf die Erzählung der Mosegeschichte vorbereitet. Das Verb (evk-)ti,qhmi als Ausdruck für das Aussetzen der Säuglinge in 7,19b (tou/ poiei/n ta. bre,fh e;kqeta auvtw/n) findet sich in der Exoduserzählung nämlich nur zur Formulierung von Moses Aussetzen am Fluss: kai. e;qhken auvth.n eivj to. e[loj para. to.n potamo,n »und [seine Mutter] setzte ihn in das Seitengewässer beim Fluss« (Ex 2,3).544 6.3 Fazit Die kleine Einheit 7,17-19 nimmt in verschiedener Hinsicht eine Schwellenfunktion ein, wie bereits die überschriftartige Formulierung »Zeit der Erfüllung der Verheißung Gottes an Abraham« signalisiert. Mit dieser ausdrücklichen Rückbindung an die in 7,2-8 erzählte Abrahamsgeschichte als Ideal-Anfang der Geschichte Israel, besonders an die Verheißungen in 7,57, werden Struktur und Inhalt des Folgenden vorgegeben. Der erste Inhalt der Erfüllung der Verheißung, der im Wachstum des Volkes in Ägypten besteht, betont – besonders durch die Referenz auf Ex 1,7 –, dass aus dem Stamm Jakobs das Volk Israel geworden ist. Damit wird also im unmittelbaren Anschluss an die in 7,9-16 referierte Josefsgeschichte die Erfüllung der Verheißung von Nachkommenschaft für Abraham, die 7,5b.6b implizit formuliert, berichtet. Nach dieser Notiz von der Erfüllung der positiven Verheißung (7,5b.6b) in 7,17 markiert 7,18 die Schwelle zur Erfüllung der negativen Verheißun542
Vgl. FITZMYER, Acts, 375. Auch die Einschränkung auf die Töchter und Söhne der Hebräer (o] eva.n tecqh/| toi/j Ebrai,oij) fehlt in Apg 7,19b – ebenso wie im hebräischen Text. 543 Insofern das Scheitern des Pharao mit dem Handeln Gottes bzw. der Gottesfurcht der Hebammen einhergeht, dieser Kontrast in Apg 7,19 aber fehlt, wird der Eindruck der negativen Macht des Königs von Ägypten verstärkt, da er keinen Gegenspieler hat. Vgl. WEIMAR, Exodus, 200–202. 544 Das Aussetzen von Mose wird auch in Apg 7,21 mit evkti,qhmi formuliert. Vgl. auch SCHNEIDER, Apg, 458, Anm. 114. evkti,qhmi finde sich im Neuen Testament sonst nur noch in Apg 11,4; 18,26; 28,23, allerdings in übertragener Bedeutung im Sinne von „auseinandersetzen“.
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gen. In Aufnahme von Ex 1,8 wird nämlich der »andere« König über Ägypten als Kontrast zum Pharao der Zeit Josefs (7,10) eingeführt, wodurch das Ende der positiven Wachstumsphase angekündigt wird. Auch in der Ortsangabe Ägypten realisiert sich die Schwellenfunktion dieses Abschnitts, indem Ägypten ambivalent dargestellt wird: in 7,17 als Ort des Wachstums des entstehenden Volkes, ab 7,18 als Ort der Unterdrückung des Volkes. Erwartungsgemäß notiert 7,19a durch Anspielungen auf Ex 1,9-14 mit der »schlechten Behandlung« (kako,w) »unseres Stammes« und »unserer Väter« durch diesen »anderen« König die Erfüllung der negativen Verheißungen (kako,w) von 7,6b-7a. Diese konkretisiert sich im lebensbedrohlichen Vorgehen des Königs von Ägypten gegen die Säuglinge »unserer Väter« (7,19b). Dabei werden gegenüber dem Subtext Ex 1,15-22 die Verantwortlichkeit des Pharao und der starke Gegensatz zum bisherigen Wachstum des Volkes Israel akzentuiert. Gleichzeitig dient diese Aussage über den Kindermord als Überleitung, denn hier wird implizit durch die Verknüpfung mit Ex 2,3 über das Verb (evk-)ti,qhmi zur Mosegeschichte hingeführt. Gestaltet wird 7,17-19 als Schwelle zwischen verschiedenen Geschichtsabschnitten zum einen durch Verknüpfungen innerhalb der Stephanusepisode, zum anderen durch intertextuelle Referenzen auf Exodustexte. So spiegelt sich in diesem kurzen Abschnitt die Struktur der unmittelbaren Abfolge der positiven und negativen Verheißungen von 7,57 wider. Dabei kann inhaltlich sogar eine Art wechselseitige Ergänzung zwischen 7,5-7 und 7,17-19 beobachtet werden: Die Wachstumsnotiz in 7,17 ergänzt implizit die in 7,5-7 fehlende Verheißung von Nachkommenschaft und die häufige Ortsangabe Ägypten konkretisiert das »fremde Land«, das 7,6-7 als Unterdrückerland nennt. Umgekehrt antizipieren die Verheißungen von 7,6-7 die Dynamik, die 7,17-19 skizziert. Da 7,19 mit der Erfüllung der negativen Verheißungen endet, steht die Erfüllung der Verheißungen der Wende durch das Gericht Gottes und deren Folgen (7,7b-d) noch aus. Deutlich wird 7,17-19 auch durch intertextuelle Referenzen auf Passagen aus der Einleitung des Buches Exodus Ex 1,7-22(2,3),545 der ebenfalls Schwellenfunktion zukommt, gestaltet. Indem 7,17-19 die dort zum Teil lebendig ausgestalteten Erzählungen auf wenige Worte verkürzt, werden die Kontraste zwischen der lebensfördernden Wachstumssituation und der lebensbedrohenden Knechtschaft, also auch zwischen der positiven und
545
Schon Apg 7,15 spielt auf Ex 1,6 an; dann Apg 7,17 auf Ex 1,7; Apg 7,18 auf Ex 1,8 und Apg 7,19 auf Ex 1,10.11; 2,3.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
negativen Verheißung akzentuiert. Außerdem wird durch diese Komprimierung ein unbestimmt langer Zeitraum kurz umrissen, wodurch die enge Verbindung der einzelnen Geschichtsabschnitte und -ereignisse umso deutlicher hervortritt. Darüber hinaus wird den Inhalten der Exoduserzählungen durch diese Verkürzungen tendenziell ein genereller Charakter gegeben, wie sich z.B. an der Notiz vom Kindermord (7,19; Ex 1,15-22) zeigt. Die in 7,17-19 skizzierte Zeit der Erfüllung der Verheißungen Gottes an Abraham präsentiert sich auch als Schwelle zu den Zuhörern der Rede und zu Stephanus selbst. Aufgrund der ähnlichen Formulierung der Wachstumsnotizen in 7,17 und in 6,1.7 wird die Jerusalemer Gemeinde in Kontinuität zum Wachstum des Volkes Israel gestellt. Aber auch die Verbindung der negativen Verheißungen zu den Zuhörern wird betont, indem 7,19 von der schlechten Behandlung »unseres Geschlechts« (to. ge,noj h`mw/n) und »unserer Väter« (oi` pate,rej h`mw/n) spricht. Dadurch erhält die hier erzählte Verheißungsgeschichte bleibende Relevanz für die Adressaten der Rede.
7 Lektüre von Apg 7,20-43 7.1 Strukturanalyse Innerhalb der »Zeit der Erfüllung der Verheißung Gottes« (kaqw.j de. h;ggizen o` cro,noj th/j evpaggeli,aj 7,17a)546 eröffnet die Notiz von Moses Geburt in 7,20a einen neuen Abschnitt, der durch die relative Zeitangabe evn w-| kairw/| evgennh,qh eng mit der in 7,19 geschilderten Situation verknüpft ist.547 Die Erzählung der Mosegeschichte beginnt mit einem biographieartigen Überblick über Moses Kindheit und Jugend (7,20b-22). Demzufolge wird Mose nach einem drei Monate langen Aufenthalt in seinem Vaterhaus (7,20b) ausgesetzt (ähnlich 7,19), daraufhin von der Tochter des Pharao aufgenommen und erzogen (7,21). Abschließend notiert 7,22 besondere Befähigungen von Mose. Der zweite Abschnitt der Mosegeschichte, der in 7,23 mit der absoluten Zeitangabe w`j de. evplhrou/to auvtw/| tesserakontaeth.j cro,noj eingeleitet 546
Häufig wird 7,20-43 als ‚Mosegeschichte‘ betrachtet, die durch Zeitangaben in 7.23.30.36 rhythmisiert werde. Vgl. FITZMYER, Acts, 366. JERVELL, Apg, 237 mit Anm. 696. ZMIJEWSKI, Apg, 308. Dennoch wird sich zeigen, dass diese Rhythmisierung an manchen Stellen nicht als einziges Strukturmerkmal ausreicht, wie z.B. in 7,36. 547 Versteht man 7,17 als Überschrift über die folgenden Ausführungen, unter der sich auch 7,20 einordnen lässt, kann man ausgehend von den Verheißungen in 7,6-7 die Mosegeschichte folgendermaßen gliedern: 7,20-34 schildert die Erfüllung der Unterdrückung in einem fremden Land (7,6), wobei in 7,34 die Wende hin zur Befreiung (7,7) angekündigt wird. Diese realisiert sich dann ab 7,35 durch Mose. Die Verheißung des Gottesdienstes (7,7d) steht allerdings noch aus, denn bisher wird nur das Gegenteil davon, ‚Götzendienst‘, praktiziert.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
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wird, legt Moses Rolle in zwei Konfliktsituationen dar: In der ersten Szene versucht Mose, einem Israeliten, der von einem Ägypter Unrecht erfährt, Recht zu verschaffen, indem er den Ägypter erschlägt (7,23-24). Nach einem Kommentar über dieses Ereignis (7,25) erzählt 7,26-28 einen Streit zwischen Israeliten, in dem Mose versucht Frieden zu stiften und dabei auf Ablehnung vom Unrechttäter stößt. Als Reaktion darauf notiert 7,29 kurz Moses Flucht und seinen Aufenthalt im fremden Midian. Damit wird die Darstellung der Episoden des vierzigjährigen Mose in Ägypten (7,23-28) abgeschlossen und zugleich der Übergang zu einem neuen Abschnitt der Mosegeschichte bereitet, der 7,30-34 umfasst. Nach der Einleitung mit der erneuten Zeitangabe kai. plhrwqe,ntwn evtw/n tessera,konta (7,30) wird hier die Erscheinung eines Engels vor Mose in einem brennenden Dornbusch in der Wüste am Berg Sinai und Moses Verwunderung darüber geschildert (7,31). Im Rahmen dieser Erscheinung gibt 7,32a eine Selbstoffenbarung Gottes in Form von direkter Rede wieder, auf die Mose mit Ehrfurcht reagiert (7,32b). 7,33-34 enthält eine weitere Gottesrede, in der Gottes Befreiungsabsicht für sein Volk und Moses Sendung nach Ägypten formuliert werden. Die emphatische Wendung tou/ton to.n Mwu?sh/n in 7,35 signalisiert den Beginn eines neuen Abschnitts, der in verändertem Redestil präsentiert wird. So erfolgt zunächst in 7,35 eine Reflexion der Mosegeschichte und eine Vorbereitung auf ihre Fortsetzung, in der die exemplarische Ablehnung von Mose (7,27-28) und der Sendungsauftrag Gottes (7,34) in Form eines Kontrastschemas einander gegenübergestellt werden. In Anknüpfung an 7,35 stellen 7,36-38 anaphorisch mit dem jeweils vorangestellten ou-toj hymnusartig548 die Umsetzung von Moses Heilsmittlerschaft vor: 7,36 berichtet summarisch vom Herausführen des Volkes Israel aus Ägypten durch Mose bis hin zur vierzigjährigen Wüstenwanderung, 7,37 charakterisiert Mose als prototypischen Propheten und 7,38 skizziert anhand der Gesetzesgabe Mose als prophetischen Heilsmittler.549 Im Gegensatz dazu – signalisiert durch das vorangestellte ouvk – schildert 7,39 den Ungehorsam »unserer Väter« (oi` pate,rej h`mw/n) gegenüber dem als Mittler vorgestellten Mose, analog zur Reflexion in 7,35. Konkretisiert wird diese Abwendung »unserer Väter« von Mose und damit zugleich vom Gesetz und von Gott in 7,40-41 anhand ihrer Forderung nach Göttern und der Verehrung des goldenen Kalbes.550 548
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 323. JERVELL, Apg, 239. Zusammengehalten werden Apg 7,36-38 hauptsächlich durch ihren einheitlichen Redestil. Inhaltlich führt dagegen jeder Vers ein eigenes Ereignis aus Moses Leben an und weist auf dessen Funktion als Heilsmittler und Prophet hin. 550 Dabei zeigt sich eine Schwerpunktverlagerung: Zuerst wird hauptsächlich die Ablehnung Moses fokussiert (7,39-40), dann aber daran anknüpfend (7,40) die Abwendung von Gott durch das Übertreten von Bilder- und Götzendienstverbot. 549
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Nach dem Bericht über Gottes Reaktion darauf (7,42a)551 interpretiert das Prophetenwort in 7,42b-43 abschließend die Wüstenzeit als Ablehnung Gottes und formuliert eine Strafankündigung. Zur Strukturierung des Redeabschnitts 7,20-43552 tragen verschiedene Elemente bei: 7,20-34 gliedert sich nach einem biographischen Schema in Perioden von jeweils vierzig Jahren. Zwar wird diese Zeitangabe auch in 7,36 noch einmal aufgenommen, muss hier jedoch nicht als Gliederungssignal verstanden werden, da sich 7,36 in den hymnusartigen Redestil einfügt, der 7,35-38 miteinander verbindet und dort als Strukturhinweis anzusehen ist. Die Grobstruktur von 7,35-43 leitet sich vom Kontrastschema ab, das 7,35 vorgibt. Der Umschwung von der Präsention des Mose als Heilsmittler zur Abwendung »unserer Väter« erfolgt in 7,39. Daran schließt sich Gottes Reaktion in 7,42a an. Die Dynamik zwischen der Abwendung Israels und der Reaktion Gottes darauf spiegelt sich wiederum im Prophetenwort in 7,42b-43.553 Der Redeabschnitt 7,20-43 zeigt also folgende Gliederung:
551 Ein Einschnitt ist hier aufgrund des erneuten Subjektwechsels und des adversativen de, zu sehen. 552 Häufig wird 7,44 ebenfalls zur ‚Mosegeschichte‘ gerechnet, insofern hier auf die Errichtung des Begegnungszeltes durch Mose (Ex 25,40) rekurriert wird. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 309. KLIESCH, Credo, 118 u.a. Vgl. auch Strukturanalyse zu Apg 7,44-50. 553 Die Schwierigkeit, 7,35-43 in sich eindeutig zu gliedern, ergibt sich daraus, dass manche Elemente, die als Gliederungssignale verstanden werden könnten, durchgehend oder nach Unterbrechung wieder zu finden sind. Beispielsweise könnte man den hymnischen Stil von 7,35-38 auch implizit in 7,39 (das emphatische w-| kann als Fortsetzung der Anaphora von 7,35-38 gelesen werden) und 7,40 (o` ga.r Mwu?sh/j ou-toj), allerdings pervertiert zur Betonung der Ablehnung wieder finden, so dass erst in 7,41 ein neuer Abschnitt beginnen würde. Für diese Gliederung würde auch das inhaltliche Argument sprechen, dass ab 7,41 nicht mehr die Ablehnung Moses, sondern die Übertretung des Bilderund Götzendienstverbots thematisiert wird. Da die Verwobenheit von beidem aber schon in 7,39 angedeutet ist, und 7,40 dem Erzählduktus von Ex 32 folgend eng mit 7,41 verbunden ist, wird in dieser Arbeit ein Einschnitt nach 7,38 favorisiert.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
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7,20-22 Biographieartiger Überblick über Moses Kindheit und Jugendzeit 7,20a-b Geburtsnotiz 7,20c Die ersten drei Monate im Vaterhaus 7,21 Aussetzen des Mose und Aufnahme durch die Tochter des Pharao 7,22 Moses besondere Befähigungen 7,23-29 Moses Funktion in Konfliktsituationen 7,23-24 Mose verschafft einem Israeliten Recht 7,25 Kommentar: Mose als Heilsmittler Gottes 7,26-29 Moses Versuch, zwischen Israeliten Frieden zu stiften 7,26 7,27-28 7,29
Moses Friedensappell Ablehnung des Mose durch einen Israeliten Moses Reaktion: Flucht und Aufenthalt in Midian
7,30-34 Erscheinung Gottes vor Mose 7,30-31 Erscheinung eines Engels in der Wüste des Berges Sinai 7,31
7,32a
Moses Verwunderung
Gottes Selbstoffenbarung 7,32b
Moses Ehrfurcht
7,33-34 Gottesrede an Mose 7,33 7,34a-b 7,34c 7,34d
Aufforderung an Mose, seine Schuhe auszuziehen Wahrnehmung des unterdrückten Israel Gottes Befreiungsabsicht Sendung von Mose
7,35-43 Mose als Heilsmittler Gottes und dessen Ablehnung 7,35 Reflexion: Ablehnung von Mose als Heilsmittler Gottes (Überschrift) 7,36-38 Mose als Heilsmittler und Prophet Gottes 7,36 7,37 7,38
Mose als Anführer und Wundertäter beim Exodus Mose als prototypischer Prophet Mose als Empfänger des Gesetzes als lebendige Worte
7,39-41 Abwendung »unserer Väter« von Mose und Gott 7,39 7,40-41
Ungehorsame Abwendung von Mose Götzendienst als Form der Abwendung von Gott
7,42-43 Strafende Konsequenz Gottes 7,42a-b Konsequente Abwendung Gottes 7,42c-43 Interpretierendes Prophetenwort
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
250 7.2 Lektüre
7.2.1 Apg 7,20-22 20a b c 21a b 22a b
VEn w-| kairw/| evgennh,qh Mwu?sh/j kai. h=n avstei/oj tw/| qew/|\ o]j avnetra,fh mh/naj trei/j evn tw/| oi;kw| tou/ patro,j( evkteqe,ntoj de. auvtou/ avnei,lato auvto.n h` quga,thr Faraw. kai. avneqre,yato auvto.n e`auth/| eivj ui`o,nÅ kai. evpaideu,qh Mwu?sh/j ÎevnÐ pa,sh| sofi,a| Aivgupti,wn( h=n de. dunato.j evn lo,goij kai. e;rgoij auvtou/Å
20a b c 21a
»In dieser Zeit wurde Mose geboren und er war wohlgefällig für Gott; der wurde aufgezogen drei Monate lang im Haus des Vaters, und nachdem er ausgesetzt worden war, nahm ihn die Tochter Pharaos auf und erzog ihn (für) sich als Sohn. Und Mose wurde erzogen in der ganzen Weisheit der Ägypter, und er war mächtig in seinen Worten und Taten.«
b 22a b
Die relative Zeitangabe evn w-| kairw/|554 knüpft an der hinterlistigen, schlechten Behandlung »unserer Väter«, speziell am Kindermord, durch den »anderen« König von Ägypten (7,19) an und markiert innerhalb dieser Situation ein neues Ereignis: die Geburt des Mose. Aufgrund des unmittelbaren Anschlusses an 7,19 steht die Zeit der Geburt des Mose zunächst unter dem tödlichen Vorzeichen, dass die Säuglinge ausgesetzt werden. kairo,j kann aber auch auf die Zeitangabe kaqw.j de. h;ggizen o` cro,noj th/j evpaggeli,aj (7,17) zurückverweisen, so dass die Geburt des Mose ebenfalls ein Ereignis innerhalb der »Zeit der Erfüllung der Verheißung« darstellt.555 Inwiefern Moses Geburt zu dieser Verheißungszeit gehört, deutet sich auch in der allerersten Beschreibung dieses Moses an: kai. h=n avstei/oj tw/| qew/|556 »und er war wohlgefällig für Gott«. Damit wird der lebensbedrohli554 Vgl. SCHNEIDER, Apg, 458, Anm. 116. Er beobachtet, dass im lukanischen Doppelwerk evn w-| kairw/| sonst fehlt. kairo,j kann sowohl einen Zeitpunkt bezeichnen als auch einen Zeitabschnitt. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 800. 555 Vgl. LARKIN, Acts, 111. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 364. 556 Vgl. BDR § 192. tw/| qew/| ist ein Dativ der Person, die urteilt, und stellt hier einen Hebraismus dar, der die hebräische Steigerungsweise nachahmt; analog dazu vgl. Jona 3,3; 2 Kor 10,4. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 459, Anm. 119. BARRETT, Acts, 353–354. Das Adjektiv avstei/oj habe verschiedene Bedeutungen und ersetze in Ex 2,2 LXX das hebräische bAj. Laut CONZELMANN, Apg, 53. ZMIJEWSKI, Apg, 319 u.a., ist avstei/oj eine Eigenschaft des qei/oj avnh,r. Sonst ist avstei/oj innerhalb des Neuen Testaments nur in Hebr 11,23 zu finden. GAVENTA, Acts, 125, verweist auch auf Analogien zu lukanischen Kommentaren über Wachstum und Begabung Jesu Lk 2,40.52.
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chen Situation von 7,19 die grundsätzliche557 Zuneigung Gottes zu diesem neugeborenen Mose entgegengestellt, ähnlich wie in der Darstellung des Josef (7,9), dem angesichts seiner Unheilssituation eine grundlegende Gottesnähe zugeschrieben wird (kai. h=n o` qeo.j metV auvtou/), die nicht nur für Josef, sondern auch für das entstehende Volk Israel positive Auswirkungen hat.558 Insofern 7,20b ähnlich kategorisch Moses Begünstigung durch Gott festhält, liegt auch hier ein Hinweis auf dementsprechende Folgen für Mose und für dasVolkes Israel.559 Nach dieser besonderen Einführung des Mose berichtet 7,20c zunächst etwas für Neugeborene Selbstverständliches: Mose wird (leiblich) großgezogen (o]j avnetra,fh),560 und zwar in seinem Vaterhaus. Ungewöhnlich dabei ist allerdings die kurze Dauer von nur drei Monaten (mh/naj trei/j), die damit zusammenhängt, dass Mose laut 7,21a wie alle israelitische Säuglinge (7,19b) ausgesetzt wird (evkqi,temai).561 Diese kurze Vorstellung des Mose in 7,20 zeigt deutliche Stichwortverknüpfungen zur Schilderung der Geburt und der ersten drei Lebensmonate des Mose in Ex 2,1-3. Ex 2,2 berichtet von einer Tochter Levis: evn gastri. e;laben kai. e;teken a;rsen ivdo,ntej de. auvto. avstei/on evske,pasan auvto. mh/naj trei/j. »Und sie wurde schwanger und gebar einen Knaben. Als sie aber sahen, dass er wohlgestaltet war, verbargen sie ihn drei Monate lang.« Da Ex 2,1 einleitend die Eltern dem Stamm Levi zuordnet, ist die erste und damit hervorgehobene Information über dieses neugeborene Kind seine rein levitische Abstammung. Weiterhin wird das Kind als ein Junge (a;rshn) vorgestellt und durch die Mutter als avstei/oj bewertet. Damit hängt unmittelbar zusammen,562 dass ›sie‹ (wohl die Eltern) den Jungen vor dem Hintergrund des Kindermordes von Ex 1,15-22 drei Monate (schützend) verbergen (skepa,zw563), wie auch die Fortsetzung Ex 2,3 bestätigt.
557
Durch das Imperfekt h=n wirkt dies wie eine kategorische Aussage. So wird ausgedrückt, dass es sich um eine andauernde und umfassende Eigenschaft handelt. 558 Vgl. die Ausführungen zu Apg 7,9-16. 559 Ähnlich sieht ZMIJEWSKI, Apg, 319, schon im Namen ‚Mose‘ einen „hoffnungsvollen Kontrast zu der düsteren Situationsschilderung“ von 7,19. Vgl. auch FITZMYER, Acts, 375. JERVELL, Apg, 319. 560 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 124. LIDDELL/SCOTT, Greek-English Lexicon, 124. 561 Vgl. FITZMYER, Acts, 376. Dies sei die Zeitspanne, die ein Neugeborener verborgen werden konnte. 562 Dieser unmittelbare Zusammenhang wird durch die partizipiale Konstruktion verdeutlicht. 563 BARRETT, Acts, 354, erklärt, im Unterschied dazu meine avnatre,fomai eher die körperliche, geistige und spirituelle Ernährung. Der Plural in Ex 2,2-3 beziehe sich wohl auf die Eltern, selbst wenn die 3. Person Plural auch unpersönlich als Äquivalent des Passivs verwendet werden könne.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Demgegenüber setzt Apg 7,20 folgende andere Akzente: Während in Ex 2,2 die Rolle der levitischen Eltern, speziell der Mutter, und folglich auch die levitische Abstammung des Mose betont wird, werden die Eltern des Mose in Apg 7,20 nicht einmal erwähnt, denn von Geburt (evgennh,qh) und Großziehen (avnetra,fh) des Mose wird nur im Passiv berichtet.564 Statt seine (levitische) Herkunft aufzuzeigen, wird Mose vielmehr sofort namentlich genannt565 und als avstei/oj tw/| qew/| charakterisiert. Dass Moses besonderer Gottesbezug hervorgehoben wird, verdeutlicht sich ebenfalls am Vergleich mit Ex 2,2. Dort ist es nämlich die Mutter, die den Jungen als avstei/oj beurteilt, während sein Gottesbezug höchstens indirekt mit diesem Adjektiv ausgesagt wird. Weiterhin erfolgt durch die unterschiedliche Verwendung der Zeitangabe mh/naj trei/j eine Akzentsetzung. In Ex 2,2 geben die drei Monate die Zeit an, in der die Eltern den Jungen zum Schutz verbergen, wodurch die gefährliche Situation des Kindermordes (Ex 1,15-22) eingespielt wird. In Apg 7,20 dagegen bezeichnen die drei Monate die Zeit, in der Mose im Vaterhaus groß gezogen wird, während von einem schützenden Verbergen nicht die Rede ist, obwohl 7,19 ebenfalls den Kindermord erwähnt. So wird insbesondere durch die Veränderungen gegenüber dem eingespielten Exodustext das Interesse deutlich, Mose als eine von Gott besonders qualifizierte Gestalt einzuführen, dessen Geschichte im Rahmen der Zeit der Erfüllung der Verheißung von entscheidender Bedeutung ist. Von diesem Interesse ist auch die Fortsetzung des biographieartigen Überblicks über Moses Kindheit und Jugend geprägt: 7,21a notiert nur kurz mit der partizipialen Wendung evkteqe,ntoj de. auvtou/, dass Mose zwar dasselbe Schicksal trifft wie alle Säuglinge unter dem König von Ägypten (7,19), berichtet aber sofort, dass ihn die Tochter des Pharao aufnimmt: avnei,lato auvto.n h` quga,thr Faraw,. Die Betonung dieser positiven Wende wird schon durch den Satzbau ausgedrückt, denn mit dem Verb avnaire,w wird die rettende Handlung noch vor der Tochter des Pharao als Subjekt dieser Tat genannt. Die Tochter des Pharao stellt also auffälligerweise eine Kontrastfigur zu dem König von Ägypten (7,18-19),566 der ihr Vater ist, wie die Formulierung h` quga,thr Faraw, impliziert, dar.567 564
Der einzige Hinweis auf die Eltern liegt im Vaterhaus als Moses Aufenthaltsort in den ersten drei Lebensmonaten. 565 Anders in Ex 2,2-10. Dort wird dem »Jungen« erst von der Tochter des Pharao der Name »Mose« gegeben (Ex 2,10). 566 Zu thematisch bedeutsamen Strukturlinien besonders der Gegensätzlichkeiten innerhalb von Ex 1,1-2,10 vgl. WEIMAR, Exodus, 194–195. 567 In der Bezeichnung h` quga,thr Faraw, wird an den positiv konnotierten Pharao, König von Ägypten (Faraw. basileu,j Aivgu,ptou) zur Zeit des Josef erinnert (7,10) und damit ein Kontrast zu dem König von 7,19 angedeutet. Um den Bezug zu diesem König
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Die Bedeutung von Moses Aufnahme durch die Tochter des Pharao wird in 7,21b illustriert: kai. avneqre,yato auvto.n e`auth/| eivj ui`o,n. »und erzog ihn (für) sich als Sohn.« Da mit avnatre,fomai auch Moses erste drei Lebensmonate im Vaterhaus inhaltlich beschrieben werden, entsteht der Eindruck, die Tochter des Pharao setze dieses Geschehen fort.568 Die Ähnlichkeit ihres Handelns mit dem von Eltern veranschaulicht auch der Zusatz e`auth/| eivj ui`o,n,569 der das Verhältnis zwischen der Pharaotocher und Mose als das zwischen Mutter und Sohn charakterisiert. Die besonderen Schwerpunkte bei der Schilderung von Moses Kindheit zeigen sich auch hier wieder anhand eines Vergleichs mit dem hier eingespielten Subtext Ex 2,3-10. Vor dem Hintergrund des Kindermordes Ex 1,15-22 schildert Ex 2,3: evpei. de. ouvk hvdu,nanto auvto. e;ti kru,ptein e;laben auvtw/| h` mh,thr auvtou/ qi/bin kai. kate,crisen auvth.n avsfaltopi,ssh| kai. evne,balen to. paidi,on eivj auvth.n kai. e;qhken auvth.n eivj to. e[loj para. to.n potamo,n »Als sie ihn aber nicht länger verstecken konnten, nahm seine Mutter einen Kasten, bestrich ihn mit Asphaltpech, legte das Kind hinein und setzte ihn in das Seitengewässer beim Fluss.« Um den Jungen vor dem Tod zu bewahren, behält ihn zusätzlich seine Schwester sorgsam im Auge (Ex 2,4).570
Wird in Ex 2,3-4 ausführlich entfaltet, dass im Zentrum der Erzählung das Bewahren des Kindes steht, so wird Ähnliches in Apg 7,21 vermittelt, indem das Aussetzen des Mose nur kurz erwähnt wird (evkteqe,ntoj de. auvtou/),571 die Aufnahme durch die Pharaotochter gleich im Anschluss daran aber etwas konkreter geschildert wird: avnei,lato auvto.n h` quga,thr Faraw. kai. avneqre,yato auvto.n e`auth/| eivj ui`o,nÅ »nahm ihn die Tochter Pharaos auf und erzog ihn (für) sich als Sohn.«
von Ägypten von 7,18-19 zu verdeutlichen, würde sich die Formulierung h` quga,thr basilew.j evp Ai;gupton anbieten. Vgl. WEIMAR, Exodus, 195. Damit werde eine „Hoffnungsperspektive“ formuliert. Vgl. auch KEE, Acts, 98. 568 Die Notiz vom Aussgesetztwerden und von der Aufnahme des Mose durch die Pharaotochter 7,21a wird von avnatre,fomai (7,20c.21b) eingerahmt. Diese Inklusion trägt dazu bei, dass der biographieartige Überblick über Moses Kindheit besonders vom Aspekt des Großziehens bzw. Erziehens geprägt wird. 569 Der prädikative Akkusativ deutet auch die Intention oder das Ergebnis von avnatre,fw an, das dann eher die Konnotation von Erziehen im Sinn von geistiger Förderung erhält. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 124. 570 Vgl. JACOB, Exodus, 23–24. 571 Vgl. BARRETT, Acts, 354. Codex D füge an dieser Stelle para. to,n potamo,n hinzu, verweise also noch stärker auf die Exoduserzählung der LXX.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Auch hier sind Analogien zu der breit ausgestalteten Erzählung in Ex 2,5-10 zu sehen: So berichtet Ex 2,5c: kai. ivdou/sa th.n qi/bin evn tw/| e[lei avpostei,lasa th.n a[bran avnei,lato auvth,n »Und als sie den Korb im Seitengewässer sah, sandte sie die Lieblingssklavin und zog ihn heraus«. Nach der Identifizierung des Kindes in diesem Korb als ein Kind der Hebräer (Ex 2,6) wird in Ex 2,7-9 ausführlich erzählt, dass die leibliche Mutter im Auftrag der Pharaotochter das Kind stillt und es dieser bringt, als es herangewachsen war. Das Ergebnis davon hält Ex 2,10a fest: evgenh,qh auvth/| eivj ui`o,n »und es [das Kind] wurde für sie zum Sohn«. Den Abschluss der Episode bildet die Namengebung durch die Tochter des Pharao, bei der sie den Namen »Mose« folgendermaßen begründet: evk tou/ u[datoj auvto.n avneilo,mhn572 »Aus dem Wasser habe ich ihn herausgezogen« (Ex 2,10c).
Gegenüber Ex 2,5-10 profiliert Apg 7,21 die Pharaotochter in veränderter Weise. So ist sie in Ex 2,5-10 explizit nur Subjekt vom Sehen des Korbes, in dem das Kind ist (Ex 2,5), die Aufnahme573 erfolgt zunächst durch ihre Lieblingssklavin. Erst in der Erklärung zur Namensgebung von Mose wird die Pharaotochter zum Subjekt des Aufnehmens: evk tou/ u[datoj auvto.n avneilo,mhn (Ex 2,10). Indem in Apg 7,21 die Pharaotochter Mose selbst ohne Umschweife direkt aufnimmt (avnei,lato auvto.n), erhält sie gegenüber Ex 2,5-10 eine wesentlich aktivere Rolle. Dieser korrespondiert, dass sie in Apg 7,21b selbst Mose großzieht bzw. erzieht (avnatre,fomai),574 während Ex 2,6 ausführlich betont, dass Mose von seiner leiblichen Mutter, also als Hebräer, großgezogen wird und erst danach der Pharaotochter gegeben wird. Der Akzentuierung der elternähnlichen Rolle der Pharaotochter entspricht weiterhin die aktive Formulierung avneqre,yato auvto.n e`auth/| eivj ui`o,n in Apg 7,21b gegenüber der passiven Wendung evgenh,qh auvth/| eivj ui`o,n in Ex 2,10.575 572 LARKIN, Acts, 112, erklärt, avnaire,w sei technischer Begriff für die Adoption eines Findlings. Ähnlich SCHNEIDER, Apg, 459, Anm. 122. 573 Außerdem wird der Korb aufgenommen, nicht das Kind selbst (kai. ivdou/sa th.n qi/bin evn tw/| e[lei avpostei,lasa th.n a[bran avnei,lato auvth,n). Dadurch wird die Aktivität der Pharaotochter noch stärker vermindert. 574 JACOB, Exodus, 26, erklärt, dass in Ex 2,10 keine rechtliche, formelle Adoption gemeint sei. Als Parallele für die Wendung ‚zum Sohn werden‘ erweist sich nur 2 Sam 7,14, wo Gott zu David sagt: ‚nach deinem Tod werde ich deinem Sohn Salomo Vater sein und er wird mir Sohn sein.‘ Auch hier sei keine formelle Adoption gemeint, sondern eine Aufnahme im Sinne von väterlicher Fürsorge. SCHNEIDER, Apg, 459, Anm. 122, dagegen lehnt die Bedeutung von ‚adoptieren‘ in Apg 7,21 nicht ab. 575 Darüber hinaus kann das reflexive Personalpronomen in Apg 7,21 gegenüber dem einfachen Personalpronomen in Ex 2,10 diese unterschiedliche Akzentuierung unterstreichen.
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Ähnlich wie bei der Notiz über Moses Geburt und seine ersten drei Lebensmonate (7,20) zeigt sich in 7,21, besonders vor dem Hintergrund von Ex 2,3-10, dass hier nicht die leibliche Herkunft des Mose als Hebräerkind oder Levit im Vordergrund steht,576 sondern die Ungewöhnlichkeiten seiner Biographie: neben seinem besonderen Gottesbezug eben auch die Aufnahme durch die Tochter des Pharao als ihren Sohn. In diese Darstellung von Moses Heranwachsen als eine Geschichte von Besonderheiten reiht sich auch 7,22a ein: kai. evpaideu,qh Mwu?sh/j ÎevnÐ pa,sh| sofi,a| Aivgupti,wn. »Und Mose wurde erzogen in der ganzen Weisheit der Ägypter.« Diese Notiz überrascht insofern, als innerhalb der Exoduserzählung über Moses Kindheit, deren Grundplot 7,20-21 aufnimmt, keine Parallele dazu zu finden ist.577 Am ehesten liegt hier eine Referenz auf die Aussage über Josef in 7,10 vor, Gott habe ihm Weisheit in den Augen des Pharao gegeben (e;dwken auvtw/| ca,rin kai. sofi,an evnanti,on Faraw. basile,wj Aivgu,ptou). Da im Anschluss daran von der Einsetzung Josefs als Vorsteher über Ägypten und von der beginnenden Entstehung des Volkes Israel berichtet wird, ist der Besitz von Weisheit mit einer besonderen Position in Ägypten und deren positiven Folgen konnotiert.578 Ähnlich wird auch mit dem Hinweis auf die umfassende ägyptische Bildung Moses besondere Qualität579 und enge Verbindung zu Ägypten unterstrichen, die in der Schilderung des verwandtschaftsähnlichen Verhältnisses zur Pharaotochter grundgelegt ist.580 576
Vgl. SPENCER, Acts, 74. Dort fährt Ex 2,11 vielmehr sofort mit der Szene fort, die in Apg 7,23 anklingt. JACOB, Exodus, 27, betont, dass in Ex 2,10 noch nicht einmal angedeutet wird, was Apg 7,22 aussagt. 578 Vgl. BARRETT, Acts, 353, der mit Stählin und Plümacher auf diese Parallele zwischen Josef und Mose hinweist. 579 Vgl. BARRETT, Acts, 355–356. Er zeigt anhand unterschiedlicher Moselegenden, dass es hier wohl nur darum gehe, Mose zu glorifizieren, analog zu den jüdischen Traditionen. Die Erziehung Mose in aller Weisheit der Ägypter bieten auch Philo, Vit. Mos 1,20-23; Jos Ant 2,232-237. Im Unterschied zu anderen jüdischen Traditionen, die Mose als Lehrmeister der Ägypter darstellen (z.B. Artapanus 3,6-8), schätze die diasporajüdische Tradition (hier) die fremde Weisheit. Diese Aussage finde sich auch in Codex D. Vgl. auch GAVENTA, Acts, 125. PESCH, Apg, 252. 580 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 365. Mose werde als an die ägyptische Welt assimiliert vorgestellt. Schiffner betont, in dieser Darstellung liege die Frage, zu welchem Zweck Mose seine Macht einsetzt: „Als perfide Hinterlist“ wie der Pharao oder wie Josef zugunsten des Volkes Israel? Nachdem das Bild, das bisher von Ägypten gezeichnet wurde, sich durch Ambivalenz kennzeichnet (7,17.19), kann diese Frage durchaus aufkommen. Da sofi,a innerhalb der Stephanusepisode (Apg 7,9; 6,3-10) und auch angesichts der Darstellung Jesu (Lk 2,40.52) positiv konnotiert ist, dürfte ein ‚biblischer Modellleser‘ m.E.n. an dieser Stelle von Mose ebenfalls ein positives Bild haben. Vgl. ähn577
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Moses Besonderheiten werden weiterhin in der grundsätzlichen Aussage über seine Fähigkeiten in 7,22b unterstrichen:581 h=n de. dunato.j evn lo,goij kai. e;rgoij auvtou/. »und er war mächtig in seinen Worten und Taten.« Auch diese Notiz überrascht angesichts der Exoduserzählungen, denn beispielsweise zweifelt Mose laut Ex 4,10 gerade an seiner Redefähigkeit und bezeichnet sich selbst als sou ivscno,fwnoj kai. bradu,glwssoj evgw, eivmi. »schwacher Zunge und langsamer Rede bin ich.«582 Nicht nur dieser Widerspruch zum Exodustext betont Moses außergewöhnliche Fähigkeiten, sondern auch die Parallelisierung mit Jesus, von dem die Emmausjünger in Lk 24,19 sagen:583 ta. peri. VIhsou/ tou/ Nazarhnou/( o]j evge,neto avnh.r profh,thj dunato.j evn e;rgw| kai. lo,gw| evnanti,on tou/ qeou/ kai. panto.j tou/ laou/. »Das mit Jesus, dem Nazarener, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk.« Wird Jesus ausdrücklich mithilfe der Charakterisierung »mächtig in Tat und Wort« als Prophet gekennzeichnet, so weist die wörtlich fast identische Aussage584 in 7,22 darauf hin, dass Mose ebenfalls ein Prophet ist, und zwar schon am Ende seiner Kindheit bzw. Jugendzeit. Außerdem wird Mose mit Stephanus in Verbindung gebracht, dem in 6,3.10 Begabung mit sofi,a und folglich besonderer Redefähigkeit zugesprochen wird und in 6,8 auch Wunder- und Zeichenwirksamkeit. Die Darstellungen von Mose und Stephanus ähneln sich demnach genau hinsichtlich der besonderen Begabungen, die eine prophetische Gestalt kennzeichnen. Fazit zu Apg 7,20-22 Der erste Abschnitt der Mosesgeschichte 7,20-22 konzentriert sich darauf, Mose als eine Gestalt mit besonderem Gottesbezug – und zwar von Geburt an – vorzustellen. So wird Moses Kindheit und Jugend zwar grundlegend nach dem gewöhnlichen biographischen Schema Geburt (7,20a) – Ernählich KEE, Acts, 98, der in Apg 17 einen Hinweis darauf sieht, dass Lukas die Weisheit seiner Welt nicht verachte, obwohl letzte Einsicht für ihn durch Gott komme. 581 Dieser Eindruck entsteht durch das Imperfekt h=n. Die Konjunktion de, kann hier entweder als Übergangspartikel dienen oder sogar einen Gegensatz zu Vorherigem enthalten: »Mose war zwar in der gesamten ägyptischen Weisheit gebildet, aber dennoch mächtig in seinen Worten und Taten.« Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 365. 582 Zu Ex 4,10 und seinem Kontext besteht keine wörtliche oder strukturelle Verbindung, sondern nur eine inhaltliche. 583 Vgl. FITZMYER, Acts, 376. JERVELL, Apg, 319. 584 In Apg 7,22 werden lediglich die Lexeme lo,goj und e;rgon im Plural formuliert und gegenüber Lk 24,19 in ihrer Reihenfolge umgekehrt.
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rung (7,20c.21b) – Erziehung (7,21b.22a) geschildert,585 aber darüber hinaus werden mithilfe unterschiedlicher Strategien verschiedene Besonderheiten von Mose und seiner Geschichte präsentiert: So wird Mose schon durch die grundsätzliche Einordnung in die Zeit der Erfüllung der Verheißung (7,20) und durch seine generelle Charakterisierung als avstei/oj tw/| qew/| aus dem Bericht über die Zeit der Erfüllung der negativen Verheißung (7,19) herausgehoben. Dass mit Mose eine Unterbrechung dieser lebensbedrohlichen Situation erfolgt, zeigt sich zusätzlich an der Tochter des Pharao, die durch Aufnahme von Mose eine Kontrastfigur zum König von Ägypten darstellt. Neben dieser Einbettung in den Rededuktus tragen intertextuelle Referenzen auf Exodustexte zur Präsentation der Besonderheiten von Moses ‚Kindheitsgeschichte‘ bei, denn 7,20-21 spielen den Grundplot von Ex 2 in verkürzter Weise ein und versehen diesen mit eigenen Akzenten. Dabei wird zum einen Moses grundlegender Gottesbezug, zum anderen sein verwandtschaftsähnliches Verhältnis zur Pharaotochter unterstrichen. Die damit zusammenhängende Aussage über Moses umfassende Bildung in der Weisheit Ägyptens (7,22a), die eine besonders enge Verbindung zu Ägypten beschreibt, stellt im Vergleich zur Erzählung von Ex 2 eine ‚Zusatzinformation‘ dar, wodurch ihr besonderes Gewicht verliehen wird. Ähnlich lenkt die Notiz von Moses Redefähigkeit in 7,22b Aufmerksamkeit auf sich, insofern sie den Exodustexten scheinbar widerspricht. Darüber hinaus parallelisieren genau diese beiden besonders auffälligen Charakterisierungen mit dem Lexem sofi,a und der Wendung dunato.j evn lo,goij kai. e;rgoij auvtou/ Mose mit Jesus und Stephanus, die mithilfe ähnlicher Formulierungen als prophetische Gestalten gekennzeichnet werden (Lk 24,19; vgl. auch Apg 6,3.8.10). So weist die generelle Aussage h=n de. dunato.j evn lo,goij kai. e;rgoij auvtou/ Mose schon am Ende dieses Überblicks über seine Kindheit und Jugend als Propheten aus und kann als Unterschrift unter 7,20-22 sowie als Überschrift über das Folgende gelesen werden.586 Dadurch öffnet sich nämlich der Text für eine Erzählung von Moses prophetischer Wirksamkeit, aber auch für eine Erzählung von möglicher Ablehnung entsprechend dem typischen Schicksals eines Propheten.
585
Vgl. GAVENTA, Acts, 125. SCHNEIDER, Apg, 459. SCHILLE, Apg, 182. Vgl. BARRETT, Acts, 355. ‚Gute Rede‘ sei neben der Eigenschaft avstei/oj ein weiteres Kennzeichen des qeio,j avnh,r. Die Quelle, die hier verwendet wurde, hätte demnach nur das Interesse verfolgt, Mose zu glorifizieren, ebenso wie die ganze jüdische Tradition. Ähnlich JESKA, Geschichte Israels, 168. 586
258
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
7.2.2 Apg 7,23-29 Apg 7,23-24 23
24a b 23
24a b
~Wj de. evplhrou/to auvtw/| tesserakontaeth.j cro,noj( avne,bh evpi. th.n kardi,an auvtou/ evpiske,yasqai tou.j avdelfou.j auvtou/ tou.j ui`ou.j VIsrah,lÅ kai. ivdw,n tina avdikou,menon hvmu,nato kai. evpoi,hsen evkdi,khsin tw/| kataponoume,nw| pata,xaj to.n Aivgu,ptionÅ »Als sich ihm die Zeit von vierzig Jahren erfüllte, überkam es sein Herz, nach seinen Brüdern, den Söhnen Israels, zu sehen. Und als er einen sah, dem Unrecht angetan wurde, kam er ihm zu Hilfe und verschaffte Recht dem Misshandelten, indem er den Ägypter erschlug.«
Durch die Zeitangabe w`j de. evplhrou/to auvtw/| tesserakontaeth.j cro,noj wird der biographieartige Bericht über Moses Kindheit und Jugend beendet und ein neuer Abschnitt innerhalb Moses Geschichte eingeleitet. Dabei wird zum einen Mose durch die Notiz seines Alters als Mann in vollverantwortlicher Lebensreife587 dargestellt, zum anderen wird durch den Rückgriff mit cro,noj auf 7,17 das Folgende in die »Zeit der Erfüllung der Verheißung« eingeordnet. Darüber hinaus signalisiert plhro,w den Zusammenhang mit der Zeit der Erfüllung der Verheißung, da dieses Verb im lukanischen Doppelwerk häufig eine von Gott gesetzte und bestimmte Zeit bezeichnet (vgl. Lk 2,1; 9,51; 21,24).588 587
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 319–320. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366. Diese Angabe entspreche antiker Vorstellung. BARRETT, Acts, 356 und GAVENTA, Acts, 125. CONZELMANN, Apg, 53, erklären: Da sich die Zahlenangabe 40 auch in Apg 7,30.36 finde, nehme sie in der der Darstellung der Mosegeschichte eine gliedernde Funktion ein. Vgl. auch Apg 13,18.21; ähnlich Apg 13,25 bezüglich Johannes. Außerdem erfolge in Dtn 34,7 eine Einteilung des Lebens Mose in Perioden von 40 Jahren, wie z.B. auch der Kommentar zu Dtn 34,7 in Sifre (§ 357; 150a) zeige. Laut ZMIJEWSKI, Apg, 320, begegnet die Zahl 40 auch an anderen Stellen in heilsgeschichtlichen Zusammenhängen, wo sie beispielsweise der Periodisierung der (Heils-)Geschichte dient (vgl. Apg 13,18.21). 588 Vgl. DELLING, GERHARD, plhro,w, in: ThWNT VI, 285–296, hier 293. Nur in Apg 7,23.30 findet sich plhro,w innerhalb einer schematischen Einteilung der Lebenszeit des Mose. Vgl. auch JERVELL, Apg, 237. Darüber hinaus wird das Verb plhro,w im lukanischen Doppelwerk – ausschließlich passivisch – verwendet, um die Erfüllung von Schrift bzw. Verheißung auszudrücken (Apg 3,18; 13,27) oder die Erfüllung einer Person bzw. Gruppe mit dem Heiligen Geist (Apg 2,2; 13,52), besonderer Begabung o.ä. Vgl. dazu SCHNEIDER, Apg, 460, Anm. 129. BARRETT, Acts, 356, sieht darin ebenfalls die lukanische Verwendung von (sum)plhrou/n für Zeitperioden. Vgl. auch ZMIJEWSKI, Apg, 320. DORMEYER/GALINDO, Apg, 113, weisen auch auf Lk 1,1 hin.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
259
Dieser von Gott qualifizierten Zeit korrespondiert die erste Aussage dieses Abschnitts der Mosegeschichte: avne,bh evpi. th.n kardi,an auvtou/ evpiske,yasqai tou.j avdelfou.j auvtou/ tou.j ui`ou.j VIsrah,l »überkam es sein Herz, nach seinen Brüdern, den Söhnen Israels, zu sehen.« Zum einen weist nämlich die Wendung avne,bh evpi. th.n kardi,an auvtou/ auf Moses innerste Motivation hin,589 zum anderen deutet das Verb evpiske,ptomai die besondere Qualität seines Handelns an, da es nicht nur ein bloßes ‚Nachsehen‘ meint, sondern mit dem Aspekt des Sorgetragens590 konnotiert ist (vgl. auch 6,3). So drückt es beispielsweise in Ex 3,16 (evpiskoph/| evpe,skemmai u`ma/j kai. o[sa sumbe,bhken u`mi/n evn Aivgu,ptw| »Ganz gewiss habe ich auf euch geblickt und auf das, was euch in Ägypten widerfahren ist, geblickt.«) und Lk 1,68 (Euvloghto.j ku,rioj o` qeo.j tou/ VIsrah,l( o[ti evpeske,yato kai. evpoi,hsen lu,trwsin tw/| law/| auvtou/ »Gepriesen der Herr, der Gott Israels! Denn er hat hergesehen und Erlösung seinem Volk gemacht.«) Gottes Erlösung schaffendes Sehen aus. Dieses erfolgt laut Lk 7,16 (evdo,xazon to.n qeo.n le,gontej o[ti profh,thj me,gaj hvge,rqh evn h`mi/n kai. o[ti evpeske,yato o` qeo.j to.n lao.n auvtou/. »Sie verherrlichten Gott, indem sie sagten: Ein großer Prophet ist unter uns erweckt worden. Und: Gott hat auf sein Volk geblickt.«) speziell durch den als Propheten erkannten Jesus.591 Demnach steht Moses aus dem Innersten motiviertes, sorgendes »Sehen« nach seinen Brüdern in Analogie mit diesem »Blicken« Gottes und Jesu auf das Volk. Dieser besonderen Intention entspricht auch Moses Zielgruppe, die auf zweifache Weise beschrieben wird: oi` avdelfoi. auvtou/ und oi` ui`oi. VIsrah,l. Die Bezeichnung oi` avdelfoi. auvtou/ deutet nicht nur auf Moses innere Verbundenheit mit den Israeliten hin,592 sondern unterstreicht auch seine
589
Vgl. FITZMYER, Acts, 376. JERVELL, Apg, 237. ZMIJEWSKI, Apg, 320. BARRETT, Acts, 356. In biblischer Anthropologie stehe das Herz für das innerste des Menschen und stelle den Sitz seines Denkens, Wollens und seiner Entscheidungen dar. Vgl. 2 Kön 12,5; Jes 65,16; Jer 30,16; 51,21 LXX, wo avnabai,nw evpi. th.n kardi,an das Hebräische ble(-l[; wiedergibt. Laut SCHNEIDER, Apg, 459, Anm. 127, findet sich dieselbe Wendung im Neuen Testament weiterhin nur in Lk 24,48; 1 Kor 2,9. 590 Vgl. BEYER, HERRMANN WOLFGANG, evpiske,ptomai, in: ThWNT II, 595–619, hier 599. evpiske,ptomai meint „ein Handeln aus dem Bewußtsein der Verantwortlichkeit für den Anderen heraus.“ 591 Lk 7,16 bildet den Abschluss der Erzählung über die Auferweckung des Sohnes des Hauptmanns von Kafarnaum (Lk 7,1-17). Vgl. auch Lk 1,78. Vgl. JERVELL, Apg, 237. ZMIJEWSKI, Apg, 320. BARRETT, Acts, 356. Subjekt von evpiske,ptomai können neben Gott (Lk 1,68; 7,16; 15,14) also auch der Messias (Lk 1,78), die christlichen Gemeindeglieder (Apg 6,3) und Missionare (Apg 15,36) sein. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 460, Anm. 128. 592 Diese Verbundenheit wird unterstrichen, indem die Zielgruppe zunächst als oi` avdelfoi. auvtou/ bezeichnet wird, danach erst als oi` ui`oi. VIsrah,l. JERVELL, Apg, 237. Er
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Zugehörigkeit zum Volk Israel (oi` ui`oi. VIsrah,l), nach dem er sorgsam sehen möchte. Die Umsetzung dieses besonders motivierten und im Voraus qualifizierten Vorhabens schildert 7,24 folgendermaßen: kai. ivdw,n tina avdikou,menon hvmu,nato kai. evpoi,hsen evkdi,khsin tw/| kataponoume,nw| pata,xaj to.n Aivgu,ptionÅ »Und als er einen sah, dem Unrecht angetan wurde, kam er ihm zu Hilfe und verschaffte Recht dem Misshandelten, indem er den Ägypter erschlug.« Ohne konkrete Situationsangaben formuliert 7,24a, dass Mose nicht nur einen, dem Unrecht getan wird, sieht, sondern diesem unmittelbar hilft (avmu,nomai)593. Ungenannt bleiben dabei die Unrechtstat und der Täter selbst. Das Opfer wird ebenfalls nur sehr knapp und anonym als ti.j avdikou,menoj bezeichnet. Zwar ist aufgrund von 7,23 anzunehmen, dass es sich um einen der Söhne Israels handelt, aber durch die Umschreibung wird er primär als Opfer einer Unrechttat identifiziert.594 Dieser Konzentration auf eine Unrechtssituation entspricht auch Moses Reaktion, die darin besteht, dem »Misshandelten« (o` kataponou,menoj)595 Recht zu verschaffen (evpoi,hsen evkdi,khsin).596 So wird Mose durch die mit avdikou,menoj – evkdi,khsij ausgedrückte Gegenbewegung als Kontrastfigur zum Unrechttäter gezeichnet. Damit wird zum einen Moses Intention evpiske,ptomai (7,23) inhaltlich gefüllt, zum anderen realisiert sich die Aussage, Mose sei mächtig in seinen Worten und Taten (7,22). Durch die Schilderung, wie Mose dem Misshandelten Recht verschafft pata,xaj to.n Aivgu,ption, wird zwar nachträglich klar, dass der Unrechttäter ein nicht näher bestimmter Ägypter ist und das Opfer ein Israelit. Aber worin diese unrechte Behandlung besteht, bleibt weiter offen. Besonders auffällig ist, dass das Erschlagen des Ägypters durch Mose als Methode bemerkt, dass avdelfoi, hier so verwendet wird, wie in den Reden der Apostelgeschichte an Juden. Vgl. dazu auch 7,2. 593 Der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Sehen des Unrechts und dem Helfen drückt sich durch die partizipiale Formulierung aus: ivdw,n tina avdikou,menon hvmu,nato. SCHNEIDER, Apg, 460, Anm. 131, verweist mit Haenchen auf Jes 59,16, wo avmu,nomai im Sinn von „beistehen“ zu verstehen ist. Zur Bedeutung von avmu,nomai vgl. auch BARRETT, Acts, 357. BALZ, HORST, avmu,nomai in: EWNT2 I, 174. 594 Bei diesen Leerstellen ist der Leser stark gefordert. Schließen kann er sie zum einen durch den unmittelbaren Kontext, zum anderen mithilfe der Intertexte Ex 2,11-14, die offensichtlich als bekannt vorausgesetzt werden. 595 An dieser Umschreibung zeigt sich noch einmal die Konzentration auf die Tatsache, dass Unrecht getan wird. 596 Vgl. BARRETT, Acts, 357. SCHNEIDER, Apg, 460, Anm. 133. evpoi,hsen evkdi,khsin findet sich auch in Lk 18,7.8. Dort besteht der Anlass dazu, der Witwe Recht zu verschaffen, darin, dass Gott seinen Auserwählten generell Recht verschafft. Vgl. auch Lk 21,22.
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dargestellt wird, um dem Israeliten Recht zu verschaffen. Dadurch wird dieses Erschlagen, das laut Ex 21,12 eigentlich mit Todesstrafe geahndet wird, in die bisher überaus positiven Darstellung von Mose und seiner Absicht (7,23b-24a) eingeordnet und somit gewissermaßen als gerechte Strafe für das zugefügte Unrecht legitimiert.597 Die Akzente, die 7,23-24 setzt, werden durch einen Vergleich mit der Schilderung der Begegnung zwischen Mose und den Israeliten in Ex 2,1112 (diese schließt dort unmittelbar an die Erzählung von Moses Aufnahme durch die Tochter des Pharao an), noch deutlicher: Ex 2,11-12 11a evge,neto de. evn tai/j h`me,raij tai/j pollai/j evkei,naij me,gaj geno,menoj Mwush/j evxh,lqen pro.j tou.j avdelfou.j auvtou/ tou.j ui`ou.j Israhl b katanoh,saj de. to.n po,non auvtw/n o`ra/| a;nqrwpon Aivgu,ption tu,ptonta, tina Ebrai/on tw/n e`autou/ avdelfw/n tw/n ui`w/n Israhl 12 peribleya,menoj de. w-de kai. w-de ouvc o`ra/| ouvde,na kai. pata,xaj to.n Aivgu,ption e;kruyen auvto.n evn th/| a;mmw| 11a »Es geschah aber lange Zeit danach, als Mose groß geworden war, dass er hinausging zu seinen Brüdern, den Israeliten. b Als er ihre Mühe beobachtete, sieht er, wie ein ägyptischer Mann einen Hebräer von seinen Brüdern, den Israeliten, schlägt. 12 Da blickte er hierhin und dahin, sieht niemanden, erschlug den Ägypter und versteckte ihn im Sand.«
Apg 7,23-24 23 ~Wj de. evplhrou/to auvtw/| tesserakotaeth.j cro,noj( avne,bh evpi. th.n kardi,an auvtou/ evpiske,yasqai tou.j avdelfou.j auvtou/ tou.j ui`ou.j VIsrah,lÅ 24a kai. ivdw,n tina avdikou,menon hvmu,nato
b kai. evpoi,hsen evkdi,khsin tw/| kataponoume,nw| pata,xaj to.n Aivgu,ptionÅ
23
»Als sich die Zeit seiner vierziger Jahre erfüllte, überkam es sein Herz, nach seinen Brü dern, den Söhnen Israels, zu sehen.
24a Und als er einen sah, dem Unrecht angetan wurde, kam er ihm zu Hilfe
b und verschaffte Recht dem Misshan delten, indem er den Ägypter erschlug.«
597 Vgl. PENNER, Praise, 320. JERVELL, Apg, 237. ZMIJEWSKI, Apg, 320, meint, die Tat des Mose sei sogar als Vorgang gezeichnet, der die Verheißung von Gen 15,14a bzw. Apg 7,7 schon anfänglich erfülle.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Signifikant sind vor allem folgende Unterschiede: Durch die Zeitangabe evge,neto de. evn tai/j h`me,raij tai/j pollai/j evkei,naij me,gaj geno,menoj Mwush/j in Ex 2,11 wird das Folgende in Moses Biographie eingeordnet, nämlich zur Zeit, als er groß bzw. erwachsen geworden ist. Dagegen signalisiert Apg 7,23 bereits durch die entsprechend konnotierte Zeitangabe w`j de. evplhrou/to auvtw/| tesserakontaeth.j cro,noj, dass es sich um eine besondere Episode handelt, die als Teil der Zeit der Erfüllung der Verheißung Gottes zu verstehen ist. Damit korrespondiert, dass Apg 7,23 Moses Motivation und Intention beschreibt und qualifiziert, während Ex 2,11 lediglich die Tatsache berichtet, dass Mose hinausgeht (evxe,rcomai). Gemeinsam ist beiden Texten jedoch die zweifache Beschreibung der Zielgruppe mit tou.j avdelfou.j auvtou/ tou.j ui`ou.j VIsrah,l, so dass es jeweils um Moses Handeln zugunsten seiner Stammesbrüder, dem Volk Israel, geht. In der Darstellung der Situation unterscheiden sich die beiden Texte allerdings wieder deutlich voneinander. Laut Ex 2,11 nimmt Mose zum einen die »Mühe« (o` po,noj) der Israeliten allgemein wahr, was an ihre Knechtschaft erinnert, zum anderen sieht (o`ra,w) er das konkrete Ereignis, dass ein Ägypter einen Hebräer schlägt (tu,ptw). Mit wenigen Worten werden also klar Täter, Opfer und Tathandlung benannt. Dagegen fehlt in Apg 7,24 nicht nur der Hinweis auf die generelle Mühe der Israeliten,598 sondern auch die Benennung der konkreten Unrechtssituation. Der Täter lässt sich zwar im Nachhinein als Ägypter identifizieren (7,24b) und das Opfer kann aufgrund von 7,23 als Israelit erschlossen werden, aber die Tathandlung selbst wird nicht konkretisiert, sondern nur als »Unrechttun« (avdike,w) beurteilt. So verdeutlicht sich im Gegenüber zu Ex 2,11, dass Apg 7,23-24 eine – nur allgemein gehaltene – Unrechtsituation fokussiert, in der Mose als derjenige dargestellt wird, der Recht verschafft.599 Dies bestätigt sich in der unterschiedlichen Schilderung von Moses Reaktion in Ex 2,12 und Apg 7,24b. Zwar drücken beide Texte aus, dass Mose der jeweiligen Handlung des Täters entsprechend reagiert (avdike,w – poie,w evkdi,khsin), und zwar zugunsten von Moses Stammesbruder,600 aber dennoch wird Moses Reaktion unterschiedlich konnotiert. Während Ex 598 An die Wahrnehmung der »Mühe« der Israeliten lässt Apg 7,24 höchstens in der Beschreibung des Opfers mit o` kataponoume,noj denken. 599 Diese Konzentration verdeutlicht sich auch in der partizipialen Formulierung ivdw,n tina avdikou,menon hvmu,nato, die den unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Sehen des Unrechts und der Hilfe des Mose anzeigt. Ex 2,11 dagegen besagt zunächst einfach, dass Mose Augenzeuge dieser Situation geworden ist (o`ra,w). Vgl. auch SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366, Anm. 146. 600 Ex 2,11-12 drückt das dadurch aus, dass Mose auf ein Schlagen (tu,ptw) des Hebräers durch einen Ägypter ebenfalls mit einem (Er-)Schlagen (pata,ssw) des Ägypters reagiert. Vgl. JACOB, Exodus, 32.
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2,12 von Moses Bemühen berichtet, seine Tat zu verbergen, und damit auf die Anstößigkeit des Totschlags hinweist, wird Mose in Apg 7,24b deutlich entlastet, indem das Erschlagen des Ägypters durch Moses Intention, Recht zu verschaffen, moralisch legitimiert wird. Insgesamt manifestiert sich also vor dem Hintergrund von Ex 2,11-12, dass sich Apg 7,23-24 darauf konzentriert, Mose und seine Geschichte als Teil der Zeit der Verheißungserfüllung zu gestalten. Apg 7,25 Diesem Bild von Mose verleiht der folgende Rednerkommentar noch schärfere Konturen: 25a b 25a b
evno,mizen de. sunie,nai tou.j avdelfou.j Îauvtou/Ð o[ti o` qeo.j dia. ceiro.j auvtou/ di,dwsin swthri,an auvtoi/j\ oi` de. ouv sunh/kanÅ »Er meinte (aber), [seine] Brüder verstünden, dass Gott durch seine Hand ihnen Heil gebe; sie aber verstanden nicht.«
Indem das Verhältnis zwischen Mose und seinen Brüdern, das die Szene von 7,23-24 exemplarisch illustriert, durch die Aussage o` qeo.j dia. ceiro.j auvtou/ di,dwsin swthri,an auvtoi/j »(dass) Gott durch seine Hand ihnen Heil gebe« (7,25a) interpretiert wird, erhält Mose die Funktion eines Heilsmittlers Gottes. Anschaulich wird dabei ausgedrückt, dass Gott stets der eigentliche Geber des Heils ist und bleibt (di,dwsin swthri,an601), und dass er dieses durch Mose dem Volkes Israel (auvtoi/j) übermittelt. Damit wird aber nicht nur die Episode von 7,23-24 reflektiert und kommentiert,602 sondern auch die generelle Aussage, Mose sei für Gott wohlgefällig (7,20) und er
601
Zu swthri,a im lukanischen Doppelwerk vgl. SCHELKLE, KARL HERMANN, swthri,a, in: EWNT2 III, 784–788, hier 784, 788. In Aufnahme der Verwendung in der LXX bedeute es „Hilfe, Errettung, Heil“ durch Menschen oder durch Gott, Befreiung von bösen Mächten, zuletzt, Rettung im entscheidenden Gericht und eschatologisches Heil (vgl. Lk 2,32; Apg 13,47 mit Jes 49,6). Vgl. auch swth,r als Titel für Gott oder Jesus in Aufnahme alttestamentlicher Texte (z.B. Ri 3,9.15; Jes 62,11). Vgl. dazu SCHELKLE, KARL HERMANN, swth,r, in: EWNT2 III, 781–784. WOLTER, Lukasevangelium, 113, 128. Gott erweckt auch im Alten Testament häufig einen Menschen, um mit ihm an Israel zu handeln (Ri 2,16; 3,9.15; Jer 23,4.5 u.v.m.). 602 Da Mose laut Apg 7,25 als Werkzeug Gottes handelt, wird das Erschlagen des Ägypters durch Mose implizit als Tat entsprechend Gottes Heilswillen interpretiert und damit absolut gerechtfertigt. Darin ist aber auch ein provokativer Zug hinsichtlich des Gottesbildes enthalten.
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sei mächtig in seinen Worten und Taten (7,22), konkretisiert.603 Ebenso wie Mose bereits durch diese Charakterisierungen mit Jesus parallelisiert wird, so auch hier, denn eingehend stellt das lukanischen Doppelwerk Jesus als Heilsmittler Gottes dar. Schon im Lobpreis des Zacharias wird Jesus als von den Propheten verheißener Heilsmittler aus dem Haus Davids identifiziert: 69 kai. h;geiren ke,raj swthri,aj h`mi/n evn oi;kw| Daui.d paido.j auvtou/( … 71 swthri,an evx evcqrw/n h`mw/n kai. evk ceiro.j pa,ntwn tw/n misou,ntwn h`ma/j »69 Und er hat aufgerichtet ein Horn des Heils im Haus Davids, seines Knechtes, … 71 Rettung von unseren Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen.« (Lk 1,69.71) Was schon vor Jesu Geburt über ihn angekündigt wird, wird nach seiner Geburt erkannt (Lk 2,29-32) und durch verschiedene Handlungen Jesu erfüllt (Lk 6,9; 19,9). Auch rückblickend wird Jesus als Heilsmittler Gottes gedeutet und verkündet (vgl. Apg 4,9.12; 13,24-27).604
Da die Mosegeschichte von Anfang an als Teil der Zeit der Verheißungserfüllung präsentiert wird, die negativen Verheißungen Gottes (7,6b-7a) sich bereits erfüllt haben – zuletzt konkretisiert an einem Einzelbeispiel 7,24 –, deutet sich in 7,25 auch an, dass mithilfe des Heilsmittlers Mose auch die von Gott verheißene Wende (7,7b) für Israel Wirklichkeit wird. In dieser Reflexion über die Gestalt des Mose im Hinblick auf seine Funktion als Heilsmittler Gottes wird zugleich Moses Verhältnis zu seinen Brüdern kommentiert. Moses Heilsmittlerschaft wird nämlich zunächst als Selbstverständnis von Mose (evno,mizen) formuliert und gleichzeitig als erwartetes ‚Allgemein-Verständnis‘ seiner Brüder (sunie,nai).605 Indem 7,25b ebenfalls mit dem Verb suni,hmi deren Unverständnis konstatiert (oi` de. ouv sunh/kan), zeigt sich eine Spannung zwischen Mose und seinen Brüdern.606 Insofern die Brüder nicht verstehen, dass durch Mose Gott selbst handelt, bedeutet ihr Nicht-Verstehen von Moses Rolle zugleich ein Nicht-Verstehen Gottes. Auch dieses Motiv des Unverständnisses zieht eine Parallele zwischen Mose und Jesus. 603
Zugleich wird Moses Heilsmittlerschaft hier wieder als grundsätzliche Aussage formuliert, wie das Präsens di,dwsin verdeutlicht. 604 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 204–206. Er betont, dass swthri,a auch transparent für Paulus ist, wie z.B. an Apg 13 zu sehen sei. GAVENTA, Acts, 126. 605 sunie,nai ist auffälligerweise Infinitiv Präsens (statt Aorist), wodurch unterschwellig eine Aktualisierung möglich wird. Demnach wäre der Inhalt dieser gemeinsamen Verstehensbasis bleibend gültig. Vgl. BARRETT, Acts, 357. GAVENTA, Acts, 126, bemerkt, dass im Exodustext nicht einmal Mose von seiner Sendung weiß, hier aber alle Israeliten davon wissen hätten müssen. 606 Das Spannungsverhältnis zwischen ihnen wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass es Moses ‚Brüder‘ sind, die ihn nicht verstehen.
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Sind es in Lk 2,50 Jesu Eltern, die seine Worte nicht verstehen (kai. auvtoi. ouv sunh/kan to. r`h/ma o] evla,lhsen auvtoi/j »Aber sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen redete.«), so werden in Lk 8,10 Jesu Jünger von den ‚übrigen‘ Menschen (toi/j de. loipoi/j) abgehoben, die mit Worten aus Jes 6,9-10 als Unverständige vorgestellt werden (… i[na ble,pontej mh. ble,pwsin kai. avkou,ontej mh. suniw/sin »… so dass sie umherblicken – und doch nicht erblicken, hören – und doch nicht verstehen«). Aber auch die Jünger verstehen Jesu – als Erfüllung der Propheten eingeleitete – Ankündigung von Leiden, Tod und Auferstehung nicht: kai. auvtoi. ouvde.n tou,twn sunh/kan kai. h=n to. r`h/ma tou/to kekrumme,non avpV auvtw/n kai. ouvk evgi,nwskon ta. lego,mena. »Doch nichts davon verstanden sie und dieses Wort war verborgen vor ihnen und sie verstanden das Gesagte nicht.« (Lk 18,34)607 In der Apostelgeschichte begegnet das Motiv des Unverständnisses primär als Ausdruck der Ablehnung Jesu in Analogie zum Prophetenschicksal, wenn auch häufig mit anderer Wortwahl (vgl. Apg 3,17; 4,24).608
Vor diesem Hintergrund wird Mose auch mit dem Hinweis auf das Unverständnis seiner Brüder von Anfang an als prophetischer Heilsmittler Gottes dargestellt. Die darin enthaltene Spannung zwischen den Israeliten und Mose bzw. Gott zeigt,609 dass 7,25 nicht nur als Reflexion des in 7,23-24 geschilderten Konfliktes zwischen einem Israeliten und einem Ägypter zu lesen ist, sondern auch als Ausblick auf die Fortsetzung der Mosegeschichte.
607
Ähnlich formuliert Lk 24,45, dass Jesus das Verständnis für die Schrift eröffnet. Zum lukanischen Interesse an sunie,nai vgl. SCHNEIDER, Apg, 460, Anm. 138. LARKIN, Acts, 112. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366, führt auch Lk 4,24 als Parallele an, insofern sich in dieser unwissenden Ablehnung Jesu das typische Schicksal eines in der Heimat verfolgten (und getöteten) Propheten abbildet. In Lk 4,24 finde sich allerdings eine andere Wortwahl. Darüber hinaus werde das Motiv des Unverständnisses auf die Sendung von Paulus bzw. die Reaktion seitens der Juden übertragen (vgl. Apg 13; 28,26-27). 609 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366. Ähnliches finde sich in Ps-Philo. 608
266
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Apg 7,26-29 26a b c 27a b 28 29a b 26a b c 27a b 28 29a b
th/| te evpiou,sh| h`me,ra| w;fqh auvtoi/j macome,noij kai. sunh,llassen auvtou.j eivj eivrh,nhn eivpw,n\ a;ndrej( avdelfoi, evste\ i`nati, avdikei/te avllh,loujÈ o` de. avdikw/n to.n plhsi,on avpw,sato auvto.n eivpw,n\ ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth.n evfV h`mw/nÈ mh. avnelei/n me su. qe,leij o]n tro,pon avnei/lej evcqe.j to.n Aivgu,ptionÈ e;fugen de. Mwu?sh/j evn tw/| lo,gw| tou,tw| kai. evge,neto pa,roikoj evn gh/| Madia,m( ou- evge,nnhsen ui`ou.j du,oÅ »Und am folgenden Tag erschien er ihnen, die sich stritten, und er versuchte, sie zu versöhnen zum Frieden, indem er sprach: Männer, Brüder seid ihr! Warum tut ihr einander Unrecht? Der aber, der dem Nächsten Unrecht tat, stieß ihn weg und sagte: Wer hat dich zum Anführer und Richter über uns eingesetzt? Willst du mich etwa auf dieselbe Weise töten wie du gestern den Ägypter getötet hast? Und Mose floh bei diesem Wort und er wurde Fremder im Land Midian, wo er zwei Söhne zeugte.«
Nach der Unterbrechung durch den Kommentar von 7,25 nimmt die Zeitangabe th/| te evpiou,sh| h`me,ra| den Erzählfaden von 7,24 wieder auf610 und berichtet von diesem folgenden Tag: w;fqh auvtoi/j macome,noij »erschien er ihnen, die sich stritten«. Die Formulierung diese Ereignisses mit w;fqh deutet an, dass in diesem Sich-Sehen-Lassen Moses Mittlerfunktion Ausdruck findet, denn w;fqh benennt auch in 7,2 Gottes Erscheinen Gottes vor Abraham und findet sich darüber hinaus auch sonst in der Regel mit Gott als Subjekt (vgl. Gen 12,7; 17,1; Ex 3,2; Apg 7,30).611 Da die Situation vorläufig nur durch das Parti610
Dabei zeigt sich aufgrund der Verknüpfung mit te eine enge Anbindung an Apg
7,24. 611
Dass sich hier die von Apg 7,25 konstatierte Rolle Moses als Mittler Gottes umsetzt, zeigt sich außerdem daran, dass als letztes Subjekt im Singular o` qeo,j genannt wird (Apg 7,25b) und Moses Name nicht ausdrücklich erwähnt wird. Demnach könnte in Apg 7,26 rein grammatikalisch auch Gott Subjekt von w;fqh sein, wie es in der Regel der Fall ist. So findet sich nicht nur im lukanischen Doppelwerk meist Gott bzw. Jesus als Subjekt von w;fqh (Lk 24,34; Apg 9,17; 13,31; 26,16), sondern auch in anderen neutestamentlichen Texten (1 Kor 15,5ff.). Vgl. JERVELL, Apg, 238. ZMIJEWSKI, Apg, 321. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366, Anm. 149. wv;fqh sei die Form der Wurzel o`ra,w, mit der in der LXX in Übersetzung des Niphals von h[r fast ausschließlich Theophanieerfah-
7 Lektüre von Apg 7,20-43
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zip maco,menoi beschrieben wird, lässt sie sich nur schwer greifen. Lediglich das Pronomen auvtoi, deutet darauf hin, dass hinter den Streitenden Israeliten stehen, weil diese unmittelbar davor in 7,25 als Subjekt des Unverständnisses genannt werden. Aufgrund dieser knappen Situationsangaben steht die Tatsache des Streits an sich im Vordergrund. Ausführlicher wird aber Moses Reaktion auf die Streitenden geschildert und damit seine Rolle in dieser Situation fokussiert (7,26b). So drückt die Wendung sunh,llassen auvtou.j eivj eivrh,nhn pleonastisch612 Moses Versöhnungsversuch613 aus und stellt ihn als Vermittler oder sogar Friedensstifter614 dar. Damit wird deutlich, dass Mose hier die ihm in 7,25 zugeschrieben Funktion als Heilsmittler Gottes realisiert und somit den Kämpfenden kontrastierend gegenüber steht. Versöhnung als Ziel von Mose wird zusätzlich unterstrichen, indem seine Worte in direkter Rede wiedergegeben werden: a;ndrej( avdelfoi, evste\ i`nati, avdikei/te avllh,loujÈ »Männer, Brüder seid ihr! Warum tut ihr einander Unrecht?« (7,26c). Nach der kurzen Anrede a;ndrej (vgl. 7,2b) wird mit der Aussage avdelfoi, evste die enge Verbundenheit zwischen den Streitenden in Erinnerung gerufen und klar gestellt, dass es sich bei den Kämpfenden – im Unterschied zu 7,24 – um Israeliten handelt.615 Damit geht einher, dass die Anstößigkeit ihres Handelns betont wird, denn ihre grundlegendes Verhältnis als avdelfoi, und ihr aktuelles Verhältnis als maco,menoi widersprechen einander. Diesen Widerspruch verdeutlicht auch Moses Frage nach dem Grund ihres Verhaltens: i`nati, avdikei/te avllh,louj; »Warum tut ihr einander Unrecht?« Indem ihr Verhalten mit avdike,w bezeichnet wird – statt mit ma,comai (7,26a) –, wird durch den Rückgriff auf 7,24a (tina avdikou,menon) eine Ähnlichkeit mit der Unrechttat des Ägypters gegenüber dem Israeliten suggeriert und damit noch einmal die Verwerflichkeit ihres Streites unterstrichen:616 Obwohl sie Stammesbrüder sind, verhalten sie sich wie die Ägypter617 bzw. als würden sie gegnerischen Völkern angehören. Allerrungen beschrieben werden (Gen 12,7; 17,1; Ex 3,2; 16,10; 1 Kön 9,2; Jer 38,3). Das zeige sich auch in der Verwendung von wv;fqh in Lk 1,11; 24,34; (22,34); Apg 7,2.30; 13,31; 16,9. BARRETT, Acts, 358, fügt als weitere Beispiele hinzu: Apg 2,3; 7,35; 9,17; 22,16. 612 Der Zusatz eivj eivrh,nhn ist eigentlich angesichts sunalla,ssw überflüssig. Vgl. BARRETT, Acts, 358. 613 Das Imperfekt ist wohl als Imperfektum de conatu zu verstehen. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 461, Anm. 141. 614 Vgl. FITZMYER, Acts, 377. ZMIJEWSKI, Apg, 321. SCHILLE, Apg, 182. 615 Zur Bezeichnung avdelfoi, vgl. Lektüre von Apg 7,2b. Über die Anzahl der Beteiligten verrät diese Anrede allerdings nichts, so dass der Eindruck entstehen kann, das gesamte Volk Israel kämpfe und werde daher von Mose angesprochen. Vgl. JERVELL, Apg, 238. Mose bezieht sich hier nicht in ihre Gemeinschaft ein. 616 Vgl. JERVELL, Apg, 238. 617 Diese sind seit Apg 7,24 negativ konnotiert.
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dings ist bei diesem Kampf zwischen den Israeliten kein Schuldiger auszumachen, denn sie tun sich vielmehr wechselseitig (avllh,louj) Unrecht an. Indem Moses Frage eine Aufforderung zur Stellungnahme impliziert, tritt er nicht nur als Friedensstifter auf, sondern erhält zugleich Züge eines Richters.618 In der Einleitung zur Reaktion auf Moses Frage o` de. avdikw/n to.n plhsi,on avpw,sato auvto.n eivpw,n »Der aber, der dem Nächsten Unrecht tat, stieß ihn weg und sagte« (7,27a) klärt sich nun, dass hier wohl zwei kämpfende Israeliten619 einander gegenüber stehen. Diese werden allerdings weiterhin sehr allgemein mit den Attributen o` avdikw/n – in bestätigender Aufnahme von 7,26c.24a – und o` plhsi,oj620 umschrieben, wodurch auch ihr Verhältnis veranschaulicht wird. So pointiert beispielsweise die Bezeichnung des Opfers als o` plhsi,oj die Anstößigkeit des Unrechts und des Täters.621 Dem korrespondiert, dass der Unrechttäter zunächst Mose auf dessen Frage hin zurückstößt (avpwqe,omai).622 Diese handgreifliche Ablehnung des Mose unterstreicht der Unrechttäter mit seinen Worten (7,27b-28), die zwei vorwurfsvolle (rhetorische) Fragen enthalten: Mit der ersten Frage ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth.n evfV h`mw/nÈ »Wer hat dich zum Anführer und Richter über uns eingesetzt?« (7,27b) zeigt er, dass er die Autorität (a;rcwn623), mit der Mose ihnen gegenübertritt,624 nicht akzeptiert. Zwar nimmt er durchaus Moses Absicht, die Israeliten zu versöhnen, wahr, wie die Bezeichnung als dikasth,j zeigt,625 aber er stellt dennoch die Legitima618
Auf eine implizite Richterrolle verweist auch die Stellungnahme, die zumindest einer der Unrechttäter in 7,27 abgibt und dabei Mose fragt, wer ihn zum dikasth,j eingesetzt hat. 619 Vgl. JERVELL, Apg, 238. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Charakters von 7,26, bei dem der Anschein erweckt wird, das ganze Volk Israel sei gespalten, sieht Jervell in diesen zwei Israeliten Symbole für das ganze gespaltene Israel. 620 Zu o` plhsi,oj im Sinne von ‚israelitischer Volksgenosse‘ vgl. SCHNEIDER, Apg, 461, Anm. 149. 621 Auch die Verwendung von o` plhsi,oj als Zentralbegriff in der Formulierung der Gottes- und Nächstenliebe (Lk 10,27.29.36) verdeutlicht diese Anstößigkeit. Vgl. DORMEYER /GALINDO, Apg, 114. 622 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366. Dieses Verb drücke ein körperliches Zur-Seite-Stoßen aus. 623 LIDDELL/SCOTT, Greek-English Lexicon, 254, bieten als Übersetzung „ruler“, „commander“, also „Gebieter, Gewalthaber, Machthaber“. Vgl. BARRETT, Acts, 359. av;rcwn sei der gewöhnliche Ausdruck für die Autorität einer Person (hebr. rv). Vgl. auch Apg 3,17. 624 In dem allgemein klingenden evfV h`mw/n kann auch impliziert sein, dass Mose als Anführer und Richter über das ganze Volk Israel auftritt, nicht nur über die streitenden Repräsentanten. 625 Vgl. BARRETT, Acts, 359. dikasth,j sei innerhalb des Neuen Testaments nur hier und in Apg 7,35 zu finden. Bei Herodot bezeichne es aber mehrmals einen Richter, der
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tion von Moses Rolle in Frage. Damit lehnt sich der Unrechttäter implizit zugleich gegen Gott auf, denn die Antwort auf seine rhetorische Frage hat schon 7,25 gegeben: Gott selbst hat Mose zum a;rcwn und dikasth,j626 erhoben, insofern sich in diesen Rollen Moses Heilsmittlerschaft verwirklicht. Indem der Unrechttäter diese von Gott verliehenen Funktionen ablehnt, ist er zugleich ein Beispiel für das Unverständnis der Israeliten, das der Kommentar von 7,25b konstatiert.627 Dass Gott selbst Mose in diese Positionen erhoben hat, bestätigt auch die Referenz auf 7,10 durch die Verwendung von kaqi,sthmi, womit dort ausgedrückt wird, dass Josef durch Gottes Begünstigung zum h[gemwn über Ägypten erhoben (kaqi,sthmi) wurde.628 So bekräftigt und ergänzt paradoxerweise genau diese an sich ablehnende rhetorische Frage des Unrechttäters das bisherige Profil von Mose: Zielt dieser schon im Konflikt zwischen dem Ägypter und dem Israeliten darauf ab, Recht zu verschaffen (7,23-24), so versucht er in 7,26 Frieden zu stiften und tritt dabei als eine Art Richter auf. Dem entspricht die Bezeichnung als dikasth,j, mit der der Unrechttäter Moses Auftreten zusammenfassend deutet. Auch die zweite rhetorische Frage des Unrechttäters mh. avnelei/n me su. qe,leij o]n tro,pon avnei/lej evcqe.j to.n Aivgu,ptionÈ »Willst du mich etwa auf dieselbe Weise töten, wie du gestern den Ägypter getötet hast?« (7,28) drückt dessen Ablehnung gegenüber Mose aus. Darin ist nämlich in zweifacher Weise eine Provokation enthalten: Als a;rcwn und dikasth,j hätte Mose tatsächlich die Verfügungsgewalt, den Unrechttäter zu töten. Dieser rechnet aber nicht mit der Umsetzung davon, sondern erwartet eine verneinende Antwort, wie das vorangestellte mh. avnelei/n anzeigt. Die Provokation dieser Frage wird umso deutlicher, da im Rückgriff auf 7,24 Mose als Mörder des Ägypters bezeichent wird. Diese Bewertung widerspricht der positiven Absicht des Mose, die 7,23.24 formuliert, und Moses Rechtfertigung durch den Rednerkommentar 7,25. unter dem Gesetz richtig von falsch unterscheidet. Mit dikasth,j wird Moses Frage Apg 7,26c und sogar auch seine Intention von Apg 7,23-24 aufgenommen. Darin ist laut SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366, schon vor Moses Berufung ausgedrückt, was später mit der ‚Instanz Mose‘ aufs Engste verknüpft ist: die Funktion des Rechts und der Rechtssprechung. 626 Mit Moses Rolle als Richter wird implizit die Verheißung, Gott werde das unterdrückende Volk richten (Apg 7,7) aufgegriffen und damit angedeutet, dass diese durch Mose verwirklicht wird. 627 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 134. 628 Das Verb kaqi,sthmi wird außerdem in Apg 6,3 verwendet. Dort sind zwar die Zwölf Subjekt, aber aufgrund der für den Dienst der Witwenversorgung geforderten Kriterien (plh,rej pneu,matoj kai. sofi,aj) müssen die Kandidaten ebenfalls besonderen Gottesbezug aufweisen.
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Durch diesen Widerspruch bezeugt der Unrechttäter letztlich sein Unverständnis bezüglich Moses Mittlerfunktion, ähnlich wie in 7,27. Darüber hinaus trifft der Unrechttäter indirekt negative Selbstaussagen, indem er sich mit dem Hinweis auf die mögliche Tötung durch Mose, mit dem Ägypter vergleicht, der laut 7,23 explizit Unrecht tut. Damit gibt der Israelit also implizit Mose Recht, der den Kampf zwischen den Brüdern als Unrechttun bewertet (7,26c), und entspricht der Bezeichnung als o` avdikw/n (7,27a). So wird das kontrastierende Gegenüber von diesem exemplarischen Israeliten und Mose – und zugleich Gott – in dieser Szene sorgfältig gestaltet. Das verdeutlicht auch eine Gegenüberstellung mit der Episode von Ex 2,13-14, die hier zum Teil wörtlich eingespielt wird: Ex 2,13-14 13a evxelqw.n de. th/| h`me,ra| th/| deute,ra| o`ra/| du,o a;ndraj Ebrai,ouj diaplhktizome,nouj kai. le,gei tw/| avdikou/nti b
dia. ti, su. tu,pteij to.n plhsi,on
14a o` de. ei=pen b
ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth.n evfV h`mw/n c mh. avnelei/n me su. qe,leij o]n tro,pon avnei/lej evcqe.j to.n Aivgu,ption evfobh,qh de. Mwush/j kai. ei=pen eiv ou[twj evmfane.j ge,gonen to. r`h/ma tou/to 13a »Als er aber am nächsten Tag hinaus kam, sieht er zwei hebräische Männer miteinander ringen und sagt zu dem, der im Unrecht war: b Warum schlägst du deinen Nächsten? 14a Der aber sagte: b c
Wer hat dich zum Anführer und Richter über uns eingesetzt? Willst du mich etwa auf dieselbe Weise töten, wie du gestern den Ägypter getötet hast?«
Apg 7,26-28 26a th/| te evpiou,sh| h`me,ra| w;fqh auvtoi/j macome,noij b kai. sunh,llassen auvtou.j eivj eivrh,nhn eivpw,n\ c a;ndrej( avdelfoi, evste\ i`nati, avdikei/te avllh,loujÈ 27a o` de. avdikw/n to.n plhsi,on avpw,sato auvto.n eivpw,n\ b ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth.n evfV h`mw/nÈ 28 mh. avnelei/n me su. qe,leij o]n tro,pon avnei/lej evcqe.j to.n Aivgu,ptionÈ
26a »Und am folgenden Tag eschien er ihnen, die sich stritten b und er versuchte, sie zu versöhnen zum Frieden, indem er sprach: c Männer, Brüder seid ihr! Warum tut ihr einander Unrecht? 27a Der aber, der dem Nächsten Unrecht tat, stieß ihn weg und sagte: b Wer hat dich zum Anführer und Richter über uns eingesetzt? 28 Willst du mich etwa auf dieselbe Weise töten, wie du gestern den Ägypter getötet hast?«
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Ähnlich wie Ex 2,13 mit der Zeitangabe th/| h`me,ra| th/| deute,ra direkt an den Konflikt zwischen einem Ägypter und einem Hebräer Ex 2,11-12 anschließt, knüpft Apg 7,26 nach der Unterbrechung durch den Kommentar in 7,25 mit th/| te evpiou,sh| h`me,ra an die Szene von 7,23-24 an und signalisiert, dass hier dem Grundplot des Exodustextes gefolgt wird.629 Die jeweiligen Situationsschilderungen zeigen jedoch aussagekräftige Unterschiede: Ex 2,13 spricht sachlich davon, dass Mose hinausgeht (evxe,rcomai) und Augenzeuge (o`ra,w) von einem Ringen (diaplhktizo,menoi) zwischen zwei Hebräern (du,o a;ndrej Ebrai,oi) wird, von denen einer als Hauptschuldiger (o` avdikw/n) auszumachen ist. Seine Unrechttat besteht im Schlagen (tu,ptw) seines Nächsten (o` plhsi,oj), wie es in Moses Frage an ihn formuliert wird. Da dies genau dem Verhalten des Ägypters gegenüber dem Hebräer in Ex 2,11 entspricht, wird die Verwerflichkeit dieses Verhaltens umso deutlicher: Der Israelit behandelt seinen Nächsten, den Stammesbruder, ebenso wie der Ägypter – Angehöriger des Unterdrückervolkes – den Israeliten. Außerdem wird Mose durch seine Frage, die den Unrechttäter implizit zur Rechenschaft auffordert, als Autorität statuiert.630 Im Gegensatz zu dieser klaren Situationsschilderung und Rollenverteilung skizziert Apg 7,26a die Szene nur vage: Die am Konflikt beteiligten Personen werden nur als Streitende benannt – erst in 7,26c werden sie indirekt als Israeliten identifiziert –, es wird keiner als Hauptschuldiger dargestellt – erst Apg 7,27a unterscheidet wie Ex 2,13 zwischen o` avdikw/n und o` plhsi,oj – und statt von einer konkreten Tat ist erneut nur von einem »Unrechttun« (avdike,w) die Rede.631 So wird in dieser sehr allgemein gehaltenen Konfliktsituation primär die Anstößigkeit dessen deutlich, dass »Brüder« einander Unrecht tun. Außerdem wird Moses Rolle in dieser Szene pointiert, denn zum einen wird schon sein Auftreten durch w;fqh qualifiziert, er wird also nicht nur als Augenzeuge des Konflikts dargestellt, und zum anderen stehen seine Worte an beide Konfliktpartner unter dem Motiv, Frieden zu stiften. Damit ist von Anfang an klar, dass er hier als Heilsmittler fungiert. Signifikant ist weiterhin die Einleitung zur Rede des Unrechttäters: Während sie in Ex 2,14 nur ganz kurz und sachlich formuliert wird, betont der Zusatz avpw,sato auvto,n in Apg 7,27a, dass Mose von dem Unrechttäter abgelehnt wird.
629 Die unterschiedliche Wortwahl th/| te evpiou,sh| h`me,ra| (Apg 7,26) statt th/| h`me,ra| th/| deute,ra| (Ex 2,12) führt inhaltlich nicht zu entscheidenden Veränderungen. 630 Vgl. JACOB, Exodus, 35. BARRETT, Acts, 358. Die D Variante formuliere an dieser Stelle schärfer: ti, poiei/te, a;ndrej avdelfoi,; 631 Vgl. BARRETT, Acts, 358.
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Die rhetorischen Fragen des Unrechttäters von Ex 2,14b.c werden in Apg 7,27b-28 wörtlich wiedergegeben. Damit illustrieren zwar beide Texte Moses Funktion und die Ablehnung durch den Unrechttäter, aber aufgrund der je etwas anders geschilderten Konfliktsituation werden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Da sich in Apg 7,27b.28 die im Rednerkommentar Apg 7,25 konstatierte unverständige Ablehnung des Mose durch seine Brüder bestätigt, wird hier die kontrastierende Gegenüberstellung des Unrechttäters und des Heilsmittlers Mose fokussiert.632 Dagegen wird in Ex 2,14 das Erschlagen des Ägypters durch Mose (Ex 2,12) dezidiert als Mord bewertet.633 Zu dieser unterschiedlichen Akzentuierung trägt auch die jeweilige Fortsetzung der Episode bei: Laut Ex 2,14d reagiert Mose auf die Fragen des Unrechttäters mit Furcht vor der öffentlichen Kenntnis darüber, dass er den Ägypter erschlagen hat. Dass Moses Tat als Vergehen beurteilt wird, bestätigt die Absicht des Pharao, Mose zu töten (Ex 2,15a). Als Reaktion des Mose berichtet Ex 2,15b daraufhin: avnecw,rhsen de. Mwush/j avpo. prosw,pou Faraw kai. w;|khsen evn gh/| Madiam »Mose aber entfernte sich vom Angesicht Pharaos und wohnte im Lande Midian.«
Auch Apg 7,29 erwähnt Moses Flucht: e;fugen de. Mwu?sh/j evn tw/| lo,gw| tou,tw| »Und Mose floh bei diesem Wort«. Diese ist hier aber nicht von Moses Furcht und der Tötungsabsicht des Pharao veranlasst (Ex 2,15), sondern liegt ausdrücklich in den ablehnenden Worten des Unrechttäters begründet (evn634 tw/| lo,gw| tou,tw|). Daran verdeutlicht sich noch einmal die Konzentration auf die Opposition635 zwischen dem Heilsmittler Mose und den unverständigen Israeliten, während Ägypten und der Pharao vergleichsweise entlastet werden, indem sie nicht als entscheidende Gegner von Mose dargestellt werden.636 632
Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 134, betrachtet diese Verse als Interpretation von Ex 2,11-14 im Sinn eines grundsätzlichen Widerspruchs der Israeliten gegen Mose. Dies zeige sich erst recht anhand von Apg 7,35. Vgl. auch SCHNEIDER, Apg, 182–183. 633 Außerdem hebt Ex 2,14 vor dem Hintergrund von Ex 2,13 die Parallele zwischen dem schlagenden Israeliten und dem schlagenden Ägypter erneut hervor, während diese in Apg 7,28 nur angedeutet wird. 634 evn ist hier instrumental gebraucht. Vgl. BDR § 219. FITZMYER, Acts, 377 u.a. 635 Das vorangestellte Verb feu,gw und das adversative de, deuten auf eine kontrastierende Gegenüberstellung hin. 636 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 366–367. PESCH, Apg, 253. JERVELL, Apg, 283. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 134, äußert sich zwar kritisch zur Meinung, die Änderung der Fluchtmotivation verglichen mit Ex 2,14-15 sei inhaltlich bedeutsam. Dennoch kommt er – ohne einen Erklärungsversuch – zu dem Schluss, es bleibe auffällig, dass ausgerechnet der dem Mose nach dem Leben trachtende Pharao „weggekürzt“ sei.
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Als Ergebnis der Flucht notiert 7,29b zuerst, Mose wurde pa,roikoj, bevor der Fluchtort Midian637 genannt wird. Mit dieser Betonung des Fremdseins638 wird die Verheißung an Abrahams Nachkommen von 7,6b (e;stai to. spe,rma auvtou/ pa,roikon evn gh/| avllotri,a| »Seine Nachkommenschaft wird fremd sein in einem fremden Land«) aufgegriffen, so dass Moses Aufenthalt als Fremder in Midian als eine exemplarische Erfüllung dieser Ankündigung erscheint. Die Fortsetzung der Verheißung, Abrahams Nachkommen werden unterdrückt werden (7,6c-d), oder der gewöhnliche Status eines pa,roikoj als eines Menschen minderen Rechts639 werden in 7,29 nicht angedeutet. Vielmehr lautet die einzige Information über Moses Aufenthalt in Midian: ou- evge,nnhsen ui`ou.j du,o. »wo er zwei Söhne zeugte.« Damit wird eher auf ein Wohlergehen und auf die Erfüllung der Nachkommensverheißung auch in diesem fremden Midian hingewiesen.640 Die Konzentration auf diese Aspekte wird noch deutlicher angesichts der ausführlichen Erzählung über Moses Aufenthalt in Midian in Ex 2,1622. Davon wird nämlich durch Stichwortverbindungen ausschließlich die Geburtsnotiz aufgenommen: Ex 2,22 evn gastri. de. labou/sa h` gunh. e;teken ui`o,n kai. evpwno,masen Mwush/j to. o;noma auvtou/ Ghrsam le,gwn o[ti pa,roiko,j eivmi evn gh/| avllotri,a|. »Als aber die Frau empfangen hatte, gebar sie einen Sohn. Und Mose nannte seinen Namen Gersam, indem er sagte: Ein Fremder bin ich in fremdem Land.«
Vor diesem Hintergrund zeigt sich erneut, dass Apg 7,29b Moses Fremdsein als einen Teil der Verheißungserfüllung betont, indem dieser Zustand vor allem anderen als Ergebnis der Flucht genannt wird. In Ex 2,22 dagegen dient die Attribuierung als pa,roikoj der (rückblickenden und deutenden) Erklärung des Namens Gerschom durch Mose. Noch ausdrücklicher wird dabei allerdings die Verheißung Gottes an Abraham Gen 15,13 eingespielt. Auch die Fokussierung auf Moses Nachkommenschaft (auch als Teil der Verheißungserfüllung) verdeutlicht sich vor dem Hintergrund von 637 Weitere Angaben über Midian, z.B. geographischer Art, fehlen hier, scheinen demnach nebensächlich zu sein. FITZMYER, Acts, 377, bemerkt, dass über Midian insgesamt wenig bekannt ist, und verweist auf Gen 25,2-4. Laut KEE, Acts, 99, handelt es sich bei Midian geographisch gesehen um ein semitisch bevölkertes Gebiet auf der Ostseite des Golfes von Aqabah gegenüber des Berges Sinai. 638 Vgl. BARRETT, Acts, 359. Die wörtliche Bedeutung von paroiko,j „Beisasse“, veranschauliche den Aspekt des Fremdseins. 639 Vgl. JANKOWSKI, Und sie werden hören, 126. Ein paroiko,j sei ein Mensch minderen Rechts, ein Exultant. 640 Vgl. BARRETT, Acts, 360.
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Ex 2,22. Während dort nur von Gerschom die Rede ist,641 erwähnt Apg 7,29b gleich zwei Söhne, die noch dazu dezidiert auf Mose zurückgeführt werden (evge,nnhsen ui`ou.j du,o), während seine Frau unerwähnt bleibt. Auch an 7,29 sieht man also, dass die Stephanusrede bei der Erzählung der Mosegeschichte generell dem Erzählfaden des Buches Exodus folgt, aus diesem aber bestimmte Aspekte hervorhebt. So werden in Apg 7,29 – gerade durch die knappe Notiz – folgende Schwerpunkte gesetzt: Aufgrund des Kontextes Apg 7,23-28 wird die unverständige Ablehnung des Heilsmittlers Mose durch die Israeliten unterstrichen, die sogar zu einer räumlichen Distanz führt.642 Zugleich wird der Aufenthalt in Midian als Erfüllung der Verheißung an Abrahams Nachkommen in zweierlei Hinsicht dargestellt: Zum einen erfüllt sich die Vorhersage des Fremdseins in einem fremden Land (7,6b) – in Analogie zu Ex 2,22 –, zum anderen aber auch gerade in dieser Fremde die Nachkommensverheißung, die in 7,5b.6b impliziert ist. Fazit zu Apg 7,23-29 Auf der Basis der grundsätzlichen Einordnung der Mosegeschichte in die Zeit der Erfüllung der Verheißung und der Skizzierung von Moses grundlegendem Gottesbezug in 7,20-22 wird in 7,23-29 konkretisiert, inwiefern die Mosegeschichte Teil der Zeit der Verheißungserfüllung ist. So wird anhand von zwei exemplarischen Unrechtssituationen Mose als Heilsmittler Gottes und die Reaktion der Israeliten auf diesen veranschaulicht. Zunächst weist in einem Konflikt zwischen einem Ägypter und einem Israeliten (7,23-24) Moses Sorge um Recht auf seine besondere Rolle hin, die anschließend in einer Art Kommentar explizit als Heilsmittlerschaft gedeutet wird (7,25). Daraufhin wird anhand eines Streits zwischen Israeliten 7,26-28 ebenfalls dargestellt, wie Mose seine Heilsmittlerfunktion konkret realisiert, nämlich in der Rolle eines Friedensstifters (sunh,llassen auvtou.j eivj eivrh,nhn), aber auch eines Anführers (a;rcwn) und Richters (dikasth,j). Damit wird die generelle Charakterisierung von Mose als Gestalt mit besonderem Gottesbezug (7,20) und prophetischen Zügen (7,22) erzählerisch entfaltet. Aber auch die damit zusammenhängende Ablehnung 641
Außerdem tritt in dieser Geburtsnotiz Mose durch die Formulierung evge,nnhsen als Subjekt auf. Von den beiden Söhnen Moses spricht erst Ex 18,3-6 ausdrücklich, selbst wenn diese schon in Ex 4,20 vorausgesetzt sind. Vgl. PESCH, Apg, 253. BARRETT, Acts, 359. 642 Vgl. SPENCER, Acts, 75. Er erklärt diese größere Distanz damit, dass Mose laut Apg 7,29 mit der lokalen Bevölkerung Verwandtschaftsverhältnisse schaffe. Allerdings wird die lokale Bevölkerung Midians hier – gerade im Vergleich mit Ex 2,15-22 – gar nicht erwähnt, so dass bei einer solchen Interpretation Informationen aus dem Intertext eingetragen werden.
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des Mose wird konkretisiert, denn einen weiteren Schwerpunkt bildet das Spannungsverhältnis zwischen Mose und den Israeliten: So bereitet 7,25 die unverständige Ablehnung des Heilsmittlers Mose durch seine »Brüder« vor, und 7,26-29 erzählt exemplarisch deren Umsetzung. Bei der Darstellung dieses Abschnitts der Mosegeschichte als eine Konfliktgeschichte spielt 7,23-29 im Wesentlichen den Grundplot von Ex 2,1222 ein,643 versieht diesen aber durch diverse signifikante Unterschiede mit eigenen Akzenten. So wird den beispielhaften Konfliktsituationen im Vergleich zu den Exodustexten allgemeinerer Charakter verliehen (vgl. Apg 7,23-24 mit Ex 2,11-12 und Apg 7,26 mit Ex 2,13-14). Der Präsentation als Konfliktgeschichte korrespondiert, dass das Verhalten der Israeliten tendenziell verwerflicher geschildert wird als in den Subtexten, während Mose als Kontrast zu ihnen vergleichsweise idealisiert wird.644 Der Pharao und das Land Ägypten spielen dabei eine untergeordnete Rolle bzw. finden gar keine Erwähnung.645 Während Moses Heilsmittlerschaft und seine Ablehnung in 7,23-28 besonders mithilfe von direkten Reden – zum Teil in wörtlicher Wiedergabe des Subtextes – und mit Kommentar in 7,25 illustriert wird, bewirkt in 7,29 gerade die starke Verkürzung von Ex 2,16-22 eine besondere Konzentration auf bestimmte Aspekte. So wird darin abschließend noch einmal das Spannungsverhältnis zwischen den Israeliten und Mose betont und die Mosegeschichte in die »Zeit der Erfüllung der Verheißung« eingeordnet. In Moses Fremdsein in Midian erfüllt sich nämlich die Verheißung an Abrahams Nachkommen von 7,6b, aber auch die implizite Nachkommensverheißung gerade in diesem fremden Midian, wie die Geburtsnotiz 7,29b in Analogie zu Ex 2,22 zeigt. Damit wird zum einen – ähnlich wie im Exodustext – die Schilderung der Anfänge der Mosegeschichte beendet.646 Zum anderen wird hier die Grundlage für deren Fortsetzung, die ebenfalls 643 Von den drei dort berichteten Episoden aus Moses Jugend – Erschlagen eines Ägypters, Zurechtweisen eines Stammesgenossen, Unterstützung der Töchter des Priesters von Midian – werden nur die ersten beiden eingespielt. Vgl. JACOB, Exodus, 38. Jede der drei Episoden an sich bleibe in Ex 2,11-22 ergebnislos, aber in ihrer Verknüpfung brächten sie Mose nach Midian, unter anderem als Hirten an die Stelle, an der er die Berufung zum Gesandten Gottes empfange. Eine Zusammenstellung markanter Verschiebungen in Apg 7,20-29 im Vergleich zu Ex 2 bieten auch FISCHER/MARKL, Das Buch Exodus, 43–44. 644 Der Exodustext dagegen zeigt diese Neigung zur Idealisierung Moses nicht. Vgl. JACOB, Exodus (1997), 38. JESKA, Geschichte Israels, 167–168, beobachtet, dass diese Episode in keinem weiteren Summarium der Geschichte Israels angeführt wird, auch nicht in nachbiblischen Mosedarstellungen. So ist es bemerkenswert, dass dieser „neuralgische Punkt“ von Moses Leben (Ex 2,11-15) überhaupt erwähnt wird. 645 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 170. Er spricht sogar von einer „Entlastung“ der Ägypter bzw. Ägypten und des Pharao. 646 Vgl. JACOB, Exodus, 38.
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zur »Zeit der Erfüllung der Verheißung« gehört, gelegt, denn Mose ist eingehend als Heilsmittler Gottes gezeichnet, in dessen Geschichte sich bereits Momente der Verheißungen erfüllt haben.647 In der besonderen Art der Darstellung dieser Etappe der Mosegeschichte zeigt sich, dass hier gedeutete und aktualisierte Geschichtserzählung vorliegt. Indem die beiden exemplarischen Konfliktsituationen ähnlich ausführlich und anschaulich erzählt werden wie in den Exodustexten, wird die hier erzählte Geschichte für die Hörer der Rede gewissermaßen neu lebendig. Durch die Tendenz der Generalisierung dieser Episoden werden sie zugleich transparent für andere, ähnliche Situationen.648 Zur Deutung und Aktualisierung trägt außerdem der Kommentar 7,25 bei, der diesen Abschnitt der Mosegeschichte direkt als Geschichte des Heilsmittlers Gottes und dessen unverständige Ablehnung interpretiert. 7.2.3 Apg 7,30-34 Apg 7,30-32 30
31a b 32a b 30
31a b 32a b
647
Kai. plhrwqe,ntwn evtw/n tessera,konta w;fqh auvtw/| evn th/| evrh,mw| tou/ o;rouj Sina/ a;ggeloj evn flogi. puro.j ba,touÅ o` de. Mwu?sh/j ivdw.n evqau,mazen to. o[rama( prosercome,nou de. auvtou/ katanoh/sai evge,neto fwnh. kuri,ou\ evgw. o` qeo.j tw/n pate,rwn sou( o` qeo.j VAbraa.m kai. VIsaa.k kai. VIakw,bÅ e;ntromoj de. geno,menoj Mwu?sh/j ouvk evto,lma katanoh/saiÅ »Und als erfüllt worden waren vierzig Jahre erschien ihm in der Wüste des Berges Sinai ein Engel in der Flamme eines Feuers eines Dornbusches. Und Mose wunderte sich, als er die Erscheinung sah, und als er hinzuging, um genau zu betrachten, geschah die Stimme des Herrn: Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs. Und Mose begann zu zittern und wagte nicht, genau zu betrachten.«
Mose werde als ein Mann geschildert, der dieser Berufung zum Heilsmittler Gottes würdig ist. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 460. Ähnlich formuliert JACOB, Exodus, 39, die Funktion von Ex 2,11-22. Unter anderem zeige sich nämlich schon früh Moses Mut, gegen Unrecht und Gewalttat aufzutreten. 648 Ein Transfer auf andere Situationen deutet sich bereits innerhalb der Stephanusrede in Apg 7,35 an.
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Mit ähnlichen Worten wie in 7,23 leitet die Zeitangabe kai. plhrwqe,ntwn649 evtw/n tessera,konta einen neuen Abschnitt der Mosegeschichte ein und ordnet diesen wiederum in die »Zeit der Erfüllung der Verheißung« ein. Seit Moses Geburt entsteht also eine Periodisierung in Zeiträume von jeweils vierzig Jahren.650 Auch das hier beschriebene Ereignis wird durch das emphatisch vorangestellte w;fqh von Beginn an besonders ausgezeichnet. Nach der Angabe des Empfängers auvtw/| (Mose) und der Verortung evn th/| evrh,mw| tou/ o;rouj Sina/ zeigt sich die Besonderheit dieser Erscheinung nicht nur in ihrem Subjekt a;ggeloj, sondern auch in der detaillierten Angabe des Schauplatzes evn flogi. puro.j ba,tou. So wie schon die bisherige Darstellung der Mosegeschichte den Grundplot von Ex 1-2 einspielt, sind auch hier deutliche Referenzen auf Ex 3,1-2 zu erkennen: Vor dem Hintergrund der Erzählung von Moses Aufenthalt in Midian Ex 2,16-22 schildert Ex 3,1-2 die besondere Erscheinung, die Mose während seiner Hirtentätigkeit erfährt: 1 kai. Mwush/j h=n poimai,nwn ta. pro,bata Ioqor tou/ gambrou/ auvtou/ tou/ i`ere,wj Madiam kai. h;gagen ta. pro,bata u`po. th.n e;rhmon kai. h=lqen eivj to. o;roj Cwrhb 2 w;fqh de. auvtw/| a;ggeloj kuri,ou evn flogi. puro.j evk tou/ ba,tou kai. o`ra/| o[ti o` ba,toj kai,etai puri, o` de. ba,toj ouv katekai,eto. »1 Und Mose pflegte die Schafe Jothos, seines Schwiegervaters, des Priesters von Midian, zu weiden.Da trieb er (einmal) die Schafe auf die andere Seite der Wüste, und er kam an den Berg Horeb. 2 Es erschien ihm aber ein Bote des Herrn im Feuer einer Flamme aus dem Dornbusch, und er sieht, dass der Dornbusch im Feuer brennt, aber der Dornbusch verbrannte nicht.«
Während Ex 3,1 ausführlich die äußeren Umstände der Szenerie beschreibt, stellt Apg 7,30 unmittelbar im Anschluss an die Zeitangabe mit dem Verb w;fqh das besondere Ereignis in den Mittelbpunkt. Ähnlich große Aufmerksamkeit wie Ex 3,1 widmet Apg 7,30 der Ortsangabe, allerdings mit einer Veränderung: Während Ex 3,1 als Ort der Erscheinung in der Wüste den Berg Horeb nennt (… u`po. th.n e;rhmon kai. h=lqen eivj to. o;roj Cwrhb), wird der Berg in Apg 7,30 Sinai bezeichnet (evn th/| evrh,mw| tou/ o;rouj Sina/). Dadurch wird der Ort dieser ersten Erscheinung vor Mo649
Zum Verb plhro,w vgl. Apg 7,23. Implizit wird dadurch auch die Zeit der Erfüllung der Verheißung periodisiert, insofern Moses Geburt darunter einzuordnen ist. So umfasst die erste Periode Apg 7,17 oder 7,20-7,22, die zweite Periode samt Aufenthalt in Midian Apg 7,23-29. Noch einmal findet sich die Zeitangabe von vierzig Jahren in Apg 7,36. Diese Einteilung entspricht auch rabbinischen Quellen, die für Moses Zeit in Midian 40 Jahre ansetzen. Vgl. JERVELL, Apg, 239. 650
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
se ausdrücklich mit jenem gleichgesetzt, an dem auch die Gesetzgebung situiert ist (vgl. Ex 19,1-2; Dtn 33,2; Apg 7,38 u.a.),651 mit der Mose häufig identifiziert wird.652 Auf die Besonderheit der Erscheinung machen beide Texte mit fast identischen Formulierungen aufmerksam: w;fqh (de.) auvtw/| a;ggeloj (kuri,ou) evn flogi. puro.j (evk tou/)653 ba,tou. Indem Mose ein Engel (des Herrn) als Bote Gottes erscheint, wird ausgedrückt, wie sich der transzendente Gott zeigt.654 Auch die Erscheinung in den Flammen des Feuers eines Dornbusches betont metaphorisch, wie der transzendente Gott zu ‚sehen‘ ist.655 Im Kontext der Stephanusrede wird durch w;fqh und die Illustration der Transzendenz Gottes auch das Erscheinen des »Gottes der Herrlichkeit« vor Abraham (o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa,m) in Mesopotamien (7,2) eingespielt. Ähnlich wie in der Abrahamsgeschichte geht es also auch hier um den transzendenten Gott, der sich Mose zeigt und in der Geschichte wirkt.656 Ort dieser Gottesbegegnung ist die Wüste am Berg Sinai.657 Dieser Geschichte des transzendenten Gottes entspricht auch die 651
Apg 7,38 rekurriert dann ebenfalls auf den Berg Sinai als Ort der Gesetzgebung, so dass der Ort der Berufungserscheinung und der Gesetzgebung auch innerhalb der Stephanusrede klar miteinander identifiziert werden. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 367, Anm. 154. DORMEYER/GALINDO, Apg, 114. SCHNEIDER, Apg, 462, Anm. 145, erklärt, dass die Verbindung to. o;roj Sina/ auch in Ex 19,16; Lev 7,38 u.a. der Name jenes Felsengebirges sei, in dem die Gesetzgebung stattgefunden habe. Laut JACOB, Exodus, 46, ruft Gott Mose an den drei parallelen Offenbarungsstätten Dornbusch, Sinai und Stiftszelt an (vgl. Ex 19,3; 24,16-25,1; Lev 1,1). Der Dornbusch sei also ‚Vorläufer‘ der beiden anderen. Zur Bezeichnung des Berges „Sinai“ oder „Horeb“ in biblischen Texten vgl. DOHMEN, Exodus, 52–54. 652 Vgl. innerhalb der Stephanusepisode Apg 6,11.13.14. Vgl. auch Apg 26,22; 1 Kor 3,15. 653 BARRETT, Acts, 360, erklärt, der Genitiv ba,tou in Apg 7,30 sei nur lose angehängt, während die Formulierung der LXX besser sei. 654 Ex 3,2 bezeichnet den Engel erläuternd als „Engel des Herrn“, was in Apg 7,30 impliziert ist, da Engel im lukanischen Doppelwerk durchgehend als Boten und Repräsentanten Gottes zugunsten seines Volkes auftreten. Innerhalb der Stephanusrede vgl. Apg 7,35.38.53; ebenso Lk 1,26-38; 2,9-13; 24,23; Apg 8,26; 12,7; 27,23 u.a. Vgl. BARRETT, Acts, 360. KOET, Dreams, 17. EISEN, Poetik, 155–156, beobachtet, dass Engel Figuren der erzählten Welt des lukanischen Dopppelwerks sind, die immer wieder an entscheidenden Punkten der Erzählung präsent sind. 655 Zum Feuer als Bild für die Erscheinung Gottes vgl. Ex 19,18; 24,17 u.a. Vgl. außerdem die Ausführungen zu o` qeo.j th/j do,xhj in Apg 7,2. Zu w;fqh vgl. auch Apg 7,26. SPENCER, Acts, 75, sieht im brennenden Dornbusch eine Analogie zu Apg 2,3, der Manifestation von Gottes Anwesenheit und Macht im Feuer. 656 Demnach kann 7,30 in Analogie zu 7,2 als Überschrift über die nun erzählte Etappe der Mosegeschichte verstanden werden. 657 Vgl. PENNER, Praise, 309. Er sieht hierin eine weitere Möglichkeit, die offene Formulierung in 7,7 zu füllen: „The place of Moses becomes the place of Abraham in Acts
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Außergewöhnlichkeit der Erscheinung, die Apg 7,30 mit Ex 3,2 eindrücklich vor Augen führt,658 und die sich in Moses Reaktion widerspiegelt: o` de. Mwu?sh/j ivdw.n evqau,mazen to. o[rama( prosercome,nou de. auvtou/ katanoh/sai … »Und Mose wunderte sich, als er die Erscheinung sah, und als er hinzuging, um genau zu betrachten, …« (7,31). Auf eine Gotteserscheinung weist Moses Verwunderung (qauma,zein)659 hin und auch seine Absicht, die Erscheinung genau zu betrachten (katanoe,w660), unterstreicht die Außerordentlichkeit dieses Ereignisses. Deutet Moses Verhalten darauf hin, dass diese Erscheinung visuelle Elemente enthält (ivdw/n; to. o[rama;661 katanoe,w), so verbindet der Text diese auch mit einer Audition:662 evge,neto fwnh. kuri,ou (7,31c). Sprecher ist nun aber 7:7.“ Ähnliches gelte in 7,33. Für JACOB, Exodus, 44–45, gibt es verschiedene Gründe dafür, dass das ‚Gesicht‘, das Mose hier sieht, genau die Gestalt eines brennenden Dornbusch hat: 1. Sie errege Moses Aufmerksamkeit, müsse also paradox sein, 2. die Unansehnlichkeit des Dornbuschs sei kein Hindernis für Gottes Anwesenheit darin (ebenso wenig sei der Sinai z.B. der höchste Berg; der Dornbusch sei also eine Art Vorläufer des Sinai), 3. hier bilde sich schon ab, was später noch ausdrücklich ein entscheidender Vorzug von Mose sein werde: Gott redet mit ihm nicht im Traum, sondern in vollem Bewusstsein, von Mund zu Mund (Ex 33,11; Num 12,6ff.; Dtn 34,10), und Gottes Herrlichkeit spiegelt sich in Moses Antlitz, nachdem er mit Gott, der im Feuer weilte, geredet hat (Ex 34,29ff.). Diese erste und letzte Erscheinung vor Mose ausgerechnet in diesem brennenden Dornbusch melde also das Göttliche an. 658 Selbst wenn in Apg 7,30 im Unterschied zu Ex 3,2 die verwunderliche Information fehlt, dass der Dornbusch trotz der Flammen nicht verbrennt, wird die Außergewöhnlichkeit in Apg 7,30 nicht geschmälert, wie Moses Reaktion in Apg 7,31 zeigt. BARRETT, Acts, 360, dagegen meint, das Nicht-Verbrennen des Dornbusches sei für Lukas eine überflüssige Information, die er auslasse. 659 Vgl. BERTRAM, GEORG, qauma,zw, in: ThWNT III, 27–42, hier 39–40. Bei Lukas werde damit meist ahnungsvolles oder ehrfurchtsvolles Staunen vor dem Göttlichen bezeichnet (vgl. Lk 1,63; 2,18; 8,25; 9,43; 11,14; 24,12; Apg 2,7; 4,13 u.a.). Im Imperfekt von qauma,zw ist der durative Aspekt impliziert. Vgl. BARRETT, Acts, 360. 660 Vgl. BEHM, JOHANNES, katanoe,w, in: ThWNT IV, 970–972, hier 971–972. Dieses Verb sei eng verwandt mit dem Simplex noe,w und intensiviert dessen eigentliche Bedeutung „seinen Sinn ganz auf etwas richten“. Der Schwerpunkt des neutestamentlichen Gebrauchs von katanoe,w liege in der visuellen Sphäre. Besonders bei Lk bezeichne es eine Wahrnehmung der Augen, die Beobachtung eines Tatbestandes oder eines Vorganges natürlicher oder wunderbarer Art (Lk 12,24.27; Apg 11,6). Diese Wahrnehmung vermittle Eindrücke, die zur Gewinnung wichtiger religiöser oder ethischer Einsichten beitragen. 661 to. o[rama ist in der Apostelgeschichte Terminus technicus für Visionen. Sie signalisieren und inaugurieren zentrale Paradigmenwechsel, in denen sich nach Apg 2,17 die Verheißung von Joel 3,1 erfüllt, und dienen der göttlichen Führung der Gemeinde. Vgl. FRENSCHKOWSKI, MARCO, Vision I-V, in: TRE 35 (2003), 117–137, hier 135. 662 Vgl. die partizipiale Konstruktion prosercome,nou de. auvtou/ katanoh/sai evge,neto fwnh. kuri,ou, durch die Moses Herangehen und das Ertönen der Stimme des Herrn in unmittelbare Nähe gerückt werden.
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nicht der Engel von 7,30, sondern der Herr bzw. »die Stimme des Herrn« – um wieder auf Gottes Transzendenz hinzudeuten.663 Auch dieser Bericht von Moses Reaktion und die Einleitung zu einer Rede Gottes spielen auf die Schilderung der Erscheinung Gottes vor Mose in Ex 3 an: Im Anschluss an die Beschreibung der außergewöhnlichen Erscheinung im brennenden Dornbusch (Ex 3,1-2) erzählt Ex 3,3-4 über diese Begebenheit Folgendes: 3
ei=pen de. Mwush/j parelqw.n o;yomai to. o[rama to. me,ga tou/to ti, o[ti ouv katakai,etai o` ba,toj. 4 w`j de. ei=den ku,rioj o[ti prosa,gei ivdei/n evka,lesen auvto.n ku,rioj evk tou/ ba,tou le,gwn Mwush/ Mwush/ o` de. ei=pen ti, evstin »3 Mose sagte: Ich will hinsehen, und diese große Erscheinung ansehen, weshalb der Dornbusch im Feuer nicht brennt. 4 Als aber der Herr sah, dass er hinzutrat, um zu sehen, da rief ihn der Herr aus dem Dornbusch: Mose, Mose! Der aber sagte: Was ist?«
Trotz inhaltlicher und zum Teil lexematischer Gemeinsamkeiten weicht Apg 7,31 von der Schilderung in Ex 3,3-4 doch erheblich ab. Während Ex 3,3 noch einmal auf den brennenden Dornbusch und dessen Außergewöhnlichkeit hinweist, notiert Apg 7,31a unmittelbar und ohne detaillierte Beschreibung der Erscheinung nur Moses Verwunderung. Erst im Anschluss daran wird von Moses Absicht berichtet, diese näher zu betrachten.664 Im Unterschied dazu nennt Mose in Ex 3,3 zuerst sein Vorhaben. Diese Differenzen verdeutlichen, dass Apg 7,31 primär Moses Verwunderung ins Zentrum rückt, während Ex 3,3 das Phänomen des brennenden Dornbusches stärker hervorhebt.665 Auffällig ist weiterhin, dass in Apg 7,31 der kurze Dialog zwischen Gott und Mose von Ex 3,4 fehlt. Mose kommt also in Apg 7,31 nicht zu Wort, so dass seine eigene Aktivität in den Hintergrund rückt, dafür seine Rolle als Erscheinungsempfänger betont wird. Außerdem erhalten dadurch die folgenden Worte Gottes stärkeres Gewicht, da nur sie in direkter Rede formuliert werden. Mit der Aussage evgw. o` qeo.j tw/n pate,rwn sou( o` qeo.j VAbraa.m kai. VIsaa.k kai. VIakw,bÅ »Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs.« (7,32a) identifiziert sich Gott ausdrücklich als der Gott, der »unserem Vater Abraham« (o` path.r h`mw/n) erschienen ist (7,2), der von Anfang an in der Geschichte Israels wirkt und eben diese unter Verheißun663 Insofern Gott Mose erscheint, indem er zu ihm spricht, wird erneut eine Parallele zur Erscheinung des »Gottes der Herrlichkeit« vor Abraham (7,2-3) angezeigt. 664 Die Umsetzung davon in Apg 7,31b ähnelt Ex 3,4. 665 Gleich zweimal hintereinander wird hier die Außergewöhnlichkeit formuliert, dass er trotz der Flammen doch nicht verbrenne.
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gen (7,5-7.17) sowie den Bund der Beschneidung (7,8) stellt. Durch diese Selbstvorstellung Gottes wird also deutlich, dass der Gott, der Mose erscheint, identisch ist mit dem, der kontinuierlich in der Geschichte »seiner Väter« (oi` pate,rej sou), die auch die Väter der Zuhörer der Stephanusrede sind (oi` pate,rej h`mw/n), erfahrbar ist.666 Der Selbstoffenbarung dieses Gottes entspricht auch Moses Reaktion: e;ntromoj de. geno,menoj Mwu?sh/j ouvk evto,lma katanoh/sai »Und Mose begann zu zittern und wagte nicht, genau zu betrachten.« (7,32b). Damit drückt sich nämlich in zweifacherweise Moses adäquate (Gottes-)Furcht aus: Zum einen wird diese im Erzittern körperlich sichtbar (e;ntromoj de. geno,menoj667), zum anderen schlägt sie sich in der Scheu nieder, die Erscheinung genauer zu betrachten (ouvk evto,lma katanoh/sai). Im Gegensatz zu 7,31, wo Mose ein genaueres Betrachten beabsichtigt (prosercome,nou de. auvtou/ katanoh/sai), steigert sich seine Verwunderung angesichts der Selbstvorstellung Gottes zu einer Furcht, so dass kein näheres Hinblicken mehr gewagt werden kann.668 Erneut spielt 7,32 die Exoduserzählung ein, die in Ex 3,6 in ähnlicher Weise die Selbstoffenbarung Gottes und Moses Reaktion darauf schildert:
666 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 136. BARRETT, Acts, 361. ZMIJEWSKI, Apg, 322. JERVELL, Apg, 239. Vgl. auch die fundamentale Bedeutung der Abrahamverheißung für die gesamte Heilsgeschichte bei Lukas (Lk 1,74-75; Apg 7,3.6-7). 667 e;ntromoj de. geno,menoj begegnet weiterhin in Apg 16,29, wo die Gefängniswärter angesichts des Erdbebens zittern, und in Hebr 12,21. Dort ist aber die Bezeugung unsicher. In der LXX wird diese Formulierung in Ps 17,8; 76,19 auf das Erzittern der Erde angesichts des Zornes Gottes bezogen. Vgl. SCHIFFNER , Lukas liest Exodus, 367, Anm. 155. SCHNEIDER, Apg, 462, Anm. 155. 668 Der Hinweis auf die Reaktion des Mose wird durch die Konjunktion de, unmittelbar mit der Selbstvorstellung Gottes verbunden.
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Ex 3,6 6a kai. ei=pen auvtw/| b evgw, eivmi o` qeo.j tou/ patro,j sou qeo.j Abraam kai. qeo.j Isaak kai. qeo.j Iakwb c avpe,streyen de. Mwush/j to. pro,swpon auvtou/ euvlabei/to ga.r katemble,yai evnw,pion tou/ qeou/
Apg 7,32 (7,31b … evge,neto fwnh. kuri,ou\) 32a evgw. o` qeo.j tw/n pate,rwn sou( o` qeo.j VAbraa.m kai. VIsaa.k kai. VIakw,bÅ b e;ntromoj de. geno,menoj Mwu?sh/j
6a »Und er sagte zu ihm: b Ich bin der Gott deines Vaters, Gott Abrahams und Gott Isaaks und Gott Jakobs. c Mose aber wandte sein Angesicht ab. Er scheute sich nämlich, in der Gegenwart Gottes niederzublicken.«
(7,31b »geschah die Stimme des Herrn) 32a Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs. b Und Mose begann zu zittern und wagte nicht, genau zu betrachten.«
ouvk evto,lma katanoh/saiÅ
Die Gottesrede in Apg 7,32a nimmt also fast wörtlich Ex 3,6b auf, abgesehen von wenigen Unterschieden,669 die aber den Inhalt der Aussage kaum verändern. So stellt Gott in beiden Texten sein „Wesen“670 vor, indem er sich ‚Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs‘ nennt. Demnach ist Gottes Wesen dadurch gekennzeichnet, kontinuierlich in der Geschichte Israels zu handeln. Apg 7,32a deutet nur noch etwas stärker auf die Kontinuität von Gottes Handeln in der Geschichte Israels hin und schafft ein Verbindung zu den Adressaten der Rede. Der Plural o` qeo.j tw/n pate,rwn sou – statt des Singulars o` qeo.j tou/ patro,j sou in Ex 3,6b – verweist nämlich auf die Formulierung oi` pate,rej h`mw/n, die in der Stephanusrede häufig die Aktualität der Geschichte für die Hörer der Rede unterstreicht.671 In Ex 3,6c spiegelt Moses Reaktion, sein Gesicht zu verhüllen, weil er sich fürchte, Gottes Angesicht anzublicken, Moses Wissen darum wider, dass Gott von einem Menschenauge nicht gesehen werden kann, weil dies tödlich wäre.672 Ähnlich drückt Apg 7,32b mit veränderter Wortwahl und 669
So formuliert Apg 7,32a Gottes Selbstvorstellung ohne das Verb eivmi, elliptisch, verwendet den Plural tw/n pate,rwn sou statt des Singulars in Ex 3,6 (tou/ patro,j sou), fügt den Artikel zu qeo.j hinzu (o` qeo.j VAbraa,m) und lässt die Wiederholung von qeo,j vor Isaak und Jakob aus. 670 JACOB, Exodus, 48. 671 Vgl. JACOB, Exodus, 48. Der Singular bezeichne Moses leiblichen Vater, durch den Mose von Gott überhaupt wisse. Folgt man dieser Interpretation, so wird der Unterschied zu Apg 7,32 noch evidenter. Vgl. auch PESCH, Apg, 253. 672 Vgl. BARRETT, Acts, 361. Laut JACOB, Exodus, 49, handelt es sich hier nicht um eine Verhüllung, die das Sehen unmöglich machte, sondern nur um eine den Blick dämpfende und den Gesichtsausdruck deckende Verschleierung, verwandt mit unserem ‚Nie-
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Reihenfolge Moses Haltung gegenüber Gott aus, indem zuerst Moses grundlegende Gottesfurcht genannt wird und daraufhin seine Scheu, näher hinzublicken. Letzteres kommt dem Verhüllen des Angesichts von Ex 3,6 nahe, das verwandt mit dem „Niederschlagen der Augen“673 ist. Beide Texte weisen also auf Moses Wissen um die Umöglichkeit, den transzendenten Gott direkt anzublicken, hin. Diese gemeinsamen Grundaussagen – Selbstoffenbarung des transzendenten Gottes, der in der Geschichte wirkt, und Moses adäquate Haltung Gott gegenüber – sind in den beiden Texten allerdings kontextuell etwas unterschiedlich eingebunden. In Ex 3,6 stellt Gott sich vor, nachdem er Mose mit Namen anspricht (Ex 3,4) und zum Ausziehen der Schuhe an diesem heiligen Ort auffordert (Ex 3,5). In der Stephanusrede dagegen stellt die Selbstoffenbarung die erste Gottesrede an Mose dar. Das Erste vor allem anderen, das Mose von Gott erfährt, ist also dessen Identität als der Gott der Väter, der kontinuierlich in der Geschichte der Verheißung handelt.674 Wird schon im Exodustext auf die fundamentale Bedeutung der Gottesoffenbarung hingewiesen, so wird diese in der Stephanusrede noch stärker betont. Dazu trägt neben dieser Voranstellung auch die Notiz über Moses Reaktion bei, die zugleich als retardierendes Moment der Spannungssteigerung dient.675 Auf der Basis dieser Selbstoffenbarung Gottes und Moses adäquater Gottesfurcht, erfolgt in Apg 7,33-34 eine weitere direkte Rede Gottes an Mose.
derschlagen der Augen‘. Mose sei nämlich von dem Bewusstsein durchdrungen, dass Gott selbst von einem Menschenauge nicht gesehen werden könne, weil dies tödlich sei (Gen 16,13; 32,31; Ex 20,19f.; 33,20; Ri 13,22f.). So sei diese Aussage besonders bezeichnend für Moses Gottesfurcht, zumal sie sonst nie von einem Menschen, sondern nur von Gott gemacht werde (Dtn 31,18; 32,20; Ps 10,11; 13,2; 22,25 u.a.). 673 JACOB, Exodus, 49. 674 Es ist also der Gott, der ausdrücklich in Apg 7,2.6-7.8.9.17.20.25 genannt wird, woran man sein Handeln zur Erfüllung der Verheißungen ablesen kann. Ähnlich erklärt JACOB, Exodus, 48, es sei der Gott der Väter, der die Kinder, sein Volk erretten wolle. Dass er als JHWH das kann und wird, soll sich an diesem seinem Namen zeigen. 675 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 322. Durch diese retardierende Unterbrechung vor der längeren Gottesrede Apg 7,33-34 wird erneut Spannung erzeugt. Ähnlich WITHERINGTON, Acts, 270.
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Apg 7,33-34 33a b 34a b c d 33a b 34a b c d
ei=pen de. auvtw/| o` ku,rioj\ lu/son to. u`po,dhma tw/n podw/n sou( o` ga.r to,poj evfV w-| e[sthkaj gh/ a`gi,a evsti,nÅ ivdw.n ei=don th.n ka,kwsin tou/ laou/ mou tou/ evn Aivgu,ptw| kai. tou/ stenagmou/ auvtw/n h;kousa( kai. kate,bhn evxele,sqai auvtou,j\ kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se eivj Ai;guptonÅ »Und es sprach zu ihm der Herr: Löse das Schuhwerk von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heilige Erde. Ich habe wahrhaftig die Unterdrückung meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Stöhnen habe ich gehört, und ich bin herabgestiegen, um sie zu erretten; und nun, auf! Ich will dich nach Ägypten senden.«
Nach einer kurzen Redeeinleitung (7,33a), stellt Gott mit dem Imperativ lu/son to. u`po,dhma tw/n podw/n sou eine Forderung an Mose676 und fügt als begründende Erklärung für das Ausziehen der Schuhe hinzu: o` ga.r to,poj evfV w-| e[sthkaj gh/ a`gi,a evsti,n »denn der Ort, auf dem du stehst, ist heilige Erde« (7,33c). Wenn also dieser Ort der Selbstoffenbarung Gottes677 nicht durch Schuhe verunreinigt werden soll,678 wird auf Gottes bleibende Transzendenz trotz seiner in 7,32 erfolgten Selbstoffenbarung hingewiesen. Diese Aussage über die Heiligkeit dieses Ortes der Gottesoffenbarung ist fast wörtlich identisch mit Ex 3,5b.679 Dort wird lediglich mit dem zusätzlichen Verbot Gottes, näher heranzukommen (mh. evggi,sh|j),680 die Wah676
Auch an Abraham stellt Gott laut Apg 7,3 als Erstes eine Forderung. Vgl. FITZMYER, Acts, 378. WITHERINGTON, Acts, 270. 678 Vgl. JACOB, Exodus, 47. Das Ausziehen der Schuhe soll den heiligen Ort vor Unreinheit bewahren, wie aus Ex 30,19f.; 29,4; Lev 8,6; 16,4 ersichtlich ist. Auch im Tempel gehen die Priester barfuß und der Tempelberg darf nicht mit Schuhen betreten werden. Vgl. auch JERVELL, Apg, 239. FITZMYER, Acts, 378. ZMIJEWSKI, Apg, 322. 679 Der einzige Unterschied besteht darin, dass in Apg 7,33 das nochmals betonende w-de aus Ex 3,5c entfällt und Apg 7,33 mit lu/son den Imperativ Aktiv verwendet statt des Imperativs Medium lu/sai aus Ex 3,5c. Inhaltlich bringt dies allerdings keine entscheidenden Veränderungen mit sich. Auch der einfache Genitiv tw/n podw/n (Apg 7,33) statt evk tw/n podw/n (Ex 3,5) verändert inhaltlich nichts. BARRETT, Acts, 361, betrachtet die LXX-Versionen hier als bessere Varianten. Dagegen sieht er in der Wendung evfV w-| e[sthkaj (Apg 7,33) eine Verbesserung gegenüber evn w-| su. e[sthkaj (Ex 3,5 LXX). 680 Vgl. JACOB, Exodus, 47: „So vertraut Mose mit Gott werden soll, so ist und bleibt er doch ein Mensch, und zwischen Gott und Mensch soll immer ein Abstand sein.“ Deshalb dürfe man sich nur in „heiliger Scheu“ nahen. 677
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rung der Distanz noch stärker pointiert, und erst danach Gottes Selbstoffenbarung formuliert (Ex 3,6). Wenn 7,33b in Analogie zu Ex 3,5b in Form einer Gottesrede deutlich macht, dass dieser Ort heilig ist, weil sich Gott dort in seiner bleibenden Transzendenz offenbart, wird zugleich die für die Stephanusepisode zentrale Frage nach dem Ort Gottes und einer angemessenen Haltung zu diesem thematisiert. Indem Gott selbst laut 7,33b diesen Ort, d.h. hier einen Dornbusch in der Wüste des Berges Sinai (7,30), als heiligen Ort seiner Anwesenheit qualifiziert, wird »dieser Ort« der Verheißung des Gottesdienstes (latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw| »und sie werden mir dienen an diesem Ort«), die 7,7d mit Anspielung auf Ex 3,12 formuliert, aber durch die Verwendung von o` to,poj ou-toj statt o` o;roj ou-toj für verschiedene Bedeutungen öffnet, mit einem möglichen Inhalt gefüllt.681 Darüber hinaus trägt 7,33b zu einer Relativierung des Jerusalemer Tempels bei, dessen Bedeutung als Ort Gottes in den Anklagen gegen Stephanus zur Debatte steht (vgl. 6,13: … ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ … »er hört nicht auf, Worte gegen diesen heiligen Ort zu reden«). Zum einen betont nämlich die Gottesrede in 7,33b, dass das Kriterium für die Heiligkeit eines Ortes die Anwesenheit Gottes ist, dieser aber dennoch transzendent, also auch distanziert vom jeweiligen Ort, bleibt. Zum anderen weist 7,33b mit einem Dornbusch in der Wüste des Berges Sinai einen Ort weit entfernt vom Jerusalemer Tempel als heiligen Ort der Präsenz Gottes aus.682 Nach dieser begründeten Aufforderung, mit der die Bedeutung der Gottesoffenbarung unterstrichen wird, gibt 7,34 drei Selbstaussagen Gottes wieder (7,34a-c), die letztlich in eine Sendung von Mose (7,34d) münden. Die erste Aussage ivdw.n ei=don th.n ka,kwsin tou/ laou/ mou tou/ evn Aivgu,ptw| »Ich habe wahrhaftig die Unterdrückung meines Volkes in Ägypten gesehen« (7,34a) weist zum einen darauf hin, dass sich die negative Verheißung Gottes an Abrahams Nachkommen, die in 7,6 mit kako,w formuliert wird, erfüllt hat (vgl. auch 7,17). Zum anderen wird durch die emphatische Wendung ivdw.n ei=don Gottes Interesse an und implizit Nähe zu seinem Volk Israel (tou/ laou/ mou) in dieser Unterdrückungssituation in Ägypten683 deutlich. Ähnlich unterstreicht 7,34b das schlechte Ergehen des Vol681
Vgl. Lektüre von Apg 7,7 mit Ex 3,12 als Intertext. LARKIN, Acts, 114, beobachtet, Gott erscheine zum zweiten Mal außerhalb des Heiligen Landes einer von ihm erwählten Person und eröffne einen Teil seiner Bundesverheißungen und seines Rettungswillens. 682 Vgl. SPENCER, Acts, 75. WITHERINGTON, Acts, 270. LARKIN, Acts, 114, betont, die Hörerschaft und Leser sollten erinnert werden, dass überall heiliger Boden ist, wo auch immer Gott sich zu erkennen geben will. Das sei eine Herausforderung für Juden im 1. Jh., die so sehr um das Heilige Land und den Tempel eifern. 683 Hier wird die offene Ortsangabe von 7,6 (evn gh/| avllotri,a|) konkretisiert und die implizite Angabe von 7,19 (kako,w) bestätigt.
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kes (tou/ stenagmou/ auvtw/n)684 und zugleich Gottes umfassende Wahrnehmung dieser elenden Lage, die er nicht nur sieht, sondern auch hört (h;kousa). Entsprechend dem Interesse an seinem unterdrückten Volk formuliert 7,34c Gottes Befreiungsabsicht: kai. kate,bhn evxele,sqai auvtou,j »und ich bin herabgestiegen, um sie zu erretten«. Durch die Rede vom »Herabsteigen« (katabai,nw) wird implizit Gottes Verhältnis zu seinem Volk ausgedrückt, denn darin wird seine Distanz, aber zugleich auch sein souveränes Wirken anschaulich. Da evxaire,omai die Verheißung an Abrahams Nachkommen, er werde sie herausführen (7,7c), einspielt, wird die Erfüllung dieser Zusage angesichts der konkreten Unterdrückungssituation in Ägypten in Aussicht gestellt.685 Diesem Befreiungswillen Gottes folgt Moses Sendung in Form einer Aufforderung:686 kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se eivj Ai;gupton »und nun, auf! Ich will dich nach Ägypten senden.« (7,34d). Selbst wenn der Zweck dieser Sendung nicht konkretisiert wird, ist die Umsetzung von Gottes Befreiungshandeln darin impliziert, zumal mit Ägypten als Ziel genau das Land genannt ist, in dem das Volk Israel unterdrückt wird (7, 18-19.34b). Auch 7,34 spielt einige Aussagen der Gottesrede von Ex 3,5-10 wörtlich ein:
684
Dieses ist emphatisch vorangestellt. 7,34a und 7,34b sind chiastisch konstruiert. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 322. 686 Forciert wird diese Aufforderung durch die Verbindung deu/ro mit dem adhortativen Aorist Konjunktiv avpostei,lw, der die Sendung zugleich auf die Zukunft bezieht. Vgl. BDR § 442. 8d n. 26. Da mit deu/ro Gott auch Abraham in Apg 7,3 auffordert, sein Land zu verlassen, ist hier eine gewisse Ähnlichkeit in der Aufforderung Gottes an Abraham und an Mose erkennbar. 685
7 Lektüre von Apg 7,20-43 Ex 3,5-10 5a kai. ei=pen b mh. evggi,sh|j w-de lu/sai to. u`po,dhma evk tw/n podw/n sou o` ga.r to,poj evn w-| su. e[sthkaj gh/ a`gi,a evsti,n
Apg 7,33-34 33a ei=pen de. auvtw/| o` ku,rioj\
(Ex 3,6)
(Apg 7,32)
7a ei=pen de. ku,rioj pro.j Mwush/n b ivdw.n ei=don th.n ka,kwsin tou/ laou/ mou tou/ evn Aivgu,ptw| c kai. th/j kraugh/j auvtw/n avkh,koa avpo. tw/n evrgodiwktw/n oi=da ga.r th.n ovdu,nhn auvtw/n 8a kai. kate,bhn evxele,sqai auvtou.j evk ceiro.j Aivgupti,wn b kai. evxagagei/n auvtou.j evk th/j gh/j evkei,nhj kai. eivsagagei/n auvtou.j eivj gh/n avgaqh.n kai. pollh,n … [9] 10a kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se pro.j Faraw basile,a Aivgu,ptou b kai. evxa,xeij to.n lao,n mou tou.j ui`ou.j Israhl evk gh/j Aivgu,ptou 5a »Und er sagte: b Tritt hier nicht näher heran! Löse das Schuhwerk von deinen Füßen! Denn der Ort, auf dem du stehst, ist heilige Erde. (Ex 3,6) 7a Es sagte aber der Herr zu Mose: b Ich habe wahrhaftig die Unterdrückung meines Volkes in Ägypten gesehen, c und habe ihre Klage angesichts ihrer Antreiber gehört; denn ich kenne ihr Leid: 8a Und ich bin herabgestiegen, b um sie zu erretten aus der Hand der Ägypter … [9] 10a Und nun auf! Ich will dich senden zu Pharao, dem König Ägyptens, b und du wirst mein Volk, die Israeliten, aus dem Land Ägypten herausführen.«
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b lu/son to. u`po,dhma tw/n podw/n sou( o` ga.r to,poj evfV w-| e[sthkaj gh/ a`gi,a evsti,nÅ
34a
ivdw.n ei=don th.n ka,kwsin tou/ laou/ mou tou/ evn Aivgu,ptw| b kai. tou/ stenagmou/ auvtw/n h;kousa(
c kai. kate,bhn evxele,sqai auvtou,j\
d kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se eivj Ai;gupton.
33a »Und es sprach zu ihm der Herr: b Löse das Schuhwerk von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heilige Erde. (Apg 7,32) 34a
Ich habe wahrhaftig die Unterdrückung meines Volkes in Ägypten gesehen, b und ihr Stöhnen habe ich gehört,
c und ich bin herabgestiegen, um sie zu erretten; d und nun, auf! Ich will dich nach Ägypten senden.«
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Dennoch wird Ex 3,5-10 durch geringe Abweichungen und durch Verkürzungen in Apg 7,33-34 ein wenig anders gefärbt: Gottes umfassende Wahrnehmung der Notlage Israels und Gottes Interesse an seinem Volk bringt Apg 7,34a.b fast identisch mit Ex 3,7b.c687 zum Ausdruck. Die unterschiedliche Begrifflichkeit o` stenagmo,j688 (Seufzen) statt h` krau,gh (Klage) (Ex 3,7c) verändert den Inhalt nicht wesentlich.689 Während Ex 3,7c mit dem Zusatz avpo. tw/n evrgodiwktw/n die konkrete Unterdrückungssituation, die z.B. Ex 1,11.14; 2,23 beschreibt, veranschaulicht, formuliert Apg 7,34b das Seufzen Israels ohne jede Konkretisierung. Allgemeineren Charakter hat auch die Formulierung von Gottes Befreiungsabsicht in Apg 7,34c (kai. kate,bhn evxele,sqai auvtou,j), die zwar den Worten der Kernaussage von Ex 3,8a entspricht, aber den Zusatz evk ceiro.j Aivgupti,wn weglässt. Indem in Apg 7,34c außerdem die konkrete Umsetzung von Gottes Befreiungsabsicht – Herausführen aus Ägypten und Hineinführen in ein Land, das Ex 3,8c als ein ideales Land illustriert690 – fehlt, steht allein Gottes Befreiungswille absolut im Zentrum, der weder an eine bestimmte Situation, noch an ein bestimmtes Handeln oder Zielland gebunden wird.691 Auch trägt das Fehlen von Ex 3,9692 zu einer Fokussierung der generellen Befreiungsabsicht Gottes bei. 687 Ex 3,7c betont mit oi=da ga.r th.n ovdu,nhn auvtw/n Gottes Interesse an und Verbundenheit mit seinem Volk noch einmal zusätzlich. JACOB, Exodus, 51, erklärt, im Hebräischen werde hier auch das Mitgefühl Gottes ausgedrückt und zwar mit denselben Verben wie in Ex 2,24. 688 o` stenagmo,j begegnet im Neuen Testament außer hier nur noch in Röm 8,26. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 462, Anm. 156. Durch dieses Lexem wird an Ex 2,24 erinnert, wo schon vor der Berufung von Mose summarisch das Schicksal des Volkes Israel in Ägypten sowie Gottes Hören und Sehen dessen notiert wird. Verbunden damit ist, dass Gott sich seines Bundes mit Abraham, Isaak und Jakob erinnert, was eine positive Wende ankündigt. Ein ähnlicher Zusammenhang findet sich in Ex 6,5. Allerdings legt sich aufgrund der sonstigen lexematischen und kontextuellen Analogien Ex 3,5-10 als primärer Intertext für Apg 7,33-34 nahe. Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 135, Anm. 177. Er übersetzt mit h` kraugh, „Geschrei“, o` stenagmo,j mit „Stöhnen/Seufzen“, womit aber kein signifikanter inhaltlicher Unterschied entstehe. 689 Auch die unterschiedliche Tempuswahl Indikativ Perfekt (Ex 3,7) und Indikativ Aorist (Apg 7,34) verändern inhaltlich nichts Wesentliches. Vgl. BARRETT, Acts, 362. 690 Als Charakteristika werden genannt, es sei »gut« (avgaqh,), »voll« (pollh,) und es »fließen Milch und Honig« (eivj gh/n r`e,ousan ga,la). Es wird außerdem durch die Bezeichnung als »Ort der Kanaaniter« (o` to,poj tw/n Cananai,wn) konkretisiert und die Aufzählung verschiedener Völker als geräumig genug ausgewiesen. Vgl. JACOB, Exodus, 52– 53. 691 Vgl. JANKOWSKI, Und sie werden hören, 127. 692 Ex 3,9 berichtet mit Rekurs auf Ex 3,7.8 und auf Ex 2,24-24 erneut die Unterdrückungssituation, die von Gott wahrgenommen wird, und leitet deutlich Gottes unmittelbar bevorstehendes Vorgehen dagegen ein.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
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Weiterhin unterscheiden sich die Darstellungen der Sendung Moses in folgenden Punkten voneinandner: In Ex 3,10 wird Mose zum Pharao, dem König und damit mächtigsten Mann von Ägypten, gesendet693 (kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se pro.j Faraw basile,a Aivgu,ptou) und ausdrücklich dazu aufgefordert, die Söhne Israels aus Ägypten herauszuführen (kai. evxa,xeij to.n lao,n mou tou.j ui`ou.j Israhl evk gh/j Aivgu,ptou). Damit werden also die ersten Schritte genannt, mit denen Gott durch Mose seinen Befreiungswillen realisieren wird. Dabei ist zunächst das Herausführen aus Ägypten – auch als Voraussetzung für das Hineinführen ins verheißene Land – zentral, wie der Rückgriff auf Ex 3,8b zeigt.694 In Apg 7,34d dagegen wird Mose nach Ägypten gesendet: kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se eivj Ai;gupton. Damit wird nur das Land der Unterdrückung aufgegriffen und dadurch Gottes Befreiungsabsicht unterstrichen. Da aber die konkrete Umsetzung im Sinne eines Herausführens aus Ägypten und Hineinführens in das verheißene Land (Ex 3,8.10) nicht erwähnt wird, sondern die Gottesrede an dieser Stelle endet, gewinnt auch Moses Sendung allgemeineren Charakter. Dies korrespondiert der Tendenz der Generalisierung der Notlage Israels (7,34a.b) und besonders des Befreiungswillens Gottes (7,34c) unabhängig von einer konkreten Unterdrückungssituation und dem verheißenen Land. So wird hier deutlich, wie die Stephanusrede „den Balanceakt wagt zwischen der Bewahrung der Landverheißung an Abraham und der gleichzeitigen Lockerung einer Bindung dieser Verheißung an ein konkretes Land.“695 Zur Konzentration auf Gottes generellen Befreiungswillen und auf die ebenso generelle Sendung von Mose trägt auch die Beendigung der Szene an dieser Stelle bei. Ex 3,11-4,17 schildert eine umfassende Zwiesprache zwischen Gott und Mose, in der zunächst Moses Zweifel zur Sprache kommen. Letztlich dient diese Unterredung der Vergewisserung, dass Gott selbst Israel aus Ägypten ins Land Kanaan führen werde und Mose als Gottes Gesandter sein Werkzeug dabei sein soll.696 Im Unterschied dazu 693 Vgl. JACOB, Exodus, 53–54, erklärt, dass es sich hierbei noch nicht um einen Auftrag Gottes handelt, weil das Verb avposte,llw im Futur oder Voluntativ stehe, sondern um einen Antrag Gottes, auf den Mose mit seinem freien Willen reagieren soll. So sei eigentliches Ziel dieser Unterredung, Mose mit all seinen Bedenken gegenüber dem Gottesruf ungehindert zu Wort kommen zu lassen. Dies entspreche Prophetenberufungen, wie z.B. die Berufung des Jesaja zeige. Laut BARRETT, Acts, 362, kann der Konjunktiv Aorist in Ex 3,10 und Apg 7,34 die Sendung als einen „Antrag“ Gottes charakterisieren, so dass man übersetzen könnte: ‚komm, lass mich dich senden‘. 694 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 368. Auch die Fortsetzung des Exodustextes weist darauf hin, dass zunächst das Herausführen aus Ägypten zentral für die Erzählung ist (vgl. Ex 3,11-4,17). 695 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 368. 696 JACOB, Exodus, 91: Gott beruft Mose dazu, „sein Wort zu anderen Menschen hinauszutragen und unter ihnen sein Werk auszurichten.“ Deutlich wird das daran, dass
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
erwähnt die Stephanusrede weder Moses zweifelnde Reaktionen noch die damit zusammenhängenden Zusagen und Anweisungen Gottes.697 Statt der dialogischen Struktur des Exodustextes findet sich hier ausschließlich die eine Gottesrede, die dadurch stärkeres Gewicht bekommt und auf ihre Art verdeutlicht, dass Gott der eigentliche Initiator des Befreiungshandelns ist und Mose Gottes gesandter Mittler. Darüber hinaus wird durch die Beendigung der Szene mit Ägypten als Zielangabe für Moses Sendung der Text für verschiedene Fortsetzungen geöffnet. Das Ziel Ägypten korrespondiert nämlich nicht nur dem Befreiungswillen Gottes, insofern es Ort der Unterdrückung Israels ist, sondern Ägypten ist auch mit der Ablehnung des Mose in seiner Funktion als Heilsmittler konnotiert (7,27-28). Da Gott Mose genau an diesen Ort zurückschickt, steht die Möglichkeit zu einem erneuten Widerstand gegen Mose offen.698 Fazit zu Apg 7,30-34 Der Abschnitt der Mosegeschichte, den Apg 7,30-34 als Teil der »Zeit der Erfüllung der Verheißung« erzählt, kann in Anlehnung an 7,30 mit ‚Erscheinen Gottes vor Mose in der Wüste des Berges Sinai‘ überschrieben werden. Wie schon die Schilderung des zentralen Ereignisses in 7,30 ankündigt, geht es nämlich um eine Offenbarung des transzendenten Gottes und damit vor dem Hintergrund von 7,2b um eine weitere Entfaltung der »Erscheinung des Gottes der Herrlichkeit« (o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh). Die Darstellung dieser Geschichte der Erscheinung Gottes folgt sehr nah der Erzählung von Ex 3,1-10 bis hin zu einigen wörtlichen Einspielungen von Passagen aus den Gottesreden. Erneut verdeutlichen Verkürzungen und geringe Unterschiede zu diesem Subtext eigene Akzentuierungen in Apg 7,30-34. Im Zentrum steht hier die Selbstoffenbarung Gottes als Gott, der in der Geschichte der Väter Israels kontinuierlich und souverän wirkt (7,32a), als solcher aber bleibend transzendent ist. Dieser korrespondiert insbesondere eine angemessene Gottesfurcht von Seiten Moses (7,31a.b.32b) und die sich im Prinzip die gesamte Unterredung um Gott, seinen Namen, sein Ich und sein Wirken dreht, wie Gottes Antworten auf Moses Zweifel jeweils zeigen. Vgl. JACOB, Exodus, 92–93. Jacob fasst die Antworten Gottes folgendermaßen zusammen: 1. Ich werde mit dir sein; 2. Ich werde sein, der ich sein werde; 3. das hyh der Zeichen; 4. ich bin J-h-w-h, ich werde mit deinem Munde sein; 5. ich werde mit deinem und seinem Munde sein. Zur künstlerischen Komposition des Dialogs vgl. EBD. 697 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 367. So werde etwa nicht einmal die Namensoffenbarung Ex 3,14 erwähnt. 698 Vgl. SCHNEIDER, Apg, 462. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 136. SPENCER, Acts, 75. Da der Pharao in Apg 7,34 nicht erwähnt wird, kann auch hier eine Entlastung des Pharaos im Vergleich zur Schilderung in den Exodustexten enthalten sein.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
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Qualifizierung des Ortes der Gottesoffenbarung als heilig (7,33b). Ähnlich wie in Ex 3 wird anhand der konkreten Unterdrückungssituation des Volkes Israel in Ägypten illustriert, dass Gott seine Befreiungsabsicht mithilfe seines Heilsmittlers Mose verwirklichen will (vgl. 7,25).699 Diese Rollenverteilung – Gott als Initiator des Heilshandelns, Mose als Offenbarungsempfänger und -mittler – wird dadurch unterstrichen,700 dass ausschließlich Gott in direkter Rede zu Wort kommt, während Moses Gottesfurcht nur beschrieben und seine Reaktion auf die Sendung durch Gott gar nicht thematisiert wird. Ein weiterer signifikanter Unterschied zu Ex 3,1-10 ist eine Tendenz zur Generalisierung, sowohl der Notlage Israels als auch des Befreiungswillens Gottes und der Sendung von Mose. Dadurch verstärkt sich der exemplarische Charakter dieser Erzählung vom Heilshandeln Gottes in Apg 7,30-34, so dass sie leichter auf andere Situationen übertragbar wird – ähnlich wie in 7,23-29. Diese Offenheit der Darstellung entspricht auch dem bisherigen Duktus der Stephanusrede: Deutet 7,7d angesichts der Frage nach dem Jerusalemer Tempel als einem privilegierten Ort der Anwesenheit Gottes (6,13-14) an, dass es verschiedene Orte Gottes und des Gottesdienstes gibt, so wird dies durch die Gottesrede in 7,33b noch einmal unterstrichen. Denn darin wird ausdrücklich der Ort der Selbstoffenbarung Gottes, d.h. ein Dornbusch in der Wüste des Berges Sinai (7,30), als heiliger Ort der Präsenz Gottes benannt. 7.2.4 Apg 7,35-43 Nachdem 7,30-34 das Verhältnis zwischen Gott und Mose als seinem Heilsmittler grundgelegt und illustriert hat, reflektiert 7,35 die gesamte bisher erzählte Mosegeschichte als Geschichte der Begegnung Gottes und deutet deren Fortsetzung an.
699
Was schon im Rednerkommentar 7,25 notiert wird, wird nun erzählerisch entfaltet. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 368. Ähnlich wird Gottes Rolle in Apg 2,22; Lk 9,43; 17,15; 13,13; 19,37f. betont. Vgl. auch GAVENTA, Acts, 126. 700
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
292 Apg 7,35 35a b 35a b
Tou/ton to.n Mwu?sh/n o]n hvrnh,santo eivpo,ntej\ ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth,nÈ tou/ton o` qeo.j Îkai.Ð a;rconta kai. lutrwth.n avpe,stalken su.n ceiri. avgge,lou tou/ ovfqe,ntoj auvtw/| evn th/| ba,tw|Å »Diesen Mose, den sie verleugneten, indem sie sagten: Wer hat dich eingesetzt zum Anführer und Richter? Diesen hat Gott als Anführer und Befreier gesandt durch die Hand eines Engels, der ihm erschienen ist im Dornbusch.«
Mit der Wendung tou/ton to.n Mwu?sh/n701 wird deutlich das Ende der Gottesrede und der Beginn eines neuen Abschnitts signalisiert, mit dem ein markanter Stilwechsel von einer Geschichtserzählung hin zu einem Kommentar über »diesen Mose« einhergeht.702 Dabei fasst die Beschreibung von Mose mit dem Relativsatz o]n hvrnh,santo eivpo,ntej die Zurückweisung durch einen Israeliten in Ägypten (7,27-28) interpretierend zusammen. Offensichtlich wird das durch die Frage ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth,n, mit der die erste rhetorische Frage des Israeliten von 7,27b fast wörtlich wiedergegeben wird. Im Unterschied dazu fehlt in 7,35a lediglich der Zusatz evf’ h`mw/n, wodurch diese Frage hier von der konkreten Situation von 7,27-28 abgelöst wird. Zur Verallgemeinerung trägt außerdem der Sprecherwechsel vom Singular in 7,27 (o` de. avdikw/n … eivpw,n) hin zum unbestimmten Plural in 7,35 (eivpo,ntej) bei. Dieser kann mit dem Volk Israel insgesamt gefüllt werden, das laut 7,25 Moses Funktion als Heilsmittler nicht versteht. 7,35 impliziert also, dass Mose nicht mehr nur von einzelnen Israeliten (7,27) Ablehnung erfährt, sondern potentiell von allen. 703 Welche Qualität dieser Kommentar der Zurückweisung Moses durch die Israeliten zuschreibt, ist auch in avrne,omai704 enthalten. Dasselbe Verb bezeichnet nämlich in Apg 3,13-14 die Verwerfung Jesu durch die dort mit Israeliten angesprochenen Jerusalemer Juden.
701 Mit tou/ton to.n Mwu?sh/n wird genau jener als Objekt genannt, der zuvor von Gott direkt angesprochen wurde. 702 Vgl. JERVELL, Apg, 239. Er entdeckt in den folgenden Versen auch die Form einer Anklagerede, teilweise mit hymnischen Zügen. Vgl. auch ZMIJEWSKI, Apg, 323. 703 Rückblickend ist der israelitische Unrechttäter in Apg 7,27-28 also ein Prototyp, an dem sich exemplarisch abzeichnet, was nun das ganze Volk Israel kennzeichnet. 704 Laut SCHNEIDER, Apg, 462, Anm. 157, heißt avrne,omai hier nicht „verleugnen“, sondern „nicht anerkennen“ und meint entsprechend Apg 3,13f. die „Lossagung“ Israels gegenüber Mose. Vgl. auch SCHENK, WOLFGANG, avrne,omai, in: EWNT2 I, 368–374, hier 370.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
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Apg 3,13-14 13 o` qeo.j VAbraa.m kai. Îo` qeo.jÐ VIsaa.k kai. Îo` qeo.jÐ VIakw,b( o` qeo.j tw/n pate,rwn h`mw/n( evdo,xasen to.n pai/da auvtou/ VIhsou/n o]n u`mei/j me.n paredw,kate kai. hvrnh,sasqe kata. pro,swpon Pila,tou( kri,nantoj evkei,nou avpolu,ein\ 14 u`mei/j de. to.n a[gion kai. di,kaion hvrnh,sasqe kai. hv|th,sasqe a;ndra fone,a carisqh/nai u`mi/n »13 Der Gott Abrahams und [der Gott] Isaaks und [der Gott] Jakobs, der Gott unserer Väter, hat verherrlicht seinen Knecht Jesus, den ihr ausgeliefert und verleugnet habt vor dem Angeicht des Pilatus, obwohl jener entschieden hatte, ihn freizulassen. 14 Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und gefordert, euch einen Mörder gnadenhalber zu überlassen.« Die Anstößigkeit der Verwerfung Jesu wird hier schon dadurch betont, dass Jesus als Knecht (pai/j) des Gottes unserer Väter bezeichnet wird, den Gott mit Herrlichkeit ausgestattet hat (doxa,zw), und der als „der Heilige“ (o` a[gioj) und „Gerechte“ (di,kaioj) betitelt wird. Besonders anschaulich wird die Verwerflichkeit der Ablehnung Jesu, wenn Gottes Verhalten in Apg 3,15 als Kontrast dazu gegenüber gestellt wird:705 to.n de. avrchgo.n th/j zwh/j avpektei,nate o]n o` qeo.j h;geiren evk nekrw/n( ou- h`mei/j ma,rture,j evsmen. »Den Führer zum Leben aber habt ihr getötet. Ihn hat Gott von den Toten erweckt – davon sind wir Zeugen.«
Apg 7,35 stellt Moses Ablehnung durch die Israeliten nicht nur mit avrne,omai in Analogie zur tödlichen Verwerfung Jesu,706 sondern wendet auch ein ähnliches Kontrastschema an wie Apg 3,13-15, indem Gottes Verhältnis zu Mose formuliert wird: tou/ton707 o` qeo.j Îkai.Ð a;rconta kai. lutrwth.n avpe,stalken su.n ceiri. avgge,lou tou/ ovfqe,ntoj auvtw/| evn th/| ba,tw|. »Diesen hat Gott als Anführer und Befreier gesandt durch die Hand eines Engels, der ihm erschienen ist im Dornbusch.« (7,35b). Ausdrücklich708 wird die eigentlich rhetorische Frage von 7,27b.35a nun beantwortet: Gott selbst hat diesen Mose als a;rcwn »Anführer« und lutrwth,j »Befreier« mit generell bleibender Bedeutung709 gesandt. Der Kontrast zwischen Gottes Handeln an Mose und dem Verhalten der Israeliten wird durch die fast identischen Formulierungen von Moses Funktionen illustriert. So begegnet a;rcwn in der rhetorischen Frage von 7,35a sowie in der Antwort darauf in 7,35b, und der Bestimmung zum dikasth,j (7,35a) wird die zum lutrwth,j (7,35b) 705 Ein ähnliches Kontrastschema findet sich auch in Apg 5,30-31. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 323. JERVELL, Apg, 239. Vgl. auch Apg 7,52. 706 Vgl. JERVELL, Apg, 239. BARRETT, Acts, 363. 707 Mit diesem vorangestellten tou/ton wird betont, dass es genau um jenen geht, den die Israeliten ablehnen. 708 Implizit wurde diese Frage auch schon in Apg 7,25 beantwortet. 709 Das Perfekt avpe,stalken kann hier darauf verweisen, dass Moses Sendung etwas Dauerndes ist, das weitherin Bedeutung hat, also auch für die Hörer der Rede. Vgl. BDR § 342. ZMIJEWSKI, Apg, 323. SCHNEIDER, Apg (1980), 462, Anm. 159. BARRETT, Acts, 364. Die bleibende Bedeutung Mose zeige sich z.B. in Apg 3,22.
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als Antwort gegenübergestellt. Durch die Attribuierung mit lutrwth,j erhält das Mosebild noch zusätzliche Konturen, denn dieses neutestamentliche Hapaxlegomenon steht in Lev 25,31.32; Ps 18,15; 77,35 für Gott selbst,710 und das häufiger verwendete Verb lutro,omai bezeichnet in der Regel „unentgeldliche Erlösung“ bzw. „Erlösung mittels einer Rettungshandlung“711. So findet sich lutro,omai auch im Rahmen von Gottes Anweisungen an Mose in Ex 6,6: Ex 6,6 evgw. ku,rioj kai. evxa,xw u`ma/j avpo. th/j dunastei,aj tw/n Aivgupti,wn kai. r`u,somai u`ma/j evk th/j doulei,aj kai. lutrw,somai u`ma/j evn braci,oni u`yhlw/| kai. kri,sei mega,lh| »Ich bin der Herr, und ich werde euch herausführen aus der Herrschaft der Ägypter und euch erretten aus der Sklaverei und euch befreien mit hoch erhobenem Arm und gewaltigem Gericht.« Gott kündigt hier sein Rettungshandeln in dreifacher Weise an: Es besteht erstens im Herausführen (evxa,gw)712 aus der Macht der Ägypter, weiterhin im Retten r`u,omai713 und im Befreien lutro,omai, das mit der oben beschriebenen Funktion des Lösens konnotiert ist. Veranschaulicht wird Gottes Handeln zusätzlich durch die Angabe der Mittel der (Er-)Lösung: mit »erhobenem Arm«, einem Ausdruck von Stärke, und mit »gewaltigem Gericht«.714
Wenn 7,35 mit lutrwth,j ein Attribut auf Mose anwendet, das in der Regel Gottes eigenes Erlösungshandeln beschreibt, wird Moses Heilsmittlerfunktion umso deutlicher. Als Befreier ist Mose Gesandter des erlösenden Gottes,715 worin eine gewisse richterliche Funktion impliziert ist, wie Ex 6,6 und das Attribut dikasth,j zeigen.716 710
Dort gibt lutrwth,j die Funktion des hebräischen lag wieder, also die Aufgabe, den einer Familie zugefügten Schaden zu beheben. Außer an den vier genannten Stellen findet sich lutrwth,j auch in der LXX nicht. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 369. BARRETT, Acts, 363. 711 Vgl. BARRETT, Acts, 364. FITZMYER, Acts, 378. lutro,omai gebe in der LXX meist das hebräische lag wieder, mit dem das Lösen eines Verwandten oder seines Eigentums aus fremder Gewalt und Herrschaft bezeichnet wird (vgl. Rut 2,20; 3,9ff.; Lev 25,25ff.). Vgl. auch JACOB, Exodus, 154. 712 Die Umsetzung dieses Herausführens durch Mose wird in Ex 3,11 u.a. ebenfalls mit evxa,gw formuliert. 713 Es gibt das hebräische lch wieder, das Gottes rettende Hilfe aus Mitgefühl für seinen unterdrückten Schützling meint. Vgl. JACOB, Exodus, 154. 714 Vgl. JACOB, Exodus, 155. Dabei handle es sich wahrscheinlich um Strafgericht, wie Ez 38,22 und 2 Chr 20,9 nahe legen. 715 Vgl. BARRETT, Acts, 364: „Moses can be described as lutrwth,j because he is the agent of the redeeming God.“ 716 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 369. Sie betont die Verbindung der beiden Funktionen, insofern nach biblisch-jüdischer Auffassung mit der Gabe der Tora wie mit
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Der Kontrast zwischen Gott und den Israeliten wird in 7,35b zusätzlich durch die Erläuterung su.n ceiri. avgge,lou tou/ ovfqe,ntoj auvtw/| evn th/| ba,tw| unterstrichen,717 da hiermit die Erzählung von der Erscheinung, in der Gott Mose gesandt hat (7,30-34), aufgegriffen wird.718 So wie 7,35a das Verhalten des Israeliten von 7,27-28 interpretiert, betont und deutet 7,35b das Ereignis von 7,30-34: In dieser Erscheinung eines Engels in einem Dornbusch (7,30: w;fqh auvtw/| … a;ggeloj evn flogi. puro.j ba,tou) hat Gott Mose als befreienden Heilsmittler für das Volk Israel nach Ägypten gesandt (7,34). Auch strukturell spiegelt sich diese Dialektik, dass Gott genau diesen Mose, den die Israeliten ablehnen, als a;rcwn und lutrwth,j (für sie) gesandt hat, wider. Es zeigt sich nämlich eine doppelte Inklusion: Zum einen umschließt die Ablehnung Moses durch die Israeliten die Schilderung von Gottes Erscheinung, zum anderen rahmt die Erscheinung Gottes umgekehrt die Notiz von der Zurückweisung durch die Israeliten: 7,27b avpw,sato auvto.n eivpw,n\ ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth.n evfV h`mw/nÈ … 7,30 w;fqh auvtw/| evn th/| evrh,mw| tou/ o;rouj Sina/ a;ggeloj evn flogi. puro.j ba,tou … 7,34 kai. nu/n deu/ro avpostei,lw se eivj Ai;guptonÅ 7,35a Tou/ton to.n Mwu?sh/n o]n hvrnh,santo eivpo,ntej\ ti,j se kate,sthsen a;rconta kai. dikasth,nÈ 7,35b tou/ton o` qeo.j Îkai.Ð a;rconta kai. lutrwth.n avpe,stalken su.n ceiri. avgge,lou tou/ ovfqe,ntoj auvtw/| evn th/| ba,tw|Å In dieser eingehenden Gegenüberstellung der Abweisung Moses durch die Israeliten und Moses Sendung durch Gott wird implizit auch Kritik am Verhalten der Israeliten geäußert.719 Dieses ist nämlich angesichts der Senihrer Wahrung die Befreiung Israels zelebriert werde: „Wo Recht im Sinne der Tora gesprochen, wo Tora gelebt wird, ist die JHWH gedankte Befreiung aus Ägypten, aus der Sklaverei präsent.“ Allerdings sei mit den Titeln allein nicht gesagt, ob jemand das Recht zur Befreiung nutzt. 717 Die ungewöhnliche Wendung su.n ceiri, kann sowohl ein Äquivalent für evn ceiri, oder dia. ceiro,j sein, also einfach „durch die Hand eines Engels“ rekurrierend auf Apg 7,30 meinen, als auch Moses Begleitung durch einen Engel andeuten. Vgl. BARRETT, Acts, 364. Letztere Möglichkeit würde dem Kontrast zwischen Gottes Verhalten und dem Volk keinen Abbruch tun. Ein Rückverweis auf Apg 7,30 ist m.E.n. plausibler, weil der Engel explizit als o` ovfqei.j auvtw/| evn th/| ba,tw|| bezeichnet wird. Vgl. auch FITZMYER, Acts, 378. 718 Hier werden der Anfang (Apg 7,30) und das Ende (Apg 7,34) dieses Redeabschnitts wieder aufgegriffen. 719 Vgl. JERVELL, Apg, 239. ZMIJEWSKI, Apg, 323. Beide sehen hier sogar Elemente einer Anklagerede.
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dung von Mose durch Gott äußerst verwerflich und enthält indirekt auch eine Ablehnung Gottes, insofern Mose Gottes Heilsmittler ist. Darüber hinaus deutet sich in diesem Ineinander von Sendung durch Gott und Ablehnung durch Israeliten ein Schema an, das auch die weitere Darstellung des Geschichtsverlaufs prägt. Das Profil von Mose als gottesfürchtigem Heilsmittler dagegen wird in dieser Reflexion über die bisherige Mosegeschichte bestätigt und besonders qualifiziert. Durch die ihm von Gott explizit zugewiesenen Funktionen a;rcwn und lutrw,qhj wird er nämlich mit Jesus parallelisiert, dem ähnliche Attribute zugeschrieben werden (vgl. Apg 3,14-15; o` a[gioj kai. di,kaioj; o` avrchgo.j th/j zwh/j; Apg 5,31: avrchgo.j kai. swth,r). Außerdem wird in Lk 2,38; 24,21 mit dem Verb lutro,omai das Ziel von Jesu Sendung, die letztlich in der Übermittlung von Gottes Handeln an Israel besteht (vgl. Lk 1,68), ausgedrückt.720 Da in dieser kommentierenden Reflexion die Stimme des Redners zu Wort kommt, kann sie auch als Widerlegung der Anklage, Stephanus rede blasphemisch gegen Mose (6,11.14), verstanden werden. Angesichts dieser wertschätzenden Vorstellung von Mose als Heilsmittler Gottes ist dieser Vorwurf nicht haltbar. Dagegen sind es laut 7,35 vielmehr die Israeliten, die nahezu blasphemisch gegen Mose reden, indem sie ihn als Heilsmittler und damit implizit Gott zurückweisen.721 Nach diesem retardierenden Innehalten, bei dem die Deutung der bisherigen Geschichtserzählung eine Übertragung auf die Gerichtssituation der Stephanusepisode ermöglicht, wird nun die Schilderung der Geschichte fortgesetzt.
720
Z.B. wird laut Lk 1,68; 2,38 Jesus zur Erlösung des Volkes gesandt, laut Apg 3,13 aber von diesem verleugnet, aber von Gott zum „Führer und Retter“ erhoben (Apg 3,15; 5,31). Vgl. JERVELL, Apg, 239. ZMIJEWSKI, Apg, 323. 721 Vgl. BARRETT, Acts, 364. FITZMYER, Acts, 378. ZMIJEWSKI, Apg, 323.
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Apg 7,36-38 36 37a b 38
36 37a b 38
ou-toj evxh,gagen auvtou.j poih,saj te,rata kai. shmei/a evn gh/| Aivgu,ptw| kai. evn evruqra/| qala,ssh| kai. evn th/| evrh,mw| e;th tessera,kontaÅ ou-to,j evstin o` Mwu?sh/j o` ei;paj toi/j ui`oi/j VIsrah,l\ profh,thn u`mi/n avnasth,sei o` qeo.j evk tw/n avdelfw/n u`mw/n w`j evme,Å ou-to,j evstin o` geno,menoj evn th/| evkklhsi,a| evn th/| evrh,mw| meta. tou/ avgge,lou tou/ lalou/ntoj auvtw/| evn tw/| o;rei Sina/ kai. tw/n pate,rwn h`mw/n( o]j evde,xato lo,gia zw/nta dou/nai h`mi/n( »Dieser hat sie herausgeführt, indem er Wunder und Zeichen getan hat im Land Ägypten und im Roten Meer und in der Wüste, 40 Jahre. Dieser ist der Mose, der zu den Söhnen Israels gesprochen hat: Einen Propheten wird euch Gott erstehen lassen aus euren Brüdern, wie mich. Dieser ist es, der in der Versammlung in der Wüste zwischen dem Engel, der mit ihm am Berg Sinai redete, und unseren Vätern war, der lebendige Worte empfing, um sie uns zu geben, …«
Indem 7,36 mit dem Demonstrativpronomen ou-toj ansetzt, wird die Identität zwischen dem Mose betont, über den 7,35 reflektiert hat, und jenem, von dem Folgendes berichtet wird:722 evxh,gagen auvtou,j. In diesem Herausführen der Israeliten723 entspricht Mose seiner Funktion als a;rcwn und luqrwth,j und realisiert somit Gottes Befreiungsabsicht. Das wird besonders deutlich, weil mit evxa,gw erneut auf Gottes Worte an Mose im Rahmen seiner Sendung in Ex 3,7-10 angespielt wird. Gottes Befreiungsabsicht (kai. kate,bhn evxele,sqai auvtou.j evk ceiro.j Aivgupti,wn »und ich bin herabgestiegen, um sie zu erretten aus der Hand der Ägypter« Ex 3,8a) wird in Ex 3,8b folgendermaßen konkretisiert: kai. evxagagei/n auvtou.j evk th/j gh/j evkei,nhj kai. eivsagagei/n auvtou.j eivj gh/n avgaqh,n … »und um sie aus jenem Land herauszuführen und sie hineinzuführen in ein gutes Land …«
722
Vergleiche den ähnlichen Beginn von Apg 7,35 mit tou/ton to.n Mwu?sh/n. Rein grammatikalisch könnte mit ou-toj auch Gott, der Subjekt des vorangegangenen Satzes ist, aufgegriffen werden. Dadurch würde erneut angedeutet, dass eigentlich Gott das Volk Israel herausführt, allerdings eben durch Mose als Mittler. Aber da innerhalb dieses Redeabschnitts sonst eindeutig Mose mit dem betont vorangestellten ou-toj gemeint ist, dürfte dies auch hier der Fall sein. 723 Ähnlich wie in Apg 7,35 sind sie hier nur in auvtou.j impliziert, was der Aussage wieder allgemeinen Charakter verleiht und die Exoduserzählung sowie Apg 7,34 voraussetzt.
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Die Umsetzung davon soll durch Mose erfolgen, wie Gottes Sendungsauftrag in Ex 3,10b zeigt: … kai. evxa,xeij to.n lao,n mou tou.j ui`ou.j Israhl evk gh/j Aivgu,ptou. »… und du wirst mein Volk, die Israeliten, aus dem Land Ägypten herausführen.«724
Nachdem in Apg 7,34 diese Konkretisierungen der Sendung von Mose nicht genannt wurden, wird nun fast selbstverständlich deren Ausführung geschildert. Begleitet wird dieses Herausführen durch Wunder- und Zeichenhandlungen (poih,saj te,rata kai. shmei/a), die Moses Heilsmittlerschaft illustrieren725 und auf Gott als eigentlich Handelnden hindeuten. Damit wird nämlich summarisch auf die vielen Zeichen und Wunder angespielt, zu denen Gott Mose ermächtigt, um die Israeliten von Moses Mittlerschaft zu überzeugen und den Pharao dazu zu bewegen, das Volk Israel ziehen zu lassen. So formuliert Gott laut Ex 7,3 (bevor die Plagen über Ägypten kommen) ähnlich zusammenfassend: plhqunw/ ta. shmei/a mou kai. ta. te,rata evn gh/| Aivgu,ptw|. »und ich werde meine Zeichen und die Wunder im Land Ägypten zahlreich machen.«726 Dass Gott selbst hinter Wunder- und Zeichentätigkeit steht, wird auch in der Aussage über Jesus in Apg 2,22 deutlich: VIhsou/n to.n Nazwrai/on( a;ndra avpodedeigme,non avpo. tou/ qeou/ eivj u`ma/j duna,mesi kai. te,rasi kai. shmei,oij oi-j evpoi,hsen diV auvtou/ o` qeo.j evn me,sw| u`mw/nkaqw.j auvtoi. oi;date. »Jesus, den Nazoräer, einen Mann, von Gott euch ausgewiesen durch machtvolle Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn getan hat in eurer Mitte, wie ihr wisst.«727
Lokalisiert wird Moses Wunder- und Zeichenwirken in Apg 7,36 an drei Orten: evn gh/| Aivgu,ptw| kai. evn evruqra/| qala,ssh| kai. evn th/| evrh,mw|. »im Land Ägypten und im Roten Meer und in der Wüste«. Insofern die erste Ortsangabe Moses Sendung in das Unterdrückerland Ägypten (7,34) aufgreift, wird hier nicht nur die unmittelbare Umsetzung dieser Sendung durch Mose angezeigt, sondern auch auf die Verheißung von 7,7c hingedeutet. Dort kündigt Gott nämlich an, Abrahams Nachkommen werden nach der Unterdrückung in einem fremden Land, das in 7,19.34a mit Ägypten identifiziert wird, »ausziehen« (evxe,rcomai). Diese 724 Darüber hinaus ist an Ex 6,6 zu denken, wo die Befreiung der Israeliten durch Gott mit beidem, evxa,gw und lutro,omai, formuliert wird. Vgl. dazu Apg 7,35b. Auch an verschiedenen anderen Stellen wird evxa,gw bezüglich Mose verwendet, wie z.B. Ex 14,11; 16,32; 32,1 u.a. 725 Hier wird konkretisiert, was in der generellen Aussage von Apg 7,22 über Mose notiert wird. 726 Auch die erste Ortsangabe in Apg 7,36 evn gh/| Aivgu,ptw| entspricht Ex 7,3. Vgl. auch Ex 4,21.30; 15,2.11 u.a. 727 Vgl. FITZMYER, Acts, 379. ZMIJEWSKI, Apg, 323. Vgl. auch die Ausführungen zu Apg 6,8.
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Verheißung wird laut 7,36 durch das Herausführen aus Ägypten durch Mose erfüllt.728 Auch durch die Ortsangabe Ägypten wird auf Ex 7,3 und zusammenfassend auf die ägyptischen Plagen (Ex 7,1-11,10) angespielt. Obwohl in der Exoduserzählung der Widerstand des Pharao entscheidend ist, wird dieser in Apg 7,36 nicht erwähnt, sondern allein Moses Wunder- und Zeichenwirken genannt.729 Da also Mose sonst kein Gegenspieler gegenübergestellt wird, fällt der Widerstand, der ihm vom Volk Israel entgegengebracht wird (Apg 7,35), umso schwerer ins Gewicht.730 Da die zweite Ortsangabe evn evruqra/| qala,ssh|731 auf das ‚Meer-Wunder‘ Ex 14,15-15,21 und die dritte Ortsangabe evn th/| evrh,mw|732 auf verschiedene Wunder während der Wüstenwanderung hinweisen, skizzieren diese Schlüsselorte sehr knapp das gesamte Auszugsgeschehen.733 Insofern alles, was der Exodustext davon erzählt, einzig mit Moses Herausführen und seinem Wunder- und Zeichenwirken zusammengefasst wird, steht im Bericht über diese Geschichtsetappe der Heilsmittler Mose im Zentrum. Ein endgültiges Ziel wird bei diesem Überblick über das Exodusgeschehen nicht genannt – im Gegensatz zu Ex 3,8 oder Ex 6,4.8. Vielmehr endet der umrissene Weg des Auszugs in Apg 7,36 vorläufig mit der Angabe evn th/| evrh,mw|. Die daran angeschlossene Zeitangabe e;th tessera,konta markiert nämlich – analog zu 7,23.30 – das Ende dieses Berichts über das Herausführen der Israeliten durch Mose und eröffnet die Wüstenzeit als eine weitere 40jährige Periode der Mosegeschichte. Statt mit der Erzählung über die Wüstenzeit fortzufahren, setzt 7,37 wieder mit dem emphatischen ou-toj – sogar ergänzt durch evsti,n o` Mwu?sh/j – zu einer neuen reflektierenden Aussage über diesen Heilsmittler Mose an. Von diesem werden nach einer Redeeinleitung (o` ei;paj toi/j ui`oi/j VIsrah,l) Worte an die Söhne Israels734 in direkter Rede wiedergegeben: 728
Vgl. JERVELL, Apg, 239. Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 165. 730 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 370, Anm. 166. Vor diesem Hintergrund relativiert sie Jeskas Schlussfolgerung, der König von Ägypten bleibe in der Stephanusrede ein „autonomer, starker Herrscher“. Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 165. 731 Zur Bezeichnung vgl. evruqra. qa,lassa vgl. BARRETT, Acts, 365. In der LXX werde damit das hebräische @ws-~y »Schilfmeer« wiedergegeben. Laut FITZMYER, Acts, 379, ist „Rotes Meer“ der antike Name für den Persischen Golf. 732 Diese Ortsangabe entspricht jener der Erscheinung Gottes vor Mose in Gestalt eines Engels im brennenden Dornbusch Apg 7,30. Die Wüste ist also auch hier aufgrund der Wunder und Zeichen Gottes durch Mose ein Ort der Anwesenheit Gottes. 733 Vgl. FITZMYER, Acts, 379. Er weist auf Philo hin, der ähnlich in drei Schritten von den Taten Moses in Ägypten, am Roten Meer und in der Wüste berichtet. 734 Diese Bezeichnung begegnet auch in Apg 7,23 bei der Formulierung von Moses Absicht, nach den Söhnen Israels sorgsam zu schauen. 729
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profh,thn u`mi/n avnasth,sei o` qeo.j evk tw/n avdelfw/n u`mw/n w`j evme,. »Einen Propheten wie mich wird euch Gott erstehen lassen aus euren Brüdern.« Diese Ankündigung735 eines Propheten, der erstens aus der Mitte der Söhne Israels selbst kommt (evk tw/n avdelfw/n u`mw/n) und zweitens Mose ähnlich ist (w`j evme,), spielt mit großen wörtlichen Übereinstimmungen Dtn 18,15 und Apg 3,22 ein: Dtn 18,15 profh,thn evk tw/n avdelfw/n sou w`j evme. avnasth,sei soi ku,rioj o` qeo,j sou auvtou/ avkou,sesqe. »Einen Propheten wie mich aus deinen Brüdern wird der Herr, dein Gott, dir erstehen lassen; auf ihn sollt ihr hören«. Zentral für die Charakterisierung des hier angekündigten Propheten ist neben seiner Zugehörigkeit zum Volk Israel und seiner Analogie zu Mose, dass Gott ihm alle seine Worte in den Mund legen werde, und der Prophet Gottes Worte auftragsgemäß wiedergeben werde (Dtn 18,18).736 Diesem Merkmal entspricht der Höraufruf von Dtn 18,15 und die Ankündigung in Dtn 18,19, dass Gott Rechenschaft von dem fordern wird, der nicht auf diesen Propheten hört. Ähnliche Akzente werden in der Petrusrede Apg 3 gesetzt, in der aufgezeigt wird, dass sich diese Verheißung eines Propheten wie Mose in Jesus, dessen (ebenfalls von den Propheten angekündigte) Leiden zuvor erwähnt wurde (Apg 3,18), erfüllt hat.737 So formuliert Apg 3,22 analog zu Dtn 18,15: Mwu?sh/j me.n ei=pen o[ti profh,thn u`mi/n avnasth,sei ku,rioj o` qeo.j u`mw/n evk tw/n avdelfw/n u`mw/n w`j evme,\ auvtou/ avkou,sesqe kata. pa,nta o[sa a'n lalh,sh| pro.j u`ma/jÅ »Und Mose hat gesprochen: Einen Propheten wie mich wird euch der Herr, euer Gott, aus euren Brüdern erstehen lassen; auf ihn sollt ihr hören in allem, was er zu euch sagt.« (Apg 3,22). Der Aufruf zum Gehorsam wird hier im Vergleich zu Dtn 18,15 sogar noch durch den Zusatz kata. pa,nta o[sa a'n lalh,sh| pro.j u`ma/j forciert und dementsprechend in Apg 3,23 die Gerichts- und Strafankündigung im Falle von Ungehorsam in Aufnahme von Dtn 18,19 hinzufügt.738
735
Das Futur avnasth,sei bestätigt, dass es sich um eine Zukunftsansage handelt. Vgl. FITZMYER, Acts, 379. Er bezeichnet daher einen „Prophet“ als „Sprachrohr Gottes“. 737 Vgl. MITTMANN-RICHERT, ULRIKE, Der Sühnetod des Gottesknechts. Jesaja 53 im Lukasevangelium (WUNT 220), Tübingen 2008, 289 mit Anm. 97. KRAUS, WOLFGANG, Die Bedeutung von Dtn 18,15-18 für das Verständnis Jesu als Prophet, in: ZNW 90 (1999) 153-179, hier 158, erklärt, damit solle zugleich vor allem die Zuverlässigkeit der göttlichen Ankündigung vor Augen geführt werden. Vgl. dazu auch Apg 7,52. 738 Vgl. MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, 289 mit Anm. 97. 736
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Abgesehen von geringen Abweichungen von Dtn 18,15, die inhaltlich kaum relevant sind,739 liegt der deutlichste Unterschied in Apg 7,37 darin, dass hier der Höraufruf fehlt.740 Noch auffälliger ist dies angesichts der ansonsten noch stärkeren Ähnlichkeiten mit Apg 3,22.741 Demnach steht hier nicht so sehr ein Hinweis auf die Erfüllung dieser Verheißung durch Jesus oder der Aufruf zum Gehorsam, selbst wenn dieser impliziert sein kann, im Vordergrund. Da die Verheißung in Apg 7,37 mit dem Hinweis auf Mose als eines Vorläufers742 des angekündigten Propheten endet, wird hier vielmehr die Bedeutung von Mose als von Gott erwählter vorbildhafter Prophet ins Zentrum gerückt. Damit wird zugleich das Bild von Mose als Heilsmittler Gottes, durch den Gott selbst handelt, komplettiert.743 Da 7,37 mithilfe dieser Verheißung Mose als von Gott gesandten Propheten für die Söhne Israels vorstellt und auszeichnet, wird auch hiermit die Anklage, Stephanus rede blasphemisch gegen Mose (6,11.14) erneut widerlegt. Zugleich weist dieser Kommentar zur Mosegeschichte implizit in zweifacher Weise auf ihre Fortsetzung voraus: zum einen auf die Reali739 Im Vergleich zu Dtn 18,15 zeigt Apg 7,37 im Wesentlichen vier Änderungen: Statt das Volk Israel im Singular anzureden, wird es gemäß der Redeeinleitung als Plural angesprochen. Außer dem Effekt einer andeutungsweisen Öffnung für einen breiteren Hörerkreis – wie z.B. die Hörer der Stephanusrede – führt dies zu keinen entscheidenden inhaltlichen Veränderungen. Ähnliches gilt für das Subjekt o` qeo,j (Apg 7,37) statt ku,rioj o` qeo,j (Dtn 18,15). Die veränderte Reihenfolge von profh,thn evk tw/n avdelfw/n sou w`j evme. avnasth,sei soi (Dtn 18,15) hin zu profh,thn u`mi/n avnasth,sei o` qeo.j evk tw/n avdelfw/n u`mw/n (Apg 7,37) bewirkt hier eine geringfügige Betonung, dass dieser Prophet zugunsten des Volkes Israel vorgesehen ist. 740 Der Höraufruf, die Funktion des Propheten als Sprachrohr von Gottes Worten und die Konsequenzen bei Ungehorsam ihm gegenüber werden allerdings in Apg 7,38 und 7,39ff. noch relevant werden. 741 Abgesehen von der Bezeichnung Gottes als ku,rioj o` qeo,j, die identisch ist mit Dtn 18,15, entspricht Apg 3,22 exakt Apg 7,37. Vgl. auch RUSAM, DIETRICH, Deuteronomy in Luke-Acts, in: MENKEN, MAARTEN J. J./MOYISE, STEVE (Hg.), Deuteronomy in the New Testament: The New Testament and the Scriptures of Israel (LNTS), London u.a. 2008, 63–81, hier 80–81. 742 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 323. 743 BARRETT, Acts, 365, betont, dass sich hier kein Hinweis auf die Erfüllung in Jesus finde. Die Verwendung von Dtn 18,15 in Apg 3,22 und 7,37 sei vielmehr in a „prophetical rather a typological way“ zu verstehen (EBD., 207). In eine ähnliche Richtung weist auch SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 370. Lukas impliziere, dass Mose damit auch Jesus als einen von mehreren möglichen Tora-Verkünder und -Ausleger angekündigt habe. Damit werde aber hinsichtlich der Beziehung Mose – Jesus kein Überbietungsverhältnis formuliert, da Mose keine Person ankündige, die ihn übertreffen würde. Ähnlich RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 138. In der Regel wird hier allerdings – mit Hinweis auf Lk 24,19 – eine Mose-Christus-Typologie gesehen. Vgl. FITZMYER, Acts, 380. JERVELL, Apg, 240. ZMIJEWSKI, Apg, 323 u.a. JESKA, Geschichte Israels, 203–206, führt einige Hinweise auf eine Mose-Christus-Typologie an und zeigt auf, dass darüber hinaus von einer Mose-Paulus-Typologie gesprochen werden könne.
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sierung von Moses Prophetenfunktion, zum anderen aber auch auf weitere Ablehnungen entsprechend dem typischen Schicksal eines Propheten (vgl. Apg 3,18-23). Wieder emphatisch beginnend mit ou-toj wird signalisiert, dass es in den Aussagen von 7,38 ebenfalls um diesen Heilsmittler und Propheten Mose geht. Die Beschreibung der Szenerie durch evn th/| evkklhsi,a| evn th/| evrh,mw| »in der Versammlung in der Wüste« im Rückgriff auf die Notiz von der Wüstenwanderung in 7,36 (evn th/| evrh,mw|) kündigt an, dass nun wieder von der Wüstenzeit Israels berichtet wird. Dem Erzählfaden des Exodustextes entsprechend wird die Gesetzesgabe am Berg Sinai thematisiert (Ex 19,1.2: … h;lqosan eivj th.n e;rhmon tou/ Sina kai. parene,balen evkei/ Israhl kate,nanti tou/ o;rouj … »… kamen sie in die Wüste des Sinai und dort lagerte Israel gegenüber dem Berg …«), wobei dieses Ereignis auf besondere Weise geschildert wird. Da in Apg 7,38 weiterhin Moses Rolle von primärem Interesse ist (ou-to,j evstin), wird zunächst seine Position in diesem Geschehen vor Augen gestellt: (o` geno,menoj …) meta. tou/ avgge,lou tou/ lalou/ntoj auvtw/| evn tw/| o;rei Sina/ kai. tw/n pate,rwn h`mw/n »zwischen dem Engel, der mit ihm am Berg Sinai redete, und unseren Vätern«. Moses Funktion als Mittler wird also zum einen durch diese Beschreibung einer Zwischenstellung zwischen dem Engel und »den Vätern« veranschaulicht,744 zum anderen durch den Rückgriff auf die Erscheinung von 7,30 (w;fqh auvtw/| evn th/| evrh,mw| tou/ o;rouj Sina/ a;ggeloj evn flogi. puro.j ba,tou),745 mit der Moses ausdrückliche Sendung zum Heilsmittler einhergeht (7,34). Außerdem deutet diese Analogie zu 7,30 auf die Qualität dieses Ereignisses hin: In ähnlicher Weise wie in der Wüste des Berges Sinai (7,30) steht nämlich Mose hier dem Engel am Berg Sinai gegenüber, der zudem mit Mose spricht, ähnlich wie in 7,31 die Stimme des Herrn ergeht.746 So wird nicht nur der Ort der Selbstoffenbarung Gottes, d.h. der »heilige Ort«, mit dem Ort der Gesetzesgabe gleichgesetzt, sondern auch 744
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 323. Ähnlich wird Moses Zwischenposition bei der Gabe des Gesetzes in Dtn 5,5 veranschaulicht. 745 Der Unterschied, dass 7,38 o` a;ggeloj nennt, während 7,30 keinen Artikel zu a;ggeloj setzt, ist inhaltlich nicht relevant. 746 Vgl. BARRETT, Acts, 366. Auch in 7,53 findet sich die Mittlerschaft durch Engel wieder. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 371, Anm. 173, zeigt, dass die Vorstellung, die Tora sei dem Mose durch einen Engel vermittelt worden auch in Jub 1,1-4,27-29; LAB 11,5; Gal 3,19 zu finden sei. Außerdem kenne Dtn 33,2 diese Vorstellung. Damit werde das „besondere Bemühen Gottes“ ausgedrückt, keine polemische Haltung gegenüber der Tora. Ähnlich TIWALD, MARKUS, Hebräer von Hebräern. Paulus auf dem Hintergrund frühjüdischer Argumentation und biblischer Interpretation (HBS 52), Freiburg u.a. 2008, 330–331. Der Gesetzesempfang aus Engelshand diene der positiven Unterstreichung der Wichtigkeit des Gesetzes und folge frühjüdischen Vorstellungen.
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mit derselben Sorgfalt auf die bleibende Transzendenz Gottes bei diesem Ereignis aufmerksam gemacht. Diesem erneuten Hinweis darauf, dass der transzendente Gott durch einen Engel erfahrbar wird, korrespondiert die Betonung von Moses Funktion als Heilsmittler und Prophet, durch den Gott für das Volk Israel wirkt (vgl. auch 7,34). Worin die Vermittlung zwischen dem Engel bzw. Gott und unseren Vätern durch »diesen«747 Mose konkret besteht, notiert der Relativsatz: o]j evde,xato lo,gia zw/nta dou/nai h`mi/n »der lebendige Worte empfing, um sie uns zu geben«. Auch hiermit wird die Außerordentlichkeit des berichteten Ereignisses und des Mittlers Mose betont. So wird die Bedeutung des Gesetzes zum einen durch die qualifizierende Bezeichnung lo,gia zw/nta deutlich, zum anderen darin, dass ihr Ziel in der Weitergabe an uns (dou/nai h`mi/n),748 d.h. auch an die Hörer der Rede, einschließlich Stephanus, besteht. Entsprechend der bleibenden Relevanz der lo,gia zw/nta zeigt sich zugleich deutlich Moses besondere Rolle, der als prophetischer Heilsmittler diese lebendigen Worte nicht nur an »unsere Väter«, sondern bis zu »uns« weitergibt.749 Selbst wenn die Erzählung der Mosegeschichte innerhalb der Stephanusrede bisher offensichtlich den Plot des Exodustextes eingespielt hat, verweist die Darstellung der Gesetzesgabe in 7,38 nicht auf die ausführliche Erzählung von Gottesoffenbarung und Bundesschluss in Ex 19-24 als Subtext, sondern vielmehr auf Texte im Buch Deuteronomium, die die Gesetzesgabe reflektieren. So zeigen sich insbesondere intertextuelle Referenzen auf die Ermahnungen, das Gesetz zu halten, in Dtn 4,1-40: Die lebensspendende Funktion des Gesetzes, die Apg 7,38 mit der Bezeichnung lo,gia zw/nta ausdrückt, und dessen zeitübergreifende Bedeutung formuliert schon der Höraufruf in Dtn 4,1 eingehend: kai. nu/n Israhl a;koue tw/n dikaiwma,twn kai. tw/n krima,twn o[sa evgw. dida,skw u`ma/j sh,meron poiei/n i[na zh/te kai. poluplasiasqh/te kai. eivselqo,ntej klhronomh,shte th.n gh/n h]n ku,rioj o` qeo.j tw/n pate,rwn u`mw/n di,dwsin u`mi/n »Und nun Israel höre auf die Rechtssätze und auf die Rechtssatzungen, die ich euch heute zu tun lehre, damit ihr lebt und, nachdem ihr hineingegangen seid, das Land erbt, das der Herr, der Gott eurer Väter, euch gibt.«750 747
Mit o[j wird noch einmal emphatisch der Beginn des Satzes ou-to,j evstin aufgegrif-
fen. 748
Der finale Infinitiv deutet auf dieses Ziel hin. Vgl. JERVELL, Apg, 241. FITZMYER, Acts, 380. ZMIJEWSKI, Apg, 324. 750 Ähnlich Dtn 4,40. Als Leben spendend wird die Tora auch in vielen anderen Texten qualifiziert, wie z.B. Dtn 5,33; 30,15-20; 32,47. Auch laut Lk 10,25-37; 18,18-27 führt das Handeln nach dem Gesetz zum ewigen Leben (ähnlich Mt 19,17). Vgl. BARRETT, Acts, 366. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 371. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 137–138. 749
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Diese besondere Qualität des Gesetzes wird in Dtn 4 daraufhin immer wieder betont, wenn Gesetzesgehorsam mit dem Landbesitz und (guten) Leben dort verbunden wird (Dtn 4,5.14), während für den Fall von Gesetzesübertretung Entzug des Landes und vernichtende Strafe Gottes angekündigt werden (Dtn 4,27-28).751 Im Zusammenhang mit der Bedeutung des Gesetzes und dem Gesetzesgehorsam wird außerdem Gottes Transzendenz betont, wie z.B. in Dtn 4,12: kai. evla,lhsen ku,rioj pro.j u`ma/j evk me,sou tou/ puro,j fwnh.n r`hma,twn u`mei/j hvkou,sate kai. o`moi,wma ouvk ei;dete avllV h' fwnh,n »Und der Herr sprach zu euch aus der Mitte des Feuers. Ihr hörtet den Klang der Worte, aber ihr saht keine Gestalt, nur den Klang (hörtet ihr).« Diese Schilderung der Gesetzesgabe in Aufnahme von Ex 19,18; 24,15-18 dient sogar der Begründung des Bilder- und Götzendienstverbotes, das Dtn 4,15-28 entfaltet.752 Weiterhin wird in diesem Kontext wiederholt Moses Funktion als prophetischer Mittler des Gesetzes thematisiert. So beschreibt Dtn 4,10 die Situation bei der Gesetzesgabe folgendermaßen: h`me,ran h]n e;sthte evnanti,on kuri,ou tou/ qeou/ u`mw/n evn Cwrhb th/| h`me,ra| th/j evkklhsi,aj o[te ei=pen ku,rioj pro,j me evkklhsi,ason pro,j me to.n lao,n kai. avkousa,twsan ta. r`h,mata, mou o[pwj ma,qwsin fobei/sqai, me pa,saj ta.j h`me,raj a]j auvtoi. zw/sin evpi. th/j gh/j kai. tou.j ui`ou.j auvtw/n dida,xwsin »über den Tag, an dem ihr vor dem Herrn, eurem Gott, am Horeb am Tag der Versammlung standet, als der Herr zu mir sagte: Versammle zu mir hin das Volk, und sie sollen meine Worte hören, damit sie lernen, mich zu fürchten an allen Tagen, so viele (Tage) sie auf der Erde leben, und sie ihre Söhne lehren.«753 Auch Dtn 4,13.14 betonen, dass Mose direkt von Gott beauftragt ist, zumindest einige Gesetze und Rechtsvorschriften an das Volk zu vermitteln.754
751 Darin spiegelt sich also der für das Buch Deuteronomium insgesamt prägende Argumentationsduktus von Gesetzesgehorsam bzw. -ungehorsam einerseits und Leben bzw. Tod oder Leben im Land bzw. Landentzug andererseits. Vgl. Dtn 4,1.14-15; 30,15.19. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 371; FISCHER, IRMTRAUD, Israels Landbesitz als Verwirklichung der primordialen Weltordnung. Die Bedeutung des Landes in den Erzeltern-Erzählungen, in: EBNER, MARTIN u.a. (Hg.), Heiliges Land (JBTh 23; 2008), Neukirchen-Vluyn 2009, 3–24, hier 20, 23–24. 752 Vgl. VAN DE SANDT, HUUB, Why is Amos 5,25-27 quoted in Acts 7,42f.?, in: ZNW 82 (1991) 67–87. Er betont, die Vermittlung durch den Engel in Apg 7,38 sei von Dtn 4,10-14 her zu verstehen. 753 Hier zeigt sich auch die überzeitliche Relevanz des Gesetzes und von Mose als dessen Mittler. Vgl. VAN DE SANDT, Amos, 72, verweist auf den Gebrauch von evkklhsi,a. Ähnlich wird die Wendung h` h`me,ra th/j evkklhsi,aj in Dtn 9,10 verwendet. In Dtn 23,2 bezeichnet evkklhsi,a zum ersten Mal ausdrücklich eine Gemeinschaft als Volk Gottes (evkklhsi,a kuri,ou). Vgl. auch BARRETT, Acts, 365; JERVELL, Apg, 240: In der Apostelgeschichte werde evkklhsi,a meist für christliche Einzelgemeinden verwendet (Apg 11,26; 13,1; 14,32 u.a.), die das bußfertige und bekehrte Israel darstellen, das Gottesvolk der Endzeit. 754 Vgl. VAN DE SANDT, Amos, 72–73. Dagegen wolle Gott laut Ex 20,18-21; Dtn 5,25-31 (worauf auch Dtn 18,16.18 rekurriert) ursprünglich den Dekalog und andere Gesetze selbst an sein Volk weitergeben. Da aber Israel fürchtet zu sterben, werde Mose
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Da Apg 7,38 das Ereignis der Gesetzesgabe mit einiger Analogie zu Dtn 4 präsentiert, liegt hier ebenfalls eher eine deutende Reflexion als eine Erzählung vor. Aus der Dialektik von Tora-Gehorsam bzw. Tora-Ungehorsam einerseits und Leben bzw. Tod andererseits, die den Argumentationsduktus von Dtn 4 prägt,755 stellt Apg 7,38 primär die Leben spendende und zeitübergreifende Bedeutung der Tora ins Zentrum. Selbst wenn diese hier nicht ausdrücklich an die Forderung des Gehorsams geknüpft wird, kann diese vor dem Hintergrund der Referenzen auf Dtn 4 impliziert sein. Neben der Tora als lebendige Worte fokussiert Apg 7,38 Moses ebenfalls bleibende Funktion als prophetischer Mittler, die in Dtn 4 ähnlich deutlich wird.756 Angesichts dieser Reflexion der besonderen Bedeutung des Gesetzes und von Mose als dessen Mittler wird auch damit die Anklage, Stephanus rede blasphemisch gegen Mose und das Gesetz (6,11.13-14) implizit ad absurdum geführt.757 Vielmehr wird Stephanus aufgrund der Analogien zu den Reflexionen in Dtn 4, die Mose in den Mund gelegt sind, mit diesem prophetischen Mittler der Tora parallelisiert.
beauftragt, direkt mit Gott zu sprechen. Die Wortwahl dikaiw,mata und kri,mata/kri,seij sowie dida,skw sei charakteristisch für Dtn 4,1-14. 755 Vgl. Dtn 4,1.14-15; 30,15.19. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 371. 756 Diese Funktion wird in vielen Texten der Bücher Exodus und Deuteronomium explizit als Auftrag an Mose formuliert und narrativ umgesetzt (vgl. Ex 19,3.6; 24,3.12 u.v.m.). So erklärt BRAULIK, GEORG, Das Buch Deuteronomium, in: ZENGER, ERICH, Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 31998, 125–141, hier 126, das Buch Deuteronomium präsentiere sich im Rahmen einer Erzählung der Ereignisse vor Moses Tod (Dtn 32,50; 34,5.7) als Sammlung von Reden des Mose, in denen primär die Tora an Israel übermittelt wird. 757 Vgl. JERVELL, Apg (1998), 241. ZMIJEWSKI, Apg, 323–324.
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Apg 7,39-41 39a b c 40a b c 41a b c 39a b c 40a b c 41a b c
w-| ouvk hvqe,lhsan u`ph,kooi gene,sqai oi` pate,rej h`mw/n( avlla. avpw,santo kai. evstra,fhsan evn tai/j kardi,aij auvtw/n eivj Ai;gupton eivpo,ntej tw/| VAarw,n\ poi,hson h`mi/n qeou.j oi] proporeu,sontai h`mw/n\ o` ga.r Mwu?sh/j ou-toj( o]j evxh,gagen h`ma/j evk gh/j Aivgu,ptou( ouvk oi;damen ti, evge,neto auvtw/|Å kai. evmoscopoi,hsan evn tai/j h`me,raij evkei,naij kai. avnh,gagon qusi,an tw/| eivdw,lw| kai. euvfrai,nonto evn toi/j e;rgoij tw/n ceirw/n auvtw/nÅ »dem unsere Väter nicht gehorsam werden wollten, sondern sie stießen ihn weg und wandten sich in ihren Herzen nach Ägypten um, indem sie zu Aaron sprachen: Mach uns Götter, die uns vorausgehen sollen! Denn was mit diesem Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat, geschehen ist, wissen wir nicht. Und sie machten ein Kalb in jenen Tagen und sie brachten ein Opfer dar dem Götzen und sie freuten sich an den Werken ihrer Hände.«
Mit dem Relativpronomen w-| greift 7,39 den Beginn von 7,38 ou-to,j evstin auf und setzt die Aussagen über »diesen Mose in der Versammlung in der Wüste« fort:758 w-| ouvk hvqe,lhsan u`ph,kooi gene,sqai oi` pate,rej h`mw/n »dem unsere Väter nicht gehorsam werden wollten«. Äußerst deutlich wird also betont, dass »unsere Väter« Mose und implizit dem Gesetz759 mit Ungehorsam begegnen. Dieser wird als bewusste Willensentscheidung (ouvk hvqe,lhsan)760 und durch die ungewöhnliche Formulierung u`ph,kooi gene,sqai nahezu als grundsätzliche Eigenschaft »unserer Väter« dargestellt. Die Anstößigkeit dieser Reaktion ist umso schwerwiegender, insofern dieser Ungehorsam gegenüber Mose nicht nur die Ablehnung des Gesetzes, son-
758 Da Apg 7,39 den Satz fortsetzt, den Apg 7,38 begonnen hat, entsteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Vermittlung der lo,gia zw/nta durch Mose und dieser Reaktion »unserer Väter«, die durch das vorangestellte ouvk und die Endstellung des Subjekts betont wird. 759 Das Relativpronomen w-| lässt sich grammatikalisch auch auf lo,gia zw/nta beziehen, wenn dieser Plural als Kollektivplural verstanden wird. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 464, Anm. 176. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 371–372. 760 Vgl. SCHILLE, Apg, 183. SCHNEIDER, Apg, 464, Anm. 175.
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dern letztlich auch von Gott miteinschließt, denn Mose ist prophetischer Mittler, der das von Gott gegebene Gesetz als lo,gia zw/nta weitergibt.761 Dieser entschiedene Ungehorsam im unmittelbaren Anschluss an die Gesetzesgabe wird mit zwei Aussagen veranschaulicht: Die erste formuliert eine – auch körperlich sichtbare – gesteigerte Konkretion des Ungehorsams gegen Mose avlla. avpw,santo. Da dies dem Zurückstoßen durch den Israeliten in 7,27 (avpoqe,omai) entspricht,762 erweist sich dieses Einzelereignis wieder – wie in 7,35 – als ein paradigmatischer Fall dessen, was nun für alle »unsere Väter« zutrifft.763 Dies korrespondiert dem bisherigen Rededuktus, der Mose als von Gott gesandten Heilsmittler präsentiert, der vom Volk Israel – Moses Brüdern und »unseren Vätern« – zurückgestoßen wird. Die Erzählung der Mosegeschichte enthält also die Züge des typischen Schicksals eines Propheten, der von den Seinen verworfen wird, wobei jeweils von einem paradigmatischen (Negativ-)Fall ausgegangen und dieser verallgemeinernd auf das Volk Israel übertragen wird. Die zweite Aussage über den Ungehorsams betrifft »unsere Väter« selbst: kai. evstra,fhsan evn tai/j kardi,aij auvtw/n eivj Ai;gupton »und wandten sich in ihren Herzen nach Ägypten um«. Da dieses innere Zurückwenden (evstra,fhsan evn tai/j kardi,aij auvtw/n) in das Land der Unterdrückung (eivj Ai;gupton) eine direkte Gegenbewegung zum Herausführen durch den von Gott gesandten Mose (Apg 7,36) beschreibt, werden hiermit die Anstößigkeit dieser Haltung und ihr Kontrast zu Mose illustriert. Letzteres wird noch anschaulicher, insofern in 7,23 mit der Wendung evpi. th.n kardi,an Moses innere Motivation, nach den Söhnen Israels sorgsam zu sehen, ausgedrückt wird. Diese metaphorische Schilderung des Ungehorsams und seiner Tragweite zeigt einige Referenzen zu Ez 20: Diese Gerichtsrede Gottes764 ist vom Götzendienst Israels, der unter anderem mit der Chiffre ta. evpithdeu,mata Aivgu,ptou »ägyptische Lebensweise« (Ez 20,7) bezeichnet wird, 761 Die Anstößigkeit und Tragweite des hier formulierten Ungehorsams wird auch angesichts von Dtn 6,4-24 deutlich, wo der Höraufruf dem Kern der Tora (Dtn 6,5) schon vorangestellt wird. Im Rahmen der wiederholten Aufforderung, diese Worte zu erfüllen, wird in Dtn 6,14 der Zorn Gottes als Konsequenz des Verstoßes gegen das Gebot, Gott allein, keinen anderen Göttern zu dienen, angekündigt. Als Ziel des Gesetzesgehorsams wird formuliert, ein gutes, langes Leben zu haben (Dtn 6,24). Vgl. auch Dtn 18,15-19 u.a. 762 Vgl. JERVELL, Apg, 241. 763 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 138. 764 Anlass für diese Offenbarung Gottes an Ezechiel ist eine Befragung Gottes durch einige der Ältesten der Israeliten (Ez 20,1). Gott weist deren Fragen zurück und beauftragt Ezechiel, den Ältesten die Vergehen ihrer Väter vor Augen zu halten (Ez 20,3f.).
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veranlasst. Darin wird zunächst Israels Ungehorsam gegenüber Gott, der sich in Götzendienst äußert, fokussiert sowie Gottes Zorn als Folge davon: kai. avpe,sthsan avpV evmou/ kai. ouvk hvqe,lhsan eivsakou/sai, mou ta. bdelu,gmata tw/n ovf qalmw/n auvtw/n ouvk avpe,rriyan kai. ta. evpithdeu,mata Aivgu,ptou ouvk evgkate,lipon kai. ei=pa tou/ evkce,ai to.n qumo,n mou evpV auvtou.j tou/ suntele,sai th.n ovrgh,n mou evn auvtoi/j evn me,sw| gh/j Aivgu,ptou »Und sie sind von mir abgefallen und wollten nicht auf mich hören; die Gräuel ihrer Augen warfen sie nicht weg, und die ägyptische Lebensweise gaben sie nicht auf. Und ich sagte, dass ich meinen Grimm über sie ausgießen wolle, um meinen Zorn an ihnen zu befriedigen.« (Ez 20,8) Die Verwerflichkeit des Ungehorsams und seine Auswirkungen, die hier anhand des speziellen Verbots des Götzendienstes ausgedrückt werden, entfaltet die Fortsetzung der Rede auch bezüglich des gesamten Gesetzes.
Da Ez 20,8 den entschiedenen Ungehorsam (ouvk hvqe,lhsan eivsakou/sai,) Israels mit Ägypten als Chiffre für Götzendienst, d.h. dezidiertes Abfallen von Gott, verbindet, kann auch das Zurückwenden »unserer Väter« nach Ägypten in Apg 7,39 als bildhafter Ausdruck für die Abwendung von Gott verstanden werden.765 Dass hiermit auch auf Götzendienst und auf dementsprechende Strafe Gottes angespielt wird, zeigt die Fortsetzung 7,40-43, denn 7,39c dient als ausführliche Einleitung zur direkten Rede in 7,40.766 Dementsprechend äußert sich in der Aufforderung an Aaron767 poi,hson h`mi/n qeou.j oi] proporeu,sontai h`mw/n »Mach uns Götter, die uns vorausgehen sollen« (7,40b) die Zurückweisung von Mose, Gesetz und Gott selbst. Zwar ist hier zugleich der Wunsch nach Führung enthalten, da die erbetenen »gemachten« Götter den Zweck erfüllen sollen, »unseren Vätern« vorauszugehen, aber die Begründung dafür weist erneut auf ihre Ablehnung hin: o` ga.r Mwu?sh/j ou-toj( o]j evxh,gagen h`ma/j evk gh/j Aivgu,ptou( ouvk oi;damen ti, evge,neto auvtw/|. »Denn was mit diesem Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat, geschehen ist, wissen wir nicht.« Der Geschichtsabriss (Ez 20,5-29) schildert die Zeit vom Ägyptenaufenthalt bis zum Exil und stellt dabei den Ungehorsam des Volkes einerseits und den Zorn, aber auch die Güte Gottes andererseits kontrastierend gegenüber. Vgl. POHLMANN, KARL-FRIEDRICH, Der Prophet Hesekiel/Ezechiel Kapitel 20-48 (ATD 22,2), Göttingen 2001, 303. JESKA, Geschichte Israels, 82–83. 765 Auch vor dem Hintergrund von Num 14,3 kann in Apg 7,39 ein Abfall von Gott und eine Hinwendung zum Götzendienst gesehen werden (vgl. auch Neh 9,17). Vgl. JERVELL, Apg, 241. ZMIJEWSKI, Apg, 324. PESCH, Apg, 255. Zur bildhaften Rede mit der Wendung evn tai/j kardi,aij auvtw/n vgl. auch Apg 7,51.54. 766 Rein grammatikalisch setzt nämlich die unmittelbare Redeeinleitung, die partizipial formuliert ist, an Apg 7,39c an. Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 138. 767 Der unvermittelt eingeführte Aaron wird offensichtlich als bekannt vorausgesetzt.
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Durch den Verweis auf Mose mit o` ga.r Mwu?sh/j ou-toj wird 7,35-39 aufgegriffen, wo mithilfe ähnlicher stereotyper Wendungen die wichtigsten Funktionen »dieses Moses« präsentiert und reflektiert werden. Ausdrücklich wird Moses Führungsrolle aufgenommen (7,36), die der Umsetzung von Gottes Befreiungswillen dient, wie 7,34 zeigt (vgl. auch Ex 3,8). Im Vergleich dazu wird in 7,40 Ägypten aber nicht als Ort von Moses Wunder- und Zeichenwirkens genannt, sondern als Ausgangspunkt des Herausführens. Damit wird noch einmal der Kontrast zwischen dem inneren Zurückwenden nach Ägypten (7,39) und dem Herausführen durch Mose aus eben diesem Land beschrieben. Die eigentliche Begründung für den Wunsch der Väter nach Göttern, die ihnen vorausgehen, ist ihr Unwissen bezüglich dieses Mose (ouvk oi;damen ti, evge,neto auvtw/|). Damit ist ein Unwissen hinsichtlich Moses Führungsrolle impliziert,768 da er zuvor in 7,3538 in dieser dargestellt wird.769 Mit der direkten Rede in 7,40 wird die Bitte des Volkes Israel an Aaron (Ex 32,1), während Mose vierzig Tage und Nächte auf dem Berg Horeb ist, um das Gesetz von Gott zu empfangen, eingespielt.
768 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 373. Sie erläutert: Damit drücken sie implizit ihr Unwissenheit darüber aus, dass Mose in seiner Führungsrolle Gottes Heilsmittler ist. Letztlich vertrauen sie auch nicht darauf, dass Gott (in der ihnen versprochenen Art, vermittelt durch Mose) bei ihnen ist und sie rettend aus Ägypten herausführt. Deshalb wollen sie greifbare Götter, die ihnen vorausgehen. M.E.n. werden Zweifel bezüglich der Zuverlässigkeit Gottes in Apg 7,40 nicht besonders deutlich, selbst wenn sie aus anderen Kontexten, die den Wunsch zur Rückkehr nach Ägypten oder explizit nach Götzen formulieren, eingespielt werden können (vgl. etwa Ex 16; Num 14). 769 Dieses Unwissen kann auch als Bestätigung des Kommentars in 7,25 oi` de. ouv sunh/kan verstanden werden, da dort ebenfalls Moses Heilsmittlerschaft thematisiert wird.
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Ex 32,1 a kai. ivdw.n o` lao.j o[ti kecro,niken Mwush/j katabh/nai evk tou/ o;rouj sune,sth o` lao.j evpi. Aarwn kai. le,gousin auvtw/| b avna,sthqi kai. poi,hson h`mi/n qeou,j oi] proporeu,sontai h`mw/n c o` ga.r Mwush/j ou-toj o` a;nqrwpoj o]j evxh,gagen h`ma/j evx Aivgu,ptou ouvk oi;damen ti, ge,gonen auvtw/| a »Und als das Volk sah, dass Moses Abstieg vom Berg sich verzögerte, rottete sich das Volk vor Aaron zusammen und sie sagten zu ihm: b Steh auf und mache uns Götter, die uns vorausgehen sollen! c Denn was mit Mose, diesem Mann, der uns aus dem Land Ägyptens geführt hat, geschehen ist, wissen wir nicht.«
Apg 7,40
a eivpo,ntej tw/| VAarw,n\
b c
poi,hson h`mi/n qeou.j oi] proporeu,sontai h`mw/n\ o` ga.r Mwu?sh/j ou-toj( o]j evxh,gagen h`ma/j evk gh/j Aivgu,ptou( ouvk oi;damen ti, evge,neto auvtw/|.
a »indem sie zu Aaron sprachen: b Mach uns Götter, die uns vorausgehen sollen! c Denn was mit diesem Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat, geschehen ist, wissen wir nicht.«
Diese Bitte der Israeliten um Götter, die hier fast wörtlich770 wiedergegeben wird, bringt den grundlegen Abfall von Gott771 zum Ausdruck, der auch in diversen anderen Kontexten immer wieder zur Sprache gebracht wird (Dtn 9,7-22; 1 Kön 12,28-32; 2 Kön 10,29; 17,16). Im Vergleich zum Exodustext wird diese Bitte in Apg 7,40 allerdings dezidierter in den Kontext von Moses Ablehnung gestellt, da sie durch das ungehorsame Zurückstoßen von Mose durch »unsere Väter« (7,39) vorbereitet und eingeleitet wird. Die konkrete Situation jedoch, dass sich Mose immer noch auf dem Berg befindet (Ex 32,1a), wird nicht erwähnt. Durch das Fehlen dieses 770 Im Vergleich zu Ex 32,1 fehlt in Apg 7,40 nur die erste Aufforderung avna,sthqi, die aber inhaltlich keine besonderen Unterschiede mit sich bringt, zumal sie in Aarons Bericht in Ex 32,23 ebenfalls fehlt. Auch der noch verächtlicher wirkende Zusatz o` a;nqrwpoj zu o` Mwush/j ou-toj findet sich in Apg 7,40 nicht. Ebenso wenig führen die Formulierung evk gh/j Aivgu,ptou (Apg 7,40) statt evx Aivgu,ptou (Ex 32,1.23) und die Tempusänderung in der Unwissenserklärung vom Perfekt ge,gonen (Ex 32,1) zum Aorist evge,neto (Apg 7,40) zu signifikanten inhaltlichen Veränderungen. Dazu erklärt BARRETT, Apg, 367, hier sei Apg 7,40 näher am hebräischen Text als an Ex 32,1.23 LXX. 771 Vgl. DOHMEN, Exodus, 314. Die Erzählung vom Goldenen Kalb sei die erste und entscheidende Sünde des Gottesvolkes nach dem Bundesschluss und als Geburtsgeschichte des biblischen Bilderverbotes. JACOB, Exodus, 923, spricht von der „schwersten religiösen Verirrung Israels in der Wüste“.
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konkreten Anlasses gewinnt die Forderung nach Göttern hier grundsätzlicheren Charakter.772 Statt eine Reaktion von Aaron zu berichten – entsprechend Ex 32,2-4 –, fährt Apg 7,41 mit drei Aussagen773 über »unsere Väter«774 fort, die durch die Zeitangabe evn tai/j h`me,raij evkei,naij mit der in 7,38-40 geschilderten Ablehnung von Mose verknüpft und damit in die Zeit »der Versammlung in der Wüste am Berg Sinai« (7,38) eingeordnet werden. Insofern moscopoie,w775 bildhaft ausdrückt, dass sie sich ein Götzenbild in Form eines Kalbes machen, setzen »unsere Väter« ihre Forderung an Aaron (poi,hson h`mi/n qeou,j) selbst in die Tat um. Da sie diesem Götterbild (to. ei;dwlon) sogar opfern, verehren sie dieses als einen Gott, so dass sich darin ihre Abwendung von Gott offensichtlich manifestiert. Mit der »Freude über die Werke ihrer Hände« (kai. euvfrai,nonto evn toi/j e;rgoij tw/n ceirw/n auvtw/n) wird zum einen noch einmal betont, dass »unsere Väter« das Götterbild selbst angefertigt haben, zum anderen die schon in moscopoie,w enthaltene Verwerflichkeit776 ihres Handelns unterstrichen.777 Zugleich deutet sich hier an, dass die Überhöhung des Götterbildes zu einem Gott paradox ist, denn die Wendung ta. e;rga tw/n ceirw/n ist mit der Nichtigkeit des von Menschenhand Gemachten konnotiert, wie andere Texte zeigen (z.B. Dtn 4,28; Jes 44,9ff).778 Die Schwerpunkte dieses Berichts über die Anfertigung eines Götterbildes und seiner Verehrung verdeutlichen sich anhand eines Vergleichs mit der Darstellung dieser Begebenheit in Ex 32,2-6.
772
Dies korrespondiert mit Apg 7,39, wo das Zurückstoßen von Mose ebenfalls auf eine grundsätzlichere Ebene gestellt wird. Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 138. 773 Diese drei Aussagen werden parallel jeweils mit kai, + Verb aneinander gereiht. 774 Seit Apg 7,39 sind oi` pate,rej h`mw/n implizites Subjekt des unbestimmten, kollektiven „sie“. 775 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1070. moscopoie,w „ein Kalb machen“ ist ein Hapaxlegomenon, das nach Art von eivdwlo-poie,w von mo,scoj „Kalb, junger Stier“ gebildet ist. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 464, Anm. 180. 776 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 374. Sie betont, dass in der Wendung toi/j e;rgoij tw/n ceirw/n auvtw/n schon die Disqualifizierung ihres Tuns enthalten ist. Mit ähnlich negativer Konnotation wird in Apg 7,48.49 von (Menschen-)Hand gemachten Werken gesprochen. 777 Das Imperfekt drückt eine grundsätzliche Freude aus, deren Grund bzw. Gegenstand die eigenen ‚Handwerke‘ sind. Der Plural e;rga zeigt, dass sich die Freude sowohl auf das Götterbild als auch auf das Opfern bezieht. 778 Zu Dtn 4,28 vgl. VAN DE SAND, Amos, 73, 77–78. Zu Jes 44,9ff. vgl. SCHIFFNER , Lukas liest Exodus, 374, Anm. 189.
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Dort wird detailliert erzählt, wie Aaron der Forderung der Israeliten nach Göttern (Ex 32,1) nachkommt, indem er aus ihren Ohrringen ein „goldenes“779 Kalb anfertigt: kai. evde,xato evk tw/n ceirw/n auvtw/n kai. e;plasen auvta. evn th/| grafi,di kai. evpoi,hsen auvta. mo,scon cwneuto,n … »Und er nahm sie aus ihren Händen entgegen und formte sie mit dem Griffel und machte sie zu einem gegossenen Jungstier …« (Ex 32,4a-c). Dass dieses als Götterbild zu verstehen ist, kommt in Aarons Aussage, die einem Kultruf780 gleicht, zum Ausdruck (oi` qeoi, sou Israhl oi[tinej avnebi,basa,n se evk gh/j Aivgu,ptou »Diese sind deine Götter, Israel, die dich aus dem Land Ägyptens hinaufgehen ließen.« Ex 32,4e). In dieser rückwirkenden Übertragung der durch Mose geleisteten Führung des Volkes auf das Götterbild ist eine Problematisierung des Bilderverbotes enthalten, so dass Ex 32,1-4 als „Basisgeschichte für das biblische Bilderverbot“781 verstanden werden kann. Ein weiteres Vergehen nach der Herstellung eines Götterbildes stellt Aarons Altarbau und Ausruf eines „Festes für den Herrn“ (Ex 32,5) dar, denn die Anordnung von Festen obliegt allein Gott selbst.782 Die Darbringung von Brand- und Heilsopfern durch Aaron in Ex 32,6a-b (kai. ovrqri,saj th/| evpau,rion avnebi,basen o`lokautw,mata kai. prosh,negken qusi,an swthri,ou … »Und am folgenden Tag stand er früh auf und ließ Ganzbrandopfer aufführen und brachte ein Heilsopfer dar …«) kann zwar angesichts des ausgerufenen Festes für den Herrn (Ex 32,5) als legitimes priesterliches Opfer verstanden werden,783 aber die abschließende Schilderung … evka,qisen o` lao.j fagei/n kai. piei/n kai. avne,sthsan pai,zein »… und das Volk setzte sich, um zu essen und zu trinken, und sie erhoben sich, um sich zu belustigen.« (Ex 32,6c) ist deutlich negativ konnotiert. Das Volk bestätigt mit dieser „Feier“ nämlich die Übertragung der Führung durch den Herrn auf das selbstgemachte Götterbild (Ex 32,4).784
779 Vgl. DOHMEN, Exodus, 296. Wörtlich müsste es dem hebräischen Text nach als „edelmetallenes“ Kalb und dem griechischen cwneuto,j nach als „gegossenes“ Kalb bezeichnet werden, aber aufgrund der Nennung von Gold im Kontext, kann es als „Goldenes“ Kalb aufgefasst werden. Schon durch das Gießen des Kalbes aus Ohrringen wird ein Bezug zu fremden Göttern hergestellt, da ein ähnlicher Zusammenhang in Gen 35 zu finden ist. 780 Vgl. DOHMEN, Exodus, 297. Schon der Begriff „Kalb“ an sich kann als Hinweis auf ein Kultbild verstanden werden, wie seine Verwendung in Dtn 9f.; 1 Kön 12, mit der Ex 32 verbunden ist, zeigt. Zum Kalb als Götterbild vgl. EBD., 296–297. 781 DOHMEN, Exodus, 298. Die Problematisierung erfolge durch die Konfrontation des statischen, materiellen Bildes mit der offenen, lebendigen Erfahrung. Dabei werde hier allerdings nicht auf der Grundlage des dekalogischen Bilderverbots argumentiert, sondern ausgehend vom spannungsvollen Umgang mit spezifischen JHWH-Traditionen, wie Aarons Altarbau und Ausruf eines „Festes für den Herrn“ (Ex 32,5) zeige. Vgl. auch JACOB, Exodus, 926–928. 782 Vgl. DOHMEN, Exodus, 299. 783 Vgl. DOHMEN, Exodus, 300. Dies sei nur im Text der LXX der Fall, die in der ersten Hälfte von Ex 32,6 singularisch formuliert. 784 Vgl. DOHMEN, Exodus, 300. Er zeigt, inwiefern dieser Feier eine analoge Funktion zur positiven Bestätigung der Erscheinung der Herrlichkeit JHWHs in Ex 24,17 und in Ex 15,2.11.13 angesichts der machtvollen Führung zukommt.
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Da Ex 32 vielfältige Bezüge zu Ex 19-24 aufweist, zeigt sich, dass es Ex 32 zum einen um die Übertretung des Bilderverbotes geht, in der die Abwendung von Gott zum Ausdruck kommt (vgl. besonders Ex 32,8), zum anderen auch um die Frage nach der Nähe Gottes und ihre Vermittlung durch Mose.785
Da in Apg 7,41 die Details der Herstellung des goldenen Kalbes von Ex 32,2-4 fehlen, wird mit dem aussagekräftigen Verb moscopoie,w die Gestalt des Kalbes und der Aspekt des Selbermachens in den Vordergrund gestellt und damit zunächst – ähnlich wie in Ex 32,4a-c – der Zugriff auf den Stierkult betont.786 Nachdem schon durch moscopoie,w klar wird, dass das Opfer (7,41b) einem Götterbild dargebracht wird, bestätigt sich dies noch einmal durch die Bezeichnung to, ei;dwlon, mit der ausdrücklich auf Ex 20,4; Dtn 5,8 angespielt wird.787 Die Übertretung des Bilderverbots bringt also in einem zweiten Schritt auch Götzendienst mit sich, insofern diesem ei;dwlon geopfert wird. Dass es sich hiermit um Abwendung von Gott handelt, dessen Anwesenheit nun durch das Götterbild ersetzt wird, verdeutlicht sich auch daran, dass in 7,41 vom »Fest des Herrn« keine Rede ist, sondern ausschließlich Götterbilder mit verschiedenen Formulierungen genannt werden, womit der Abwendung von Gott Ausdruck verliehen wird. Deutlich unterscheiden sich die beiden Darstellungen in Ex 32,2-6 und Apg 7,41 hinsichtlich der handelnden Subjekte: In Ex 32,2-6 ist Aaron derjenige, der das Kalb anfertigt, es ausdrücklich als Götterbild ausweist und ihm opfert, das Volk Israel tritt dabei nur als Subjekt des Freudenfestes auf. In Apg 7,41 dagegen sind durchgehend oi` pate,rej h`mw/n »unsere Väter« handelndes Subjekt,788 wodurch ihnen das Vergehen des Götzendienstes und die darin enthaltene Abwendung von Gott angelastet wird.789 Unterstrichen wird dies durch die bestätigende Notiz von ihrer Freude (7,41c), die – mit einer Konzentration auf die eigenen ‚Hand-Werke‘ (ta.
785
Vgl. DOHMEN, Exodus, 300, 303. Er bezeichnet Ex 32 als „Gegenveranstaltung zur Sinaitheophanie“. 786 So wird zunächst ähnlich wie in Ex 32,4a-c stärker auf den Stierkult (vgl. Gen 35; 1 Kön 12) hingewiesen, bevor vom Bilderverbot Ex 20,4.23 her argumentiert wird. 787 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 372, Anm. 178. Sie sieht in der Verwendung des doppeldeutigen to, ei;dwlon ganz die Sinnlinie von Ex 32 getroffen, denn zunächst handle es sich dabei um die bildliche Darstellung von etwas, so dass damit das Bilderverbot übertreten werde. Erst in einem zweiten Schritt bedeute das Bildermachen doch auch Götzendienst. Vgl. auch BARRETT, Acts, 367. moscopoie,w sei auf die gleiche Weise gebildet wie eivdwlopoie,w. 788 In 7,39 werden ausdrücklich oi` pate,rej h`mw/n als Subjekt genannt. Seit dem ist nur von »sie« die Rede. 789 Vgl. JERVELL, Apg, 242. FITZMYER, Acts, 381.
314
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
e;rga tw/n ceirw/n auvtw/n) – die Schilderung von Ex 32,6c zusammenfassend interpretiert wird. Insgesamt fokussiert Apg 7,41 also vor dem Hintergrund der Frage nach der Anwesenheit Gottes (Apg 7,40) mit Anspielungen auf Ex 32,2-6 die Abwendung von Gott, die sich im Übertreten des Bilderverbotes durch das Herstellen von Götzen äußert. Der darin implizierten Kritik am Götzendienst790 kommt im Kontext der Stephanusrede besonderes Gewicht zu, da der hier berichtete Götzendienst einen Widerspruch zur Verheißung des Gottesdienstes »an diesem Ort« nach der Befreiung aus der Unterdrückung (7,7) bedeutet. Aufgrund der Tragweite dieses Vergehens ist eine entsprechende Reaktion Gottes zu erwarten, zumal in Ex 32 nach der Schilderung des Götzendienstes von Gottes Zorn (Ex 32,7) die Rede ist. Apg 7,42-43 42a
b 43a
b 42a
b 43a
b
e;streyen de. o` qeo.j kai. pare,dwken auvtou.j latreu,ein th/| stratia/| tou/ ouvranou/ kaqw.j ge,graptai evn bi,blw| tw/n profhtw/n\ mh. sfa,gia kai. qusi,aj proshne,gkate, moi e;th tessera,konta evn th/| evrh,mw|( oi=koj VIsrah,lÈ kai. avnela,bete th.n skhnh.n tou/ Mo,loc kai. to. a;stron tou/ qeou/ Îu`mw/nÐ ~Raifa,n( tou.j tu,pouj ou]j evpoih,sate proskunei/n auvtoi/j( kai. metoikiw/ u`ma/j evpe,keina Babulw/nojÅ »Es hat sich aber abgewandt Gott / es hat aber umgewendet Gott und er hat sie übergeben, dem Heer des Himmels zu dienen, wie geschrieben steht im Buch der Propheten: Habt ihr mir etwa Gaben und Opfer dargebracht 40 Jahre lang in der Wüste, Haus Israel? Und ihr habt das Zelt des Moloch und den Stern [eures] Gottes Raiphan getragen, die Statuen, die ihr gemacht habt, um euch vor ihnen niederzuwerfen, und ich werde euch umsiedeln über Babylon hinaus.«
Erwartungsgemäß hält 7,42a als Konsequenz der Hinwendung »unserer Väter« zum selbstgemachten Götterbild zunächst fest: e;streyen de. o` qeo,j. Da stre,fw transitiv oder intransitiv verwendet werden kann, sind darin folgende Sinnpotentiale enthalten: Im intransitiven Sinn bedeutet stre,fw, Gott »wendet sich selbst ab«. Da 7,39 ebenso das Abwenden »unserer Vä790
Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 173, 191. JERVELL, Apg, 241–242. Eine ähnliche Zusammenfassung findet sich in Ex 32,8. Vgl. dazu DOHMEN, Exodus, 303–304.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
315
ter« von Mose bzw. Gott mit stre,fw ausdrückt, reagiert Gott laut 7,42a mit einer diesem Verhalten entsprechenden Konsequenz.791 So wird eine wechselseitige Abwendung formuliert: Einerseits wenden sich »unsere Väter« von Gott (und Mose) ab, andererseits zieht das die Abwendung Gottes von ihnen nach sich. Transitiv verstanden bedeutet stre,fw, Gott »wendet« die Israeliten »hin« oder »um«, was mit der Fortsetzung kai. pare,dwken auvtou.j latreu,ein th/| stratia/| tou/ ouvranou/ »und er hat sie übergeben, dem Heer des Himmels zu dienen« erläuternd ergänzt wird.792 So wird mit dem einen Verb stre,fw eine doppelte Bewegung ausgedrückt: Gott wendet sich von »unseren Vätern« ab, indem er sie zugleich zum Dienst am Himmelsheer hin-/umwendet.793 Aufgrund von kontextuellen und motivischen Analogien wird hiermit Dtn 4,15-30 eingespielt. Auf der Grundlage eindringlicher Aufforderungen zum Gesetzesgehorsam im Rahmen eines Rückblicks auf die Gesetzesgabe am Horeb (Dtn 4,1-15)794 wird in Dtn 4,16-30 das Bilderverbot thematisiert. Dabei wird in Dtn 4,16-18 anhand einer Aufzählung der Lebewesen aus allen Bereichen des Kosmos, von denen keines als Abbild für ein Kultbild verwendet werden darf, das Bilderverbot von Ex 20,4 (Dtn 5,8) in besonderer Weise umformuliert und eingeschärft.795 Dies mündet in folgende Aufforderung ein: kai. mh. avnable,yaj eivj to.n ouvrano.n kai. ivdw.n to.n h[lion kai. th.n selh,nhn kai. tou.j avste,raj kai. pa,nta to.n ko,smon tou/ ouvranou/ planhqei.j proskunh,sh|j auvtoi/j kai. latreu,sh|j auvtoi/j … »und, wenn du hinaufschaust in den Himmel und die Sonne und den Mond und die Sterne und den ganzen Schmuck des Himmels siehst, lass dich nicht verführen, wirf dich nicht vor ihnen nieder und diene nicht denen, …« (Dtn 4,19).
791
Vgl. FITZMYER, Acts, 381. JERVELL, Apg, 242. ZMIJEWSKI, Apg, 324, entdeckt darin den Grundsatz der Entsprechung von Schuld und Strafe nach Weish 11,16. BARRETT, Acts, 368, führt zur Untermauerung für den häufigeren intransitiven Gebrauch Ps 6,5 als Beispiel an. 792 Vgl. FITZMYER, Acts, 381. BARRETT, Acts, 367–368. In diesem Fall würde sich auvtou,j nach pare,dwken auch auf e;streyen beziehen. 793 Dies bekommt durch die Formulierung mit paradi,dwmi noch eine zusätzliche Färbung, insofern mit demselben Verb die Auslieferung Jesu durch den Verrat des Judas ausgedrückt wird (Lk 22,4.6.21.22.48). Vgl. darüber hinaus Lk 9,44; 18,32; 20,20; 23,25; 24,7.20; Apg 3,13; 21,11; 22,4; 28,17 u.a. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 374, verweist auch auf Röm 1,26, wo ähnlich Gottes Konsequenz für die Verehrung von Geschöpfen formuliert wird. Vgl. auch BARRETT, Acts, 368. 794 Vgl. auch Apg 7,38. 795 Vgl. DOHMEN, Exodus, 110. Hier werde Ex 20,4-6 aufgenommen, wo es deutlich um ein Kultbildverbot, also das Verbot einer Darstellung im Bereich des Kultes, gehe. VAN DE SANDT, Amos, 74, erklärt, der Begriff o`moi,wma und die Unterteilung des Kosmos in drei Bereiche seien eng mit Dtn 5,8 verknüpft. Dabei werde deutlich, dass die Gesamtheit der lebendigen Geschöpfe Götter repräsentieren können.
316
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Damit wird das Verbot, fremde Götter zu haben (ouvk e;sontai, soi qeoi. e[teroi plh.n evmou/ Ex 20,3; Dtn 5,7) und ihnen zu dienen (ouv proskunh,seij auvtoi/j ouvde. mh. latreu,sh|j auvtoi/j Ex 20,5, Dtn 5,9), in Gestalt des Verbots, Himmelskörpern zu dienen, präsentiert.796 Die Bedeutung der Verbote von Götterbildern und Götzendienst wird besonders durch die Strafankündigung im Falle von Verbotsübertretung unterstrichen: So spricht Dtn 4,25 von Gottes Zorn, Dtn 4,26 von Vertreibung aus dem verheißenen Land und Ausrottung und Dtn 4,27 von der Zerstreuung unter alle Volksstämme durch den Herrn selbst (kai. diasperei/ ku,rioj u`ma/j evn pa/sin toi/j e;qnesin …). Mit Letzterem ist die Ankündigung von Götzendienst verbunden: latreu,sete evkei/ qeoi/j e`te,roij e;rgoij ceirw/n avnqrw,pwn xu,loij kai. li,qoij … »und ihr werdet dort anderen Göttern dienen, Werken von Menschenhänden, Hölzern und Steinen …« (Dtn 4,28a).797
Die Motivanalogie zu Dtn 4,16-30 zeigt, dass in Apg 7,42a mit der Wendung latreu,ein th/| stratia/| tou/ ouvranou/ ebenfalls Götzendienst in Gestalt von Dienst an Himmelskörpern bzw. am Heer des Himmels798 thematisiert wird. Nachdem 7,41 mit der Verehrung des goldenen Kalbes veranschaulicht, dass »unsere Väter« das Verbot von Götterbildern und von Götzendienst überschreiten, notiert 7,42a als Reaktion Gottes, dass er »unsere Väter« zusätzlich zur speziellen Form des Götzendienst, dem Dienst am Himmelsheer, hinwendet. Der Gedankengang, dass auf Missachtung des Verbots von Götterbildern und Götzendienst erneuter Götzendienst folgt, lehnt sich ebenfalls an Dtn 4,25-28 an.799 Allerdings erhält Apg 7,42a ei796
Vgl. VAN DE SANDT, Amos, 74–75, qeoi. e[teroi (Ex 20,3.5) werde durch o` ko,smoj tou/ ouvranou/ (Dtn 4,19) ersetzt. Als Gründe für die Identität von Himmelskörpern und anderen Göttern nennt er, dass in Dtn 4,19b vor dem Sternenkult gewarnt werde und das Paar prosku,nein / latreu,ein in der LXX häufig mit qeoi. e[teroi als Objekt zu finden sei (Dtn 8,19; 11,16; 17,3 u.a.). Außerdem werde in beiden Texten als Motivation für das Verbot angeführt, Gott habe Israel aus Ägypten herausgeführt (Ex 20,2; Dtn 5,6; 4,20). 797 Hiermit sind erneut Ex 20,3; Dtn 5,7 eingespielt. VAN DE SANDT, Amos, 75, schreibt dieser Vorhersage die Funktion einer Ermahnung zu, denn Israel soll gezeigt werden, dass nur Gehorsame gerettet werden. Direkt nach dieser Strafankündigung erfolgt ein abrupter Umbruch, insofern Dtn 4,29-30 die Möglichkeit der Umkehr Israels zu Gott thematisiert und zwar indem zum einzigen Mal im Pentateuch evkzhte,w to,n kuri,on qeo,n mit dem „Letzten Tag“ kombiniert wird. Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 37. In der Apg finde sich dieser Ausdruck der Gottsuche nur in Apg 15,17; 17,27. Dabei gehe es jeweils um Nicht-Juden, die Gott suchen. Lukas reserviere diese Phrase also für die Möglichkeit der Gemeinschaft mit Gott sowohl für Juden als auch für Heiden in seinen Tagen. Diese betrachtet er als „die letzten Tage“. 798 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 375, Anm. 191. Apg 7,42 nennt zwar h` stratia, tou/ ouvranou/ statt o` ko,smoj tou/ ouvranou/, aber angesichts der auch sonst häufigen Schwankungen der LXX bei der Wiedergabe von ~ymvh abc sei dieser Unterschied inhaltlich nicht bedeutend. 799 Auch das Abwenden Gottes in seinem zweifachen Sinn (e;streyen de. o` qeo,j) in Apg 7,42a kann als Korrespondenz zum Zorn Gottes in Dtn 4,25 verstanden werden.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
317
nen provokativeren Zug, da hier Gott noch deutlicher als Initiator dieses zusätzlichen Götzendienstes dargestellt wird als in Dtn 4,28 (dort ist Gott nur als Subjekt der Zerstreuung unter die Volksstämme Dtn 4,27 genannt).800 Darüber hinaus verschärft sich die Aussage in Apg 7,42a, indem sie als bereits vollzogene Strafe formuliert, was Dtn 4,28 als Ermahnung für den Fall von Verbotsmissachtung in Aussicht stellt.801 Die Tragweite des Götzendienstes »unserer Väter« und dieser Reaktion Gottes darauf verdeutlicht sich zusätzlich, indem mit latreu,ein auf 7,7 zurückgegriffen und so darauf hingewiesen wird, dass dieser Dienst am Heer des Himmels der Verheißung des Gottesdienstes an diesem Ort als letztes Ziel der Befreiung Israels diametral gegenübersteht. Die in den komprimierten Formulierungen von 7,42a angedeutete Dynamik und deren Brisanz, wird in der folgenden direkten Rede ergänzt und unterstrichen. So können die mit kaqw.j ge,graptai evn bi,blw| tw/n profhtw/n802 »wie geschrieben steht im Buch der Propheten« eingeleiteten Prophetenworte als Illustration des wechselseitigen Abwendens von Gott und dem Volk Israel und der darauf folgenden Konsequenzen verstanden werden. Mit der rhetorischen Frage mh. sfa,gia kai. qusi,aj proshne,gkate, moi »Habt ihr mir etwa Gaben und Opfer dargebracht« (7,42b), die eine verneinende Anwort erwarten lässt,803 wird durch das Prophetenwort ein Vorwurf von Gott selbst formuliert, dessen Gegenstand mit den beiden Lexemen sfa,gia und qusi,aj betont wird. Insofern mit qusi,a das Opfern vor dem selbstgemachten Stierbild (7,41b) aufgegriffen wird, geht es wieder deutlich um die Frage nach dem wahren Gottesdienst im Gegensatz zum Götzendienst. Konkret wird dabei die vierzigjährige Wüstenzeit Israels anvisiert (e;th tessera,konta evn th/| evrh,mw|; vgl. 7,36.38), von der ab 7,39 eingehend als Charakteristikum die Abwendung Israels von Gott durch Übertreten des Bilder- und Götzendienstverbots geschildert wurde.
Außerdem kann im »Dienst am Himmelsheer« ein Hinweis auf die in Dtn 4,27 angekündigte Zerstreuung durch Gott unter die Volksstämme gesehen werden, weil diese dort unmittelbare Voraussetzung für den zusätzlichen Götzendienst von Dtn 4,28 darstellt. 800 Vgl. JERVELL, Apg, 242. Er sieht hier eine Strafe Gottes, die darin besteht, das Volk in noch größere Sünde zu lassen. Damit wird ein sperriger, provokanter Zug in der Darstellung Gottes betont. 801 Dieser Unterschied zeigt sich schon an der Tempuswahl: Dtn 4,27-28 verwendet das Futur, Apg 7,42a dagegen den Aorist. Vgl. VAN DE SANDT, Amos, 77. 802 Es handelt sich hier um eine feste Formel, die einen Schriftbeweis einleitet, wie sie z.B. auch in Lk 2,23; Apg 13,40; 15,15 zu finden ist. Sie stammt von Dan 9,13 oder 2 Kön 14,6 und übersetzt dort die jeweils entsprechende Wendung aus dem Hebräischen. Vgl. FITZMYER, Acts, 381. ZMIJWESKI, Apg, 324. 803 Dies wird durch das vorangestellte mh, signalisiert. Vgl. BDR § 427.
318
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Die Benennung des Adressaten dieser vorwurfsvollen rhetorischen Frage als oi=koj VIsrah,l zeigt, dass ganz Israel zur Rechenschaft gezogen wird. Der Kontrast zum unterlassenen, wahren Gottesdienst wird in 7,43a weiter illustriert, indem zwei Beispiele des Götzendienstes genannt werden: Die Größen h` skhnh. tou/ Mo,loc804 »das Zelt des Moloch« und to. a;stron tou/ qeou/ Îu`mw/nÐ ~Raifa,n805 »der Stern [eures] Gottes Raiphan« werden durch die Erklärung tou.j tu,pouj ou]j evpoih,sate proskunei/n auvtoi/j »die Statuen, die ihr gemacht habt, um euch vor ihnen niederzuwerfen« eindeutig als Götzenbilder (tou.j tu,pouj) ausgewiesen, die mit der Absicht angefertigt wurden (ou]j evpoih,sate), sich vor ihnen niederzuwerfen (proskunei/n auvtoi/j). Demnach sind sie also Beispiele dafür, wie das Haus Israel in der vierzigjährigen Wüstenzeit gegen das Bilder- und Götzendienstverbot verstoßen hat. o` tu,poj ist nämlich im Sinne von Götterbild zu verstehen, ähnlich wie to, ei;dwlon (7,41),806 und poie,w nimmt wörtlich die Forderung an Aaron (7,40) und die Umsetzung durch das Herstellen eines Kalbes evmoscopoie,w (7,41) auf. Der Infinitiv proskunei/n auvtoi/j unterstreicht noch einmal, dass die Israeliten Götzendienst betreiben, denn hiermit wird eine äußerst unterwürfige Form der Anbetung ausgedrückt, die eigentlich nur Gott selbst zukommt.807 Zugleich wird damit die Anstößigkeit ihres Verhaltens unterstrichen, weil es als direkte Absicht der Anfertigung von Götterbildern angegeben wird.808 Im Anschluss an dieses Verhalten Israels wird in paralleler Formulierung Gottes Reaktion darauf wiedergegeben:809 kai. metoikiw/810 u`ma/j evpe,keina Babulw/noj. »und ich werde euch umsiedeln über Babylon hinaus.« 804 Laut ZMIJEWSKI, Apg, 325, handelt es sich um einen phönizischen Sonnen- und Gewittergott. JERVELL, Apg, 242, spricht von einem kanaanitischen Himmels- und Sonnengott. FITZMYER, Acts, 382 erklärt, wie vom hebräischen Text ausgehend hin zur LXX die Formulierung th.n skhnh.n tou/ Mo,loc entstanden ist. 805 Nach FITZMYER, Acts, 382, ist diese Schreibweise in verschiedenen Handschriften zu finden. Daneben existieren aber auch andere Schreibweisen, z.B. Rhiompha der Rhepha. Woher dieser Name kommt und ob er mit Moloch gleichzusetzen ist, sei unsicher. Auch hier gebe es eine Veränderung vom hebräischen Text aus bis hin zur LXX. Vgl. auch BARRET, Acts, 369–370. Beide Gottheiten ersetzen schon in LXX die assyrischen Sterngottheiten Sakkut und Kewan aus dem MT. 806 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 325. JERVELL, Apg, 242. BAUER, Wörterbuch, 1654, erläutert, dass mit o` tu,poj „das aus irgendeinem Stoff gefertigte plastische Bildwerk“ bezeichnet werde, so dass man es auch mit „Statue“ übersetzen kann. 807 Vgl. NÜTZEL, JOHANNES M., proskune,w, in: EWNT2 III, 419–423, hier 420–421. Das lukanische Doppelwerk behalte proskune,w Gott und dem erhöhten Herrn vor. 808 Es handelt sich um einen Infinitiv des Zwecks. Vgl. BDR § 390. 809 Durch den parallelen Satzbau bei der Formulierung des Götzendienstes und der Konsequenz (kai. avnela,bete … tou.j tu,pouj … kai. metoikiw/ u`ma/j) wird auch sprachlich die konsekutive Verbindung von beidem umgesetzt. 810 Während das Verhalten der Israeliten im Aorist formuliert wird, steht hier das Futur.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
319
Diese Verbannung über Babylon hinaus (nicht nur nach Babylon) umschreibt von der Perspektive des verheißenen Landes aus eine äußerst weite Entfernung. Da mit metoiki,zw in 7,4 – ebenfalls mit Gott als Subjekt – ausgedrückt wird, dass Gott Abraham ins verheißene Land umgesiedelt hat, wird in 7,43 eine kontrastierende Gegenbewegung zu diesem anfänglichen Handeln Gottes an Abraham formuliert. Jeweils benennt metoiki,zw also eine adäquate Reaktion Gottes: in 7,4 auf Abrahams Gehorsam, in 7,43 auf den Ungehorsam des Volkes Israel. Insofern die Redeeinleitung mit kaqw,j eine wechselseitige Entsprechung zwischen der Schilderung der Wüstenzeit und dem Prophetenwort signalisiert, wird mit dieser Ankündigung der Verbannung über Babylon hinaus die in 7,42a berichtete Reaktion Gottes interpretiert. Nachdem das Abwenden Israels von Gott (7,39 und 7,42b) jeweils anhand der Übertretung des Verbots von Götterbildern und des Götzendienstes konkretisiert wird (7,40.41 und 7,43a), wird in 7,43b Gottes strafende Konsequenz, die 7,42a als Abwenden Gottes von »unseren Vätern« und als Hinwenden zum »Götzendienst am Himmelsheer« beschreibt, als Verbannung über Babylon hinaus benannt. Die Funktion der Prophetenworte von 7,42b-43 erschließt sich neben ihrer Einbettung in den unmittelbaren Kontext durch einen Vergleich mit ihrem Intertext Am 5,25-27:
320
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Am 5,25-27 25 mh. sfa,gia kai. qusi,aj proshne,gkate, moi evn th/| evrh,mw| tessara,konta e;th oi=koj Israhl 26 kai. avnela,bete th.n skhnh.n tou/ Moloc kai. to. a;stron tou/ qeou/ u`mw/n Raifan tou.j tu,pouj auvtw/n ou]j evpoih,sate e`autoi/j 27 kai. metoikiw/ u`ma/j evpe,keina Damaskou/ le,gei ku,rioj o` qeo.j o` pantokra,twr o;noma auvtw/|. 25
»Habt ihr mir etwa Gaben und Opfer in der Wüste 40 Jahre lang dargebracht, Haus Israel? 26 Und ihr habt das Zelt des Moloch und den Stern eures Gottes Raiphan getragen, ihre Statuen, die ihr euch gemacht habt. 27 Aber ich werde euch umsiedeln, über Damaskos hinaus, spricht der Herr, der Gott, der Allherrscher ist sein Name.«
Apg 7,42b-43 42b mh. sfa,gia kai. qusi,aj proshne,gkate, moi e;th tessera,konta evn th/| evrh,mw|( oi=koj VIsrah,lÈ 43a kai. avnela,bete th.n skhnh.n tou/ Mo,loc kai. to. a;stron tou/ qeou/ Îu`mw/nÐ ~Raifa,n( tou.j tu,pouj ou]j evpoih,sate proskunei/n auvtoi/j( b kai. metoikiw/ u`ma/j evpe,keina Babulw/nojÅ
42b »Habt ihr mir etwa Gaben und Opfer dargebracht 40 Jahre lang in der Wüste, Haus Israel? 43a Und habt ihr das Zelt des Moloch und den Stern [eures] Gottes Raiphan getragen, die Statuen, die ihr gemacht habt, um euch vor ihnen niederzuwerfen, b und ich werde euch umsiedeln über Babylon hinaus.«
Am 5,25-27 findet sich im Kontext der Klage über das Fehlen von Recht und Gerechtigkeit im Haus Israel, in der Israel unter anderem zu Umkehr, nämlich zur Anerkennung der Gottesherrschaft des Gottes Israels, aufgerufen wird.811 In diesem Zusammenhang illustriert die Gottesrede Am 5,25-27 die Unrechtssituation, indem sie die Wüstenzeit als Zeit des Abfalls von Gott und des Götzendienstes chrakterisiert und als Strafe Verbannung nach Damaskus ankündigt.812 In dieser radikalen Sicht der Geschichte Israels wird
811
ZENGER, ERICH, Das Zwölfprophetenbuch, in: DERS., Einleitung, 467–533, hier 487. Die Klage wird in drei Unterabschnitten formuliert: Am 5,1-17; 5,18-27; 6,1-14. 812 Vgl. VAN DE SANDT, Amos, 68, Anm. 4. Die Wüstenzeit werde nur in der LXX aufgrund der vom MT weit entfernten Übertragung als Beispiel des Abfalls von Gott dargestellt. Am 5,25-27 MT dagegen verstehe die Wüstenzeit noch als eine ideale Zeit ohne Opferkult (analog zu Hos 9,10 u.a.), fokussiere also die geringe Bedeutung von Opfern. In der LXX-Version zeuge die Abwesenheit von Opfern zur Wüstenzeit vom Abfall von Gott. Indem Apg 7,42b-43 die LXX zitiert, wird hier ein ähnlicher Schwerpunkt gesetzt. Vgl. auch RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 142. Zur Analyse der LXX-Version von Am 5,25-27 im Vergleich zur MT-Version vgl. HOLTZ, TRAUGOTT, Untersuchungen über die alttestamentlichen Zitate bei Lukas, Berlin 1968, 17.
7 Lektüre von Apg 7,20-43
321
ein direkter Weg vom Exodus in das Exil gezeichnet, während die Zeit innerhalb des verheißenen Landes unerwähnt bleibt.813
Auch die Gottesrede in Form des Prophetenwortes in Apg 7,42b-43 schildert die Wüstenzeit als Zeit der Abwendung von Gott und Hinwendung zum Götzendienst, denn die Einleitung weist mit kaqw,j (7,42a) explizit auf eine Entsprechung mit dem bisher Geschilderten hin. Zugleich wird das Prophetenwort von Am 5,25-27 in einen anderen geschichtlichen Kontext gestellt, nämlich in die Wüstenzeit selbst, die folglich als Erfüllung der Ankündigung von Am 5,25-27 dargestellt wird.814 Trotz der grundlegenden Gemeinsamkeit, dass beide Texte die Wüstenzeit als Beispiel für Israels Abwendung von Gott schildern und Apg 7,42b43 dabei Am 5,25-27 fast wörtlich wiedergibt, lassen sich doch folgende Unterschiede beobachten:815 1. Während Am 5,26 die Absicht für das Anfertigen der tu,poi mit dem Relativsatz ou]j evpoih,sate e`autoi/j als ‚Selbstzweck‘ für die Israeliten beschreibt, liegt diese Absicht laut Apg 7,43 (ou]j evpoih,sate proskunei/n auvtoi/j) ausdrücklich in der Verehrung der tu,poi. Dadurch wird betont, dass ihnen der Charakter von Kultbildern zukommt und damit also das Verbot von Götterbildern und Götzendienst übertreten wird. Dies wird umso deutlicher, insofern mit den Verben poie,w und proskune,w auch das Bilder- und Götzendienstverbot in Ex 20,4-5 (Dtn 5,8-9) formuliert wird: Ex 20,4-5 4 ouv poih,seij seautw/| ei;dwlon ouvde. panto.j o`moi,wma o[sa evn tw/| ouvranw/| a;nw kai. o[sa evn th/| gh/| ka,tw kai. o[sa evn toi/j u[dasin u`poka,tw th/j gh/j 5 ouv proskunh,seij auvtoi/j ouvde. mh. latreu,sh|j auvtoi/j evgw. ga,r eivmi ku,rioj o` qeo,j sou qeo.j zhlwth.j … »4 Du sollst dir selbst kein Götzenbild machen noch ein Abbild von allem machen, was im Himmel oben und auf der Erde unten und in den Wassern unterhalb der Erde ist. 5 Du sollst sie nicht anbeten, und du sollst ihnen keinesfalls dienen, denn ich bin der Herr, dein Gott, ein eifernder Gott …« Im Rückgriff darauf beurteilen auch die Worte Gottes in Ex 32,8 die Verehrung des selbst gemachten goldenen Kalbes als Verstoß gegen diese Verbote, denn das Verhalten der Israeliten wird folgendermaßen beschrieben: evpoi,hsan e`autoi/j mo,scon kai. proskekunh,kasin auvtw/| kai. tequ,kasin auvtw/| … »sie haben sich einen Jungstier gemacht und sich vor ihm niedergeworfen und ihm geopfert …«. 813
Vgl. SPENCER, Acts, 77. Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 142. 815 Neben den beiden Unterschieden, die ausführlich erläutert werden, zeigen sich folgende inhaltlich unerheblichen Abweichungen: die Zeitangabe e;th tessera,konta formuliert Apg 7,42b gegenüber Am 5,25 (tessera,konta e;th) in vertauschter Reihenfolge und Apg 7,43a lässt auvtw/n nach tou.j tu,pouj aus. 814
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Nicht nur das Herstellen und das Verehren des goldenen Kalbes (Ex 32,18), die Apg 7,40 als Paradebeispiel für das Abwenden Israels von Gott während der Wüstenwanderung anführt und damit an das Prophetenwort Apg 7,42b erinnert, bedeuten einen Verstoß gegen die Verbote von Ex 20,4-5. Dasselbe gilt darüber hinaus für die beiden Sternenbilder und deren Verehrung, die Apg 7,43a mit Am 5,26 nennt.816 Indem Apg 7,43a als Intention für die Anfertigung der Sternenbilder deren Verehrung nennt – im geringen Unterschied zu Am 5,26 –, werden in Apg 7,43a die Verbotsübertretung und damit der Ungehorsam des »Hauses Israel« gegenüber Gott unterstrichen. 2. Der zweite signifikante Unterschied liegt darin, dass bei der Ankündigung der Strafe für den Götzendienst Apg 7,43b Babylon als Ort der Umsiedelung statt Damaskus (Am 5,27) nennt.817 Das hiermit assoziierte Babylonische Exil, das sich aus der Perspektive der Hörer der Stephanusrede bereits als Teil der Geschichte Israels ereignet hat,818 wird also in diesem Kontext von 7,39-42 als Strafe für den Verstoß gegen das Verbot von Götterbildern und Götzendienst in der Wüstenzeit dargestellt. Dadurch wird zum einen der Vorwurf an das Haus Israel, zum anderen auch die Tragweite der Strafe verschärft.819 3. Indem die Prophetenworte in Apg 7,43 mit dieser Gerichtsankündigung enden, ohne noch einmal Gott als Sprecher zu erwähnen (Am 5,27), erhalten sie im Kontext der Stephanusrede den Charakter unmittelbarer Aktualität. Da Stephanus als Sprecher dieser Prophetenworte dargestellt wird, werden hier seine prophetischen Züge noch einmal klarer.820 816 Vgl. VAN DE SANDT, Amos, 75, 78. Er sieht in Apg 7,43a auch eine Referenz auf Dtn 4,19, da sich Dienst an Sternenbildern anstelle von „anderen Göttern“ neben Dtn 4,16-19 im Alten Testament nur noch in Am 5,25-27 finde. So formuliere Apg 7,43 zugleich einen Verstoß gegen das spezifizierte Bilder- und Götzendienstverbot von Dtn 4,19. 817 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 376. Babylon passe ebenso wenig in die seit Apg 7,36 erzählte Wüstenzeit wie Damaskus. 818 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 141. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 376–377. Babylon könnte aufgrund der ‚Hure Babylon‘ Offb 17,5 auch als Chiffre für die römische Gewaltherrschaft verstanden werden. Schiffner betrachtet diese Interpretation als durchaus möglich, Rusam dagegen äußert sich dazu eher skeptisch. SPENCER, Acts, 77, sieht darin außerdem einen Hinweis für die Hörerschaft, dass ihre soziale und räumliche Lage nicht privilegierter oder unverletzlicher ist als die ihrer Vorfahren im 6. Jh. v. Chr. 819 Die Verbannung erfolgt noch dazu über Babylon hinaus (evpe,keina) und bedeutet eine Umkehrung von 7,4 (s.o.). Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 325. SPENCER, Acts, 77. Hier werde der Fall des Stephanus mit höheren Richtern und Zeugen verbunden als im derzeitigen Jerusalemer Gericht anwesend sind. 820 Ähnlich in Apg 7,49-50. Da durch Stephanus eine Gerichtsankündigung Gottes formuliert wird, deutet sich schon hier eine Art doppelte Gerichtsszene an, in der Stephanus als Angeklagter vor Gericht die Worte des höheren Richters Gottes ausspricht. Zum
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Darüber hinaus bewirkt die Beendigung dieses Abschnitts mit der Ankündigung der Verbannung eine Öffnung des Textes: Wird der Erzählfaden der Wüstenzeit aufgenommen oder wird von der Verbannung nach Babylon erzählt werden? Insgesamt kommt dem Prophetenwort in Apg 7,42b-43 in verschiedener Hinsicht eine Scharnierfunktion zu.821 Innerhalb seines unmittelbaren Kontextes deutet sich diese schon im kaqw,j der Überleitung zur direkten Rede an, weil dadurch eine Entsprechung zwischen der Darstellung der Wüstenzeit Apg 7,36.38-42a und dem Prophetenwort ausgedrückt wird. So interpretieren sich die beiden Passagen, die einen ähnlichen Gedankengang aufweisen, wechselseitig. Als Scharnier fungiert das Prophetenwort auch innerhalb des weiteren Kontextes der Stephanusrede. So wird mit der rhetorischen Frage (7,42b) nach den Opfern in der Wüste nicht nur kontrastierend das Opfer vor dem Kalb (7,41) aufgenommen, sondern implizit auch die Verheißung des wahren Gottesdienstes von 7,7.822 Ähnliches gilt für die exemplarische Fortsetzung des Götzendienstes an den Himmelskörpern (7,43a), die nicht nur die Forderung nach selbstgemachten Göttern (7,40), das selbstgemachte Götterbild in Gestalt eines Kalbes (7,41) und den Dienst am Himmelsheer (7,42a) aufgreift, sondern indirekt ebenfalls die Frage nach dem wahren Gottesdienst stellt (7,7).823 Außerdem stellt die mit metoiki,zw formulierte Verbannung über Babylon hinaus eine Gegenbewegung zur Übersiedelung Abrahams ins verheißene Land dar (7,4). Damit wird implizit angedeutet, dass das verheißene Land kein bleibender, dauerhafter Besitz ist. So wie Gott das Volk Israel dorthin übersiedelt, kann er es auch wieder ‚aus-siedeln‘ – und zwar weit weg über Babylon hinaus.824 Da das Prophetenwort in Apg 7,42b-43 die Wüstenzeit als Zeit der Abweisung Moses, des Abfalls von dem von ihm übergebenen Gesetz und damit letztlich von Gott selbst beschreibt, impliziert dies scharfe Kritik an diesem Verhalten. Damit wird erneut die Anklage gegen Stephanus, er rede blasphemisch gegen Mose und das Gesetz, widerlegt (Apg 6,11.13-14). Bild einer doppelten Gerichtsszene vgl. Apg 7,55-56. Auch im Vergleich zum Erzählduktus von Ex 32 liegt hier eine Verschärfung vor, insofern als Ex 32,14 nach Moses Fürsprache zumindest eine teilweise Vergebung durch Gott festhält. 821 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 143. Er spricht von einer „Schlüsselfunktion“. Als Schlüssel erweise sich das Amos-Zitat deshalb, weil mit ihm der Hauptvorwurf, der mithilfe des Geschichtsabrisses veranschaulicht werden soll, deutlich werde: Israel hat sich immer wieder von seinem Gott abgewendet. 822 Vgl. VAN DE SANDT, Amos, 86–87. 823 Darüber hinaus wird hiermit eine Negativfolie für das Machen des Begegnungszeltes (h` skhnh. tou/ marturi,ou) Apg 7,44 durch Mose und zwar gemäß des Bildes (o` tu,poj), das er gesehen hat, bereitgestellt. Vgl. Lektüre von Apg 7,44-50. 824 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 142–143.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Vielmehr plädiert Stephanus mithilfe dieses Prophetenwortes für das Einhalten des Gesetzes und würdigt damit dessen bleibende Relevanz und die Bedeutung des Mose.825 Damit wird also die Anklage gegen Stephanus auf »unsere Väter« umgewendet und der Vorwurf gegen die Hörer der Rede (7,51-53) vorbereitet. Fazit zu Apg 7,35-43 Der Abschnitt der Mosegeschichte, von dem Apg 7,35-43 handelt, wird insgesamt als Kontrastgeschichte präsentiert. Wegweisend dafür ist die Aussage ‚diesen Mose, den sie verworfen haben, diesen hat Gott zum Anführer (a;rcwn) und Befreier (lutrwth,j) eingesetzt‘ in 7,35, die in Form eines Kontrastschemas die Erzählung der bisherigen Mosegeschichte reflektiert und interpretiert und dabei grundlegende Themen und Strukturen826 für deren Fortsetzung bereit stellt. Zentral ist demnach das spannungsvolle ‚Dreiecksverhältnis‘ Gott – Mose – ‚sie‘, d.h. »unsere Väter« bzw. das Volk Israel, das anhand einzelner Ereignisse der Wüstenzeit Israels entfaltet wird. Dabei wird zugleich die zentrale Frage nach Gottes Anwesenheit und Wirksamkeit thematisiert. Zunächst wird – ausgehend von 7,35 – Mose hymnusartig als Heilsmittler Gottes in den Mittelpunkt gestellt.827 Nach einer summarischen Notiz über die Umsetzung seiner Funktion als Anführer und Befreier durch das Herausführen aus Ägypten (7,36) wird er in Form einer wörtlichen Rede – in Aufnahme von Dtn 18,15 und Apg 3,22 – als Vorläufer des von Gott verheißenen Propheten vorgestellt (7,37). Diese Unterbrechung des Berichts über das Exodusereignis enthält erneut eine Art Kommentar zur Mosegeschichte, weil darin zum einen auf Moses Wirken, zum anderen aber auch auf seine Ablehnung gemäß dem typischen Prophetenschicksal hingedeutet wird. In Anknüpfung an 7,36 fährt 7,38 mit der Schilderung der Wüstenzeit (in Anlehnung an den Plot der Exoduserzählung) fort und berichtet von dem zentralen Ereignis der Gesetzesgabe. Dabei werden mit Referenzen 825 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 144. Rusam zeigt sogar anhand aller von ihm als ‚Zitate‘ bezeichneten Textstellen, dass formal und inhaltlich deutlich werde, nicht der Redner Stephanus, sondern seine Zuhörer bzw. alle Israeliten verstoßen gegen das Gesetz. 826 Der Struktur des Abschnitts liegt dieses Kontrastschema zugrunde. Zunächst wird in 7,36-38 die Aussage von 7,35b behandelt, daraufhin in 7,39-41 die Aussage von 7,35a. Die Reaktion Gottes 7,42a und die abschließende Interpretation in 7,42b-43 spiegeln diesen Kontrast auf einer Art Metaebene. Es lässt sich außerdem erneut ein Wechsel von dynamischen und statischen Momenten beobachten. Besonders die direkten Reden präsentieren sich als statische Elemente, die meist auch der Kommentierung und Reflexion dienen. 827 Vgl. den stereotypen Beginn der Aussagen mit ou-toj.
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auf Texte, die die Gesetzesgabe reflektieren, primär Dtn 4, die Qualität des Gesetzes als lo,gia zw/nta mit seiner bleibenden Bedeutung und Mose als Mittler dieser »lebendigen Worte« Gottes fokussiert. Auf der Basis dieser ausführlichen Darstellung von Mose als von Gott gesandten prophetischen Heilsmittler, in der deutlich wird, dass Gott durch Mose in Taten und Worten für das Volk Israel wirkt, wird ab 7,39 die Rolle »unserer Väter« innerhalb dieses Dreiecksverhältnisses beleuchtet. Durch die Notiz ihres entschiedenen Ungehorsams gegenüber Mose und damit zugleich gegenüber dem von Gott gegebenen Gesetz – ebenfall in Analogie zu Texten, die die Bedeutung des Gesetzes betonen (Ez 20; Dtn 6 u.a.) – werden sie als kontrastierendes Gegenüber zu Mose einerseits und zu Gott andererseits dargestellt, so wie es in 7,35 reflektiert und angekündigt wird. Konkretisiert wird diese ungehorsame Abwendung »unserer Väter« in ihrer Bitte um Götter (7,40), in der sich implizit die Frage nach Gottes Anwesenheit und nach seiner Wirksamkeit durch Mose ausdrückt, ähnlich wie im fast wörtlich wiedergegebenen Subtext Ex 32,1. Neben dieser Basisgeschichte der Übertretung des Verbotes von Götterbildern wird das Verbot des Götzendienstes thematisiert, indem mit Anspielungen auf Ex 32,2-6 von der Herstellung und Verehrung des goldenen Kalbes berichtet wird. Die Konzentration auf diese beiden Verbote, hinter denen die Frage nach Gottes Anwesenheit und nach Gottesdienst steht, zeigt sich auch in der Schilderung der Reaktion Gottes in 7,42a, die Motivanalogien primär zu Dtn 4,16-30 enthält. Dabei wird nämlich die Abwendung Gottes (stre,fw) in zweifacher Hinsicht – zum einen als Abwendung von »unseren Vätern«, zum anderen als Hinwenden »unserer Väter« zum Götzendienst am Himmelsheer – als adäquate strafende Konsequenz für die ungehorsame Abwendung durch »unsere Väter« (stre,fw) dargestellt. Abschließend wird die geschilderte Kontrastgeschichte in den Prophetenworten 7,42b-43 noch einmal gebündelt und bestätigt. Denn in fast wörtlicher Wiedergabe von Am 5,25-27 wird hier die Wüstenzeit als Zeit der Abwendung Israels von Gott durch Übertreten des Verbots von Götterbildern und von Götzendienst interpretiert und die in 7,38-42 dargestellte Dynamik zwischen dem Fehlverhalten Israels und der entsprechenden Strafe Gottes illustriert. Dabei wird (gerade angesichts der geringen Unterschiede zu Am 5,25-27) die Anstößigkeit des Ungehorsams Israels akzentuiert und die Strafankündigung Gottes mit einer Anspielung auf das Babylonische Exil bzw. einer Übertreffung (evpe,keina Babulw/noj) davon verschärft. Da dieses Prophetenwort durch Stichwort- und Motivverbindungen zentrale Themen des unmittelbaren und des weiteren Kontextes der Stephanusrede aufnimmt, kommt ihm eine Art Scharnierfunktion zu. So ver-
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
anschaulicht und deutet es nicht nur die Wüstenzeit (7,36-42a) als Kontrastgeschichte, sondern stellt auch im Rückgriff auf die Verheißung in 7,7 wahren Gottesdienst und Götzendienst einander gegenüber. Anhand der Konsequenz für den Götzendienst in Form von Verbannung über Babylon hinaus (kai. metoikiw/ u`ma/j evpe,keina Babulw/noj) wird außerdem eine Gegenbewegung zur Gabe des verheißenen Landes durch Gott an Abraham in 7,4 (metw,|kisen auvto.n eivj th.n gh/n tau,thn) beschrieben. Darüber hinaus öffnet das Prophetenwort den Abschnitt für die Fortsetzung der Rede, nicht nur indem es die Frage nach der Umsetzung der angedrohten Verbannung in den Raum stellt, sondern auch indem Motive und Stichworte bereitgestellt werden, die im weiteren Verlauf von Bedeutung sein werden. Die besondere Vernetzung von 7,42b-43 mit verschiedenen Kontexten und die damit einhergehende Offenheit für unterschiedliche Kontexte, sind auch im gesamten Abschnitt 7,35-43 zu beobachten. Neben den Verbindungen innerhalb der Rede sind nämlich thematische Referenzen zur Stephanusepisode zu erkennen. So werden die prophetischen Züge des Stephanus verdeutlicht, indem in seiner Rede Prophetenworte zur Reflexion und Interpretation der Geschichte Israels verwendet werden. Außerdem wird in der positiven Darstellung von Mose und Gesetz und in der implizierten Kritik am Verhalten »unserer Väter« erneut die Anklage gegen Stephanus (6,11.13-14) widerlegt, eine Umwendung der Anklage auf die Väter vorgenommen und auf die Vorwürfe gegen die Hörer der Rede vorbereitet. Diese können sich nämlich zum einen durch die kontinuierliche Bezeichnung des Volkes Israel als »unsere Väter« (oi` pate,rej h`mw/n) mit deren Geschichte identifizieren. Zum anderen bieten die kommentierenden Aussagen (7,35.37.42b-43) und die Tendenzen zu Generalisierungen im Vergleich zu den Subtexten für die Adressaten der Rede die Möglichkeit, sich innerhalb des kontrastreichen ‚Dreiecksverhältnisses‘ Gott – Mose (Gesetz) – »unsere Väter« zu positionieren. Indem 7,35-43 die Wüstenzeit der Mosegeschichte mit etlichen intratextuellen Verbindungen sowie Referenzen auf diverse Intertexte neben den Exodustexten schildert, erweist sie sich offensichlich als gedeutete, aktualisierende Geschichtserzählung. Besonders mithilfe von kommentierenden und reflektierenden Aussagen wird dieser Abschnitt der Mosegeschichte als Geschichte der Gottesbegegnung in Gestalt einer spannungsreichen Kontrastgeschichte erzählt. 7.3 Fazit Im Kontext der Stephanusrede ist die Erzählung der Mosegeschichte 7,2043 deutlich in die Schilderung der »Zeit der Erfüllung der Verheißung Gottes an Abraham« (7,17) eingeordnet, was nicht nur die Zeitangaben (7,20.23.30) signalisieren, sondern auch zahlreiche motivische oder sogar
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lexematische Rückgriffe auf die Verheißungen in 7,5-7. Thematisch steht dabei im Mittelpunkt, inwiefern der transzendente Gott durch seinen prophetischen Heilsmittler Mose in der Geschichte Israels wirkt und damit seine Verheißungen erfüllt. Untrennbar damit verbunden ist die Haltung Israels zu Mose und zugleich zu Gott als weiterer Schwerpunkt der Mosegeschichte, die demnach gewissermaßen ein ‚Dreiecksverhältnis‘ zwischen Gott, Mose und Israel darlegt. Präsentiert wird die Mosegeschichte unter anderem mithilfe zahlreicher intertextueller Referenzen: Die Darstellung von Moses Kindheit und Jugend spielt deutlich den Grundplot von Ex 2,1-11 ein, stellt aber im Gegensatz dazu Mose von Geburt an als Gestalt mit besonderem Gottesbezug und prophetischen Zügen dar. Dadurch werden grundlegende Leseanweisungen für die weitere Mosegeschichte gegeben, insofern auf Moses Funktion verwiesen und auch auf seine Ablehnung gemäß dem typischen Geschick eines Propheten vorbereitet wird. Auch die Ausgestaltung von Moses Heilsmittlerschaft anhand von zwei exemplarischen Konfliktsituationen (7,23-29) folgt stark der Erzählung von Ex 2,12-22, zum Teil sogar mit wörtlichen Einspielungen. Neben Moses Funktion als Heilsmittler Gottes wird dabei die Anstößigkeit der Zurückweisung Moses durch Israeliten fokussiert. Die Erzählung über die Erscheinung des transzendenten Gottes vor Mose zeigt ebenfalls deutliche Analogien zu Ex 3,1-10 und gibt in der Gottesrede Apg 7,32.33-34 sogar Passagen aus dem Subtext wörtlich wieder. Im Vergleich dazu ist hier – ähnlich wie in 7,23-29 – eine Tendenz zur Generalisierung der Szene zu beobachten, die den Text übertragbar auf verschiedene Situationen macht. Ab 7,35 löst sich die Darstellung stärker vom Plot der Exodustexte – besonders Ex 32,1-6 in Apg 7,40-41 – und zeigt vermehrt Bezüge zu Texten, die über die Ereignisse der Wüstenzeit reflektieren, wie z.B. Dtn 4; Ez 20; Am 5,25-27. Nicht nur an der Art der intertextuellen Referenzen, sondern auch an den kommentierenden Unterbrechungen des Erzählverlaufs (7,25.35.39. 42b-43) zeigt sich, dass die Mosegeschichte als gedeutete, aktualisierte Geschichte erzählt wird. Gedeutet wird sie als Geschichte der bereits erfüllten Verheißungen und der noch nicht erfüllten Verheißungen, als Geschichte des Konflikts zwischen Gottes Heilsmittler Mose und dem Volk Israel, damit auch als Geschichte des Kontrastes zwischen Mose und dem Volk Israel und sogar als Geschichte der Abwendung von Gott, die unheilvolle Gerichtsankündigung zur Folge hat. Diesen Deutungen der Mosegeschichte liegt letztlich die Frage nach der Anwesenheit Gottes in der Geschichte Israels zugrunde.
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Insofern es sich um gedeutete und aktualisierte Geschichtserzählung handelt, kennzeichnet sich die Mosegeschichte durch Offenheit für den Kontext der Stephanusepisode. So werden die Anklagen gegen Stephanus an verschiedenen Stellen widerlegt: Zum einen, indem die Transzendenz Gottes eingehend bedacht und dabei deutlich gezeigt wird, dass Gottes Anwesenheit nicht an einen privilegierten heiligen Ort, respektive den Jerusalemer Tempel, gebunden ist (7,33b), zum anderen, indem Mose in seiner bleibenden Bedeutung als Heilsmittler Gottes präsentiert wird und indem das Gesetz durch die Bezeichnung lo,gia zw/nta »lebendige Worte« ausgezeichnet wird. Außerdem trägt die Darstellung der Mosegeschichte dazu bei, das prophetische Profil des Stephanus zu unterstreichen, indem Analogien zwischen ihm und dem Propheten Mose gezogen werden (7,22) und Stephanus Prophetenworte in den Mund gelegt werden (7,42b-43). Damit geht einher, dass die als spannungsvolle Konflikt- und Kontrastgeschichte gedeutete Mosegeschichte transparent werden kann für die Situation der prophetischen Gestalt Stephanus, d.h. sowohl für deren Wirken als auch für deren Ablehnung. Als gedeutete Geschichte mit bleibender Relevanz bietet die Mosegeschichte außerdem diverse Ansatzpunkte zur Aktualisierung für die Hörer der Stephanusrede, wie z.B. die Rede von Israel in Form von »unseren Vätern«. Insbesondere die Tendenz, die Mosegeschichte zunächst an konkreten Beispielen zu entfalten und daraufhin – besonders im Vergleich zu den Subtexten – stärker zu abstrahieren und zu generalisieren sowie die diversen kommentierenden Aussagen tragen zur Offenheit der Geschichte für die Hörer der Rede und ihre eigene Positionierung innerhalb des ‚Dreiecksverhältnisses‘ Gott – Mose – Israel bei.
8 Lektüre von Apg 7,44-50 8.1 Strukturanalyse Mit dem neuen vorangestellten Subjekt h` skhnh. tou/ marturi,ou »das Zelt des Zeugnisses« wird im Anschluss an den Abfall der Israeliten ein weiteres Thema der Wüstenzeit angesprochen, das eng mit dem vorangehenden Ereignis verbunden ist. Dies ist schon allein anhand von Stichwortverknüpfungen zu erkennen, wie z.B. h` skhnh,, die Personengruppe oi` pate,rej h`mw/n und die Ortsangabe evn th/| evrh,mw| (7,36.38.42). Nach der kurzen Erwähnung der Entstehung des Zeltes des Zeugnisses, steht dieses weiterhin im Bericht über die Wüstenwanderung bis zur Einnahme der Völker (im verheißenen Land) und schließlich bis zu Davids Bitte um ein skh,nwma »Zeltwohnung« im Zentrum (7,45b-46).
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In diese Reihe von Moses skhnh, und Davids skh,nwma wird letztlich die kurze Notiz von Salomos oi=koj (7,47) gestellt, die grammatikalisch nur lose mit diesen beiden Größen verbunden ist. Diese zieht – markiert durch das deutliche avllV ouvc – eine kritische Stellungnahme nach sich (7,48a), die durch ein Prophetenwort in direkter Rede untermauert wird (7,49-50). Da 7,44-50 das Thema der Anwesenheit Gottes mit der sehr dichten Aufeinanderfolge der Größen skhnh, – skh,nwma – oi=koj, die jeweils mit wichtigen Personen verbunden sind, behandelt, lässt sich diese Passage kaum in Unterabschnitte gliedern. Am ehesten findet sich am Beginn der kritischen Stellungnahme 7,48 ein Einschnitt.828 7,44-47
7,48-50
828
Das Zelt des Zeugnisses und seine ‚Nachfolger‘ 7,44-45 Das Zelt des Zeugnisses zur Zeit der Wüstenwanderung 7,46 Die »Zeltwohnung« Davids 7,47 Salomos ‚(Gottes-)Haus-Bau‘ Kritische Stellungnahme zum ‚(Gottes-)Haus‘ Salomos 7,48 Durch einen Rednerkommentar 7,49-50 Durch Gott im Mund des Propheten
Apg 7,47 könnte ebenfalls als eigenständiger Unterabschnitt gelesen werden, da dieser Vers nur lose mit 7,44-46 verknüpft ist und an dem hier eingeführten oi=koj die Kritik ab 7,48 ausgelöst wird. SPENCER, Acts, 76–77, liest 7,43-44 zusammen, macht also keinen Einschnitt nach 7,43.
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Apg 7,44-47 44
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46 47
~H skhnh. tou/ marturi,ou h=n toi/j patra,sin h`mw/n evn th/| evrh,mw| kaqw.j dieta,xato o` lalw/n tw/| Mwu?sh/| poih/sai auvth.n kata. to.n tu,pon o]n e`wra,kei\ h]n kai. eivsh,gagon diadexa,menoi oi` pate,rej h`mw/n meta. VIhsou/ evn th/| katasce,sei tw/n evqnw/n( w-n evxw/sen o` qeo.j avpo. prosw,pou tw/n pate,rwn h`mw/n e[wj tw/n h`merw/n Daui,d( o]j eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ kai. hv|th,sato eu`rei/n skh,nwma tw/| oi;kw| VIakw,bÅ Solomw.n de. oivkodo,mhsen auvtw/| oi=konÅ »Das Zelt des Zeugnisses hatten unsere Väter in der Wüste wie der mit Mose Redende angeordnet hatte, es zu machen gemäß dem Vorbild, das er gesehen hat. Und das führten unsere Väter, die es übernommen hatten, mit Josua ein bei der Besitzergreifung der Völker, die Gott hinausstieß vor dem Angesicht unserer Väter bis zu den Tagen Davids, der Wohlwollen fand vor den Augen Gottes und sich erbat, eine Zeltwohnung für das Haus Jakob zu finden. Und Salomon hat ihm ein Haus gebaut.«
Da h` skhnh. tou/ marturi,ou »das Zelt des Zeugnisses«829 so unvermittelt und pointiert am Satzanfang steht, wirkt es wie eine Überschrift über einen neuen Abschnitt. Die erste Information dazu h=n toi/j patra,sin h`mw/n evn th/| evrh,mw| »hatten unsere Väter in der Wüste« stellt das Zelt des Zeugnisses als ständigen Besitz (h=n)830 der Väter der Hörer und des Stephanus – dieser wird durch h`mw/n weiterhin mit den Hörern verbunden – vor. Die Ortsangabe evn th/| evrh,mw| stellt eine Verknüpfung zum Vorangehenden her, denn sowohl Moses Führung mit Wunder- und Zeichentätigkeit (7,36), als auch die Versammlung bei der Gesetzesgabe (7,38) und das Abwenden der Väter von Mose, vom Gesetz und von Gott (7,42d) sind »in der Wüste« (evn th/| evrh,mw|) situiert. Demnach führt 7,44 die Schilderung der Wüstenzeit 829 h` skhnh. tou/ marturi,ou ist in der Regel Terminus für die Stiftshütte, das tragbare Heiligtum in der Wüste. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1508. FITZMYER, Acts, 382, erklärt, dass dieser Begriff von der LXX abgeleitet wird. Dort sei es eine Übertragung des hebräischen ’hel mô‘d (Zelt der Begegnung). Vgl. auch JERVELL, Apg, 243. ZMIJEWSKI, Apg, 326. 830 Das Imperfekt h=n verweist auf einen dauerhaften Zustand. Bei toi/j patra,sin h`mw/n handelt es sich wohl um einen Dativ des Besitzes. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 465. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 377.
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fort, greift dabei aber ein Thema auf, das ein Gegenüber zum Abfall der Väter darstellt. Mit h` skhnh. tou/ marturi,ou wird nämlich das in 7,43a als h` skhnh. tou/ Mo,loc bezeichnete Götzenbild kontrastierend aufgegriffen.831 Während dieses Zelt des Moloch ausdrücklich als Götzenbild von den Israeliten selbst gemacht wurde (ou.j tu,pouj ou]j evpoih,sate), ist die Herkunft des Zeltes des Zeugnisses als eine Anordnung (kaqw.j dieta,xato) an Mose gekennzeichnet (7,44). Der Auftraggeber wird mit o` lalw/n in seiner Rolle als Sprechender beschrieben und erinnert dadurch an den Engel, der laut 7,38 mit Mose bei der Gesetzesgabe spricht (tou/ avgge,lou tou/ lalou/ntoj)832 und sich vor dem Hintergrund von 7,30-31 als stellvertretender Bote Gottes erweist. Demnach ist auch hier an diesen Engel bzw. Gott selbst als Träger der Anordnung zu denken, so dass erneut Mose als besonders beauftragter Mittler Gottes skizziert wird. Ohne nähere Angaben zur Situation wird ausschließlich der Inhalt dieser Anordnung in indirekter Rede wiedergegeben. Dabei betont der Anfang mit poih/sai, was Mose zu tun hat, bevor angedeutet wird, wie er die Anfertigung des Zeltes umsetzen soll kata. to.n tu,pon o]n e`wra,kei. Da Mose also das Zelt des Zeugnisses nach dem Vorbild, das er gesehen hatte, machen soll, wird erneut der Kontrast zum Zelt des Moloch verdeutlicht, das die Väter als Götzenbilder gemacht haben (tou.j tu,pouj ou]j evpoih,sate 7,43).833 Insofern 7,44 keine konkreten Angaben zur Gestalt dieses Vorbildes oder zum Zweck des Zeltes des Zeugnisses macht, liegt der Fokus hier darauf, dass es sich im Gegensatz zu diesen Götzenbildern um eine Anordnung Gottes handelt, die Mose als Empfänger und Mittler umgesetzt hat, und die zugleich Gottes Anwesenheit impliziert. Genau darin liegen Funktion und Qualifikation der skhnh. tou/ marturi,ou, wie schon allein der Name ausdrückt:834 Sie ist ein Ort des Zeugnisses Gottes.835 Dass mit dem Zelt des Zeugnisses in der Wüstenzeit, die bisher hauptsächlich als Zeit der Abwendung von Gott durch Idolatrie charakterisiert wurde, die Frage nach der Anwesenheit Gottes thematisiert wird, zeigt sich auch deutlich durch die Anspielung auf Ex 33,7-11.836 Dieser Textabschnitt setzt Gottes Rede von Ex 33,1-5 fort, in der er seine Reaktion auf den in Ex 32 berichteten Götzendienst formuliert. Da es »dem Herrn« aufgrund dieser 831
Vgl. FITZMYER, Acts, 382. Die Logik der beiden Verse sei schwer zu verstehen. Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 35, sieht in den Lexemen poiei/n und tu,poj weitere Verknüpfungen zwischen 7,44 und 7,42-43. Vgl. dazu die Ausführungen zu 7,44. 832 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 326. 833 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 35. 834 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 250. 835 D.h. Ort der Anwesenheit Gottes und zugleich Begegnung mit Gott, insofern er dort Zeugnis von sich gibt. 836 Auf Ex 33,7 verweisen auch PENNER, Praise, 311, und KEE, Acts, 101.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Sünde nicht möglich ist, mit dem »halsstarrigen«837 Volk ins verheißene Land zu ziehen, also im Volk zu »wohnen«, weil er es sonst vernichten würde, fordert er Mose erneut auf, begleitet von einem Engel, mit dem Volk ins verheißene Land zu ziehen (Ex 33,3.5). Im Anschluss daran wird in Ex 33,7 scheinbar unvermittelt838 das Zelt des Zeugnisses eingeführt: kai. labw.n Mwush/j th.n skhnh.n auvtou/ e;phxen e;xw th/j parembolh/j makra.n avpo. th/j parembolh/j kai. evklh,qh skhnh. marturi,ou kai. evge,neto pa/j o` zhtw/n ku,rion evxeporeu,eto eivj th.n skhnh.n e;xw th/j parembolh/j »Und Mose nahm sein Zelt und baute es auf außerhalb des Lagers, weit entfernt vom Lager und es wurde Zelt des Zeugnisses genannt und es geschah, dass jeder, der den Herrn aufsuchte, hinausging zu dem Zelt außerhalb des Lagers.« Für die Bedeutung des Zeltes des Zeugnisses sind diese ersten Beschreibungen – zum einen als »Zelt des Mose« (labw.n Mwush/j th.n skhnh.n auvtou/), zum anderen verortet »außerhalb des Lagers« (e;xw th/j parembolh/j) – signifikant. Als ‚Moses Zelt‘ ist es vor allem Offenbarungsort, denn dort spricht die »Wolkensäule« o` stu/loj th/j nefe,lhj (Ex 33,9) bzw. »der Herr« (Ex 33,11) regelmäßig839 unmittelbar mit Mose. Diese Begegnung »von Angesicht zu Angesicht« (kai. evla,lhsen ku,rioj pro.j Mwush/n evnw,pioj evnwpi,w| Ex 33,11) ist ausdrücklich mit einem Sprechen verbunden (nicht mit einem Sehen), womit die Wortoffenbarung im Zelt des Zeugnisses betont wird. Zugleich wird hiermit Moses Funktion als ausschließlicher Offenbarungsmittler hervorgehoben.840 Damit geht auch die dezidierte Ortsangabe »außerhalb des Lagers« (e;xw th/j parembolh/j) einher, die auf die Distanz des Zeltes zum Volk hinweist, die wiederum in der Sünde des Volkes (Ex 32) begründet ist, wie Ex 33,1-5 zeigt. Weiterhin verweist Ex 33,7 auf die kultische Funktion des Zeltes, das »Suchen« des Herrn ist häufig in ausführlicheren Wendungen Ausdruck einer kultischen Handlung.841 Dabei findet hier allerdings keine direkte Begegnung zwischen dem Volk und Gott statt. Mit dem genauen Beobachten von Mose durch das »ganze Volk« (pa/j o` lao.j … katenoou/san avpio,ntoj Mwush/ e[wj tou/ eivselqei/n auvto.n eivj th.n skhnh,n Ex 33,8) wird nämlich die Vermittlung der Offenbarung durch Mose umschrieben. In Ex 33,7-11 geht es also um einen spezifischen Umgang mit dem Zelt des Zeugnisses, wobei die besonderen Bedingungen dafür aus dem unmittelbaren Kontext der Sünde folgen.842 Ursprünglich hat das Zelt des Zeugnisses nämlich zwei Funktionen:
837 Hier findet sich das Adjektiv sklhrotra,chloj, das auch in Apg 7,51 auf die Hörer der Stephanusrede angewendet wird. 838 Vgl. DOHMEN, Zelt, 164. VAN DE SANDT, Amos, 70. 839 Vgl. das Imperfekt evla,lhsen und die Diskussion um das Tempus bei DOHMEN, Zelt, 160–163. 840 Vgl. auch Num 11,16.14.16; Dtn 31,16-21. Vgl. DOHMEN, Zelt, 165, und VAN DE SANDT, Presence, 39. 841 Vgl. DOHMEN, Zelt, 165. Dies korrespondiere mit der Heiligkeitskonzeption von Ex 25-31. 842 Vgl. DOHMEN, Zelt, 163.
8 Lektüre von Apg 7,44-50
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Zum einen ist es laut Ex 29,42 Offenbarungsort für das Volk Israel, in dem Gott mit Mose spricht: qusi,an evndelecismou/ eivj genea.j u`mw/n evpi. qu,raj th/j skhnh/j tou/ marturi,ou e;nanti kuri,ou evn oi-j gnwsqh,somai, soi evkei/qen w[ste lalh/sai, soi »[du sollst es machen als] ein eure Generationen hindurch fortwährendes Opfer, am Eingang des Zeltes des Zeugnisses vor dem Herrn, von wo aus ich mich dir zu erkennen geben werde, um mit dir zu sprechen.« Zum anderen ist das Zelt des Zeugnisses ‚Wohnstätte‘ Gottes inmitten des Volkes: kai. evpiklhqh,somai evn toi/j ui`oi/j Israhl kai. e;somai auvtw/n qeo,j »Und ich will angerufen werden unter den Israeliten und ich will ihr Gott sein.« (Ex 29,45) Wenn Ex 33,7 dieses Konzept des Heiligtums durch die Aufnahme von h` skhnh. tou/ marturi,ou einspielt, wird zugleich als entscheidender Unterschied dazu deutlich, dass infolge der Sünde die zweite Funktion des Zeltes, ‚Wohnstätte‘ Gottes zu sein, nicht mehr möglich sein wird. Daher ist das Zelt von Ex 33,7-11, außerhalb des Lagers, zwar das Zelt von Ex 29, aber eingeschränkt auf die Funktion als Offenbarungsort.843
Ein ähnlicher Zusammenhang ist in der Stephanusrede zu finden, denn nachdem 7,39-43 die Wüstenzeit ausführlich als Zeit der Idolatrie, des Abfalls von Gott, schildert und mit der Reaktion endet, dass Gott das Haus Israel in möglichst weite Entfernung verbannen werde (7,43d), führt 7,44 h` skhnh. tou/ marturi,ou ebenso unvermittelt ein wie Ex 33,7. So wie es dort um die Anwesenheit Gottes im Volk Israel angesichts der Sünde geht, steht auch in der Stephanusrede die Frage nach Gottes Präsenz im Raum, wie schon die Forderung nach vorangehenden Göttern (7,40) zeigt. Diese Frage wird sogar noch dringlicher nach der Ankündigung der Verbannung durch Gott (7,43).844 Insofern mit dem Stichwort h` skhnh. tou/ marturi,ou und mit dem ähnlichen Kontext auf Ex 33,7 angespielt wird, scheint auch in 7,44 das Zelt des Zeugnisses als Mittel der Anwesenheit Gottes im Volk nach der Sünde zu dienen. Im Unterschied zu Ex 33,7, wo das Zelt betont »außerhalb des Lagers« lokalisiert wird, gibt 7,44 als Ort allerdings nur evn th/| evrh,mw| an, ohne das Lager zu erwähnen,845 so dass der Bezug des Zeltes des Zeugnisses zur Zeit der Wüstenwanderung fokussiert wird.
843
Vgl. DOHMEN, Zelt, 163–164. Er betont, dass das Zelt von Ex 33,7-11 der Perspektive von Ex 25-31, besonders Ex 29,42-46 entspricht, es sich also nicht um eine andere Zelttradition oder ein „zweites Zelt“ handelt. Vielmehr gehe es um den Umgang mit diesem Zelt, das im Kontext der Heiligtumskonzeption von Ex 25-31 beschrieben werde. Vgl. EBD., 163, 167. VAN DE SANDT, Amos, 70, erklärt, das Zelt von Ex 33,7-11 unterscheide sich in verschiedener Weise von dem von Ex 25-31. Es zeige nämlich eine viel einfachere Konstruktion, sei außerhalb des Lagers lokalisiert und vor allem nicht permanenter Ort der Wohnung Gottes inmitten seines Volkes. 844 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 36. 845 Ebenso wenig werden die Wolke und Josua erwähnt. Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 39.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Auffällig ist außerdem, dass das Zelt des Zeugnisses nicht als »Zelt des Mose« (Mwush/j th.n skhnh.n auvtou/) bezeichnet wird, sondern dass »unsere Väter« in dessen Besitz sind. So wird die Distanz zwischen dem Zelt des Zeugnisses und dem Volk Israel im Vergleich zu Ex 33,7-11 verringert und sein permanenter Besitz zur Wüstenzeit betont. Demnach scheint h` skhnh. tou/ marturi,ou Ort der Anwesenheit Gottes in der Wüste zu sein.846 Die in Ex 33,7-11 geschilderte Funktion von Mose als einzigartiger Offenbarungsmittler, dem Gott unmittelbar begegnet (Ex 33,7.11), fokussiert 7,44 ebenfalls: kaqw.j dieta,xato o` lalw/n tw/| Mwu?sh/| poih/sai auvth.n kata. to.n tu,pon o]n e`wra,kei »wie der mit Mose Redende angeordnet hatte, es zu machen gemäß dem Vorbild, das er gesehen hatte.« Dabei wird zugleich Ex 25,8-9, eine Passage aus den Anweisungen Gottes für das Heiligtum, eingespielt, in denen nicht nur das Ziel des Zeltes des Zeugnisses – Gottesoffenbarung – deutlich wird,847 sondern auch noch einmal Moses Rolle als exklusiver Offenbarungsmittler:848 Ex 25,8-9 8 kai. 9 kai. th/j kai.
poih,seij moi a`gi,asma kai. ovfqh,somai evn u`mi/n poih,seij moi kata. pa,nta o[sa evgw, soi deiknu,w evn tw/| o;rei to. para,deigma skhnh/j to. para,deigma pa,ntwn tw/n skeuw/n auvth/j ou[tw poih,seij
8 »Und du sollst mir ein Heiligtum machen und ich werde unter euch erscheinen; 9 und du sollst mir bei allem genau das machen, was ich dir auf dem Berg zeige, das Modell des Zeltes nämlich und das Modell seiner ganzen Ausstattungsgeräte; so sollst du es machen.«
Was Ex 25,8-9 als Auftrag an Mose in Form von direkter Gottesrede formuliert,849 notiert Apg 7,44 als bereits umgesetzten Auftrag, der die skhnh. tou/ marturi,ou zusätzlich charakterisiert. Dabei wird sie allerdings weder als Heiligtum (a`gi,asma) bezeichnet noch ausdrücklich als Offenbarungsoder Wohnort Gottes (Ex 25,8; 29,42). Aufgegriffen wird nur, dass die skhnh, eine mündliche Anordnung (kaqw.j dieta,xato o` lalw/n vgl. Ex 29,42: w[ste lalh/sai, soi) ist und Mose ein Vorbild (o` tu,poj vgl. Ex 25,9:
846 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 36, 39. Es sei kein Haus für die Bundeslade oder eine dauerhafte Wohnstätte Gottes im Volk. Diese Zelttradition finde sich auch in Num 11,16-29; 12,4-5; Dtn 31,14-15. 847 Vgl. DOHMEN, Zelt, 165. 848 Vgl. DOHMEN, Exodus, 247–248. Auf Ex 25,9 weisen auch hin: PENNER, Praise, 311. SCHNEIDER, Apg, 466. WITHERINGTON, Acts, 272. KEE, Acts, 101. WISCHMEYER, Stephen’s Speech, 342. 849 Dementsprechend stehen die Verben im Futur.
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to. para,deigma) sieht.850 Dieses Sehen wird sogar noch stärker betont, da mit dei,knumi in Ex 25,9 die Initiative Gottes zum Ausdruck kommt, während in Apg 7,44 mit o`ra,w die Rolle des Mose fokussiert wird. Als Offenbarungsmittler sieht dieser ebenfalls ein Vorbild (o` tu,poj), nach dem er das Zelt machen soll. Ähnlich wie in Ex 25,9 wird hier also unterstrichen, dass Gott ein Bild der skhnh. tou/ marturi,ou vorgibt und dieses die Form eines Zeltes hat. Darüber hinaus wird durch die Verwendung von o` tu,poj (7,44) statt to. para,deigma (Ex 25,9) das Zelt des Moloch (7,43) aufgegriffen und der Kontrast zu diesem Götzenbild antithetisch verdeutlicht.851 Insgesamt kann die unvermittelte Einführung der skhnh. tou/ marturi,ou in 7,44 aufgrund des Kontextes und der Anspielungen auf die erwähnten Subtexte folgendermaßen verstanden werden: Im Vergleich zu Ex 33,7-11, wo die Heiligtumskonzeption von Ex 2531 auf dem Hintergrund der Sünde des Volkes (Ex 32) weiterentwickelt wird,852 so dass das Zelt nur noch Offenbarungsort, nicht mehr Wohnort Gottes inmitten seines Volkes sein kann, werden diese Funktionen in Apg 7,44 nicht explizit thematisiert. Statt der distanzierenden Formulierung, das Zelt sei Moses Zelt, außerhalb des Lagers, stellt Apg 7,44 das Zelt als Besitz der Väter allgemein in der Wüste dar, so dass eher sein enger Bezug zum Volk Israel deutlich wird. Analog zu Ex 33,7-11 und vor allem zu Ex 25,8-9 wird auch in Apg 7,44 Mose als Offenbarungsmittler fokussiert. Auch die Frage nach der Anwesenheit Gottes ist in Apg 7,44 impliziert ähnlich wie in Ex 33,7-11, insofern in beiden Texten das Zelt des Zeugnisses unvermittelt auf die Strafe für die Idolatrie, mit der jeweils Distanz zwischen Gott und dem Volk Israel hergestellt wird, folgt. So scheint
850
Hier kann eine Analogie zur Darstellung der Begegnung zwischen Gott und Mose in Ex 33,7-11 beobachtet werden. Diese wird zwar als Begegnung von Angesicht zu Angesicht beschrieben, aber die Offenbarung erfolgt letztlich durch ein Sprechen. 851 VAN DE SANDT, Presence, 37–38, zeigt, dass der abrupte Umschwung von der Verbannung über Babylon hinaus (Apg 7,43 mit Am 5,27) hin zum Zelt des Zeugnisses als Ort der permanenten Anwesenheit Gottes während der Wüstenwanderung auch Analogien zu Dtn 4,1-30 hat. Dort erfolge nämlich nach der Strafandrohung Dtn 4,27-28 ebenfalls unvermittelt die Ankündigung der ‚Umkehr zur Gottsuche am Letzten Tag‘ Dtn 4,29-30. Deshalb würde es in Apg 7,44 implizit ebenfalls um Gottsuche gehen. Da es der Stephanusrede aber nicht um die Schilderung des Letzten Tages gehe, sondern um die Geschichte Israels, habe Lukas in Apg 7,44 auf Ex 33,7-11 rekurriert, wo ebenfalls die Gottsuche thematisiert werde (evge,neto pa/j o` zhtw/n ku,rion), aber nicht mit dem „Letzten Tag“ verbunden sei. Zum Gesamtkontext Dtn 4,1-30 vgl. Lektüre von Apg 7,42a. Zwar ist m.E.n. dieser Gedankengang besonders angesichts der Intertextualität von Apg 7,3943 mit Dtn 4,1-30 gut nachvollziehbar, aber aufgrund lexematischer und motivischer Verknüpfungen ist die intertextuelle Referenz von Apg 7,44 zu Ex 33,7-11 (Ex 25,8-9; 29,42-46) zunächst deutlicher. 852 Vgl. DOHMEN, Zelt, 165.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
h` skhnh. tou/ marturi,ou in Apg 7,44 analog zu Ex 33,7-11 als Ort der Präsenz Gottes trotz der Sünde zu fungieren. Dabei wird darüber hinaus durch die unmittelbare Anbindung des Zeltes des Zeugnisses an die Schilderung des Götzendienstes ein starker Kontrast zum Ausdruck gebracht, der durch lexematische Bezüge unterstrichen wird.853 So besteht ein deutlich antithetisches Verhältnis zwischen der skhnh. tou/ Mo,loc, die von den Israeliten selbst gemacht ist (7,43) und die zu Entfernung von Gott führt, und der skhnh. tou/ marturi,ou (7,44), die auf eine direkte Anordnung Gottes zurückgeht, also auch auf dessen Nähe hinweist.854 Dieser Gegensatz verstärkt sich zusätzlich durch das Lexem o` tu,poj, das in 7,43 im negativen Sinn ‚Götzenbild‘ als Produkt menschlicher Leistung bedeutet, in 7,44 aber das »Vorbild« des Zeltes des Zeugnisses, das Gott dem Mose selbst gezeigt hat. Da beide Zelte als entscheidende Gestaltungselemente der Gottesbeziehung der Israeliten auf ihrem Weg ins verheißene Land dargestellt werden, zeigt sich eine Verwobenheit von Heilsgeschichte mit Unheilsgeschichte, je nachdem welchem Gott sich Israel zuwendet. Handelnder dabei bleibt aber immer der Gott Israels.855 Sowohl diese negative Abgrenzung vom Götzendienst als auch die Analogie zum Zelt des Mose (Ex 33,7-11; 25-31) signalisiert also die hohe Bedeutung des Zeltes des Zeugnisses als eines Ortes der möglichen Anwesenheit Gottes und Begegnung mit ihm.856 Die Funktion des Zeltes des Zeugnisses ist nicht nur durch seinen Namen und seine Herkunft bestimmt, sondern auch durch seine Geschichte,857 die 7,45-46 umreißt: h]n858 kai. eivsh,gagon diadexa,menoi oi` pate,rej h`mw/n meta. VIhsou/ evn th/| katasce,sei tw/n evqnw/n »und das führten unsere Väter, die es übernommen hatten, mit Josua ein bei der Besitzergreifung der Völker« (7,45). Grundlegend ist also wieder, dass »unsere Väter« dieses von Mose nach der Anordnung Gottes gemachte Zelt des Zeugnisses andauernd besitzen, 853
Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 40. Er sieht einen antithetischen Parallelismus zwischen 7,44 und 7,43c (Am 5,26). Der Kontrast zwischen den beiden Zelten liege hauptsächlich im „Sehen“, das in 7,43c fehle. 854 Vgl. FITZMYER, Acts, 382–383. JERVELL, Apg, 243. ZMIJEWSKI, Apg, 326. 855 Vgl. JERVELL, Apg, 243. 856 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 378–379, fokussiert die Möglichkeit der Begegnung mit Gott in diesem Raum, in Abgrenzung zu einem Besitzen Gottes. Die Begegnung sei nämlich von Gottes Bereitschaft zur Kommunikation abhängig. Auch PENNER, Praise, 311, betont die wichtige Rolle des Zeltes des Zeugnisses, allerdings spricht er von einer „form of worship“, unterstreicht also den Aspekt des Gottesdienstes. 857 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 250. 858 Das emphatisch vorangestellte h]n unterstreicht, dass es genau um die in 7,44 eingeführte skhnh. tou/ marturi,ou geht.
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denn sie führen es sogar mit sich (eivsh,gagon).859 Dabei wird zugleich erwähnt, dass die Väter das Zelt des Zeugnisses übernommen haben (diadexa,menoi), was noch einmal die Vermittlung durch Mose (7,44) andeutet. Weiterhin erinnert das Partizip diadexa,menoi an den Empfang der lo,gia zw/nta »lebendigen Worte« in 7,38. So wird eine Parallele zwischen dem Gesetz und dem Zelt des Zeugnisses hergestellt, denn ähnlich wie Mose das Gesetz von dem Engel empfangen hat, um es an uns weiterzugeben, hat er auch die Anordnung bekommen, das Zelt des Zeugnisses anzufertigen (7,44). Genau dieses wurde dann den Vätern wiederum (von Mose) übergeben,860 so dass die Identität des in 7,44 eingeführten Zeltes des Zeugnisses mit dem, das die Väter mitführen, deutlich wird. Die näheren Umstände von dem Mitführen der skhnh. tou/ marturi,ou und das Ziel davon werden durch den Zusatz angedeutet: meta. VIhsou/ evn th/| katasce,sei tw/n evqnw/n »mit Josua bei der Besitzergreifung der Völker«. Diese knappen Aussagen über den Zusammenhang zwischen dem Zelt des Zeugnisses, »unseren Vätern« und Josua861 greifen durch das Lexem kata,scesij auf die Verheißung des Landbesitzes an die Nachkommen Abrahams zurück (7,5b). Zwar macht 7,45 im Unterschied zu 7,5b keine Ortsangabe, sondern nennt als Zielpunkt die Inbesitznahme der Völker (ta. e;qnh), aber auf den Zusammenhang mit dieser Verheißung weist zusätzlich die Fortsetzung hin: w-n evxw/sen o` qeo.j avpo. prosw,pou tw/n pate,rwn h`mw/n e[wj tw/n h`merw/n Daui,d »die Gott hinausstieß vor dem Angesicht unserer Väter bis zu den Tagen Davids« (7,45b). Insofern Gott also derjenige ist, der diese Völker vertreibt, noch dazu zugunsten »unserer Väter« (vgl. Jos 23,1-3),862 erfüllt sich hier seine Verheißung von 7,5.863 Die Inbesitznahme der Völker durch Gott (und damit das Mitführen des Zeltes des Zeugnisses) wird durch die relative Zeitangabe e[wj tw/n h`merw/n 859
Dieser Aspekt wird hier sogar noch dadurch unterstrichen, dass oi` pate,rej h`mw/n Subjekt sind, also das Besitzverhältnis gegenüber Apg 7,44a umgekehrt von den Vätern her formuliert wird. Sie sind also jetzt aktive ‚Träger‘ des Zeltes des Zeugnisses. 860 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 35. SPENCER, Acts, 78, sieht im Zelt des Zeugnisses ein Symbol für Gottes kontinuierliche Führung. 861 FITZMYER, Acts, 383, erklärt, dass VIhsou/j hier Josua bedeutet, weil die hebräische Form davon in Jos 1,1 Yhôš‘ („JHWH, hilf!“ als Schrei einer Frau in Geburtswehen) später zu Yšû‘ zusammengezogen und von der LXX mit VIhsou/j wiedergegeben werde. Mit Josua wird in diesem Kontext beispielsweise auf Jos 3; 18-19; 23,1-3 u.a. angespielt. Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 46. 862 Josua erinnert hier alle Kinder Israels unter anderem daran, dass Gott zugunsten des Volkes Israel gekämpft hat (u`mei/j de. e`wra,kate o[sa evpoi,hsen ku,rioj o` qeo.j u`mw/n pa/sin toi/j e;qnesin tou,toij avpo. prosw,pou u`mw/n o[ti ku,rioj o` qeo.j u`mw/n o` evkpolemh,saj u`mi/n »Ihr habt doch gesehen, was der Herr, euer Gott, allen diesen Völkern vor eurem Angesicht getan hat, denn der Herr euer Gott, ist es, der für euch Krieg geführt hat« Jos 23,3). Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 46–47. 863 Vgl. JERVELL, Apg, 243. BARRETT, Acts, 371. GAVENTA, Acts, 128.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Daui,d begrenzt. Da diese Tage Davids durch e[wj zugleich sehr eng an das Vorangehende angeknüpft werden, wird die Kontinuität dazu unterstrichen. So wird innerhalb von 7,45 ein – wenn auch nicht näher bestimmter – Zeitraum von Mose bis David umrissen,864 der durch das Mitführen des Zeltes des Zeugnisses durch »unsere Väter« und durch die Inbesitznahme der Völker durch Gott geprägt ist. Der in diesem Zusammenhang erwähnte David wird daraufhin im Relativsatz 7,46 durch zwei Aussagen näher bestimmt: Als erstes charakterisiert ihn der besondere Gottesbezug o]j eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ »der Gefallen fand vor den Augen Gottes«. Demnach hat er eine Gemeinsamkeit zum einen mit Josef, von dem 7,10 mit ähnlichen Worten berichtet, dass Gott ihm Gunst vor den Augen des Pharao gibt (e;dwken auvtw/| ca,rin kai. sofi,an evnanti,on Faraw,), zum anderen mit Stephanus, der in 6,8 als plh,rhj ca,ritoj kai. duna,mewj beschrieben wird.865 Auf dieser Grundlage wird als zweites über David berichtet: kai. hv|th,sato eu`rei/n skh,nwma tw/| oi;kw| VIakw,b »und [der] sich erbat, eine Zeltwohnung für das Haus Jakob zu finden«. Da das Anliegen von Davids Bitte komplementär zur Gunst, die er vor Gott gefunden hat, mit eu`ri,skw ausgedrückt wird, ist zu erwarten, dass seine Bitte erfolgreich ist. Außerdem ist dadurch auch der Gegenstand von Davids Bitte skh,nwma tw/| oi;kw| VIakw,b positiv konnotiert.866 Allerdings wirft genau diese Wendung einige Fragen auf: So ist schon allein der Begriff skh,nwma867 selbst nicht eindeutig, denn er bedeutet wörtlich »Zelt«, allgemein »Wohnung« oder »Behausung« – allerdings als etwas Tragbares im Gegensatz zu oi=koj868 –, und im speziellen Sinn bezeichnet skh,nwma auch den »Tempel« als Behausung Gottes.869 Auch die Funktion dieses skh,nwma wird nicht erwähnt, so dass lediglich aufgrund desselben Wortstamms eine Verwandtschaft mit skhnh, vermutet werden kann, die grundlegend als etwas Bewegliches, Tragbares charakterisiert wird (7,45-46a).
864 Vgl. auch BARRETT, Acts, 372, der betont, dass der Satz nicht klar sei. ZMIJEWSKI, Apg, 326, sieht hier die Zeitspanne vieler Generationen angedeutet. 865 Indirekt wird David auch mit Mose parallelisiert, von dem ebenfalls als erstes ein besonderer Gottesbezug ausgesagt wird, wenn auch mit anderen Worten (Apg 7,20). GAVENTA, Acts, 129, verweist auch auf Lk 1,30; 2,40.52; Apg 6,8. 866 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 326. Ähnlich PENNER, Praise, 313. 867 Im lukanischen Doppelwerk findet sich skh,nwma nur an dieser Stelle. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 372, Anm. 184. 868 Vgl. JERVELL, Apg, 243–244. 869 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1509.
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Weiterhin ist der – noch dazu textkritisch umstrittene870 – Dativ tw/| oi;kw| VIakw,b zweideutig. Er kann nämlich »für« das Haus Jakob, also den Begünstigten des skh,nwma, oder »in dem« Haus Jakob, also den Ort der skh,nwma, meinen.871 Abgesehen davon deutet diese Bezeichnung für das Volk Israel an, dass es sesshaft geworden ist (o` oi;koj),872 was der Inbesitznahme der Völker und damit des verheißenen Landes (7,45) korrespondiert. Zugleich wird durch die Verwendung ausgerechnet dieses Titels o` oi;koj VIakw,b auf die bleibende Verbindung des Volkes Israel »in den Tagen Davids« mit dem Stammvater Jakob hingewiesen. So stellt sich also zum einen die Frage nach der Bedeutung von skh,nwma allein und in seiner Verbindung mit dem Dativ tw/| oi;kw| VIakw,b, zum anderen nach dem Bezug zwischen skh,nwma und skhnh. tou/ marturi,ou, insofern sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Besitz der Väter von Mose bis David erwähnt wird.873 Diese Kontinuität von Mose bis zu David verdeutlicht sich, da die Phrase o]j eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ »der Gefallen fand vor Gott« zur Charakterisierung Davids in seinem Gottesbezug in identischer oder ähnlicher Form des Öfteren in Ex 33,12-17 874 auf Mose bezogen wird. Ex 33,12-17 12 … su. de, moi ei=paj oi=da, se para. pa,ntaj kai. ca,rin e;ceij parV evmoi, »Ich kenne dich besser als alle und du hast Gefallen gefunden bei mir.« 13 eiv ou=n eu[rhka ca,rin evnanti,on sou evmfa,niso,n moi seauto,n gnwstw/j i;dw se o[pwj a'n w= eu`rhkw.j ca,rin evnanti,on sou … »Wenn ich also vor dir Gefallen gefunden habe, zeige dich mir! Deutlich will ich von dir erkennen, dass ich Gefallen vor dir gefunden habe …« 870
Zur textkritischen Diskussion vgl. METZGER, Textual Commentary, 351–353. Aufgrund externer und interner Kriterien der Textkritik folgt die Mehrzahl der Exegeten der Lesart tw/| oi;kw| VIakw,b. So wird auch hier mit dieser Lesart gearbeitet. Vgl. auch SCHNEIDER, Apg, 466, Anm. 200 u.a. 871 Vgl. FITZMYER, Acts, 383. JERVELL, Apg, 244. 872 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 326, betont, dass skh,nwma den neuen Verhältnissen des sesshaft und zur Monarchie gewordenen Volkes angepasst sein solle. 873 Den Zusammenhang spiegelt zum einen der gemeinsame Wortstamm von skhnh, und skh,nwma wider, zum anderen der Satzbau. Die Bitte Davids um ein skh,nwma ist nämlich Teil des Relativsatzes, mit dem David beschrieben wird (Apg 7,46). David wiederum wird nur in Form einer relativen Zeitangabe eingeführt (Apg 7,45b), die das Ende der Aussage markiert, dass »unsere Väter« die skhnh. tou/ marturi,ou seit Mose permanent besaßen (Apg 7,45a). 874 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 52, Anm. 58. In der Regel wird die Phrase o]j eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ als Anspielung auf 2 Sam 15,25 (eu[rw ca,rin evn ovfqalmoi/j kuri,ou) betrachtet, weil David dort ebenfalls Subjekt ist. So z.B. SCHNEIDER, Apg, 466, Anm. 197. PESCH, Apg, 256. BARRETT, Acts, 372. Allerdings sprechen Wortwahl, Inhalt und Kontext von 2 Sam 15,25 eher gegen diese Referenz.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung 16 kai. pw/j gnwsto.n e;stai avlhqw/j o[ti eu[rhka ca,rin para. soi, evgw, te kai. o` lao,j sou avllV h' sumporeuome,nou sou meqV h`mw/n … »Und wie soll es unzweifelhaft erkennbar sein, dass ich bei dir Gefallen gefunden habe, ich und dein Volk, wenn du nicht mit uns gehst? …« 17 kai. ei=pen ku,rioj pro.j Mwush/n kai. tou/to,n soi to.n lo,gon o]n ei;rhkaj poih,sw eu[rhkaj ga.r ca,rin evnw,pio,n mou kai. oi=da, se para. pa,ntaj »Da sagte der Herr zu Mose: Auch diesen Wunsch, den du vorgebracht hast, werde ich dir erfüllen; denn du hast Gefallen vor meinen Augen gefunden und ich kenne dich besser als alle.«
Die Wendung eu`ri,skw ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ »Gefallen finden vor den Augen Gottes« drückt hier primär Moses Sonderstellung als Offenbarungsmittler aus,875 in der er schon in Ex 33,7-11 im Kontext der Schilderung der skhnh. tou/ marturi,ou außerhalb des Lagers als Offenbarungsort Gottes nach der Sünde des Volkes skizziert wurde. Dementsprechend verhandelt Mose in Ex 33,12-17 als Mittler mit Gott über die Begleitung Gottes auf dem bevorstehenden Weg vom Sinai ins verheißene Land, worin die Gnade Gottes für Mose und vermittelt durch ihn für das Volk sichtbar werde (Ex 33,13.16). Insgesamt wird hier also mithilfe der Wendung eu`ri,skw ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ Moses Mittlerfunktion dahingehend beleuchtet, dass ausgehend von seiner Gnade vor den Augen Gottes das Volk in diese Sonderstellung miteinbezogen werde. Das wird besonders in Ex 33,13 deutlich, wo die Zusage, Gefallen vor Gott zu finden, den Ausgangspunkt für Moses Bitte bildet und zugleich das Ziel seines Anliegens formuliert: eiv ou=n eu[rhka ca,rin evnanti,on sou evmfa,niso,n moi seauto,n gnwstw/j i;dw se o[pwj a'n w= eu`rhkw.j ca,rin evnanti,on sou kai. i[na gnw/ o[ti lao,j sou to. e;qnoj to. me,ga tou/to »Wenn ich also vor dir Gefallen gefunden habe, zeige dich mir! Deutlich will ich von dir erkennen, dass ich Gefallen vor dir gefunden habe und damit ich weiß, dass dieser Volksstamm dein Volk ist«. (Ex 33,13) Insofern es hier um die Begleitung Gottes beim Aufbruch vom Sinai geht, wird von der Frage nach der Gegenwart Gottes her der Exodus nicht nur als Etappe von Ägypten bis zum Sinai, sondern auch von dort weiter ins verheißene Land berücksichtigt.876 Selbst wenn Gott letztlich seine Begleitung aufgrund der besonderen Gnade für Mose zugesteht (Ex 33,17), bleibt offen, wie Gott in seinem Volk anwesend sein wird.877
Einen ähnlichen Kontext wie Ex 33,12-17 skizzieren Apg 7,45-46, denn dort wird ebenfalls der Weg Israels vom Sinai (7,44-45) bis ins verheißene Land (7,45-46) angedeutet, wobei die Frage nach Gottes Anwesenheit angesichts der Sünde Israels (7,39-43) thematisiert wird. 875
Vgl. DOHMEN, Exodus, 342. In Ex 33,12 begegne diese Wendung zum ersten Mal im Alten Testament in Bezug auf Mose. Im Anschluss daran finde sie sich häufiger. 876 Vgl. DOHMEN, Exodus, 347. 877 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 52.
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Bleibt Moses Frage, wie Gott im Volk auf dem Weg vom Sinai ins verheißene Land anwesend sein wird, nach Ex 33,17 offen, so wird darauf in Apg 7,45 geantwortet, indem das Mitführen der skhnh. tou/ marturi,ou bis zur Inbesitznahme der Völker und bis zu den Tagen Davids notiert wird.878 In dieser neuen Situation ist es dann nicht mehr Mose, der nach Gottes Präsenz im Volk fragt, sondern David, indem er ein skh,nwma für das Haus Jakob (und im Haus Jakob) sucht. Durch die Parallelisierung von David mit Mose über die Charakterisierung eines besonderen Gottesbezugs mit der Wendung eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/ »er hat Gefallen vor den Augen Gottes gefunden« wird auch David als Mittler vorgestellt. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch seine Bitte um das Finden eines skh,nwma für das Haus Jakob verstehen. Ähnlich wie in Ex 33,13 werden hier nämlich Ausgangspunkt für die Bitte und Ziel davon jeweils mit demselben Verb (eu`ri,skw) formuliert, so dass diese Bitte ebenfalls zugunsten Israels, also »für das Haus Jakob« (tw/| oi;kw| VIakw,b), erfolgt.879 Außerdem suggeriert die parallele Schilderung von Davids Gottesbezug (eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/) zu dem von Mose eine positive Resonanz Gottes auf Davids Bitte880 – ähnlich wie in Ex 33,12-17: So wie David Gunst vor Gott gefunden hat, findet er auch ein skh,nwma zugunsten des Hauses Jakob. Dass es dabei ebenfalls um die Frage nach Gottes Anwesenheit geht, wird noch deutlicher, insofern mit der Erwähnung von Davids Bitte 2 Sam 7,1-7 eingespielt wird.881 Zur Zeit der Sesshaftigkeit (2 Sam 7,1)882 beklagt David in 2 Sam 7,2 gegenüber dem Propheten Natan: ivdou. dh. evgw. katoikw/ evn oi;kw| kedri,nw| kai. h` kibwto.j tou/ qeou/ ka,qhtai evn me,sw| th/j skhnh/j »Siehe, ich wohne in einem Zedernhaus und die Truhe/Lade Gottes steht inmitten des Zeltes.« Darin ist indirekt der Wunsch nach einem der Sesshaftigkeit entsprechenden, dauerhaften Ort der Verehrung für Gott statt des Zeltes – als Symbol der Nicht-Sesshaftigkeit (2 Sam 6,17) – enthalten.883 Nachdem Natan dieses Anliegen mit der Begründung, der 878
Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 41–42. Dieser Zusammenhang spricht also für die Übersetzung des Dativs mit »für das Haus Jakob«. David als Mittler tritt im Vergleich zu Mose etwas in den Hintergrund, da er durch den Satzbau nur wie ein Bindeglied zwischen dem Anfang des Weges der Väter mit der skhnh. tou/ marturi,ou und dem Ziel des verheißenen Landes wirkt. 880 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 52. 881 Auf 2 Sam 7,1-7 verweisen u.a. BARRETT, Acts, 372. SCHNEIDER, Apg, 466. PESCH, Apg, 256. ROLOFF, Apg, 124. 882 2 Sam 7,1 fasst den Bau des Königshauses (2 Sam 5,11), den Sieg Davids über die Philister (2 Sam 5,17-25) und den Bericht, dass die Lade, die in die Stadt gekommen ist, sofort in das von David aufgestellte Zelt gebracht wird (2 Sam 6), zusammen. Vgl. auch Jos 23,1; Dtn 12,10-11. Vgl. SCHROER, SILVIA, Die Samuelbücher (NSK.AT 7), Stuttgart 1992, 154–155. 883 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 52. SCHROER, Samuelbücher, 155. 879
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Herr sei mit David (ku,rioj meta. sou/ 2 Sam 7,3), unterstützt, erfolgt ab 2 Sam 7,5 der erste Teil der Natanprophetie, in der der Herr selbst Natan aufträgt, was er David vermitteln soll. Ausdrücklich lehnt der Herr einen Hausbau durch David ab: ouv su. oivkodomh,seij moi oi=kon tou/ katoikh/sai, me »Nicht du sollst mir ein Haus bauen, um mich (darin) wohnen zu lassen.« (2 Sam 7,5b) Als Begründung führt Gott in 2 Sam 7,6-7 an: 6 o[ti ouv katw,|khka evn oi;kw| avfV h-j h`me,raj avnh,gagon evx Aivgu,ptou tou.j ui`ou.j Israhl e[wj th/j h`me,raj tau,thj kai. h;mhn evmperipatw/n evn katalu,mati kai. evn skhnh/| 7 evn pa/sin oi-j dih/lqon evn panti. Israhl eiv lalw/n evla,lhsa pro.j mi,an fulh.n tou/ Israhl w-| evneteila,mhn poimai,nein to.n lao,n mou Israhl le,gwn ti, o[ti ouvk wv|kodomh,kate, moi oi=kon ke,drinon »6 Denn ich habe nicht gewohnt in einem Hause von dem Tag an, als ich die Israeliten aus Ägypten herausführte, bis zu diesem Tag, vielmehr wanderte ich unter ihnen mit in der Herberge und im Zelt. 7 Überall, wo ich in ganz Israel umhergezogen bin, wenn ich gesprochen habe, habe ich je zu einer Sippe Israels, der ich befohlen hatte, mein Volk Israel zu weiden, gesagt: ›Warum habt ihr mir kein Zedernhaus gebaut?‹ « Davids Vorhaben wird also zurückgewiesen, indem zwei Arten von Orten der Anwesenheit Gottes einander gegenüber gestellt werden: der von David erwünschte oi=koj und die von Gott bevorzugte skhnh,. Zugleich wird der Kontrast zwischen beiden durch die jeweiligen Verben unterstrichen, von denen sie begleitet werden. So meint oi=koj verbunden mit katoike,w »wohnen« hier ein festes, dauerhaftes Haus als Wohnort (2 Sam 7,6), während die Verbindung von skhnh, mit evmperipate,w »gehen« in 2 Sam 7,6 bzw. mit die,rcomai »durchziehen« in 2 Sam 7,7 den Aspekt der Beweglichkeit betont. Somit wird die Bevorzugung der beweglichen skhnh, mit der Geschichte Israels erklärt, in der der Herr sich ebenfalls als beweglich zeigt, indem er mit dem Volk mitgeht.884
Die Zeitangabe e[wj tw/n h`merw/n Daui,d (7,45b), die fast wörtlich e[wj th/j h`me,raj tau,thj (2 Sam 7,6) aufnimmt, bezieht sich nicht nur auf diadexa,menoi und markiert so den Abschluss des Mitführens der skhnh. tou/ marturi,ou, sondern ist auch mit w-n evxw/sen o` qeo,j verbunden, also der Vertreibung der Völker durch Gott für »unsere Väter«. Daher spiegelt sich in 7,46 die neue historische Situation der Ruhe vor den Feinden im verheißenen Land von 2 Sam 7,1 wider.885 In dieser Lage geht es erneut um die Frage nach Gottes Anwesenheit, ähnlich wie beim Aufbruch vom Sinai nach der Abwendung Israels von Gott. Das zeigt sich besonders darin, dass der Bericht von der Mitnahme des Zeltes als beweglicher Offenbarungsort Gottes bis zu den Tagen Davids (7,45-46) auf die summarische Darstellung 884 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 45–46. Er erläutert, hiermit antworte Gott selbst auf die in Ex 33,12-17 unbeantwortet Frage, wie er sein Volk nach dem Aufbruch vom Sinai führen werde. Zur Betonung des Aspektes der Beweglichkeit trägt bei, dass auffälligerweise nirgends von der Lade gesagt wird, sie sei in diesem Zelt „wohnhaft“, weder in Ex 33,7-11.12-17 noch in 2 Sam 7,6-7 oder Apg 7,44-50. 885 Auch wenn diese Ruhe zur Zeit Davids eigentlich noch nicht eingetreten ist, wie 2 Sam 8,10.13-20 u.a. zeigen.
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Gottes über seine Anwesenheit im Lauf der Geschichte Israels in einem beweglichen Zelt (2 Sam 7,6-7) anspielt.886 Nicht nur diese Antwort Gottes wird in 7,45-46 eingespielt, sondern auch das Anliegen Davids, das implizit in der Zurückweisung Gottes 2 Sam 7,5b enthalten ist: ouv su. oivkodomh,seij moi oi=kon tou/ katoikh/sai, me »Nicht du sollst mir ein Haus bauen, um mich (darin) wohnen zu lassen«. Allerdings zeigt die Formulierung in 7,46 signifikante Unterschiede dazu, denn statt vom ‚Bauen‘ eines ‚Hauses‘ für Gott in scharfem Kontrast zur beweglichen skhnh, zu sprechen, lautet Davids Anliegen in 7,46: eu`rei/n skh,nwma tw/| oi;kw| VIakw,b »eine Zeltwohnung für das Haus Jakob zu finden«. Diese Wendung spielt zugleich auf Ps 131,5 LXX an, womit eine Bitte an Gott (Ps 131,1-5 LXX), sich an Davids Bemühungen für das Tempelbauprojekt zu erinnern, abgeschlossen wird:887 Ps 131,5 LXX e[wj ou- eu[rw to,pon tw/| kuri,w| skh,nwma tw/| qew/| Iakwb »bis ich einen Ort für den Herrn finde, ein Zelt/eine Zeltwohnung für den Gott Jakobs.« Mit skh,nwma »Zeltwohnung« ist hier ein dauerhafter Wohnort für Gott, der der Zion in Jerusalem sein soll, gemeint, wie im zweiten Teil des Psalms (Ps 131,13-16) zu sehen ist.888 Die Verse 2-4 formulieren den Wunsch Davids von 2 Sam 7,1-2, für Gott einen bleibenden Wohnort zu bauen, in Form eines Schwures und eines Gelübdes (w`j w;mosen tw/| kuri,w| hu;xato tw/| qew/| Iakwb »wie er dem Herrn geschworen, dem Gott Jakobs gelobt hat.« Ps 131,2). Damit betonen sie die hohe Bedeutung, die das Tempelbauprojekt für David hat, und zielen darauf ab, die Gunst des Herrn für dieses Vorhaben zu gewinnen.889 Auch der Abschluss dieser Bitte in Ps 131,5 unterstreicht noch einmal die Mühe Davids
886
Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 46. Die Parallelen zwischen 2 Sam 7,1-7 veranschaulicht auch PENNER, Praise, 314, Anm. 110. Er betrachtet sogar die gesamte Erzählung 2 Sam 7,1-17 als Intertext von Apg 7,46-47, der den Ausschlag für das Wortspiel skh,nwma und oi=koj gegeben habe. 887 Auf Ps 131,5 LXX verweisen u.a. BARRETT, Acts, 372. SCHNEIDER, Apg, 466. PESCH, Apg, 256. ROLOFF, Apg, 125. 888 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 48. Insgesamt gliedert sich Ps 131 LXX in zwei eng miteinander verknüpfte Teile: VV. 1-10 enthalten vor allem die Bitte Davids, Jerusalem als Wohnort Gottes zu sichern; VV. 11-18 stellen Davids Dynastie als ewig vor (Ps 131,11-12) und Zion als von Gott erwählten Wohnort (Ps 131,13-16). Demnach zeigen sich hier thematische Gemeinsamkeiten mit 2 Sam 7. Für eine ausführliche Analyse der Gliederungsmöglichkeiten vgl. HOSSFELD, FRANK-LOTHAR/ZENGER, ERICH, Psalmen 101-150 (HThK.AT), Freiburg im Breisgau 2008, 615–616. 889 Vgl. HOSSFELD/ZENGER, Psalmen, 619–620. Nach altorientalischem und alttestamentlichem Verständnis sei in einem Gelübde eine Wechselwirkung impliziert.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
für den Tempel und verweist mit dem Lexem auf die Bewegung der Lade hin zum Tempel.890
Zwar entspricht Apg 7,46 mit skh,nwma und dem Verb eu`ri,skw891 der Formulierung von Ps 131,5, aber statt dieses Anliegen als Schwur zu bezeichnen, wird das neutralere aivte,w »bitten« verwendet, so dass David mit seiner starken Motivation von Ps 131 in den Hintergrund rückt. Besonders auffällig ist die Abweichung bezüglich des Dativs tw/| oi;kw| VIakw,b in Apg 7,46 von tw/| qew/| VIakw,b in Ps 131,5. Formuliert David in Ps 131,5 das Vorhaben, Jerusalem als festen Wohnort Gottes inmitten seines Volkes zu sichern, so steht in Apg 7,46 erneut die Verbindung dieses Ortes (skh,nwma) mit dem Volk Israel (tw/| oi;kw| VIakw,b) im Vordergrund, ähnlich wie bei der Charakterisierung der skhnh, in Apg 7,44-45. Demnach bezeichnet skh,nwma in Apg 7,46 weniger einen Wohnsitz für Gott, als vielmehr einen Ort für das Haus Jakob, an dem Gott ihm begegnet – analog zur skhnh. tou/ marturi,ou.892 Die intertextuellen Referenzen auf 2 Sam 7,1-7 und Ps 131 LXX sind also aufschlussreich für die Bedeutung von skh,nwma in 7,46. Zwar könnte Davids skh,nwma aufgrund dieser Intertexte als ‚Tempel‘ verstanden werden, weil 7,45-46 einen ähnlichen historischen Kontext skizzieren wie 2 Sam 7,1-7, in dem David den Bau eines Hauses bzw. Tempels in Jerusalem plant, der auch in Ps 131 LXX reflektiert wird. Aber gerade die Übernahme des Lexems skh,nwma aus Ps 131,5 LXX, das von skhnh, abgeleitet ist, 890
Das lässt sich vor allem aus Ps 14,1; 25,8; 42,3 sowie in 2 Chr 6,41 ableiten, wo skh,nwma in dieser Weise verwendet wird. Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 49. Weitere Texte, die skh,nwma verwenden, sind Ps 45,4; 73,7; 83,1; 131,7. Ähnlich HOSSFELD/ ZENGER, Psalmen, 620. 891 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 379, erklärt, »finden« weist darauf hin, dass etwas schon Vorhandenes in Besitz genommen oder zumindest einer anderen Bestimmung zugeführt werden könne. Damit würde also die Analogie zur skhnh. tou/ marturi,ou betont. 892 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 51–52. Darin könne für die Hörer der Rede auf der Erzählebene schon eine Provokation enthalten sein, denn 2 Sam 7,1-17 ist ein zentraler Text messianischer Zion- und Davidtraditionen. Gott verheißt in 2 Sam 7,11-13, dass er David ein »Haus« bauen werde (mit ewigem Bestand) und Davids Sohn ein »Haus« für Gott bauen werde. PENNER, Praise, 314, Anm. 110, erläutert, diese positiv konnotierte Verheißung werde in Apg 7,46-47 also nicht nur ausgelassen, sondern sogar verfremdet, indem mit David kein oi=koj, sondern ein skh,nwma verbunden wird. EBD., 314, Anm. 111, nennt auch Apg 15,16 (mit Am 9,15) als Parallele für Davids Suche nach einem skh,nwma (Apg 7,46). Dort werde Am 9,15 als Zeugnis für die gegenwärtige Restauration des Gottesvolkes in den sich neu formierenden Gläubigen betrachtet und dabei skh,nwma Daui,d als „ekklesia“ aus Juden und Völkern interpretiert. Diese Frage nach der Restauration in Apg 15, die für das ganze lukanische Doppelwerk relevant ist, könne zum Teil mit der Verheißung von Befreiung und Gottesdienst in Apg 7,7 assoziiert werden.
8 Lektüre von Apg 7,44-50
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deutet auf Kontinuität zu Israels traditionellem Heiligtum der Wüstenzeit (skhnh. tou/ marturi,ou) hin. Demnach fragt David nach einem Gebäude, das die Charakteristika von Moses Zelt bewahrt (im Gegensatz zu Salomo) und damit auch dem Willen Gottes weiterhin entspricht.893 Unterstrichen wird dies durch den von Ps 131,5 LXX abweichenden Dativ tw/| oi;kw| VIakw,b, der den Bezug zu den Vätern Israels (7,44) fokussiert und auf die Bestimmung des skh,nwma für das Volk Israel hinweist. Demnach handelt es sich nicht um einen festen Wohnort Gottes, sondern einen Ort für das Volk Israel, an dem es Gott begegnen und dienen kann. Implizit erfüllt sich damit die Verheißung des Gottesdienstes »an diesem Ort« (7,7), da skh,nwma innerhalb des verheißenen Landes die Fortsetzung der skhnh, der Wüstenzeit darstellt.894 Einen weiteren Hinweis auf die positive Konnotation von skh,nwma und seine Analogie zum Zelt des Zeugnisses bietet die Charakterisierung Davids als o]j eu-ren ca,rin evnw,pion tou/ qeou/. »der Gefallen gefunden hat vor den Augen Gottes.« Dies impliziert nämlich, dass David nach dem Willen Gottes handelt, zumal er damit analog zu Mose dargestellt wird, der in Ex 33,12-17 aufgrund seiner Gunst in den Augen Gottes auch für das Volk Gunst und Präsenz Gottes auf dem Weg ins verheißene Land sucht und findet. Die Funktion von Davids skh,nwma im Hinblick auf die Anwesenheit Gottes im Haus Jakob und für das Haus Jakob in Kontinuität zu Moses skhnh, verdeutlicht weiterhin die Notiz von Salomos ‚Haus-Bau‘: Solomw.n de. oivkodo,mhsen auvtw/| oi=konÅ »Und Salomon hat ihm ein Haus gebaut« (7,47). In welches Verhältnis wird Salomos oi=koj zu Davids skh,nwma sowie letztlich zu Moses skhnh, besonders im Hinblick auf die Frage nach Gottes Anwesenheit, die seit dem Abfall Israels (7,40-43) immer eingehender thematisiert wird, durch diese kurze Notiz 7,47 gesetzt? Eine erste Antwortmöglichkeit bietet die Partikel de,:
893 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 49, 51. Auch PENNER, Praise, 313, favorisiert eine Übersetzung von skh,nwma mit »Zelt« oder »Stiftshütte«, um die Verbindung zum Zelt des Mose einerseits und die Abgrenzung vom Tempel Salomos andererseits zu betonen. 894 Vgl. PENNER, Praise, 310. Ähnlich meint WISCHMEYER, Stephens’ Speech, 345, hier zeige sich der Topos, der seit 7,7b hinter der ganzen Geschichtsdarstellung liege: die Frage nach angemessenem Gottesdienst. GANSER-KERPERIN, Tempel, 250, sieht in Apg 7,44-46 ein „Idealbild von Gottes Gegenwart in Israel“ gezeichnet, das als eine Art „Prototyp“ auch in der Erzählung des lukanischen Doppelwerks entscheidend sei. Schon Lk 1,8-23 stelle dar, was der Tempel in seiner Funktion als „Zelt des Zeugnisses“ idealerweise sein solle. Auch der Weg Jesu zum Tempel und seine Lehre dort (Lk 19,45ff.) sowie die Tempelrede des Petrus (Apg 3) zeigen, in welchem Sinn der Tempel als Orte des Zeugnisses in Anspruch genommen werden soll.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Diese kann zwar adversativ verwendet werden und so einen Kontrast zwischen Salomos oi=koj und Davids skh,nwma anzeigen,895 aber da ein Gegensatz im Griechischen viel stärker mit avlla, markiert werden kann, wie 7,48 zeigt, ist de, hier eher kopulativ oder affirmativ zu verstehen. Demnach würde Salomos ‚Haus-Bau‘ entweder als Fortsetzung neben Davids Zeltwohnung oder sogar als Überbietung dieser vorgestellt werden.896 In dieses Verständnis würde sich einfügen, den nicht näher bestimmten Dativ auvtw/| (7,47) auf tw/| oi;kw| VIakw,b (7,46) zu beziehen.897 Demnach würde Salomo einfach ein Haus für das Haus Jakob bauen, das in einer Reihe mit der Zeltwohnung Davids steht. Dass trotz dieser grammatikalisch korrekten Interpretation in 7,47 kritische Implikationen enthalten sind, zeigt sich angesichts intertextueller Referenzen und des unmittelbaren Kontextes 7,44-46. Die Formulierung oivkodo,mhsen auvtw/| oi=kon spielt den Beginn des Berichts über den Tempelbau Salomos in 1 Kön 6,2a ein: o` oi=koj o]n wv|kodo,mhsen o` basileu.j Salwmwn tw/| kuri,w| … »Und das Haus, das König Salomon dem Herrn baute …«. Mit ähnlichen Worten rekurriert Salomo innerhalb des Tempelweihgebets in 1 Kön 8,19 auf die Verheißung Gottes an David über den Tempelbau: … o` ui`o,j sou o` evxelqw.n evk tw/n pleurw/n sou ou-toj oivkodomh,sei to.n oi=kon tw/| ovno,mati, mou »… dein Sohn, der von deinem Leib hervorgeht, dieser wird das Haus für meinen Namen bauen.«898 Diese Parallelen sprechen dafür, den in Apg 7,47 nicht näher bestimmten Dativ auvtw/| auf Gott zu beziehen, so dass hier ausgesagt wird ›Salomo baute ein Haus für Gott‹.899 Dass darin negative Konnotationen enthalten sind, obwohl der Tempelbau Salomos in den Intertexten zunächst als Erfül-
895
Vgl. PENNER, Praise, 313. Ähnlich SPENCER, Acts, 78. Vgl. WASSERBERG, Israels Mitte, 248–249. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 380. WITHERINGTON, Acts, 263. 897 Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 380. Sie erklärt, dass der Text zur Verdeutlichung eines Gegensatzes statt auvtw/| auch explizit qew/| nennen könnte. Aufgrund der Regeln der Grammatik sei nicht davon auszugehen, dass bei einem klaren Wechsel der Referenz das einfache Personalpronomen gebraucht würde. Vielmehr vertrete in der Regel das Pronomen das zuletzt im selben Kasus verwendet Nomen, d.h. hier tw/| oi;kw| VIakw,b (7,46). FITZMYER, Acts, 383 und JERVELL, Apg, 245, weisen auch auf die Möglichkeit hin, »ein Haus für den Gott Jakobs« zu lesen. 898 Ähnliche Formulierungen finden sich in 1 Kön 5,19; 1 Chr 17,12; Sach 6,12 u.a. 899 Trotz der Entscheidung für die Lesart tw/| oi;kw| VIakw,b in 7,46. 896
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lung der Verheißung an David (2 Sam 7,13) positiv bewertet wird,900 zeigt die unterschiedliche Darstellung Salomos. Während er in 1 Kön 6,2 als o` basileu,j und in 1 Kön 8,19 als Sohn Davids gekennzeichnet wird, führt Apg 7,47 Salomo als emphatisch vorangestelltes Subjekt unvermittelt, ohne jegliches Attribut ein. Dadurch wird er ausschließlich in der Rolle des Erbauers dieses »Hauses« betrachtet. Diese eher distanzierte Vorstellung Salomos entspricht der auch sonst im lukanischen Doppelwerk zu beobachtenden Distanz zu Salomo. So wird Jesus beispielsweise in der Genealogie Lk 3,23-38 nicht auf die nachdavidische Linie Salomos und die ihm folgenden Könige des Südreichs zurückgeführt – im Unterschied zu Mt 1,6-11 –, sondern auf eine Nebenlinie über den Davidsohn Natan. Indem die Geschlechterfolge also von David bis Jesus an allen anderen Davididen vorbeigeht, die auf dem Thron Davids saßen, wird die Kontinuität zwischen David und Jesus betont. Dies reiht sich in die Darstellung Jesu als dem von Gott bestimmten ewigen Herrscher über Israel ein, die sich im lukanischen Doppelwerk bereits in der Verkündigung der Geburt Jesu (Lk 1,32-33) zeigt und auch in der Rede des Paulus im pisidischen Antiochien (Apg 13,16-41) zu finden ist. Der dortige Geschichtsabriss nennt nämlich in der Reihe der Mittlergestalten, die Gott Israel immer wieder gegeben hat, die Richter, daraufhin Samuel, Saul und David, springt aber dann ohne Erwähnung Salomos direkt von David zu Jesus (13,23). Die unmittelbare Verbindung zwischen Jesus und David wird also unterstrichen,901 während Salomo aus dieser Linie ausgespart wird. Besonders deutlich wird die kritische Bewertung von Salomos Tempelbau vor dem Hintergrund des unmittelbaren Kontextes dieser Notiz von 7,47.902 Während 7,44-46 die Kontinuität zwischen Moses skhnh, und Da900
Im Tempelweihgebet Salomos 1 Kön 8 findet sich allerdings auch eine kritische Einstellung zum Tempel (vgl. 1 Kön 8,27), die in Apg 7,48 aufgenommen wird. Aufgrund dieser Beobachtung meint GANSER-KERPERIN, Tempel, 245, Anm. 356, Apg 7,4748 orientiere sich an 1 Kön 8. 901 Vgl. auch die Identifizierung Jesu mit dem verheißenen „Retter aus dem Samen Davids“ in Apg 13,23: tou,tou o` qeo.j avpo. tou/ spe,rmatoj katV evpaggeli,an h;gagen tw/| VIsrah.l swth/ra VIhsou/n »Von dessen Samen hat Gott gemäß der Verheißung zu Israel geführt als Retter Jesus«. Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 181–182. VAN DE SANDT, Presence, 50-51. WOLTER, Lukasevangelium, 175–176. Zur Darstellung Salomos im lukanischen Doppelwerk vgl. DOBLE, PETER, Something Greater than Salomon: An Approach to Stephen’s Speech, in: MOYISE, STEVE (Hg.), The Old Testament in the New Testament. Essays in Honour of J.L. North, Sheffield 2000, 181–207, hier bes. 187. Doble sieht in der Christologie des lukanischen Doppelwerks zwei Traditionen zu Salomo miteinander kombiniert. Die Tradition, wonach Salomo Davids Familie in Verruf gebracht hat (vgl. Sir 47,19-21), schlage sich in Lk 3,31 und Apg 13,23 nieder, die Vorstellung über die Großartigkeit Salomos (vgl. Mt 6,29; 12,42) finde sich in Lk 11,31; 12,27. Vgl. EBD., 187–188. 902 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 181, 191. DOBLE, Salomon, bes. 195–196.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
vids skh,nwma als dem Willen Gottes entsprechenden Ort der Anwesenheit Gottes betonen, wird zum ‚Haus-Bau‘ Salomos keine Verbindung formuliert.903 Vielmehr wird es durch seine Charakterisierung als festes Haus (oi=koj), das noch dazu (betont) von Salomo selbst gebaut ist (oivkodome,w), als Kontrast zur beweglichen Zeltwohnung (skh,nwma) dargestellt, um die David (der noch dazu Gunst in den Augen Gottes gefunden hat) bittet (aivte,w).904 Zur negativen Konnotation von oi=koj trägt also vor allem bei, dass 7,46 Davids Wunsch nach einem dauerhaften Ort der Anwesenheit Gottes nicht mit oi=koj formuliert wie 2 Sam 7,1-7, sondern mit skh,nwma in Aufnahme von Ps 131,5 LXX. Durch diese Ersetzung entspricht David in Apg 7,46 nämlich Gottes Zurückweisung eines oi=koj in Gegenüberstellung zur beweglichen skhnh, (2 Sam 7,5b-7), während Salomo laut Apg 7,47 genau das macht (oivkodo,mhsen auvtw/| oi=kon »er baute ihm ein Haus«), was Gott in 2 Sam 7,5b als Ort seiner Anwesenheit in der Geschichte Israels ablehnt (ouv su. oivkodomh,seij moi oi=kon tou/ katoikh/sai, me »Nicht du sollst mir ein Haus bauen, um mich (darin) wohnen zu lassen.«).905 Damit einhergehend wird ein negatives Bild von Salomo vermittelt, insofern er implizit als Gestalt dargestellt wird, die nicht dem Willen Gottes entsprechend handelt.906 Zwar ist die Formulierung in 7,47 nicht eindeutig als Kritik am Tempelbau Salomos zu verstehen, sondern zeigt gerade in ihrer Kürze Offenheit für verschiedene Interpretationsmöglichkeiten,907 aber der unmittelbar vorangehende Kontext mit seinen Intertexten (insbesondere die Vermeidung von oi=koj bezüglich David (2 Sam 7,1-7) durch die Ersetzung mit skh,nwma aus Ps 131 LXX) deuten doch auf eine kritische Haltung und einen Kon903 Die Verbindung zwischen der skhnh, und dem skh,nwma wird schon durch den Satzbau in Apg 7,45-46 deutlich. 904 Vgl. JERVELL, Apg, 243. 905 Der Kontrast entsteht also vor allem durch die Vermeidung von oi=koj bezüglich David, denn innerhalb 2 Sam 7 wird der Bau eines oi=koj durch Davids Sohn ja sogar von Gott selbst angekündigt (2 Sam 7,13). Diese kontrastierende Referenz auf 2 Sam 7,5.13 verweist ebenfalls darauf, dass auvtw/| in 7,47 »für Gott« (parallel zu moi in 2 Sam 7,5.13) meinen kann. 906 Dieses Bild Salomos ist auch bekannt aus 2 Kön 11, denn dort wird unter anderem von Salomos Götzendienst berichtet, durch den er sich trotz Gottes Verheißung in 1 Kön 9,1-9 als ungehorsam gegenüber Gott erweist. Dementsprechend notiert auch 1 Kön 11,9 Gottes Zorn gegenüber Salomo, weil dieser sein Herz von ihm abgewandt hatte. Vgl. dazu auch DOBLE, Salomon, 199, 206. Zur Darstellung Salomos vgl. auch KUNZLÜBCKE, ANDREAS, Die Komposition der Salomogeschichten, in: LUX, RÜDIGER (Hg.), Ideales Königtum. Studien zu David und Salomo (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 16), Leipzig 2005, 107–126. 907 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 381, pointiert besonders die Möglichkeit, mit dem Dativ auvtw/| solle die Offenheit gewahrt werden, den Hausbau als Bau für das Haus Jakob und für Gott gleichermaßen verstehen zu können.
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trast zur skhnh, und zum skh,nwma Davids hin. Explizit wird dieser aber erst ab Apg 7,48 zum Ausdruck gebracht. Apg 7,48-50 48 49a b c d 50 48 49a b c d 50
avllV ouvc o` u[yistoj evn ceiropoih,toij katoikei/( kaqw.j o` profh,thj le,gei\ o` ouvrano,j moi qro,noj( h` de. gh/ u`popo,dion tw/n podw/n mou\ poi/on oi=kon oivkodomh,sete, moi( le,gei ku,rioj( h' ti,j to,poj th/j katapau,sew,j mouÈ ouvci. h` cei,r mou evpoi,hsen tau/ta pa,ntaÈ »Doch der Höchste wohnt nicht in von Menschenhand Gemachten wie der Prophet sagt: Der Himmel ist mein Thron und die Erde ein Schemel für meine Füße. Was für ein Haus werdet ihr mir bauen, spricht der Herr, oder welcher ist der Ort meiner Ruhe? Hat nicht meine Hand das alles gemacht?«
Schon der Beginn avllV ouvc kündigt an, dass dieser Kommentar der Erzählstimme908 den ‚Gottes-Haus-Bau‘ durch Salomo negativ bewertet. Auch der Titel o` u[yistoj909, mit dem durch eine räumliche Vorstellung Gottes Hoheit und Transzendenz illustriert wird – in kontrastierender Gegenüberstellung zu ceiropoi,htoj –, verdeutlicht die kritische Beurteilung von Salomos Tempel. Zusätzlich drückt das Verb katoike,w aus, worauf sich die Kritik bezieht, denn darin ist – entsprechend der Begriffe aus dem Wortfeld oi=koj in 7,47 – der Aspekt des Ansässigseins enthalten, die den tragbaren, beweglichen skhnh, und skh,nwma von 7,44-46 widersprechen.910
908 Der Text verlässt hier wieder die Ebene des Überblicks über historische Ereignisse und nimmt eine Metaebene ein, ähnlich wie in Apg 7,25.35.42a. 909 Vgl. FITZMYER, Acts, 384: o` u[yistoj sei ein göttlicher Name, der in vielen griechischen Handschriften auch für Zeus u.v.m. zu finden ist. In der LXX werde er als Übersetzung für !wyl[ verwendet (Gen 14,18; 19,22; Ps 46,4). Im Neuen Testament begegne er außer in Mk 5,7; Hebr 7,1 nur bei Lk (Lk 1,32.35.76; 6,35; Apg 16,17). BARRETT, Acts, 373, ergänzt, der Begriff werde von ‚Heiden‘ manchmal als geeignete Bezeichnung für die einzige jüdische Gottheit betrachtet. Auch in synkretistischen jüdischen Kulten konnte der Begriff verwendet werden 910 Vgl. JERVELL, Apg, 244–245.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Ähnlich hinterfragt Salomo selbst im Tempelweihgebet 1 Kön 8 die Angemessenheit eines festen Hauses für Gott und relativiert damit die Absolutheit des Tempels, indem er Gottes Erhabenheit schöpfungstheologisch begründet: o[ti eiv avlhqw/j katoikh,sei o` qeo.j meta. avnqrw,pwn evpi. th/j gh/j eiv o` ouvrano.j kai. o` ouvrano.j tou/ ouvranou/ ouvk avrke,sousi,n soi plh.n kai. o` oi=koj ou-toj o]n wv|kodo,mhsa tw/| ovno,mati, sou »Wird denn Gott wirklich mit Menschen auf der Erde wohnen. Wenn der Himmel und der Himmel des Himmels nicht für dich reichen werden, wie auch nur dieses Haus, das ich für deinen Namen gebaut habe?« (1 Kön 8,27)911
7,48 geht aber über eine bloße Relativierung des Tempels als Wohnort Gottes hinaus, denn die Umschreibung von Salomos ‚Gottes-Haus‘ mit dem Adjektiv ceiropoi,htoj bringt eine scharfe Polemik zum Ausdruck, insofern damit in anderen Texten Götzenbilder im Gegenüber zum wahren Gott Israels bezeichnet werden.912 Dies wird auch im Kontext der Stephanusrede deutlich, denn der Aspekt des ‚von Menschenhand Gemachten‘ liegt auch in der Formulierung der Anfertigung des Goldenen Kalbes in 7,40 (evmoscopoie,w), in der Rede von der Freude der Israeliten über die Werke ihrer Hände (euvfrai,nonto evn toi/j e;rgoij tw/n ceirw/n auvtw/n 7,41) und in der Aussage über die Herstellung der Götzen in 7,43 (tou.j tu,pouj ou]j evpoih,sate). Durch diese Rekurse wird der oi=koj Salomos auf eine Ebene mit diesen Götzenbildern gestellt.913 Dies bestätigt sich darüber hinaus, indem mit dem Stichwort ceiropoi,htoj auf Jesu Tempelwort, das ihm die Falschzeugen in Mk 14,58b zum Vorwurf machen, angespielt wird: 911
Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 382–383. Eine ähnliche Vorstellung werde innerhalb des Tempelweihgebets in 1 Kön 8,30.32.34.36.39.43.45.49 sowie in der Tempelrede in Jer 7 ausgedrückt. ALBANI, MATTHIAS, „Wo sollte ein Haus sein, das ihr mir bauen könntet?“ (Jes 66,1) – Schöpfung als Tempel JHWHs?, in: EGO, BEATE/LANGE, ARMIN/PILHOFER, PETER (Hg.), Gemeinde ohne Tempel. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum (WUNT 118), Tübingen 2002, 37–56, hier 46, erklärt, der Tempel als Wohnstatt Gottes werde hier ähnlich in Frage gestellt wie in Jes 66,1-2, wobei das Heiligtum als Anbetungsstätte von dieser radikalen Kritik nicht betroffen sei. 912 Vgl. Lev 26,1.30; Jes 2,18; Weish 14,8 u.a. Auch pagane Tempel werden als ceiropoi,htoj bezeichnet, z.B. in Jes 16,12; Apg 17,24. Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 54. SIEGERT, FOLKER, „Zerstört diesen Tempel …!“ Jesus als „Tempel“ in den Passionsüberlieferungen, in: HAHN, JOHANNES (Hg.), Zerstörungen des Jerusalemer Tempels (WUNT 147), Tübingen 2002, 108–139, hier 112, Anm. 8, verweist darüber hinaus auf die Wortgruppe e;rga ceirw/n avnqrw,pwn in Dtn 4,28; Ps 134,15 u.a, die ein älteres Synonym dafür sei. Auch GANSER-KERPERIN, Tempel, 249, zeigt, dass sich die Tempelthematik innerhalb der Rede in die Thematik des Götzendienstes einreiht. Ähnlich BARRETT, Acts, 373. Vgl. auch Lektüre von Apg 6,13-14. 913 Dass auch der Hausbau Salomons auf gleicher Ebene steht wie das Herstellen von Götzen, zeigt sich dann in Apg 7,49. Vgl. FITZMYER, Acts, 384. SPENCER, Acts, 79.
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evgw. katalu,sw to.n nao.n tou/ton to.n ceiropoi,hton kai. dia. triw/n h`merw/n a;llon avceiropoi,hton oivkodomh,swÅ »Ich werde diesen von Menschenhand gemachten Tempel zerstören und innerhalb von drei Tagen einen anderen, nicht von Menschenhand gemachten aufbauen.« Da demnach die Stellungnahme des Stephanus zum ‚Gottes-Haus‘ Salomos am selben Punkt ansetzt wie Jesu Tempelkritik, wird die Parallelisierung von Stephanus mit Jesus hinsichtlich seiner Position zum Tempel, die zentraler Anklagepunkt der Falschzeugen (6,13-14) ist, implizit aufgegriffen. Welche ‚Antwort‘ hier auf die Vorwürfe gegeben wird, deuten die intertextuellen Referenzen zwischen Mk 14,58; Apg 6,11.13-14 und Apg 7,48 an: Mk 14,58
h`mei/j hvkou,samen auvtou/ le,gontoj o[ti evgw. katalu,sw to.n nao.n tou/ton to.n ceiropoi,hton kai. dia. triw/n h`merw/n a;llon avceiropoi,hton oivkodomh,swÅ
Mk 14,64
hvkou,sate th/j blasfhmi,aj\
Apg 6,11
avkhko,amen auvtou/ lalou/ntoj r`h,mata bla,sfhma eivj … to.n qeo,nÅ
Apg 6,13
o` a;nqrwpoj ou-toj ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ …
Apg 6,14
auvtou/ le,gontoj o[ti VIhsou/j o` Nazwrai/oj ou-toj katalu,sei to.n to,pon tou/ton …
Apg 7,48
avllV ouvc o` u[yistoj evn ceiropoih,toij katoikei/
Während in den Vorwürfen gegen Stephanus (Apg 6,13-14) aus der Anklage gegen Jesus (Mk 14,58) zwar die Motive der Tempelzerstörung und der Blasphemie aufgenommen werden, aber der Tempel nicht als ceiropoi,htoj, sondern als o` to,poj ou-toj bezeichnet wird, ist in der Kritik des Stephanus Apg 7,48 das Gegenteil der Fall. Hier wird nicht von einem Zerstören des Tempels gesprochen, aber der Tempel wird mit dem Attribut ceiropoi,htoj etikettiert und bewertet.914 Da hier Tempelkritik im Sinne Jesu (Mk 14,58) enthalten ist, wird implizit die Anklage von Apg 6,13-14 aufgenommen, die sich ja ebenfalls auf Jesu Tempelwort bezieht.915 Indem 914 Daneben zeigt sich auch, dass Mk 14,58 den Bau eines nicht von Menschenhand gemachten Tempels durch Jesus mit dem Verb oivkodome,w formuliert, ebenso wie der ‚Gottes-Haus-Bau‘ Salomos in Apg 7,47. Dadurch wird das kontrastierende Gegenüber dieser beiden Größen unterstrichen. 915 Darauf verweist auch TANNEHILL, Narrative, 94. Er sieht in der Verwendung von ceiropoi,htoj ein Zeichen der Kontinuität zwischen Apg 6,14 und den Kommentaren zum Tempel in Apg 7,48-50, weil damit ebenfalls der in Apg 6,14 eingespielte Text Mk 14,58 aufgegriffen werde.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
nun in Apg 7,48 direkt Jesu Kritik am »von Menschenhand gemachten« (ceiropoi,htoj) Tempel geäußert wird, wird zugleich die Anklage der Falschzeugen widerlegt, denn in Apg 7,48 geht es nicht um eine Ablehnung des Tempels Salomos als eines Ortes Gottes (o` to,poj ou-toj), sondern um eine Ablehnung des Tempels als eines Götzenbildes (ceiropoi,htoj). Zugleich wird hier der Blasphemievorwurf (Apg 6,11.13-14) entkräftet, denn Gott wird ehrfurchtsvoll als o` u[yistoj bezeichnet und somit der Kontrast zu ceiro- poi,htoj verdeutlicht. Rückblickend erweisen sich die Anklagen gegen Stephanus also tatsächlich als »falsch«, da Apg 7,48 keine Kritik am Tempel oder ein Zerstören »dieses Ortes Gottes« anvisiert. Vielmehr geht es wie im Tempelwort Jesu um ein angemessenes Verständnis des Tempels. Diesen Kritikpunkt unterstreicht Mk 14,58 durch die kontrastierende Ankündigung eines »nicht von Menschenhand gemachten« (avceiropoi,htoj) Tempels, die auf eine adäquatere Vorstellung verweist, ohne Konkretisierungen zu machen. So ist der »nicht von Menschenhand gemachte« Tempel noch mit Deutungen zu füllen. Die harte Kritik an Salomos Tempel als einer Art Götzenbild (7,48) wird in 7,49-50 bestätigt, wie bereits die Redeeinleitung kaqw.j o` profh,thj le,gei anzeigt.916 Die darauf folgenden Prophetenworte geben fast wörtlich Jes 66,1-2a wieder:917
916 kaqw,j verweist auf die Entsprechung von Apg 7,48 und die folgenden Prophetenworte – ähnlich wie in Apg 7,42. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 327. PENNER, Praise, 316. SPENCER, Acts, 78. 917 Dies beobachten z.B. BARRETT, Acts, 375. FITZMYER, Acts, 384. JERVELL, Apg, 245–246. PESCH, Apg, 257. ROLOFF, Apg, 125, bemerkt, dass Jes 66,1f. ein Prophetenwort sei, das in jüdischer Polemik gegen heidnische Kulte eine große Rolle spielte, dieses aber nie in den Dienst einer innerjüdischen Tempelkritik gestellt wurde.
8 Lektüre von Apg 7,44-50 Jes 66,1-2 1a ou[twj le,gei ku,rioj b o` ouvrano,j moi qro,noj c h` de. gh/ u`popo,dion tw/n podw/n mou d poi/on oi=kon oivkodomh,sete, moi e 2a
h' poi/oj to,poj th/j katapau,sew,j mou pa,nta ga.r tau/ta evpoi,hsen h` cei,r mou kai. e;stin evma. pa,nta tau/ta le,gei ku,rioj …
1a »So spricht der Herr: b Der Himmel ist mein Thron und c die Erde aber ein Schemel für meine Füße; d was für ein Haus wollt ihr mir (da) bauen? e
Oder was für ein Ort soll meine Ruhestätte sein? 2a Denn alles dies hat meine Hand gemacht und alles dies ist mein, spricht der Herr …
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Apg 7,48-50 48 avllV ouvc o` u[yistoj evn ceiropoih,toij katoikei/( kaqw.j o` profh,thj le,gei\ 49a o` ouvrano,j moi qro,noj( b h` de. gh/ u`popo,dion tw/n podw/n mou\ c poi/on oi=kon oivkodomh,sete, moi( d le,gei ku,rioj( e h' ti,j to,poj th/j katapau,sew,j mouÈ 50 ouvci. h` cei,r mou evpoi,hsen tau/ta pa,ntaÈ
48 »Doch der Höchste wohnt nicht in von Menschenhand Gemachtem wie der Prophet sagt: 49a Der Himmel ist mein Thron b und die Erde ein Schemel für meine Füße. c Was für ein Haus werdet ihr mir bauen, d spricht der Herr, e oder welcher ist der Ort meiner Ruhe? 50 Hat nicht meine Hand das alles gemacht?«
Jes 66,1-2 bildet den Anfang einer Gottesrede, die die Rolle des Tempels im künftigen Zion thematisiert und dabei diejenigen anklagt, die unmoralisch handeln, aber sich dennoch unrechtmäßig auf den Tempel verlassen und dort kultische Praktiken vollziehen (Jes 66,3).918 Anhand dieser Kritik wird deutlich, dass der Tempel die Anwesenheit Gottes im Volk nicht sichert und leere Rituale bzw. Opfer die Strafe Gottes nach sich ziehen (Jes 66,4).919 918
Diese werden laut Jes 66,3 mit Götzendienst parallelisiert. Jes 66 thematisiert die Frage nach der Rolle des Tempels im künftigen Zion. Dabei bildet Jes 66,1-2a den Beginn der literarischen Einheit Jes 66,1-4, in der Gott diejenigen verurteilt, die Böses tun und sich dabei dennoch unrechtmäßig auf den Tempel verlassen. Im Anschluss daran bietet Jes 66,5-17 eine Liste von Heilszusagen an diejenigen, die Gottes Wort fürchten. Im Rahmen dieser Verurteilung betont Jes 66,1-2a also mithilfe eines schöpfungstheologischen Arguments Gottes souveräne Macht und Größe, bevor in den Versen 3-4 ein Tadel ausgesprochen wird. Anhand der Ablehnung der Opfer in Jes 66,3 wird deutlich, dass der Tempel die Anwesenheit Gottes im Volk nicht sichert und 919
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Indem die ansonsten fast wörtliche Einspielung920 nach Jes 66,2a abbricht, wendet sich Gott in 7,49-50 nicht mehr gegen die Verwendung des Tempels als kultische Kompensation für unmoralische Lebenshaltung wie im Kontext Jes 66,1-4. Stattdessen dient das Prophetenwort in Apg 7,49-50 der Kritik an der Auffassung, der Tempel (Salomos) sei Wohnort Gottes,921 wie vor allem die Einbettung von Jes 66,1-2 in den unmittelbaren Kontext der Stephanusrede verdeutlicht. Während Apg 7,48 eine negative Aussage über den Wohnort Gottes formuliert, beginnt Apg 7,49 (mit Jes 66,1) mit der positiven Vorstellung des Himmels als Thron Gottes (o` ouvrano,j moi qro,noj). Damit bestätigt Gott selbst – als eigentlicher Sprecher dieses Prophetenwortes – den Kommentar von Apg 7,48, dass er eben nicht in »von Menschenhand Gemachtem« wohnt. Außerdem korrespondiert hiermit die Bezeichnung o` u[yistoj für Gott, insofern der Himmel ebenfalls örtlich gesehen ‚am höchsten‘ liegt und sich somit als adäquater Ort für Gott erweist – noch dazu in Form eines Thrones, der die (königliche) Hoheit Gottes als o` u[yistoj unterstreicht.922 Parallel zu dieser Aussage über den Himmel schreibt Gott auch der Erde eine Funktion für sich zu: h` de. gh/ u`popo,dion tw/n podw/n mou »und die Erde ist der Schemel meiner Füße« (Apg 7,49b mit Jes 66,1c). Indem Himmel und Erde, die stellvertretend die Schöpfung umschreiben, jeweils in ihrer Bedeutung für Gott genannt werden, wird veranschaulicht, dass die ganze Schöpfung letztlich Gott gehört.923 Speziell der Himmel wird mit dieser bildhaften Rede als wahrer Wohnort Gottes ausgewiesen und dadurch bekräftigt, dass Gottes Hoheit unmöglich auf ein Haus als Wohnort zu reduzieren ist. Die Konsequenz aus dieser Grundaussage zieht die anschließende rhetorische Frage:924 poi/on oi=kon oivkodomh,sete, moi »Was für ein Haus werdet
nicht ausreicht, um den Segen Gottes zu erfahren, weil die göttliche Hoheit weit über irdische Strukturen hinausreicht. Gott lehnt ein Haus ab, in dem unmoralische Menschen kultische Praktiken vollziehen, die Götzendienst gleichkommen. Vielmehr achtet er auf die Unterdrückten, die seine Worte respektieren (Jes 66,2c). Opfer sind also nur sinnvoll, wenn sie eine anhaltend demütige Lebensweise widerspiegeln. Vgl. HÖFFKEN, PETER, Das Buch Jesaja. Kapitel 40-66 (NSK.AT 18/2), Stuttgart 1998, 245. VAN DE SANDT, Presence, 55. ALBANI, Schöpfung als Tempel, 43–44. 920 Die geringen Unterschiede zwischen den beiden Texten werden im Verlauf der Analyse aufgezeigt. 921 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 55–56. 922 Vgl. zum Himmel als Thron: Ps 2,4; 11,4; Jes 40,22; 63,19b u.a. Vgl. ALBANI, Schöpfung als Tempel, 42 nennt 1 Kön 9,12f. als Text der größten sachlichen Nähe zu Jes 66,1-2. 923 Vgl. ALBANI, Schöpfung als Tempel, 51. 924 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 54. HÖFFKE, Jesaja 40-66, 246. ALBANI, Schöpfung als Tempel, 51, merkt an, dass in Apg 7,48-50 ähnlich wie in Jes 66,1-2 alles menschli-
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ihr mir bauen?«925 Insofern damit die Möglichkeit eines adäquaten ‚HausBaus‘ für Gott durch Menschen überhaupt in Frage gestellt wird und der ‚Gottes-Haus-Bau‘ Salomos in Apg 7,47 mit denselben Worten formuliert ist, wird dessen Bedeutung radikal relativiert. Nach dem gegenüber dem Jesajatext zusätzlichen Einschub der Botenformel le,gei ku,rioj, der noch einmal die Autorität dieser Worte als Gottesworte betont,926 stellt Gott in Apg 7,49e (mit Jes 66,1e) eine weitere rhetorische Frage: h' ti,j to,poj th/j katapau,sew,j mou. »Oder welcher ist der Ort meiner Ruhe?« Die allgemeine Formulierung ti,j927 to,poj fügt der ausdrücklichen Zurückweisung (von Menschen) gebauter Häuser in der ersten Frage noch bestätigend hinzu, dass es absolut keine Ruhestätte für Gott geben kann. Da hier auf Ps 131,8 LXX rekurriert wird, wo die Überführung der Lade in den Tempel als Weg zum Ruheort (h` avna,pausij) interpretiert wird,928 deutet diese Formulierung an, dass Gott nicht an einem bestimmten Ort ‚sesshaft‘ wird. Das impliziert, dass ihm also auch nicht nur an einem bestimmten Ort begegnet und gedient werden kann.929 Bestätigt und betont wird dies noch einmal durch Apg 7,50 in Form einer weiteren rhetorischen Frage (ouvci. h` cei,r mou evpoi,hsen tau/ta pa,ntaÈ »hat nicht meine Hand das alles gemacht?«) im Unterschied zur einfachen Erklärung (ga,r) in Jes 66,2a.930 Diese möchte im Gegensatz zu den beiden
che Bauen für Gott ad absurdum geführt werde, insofern Gott als Schöpfer schon alles gehöre. 925 Das Futur ist wohl als modales Futur zu verstehen. Vgl. BDR § 368. Das mit „ihr“ angesprochene Gegenüber meint bei Jesaja die Menschen bzw. das Volk Israel allgemein. In Apg 7,49-50 kann es aber für die Hörer bzw. Leser der Rede auch klingen, als würden sie selbst angesprochen. 926 Vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 145, erklärt, damit werde sicher gestellt, dass das Zitat eine Gottesrede sei, denn Einleitung von Jes 66,1 und Schluss von Jes 66,2 fehlen jeweils. Auf der Erzählebene erhält demnach Stephanus prophetische Funktion, insofern die Prophetenworte von ihm gesprochen werden. 927 Der Wechsel der Fragepartikel von poi/oj (Jes 66,1d) zu ti,j (Apg 7,49d) verändert den Inhalt unwesentlich. 928 Vgl. HÖFFKE, Jesaja 40-66, 246. PENNER, Praise, 316, Anm. 121. 929 Vgl. ALBANI, Schöpfung als Tempel, 54, verweist auf einen Zusammenhang mit Jes 56,7: „Der schöpfungstheologische Universalismus von Jes 66,1f. spiegelt sich in einem neuen universalen Verständnis der Bestimmung des Tempels: „Mein Haus – ein Bethaus für alle Völker wird es genannt werden“ (56,7). Wer sich dem überall gegenwärtigen Gott Israels anschließt, der ist auch in seinem Tempel willkommen.“ Vgl. auch ZMIJEWSKI, Apg, 327. JERVELL, Apg, 246. 930 Diese Veränderung gegenüber dem Jesajatext kommt lediglich durch einen kleinen Wechsel in der Reihenfolge der Worte zustande, ist aber inhaltlich signifikant. Dadurch wird nämlich nicht nur die Kritik stärker betont als in Jes 66,2a, sondern zugleich der Übergang zur ausführlichen Anklage der Zuhörer in Apg 7,51-53 geschaffen. Vgl. VAN DE S ANDT, Presence, 55. KOET, Dreams, 66. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 145.
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bisherigen rhetorischen Fragen bejaht werden, wie bereits der Beginn mit ouvci, andeutet. Indem sich Gott hier – entsprechend der Grundaussage Apg 7,49a mit Jes 66,1b – selbst als Schöpfer aller Dinge bzw. Orte vorstellt, liefert er nicht nur eine Begründung für die Unzulänglichkeit aller gebauten Häuser als Wohnort und aller Orte als Ruhestätte für ihn, sondern bestärkt auch noch einmal die Kritik von Apg 7,48. Die Formulierung der Schöpfertätigkeit Gottes mit der Wendung h` cei,r mou evpoi,hsen stellt nämlich Gottes Werke den in Apg 7,48 kritisierten Werken von Menschen (ceiropoi,htoi), die in der Gefahr sind, mit Götzendienst verbunden zu sein (Apg 7,41.43), kontrastierend gegenüber. Damit wird Gott als Schöpfer und allmächtiger Herr und Eigentümer von Himmel und Erde zugleich als transzendent und für den Menschen unverfügbar dargestellt.931 Neben dieser motivischen Parallele zum Götzendienst wird die Kritik am Tempel dadurch verschärft, dass sie als rhetorische Frage – analog zur Kritik am Götzendienst Apg 7,42b (mit Am 5,25) – formuliert wird.932 Dass die Kritik in Apg 7,48-50 auf eine Haltung zum Tempel abzielt, die ihn wie ein Götzenbild verabsolutiert, zeigt auch ein Vergleich mit der Areopagrede Apg 17,22-31, in der ebenfalls die Frage nach einer angemessenen Vorstellung von Gottes Gegenwart zentral ist. So lautet die These in Apg 17,24 ähnlich wie in Apg 7,48: o` qeo.j o` poih,saj to.n ko,smon kai. pa,nta ta. evn auvtw/|( ou-toj ouvranou/ kai. gh/j u`pa,rcwn ku,rioj ouvk evn ceiropoih,toij naoi/j katoikei/ »Der Gott, der die Welt geschaffen hat und alle Dinge in ihr – er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in von Menschenhand gemachten Tempeln.« (Apg 17,24) Ebenso wie Apg 7,48-50 kritisiert Apg 17,24 mithilfe von schöpfungstheologischen Argumenten in Anspielung auf Jes 66,1-2, die mit den kosmologischen Vorstellungen der Hörer kompatibel sind, die Tempel in Athen, die ebenfalls durch das Attribut ceiropoi,htoj mit dem Gedanken des Götzenbildes konnotiert werden.933 Im Unterschied zu Apg 7,47-50 wird hier aber für die Tempel der Begriff nao,j verwendet, der ursprünglich im Bereich einer heiligen Stätte den besonderen Platz meint, an dem die Götter wohnen.934 Demnach geht es hier deutlich um eine Kritik an dieser paganen Sicht des Tempels (nao,j) als Wohnort Gottes, die den Tempel als Kultort verabsolutiert.935
931
ALBANI, Schöpfung als Tempel, 49, sieht den entscheidenden Impuls für die Kritik an der Vorstellung vom Tempel als Wohn- und Ruhestätte Gottes im Verständnis Gottes als des universalen allgegenwärtigen Schöpfers. Vgl. auch HÖFFKE, Jesaja 40-66, 246. PESCH, Apg, 257. SPENCER, Acts, 78. ZMIJEWSKI, Apg, 327. 932 Vgl. PENNER, Praise, 316. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 145. 933 Vgl. PENNER, Praise, 317. 934 Vgl. MICHEL, OTTO, nao,j, in: ThWNT IV, 884–895, 884–885. 935 Für einen ausführlichen Vergleich zwischen Apg 17,22-31 und Apg 7,48-50 vgl. GANSER-KERPERIN, HEINER, Tempel, 259–261.
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Da auch Apg 7,47-50 den Tempel nicht mit dem sonst in der Apostelgeschichte positiv konnotierten Begriff i`ero,n bezeichnet, sondern mit oi=koj,936 zeigt sich, dass hier lediglich eine bestimmte Vorstellung des Tempels – nämlich als Wohnort Gottes – zur Debatte steht,937 analog zu Apg 17,24.
Selbst wenn in 7,48-50 nicht der Tempel an sich, sondern primär ein spezielles Verständnis des Tempels abgelehnt wird, das dem transzendenten Gott unangemessen ist, kann die Schärfe der hier enthaltenen Polemik nicht überhört werden. Darauf deutet nicht nur die Parallele zur Kritik am Götzendienst (Apg 7,42-43; Mk 14,58) hin, sondern auch der betonte Kontrast zu Moses skhnh, und Davids skh,nwma, die auf den Willen Gottes zurückgehen und somit angemessene Orte von Gottespräsenz und Gottesdienst sind (7,44-46). Diese Funktion wird dem »von Menschenhand gemachten« Gottes-Haus dagegen komplett abgesprochen, indem es in alle beliebigen Orte (ti,j to,poj) eingereiht wird, die eben nicht als Ruhestätte Gottes (h` kata,pausij) dienen können (7,49). Zusätzlich verschärft sich diese Kritik insofern, als mit der eindringlichen Frage,938 an welchem Ort der transzendente Gott wohnt (h' ti,j to,poj th/j katapau,sew,j mou), implizit auf die Anklage gegen Stephanus ‚geantwortet‘ wird, er rede blasphemisch gegen Gott und »diesen heiligen Ort« (6,13b: ouv pau,etai lalw/n r`h,mata kata. tou/ to,pou tou/ a`gi,ou Îtou,touÐ). Dieser Vorwurf der Blasphemie kann als entkräftet gelten, da die bewegliche skhnh, und Davids skh,nwma als Orte vorgestellt werden (Apg 7,44-46), die Gottes Anwesenheit gewähren und zugleich seine Transzendenz wahren. Diesem Anliegen, dem Wesen Gottes gerecht zu werden, korrespondiert dann die Kritik an der Vorstellung, Gott wohne im von Salomo bzw. »von Menschenhand gemachten Haus«. Damit geht nämlich die eigentliche Blasphemie einher, weil Gottes Transzendenz dadurch geleugnet wird. 936 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 54. Aufgrund des Unterschieds zwischen i`ero,n und oi=koj kommen viele Exegeten zu dem Schluss, die Kritik in 7,48-50 beziehe sich nicht nur auf den oi=koj, sondern auch auf skhnh, und skh,nwma. van de Sandt dagegen zeigt mithilfe von Jes 66,1-2a, dass nur der oi=koj kritisiert werde. 937 Dass eine solche Bedeutung des Tempels abgelehnt wird, spiegelt sich schon in der Bezeichnung des Tempels als oi=koj, im Gegenüber der sonst im lukanischen Doppelwerk häufigeren Begriffe ivero,n, mit dem der Jerusalemer Tempel in seiner Funktion als Heiligtum benannt wird (Lk 2,27; Lk 19,45; Apg 2,46; 5,42 u.a.), und nao,j. Mit letzterem werden entweder die konkreten baulichen Gegebenheiten des Tempels anvisiert (Lk 1,9; 23,45) oder im Plural Tempel paganer Gottheiten benannt (Apg 17,24; 19,24). Der Tempel als oi=koj findet sich sonst nur in vier Aussagen Jesu (Lk 6,4; 11,51; 13,35; 19,46). Eine differenzierte Einführung in das semantische Spektrum des Tempels im lukanischen Doppelwerk findet sich bei GANSER-KERPERIN, Tempel, 38–45. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 373, Anm. 187. Vgl. auch Lektüre von Apg 6,13-14 und Exkurs zur Funktion des Tempels im lukanischen Doppelwerk. 938 Diese stellt letztlich sogar Gott selbst in Form der Prophetenworte.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Infolgedessen besteht außerdem die Gefahr, das Tempelgebäude als ceiropoi,htoj wie ein Götzenbild zu verehren und sich selbst für das eigene ‚Handwerk‘ zu verherrlichen – statt Gott für sein Schöpfungswerk.939 Dass die Anklage gegen Stephanus, er rede blasphemisch gegen den Tempel als Ort der Anwesenheit Gottes (o` to,poj ou-toj), hier widerlegt wird, deutet auch die Verwendung des Begriffs o` to,poj (7,49) an. Dieser greift nämlich nicht nur die Formulierung der Falschzeugen auf, in der o` to,poj offensichtlich den Tempel als Ort Gottes meint (6,13-14), und entkräftet deren Aussage. Vielmehr wird auch die Verheißung des Gottesdienstes »an diesem Ort« (latreu,sousi,n moi evn tw/| to,pw| tou,tw|) von 7,7 aufgenommen. Kann der Begriff o` to,poj an dieser Stelle zwar aus dem unmittelbaren Kontext das verheißene Land (7,5) meinen, so wird er im Laufe der Rede implizit mit verschiedenen Orten der Anwesenheit Gottes gefüllt, wie z.B. mit der »Wüste des Berges Sinai« in 7,30.33, mit Moses skhnh, und mit Davids skh,nwma.940 Alle diese Orte befinden sich außerhalb des Tempels und die meisten sogar außerhalb des verheißenen Landes.941 Auf diese Weise illustriert der polyseme Begriff o` to,poj das, was das Prophetenwort von 7,49-50 schöpfungstheologisch formuliert: dass der transzendente Gott nicht nur an »diesem einen Ort« anwesend ist, sondern an ‚jedem Ort auf der Erde und besonders im Himmel‘. Da dieses Verständnis vom Ort Gottes seinem Willen und Wesen entspricht, wird die Anklage gegen Stephanus nicht nur entkräftet, sondern zugleich implizit gegen seine Falschzeugen umgewendet.942 Der Effekt davon wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die entscheidenden Aussagen von Gott selbst im Prophetenwort (7,49-50) gemacht werden. So entsteht der Eindruck, Gott selbst vertrete diese Position bezüglich des Tempels und unterstütze den Angeklagten Stephanus, der damit erneut als Prophet gezeichnet wird. So ist in verschiedener Hinsicht deutlich, dass mit diesem Ende des Geschichtsrückblicks in Form der rhetorischen Fragen Gottes ein Höhepunkt der Rede markiert wird, der fundamentale Aussagen über Gott mit ebenso fundamentaler Kritik an unangemessenem Gottesbezug in der Geschichte
939
Vgl. LARKIN, Acts, 119. PENNER, Praise, 318. WITHERINGTON, Acts, 263. Vgl. PENNER, Praise, 307. Ähnlich GANSER-KERPERIN, Tempel, 244. 941 Ähnlich kann auch o` to,poj schon in Apg 7,7 als Öffnung auf verschiedene Orte gegen eine Exklusivität von Jerusalem oder dem Tempel verstanden werden. Vgl. die Untersuchungen zu Apg 7,7. 942 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 192. LARKIN, Acts, 119. Nach SPENCER, Acts, 79, dienen die Jesajaworte unter anderem dazu, die Autorität der priesterlichen Führer zu untergraben, analog zur frühen nachexilischen Zeit, in der die universal-kosmische Theologie Jesajas als Gegenperspektive zur hierokratischen Haltung der Priester, der Tempel sei heiliges Zentrum der Wiederherstellung Israels, fungiert habe. 940
8 Lektüre von Apg 7,44-50
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Israels und implizit mit Kritik an den Gegnern des Stephanus verbindet.943 Dem Duktus von Jes 66,1-2 folgend kann an dieser Stelle die Strafandrohung Gottes für das falsche Verständnis des Tempels erwartet werden (vgl. Jes 66,3-4). Insofern Jes 66,2a aber zu einer rhetorischen Frage umformuliert ist (7,50), wird indirekt zu einer bejahenden Antwort aufgefordert. Diese kleine Veränderung des Gedankengangs von Jes 66,1-2 bereitet den Übergang zu 7,51-53 vor.944 8.3 Fazit Vor dem Hintergrund des Abfalls Israels in Form von Götzendienst (7,3943) stellt 7,44-50 die Frage, wie Gott trotzdem im Volk Israel anwesend ist, indem in Anspielung auf Ex 33,7-11 das »Zelt des Zeugnisses« (h` skhnh. tou/ marturi,ou) eingeführt wird. Im Gegensatz zum »Zelt des Moloch« entspricht dieses Zelt, das Mose gemacht hat, dem Willen Gottes – analog zum Zeltheiligtum, das Ex 25-31 beschreibt. Primär wird das Zelt des Zeugnisses in seiner Funktion des andauernden Besitzes »unserer Väter« während der Wüstenwanderung durch eine grundlegende Mobilität ausgezeichnet, die bei aller Nähe auch die Transzendenz Gottes wahrt. In Kontinuität zu diesem tragbaren Zelt als Ort der Anwesenheit Gottes wird auch das Gesuch Davids um eine »Zeltwohnung« (skh,nwma) vorgestellt. Dass auch hier der Aspekt der Beweglichkeit betont wird, zeigt sich anhand der Intertexte Ex 33,12-17; 2 Sam 7,1-7 und Ps 131,5 LXX, auf die Apg 7,45-46 – mit jeweils feinen Veränderungen – anspielt. Vor diesem Hintergrund ist die an sich neutrale Notiz des Tempelbaus Salomos negativ konnotiert, insofern die Begriffe eines ‚Gottes-Haus-Baus‘ (oi=koj und oivkodome,w) an einen festen Wohnsitz Gottes denken lassen, der dem beweglichen Zeltheiligtum widerspricht. Explizit wird dieser ‚(Gottes-)Haus-Bau‘ Salomos im Kommentar von 7,48 und im bestätigenden Prophetenwort 7,49-50 kritisiert, durch das die prophetischen Züge der Figur des Stephanus bekräftigt werden. Da hiermit über eine angemessene Haltung dem Tempel gegenüber als Ort der Anwesenheit Gottes reflektiert wird, lässt sich 7,48-50 in die Reihe propheti-
943 GANSER-KERPERIN, Tempel, 245, sieht außerdem über die Stephanusepisode hinaus die Funktion dieser Erinnerung an die Geschichte Israels und seines Tempels darin, „als plausibel zu erweisen, warum die in Apg 3-7 dargestellte Konfliktgeschichte um den Jerusalemer Tempel durchaus theologisch so verlaufen kann, wie sie verläuft.“ 944 Zum einen wird in 7,51-53 die Anklage fortgesetzt – analog zu Jes 66. Zum anderen werden vor dem Hintergrund der Autorität der rhetorischen Frage in diesem Prophetenwort, auf die eine bejahende Antwort erwartet wird, die Anklagen in 7,51-53 betont. Vgl. KOET, Dreams, 66.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
scher Kritik gegen eine Tempeltheologie, die die Transzendenz Gottes verneint, einordnen.945 Durch die vielfältige Vernetzung mit dem unmittelbaren Kontext der Stephanusrede, den Anklagen gegen Stephanus Apg 6,13-14 und die schöpfungstheologischen Argumente von Jes 66,1-2a enthält Apg 7,48-50 primär folgende Aspekte: 1. Kritisiert wird nicht grundsätzlich alles von Menschenhand für Gott Gemachte, denn die von Mose dem Willen Gottes nach angefertigte skhnh, und das von David gesuchte skh,nwma werden durchaus positiv bewertet. Diese entsprechen nämlich aufgrund ihrer Beweglichkeit der unsichtbaren Anwesenheit des Schöpfergottes an jedem Ort. Die Kritik wendet sich also erst gegen den oi=koj als festen Wohnort Gottes, der Gottes Schöpfermacht und Transzendenz nicht angemessen ist.946 2. Demnach wird zugleich nicht prinzipiell der Tempel als Heiligtum abgelehnt, sondern lediglich die Vorstellung, dieser sei einzig wahrer Wohnort Gottes, weil der Tempel damit einem Götzenbild gleichkommt. 3. Begründet ist diese Relativierung der exklusiven Bedeutung des Tempels darin, dass der transzendente Gott auf keinen bestimmten Ort festgelegt werden kann, sondern als Schöpfer von allem überall (im Himmel und auf der Erde) anwesend und erfahrbar ist.947 Weiterhin werden mit dieser Reflexion über den Tempel als Ort der Präsenz Gottes in prophetischer Manier die Anklagen gegen Stephanus (6,11.13-14) widerlegt und implizit auf seine Gegner umgewendet. Insofern Stephanus in 7,48 den Tempel Salomos als eine Art von Götzenbild (ceiropoi,htoj) kritisiert ähnlich wie Jesus laut Mk 14,58, kann Stephanus hinsichtlich seiner hier formulierten Haltung zum Tempel tatsächlich mit Jesus parallelisiert werden – wie in 6,13-14. »Falsch« ist der Vorwurf der Zeugen (6,11.13-14), die Position des Stephanus zum Tempel sei Blasphemie. Dagegen spricht nämlich die würdigende Bezeichnung Gottes als o` u[yistoj, die durch die Untermauerung der Tempelkritik mithilfe des Prophetenwortes 7,49-50 bestätigt wird. Vielmehr kann den Gegnern Blasphemie angelastet werden, wenn sie Gottes Transzendenz missachten, indem sie den Tempel als einzigen Ort Gottes verstehen und als solchen verehren. 945
Vgl. WITHERINGTON, Acts, 274. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 373. Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 181, 208. GANSER-KERPERIN, Tempel, 250. HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1538. 947 Vgl. VAN DE SANDT, Presence, 56–57. LARKIN, Acts, 118, folgert daraus, dass Gottes Transzendenz die Kontrollperspektive für einen angemessenen Gebrauch eines Hauses als Ort des Gottesdienstes sein müsse. Ähnlich SPENCER, Acts, 79. JESKA, Geschichte Israels, 210. 946
8 Lektüre von Apg 7,44-50
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Vor diesem Hintergrund kann noch einmal der Frage nachgegangen werden, welche Funktion die Übertragung des Tempelmotivs innerhalb des lukanischen Doppelwerks vom Prozess Jesu auf die Stephanusepisode hat. Im Prozess Jesu entscheidet sich am Tempelwort zum einen das Verständnis des Tempels, zum anderen vor allem das Selbst-Verständnis Jesu als Gesalbter und Sohn Gottes und damit untrennbar verbunden das Verständnis Gottes. Von dieser Entscheidung für oder gegen Jesu Haltung zum Tempel und zu Gott hängt auch das (Blasphemie-)Urteil über Jesus und folglich über sein (Todes-)Schicksal ab. Die Tempelthematik befindet sich also an einer im wahrsten Sinne des Wortes entscheidenden Stelle der Jesus-Christus-Geschichte. Im Prozess des Stephanus wird das Tempelmotiv zunächst analog zum Prozess Jesu in der entscheidenden Anklagesituation aufgegriffen, wobei Stephanus’ Haltung noch nicht explizit formuliert wird. Deutlich wird diese erst, wenn die Stephanusrede am Ende des Geschichtsrückblicks eine ähnliche prophetische Kritik am Tempelbau Salomos äußert wie Jesus laut Mk 14,58 am Tempel in Jerusalem. Insofern dabei eigentlich Gott selbst im Prophetenwort nach dem (Wohn-)Ort Gottes fragt und zu einer Antwort auffordert, handelt es sich ebenfalls um eine entscheidende Stelle, die noch dazu den Übergang von der Geschichte Israels zur Gegenwart der Zuhörer markiert (vgl. 7,51-53). Inhaltlich zeigt sich damit: Die Frage nach dem Tempel als Ort Gottes entscheidet über das Verständnis Gottes und zugleich über das Verständnis Jesu, dessen Haltung zu Tempel und Gott durch Stephanus formuliert wird. Diese Frage nach dem Tempel als Ort Gottes ist also nicht nur eine Frage der Geschichte Israels, sondern auch der Jesus-Christus-Geschichte und der Gegenwart der Hörer der Stephanusrede. Indem hier der Jerusalemer Tempel – das Zentrum jüdischen Selbstverständnisses und Gottesdienstes – relativiert und zugleich die universale Anwesenheit Gottes betont wird, erfolgt implizit eine Konzentration auf Gott als Zentrum des Selbstverständnisses. Damit wird die Fortsetzung des „Weges des Heils“ bis ans »Ende der Erde« vorbereitet.948 Vor der Verkündigung des Evangeliums außerhalb Jerusalems (ab 8,4) wird nämlich deutlich, dass zwar die Verheißungen Gottes an Israel fortbestehen, aber die Gemeinde nicht abhängig von einem Gott ist, der ausschließlich im Tempel in Jerusalem »wohnt«, sondern dieser Gott auch außerhalb des Jerusalemer Tempels erfahrbar ist. So bekräftigt sich der Eindruck, die Übertragung des Tempelmotivs in die Stephanusepisode markiere eine entscheidende Schwellenposition innerhalb der Erzählung des „Weges des Heils“ im lukanischen Doppelwerk. 948
Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 210–211. KOET, Dreams, 66.
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
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9 Lektüre von Apg 7,51-53 9.1 Strukturanalyse Die direkte Anrede949 der Hörer in 7,51a markiert den Beginn eines neuen Abschnitts. Darin wird der generelle Vorwurf des Widerstandes gegen den Heiligen Geist (7,51b) durch drei weitere Anschuldigungen der Adressaten in Kontinuität zu ihren Vätern entfaltet: erstens die Prophetenverfolgung und -tötung der Väter (7,52a-b), die zweitens konkret im Verrat und Mord »des Gerechten« umgesetzt worden sei (7,52b), sowie drittens das NichtBewahren des Gesetzes (7,53). 9.2 Lektüre Apg 7,51-53 51a b 52a b c 53 51a b 52a b c 53
Sklhrotra,chloi kai. avperi,tmhtoi kardi,aij kai. toi/j wvsi,n( u`mei/j avei. tw/| pneu,mati tw/| a`gi,w| avntipi,ptete w`j oi` pate,rej u`mw/n kai. u`mei/jÅ ti,na tw/n profhtw/n ouvk evdi,wxan oi` pate,rej u`mw/nÈ kai. avpe,kteinan tou.j prokataggei,lantaj peri. th/j evleu,sewj tou/ dikai,ou( ou- nu/n u`mei/j prodo,tai kai. fonei/j evge,nesqe( oi[tinej evla,bete to.n no,mon eivj diataga.j avgge,lwn kai. ouvk evfula,xateÅ »Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, immer widersetzt ihr euch dem Heiligen Geist – wie eure Väter auch ihr. Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt? Und getötet haben sie die, die voraus angekündigt haben das Kommen des Gerechten, dessen Verräter und Mörder nun ihr geworden seid, ihr, die ihr das Gesetz durch Anordnungen von Engeln empfangen und nicht gehalten habt.«
Im Anschluss950 an die kritischen Prophetenworte (7,49-50) setzt 7,51a mit dem doppelten Vokativ sklhrotra,chloi kai. avperi,tmhtoi zu scharfen Anklagen gegen die Adressaten der Rede (u`mei/j) an, d.h. implizit gegen die
949
Direkt werden die Hörer nicht nur in 7,51, sondern auch in 7,53 angesprochen sowie implizit in der rhetorischen Frage 7,52a. 950 Da kein Signal für das Ende der prophetischen Gottesrede markiert wird, kann 7,51 sogar als Fortsetzung davon gelesen werden.
9 Lektüre von Apg 7,51-53
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Synedristen (6,12) und Falschzeugen (6,13).951 Damit entsteht eine große Leerstelle zwischen 7,47-50, wo der ‚Gottes-Haus-Bau‘ Salomos thematisiert und kritisiert wird, und 7,51, da nun aus der Schilderung der Vergangenheit der Geschichte Israels in die ‚Erzähl-Gegenwart‘ der Stephanusrede gesprungen wird. Die Zeit zwischen Salomo und den Hörern der Stephanusrede wird völlig übergangen. Dadurch erhält nicht nur das Prophetenwort (7,49-50) als (pauschaler, allgemeingültiger) Abschluss der Geschichtsdarstellung besonderes Gewicht, sondern auch die distanzierte Erwähnung des ‚Gottes-Haus-Baus‘ Salomos. Außerdem entsteht der Eindruck, die Zuhörer der Stephanusrede stünden in unmittelbarem Anschluss, in enger Verbindung oder zumindest Kontinuität zu Salomo. Dass die Zuhörerschaft ähnlich scharf kritisiert wird wie Salomos ‚Gottes-Haus-Bau‘, zeigt sich offensichtlich in den Bezeichnungen sklhrotra,chloi und avperi,tmhtoi, in denen die Vorwürfe impliziert sind, die in 7,51b-53 weiter entfaltet werden: Die Anrede als sklhrotra,chloi ist identisch mit dem Attribut, mit dem Gott das Volk Israel aufgrund des Götzendienstes am Goldenen Kalb charakterisiert: Ex 33,3b ouv ga.r mh. sunanabw/ meta. sou/ dia. to. lao.n sklhrotra,chlo,n se ei=nai i[na mh. evxanalw,sw se evn th/| o`dw/| »denn ich werde auf keinen Fall mit dir hinaufziehen, weil du ein halsstarriges Volk bist, damit ich dich nicht auf dem Weg völlig auslösche.«952
Vor diesem Hintergrund verschärft sich der in Apg 7,51 enthaltene Vorwurf insofern, als mit dem Lexem sklhrotra,chloi die Be- bzw. Verurteilung des Volkes durch Gott selbst von Ex 33,3b eingespielt wird. Damit weist auch Apg 7,51 auf Gottes Distanzierung zum Volk hin, erwähnt jedoch das an sich positive Ziel davon, das halsstarrige Volk vor der Vernichtung durch Gott zu bewahren, nicht. Außerdem bekräftigt diese Referenz von Ex 33, dass Stephanus die Funktion eines Propheten zugeschrieben wird, da dieser Sprecher der von Ex 33,3b.5b eingespielten Bewertung Israels durch Gott selbst ist. 951
Vgl. TANNEHILL, Narrative, 95. JESKA, Geschichte Israels, 189 u.a. sklhrotra,chloi findet sich im Neuen Testament nur hier, in der LXX bezogen auf das ganze Volk Israel neben Ex 33,3.5 auch in Ex 34,9; Dtn 9,6.13; Bar 2,30. Vgl. TANNEHILL, Narrative, 87, Anm. 17. FITZMYER, Acts, 384. ZMIJEWSKI, Apg, 328. BARRETT, Acts, 376. SCHNEIDER, Apg, 468, Anm. 210. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 385, Anm. 252. SPENCER, Acts, 79. Umschrieben wird das Adjektiv sklhrotra,chloi beispielsweise auch innerhalb des Bußgebets Neh 9,16-17, in dem ebenfalls das Motiv des gewaltsamen (Tötungs-)Geschicks eines Propheten zu finden ist (Neh 9,26-27), das auch in Apg 7,52 aufgenommen wird. Ähnliches gilt für Jer 7,1-34. 952
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Der zweite Vokativ avperi,tmhtoi kardi,aij kai. toi/j wvsi,n »ihr Unbeschnittenen an Herzen und Ohren« greift den in 7,8 notierten Beschneidungsbund (diaqh,kh peritomh/j) auf und wirft den Adressaten vor, diesen im Gegensatz zu Abraham, Isaak und Jakob zu brechen.953 Dabei ist »unbeschnitten« hier nicht wörtlich, sondern in einem übertragenen (zugleich tieferen) Sinn verstanden, wie der Zusatz kardi,aij kai. toi/j wvsi,n signalisiert, der an die Formulierung der inneren Hinwendung der Väter nach Ägypten (7,39c: evstra,fhsan evn tai/j kardi,aij auvtw/n) als Zeichen der Abwendung von Mose und vom Gesetz erinnert.954 Auch mit der Bezeichnung avperi,tmhtoi kardi,aij spielt Apg 7,51 eine Gottesrede ein. In Lev 26 stellt Gott nämlich – ausgehend von der Betonung des Fremdgötterverbotes, speziell des Götzenbildverbotes (ouv poih,sete u`mi/n auvtoi/j ceiropoi,hta … evgw, eivmi ku,rioj o` qeo.j u`mw/n »Ihr sollt euch selbst keine handgefertigten (Kultobjekte) machen … Ich bin der Herr, euer Gott« Lev 26,1),955 des Sabbatgebots (Lev 26,2a) und der Achtung des Heiligtums (Lev 26,2b)956 – bei Erfüllung seiner Anordnungen Segen in Aussicht (Lev 26,3-13), bei Ungehorsam (eva.n de. mh. u`pakou,shte, mou »wenn ihr allerdings nicht auf mich hört« Lev 26,14)957 dagegen Fluch (Lev 26,14-38).958 Demnach entspricht Un-
953 Auf den Bezug zu 7,8 weist auch GAVENTA, Acts, 130 hin. JACOB, Genesis, 433, erklärt, der Vollzug der Beschneidung sei „ein Symbol des Gehorsams gegen Gott.“ Daher sei das Verbleiben in der Unbeschnittenheit ein Bild der Verstocktheit, so dass sie auf Herz (Lev 26,41; Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; 9,25; Ez 44,7.9), Ohr (Jer 6,10) und Ungelöstheit der Lippen (Ex 6,12.30) übertragen werden könne. Unbeschnittenheit sei außerdem verwandt mit dem starren Nacken, d.h. dem Hals, der sich nicht nach rückwärts biegen will, um den von dorther kommenden Zuruf zu hören. Die (prophetische) Mahnung, „das Herz zu beschneiden“, meine keine Aufhebung der leiblichen Beschneidung. Selbst wenn Dtn 10,16 die Beschneidung des Herzens fordert, setze Gen 17 dennoch Dtn 30,5f. voraus. 954 Auch die positive innere Motivation von Moses Vorhaben, nach seinen Brüdern zu schauen (Apg 7,23), wird mit dem Hinweis auf h` kardi,a ausgedrückt. Dazu stellen die Adressaten der Rede also einen Gegensatz dar. 955 Das Motiv des Götzendienstes steht auch in der Stephanusrede im Zentrum, vgl. besonders Apg 7,39-43.48-50. STAUBLI, THOMAS, Die Bücher Levitikus, Numeri (NSK.AT 3), Stuttgart 1996, 191 nennt als Parallele zu diesem Motiv Lev 19,4; Ex 20,23; 22,19; Dtn 12,29-13,1; Dtn 5,6-10 u.a. 956 Vgl. STAUBLI, Levitikus, Numeri, 191–192. Von diesen drei Hauptmotiven (Götzenbildverbot, Sabbatgebot, Achtung des Heiligtums) sei die gesamte Gottesrede Lev 26, die gemeinsam mit dem Jubeljahrgesetz unter der Überschrift des Heiligkeitsgesetzes steht, geprägt. 957 Das Motiv des Ungehorsams als Ausgangpunkt für weitere Fluchandrohungen wiederholt sich in diesem Abschnitt: Lev 26,14.18.27. In Apg 7,51 kann das Unbeschnittensein an den Ohren als Äquivalent dazu gelesen werden. 958 Vgl. auch Dtn 28,15-68. STAUBLI, Levitikus, Numeri, 193, erklärt, die Flüche treten in vier Stufen ein (Lev 26,26f.18ff.23ff.27ff.). Zunächst seien Einzelne betroffen, dann Wirtschaft, Politik bzw. Gesellschaft und letztlich der Kult.
9 Lektüre von Apg 7,51-53
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gehorsam gegenüber Gottes Anweisungen – besonders gegenüber dem Götzenbildverbot – Bundesbruch (… w[ste u`ma/j mh. poiei/n pa,saj ta.j evntola,j mou w[ste diaskeda,sai th.n diaqh,khn mou »… so dass ihr alle meine Befehle nicht tut, so dass ihr meine Verfügung [Bund] auflöst« Lev 26,15),959 der wiederum Strafe nach sich zieht. Diese dient dazu, die Ungehorsamen – umschrieben mit »ihr unbeschnittenes Herz« (h` kardi,a auvtw/n h` avperi,tmhtoj) – zu Umkehr zu bewegen (Lev 26,41) mit der Aussicht, dass Gott seines Bundes gedenkt (kai. mnhsqh,somai th/j diaqh,khj … Lev 26,42) und diesen erneuert.960
Mit der Anspielung auf diese Gottesrede Lev 26961 durch Stichwortanalogien und die damit verbundenen Themen ‚Götzendienst‘ und ‚Anwesenheit Gottes im Volk‘, wird erneut die Schärfe des Vorwurfs von Apg 7,51 deutlich. Die Unbeschnittenheit am Herzen, die Gott in Lev 26,41-42 als Umkehraufforderung verwendet, wird in 7,51 nämlich in Form einer anklagenden Anrede wiedergegeben. Zugleich wird damit auf Gottes Strafe im Fall von ungehorsamem Bundesbruch (Lev 26,14) hingedeutet. Ähnlich kündigt Jer 6,10b Gottes Gericht aufgrund des Ungehorsams des Volkes – umschrieben mit der Wendung ivdou. avperi,tmhta ta. w=ta auvtw/n kai. ouv du,nantai avkou,ein »Siehe, ihre Ohren sind unbeschnitten und sie können nicht hören« – an.962 Auch durch die Referenz auf diese Anklage wird Stephanus’ Vorwurf als prophetisch charakterisiert und das Verhalten der Adressaten der Rede mit dem der Väter gleichgesetzt.963 Die Drastik dieser vorwurfsvollen Anrede der Zuhörer in prophetischer Manier zeigt sich noch einmal von einer anderen Seite, insofern 7,51 auch Gottes Klage über Juda Jer 9,1-25 einspielt. Wieder bedauert Gott den Ungehorsam des Volkes gegenüber dem Gesetz, besonders in Form von Götzendienst: 12b dia. to. evgkatalipei/n auvtou.j to.n no,mon mou o]n e;dwka pro. 959
Die Bundesthematik ist auch im Begriff avperi,tmhtoi impliziert, besonders durch den Rückgriff auf Apg 7,8. 960 Laut STAUBLI, Levitikus, Numeri, 194–195, erfolgt diese Bundeserneuerung in zwei Stufen. Erstens werde der Bund der Väter erneuert, der der Erinnerung des Landes diene, zweitens werde der sinaitische Bund erneuert, um die Freiheit nicht aufzugeben. 961 Auf Lev 26 verweisen u.a. TANNEHILL, Narrative, 87, Anm. 17. 962 Vgl. SPENCER, Acts, 79. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 385. Zwar finden sich ähnliche Zusammenhänge zwischen Ungehorsam – umschrieben als unbeschnittene Herzen – und Gerichtsankündigungen in Jer 4,4, aber beide Bilder gemeinsam – Unbeschnittensein an Herzen und Ohren – begegnen in der LXX nicht. 963 Die Kontinuität der Adressaten der Stephanusrede mit den Vätern hinsichtlich ihres Ungehorsams und die Funktion des Stephanus als prophetische Gestalt in Analogie mit Mose oder Jeremia u.a., zeigt sich weiterhin an Analogien zu Dtn 10,16. In diesem Aufruf zur Beschneidung wird das Motiv der Halsstarrigkeit mit dem der Hartherzigkeit verknüpft (kai. peritemei/sqe th.n sklhrokardi,an u`mw/n kai. to.n tra,chlon u`mw/n ouv sklhrunei/te e;ti »Und ihr sollt die Härte eurer Herzen beschneiden und nicht weiterhin halsstarrig sein.« Dtn 10,16).
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
prosw,pou auvtw/n kai. ouvk h;kousan th/j fwnh/j mou 13 avllV … ovpi,sw tw/n eivdw,lwn a] evdi,daxan auvtou.j oi` pate,rej auvtw/n »12b Weil sie mein Gesetz verlassen haben, das ich ihnen vorgelegt habe, und nicht auf meine Stimme gehört haben, 13 sondern hinter den Wohlgelüsten ihres bösen Herzens und hinter den Götzen hergelaufen sind, die ihre Väter sie gelehrt haben«. (Jer 9,12b-13) Die Klage mündet letztlich in die Ankündigung des Gerichts über alle Beschnittenen ein (Jer 9,24), die folgendermaßen begründet wird: … o[ti pa,nta ta. e;qnh avperi,tmhta sarki, kai. pa/j oi=koj Israhl avperi,tmhtoi kardi,aj auvtw/n »… denn alle Völker sind Unbeschnittene im Fleisch, und das ganze Haus Israel sind Unbeschnittene in ihren Herzen.« (Jer 9,25) Als an den Herzen unbeschnitten wird das Volk Israel also, das äußerlich eigentlich beschnitten ist, mit den äußerlich unbeschnittenen Völkern (ta. e;qnh) gleich gestellt.964 Damit setzt Jeremias bzw. Gottes Anklage genau an dem Merkmal an, das Israel als erwähltes Bundesvolk von den anderen Völkern unterscheidet.965
Apg 7,51 greift also denselben sensiblen Punkt des Identitätsmerkmals Israels an wie Jer 9,25, wo Israel mit den unbeschnittenen Völkern parallelisiert wird. Dadurch wird die Provokation der Anrede avperi,tmhtoi kardi,aij analog zur Anklage der prophetischen Gerichtsankündigung bestärkt und implizit sogar die Bedeutung der äußerlichen Beschneidung relativiert: Wenn nämlich die äußerlich beschnittenen Israeliten aufgrund ihrer inneren Unbeschnittenheit, die sich im Ungehorsam gegen Gott und dessen Gesetze äußert, mit den äußerlich unbeschnittenen Völkern auf eine Ebene gestellt werden und dasselbe Gericht zu erwarten haben, verliert die äußere Beschneidung als Identitätsmerkmal des erwählten Bundesvolkes ihren ursprünglichen Wert für die Erlangung des Heils.966 So wird hier also auf die Frage nach der Bedeutung der Beschneidung angespielt, die im Laufe der Apostelgeschichte für die Verkündigung des Paulus unter den Völkern (ta. e;qnh) bedeutend ist. Indem die äußere Beschneidung unterschwellig relativiert wird (im Gegensatz zur inneren), ist der Weg für die beschneidungsfreie Mission bereitet, die in der Versammlung in Jerusalem (Apg 15) offiziell legitimiert wird.967 964
Ähnlich wird in Ez 44,7.9 Israel mit den Völkern parallelisiert. Vgl. JERVELL, Apg, 246. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 385. 965 Vgl. WERNER, WOLFGANG, Das Buch Jeremia. Kapitel 1-25, (NSK.AT 19/1), Stuttgart 1997, 113. Er erklärt, Juda gelte als ‚unbeschnitten‘, weil das Herz der Ort ist, an dem sich der Mensch ungeteilt für seinen Gott entscheide, Juda sich dieser Entscheidung aber gesperrt habe. 966 Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 186, spricht von einer „Relativierung der Beschneidung analog zu der Relativierung des Wohnens im verheißenen Land.“ 967 Vgl. EISEN, Poetik, 194. Die Streitfrage auf der Versammlung in Jerusalem lautet: … eva.n mh. peritmhqh/te tw/| e;qei tw/| Mwu?se,wj( ouv du,nasqe swqh/nai. »… Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst nach dem Brauch des Mose, könnt ihr nicht gerettet werden.«
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Diese grundlegende Beurteilung der Hörer als »halsstarrig« und innerlich »unbeschnitten« wird in 7,51b inhaltlich zunächst mit dem pauschalen Vorwurf gefüllt: u`mei/j avei. tw/| pneu,mati tw/| a`gi,w| avntipi,ptete »immer widersetzt ihr euch dem Heiligen Geist«. Indem dieser permanente (avei,) Widerstand gegen den Heiligen Geist zunächst auf »eure Väter« bezogen wird, ist damit das im Geschichtsrückblick geschilderte Verhalten Israels (besonders 7,9.27-28.39-47) zusammengefasst und interpretiert. Das Verb avntipi,ptw als Ausdruck für den Widerstand Israels findet sich auch in Num 27,14:968 dio,ti pare,bhte to. r`h/ma, mou evn th/| evrh,mw| Sin evn tw/| avntipi,ptein th.n sunagwgh.n a`gia,sai me ouvc h`gia,sate, me evpi. tw/| u[dati e;nanti auvtw/n … »Denn ihr habt mein Wort in der Wüste Sin übertreten, als sich die Gemeinschaft weigerte, meine Heiligkeit anzuerkennen; ihr habt mich nicht als heilig erwiesen über dem Wasser vor ihnen …« Mit diesem Widerstand der Versammlung Israels gegen Gottes Heiligung begründet Gott, dass Mose nicht ins verheißene Land einziehen, sondern vorher sterben werde.
Durch die Anspielung auf diesen begründenden Rückblick auf Israels Fehlverhalten wird deutlich, dass Widerstand gegen den Heiligen Geist mit Widerstand gegen Gott einhergeht und beides in einem unterlassenen bzw. falschen Gottesdienst besteht. Weiterhin spiegeln sich im Vorwurf des Widerstandes gegen den Heiligen Geist die Prophetenworte Jes 63,10.969 Nach der Entfaltung, wie Gottes Liebe und Mitleid das Volk Israel erlöst hat, notiert Jes 63,10: auvtoi. de. hvpei,qhsan kai. parw,xunan to. pneu/ma to. a[gion auvtou/ kai. evstra,fh auvtoi/j eivj e;cqran kai. auvto.j evpole,mhsen auvtou,j »Sie aber waren ungehorsam und erzürnten seinen heiligen Geist; und er wandte sich zur Feindschaft gegen sie und führte selbst Krieg gegen sie«.
Vor diesem Hintergrund wird die Tragweite des Widerstandes gegen den Heiligen Geist deutlich: Heftigster Zorn in Form von Feindschaft wird bei Gott ausgelöst, so wie es diesem ernsten Vergehen gegen ihn gebührt.970
(Apg 15,1b). Aber auch schon vor Paulus missionieren Philippus (Apg 8,26-40) und Petrus (Apg 10,1-11,18) beschneidungsfrei. Vgl. auch Gal 5,1-12. 968 Vgl. BARRETT, Acts, 376. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 384, Anm. 248. SCHNEIDER, Apg, 468, Anm. 212. 969 Vgl. BARRETT, Acts, 376. 970 SPENCER, Acts, 80, meint, auch Apg 5,3.9 sei ein Beispiel dafür, dass die Apostelgeschichte ebenfalls den Widerstand gegen den Geist als ernstes Vergehen betrachtet.
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Indem der Zusatz kai. u`mei/j die Adressaten der Stephanusrede auf eine Ebene mit den Vätern stellt, wird die immer wieder implizierte Kontinuität zwischen den Vätern Israels und den Hörern nun explizit, allerdings speziell im Hinblick auf das Fehlverhalten formuliert. Was den Vätern – innerhalb der Stephanusrede – angelastet wird, kann auch auf die Hörer übertragen werden: Abwendung von Gott durch Götzendienst und eine unangemessene, dem Götzendienst ähnliche Haltung zum Tempel (besonders 7,39.42-43.48-50). Deutlich distanziert sich der Redner Stephanus an dieser Stelle allerdings, indem er von »euren Vätern« (oi` pate,rej u`mw/n) spricht – im Gegensatz zur Geschichtsdarstellung971 –, und die Hörer mit u`mei/j anspricht.972 Dem korrespondiert, dass im Widerstand gegen den Heiligen Geist auch das Verhalten der Hörer gegen Stephanus enthalten ist, da dieser in 6,3.5 als plh,rhj … pneu,matoj a`gi,ou vorgestellt und in 6,10 als einer charakterisiert wird, der mit Geist spricht (tw/| pneu,mati w-| evla,lei).973 In der Ablehnung dieses Geistträgers Stephanus widersetzen sich seine Gegner also ebenfalls dem Heiligen Geist.974 Exkurs: Das sog. Verstockungsmotiv im lukanischen Doppelwerk Mit dem Vorwurf des halsstarrigen Widerstandes nimmt Apg 7,51 ein Motiv auf, das das gesamte lukanische Doppelwerk wie ein roter Faden durchzieht und zur Reflexion über das Verhältnis zwischen Judentum und entstehendem Christentum anregt. Schon die Worte Simeons zu Beginn des Lukasevangeliums (Lk 2,30-32.34-35) deuten das Verstockungsmotiv an. Sie identifizieren nämlich nicht nur mit einer Einspielung von Jes 42,6 und Jes 49,6 Jesus mit Gottes Heil (swthri,on sou), das ausgehend von Israel auch universal an die Völker adressiert ist (Lk 2,30-32),975 sondern kündigen auch eine 971
Dort bezieht sich Stephanus in der Regel deutlich in die Gemeinschaft mit seinen Hörern und folglich in diese Kontinuität zu den Vätern ein (Apg 7,2.11.12.15.19. 38.44.45), sogar im Kontext ihres Fehlverhaltens Apg 7,39. 972 Mit u`mei/j wird sogar der Vorwurf des Widerstandes gegen den Heiligen Geist gerahmt. Vgl. JESKA, Geschichte Israels, 150–151. WASSERBERG, Israels Mitte, 251. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 385. SPENCER, Acts, 79. GAVENTA, Acts, 129. 973 Vgl. weiterhin Apg 6,3, wo Geistbegabung als Kriterium für die Wahl der Sieben genannt wird. 974 Dies bestätigt sich auch in Apg 7,54-60, zumal in Apg 7,55 Stephanus noch einmal ausdrücklich als plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou beschrieben wird. Implizit ist in diesem Vorwurf auch der Widerstand gegen Jesus enthalten, der im lukanischen Doppelwerk besonders als Geistträger gezeichnet wird. Vgl. Lk 3,22; 10,21; 4,1.14.18-21 u.a. 975 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 140. Zur Besonderheit, dass hier von pa,ntej oi` laoi, die Rede ist, obwohl lao,j im lukanischen Doppelwerk sonst nur im Singular ausschließlich für das Gottesvolk Israel (Lk 1,10) und für die christliche Gemeinde (Apg 15,14; 18,10) steht und im Plural außer in Apg 4,25 als Zitat von Ps 2,1 nur noch in Apg 4,27 als Bezeichnung für die Stämme Israels. Vgl. EBD., 140. Wolter führt einige m.E.n. überzeugende sprachliche Argumente dafür an, dass in Lk 2,31 mit pa,ntej oi` laoi, die
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zweifache Wirkung Jesu auf Israel an, die von Gott bestimmt ist (kei/tai976): 34b ivdou. ou-toj kei/tai eivj ptw/sin kai. avna,stasin pollw/n evn tw/| VIsrah.l kai. eivj shmei/on avntilego,menon – 35 kai. sou/ Îde.Ð auvth/j th.n yuch.n dieleu,setai r`omfai,a& o[pwj a'n avpokalufqw/sin evk pollw/n kardiw/n dialogismoi,Å »34b Siehe, dieser ist bestimmt zum Fallen und Aufstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird – 35 und auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen –, damit offenbart werden aus vielen Herzen (die) Gedanken.« (Lk 2,34b-35) Die erste Ankündigung ptw/sin kai. avna,stasin pollw/n evn tw/| VIsrah,l »Fallen und Aufstehen vieler in Israel« kann im Kontext des Lukasevangeliums als metaphorische Rede von ‚Heil‘ und ‚Unheil‘ interpretiert werden, so dass Jesus selbst zum Kriterium über die Zuweisung von Heil und Unheil wird.977 Der deutlich negative Charakter der zweiten Ankündigung, Jesus sei bestimmt eivj shmei/on avntilego,menon »zu einem Zeichen, dem widersprochen wird«,978 verstärkt sich in der Fortsetzung979 mit dem Finalsatz o[pwj a'n avpokalufqw/sin evk pollw/n kardiw/n dialogismoi,Å »damit offenbart werden aus vielen Herzen (die) Gedanken.« (Lk 2,35b). Wegen der sonstigen Verwendung von dialogismoi, im lukanischen Doppelwerk980 ist hier eine negative Konnotation offensichtlich ‚verborgener‘ »Gedanken des Herzens« impliziert. Demnach macht Gott Jesus »zu einem Zei-
gesamte Menschheit gemeint ist, selbst wenn es sich dabei auch um die zwölf Stämme Israels handeln könnte. Auch Lk 2,32 spricht für diese universale Bedeutung von pa,ntej oi` laoi,. Vgl. auch KOET, Dreams, 120. 976 WOLTER, Lukasevangelium, 141, versteht kei/tai als passivum divinum. 977 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 142. Wolter grenzt sich von der Meinung ab, in Lk 2,34b werde auf Jes 8,14; Koh 4,10; Jes 24,20 und andere alttestamentliche Texte mit dem Motiv „Fallen und Aufstehen“ angespielt, da diese Texte eine andere Ausrichtung hätten. Für eine Referenz auf diese alttestamentlichen Texte spricht sich dagegen z.B. KOET, Dreams, 113–115 aus. Mit »fallen« und »aufstehen« kann im lukanischen Kontext auch auf eine durch Jesus bewirkte Statusumkehr angespielt sein, wie sie z.B. im Magnifikat formuliert wird. Eine solche Statusumkehr findet sich außerdem Lk 6,20b-22.24-26; 13,30; 18,9-14. 978 WOLTER, Lukasevangelium, 142, erklärt, dass besonders das Verb avntile,gw in Lk 2,34, das in Apg 13,45 und 28,22 aufgegriffen wird, auf eine Spaltung innerhalb Israels verweist. Auch BOVON, Evangelium nach Lukas, 146, sieht in Lk 2,34 einen Hinweis darauf, dass sich an Jesus die Geister scheiden werden. Die Struktur des lukanischen Doppelwerks werde dies bestätigen. Ähnlich KLEIN, Lukasevangelium, 149. 979 Diese zweite Ankündigung wird durch die Parenthese Lk 2,35a unterbrochen, die als metaphorische Prophezeiung einer leidvollen Erfahrung Marias als Repräsentantin Israels verstanden werden kann, unterbrochen. Vergleiche zu Lk 2,35a und den Referenzen auf Lk 1,46b; Ez 14,17 (OrSib 3,316); Ps 22,21; Jer 4,10. Vgl. KOET, Dreams, 116. Trotz verschiedener Interpretationsvorschläge kommt er lediglich zum Ergebnis, dass Maria eine leidvolle Erfahrung angekündigt wird. 980 dialogismoi, ist im lukanischen Doppelwerk in der Regel negativ gefärbt. Vgl. BOVON, Evangelium nach Lukas, 148.
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chen, dem widersprochen wird«, damit die verborgene Absicht der ihn ablehnenden Menschen offenbar wird.981 Die zwei gegensätzlichen Verheißungen in Lk 2,30-32.34-35 können als programmatisch für das lukanische Doppelwerk bezeichnet werden, da dieses zum einen die Geschichte Jesu als Fortsetzung des Heilshandelns Gottes für Israel erzählt, zum anderen aufzeigt, dass mit Gottes Heilswirken durch Jesus auch die Völker adressiert sind.982 Darüber hinaus zeigt sich bereits im Lukasevangelium Ablehnung Jesu aus den Reihen Israels, die in der Apostelgeschichte immer wieder zu finden ist. Werden schon die Apostel in Jerusalem aufgrund ihrer Verkündigung mit Konflikten konfrontiert, so wird Stephanus sogar im Anschluss an seine Geschichtsreflexion, in der er insbesondere am Ende (Apg 7,51-53) die Ablehnung „des Gerechten“, also Jesu, anprangert und damit implizit eine Spaltung innerhalb Israels behauptet, und im Anschluss an seine Vision des Menschensohnes zur Rechten Gottes gesteinigt. Auch die daraufhin einsetzende Verfolgung der Christus gläubigen Gemeinde (Apg 8,1b.3) ist Ausdruck des Widerstandes gegen das Zeugnis über Jesus Christus als ‚Gottes Heil‘ für Israel und die Völker (Lk 2,30-32). Ausdrücklich wird das Motiv der gespaltenen Reaktion und des Widerstandes auf Seiten der Juden im Anschluss an die Rede des Paulus in Antiochia in Pisidien thematisiert.983 Als Reaktion darauf notiert zwar Apg 13,43a zunächst einmütige Zustimmung, aber im Rahmen einer erneuten Versammlung erfolgt ein Stimmungsumschwung: ivdo,ntej de. oi` VIoudai/oi tou.j o;clouj evplh,sqhsan zh,lou kai. avnte,legon toi/j u`po. Pau,lou laloume,noij blasfhmou/ntejÅ »Und als die Juden die Mengen sahen, wurden sie von Eifer erfüllt und widersprachen den von Paulus gesagten (Worten), indem sie lästerten.« (Apg 13,45). Die Formulierung des Widerspruchs »der Juden« mit dem Verb avntile,gw greift die Ankündigung von Lk 2,34 auf und weist darauf hin, dass diese in Apg 13,45 realisiert wird.984 Nach der ausdrücklichen Konstatierung, dass die Verkündigung des Wortes aufgrund einer göttlichen Notwendigkeit (h=n avnagkai/on prw/ton)985 zuerst an Israel verkündet 981 Verstärkt wird der negative Aspekt dieser Ankündigung zusätzlich durch das Verb avpokalu,ptw, das die Identifizierung Jesu als Licht zur Offenbarung (avpoka,luyij) für die Völker (Lk 2,32) aufgreift, nun aber einen Gegensatz dazu formuliert: An Jesus wird nicht nur Gottes Heil offenbar, sondern auch Widerstand. 982 Vgl. KOET, Dreams, 120. Am Lukasevangelium könne man ablesen, dass Jesus primär zu Israel gesandt ist, die Apostelgeschichte zeige, dass die Jünger, insbesondere Petrus und Paulus, die Heilsbotschaft als Licht zu den Völkern bringen. Ähnlich EISEN, Poetik, 213. 983 Für eine ausführliche Analyse und Interpretation von Apg 13,16-41 sowie der verschiedenen Intertexte vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 501–510; JERVELL, Apg, 353–361 u.a. 984 Dass es sich dabei eigentlich um einen Widerspruch gegen Gott handelt, ist in der Wendung laloume,noij blasfhmou/ntej impliziert und wird in den Worten des Paulus und des Barnabas in Apg 13,46 bestätigt. Sie erinnern nämlich daran, dass es eine göttliche Notwendigkeit (h=n avnagkai,oj) aufgrund der Erwählung Israel ist, dass das Wort Gottes zuerst dem Volk Israel verkündet werden musste. Vgl. JERVELL, Apg, 363. 985 Vgl. JERVELL, Apg, 363.
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werden musste, wird als Anlass für die Hinwendung zu den Völkern zum einen der Widerstand Israels (Apg 13,46) genannt, zum anderen der Wille Gottes (Apg 13,47).986 Trotz des Widerspruchs der Juden, der in Apg 13,50 sogar noch größere Ausmaße annimmt, entsteht am Ende der Episode der Eindruck einer erfolgreichen Verkündigung in Antiochia. Ein Hinweis darauf, dass daraus die Juden aufgrund ihrer Ablehnung ausgeschlossen seien, gibt es im Text nicht.987 Eine ähnliche Dynamik erzählt Apg 18,1-8 im Kontext der Verkündigung des Paulus in Korinth. Paulus spricht dort an jedem Sabbat in der Synagoge zu Juden und Griechen (diele,geto de. evn th/| sunagwgh/| kata. pa/n sa,bbaton e;peiqe,n te VIoudai,ouj kai. {Ellhnaj. Apg 18,4) und bezeugt ausdrücklich den Juden, dass Jesus der Messias ist (diamarturo,menoj toi/j VIoudai,oij ei=nai to.n cristo.n VIhsou/nÅ Apg 18,5). Als diese mit Ablehnung reagieren (avntitassome,nwn de. auvtw/n kai. blasfhmou,ntwn … »Und als sie sich entgegenstellten und lästerten …« Apg 18,6), wendet sich Paulus den Völkern zu (Apg 18,6-8). In besonderer Weise wird die gespaltene Reaktion auf die Verkündigung Jesu als Messias bzw. ‚Gottes Heil‘ am Ende des lukanischen Doppelwerks Apg 28,16-31 erzählt und dabei ausdrücklich mit dem Verstockungsmotiv verknüpft. Auch hier sind die führenden Juden in Rom Paulus gegenüber zunächst wohl gesonnen (Apg 28,21-22). Allerdings kündigt sich ein Spannungsverhältnis zu den Christusgläubigen an, wenn die Juden in Rom erwähnen, ihnen sei über diese »Parteiung« (ai`,resij) bekannt, dass ihr überall mit Worten widersprochen wird (avntile,gw). Denn mit dem Verb avntile,gw wird erneut die Ankündigung des Widerspruchs gegen Jesus von Lk 2,34 aufgenommen.988 Ausdrücklich wird eine gespaltene Aufnahme von Paulus’ Verkündigung der Königsherrschaft Gottes und Jesu ausgehend vom Gesetz des Mose und von den Propheten in 986
Apg 13,47 (e,qeika, se eivj fw/j evqnw/n tou/ ei=nai, se eivj swthri,an e[wj evsca,tou th/j gh/jÅ »Ich habe dich gesetzt zum Licht der Völker, dass du bist (zum) Heil bis an das Ende der Erde.«) spielt – ähnlich wie Lk 2,30-32 – den Auftrag Gottes Jes 49,6 ein. Demnach handelt es sich bei der Hinwendung zu den Völkern um eine Umsetzung von Lk 2,30-32. Paulus handelt damit also ganz nach dem Auftrag Gottes und in Analogie mit Jesus. Weiterhin entspricht die Zuwendung zu den Völkern dem Auftrag des Auferstandenen (Apg 1,8). EISEN, Poetik, 214, sieht in diesem Jesaja-Zitat einen Beweis, dass die Einbeziehung der Völker in die Heilsverkündigung im Plan des Gottes Israels liegt. Vgl. auch ZMIJEWSKI, Apg, 520. 987 Vgl. etwa die allgemein formulierten summarischen Notizen Apg 13,49.51-52. Gegen einen Ausschluss der Juden aus der Verkündigung spricht außerdem, dass sich Paulus sofort in seiner nächsten Station Ikonion erneut zuerst an die Juden wendet (Apg 14,1). JERVELL, Apg, 365, erläutert, es entstehe der Eindruck, die Verkündigung werde durch den Widerstand der Juden sogar vorangetrieben. 988 ZMIJEWSKI, Apg, 884, sieht in der Formulierung o[ti pantacou/ avntile,getai schon einen Hinweis auf Paulus’ Worte in Apg 28,25b-27. Für MUßNER, Apg, 159, liegt in dem „weltweiten Widerspruch der Juden gegen das Evangelium“ ein „Beweis“ ihrer Verstockung.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Apg 28,24 notiert:989 kai. oi` me.n evpei,qonto toi/j legome,noij( oi` de. hvpi,stoun »Und die einen ließen sich überzeugen durch das Gesagte, die anderen glaubten nicht.« Auch Vers 25a, mit dem die letzte wörtliche Rede des Paulus eingeleitet wird, unterstreicht die Spaltung noch einmal:990 avsu,mfwnoi de. o;ntej pro.j avllh,louj avpelu,onto eivpo,ntoj tou/ Pau,lou r`h/ma e[n »Und während sie untereinander uneinig waren, lösten/trennten sie sich, nachdem Paulus ein einziges Wort gesagt hatte.« Mit diesem Wort des Paulus wird der Unglaube eines Teils der römischen Juden als Entsprechung der prophetischen Ankündigung991 von Jes 6,9-10 LXX gedeutet:992 26 avkoh/| avkou,sete kai. ouv mh. sunh/te kai. ble,pontej ble,yete kai. ouv mh. i;dhte\ 27 evpacu,nqh ga.r h` kardi,a tou/ laou/ tou,tou kai. toi/j wvsi.n bare,wj h;kousan kai. tou.j ovfqalmou.j auvtw/n evka,mmusan\ mh,pote i;dwsin toi/j ovfqalmoi/j kai. toi/j wvsi.n avkou,swsin kai. th/| kardi,a| sunw/sin kai. evpistre,ywsin( kai. iva,somai auvtou,jÅ »26 Mit dem Gehör werdet ihr hören und keinesfalls werdet ihr verstehen, und schauend werdet ihr schauen und keinesfalls werdet ihr sehen; 27 denn unempfindlich geworden ist das Herz dieses Volkes und mit den Ohren hörten sie schwer und ihre Augen verschlossen sie, damit/so dass sie nicht mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und umkehren und ich sie heilen werde.« (Apg 28,26b-27) Die umfassende Verschlossenheit der hörunwilligen und -unfähigen Juden wird demnach auf eine Verstockung bzw. wörtlich »Verhärtung des Herzens« (evpacu,nqh h` kardi,a)
989 Vgl. auch MUßNER, Apg, 160, der meint, Lukas wolle wieder betonen, dass das christliche Kerygma Israel spaltet (vgl. Apg 13,43.45). Vgl. auch JERVELL, Apg, 626. 990 ZMIJEWSKI, Apg, 884, sieht darin eine Dokumentation jener „Verstockung Israels, die Paulus seinen jüdischen Zuhörern (wie es nachgetragen heißt) zuvor in seiner Rede selbst mit Hilfe von Jes 6,9f. zugesagt hat.“ 991 Indem Paulus diese Prophetenworte in den Mund gelegt werden, tritt er selbst als prophetische Gestalt auf, durch die der Heilige Geist spricht (Apg 28,25). Außerdem distanziert er sich durch die Formulierung oi` pate,rej u`mw/n »eure Väter« von seiner Hörerschaft. Vgl. dazu auch ZMIJEWKSI, Apg, 885. 992 Vgl. LEHNERT, VOLKER A., Die Provokation Israels. Die paradoxe Funktion von Jes 6,9-10 bei Markus und Lukas. Ein textpragmatischer Versuch im Kontext gegenwärtiger Rezeptionsästhetik und Lesetheorie (NTDH 25), Neukirchen-Vluyn 1999, 235. Vgl. auch JERVELL, Apg, 627: „Sie erfüllen jetzt das Wort des Propheten Jesaja aus Jes 6,9f. über die Verhärtung.“ Einen Vergleich zwischen dem hebräischen Text von Jes 6,9-10 und dem LXX-Text bietet ebenfall LEHNERT, Provokation, 123–124: Signifikant sei die Transponierung der hebräischen Imperative „hört“ und „seht“ ins griechische Futur, so dass eine Vorhersage entsteht und die Verstockung nicht mehr das Ziel der prophetischen Predigt sei, sondern diese veranlasse. Einen ähnlichen Effekt hat die Konjunktion ga,r in Jes 6,10 LXX, wodurch sich auch die Bedeutung des mh,pote von einem finalen „damit nicht“ zu einem erklärend-konsekutiven „so dass nicht“ ändert. Der Text in Apg 28,26-27 übernimmt fast wörtlich den LXX-Text. Vgl. auch EISEN, Poetik, 210. ROLOFF, Apg, 374, erklärt, dass dieses „Verstockungswort“ auch in der Evangelienüberlieferung begegnet (Mk 4,12; Mt 13,14f.; Lk 8,10; Joh 12,40). Dort werde es zur Beantwortung der Frage verwendet, „warum die Botschaft des Evangeliums nicht das ihr zukommende Gehör fand.“
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zurückgeführt.993 Wegen der passivischen Formulierung evpacu,nqh wird diese »Ver-
härtung« nicht eindeutig Israel selbst als Schuld angelastet, vielmehr bleibt offen, wer dafür verantwortlich ist. Letztlich könnte es sogar implizit Gott selbst sein, wenn man evpacu,nqh als passivum divinum betrachtet. Der mh,pote-Satz in Apg 28,27 kann unterschiedlich verstanden werden: Neben den verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten von mh,pote entweder im finalen Sinn „damit nicht“ oder erklärend-konsekutiv mit „so dass nicht“,994 sind besonders die unterschiedlichen Möglichkeiten signifikant, den letzten Teilsatz von Apg 28,27 kai. ivas, omai auvtou,j zu verstehen. Zum einen kann der Indikativ Futur als eine Beifügung zur Bezeichnung des weiteren Ergebnisses nach mh,pote (mit Konjunktiv), verbunden mit einem Subjektwechsel gelesen werden.995 Dabei bringt der Indikativ Futur als zusätzliche Nuance ein, dass dieses weitere Ergebnis, also dass Gott nicht heilt, vermieden werden soll.996 Zum anderen kann aber vor kai. ivas, omai auvtou,j auch ein syntaktischer Einschnitt gesehen werden, der die mh,poteReihe beendet. Dann benennt der Umbruch zum Indikativ Futur eine neue, überraschende Realität Gottes: Trotz der Verstockung des Volkes kündigt Gott an »und ich werde sie heilen.« Für die erste Interpretationsmöglichkeit spricht, dass sich Ablehnung Jesu und seiner Zeugen durch Israel kontinuierlich durch das lukanische Doppelwerk hindurch zieht, und diese häufig mit dem Verstockungsmotiv in Verbindung gebracht wird.997 Die Provokation, die demnach in kai. iva,somai auvtou,j enthalten ist,998 reiht sich außerdem in die Darstellung von Apg 28,26-27 als Prophetenwort ein, das in Analogie zu provokativer Israelkritik als integrativem Bestandteil prophetischer Literatur, nicht zuletzt des Jesajabuches, gesehen werden kann.999 Dass mit Hilfe prophetischer Israelkritik unter anderem über das Verhältnis zwischen Israel und den Völkern reflektiert wird, bestätigt sich auch in der Konstatierung, dass »dieses Heil Gottes« (tou/to to. swth,rion tou/ qeou/) zu den Heidenvölkern gesandt wird bzw. schon
993
Vgl. LEHNERT, Provokation, 119. Vgl. LEHNERT, Provokation, 124. Bei der finalen Übersetzung wird die Initiative Gottes bei der Verstockung, mit der er eine bestimmte Absicht verfolge, ausgesagt, bei der erklärend-konsekutiven Möglichkeit werden stärker die Folgen der Verstockung und implizit die Verantwortung der Juden dafür betont. 995 Vgl. BDR § 442, 2d mit Anm. 8. 996 Vgl. KARRER, MARTIN, »Und ich werde sie heilen«. Das Verstockungsmotiv aus Jes 6,9f. in Apg 28,26f., in: DERS. u.a., Kirche und Volk Gottes, FS Jürgen Roloff, NeukirchenVluyn 2000, 255–271, hier 257–258. Beispiele für lange Konjunktivreihen mit Subjektwechsel sind Dan 1,10 Q; Spr 30,10 LXX; Sir 9,9. Der Indikativ Futur als Bezeichnung eines Ergebnisses, das vermieden werden soll, findet sich z.B. auch in Gen 3,22, Ex 1,10; Tob 3,10; Lk 12,58; 14,8f. u.a. 997 Das bedeutet allerdings nicht, dass hiermit Israel komplett verworfen wird. Für eine differenziertere Reflexion über die Darstellung Israels im lukanischen Doppelwerk vgl. beispielsweise LEHNERT, Provokation, 213–224; RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 438– 445; WASSERBERG, Aus Israels Mitte, 361–366. Darauf wird auch in IV, 3.2 eingegangen. 998 LEHNERT, Provokation, bes. 119, 235, 298. 999 Vgl. LEHNERT, Provokation, bes. 121, 222–224. 994
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
längst gesandt ist (avpesta,lh).1000 Da diese Aussage im Kontext prophetischer Worte (vgl. Apg 28,25) getroffen und das Perfekt (avpesta,lh) verwendet wird, erweist sich die Hinwendung zu den Völkern nicht ausschließlich als ein Ergebnis der Verstockung des ungläubigen Judentums,1001 sondern ist schon prophetisch vorausgesagt (vgl. Lk 2,30-32)1002 und demnach im Willen Gottes grundlegend verankert. Der Verstockung Israels kommt also heilsgeschichtliche Bedeutung zu. Die zweite Übersetzungsmöglichkeit von kai. iva,somai auvtou,j mit »und ich werde sie heilen« legt sich vor allem wegen der Tendenzen des lukanischen Doppelwerks nahe, Israel als Erstadressaten der Verkündigung Jesu und seiner Nachfolger zu schildern und die Priorität Israels als erwähltes Volk Gottes zu betonen.1003 So wird mit dieser Verständnismöglichkeit also eine Art Paradox formuliert,1004 insofern Gott trotz der Verstockung Israels seinem Volk den Bund nicht aufkündigt, sondern ihm zusagt, es dennoch zu retten. Auch hiermit wird dann deutlich, dass die Verstockung Israels heilsgeschichtlich relevant ist und demnach Israel nicht aus dem Heilshandeln Gottes ausgeschlossen ist. Bestätigt wird Letzteres vom Text, wenn Apg 28,31 notiert, dass Paulus »allen« (pa,ntej) die Königsherrschaft Gottes verkündet.1005 Da Apg 28,25-31 in Fortführung einiger Texte des lukanischen Doppelwerks die heilsgeschichtliche Relevanz der Verstockung Israels schildert, wird hiermit narrativ umgesetzt, was
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avpe,stalh ist Aorist. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 885. Selbst wenn die Verstockung der Juden doch in gewisser Weise auch als eine Art „Movens“ für die weitere Verkündigung unter den Völkern bezeichnet werden kann. Vgl. EISEN, Poetik, 214. 1002 Vgl. JERVELL, Apg, 629. Er erläutert, dass das Heilsangebot an die Heiden ja auch schon via Israel geschehen ist, „nämlich durch die jüdischen Missionare der Kirche und durch die Synagogen.“ 1003 Argumente für die theologische Verankerung dieser These finden sich bei KARRER, Und ich werde sie heilen, 269–270. 1004 Das Paradox wird noch offensichtlicher, wenn man evpacu,nqh (28,27a) als passivum divinum auffasst, also die Verhärtung Israels auf Gott selbst zurückführt. Dann wird Gott als der dargestellt, der sowohl verstockt als auch heilt. 1005 Vgl. LEHNERT, Provokation, 238. Da in Apg 1,6-8 die Frage der Jünger nach der Wiedererrichtung der Königsherrschaft für Israel mit der Beauftragung zur Zeugenschaft bis ans »Ende der Erde« beantwortet wird, realisiert sich in Apg 28,31 dieser Auftrag in gewisser Weise. Auch ZMIJEWSKI, Apg, 885, spricht sich dafür aus, dass Israel nicht aufgehört hat zu bestehen, sondern seine Vollendung in der universalen Völkerkirche finde. Ähnlich DUNN, JAMES D. G., The Book of Acts as Salvation History, in: FREY, JÖRG/ KRAUTER, STEFAN/LICHTENBERGER, HERMANN (Hg.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (WUNT 248), Tübingen 2009, 385–402, hier 398. GNILKA, JOACHIM, Die Verstockung Israels, Isaias 6,9-10 in der Theologie der Synoptiker, München 1961, 154, ist dagegen der Meinung, die (verstockt bleibenden) Juden hätten sich aus diesem neuen Heilsverband ausgespielt. Ähnlich JERVELL, Apg, 629: Die Judenmission sei nun beendet, die Bußfertigen seien in dem erneuerten Israel gesammelt, während die Ungläubigen vom Volk ausgeschlossen seien. Allerdings sei nicht gesagt, ob die Völkermission die Bekehrung einzelner Juden ausschließt. 1001
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in Röm 11,25-27 von Paulus formuliert wird: 25 Ouv ga.r qe,lw u`ma/j avgnoei/n( avdelfoi,( to. musth,rion tou/to( i[na mh. h=te ÎparvÐ e`autoi/j fro,nimoi( o[ti pw,rwsij avpo. me,rouj tw/| VIsrah.l ge,gonen a;cri ou- to. plh,rwma tw/n evqnw/n eivse,lqh| 26 kai. ou[twj pa/j VIsrah.l swqh,setai( kaqw.j ge,graptai\ h[xei evk Siw.n o` r`uo,menoj( avpostre,yei avsebei,aj avpo. VIakw,bÅ 27 kai. au[th auvtoi/j h` parV evmou/ diaqh,kh( o[tan avfe,lwmai ta.j a`marti,aj auvtw/nÅ »25 Denn ich will nicht, dass ihr, Brüder, dieses Geheimnis nicht kennt, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, bis die Vollzahl der Völker eingegangen ist; 26 und so wird ganz Israel gerettet werden wie es geschrieben steht: Es wird kommen aus Zion der Rettende, er wird entfernen die Gottlosigkeit von Jakob. 27 Und dies ist der ihnen von mir (gegebene) Bund, wenn ich ihre Sünden wegnehme.« Auch diesem Text zufolge gründet jede Form der Rettung in Gott selbst und seiner bedingungslosen Erwählung Israels, sogar trotz der Verstockung Israels, die ebenfalls auf Gott zurückgeführt werden kann.1006 Demnach korrespondieren – was als Geheimnis bezeichnet wird – „Verstockung und Rettung Israels … einander“, denn „der Verstockende ist auch der Rettende.“1007 Insgesamt zeigen die hier umrissenen Texte also, dass mit der Verkündigung Jesu als ‚Gottes Heil‘ für Israel und die Völker (Lk 2,30-32) der gesamte Erzählzusammenhang des lukanischen Doppelwerks im Blick ist. Denn unmittelbar im Anschluss an die Ansage des universalen Heils wird in Lk 2,34-35 die Frage nach der Akzeptanz dieser Heilsansage thematisiert. In die Verkündigung werden zwar tatsächlich die Völker als Adressaten einbezogen, aber damit geht zugleich ein Trennungsvorgang innerhalb Israels einher, insofern Jesus und seine Verkündigung immer wieder von einem Teil der Juden an verschiedenen Orten abgelehnt wird.1008 Sehr deutlich wird diese Trennung auch in der Schilderung der Geschichte Israels im Sinne einer Geschichte des Abfallens von Gott in der Stephanusrede und im scharfen Vorwurf des halsstarrigen Widerstandes der Jerusalemer Juden in Apg 7,51. Dass trotz 1006 Zur heilsgeschichtlichen Relevanz der Verstockung in Röm 11,25-36 vgl. MUßNER, FRANZ, Traktat über die Juden, Göttingen 2009, 55, 58. NICKLAS, TOBIAS, Paulus und die Errettung Israels: Röm 11,25-36 in der exegetischen Diskussion und im jüdisch-christlichen Dialog, in: Early Christianity (2010) [im Druck]. Für MUßNER, FRANZ, Die Kraft der Wurzel: Jesus – Judentum – Kirche, Freibug u.a. 21989, 35, reiht sich also Röm 11,25-36 in den Grundgedanken des Römerbriefes ein: ‚Heil für alle.‘ 1007 MUßNER, Traktat, 61. Insofern in der Thematisierung der heilsgeschichtlichen Funktion des Verstockungsmotivs eine Parallele zwischen dem lukanischen Doppelwerk und dem Römerbrief liegt, präsentiert sich die Apostelgeschichte auch hierin als ein „Scharnier“ (NIEHBUR, Gestalt, 104) zwischen den Evangelien und dem neutestamentlichen Briefcorpus. Diese Parallele ist allerdings rein aus einer synchronen Lektüre der Texte und mit den Augen eines Modelllesers der ‚christlichen Bibel‘ formuliert. Sie sagt also nichts über die Frage aus, ob und inwiefern Lukas historisch gesehen Paulus bzw. dessen Theologie gekannt haben könnte. 1008 LEHNERT, Provokation, 228, spricht sogar davon, dass der Ausbreitung des Wortes eine gegenläufige Negativlinie inhärent ist: Nach dem großen Anfangserfolg wachse der Widerstand bis zum resigniert anmutenden Schluss in Apg 28. Ähnlich konstatiert MUßNER, Traktat, 361, einen Trennungsvorgang, wenn er angesichts Apg 28,25-28 sagt, die Kirche sei ein Produkt der Verstockung Israels.
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des Trennungsprozesses Israel nicht aus dem Heilshandeln Gottes ausgeschlossen ist und die Verstockung Israels letztlich heilsgeschichtliche Bedeutung hat, wie der weitere Kontext des lukanischen Doppelwerks zeigt, wird in Apg 7,51 allerdings noch offen gehalten, wenn die Vorwürfe gegen die Hörer der Stephanusrede in Apg 7,52-53 konkretisiert werden. Durch diese Offenheit des Textes regt er verstärkt zur Reflexion über das Verhältnis zwischen Judentum und entstehendem Christentum an und erweist sich auch hier als ein Schwellentext mit Scharnierfunktion innerhalb der Erzählung des „Weges des Heils“.
Der generelle Vorwurf des Widerstandes gegen den Heiligen Geist durch die Väter und Hörer wird als erstes1009 mit der rhetorischen Frage inhaltlich gefüllt: ti,na tw/n profhtw/n ouvk evdi,wxan oi` pate,rej u`mw/n »Welchen der Propheten haben eure Väter nicht verfolgt?« (7,52a). Da durch diese Formulierung keine Einschränkung gemacht wird,1010 impliziert sie, die Väter hätten sich durch die Verfolgung (wieder generell) aller Propheten, die sich ja als Geistträger auszeichnen, dem Heiligen Geist widersetzt. Damit wird interpretierend zusammengefasst, was im Geschichtsabriss anhand der Ablehnung des Mose, der explizit als Prophet bezeichnet wird (vgl. 7,37), exemplarisch geschildert wird.1011 Analog dazu kann auch die Gegnerschaft gegen Stephanus als Beispiel dieser Prophetenverfolgung verstanden werden, da dieser ebenfalls als geistbegabte, prophetische Gestalt gezeichnet wird (6,3.5.10; 7,55) und seine Rede an einigen Stellen Züge von Prophetenreden zeigt oder sogar explizit Prophetenworte wiedergibt (7,37.42b-43.49-50). Der Vorwurf der Verfolgung der Propheten gewinnt zusätzlich an Gewicht, da hiermit die fest geprägte Vorstellung von der Sendung und Abweisung der von Gott berufenen Propheten, eingespielt wird.1012 Die Intention der in der Regel pauschal formulierten Aussagen von der Misshandlung der Propheten ist immer, Israels Ungehorsam gegenüber Gott auszusagen. Es geht also – meist in polemischen Zusammenhängen – um eine „Israelaussage“1013, in der den Propheten kein eigenständiges Interesse 1009
In Apg 7,52-53 wird dieser Vorwurf insgesamt mit drei konkreten Inhalten entfal-
tet. 1010 Der allgemeine Charakter entsteht durch ti,na und dadurch, dass als Antwort auf die negativ formulierte Frage ouvk evdi,wxan „keinen“ erwartet wird, positiv gewendet also ausgesagt wird, die Väter hätten alle Propheten verfolgt. 1011 Vgl. besonders Apg 7,25.27.35.39. Möglicherweise kann auch indirekt ausgesagt werden, dass die Väter trotz der anklagenden Prophetenworte Apg 7,42b-43 (mit Am 5,25-27) und Apg 7,49-50 (mit Jes 66,1-2a) sich weiterhin ungehorsam von Gott abgewendet haben. Vgl. JERVELL, Apg, 247. 1012 Im Rahmen des deuteronomistischen Geschichtsbildes dient sie ursprünglich zur theologischen Deutung und Erklärung der Geschichte Israels, insbesondere der Katastrophen von 722 und 587 v. Chr. Vgl. WEIHS, Schicksal der Propheten, 20. 1013 WEIHS, Schicksal der Propheten, 20. Zu den typischen Merkmalen dieser Vorstellung von Sendung und Ablehnung der Propheten, der frühen Fassung der schärferen deu-
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zukommt, sondern sie nur als Funktionsträger im Verhältnis zwischen Gott und Israel dienen.1014 Beispielsweise erinnert die Tempelrede Jer 7,1-34 daran, dass Gott seit dem Auszug aus Ägypten immer wieder seine Knechte und Propheten sandte (Jer 7,25), Israel aber ungehorsam und halsstarrig war: kai. ouvk h;kousa,n mou kai. ouv prose,scen to. ou=j auvtw/n kai. evsklh,runan to.n tra,chlon auvtw/n u`pe.r tou.j pate,raj auvtw/n »aber sie hörten nicht auf mich und ließen ihr Ohr nicht Acht geben und verstockten ihren Nacken mehr als ihre Väter.« (Jer 7,26)1015 Als Folge dieses hartnäckigen Ungehorsams, der in Jer 7,27-31 veranschaulicht wird, lässt Gott in Jer 7,32 sein Gericht ankündigen.
Nicht nur der ständige Ungehorsam Israels gegenüber Gott, den die Geschichtsdarstellung der Stephanusrede ausführt und den Apg 7,51 zusammenfasst, ähnelt der Schilderung von Jer 7. Auch die Bezeichnung der Hörer als »halsstarrig« deutet darauf hin, dass Apg 7,51-52 diese Vorstellung der Abweisung von Gott gesandten Propheten enthält, die innerhalb der Stephanusrede analog zur Tempelrede Jer 7 dargelegt wird. Insofern Apg 7,52 den Vätern nicht nur Ablehnung der Propheten, sondern deren Verfolgung (diw,kw) und sogar Tötung vorwirft (kai.1016 avpe,kteinan tou.j prokataggei,lantaj peri. th/j evleu,sewj tou/ dikai,ou »Und getötet haben sie die, die voraus angekündigt haben das Kommen des Gerechten« 7,52b), wird hier auch das Motiv vom gewaltsamen (Tötungs-) Geschick der Propheten eingespielt. Die Intention dieser schärferen Version der Vorstellung von der Ablehnung der Propheten1017 zielt darauf ab, die permanente Halsstarrigkeit Israels gegenüber Gottes Willen in gesteigerter Form zu illustrieren. Damit wird also ebenfalls eine Israelaussage teronomistischen Prophetenaussage vgl. EBD., 19–20. STECK, ODIL HANNES, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten. Untersuchungen zur Überlieferung des deuteronomistischen Geschichtsbildes im Alten Testament, Spätjudentum und Urchristentum (WMANT 23), Neukirchen-Vluyn 1967, 62–63, 92–93. 1014 Subjekt der Misshandlung ist immer Israel, entweder die aktuelle Generation oder deren Vorfahren. Vgl. WEIHS, Schicksal der Propheten, 20. 1015 Bemerkenswert sind die Stichwortverbindungen zwischen Jer 7,26 und Apg 7,51. So besteht zwischen diesen beiden Texten nicht nur motivische, sondern sogar lexematische Analogie. Zur Tempelrede Jer 7,1-8,3. Vgl. LANGE, ARMIN, Gebotsobservanz statt Opferkult. Zur Kultpolemik in Jer 7,1-8,3, in: EGO/LANGE/PILHOFER, Gemeinde ohne Tempel, 17–35, hier bes. 29–30. Auf Analogien zwischen der Stephanusrede und Jer 7 hinsichtlich des polysemen Begriffs o` to,poj macht PENNER, Praise, 309, Anm. 98, aufmerksam. 1016 kai, kann hier steigernd „sogar“ bedeuten. 1017 Vgl. WEIHS, Schicksal der Propheten, 18. Zu den idealtypischen Elementen der deuteronomistischen Prophetenaussage als Teil deuteronomistischen Geschichtsbildes vgl. EBD., 17 mit Anm. 32 in Aufnahme von STECK, Israel, 63–64.
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gemacht, so dass auch hier nicht der Prophet an sich fokussiert wird, sondern nur seine Funktion als Mittler zwischen Gott und Israel. Der älteste Beleg des Motivs vom gewaltsamen (Tötungs-)Geschick der Propheten im Rahmen des deuteronomistischen Geschichtsbildes liegt im Bußgebet Neh 9,6-37 vor: 26 kai. h;llaxan kai. avpe,sthsan avpo. sou/ kai. e;rriyan to.n no,mon sou ovpi,sw sw,matoj auvtw/n kai. tou.j profh,taj sou avpe,kteinan oi] diemartu,ranto evn auvtoi/j evpistre,yai auvtou.j pro.j se, kai. evpoi,hsan parorgismou.j mega,louj 27 kai. e;dwkaj auvtou.j evn ceiri. qlibo,ntwn auvtou,j … »26 Doch sie wurden untreu und fielen von dir ab, warfen dein Gesetz hinter sich und töteten deine Propheten, die gegen sie Zeugnis abgelegt hatten, um sie dir zuzuwenden, und lästerten arg. 27 Du aber gabst sie in die Hand ihrer Bedrücker …« (Neh 9,26-27a) Auch hier bildet die ungehorsame Abwendung Israels von Gott und seinem Gesetz den Ausgangspunkt der Dynamik von der Warnung durch die Propheten einerseits, aber der gewaltsamen Tötung der Propheten als Reaktion Israels andererseits. Als Folge davon wird Strafe durch Gott konstatiert.1018
Ähnlich wie in Neh 9,6-37 deutet Apg 7,52 zusammenfassend den vorher gebotenen Geschichtsrückblick, der besonders anhand der Mosegeschichte die Ablehnung von Gottes Propheten – selbst wenn Mose nicht getötet wird – und vom Gesetz skizziert. Der Vorwurf des Prophetenmords nimmt außerdem Aussagen Jesu auf, mit denen dieser auf seinem Weg nach Jerusalem das Ernstnehmen der Propheten und ihrer Botschaft einklagt (vgl. Lk 11,38-51)1019 und seinen Gegnern die gewaltsame Ablehnung und sogar Tötung der Propheten – in Kontinuität zu den Vätern – anlastet. Das zeigt sich besonders deutlich in Lk 13,33-35. Auf die Warnung der Pharisäer hin, dass Herodes Jesus töten wolle (Lk 13,31), ordnet sich Jesus selbst in die Linie der Propheten ein,1020 indem er gegenüber den Pharisäern als Begründung für sein Weiterwandern die allgemeine Regel anführt: 1018 Vgl. dazu auch WEIHS, Schicksal der Propheten, 18–19. STECK, Israel, 77–80. HIEKE, THOMAS, Die Bücher Esra und Nehemia (NSK.AT 9/2), Stuttgart 2005, 210–223, bes. 218–219. 1019 Mit dem Vorwurf an die Gesetzeskundigen, sie würden mit ihrem Verhalten Jesus gegenüber die Tötung der Propheten durch die Väter fortsetzen (Lk 11,47.49) geht auch eine Gerichtsankündigung einher, falls keine Umkehr erfolge (Lk 11,50-51). Vgl. DÖPP, HEINZ-MARTIN, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Zweiten Tempels im Jahre 70 in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. (TANZ 24), Tübingen/Basel 1998, 38– 39. WOLTER, Lukasevangelium, 252, 435. Vgl. Lk 6,23. 1020 Vgl. auch Lk 7,16; 13,33; 24,19; Apg 2,22. KLEIN, Lukasevangelium, 494. Zum ersten Mal im lukanischen Doppelwerk wird die Kategorie Prophetie in Lk 4,16-30 auf Jesus bezogen, wenn Jesus sich in seiner Selbstvorstellung mit dem Auftrag an Jesaja
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plh.n dei/ me sh,meron kai. au;rion kai. th/| evcome,nh| poreu,esqai( o[ti ouvk evnde,cetai profh,thn avpole,sqai e;xw VIerousalh,m. »Doch ich muss heute und morgen und am folgenden Tag gehen. Denn es steht nicht an, dass ein Prophet zugrunde gerichtet wird außerhalb Jerusalems.« (Lk 13,33) Ziel und Zweck von Jesu Weg nach Jerusalem ist also die Erfüllung seines göttlichen Auftrags, die in Analogie zum Prophetenschicksal eben nur in Jerusalem möglich ist.1021 Die Klage VIerousalh.m VIerousalh,m( h` avpoktei,nousa tou.j profh,taj kai. liqobolou/sa tou.j avpestalme,nouj pro.j auvth,n »Jerusalem, Jerusalem, das die Propheten tötet und steinigt die zu ihm Gesandten!« (Lk 13,34) ist zugleich eine scharfe generalisierende Anklage, in der die Tradition vom gewaltsamen Prophetengeschick auf Jerusalem übertragen wird. Auch im weiteren Verlauf des lukanischen Doppelwerks wird den Jerusalemer Juden die Verantwortung für den Tod Jesu zugeschrieben (Apg 2,23.36; 3,13-15; 4,10; 5,30, 13,27-28), sie repräsentieren aber nicht ganz Israel.1022 Als Grund für das Scheitern Jerusalems wird der Unwille zum Gehorsam gegenüber Jesus genannt, der wiederholt zur Sammlung des Gottesvolkes aufgerufen hat (Lk 13,34c: … ouvk hvqelh,sate »doch ihr habt nicht gewollt«).1023 Als Folge davon wird nicht nur Gottverlassenheit (Lk 13,35a),1024 sondern auch in prophetischer Weise Gericht angekündigt, wobei Jesus als ‚kommender Richter‘ fungieren werde.1025
(Jes 61,1-2; 58,6) identifiziert. In diesem Kontext weist Jesus auch schon daraufhin, dass ihn demnach auch das typische Geschick eines Propheten erwarten wird, nicht in seiner Heimat angenommen zu werden (Lk 4,24). Anfanghaft spiegelt sich diese Ablehnung auch gleich in der Reaktion seiner Zuhörer in Nazaret (Lk 4,29). Mit KLEIN, Lukasevangelium, 191. Anders sieht W OLTER, Lukasevangelium, 197, in Lk 4,24 primär eine Begründung dafür, dass Jesus nicht in Nazaret wirkt. Seine Heimatstadt gehört nicht zum Bereich seiner Sendung, denn Gott schickt seine Propheten nicht in ihre Heimatstädte, weil sie dort abgelehnt werden. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 314, zeigt, dass die Kategorie ‚Prophetie‘, die im Lauf des lukanischen Werkes Jesus immer wieder angetragen wird (vgl. Lk 24,19), mit der Erfahrung von Kreuz und Auferweckung in der Apostelgeschichte zur zentralen ‚christologischen Größe‘ wird (Vgl. Apg 3,13-22). 1021 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 495. Jerusalem als Ort von Jesu Tod wird in betonter Schlussstellung genannt und Jesu Wandern wird als göttliches Muss (dei/) formuliert. 1022 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 495. Aufgrund der Apposition sei Töten und Steinigen zwar hier als zeitlose Wesensaussage, nicht historischer Rückblick formuliert, aber Jerusalem repräsentiere nicht Israel in seiner Gesamtheit. KLEIN, Lukasevangelium, 494, verweist auf Sacharja, der ebenfalls ein solcher gesteinigter Gesandter sei (2 Chr 24,20-22). 1023 Vgl. KLEIN, Lukasevangelium, 494. Das Bild von der Henne sei ein Bild für den Schutz Gottes über Israel (Dtn 32,11; Jes 21,5; Ps 36,8). 1024 Gott verlässt hiernach entweder den Tempel oder das Haus Israel. Beides kann in o` oi=koj u`mw/n enthalten sein. DÖPP, Zerstörung Jerusalems, 41, führt die Analogie zu Jer 12,7 als Argument dafür an, dass hier das Haus Israel gemeint sein dürfte. 1025 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 499, sieht darin die Geschichte Jesu mit Jerusalem in die Zukunft bis zur Parusie hinein verlängert. Vgl. auch KLEIN, Lukasevangelium, 495.
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Was Jesus in Lk 13,33-35 in Form einer anklagenden Gerichtsrede als sein kommendes Schicksal ankündigt, wird also in Apg 7,52 als erfülltes Ereignis festgestellt, wobei die Adressaten der Rede ebenfalls Jerusalemer Juden sind, primär sogar die Synedristen. Die generelle Tötung der Propheten – umschrieben als oi` prokataggei,lantej1026 peri. th/j evleu,sewj tou/ dikai,ou »die voraus angekündigt haben das Kommen des Gerechten« –, die den Vätern im Rückgriff auf den Geschichtsrückblick vorgeworfen wird,1027 wird nämlich gleichzeitig auf die Hörer übertragen: ou- nu/n u`mei/j prodo,tai kai. fonei/j evge,nesqe »dessen Verräter und Mörder nun ihr geworden seid« (7,52c). In dieser Anschuldigung liegt sogar eine Steigerung, da die Zuhörer nicht nur die Propheten getötet haben, sondern sogar den von diesen angekündigten »Gerechten«.1028 Als prodo,tai werden die Adressaten mit Judas Iskariot parallelisiert, der im Rahmen der Berufung der Zwölf ebenfalls mit dem Zusatz vorgestellt wird: o]j evge,neto prodo,thj »der Verräter wurde« (Lk 6,16). Sie sind aber nicht nur Verräter des Gerechten geworden wie Judas, sondern darüber hinaus auch Mörder (fonei/j1029). Die Tragweite dieses schuldhaften Vergehens und folglich auch die Schärfe der Anschuldigung verdeutlicht sich weiterhin angesichts der Petrusrede im Tempel Apg 3,13-26, die zum einen über das Stichwort o` di,kaioj in Apg 7,52 eingespielt wird, zum anderen durch das Motiv des Prophetenmordes. In Form eines Kontrastschemas hält Petrus den Jerusalemer Juden zunächst ihre Schuld am Tod Jesu vor Augen: Erstens hätten sie diesen von Gott selbst verherrlichten Knecht Jesus ausgeliefert und verleugnet (o` qeo.j tw/n pate,rwn h`mw/n( evdo,xasen to.n pai/da auvtou/ VIhsou/n o]n u`mei/j me.n paredw,kate kai. hvrnh,sasqe Apg 3,13), zweitens den Heiligen und Gerechten verleugnet, dagegen aber einen Mörder begünstigt (u`mei/j de. to.n a[gion kai. di,kaion hvrnh,sasqe kai. hv|th,sasqe a;ndra fone,a carisqh/nai u`mi/n Apg 3,14) und drittens den »Führer zum Leben« sogar getötet (to.n de. avrchgo.n th/j zwh/j avpektei,nate Apg 3,15a). Der schärfste Kontrast und zugleich Vorwurf liegt darin, dass Gott selbst genau
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Dieses Kompositum betont das ‚Im-Voraus‘ der Ankündigung durch die Prophe-
ten. 1027
Zwar erinnert das Wortfeld di,kaioj innerhalb der Stephanusrede zunächst an Mose, der in Apg 7,25.35 als von Gott eingesetzter Richter dargestellt wird. Aber Mose kann hier nicht gemeint sein, weil er selbst in Apg 7,37 als genau der Prophet vorgestellt wird, der einen anderen von Gott eingesetzten Propheten ankündigt, also eher zur Gruppe derer zählt, die das Kommen dieses Gerechten ansagt. Außerdem ist Mose – wie die Rede zeigt – eher Opfer der Väter Israel, nicht direkt der Hörer der Rede. 1028 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 328. 1029 Das Lexem verbindet ebenfalls mit Apg 3,14, wo der von den Jerusalemer Juden begünstigte Mörder ebenfalls als foneu,j bezeichnet wird.
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diesen von ihnen Getöteten auferweckt hat: o]n o` qeo.j h;geiren evk nekrw/n (Apg 3,15b).1030 Für Apg 7,52b ist vor allem die Bezeichnung Jesu als o` (a[gioj kai.) di,kaioj (Apg 3,14) in diesem ersten Teil1031 der Petrusrede interessant. Damit wird nicht nur einfach im Sinn eines Adjektivs die Unschuld1032 Jesu ausgedrückt. Sondern darüber hinaus wird Jesus wegen der Kombination mit der Bezeichnung als pai/j »Knecht« (Apg 3,13b)1033 auch als der unschuldig leidende Gottesknecht (Jes 53,11) begriffen (vgl. auch Lk 23,41.47). So wie »Gerechter« nach Jes 53,11 der dem Gottesknecht adäquate Titel ist, zeigt sich in Apg 3,13-15, dass »Gerechter« im lukanischen Doppelwerk sachlich mit der Bezeichnung Jesu als Gottesknecht gleichzusetzen ist.1034 Demnach ist im Begriff o` di,kaioj aufgrund von Jes 53 schon eine Deutung des Todes Jesu impliziert, denn er verweist auf den Tod des »Knechts« und damit darauf, dass sich die verheißene Schuldbefreiung und Erlösung »der Vielen« (Jes 53,11-12) erfüllt (vgl. Apg 3,18).1035 Weiterhin deutet o` di,kaioj auf Auferweckung und Erhöhung (vgl. Apg 3,13.15) hin, denn in Jes 52,13 ist die Erhöhung des Knechts die Folge seiner Leidensexistenz und besiegelt das durch seinen Stellvertretungstod in Kraft gesetzte Heil.1036 1030 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 191. FITZMYER, Acts, 385. JERVELL, Apg, 247. Auch in Apg 4,27 im Gebet der Apostel in ihrer Verfolgung findet sich dieses Kontrastschema. 1031 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 181. 1032 Eine ausführliche Untersuchung zu o` di,kaioj im lukanischen Doppelwerk, ausgehend von Lk 23,32-49 bietet MITTMANN-RICHERT, ULRIKE, Der Sühnetod des Gottesknechts. Jesaja 53 im Lukasevangelium (WUNT 220), Tübingen 2008. Sie spricht sich für ein titulares Verständnis von in Lk 23,41.47 aus. Vgl. EBD., besonders 89–96. Ähnlich WOLTER, Lukasevangelium, 763. KLEIN, Lukasevangelium, 714. (vgl. Ps 31,19; 34,20; 37,32; 94,21). Dagegen eine ‚moralische‘ Verwendung von o` di,kaioj sehen ZMIJEWSKI, Apg, 191. ROLOFF, Apg, 75 u.a. 1033 Vgl. BARRETT, Acts, 196. Ein weiteres Argument für das Verständnis von o` di,kaioj als messianischer Titel liege in der kontrastierenden Formulierung des Mörders als avnh,r fone,a (Apg 3,14). Außerdem weist die Verbindung mit o` a[gioj auf die Möglichkeit eines messianischen Verständnisses hin. 1034 Vgl. MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, 95. Von einer Art messianischem Titel sprechen BARRETT, Acts, 195–196. ZMIJEWSKI, Apg, 328. Laut JERVELL, Apg, 247, stellt Jesus als den „Gesetzesvollkommenen“ (vgl. Röm 3,26) dar. Vorsichtiger formuliert SCHRENK, GOTTLOB, di,kaioj, in: ThWNT II, 184–193, hier 190, „messianische Bezeichnung“. BÖTTRICH, Proexistenz, 432, Anm. 52, erklärt, die wiederholte Behauptung, dass der Messias „gemäß der Schrift“ leiden müsse (Lk 24,46; Apg 3,18; 17,3; 26,22f.), finde am ehesten im Bezugsrahmen des leidenden Gottesknechts Jes 53 eine Erklärung, auch wenn der Gottesknecht in Jes 53 nicht als messianische Gestalt gezeichnet werde. 1035 Vgl. MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, 95, sieht in „Gerechter“ im Hinblick auf das Kreuzesgeschehen alle anderen Titulaturen eingeschlossen, „weil er die im Tod sichtbar werdende Heilsbedeutung dessen mitaussagt [sic!], der von Geburt an als Gottessohn offenbar ist.“ (vgl. Lk 23,32-49). 1036 Vgl. MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, 293. SCHRENK, di,kaioj, in: ThWNT II, 190– 191, verweist auch auf Apg 22,14, wo die Beglaubigung des schuldlos Hingerichteten in der Auferstehung ausgedrückt werde. In Joh 5,30 sei auch Jesu Funktion als (kommender) gerechter Richter Gottes enthalten.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Im zweiten Teil der Petrusrede wird das Handeln der Jerusalemer Juden an diesem leidenden gerechten Gottesknecht Jesus auf zweifache Weise bewertet. Das Unwissenheitsmotiv (Apg 3,17b) gründet in der Sendung des Knechts, zu der verheißungsgemäß gehört (Jes 53,2f.), dass er von den Menschen nicht erkannt und anerkannt wird, sondern erst sein Tod zum Verständnis seiner Sendung führt.1037 Neben dieser Entlastung der Jerusalemer Juden erfolgt eine zweite Bewertung ihres Handelns durch den Hinweis auf die Übereinstimmung des Todes Jesu mit Gottes Ankündigung durch die Propheten in Apg 3,18:1038 o` de. qeo,j( a] prokath,ggeilen dia. sto,matoj pa,ntwn tw/n profhtw/n paqei/n to.n cristo.n auvtou/( evplh,rwsen ou[twjÅ »Gott aber hat, das was er durch den Mund aller Propheten vorher verkündet hat, das Leiden seines Gesalbten auf diese Weise erfüllt.« Dadurch wird das Leiden Jesu auf Gottes Heilswillen zurückgeführt.1039 Die daran anschließende Aufforderung zu Buße und Umkehr (Apg 3,19-21) wird mit der Identität Jesu mit dem Propheten »wie« Mose begründet. Weil demnach Jesus diese Offenbarung eines Propheten wie Mose (Dtn 18,15) erfüllt,1040 soll auf ihn gehört werden. Im Umkehrschluss dazu zieht Ungehorsam gegen Jesus Strafe nach sich (Apg 3,23).
Mit o` di,kaioj ist in Apg 7,52 ähnlich wie in Apg 3,13-15 eine Deutung Jesu und seines Todes impliziert, die zugleich damit formuliert wird, dass die Adressaten der Rede als prodo,tai kai. fonei/j angeklagt werden. Damit wird nämlich ebenfalls deutlich auf das Motiv des leidenden gerechten Gottesknechts angespielt, der von den Menschen verachtet wird. Zugleich wird dieser »Gerechte« als Prophet ausgewiesen, nicht nur insofern er dasselbe Schicksal erleidet wie die Propheten, die sein Kommen angekündigt haben, sondern auch durch die Anspielung auf Apg 3,22. Denn vor dem Hintergrund von Apg 3,13-15.18 wird Jesus, der Gerechte, dort mit dem angekündigten Propheten »wie« Mose identifiziert. In dieser Kombination der Motive des leidenden gerechten Gottesknechts und des Propheten »wie« Mose, der das typische Prophetenschicksal erleidet, wird in Apg 7,52 implizit eine christologische Aussage gemacht. Schon allein durch die Implikationen in diesen Motiven wird das Vergehen der Zuhörer betont.1041 Zusätzlich wird ihre Schuld vor dem Hintergrund von Apg 3,13-15 dadurch unterstrichen, dass sie in Form eines ähnlichen Kontrastschemas 1037
Vgl. MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, 293. Deshalb finde sich die Prädikation Jesu als pai/j auch erst in der Apostelgeschichte, im Lukasevangelium dagegen nicht. 1038 Vgl. JERVELL, Apg, 247. Weitere Beispiele für die Verwendung von katagge,llw in diesem Sinn sind Apg 3,24; 4,2; 13,38; 17,3.13.23 u.a. 1039 Vgl. MUßNER, Traktat, 302. Auch weitere Texte der Apg (vgl. Apg 2,23; 3,15-18; 13,27b-28 u.a.) nennen neben dem vordergründig-geschichtlichen Grund für den Tod Jesu, es sei eine Tat der jüdischen und römischen Prozessgegner Jesu gewesen, als eigentlichen Grund für den Tod Jesu den Willen Gottes, der in der Schrift geoffenbart wird. 1040 Vgl. MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, 289. 1041 Vgl. WITHERINGTON, Acts, 274.
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formuliert wird, das Jesus mit verschiedenen Prädikationen, die seinen Gottesbezug ausdrücken, dem Vergehen seiner Gegner gegenüberstellt. Apg 3,13 evdo,xasen to.n pai/da auvtou/ VIhsou/n o]n u`mei/j me.n paredw,kate kai. hvrnh,sasqe … Apg 3,14 u`mei/j de. to.n a[gion kai. di,kaion hvrnh,sasqe … Apg 3,15 to.n de. avrchgo.n th/j zwh/j avpektei,nate … Apg 7,52 peri. th/j evleu,sewj tou/ dikai,ou( ou- nu/n u`mei/j prodo,tai kai. fonei/j evge,nesqe( Selbst wenn von Verherrlichung (Apg 3,13) oder Auferweckung (Apg 3,15) durch Gott in Apg 7,52 keine Rede ist, der Kontrast zu Gottes Handeln an Jesus also nicht aufgezeigt wird, bleibt die Schuld der Zuhörer unvermindert stehen. Im Vergleich zu Apg 3,13-26 werden sie nämlich weder mit dem Unwissenheitsmotiv (Apg 3,17b) entlastet noch mit dem Hinweis, die Tötung Jesu, des Gerechten, sei Teil von Gottes angekündigtem Heilsplan (Apg 3,18).1042 So bleibt ohne Umkehr- oder Bußruf vor allem das kontrastierende Gegenüber des von den Propheten angekündigten Propheten und Gerechten Jesus stehen.1043 Dieses Handeln gegen den Willen Gottes, das im Gegensatz zu »dem Gerechten« steht wird auch im nächsten Vorwurf aufgenommen, der in Form einer Anrede an die in 7,52 »Verräter und Mörder des Gerechten« Genannten formuliert wird: oi[tinej1044 evla,bete to.n no,mon eivj diataga.j avgge,lwn kai. ouvk evfula,xate »ihr, die ihr das Gesetz durch Anordnungen von Engeln empfangen und nicht gehalten habt.« (7,53)
1042
Das Fehlen von Gottes Plan und des Umkehrrufes fällt umso stärker insofern auf, als auch Apg 2,23.37; 4,27 ähnlich wie Apg 3,13-26 diese Elemente enthalten. Vgl. GAVENTA, Acts, 130. JESKA, Geschichte Israels, 213, sieht im Ende der Stephanusrede sogar das Ziel, die nicht mehr mögliche Umkehr der Jerusalemer Juden bzw. jüdischen Bewohner des verheißenen Landes aufzuzeigen. Damit sei aber keine Verwerfung aller Juden impliziert. 1043 Möglicherweise kann auch auf eine Gerichtsankündigung verwiesen werden. Dieser Gerechte, der das gewaltsame Prophetengeschick erfahren hat, ist nämlich identisch mit dem in Apg 3,22 angekündigten Propheten wie Mose, auf den gehört werden soll, während bei Ungehorsam gegen ihn Strafe angekündigt wird (Apg 3,23). Darin kann auch ein Vorverweis auf die Vision des Stephanus Apg 7,55-56 gesehen werden, da dort in der Aussage der Erhöhung Jesu als Menschensohn zugleich ein Gerichtsaspekt enthalten ist. 1044 oi[tinej wird in einem qualitativen Sinn verwendet, womit die Schärfe der Formulierung erhöht wird. Vgl. BARRETT, Acts, 377.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Mit der Aussage, die Adressaten hätten das Gesetz durch Anordnungen von Engeln empfangen (eivj1045 diataga.j avgge,lwn), wird im Rückgriff auf die Gesetzesgabe an Mose (7,38: meta. tou/ avgge,lou tou/ lalou/ntoj auvtw/| …, o]j evde,xato lo,gia zw/nta) auf die Kontinuität zwischen Mose, den Vätern Israels und den Adressaten selbst aufmerksam gemacht. Die Beteiligung von Engeln bei der Gesetzesgabe kann zwar als Abwertung des Gesetzes begriffen werden, insofern es ‚nur‘ durch Anordnungen von Engeln, nicht unmittelbar von Gott kommt, aber ebenso kann es nach jüdischer Tradition auf den besonderen Wert des Gesetzes sowie die Transzendenz Gottes hinweisen (vgl. Dtn 33,2). Letzteres Verständnis ist hier näherliegend, da auch innerhalb der Stephanusrede das Gesetz durchgehend positiv bewertet wird, wie z.B. in der Umschreibung als lo,gia zw/nta (Apg 7,38).1046 Umso anstößiger ist, dass die Adressaten der Rede das Gesetz nicht bewahren – ebenso wenig wie ihre Väter (7,39). Zwar wird dieser generelle Vorwurf1047 nicht weiter ausgeführt, aber zum einen ist aufgrund der Parallelisierung mit den Vätern an ähnliche Vergehen zu denken, wie 7,39-47 bezüglich Götzendienst und Tempelvorstellung berichten, zum anderen wird diese Anschuldigung mit den Vorwürfen des Widerstandes gegen den Heiligen Geist (7,51b) und der Ermordung des Gerechten als Gipfel der Gesetzesmissachtung (7,52b.c) ausreichend illustriert. Auch durch das Verb fulla,ssw wird die Qualität des Gesetzes und dementsprechend die Anstößigkeit des Verstoßes dagegen ausgedrückt. Häufig begegnet fulla,ssw im Imperativ in Verbindung mit no,moj und formuliert dabei oftmals den Zusammenhang zwischen Erfüllung des Gesetzes und Heil (bzw. Unheil bei Nicht-Erfüllung des Gesetzes). Beispielsweise wird in Dtn 7,9-11 ausgehend von der Betonung, dass Gott selbst treu seinen Bund erfüllt (qeo.j pisto,j o` fula,sswn diaqh,khn), dessen Zuwendung für diejenigen angekündigt, die im Gegenzug zu Gottes Treue seine Gebote achten (kai. e;leoj toi/j 1045
eivj wird hier als evn verstanden und instrumental verwendet. Vgl. FITZMYER, Acts, 385. BARRETT, Acts, 377. 1046 Vgl. JERVELL, Apg, 247. ZMIJEWSKI, Apg, 328. FITZMYER, Acts, 385, erklärt, dass hier ein zeitgenössisch jüdischer Glaube anklingt, wonach das Gesetz nicht von Gott selbst, sondern durch Engel an Mose gegeben wurde, wie es auch in Dtn 33,2 LXX; Apg 7,38; Gal 3,19; Hebr 2,2; Jub 1,27-29 und bei Josephus zu finden ist. Ebenso TIWALD, MARKUS, Hebräer von Hebräern. Paulus auf dem Hintergrund frühjüdischer Argumentation und biblischer Interpretation (HBS 52), Freiburg u.a. 2008, 330–331. Der Gesetzesempfang aus Engelshand diene der positiven Unterstreichung der Wichtigkeit des Gesetzes und im Gegenzug dazu als Argument dafür, die Schuld der Gesetzesübertreter noch stärker zu betonen. Tiwald verweist auch auf Hebr 2,2-3 und Hirt des Hermas 69,3. Zur Frage, ob Gal 1,22 den Bericht von Apg 7,58-8,3 konterkariert, vertritt Tiwald die Ansicht, die lukanischen Aussagen seien stark schematisiert und würden Paulus sehr holzschnittartig zuerst als Verfolger, dann als Bekehrten vor Augen führen. 1047 Vgl. SPENCER, Acts, 80. Es werden keine speziellen Gesetzesbrüche genannt.
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avgapw/sin auvto.n kai. toi/j fula,ssousin »und das Erbarmen hält für die, die ihn lieben und seine Gebote halten«). Dtn 7,10 zeichnet dann das Gegenbild dazu, denn demnach vertilgt Gott die, die ihm Feind sind. Als Folge davon ruft Dtn 7,11 noch einmal eindringlich dazu auf, das Gesetz zu erfüllen (kai. fula,xh|), und im Zusammenhang damit wird in Aussicht gestellt, dass Gott seinen Bund hält und umfassendes Wohlergehen schenkt: … kai. fula,xhte kai. poih,shte auvta, kai. diafula,xei ku,rioj o` qeo,j sou, soi th.n diaqh,khn kai. to. e;leoj o] w;mosen toi/j patra,sin u`mw/n »… immer wenn ihr alle diese Rechtssätze hören und sie halten und tun werdet, dann wird auch der Herr, dein Gott, die Verfügung und das Erbarmen für dich sorgfältig bewahren, wie er deinen Vätern geschworen hat.« (Dtn 7,12) Die Verbindung zwischen Bewahrung der Gesetze und Heil veranschaulicht auch die Aufforderung, die Kinder Israels auf die Erfüllung der Gesetze zu verpflichten (Dtn 32,46-47). Als Begründung dafür werden nämlich die Gesetze bzw. das Wort Gottes als »ihr Leben« bezeichnet: 46 … evntelei/sqe toi/j ui`oi/j u`mw/n fula,ssein kai. poiei/n pa,ntaj tou.j lo,gouj tou/ no,mou tou,tou 47 o[ti ouvci. lo,goj keno.j ou-toj u`mi/n o[ti au[th h` zwh. u`mw/n kai. e[neken tou/ lo,gou tou,tou makrohmereu,sete evpi. th/j gh/j eivj h]n u`mei/j diabai,nete to.n Iorda,nhn evkei/ klhronomh/sai auvth,n »46 … was ihr euren Kindern gebieten sollt, alle Worte dieses Gesetzes zu befolgen und zu tun. 47 Denn dies sei für euch kein leeres Wort, denn dies ist euer Leben, und wegen dieses Wortes werdet ihr in dem Land lange leben, in das ihr über den Jordan dort hinüberzieht, um (es als) Erbbesitz zu erhalten.« (Dtn 32,46-47) Analog dazu spricht auch Jesus dem Gehorsam und der Erfüllung des Wortes Gottes Heilswirksamkeit zu:1048 evnou/n maka,rioi oi` avkou,ontej to.n lo,gon tou/ qeou/ kai. fula,ssontej »Erst recht selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.« (Lk 11,28)
Demnach ist auch in Apg 7,53 mit fulla,ssw der Zusammenhang von Gesetzes-Bewahrung und Heil eingespielt, der wiederum der Qualifizierung des Gesetzes als lo,gia zw/nta (7,38) korrespondiert. Da hier aber den Adressaten das Nicht-Bewahren des Gesetzes vorgeworfen wird und im Umkehrschluss zur Heil bewirkenden GesetzesBewahrung Unheilankündigung zu erwarten sein dürfte (vgl. Neh 9,26-27; Jer 7,32-34), kann 7,53 zugleich implizit als Ansatzpunkt für eine Gerichtsansage verstanden werden. Dies legt sich weiterhin insofern nahe, als dieser Vorwurf unmittelbar auf die kritische Bewertung des ‚Gottes-Haus-Baus‘ durch Salomo am Ende der Geschichtsdarstellung (7,47-50) folgt. Das Nicht-Erfüllen des Willens Gottes und die Konsequenzen davon werden nämlich auch in 1 Kön 9,4-9 mit dem Verb fula,ssw formuliert. Nach dem Tem1048
Vgl. BARRETT, Acts, 378. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 386. Weitere Texte, in denen die Kombination von fulla,sw und no,moj zu finden ist, sind z.B. Ex 13,10; Lev 19,9.37; Dtn, 6,17; Dtn 24,8; 2 Kön 10,31; 1 Chr 22,12; Ps 104,45; 118,44.55.57.136; Vgl. darüber hinaus Lk 18,21; Apg 16,4; 21,24.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
pelbau sagt Gott Salomo unter der Bedingung, dass dieser alle Gebote und Vorschriften erfülle (1 Kön 9,4: kai. su. eva.n poreuqh/|j evnw,pion evmou/ kaqw.j evporeu,qh Dauid o` path,r sou evn o`sio,thti kardi,aj kai. evn euvqu,thti kai. tou/ poiei/n kata. pa,nta a] evneteila,mhn auvtw/| kai. ta. prosta,gmata, mou kai. ta.j evntola,j mou fula,xh|j »Und wenn du vor mir wandelst, wie dein Vater David gewandelt ist, in Heiligkeit des Herzens und in Aufrichtigkeit, und indem du handelst gemäß allem, was ich ihm befohlen habe, und meine Anordnungen und meine Gebote beachtest«) den ewigen Bestand seines Königtums zu (1 Kön 9,5a: kai. avnasth,sw to.n qro,non th/j basilei,aj sou evpi. Israhl eivj to.n aivw/na … »so werde ich den Thron deines Königtums über Israel für immer aufrichten …«). Für den Fall, dass Salomo und seine Söhne sich von Gott abwenden (eva.n de. avpostrafe,ntej avpostrafh/te u`mei/j kai. ta. te,kna u`mw/n avpV evmou/; 1 Kön 9,6) und Gottes durch Mose gegebene Gebote und Gesetze nicht erfüllen (kai. mh. fula,xhte ta.j evntola,j mou kai. ta. prosta,gmata, mou a] e;dwken Mwush/j evnw,pion u`mw/n; 1 Kön 9,6), sondern andere Götter verehren, kündigt Gott an, Israel aus dem Land zu entfernen und zum Gespött bei allen Völkern zu machen sowie den Tempel zu verwerfen (1 Kön 9,7-8). Die Dringlichkeit, Gottes Gesetze zu erfüllen, ist also angesichts dieser harten Konsequenzen, die primär in einer Distanz Gottes zu Israel liegen, im Falle eines Widerstandes, unübersehbar.
Nicht nur durch die Referenzen auf Texte, die Gerichtsankündigungen Gottes bei Nicht-Erfüllen seines Willens enthalten, wird der Vorwurf in 7,53 äußerst massiv, sondern auch durch die darin enthaltene scharfe Provokation. Denn die Anklage gegen Stephanus, er rede gegen das Gesetz und Mose (6,11.13-14), wird damit auf seine Ankläger zurückgewendet. Sie, die Synedristen, sind es, die gegen das Gesetz handeln (z.B. in der Ermordung des Gerechten), nicht Stephanus, der innerhalb der Rede deutlich für eine Einhaltung des Gesetzes plädiert.1049 Damit kommt es nun zu einer Rollenverschiebung, die sich schon seit 7,51 angebahnt hat: die Ankläger werden zu Angeklagten.1050 9.3 Fazit Da der Geschichtsrückblick mit einer großen Leerstelle nach der prophetischen Kritik am ‚Gottes-Haus-Bau‘ Salomos endet und sich daran die aktualisierenden Vorwürfe an die Hörer der Stephanusrede (7,51-53) anschließen, werden diese unmittelbar mit Salomo verbunden. Insofern biblische Geschichtsdarstellung der Reflexion und Konstruktion von Iden-
1049 Vgl. JERVELL, Apg, 247–248. ZMIJEWSKI, Apg, 328. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 386. 1050 Ähnlich spricht SPENCER, Acts, 79, von „condemnation of his condemners“. Vgl. auch GAVENTA, Acts, 130. Als Angeklagte werden sie auch in 7,55-56 implizit geschildert, insofern dort eine Art ‚doppelte Gerichtsszene‘ gezeichnet wird.
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tität dient,1051 wird die Identität der Zuhörer hier in engen Zusammenhang mit dem hier negativ bewerteten Salomo gebracht. Beginnend mit den beiden vorwurfsvollen Anreden sklhrotra,chloi kai. avperi,tmhtoi kardi,aij kai. toi/j wvsi,n (7,51a), die zum einen die Gottesrede von Ex 33,3.5, zum anderen diverse prophetische Anklagen aufnehmen, wird den Adressaten der Stephanusrede genereller Widerstand gegen den Heiligen Geist in Kontinuität mit ihren Vätern vorgeworfen (7,51b). Dies wird auf dreifache Weise entfaltet: Zuerst wird in Analogie zum biblischen Motiv des gewaltsamen Schicksals der Propheten den Vätern Israels Prophetenverfolgung und -tötung angelastet (7,52a). In Fortsetzung dazu werden die Adressaten der Rede beschuldigt, den von den Propheten angekündigten »Gerechten« verraten und getötet zu haben (7,52b), was in den wieder generellen Vorwurf an die Adressaten mündet, das Gesetz nicht zu bewahren (7,53). Damit wird also die Anklage gegen Stephanus, blasphemisch gegen das Gesetz zu reden, auf die Ankläger umgewendet – ähnlich wie in 7,48-50 der Vorwurf der blasphemischen Position zum Tempel. Da hierbei auf prophetische Anklagereden, auf Jesu Kritik an den Jerusalemern (Lk 13,34-35) und auf die Petrusrede Apg 3,13-26 angespielt wird, werden die prophetischen Konturen der Figur des Stephanus erneut klarer. Außerdem ist die Schärfe der Kritik an den Adressaten in prophetischer Manier nicht zu überhören. Da in 7,51-53 explizit das Schema „wie eure Väter, so auch ihr“ formuliert wird, zeigt sich, dass der Sinn des Geschichtsrückblicks nicht nur in einem einfachen Nacherzählen besteht, sondern der Aktualisierung dient. Die Geschichte der Gottesbegegnung Israels, die schon durch die Art und Weise der Vergangenheitsdarstellung (z.B. durch Raffungen, Akzentuierungen und Reflexionen) mit Interpretationen versehen wird, wird nun noch einmal zusammenfassend gedeutet und erhält damit aktuelle Bedeutung für das Verständnis der Gegenwart der Adressaten. Damit bildet sich also hier ausdrücklich der anamnetische Charakter biblischer Erzählung der „Geschichte der Gottesbegegnung“1052 ab. Wenn diese der Identitätsstiftung und -vergewisserung1053 dient und hier primär die Geschichte der Ablehnung Gottes und seiner Heilsmittler und Propheten konstruiert wird – die Verheißungen an Abraham, mit denen der Geschichtsrückblick beginnt, werden in 7,51-53 nicht erwähnt –, wirkt die Kritik an den Adressaten umso schärfer. Dadurch entsteht nämlich der Eindruck, ihre Identität gründe 1051 So zeigen z.B. BACKHAUS/HÄFNER, Historiographie, 31, 42–47, wie das lukanische Doppelwerk als Geschichtsschreibung ein „Gedächtnisbild des Urchristentums“ zeichnen, um damit zur Identitätsbildung beizutragen. 1052 STEINS, Kanon und Anamnese, 121. 1053 Ähnlich spricht SCHNELLE, Historische Anschlussfähigkeit, 58, davon, dass Geschichtserzählung einen inneren Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektiven herstellt.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
vor allem in dieser Unheilsgeschichte. Dieser Effekt wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass Stephanus sich hier zum ersten Mal konsequent von seinen Hörern abgrenzt (u`mei/j), während er sich – abgesehen von 7,4 – innerhalb des Geschichtsrückblicks immer mit ihnen identifiziert (auch hinsichtlich der Geschichte von der Abwendung von Gott 7,39-43). Demnach unterscheidet sich die Identität des Stephanus genau an dieser Stelle von der seiner Gegner, an der ihnen Widerstand gegen den Heiligen Geist und Tötung des Gerechten vorgeworfen wird. Positiv formuliert: Stephanus wird durch – hier nicht näher präzisierte – Akzeptanz des Gerechten charakterisiert, die zu seiner Identität dazugehört. Kann Stephanus dann aufgrund von 7,51-53 tatsächlich als ‚Symbol der Trennung‘ zwischen Judentum und Christentum begriffen werden? Wird hier – ähnlich wie in der Tempelkritik – also „das Selbstverständnis des Judentums von seiner Geschichte her ganz fundamental in Frage“1054 gestellt oder zeigt sich gar der „Riss“, der „nothwendig Judenthum und Christenthum immer weiter von einander trennen musste“1055? Eine Distanzierung des Stephanus von seinen Adressaten, die aus den Jerusalemer Juden samt ihrer Führungsschicht bestehen, und scharfe Kritik an ihnen, ist keineswegs zu leugnen. Gegen eine zu drastische Deutung mit der Gefahr der Abwertung der Juden spricht allerdings, dass als Adressaten des Stephanus nicht pauschal „die Juden“ kritisiert werden, sondern die in 6,9-7,1 genannten Gegner des Stephanus, die sich aus Jerusalemer Juden (6,9.12a) und ihren Führungsautoritäten zusammensetzen. Es handelt sich also um eine lokal begrenzte jüdische Gruppe – ähnlich wie auch sonst, wenn in der Apostelgeschichte von der Ablehnung der Verkündigung durch jüdische Adressaten die Rede ist (vgl. Apg 13,46-47).1056 Außerdem zeigt der ausführliche Geschichtsrückblick die kontinuierliche Erfüllung der Verheißungen Gottes an Abraham und seine Nachkommen, zu der auch gehört, dass Gott trotz der Ablehnung durch die Väter Israels seine Gegenwart weiterhin gewährleistet (vgl. 7,44-46).
1054
ROLOFF, Apg, 118. BAUR, Paulus, 49. 1056 Dieses Argument gegen eine Verwerfung „der Juden“ im lukanischen Doppelwerk führt auch EISEN, Poetik, 214, an. Die Frage nach der Rolle der Juden im lukanischen Doppelwerk wird in der Regel vor dem Hintergrund von Apg 28,23-28 und der Einspielung von Jes 6,9f. diskutiert. Ausführlich dazu vgl. EISEN, Poetik, 211–216. SCHIFFNER , Lukas liest Exodus, 388–393. WASSERBERG, Israels Mitte, 94–112. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 438–445. LEHNERT, VOLKER A., Die ‚Verstockung Israels‘ und biblische Hermeneutik. Ein exegetisches Kabinettstück zur Methodenfrage, in: ZNT 8 (2005) 13–19. DERS., Provokation. KARRER, Und ich werde sie heilen. 1055
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Dass die Verheißungen an Abraham und seine Nachkommen hier nicht mehr erwähnt werden, verstärkt zwar den Eindruck einer Unheilsgeschichte, aber zugleich werden die Verheißungen, deren Erfüllung im Geschichtsrückblick ebenfalls deutlich wird, auch nicht rückgängig gemacht. Damit geht einher, dass 7,51-53 – besonders auch im Gegensatz zu Apg 3,13-26, diversen prophetischen Anklagen und nicht zuletzt Jesu Kritik Lk 13,34-35 – keine explizite Straf- oder Gerichtsandrohung formuliert. Da an dieser Stelle die Reaktion Gottes auf seine Ablehnung und die seiner Propheten und des Gerechten nicht erwähnt wird, bleibt es im Moment dabei, den Adressaten einen Spiegel vorzuhalten.1057 Angesichts dieser Reflexion über die unheilvolle Geschichte und angesichts der Gegenposition der prophetischen Gestalt des Stephanus, die sich an der entscheidenden Stelle dieser Ablehnungsgeschichte, nämlich hinsichtlich der Haltung zum Gerechten, davon distanziert, werden den Adressaten zwei Wege vorgestellt, sich zu Gott und seinen Propheten zu positionieren. Insofern Stephanus selbst als prophetische Gestalt ganz in der Linie der Propheten Israels und Jesu gezeichnet ist, kann sich sogar an der Reaktion auf seine Rede zeigen, wie sich die Adressaten entscheiden. Damit aktualisiert sich erneut die Geschichte Israels, in der sich am Verhalten der Väter gegenüber den Mittlern Gottes ihre Position zu Gott selbst abgebildet hat. Indem hier also die Vergangenheitsdeutung in Bezug zur Gegenwart gesetzt wird, erfolgt an dieser Stelle eine Selbstvergewisserung für Stephanus und seine Gegner, die zugleich für deren Zukunft relevant ist.
10 Lektüre von Apg 7,54-8,1a 10.1 Strukturanalyse Das vorangestellte Partizip avkou,ontej in 7,54 signalisiert den Beginn eines neuen Abschnitts, indem es die Zuhörer als neues Subjekt ausweist und somit das Ende der Stephanusrede anzeigt. Dementsprechend wird hier von der Reaktion der Hörer auf die Rede, die in Ablehnung besteht, berichtet. Vers 55 setzt neu an, da mit dem Partizip Singular u`pa,rcwn ein erneuter Subjektwechsel weg von der Hörerschaft hin zu Stephanus markiert wird, unterstrichen durch das hier adversative de,. Dass nun wieder Stephanus im Blick ist, wird außerdem durch die Wendung plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou deutlich, die die ähnlichen Beschreibungen in 6,3.5.10 aufnimmt. Nach dieser Charakterisierung des Stephanus schildert 7,55 seine Vision von der Herrlichkeit Gottes und Jesu zur Rechten Gottes. Diesen Inhalt seiner Vi1057
Erst die Fortsetzung der Stephanusepisode wird die Reaktion der Adressaten der Rede zeigen, aber auch die Reaktion Gottes bzw. des Gerechten (vgl. Apg 7,55-56).
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
sion teilt daraufhin in 7,56 Stephanus selbst in direkter Rede mit etwas veränderter Wortwahl mit. Da das Partizip kra,xantej am Anfang von 7,57 wieder die Zuhörer als Subjekt enthält, thematisiert der nun folgende Abschnitt erneut deren Reaktion. Diese besteht in einer sich steigernden gewalttätigen Ablehnung von Stephanus, die letztlich in seiner Steinigung außerhalb der Stadt mündet (7,57-58a). Als Detail davon hält 7,58b fest, dass die Zeugen ihre Kleider vor einem Mann namens Saulus ablegen. Nach einer zweiten Notiz über die Steinigung des Stephanus durch diese Zeugen fokussiert 7,59-60 Stephanus selbst innerhalb dieses Geschehens: 7,59b gibt in wörtlicher Rede das (Sterbe-)Gebet des Stephanus in Anlehnung an Ps 30,6 LXX wieder, 7,60a.b sein Fürbittgebet um Vergebung für seine Gegner und 7,60c notiert kurz den Tod des Stephanus. Mit der Erwähnung des Saulus zu Beginn von 8,1a wird stellvertretend auf das Verhalten der gegnerischen Zeugen von 7,58b zurückgegriffen und dieses bestätigt, indem von Saulus’ Einverständnis zum Tod des Stephanus berichtet wird.1058 Insgesamt lässt sich in 7,54-8,1a als Strukturmerkmal ein wiederholter Subjektwechsel erkennen, der durch die Kombination von Partizip und de, markiert wird. Auf diese Weise entstehen relativ kurze Unterabschnitte, in denen sich das feindliche Verhalten der Gegner, das auch einen Rahmen um die Passage bildet, und die Schilderung des Stephanus als Kontrast dazu abwechseln. Da mit der Steinigungsnotiz in 7,58a (und der Erwartung von Stephanus’ Tod) die Geschichte eigentlich beendet wäre, aber 7,58b mit einem neuen Subjekt und 7,59a mit der Wiederaufnahme von 7,58a (evliqobo,loun) neu einsetzt, liegt hier eine Leerstelle vor. Die Struktur des Abschnitts 7,54-8,1a kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
1058 Apg 8,1a könnte aufgrund der vorangestellten Nennung von Saulus als neuem Subjekt auch als Beginn eines neuen Abschnitts betrachtet werden, der von dem in 7,58b eingeführten Protagonisten berichtet. Dafür würde sprechen, dass auch 8,3 wieder die feindliche Haltung von Saulus thematisiert. 8,1a als Abschlussvers von 7,54-8,1a zu verstehen, legt allerdings die direkte Verbindung zum Tod des Stephanus nahe. Auch die Wendung evge,neto de, in 8,1b signalisiert deutlicher einen Neubeginn als der Subjektwechsel in 8,1a. So kann 8,1a als eine Art Scharnier bezeichnet werden, insofern sich dieser Vers auf den Tod des Stephanus zurück bezieht und zugleich auf das nun folgende Thema ‚Verfolgung‘, speziell durch Saulus, vorbereitet. Einen Neubeginn in 8,1b sehen z.B. SCHNEIDER, Apg, 478. ZMIJEWSKI, Apg, 340. DORMEYER/GALINDO, Apg, 104 u.a.
10 Lektüre von Apg 7,54-8,1a
7,54 7,55-56
7,57-58a
7,58b-60
8,1a
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Ablehnende Reaktion der Zuhörer auf die Stephanusrede Vision des Stephanus 7,55 Beschreibung der Vision 7,56 Mitteilung der Vision durch Stephanus Verschärfte Ablehnung durch die Zuhörer 7,57a Ablehnung des Stephanus 7,57b Gewalt gegen Stephanus 7,58a Hinausstoßen aus der Stadt und Steinigung Steinigung des Stephanus 7,58b Kleiderablegen der Zeugen vor Saulus 7,59 (Sterbe-)Gebet des Stephanus 7,60a-b Fürbittgebet des Stephanus für seine Gegner 7,60c Todesnotiz Einverständnis des Saulus
10.2 Lektüre Apg 7,54 54
VAkou,ontej de. tau/ta diepri,onto tai/j kardi,aij auvtw/n kai. e;brucon tou.j ovdo,ntaj evpV auvto,nÅ »Als sie aber dies hörten, waren sie in ihren Herzen aufs äußerste aufgebracht und sie knirschten mit den Zähnen gegen ihn.«
Indem die Partizipialkonstruktion avkou,ontej de. tau/ta den Blick auf die Zuhörer lenkt, markiert sie deutlich das Ende der Stephanusrede. Zugleich verweist sie aber auch auf eine unmittelbare Verknüpfung des nun berichteten Hörerverhaltens mit der Rede, insofern avkou,ontej kausal verstanden werden kann (»weil sie dies hörten …«) und tau/ta die Inhalte des Gehörten aufgreift. Da nicht näher erklärt wird, wer zur Gruppe der avkou,ontej zählt, ist der Leser auf 6,9-7,1 verwiesen, wo als Rahmen der Stephanusrede eine Gerichtsszene skizziert wird. Zu den daran Beteiligten, die in 6,15 mit pa,ntej oi` kaqezo,menoi evn tw/| sunedri,w| »alle, die im Synedrium saßen« ebenfalls sehr allgemein benannt werden, gehören also auch ma,rturej yeudei/j (6,13), die vor dem Synedrium auftreten, o` avrciereu,j (7,1) sowie oi` presbute,roi und oi` grammatei/j (6,12). Indem avkou,w den Höraufruf a;ndrej avdelfoi. kai. pate,rej( avkou,sate (7,2)1059 aufnimmt, wird unterstrichen, dass die Rede die Reaktion dieser Hörerschaft (avkou,ontej) hervorruft. Sie ist 1059
Zu dieser Anrede vgl. Lektüre von 7,2.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
diesem Höraufruf gefolgt und reagiert nun darauf (tau/ta). Da sich tau/ta auch speziell auf die unmittelbar zuvor formulierten Vorwürfe des Widerstandes gegen den Heiligen Geist, des Prophetenmordes am Gerechten und der Missachtung des Gesetzes (7,51-53) beziehen kann, können auch insbesondere letztere Auslöser für die dementsprechend ablehnende Reaktion1060 der Zuhörer sein. Diese Dynamik findet sich mit ähnlicher Formulierung und Motivik in der ersten öffentlichen Rede Jesu Lk 4,14-30. Nachdem Jesus seinen Sendungsauftrag mit Jesajaworten formuliert hat, begründet er mit dem Hinweis auf die generell fehlende Akzeptanz eines Propheten in seiner Heimat, warum er in Nazaret keine Wunder wirken wird (Lk 4,24-27).1061 Daraufhin kommt es zu einem plötzlichen Stimmungsumschwung der Zuhörer: kai. evplh,sqhsan pa,ntej qumou/ evn th/| sunagwgh/| avkou,ontej tau/ta »Und erfüllt von Wut wurden alle in der Synagoge, die das hörten.« (Lk 4,28) Diese endet sogar darin, dass sie Jesus sofort aus der Stadt hinaustreiben und ihn den Berg hinabstürzen wollen (Lk 4,29).1062
Insofern in 7,54 ebenfalls wütende Ablehnung der Zuhörerschaft im Zusammenhang mit der Thematisierung der Prophetenverfolgung bzw. -tötung (7,52)1063 formuliert wird, wird die Situation des Stephanus analog zu der Jesu gezeichnet. Daher ist auch im Fall des Stephanus eine ähnlich scharfe Fortsetzung zu erwarten,1064 was auch die beiden bildhaften Beschreibungen der Reaktion der Zuhörer ankündigt. Zunächst illustriert die Wendung diepri,onto tai/j kardi,aij auvtw/n »waren sie in ihren Herzen aufs äußerste aufgebracht« sehr deutlich die Empörung und innere Ablehnung der Zuhörer. Da die Formulierung mit h` kardi,a den Vorwurf von innerer Unbeschnittenheit avperi,tmhtoi kardi,aij (7,51) aufgreift, bestätigt sich dieser in der Reaktion der Zuhörer nun, zumal sie in Anlehnung an die Abwendung der Väter von Mose (7,39) aus1060
Ablehnung kündigt auch die hier adversativ verwendete Partikel de, an. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 195. Für eine exakte Analyse dieser beiden Beispiele vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 313–317. 1062 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 196–198. Dort findet sich eine exakte Analyse von Lk 4,23-27. Die Begründung erfolge in Lk 4,23 mithilfe eines Sprichwortes, in Lk 4,25-27 mithilfe eines Doppelexempels aus der Geschichte (vgl. 1 Kön 17,7-24; 2 Kön 5,1-14). Der Grund für das fehlende Wunderwirken Jesu in Nazaret liege darin, dass Jesus einzig den Sendungsauftrag Gottes zu erfüllen hat, nicht die Erwartungen der Menschen in Nazaret. Dabei klinge auch an, dass Gott sein Heil auch an der Not Israels vorbei den Heiden zuwendet. Selbst wenn diese Deutung nicht der späteren Heidenmission entspreche, ruft dieser Teil der Rede Jesu den besagten Stimmungsumschwung hervor. 1063 Implizit findet sich dieses Motiv auch schon in Bezug zu Mose in 7,25.35.39. 1064 Diese Erwartung wird sich auch bestätigen, da Stephanus ebenfalls aus der Stadt hinausgetrieben wird (7,58), ähnlich wie Jesus in Lk 4,29. 1061
10 Lektüre von Apg 7,54-8,1a
393
gedrückt wird.1065 Die Schärfe der inneren Ablehnung veranschaulicht auch das Imperfekt diapri,omai, das diese als einen grundlegenden Zustand der Zuhörer ausweist und darüber hinaus auf Apg 5,33 anspielt.1066 Dort wird die Reaktion der Synedristen auf eine kurze Rede des Petrus und der Apostel über Auferstehung und Erhöhung Jesu sowie Geistverleihung an die, die Gott gehorchen, folgendermaßen formuliert: Oi` de. avkou,santej diepri,onto kai. evbou,lonto avnelei/n auvtou,j. »Als sie aber das hörten, wurden sie in ihren Herzen äußerst aufgebracht und wollten sie ermorden.« (Apg 5,33)
Da diapri,omai dort mit der Tötungsabsicht der Synedristen verbunden ist, ist nicht nur die Reaktion der Hörer in 7,54 entsprechend konnotiert, sondern wird auch die Erwartung für das Schicksal des Stephanus gelenkt. Diese tiefe, innere Ablehnung illustriert auch die zweite bildhafte Beschreibung der Hörerreaktion. Die Formulierung e;brucon tou.j ovdo,ntaj »sie knirschten mit den Zähnen«, die ebenfalls im Imperfekt als grundlegender Zustand erscheint, ist nämlich „Ausdruck hasserfüllter Gesinnung“ und „höchster Wut“1067. Anlass und Ziel ihrer Wut ist ausdrücklich Stephanus, wie der Zusatz evpV auvto,n betont.1068 Die Qualität der Gegnerschaft zwischen Stephanus und seinen Zuhörern verdeutlicht sich bei der Betrachtung verschiedener Texte, in denen ebenfalls das Motiv des Zähneknirschens (brugmo,j tw/n ovdo,ntwn)1069 zu finden ist. So schildert etwa Ps 34,11-16 LXX die prekäre Situation des Beters vor Gericht: Gegen ihn treten ungerechte Zeugen (ma,rturej a;dikoi) auf, die ihm Gutes mit Bösem vergelten (Ps 34,11-12 LXX) – d.h. indirekt falsche Anklagen gegen ihn erheben. Die Reihe von Aussagen, die das feindliche Verhalten dieser ungerechten Zeugen ausdrückt, wird in Ps 34,16 LXX mit der Beschreibung abgeschlossen:
1065
Darüber hinaus wird durch die Formulierung mit h` kardi,a die innere Motivation von Moses ‚sorgsames Sehen‘ nach seinen Brüdern in 7,23 als kontrastierendes Gegenüber eingespielt. 1066 Vgl. GAVENTA, Acts, 130. FITZMYER, Acts, 392. ZMIJEWSKI, Apg, 335. WITHERINGTON, Acts, 275. JERVELL, Apg, 251. Wörtlich bedeutet diapri,omai „zersägt werden“. Im übertragenen Sinn kann es meinen „einem durch und durch gehen“, „ergrimmen“. Vgl. dazu BAUER, Wörterbuch, 377. 1067 ZMIJEWSKI, Apg, 335. 1068 Allerdings fällt auf, dass Stephanus nicht namentlich genannt wird. 1069 Zähneknirschen (brugmo,j tw/n ovdo,ntwn) ist im Alten Testament eine geläufige Beschreibung der Feinde des Frommen und veranschaulicht deren Aggressivität. Vgl. FITZMYER, Acts, 393. ZMIJEWSKI, Apg, 335. JERVELL, Apg, 251. LARKIN, Acts, 121. WOLTER, Lukasevangelium, 493.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
evpei,rasa,n me evxemukth,risa,n me mukthrismo,n e;bruxan evpV evme. tou.j ovdo,ntaj auvtw/n. »Sie versuchten mich, sie verhöhnten mich mit Hohn, sie knirschten gegen mich mit ihren Zähnen.« (Ps 34,16 LXX) Analogien zum Verhältnis zwischen Stephanus und seinen gegnerischen Hörern finden sich auch in Ps 111,10 LXX:1070 a`martwlo.j o;yetai kai. ovrgisqh,setai tou.j ovdo,ntaj auvtou/ bru,xei kai. takh,setai evpiqumi,a a`martwlw/n avpolei/tai. »Der Sünder wird es sehen und zürnen, mit seinen Zähnen wird er knirschen und zerschmelzen. Die Begierde der Sünder wird vergehen.« Dort wird nach einer Gegenüberstellung von Gerechtem und Frevler letzterer durch Zähneknirschen charakterisiert und sogar hinzugefügt, dass er zugrunde geht. Vor diesem Hintergrund können auch die mit den Zähnen knirschenden Hörer in Apg 7,54 als ‚Frevler‘, Stephanus dagegen als ‚Gerechter‘ bewertet werden. Ein ähnlicher Kontext findet sich in Lk 13,22-30,1071 einer Rede Jesu auf dem Weg nach Jerusalem als Antwort auf die Frage nach dem Heil (‚der Vielen‘) (Lk 13,23). Nach einer bildhaften Ankündigung, dass viele nicht ins Reich Gottes gelangen werden, weil sie sich nicht darum bemüht haben (Lk 13,25-27), beschreibt Jesus deren Reaktion auf diese Unheilssituation mit dem folgendem Drohwort Lk 13,28: evkei/ e;stai o` klauqmo.j kai. o` brugmo.j tw/n ovdo,ntwn … »Dort wird sein: das Heulen und das Knirschen der Zähne …« Auch hier drückt »Zähneknirschen« also den Zorn der begründet Ausgeschlossenen aus, die zugleich kontrastierend denen gegenübergestellt werden, die Eingang ins Reich Gottes finden.1072
Vor dem Hintergrund dieser Intertexte wird mit dem Motiv des Zähneknirschens die Opposition zwischen Stephanus, der schon verschiedentlich als prophetische Gestalt bzw. ‚Frommer‘ dargestellt wurde (6,3.5.8.10), und seiner Zuhörerschaft, die als Frevler vorgestellt wird, unterstrichen.1073 1070 Vgl. FITZMYER, Acts, 393. ZMIJEWSKI, Apg, 335. JERVELL, Apg, 251. Ähnliche Wendungen finden sich in Ps 36,12 LXX; Ijob 16,9. 1071 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 335. Vgl. auch Mt 8,12; 13,42.50; 22,12; 24,51; 25,30. 1072 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 488–494, bes. 493. Die exemplarische Nennung von Abraham, Isaak, Jakob und den Propheten als Gegensatz zu den Ausgeschlossenen enthalte auch eine heilsgeschichtliche Komponente: Sie würden erkennen, dass sie aus der Kontinuität der Geschichte des Gottesvolkes ausgeschlossen wurden. Dies sei die eschatische Sanktionierung ihrer Weigerung, der Aufforderung Jesu (Lk 13,24) nachzukommen. 1073 Da den ‚Frevlern‘ als Konsequenz Unheil (Lk 13,28; Ps 111,10 LXX) angekündigt wird, könnte auch im Fall des Stephanus mit einer (eschatischen) Bestrafung seiner Gegner gerechnet werden (vgl. auch Mt 8,12; 13,42.50; 24,51; 25,30). Offensichtlicher wird der Leser allerdings aufgrund der gesteigerten Aggressivität und der Analogien mit Apg 5,33 und Lk 4,14-30 auf negative Folgen für Stephanus vorbereitet.
10 Lektüre von Apg 7,54-8,1a
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Angesichts dieser deutlich feindlichen Haltung gegenüber Stephanus, deren Aggressivität im Vergleich zur Situation vor der Rede (6,9-7,1) noch stärker akzentuiert wird, ist der Leser auf weitere Steigerungen im Vorgehen gegen Stephanus vorbereitet. Apg 7,55-56 55 56
55
56
u`pa,rcwn de. plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou avteni,saj eivj to.n ouvrano.n ei=den do,xan qeou/ kai. VIhsou/n e`stw/ta evk dexiw/n tou/ qeou/ kai. ei=pen\ ivdou. qewrw/ tou.j ouvranou.j dihnoigme,nouj kai. to.n ui`o.n tou/ avnqrw,pou evk dexiw/n e`stw/ta tou/ qeou/Å »Und erfüllt von heiligem Geist, zum Himmel blickend sah er Gottes Herrlichkeit und Jesus stehend zur Rechten Gottes. Und er sprach: Siehe, ich schaue die Himmel geöffnet und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehend.«
Ohne Bezug auf die Hörerreaktion in 7,54 zu nehmen, setzt 7,55 mit der Beschreibung des Stephanus neu an: u`pa,rcwn de. plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou »Und erfüllt von heiligem Geist«. Durch diese Charakterisierung als Geisterfüllter wird Stephanus in starkem Kontrast zu den gerade als wutentbrannte Frevler beschriebenen Zuhörern dargestellt.1074 Noch deutlicher wird diese Gegenüberstellung, insofern pneu,matoj a`gi,ou den Vorwurf von 7,51-52 aufgreift, die Hörer (wie ihre Väter) widersetzen sich immer dem Heiligen Geist und verfolgen bzw. töten sogar die Propheten, in die Stephanus aufgrund seines Geistbesitzes implizit eingereiht wird. Auch der Rückgriff auf die wiederholte Kennzeichnung des Stephanus als eines Geistbegabten im sich steigernden Konflikt vor seiner Rede (6,3.5.10) erweckt den Eindruck, diese erneute Charakterisierung als Geistträger unterstreiche die sich weiter verhärtende Opposition zu ihm.1075 Durch die weitere Beschreibung des Stephanus mit der Wendung avteni,saj eivj to.n ouvrano,n »zum Himmel blickend« entsteht ebenfalls ein Rückbezug zur Situation vor seiner Rede, denn 6,15 notiert das gespannte 1074 Der Kontrast wird sprachlich nicht nur durch das hier adversative de, angedeutet, sondern auch dadurch, dass die Formulierung mit dem Partizip u`pa,rcwn Geisterfüllung als grundsätzliches Charakteristikum des Stephanus ausweist. 1075 Vgl. FITZMYER, Acts, 393. Es zeigt sich also eine Steigerung von einem einfachen Disput (6,9-10) über eine Hetzkampagne (6,11) und Gerichtsverhandlung mit falschen Zeugenaussagen (6,13-14) hin zu dieser wutentbrannten Ablehnung (7,54). SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 387, Anm. 264, sieht in dieser Wiederholung einen Hinweis auf eine unbedingte Autorisierung der Rede und des Redners.
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Schauen der Synedristen (avteni,santej) auf Stephanus nach der Schilderung der Anklagen gegen ihn (6,13-14). In derselben Reihenfolge berichtet nun 7,55-56 vom »Schauen« (avteni,saj) des Stephanus im Anschluss an die Notiz von der feindlichen Reaktion der Hörer (7,54).1076 6,13-14
6,15
kai. avteni,santej eivj auvto.n pa,ntej oi` kaqezo,menoi evn tw/| sunedri,w| ei=don to. pro,swpon auvtou/ w`sei. pro,swpon avgge,louÅ 7,1 7,2-53 7,54
7,55
7,56
Anklagen gegen Stephanus
Hoherpriester Stephanusrede Ablehnende Reaktion der Hörer
u`pa,rcwn de. plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou avteni,saj eivj to.n ouvrano.n ei=den do,xan qeou/ kai. VIhsou/n e`stw/ta evk dexiw/n tou/ qeou/ Mitteilung der Vision durch Stephanus in direkter Rede
Somit wird also auch durch diesen Rückgriff der Kontrast zwischen Stephanus und seinen Gegnern literarisch umgesetzt. Da die Blickrichtung von Stephanus eivj to.n ouvrano,n die Prophetenworte o` ouvrano,j moi qro,noj (7,49.50) aufnimmt, deutet sich die Qualität dieses Ereignisses an: Stephanus blickt nämlich demnach genau in den Ort, den Gott als seinen eigentlichen Ort ausweist.1077 Damit geht einher, dass Stephanus erneut als prophetische Gestalt gezeichnet wird. Die besondere Rolle des Stephanus verdeutlicht sich darüber hinaus, insofern er durch die Wendung avteni,saj eivj to.n ouvrano,n eine Gemeinsamkeit mit den Jüngern bei der Himmelfahrt Jesu Apg 1,10-11 aufweist:1078 1076 Neben der strukturellen Analogie fallen einige Parallelen bezüglich Satzkonstruktion und Wortwahl auf: Das Partizip von avteni,zw drückt jeweils das Schauen des Subjekts, das in 6,15 nachgestellt, in 7,55 vorangestellt ist, aus. Darauf folgt unmittelbar die Angabe der Blickrichtung mit eivj + Akkusativobjekt. Das Objekt bzw. der Inhalt des Geschauten wird dann mit o`ra,w + Akkusativ formuliert. Vgl. auch ZMIJEWSKI, Apg, 336. GANSER-KERPERIN, Tempel, 254, sieht hier aufgrund der Verbindung von 6,15 mit Lk 9,29ff. und Lk 24,4ff. die besondere offenbarungstheologische Qualität des Geschehens angezeigt. 1077 Vgl. FITZMYER, Acts, 393, spricht vom „wirklichen Wohnort“ Gottes. GANSERKERPERIN, Tempel, 25, betont, dass hier ein enger Zusammenhang zwischen der Stephanusrede und der Vision des Stephanus hergestellt wird. 1078 Vgl. SPENCER, Act, 82.
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Nachdem Jesus vor den Augen der Jünger von einer Wolke in den Himmel aufgenommen wurde1079 und sich ihren Blicken entzog, berichtet Apg 1,10 von den Jüngern: kai. w`j avteni,zontej h=san eivj to.n ouvrano.n poreuome,nou auvtou/ … »Und während sie zum Himmel blickten, während er dahinfuhr …« Lediglich zwei weiß gekleidete Männer sehen sie bei sich stehen (kai. ivdou. a;ndrej du,o pareisth,keisan auvtoi/j evn evsqh,sesi leukai/j), die ihnen in Apg 1,11b ankündigen, Jesus werde genau so wiederkommen, wie sie ihn in den Himmel gehen sahen.
Indem Stephanus ebenfalls in den Himmel schaut, steht er nicht nur in Kontinuität zu den Jüngern, sondern hat auch eine privilegierte Sonderrolle. Während nämlich die Jünger Jesus nicht mehr sehen können, sieht Stephanus im Himmel zweierlei und damit gewissermaßen das Ergebnis des Geschehens von Apg 1,10-11: ei=den do,xan qeou/ kai. VIhsou/n e`stw/ta evk dexiw/n tou/ qeou/ »er sah Gottes Herrlichkeit und Jesus stehend zur Rechten Gottes« (Apg 7,55). Was bisher nur der Leser, der an der Perspektive des Stephanus Anteil hat, erfährt, teilt 7,56 noch einmal mit den Worten des Stephanus mit: ivdou. qewrw/ tou.j ouvranou.j dihnoigme,nouj kai. to.n ui`o.n tou/ avnqrw,pou evk dexiw/n e`stw/ta tou/ qeou/. »Siehe, ich schaue die Himmel geöffnet und den Menschensohn stehend zur Rechten Gottes.« Durch diese direkte Rede fungiert Stephanus also als Mittler, durch den der Inhalt der Vision in seiner Bedeutung unterstrichen und auch für die auf der Erzählebene Anwesenden hörbar wird. Allerdings handelt es sich in 7,56 nicht um eine wörtliche Wiederholung von 7,55b, wie folgender Vergleich zeigt:
1079
Das Motiv der Aufnahme Jesu in den Himmel durch eine Wolke illustriert, dass Gott selbst Jesus zu sich erhöht. Außerdem verweist es auf das Kommen des Menschensohnes „auf einer Wolke“ (vgl. Lk 21,27 u.a.), d.h. eine Vorstellung, die auf die Parusie Jesu angewendet wird. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 65–66.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
55 u`pa,rcwn de. plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou avteni,saj eivj to.n ouvrano.n ei=den do,xan qeou/ kai. VIhsou/n e`stw/ta evk dexiw/n tou/ qeou/ »Und erfüllt von heiligem Geist, zum Himmel blickend sah er Gottes Herrlichkeit und Jesus stehend zur Rechten Gottes.«
56 kai. ei=pen\ ivdou. qewrw/ tou.j ouvranou.j dihnoigme,nouj kai. to.n ui`o.n tou/ avnqrw,pou evk dexiw/n e`stw/ta tou/ qeou/Å »Und er sprach: Siehe, ich schaue die Himmel geöffnet und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehend.«
Gemeinsam ist beiden Aussagen, dass sie nach einer Einleitung mit Verben des Sehens1080 zwei Visionsinhalte in weitgehend paralleler Satzkonstruktion nennen. Dieser Parallelismus bewirkt zunächst eine Hervorhebung dieses Ereignisses, zusätzlich unterstrichen durch das Aufmerksamkeit erweckende ivdou, (7,56b).1081 Auch die beiden Visionsinhalte werden parallelisiert, so dass ein innerer Zusammenhang zwischen ihnen abgebildet wird. Welche Sinnpotentiale und Funktionen enthalten nun diese parallelen, aber unterschiedlich formulierten Inhalte der Vision? 1. do,xa qeou/ (7,55) – tou.j ouvranou.j dihnoigme,nouj (7,56) Die Bezeichnung des ersten Visionsinhalts als do,xa qeou/ erinnert an die Schilderung der Erscheinung Gottes vor Abraham von 7,2 (o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa,m). Das Sehen der Herrlichkeit Gottes verbindet Stephanus aber nicht nur mit Abraham, sondern auch mit Mose, von dem im Lauf der Stephanusrede ebenfalls Erscheinungen Gottes bzw. seines Engels erzählt werden (7,30.38.44). Somit lässt sich die Vision des Stephanus in die Linie kontinuierlicher Erscheinungen des transzendenten Gottes (o` qeo.j th/j do,xhj)1082 von Abraham und Mose einreihen.1083 Das Motiv vom Sehen der Herrlichkeit Gottes spielt außerdem Ex 33,18-23 ein.
1080
Die Ersetzung von o`ra,w (7,55) durch qewre,w dürfte nur eine bei Lukas häufige sprachliche Variante ohne besondere inhaltliche Implikationen sein. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 336. FITZMYER, Acts, 392, erklärt, das Verb qewre,w sei typisch lukanisch und komme bei ihm 21 mal vor (vgl. Apg 8,13; 17,22; 27,10 u.a.). 1081 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 336, ivdou, entspreche der Wendung avteni,saj eivj to.n ouvrano,n in 7,55. 1082 Vgl. dazu auch Apg 7,2 und die Erläuterungen zum do,xa-Begriff. 1083 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 254, beobachtet eine Kontinuität im Handeln Gottes von Abraham über Mose bis hin zu Stephanus mithilfe des Theophaniemotivs.
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Im Kontext der Fürbitte für das Volk Israel (Ex 32,30-34,9) nach der Sünde durch das goldene Kalb bittet Mose den Herrn in Ex 33,18: dei/xo,n moi th.n seautou/ do,xan »Zeige mir deine Herrlichkeit!« Vor dem Hintergrund von Ex 24,17, wo das »Aussehen der Herrlichkeit des Herrn« (to. de. ei=doj th/j do,xhj kuri,ou) vor den Augen der Israeliten sichtbar wird, ist Ex 33,18 zunächst als Bitte um eine Bestätigung dieses Offenbarungsgeschehens zu verstehen, die letztlich auf eine sichtbare Gestalt des Verhältnisses Gottes zu Israel im Gegenüber zu allen anderen Völkern abzielt.1084 In Gottes Antwort auf diese Bitte (Ex 33,19-23) wird deutlich, wie Gott ‚sich sehen lässt‘. Insofern der Herr Mose zusagt evgw. pareleu,somai pro,tero,j sou th/| do,xh| mou »ich werde vor dir in meiner Herrlichkeit vorüberziehen« (Ex 33,19a), ist das Sehen Gottes mit einem dynamischen Moment verbunden und wird von einem statischen, rein äußerlichen Sehen einer konkreten Gottesschau abgegrenzt.1085 Dagegen bietet Gott Mose die Offenbarung seines Namens an (Ex 33,19b). Dieser besteht in der Fülle der Güte Gottes (Ex 33,19c; 34,6-7) und drückt sich in seiner besonderen Gnade für Mose aus. 1086 Nach der Betonung in Ex 33,20, dass Gottes Angesicht (to. pro,swpon), das das Wesen Gottes in seiner Ganzheit impliziert, nicht unmittelbar gesehen werden kann,1087 bietet Gott Mose dennoch eine positive Möglichkeit an, an einem von Gott ausgewiesenen Ort (ivdou. to,poj parV evmoi, sth,sh| evpi. th/j pe,traj »Siehe, der Platz neben mir, stelle dich auf den Felsen!« Ex 33,21),1088 seine Herrlichkeit zu sehen: Wenn Gott in Ex 33,22 ankündigt, beim Vorüberzug seiner Herrlichkeit (h`ni,ka dV a'n pare,lqh| mou h` do,xa) seine Hand über Mose zu halten (kai. skepa,sw th/| ceiri, mou evpi. se,) und erst danach wieder zu entfernen (kai. avfelw/ th.n cei/ra), wird das ganze Geschehen als unmittelbare Begegnung von Heiligem und Profanem, Gott und Mensch gedeutet, insofern die Trennung von beidem deutlich wird.1089 Außerdem wird durch das Motiv des Vorüberziehens der Aspekt der Zeit in die Offenbarungsvorstellung eingebracht. So besagt das Sehen-Können Gottes in Bezug 1084
Vgl. DOHMEN, Exodus, 347. Vgl. DOHMEN, Exodus, 347. Dementsprechend werde auch das mögliche Missverständnis von Moses Bitte im Sinn eines unmittelbaren, äußerlichen Sehen-Wollens Gottes, das sich aus der Kultterminologie im Kontext altorientalischer Götterbilder ergibt, schon von Vers 19 abgewendet. 1086 Vgl. DOHMEN, Exodus, 348–349. Diese besondere Beziehung zwischen Gott und Mose wird mit „Kennen-beim-Namen“ bezeichnet. Die Offenbarung seines Namens sei die „Quintessenz seiner Offenbarung“, das „Beste“. 1087 Vgl. DOHMEN, Exodus, 349–350. Das wird mit der Verbindung Gott-Sehen und Sterben ausgedrückt, die sich mehrfach findet, z.B. Gen 32,31; Ex 19,21; Num 4,20; Ri 6,22f.; 13,22. Allerdings offenbart sich Gott in vermittelter Weise: Er lässt sich herab und offenbart sich in menschlicher Weise, auch und gerade in und durch den Menschen Mose (vgl. auch Ex 19,19). 1088 Vgl. DOHMEN, Exodus, 350. Im Kontext des Wasserwunders (Ex 17,6f.) werde der Ort am Felsen ebenfalls als „Standpunkt“ Gottes bezeichnet und es gehe auch um die Frage nach der Gegenwart Gottes in der Mitte des Volkes. In diesem Sinn ist auch Ex 33,21 und die daran anschließende Offenbarung zu verstehen. 1089 Dies erinnert im Kontext der Sinaitheophanie an verschiedene Aspekte der Nähe Gottes (vgl. Ex 25,20; 37,9; 40,3.21; 34,33-35). Vgl. DOHMEN, Exodus, 351. 1085
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auf „hinten“ (kai. to,te o;yh| ta. ovpi,sw mou »dann wirst du sehen das in Bezug auf hinten von mir« Ex 33,23),1090 dass Offenbarung Gottes erst später, „im Nachhinein“, nämlich aus den Wirkungen der besonderen Nähe Gottes erkannt werden kann.1091
Die Beschreibung der Vision des Stephanus mit ei=den do,xan qeou/ (7,55) signalisiert also Analogien zum Offenbarungsgeschehen, das Mose in Ex 33,18-23 erfährt. Selbst wenn die do,xa Gottes eine klare Trennung zwischen der transzendenten Heiligkeit Gottes und dem Menschen Stephanus andeutet, zeigt sich zugleich, dass Gott sich gerade diesem Menschen und durch diesen Menschen offenbart, um ihn zu einer besonderen Aufgabe zu berufen.1092 Stephanus fungiert also wie Mose als Prophet und (Offenbarungs-)Mittler, was schon in der engelsgleichen Erscheinung des Stephanus in 6,15 angedeutet wurde.1093 So wird durch diese intertextuelle Referenz erneut die Frage nach der Gegenwart Gottes thematisiert und illustriert, wie sich letztere zeigt. Noch deutlicher wird dies in der Beschreibung dieses ersten Visionsinhalts der do,xa qeou/ mit oi` ouvranoi. dihnoigme,noi in den Worten des Stephanus 7,56. Schon die Angabe der Blickrichtung avteni,saj eivj to.n ouvrano,n in 7,55 deutet an, dass Stephanus zum ‚Wohnort‘ Gottes blickt, insofern damit Gottes Aussage im Prophetenwort o` ouvrano,j moi qro,noj (7,49a) aufgenommen wird. So bestätigt und veranschaulicht nun die Rede von den »geöffneten Himmeln«,1094 dass Stephanus Einblick in diesen 1090 to,te o;yh| ta. ovpi,sw mou (Ex 33,23) ist also nicht räumlich, sondern zeitlich als „später“ zu verstehen. Im Hebräischen yr"_xoa]-ta, t'yaiÞr"w> wird dies noch deutlicher. Vgl. DOHMEN, Exodus, 352. Die Septuaginta Deutsch übersetzt Ex 33,23a folgendermaßen: »Und ich werde meine Hand wegziehen und dann wirst du meinen Rücken sehen …« Um den zeitlichen Aspekt anzudeuten, wird an dieser Stelle die oben formulierte Arbeitsübersetzung gewählt. 1091 Vgl. DOHMEN, Exodus, 352. Dieses „Nachher“ beschreibe Ex 34,6f. konsequent in Aufnahme von Ex 33,19 in der sogenannten Gnadenformel als Erweis der übergroßen Barmherzigkeit Gottes. 1092 Dies zeigt sich beispielsweise auch im Bericht über die Berufungsvision des Paulus Apg 22,11. Vgl. auch Lk 2,9. Der strahlende Aspekt der Anwesenheit Gottes bzw. seiner Herrlichkeit ist auch alttestamentlich verankert, z.B. in Ez 9,3; 10,19. Vgl. FITZMYER, Acts, 393. ZMIJEWSKI, Apg, 336. 1093 Noch deutlicher wird das, wenn Stephanus in 7,56 den Inhalt seiner Vision selbst mitteilt. 1094 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 337, spricht von „Himmelsräumen“. Sonst unterscheide Lk nicht zwischen dem Singular o` ouvrano,j und dem Plural oi` ouvranoi, (vgl. Apg 2,34; 1,10f.). GANSER-KERPERIN, Tempel, 253, sieht hier einen Rückgriff auf die traditionelle Motivik eines geöffneten Himmels (z.B. AscJes 5,7) und die Vorstellung von einem himmlischen Thronrat Gottes (vgl. Jes 6; 1 Kön 22). Stephanus beschreibe also in apokalyptischer Manier den „Ort“ Jesu im himmlischen Gefüge. Der geöffnete Himmel als Ort Gottes und Offenbarungsmedium zeigt sich auch in der Schilderung der Taufe Jesu Lk 3,21-22, wenn auch mit anderer Wortwahl (avnew|cqh/nai to.n ouvrano,n).
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wahren Ort Gottes bekommt, in dem sich Gott selbst mit seiner do,xa offenbart. Damit spielt die Vision des Stephanus auf Ez 43,1-12 an, insofern in der Vision des Ezechiel ebenfalls die Motive vom Sehen der do,xa Gottes und vom »Ort Gottes« kombiniert sind. Zunächst wird hier zurückhaltend und bildhaft mit Verweis auf Ez 1,26-28 die Rückkehr der do,xa qeou/ Israhl »Herrlichkeit des Gottes Israels« (Ez 43,2) in den neuen Tempel beschrieben (Ez 43,1-4).1095 Das Ergebnis, das Ezechiel – vom Geist geführt – schaut, schildert mit den Worten: … kai. ivdou. plh,rhj do,xhj kuri,ou o` oi=koj »… und siehe: Das (Tempel)haus war angefüllt mit der Herrlichkeit des Herrn.« (Ez 43,5) Daraufhin deutet die Rede Gottes (Ez 43,7-9), was Ezechiel sieht: e`w,rakaj ui`e. avnqrw,pou to.n to,pon tou/ qro,nou mou kai. to.n to,pon tou/ i;cnouj tw/n podw/n mou evn oi-j kataskhnw,sei to. o;noma, mou evn me,sw| oi;kou Israhl to.n aivw/na … »Menschensohn, du hast den Ort meines Throns und den Ort meiner Fußspuren gesehen, wo mein Name inmitten des Hauses Israel für immer wohnen wird …« (Ez 43,7) Der neue Tempel ist also der Ort der bleibenden Anwesenheit Gottes.1096 Weiterhin blickt die Rede Gottes auf die Gesetzlosigkeit des Volkes zurück, die Gott mit seinem Zorn und der Todesstrafe vertilgt habe, und beauftragt Ezechiel, seine Vision dem Haus Israel zu berichten, damit es bereut1097 und den Entwurf des neuen Tempels umsetzt (Ez 43,10-12).
Analog zum Propheten Ezechiel sieht also Stephanus die Herrlichkeit Gottes im geöffneten Himmel, der in Apg 7,49 als Gottes Thron bezeichnet wurde, wodurch sich Gottes bleibende Präsenz »an diesem Ort« bestätigt.1098 In welcher Gestalt er die Herrlichkeit Gottes sieht, besagt der zweite Visionsinhalt.
1095 Vgl. POHLMANN, KARL-FRIEDRICH, Der Prophet Hesekiel/Ezechiel Kapitel 20-48 (ATD 22,2), Göttingen 2001, 572. Ez 43,2 weist auf eine Steigerung des transzendenten Charakters der Vision hin. 1096 Vgl. HOSSFELD, FRANK-LOTHAR, Das Buch Ezechiel, in: ZENGER, ERICH, Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 31998, 440–458, hier 451. POHLMANN, Ezechiel, 571, 574. Gott sagt vom Tempelinneren her seine bedingungslose Gegenwart unter den Israeliten zu. Allerdings solle nicht mehr Gott selbst, sondern seine Herrlichkeit als im Heiligtum präsent vorgestellt werden. Auf die Transzendenz Gottes verweist auch, dass Gott den Tempel jederzeit verlassen kann, womit auch Kritik an priesterlicher Selbstsicherheit geübt werde. 1097 Im Text der LXX ist in Ez 43,11 die Rede von einer Strafe für alles, was das Haus Israel getan hat (kai. auvtoi. lh,myontai th.n ko,lasin auvtw/n). Im hebräischen Text findet sich das Motiv der Scham für die Sünden der Vergangenheit. Vgl. POHLMANN, Ezechiel, 577. 1098 Außerdem entspricht Stephanus in der Verkündigung dieser Vision dem, wozu Ezechiel beauftragt wird (Ez 43,10-12).
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2. VIhsou/n e`stw/ta evk dexiw/n tou/ qeou/ – to.n ui`o.n tou/ avnqrw,pou evk dexiw/n e`stw/ta tou/ qeou/ Da die Erzählstimme Jesus als zweiten Inhalt der Vision nennt (7,55) und Stephanus parallel dazu von o` ui`o,j tou/ avnqrw,pou spricht (7,56),1099 entsteht insgesamt das Bild von Jesus als des Menschensohns, der zur Rechten Gottes steht. Insofern der erste Teil der Vision die Frage nach dem Sehen Gottes und nach seiner Gegenwart implizit thematisiert, besagt dieser zweite Visionsinhalt, dass ein »Sehen der Herrlichkeit Gottes« im Sehen Jesu als Menschensohn, der zur Rechten Gottes erhöht1100 steht, erfolgt. Mit der Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes in Aufnahme von Ps 109,1 LXX drückt auch Apg 2,34-36 die Einsetzung des gekreuzigt auferweckten Davidssohns Jesus zum ‚Herrn‘ bzw. ‚Christus‘ aus.1101 Während Jesus demnach – sowie in allen anderen Texten, die dieses Motiv enthalten1102 – zur Rechten Gottes sitzt (ka,qhmai), sieht Stephanus Jesus zur Rechten Gottes stehen (i]sthmi). Singulär innerhalb des Neuen Testaments ist darüber hinaus die Bezeichnung Jesu mit o` ui`o,j tou/ avnqrw,pou, die sonst ausschließlich in den Evangelien und zwar im Mund Jesu vorkommt.1103 Welche Implikationen enthalten nun diese Besonderheiten? Aufschlussreich für die besondere Profilierung des Menschensohnes und seine Funktion in der Stephanusvision sind einige Menschensohnworte des Lukasevangeliums,1104 die in Rezeption von Dan 7,13-141105 die Erhö1099
Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 388. Demnach vermeide Stephanus es, Jesus direkt beim Namen zu nennen, wie auch schon in seiner Rede. 1100 Die Rechte Gottes ist eine Position der Ehre. Illustriert wird der Aspekt der Erhöhung schon in Apg 1,10-11. Vgl. JERVELL, Apg, 252. FITZMYER, Acts, 393. 1101 Zu Apg 2,34-36 vgl. RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, 316–323, bes. 322. JERVELL, Apg, 252, macht auch auf einen Zusammenhang mit Mk 16,19 aufmerksam, wonach Jesus sich zur Rechten Gottes setzt. Weitere Beispiele für Jesu Erhöhung zur Rechten Gottes sind: Kol 3,1; Eph 1,20; Hebr 1,3.13; 8,1; u.a. 1102 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 459–460. Auch sonst sei in der christlichen Bibel die Einsetzung Jesu zum Herrn mit einem Sitzen verbunden (vgl. Apg 2,36). 1103 Vgl. JERVELL, Apg, 252. ZMIJEWSKI, Apg, 337. FITZMYER, Acts, 393. Sonst findet sich o` ui`o,j tou/ avnqrw,pou im Neuen Testament ausschließlich in den Evangelien und noch dazu als Selbstbezeichnung im Mund Jesu. Fitzmyer sieht in diesem Befund einen Hinweis darauf, dass Lk den Gebrauch dieses Titels ausweitet; evtl. verwende z.T. auch das Evangelium selbst diesen Titel für Jesus (Lk 5,24 parr). 1104 Diese können analog in drei Gruppen kategorisiert werden: Worte vom irdischen Wirken des Menschensohnes bzw. seiner Vollmacht (Lk 2,10.28; 3,28), Worte vom Leiden und Sterben des Menschensohnes (Lk 8,31; 9,31; 10,33.45, 14,41) und Worte vom erhöhten Menschen und seiner Wiederkunft (Lk 8,38; 13,26; 14,62). Für einen Überblick darüber mit Hinweisen auf jeweilige Hauptintentionen vgl. BAUER, DIETER, Das Buch Daniel (NSK.AT 22), Stuttgart 1996, 239. KLEIN, Lukasevangelium, 248–249.
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hung des Menschensohnes voraussetzen und ihn somit als Vollmächtigen zeichnen. Der Wechsel zwischen Jesus (Apg 7,55) und o` ui`o.j tou/ avnqrw,pou (Apg 7,56) zeigt Analogien zu Lk 12,8-9, dem ersten Teil einer Aufforderung Jesu an seine Jünger zum öffentlichen Bekenntnis zum Menschensohn.1106 Lk 12,8a Le,gw de. u`mi/n( pa/j o]j a'n o`mologh,sh| evn evmoi. e;mprosqen tw/n avnqrw,pwn( b kai. o` ui`o.j tou/ avnqrw,pou o`mologh,sei evn auvtw/| e;mprosqen tw/n avgge,lwn tou/ qeou/\ 9 o` de. avrnhsa,meno,j me evnw,pion tw/n avnqrw,pwn avparnhqh,setai evnw,pion tw/n avgge,lwn tou/ qeou/Å 8a »Ich sage euch aber, jeder, der mich bekennt vor den Menschen, b auch der Menschensohn wird ihn bekennen vor den Engeln Gottes. 9 Der aber mich verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes.« 1105 Die Danielvision im Rahmen eines eschatischen Gerichts spricht mit dem Syntagma vna rbk über die äußere Gestalt eines Wesens „wie ein einzelner Mensch“, dessen Menschlichkeit als Unterschied zu den Chaostieren herausgestellt wird. Zugleich wird deutlich, dass der Menschensohn ein transzendentes Wesen ist, da sein Kommen „mit den Wolken des Himmels“ angekündigt, er in einem zwar nachgeordneten, aber besonders nahen Verhältnis zu dem „Alten an Tagen“ skizziert, und er mit den herrscherlichen Attributen „Macht, Herrlichkeit und Königsherrschaft“ (Dan 7,14) ausgestattet wird. Insgesamt wird dem Menschensohn in einer Art Konzeption eines himmlischen Heiligtums, in dessen Zentrum unter anderem der Thron Gottes steht, neben dem himmlischen Hofstaat eine hervorgehobene Position eingeräumt. Vgl. BAUER, Daniel, bes. 140–157. BEYERLE, STEFAN, „Der mit den Wolken des Himmels kommt“, in: SÄNGER, DIETER (Hg.), Gottessohn und Menschensohn. Exegetische Studien zu zwei Paradigmen biblischer Intertextualität (BThS 67), Neukirchen-Vluyn 2004, 1–52, hier bes. 35–52. KOCH, KLAUS, Das Buch Daniel (Erträge der Forschung 144), Darmstadt 1980, bes. 217–230. In der Stephanusvision wird mit dem „Menschensohn“ im geöffneten Himmel zur Rechten Gottes also ein ähnliches Szenario skizziert wie in Dan 7,13-14. Dadurch wird die Zuordnung des Menschensohnes Jesus zum himmlischen Bereich bzw. zur Nähe Gottes, unterstrichen. Außerdem liegt auch hier der Gedanke einer Gerichtssituation mit entsprechend mächtiger Funktion des Menschensohnes nahe, selbst wenn er ohne Machtattribute erscheint. Da allerdings im Unterschied zu Dan 7,13-14 das Kommen des Menschensohnes auf den Wolken nicht erwähnt wird, scheint dieses Kommen noch auszustehen – ähnlich wie in Apg 1,11. BEYERLE, Wolken des Himmels, 50, erklärt, durch die neutestamentliche Rezeption von Dan 7,13-14 habe der „Menschensohn“ eine besondere Bedeutung erhalten. Das Menschensohn-Problem sei ein neutestamentliches, weil der Menschensohn geeignet sei, einen Vorstoß zur Verkündigung des historischen Jesus zu nähren. 1106 Es handelt sich dabei um den dritten – damit letzten, besonders bedeutenden Teil – einer Rede Jesu an die Jünger (Lk 12,1-12) mit der Aufforderung, ihren Glauben öffentlich zu bekennen. Diese wird in zwei Teilen formuliert: allgemein in Lk 12,8-9 und hinsichtlich einer forensischen Situation in Lk 12,11-12. Vgl. ausführlich dazu WOLTER, Lukasevangelium, 439–444. KLEIN, Lukasevangelium, 249, merkt an, dass hier der Gedanke, Jesus als der Menschensohn sei der Herrschende in den Hintergrund trete im Gegensatz zu allen anderen neutestamentlichen Menschensohnaussagen.
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In diesem Doppellogion spricht Jesus auf den ersten Blick vom Menschensohn wie von einer von ihm unterschiedenen Person (Lk 12,8b). Allerdings zeigt der Wechsel zwischen dem Personalpronomen »ich« und der Bezeichnung o` ui`o.j tou/ avnqrw,pou an, dass der Menschensohn mit Jesus identisch ist. 1107 Inhaltlich schreibt Jesus hier dem Menschensohn eine entscheidende Rolle beim Endgericht zu, insofern er eschatisches Heil bzw. Unheil entsprechend dem öffentlichen Bekenntnis zu Jesus (dem Menschensohn) zuteilt.1108 Anschließend thematisiert Lk 12,10 die Konsequenzen, die unterschiedliche Reaktionen der Öffentlichkeit (»der Menschen«) auf das Christusbekenntnis haben können: Kai. pa/j o]j evrei/ lo,gon eivj to.n ui`o.n tou/ avnqrw,pou( avfeqh,setai auvtw/|\ tw/| de. eivj to. a[gion pneu/ma blasfhmh,santi ouvk avfeqh,setaiÅ »Und jedem, der ein Wort gegen den Menschensohn sagt, dem wird nachgelassen werden; wer aber gegen den Heiligen Geist lästert, dem wird nicht nachgelassen werden.« (Lk 12,10) Erweist sich die Reaktion der Menschen als Lästerung des Heiligen Geistes, wird ihnen von Gott nicht vergeben. Damit wird zum einen die Anstößigkeit einer Lästerung des Heiligen Geistes deutlich, zum anderen liegt darin eine Zusicherung an die Jünger, dass Gott eine Ablehnung des Christusbekenntnisses ahnden wird.1109 Die in Lk 12,8-9 allgemein formulierte Aufforderung zum öffentlichen Bekenntnis spitzt Jesus in Lk 12,11-12 im Hinblick auf eine Konfrontation vor Gericht zu.1110 Auch für solch spezielle Situationen gibt Jesus seinen Jüngern Anweisungen für die Zeit seiner Abwesenheit und weist sie zur Vergewisserung auf Eingebung durch den Heiligen Geist hin, wie in Lk 12,11-12 zu sehen ist: 1107 Es ist umstritten, ob das Aramäische bar-nsch bzw. bar-nsch’ als Umschreibung für „ich“ verwendet wird. Das griechische Äquivalent o` ui`o.j tou/ avnqrw,pou ist daher nicht zufällig determiniert als Synonym für „ich“ und undeterminiert als eine Bezeichnung für „irgendjemand“, „ein Mensch“ zu finden. Vgl. HAHN, FERDINAND, ui`o,j in: EWNT2 III, 912–937, hier 927. Für ausführliche Untersuchungen zur philologischen Analyse vgl. BEYERLE, Wolken des Himmels, 20–33. 1108 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 373. WOLTER, Lukasevangelium, 444. KLEIN, Lukasevangelium, 249. Vgl. auch Lk 9,26. In diesem Text schlage sich ebenfalls die neutestamentliche Rezeption von Dan 7,13-14 nieder. 1109 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 445. Zwar sei der genaue Sinn von „gegen den heiligen Geist lästern“ und von der Unterscheidung zwischen Unvergebbarkeit dieses Vergehens und Vergebbarkeit der Rede gegen den Menschensohn nicht ganz klar, aber aufgrund der Position des Wortes innerhalb der Rede und aufgrund seiner Vergewisserungsfunktion dürfte der Sinn folgendermaßen zu paraphrasieren zu sein: „Wenn einer der Menschen, vor denen ihr euch zu mir bekennt, etwas gegen mich sagt, ist es nicht so schlimm; wenn er aber euch beschimpft, wird es ihm schlecht gehen.“ (EBD.). 1110 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 445–446. Diese Situation entspreche einer verbreiteten Erfahrung, die auch in der Apostelgeschichte anzutreffen sei (Apg 4,5-7; 5,27f.; 6,9.12-15; 24,1-9 u.a.), wobei zum Teil auch das Stichwort avpologei/sqai zu finden sei (Apg 24,10; 25,8; 26,1.2.24). Wie eine pneumatisch inspirierte Verteidigung auszusehen hat, gehe aus Apg 4,8 hervor.
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11 {Otan de. eivsfe,rwsin u`ma/j evpi. ta.j sunagwga.j kai. ta.j avrca.j kai. ta.j evxousi,aj( mh. merimnh,shte pw/j h' ti, avpologh,shsqe h' ti, ei;phte\ 12 to. ga.r a[gion pneu/ma dida,xei u`ma/j evn auvth/| th/| w[ra| a] dei/ eivpei/nÅ 11 »Wenn sie euch aber zu den Synagogen bringen, den Behörden und den Mächtigen, sorgt euch nicht, wie und womit ihr euch verteidigen oder was ihr sprechen werdet. 12 Denn der Heilige Geist wird euch lehren in jener Stunde, was ihr sprechen müsst.«
Insofern Jesus in Apg 7,55-56 in ähnlicher Weise durch einen Subjektwechsel mit dem Menschensohn identifiziert wird und Stephanus sich in einer derart zugespitzten Gerichtssituation befindet, wie sie Lk 12,11-12 schildert, wird hier die in Lk 12,8-12 angekündigte entscheidende richterliche Funktion des Menschensohnes Jesus im Endgericht eingespielt. Für Stephanus, der der Aufforderung zu öffentlichem Zeugnis für Jesus nachkommt, lässt diese Ankündigung positive Folgen, nämlich eschatologisches Heil (in Form des Bekenntnisses des Menschensohnes zu Stephanus vor der himmlischen Öffentlichkeit; vgl. Lk 12,8b) erwarten. Die Gegner des Stephanus allerdings bestätigen in ihrem Vorgehen gegen den geistbegabten Stephanus (plh,rhj pneu,matoj a`gi,ou vgl. Apg 6,3.5.10; 7,55), der sich zum Menschensohn bekennt, dass sie sich dem Heiligen Geist widersetzen (u`mei/j avei. tw/| pneu,mati tw/| a`gi,w| avntipi,ptete), wie es ihnen in 7,51 vorgeworfen wird. Insofern sich ihr Verhalten als unvergebbare Lästerung gegen den Heiligen Geist (eivj to. a[gion pneu/ma blasfhmei/n Lk 12,10) bewerten lässt, kann der Vorwurf der Blasphemie (6,11) von Stephanus auf die Gegner umgewendet werden. Hinsichtlich Stephanus dagegen erfüllt sich nicht nur die Geistzusage, insofern er als Geistbegabter spricht (6,3.5.10; 7,55), sondern auch die Verheißung Jesu von Lk 12,8, dass sich der Menschensohn vor dem himmlischen Forum zu dem Jünger bekennt, der sich (seinerseits) zu ihm vor dem menschlichen Forum bekennt.1111 Somit kann Apg 7,55-56 auch als Bekenntnis Jesu, des Menschsohnes und Richters, zu seinem Zeugen Stephanus verstanden werden und infolgedessen als Bestätigung der Worte des Stephanus. Wegen der Verknüpfung des Menschensohnes mit dem eschatologischen Gericht vor dem Hintergrund von Dan 7,13f. kann die Menschensohnvision des Stephanus sogar als „Vorwegnahme des Parusiegerichts“1112 gedeutet werden. Demnach zeichnet 7,55-56 das Bild einer ‚doppelten Gerichtsszene‘: Zum einen steht Stephanus als Angeklagter vor dem weltlichen Gericht des Synedriums, zum anderen deutet sich in der 1111
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 337. ZMIJEWSKI, Apg, 337. Er sieht hier sogar eine „heilsgeschichtliche Wende von den Juden zu den Heiden“, da die jüdische Hörerschaft sich gegen Jesus wende. Ähnlich JERVELL, Apg, 252. 1112
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Vision an, dass der Menschensohn als eschatologischer Richter über den Synedristen steht. Mit der Identifizierung Jesu als Menschensohn wird nicht nur in Aufnahme von Lk 12,8-12 dessen Funktion als endzeitlicher Richter angezeigt. Darüber hinaus wird auch auf die Ankündigungen vom Leiden und Sterben des Menschensohnes (Lk 9,22.43; 18,31-33) und insbesondere auf das Menschensohnwort im Prozess Jesu vor dem Synedrium Lk 22,69 angespielt.1113 Auf eine erste christologische Frage des Synedriums, ob Jesus der Christus sei (Lk 22,67a), antwortet dieser zunächst mit einer Art Gegenfrage und ergänzt diese mit der Aussage: avpo. tou/ nu/n de. e;stai o` ui`o.j tou/ avnqrw,pou kaqh,menoj evk dexiw/n th/j duna,mewj tou/ qeou/Å »Von nun an aber wird der Menschensohn sitzen zur Rechten der Macht Gottes.« (Lk 22,69) Im Anschluss daran formulieren die Synedristen eine zweite christologische Frage nach Jesus als o` ui`o.j tou/ qeou/ (Lk 22,70), die Jesus bejaht. Daraufhin verschärft sich das Vorgehen gegen ihn deutlich.1114 Mit dem Menschensohnwort, das hier deutlich in den christologischen Kontext der Fragen nach dem (Selbst-)Verständnis Jesu zugeordnet1115 ist, kündigt Jesus also in Aufnahme von Ps 109,1 LXX seine Erhöhung in den Status des messianischen Mitregenten Gottes an, in dem er von jetzt an (avpo. tou/ nu/n) auf Dauer stehen werde.1116 1113
Das korrespondiert mit der Beobachtung, dass die gesamte Stephanusepisode immer wieder von Referenzen auf die Passion Jesu durchzogen ist. Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 485. 1114 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 253. Durch diesen Zusammenhang werde deutlich, „dass das Bekenntnis zu Jesus als dem aus dem Tod erhöhten Menschensohn den eigentlichen Konfliktpunkt der geschilderten Auseinandersetzungen zwischen den JesusAnhängern und ihren Gegnern darstellt.“ 1115 Diese Einbettung des Menschensohnbegriffs in einen christologischen Kontext wird auch besonders im Markusevangelium deutlich. Denn dort ist an verschiedenen Stellen zu sehen (Mk 8,27ff.; 9,7f.; 13,14; 14,61), dass die Menschensohnaussage als Leitkategorie zu betrachten ist, die in Christus- und Gottessohnaussagen eingeordnet wird. Vgl. MÜLLER, PETER, Zwischen dem Gekommenen und dem Kommenden. Intertextuelle Aspekte der Menschensohnaussagen im Markusevangelium, in: SÄNGER, Gottessohn (2004), 130–157, hier 156–157. 1116 Vgl. KLEIN, Lukasevangelium, 694. WOLTER, Lukasevangelium, 736. Im Gegensatz zur Darstellung bei Mk und Mt fehlt in Lk 22,69 der Hinweis auf das Kommen des Menschensohnes, d.h. auf die Parusie. In anderen Texten des Lukasevangeliums ist allerdings doch die Rede vom Kommen des Menschensohnes (Lk 17,22-37; 18,8). Selbst wenn Apg 7,55-56 besonders Lk 22,69 ähnelt, können Stichwortverbindungen mit Mk 14,62 par. Mt 26,64 und Mt 19,28; 24,30; 25,31 festgestellt werden, die die Funktion des Menschensohnes als richterliche Gestalt im Rahmen des Endgerichts bestätigten. Zwar übernimmt Lk 22,69 das o;yesqe von Mk 14,62c nicht, weil das Sehen des Auferstandenen und Erhöhten allein den apostolischen „Zeugen“ vorbehalten bleibt (Apg 2,32; 3,15; 4,20; 5,32; 9,27 u.a.), aber das „Sehen“ (o`ra,w und qewre,w) des Menschensohnes zur
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Indem Stephanus Jesus als den Menschensohn zur Rechten Gottes verkündet, bezeugt er die Erfüllung zum einen der Ankündigungen vom Leiden und Sterben des Menschensohnes (Lk 9,22.43; 18,31), zum anderen aber auch der Ankündigung der Erhöhung Jesu zum messianischen Mitregenten zur Rechten Gottes (Lk 22,69).1117 Vor dem Hintergrund des Vorwurfs an die Zuhörer des Stephanus, sie hätten den Gerechten in Analogie zu den Propheten getötet (7,52), mit dem der Tod Jesu mittels der Motive des Prophetenschicksals und des leidenden Gerechten (Jes 52,13-53,12) gedeutet wird, enthält die Stephanusvision auch eine prophetenchristologische Aussage:1118 Genau dieser von ihnen getötete Gerechte steht auf dem himmlischen Ehrenplatz erhöht zur Rechten Gottes. Selbst wenn die intertextuellen Verknüpfungen insbesondere mit Lk 12,812 und Lk 22,69 den Leser dahingehend lenken, die Stephanusvision als Zeugnis für Jesus als erhöhten Menschensohn in seiner Funktion als endzeitlicher Richter zu verstehen, spricht gegen diese Deutung die Körperhaltung des Stehens. Im jüdisch-christlichen Traditionsbereich sitzt ein Richter nämlich in der Regel auf seinem Richterstuhl, wie z.B. in Dan 7,910.1119 Ist das Partizip e`stw/ta lediglich als ein Synonym zu ‚sein‘ (ei=nai) zu verstehen oder kommt ihm eine wesentliche Funktion zu?1120 AufRechten Gottes in Apg 7,55-56 den Eindruck, hier habe sich anfanghaft Jesu angekündigte Erhöhung zum richterlichen Menschensohn erfüllt, dessen Zeuge und Verkündiger Stephanus ist. 1117 Vgl. MUßNER, Menschensohn, 288, 299. GAVENTA, Acts, 131. 1118 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 478, 484–485. Jesus in Apg 7,55-56 mit dem leidenden Gerechten zu assoziieren, lege sich vor allem nahe, weil im lukanischen Doppelwerk auch an anderen Stellen Jesus als ‚Gerechter‘ bezeichnet wird, wenn es um seine Passion geht (Lk 23,41.47; Apg 3,14; 7,52; außer Apg 22,14). MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, bes. 287–289, 293–295, erläutert ausführlich, inwiefern sich der innere Zusammenhang des Christustitels mit dem Prophetentitel primär durch Jesu Gottesknechtschaft konstituiert (vgl. Lk 4,18.22.24; 7,16; 24,18-19.22; Apg 3,22-23). Darüber spiele das vierte Gottesknechtslied auch in anderen lukanischen Texten eine große Rolle (z.B. Lk 1,76; 4,24-27; 7,16, 13,33f.; 24,19 u.a.). Vgl. auch GANSERKERPERIN, Tempel, 256. 1119 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 464. Sie verweist auf 1 Hen 3671; SibOr 2,239-943. 1120 Diese Frage nach der Bedeutung von e`stw/ta erhält in der Forschung unterschiedliche Antwortmöglichkeiten. Für eine wesentliche Funktion von e`stw/ta sprechen sich beispielsweise ZMIJEWSKI, Apg, 337 und FITZMYER, Acts, 392–393 aus. Eine Position der Ehre neben Gott betont JERVELL, Apg, 252. Für eine ausführliche Diskussion unterschiedlicher Interpretationen vgl. besonders CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 459–471. Sie bespricht z.B. die Deutung als Begrüßung des Märtyrers durch Jesus, das Gericht über die Gegner des Stephanus, christologisch-eschatologische Deutungen, Jesu fürbittendes Eintreten beim Vater, eine Deutung als Engelchristologie und einige Interpretationen, die den Einfluss anderer Schriftstellen einbeziehen.
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schlussreich für die Erhebung von Sinnpotentialen für diese irritierende Position ist die Betrachtung von Figuren, die in anderen biblischen Texten im Himmel bzw. bei Gott stehen. Da der gesamtbiblischen Vorstellung nach zunächst die Engel als im Himmel Stehende zu finden sind, scheint das ‚Stehen‘ eine Unterordnung gegenüber dem Sitzen bzw. dem Thron Gottes zu implizieren. Wie Engel im Himmel stehen aber vor allem auch (leidende) Gerechte bzw. ‚Märtyrer‘ im Himmel. Beispielsweise berichtet Offb 7,9-17 von ‚Blutzeugen‘, die vor dem Gottesthron stehen, wie die Engel:1121 ou-toi, eivsin oi` evrco,menoi evk th/j qli,yewj th/j mega,lhj kai. e;plunan ta.j stola.j auvtw/n kai. evleu,kanan auvta.j evn tw/| ai[mati tou/ avrni,ouÅ »Diese sind die, die aus der großen Bedrängnis kommen und gewaschen haben ihre langen Gewänder und sie weiß gemacht haben im Blut des Lammes.« (Offb 7,14b) Gerechte befinden sich auch laut Lk 15,7 im Himmel. Zwar wird dort keine Körperhaltung angegeben, aber aufgrund von Motivverknüpfungen gelangt man zum Gedanken des Gerichts durch die Frommen in 1 Kor 6,2; Offb 20,4 oder der Regentschaft der Frommen im Himmel (Eph 2,6; Offb 3,21; 20,4) sowie zu einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Herrschen der Gerechten und ihrem vorherigen Erdulden des Leidens (Offb 3,21; 2 Tim 2,12).1122 Momente des Herrschens bzw. Richtens sind in Apg 7,55-56 also nicht nur durch die Platzierung des Menschensohnes ‚zur Rechten Gottes‘ eingetragen, sondern zugleich durch die Verfremdung des bekannten Motivs vom ‚Sitzen zur Rechten Gottes‘ hin zum ‚Stehen‘. Da hiermit auf biblische Aussagen über die Stellung von Gerechten und Blutzeugen im Him-
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Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 478–479. Darauf weisen ihre weißen Gewänder hin sowie die Verbindung von Offb 7,14 mit Offb 12,11. Vgl. auch Offb 11,11-12. Weiterhin sei die Vorstellung, dass Märtyrer einen Platz im Himmel haben, in einigen späteren Belegen zu finden (vgl. PastHerm; 1 Klem 5,4 belegt, in Eph 12,2; Magn 1,3 u.v.m.). 1122 Demnach sind innerbiblisch Motive zu finden, die in der Rezeption durch spätere Märtyrerakten bestätigt und fortgesetzt werden. Denn dort wird das Stehen der Märtyrer zur Rechten Gottes ebenfalls mit der Interzession am Tag des Gerichts verbunden (vgl. TestJak 8,8). Von himmlischen Stehplätzen für Gerechte berichten auch AscJes; TestBenj; ApkPetr. Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 483. In den wenigen frühjüdischen Belegen sind es in der Regel apokalyptische Himmelsreisende, die nahe bei Gott oder zu seiner Rechten stehen, was aber auf Apg 7,55-56 nicht anwendbar ist. EBD., 475–477, nennt als Beispiele für traditionelle Belege 4 Esra 4,47; TestLev 2,10; TestBenj 10,6; AscJes 9,8-9; 2 Hen. Vgl. auch CHIBICI-REVNEANU, Herrlichkeit, 443, 453, 455–456.
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mel angespielt wird, wird Jesus hier als der dargestellt, der seinem Blutzeugen Stephanus ins Martyrium vorausgegangen ist.1123 Fazit zu Apg 7,55-56 Insgesamt trägt die Stephanusvision nicht nur zur Skizzierung der Gestalt des Stephanus bei, sondern enthält ebenso christologische Sinnpotentiale:1124 Zum einen wird der Menschensohn Jesus als der leidende Gerechte dargestellt, der dem typischen Schicksal der Propheten entsprechend getötet wurde (7,52; vgl. auch Lk 9,22.43; 18,31), was sich in die prophetenchristologischen Horizonte des lukanischen Doppelwerks einordnen lässt. Zum anderen wird Jesus als der von Gott ins Recht gesetzte, erhöhte Menschensohn mit seinen richterlichen Funktionen im eschatologischen Gericht gezeichnet. Beide Sinndimensionen zusammen formieren also das christologische Kontrastschema ‚den ihr getötet habt, den hat Gott auferweckt (und erhöht)‘.1125 Darüber hinaus deutet die auffällige Position des Stehens zur Rechten Gottes auf eine märtyrerchristologische Dimension hin,1126 die der lukanischen Darstellung Jesu und seines Todes mithilfe prophetischer Züge und Anklänge an den leidenden Gottesknecht Jes 53 korrespondiert.1127 Im Kontext der Stephanusepisode erfolgt in 7,55-56 eine deutende Aktualisierung der Jesus-Christus-Geschichte, die eingebettet ist in die Geschichte Israels und diese ebenfalls aktualisiert. Die Geschichte Jesu wird durch folgende Eckpunkte skizziert: Ausgangspunkt ist die Anspielung auf die Passion Jesu durch das Tempellogion (6,13-14), das mit der Frage nach dem Ort der Anwesenheit Gottes verbunden wird. Am Ende der Stephanusrede wird Jesu Tod ausdrücklich als Tod des leidenden Gerechten und als Schicksal eines Propheten in Analogie zur Prophetenverfolgung und -tötung innerhalb der Geschichte Israels konstatiert (7,52). In der Vision 1123
Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 483. Vgl. auch CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 487. Sie spricht von einer „christologischen Mehrdimensionalität“. 1125 Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 472–475, 487–488, erläutert, dass die Position zur Rechten Gottes an sich Jesus anhand einer christologischen Interpretation von Ps 110,1 als Throngenossen Gottes zeigt. 1126 Vgl. Apg 7,52. Dass das Stehen des Menschensohnes auch als Anspielung auf das Martyrium Jesu verstanden worden ist, zeige der unauffällige textkritische Befund zu Apg 7,55-56 und die Wirkungsgeschichte der ‚statio ad dexteram‘ und der ‚Schau eines ins Martyrium Vorangegangenen‘ in den Märtyrerakten. Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 487–488. 1127 Zum Martyriumsmotiv in der lukanischen Darstellung des Todes Jesu vgl. BÖTTRICH, Proexistenz, 432. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 484. Ausführliche Untersuchungen zur Bedeutung von Jes 53 für die lukanische Darstellung des Todes Jesu finden sich bei MITTMANN-RICHERT, Sühnetod, 87–110, 176–181. 1124
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zeigt sich, dass die Geschichte Jesu als Jesus-Christus-Geschichte verstanden wird, insofern der Menschensohn Jesus als Auferstandener und zur Rechten Gottes Erhöhter mit der Funktion eines eschatologischen Richters im Himmel erscheint. Auch mit dem Bild des zur Rechten Gottes stehenden (i;sthmi) Menschensohnes Jesus besteht eine Aktualisierung der skizzierten Geschichte Israels, denn auch der von den Patriarchen abgelehnte Josef ist in eine von Gott gewirkte besondere Position bestellt (kaqi,sthmi) worden (7,10) und der von den Israeliten verworfene Mose wurde laut 7,35 von Gott zum a;rcwn und lutrwth,j bestellt (kaqi,sthmi).1128 Gemeinsam ist diesen Figuren also sowohl die Ablehnung durch Israel als auch die besondere Stellung, die ihnen durch Gott zugunsten für Israel zukommt. Beide Aspekte treffen auch für Jesus zu, wie bereits 7,52 andeutet. Die besondere Stellung, in die Gott den abgelehnten, sogar getöteten Jesus bestellt, zeigt sich in 7,55-56 in besonderer Weise. So liegt nicht nur in der Tötung Jesu eine Steigerung der Verwerfung der exemplarischen Gestalten der Geschichte Israels, sondern ebenfalls in dieser Position Jesu: Der Prophet und Märtyrer Jesus steht als Menschensohn zur Rechten Gottes und zwar im Himmel, dem Ort Gottes. Damit wird zugleich implizit die Frage nach dem Ort und der Präsenz Gottes (7,50) beantwortet. Insofern Stephanus die Herrlichkeit Gottes in Gestalt des zum Menschensohn zur Rechten Gottes stehenden Jesus im Himmel erscheint, bestätigt Gott, was er durch das Prophetenwort 7,49-50 bereits gesagt hat: Nicht der Jerusalemer Tempel ist privilegierter Ort Gottes, sondern der Himmel.1129 Präsent und sichtbar ist der Gott der Herrlichkeit im leidenden Gerechten und Propheten Jesus, der jetzt als erhöhter Menschensohn von seinen Jüngern, hier Stephanus, bezeugt wird. Die Vision verschärft also auch noch einmal die Konturen der Gestalt des Stephanus: Zum einen wird Stephanus als – von Gott erwählter (6,3.5.10; 7,55) – Zeuge für Auferstehung und Erhöhung Jesu sowie die Anwesenheit Gottes in Gestalt des Menschensohnes Jesus bzw. in seinen Zeugen dargestellt. Das wird beispielsweise daran deutlich, dass Stephanus gleich nach dem
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Am Verb i;sqhmi kann auch eine Verbindung zu Stephanus als einem der Sieben, die ebenfalls zu ihrem Dienst bestellt (kaqi,sthmi) werden (6,3.6), festgestellt werden. 1129 MUßNER, Menschensohn, 287, sieht von 7,55-56 her eine Erklärung für die Polemik des Stephanus gegen „diesen heiligen Ort“. Vgl. auch LARKIN, Acts, 121. GANSERKERPERIN, Tempel, 257–259, ordnet die Stephanusvision in die Linie der Relativierung der Vorstellung vom Tempel als dem Ort der Einwohnung Gottes in seinem Volk ein, die Stephanus in seiner Rede verfolgt. Die Vision illustriere die Reichweite der Auferstehungsaussage (vgl. Apg 2,24; 3,15) und greife dabei die Vorstellung von Jesus als einem priesterlichen Interzessor am himmlischen Tempel auf.
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Bericht der Vision den Inhalt davon mit ähnlichen Worten mitteilt (7,56).1130 Zum anderen trägt die Vision im Rahmen der Stephanusepisode erneut zur Portraitierung des Stephanus als prophetische Gestalt in Analogie zu Mose1131 und nicht zuletzt zu Jesus1132 bei. Darauf weist die nochmalige Erwähnung seiner Geistbegabung (7,55) und das Visionsgeschehen an sich hin. Insofern Visionen als Kommunikationsmittel Gottes dienen,1133 hat wohl auch diese Vision die Funktion, den besonderen Gottesbezug des Stephanus zu unterstreichen, ihn damit als Propheten (Gesandten Gottes) vom Himmel her zu bestätigen und auf diese Weise noch einmal den Kontrast zu den Gegnern zu akzentuieren.1134 Dem entspricht auch die Reaktion der Anwesenden in Apg 7,57. Apg 7,57-58a 57a kra,xantej de. fwnh/| mega,lh| sune,scon ta. w=ta auvtw/n b kai. w[rmhsan o`moqumado.n evpV auvto.n 58a kai. evkbalo,ntej e;xw th/j po,lewj evliqobo,lounÅ 57a »Sie aber schrien mit lauter Stimme, hielten sich ihre Ohren zu b und stürmten einmütig auf ihn los 58a und sie trieben ihn aus der Stadt hinaus und steinigten ihn.« Bei dem nicht näher bestimmten Subjekt dieser Reaktion handelt es sich wie in 7,54 um die gesamte Hörerschaft des Stephanus. Die Qualität ihres 1130
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 336. Ein Zeuge zeichne sich nach lukanischer Darstellung durch Geistbegabung und durch die Kundgabe dessen, was er selbst gesehen und gehört hat, aus (vgl. Apg 22,20). 1131 Verbindungen mit Mose bestehen z.B. im verklärten Gesicht 6,15 mit Ex 34,2935, in der Argumentation mit dem Gesetz und der Klage über den Gesetzesungehorsam, durch die Stephanus als gesetzestreu vorgestellt wird. Auch durch die Ablehnung und im Visionsgeschehen (7,30) wird Stephanus als Prophet in Analogie zu Mose dargestellt. Da Letzteres bei Mose – ebenso wie bei Abraham – Auslöser für Aufbruch ist, könnten auch die Vision des Stephanus und die dadurch angestachelte Steinigung den Aufbruch in die Zerstreuung (8,2) und zur Ausbreitung des Evangeliums signalisieren. Vgl. CHIBICIREVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 485–486. 1132 Vgl. dazu 6,13-14 und die Analogien zwischen der Steinigung des Stephanus und der Kreuzigung Jesu. Vgl. CHIBICI-REVNEANU, Himmlischer Stehplatz, 485. 1133 Vgl. KOET, Dreams, 15–16, 24. Durchgängig zeige sich, dass mit Träumen und Visionen die Heidenmission als dem göttlichen Willen folgend legitimiert wird. 1134 Vgl. GANSER-KERPERIN, Tempel, 253, der eine Analogie zu Apg 6,15 und äthHen 46,1 beobachtet, wo ebenfalls der Zusammenhang zwischen einem engelartigen Aussehen und dem Menschensohn sichtbar werde. PENNER, Praise, 299, sieht in 7,55-56 eine Parallele zur Funktion des Themas Auferstehung in der Weisheit Salomos: „The righteous sufferer is vindicated and affirmed as „righteous“ by the presence of Jesus/God.“
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Geschreis wird nicht nur durch das betont vorangestellte Partizip kra,xantej, sondern zusätzlich durch fwnh/| mega,lh| ausgedrückt. Auch die Wendung sune,scon ta. w=ta auvtw/n »(sie) hielten sich ihre Ohren zu« untermauert, dass die Zuhörer sich gegen Stephanus und seine gerade mitgeteilte Vision auflehnen. Sie ‚überschreien‘ die Worte des Stephanus nicht nur, sondern ‚überhören‘ sie auch, indem sie sich ihre Ohren zuhalten. Damit verschließen sie sich aktiv gegen das, was Stephanus ihnen verkündet. So bestätigen sie den Vorwurf der Unbeschnittenheit an Herzen und Ohren (avperi,tmhtoi. kardi,aij kai. toi/j wvsi,n)1135 und des Widerstandes gegen den Heiligen Geist (7,51), da sie sich offensichtlich für den Geistträger Stephanus (7,55) verschließen. Die Ablehnung des Stephanus und seiner Vision äußert sich darüber hinaus in gewalttätigem Vorgehen gegen ihn: kai. w[rmhsan o`moqumado.n evpV auvto,n »und stürmten einmütig auf ihn los« (7,57b). Da das Adverb o`moqumado,n betont, dass sich die Gruppe in ihrer Gegnerschaft gegen Stephanus einig ist,1136 ist die Szene erneut vom Gegenüber einer übermächtig großen Menge einerseits und Stephanus als einzelnem andererseits geprägt, ähnlich wie in 6,12, wo Stephanus von seiner Gegnerschaft handgreiflich vor das Synedrium geschleppt wird. Demgegenüber stellt die Reaktion der Menge in 7,57 eine weitere Steigerung des gewalttätigen Vorgehens gegen Stephanus dar.1137 Diese Szenerie spielt auf die Auseinandersetzung um das Urteil Jesu vor Pilatus Lk 23,13-25 an: Dort wird mit verschiedenen Varianten der Wortfelder kra,zw und fwne,w lautmalerisch das sich steigernde Vorgehen einer Menge gegen Jesus ausgedrückt:1138 Nachdem Pilatus vor den versammelten Hohenpriestern, Obersten und den Jerusalemer Juden die Unschuld Jesu beteuert hat und darum vorschlägt, Jesus freizulassen, schildert Lk 23,18 die Reaktion der Anwesenden darauf: VAne,kragon de. pamplhqei. le,1135
Vergleiche die Stichwortverbindung zwischen 7,57 und 7,51 mit dem Lexem ou=j. Vgl. JERVELL, Apg, 253. FITZMYER, Acts, 393. Dieses lukanische Vorzugswort o`moqumado,n finde sich auch in Apg 1,14, um die Einmütigkeit der Apostel im Gebet auszudrücken, sowie zur Bezeichnung einer positiven Einmütigkeit in Apg 2,46; 4,24; 15,25 u.a. Demgegenüber stellt die „einmütige“ Gegnerschaft des Stephanus ein Kontrastbild dar. Vgl. auch die Formulierung der Gegnerschaft gegen Paulus in Apg 18,12; 19,29. ZMIJEWKSI, Apg, 338, sieht im Verb o`rma,w die gewaltige Abwehr gegen Stephanus in Analogie zur Schweineherde verbildlicht, in die die Dämonen bei der Heilung des Besessenen von Gerasa hineinfahren (Lk 8,33). So könne auch in Apg 7,57 die Menge als „dämonisiert“ bezeichnet werden. 1137 Dies wird unterstützt von dem beschleunigten Erzähltempo gegenüber dem sehr ruhigen Tempo in der Stephanusrede. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 388. 1138 Vgl. KLEIN, Lukasevangelium, 701. Er betont, dass die Forderung zur Kreuzigung nicht von Pilatus, sondern von der Menge ausgeht, der es nur um die Durchsetzung ihres Willens geht, nicht um Gerechtigkeit. Diese Motivverwandtschaft ist analog in Mk 15,12-15 parr. Mt 27,20-26 zu finden. 1136
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gontej\ ai=re tou/ton( avpo,luson de. h`mi/n to.n Barabba/n\ »Aber sie schrien alle zusammen auf und sagten: Beseitige diesen, lass uns aber den Barnabas frei!« (Lk 23,18) Mit etwas anderen Worten wird sogar die Forderung nach der Kreuzigung Jesu formuliert Lk 23,21: oi` de. evpefw,noun le,gontej\ stau,rou stau,rou auvto,nÅ »Sie aber riefen laut und sagten: Kreuzige, kreuzige ihn!« Nachdem sich der Inhalt ihres Geschreis verschärft hat, erfolgt in Lk 23,23 auch eine Steigerung der Lautstärke: oi` de. evpe,keinto fwnai/j mega,laij aivtou,menoi auvto.n staurwqh/nai( kai. kati,scuon ai` fwnai. auvtw/n. »Sie aber setzten ihm zu mit gewaltigem Geschrei und forderten, dass er gekreuzigt werde, und stärker wurde ihr Geschrei.«
Eine ähnliche Klimax ist in Apg 7,54-60 festzustellen. Selbst wenn die Gegnerschaft in Apg 7,57 keine exakte Todesart für Stephanus fordert, so signalisiert die Wortwahl Analogien zum Verhalten der Menge im Prozess Jesu. Insofern Lk 23,25 noch einmal den Jerusalemer Juden die Hauptverantwortung für die Kreuzigung Jesu zuschreibt,1139 spielen diese im Fall Jesu eine ähnliche Rolle wie im Konflikt um Stephanus, an dem außer einer unbestimmten Menge aus Volk und Synedrium keine andere Instanz beteiligt ist. Darüber hinaus zeigt sich in dieser Gewaltsteigerung gegen Stephanus im Anschluss an seine Vision des Menschensohnes zur Rechten Gottes eine kontextuelle Parallele zur Darstellung des Prozesses Jesu vor dem Synedrium nach Mk 14,53-65 par. Jesu Ankündigung, der Menschensohn werde zur Rechten Gottes sitzen und mit den Wolken des Himmels kommen (Mk 14,62), ist auch dort gewissermaßen Mit-Auslöser für den Tod Jesu. Der Hohepriester versteht nämlich dieses Menschensohnwort als Blasphemie, die Synedristen stimmen ihm zu und erklären konsequenterweise, dass Jesus des Todes würdig sei. Daraufhin misshandeln sie Jesus körperlich und verspotten ihn verbal (Mk 14,63-65) – in Analogie zum Schicksal des leidenden Gerechten, dem ebenfalls als Ausdruck tiefster Verachtung ins Gesicht gespuckt wird.1140 Wenn Jesus daraufhin zu Pilatus geführt wird, schreitet der Prozess in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise ordentlich weiter voran.1141
Ähnlich wie die Synedristen in Mk 14,62-65 reagieren auch die Anwesenden bei Stephanus mit starker Ablehnung auf sein Menschensohnwort (7,56). Allerdings schreiten sie sofort zur Steinigung voran, vollziehen also 1139
Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 749. In Mt 27,30 wird Jesus zusätzlich die ironische Frage gestellt: „Wer ist es, der dich schlägt?“ (Jes 50,6). Vgl. dazu LUZ, Evangelium nach Matthäus, 204–205, 292–293, 296. 1141 Selbst wenn der lukanische Passionsbericht an dieser Stelle von der mk und mt Version etwas abweicht, ist in Lk 22,71-23,1 ebenfalls das Menschensohnwort Jesu Anlass dafür, ihn vor Pilatus zu bringen. 1140
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die der Blasphemie entsprechende Todesstrafe ohne ein formelles Todesurteil und ohne einen weiteren Prozess vor einem römischen Repräsentanten. Somit wird das Vorgehen gegen Stephanus im Vergleich mit dem Prozess Jesu als Lynchjustiz dargestellt.1142 Offensichtlich wird dies in 7,58a, denn dort wird – wie die bisherige Dynamik erwarten lässt – mit hoher Geschwindigkeit eine weitere Steigerung der Aggression der Gegner berichtet:1143 kai. evkbalo,ntej e;xw th/j po,lewj evliqobo,loun. »und sie trieben ihn aus der Stadt hinaus und steinigten ihn.« Sie1144 stürmen nicht nur gegen Stephanus los, sondern werfen ihn nun sogar gewaltsam aus der Stadt hinaus (evkba,llw1145), und steinigen (liqobole,w) ihn dort letztendlich. Mit der Steinigung des Stephanus vollziehen seine Gegner die Strafe für Blasphemie, die Gott laut Lev 24,10-16 selbst anordnet:1146 Im Kontext einer konkreten Fallerzählung über einen nicht-israelistischen Gotteslästerer1147 macht Gott in Lev 24,14 die Anweisung: evxa,gage to.n katarasa,menon e;xw th/j
1142 Ähnliche Schilderungen finden sich im Vorgehen gegen Paulus in Korinth Apg 18,12, in Ephesus Apg 19,29ff.) und Jerusalem auf die Rede des Paulus im Tempelvorhof hin Apg 22,22. 1143 Auch syntaktisch wird diese weitere Steigerungsstufe der Aggressivität und Schnelligkeit des Vorgehens gegen Stephanus umgesetzt, da 7,58a nur mit kai, an die beiden in 7,57 geschilderten Reaktionen anknüpft. So werden in dem Satz, der in 7,57a beginnt, die verschiedenen Reaktionen dicht aneinander gereiht und zwar in Form von Partizipien, die jeweils durch kai, miteinander verbunden sind. 1144 Subjekt ist dieselbe Gruppe wie in 7,54.57. Vgl. FITZMYER, Acts, 393. JERVELL, Apg, 253, dagegen nennt ausdrücklich die Synedristen als Subjekt, ZMIJEWSKI, Apg, 338 die Zeugen der Gotteslästerung von 6,13-14. 1145 Vgl. BAUER, Wörterbuch, 477. evkba,llw impliziere den Aspekt der Gewalt. 1146 HIEKE, THOMAS, Das Alte Testament und die Todesstrafe, in: Biblica 85 (2004), 349–374, hier 352, 365, erklärt: Lev 24,10-16 ist ein Beispiel für ein autoritativ von Gott selbst verhängtes Urteil in Form eines mot-Satzes, der dann weitere Rechtssätze nach sich zieht, und paradigmatisch-paränetischen Charakter hat. mot-Sätze als „Todesdeklarationen“ seien kein Strafrecht im engeren Sinn, sondern deklarieren, dass derjenige, der gegen ein im Prohibitvrecht ausgedrücktes Verbot verstoßen hat, unentrinnbar dem Tod verfallen ist. Damit basieren mot-Stäze auf einem normierten Rechtsverhältnis zwischen bestimmten Taten und der dadurch gesetzte Wirklichkeit der Todessphäre. Auf Lev 24,10-16 weisen FITZMYER, Acts, 393. JERVELL, Apg, 253. ZMIJEWSKI, Apg, 338 u.a. hin. Auch Num 15,35 schreibt Steinigung außerhalb des Lagers vor, um das Lager nicht durch den Toten zu verunreinigen. 1147 GERSTENBERGER, ERHARD S., Das dritte Buch Mose Leviticus (ATD 6), Göttingen 6 1993, 330, weist auf die doppelte Beschreibung des Tatbestandes in Lev 24,11 hin: Verletzung des Namens und Fluch. Diese spreche für eine verbale Aggression gegen JHWH. Weitverbreitete Rechtspraxis sei, dass unklare Rechtsfälle durch Gott selbst entschieden werden mussten (Dtn 16,8-13).
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parembolh/j … kai. liqobolh,sousin auvto.n pa/sa h` sunagwgh, »Bringe den, der verflucht hat, aus dem Lager heraus … und die ganze Versammlung soll ihn steinigen.«1148 In Lev 24,15b-16a wird dann ein Gesetz über „Gottesverfluchung“ formuliert, in dem nicht nur ausdrücklich die Todesstrafe, sondern auch Steinigung als Hinrichtungsart bestimmt wird: ovnoma,zwn de. to. o;noma kuri,ou qana,tw| qanatou,sqw li,qoij liqobolei,tw auvto.n pa/sa sunagwgh. Israhl »Wer aber den Namen des Herrn nennt, soll durch den Tod hingerichtet werden. Mit Steinen soll die ganze Versammlung Israels ihn steinigen ...« (Lev 24,16a)1149 Darüber hinaus sieht Dtn 17,2-71150 Steinigung als Strafe für denjenigen vor, der in den Augen Gottes Böses tut, gegen den Bund verstößt oder anderen Göttern dient, wobei ausdrücklich der Dienst an Gestirnen genannt wird: … kai. evlqo,ntej latreu,swsin qeoi/j e`te,roij kai. proskunh,swsin auvtoi/j tw/| h`li,w| h' th/| selh,nh| h' panti. tw/n evk tou/ ko,smou tou/ ouvranou/ a] ouv prose,taxen »… und [wenn] sie weggehen und anderen Göttern dienen und sich vor ihnen niederwerfen werden – vor der Sonne oder dem Mond oder vor jedem sonst aus dem Schmuck des Himmels« (Dtn 17,3). Das genaue Vorgehen regelt daraufhin Dtn 17,4-7: Voraussetzung für die Verurteilung zur Steinigung ist die Feststellung des Tatbestandes des Götzendienstes auf der Grundlage von mindestens zwei oder drei Zeugenaussagen (Dtn 17,4.6). Die Anweisung für den Vollzug der Steinigung selbst lautet folgendermaßen: kai. evxa,xeij to.n a;nqrwpon evkei/non h' th.n gunai/ka evkei,nhn kai. liqobolh,sete auvtou.j evn li,qoij kai. teleuth,sousin »dann sollst du jenen Menschen oder jene Frau herausführen und ihr sollt sie mit Steinen steinigen, so dass sie sterben« (Dtn 17,5). Dtn 17,7 bestimmt sogar den Ablauf der Steinigung: Die Zeugen sollen mit der Steinigung beginnen, danach soll das ganze Volk einschreiten.1151
Da Steinigung außerhalb der Stadt also die in Lev 24,10-23 und Dtn 17,2-7 deklarierte Strafe für Blasphemie und Götzendienst ist,1152 und da sie in 1148
Vgl. GERSTENBERGER, Leviticus, 331. Er spricht von einem „Exekutionsbefehl“. Juristisch gesehen fehle das Urteil. Die Steinigung eines Gotteslästerers sei zumindest in gewissen Perioden der Glaubensgeschichte Israels ein normales Verfahren gewesen und habe als besonders entwürdigende, feierliche Tötung gegolten (Ex 19,13; Jos 7,25; 2 Chr 24,21). 1149 Laut GERSTENBERGER, Leviticus, 333, erinnert dieser reine Rechtssatz in seiner Kürze und Formelhaftigkeit („der muss sterben“) an Bestimmungen bzw. Drohungen in Lev 20,9-18; Ex 21,12-17. Aus der Geschichte solle eine allgemein gültige „Moral“ gezogen werden. 1150 Darauf weisen FITZMYER, Acts, 393. JERVELL, Apg, 253. ZMIJEWSKI, Apg, 338 u.a. hin. 1151 Vgl. HIEKE, Todesstrafe, 362 mit Anm. 50, der erklärt „das ganze Volk“ oder „die Gemeinde“ (hd[) sind idealtypische Größen auf literarischer Ebene, keine konkreten Gerichtsinstanzen. Daran werde deutlich, dass keine eigenen Gerichte und Institutionen für ein Todesstrafrecht vorgesehen waren. 1152 Paradoxerweise wird an Stephanus die Strafe für das vollzogen, was die Väter in der Wüstezeit praktizieren: Götzendienst an Himmelskörpern (vgl. 7,42-43). DORMEYER/
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Apg 7,58 als unmittelbare Reaktion auf die Verkündigung der Vision des Menschensohnes folgt, wird diese von den Gegnern des Stephanus wohl als Bestätigung des Blasphemievorwurfs (6,11.13-14) verstanden.1153 Darin besteht eine weitere Parallele zur Verhandlung Jesu vor dem Synedrium, denn in Mk 14,64 bezeichnet der Hohepriester das Menschensohnwort Jesu (Mk 14,62) ausdrücklich als Blasphemie und infolgedessen sind sich die Synedristen einig, dass über Jesus die Todesstrafe verhängt werden müsse. Im Unterschied zum Prozess Jesu sprechen die Gegner des Stephanus nicht aus, dass sie sein Menschensohnwort als Blasphemie beurteilen, und sie vollziehen die Strafe der Steinigung sofort ohne ein geregeltes Gerichtsverfahren. Auch damit erweist sich die Steinigung des Stephanus als spontane Lynchjustiz,1154 die außerdem den Anweisungen von Dtn 17,4.7 widerspricht, da der Tatbestand nicht sicher festgestellt und kein formaler Urteilsspruch gegen Stephanus formuliert wird. Auf ein unrechtmäßiges Handeln der Gegner weist außerdem die Tatsache hin, dass der Blasphemievorwurf gegen Stephanus als Falschzeugnis deklariert wird (6,13). Vielmehr wird Stephanus konsequent als Geistbegabter vorgestellt (6,5.8.10.15; 7,55-56), der dementsprechend vom Gott der Herrlichkeit spricht (7,2) und dessen besonderer Gottesbezug von Gott selbst bestätigt wird (6,15; 7,55-56). So zeigt sich auch hier, dass die Gegner mit der Steinigung des Stephanus den Vorwürfen von 7,51-53 entsprechen,1155 und sich darin die für die Geschichte Israels typische Prophetenverfolgung und -tötung in Analogie zum Schicksal Jesu realisiert und aktualisiert.1156
GALINDO, Apg, 117, erklären, das Wort „Menschensohn“ werde von den Gegnern als Gestirnsgottheit verstanden. 1153 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 338. LARKIN, Acts, 122. 1154 Vgl. FITZMYER, Acts, 393. ZMIJEWSKI, Apg, 338. 1155 Vgl. JERVELL, Apg, 253. 1156 Dass Jesu Tod als Prophetenschicksal zu verstehen ist, kündigt Jesus selbst schon im Rahmen seiner ersten öffentlichen Rede in Nazaret an (Lk 4,14-30). Dies wird dort auch schon im Kleinen realisiert, insofern Jesus aus der Stadt gejagt wird (Lk 4,29). Dabei wird dieselbe Wortwahl verwendet wie in Apg 7,58a: evkbalei,n e;xw th/j po,lewj … WOLTER, Lukasevangelium, 198 und KLEIN, Lukasevangelium, 193, schreiben Lk 4,1430 programmatischen Charakter für das lukanische Doppelwerk zu. Ähnlich SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 62–64, 319. Da sich das Motiv der Prophetenverfolgung auch im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte findet (vgl. Apg 114,3.19; 28,26f.), kann in der Stephanusepisode in dieser Hinsicht analog zu Lk 4,14-30 paradigmatischer und programmatischer Charakter gesehen werden.
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Apg 7,58b-60 58b kai. oi` ma,rturej avpe,qento ta. i`ma,tia auvtw/n para. tou.j po,daj neani,ou kaloume,nou Sau,lou( 59a kai. evliqobo,loun to.n Ste,fanon evpikalou,menon kai. le,gonta\ b ku,rie VIhsou/( de,xai to. pneu/ma, mouÅ 60a qei.j de. ta. go,nata e;kraxen fwnh/| mega,lh|\ b ku,rie( mh. sth,sh|j auvtoi/j tau,thn th.n a`marti,anÅ c kai. tou/to eivpw.n evkoimh,qhÅ 58b »Und die Zeugen legten ihre Obergewänder zu den Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß, 59a und sie steinigten Stephanus, während er anrief und sagte: b Herr, Jesus, nimm meinen Geist! 60a Und auf die Knie gefallen schrie er mit lauter Stimme: b Herr, nicht rechne ihnen diese Sünde an! c Und als er dies gesagt hatte, entschlief er.« Obwohl die Notiz von der Steinigung 7,58a die Episode eigentlich abschließen könnte, setzt 7,58b neu an und erzählt genauere Einzelheiten dazu, indem zunächst der Blick auf die Zeugen gerichtet wird: kai. oi` ma,rturej avpe,qento ta. i`ma,tia auvtw/n para. tou.j po,daj neani,ou kaloume,nou Sau,lou. »Und die Zeugen legten ihre Obergewänder zu den Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß.« Zwar wird der Personenkreis der Zeugen weder der Anzahl noch seiner Zusammensetzung nach näher bestimmt, aber die an sich neutrale Bezeichnung oi` ma,rturej ist aufgrund der ma,rturej yeudei/j von 6,13-14 negativ konnotiert. Sie werden auch nicht als solche Zeugen vorgestellt, die den Forderungen von Dtn 17,4-7 nachkommen und damit dem Vorgehen gegen Stephanus rechtmäßigen Charakter verleihen. Von ihnen wird nämlich zunächst nicht die Feststellung des Tatbestandes und der Beginn der Steinigung berichtet, sondern dass sie ihre Kleider ablegen. Da diese Handlung weder einer Gesetzesvorschrift noch einer sonstigen Regulierung für Steinigungen entspricht,1157 ist ihre Funktion rätselhaft.
1157
Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 338. JERVELL, Apg, 253. Zwar gibt es spätere Regulierungen durch die Mischna, die Steinigung unter Zeugenschaft vorschreiben und bestimmen, der Verurteilte selbst, müsse seine Kleider ausziehen (vgl. Sanhedrin 6,1-7,10), aber über das Rechtsverfahren zur Zeit des Lk ist sehr wenig bekannt. FITZMYER, Acts, 394, weist darauf hin, dass laut Apg 4,35.37; 5,2 Grundstücks- oder Hausbesitzer in der Jerusalemer Gemeinde ihren Besitz verkaufen und den Erlös den Aposteln vor die Füße legen, damit jeder so viel bekommt, wie er braucht. M.E.n. trägt diese Handlung wenig zur Erhebung der Funktion der Zeugen von Apg 7,58 bei. Bestenfalls stellt diese eine Art Kontrastfolie zu Apg 7,58 dar.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Aufmerksamkeit weckt zusätzlich, dass im Rahmen dieser Handlung, bei der alle Beteiligten anonym sind, eine neue Person namentlich eingeführt wird: Sau,loj. Neben seinem Namen1158 wird er noch als neani,aj1159 charakterisiert und in der Rolle desjenigen vorgestellt, vor dem die Zeugen ihre Kleider niederlegen.1160 Zwar zählt Saulus demnach zu den Zeugen der Steinigung des Stephanus und nimmt innerhalb dieser Gruppe eine besondere Position ein. Aber primär präsentiert diese Art der Einführung Saulus als eine nicht näher beschriebene und damit rätselhafte Gestalt. Diese Rolle des Saulus bei der Steinigung des Stephanus wird in der Verteidigungsrede des Paulus im Tempelvorhof in Jerusalem (Apg 22,1-21) aufgegriffen. Im Rückblick auf seine Berufung durch Christus unterstreicht Paulus die Besonderheit dieses Ereignisses, indem er auf seine frühere Verfolgertätigkeit hinweist. Als konkretes Beispiel beschreibt er dabei auch die kurze Szene von Apg 7,58b: kai. o[te evxecu,nneto to. ai-ma Stefa,nou tou/ ma,rturo,j sou( kai. auvto.j h;mhn evfestw.j kai. suneudokw/n kai. fula,sswn ta. i`ma,tia tw/n avnairou,ntwn auvto,nÅ »Und als das Blut deines Zeugen Stephanus vergossen wurde, und ich selbst war es, der dabeistand und es billigte und bewachte die Obergewänder derer, die ihn ermordeten.« (Apg 22,20) Demnach besteht der Beitrag des Saulus zur Steinigung des Stephanus in einem bloßen Dabeistehen (evfestw,j), womit seine Zeugenschaft eingeschlossen ist, in seiner Zustimmung (suneudokw/n) und Bewachung (fula,sswn) der Kleider derer, die Stephanus tatsächlich steinigen. Selbst wenn Saulus demzufolge nicht handgreiflich gegen Stephanus vorgegangen ist, nimmt er dennoch deutlich eine besondere Rolle im diesem Geschehen ein.
Dieser Rückblick auf Apg 7,58b in Apg 22,20 deutet lediglich darauf hin, dass diese rätselhafte Erwähnung des Saulus primär dazu dient, den ‚Haupt-Protagonisten‘ der zweiten Hälfte der Apostelgeschichte1161 einzuführen und dabei bereits auf dessen Besonderheiten aufmerksam zu ma1158 Sau,loj ist die gräzisierte Form des hebräischen Namens Š’ûl, was so viel heißt wie „(das Kind) gerufen für/von Gott”. Vgl. FITZMYER, Acts, 394. JERVELL, Apg, 253. KEE, Acts, 104. Bis Apg 13,1-3 wird er immer Saulus genannt. 1159 neani,aj bezeichnet FITZMYER, Acts, 394, zufolge einen jungen Mann im Alter von 24-40 Jahren. Ähnlich erklärt DORMEYER/GALINDO, Apg, 118, das Jünglingsalter gehe bis 30 Jahre (Lk 3,23). 1160 Vgl. DORMEYER/GALINDO, Apg, 118. Das Ablegen der Kleider diene dazu, Saulus einzuführen. 1161 Ab Apg 9 und insbesondere ab Apg 13 rückt das Wirken des Saulus bzw. Paulus (Apg 13,9) ins Zentrum der Apostelgeschichte. Ähnlich sieht SPENCER, Acts, 82, in der nur kurzen Einführung des Saulus (7,58) dessen wichtige Rolle ausgedrückt. Die rätselhafte Bezeichnung des Saulus als neani,aj könnte in einem übertragenen Sinn als Betonung der Tatsache verstanden werden, dass dieser ein ‚Neuling‘, d.h. ein neuer Protagonist innerhalb des lukanischen Doppelwerkes ist.
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chen. Zum einen ist durch seine Zugehörigkeit zu den Zeugen gegen Stephanus und seine Sonderstellung darin die jüdische Herkunft1162 des Paulus impliziert, der sich durch die Ablehnung des Stephanus ebenfalls in das vorgeworfene typische Verhalten der Israeliten gegenüber prophetischen Gestalten einreiht. Zum anderen ist dadurch von Anfang an seine negative Vorgeschichte als Kontrastfolie zu seiner späteren Berufung festgehalten. Dieser Kontrast wird im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte immer wieder zur Legitimation seiner Verkündigungstätigkeit infolge seiner beispielhaften Umkehr aufgegriffen. Ohne näher auf den neu eingeführten Saulus einzugehen, wird in 7,59 das Geschehen der Steinigung näher beleuchtet: kai. evliqobo,loun to.n Ste,fanon evpikalou,menon kai. le,gonta\ … »Und sie steinigten Stephanus, während er anrief und sagte: …« Da hiermit der Satz von 7,58b parataktisch fortgesetzt wird, erweisen sich die eben genannten oi` ma,rturej nun als Vollstrecker der Steinigung.1163 Dies wird unterstrichen, indem durch die Wiederaufnahme von liqobole,w eine Inklusion der Notiz über die Zeugen und Saulus (7,58a. 59a) entsteht: 7,58a kai. evkbalo,ntej e;xw th/j po,lewj evliqobo,lounÅ 7,58b kai. oi` ma,rturej avpe,qento ta. i`ma,tia auvtw/n para. tou.j po,daj neani,ou kaloume,nou Sau,lou( 7,59a kai. evliqobo,loun to.n Ste,fanon evpikalou,menon kai. le,gonta\ Da die nun ausdrücklich aktive Rolle »der Zeugen« der Forderung von Dtn 17,7 entspricht, die Zeugen sollen mit der Steinigung des Verurteilten beginnen, erhält dieses Vorgehen gegen Stephanus den Anschein von Rechtund Vorschriftmäßigkeit. Außerdem wird die Gestalt des Stephanus als Opfer der Steinigung ausdrücklich1164 fokussiert. Dabei zeigt sich als erstes erneut sein besonderer Bezug zu Gott bzw. Jesus, was nicht nur das Partizip evpikalou,menon1165 1162
So kann auch die explizite Charakterisierung des Saulus als neani,aj als Hinweis auf seine jüdische Herkunft und Vorgeschichte (‚von Jugend an‘) verstanden werden, die sich später ändern wird. 1163 In 7,58a war das Subjekt von evliqobo,loun noch unklar. 1164 Er wird hier auch namentlich genannt. Das fällt umso mehr auf, als sein Name in der gesamten Episode bisher nur dreimal gefallen ist (6,5.8.9), wobei jeweils zugleich die besondere Geistbegabung des Stephanus erwähnt wird. So wird mit der erneuten Nennung des Namens Stephanus in 7,59a verdeutlichend daran erinnert, dass genau dieser geistbegabte Stephanus nun gesteinigt wird. 1165 evpikale,omai (Med.) bedeutet „(den Herrn) anrufen“, wobei mit „Herr“ hier Jesus gemeint sein dürfte. Vgl. JERVELL, Apg, 253. BAUER, Wörterbuch, 596.
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andeutet, sondern sich vor allem in seiner Bitte ku,rie VIhsou/( de,xai to. pneu/ma, mou »Herr, Jesus, nimm meinen Geist« manifestiert. Indem Stephanus Jesus mit dem Titel ku,rie anredet, bekennt er sich implizit zu Auferstehung und Erhöhung Jesu1166 und zeigt mit dieser christologischen Aussage, dass er sich an eben den Jesus wendet, den er in seiner Vision (7,55-56) als Menschensohn erhöht zur Rechten Gottes gesehen hat. Außerdem drückt Stephanus mit den Worten de,xai to. pneu/ma, mou »nimm meinen Geist« die Akzeptanz seines Todes und auch Vertrauen zum erhöhten Kyrios Jesus aus.1167 Das zeigt sich umso deutlicher insofern, als mit dieser Formulierung in Anlehnung an Ps 30,6 LXX1168 das Gebet Jesu vor seinem Tod laut Lk 23,46 eingespielt wird: Ps 30,6 LXX
eivj cei/ra,j sou paraqh,somai to. pneu/ma, mou evlutrw,sw me ku,rie o` qeo.j th/j avlhqei,aj
»In Deine Hände werde ich meinen Geist übergeben. Du hast mich erlöst, Herr Gott der Wahrheit.«
Lk 23,46
Apg 7,59
kai. fwnh,saj fwnh/| mega,lh| o` VIhsou/j ei=pen\ pa,ter( eivj cei/ra,j sou parati,qemai to. pneu/ma, mouÅ tou/to de. eivpw.n evxe,pneusenÅ
kai. evliqobo,loun to.n Ste,fanon evpikalou,menon kai. le,gonta\ ku,rie VIhsou/( de,xai to. pneu/ma, mouÅ
»Und mit lauter Stimme schrie Jesus und sprach: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist. Als er das gesprochen hatte / indem er das sprach, hauchte er den Geist aus.«
»Und sie steinigten Stephanus, während er anrief und sagte: Herr, Jesus, nimm meinen Geist!«
Diese letzten Worte Jesu qualifizieren nicht nur sein Sterben, sondern auch seine Gottesbeziehung, denn Jesus gibt mit dieser Vertrauensäußerung – unterstrichen durch die Anrede Gottes als »Vater« – der Gewissheit Ausdruck, auch nach dem Tod noch in Gottes
1166 Vgl. FITZMYER, Acts, 394. JERVELL, Apg, 254. In der Stephanusrede bezeichnet kuri,e ausschließlich Gott (7,31.33.49). Der Namen „Jesus“ oder ein Titel für ihn findet sich bisherin der Stephanusepisode nicht, nur die Bezeichnungen o` di,kaioj (7,52) und o` u`io,j tou/ avnqrw,pou (7,56). 1167 Der Imperativ de,xai deutet an, dass Stephanus sich seinem Schicksal fügt und Jesus Christus handeln lässt, der damit in eine aktive Position rückt. 1168 Vgl. FITZMYER, Acts, 394. JERVELL, Apg, 253. ZMIJEWSKI, Apg, 340. Insofern dieser Vers traditionell als Abendgebet und auch kurz vor dem Sterben gebetet wurde, zeigt sich hier Stephanus’ Verwurzelung in der jüdischen Tradition. Allerdings richtet Stephanus sein Gebet nicht an Gott selbst, sondern an den erhöhten Kyrios Jesus.
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Hand zu leben.1169 Da diese Worte gewissermaßen gleichzeitig mit seinem Sterben erfolgen, was die Todesnotiz tou/to de. eivpw.n evxe,pneusen andeutet, stirbt Jesus, indem er seinen Geist vertrauensvoll und zuversichtlich in die Hände des Vaters legt.1170
Ein ähnlich starkes Vertrauen spricht Stephanus in 7,59 aus (evpikalou,menon kai. le,gonta1171), allerdings mit dem Unterschied, dass er seine Bitte nicht an Gott richtet, sondern an den erhöhten Herrn Jesus. Er schreibt ihm also damit eine soteriologische Mittlerfunktion zu.1172 Dass Jesus besondere Bedeutung hat, drückt sich auch im Imperativ de,xai aus, mit dem Stephanus die Aufnahme seines Lebens durch Jesus erbittet. Da Jesus sein Sterbegebet mit der aktiven Formulierung parati,qemai (Lk 23,46) spricht, wirkt er souveräner als Stephanus. Dennoch ist die Analogie des vertrauensvollen Sterbens von Stephanus mit dem Jesu offensichtlich, so dass Stephanus als konsequenter Nachfolger Jesu erscheint, der sich sogar Jesu Tod als Vorbild nimmt.1173 Allerdings ist dieses Vertrauensgebet – im Unterschied zu Jesus – nicht das letzte Wort des Stephanus vor seinem Tod, sondern zunächst berichtet 7,60 noch: qei.j de. ta. go,nata e;kraxen fwnh/| mega,lh|\ ku,rie( mh. sth,sh|j auvtoi/j tau,thn th.n a`marti,anÅ »Und auf die Knie gefallen schrie er mit lauter Stimme: Herr, nicht rechne ihnen diese Sünde an!« 1169
In Ps 30,6 LXX ist diese Vertrauensäußerung dagegen Bestandteil der Bitte um Bewahrung vor dem Tod. Außerdem unterscheidet sich Lk 23,46 von Ps 30,6 LXX in der Vater-Anrede und darin, dass Jesus die Aufnahme des Geistes (parati,qemai) im Präsens formuliert statt im Futur (paraqh,somai), wodurch der Gegenwartsbezug deutlich wird. „Mein Geist“ meint metonymisch das lebendige Ich des Beters (vgl. auch Lk 1,47; Ijob 6,4; Ps 77,4; 143,4.7; Jes 38,16). Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 762. KLEIN, Lukasevangelium, 714, Anm. 17, weist daraufhin, dass die Unmittelbarkeit Jesu zu Gott auch in Lk 23,47-49 von Augenzeugen des Geschehens in Worte gefasst wird. 1170 evxe,pneusen ist ein Euphemismus für Sterben, das im Neuen Testament noch in Mk 15,37 zu finden ist, in jüdisch-hellenistischer Literatur bei Josephus, Ant. XII 357. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 763. 1171 Im Unterschied dazu wird das Gebet Jesu in Lk 23,46 mit einer noch stärker lautmalerischen Formulierung eingeleitet (kai. fwnh,saj fwnh/| mega,lh| o` VIhsou/j ei=pen), aber auch in Apg 7,59 wird deutlich, dass Stephanus diese Worte laut, für die Öffentlichkeit hörbar spricht. Damit bekommt diese Vertrauensäußerung in beiden Texten den Charakter einer Verkündigung. 1172 BAUMEISTER, Genese, 31, Anm. 4. Er sieht sogar in der Bitte um die Aufnahme des Märtyrers Stephanus die soteriologische Bedeutung des Todes Jesu. Das Gebet des Stephanus setze voraus, dass er damit rechne, im Moment des Todes in die Welt Gottes zu gelangen. 1173 Vgl. JERVELL, Apg, 254. BAUMEISTER, Genese, 31, Anm. 4. Die Analogie zur mk und mt Darstellung ist hier nicht so offensichtlich, da Mk 15,37 und Mt 27,50 kein Gebet Jesu in direkter Rede unmittelbar vor seinem Tod wiedergeben. Vgl. dazu GNILKA, Evangelium nach Markus, 323. LUZ, Evangelium nach Matthäus, 346.
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Die Erwähnung der Körperhaltung (qei.j de. ta. go,nata) in der Einleitung zu dieser Fürbitte für seine Gegner veranschaulicht, dass Stephanus eine Gebetshaltung einnimmt,1174 wie schon die Inklusion durch zwei Gebete nahelegt. Die Wendung qei.j de. ta. go,nata unterstreicht erneut die Parallele zu Jesus und die Darstellung des Stephanus in der Rolle eines Nachfolgers Jesu – insbesondere im Zusammenhang mit der Passion. So findet sich beispielsweise in der Schilderung des Gebetes Jesu am Ölberg ebenfalls die Kombination von qei.j ta. go,nata und proseu,comai (Lk 22,41). In Analogie dazu wird auch im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte die Wendung qei.j ta. go,nata mit Gebetspraxis (proseu,comai) verbunden, wie z.B. im Gebet des Petrus Apg 9,40 und des Paulus Apg 20,36.1175 Die Szene wird nicht nur durch die Erwähnung der Körperhaltung illustriert, sondern auch durch die Einführung des Gebets mit e;kraxen fwnh/| mega,lh. Diese pleonastische Formulierung betont, dass Stephanus die folgenden Worte laut, für alle hörbar spricht, so dass dieses Gebet ebenfalls kerygmatischen Charakter erhält – ähnlich wie in 7,59. Mit der Anrede ku,rie richtet Stephanus sich erneut an Jesus.1176 Durch die Bitte mh. sth,sh|j auvtoi/j tau,thn th.n a`marti,an bewertet Stephanus das Verhalten seiner Gegner zwar als schwere Schuld, die zugleich mit einer Ablehnung von Gott einhergeht (a`marti,a1177), drückt aber zugleich indirekt seine Sorge um sie aus.1178 So erweist sich Stephanus durch diese Fürbitte für die, die ihn steinigen, als vorbildlicher Nachfolger Jesu, weil er damit das Gebot der Feindesliebe, das unmittelbar mit der Aufforderung zum Gebet für die Feinde verbunden ist, realisiert: avgapa/te tou.j evcqrou.j u`mw/n( kalw/j poiei/te toi/j misou/sin u`ma/j( euvlogei/te tou.j katarwme,nouj u`ma/j( proseu,cesqe peri. tw/n evphreazo,ntwn u`ma/j. »Liebt eure Feinde! Gut tut denen, die euch
1174 Zwar sieht ZMIJEWSKI, Apg, 340, darin auch die Möglichkeit, Stephanus sei wegen der Steinigung in die Knie gesunken, aber aufgrund der Inklusion durch zwei Gebete und der sonstigen Verwendung dieser Wendung spricht mehr Argumente für die Interpretation einer Gebetshaltung. 1175 Vgl. FITZMYER, Acts, 394. 1176 Zwar wird hier im Unterschied zu 7,59 der Name Jesu nicht erwähnt, so dass mit ku,rie grundsätzlich auch Gott gemeint sein könnte (vgl. 7,31.33.49), aber aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs mit 7,59 ist es wahrscheinlicher, dass hier ebenfalls Jesus angesprochen wird. 1177 Vgl. FIEDLER, PETER, a`marti,a, in: EWNT2 I, 157–165, hier 158–159. In der LXX sei das religiöse Moment maßgebend: „Sünde als Schuldigsein/-werden“ vor Gott und den Mitmenschen. Für das Bezugsfeld von Sünde im Neuen Testament sei die Beseitigung der Sünden(schuld) zentral (Mk 1,4 par Lk 3,3; Lk 24,47; Apg 2,38 u.a.). 1178 Vgl. JERVELL, Apg, 254. FITZMYER, Acts, 394. SCHNEIDER, Apg, 478. tau,thn beziehe sich auf die Steinigung, d.h. den Höhepunkt der Ablehnung des Stephanus durch seine Gegner. i`,sthmi könne „bestimmen“, „feststellen“, „anrechnen“, „bezahlen“ heißen.
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hassen. Sprecht Preisungen über die, die euch verfluchen, betet für die, die euch misshandeln.« (Lk 6,27-28)1179 Das Bild eines konsequenten Nachfolgers Jesu wird noch schärfer, insofern diese Fürbitte des Stephanus eine weitere Parallele zum Tod Jesu darstellt. Jesus bittet nämlich laut Lk 23,341180 am Kreuz in der Mitte zwischen zwei Verbrechern – analog zum leidenden Gerechten Jes 53,12 und in Erfüllung der Ankündigung von Lk 22,37 – Gott, seinen Gegnern ihre Schuld zu erlassen: Lk 23,34
Apg 7,60
o` de. VIhsou/j e;legen\ pa,ter( a;fej auvtoi/j( ouv ga.r oi;dasin ti, poiou/sin.
qei.j de. ta. go,nata e;kraxen fwnh/| mega,lh|\ ku,rie( mh. sth,sh|j auvtoi/j tau,thn th.n a`marti,an.
»Jesus aber sagte:
»Und auf die Knie gefallen schrie er mit lauter Stimme: Herr, nicht rechne ihnen diese Sünde an!«
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.«
Selbst wenn die Wortwahl in Apg 7,60 sich nicht mit der von Lk 23,34 deckt, drücken Jesus und Stephanus inhaltlich doch Ähnliches aus1181 und folgen also sogar bis zu ihrem Tod, in dem sie die schärfste Form der Feindschaft erleben, dem Gebot der Nächsten- bzw. Feindesliebe (Lk 6,2728; Mt 5,45-49).1182 1179 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 340. Da demnach Feindesliebe und Gebet für die Verfolger direkt zusammenhängen, könne die Fürbitte des Stephanus für diejenigen, die ihn steinigen, also „verfolgen“ als Realisierung dieser Forderungen verstanden werden. Vgl. auch Mt 5,44: avgapa/te tou.j evcqrou.j u`mw/n kai. proseu,cesqe u`pe.r tw/n diwko,ntwn u`ma/j. »Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.« 1180 Zum textkritischen Problem von Lk 23,34 vgl. EHRMAN, Textual Criticism, 88– 89. METZGER, Textual Commentary, 180. PLUMMER, ALFRED, Gospel According to S. Luke (ICC), Edinburgh 81964, 531, 545. Der textkritische Befund zu Apg 7,60 dagegen bestreitet diesen Vers nicht als Teil des ursprünglichen Textes der Apostelgeschichte. Vor diesem Hintergrund bemerkt BAUMEISTER, Theologie des Martyriums, 33 Anm. 5, es müsse damit gerechnet werden, dass man sekundär das Wort des Stephanus in Apg 7,60 auf ein ähnliches Wort Jesu zurückführen wollte. Dieses hätte man dann also nachträglich nach dem Modell der Apostelgeschichte in die Passionsgeschichte eingetragen. Ein solches Vorgehen würde das Thema „Nachfolge“ bzw. „imitatio“ unterstreichen. 1181 Vgl. FTZMYER, Apg, 394. JERVELL, Apg, 254. ZMIJEWSKI, Apg, 340. 1182 Vgl. KLEIN, Lukasevangelium, 708. Umstritten sei, ob sich Jesu Bitte auf die Jerusalemer Juden bzw. deren Anführer, die römischen Soldaten oder auf beide Gruppen bezieht. Zu dieser Diskussion vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 757. Unterstrichen wird das Motiv der Nachfolge und Ähnlichkeit des Stephanus zu Jesu unterschwellig dadurch,
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Der Vergleich dieser beiden Fürbitten verdeutlicht außerdem, dass darin nicht nur Aussagen über den jeweiligen Beter Jesus bzw. Stephanus enthalten sind, sondern auch über deren Feinde. Der auffälligste Unterschied zwischen der Fürbitte Jesu und der des Stephanus liegt darin, dass Jesus mit ouv ga.r oi;dasin ti, poiou/sin die Unwissenheit seiner Gegner als Grund für die erbetene Entschuldigung angibt, während bei Stephanus ein solcher Entschuldigungsgrund fehlt.1183 Das impliziert das Wissen seiner Gegner, dass sie mit der Steinigung ebenso handeln, wie die Väter Israels an den Propheten und wie sie selbst an Jesus gehandelt haben. So wird durch das Fehlen eines Entschuldigungsgrundes ihre volle Verantwortung für ihr Handeln unterstrichen und das Ausmaß ihrer Schuld verdeutlicht.1184 Während dadurch indirekt noch einmal die Vorwürfe gegen die Zuhörer des Stephanus von 7,51-53 bestätigt werden, erweist sich die Anklage gegen Stephanus, er rede gegen das Gesetz (6,11.13), durch das Gebet für seine Feinde erneut als Falschzeugnis, insofern Stephanus damit das zentrale Gebot Jesu bzw. Gottes erfüllt. Somit verdeutlicht sich nicht nur erneut der große Kontrast zwischen Stephanus und seinen Gegnern,1185 sondern die Anklage gegen Stephanus kehrt sich sogar auf seine Ankläger um. Darüber hinaus impliziert dieses vorbildhafte Gebet eine Aussage über den Kyrios Jesus (und Stephanus’ Haltung zu ihm): Indem Stephanus sich mit dieser Bitte, die Jesus an Gott (pa,ter) richtet, an Jesus als den ku,rioj wendet, schreibt er diesem nämlich entscheidenden Einfluss beim Anrechnen bzw. Vergeben von Sünden zu, also die Funktion eines Richters mit der Autorität, über das Verhalten der Menschen zu urteilen. Damit anerkennt und bestätigt Stephanus die Position Jesu, in der er ihn in 7,55-56 als dass die Stephanusepisode strukturell und szenisch weitgehend analog zur Passion Jesu gestaltet ist: Bericht vom Weg zur Hinrichtungsstätte (Lk 23,26-32; Apg 7,58a), Hinrichtung und Sterben Jesu bzw. Stephanus’ (Lk 23,33-46; Apg 58-60), abschließender Epilog (Lk 23,47-49; evtl. Apg 8,1a). Zur strukturellen und szenischen Darstellung der Passion Jesu vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 751. 1183 Hier greift also die Unterscheidung zwischen vergebbaren Sünden, weil sie aus Versehen begangen wurden, und unvergebbaren, vorsätzlichen Sünden, die „mit erhobener Hand“ begangen wurden. Vgl. Num 15,22-31. Dieser Topos begegnet auch in 1 Tim 1,13 und in weiterer jüdischer und nichtjüdischer Literatur, wie z.B. TestJud 19,3; Philo, Vit. Mos. 1,273 u.v.m. Vgl. dazu WOLTER, Lukasevangelium, 757. 1184 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 340. Er sieht hier sogar einen Hinweis darauf, dass es nach Lk jetzt keine Entschuldigung mehr gebe: Israel habe sich – trotz besseren Wissens – der Botschaft des Heils endgültig und freiwillig widersetzt. Die Möglichkeit zur Umkehr gebe es jetzt nicht mehr. Das zeige sich auch darin, dass in der Rede des Stephanus eine Umkehreinladung fehle. 1185 Auch die Wortwahl unterstreicht diesen Kontrast: Während die Gegner mit lauter Stimme schreien (kra,xantej de. fwnh/| mega,lh|), sich die Ohren zuhalten und dabei gegen Stephanus losstürmen, um ihn zu steinigen (7,57), ruft Stephanus mit lauter Stimme (e;kraxen fwnh/| mega,lh), um für seine Gegner um Vergebung zu bitten.
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zur Rechten Gottes erhöhten Menschensohn gesehen hat. So kristallisiert sich immer klarer das Bild einer doppelten Gerichtsszene heraus, in der nun Jesus als Richter über die, die Stephanus richten, auftritt, und Stephanus als Anwalt derer, die ihn verurteilen. Diese Rolle des Stephanus im Rahmen der Nachfolge Jesu bekommt zusätzliches Gewicht, da die kurze Todesnotiz kai. tou/to eivpw.n evkoimh,qh (7,60c) impliziert, dass Stephanus stirbt, ‚indem‘ oder ‚während‘ er diese Vergebungsbitte spricht.1186 Als letzte Worte vor seinem Tod verleiht diese Bitte dem Stephanus und der Art seines Sterbens also besondere Qualität. Auch das Verb koima,omai1187 weist darauf hin, denn es konnotiert den Tod des Stephanus mit ‚Ruhe‘, was eigentlich der in 7,57-58 geschilderten gewalttätigen Todesursache der Steinigung widerspricht. Als einer, der sich ganz auf Jesus verlässt und dessen Gebote bis zum Schluss erfüllt, indem er für seine Feinde betet, scheint Stephanus ruhig einzuschlafen. Dass durch die Realisierung der Feindesliebe bis zum Tod das Bild des Stephanus als eines vorbildlichen Nachfolgers Jesu vervollständigt wird, zeigt sich umso deutlicher im Vergleich mit dem Sterben Jesu. Bei aller Gemeinsamkeit der beiden Gebete, die von Jesus und Stephanus im Zusammenhang mit ihrem Tod festgehalten werden, ist nämlich deren unterschiedliche Reihenfolge signifikant. Jesus betet zuerst für seine Feinde (Lk 23,34) und dann um die Aufnahme seines Geistes bei Gott, stirbt also nach bzw. mit diesen Worten (Lk 23,46), während Stephanus zuerst um die Aufnahme seines Geistes bei Gott betet (Apg 7,59) und dann nach bzw. mit der Vergebungsbitte für seine Feinde stirbt (Apg 7,60). Insofern also die letzten Worte Jesu und des Stephanus sich unterscheiden, werden diese beiden Personen und ihr Tod mit einem je eigenen Akzent versehen. Bei Jesus wird die Vertrauensaussage und die damit verbundene Nähe zu Gott – eventuell auch als impliziter Hinweis auf die Heilsbedeutung seines Todes und auf seine Auferstehung –1188 ins Zentrum 1186
Diese unmittelbare Verbindung zwischen der Vergebungsbitte und dem Tod des Stephanus wird sprachlich durch die partizipiale Formulierung tou/to eivpw,n umgesetzt. Ähnlich verhält es sich in Lk 23,46c (tou/to de. eivpw.n evxe,pneusen), wo zusätzlich zur partizipialen Konstruktion auch das Verb evkpne,w, das die Bitte von Lk 23,46b aufgreift, die enge Verbindung zwischen der Vertrauensäußerung und Sterben Jesu ausdrückt. 1187 koima,omai heißt wörtlich „schlafen“, „einschlafen“. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 889–890. 1188 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 759–760, 762. KLEIN, Lukasevangelium, 710. Dafür spreche, dass in der Passion Jesu immer wieder der Messiasanspruch zur Debatte steht (z.B. in Lk 23,35-38.42-43). Dass die lukanische Passionserzählung konsequent die Heilsbedeutung des Todes Jesu akzentuiert, zeige sich noch deutlicher vor dem Hintergrund einiger Unterschiede zu den Darstellungen bei Mk und Mt. So lege Lukas Jesus z.B. statt des Verlassenheitsgebets Ps 22,2 die Vergebungsbitte und den vertrauensvollen Ps 31,6 in den Mund, so dass das Verlassenheitsmotiv stärker zurücktrete und die ständige vertrauensvolle Unmittelbarkeit zu Gott betont werde. Auch die Rolle Jesu als Für-
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gestellt, bei Stephanus dagegen seine vorbildliche Nachfolge Jesu.1189 Nachdem Stephanus die soteriologische, entscheidende Wirkung des Todes Jesu in seiner Vision des erhöhten Menschensohnes zur Rechten Gottes als Richter und Fürsprecher im eschatologischen Gericht bereits gesehen hat (7,55-56), kann er bestärkt in konsequenter Kreuzes-Nachfolge Jesu vertrauensvoll und als Fürsprecher für andere sterben. Damit erinnert und aktualisiert er zugleich die heilsbedeutsame Dimension des Todes Jesu. Apg 8,1a Nach der Notiz vom Tod des Stephanus greift 8,1a auf den in 7,58b eingeführten Saulus zurück: Sau/loj de. h=n suneudokw/n th/| avnaire,sei auvtou/. »Saulus aber war einverstanden mit seiner Ermordung.« Zeigt sich schon in 7,58b Saulus’ Sonderrolle innerhalb der Zeugen, die gegen Stephanus vorgehen, so wird nun explizit seine Position zur Steinigung des Stephanus ausgedrückt. Dabei wird durch die periphrastische Konstruktion im Imperfekt (h=n suneudokw/n) das „Gefallen“ (Einverständnis) des Saulus an der Tötung des Stephanus zum einen als dauerhafte Einstellung ausgewiesen,1190 zum anderen auch deutlich negativ qualifiziert. Das Verb suneudoke,w findet sich nämlich auch im Vorwurf Jesu an die Pharisäer, dem Prophetenmord der Väter zuzustimmen (Lk 11,48). sprecher für seine Feinde unterstreiche die Heilsbedeutung seines Sterbens. Darüber hinaus seien die Zeichen der Sonnenfinsternis und des Zerreißens des Tempelvorhangs in der Lukaspassion bereits vor den letzten Worten Jesu ‚Vor-Zeichen‘, die seinem nun folgenden Tod schon im Voraus eine Verstehensgrundlage bieten und seine heilsgeschichtlich-eschatologische Bedeutung andeuten. Bei Mk und Mt sind diese Zeichen dagegen als ‚Reaktion‘ bzw. ‚Folgezeichen‘ des Todes Jesu zu sehen. Zur Analyse und Diskussion der Zeichen nach dem Tod Jesu bei Mk und Mt vgl. GNILKA, Evangelium nach Markus, 324–326. SCHENKE, Markusevangelium, 346. LUZ, Evangelium nach Matthäus, 363–364, 369–371. FRANKEMÖLLE, HUBERT, Matthäus. Kommentar 2, Düsseldorf 1997, 505–506. FIEDLER, PETER, Das Matthäusevangelium, Stuttgart 2006, 418. 1189 Diese Akzente deuten sich eventuell schon darin an, dass Jesus im Lauf der ausführlichen Erzählung von Kreuzigung und Tod relativ selten aktiv auftritt, z.B. nur viermal in wörtlicher Rede (23,28-31.34a.43.48), so dass von ihm das Bild eines Opfers nach dem Typus des leidenden Gerechten verstärkt wird. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 752. Indem Stephanus dagegen in der viel kürzeren Darstellung seines Sterbens relativ häufig auftritt, wird er in der Rolle des aktiven Nachfolgers Jesu bis zum Tod gezeichnet. Konsequenterweise findet sich auch bei ihm keine Verlassenheitsaussage ähnlich der Tendenz des lukanischen Passionsberichts. 1190 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 340. KRETZER, ARMIN, suneudoke,w, in: EWNT2 III, 731. Das Präfix sun- könnte darüber hinaus elegant auf die gemeinsame Zustimmung des Saulus mit den anderen Gegnern hindeuten. So kann suneudoke,w übersetzt werden mit „gleichfalls Gefallen haben“.
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Dass Saulus stark in die Tötung des Stephanus involviert ist, verdeutlicht darüber hinaus die Inklusion der letzten Worte des Stephanus und seiner Todesnotiz (7,60) durch die Nennung des Saulus (7,58b; 8,1a)1191 sowie die Inklusion des Saulus (7,58b) durch die Steinigungsnotiz (7,58a. 59a).1192 Apg 7,58-8,1a 7,58 kai. evkbalo,ntej e;xw th/j po,lewj evliqobo,lounÅ kai. oi` ma,rturej avpe,qento ta. i`ma,tia auvtw/n para. tou.j po,daj neani,ou kaloume,nou Sau,lou( 7,59 kai. evliqobo,loun to.n Ste,fanon … 7,60 kai. tou/to eivpw.n evkoimh,qhÅ 8,1a Sau/loj de. h=n suneudokw/n th/| avnaire,sei auvtou/Å Neben Stephanus ist Saulus also der einzige, der im Kontext der Steinigung namentlich auftaucht und von dem einige Konturen skizziert werden. Selbst wenn keine konkrete Handlung von ihm innerhalb der Steinigung selbst genannt wird, drückt sich doch in der Notiz von 8,1a seine grundsätzlich gegnerische Haltung zu Stephanus aus. Noch deutlicher wird dies an einem Vergleich mit der Reaktion des Zenturios auf den Tod Jesu in Lk 23,47: ivdw.n de. o` e`katonta,rchj to. geno,menon evdo,xazen to.n qeo.n le,gwn\ o;ntwj o` a;nqrwpoj ou-toj di,kaioj h=n. »Als aber der Zenturio das Geschehene sah, pries er Gott, indem er sagte: Wirklich, dieser Mensch war gerecht.« Während darin zum Ausdruck kommt, dass er in Jesu Sterben und dessen Begleitumständen Gott am Werk sieht und dass er Jesu besonderes Gottesverhältnis (ou-toj di,kaioj h=n) erkennt,1193 spricht sich Saulus für die Tötung des Stephanus, der ebenfalls Jesus als o` di,kaioj bezeichnet und in
1191
Gegen FITZMYER, Acts, 395, für den in 7,58b noch nicht ersichtlich ist, wie stark Saulus in die Steinigung des Stephanus involviert ist. Schon die Tatsache, dass Saulus der erste ist, von dem der Text nach dem Tod des Stephanus berichtet, weist auf eine besondere Bedeutung dieser Gestalt hin. Auch die Wiederaufnahme von 8,3 in der Verteidigungsrede des Paulus Apg 22,20, sogar mit der periphrastischen Konstruktion im Imperfekt (h;mhn … suneudokw/n) spricht für die – wenn auch nicht ganz greifbare – Sonderrolle des Paulus im Vorgehen des Stephanus. Da die Stephanusepisode also mit Saulus den Hauptprotagonisten der Verkündigung an die Heiden einführt, kommt ihr eine Scharnierfunktion für die weitere Erzählung des „Weges des Heils“ in der Apostelgeschichte zu. Vgl. auch Lektüre von Apg 8,3. 1192 Vgl. Lektüre von Apg 7,59a. 1193 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 763. Ähnlich anerkennende Reaktionen auf den Tod Jesu zeigen die übrigen Leute, die ihre Trauer ausdrücken (Lk 23,48).
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Analogie zu diesem stirbt, aus. Da dieser erste Eindruck von Saulus derart negativ besetzt ist, wird die Erwartung über ihn entsprechend geprägt.1194 10.3 Fazit Die Episode, die Apg 7,54-8,1a erzählt, kann unter die Überschrift gestellt werden ‚Wie in der Vergangenheit Israels so auch in der Gegenwart‘. So bestätigen sich nämlich im Vorgehen der Gegner gegen Stephanus die Vorwürfe, die er ihnen in 7,51-53 in Kontinuität zu »ihren Vätern« macht: Sie verschließen sich (sichtbar und hörbar) gegen die Worte des Stephanus, widersetzen sich dem Heiligen Geist und vollziehen an Stephanus die typische Verfolgung und Tötung eines Propheten. Dem korrespondiert, dass sich in der Steinigung des Stephanus eben dieses Schicksal eines Propheten realisiert und zwar in besonders hoher Analogie zu Passion und Tod Jesu. Die Konturen des Stephanus als einer prophetischen Gestalt werden zunächst in seiner Vision 7,55-56 verschärft, zum einen insofern sich damit sein besonderer Gottesbezug durch Gott bzw. Jesus direkt bestätigt (vgl. auch 6,15), zum anderen insofern Stephanus in prophetischer Manier die Erhöhung des leidenden Gerechten und Propheten Jesus zum Menschensohn mit richterlicher Funktion im eschatologischen Gericht ankündigt – ebenfalls in Analogie zu Jesus selbst. Mit diesen christologischen Aussagen weist Stephanus zugleich auf den Ort der Präsenz Gottes hin, in Rückgriff auf Gottes Wort im Prophetenwort von 7,49-50. Stephanus wird nicht nur im Rahmen der Vision als Zeuge Jesu, nämlich Verkündiger seiner Auferstehung und Erhöhung, präsentiert, sondern auch durch sein Sterben, in dem sich Jesu besonderer Gottesbezug (7,59) und Umsetzung der Feindesliebe widerspiegelt. Er wird also als idealer Nachfolger Jesu dargestellt, der in Anlehnung an Jesus als ein leidender Gerechter das Geschick eines Propheten, dabei aber zugleich auch Jesu bleibende Anwesenheit erfährt und diese verkündet. Damit beantwortet Stephanus in gewisser Weise auch die Frage, wie und wo Gott präsent ist: in Jesus und dessen Zeugen. So wird in Apg 7,54-8,1a die Geschichte Jesu als Geschichte Israels und Ort der Gottesbegegnung erinnert und aktualisiert. Dabei bedient sich der Text verschiedener Strategien: Neben der Wiederaufnahme der Konfliktsituation und der Gerichtsszene von 6,9-7,1, von Motiven der Stephanusrede1195 und der Vorwürfe gegen 1194 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 340. Aus dieser Einstellung erwachse der Verfolgungswille des Saulus (8,3). Somit fungiere 8,1a als eine redaktionelle Klammer, die zum Folgenden überleiten soll. Da Paulus selbst im Zusammenhang mit seiner Verfolgertätigkeit seine Rolle bei der Steinigung des Stephanus nicht erwähnt (vgl. Gal 1,13f.22f.), ist die Historizität dieser Darstellung stark umstritten. Vgl. EBD., 342.
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die Zuhörer 7,51-53 wird auf diverse Intertexte angespielt, die dazu beitragen, Sinnpotentiale dieser Episode zu erheben und zu illustrieren. Besonders durch die Referenzen auf Passion und Tod Jesu nach lukanischer Darstellung wird geschildert, inwiefern sich in Stephanus und seinem Schicksal die Geschichte Jesu aktualisiert. Dabei werden zugleich durch feine Änderungen besondere Akzente gesetzt: Zum einen zeigt sich für Stephanus Jesus als Bezugspunkt der Gebete, womit eine kerygmatische Aussage impliziert ist. Zum anderen wird durch die Änderung der Reihenfolge der Gebete im Vergleich zum Tod Jesu in der Schilderung des Todes des Stephanus der Aspekt der Nachfolge pointiert. Zur Veranschaulichung der Szene trägt weiterhin ein Wechsel zwischen dynamischen und statischen Momenten bei: So wird die sich seit 6,9-7,1 weiter steigernde Gewalt gegen Stephanus in 7,54.57-58a mit kurzen parataktischen Aussagen sprachlich umgesetzt. Diese hohe Geschwindigkeit der Gewalt wird zuerst durch die Vision 7,55-56 und dann durch die Gebete des Stephanus und die Schilderung seines Todes durchbrochen. Besondere Aufmerksamkeit lenkt der Text neben der Gestalt des Stephanus auf den unvermittelt eingeführten Saulus mit seiner rätselhaften Rolle im Steinigungsgeschehen. Da dieser im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte von zentraler Bedeutung ist, wird mit seiner Sonderrolle an dieser Stelle die Fortsetzung vorbereitet. Inwiefern sich in dieser Episode Jesus-Christus-Geschichte als Geschichte der Gottesbegegnung realisiert, wird besonders dadurch illustriert, dass das Bild einer doppelten Gerichtsszene gezeichnet wird: Einerseits treten die Gegner des Stephanus in Fortsetzung und Steigerung zu 6,9-7,1 als weltliche Ankläger und Vollstrecker des unausgesprochenen Urteils auf (7,54.57-58.59a). Andererseits werden sie genau durch dieses Verhalten zu Angeklagten, denen der Menschensohn Jesus als eschatologischer Richter und als Fürsprecher für den Angeklagten Stephanus (7,55-56) gegenübergestellt wird, und für die Stephanus ebenfalls als Fürsprecher bei dem ku,rioj Jesus eintritt. Durch das Ineinandergreifen dieser beiden Gerichtsszenen zeigt sich weiterhin, dass sich die Geschichte Jesu als Geschichte der Gottesbegegnung nicht nur aktualisiert, sondern auch fortsetzt, insofern der angekündigte Einfluss des Menschensohnes Jesus beim eschatologischen Gericht bestätigt wird. Damit wird außerdem auf die heilswirksame Bedeutung der Haltung zu diesem Menschensohn Jesus hingewiesen und mit Stephanus ein Beispiel für eine ideale Haltung zu ihm vor Augen gestellt. Durch diesen Ausblick auf Jesus als endzeitlichen Richter und Anwalt verbindet diese Episode zwischen der Vergangenheit der Geschich-
1195
Vgl. die »Herrlichkeit Gottes«, das Ereignis einer Erscheinung, der Himmel als Ort Gottes, die besondere Stellung eines von Gott Auserwählten (7,55-56).
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te der Gottesbegegnung mit Israel, der Gegenwart und der Zukunft, und es kann ihr deshalb eine Schwellenposition zugesprochen werden.
11 Lektüre von Apg 8,1b-3 11.1 Strukturanalyse Der Beginn von 8,1b mit der Wendung evge,neto de, leitet einen neuen Abschnitt ein,1196 der eng mit dem vorherigen verknüpft ist, wie die relative Zeitangabe evn evkei,nh| th/| h`me,ra| zeigt. Nach dem summarischen Bericht über die Verfolgung der Gemeinde von Jerusalem und ihre Zerstreuung über Judäa und Samaria findet in 8,2 ein abrupter Themenwechsel statt. Dort wird nämlich noch einmal Stephanus fokussiert, den fromme Männer betrauern und bestatten. 8,3 setzt daraufhin mit dem Subjekt Saulus wieder neu an und berichtet von dessen Vorgehen bei der Vernichtung der Gemeinde in Jerusalem. Apg 8,1b-3 ist also durch eine schnelle Abfolge von drei kurzen Abschnitten charakterisiert. Dabei sind die Auswirkungen der Steinigung des Stephanus auf die Gemeinde (h` evkklesi,a) unterbrochen von einer Notiz über den Umgang mit dem gesteinigten Stephanus: 8,1b 8,2 8,3
Verfolgung und Zerstreuung der Gemeinde von Jerusalem Bestattung des und Totenklage über Stephanus Saulus versucht, die Gemeinde zu vernichten
11.2 Lektüre Apg 8,1b 8,1b VEge,neto de. evn evkei,nh| th/| h`me,ra| diwgmo.j me,gaj evpi. th.n evkklhsi,an th.n evn ~Ierosolu,moij( pa,ntej de. diespa,rhsan kata. ta.j cw,raj th/j VIoudai,aj kai. Samarei,aj plh.n tw/n avposto,lwn. »Und es geschah an jenem Tag eine große Verfolgung gegen die Gemeinde in Jerusalem. Alle wurden zerstreut über die Lande Judäas und Samariens – außer den Aposteln.« Der Neubeginn mit dem vorangestellten evge,neto de, in 8,1b kündigt etwas an, das einerseits auf die Zukunft verweist, das aber andererseits eng mit 1196
evge,neto de, dient häufig als Einleitung eines neuen Ereignisses (Apg 5,7; 8,8; 9,19b u.a.). Vgl. SCHNEIDER, Apg, 478. Diese Wendung spricht dafür, in Apg 8,1b den Beginn eines neuen Abschnitts zu sehen, selbst wenn auch in Apg 8,1a wegen des Subjektwechsels bereits ein Einschnitt markiert wird.
11 Lektüre von Apg 8,1b-3
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dem Tod des Stephanus verknüpft ist. Die Zeitangabe evn evkei,nh| th/| h`me,ra| weist nämlich den Tag der Steinigung des Stephanus als den aus, an dem das neue Geschehen einsetzt. So wird der Tod des Stephanus als Ursache für die »große Verfolgung« diwgmo.j1197 me,gaj dargestellt. Betroffen davon ist die Gemeinde in Jerusalem (evpi. th.n evkklhsi,an th.n evn ~Ierosolu,moij), von der durch die Bezeichnung h` evkklhsi,a die Kontinuität zur Versammlung des Volkes Israel1198 in der Wüste bei der Gesetzesgabe (7,38) angedeutet wird. Durch die Ortsangabe evn ~Ierosolu,moij wird auf den Idealzustand der Jerusalemer Gemeinde als harmonische Einheit angespielt, der zuletzt in 6,7 in Fortsetzung der Schilderungen in Apg 1-5 (besonders Apg 2,42; 4,32)1199 summarisch notiert wird. Insofern genau diese Gemeinde nun verfolgt wird, entsteht ein Kontrast zu diesem harmonischen Anfangszustand. Zwar berichten auch Apg 4 und Apg 5 von diversen Konflikten auf verschiedenen Ebenen, aber die in 8,1b einsetzende Verfolgung stellt die höchste Steigerungsstufe dazu dar.1200 Da durch das Lexem diwgmo,j der Vorwurf der Prophetenverfolgung durch die Väter (7,52) aufgegriffen wird, wird die Verfolgung der Jerusalemer Gemeinde als eine Art weiterer Fortsetzung dieses schuldhaften Vergehens an Erwählten Gottes dargestellt.1201 Dieser Zusammenhang wird auch nochmals in Apg 9,4-5 deutlich, wo mithilfe des Verbs diw,kw auf Apg 7,52; 8,1b.3 angespielt wird. Nach einem zusammenfassenden Bericht über die Verfolgung der »Anhänger des Weges« (tinaj th/j o`dou/ o;ntaj) durch Saulus (Apg 9,1-2) schildert Apg 9,3-19 die Berufungsvision des Saulus auf seinem Weg nach Damaskus. Dabei spricht Jesus ihn in Apg 9,4 zunächst mit den Worten an: Saou.l Saou,l( ti, me diw,keijÈ »Saulus, Saulus, was verfolgst du mich?« Auf Saulus’ Frage nach der Identität des »Herrn« antwortet dieser in Apg 9,5 mit ähnlicher Formulierung: evgw, eivmi VIhsou/j o]n su. diw,keij\ »Ich bin Jesus, den du verfolgst.« So identifiziert sich Jesus selbst mit den Anhängern des neuen Weges, die eigentlich von der Verfolgung betroffen sind (Apg 9,2; vgl. auch Apg 22,4.7.8; 26,11.14.15).1202
1197
Vgl. FITZMYER, Acts, 396. diwgmo,j wird im Neuen Testament ausschließlich für „religiöse Verfolgung“ verwendet. SCHNEIDER, Apg, 478, Anm. 62, bewertet diwgmo,j als relativ abstrakten Ausdruck (vgl. auch Mk 4,17 par Mt 13,21; Röm 8,35; 2 Thess 1,4). Für dieselbe Sache stehe in Apg 11,19 h` qli/yij. Ähnlich ZMIJEWSKI, Apg, 340. 1198 Vgl. FITZMYER, Acts, 396–397. Auch in Apg 5,11 wird die Gemeinde als evkklhsi,a bezeichnet. 1199 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 340. 1200 Vgl. TANNEHILL, Narrative, 47. „The story will move from harmony between believers and Jewish society through developing conflict to a major crisis.“ Vgl. auch BARRETT, Acts, 390. PENNER, Praise, 301. 1201 Vgl. TANNEHILL, Narrative, 97. 1202 Vgl. TANNEHILL, Narrative, 114. Zu weiteren intertextuellen Referenzen zwischen Apg 7,52 und Apg 9,1-5 bzw. zwischen der Verfolgung der Jerusalemer Gemeinde und
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Wird die Verfolgung der »Anhänger des Weges« durch Saulus in Apg 9,45 aufgrund der intertextuellen Referenz zu Apg 7,52; 8,1b.3 in die Reihe der Prophetenverfolgung gestellt, so wird in 8,1b in allgemeiner Weise.1203 Ähnliches über das Geschick der Gemeinde in Jerusalem ausgesagt. Die Tragweite der als »groß« (me,gaj) bezeichneten Verfolgung wird durch die Schilderung ihrer Auswirkungen veranschaulicht: pa,ntej de. diespa,rhsan kata. ta.j cw,raj th/j VIoudai,aj kai. Samarei,aj. »Alle wurden zerstreut über die Lande Judäas und Samariens – außer den Aposteln.« Indem ausdrücklich alle (pa,ntej) zerstreut werden,1204 verstärkt sich das Kontrastbild zur anfänglichen Jerusalemer Gemeinde als einer harmonischen Einheit. Das wird zusätzlich durch die Ortsangaben kata. ta.j cw,raj th/j VIoudai,aj kai. Samarei,aj unterstrichen, mit denen allgemein weite Gebiete1205 von Judäa und Samaria als Ziele der Zerstreuung ausgewiesen werden. Damit deutet sich allerdings zugleich ein positiver Aspekt dieser Zerstreuung an. Da die Jerusalemer Gemeinde durch die Verfolgung in die Gebiete gelangt, die der Auferstandene in Apg 1,8 nach Jerusalem als weitere Stationen der Zeugenschaft nennt (e;sesqe, mou ma,rturej e;n te VIerousalh.m kai. ÎevnÐ pa,sh| th/| VIoudai,a| kai. Samarei,a| kai. e[wj evsca,tou th/j gh/j. »Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Erde.«), ist nun die Möglichkeit eröffnet, diesen Auftrag zu erfüllen. Dieser Zusammenhang bestätigt sich auch in Apg 8,4-5 und Apg 11,19, wo durch diaspei,romai im Passiv1206 Apg 8,1b aufgegriffen wird. So notiert gleich im Anschluss an die Stephanusepisode Apg 8,4: Oi` me.n ou=n diaspare,ntej dih/lqon euvaggelizo,menoi to.n lo,gon »Die Zerstreuten zogen nun umher und verkündeten als Frohbotschaft das Wort.« Damit wird zur Verwirklichung der Verkündigung außerhalb Jerusalems übergeleitet, die zunächst durch Philippus in Samarien1207 erfolgt, wie Apg 8,5 festhält: Fi,lippoj de. katelqw.n eivj Îth.nÐ po,lin th/j Samarei,aj evkh,russen
Apg 9,1-5 vgl. die Ausführungen zu Apg 8,3. Darüber hinaus wird auch Paulus selbst in Apg 13,50 Opfer einer solchen Verfolgung. 1203 In Apg 8,1b werden zunächst keine Verantwortlichen genannt. Erst in Apg 8,3 wird Saulus als Verfolger dargestellt. 1204 Vgl. FITZMYER, Acts, 397, weist darauf hin, dass diespa,rhsan medial verstanden werden könne, so dass die Gemeinde aus einer gewissen Eigeninitiative heraus fliehen würde. Versteht man diespa,rhsan als Passiv, wird die Opferrolle der Gemeinde stärker unterstrichen. 1205 h` cw,ra bezeichnet eine „Landschaft“ oder das „flache Land“ im Gegensatz zur Stadt, hier z.B. Jerusalem. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1772–1773. 1206 diaspei,romai im Passiv findet sich innerhalb des Neuen Testaments nur an diesen drei Stellen. Vgl. SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 342, Anm. 20. SCHNEIDER, Apg, 470, Anm. 65. 1207 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 341.
11 Lektüre von Apg 8,1b-3
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auvtoi/j to.n Cristo,n. »Philippus aber, der in [die] Stadt Samariens hinabgekommen war, verkündete ihnen den Christus.« Da Samarien das Gebiet ist, in dem erste Bekehrungen von Menschen aus den Völkern stattfinden (Apg 8,26-39; 10,1-48), stellt es den Übergangsraum zur Verkündigung an die Völker dar.1208 Auch der Beginn der Verkündigung bis ans »Ende der Erde« wird mit einem expliziten Rückgriff auf Apg 8,1b eingeführt, wobei der Tod des Stephanus ausdrücklich als Ursache für die einsetzende Verfolgung ausgewiesen wird:1209 Oi` me.n ou=n diaspare,ntej avpo. th/j qli,yewj th/j genome,nhj evpi. Stefa,nw| dih/lqon e[wj Foini,khj kai. Ku,prou kai. VAntiocei,aj mhdeni. lalou/ntej to.n lo,gon eiv mh. mo,non VIoudai,oij. »Die, die unter der Bedrängnis, die wegen Stephanus geschehen war, zerstreut wurden, zogen umher bis Phönizien und Zypern und Antiochia und sagten niemandem das Wort, außer nur Juden.« (Apg 11,19) Da auf diese Weise die Entstehung der Gemeinde in Antiochia eingeleitet wird, wo die Jünger zum ersten Mal Cristianoi, »Christen« genannt werden (Apg 11,26), wird auch zu dieser zentralen Station1210 auf dem „Weg des Heils“ eine Verbindung mit der Stephanusepisode hergestellt. Selbst wenn Apg 11,19 ausdrücklich Juden als Adressaten der Verkündigung nennt, zeigt sich in Apg 11,20, dass zusätzlich auch Nicht-Juden angesprochen werden.1211 Dem entspricht der Gebrauch von diaspei,rw in der Septuaginta für die Zerstreuung des Volkes Israel (lao,j) unter fremde Völker, wie z.B. Ex 5,12 zeigt. Demnach führen die Ereignisse um Stephanus dazu, dass die „Jerusalemer Gemeinde einer Situation ausgesetzt ist, die sprachlich … dem Zerstreutsein Israels unter die fremden Völker bzw. Weltmächte gleichgesetzt ist.“1212
1208 Vgl. EISEN, Poetik, 165. Sie erklärt in diesem Zusammenhang, dass in Samarien sowohl Samarier, d.h. heidnische Bewohner der Landschaft Samarien angesiedelt seien, als auch Samaritaner, d.h. JHWH-gläubige, toratreue Mitglieder der samaritanischen Religionsgemeinschaft. 1209 Darauf, dass der Tod des Stephanus in Apg 11,19 explizit als Ursache für die Zerstreuung der Gemeinde dargestellt wird, weisen z.B. hin: ZMIJEWSKI, Apg, 340. JERVELL, Apg, 254. 1210 Mit dem Bericht über die Entstehung der Gemeinde von Antiochia Apg 11,19-26 beginnt auch die Erzählung von der Verkündigung an die Heiden (vgl. Apg 11,20), womit der Beginn einer entscheidenden Etappe auf dem „Weg des Heils“ markiert wird. Antiochia wird also als erste Gemeinde, in der christliche Juden und christliche ‚Heiden‘ einmütig zusammenleben, dargestellt. Von dort aus werden in Apg 13,2 Barnabas und Saulus zur Mission in Kleinasien gesandt. Zur Bedeutung Antiochias vgl. SCHNELLE, Paulus, 107–113. ZMIJEWSKI, Apg, 441–446. 1211 Vgl. Auch Apg 8, 26-40; Apg 10,1-11,18. 1212 SCHIFFNER, Lukas liest Exodus, 342 mit Anm. 22–23. Sie zeigt, dass evn o[lh| Aivgu,ptw| (Ex 5,12) parallel zu kata. ta.j cw,raj th/j VIoudai,aj kai. Samarei,aj (Apg 8,1b) steht, und verweist auch auf Joel 4,2 LXX; 1 Sam 13,8; 1 Kön 12,34 und die Rede von den „zerstreuten Schafen“ in Ez 34.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Indem 8,1b die Verfolgung und Zerstreuung der Jerusalemer Gemeinde unmittelbar an den Tod des Stephanus bindet, zugleich auf den Auftrag des Auferstandenen (Apg 1,8) zurückgreift und auf die künftige Verkündigungstätigkeit voraus verweist, wird hier eine Schwelle innerhalb der Erzählung des „Weges des Heils“ markiert: Der Tod des Stephanus mit seinen zunächst negativen Folgen für die Jerusalemer Gemeinde scheint zugleich paradoxerweise der Erfüllung der vom Auferstandenen aufgetragenen Verbreitung des Evangeliums bis ans »Ende der Erde« zu dienen, angefangen in Judäa, d.h. im jüdischen ‚Kernland‘,1213 und in Samarien als Übergangsraum zu den Völkern.1214 Bevor mit dieser Öffnung der Verkündigung die Frage nach dem Stellenwert Jerusalems und des verheißenen Landes als herausragende Orte der Anwesenheit Gottes neu relevant werden wird – ähnlich wie in der Geschichte Israels –, bietet die Stephanusrede in der Erzählung dieser Geschichte Anhaltspunkte für die Bedeutungsbestimmung des verheißenen Landes: Dieses wird zwar als Gabe Gottes Abrahams Nachkommen (übergangsweise) als Besitz verheißen, aber keineswegs als einziger Ort der Gegenwart Gottes ausgewiesen. So erscheint Gott nicht nur Abraham außerhalb des Landes (7,2), sondern Gottes grundlegende Nähe zu Josef in Ägypten (7,9) bewirkt sogar letztlich, dass dort aus dem Stamm Jakobs das Volk Israel wachsen kann (7,17).1215 Die Erscheinung Gottes vor Mose »in der Wüste des Berges Sinai« (7,30) und das Zelt des Zeugnisses während der Wüstenwanderung (7,44-45) sind ebenfalls Beispiele für Gottes Anwesenheit auch außerhalb des verheißenen Landes. Nicht zuletzt bezeichnet Gott selbst im Prophetenwort Apg 7,49-50 den Himmel als seinen eigentlichen Ort. Der Zusatz plh.n tw/n avposto,lwn am Ende von 8,1b fällt nicht nur angesichts der Angabe pa,ntej de. diespa,rhsan auf, sondern auch vor dem Hintergrund, dass die Zerstreuung der Gemeinde den positiven Effekt der Verkündigung hat, zu der eigentlich insbesondere die Apostel von Jesus beauftragt sind (vgl. Lk 9,2). Dementsprechend zeigt sich die Umsetzung dieser besonderen Beauftragung zur Verkündigung in der Erzählung von der Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde, z.B. in Apg 2,42f.; 4,33; 5,32 1213 Vgl. EISEN, Poetik, 164 erklärt, Judäa sei Oberbegriff des jüdischen Landes (Apg 11,1-18; 15) und damit des Landes der palästinischen Judaioi sowie Ausgangspunkt von Christus gläubigen Propheten (Apg 11,27-30; 21,10). 1214 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 341, nennt das Stephanusereignis „heilsgeschichtliche Wende“, insofern es Anlass zur Samaria- und damit auch zur Heidenmission ist. Vgl. auch JERVELL, Apg 254. 1215 Mit der Verfolgung und Zerstreuung erfährt die Gemeinde von Jerusalem ein ähnliches Schicksal wie Josef (7,9), Mose (7,27-29) und Stephanus (7,58).
11 Lektüre von Apg 8,1b-3
435
sowie in Apg 6,2.4 (h` diakoni,a tou/ lo,gou).1216 Außerdem wird auch im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte von der Verkündigungstätigkeit zumindest einzelner Apostel – noch dazu außerhalb Jerusalems – erzählt (vgl. Apg 9,32-35.36-43; 10,1-11,18). Welche Funktion kommt also dieser Notiz von der Ausnahme der Apostel in 8,1b zu?1217 Zunächst wird hiermit ihre grundsätzliche Sonderrolle als Leitungsgremium innerhalb der Jerusalemer Gemeinde, die auch zu Beginn der Stephanusepisode aufgezeigt wird (vgl. 6,6), bestätigt. Damit geht einher, dass das Verbleiben der Apostel in Jerusalem als Hinweis auf den bleibenden Fortbestand der Gemeinde in Jerusalem dient, womit auch die besondere Bedeutung Jerusalems als erster Ort der Verkündigung untermauert wird.1218 Zugleich wird durch diese Notiz auf die Rolle Jerusalems im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte vorbereitet: Innerhalb der Vielfalt der entstehenden Gemeinden stellt Jerusalem nämlich ein Element der Stabilität dar.1219 Von dort aus werden Apostel an Orte gesandt, zu denen das Evangelium bereits gekommen ist (z.B. werden Petrus und Johannes in Apg 8,14 nach Samarien geschickt), und dorthin kehren diese auch wieder zurück (vgl. Apg 8,15-17).1220 An Jerusalem werden außerdem die neu entstehenden Gemeinden immer wieder rückgebunden, wobei die Apostel ebenfalls in ihrer Sonderposition auftreten (vgl. Apg 11,1-18; 15,1-29). Auch die Reisen des Paulus führen ihn mehrmals nach Jerusalem zurück.1221 Demnach stellt diese Ausnahmenotiz in 8,1b primär einen Hinweis auf die Funktion der Apostel und Jerusalems für die Wahrung der heilsgeschichtlichen Kontinuität dar.1222 1216 Vgl. dazu Lektüre von Apg 6,1-7. Auf die besondere Rolle der zwölf hinsichtlich der Verkündigung weist auch FULLER, Restoration, 267, hin. 1217 FITZMYER, Acts, 397; JERVELL, Apg, 254 und ZMIJEWSKI, Apg, 341, merken an, dass es historisch unwahrscheinlich sei, dass die Apostel als einzige in Jerusalem geblieben sind. Daraus schließen sie, dass vermutlich nur die Hellenisten verfolgt wurden. Der Text macht allerdings keine Aussagen diesbezüglich. 1218 FITZMYER, Acts, 397, sieht hier eine Vorbildfunktion angedeutet: Da die Apostel der Verfolgung standhalten, seien sie Vorbild für das Verhalten von Christen in Verfolgung. Innerhalb des Erzählduktus der Apostelgeschichte scheint m.E.n. die Funktion der Kontinuität von größerem Interesse zu sein. 1219 Vgl. TANNEHILL, Narrative, 102. 1220 Vgl. auch Barnabas in Apg 11,22 sowie Judas und Silas in Apg 15,22.32f. 1221 Vgl. Apg 9,26-30; 11,30-12,25; 15,4-29; 18,22; 21,15-23,30. Vgl. EISEN, Poetik, 161–162. 1222 Vgl. PENNER, Praise, 270. ZMIJEWSKI, Apg, 91, 341. Er betont als eine der drei heilsgeschichtlichen Aufgaben der Apostel, die „Kontinuität der heilsgeschichtlichen Entwicklung vom Wirken Jesu zu dem der jungen Kirche“ zu garantieren. SPENCER, Acts, 83, sieht verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, z.B. negativ eine Verwerfung des Auftrags von Apg 1,8 und positiv mutiges Verbleiben in Jerusalem, während alle anderen fliehen. Die Unklarheit rege die Neugier zum Weiterlesen der Apostelgeschichte an, um nach Schlüsseln über die Apostel und ihre Handlungen zu suchen. FULLER, Resto-
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
436 Apg 8,2 8,2
suneko,misan de. to.n Ste,fanon a;ndrej euvlabei/j kai. evpoi,hsan kopeto.n me,gan evpV auvtw/|Å »Es bestatteten aber den Stephanus gottesfürchtige Männer und hielten große Totenklage über ihn.«
Obwohl zu erwarten wäre, dass nach 8,1b entweder von der verfolgten und zerstreuten Gemeinde oder von den in Jerusalem gebliebenen Aposteln erzählt wird, wendet sich in 8,2 der Blick noch einmal Stephanus zu: suneko,misan de. to.n Ste,fanon a;ndrej euvlabei/j »Es bestatteten aber den Stephanus gottesfürchtige Männer«. Da diese Notiz eigentlich an 7,60 anknüpft, werden die Aussagen über Saulus (8,1a) und über die Verfolgung und Zerstreuung der Gemeinde in Jerusalem vom Tod des Stephanus eingerahmt. Auf diese Weise wird der unmittelbare Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen unterstrichen. Durch die Charakterisierung der Handlungsträger der Bestattung als a;ndrej euvlabei/j1223 wird auf die Beschreibung der Bewohner Jerusalems in Apg 2,5, die beim Pfingstereignis den Geist empfangen haben, angespielt: +Hsan de. eivj VIerousalh.m katoikou/ntej VIoudai/oi( a;ndrej euvlabei/j avpo. panto.j e;qnouj tw/n u`po. to.n ouvrano,n. »Es wohnten aber in Jerusalem Juden, gottesfürchtige Männer aus jedem Volk unter dem Himmel.« Demnach sind auch die gottesfürchtigen Männer von 8,2 implizit dieser Gruppe der Geistempfänger zuzuordnen.1224 ration, 267, 272–273, sieht in der Anwesenheit der Apostel die klimaktische Pause des Musters Sünde – Exil – Rückkehr, das Israels bisherige Geschichte charakterisiert (vgl. Apg 7,42-43), angedeutet. Das Schicksal der Zwölf sei nicht länger das des Exils: Sie bleiben an das Land gebunden. Dies reihe sich in die lukanische Version der Restauration Israels ein, die zentriert sei um einen himmlischen Messias, der Israel wiederversammle. Der von Gott erhöhte Messias bekräftige von seinem himmlischen Thron aus die kleine Gemeinschaft der zwölf Apostel als Kern und Leitung des eschatologischen Israel. 1223 Im Neuen Testament findet sich das Adjektiv euvlabh,j im Plural außer in Apg 8,2 nur noch in Apg 2,5, im Singular nur in Lk 2,25 und Apg 22,12. Vgl. SCHNEIDER, Apg, 479, 71. 1224 Die Herkunft dieser Männer scheint in Apg 8,2 nicht von Interesse zu sein. JERVELL, Apg, 255 und ZMIJEWSKI, Apg 341, betonen, dass es sich vor dem Hintergrund von Apg 2,5 ebenfalls um Juden handle. FITZMYER, Acts, 397, zieht diese Möglichkeit in Erwägung, plädiert aber dafür, dass es sympathisierende Christen sind, die Stephanus vor ihrer Flucht begraben. Auch Jervell und Zmijewski denken über die Alternative Juden – Christen nach, kommen aber zum Schluss, es müssten Juden sein, weil alle Christen aus Jerusalem vertrieben wurden. Allerdings ist es fraglich, inwieweit an dieser Stelle eine
11 Lektüre von Apg 8,1b-3
437
Konkretere Vorstellungen von einem avnh.r euvlabh,j vermittelt die Beschreibung des Propheten Simeon in Lk 2,25 als di,kaioj kai. euvlabh,j »gerecht und fromm«. Beide Eigenschaften werden durch die Wendung prosdeco,menoj para,klhsin tou/ VIsrah,l »harrend auf die Tröstung Israels« noch näher bestimmt, so dass Gerechtigkeit und Frömmigkeit in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Warten auf die »Tröstung« Israels,1225 gebracht werden. Als drittes Charakteristikum des Simeon wird genannt pneu/ma h=n a[gion evpV auvto,n\ »Heiliger Geist war auf ihm.« Dieses Bild eines frommen, gerechten, Geist begabten Mannes wird weiterhin durch die Beschreibung des Hananias ergänzt, der dem erblindeten Paulus seine Berufungserfahrung auslegt. Indem Apg 22,12 Hananias als euvlabh,j kata. to.n no,mon »fromm gemäß des Gesetzes« bezeichnet wird, erfolgt hier eine Verknüpfung von Frömmigkeit und Gesetzestreue. Außerdem wird die Wirkung dieses gesetzestreuen, frommen Mannes nach außen festgehalten: marturou,menoj u`po. pa,ntwn tw/n katoikou,ntwn VIoudai,wn »von gutem Zeugnis bei allen ansässigen Juden«.1226
Angesichts einer derartigen Charakterisierung der Männer, die Stephanus bestatten, ist ihr Handeln entsprechend positiv konnotiert und stellt einen Kontrast zum Vorgehen der Gegner des Stephanus dar. Damit kommt der Begräbnisnotiz von 8,2 eine analoge Funktion zu wie dem Bericht vom Begräbnis Jesu in Lk 23,50-53. Als Handlungsträger der Bestattung wird in Lk 23,50-51 Josef von Arimathäa eingeführt und zum einen als avnh.r avgaqo,j kai. di,kaioj1227 »ein guter und gerechter Mann«, zum anderen mit der Wendung prosede,ceto th.n basilei,an tou/ qeou/ »der das Reich Gottes erwartete« charakterisiert, ähnlich wie der fromme Simeon (Lk 2,25). Dieser Beschreibung entspricht auch das aktuelle Handeln des Josef von Arimathäa an Jesus, denn die Sorge für die Bestattung der Toten gehört zu den wichtigsten Handlungen jüdischer Frömmigkeit.1228 Dass Josef von Arimathäa als Kontrastfigur zu den einflussreichen Unterscheidung von ‚Juden‘ und ‚Christen‘ sinnvoll ist, da der Text eine Phase des langen Entstehungsprozesses des Christentums reflektiert. 1225 Das war genau das, was sich fromme Juden von der irdischen Durchsetzung der Königsherrschaft Gottes erhofften. Vgl. W OLTER, Lukasevangelium, 766. Ähnlich ist in Lk 2,38 vom Warten auf die Erlösung Jerusalems (lu,trwsij VIerousalh,m) die Rede. 1226 Hananias hat durch das Stichwort marturou,menoj auch Ähnlichkeit mit Stephanus, der als einer der Sieben das für diese Gruppe geforderte Kriterium marturou,menoi (Apg 6,3) erfüllen muss. 1227 Vgl. ebenso Mk 15,45. WOLTER, Lukasevangelium, 766 erklärt, die Adjektive avgaqo,j und di,kaioj werden seit Alters her für die Beschreibung ethischer Aristie in politischem Kontext verwendet. 1228 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 766. Sollte hinter seinem Verhalten Dtn 21,2223 stehen, wonach ein Verbrecher, der nach seinem Tod an einen Pfahl gehängt wurde, vor Sonnenuntergang wieder abgenommen wird, damit das Land nicht verunreinigt werde, würde Josef allein um seiner jüdischen Frömmigkeit willen handeln. Vgl. auch Tob 1,17f.; 2,3-8; Josephus, Bell. 4,317.
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Feinden Jesu gezeichnet ist, zeigt sich umso deutlicher daran, dass er selbst als Ratsherr (bouleuth.j) dem Synedrium angehört, aber durch die apologetische Parenthese in Lk 23,51a (ou-toj ouvk h=n sugkatateqeime,noj th/| boulh/| kai. th/| pra,xei auvtw/n »dieser hatte ihrem Beschluss und ihrer Handlungsweise nicht beigestimmt«) von den Handlungen des Synedriums gegen Jesus deutlich distanziert wird. So wird durch den Gegensatz des frommen Juden Josef von Arimathäa zur jüdischen Führerschaft eine Spaltung innerhalb des Judentums eingetragen.
Besonders vor dem Hintergrund der vielen Parallelen zwischen der Schilderung des Todes Jesu und der Steinigung des Stephanus (7,57-60) dienen die frommen Männer, die in 8,2 an Stephanus diese wichtige Sorge um die Bestattung vollziehen,1229 ebenfalls als Kontrastfiguren zu den Gegnern des Stephanus, zu denen unter anderem Synedristen zählen (6,12-7,1). Außerdem stellen sie ein kontrastierendes Gegenüber zu Saulus dar, der in 8,1a sein Einverständnis zur Tötung des Stephanus zeigt.1230 Mit der Notiz über das Handeln der frommen Männer wird weiterhin die Bedeutung des Stephanus unterstrichen, da mit der »großen Totenklage« (kai. evpoi,hsan kopeto.n me,gan evpV auvtw/|) in 8,2b ihre Trauer über den Tod des Stephanus ausgedrückt wird.1231 Dass eine große Totenklage Wertschätzung gegenüber dem Verstorbenen signalisiert und auf dessen Bedeutung hinweist, wird auch in Gen 50,10 deutlich, wo die Totenklage über Jakob durch das ganze Haus Josefs, seine Brüder und das Haus Jakobs folgendermaßen beschrieben wird: kai. evko,yanto auvto.n kopeto.n me,gan kai. ivscuro.n sfo,dra »und sie wehklagten über ihn in einem großen und überaus heftigen Wehklagen«.
Insofern mit dem Hinweis auf die Totenklage eine Parteinahme für Stephanus zum Ausdruck gebracht wird, lässt sich eine weitere Ähnlichkeit zum Tod Jesu erkennen. In Lk 23,48 wird nämlich von den Jerusalemern, die während der Kreuzigung Jesu anwesend waren, berichtet, dass sie sich an die Brust schlagen, was als symbolische Selbstbestrafung und als Ausdruck von Reue, Trauer und Schmerz gilt. Damit ist ein gewisses Un1229
Vgl. auch Apg 7,16 und die intertextuellen Referenzen zu Gen 23. Vgl. auch PENNER, Praise, 294: „While the Jerusalem ekklesia demonstrates appropriate acts of pietas towards its dead martyr (8:2), the opponents (here including Paul) seek to persecute its adherents (8:1, 3).“ 1231 Vgl. FITZMYER, Acts, 397. ZMIJEWSKI, Apg, 341. JERVELL, Apg, 255. Sie sehen in der großen Totenklage einen Hinweis darauf, dass die frommen Männer das Handeln des Synedriums als ungerecht bewerten. Jervell und Zmijewski verstehen die Totenklage zugleich als Indiz dafür, dass es sich bei der Steinigung des Stephanus nicht um ein legales Verfahren, sondern um Lynchjustiz handelt. Damit bestätige sich die Anklage des Stephanus an seine Hörer in 7,53, sie hätten das Gesetz empfangen, würden es aber nicht erfüllen. 1230
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rechtsbewusstsein der Jerusalemer oder eventuell sogar Protest gegen die Mörder Jesu angedeutet.1232 Darüber hinaus wird mit dem Motiv der Trauer auf die Szene der lukanischen Passionserzählung angespielt, in der die Frauen auf dem Weg zur Kreuzigungsstätte über Jesus klagen und weinen. So hält Lk 23,27 fest: VHkolou,qei de. auvtw/| polu. plh/qoj tou/ laou/ kai. gunaikw/n ko,ptonto kai. evqrh,noun1233 auvto,n. »Es folgt ihm aber eine zahlreiche Menge des Volkes und von Frauen, die sich (die Brust) schlugen und ihn beweinten.« Diese Frauen fungieren als Stichwortgeberinnen für die anschließende prophetische Unheilsankündigung1234 durch Jesus, die speziell den Frauen Jerusalems gilt (Lk 23,2831). Darin wird die Zerstörung Jerusalems angedeutet – in Korrespondenz zum Unheilswort, das Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem Lk 19,41-44 spricht –1235 und die Schuld der Jerusalemer hinsichtlich der Zerstörung der Stadt betont. Zugleich wird aber auch Jesu „affektive Solidarisierung“ mit Jerusalem ausgedrückt, „denn man weint nur über das Unheilsgeschick derer, die man liebt.“1236
Vor dem Hintergrund der Parallelen zur Schilderung des Todes Jesu und der Motivanalogie zwischen Lk 23,27 und Apg 8,2 kann auch hier Trauer über das schuldhafte Verhalten der Jerusalemer gegenüber Stephanus impliziert sein. Nicht nur durch die intertextuellen Referenzen erweist sich die Notiz über die Bestattung des Stephanus und die Totenklage durch die frommen Männer in 8,2 als ein kontrastierendes Element zur Gegnerschaft des Stephanus und zur Verfolgung der Jerusalemer Gemeinde, sondern auch durch die erneute Fokussierung auf Saulus in 8,3, der in 7,58b und 8,1 als ein Repräsentant der Gegner des Stephanus eingeführt wurde.1237
1232
Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 763–764. Dieselben Verben ko,ptw und qrhne,w finden sich z.B. Mi 1,8; Joel 1,13; Josephus, Ant. 6,377 u.a. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 754. 1234 Ähnlichkeiten bestehen z.B. zu Hos 10,8; Gen 39,1f.; Ex 23,26; Dtn 7,14; Hos 9,14; äthHen 98,5. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 755–756. KLEIN, Lukasevangelium, 705–706. 1235 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 754. Historisch betrachtet würden diese Ankündigungen eventuell die Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. reflektieren. 1236 WOLTER, Lukasevangelium, 633. GANSER-KERPERIN, Tempel, 160 sieht Jesu Weinen über Jerusalem darin begründet, dass Jesus die Entscheidung gegen ihn (Lk 23,42b) und die Zerstörung der Stadt (Lk 23,43) vorhersieht. Das Schicksal der Stadt werde also mit der Sendung Jesu parallelisiert. 1237 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 341. 1233
III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
440 Apg 8,3 8,3
Sau/loj de. evlumai,neto th.n evkklhsi,an kata. tou.j oi;kouj eivsporeuo,menoj( su,rwn te a;ndraj kai. gunai/kaj paredi,dou eivj fulakh,n. »Saulus aber versuchte, die Gemeinde zu vernichten, indem er in die Häuser eindrang, Männer und Frauen fortschleppte und in den Kerker auslieferte.«
Indem Saulus hier betont1238 als Verantwortlicher für den Vernichtungsversuch1239 der Gemeinde dargestellt wird, wird das negative Bild von Saulus sukzessive gesteigert: 7,58b führt ihn in einer bloßen Sonderrolle innerhalb der Zeugen der Steinigung des Stephanus ein, 8,1a hält Saulus’ innere Einstellung dazu fest und in 8,3 ist er Handlungsträger der Vernichtung der Gemeinde. Durch den Rückgriff mit h` evkklhsi,a auf die große Verfolgung der Gemeinde von Jerusalem (8,1b) wird Saulus implizit auch damit in Verbindung gebracht, selbst wenn hier keine konkrete Ortsangabe gemacht wird.1240 Durch das Fehlen eines expliziten Hinweises auf Jerusalem entsteht sogar der Eindruck unbegrenzter Vernichtungsaktionen, an denen Saulus beteiligt ist.1241 Die Ausmaße der Vernichtungsversuche werden dann vor allem durch die ausführliche Schilderung von Saulus’ Vorgehen illustriert: kata. tou.j oi;kouj eivsporeuo,menoj su,rwn te a;ndraj kai. gunai/kaj paredi,dou eivj fulakh,n »indem er in die Häuser eindrang, Männer und Frauen fortschleppte und in den Kerker auslieferte.« 1238 Die Konzentration auf Saulus wird durch die emphatische Stellung seines Namens am Satzanfang unterstrichen. Einen Gegensatz zu 8,2 deutet das adversative de, an. 1239 Bei evlumai,neto handelt es sich um ein Imperfectum de conatu. Vgl. JERVELL, Apg, 255. SCHNEIDER, Apg, 480, Anm. 75. Wird damit angedeutet, dass Saulus die evkklhsi,a nicht vollständig vernichten kann? 1240 Da das Einsetzen der großen Verfolgung in 8,1b im Passiv formuliert ist und 8,3 explizit Saulus als Initiator der Vernichtungsaktionen vorstellt, „personalisiert“ sich nun diese »große Verfolgung« in Paulus. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 341. FITZMYER, Acts, 397. JERVELL, Apg, 255. Historisch betrachtet, dürfte Paulus wohl eher christliche Juden bzw. Gemeinden außerhalb Jerusalems verfolgt haben, worauf nicht nur Apg 9,2; 22,5; 26,11f., sondern vor allem Gal 1,17.22 hinweist. Durch den Eindruck in Apg 8,3, seine Verfolgertätigkeit könne auch in Jerusalem stattgefunden haben, was Apg 9,21 dann explizit formuliert, wird bereits der „Jerusalem-Zentrismus“ der lukanischen Paulusdarstellung angedeutet. Vgl. TIWALD, Hebräer, 168. EBEL, EVA, Das Leben des Paulus, in: WISCHMEYER, ODA (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, Tübingen 2006, 83– 96, hier 92. 1241 Vgl. Apg 9,2.21; 22,5; 26,11f. ZMIJEWSKI, Apg, 342 sieht daher in 8,3 eine Vorbereitung auf diese Öffnung hin zu einer Verfolgertätigkeit des Saulus außerhalb Jerusalems.
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Das Eindringen in die Häuser weist darauf hin, dass Saulus an den zentralen Orten der Gemeinde ansetzt, denn durch die Wendung kata. tou.j oi;kouj eivsporeuo,menoj wird die Beschreibung des Gemeindelebens in Jerusalem von Apg 2,46 aufgegriffen:1242 kaqV h`me,ran te proskarterou/ntej o`moqumado.n evn tw/| i`erw/|( klw/nte,j te katV oi=kon a;rton( … »und an jedem Tag verharrten sie einmütig im Tempel und brachen in einzelnen Häusern Brot …«. Ähnlich werden unmittelbar vor der Stephanusepisode in Apg 5,42 neben dem Tempel die Häuser als Versammlungsorte zur Verkündigung beschrieben: pa/sa,n te h`me,ran evn tw/| i`erw/| kai. katV oi=kon ouvk evpau,onto dida,skontej kai. euvaggelizo,menoi to.n cristo,n VIhsou/nÅ »Und jeden Tag lehrten sie im Tempel und in jedem Haus ununterbrochen und verkündeten als Frohbotschaft den Gesalbten Jesus.« Im Gegensatz zu Apg 2,46 und 5,42 fällt allerdings auf, dass der Tempel in Apg 8,3 nicht erwähnt wird. Dies kann darauf hinweisen, dass Saulus nicht in den Tempel eindringt, oder dass der Tempel in Korrespondenz zur Relativierung seiner Bedeutung, auf die die Stephanusrede hindeutet, nicht mehr explizit als Versammlungsort der Gemeindemitglieder genannt wird. Konkretisiert und zusätzlich veranschaulicht wird der Vernichtungsversuch durch den Bericht: … su,rwn te a;ndraj kai. gunai/kaj paredi,dou eivj fulakh,n. »… indem er Männer und Frauen fortschleppte und in den Kerker auslieferte«. Deutlich wird so das Bild eines gewalttätigen1243, gründlichen Vorgehens gegen alle Gemeindemitglieder, ausdrücklich Männer und Frauen,1244 gezeichnet. Bezeichnend für die hier skizzierte Situation der Gemeinde ist die Wendung paradi,dwmi eivj fulakh,n, mit der auf Lk 21,12 angespielt wird.1245
1242
Darauf weist z.B. ZMIJEWSKI, Apg, 341, hin. su,rw bedeutet »gewaltsam fortschleppen«. Vgl. BAUER, Wörterbuch, 1584. Vgl. auch Apg 14,19; 17,6. paredi,dou ist im Imperfekt formuliert, weist also auf ein länger andauerndes Vorgehen hin. 1244 Vgl. JERVELL, Apg, 255, bemerkt, dass damit zugleich Frauen als Gemeindemitglieder bezeichnet werden. Da Saulus scheinbar ausnahmslos gegen jedes Gemeindemitglied vorgeht, fragt FITZMYER, Acts, 397, ob auch die Apostel miteinbezogen sind. Seiner Meinung nach werden die Apostel nicht erwähnt, weil Saulus nicht gegen sie vorgeht oder weil er sie nicht finden konnte. M.E.n. gibt der Text allerdings hier keine Hinweise auf die Stellung des Saulus zu den Aposteln. 1245 Darauf verweisen z.B. SCHNEIDER, Apg, 480, Anm. 78. ZMIJEWSKI, Apg, 342. 1243
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Im Rahmen seiner letzten öffentlichen Rede (Lk 21,5-36) kündigt Jesus seinen Jüngern1246 in Lk 21,12 als Vorzeichen der endzeitlichen Zerstörung des Tempels an: Pro. de. tou,twn pa,ntwn evpibalou/sin evfV u`ma/j ta.j cei/raj auvtw/n kai. diw,xousin( paradido,ntej eivj ta.j sunagwga.j kai. fulaka,j( avpagome,nouj evpi. basilei/j kai. h`gemo,naj e[neken tou/ ovno,mato,j mou\ »Aber vor diesem allen werden sie an euch ihre Hände anlegen und werden euch verfolgen, indem sie euch an die Synagogen und Gefängnisse übergeben und euch wegführen werden vor Könige und Statthalter wegen meines Namens.«1247 Allerdings wird damit die Möglichkeit, für Jesus Zeugnis abzulegen, unmittelbar verbunden (Lk 21,13). Dass die Erfahrung von ‚Unheil‘ zur Ursache von ‚Heil‘ wird, unterstreicht im Anschluss daran die Verheißung Jesu, seinen Jüngern besonders in forensischen Situationen, die nötige Weisheit und Worte zu geben, gegen die ihre Gegner nicht ankommen (Lk 21,14-15).1248
An der Gemeinde von Jerusalem erfüllt sich also Jesu Ankündigung der Verfolgung (8,1b) und der Auslieferung (8,3).1249 Außerdem wird die Situation der Gemeinde zugleich mit der Verhaftung und Auslieferung der Apostel (Apg 4,3; 5,18) sowie mit der Situation des Stephanus (Apg 6,1214) parallelisiert.1250 Darüber hinaus entsteht eine Analogie zur Auslieferung Jesu durch Judas an die Hohenpriester und Hauptleute (Lk 22,4), die ebenfalls mit dem Verb paradi,dwmi formuliert wird. Die in der Nachfolge Jesu stehende Gemeinde befindet sich also in einer ähnlichen Lage wie Jesus selbst, wie die Apostel und wie Stephanus. Die damit einhergehende Möglichkeit, Zeugnis abzugeben, wird erst in der Überleitung zur nächsten Episode Apg 8,4 berichtet.
1246 Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 668. Überall, wo in diesem Text die 2. Person Plural verwendet wird, seien die Anhänger Jesu gemeint. Diese werden hier zu vollkommenen Nachfolgern Jesu, insofern auch dieser von Judas an seine Gegner ausgeliefert wird (paradi,dwmi). Vgl. Lk 22,4; Mk 14,18; Mt 26,15.21.23. 1247 Steigernd dazu wird in Lk 21,16 sogar die Auslieferung und Tötung durch das unmittelbare soziale Umfeld – Familie und Freunde – angekündigt. 1248 Diese Verheißung wird explizit erstmals bei Stephanus Apg 6,10 Realität. Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 674–675. Vgl. auch Ex 4,10-12. EBD., 676, erklärt, diese Wende von Heilserfahrung in bzw. durch Unheilserfahrung betone Jesus allgemein in Lk 21,18-19. Dabei könne ‚Leben gewinnen‘ als metaphorische Umschreibung für eschatisches Heil oder „gerettet werden“ verstanden werden. 1249 Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 341–342. WOLTER, Lukasevangelium, 674. ‚Verhaftung‘ erfolgt auch in Apg 12,1; 21,27 mit den Worten evpe,balon auvtoi/j ta.j cei/raj; ‚Verfolgung‘ wird auch in Apg 9,4f.; 13,50; 22,4.7f.; 26,11.14f. mit diw,kw, diwgmo,j formuliert; die Situation, vor Tribunale gestellt und in Gefängnisse geworfen zu werden, findet sich auch in Apg 12,4; 16,23; 22,4; 26,10, z.T. mit paradi,dwmi als gemeinsamem Prädikat. 1250 Bei Stephanus hat sich auch die Ankündigung erfüllt, dass das Leiden für einige bis zum Tod geht (Lk 21,16b; Apg 7,57). Vgl. WOLTER, Lukasevangelium, 675. KLEIN, Lukasevangelium, 648.
11 Lektüre von Apg 8,1b-3
443
In 8,3 selbst dominiert dagegen noch der Hinweis auf die Vernichtung der Gemeinde. Hierin ist ein starker Gegensatz zur stetig wachsenden Jerusalemer Gemeinde als harmonischer Einheit, wie sie zuletzt in 6,1.7 beschrieben wurde, enthalten. Auf diese Weise wird das bisherige Idealbild nun aufgebrochen und der Anbruch einer neuen Etappe des „Weges des Heils“ angedeutet. Neben dieser Darstellung der Gemeindesituation dient 8,3 insbesondere zur Vorstellung der Verfolgertätigkeit des Saulus.1251 Deren Ausmaße und Funktion werden zusätzlich unterstrichen, indem die Schilderung von 8,3 in Variationen an drei weiteren Stellen der Apostelgeschichte (Apg 9,15.21; 22,4.5.19; 26,10-12) nochmals aufgenommen wird. So berichtet etwa Apg 9,11252 vom gewalttätigen Vorgehen des Saulus: ~O de. Sau/loj e;ti evmpne,wn avpeilh/j kai. fo,nou eivj tou.j maqhta.j tou/ kuri,ou … »Saulus aber, der noch Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn schnaubte …«. Die Betroffenen werden hier nicht nur ganz allgemein als oi` maqhta.i tou/ kuri,ou bezeichnet, sondern in Apg 9,2 auch als tinej th/j o`dou/ o;ntej( a;ndrej te kai. gunai/kej »einige Anhänger des Weges, Männer und Frauen«. Schon an dieser Zielgruppe deutet sich an, dass sich die Verfolgertätigkeit über die Jerusalemer Gemeinde hinaus erstreckt. Eine Steigerung gegenüber Apg 8,3 liegt weiterhin darin, dass Saulus im Einvernehmen mit dem Synedrium handelt, und in der Zielangabe Damaskus, mit der die Ausdehnung der Verfolgung aufgezeigt wird (Apg 9,2).1253 Mit der Unterbrechung dieses Verfolgungsberichts durch das Berufungsgeschehen des Saulus (Apg 9,3-22) wird dann deutlich, dass die Verkündigung unter den Völkern durch Saulus unmittelbar von Jesus Christus initiiert ist. Ausgerechnet dieser Verfolger wird also dazu berufen, einen entscheidenden Beitrag zur Erfüllung des Auftrags von Apg 1,8 zu leisten. Da dieser Kontrast zwischen der Verfolgertätigkeit und der Berufung des Saulus die Besonderheit und Legitimität seiner Verkündigungstätigkeit unterstreicht, wird dieser sowohl in der Verteidigungsrede des Paulus im Tempelvorhof in Jerusalem Apg 22,4-211254 als auch in seiner Rede vor König Agrippa (Apg 26,10-12) aufgegriffen.1255 1251 SCHNEIDER, Apg, 480, bezeichnet Saulus als „die Verfolgung in Person“. Ähnlich ZMIJEWSKI, Apg, 341. 1252 Vgl. TANNEHILL, Narrative, 114, der Analogien zwischen Apg 9,1-5 und Apg 7,51-52 aufgrund der Stichwortverknüpfungen über fo,noj und diw,kw betont. Vgl. auch Apg 8,1b. 1253 ZMIJEWSKI, Apg, 342. Eine Steigerung der Verfolgertätigkeit des Paulus gegenüber Apg 8,1.3 implizieren auch die Formulierung evmpne,wn avpeilh/j kai. fo,nou eivj tou.j maqhta.j tou/ kuri,ou und die Erwähnung eines Vollmachtsbriefes des Hohenpriesters, wodurch der Eindruck einer offiziellen, ‚staatlichen‘ Verfolgung entsteht. Darüber hinaus zeigt sich die gesteigerte Anstößigkeit der Verfolgungsaktionen des Paulus in Apg 9,4-5, wo deutlich wird, dass er in den Jüngern eigentlich den Kyrios Jesus selbst verfolgt. Vgl. ZMIJEWSKI, Apg, 377, 379. 1254 Hier wird Apg 8,3 zum Teil sogar wörtlich eingespielt (paradidou.j eivj fulaka.j a;ndraj te kai. gunai/kaj). Allerdings sind zugleich weitere Steigerungen gegenüber Apg
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III Lektüre von Apg 6,1-8,3: kanonisch-intertextuelle Auslegung
Insofern die in Apg 8,3 berichtete Verfolgertätigkeit des Saulus in Apg 9,1-22 als (paradoxer) Ausgangspunkt für seine Berufung zur Verkündigung unter den Völkern verwendet wird, wird hiermit der Beginn einer weiteren Station auf dem „Weg des Heils“ bis ans »Ende der Erde« vorbereitet. Die besondere Bedeutung der in Apg 8,3 eingeführten Verfolgertätigkeit ist darüber hinaus daran zu erkennen, dass sie im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte mehrmals als Kontrastfolie herangezogen wird, um die Legitimation der Verkündigung des Saulus unter den Völkern zu betonen. So markiert auch dieses Ende der Stephanusepisode eine Schwelle zwischen verschiedenen Stationen innerhalb der Erzählung vom „Weg des Heils“. 11.3 Fazit Der letzte Erzählabschnitt der Stephanusepisode Apg 8,1b-3 schildert Konsequenzen des Todes des Stephanus insbesondere für die Gemeinde von Jerusalem: Sie befindet sich in der Situation einer großen Verfolgung, Zerstreuung und Vernichtung (primär durch Saulus) und damit in einem starken Gegensatz zur idealen Wachstumssituation ihrer Anfänge. Nur die Notiz über die Ausnahme der Apostel (8,1b) deutet auf den bleibenden Bestand der Jerusalemer Gemeinde und deren anhaltende Bedeutung für die Wahrung der heilsgeschichtlichen Kontinuität hin. Auch die »frommen Männer«, die Stephanus bestatten und seinen Tod beklagen, stellen eine Verbindung zum Bild der Jerusalemer Gemeinde als einer harmonischen Einheit dar. Die Auswirkungen und die Tragweite dieser Konsequenzen werden vor allem mittels kontrastierender Gegenüberstellungen, unter anderem unterstrichen durch Inklusionen und intertextuelle Referenzen, dargestellt. So zeigen sich insgesamt drei Inklusionen, wenn man 8,1a aufgrund seiner Zwischenposition1256 als Überleitung zum Abschnitt 8,1b-3 liest: – Indem 8,1 und 8,3 jeweils mit Saulus als Subjekt anfangen, bilden diese Informationen über ihn einen Rahmen um den gesamten Abschnitt. 8,1.3 und 9,1-22 enthalten. Vgl. dazu ZMIJEWSKI, Apg, 341, 784, 846–847. FITZMYER, Acts, 397. JERVELL, Apg, 255. Auffällig ist außerdem, dass Paulus sich in Apg 22; 26 ebenfalls in einer ähnlichen Verfolgungs- und Auslieferungssituation befindet wie die Gemeinde in Jerusalem in Apg 8,3. Vgl. auch Apg 13,50. 1255 In einem ähnlichen Duktus erwähnt Paulus in seinem autobiographischen Bericht Gal 1,12-14 seine Verfolgertätigkeit, was die historische Wahrscheinlichkeit der Verfolgung durch Paulus erhöht. Vgl. auch 1Kor 15,9; Phil 3,6. Vgl. FITZMYER, Acts, 397. JERVELL, Apg, 255. ZMIJEWSKI, Apg, 342. SCHNEIDER, Apg, 480. 1256 Apg 8,1a kann einerseits als Abschluss der Darstellung vom Tod des Stephanus gelesen werden, weil sich die Zustimmung des Saulus unmittelbar darauf bezieht. Andererseits kann 8,1a wegen des Subjektwechsels zu Beginn des Verses als Überleitung zu 8,1b-3 betrachtet werden.
11 Lektüre von Apg 8,1b-3
445
– Weiterhin wird der Bericht über die Verfolgung der Jerusalemer Gemeinde (8,1b) von Aussagen über Stephanus bzw. seinen Tod (8,1a.2) gerahmt. – Darüber hinaus schließen Schilderungen über die Verfolgung der Gemeinde die Notiz von Bestattung und Totenklage über Stephanus (8,2) ein. Durch diese verschiedenen Inklusionen werden die kurzen Berichte von 8,1-3 eng miteinander verzahnt, so dass zum einen die Kontrastbilder verstärkt werden, zum anderen der Zusammenhang zwischen dem Tod des Stephanus und der einsetzenden Verfolgung der Gemeinde samt Saulus’ Schlüsselrolle dabei deutlich wird. 8,1a 8,1b 8,2 8,3
Saulus stimmt der Tötung des Stephanus zu Verfolgung und Zerstreuung der Gemeinde von Jerusalem Bestattung und Totenklage des Stephanus Saulus versucht, die Gemeinde zu vernichten
Außerdem wird die Situation nach dem Tod des Stephanus durch einen Wechsel von dynamischen und statischen Elementen illustriert. Zuerst wird die Dynamik der Verfolgung und Zerstreuung der Gemeinde in 8,1b von der Ausnahme der Apostel, die in Jerusalem bleiben, und durch die Bestattungs- und Klagenotiz (8,2) unterbrochen. Dieses statische Moment, das die Kontinuität der Jerusalemer Gemeinde untermauert, wird daraufhin in 8,3 sofort wieder von der Dynamik der Vernichtungsaktionen durch Saulus abgelöst. Nicht nur durch diese dynamischen Elemente wird der Text geöffnet, sondern auch durch intertextuelle Referenzen. So wird etwa das Idealbild der Jerusalemer Gemeinde dadurch aufgebrochen, dass als Gegensatz dazu die Verfolgungs- und Zerstreuungssituation der Gemeinde beschrieben wird. Zugleich wird durch die Ortsangaben Judäa und Samaria (8,1b) angedeutet, dass paradoxerweise durch die Zerstreuung der Gemeinde die nächste Etappe der Erfüllung des Auftrags von Apg 1,8 beginnen kann. Weiterhin trägt insbesondere die Darstellung des Saulus als Verfolger der Gemeinde zur Öffnung des Textes bei, insofern diese in Apg 9,1-22; 22,45; 26,10-12 als Anknüpfungspunkt und Kontrastfolie für die Berufung des Saulus zur Verkündigung unter den Völkern und deren Legitimation dient. Damit stellt Apg 8,1-3 ein Element zur Verfügung, das auch die weiteren Abschnitte der Erzählung des „Weges des Heils“ einleitet. So präsentiert sich die Stephanusepisode durch dieses Ende deutlich als Schwelle zwischen der Verkündigung in Jerusalem einerseits und in Judäa und Samarien andererseits. Darüber hinaus werden hier auch die weiteren Etappen des „Weges des Heils“ bis ans »Ende der Erde« vorbereitet.
IV Zusammenfassende Reflexion 1 Hermeneutisch-methodische Skizze 1.1 Texte der christlichen Bibel kanonisch-intertextuell auslegen Das Anliegen des dieser Arbeit zugrundeliegenden methodisch-hermeneutischen Ansatzes „kanonisch-intertextuelle Auslegung“ erfordert die Wahrnehmung der besonderen Charakteristika der Bibel – hier speziell der christlichen Bibel bestehend aus Altem und Neuem Testament – als ein Buch, das eine Vielfalt verschiedener Bücher und biblisch gewordener Texte in sich zu einer Einheit zusammenbindet. Da sich die Bibel also als dialogisch-intertextuelles Netz-Werk präsentiert, das offen für seine Kontexte und seine Leser ist, ist dieser literarischen Eigenschaft bei der Auslegung Rechnung zu tragen. Daher arbeitet kanonisch-intertextuelle Auslegung textzentriert und leserorientiert.1 Da dieses ‚Buch‘ christliche Bibel zugleich ein Konzept enthält, das mit dem Begriff des Kanons gefasst wird und als „Heilige Schrift“ den Anspruch überzeitlicher Gültigkeit in sich trägt, ist auch in der Auslegung diese Besonderheit zu berücksichtigen. Aufgrund des anamnetischen Charakters von Bibeltext(en) stellt sich also die Aufgabe, herauszuarbeiten, wie der Text anamnetisch ‚funktioniert‘ und somit die Qualität eines Zeugnisses der Gegenwärtigkeit der Gottesbegegnung erhält und als solches eine rein historische Quelle überschreitet.2 Diesen Merkmalen der christlichen Bibel entsprechend zeigt sich in ihrer literarischen Komposition auch ihre anamnetische Struktur, die als „heilsgeschichtliche Struktur“3 bezeichnet werden kann. Diese spiegelt sich in der Beziehung von Altem und Neuem Testament, weiterhin in den Großformationen des Alten Testaments und innerhalb einzelner Schriften und Texte. Ebenso kann von einer „heilsgeschichtlichen Struktur“ des Neuen Testaments gesprochen werden, die ebenfalls an der Abfolge seiner Sammlungseinheiten, an einzelnen Schriften und Texten abzulesen ist. Darin nimmt die Apostelgeschichte als zweiter Teil des lukanischen Doppelwerks eine Scharnierfunktion zwischen den Evangelien als Erzählungen
1
Vgl. II, 2.1 und 2.2. Vgl. STEINS, Kanon und Anamnese, 122. 3 Vgl. NIEBUHR, Gestalt, 100. 2
1 Hermeneutisch-methodische Skizze
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über die vorösterliche Jesus-Geschichte und die apostolischen Briefe als Texte über die Verkündigung der nachösterlichen Zeit ein. 1.2 Die Stephanusepisode kanonisch-intertextuell auslegen In besonderer Weise spiegelt sich der Charakter des Textes Bibel als dialogisch-intertextuelles Netz-Werk mit anamnetischen Strukturen im lukanischen Doppelwerk, das sich seinem Selbstverständnis nach in antikjüdische Geschichtsschreibung einordnen lässt. Als ‚Geschichtsbuch‘ besonderer Art erzählt es in zwei Teilen den „Weg des Heils“, stellt also eine ebenso besondere Art von Theologie dar. Die Apostelgeschichte vermittelt diesen „Weg des Heils“ in Form einer (apologetisch-)historiographischen Monographie und skizziert die verschiedenen Weg-Etappen strukturiert in mehreren Dimensionen, wie Apg 1,1-11 zeigt. 1. Die inhaltliche Dimension ist zum einen im Auftrag des Auferstandenen zur Bezeugung der Königsherrschaft Gottes (Apg 1,8) benannt, zum anderen im Ziel des „Weges des Heils“: die Apokatastasis für Israel zur Zeit der Parusie. 2. Damit ist der „Weg des Heils“ in zeitlicher Hinsicht geprägt von einem offenen Zeitrahmen (bis zur Parusie). 3. Die räumliche Dimension dieses Weges innerhalb der Apostelgeschichte ist in zwei Ebenen strukturiert, die jeweils eng mit den inhaltlichen Dimensionen verknüpft sind: Auf der vertikalen Ebene geht es um die Verheißung Gottes und ihre Verwirklichung in Geistausgießung und Königsherrschaft Gottes, auf der horizontalen Ebene geht es um die geographische Ausbreitung der Verkündigung dieser Verheißungen – von Jerusalem über Samaria und ganz Judäa bis ans »Ende der Erde« (Apg 1,8) – und damit zugleich um die Adressaten dieser Verheißung. An diesen Dimensionen wird deutlich, dass auf dem „Weg des Heils“ in geographischer, ethnischer, religiöser und nicht zuletzt inhaltlicher Hinsicht Schwellen begegnen, bei deren Überschreiten Ordnungstransformationen stattfinden. Insofern die Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 Teil dieser biblischen Geschichts-Erzählung des „Weges des Heils“ ist – in Abgrenzung einer historischen Quelle – ist auch bei ihrer Lektüre und Auslegung ihr besonderer Charakter als biblisch gewordener Text mit seinen literarischen und anamnetischen Strukturen zu berücksichtigen. So wurde mithilfe kanonischintertextueller Auslegung als textzentriertem, leserorientiertem Ansatz die Frage gestellt: Wie funktioniert der Text Apg 6,1-8,3 als Erzählung innerhalb der Apostelgeschichte und des lukanischen Doppelwerks?
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IV Zusammenfassende Reflexion
2 Die Stephanusepisode – eine Schwellenerzählung der Geschichte des Gottesvolkes Für diese Frage kann nun auf der Grundlage der kanonisch-intertextuellen Auslegung von Apg 6,1-8,3 folgender Antwortversuch formuliert werden: Insofern die Stephanusepisode im Kontext des lukanischen Doppelwerks, das als Erzählung des „Weges des Heils“4 betrachtet werden kann, eine entscheidende Station innerhalb der Verkündigung des Evangeliums bis ans »Ende der Erde« markiert, kann sie als ‚Schwellenerzählung‘ bezeichnet werden. In der Stephanusrede erfolgt ein Innehalten, indem auf die Geschichte Israels zurückgeblickt und sie zugleich für die gegenwärtige Situation fruchtbar gemacht wird. Sich einerseits in die Tradition alttestamentlicher Propheten stellend, andererseits aus der Sicht des »Weges des Herrn« (Apg 18,25)5 argumentierend präsentiert der Text diese Geschichte als spannungsvollen Weg Gottes mit seinem Volk. Diese Reflexion über die Geschichte Gottes mit Israel als einen Weg, der sich in der Geschichte Jesu Christi und in der Gegenwart fortsetzt, stellt nicht nur Erinnerung dar, sondern Vergegenwärtigung der Geschichte. Somit findet durch die aktualisierende Geschichtserzählung der Stephanusrede Selbstvergewisserung vor dem Eintreten in eine neue Etappe des Weges statt. 2.1 Die Stephanusepisode als Schwellenerzählung Für die Betrachtung der Stephanusepisode als eine Schwellenerzählung, sprechen zum einen inhaltliche Aussagen, zum anderen Gestaltungselemente, die für Schwellentexte der Apostelgeschichte charakteristisch sind. So lassen sich folgende inhaltliche Beobachtungen als Argumente anführen: 1. In örtlicher Hinsicht steht die Stephanusepisode an der Schwelle zwischen Jerusalem, wo sie situiert ist (Apg 6,1), und Judäa und Samarien, wohin die Gemeinde laut Apg 8,1b zerstreut wird. Aufgrund der programmatischen Grobgliederung der Apostelgeschichte durch den geographisch strukturierten Zeugenauftrag (Apg 1,8) markiert die Stephanusepisode also den Übergang der Verkündigung des Evangeliums in Jerusalem zur Verkündigung in Judäa und Samarien als erster Schritt in Richtung »Ende der Erde«. Daher spiegelt sich hier die Bedeutung der Geographie für die Er4
KLEIN, Lukasevangelium, 53. DERS., Lukasstudien, 111. Vgl. Apg 16,17. Anhänger des Glaubens an Jesus Christus werden in der Apostelgeschichte in der Regel als o` o`do,j »der Weg« (Apg 9,2; 19,9.23; 22,4; 24,14.22) bezeichnet. Neben der Präzisierung o` o`do,j tou/ kuri,ou »der Weg des Herrn« in Apg 19,25 zeigt sich in Apg 19,26, dass dieser auch als o` o`do,j tou/ qeou/ »der Weg Gottes« begriffen wird. 5
2 Schwellenerzählung der Geschichte des Gottesvolkes
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zählung vom „Weg des Heils“ im lukanischen Doppelwerk. Mit diesem räumlichen Übergang ist gleichzeitig der Übergang zu neuen Rezipienten der Verkündigung und zu neuen Gemeinden angezeigt. Damit werden zugleich die für das lukanische Doppelwerk programmatischen Worte Simeons bei der Begegnung mit dem acht Tage alten Jesus im Tempel in Jerusalem (Lk 2,30-32) eingeholt. Gottes Heilshandeln ist über Israel hinaus auch an die Völker adressiert und realisiert sich in besonderer Weise in Jesus Christus. Das bezeugen die Nachfolger Jesu ab Apg 8,4 tatsächlich vor den Völkern bis ans »Ende der Erde«. 2. In Korrespondenz dazu markiert die Stephanusepisode das Ende der ideal gezeichneten Gemeinde von Jerusalem, was sich an den geschilderten Konfliktsituationen zeigt. Dem bisherigen Idealbild der Jerusalemer Gemeinde, in der z.B. die Apostel in aufkommenden Differenzen mit Jerusalemer Führungsautoritäten aufgrund der Unterstützung durch die Gemeinde überlegen sind (Apg 4,3.32-37; 5,34-42), entspricht die Lösung des Problems der Witwenversorgung (Apg 6,1-8). Allerdings wird mit Apg 6,1 eine Auseinandersetzung auf der Ebene der Gemeindemitglieder (Hellenisten – Hebräer) skizziert, die von größerem Ausmaß zu sein scheint als bisherige Störungen (vgl. Apg 5,12-16). So wird angesichts des Konfliktes um Stephanus das in Apg 1-5 gezeichnete Bild der Jerusalemer Gemeinde noch stärker gebrochen: Obwohl Stephanus als einer des Siebenerkreises für die Lösung des Witwenproblems sorgt, wird er aus seinen eigenen Reihen vor dem Synedrium angeklagt und letztlich sogar gesteinigt. War die Jerusalem-Etappe des „Weges des Heils“ bisher von harmonischer Einmütigkeit geprägt, so ist davon nun keine Spur mehr. Besonders deutlich wird das Ende der als Ideal geschilderten Jerusalemer Gemeinde in der Notiz von ihrer Verfolgung und Zerstreuung in Apg 8,1b.3. 3. Auf eine Schwellenerzählung weisen weiterhin die Anklagen gegen Stephanus hin (Apg 6,11.13-14), die zentrale Themen enthalten, die zum einen für das bisherige Idealbild der Jerusalemer Gemeinde prägend sind (vgl. Apg 2,42-47), zum anderen in der Stephanusrede behandelt werden und darüber hinaus im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte immer wieder zur Debatte stehen. Inhaltlich geht es dabei hauptsächlich um die Haltung zu Gott, zum Gesetz des Mose und zum Tempel, wobei die Fragen nach der Anwesenheit des transzendenten Gottes und nach angemessenem Gottesdienst impliziert sind (vgl. besonders Apg 7,7.49-50). Die entscheidende Bedeutung dieser Themen zeigt sich insbesondere daran, dass sie Mit-Auslöser für die Steinigung des Stephanus sind, durch die wiederum die Zerstreuung, aber auch Verkündigung außerhalb Jerusalems beginnt.
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IV Zusammenfassende Reflexion
4. Die Aussagen über Gott, Tempel und Gesetz innerhalb der Erzählung über die Geschichte Israels in der Stephanusrede sprechen ebenfalls für die Charakterisierung der Stephanusepisode als Schwellenerzählung. Grundlage für die Rede von Gott ist dabei die erste Aussage der Stephanusrede o` qeo.j th/j do,xhj w;fqh tw/| patri. h`mw/n VAbraa.m o;nti evn th/| Mesopotami,a| »Der Gott der Herrlichkeit erschien unserem Vater Abraham, als er in Mesopotamien war.« (7,2). Dieser ‚Überschrift‘ entsprechend wird im weiteren Verlauf der Stephanusrede entfaltet, wie der transzendente Gott in der Geschichte Israels anwesend ist und wirkt, so dass sich seine Verheißungen an Abraham und dessen Nachkommen (7,5-7) schrittweise erfüllen. Deutlich wird dabei primär, dass Gott sich an verschiedenen Orten zeigt (7,2.9.20.30.35.44-46) und durch (prophetische) Mittler seinen Heilswillen umsetzt. Sogar trotz der ständigen Ablehnung Gottes, seiner Mittler und des Gesetzes durch das Volk Israel, ist der transzendente Gott kontinuierlich überall auf dem Weg Israels präsent, denn sein Ort ist »der Himmel« (7,49-50). Eng verknüpft mit dieser betonten Rede vom transzendenten Gott ist eine Relativierung sowohl des Tempels als einziger Ort der Präsenz Gottes und damit des Gottesdienstes als auch des verheißenen Landes als Ort der Gottesbegegnung. Die Priorität der Einzigkeit des transzendenten Gottes wird auch durch die Thematisierung des Gesetzes unterstrichen. Aus dem grundsätzlich als ‚lebens-wichtig‘ vorgestellten Gesetz (7,38) werden nämlich explizit nur die beiden Einzelgebote Bilderverbot und Götzendienstverbot behandelt. Von den Ritualgesetzen dagegen wird lediglich die Beschneidung im Rahmen des Bundes mit Abraham (7,8) implizit angesprochen, aber nicht weiter vertieft. So erfolgt also eine Art Priorisierung innerhalb des Gesetzes. Insofern diese Aussagen über Gott, Tempel und Gesetz im Rahmen einer Erzählung der Geschichte Israels mithilfe von Anspielungen auf und Parallelen zu alttestamentlichen Subtexten erfolgen, zeigt sich ihre Übereinstimmung mit den Vorstellungen, die zum Selbstverständnis des Volkes Israel gehören. Durch besondere Akzentuierungen wird zugleich deutlich, welche Aspekte davon weiterhin oberste Priorität (in der Jerusalemer Gemeinde) besitzen und den Übergang der Verkündigung außerhalb Jerusalems vorbereiten. Da nämlich Gott überall anwesend ist, sind auch Gottesbegegnung und -dienst überall möglich, nicht exklusiv an den Tempel in Jerusalem und das verheißene Land gebunden. Außerdem können dann die Verheißungen Gottes, die laut Apg 1,1-11 in der Geistausgießung und Königsherrschaft Gottes bestehen, überall erfüllt werden. So ist mit dieser Rede vom transzendenten Gott, der an jedem Ort anwesend ist und in der Geschichte durch seine prophetischen Mittler wirkt,
2 Schwellenerzählung der Geschichte des Gottesvolkes
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eine Grundlage für die Verkündigung des „Weges des Heils“ bis ans »Ende der Erde« gelegt, bei der immer wieder in Konfrontation mit anderen Vorstellungen verschiedener Rezipienten ähnliche Fragen auftreten werden (vgl. Apg 10,1-11,18; Apg 15; 17,16-32; 28,16-31 u.a.). 5. Mit den wenigen expliziten Aussagen über Jesus Christus erweist sich die Stephanusepisode ebenfalls als Schwellenerzählung. Die Rede vom Kommen des Gerechten, der von den Propheten vorhergesagt und von den Jerusalemer Juden (Zuhörern) verraten und getötet wurde (Apg 7,52), hat nämlich erneut Parallelen zur Verkündigung des Petrus in Jerusalem (Apg 3,13-26), ordnet sich also in diese erste Weg-Etappe ein. In der Vision Jesu als zur Rechten Gottes erhöhtem Menschensohn (Apg 7,55-56) bestätigt sich nicht nur die Verkündigung vom Kommen des Gerechten, sondern wird auch die Parusie als verheißenes Ziel des „Weges des Heils“ proleptisch vor Augen gestellt. In dieser Vision wird nämlich Jesu richterliche Funktion im eschatologischen Gericht angedeutet. Außerdem wird damit implizit die in der Geschichte Israels entscheidende Frage nach dem Ort und nach der Anwesenheit Gottes beantwortet: Privilegierter Ort Gottes ist der Himmel und präsent ist der Gott der Herrlichkeit im leidenden Gerechten und Propheten Jesus, der als erhöhter Menschensohn von seinen Jüngern bezeugt wird. 6. Auch die breite Entfaltung der kontinuierlichen Ablehnung der von Gott gesandten (prophetischen) Mittler – besonders von Mose und dem »Gerechten« (Apg 7,52) – und damit der Abwendung Israels von Gott selbst deutet auf eine Schwellenerzählung hin. Darin spiegelt sich nämlich nicht nur das Kontrastschema, mit dem Petrus die Christusverkündigung stellenweise akzentuiert (Apg 3,13-15), sondern es wird auch vorausgewiesen auf die Ablehnung, die besonders Paulus’ Verkündigung durchgehend von Teilen jüdischer Adressaten erfährt (vgl. Apg 13,45-52; 18,1-8; 28,24-28). Die Anklagen und Gewalt gegen Stephanus nehmen also insofern eine Schwellenposition ein, als sich darin einerseits die Ablehnung und Tötung der Propheten erneut aktualisiert, andererseits eine Schablone für das Schicksal des Paulus vorgelegt wird. Denn dieses wird zum Teil mit ähnlichen Zügen skizziert, wie z.B. die Parallelen der Vorwürfe gegen ihn (Apg 21,27-28) zu den Anklagen gegen Stephanus zeigen. Einen Schwellentext markiert diese Thematisierung der Ablehnung der prophetischen Mittler Gottes außerdem insofern, als diese in Apg 7,51-53 mit dem Vorwurf der Verstockung verbunden wird. Mit dieser anklagenden Deutung der Ablehnung als Verstockung wird ein Motiv aufgenommen, das sich wie ein roter Faden durch das lukanische Doppelwerk hindurch zieht. Wird die gespaltene Reaktion auf Jesus und seine Verkündigung bereits in den Worten Simeons in Lk 2,34-35 angekündigt, so
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IV Zusammenfassende Reflexion
realisiert sie sich gegenüber Jesus innerhalb des Lukasevangeliums beispielsweise in Lk 4,16-31 und nicht zuletzt in seiner Kreuzigung. In der Apostelgeschichte ist auch die Jerusalemer Gemeinde trotz ihrer Idealdarstellung nicht von einer gespaltenen Reaktion auf die Verkündigung ausgeschlossen, wie die Konflikte in Apg 1-5 andeuten. So verwirklicht sich Lk 2,34-35 auch in Apg 6,1-8,3, denn abgesehen von der kurzen Erwähnung von dem Stephanus Wohlgesonnenen in Apg 8,2, dominiert die Ablehnung des Stephanus als Fortsetzung der Zurückweisung der Mittler Gottes, insbesondere »des Gerechten«, weshalb den Hörern der Rede Verstockung vorgeworfen wird (Apg 7,51-53). Mit dem Motiv der Ablehnung der Mittler Gottes bzw. einer andeutungsweise gespaltenen Reaktion auf sie in Kombination mit dem Verstockungsvorwurf bereitet die Stephanusepisode eine Dynamik vor, die im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte immer wieder zu finden ist: Die häufig uneinige Reaktion der (jüdischen) Hörerschaft auf die Verkündigung des Paulus (vgl. Apg 13,45-52; 18,1-8; 28,2428), die in Apg 28,26-27 zusammenfassend als Verstockung interpretiert wird, ist eine Art Movens für die Hinwendung zu den Völkern, die noch dazu im Gegensatz zu ‚den Juden‘ als hörwillig (Apg 13,48; 28,28) dargestellt werden. Auch das paradoxe Phänomen, dass die Verstockung der jüdischen Adressaten die Zuwendung zu den Völkern veranlasst, deutet sich in der Stephanusepisode an, denn die Zerstreuung der Gemeinde im unmittelbaren Anschluss an die Steinigung des Stephanus (Apg 8,1) führt ja letztlich dazu, dass Verkündigung auch außerhalb Jerusalems erfolgen kann. Da in der Stephanusepisode erstmals im lukanischen Doppelwerk diese Dynamik der gespaltenen Reaktion im Sinne einer Verstockung der Ablehnenden und des Übergangs des „Weges des Heils“ zu einer neuen Etappe hin zu den Völkern bis ans »Ende der Erde« zu finden ist, stellt sie eine Schwellenerzählung dar und spiegelt den „Hauptzweck“ der Apostelgeschichte, der in der „‚Dokumentierung‘ des allmählichen Ablösungsprozesses der Kirche von Israel“6 gesehen werden kann. Den genannten inhaltlichen Hinweisen auf eine Schwellenerzählung korrespondieren außerdem gestalterische Elemente, die in der Apostelgeschichte auch an anderen Stellen zu finden sind. Neben der Stephanusrede, die analog zu anderen Reden an Wendepunkten der Erzählung, die bisherige Geschichte interpretieren und den weiteren Verlauf vorausschauend andeuten (Apg 2,14-41; 13,16-41 u.a.), signa6
MUßNER, Franz, Das Neue Testament als Dokument für den Ablösungsprozeß der Kirche von Israel, in: DERS., Die Kraft der Wurzel: Judentum – Jesus – Kirche, Freiburg u.a. 21989, 164–171, hier 166. In Apg 13 sieht Mußner „die ‚Wasserscheide‘ im Ablösungsprozess der Kirche von Israel, soweit ihn die Apostelgeschichte dokumentiert.“
2 Schwellenerzählung der Geschichte des Gottesvolkes
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lisiert auch die Vision des Stephanus (Apg 6,15; 7,55-56) eine Schwellenerzählung. Denn in dieser Verknüpfung von vertikaler und horizontaler Achse liegt ein für die Apostelgeschichte typisches Element zur Gestaltung von Übergangssituationen. Dabei findet nämlich häufig eine Art ‚himmlische Intervention‘ innerhalb eines Konflikts statt, die zur Stabilisierung der Situation beiträgt. Im Fall des Stephanus bedeutet die Vision eine Stabilisierung insofern, als er und seine Aussagen dadurch gewissermaßen ‚vom Himmel‘ bestätigt werden und der Menschensohn Jesus sogar als endzeitlicher Anwalt für Stephanus und als Richter über seine Gegner erscheint. Außerdem wird die Stephanusepisode durch die besondere Darstellungsweise der auftretenden Figuren als Schwellensituation präsentiert. So weist die überraschende Erwähnung des Saulus im Rahmen der Steinigung des Stephanus auf eine Schwellenerzählung hin. Damit wird nämlich auf rätselhafte Weise der Hauptzeuge des Evangeliums vor den Völkern eingeführt und die Besonderheit seiner Berufung durch die Initiative Gottes vor dem Hintergrund dieser Negativfolie als ‚Christenverfolger‘ unterstrichen. Besonders wird am Bild, das von Stephanus gezeichnet wird, Apg 6,18,3 als Schwellenerzählung erkennbar. Stephanus wird nämlich nicht nur in seiner Position im Siebenerkreis (Apg 6,1-8), in der er ‚tatkräftig‘ im Volk Zeichen und Wunder wirkt (Apg 6,8) und von der Gemeinde und den zwölf Aposteln bestätigt wird, an die ideale Jerusalem-Etappe gebunden, sondern auch durch die impliziten Aussagen über Jesus Christus in Analogie zur Verkündigung des Petrus. Als Mann »erfüllt von Glaube und Heiligem Geist« (Apg 6,5; ähnlich Apg 6,3.8.10; 7,55) erweist er sich ebenfalls als zur Jerusalemer Gemeinde gehörig (Apg 2,1-13) und als Beispiel dafür, dass sich die Zusage Jesu von Gottes Geistverheißung anfanghaft erfüllt hat. Der Inhalt der Vision als Ausdruck der Geisterfüllung weist zugleich auf das verheißene Ziel der Parusie hin. Ist Stephanus schon aufgrund der Geisterfüllung, die sich in seinem Wirken und seiner Vision auswirkt, als prophetische Gestalt gezeichnet, so wird dieses Bild durch die (ebenfalls Geist erfüllte) Rede, noch dazu in Analogie zu prophetischen Reden, ergänzt. Komplettiert werden seine prophetischen Konturen durch die Steinigung, die dem typischen Prophetengeschick gleich kommt. 2.2 Selbstvergewisserung durch Vergegenwärtigung der Geschichte Inwiefern und wie wird in der Stephanusepisode die Geschichte der Gottesbegegnung vergegenwärtigt, so dass Selbstvergewisserung stattfindet? Bei dieser Frage zeigt sich die entscheidende Bedeutung der Leserperspektive für die Interpretation des Textes, denn im Kontext der Apostelgeschichte als Erzählung über die Verkündigung des Evangeliums bis ans »Ende der Erde« geht es um die Konstruktion einer christlichen Identität.
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IV Zusammenfassende Reflexion
Zur Vergegenwärtigung der Geschichte tragen folgende Textstrategien und Gestaltungselemente bei: 1. Die Schilderung eines Idealbildes der Jerusalemer Gemeinde kreiert ein Vorbild, das zur Nachahmung auch auf weiteren Etappen des „Weges des Heils“ anregt. Als Anhaltspunkte für eine christliche Gemeinde werden dabei – zum Teil in Analogie zum Volk Israel (vgl. Apg 7,17.38; 8,1b.3) – ein gut funktionierendes Zusammenspiel von Verkündigung (in Wort und Tat) mit Gebet vorgestellt, durch das mögliche Konflikte idealerweise gelöst werden können und das stetige Wachstum der Gemeinde (Apg 6,1.7) möglich wird. 2. Der Abriss über die Geschichte Israels in der Stephanusrede ist keine bloße Nach-Erzählung zur Rekonstruktion der Vergangenheit. Vielmehr erfolgt hier ein ‚Innehalten‘ auf dem Weg, bei dem für den Text entscheidende Aspekte der Herkunftsgeschichte erinnernd vergegenwärtigt werden. Ausdrücklich zeigt sich das schon in Apg 7,2b in der Bezeichnung Abrahams als »unser Vater«, womit von Anfang an der Bezug der Geschichtsdarstellung zu den Adressaten der Rede hergestellt wird. Auch im weiteren Verlauf wird die Kontinuität zwischen dieser Geschichte und den Hörern der Rede betont, indem die Israeliten meistens »unsere Väter« genannt werden. Zur Vergegenwärtigung der Geschichte trägt weiterhin der kurze aktualisierende Hinweis auf die Identität des Landes, in das Abraham von Gott umgesiedelt wurde, mit dem der Hörer bei (Apg 7,4). Explizit wird die Geschichte Israels gegenwärtig gesetzt, indem den Zuhörern in Jerusalem dieselben Vorwürfe gemacht werden wie »ihren Vätern«, wobei sich der Redner Stephanus nun von dieser Gemeinschaft mit den Vätern bzw. den Jerusalemer Juden distanziert (Apg 7,51-53). Im Rahmen dieser Anklagen zeigt sich nicht nur eine Vergegenwärtigung, sondern auch eine sich steigernde Fortsetzung der erzählten Geschichte, da die Verfolgung und Tötung der Propheten durch Verrat und Mord am »Gerechten« übertroffen wird. So spiegelt sich hier das aussagekräftige Schema auch anderer Vergangenheitsrekurse der Schrift: „Wie bei Abraham, Josef, Mose und Israel so auch bei uns.“7 Neben diesen ausdrücklichen Signalen für die bleibende Relevanz und Aktualität der Geschichte Israels in der Gegenwart der Zuhörer erfolgt diese indirekt durch verschiedene gestalterische Mittel und Strategien. So spielt der Rückblick nicht nur durch strukturelle Analogien und vielfältige Stichwort- und Motivverknüpfungen Erzählungen aus alttestamentlichen Subtexten ein, sondern übernimmt daraus manche Passagen sogar wörtlich, 7
In Anlehnung an STEINS, Kanon und Anamnese, 128: „Wie Abraham, Mose und Israel, so auch wir“.
2 Schwellenerzählung der Geschichte des Gottesvolkes
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meist wenn zentrale Inhalte formuliert werden. Dabei handelt es sich abgesehen von der Verwerfung Moses durch einen Israeliten (Apg 7,27-28) immer um eine direkte Gottesrede (Apg 7,6-7.32-34) oder von einem Propheten vermittelte Gottesrede (Apg 7,37.42-43.49-50). Häufig werden in diesen wörtlichen Reden vorher berichtete Ereignisse aufgegriffen, hinterfragt bzw. kritisiert und zum Teil Konsequenzen für die Zukunft formuliert (Apg 7,6-7.32-34.42-43). Die aus der Schrift bekannte Geschichte Israels wird also neu lebendig, zum einen indem sie mit ähnlichen Formulierungen präsentiert wird, zum anderen besonders indem sie mit diesen wörtlichen Gottes- bzw. Prophetenreden durchsetzt ist. Dadurch erhalten die Gottes- bzw. die Prophetenworte nämlich unmittelbaren Charakter, als wären sie aktuell an die Hörer der erzählten Welt der Stephanusrede gerichtet. Insofern diese Gottes- und Prophetenworte der Redner Stephanus spricht, erhält er selbst prophetische Funktion, zumal er an diesen Stellen ganz besonders hinter der Geschichtsdarstellung zurücktritt – ähnlich wie in den erzählenden Passagen. Der Leser hat also aufgrund der so gestalteten Kommunikationssituation den Eindruck, durch die Rede spiele sich unmittelbar vor seinem Auge die Geschichte Israels von Neuem ab. Transparent für die Gegenwart wird die Geschichte außerdem durch die Tendenz von Generalisierungen einzelner Episoden, die von der konkreten Situation der Subtexte enthoben werden (vgl. Apg 7,23-29.33-34). Weiterhin dienen Anspielungen auf reflektierende Subtexte, wie z.B. in Apg 7,38.39.42a, und ‚Rednerkommentare‘ der deutenden Vergegenwärtigung der Geschichte Israels, insofern sie auf einer Art Metaebene die Erzählung der Geschichte interpretieren (vgl. Apg 7,25.35.48). 3. Unmittelbar verbunden mit der besonderen Präsentation der Geschichte Israels ist das Bild von Stephanus als einer prophetischen Gestalt, denn seine Charakterisierung als Geisterfüllter, der Zeichen und Wunder tut und dem Gott eine Vision gewährt, wird durch diese Rede, in der er Gott und seine Propheten zu Wort kommen lässt, ergänzt. Dazu kommt, dass die Stephanusrede selbst inhaltlich ebenfalls den Charakter von prophetischer Rede hat, insofern darin Geschichte gedeutet und Israel an seinen Ungehorsam gegenüber Gott, seinem Gesetz und seinen Mittlern angeklagt wird, ähnlich wie es aus biblischen Prophetenreden bekannt ist und wie es sich in den zitierten Prophetenworten in Apg 7,42-43.49-50 widerspiegelt. Auch über Inhalt, Form und Gestaltung der Rede hinaus erfolgt in der Figur des Stephanus Vergegenwärtigung von Geschichte. So wird nicht nur ‚Jerusalem-Geschichte‘ durch analoge Aussagen zur Verkündigung des Petrus fortgesetzt, sondern vor allem auch ‚Jesus-Geschichte‘ neu verkörpert. Denn Stephanus wird ähnlich wie Jesus ausführlich als Geistträger beschrieben, sein Zeichen- und Wunderwirken im Volk vergegenwärtigt Jesu Wirken, er wird mit denselben Anklagen konfrontiert wie Jesus und
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IV Zusammenfassende Reflexion
erfährt ähnliche gewalttätige Ablehnung wie Jesus und wie die Propheten (vgl. Ex 17,4; Num 14,9-10: Mose wird mit Steinigung konfrontiert, und 2 Chr 24,21: Sacharja wird gesteinigt). Letztlich stirbt Stephanus sogar mit ähnlichen Gebetsworten wie Jesus, so dass in ihm auch Jesu Tod vergegenwärtigend erinnert wird. Außerdem werden Auferweckung und Erhöhung Jesu in der Vision des Menschensohnes als bleibend relevantes Ereignis für die Gegenwart und Zukunft präsentiert.8 Inwiefern trägt die Stephanusepisode mithilfe dieser Strategien zur Selbstvergewisserung christlicher Identität bei, bevor die Verkündigung des „Weges des Heils“ eine neue Etappe beginnt? Eingebettet in die Szenerie einer Gerichtssituation wird christliche Identität vom Text Apg 6,1-8,3 grundlegend in einem Gegenüber zum ‚Jerusalemer Judentum‘ konstruiert, das von den Gegnern des Stephanus – Volk (darunter Vertreter von diasporajüdischen Synagogengemeinden), Älteste, Schriftgelehrte und Synedristen (Apg 6,12.15) – repräsentiert und als Fortsetzung des im Lauf der Geschichte immer wieder von Gott abfallenden Israel dargestellt wird. Da die hier erzählte Geschichte Israels von Abraham bis zu Jesus (und Stephanus) als gemeinsame Herkunft der Gegner und des Stephanus selbst skizziert wird, trifft der Text sowohl Aussagen über die Identität der Jerusalemer Juden als auch über Stephanus als eines Repräsentanten christlicher Identität. Zur Identität des Jerusalemer Judentums gehört aus der Sicht des Textes als Basis der Gott der Herrlichkeit, der seine Verheißungen auf dem Weg Israels mithilfe seiner prophetischen Mittler erfüllt und an jedem Ort anwesend ist, auch trotz der Abwendung durch Israel. Besonders dieser ‚Unheilsweg‘, den Israel durch die Ablehnung der Propheten bis hin zur Tötung Jesu immer wieder einschlägt, wird ebenfalls als prägend für die Herkunft Israels – repräsentiert hier vom Jerusalemer Judentum – dargestellt. Als Bestätigung dafür, dass diese Unheilsgeschichte ebenfalls zu ihrer Identität gehört, dient die Steinigung des Stephanus als Verlängerung der Tötung der Propheten und Jesu in die Gegenwart hinein. Die Provokation, die in der Darstellung dieser Gewalttat als Element der Identität des Jerusalemer Judentums enthalten ist, wird zusätzlich durch das Bild einer doppelten Gerichtsszene verstärkt (Apg 7,55-60), durch das die für das
8
In diesen Elementen der Vergegenwärtigung der Geschichte Israels von Abraham über Jesus bis zu Stephanus spiegelt sich zugleich der Charakter der Apostelgeschichte als „Scharnier“ (NIEBUHR, Gestalt, 104) zwischen den Evangelien als Erzählungen der vorösterlichen Zeit und den Apostelbriefen der nachösterlichen Verkündigungszeit.
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eschatologische Gericht entscheidende Bedeutung der Haltung zu Jesus Christus deutlich wird.9 Gleichzeitig wird aber durch die Schilderung der Prophetentötung die Geschichte Jesu Christi in der Geschichte Israels verankert. Indem Stephanus das Geschick Jesu in das der Propheten einreiht, stellt er diesen als Mittler Gottes vor, der auf der Grundlage der Geschichte Gottes mit Israel zu verstehen ist. Genau damit geht Stephanus einen anderen Weg als seine Zuhörer, der seine Identität prägt: Zwar ist die gesamte erzählte Geschichte Israels auch bleibend identitätsstiftende Herkunftsgeschichte von Stephanus, aber der halsstarrige Ungehorsam gegenüber dem Heiligen Geist in Form von Tötung der Propheten und Jesu (Apg 7,51-53) ist davon ausgenommen. Vielmehr verkündet er dagegen Jesus Christus als Teil der Verheißungen der Propheten Israels und deren Erfüllung. Die Identität des Stephanus ist also zusätzlich dadurch charakterisiert, dass er vorbildlicher Zeuge Jesu Christi ist. Dazu gehört nicht nur die Verkündigung des Todes Jesu, des leidenden Gerechten (Apg 7,52), sowie seiner Auferweckung und Erhöhung zum Menschensohn, in dem sich der Gott der Herrlichkeit zeigt (Apg 7,55-56). Darüber hinaus bezeugt Stephanus Jesus Christus auch in seiner konsequenten Nachfolge, die sich besonders in seinem Sterben in Analogie zum Kreuzestod Jesu manifestiert. Der Unterschied in der Identität der Jerusalemer Gemeinde und des Stephanus entscheidet sich demnach am Verständnis der Anwesenheit Gottes. Zeigt schon die Geschichte Israels, dass sich der Bezug zu Gott in der Haltung Israels zu Gottes Mittlern, zum Gesetz und zum Tempel spiegelt, so gilt dasselbe für die Haltung zu Jesus Christus: Er wird entweder abgelehnt oder als ein Ort bzw. eine Form der Anwesenheit Gottes bezeugt. Mit Stephanus wird also die Identität eines Zeugen Jesu Christi dadurch gekennzeichnet, dass vom ursprünglichen Weg Israels ein ‚neuer Weg‘ (Apg 9,2; 18,25-26; 22,4 u.a.) abzweigt, dessen Verlauf die Fortsetzung der Apostelgeschichte erzählt und als Ziel das »Ende der Erde« nennt. Insofern sich also in der Stephanusepisode und in der Gestalt des Stephanus die anamnetischen Momente biblischer Texte spiegeln, wird deut9
Da die Konsequenzen dieses proleptischen endzeitlichen Gerichts offen bleiben, kann darin auch ein Aufruf zur Umkehr impliziert sein und für die Zeugen Christi eine warnende Vorbereitung auf mögliche Reaktionen. Ähnlich HAACKER, Stephanus in der Geschichte des Urchristentums, 1548: „Das Schicksal des Stephanus hatte … eine doppelte Signalwirkung: als abschreckendes Exempel dafür, wozu der jüdische Widerstand gegen die Verbreitung des urchristlichen Kerygmas notfalls bereit war, und als paradoxer Anstoß zur Verpflanzung der Jesusbewegung in auswärtige Städte und neue Regionen.“ Dies sei aber vor dem Hintergrund der lukanischen Geschichtstheologie zu verstehen: danach ‚musste‘ das urchristliche Zeugnis vor Juden in erheblichem Maße erfolglos bleiben, damit das Evangelium den Nichtjuden verkündigt wurde (Apg 11,19f.; 13,46f.; 28,25-28 u.v.m.).
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IV Zusammenfassende Reflexion
lich, dass es hier nicht um Rekonstruktion der Vergangenheit geht, sondern um „Konstruktion einer normativen ‚Geschichte‘ einer distinkten Gruppe, für die so alles als Werk Gottes und Ort seiner Gegenwart und seines Wirkens an dieser Gruppe und darüber hinaus an der Welt ablesbar wird.“10
3 Stephanus – an der Schwelle zwischen Judentum und Christentum Wenn es zum „Wesen des Christentums“ gehört, „dass es seine eigene Identität von der Heiligen Schrift her bestimmt“11, und sich der anamnetische Charakter der christlichen Bibel, der ihr die überzeitliche Bedeutung „Heiliger Schrift“ verleiht, in der Stephanusepisode widerspiegelt, trägt auch diese selbstverständlich zur Identitätsbestimmung des Christentums bei. Das zeigt sich beispielsweise in den beiden eingangs skizzierten Traditionslinien, Stephanus sei (1) Prototyp des christlichen Märtyrers und (2) Symbol der Trennung zwischen Judentum und Christentum. Inwieweit werden diese vom biblischen Text Apg 6,1-8,3 getragen? 3.1 Stephanus als Prototyp des christlichen Märtyrers? Bereits die Einführung des Stephanus als avnh.r plh,rhj pi,stewj kai. pneu,matoj a`gi,ou »ein Mann, erfüllt von Glauben und heiligem Geist« (Apg 6,5) stellt ihn mithilfe von grundlegenden Charakteristika einer prophetischen Gestalt vor, die nicht nur dementsprechend handelt und spricht, sondern deren besonderer Gottesbezug sich sogar auf seinem Gesicht spiegelt (Apg 6,15), ähnlich wie beim Propheten Mose. Die prophetischen Züge des Stephanus drücken sich auch in Inhalt und Gestaltung seiner Rede aus und werden durch seine Vision (Apg 7,55-56) gewissermaßen von Gott selbst bestätigt. Darüber hinaus erfährt Stephanus in seiner Ablehnung und Steinigung das typische Schicksal eines Propheten. Selbst wenn der Text Apg 6,1-8,3 von Stephanus immer schärfer das Bild eines Propheten zeichnet, ist dieser in der christlichen Tradition nicht als Prophet, sondern vielmehr als Prototyp des Märtyrers bekannt. Das fällt umso mehr auf, als der Begriff ma,rtuj in Apg 6,1-8,3 gar nicht verwendet
10
STEINS, Kanon und Anamnese, 129. Vgl. DOHMEN, CHRISTOPH, „Nicht wegen deines Bundes …“ (Ez 16,61). Warum es für Christen keinen Bund mit Gott ohne Israel gibt, in: DOHMEN, CHRISTOPH/FREVEL, CHRISTIAN, Für immer verbündet. Studien zur Bundestheologie der Bibel (FS F.-L. Hossfeld) (SBS 211), Stuttgart 2007, 43–48, hier 43. 11
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wird und im martyrologischen Sinn erst im 2. Jh. zu finden ist.12 Dabei bezeichnet dann ma,rtuj jemanden, der als Zeuge des Glaubens wegen stirbt,13 wobei schon in frühesten Ausprägungen einer Martyriumstheologie konstitutiv für einen christlichen Märtyrer ist, dass er in einer Verfolgungssituation, häufig in missionarischem Kontext, Jesus als den endgültigen Interpreten des Gotteswillens bezeugt. Da Stephanus im Rahmen des gewalttätigen Vorgehens gegen ihn nicht nur Jesus als den kommenden Gerechten (Apg 7,52) und erhöhten Menschensohn (Apg 7,55-56) bekundet, sondern sogar mit ähnlichen Worten wie Jesus stirbt, wird er in seinem prophetischen Schicksal zugleich als vorbildlicher Zeuge Jesu bis hin zur Kreuzesnachfolge gezeichnet. Selbst wenn der Text Stephanus nicht explizit als ma,rtuj versteht, trägt er diese Auslegungstradition von Stephanus als prototypischen christlichen Märtyrer. So greifen spätere Märtyrerdarstellungen besonders Stephanus’ Zeugnis für Christus und das Gebet für die Feinde angesichts des Todes als wesentliches Moment christlicher Nachfolge auf.14 Demnach zeigt sich an der 12 Auch in Apg 22,20, wo Stephanus als ma,rtuj bezeichnet wird, wird dieser Begriff wohl nicht im martyrologischen Sinn verwendet, sondern meint wohl das Wortzeugnis, das Stephanus vom ku,rioj abgegeben hat. Die martyrologische Zeugnisterminologie hat sich nämlich wahrscheinlich nicht aus dem neutestamentlichen Wortgebrauch von ma,rtuj entwickelt, selbst wenn 1 Petr 5,1 dieser Verwendung näher steht, insofern dort ein Tatzeugnis gemeint ist. Zum ersten Mal ist ma,rtuj im technisch-martyrologischen Sinn um 160 n. Chr. im Schreiben der Kirche von Smyrna, das das Martyrium des Polykarp schildert, zu finden. Vgl. BAUMEISTER, Genese, XX. Zum lukanischen Gebrauch von ma,rtuj, auch in Apg 22,20 vgl. auch BAUMEISTER, Anfänge, 131–132 sowie SOARDS, Speeches in Acts, 79–80. HAACKER, Stephanus in der Geschichte, 1517, beobachtet allerdings, dass sich die Modellfunktion von Stephanus für den Begriff des Märtyrers auch in der Textgeschichte niedergeschlagen hat, denn ein Teil der Handschriften lese in Apg 22,20 protoma,rturoj statt ma,rturoj. 13 Vgl. BROX, NORBERT, Zeuge und Märtyrer. Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie, München 1961, 227. So bedeute marturei/n „des Glaubens wegen sterben“ und marturi,a oder martu,rion sei der Vorgang dieses Leidens und Sterbens. 14 Vgl. NICKLAS, Gebete, 1. Er beobachtet, dass sich möglicherweise einige konkrete Züge der Darstellung der Kreuzigung Christi im Lukasevangelium an Erfahrungen von Martyrien der ersten Christen anlehnen. Das Verhältnis zwischen Apg 7,60 und Lk 23,34a könne also auch umgekehrt gedeutet werden, als es in der Regel der Fall ist. Die starke Wirkung des Stephanus als „perfekten Märtyrer“ zeige sich z.B. daran, dass die Gebete der Märtyrer diese nicht nur in Bezug zu Christus, sondern auch zu Stephanus setzen (z.B. Eusebius, h.e. 5,2,5). Dabei werde hauptsächlich Apg 7,59 rezipiert, weniger die Fürbitte für die Gegner Apg 7,60, was mit Veränderungen der theologischen Situation zusammenhänge: Der Tod des Märtyrers werde nicht nur als individuelles Schicksal verstanden, sondern als Teil eines kosmischen Kampfes. Vgl. EBD., 20–21. Zur Erwähnung von Stephanus in der Frühen Kirche vgl. MATTHEWS, Need for the Stoning, 128– 130, 133. Auch BARRETT, Acts, 388, sieht aufgrund des textkritischen Befundes die Möglichkeit, dass das Fürbittgebet in Lk 23,34a auf der Basis von Apg 7,60 hinzugefügt wurde.
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IV Zusammenfassende Reflexion
Rezeption der Stephanusepisode, dass Geschichte deutend „erinnert und verinnerlicht [wird] als identitätsstiftendes und traditionsbildendes Element.“15 3.2 Stephanus als ‚Symbol der Trennung‘? Inwieweit aber lässt sich von der Stephanusepisode, als biblischem Text gelesen, die Tradition rechtfertigen, Stephanus als ‚Symbol der Trennung‘ von Judentum und Christentum zu betrachten und somit die christliche Identität primär über die (sogar polemische) Abgrenzung vom Judentum zu bestimmen? Für eine solche Interpretation des Stephanus bietet der Text vor allem folgende Anhaltspunkte: 1. Die Perspektive auf die Geschichte Israels, die sich in der Stephanusepisode ausdrückt, legt tatsächlich das Verständnis von Stephanus als ‚Symbol der Trennung‘ nahe. Die Stephanusrede ordnet nämlich in die Geschichte Gottes mit seinem Volk in besonderer Weise die Geschichte Jesu Christi ein, indem sie Passion, Tod, Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi als Analogie und Steigerung zu Ereignissen der Geschichte Israels schildert. Dadurch wird die Geschichte des Gottesvolkes deutlich als ‚Unheilsgeschichte‘ gedeutet, die in der Geschichte Jesu Christi, insbesondere seiner Ablehnung, fortgesetzt wird. Vor dem Hintergrund der Schilderung einer Christus gläubigen Idealgemeinde in Jerusalem, die auf die Verkündigung der Apostel hin in stetigem Wachstum begriffen ist und durch Einmütigkeit und beständigen Gottesdienst qualifiziert wird (vgl. Apg 2,4147; 4,32-35; 6,7), wirkt das in Apg 7,2-53 skizzierte Geschichtsbild Israels wie eine kontrastierende Negativfolie. 2. Für eine Abgrenzung von diesem negativen Israelbild spricht auch die Darstellung des Stephanus als prophetische Gestalt, die den Widerstand des Volkes massiv als eine Form von Verstockung gegenüber dem Willen Gottes anklagt (Apg 7,51-53). Außerdem setzt Stephanus – nicht zuletzt in Analogie zu Jesus – neue Akzente bezüglich der Vorstellung vom adäquaten Ort Gottes, der nicht auf den Tempel in Jerusalem zu reduzieren sei (Apg 6,11.13-14; 7,47-50). Zu einer solchen Neuakzentuierung gehört auch die Vision des Menschensohnes. Zwar wurzelt die Erwartung des endzeitlich wiederkehrenden Messias als Menschensohn in jüdischem Ge-
15
177.
LENZEN, VERENA, Jüdisches Leben und Sterben im Namen Gottes, München 1995,
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dankengut, aber dessen Identifizierung mit dem erhöhten Jesus, stellt eine Besonderheit dar, die sich von jüdischer Tradition abhebt.16 3. Besonders die Schilderung der Gegner des Stephanus führt zu einem Verständnis als ‚Symbol der Trennung‘. Zum Gegnerkreis des Stephanus zählen nämlich neben diasporajüdischen Synagogenmitgliedern (Apg 6,9) »das Volk«, die Schriftgelehrten und Ältesten sowie das Synedrium (Apg 6,11-15). Dieser großen Gegnerschaft, die das gesamte Jerusalemer Judentum zu repräsentieren scheint, werden die Vorwürfe des halsstarrigen, ungehorsamen Widerstandes gegen den Heiligen Geist, der Tötung der Propheten und Jesu (Apg 7,51-53) als Fortsetzung der ‚Unheilsgeschichte‘ Israels gemacht. Von diesen distanziert sich Stephanus deutlich und wird demgegenüber als vorbildhafter Zeuge Christi gezeichnet. Dieses (polemische) Gegenüber von Jerusalemer Judentum einerseits und Stephanus andererseits verstärkt sich angesichts der doppelten Gerichtsszene, die durch die Vision Apg 7,55-56 entsteht. Die Antizipation des erhöhten Menschensohnes Jesus als Richter des eschatologischen Gerichts bestätigt nämlich, dass in der Stephanusepisode die eigentlich Angeklagten die Ankläger des Stephanus, also die Jerusalemer Juden, sind. 4. Als ein ‚Symbol der Trennung‘ kann Stephanus weiterhin insofern betrachtet werden, als in Apg 6,1-8,3 durch die Motive der Ablehnung der prophetischen Mittler Gottes durch (zumindest einen Teil der) Juden und der Verstockung die programmatische Ankündigung des Simeon Lk 2,3435 aufgenommen wird. Damit ist die Stephanusepisode nämlich ein Beispiel dafür, dass durch Jesus in Israel viele »fallen« und viele »aufstehen« und er ein »Zeichen« ist, »dem widersprochen wird«. Außerdem bereitet Apg 6,1-8,3 damit die gespaltene Reaktion ‚der Juden‘ auf die Verkündigung des Paulus vor, die im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte immer wieder berichtet wird. Indem diese für den Erzählverlauf der Apostelgeschichte typischen Motive in der Stephanusepisode (erstmals ausdrücklich) miteinander verbunden werden, verhärtet sich an ihr der Eindruck, die Apostelgeschichte diene der Dokumentierung des allmählichen Ablösungsprozesses der Kirche von Israel.17 Wenn also offensichtlich auch die Tradition, Stephanus als ‚Symbol der Trennung‘ verstehen, vom Text Apg 6,1-8,3 getragen wird, besteht tatsächlich die Gefahr, hiermit das Verhältnis von Judentum und Christentum als absolutes Trennungsverhältnis zu beschreiben oder sogar als Ersetzungs-
16 Zur messianischen Idee im Judentum und deren Fortsetzung im Christentum vgl. MUßNER, Traktat, 124–131. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 162–165. 17 Vgl. MUßNER, Neues Testament, 166.
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IV Zusammenfassende Reflexion
und Überlegenheitsverhältnis in dem Sinn, dass das Christentum das Judentum ‚aufhebe‘, also übertreffe und irrelevant mache.18 Wie kann es nun vermieden werden, anhand der Stephanusepisode eine polemische Abwertung des Judentums gegenüber dem Christentum zu legitimieren? Hilfreich können hierfür zunächst Überlegungen auf historischer und religionssoziologischer Ebene sein:19 Traditionell wird das lukanische Doppelwerk als „erste Geschichte des Christentums“ bezeichnet und in antik hellenistische bzw. speziell jüdische Geschichtsschreibung eingeordnet. Entsprechend der Funktion antikjüdischer Historiographie, in einer Situation, in der die eigene Identität bedroht scheint, durch Erinnerung an die eigene Geschichte Selbstvergewisserung nach innen und Selbstbehauptung nach außen zu erlangen, dient auch das lukanische Doppelwerk, insbesondere die Apostelgeschichte, der Identitätsfindung des entstehenden Christentums. Da Identität nicht nur durch Erinnerung an die eigene Herkunft und Vergangenheit gebildet wird, sondern auch in Konfrontation und dabei nötigerweise in Abgrenzung von anderen Gruppen bzw. Individuen, finden beide Prozesse auch im Text der Apostelgeschichte ihren literarischen Niederschlag. Das entstehende Christentum, das zunächst eine von vielen jüdischen Gruppierungen ist, muss sich also nicht nur gegenüber der hellenistischen Umwelt behaupten, sondern auch mit den anderen jüdischen Gruppen auseinandersetzen und so seine eigene Identität bilden. Bei diesem Selbstfindungs- bzw. Selbstbehauptungsprozess kann es durchaus zu polemischen Abgrenzungen vom jeweiligen Gegenüber kommen.20 So lassen sich polemische oder gar antijüdische Tendenzen innerhalb des lukanischen Doppelwerks vor diesem historischen und religionssoziologischen Hintergrund möglicherweise relativieren oder zumindest erklären. 18 In diesem Sinn beschreibt BAUR, Paulus, 66–67, das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum. Vgl. dazu auch I, 1. 19 Daran zeigt sich, dass verschiedene hermeneutisch-methodische Zugangsweisen zu biblischen Texten einander ergänzen. Denn Ergebnisse historischer Forschung erweisen sich hier im Rahmen kanonisch-intertextueller Auslegung als hilfreich. 20 Ähnlich betrachtet MUßNER, Traktat, 7, 243–249, die Evangelien als Verarbeitung des Trennungsprozesses der Jesus-Gemeinden vom Judentum und damit als „Gründungsurkunden der Kirche“. Wegen ihrer Funktion der Identitätsfindung seien daher auch die antijüdischen Akzente begründet. Die Evangelien entstanden nämlich in einer Situation der Trennung innerhalb des Judentums. „Die allmähliche Loslösung der Jesusgruppe aus dem Verband Israels, die damit zusammenhängende Beschränkung auf einen einzigen normativen Lehrer, der allmähliche Übergang von der Juden- zur Heidenmission führte … notwendigerweise dazu, daß sich die christliche Gemeinde, versammelt um den Namen Jesu, um ein eigenes Selbstverständnis neben dem Israels bemühen mußte.“ Ähnlich KAMPLING, RAINER, Im Angesicht Israels. Studien zum historischen und theologischen Verhältnis von Kirche und Israel (SBB 47), Stuttgart 2002, 94–98.
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Darüber hinaus sind aber auch – zumal bei einer kanonisch-intertextueller Lektüre – Hinweise im Text selbst zu suchen, die eine differenziertere Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum ermöglichen. 1. Zwar wird die Gegnerschaft des Stephanus als eine große Gruppe unbestimmter Zahl, die das Jerusalemer Judentum repräsentiert, dargestellt, aber es ist nicht pauschal von ‚den Juden‘ die Rede. Vielmehr handelt es sich um die genannten örtlich begrenzten Gruppierungen. Diese Darstellung entspricht auch dem Bild, das der weitere Kontext der Apostelgeschichte von ‚den Juden‘ zeichnet. Selbst wenn immer wieder ebenfalls der ‚halsstarrige‘ Ungehorsam gegenüber der Christusbotschaft und ihren Zeugen festgehalten wird, ist in der Regel nur von den jeweils vor Ort anwesenden Juden bzw. sogar nur einem Teil von diesen die Rede, also von einer gespaltenen Rezeption und nicht von einer universalen Ablehnung von Seiten ‚der Juden‘ (vgl. Apg 13,46-47; 28,24).21 Ähnlich deutet sich auch in der Stephanusepisode an, dass einige Juden in Jerusalem Stephanus offensichtlich wohlgesonnen begegnen (vgl. Apg 8,2).22 Außerdem wird Stephanus im Rahmen der Wahl der Sieben (Apg 6,3-6.9)23 ebenfalls implizit als diasporajüdisches Mitglied der Jerusalemer Gemeinde vorgestellt, die wiederum aus Apg 1-5 als grundsätzlich gesetzestreu im Sinne eines jüdischen Ideals bekannt ist.24 Die Darstellung der Personenkonstellation spricht also gegen das pauschale Urteil, in der Steinigung des Stephanus lasse sich die grundsätzliche Haltung ‚des Judentums‘ gegenüber ‚dem Christentum‘ ablesen. Zwar wird Stephanus einerseits in Abgrenzung von seinen jüdischen Gegnern in Jerusalem skizziert, aber andererseits auch in einer Verbundenheit mit (zumindest einem Teil von) diesen. 2. Für eine differenzierte Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum sprechen auch die vielfältigen Kontinuitätslinien, die in der Stephanusepisode gezeichnet werden. Etwa beginnt Apg 6,1-7 mit der Schilderung einer vorbildhaften Konfliktlösung der Gemeinde in Jerusalem nach Modellen, die aus der Geschichte Israels bekannt sind. Erst in der Stephanusrede wird demgegenüber ein negatives Bild der Geschichte des Gottes Volkes gezeichnet und aufgezeigt, inwiefern sich diese ‚Unheilsgeschichte‘ in der Gegenwart der Adressaten fortsetzt (Apg 7,51-53.54-8,1a). Demnach ist die Jerusalemer Gemeinde grundsätzlich sowohl von den ide21
Vgl. EISEN, Poetik, 210. Diese Beobachtung wird auch vom historischen Argument unterstützt, dass es zur Zeit Jesu und kurz nach seinem Tod kein einheitliches Judentum gab, sondern diverse jüdische Strömungen. Dasselbe gilt für das sich formierende Christentum, das zu Beginn eine hohe Diversität aufweist. Diese schlägt sich auch in den Texten des Neuen Testaments nieder. Vgl. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum, 27–28, 222. 23 Vgl. Untersuchungen zu Apg 6,9. 24 Vgl. KAMPLING, Im Angesicht Israels, 255. Vgl. auch Apg 13,20. 22
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IV Zusammenfassende Reflexion
alen Merkmalen Israels als auch von seinen negativen Seiten geprägt. Die Kontinuität dieses ambivalenten Israelbildes deutet sich weiterhin dadurch an, dass sich Stephanus selbst in die Gruppe seiner jüdischen Zuhörer einbezieht, wenn er die Geschichte »unserer Väter« skizziert, sogar im Zusammenhang der Thematisierung des Götzendienstes. Insofern in den Duktus dieser Geschichtserzählung auch die Verheißung Jesu Christi als eines Propheten wie Mose und als des kommenden Gerechten unmittelbar eingereiht wird, zeigt sich hierin, dass Jesus nur als der Messias, der dem Volk Israel verheißen ist, verkündet werden konnte und kann,25 die Identität Jesu Christi – und folglich auch seiner ersten Nachfolger und ‚des Christentums‘ – also in dieser Geschichte Israels wurzelt. Demnach bildet sich hier eine Dialektik von Gemeinschaft und Trennung im Verhältnis zwischen Judentum und Christentum ab. 3. Insofern Stephanus als prophetische Gestalt dargestellt wird, die der Form und dem Inhalt nach derart zu den anwesenden Juden spricht wie in der Vergangenheit Propheten, und insofern er dasselbe Geschick erleidet wie diese und wie (der Prophet) Jesus, verkörpert Stephanus gewissermaßen Verbindungen zwischen Judentum und Christentum. So wird in diesem Bild des Stephanus und in der Stephanusrede Geschichte erinnernd vergegenwärtigt: die Geschichte Israels, die sich in der Geschichte Jesu fortgesetzt hat. Kann man vor diesem Hintergrund von einem Symbol der Trennung sprechen oder schafft hier nicht Erinnerung auch Verbindung?26 4. Inwiefern Stephanus in Apg 6,1-8,3 als ‚Symbol der Trennung‘ zwischen Judentum und Christentum dargestellt wird, lässt sich also an der Art 25 DOHMEN, CHRISTOPH, Erinnerungsgemeinschaft als hermeneutischer Schlüssel zur Bibel Israels, in: LENZEN, VERENA (Hg.), Erinnerung als Herkunft der Zukunft (Judaica et Christiana 22), Bern u.a. 2008, 45–62, hier 59. Er leitet daraus, dass Jesus als der Christus, d.h. der Messias der Bibel Israels, nur verkündet werden konnte und kann, die theologische Priorität und Prävalenz des Alten Testaments in der christlichen Bibel, die durch seine Stellung vor dem Neuen Testament festgeschrieben ist, ab. 26 In Anlehnung an LENZEN, Jüdisches Leben, 177: „Erinnerung ist Verbindung“. Inwiefern hier Erinnerung Verbindung schaffen kann, schildert beispielsweise MUßNER, Traktat, 344–355. Er zeigt nämlich, wie sehr Jesus in neutestamentlichen Texten als Prophet gezeichnet wird, z.T. auch im Anschluss an Dtn 18,15 als der verheißene Prophet der Endzeit (vgl. Joh 6,14; 7,40; Apg 3,22; 7,37). Ausgehend vom Gedanken der Schriften Israels, dass Gott im Propheten „menschenförmig“ (352) wird, wird deutlich, dass hierin ein Anknüpfungspunkt für christologische Vorstellungen liegen. Dementsprechend stele Prophetenchristologie eines der frühesten christologischen Modelle dar, an das sich weitere christologische Vorstellungen, wie z.B. Sohneschristologie, anschließen konnten. So könnte das Prophetenmodell eine gemeinsame Gesprächsbasis mit Juden sein. Da Jesus besonders in Apg 7,52 unter prophetenchristologischem Aspekt erwähnt wird, könnte hier auch ein Ansatzpunkt dafür liegen, die Stephanusepisode als ‚Schwelle‘ zwischen Judentum und Christentum zu deuten.
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und Weise ablesen, in der die Stephanusepisode um christliche Identität ringt. Denn darin spiegeln sich vorbildhaft die anamnetischen Strukturen der christlichen Bibel in ihrer zweigeteilten Einheit aus Altem und Neuem Testament. Gegen eine zu pauschale Deutung von Stephanus als einem ‚Symbol der Trennung‘ spricht, dass die für die Geschichte Israels grundlegende Frage nach der Anwesenheit des transzendenten Gottes beantwortet wird, indem einige Momente aus der Geschichte Israels aufgenommen und mit eigenen Akzenten versehen werden. Derart reflektierende und ermahnende Geschichtserzählungen entsprechen nicht nur alttestamentlicher Tradition (vgl. Jos 24,2-13; 1 Sam 12,8-13; Neh 9,6-31; Ez 20,5-29 u.a.), sondern auch außerbiblischer, antik-jüdischer Literatur (vgl. Bell 5,379-412; 1 Hen 85,3-90,38; LibAnt 23,4b-11 u.a.).27 Mit solchen Geschichtsdarstellungen korrespondiert die Stephanusrede etwa hinsichtlich der Thematisierung des Abfalls Israels von Gott oder der Betonung der universalen Präsenz des Schöpfergottes mithilfe von Prophetenworten. Da sie also in die Tradition prophetischer Israelkritik eingereiht werden kann, erscheint sie als Ausdruck innerjüdischer Auseinandersetzung. Dennoch lässt sich dabei als signifikanteste Neuakzentuierung in Differenz zur traditionellen Israelkritik ausmachen, dass die Geschichte Gottes mit seinem Volk in der Geschichte Jesu Christi mündet. Indem Passion, Tod, Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi als gesteigerte Analogie zu Elementen der Geschichte Israels geschildert werden, wird einerseits – wie oben erläutert – die Geschichte Israels als ‚Unheilsgeschichte‘ interpretiert, andererseits zugleich die Geschichte Jesu Christi als Teil und Fortsetzung eben dieser ‚Unheilsgeschichte‘ dargestellt. Angesichts dieser Perspektive auf die Geschichte Israels kann Stephanus also doch in gewissem Sinn als ein ‚Symbol der Trennung‘ betrachtet werden. Der Text sucht nämlich christliche Identität zum einen in der Erinnerung an die Geschichte Israels als Geschichte der Anwesenheit des »Gottes der Herrlichkeit« und damit als Wurzel der Geschichte Jesu Christi, zum anderen aber auch in der Abgrenzung von der Geschichte Israels als einer Geschichte der Ablehnung der prophetischen Mittler Gottes, insbesondere Jesu. Vor diesem Hintergrund wird mit der Gestalt des Stephanus ein neuer Weg angeboten, der darin besteht, die Geschichte Jesu Christi als (weitere) Antwort auf die Frage nach der Gegenwart Gottes zu verstehen. Die Stephanusepisode erinnert also daran, dass Judentum und Christentum einen gemeinsamen Ursprung im Weg Gottes mit seinem Volk haben, von diesem aber ein ‚neuer Weg‘ abzweigt. Somit bezeugt der Text – analog zum gesamten Neuen Testament, insbesondere dessen älteren Schriften –, dass 27
Für Untersuchungen über antik-jüdische Summarien der Geschichte Israels vgl. JESKA, Geschichte Israels, 44–115, 300.
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dem Verhältnis zwischen Judentum und Christentum zwar ein Trennungsprozess zugrunde liegt, dieser aber nicht zu einer „Israelvergessenheit“28 führen darf. Angesichts der anamnetischen Momente in Apg 6,1-8,3 legt es sich vielmehr nahe, das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum als „Erinnerungsgemeinschaft“29 zu beschreiben, die sich bei aller identitätsstiftenden Abgrenzung auf die gemeinsamen Wurzeln in der Geschichte des Gottesvolkes besinnt. 5. Um trotz der Dominanz des Motivs des Widerstands gegen Gott und seine Mittler sowie des Verstockungsvorwurfs in der Stephanusepisode daraus kein inadäquat abwertendes Urteil über Israel abzuleiten, kann es hilfreich sein (ohne diese brisante, sperrige Eigenart des Textes zu nivellieren), zu bedenken, wie sich diese Motive in zentrale Aspekte der theologischen Konzeption des lukanischen Doppelwerks als Erzählung des „Weges des Heils“ einordnen. Bei aller Israelkritik, die besonders scharf in Apg 7,51-53; 13,45-52; 28,26-28 formuliert wird, zeigt sich zugleich, dass das Volk Gottes dennoch nicht komplett verurteilt und als aus dem Heilshandeln Gottes ausgeschlossen dargestellt wird. Vielmehr wird ein ambivalentes Israelbild gezeichnet, indem trotz der Widerstände des Gottesvolkes immer wieder die Priorität Israels im Heilswillen Gottes vor Augen geführt wird. Dieser bleibende Vorrang des Gottesvolkes auf dem „Weg des Heils“ trotz seiner wiederkehrenden Verstockung ist eng verwoben mit theologischen Aussagen. Dies deutet sich bereits in den programmatischen Worten Lk 2,30-32.34-35 an, indem zuerst (in Anklang an die prophetische Verheißung Jes 42,6; 49,6) die Verwirklichung von Gottes Willen zu universalem Heil für Israel und für die Völker in Jesus ausgesagt wird und gleich im Anschluss daran der mögliche Widerstand gegen dieses Heilshandeln Gottes.30 Hier wird also deutlich, dass zwar die Grundlage des „Weges des
28
MUßNER, Neues Testament, 170; EBD., Traktat, 249. DOHMEN, Erinnerungsgemeinschaft, 62. KAMPLING, Im Angesicht Israels, 257, erklärt für das ganze lukanische Doppelwerk, es würde in die Schule der Erinnerung der eigenen Geschichte einführen. Damit bedenke Kirche ihre eigenen Wurzeln und lerne ihre eigene Identität besser kennen. Im Dialog mit dem Judentum trete die Kirche also in die Erinnerung der eigenen Geschichte ein und könne Gemeinsamkeiten neu entdecken. Zentrum dabei sei das Bekenntnis zu dem einen wahren Gott, zu dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der nach dem Glauben der Christen der Vater unseres Herrn Jesus Christus sei. MUßNER, Traktat, 87, formuliert das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum folgendermaßen: „Der Jude hilft dem Christen, seine Identität nicht zu verlieren.“ 30 Vgl. besonders Lk 2,34: Die Bestimmung Jesu »zum Fallen und zum Aufstehen vieler in Israel« wird mit kei,tai als göttliche Notwendigkeit dargestellt. Vgl. dazu auch den Exkurs zum sog. Verstockungsmotiv im lukanischen Doppelwerk in II, 9.2. 29
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Heils“ der universale Heilswille Gottes ist, aber bei dessen Realisierung von Anfang an Ablehnung desselben gewissermaßen mit ‚eingeplant‘ ist. Beides wird dann auch im Verlauf des lukanischen Doppelwerks erzählt. Das Lukasevangelium schildert direkt, wie Jesus, der laut Lk 1-2 deutlich im jüdischen Kontext wurzelt,31 als Gottes Heil zuerst für Israel, aber andeutungsweise auch für die Völker wirkt, er aber gerade von Israel nicht akzeptiert wird. Trotz dieser Ablehnung Jesu ist der „Weg des Heils“ für das Gottesvolk nicht beendet, sondern wird ausgerechnet ausgehend von Israel fortgesetzt, wie beispielsweise Apg 1-5 erzählen. Wie grundlegend der Heilswille Gottes ist, und dass er kontinuierlich zuerst an das Volk Israel adressiert ist, zeigt sich weiterhin insofern, als im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte trotz der Ablehnung der Zeugen Jesu die Verkündigung des „Weges des Heils“ immer wieder bei Israel ansetzt, auch wenn bereits die Völker mit einbezogen werden. Explizit wird diese Priorität Israels trotz seines Widerstandes beispielsweise in Apg 13,45-47: Nach der Notiz über die Ablehnung der Verkündigung des Paulus durch die Juden in Antiochia in Pisidien (13,45) betont Paulus in 13,46 die göttliche Notwendigkeit (h=n avnagkai/on prw/ton) der Verkündigung des Wortes Gottes zuerst an Israel. Selbst wenn dabei der Widerspruch der Juden als Anlass für die Hinwendung zu den Völkern dargestellt wird (Apg 13,46), sind in der summarischen Notiz über die Verbreitung des Wortes (Apg 13,49) die Juden als Rezipienten nicht ausgeschlossen. Außerdem zeigt auch die Fortsetzung der Apostelgeschichte, dass Paulus sofort bei seiner nächsten Station in Ikonion wieder zuerst den Juden verkündet (Apg 14,1).32 Auch im Kontext des besonders scharf wirkenden Vorwurfs der Verstockung der Juden in Rom am Ende der Apostelgeschichte (Apg 28,26-28) wird deutlich, dass trotz dieser Haltung des Gottesvolkes und trotz der Hinwendung zu den Völkern dennoch Israel weiterhin Adressat des Heilshandeln Gottes bleibt. Denn gleich im Anschluss an die harte Kritik, wird berichtet, dass Paulus ausdrücklich »allen« die »Königsherrschaft Gottes« und »die Lehre über Jesus Christus« verkündet (Apg 28,30-31).33 31
KAMPLING, Im Angesicht Israels, 250–253, erläutert anhand verschiedener Beispiele der Anfangskapitel des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte, inwiefern im lukanischen Doppelwerk das für die Kirche bleibende Band mit Israel präsent ist. Vgl. auch MUßNER, Traktat, 32. 32 Hierin spiegelt sich das „Programm“ der Paulusmission, die in verschiedenen anderen Texten ebenfalls bei den Juden als Erstadressaten beginnt. Vgl. etwa Apg 16,13; 17,1.10.17; 18,4; 19,8. 33 Hiermit wird implizit der Beginn der Apostelgeschichte Apg 1,6-8 aufgegriffen, wo die Jünger den Auferstandenen nach der Apokatastasis Israels fragen. MUßNER, Traktat, 66–67, erläutert dazu: Jesus weist diese Frage nicht zurück, sondern korrigiert nur ihre Naherwartung. So wird besonders am Anfang und am Ende der Apostelgeschichte deut-
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Dieses ‚Trotzdem‘ der Priorität Israels im Heilswillen Gottes angesichts des Widerstandes Israels impliziert auch die Stephanusrede,34 indem sie den bleibenden Beginn des „Weges des Heils“ in der Geschichte Gottes mit seinem Volk, etwa in der Erscheinung Gottes vor Abraham und der allmählichen Erfüllung der Verheißungen Gottes (vgl. besonders Apg 7,28.9-16.17), betont und aufzeigt, dass Gott trotz des Abfalls Israels für dieses bleibend präsent ist. Allerdings dominiert in der Stephanusepisode vergleichsweise der kritische Aspekt, da abgesehen von einer kleinen Ausnahme in Apg 8,2 primär die Ablehnung des Stephanus und sogar der Gemeinde in Jerusalem durch die Jerusalemer Juden (Apg 8,1.3) geschildert wird. Dass die kritische Seite des Israelbildes hier nicht sofort relativiert wird, ist auch an der Vision des erhöhten Menschensohnes Jesus zu sehen, der als endzeitlicher Richter über die Gegner des Stephanus, d.h. die Jerusalemer Juden, verstanden werden kann. Ein endgültiges Urteil wird allerdings nicht über die indirekt Angeklagten ausgesprochen. So ist die Stephanusepisode besonders offen für die Reflexion über die Position Israels auf dem „Weg des Heils“ – und damit über das Verhältnis zwischen Judentum und Christentum – und regt zur Frage nach der Vorgehensweise Gottes bei der Realisierung seines Heilswillen an. Indem Apg 6,1-8,3 besonders ausführlich und pointiert das Zueinander von Gemeinsamkeiten mit und Abgrenzung von der Geschichte Israels skizziert, das der ‚Geschichtserzählung‘ des gesamten lukanischen Doppelwerks korrespondiert, wird deutlich, dass hiermit der „Weg des Heils“ als einer gezeichnet wird, dessen Ursprung in der Geschichte Gottes mit Israel liegt, der aber kontinuierlich ‚breiter‘ wird und damit alle Völker bis ans »Ende der Erde« umfasst. Allerdings enthält dieser „Weg des Heil“ einen Verheißungsüberschuss,35 denn der Widerstand des Gottesvolkes zeigt, dass das Heilshandeln Gottes durch Jesus Christus von weiten Teilen nicht akzeptiert wird und somit vorerst eher zwei „Wege des Heils“ nebenlich, dass die Erwartung der endzeitlichen Rettung Israels im Sinne einer „Wiederherstellung“ Israels, die schon von den alttestamentlichen Propheten angekündigt ist, thematisiert wird. Diese hängt mit der bleibenden Erwählung Israels durch Gott zusammen. Jesus bleibt der für die Juden vorherbestimmte Messias, selbst wenn Israel dies zum größten Teil nicht sehen kann. KAMPLING, Im Angesicht Israels, 254, zufolge entbirgt sich sogar in der Erklärung der Hinwendung zu den Völkern mit dem Theologumenon der Verstockung Israels noch der heilsgeschichtliche Vorrang Israels vor den Völkern, denen durch Israel mittelbar das Heil zukommt. 34 Vgl. dazu auch KAMPLING, Im Angesicht Israels, 254, demzufolge Israel das Heil nicht abgesprochen wird. 35 Vgl. KAMPLING, Im Angesicht Israels, 254: Das von Gott gesetzte Ziel stehe Israel aber durch Buße und Umkehr offen (vgl. Apg 3,19-21). Vgl. auch EBD., 8, 25–25: „Israel ist der weltgeschichtliche Zeuge für das Noch-nicht des göttlichen Willens“ (85).
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einander herlaufen. Paradoxerweise trägt die Ablehnung durch Israel zugleich in gewisser Weise dazu bei, dass der „Weg des Heils“ gewissermaßen ‚breiter‘ wird, denn sie wird als ein Anlass zur Verkündigung bei den Völkern vorgestellt.36 Letztlich verwirklicht sich also in dieser Dynamik von Kontinuität zur Geschichte Israels und Distanz zu dieser die programmatische Ankündigung von Lk 2,30-32.34-35. Somit legitimiert sich diese Art der Realisierung des „Weges des Heils“ als einer, der ‚breiter‘ wird, im grundlegenden Heilswillen Gottes: o[ti ei=don oi` ovfqalmoi, mou to. swth,rio,n sou( o] h`toi,masaj kata. pro,swpon pa,ntwn tw/n law/n( fw/j eivj avpoka,luyin evqnw/n kai. do,xan laou/ sou VIsrah,lÅ »Denn meine Augen haben gesehen dein Heil, das du bereitet hast vor dem Angesicht aller Völker, ein Licht zur Offenbarung für Völker und Herrlichkeit für dein Volk Israel.« (Lk 2,30-32)
36 MUßNER, Traktat, 333, spricht von eigenartigen „Wegen“ der Heilsführung Gottes. Gott habe Israel verstockt, damit sich am Ende die Gottheit Gottes vor aller Welt offenbare. Die Verstockung Israels zeige demnach die Transzendenz und bleibende Geheimnishaftigkeit Gottes. Vgl. auch EBD., 8, 25–25: „Israel ist der weltgeschichtliche Zeuge für das Noch-nicht des göttlichen Willens“ (EBD. 85).
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Stellenregister 1 Biblische Bücher 1.1 Altes Testament Genesis 11,26-32 11,27-32 11,28 11,31 11,32 12,1-25,18 12,1-8 12,1-3 12,2-3 12,2 12,4-5 12,4 12,5 12,7 15 15,5 15,7 15,13-14 15,13 15,14 15,15 15,18 15,19-21 17 17,2 17,4-6 17,6 17,7 17,8 17,9 17,10-11 17,12 17,13 17,15-21 17,15-19 17,18 17,23-27
173 177f., 181 173, 177 172f., 177, 179 180f. 201 202 174–176, 180 186 235 177–181 173, 178f. 179, 181 266 186f., 192 235 181f. 189–191 273 191 191 185, 191 185–187 186f., 195, 197f. 195, 235 184 235 184f., 195 184–186, 196 185, 196, 198 196f. 196, 198 196, 198 198 185 228 198
21,1-4 23 23,1-2 23,16-18 25,9-10 25,19 33,18-20 33,18-19 33,19 33,20 34 35,4-5 35,27-28 37-50 37 37,4 37,8 37,11 37,18 37,19 37,20-27 37,20 37,28 37,36 39,1-2 39,4 39,19-23 39,21 41 41,6-44,34 41,14-15 41,39-41 41,40-45 41,46-49 41,50-52 41,54-42,5 41,54 41,55-57
198 226, 228 226f. 227–230 227 199 225f., 228f. 225 227 225f. 226 226 227 231 206f. 205 205f. 205 205 205 206 205 206 206 208 208 208 208f. 208f. 215 208f. 209 210 213 213 213 213 213
Stellenregister
488 42,1-5 42,2 42,5 42,6-38 42,8 45,1-20 45,1-8 45,1 45,2 45,8 45,9-20 45,9-13 45,10-11 45,18-20 45,16-20 45,16 46,1-5 46,6 46,8-25 46,26-27 46,27 46,28-34 47,29-31 47,29 49,29-32 49,33 50,1-13 50,10 50,13 50,24-25 50,26
213f. 214 213f. 214 214 216 211 216 216 210f. 218f. 218 218f. 218f. 216f. 216 221 221 219 219f. 219f. 221 224 221f. 224, 227 222, 224 224, 228 438 224, 227, 229 225, 228 225
Exodus 1-2 1,1-8 1,1-7 1,1-4 1,5-7 1,5 1,6-7 1,6 1,7-22 1,7 1,8 1,9-14 1,9 1,10 1,11 1,14 1,15-22
277 239 225 219 222 219f., 236 219f. 222, 225, 236 245 236f., 239, 244 239, 241, 245 241f., 243, 245 241 241f. 241f., 288 241, 288 243–246, 251f.
1,15-16 1,17 1,18 1,20 1,22 2 2,1-11 2,1 2,2 2,3-10 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7-9 2,10 2,11-12 2,11 2,12-22 2,12 2,13-14 2,13 2,14 2,15 2,16-22 2,22 3 3,1-10 3,1-2 3,1 3,2 3,3-4 3,5-10 3,5 3,6 3,7-10 3,7 3,8 3,9 3,10 3,11-4,17 3,12 3,16 4,10 5,12 6,4.8 6,6 7,1-11,10 7,3 14,15-15,21
243 243 243 243 244 257 327 251 251f. 253–255 244f., 251, 253 253 254 254 254 254 261–263, 271 262, 271, 275 275, 327 262f., 272, 275 270–272, 275 271 272f. 273 273–275, 277 273–275, 288 291 290f., 327 277–280 277f. 266, 279 280 286–289 284f. 281–283, 285 297f. 288 288f., 297, 299 288 289, 297 289f. 191f., 285 259 256 433 299 294 299 298f. 299
Stellenregister 16 16,2 16,8 16,16b 17,4 18,13-26 19-24 19 19,1-2 19,3-25 19,18 20,3 20,4-5 20,4 20,5 21,12 24,15-18 24,17-18 24,17 25-31 25,8-9 25,8 25,9 29 29,42 29,45 32 32,1-8 32,1 32,2-6 32,2-4 32,4 32,5 32,6 32,7 32,8 32,30-34,9 33 33,1-5 33,3 33,5 33,7-11 33,7 33,8 33,9 33,11 33,12-17 33,13 33,16 33,17
104f., 113, 130 104 104 104f. 456 130 303, 313 40, 128f., 170 278, 302 127–129 304 316 321f. 313, 315 316 261 304 170 399 335f., 359 170, 334f. 334 334f. 333 333f. 333 311–313, 331f., 335 322 309–312, 325 311–314, 325, 327 311–313 312f. 312 312, 314 314 313, 321 399 363 331f. 363 363 331–336, 340, 359 332–334 332 332 332, 334 339–341, 359 339–341 340 340f.
489
33,18-23 33,18 33,19-23 34,6-7 34,29-35 34,29b 34,30 34,33-35 39,29 40,34-35
170, 398–400 399 399f. 399 170 160f. 161 161 164 170
Levitikus 9,6 13-14 24,10-23 24,10-16 24,11-16 24,14 24,15-16 24,16 25,31.32 26 26,1 26,2 26,3-13 26,14-38 26,14 26,15 26,41 26,42
170 126 415 414f. 144 414f. 415 142 294 364f. 364 364 364 364f. 365 365 365f. 365f.
Numeri 11,1 11,13-17 11,13 11,17 14,9-10 14,10 27,14 27,18-23
105, 113 113, 130 113f. 113f. 456 170 367 122
Deuteronomium 1,13-15 2,3.9 2,5 4 4,1-40 4,1-15 4,1 4,5 4,10
114, 130 183 183 304f., 325, 237 303–305 315 168, 303 304 304
Stellenregister
490 4,12 4,13 4,14 4,15-30 4,15-28 4,16-18 4,19 4,25 4,26 4,27-28 4,27 4,28 5,1 5,7 5,8-9 5,8 5,9 6 6,4 7,9-11 7,10 7,11 7,12 9,1 9,7-22 10,22 14,29 17,2-7 17,3 17,4-7 17,4 17,5 17,6 17,7 18,15 18,18 18,19 20,3 24,17 26,12 32,46-47 33,2
304 304 304 315–317, 325 304 315 315 316 316 304 316f. 311, 316f. 168 316 321 313, 315 316 325 168 384f. 385 385 385 168 310 219f. 104 415f. 415 415, 417 415f. 415 415 415f., 419 300f., 324, 382 300 300 168 104 104 385 278, 384
Josua 6,4 23,1-3 24,2-13 24,32
112 337 465 225f., 228–230
1. Buch Samuel 12,8-13 465 2. Buch Samuel 6,17 7,1-7 7,1-2 7,1 7,2 7,3 7,5-7 7,5 7,6-7 7,13 24,24-25
341 341–344, 348, 359 343 341f. 341 342 348 342f., 348 342f. 347 227
1. Buch der Könige 6,2a 346f. 8 350 8,19 346f. 8,27 350 9,4-9 385f. 9,4 386 9,5 386 9,6 386 9,7-8 386 12,28-32 310 2. Buch der Könige 10,29 310 17,16 310 2. Buch der Chronik 24,21 456 Nehemia 9,6-37 9,6-31 9,26-27
22, 378 465 378, 385
Tobit 4,15
74
Ester 1,14
112
Psalmen 18,15 27,12 28 28,1-2 28,3 28,7
294 149 170f. 171 169, 171 170
Stellenregister 30,6 34,11-16 34,16 35,11 77,35 109,1 109,2-3 111,10 114 131 131,1-5 131,5 131,8 131,13-16
420 393 394 149 294 402, 406 149 394 40 344, 348 343–345, 359 343–345, 348 355 343
Jesus Sirach 28,2
74
Jesaja 1,23 3,13 6,9-10 10,2 42,6 44,9ff 49,6 52,13-53,12 53 53,2-3 53,11-12 53,11 53,13 61,1-6 63,10 66,1-4 66,1-2 66,1 66,2 66,3-4 66,3 66,4
104 19 265, 372 104 466 311 466 407 381, 409 382 381 381 381 119 367 354 352–360 354–356 354f., 359 359 353 353
Jeremia 6,10 7
365 163, 377
491
7,1-34 7,3.7.12.14 7,6 7,25 7,26 7,27-31 7,32-34 7,32 9,1-25 9,12b-13 9,24 9,25 22,3 52,25
377 154 104 377 377 377 385 377 365f. 365f. 366 366 104 112
Ezechiel 1,26-28 20 20,5-29 20,7 20,8 43,1-4 43,1-2 43,5 43,7-9 43,10-12
401 307f., 325, 327 465 307 308 401 401 401 401 401
Daniel 7,9-10 7,13-14
407 402, 405
Joël 3,1-5
134
Amos 5,25-27 5,25 5,26 5,27
319–325, 327 356 321 322
Maleachi 3,5
104
Stellenregister
492 1.2 Neues Testament Matthäus 1,1-17 1,1 1,6-11 5,45-49 6,12 7,12 Markus 5,23 10,13 14,53-65 par. 14,55-65 par. 14,55-56 14,57-58 14,57 14,58 14,59-65 14,59 14,61 14,62-65 14,62 14,63-65 14,64 16,5 Lukas 1-2 1,1-4 1,1 1,5-79 1,5-25 1,5-7 1,5 1,6 1,9 1,32-33 1,57-80 1,68 1,69.71 2,1 2,22-40 2,25 2,29-32 2,30-32 2,34-35
42 42 347 423 42 74 122 122 413f. 141–143, 163–165 148–149 153f. 148f. 153–155, 158, 350– 352, 360f. 155, 158 149 141 413 141, 413, 416 413 142, 351, 416 162 467 44, 48 45 48 156 156f. 126, 129 126 155 347 126 259, 296 264 45, 48, 258 156 437 156f., 264 49, 55, 368–370, 374f., 449, 466, 469 368–370, 375, 451f., 461, 466, 469
2,34 2,35 2,38 2,40.52 2,42 2,50 3,1 3,23-38 4,1 4,14-30 4,14 4,16-31 4,16-30 4,18-21 4,18-19 4,20 4,21b 4,24-27 4,24 4,28 4,29 4,40 5,14 6,9 6,12 6,13 6,16 6,27-28 7,16 8,10 9,2 9,22.43 9,29 9,51-19,27 9,51 10,30-35 11,28 11,38-51 11,48 12,8-12 12,8-9 12,8 12,10 12,11-12 13,22-30 13,23-24.33 13,23 13,25-27
370f. 369 296 112, 210 155 265 48 347 119 135, 392 135 542 119 135, 139 136 160 119 392 136 392 136, 392 122 126 264 121 108 380 423 259 265 434 406f., 409 162, 164 46 156, 258 126f. 385 378 426 405–407 19, 403f. 405 404f. 1, 404f. 394 46 394 394
Stellenregister 13,28 13,31 13,33-35 13,33 13,34-35 13,34 13,35 15,7 17,14 18,1-8 18,31-33 18,31 18,34 19,9 19,41-44 19,45-21,38 19,48 20,1-21.38 20,45-47 21,5-36 21,1-6 21,5-6 21,12-13 21,12 21,13 21,14-15 21,15 21,24 22,1-2 22,4 22,37 22,41 22,66 22,67 22,69 22,70 23,1 23,13-25 23,18 23,21 23,23 23,25 23,26 23,27 23,28-31 23,34 23,35 23,41 23,46 23,47
394 378 378–380 379 157, 387, 389 379 379 408 126 104 406 407, 409 265 264 439 156 157 157 104 442 104 157 1 441f. 442 442 139, 163 258 145f. 442 423 422 147 406 406f. 406 147 412f. 412f. 413 413 413 147 439 439 1, 423, 425 146 381 1, 420f., 425 381, 427
493
23,48 23,50-53 23,50-51 23,51 24,4 24,19 24,21 24,26-27 24,47-49 24,47 24,50 24,53
438 437f. 437 438 162 135f., 256f. 296 49 51, 116 49f. 49f. 156
Johannes 20,12
162
Apostelgeschichte 1-5 99f., 129, 133f., 431, 449, 463, 467 1,1-11 447, 450 1,1-2 49 1,2 51 1,3 50 1,4-8,3 53f. 1,4 156 1,6 51 1,7 51 1,8 47, 50, 52, 53, 111, 116, 432, 434, 443, 445, 447f. 1,9-11 50 1,9 51 1,10-11 396f. 1,10 162, 397 1,11 51, 397 1,14 116, 121 1,15 125 1,24 121 2,1-41 54 2,1-13 453 2,1-11 120 2,4.17-21 111, 120, 134 2,4 139 2,5-11 138 2,5 105f., 436 2,11 119 2,14-41 452 2,17-18 134 2,19 134 2,21 134
494 2,22-24 2,22 2,23 2,34-36 2,36 2,41-47 2,41 2,42-49 2,42-47 2,42-43 2,42 2,43-47 2,43 2,44-46 2,46 2,47 3-5 3,1-4,4 3 3,1 3,13-26 3,13-15 3,13-14 3,13 3,14-15 3,14 3,15 3,17 3,18-23 3,18 3,19-21 3,22 3,23 3,26 4 4,1-21 4,1-3 4,3 4,4 4,9.12 4,10 4,17-19 4,18.21.29 4,24 4,31 4,32-37 4,32-35 4,32 4,33
Stellenregister 168 134, 168, 298 379 402 379 460 100, 105, 125 106 8, 99, 110, 130 434 116, 121, 431 53 134 103, 105 156, 441 100, 105 16, 106, 157 156 300 116, 121 380–383, 387, 389, 451 293, 379, 382, 451 292f. 172, 380f., 383 296 380f., 383 293, 380f., 383 265, 382f. 302 300, 380–383 382 300f., 324, 382 300, 382 172 431 145, 147 54, 101, 129 442, 449 100, 125 264 379 101, 129 54 265 121 53, 101, 130, 449 8, 99, 103, 105f., 110, 112, 116, 120, 130, 460 431 434
5 5,1-11 5,1 5,12-16 5,12 5,14 5,17-41 5,17-18.21-42 5,17 5,18 5,30 5,31 5,32 5,33 5,34-42 5,40 5,42 6,1-8,3
6,1-8,1 6-7 6,1-7,1 6 6,1-8 6,1-7 6,1-6 6,1-2 6,1
6,2-6 6,2-3 6,2 6,3-6 6,3
6,4 6,5
6,6
431 101, 130 163 53, 101, 106, 130, 449 156 100, 125f. 145, 127 101, 129 163 54, 442 379 296 434 54, 393 449 54 77f., 99f., 156, 441 4f., 7, 12, 13, 17, 26, 31–33, 43, 48, 53, 54, 56, 72–76, 77f., 84–97, 159, 447f., 452f., 456, 458, 461, 464, 466, 468 13, 449 29f., 78 8, 10f., 30, 78f. 12 453 98, 129–131, 463 8, 129 112 77, 99–106, 108, 109, 114, 116, 118, 124, 125, 129, 237, 246, 443, 448f., 454 107, 130 113–115 107–110, 116f., 124f., 435 463 109–115, 123, 139, 209, 256f., 259, 368, 376, 394f., 405, 410, 413, 453 109, 115–117, 124f., 435 8, 117–120, 123, 132, 139, 141, 161, 368, 394f., 405, 410, 413, 453, 458 121–124, 435
Stellenregister 6,7 6,8-8,1 6,8-7,1 6,8
6,9-7,1 6,9-14 6,9-12 6,9-11 6,9 6,10-11 6,10
6,11-7,1 6,11-15 6,11.13-14
6,11
6,12-7,1 6,12-14 6,12 6,13-14
6,13 6,14 6,15-7,1 6,15
7 7,1 7,2-53
100, 124–129, 237, 246, 431, 443, 454, 460 28 78, 131f., 163, 165, 167 118, 132–136, 138, 141, 159, 161, 163, 209, 256f., 338, 413, 453 388, 391f., 395, 428f. 163f. 152, 164 168 136–138, 140, 143f., 147, 164, 388, 461, 463 144 118, 138–141, 159, 161, 163, 209, 256f., 368, 376, 394f., 405, 410, 413, 453 20 461 14, 16, 18, 19, 22, 163f., 323, 326, 351f., 360, 386, 416, 449, 460 14, 16, 140–144, 146, 149–152, 164, 171, 200, 296, 301, 305, 351, 405, 424 167, 200, 438 442 143–147, 164, 167, 363, 388, 391, 412, 456 8, 14, 16, 147–159, 163, 192, 291, 305, 351, 360, 396, 409, 417 149, 151f., 285, 357, 363, 391, 416, 424 150–152, 157, 163, 296, 301 159–163 13, 159–162, 164f., 168, 171, 200, 391, 395f., 400, 416, 428, 453, 456, 458 22f. 162f., 167, 391 22, 79–82, 163, 460
7,2-8
7,2-4 7,2
7,3-5 7,3 7,4-5 7,4 7,5-7 7,5
7,6-7 7,6
7,7
7,8 7,9-16
7,9-10 7,9 7,10
7,11-12 7,11 7,12 7,13-14 7,13 7,14 7,15-16 7,15 7,16 7,17-19
495 79f., 165f., 200–202, 212, 223, 232, 236, 244, 468 168–180 167–174, 176, 182, 200, 202, 232, 266– 268, 278, 280, 290, 391, 398, 416, 434, 450, 454 189 174–176, 181, 189, 202, 217 179–187, 232 176–182, 189, 202, 323, 326, 388, 454 233, 235, 244f., 281, 327, 450 182–188, 192, 194, 202, 235f., 242, 244, 337, 358 187–194, 244f., 264, 455 187–193, 202, 220, 232f., 236, 240, 242, 273, 285 187–193, 201–203, 244f., 264, 285f., 291, 298, 314, 317, 323, 326, 345, 358, 449 193–205, 207, 213, 231, 281, 364, 450 80, 200, 203f., 223f., 231–233, 235f., 238, 244, 468 204–211 204–211, 215, 217, 251, 367, 434, 450 207–212, 215, 217, 231, 238, 245, 255, 269, 338, 410 212–215, 231 212–214, 240 213–215, 217, 240 215, 221, 215–217, 240 217–220 220, 234 221f., 240 222–233 80, 233f., 243–246
496 7,17-18 7,17
7,18 7,19 7,20-43 7,20-22 7,20 7,21 7,22 7,23-29 7,23-28 7,23-24 7,23 7,24 7,25 7,26-29 7,26 7,27-28 7,27 7,28 7,29 7,30-34 7,30-32 7,30-31 7,30
7,31 7,32-34 7,32 7,33-34 7,33 7,34 7,35-43 7,35-39
Stellenregister 234 100, 234–238, 240, 242, 244, 250f., 258, 281, 285, 326, 434, 454, 468 235, 238–240, 242, 252, 286 240–244, 250–252, 257, 286, 298 80f., 246–249, 326– 328 250, 256f., 274 250–252, 255–257, 263, 274, 326, 450 251–255, 257 255–257, 260, 264, 274, 328 258, 274–276, 291, 327, 455 275f. 258-263, 269, 271, 274f. 258-263, 269f., 277, 299, 307, 326 260–264, 266f., 269 263–269, 271f., 274– 276, 291, 327, 455 266, 275 266–271, 275 268, 272, 290, 292, 295, 367, 455 268–272, 292f., 295, 307 269, 292 272–276 276, 290f., 295 276 331 2,66, 277–280, 285, 290, 295, 299, 302, 326, 358, 398, 434, 450 279–281, 290, 302 455 280–284, 290, 327 283f., 287f., 327, 455 284f., 291, 328, 358 285–291, 295, 298, 302f., 309 291, 324–326 309
7,35 7,36-42 7,36-38 7,36 7,37 7,38-42 7,38-40 7,38
7,39-47 7,39-43 7,39-41 7,39
7,40-43 7,40-41 7,40 7,41 7,42-43
7,42 7,43 7,44-50 7,44-47 7,44-46 7,44-45 7,44 7,45-46 7,45 7,46 7,47-50 7,47 7,48-50 7,48 7,49-50
291–297, 299, 307, 324–327, 410, 450, 455 326 297 297–299, 302, 307, 309, 317, 323f., 330 299–302, 324, 326, 376, 455 323, 325 311 278, 302–306, 311, 317, 324, 330, 337, 384f., 431, 450, 454 367 333, 340, 359, 388 306, 322 306–309, 314, 317, 319, 325, 327, 364, 368, 384, 392, 454 308, 345 327 308–311, 314, 318f., 322f., 325, 350 311–314, 316–319, 323, 350, 356, 368 30, 314, 319–321, 323, 325f., 328, 357, 376, 455 314–319, 321f., 323, 325, 330, 356, 454 318–328, 331, 333, 335f., 350, 356 19, 25, 81, 328f., 359 330 346f., 349, 357, 388, 450 340, 344, 434 330–337, 345, 398 336–345, 359 336–345 338–346, 348 356f., 363, 385, 460 345–349, 355 159, 349, 356f., 359f., 368, 387 346, 349–352, 354, 356, 359f., 455 352–360, 362f., 376, 410, 428, 434, 449f., 455
Stellenregister 7,49 7,50 7,51-53
7,51-52 7,51 7,52-53 7,52
7,53 7,54-8,3 7,54-8,1a 7,54-60 7,54 7,55-56
7,55 7,56 7,57-60 7,57-58a 7,57 7,58-8,1a 7,58a 7,58b-60 7,58b 7,59-60 7,59 7,60 8,1-3 8,1b-3 8,1 8,1a 8,1b 8,2 8,3 8,4-11,8 8,4-5
354–358, 396, 400f. 355, 359, 396, 410 15, 17, 21, 81, 324, 359, 361–363, 370, 386–389, 392, 416, 424, 428f., 451f., 454, 457, 460f., 463, 466 377, 395 21, 362–377, 384f., 387, 392, 412 376 376–384, 387, 392, 409f., 431f., 451, 457, 459 383–389 8, 10f., 82f. 389–391, 428, 463 20, 413 391–395, 411, 429 13, 18, 20, 395f., 398– 411, 416, 420, 424– 426, 428f., 451, 453, 456–459, 461 19, 118, 119, 376, 395– 412, 453 19, 396–411 438 411, 425, 429 411–414 427 414–417, 419, 427 417 417–419, 426f., 439f. 1 419–422, 426–429 77, 421–427 445 77, 370, 430, 444f. 2f., 4, 439, 444, 452, 468 77, 426–428, 438, 440, 444f. 30, 77, 430–436, 440, 442, 444f., 448f., 454 77, 436–439, 445, 452, 463, 468 4, 77, 431f., 439–445, 449, 454. 468 54 432f.
8,4 8,5-40 8,14 8,15-17 8,17-18 8,26-40 8,26-39 9,1-22 9,1-5.21 9,1-2 9,1 9,2 9,3-22 9,3-19 9,4-5 9,4 9,5 9,12 9,29 9,31 9,32-35.36-43 9,40 10,1-11,18 10,1-48 10,38 11 11,1-18 11,19-28,31 11,19 11,20 11,26 12,5.12 12,24 13 13,10 13,16-41 13,17-25 13,23 13,24-27 13,27-28 13,43 13,45-52 13,45-47 13,45 13,46-47 13,46 13,47 13,48 13,49
497 77f., 230, 361, 442, 449 119 435 435 122 54 433 444f. 443 431 443 54, 431, 443, 457 54, 443 431 431f. 431 431 122 101f. 100, 237 435 422 54, 435, 451 433 210 156 435 55 5, 432f. 433 433 121 100, 237 22 46 347, 452 22 347 264 379 370 451f., 466 467 370, 467 388, 463 371, 467 371 452 467
Stellenregister
498 14,1 15 15,1-29 16,17 17 17,16-34 17,22-31 17,24 18,1-8 18,2 18,4 18,5 18,6-8 18,6 18,25-26 18,25 19,5-6 19,31 20,36 21,9 21,11 21,27-28 21,28 22,1-21 22,4-21 22,4-5 22,4.5.19 22,4.7.8 22,4 22,12 22,20 24,12 25,8 26,10-12 26,11.14.15
467 156, 366, 451 435 46 48 13, 28, 451 356f. 356f. 371, 451f. 48 371 371 371 371 457 46, 448 122 237 121, 422 119 139 451 157 418 443 445 443 431 457 437 5, 418 157 155 443, 445 431
28,16-31 28,21-22 28,24-28 28,24 28,25-31 28,25 28,26-28 28,26-27 28,27 28,28 28,30-31 28,31
371–375, 451 371 451f. 55, 372, 463 375 139, 374 466f. 372f. 373 452 467 50, 374
Römerbrief 11,25-27
375
1. Korinterbrief 6,2 408 Epheserbrief 2,6
408
1. Timotheusbrief 4,14 123 2. Timotheusbrief 1,6 123 2,12 408 Offenbarung 3,21 7,9-17 7,14b 15,6 20,4 22,6-21
408 408 408 162 408 43
2 Christliche Werke Eusebius von Caesarea Historia Ecclesiastica (h.e.) 2,1,1 2 2,1,8 3 2,1,10 3 5,2,5 2
Irenaeus von Lyon Adversus haeresis (haer.) 3,12,10 1 4,15,1 1
Sachregister Aaron 308–314 Abfallen/Abwenden von Gott – Götzendienst 308–314, 320f. – Strafe 248, 308, 318–322, 325, 335, 364–366, 415 Abraham – Bund 165, 185–187, 194–198, 280f. – Erscheinung Gottes 165, 168–176, 200–202 – Geschichte Israels 175, 181, 223, 226–231 – Grab 223 – in der Stephanusrede 23, 79f., 165– 203 – Josef 217f. – Land (verheißenes) 165, 173–187, 201f., 228 – Nachkommen 165, 172, 176, 181– 203 – Terach 173, 177f., 180f. – Verheißung bezügl. Land 175, 184– 187, 201f. – Verheißung bezügl. Nachkommen 175, 174–187, 201f. Actaforschung 6f. – Stephanusepisode 7–32 Adressaten der Stephanusrede Hörer der Stephanusrede Ägypten – Auszug 298f. – Hungersnot 212f. – Jakob 203, 219f. – Josef 203, 205–212, 218, 231, 238 – Kindermord 242–244 – Knechtschaft 104, 290, 298f. – König von Ägypten/Pharao 203, 207– 212, 215, 219, 232f., 238, 240–245 – Väter Israels 203, 231, 307–309, 364 – Volk Israel 219f., 233–240, 244–246, 285–291, 307–309
Aktualisierung 23, 182, 233, 240, 246, 276, 328, 362–389, 409–411, 428– 430, 448, 453–456 Altes Testament – Verhältnis Neues Testament 37f., 42, 71f., 74 Anamnetische Strukturen – christliche Bibel 40–43, 446 – lukanisches Doppelwerk 52f., 55 – neutestamentlicher Kanon 41f. – Stephanusepisode 76, 465 Anklagen – gegen Jesus 16, 153–155, 351f. – gegen Stephanus 16, 30, 77, 81, 140– 143, 149–159, 164, 192f., 285, 296, 351f., 357f., 360, 386f., 424, 449, 451 – Widerlegung 285, 296, 301, 305, 323f., 326, 328, 351f., 357f., 360, 386f., 405, 424 Anwesenheit Gottes 174, 194, 237, 314, 327f., 329, 331–362, 340–345, 359– 361, 365, 400, 402, 410, 434, 465 – Ägypten 232f. – Geschichte Israels 331–336, 342f., 359–361 – Haus 342f., 359–361 – Heiliger Ort 327f. – Himmel 353–362, 395–397, 400f., 410, 434, 450 – Jesus (Menschensohn) 402, 410 – Tempel 150, 154f., 158, 170, 192f., 285, 291, 327f., 359–361, 410, 450 – verheißenes Land 194, 232, 237 – Wüstenzeit 331–336 – Zelt des Zeugnisses 331–336, 359– 362 Apokatastasis 51, 55, 447 Apostel – Aufgaben 108, 116f.
500
Sachregister
– Jerusalemer Gemeinde 110–112, 121–124, 434f., 442, 444f. – Konflikte 145, 393 – Verkündigung 100f., 116, 145, 434f. – Wunderwirken 103, 126, 133f., 145 Apostelgeschichte – Forschung 6–32 – Gattung 43–56 – Juden/Judentum 18, 368–376, 438 – lukanisches Doppelwerk 6f., 42, 43– 49, 55, 108, 370, 446f. – Saulus/Paulus 370–376, 418f. – Reden 9f. – Scharnierfunktion 56, 446 – Septuaginta 48 – Stephanusepisode 6f., 18, 43, 72, 76, 131, 448 – Tempel 156f. – Theologie 46–56, 131, 447f. – Verhältnis Judentum – Christentum 18, 368–376, 388, 451f., 461–469 – „Weg des Heils“ 50–53, 56, 361, 376, 432f., 444f., 448–452, 466–469 Areopagrede 356f. Augustinus 2 Auslegung – (christliche) Bibel 62f. – historisch-kritisch 70 – kanonisch-intertextuell 33, 56–76, 446 – Lesen 61 Autor – Autororientierung 18, 20, 23f. – Leser 28, 58 – neutestamentlich 75 – Text 28, 36,70 Babylon 318f., 322f., 326 – Strafe 308, 318f., 322 – Verbannung 318f., 322 – verheißenes Land 318, 323 Befreiung – durch Mose 288–290, 297 – Wille Gottes 285–291, 297, 309 Begräbnis – Jakobs 224 – Väter Israels 222–231
Beschneidung 54, 195–197, 201, 363– 376, 450 – Bund 80, 165, 185–187, 194–198, 201, 204f., 231, 364–385 – Identität Israels 54, 80, 197, 366 – Unbeschnittenheit 363–376, 412 Bestattung – des Stephanus 83, 430, 436–440, 444f. – Jesu 437 – Jüdische Frömmigkeit 437f. Bibel – Begriff 36f. – christliche 34–43 – (literarischer) Text 36–38, 67, 446 Bilderverbot 304, 312–314, 315–328, 450 Blasphemie 131, 140–143 – Steinigung 414–416 Blasphemievorwurf 131, 140–144, 149, 164, 171, 405, 416 – im Prozess gegen Jesus (Mk) 140– 144, 148f. – im lukanischen Doppelwerk 157–159, 164, 405, 416 – in der Stephanusepisode 130, 142f., 149, 164, 405, 416 – Widerlegung 171, 200, 405 Botenformel 355 Brennender Dornbusch 277, 280 Bund – Abraham 165, 185–187, 194–198, 280f. – Bruch 364f., 415 – der Beschneidung 80, 165, 185–187, 194–198, 201, 204f., 231, 364f. – ewiger 196, 198 – Nachkommen Abrahams 165, 185– 187, 194–196 – Volk Israel 128, 195f., 364f. Christentum – Geschichte 6, 17 – Trennung vom Judentum 3–6, 52, 456, 462 – Urchristentum 6, 17, 52
Sachregister – Verhältnis zu Judentum 3–6, 368– 376, 388, 453–469 Christliche Bibel – als Geschichtserzählung 38–43 – als Kontext 58, 72, 446 – als literarischer Text 36–38, 57f., 67, 446 – als privilegierter Intertext 58, 71 – Altes Testament – Neues Testament 37f., 67, 74 – Anamnetische Strukturen 40–43 – Apostelgeschichte 41, 446f. – Begriff 36f. – Evangelien 41 – Heilige Schriften 38, 446 – Kanon 38, 446 – lukanisches Doppelwerk 43–54, 446 – religiöse Identität 39–43, 446f. Christologie 407, 409–411, 451f. – Märtyrerchristologie 409–411 – Prophetenchristologie 407, 409–411 David 42, 67, 328, 337–349, 359 – im lukanischen Doppelwerk 347 – in der Stephanusrede 328, 337–349, 359 – Stephanus 338 Dienst – am Wort 109–112, 116f. – an den Tischen 98, 102, 109–112, 116f. – Arbeitsteilung 116f., 130 – die Sieben 109–112, 116f. – die Zwölf 109–112, 116f. doxa Herrlichkeit Gottes »Ende der Erde« 47, 50f., 361, 432– 434, 444f., 447f., 451, 453, 457, 468 Endtext 57 Engel 52, 277f., 295, 303, 331, 337 – Gesetzgabe 302–305, 383f. Enzyklopädie 67f., 70 Erde 51, 353–361 – Himmel 51, 353–361 Erfüllung (Verheißungen) 55, 182, 202, 220, 228, 232–241, 244–246, 250,
501
252, 258f., 262–264, 273f., 277, 285f., 326f., 337, 345 Erhöhung (Jesu) 49–51, 402f., 406f., 409–411 Erinnerung – Geschichtsrückblick 39, 54, 386 – Identität 4–6, 44, 448, 453–458, 462, 465 – Vergegenwärtigung 52, 54, 386, 448, 453–456 Erscheinung – Engel 277f., 295 – Gottes 79f., 127–129, 165, 168–173, 200, 202, 266, 278–283, 290f., 398, 450 Erzählen – Identitätsbildung 39–43, 465f., 468 – von Geschichte 39, 200–202, 276, 328, 386f., 447, 465 Erzählte Welt 68 Erzählung – christliche Bibel 38–43 – Geschichtserzählung 32f., 386f., 446 – lukanisches Doppelwerk 32f., 43–54, 77, 376, 446 Eusebius von Caesarea 1–3 Exegese/Auslegung – historisch-kritische 70 – kanonisch-intertextuelle 33, 56–76, 446 – Lesen 61 Exodusgeschehen 170, 192, 299, 302, 320f., 324 Exodusmotiv 30f. Falschzeugen/Falschzeugnis – Funktion 157–159, 164, 416 – gegen Jesus 148f., 153, 155 – gegen Stephanus 131, 149, 153, 155 Feindesliebe 1, 422–426, 428 Fürbitte für Feinde 1, 422–426, 428 Gebet – des Stephanus 1, 420f., 422–426 – für Feinde 1f., 422–426
502
Sachregister
– im lukanischen Doppelwerk 121, 422f. – Jesu 1, 420f., 426 – Sterbegebet 1, 420f. Gebot – Feindesliebe 1, 422–426 – Sabbat 364f. Gegenwart Gottes Anwesenheit Gottes Gegner – des Stephanus 131, 136–142, 143– 147, 159–164, 167f., 360, 393–396, 411–416, 422–424, 428f., 461, 463 – Gewalt 144–147, 412–416, 429 – hellenistische Synagogenmitglieder 136–138 – Hohepriester 131 – Jesu (Lk) 145–147, 412–414 – Jüdische Führungsschicht 143–147, 413 – Synedristen 131, 143–147, 159–163, 363, 391, 413 – Volk 143–147, 363, 413 Geist/Heiliger Geist – Hörer der Stephanusrede 362, 367f., 376, 392 – im lukanischen Doppelwerk 51f., 111, 134–136 – Jesus 119, 139 – Widerstand gegen 362, 367f., 376, 392, 404 – Siebenerkreis 111, 114, 119f. – Stephanus 15, 118, 131–136, 139– 141, 162, 368, 387, 389, 395, 405, 411f., 416 – Väter/Volk Israel 367f., 376 Geistausgießung 51f., 111, 120 Gemeinde von Jerusalem Jerusalemer Gemeinde Genealogie 42, 199f. – alttestamentlich 42, 199f. – Buch Genesis 199f. – neutestamentlich 42 – Terachs 173, 180f. – Volk Israel 199f. Gericht – Ankündigung 322, 366, 386 – Endgericht 404f., 409
– Gottes 188–190, 245, 365f. – Menschensohn 404–410 – und Heil 20, 404f. – und Unheil 404f. Gerichtsrede 307f., 378–380 Gerichtsverhandlung 8, 131, 148f. – Lynchjustiz 8, 414, 416 Gerichtsszene 77, 80, 148f., 152–155, 167, 391, 405f., 425f., 429, 461 Geschichte – Abrahams 168–203, 244 – der Gottesbegegnung 38, 40–56, 171, 200–202, 326, 387, 429, 446 – des Christentums 3, 6, 17, 43 – Erinnerung 39, 54, 386 – Erzählen 39–43, 200–202, 276, 328, 447, 465 – Heilsgeschichte 40, 45f., 170, 336 – Josefs 204–233, 244 – Moses 244–327 – Unheilsgeschichte 45, 336, 387–389 – Verheißungsgeschichte 45, 361 – Weltgeschichte 45 Geschichte Israels – Aktualität 282, 361, 363, 367, 380, 389, 409–411, 416, 428–432, 465 – Heilsgeschichte 336, 375 – in der Stephanusepisode 409–411, 416, 428–430 – in der Stephanusrede 22–24, 79–81, 214, 219, 225f., 233, 236f., 326, 358f., 361, 363, 367, 377, 465 – Kontinuität 236f., 240, 338f., 361, 363, 463–465 – und Geschichte Jesu 24, 42f., 49, 55, 428–430, 460, 464f. – Unheilsgeschichte 336, 375, 389, 460, 465 – Verheißungen 236f., 361 Geschichte Jesu (Christi) 52, 409–411, 428–430 – im lukanischen Doppelwerk 28, 48f., 55 – in der Stephanusepisode 409–411, 428–430 – und Geschichte Israels 24, 42f., 49, 55, 428–430, 460, 464f.
Sachregister Geschichtsrückblick 54, 367, 380, 386f. – Identität 54, 386f. – Vergegenwärtigung 54, 454f. Geschichtsschreibung – antik-hellenistisch 31, 44–46 – antik-jüdisch 44–46 – apologetisch 29 – lukanisches Doppelwerk 10, 29, 44 – theologisch 10, 31 Geschichtstheologie 46 Gesetz – Anklage gegen Stephanus 30, 131, 140–142, 164 – Bilderverbot 304, 450 – Funktion 303–305, 324f., 328, 383– 386, 450 – Götzendienstverbot 303–305, 325, 364f., 384, 450 – Gottes Wille 140f., 155, 306f. – Gehorsam 304f., 315–319, 383f. – Hellenisten 14–16 – Hörer der Stephanusrede 362, 383– 387, 392 – Identität Israels 143, 152, 155 – Mose 140f., 278, 302–305, 306–314, 337, 384 – Sabbbatgebot 364f. – Ungehorsam 303–307, 325, 330, 362, 364f., 383–387, 392 – Väter/Volk Israel 247, 302–304, 306– 314, 330, 364f., 384 Gesetzesgabe 278, 302–305, 315, 324f. Gewalt 144–147, 412–416, 429 Gnade 131–133, 163, 209, 238 Götzenbild/-dienst – Himmelsheer 315f., 323f. – Kalb (goldenes) 311, 325 – Opfer 313, 323 – Stern des Gottes Raiphan 318 – Sternbilder 322 – Stierkult 313, 317 – Strafe 317–319, 325, 335, 364–366, 415 – Steinigung 415 – Tempel 154, 350–361, 367 – Väter/Volk Israel 308–319, 364–367 – Verbot 303–305, 325, 364f., 384, 450 – Wüstenzeit 320f., 331–336
503
– Zelt des Moloch 318, 331, 336, 359 Gott – Befreiungswille 285–291, 297, 309 – Bund 80, 128, 165, 185–187, 194– 198, 201, 204f., 231, 280f., 364 – der Herrlichkeit 79f., 165, 169–172, 200, 202, 278–280, 290, 398, 450 – Erscheinung 80, 128, 165, 185–187, 194–198, 201, 204f., 231, 280f., 364 – Gegenwart Gottes 174, 194, 237, 314, 327–329, 331–362, 340–345, 359– 361, 365, 400, 402, 410, 434, 465 – Gesetz 140f., 155, 306f. – Offenbarung 74, 165, 170, 278, 284f., 200–202, 284–291, 302–305, 327f., 344f., 353–361, 396f., 400f., 410, 434, 450 – Richter 188–190 – Schöpfer 169, 354–361 – Sehen 170f., 135, 398–402 – Transzendenz 169–172, 200, 278– 280, 283–290, 303, 327, 349, 353– 361, 398–401, 450 – Thron 353f., 408 – Verheißung 51f., 79f., 175, 187, 201f., 233–240, 280f., 327, 361, 388, 447 – Wesen 282 – Widerstand gegen Gott 247, 269, 308–328, 330, 359–361, 367f. – Wille 54, 149–151, 155, 285–291, 297, 306f., 309, 383–386 – Zorn 308, 314 Gottesbegegnung – christliche Bibel 38, 40–56 – lukanisches Doppelwerk 43–54, 446 – Ort 278, 302–305 – und Geschichte 38, 40–56, 171, 200– 202, 326, 387, 429 Gottesdienst – Ort 189, 201f., 285, 291, 449f. – Verheißung 189, 191f., 314, 323, 358 Gottesoffenbarung 74, 165, 169–172, 279–283, 284–291, 399f. Gottesrede 187–193, 279–283, 284–291, 307f., 334f., 364f. Gottesvolk 74, 202 (s. auch Volk Israel)
504
Sachregister
Gotteswort 80, 109, 187, 279–283, 300 Grab – Abrahams 223 – Funktion für Volk Israel 227f. – Jakob 203 – Josefs 224f., 230 – Kanaan 227 – Sichem 223f., 229, 232 – Väter/Mütter Israels 227–232 Gregor von Nyssa 2 Grenzen der Interpretation 63–65 Grenzüberschreitung 52f. Halsstarrigkeit 332, 363–376 Hananias und Saphira 101, 126 Handauflegung 121–124 Haus Jakob 338–345 Hebräer 11, 98, 108f. – und Hellenisten 11, 14–16, 100–102, 105, 117, 130 Heidenmission 15, 19 Heil – eschatologisch 134 – für Volk Israel 49, 157, 368–376, 466f. – für Völker 49, 157, 368–376, 466f. – und Gericht 20, 404f. – universal 49, 134, 368–376, 375 Heilige Schriften 38, 73, 75, 446 Heiliger Geist Geist Heiligtum 170, 328, 333–336, 338–345, 349, 359 Heilsgeschichte – christliche Bibel 40 – lukanisches Doppelwerk 20, 28, 40, 45f., 170, 336, 375 – Stephanusepisode 19, 21 – s. auch „Weg des Heils“ Heilsgeschichtliche Struktur – Identitätsbildung 41–43 – lukanisches Doppelwerk 55, 446 – neutestamentlicher Kanon 41f. Heilshandeln Gottes 232, 263–265, 291, 383, 449
Hellenisten – Anklagen gegen Stephanus 14–16, – Theologie 8, 14–16 – und Hebräer 11, 14–16, 100–102, 105, 117, 130 – und Siebenerkreis 11, 119f. – und Stephanus 11, 14–16 Hellenistische Judenchristen 5, 10f., 13 Herrlichkeit Gottes – Mose 161, 399f. – Offenbarung 169–171 – Stephanus 161 – Stephanusrede 79f., 165, 168–176, 200, 202, 278–280, 290, 398, 450 – Transzendenz 169–171, 278, 398, 449f. – Vision des Stephanus 395, 397–401 Himmel – Erde 51, 353–361 – geöffnet 395, 397f., 400f. – Ort Gottes 353–362, 395–397, 400f., 410, 434, 450 – Vision des Stephanus 395–397, 400f. Himmelfahrt Jesu 396f. Historiographie Geschichtsschreibung Historisch-kritische Methoden 27, 70 Hörer der Stephanusrede 165, 167f., 172, 182, 281, 362f., 367f., 387, 391– 396, 411f. – Gesetz 362, 383–389, 392 – Halsstarrigkeit 362–367 – Heiliger Geist 362, 367f., 376, 392 – Prophetenverfolgung/-tötung 362, 376f., 380, 389, 392 – Stephanus 167f., 172, 368, 387, 389, 392–394, 396 – Unbeschnittenheit 362–367, 392 – Väter Israels 221f., 228, 362–368, 376–389 – (verheißenes) Land 182, 184 – Vorwürfe gegen 362–389, 392, 412 Hohepriester 131, 162f. Hungersnot 212f., 231 Hypertext 59 Hypotext 59
Sachregister Identität – christliche Bibel 39–43 – Geschichte 39, 386f. – Geschichtserzählung 39, 386f. – jüdische 44, 450 – Tempel 152, 155, 158f., 164, 361 – und Erinnerung 4–6, 44, 448, 453– 458, 462, 465 – und Erzählen 39–43, 465f., 468 – (Volk) Israel 44, 54, 80, 128, 143, 152, 155, 158f., 164, 199f., 361, 366, 450 Identitätsbildung – christliche Bibel 39–45 – durch Abgrenzung 456f., 462f., 465 – durch Erinnerung 4–6, 44, 448, 453– 458, 462, 465 – durch Erzählen 39–43, 465, 466, 468 – durch Kontinuität 53, 456, 463f. – Geschichte 39, 387f. Idolatrie Götzendienst Interpretation 58, 61, 72 – Lesen 61 – prozedural 72 Intertext 58–60 – Hypertext 59 – Hypotext 59 – privilegierter 58 – Subtext 59 Intertextualität – christliche Bibel 58–60, 70–72 – intertextuelle Referenz 59 – und Kontext 35, 58–60, 70–72 – und Text 35, 58–60 Irenaeus von Lyon 1 Isaak 166, 194f. Israel – Heil 370–376, 467 – Priorität 374–376, 467 – Verstockung 363–376, 451f., 461, 466–469 – s. auch Volk Israel Israeliten Volk Israel Israelkritik 373–376 Jakob – Begräbnis 224
505
– Bund 194f., 213 – Geschichte Israels 219f. – Grab 203 – Josef 205f., 231 – Kanaan 203, 219f., 224 – Tod 203, 221f. Jerusalem – im lukanischen Doppelwerk 49–51, 54, 430–442, 444f. – Ort Gottes 344f., 434 Jerusalemer Gemeinde – Apostel 110–112, 121–124, 434f., 442, 444f. – hellenistische (Diaspora-)Juden 136– 138 – Idealbild 8, 53f., 99–103, 105, 115, 117, 124–129, 431f., 441, 444f., 449, 454 – Konflikt 54, 100–106, 449 – Priester 126–129 – Siebenerkreis 121–124, 129f. – Stephanus 131–136, 163, 442, 444f. – Verfolgung 54, 83, 430–432, 440– 445, 449 – Volk Israel 246, 431f. – Wachstum 100, 108, 124–129, 443 – Witwen 77, 136–138, 449 – Zerstreuung 54, 430, 432–434, 444f., 449 – Zwölferkreis 110f., 117, 121–124 Jerusalemer Juden 19, 77, 413, 463 Jesus – Ablehnung 292f., 369f., 380–383, 410, 412–414 – Christus 41, 99, 141–143, 406, – der (leidende) Gerechte 149, 293, 362, 377, 380–383, 407, 423 – Erhöhung 49, 402f., 406f. – Feindesliebe 1, 422–426 – Gebet 1, 420–426 – Gegner 145–147, 379, 380–383, 412– 414 – Gesetz 131, 150 – Hörer der Stephanusrede 362, 382f. – im lukanischen Doppelwerk 119, 145, 264f., 293, 347, 368–370, 375, 380–383, 406, 420f., 423–426 – Knecht Gottes 293, 380–383 – Kyrios 420–424
506
Sachregister
– letzte Worte 422–426 – (Jerusalemer) Juden 379, 380–383, 412–414 – Menschensohn 402–407, 409f. – Mose 256, 264, 293, 296, 300, 382, 410 – Prophet 119, 135, 160, 162, 300, 382, 392, 407 – Prozess (Mk) 140–144, 148f., 413f. – Prozess (Lk) 406–407, 412–414, 429 – Richter 379, 424 – Selbstverständnis 141–143, 154f., 406 – Sendung 135, 157, 382, 392 – Sohn Gottes 141f., 154f., 406 – Tempel 131, 150, 153–155, 158, 350– 352, 361, 409 – Tod 1, 49, 378–383, 407, 420–426 – Stephanus 1f., 13, 16, 119, 130, 135, 139, 141–143, 147–149, 150–164, 351f., 360, 392–395, 405, 413, 416, 419–430 – Vision des Stephanus 395, 397, 402– 410 – zur Rechten Gottes 402–410 Josef – Abraham 217f. – Ägypten 203, 205–212, 231, 238 – David 338 – Familie 217–220, 231, 238 – Gottesbezug 203, 207–211, 218, 231, 238 – Jakob 205f., 217–220, 231 – Jesus 209f. – Mose 251, 269 – Patriarchen/Väter Israels 203, 205– 207, 211, 215–217, 231 – Pharao/König von Ägypten 203, 207– 212, 215, 238 – Stephanus 209f. – Tod 221f. Josua 337 Judäa 51, 436–440, 445 Juden/Judentum – Diaspora 137f. – Führerschaft 21f. – Identität 44, 450, 461–469 – im lukanischen Doppelwerk 368–376, 438
– in der Stephanusepisode 18f., 26–32, 368–376, 451f., 460–469 – Verhältnis zu Christentum 3–6, 18, 368–376, 388, 451f., 461–469 Judenchristentum 10f. Jünger 3, 49, 98, 107–111, 124–126 – Verhältnis zu den Zwölf 107–111 – Wachstum 124–126 Kalb (goldenes) 311, 325 Kanaan – Grab der Väter 227–231 – Stamm Jakobs 219f. – Väter/Volk Israel 203, 220–231 Kanon 38, 71f., 74, 446 – Altes Testament – Neues Testament 71f., 74 – christliche Bibel 38, 446 kanonisch-intertextuelle Auslegung 33, 56–76, 446 – leserorientiert 58, 60–63, 446 – textzentriert 58–60, 446 Kindermord in Ägypten 242–245, 250, 252 Kirchengeschichte 4f. Knechtschaft 104, 190, 239–242, 245f., 285–291, 298f. Knotenpunkt 66, 68, 76 Königsherrschaft Gottes 50f. Konfession 71f. Konflikt – in der Apostelgeschichte 52 – Jerusalemer Gemeinde 54 – um Witwenversorgung 98, 100–106, 109 Konfliktlösung 111–115, 117 Kontext 18, 20, 35, 58–60, 70–72, 446 – christliche Bibel 58, 70–72, 446 – Intertextualität 35, 58–60, 70–72 – Text 35, 58–60 Kontinuität – der Geschichte Israels 236f., 240, 246, 281, 338f., 361, 363, 463–465 – durch Apostel 434f. – Identitätsbildung 53, 463f. – Jesus und seine Zeugen 53, 55
Sachregister – zur Geschichte Israels 53, 55, 463f. Kornelius 54 Kreuzestod Jesu 1 Land – Abraham 165, 173–187 – Anwesenheit Gottes 174, 192–194, 237, 434 – Charran 165f., 168, 172f., 176–182 – der Chaldäer 173, 176–178, 181f. – fremdes 188f., 298 – Kanaan 178, 180–182, 184, 212f. – Nachkommen Abrahams 181–187 – verheißenes 52, 80, 172–187, 224, 232, 289, 328, 434 – Verheißung 175, 182–187, 201f., 228, 235, 289, 337 „Leerstelle“ 68, 106, 199, 215, 363, 386 Leidender Gerechter 149, 293, 362, 377, 380–383, 407, 423 Lektüre/Lesen – Exegese 61–63 – Ideallektüre 60f. – Kommunikation mit Text 65–69 – Leserichtung 66f. – Modelllektüre 76 – prozedural 66–69 – reflektiert 59, 66–69 – rhizomatisch 66 – Strategie 65f. – Ziel 61f. Leser – empirischer 18, 61, 72, 76 – erste 28, 32 – Ideal-Leser 60f. – impliziter 28 – Leserlenkung 70 – Modellleser 61, 72, 76 – und Autor 58, 60 – und Text 28, 32, 58, 60–63, 446f. Leserorientierung 31, 58, 60–63, 72, 76, 446f. Lukanisches Doppelwerk – Anamnetische Struktur 55, 76 – Apostelgeschichte 6f., 32f., 43–54, 55, 76, 446f.
507
– Blasphemievorwurf 157–159, 164, 405, 416 – David 347 – Falschzeugen 149, 157–159, 164, 416 – Feindesliebe 1f., 121, 422–426 – Geschichtserzählung 26–33, 43–55, 446 – Geschichtsschreibung 17, 23, 29, 43– 46 – Heilsgeschichte 20, 28 – Jesus 119, 145, 264f., 293, 368–370, 375, 380–383, 406, 420f., 423–426 – Juden/Judentum 18, 20, 26–31, 368– 376, 388, 438, 451f. – Rolle Israels 18, 20, 26–31, 368–376, 388, 438, 451f. – Salomo 347 – Septuaginta 48, 75 – Stephanusepisode 6f., 12, 18f., 26– 33, 53–56, 76, 159, 164f., 446–448 – Tempel 156–159, 164, 291, 352–361 – Theologie 17, 23, 46–56, 447f. – Verstockungsmotiv 368–376 – „Weg des Heils“ 46–56, 156–158, 447–452, 466–469 Lukasevangelium – Gegner Jesu 145–147, 412–414 – Menschensohn 402–407 – Passion Jesu 145–147, 412–414, 429 – Prophetentötung 378–380 – Witwen 104 – Zwölferkreis 108 Lynchjustiz 8, 414, 416 Märtyrer 1f., 5, 10, 12f., 19, 408f., 458f. – christlich 1f., 5 – Prototyp 1f., 5, 458–460 – Stehen zur Rechten Gottes 408f. – Stephanus 1f., 5, 10, 12f., 19, 409, 458f. Märtyrerchristologie 409–411 Markusevangelium – Prozess gegen Jesus (Mk) 140–144, 148f., 351f., 413f. Martyrium 1f., 5, 10, 32 Martyriumsbericht 8f., 10 Martyriumstheologie 459
508
Sachregister
Menschensohn – als (endzeitlicher) Richter 142, 404, 407–411, 429 – Bekenntnis zum 403–406 – Erhöhung 402f., 406, 409–411 – im Lukasevangelium 402–407 – im Prozess gegen Jesus (Mk) 141f., 413f. – Jesus 141–143, 402, 405–407, 409– 414 – Vision des Stephanus 20, 395, 397, 402–411, 428, 451 – Menschensohnworte 406f. Modellleser – Grenzen der Interpretation 64f. – Text 60f. Mose – Ablehnung 247, 269–272, 290, 292– 296, 299, 306–314, 327, 330 – Ägypter 247, 255, 260–263, 270 – Anführer 271, 274, 324 – Befreier 288–290, 294f., 297–299, 324 – Biographie 246, 251–257, 327 – David 338, 347f. – Erscheinung Gottes 279–283, 399f. – Exodusgeschehen 192, 298f., 302, 324 – Flucht 272–275 – Friedensstifter 267f., 271, 274 – Geburt 246, 250f. – Gesetz 140f., 247, 302–307, 324f., 337, 384 – Gottesbezug 140f., 161, 247, 250– 252, 257, 259, 269f., 274, 281–285, 290f., 293–296, 306–314, 324, 327, 399f. – (Heils-)Mittler 161, 247, 263–276, 289–305, 307, 324, 327, 331–337, 340 – Israeliten 247, 258–276, 292–296 – Jesus 256, 259, 264f., 293, 296, 300f., 382, 410 – Josef 251, 255, 269 – Mannawunder 104, 130 – Pharao 272, 299 – Prophet 247f., 256, 274, 289, 300– 305, 307, 324f., 327
– Prophetenschicksal 257, 302, 307, 324f., 327, 376f. – Richter 269f., 274, 294–296 – Stephanus 140–142, 160f., 164, 256, 305, 328, 400 – Väter/Volk Israel 104, 114, 161, 192, 247, 251, 259–263, 289, 291–297, 299–302, 306–314, 324 – Zelt des Zeugnisses 330–337 Mosegeschichte 80, 244f., 246–327 – Generalisierung 289, 292, 326 – (Redner-)Kommentar 269, 272, 292, 301f., 324, 326f. – Reflexion 247, 291, 296, 299–302, 326f. – Kontrastschema 247, 293–296 Mosetypologie 15 Murren Israels 100–109, 113, 130 Nachfolge Jesu (Christi) 1f., 5, 99, 421– 426, 428f., 442, 459 – Gemeinde 442 – Stephanus 1f., 5, 421–426, 428f., 459 Nachkommen Abrahams 165, 172, 176, 181–203 – Verheißungen 79f., 175–187, 188– 193, 195f., 201f., 285, 298f. Natan(-prophetie) 341f., 347 Neutestamentlicher Kanon – Apostelgeschichte 42–54 – Heilsgeschichtliche Struktur 41f. – Identitätsbildung 41–43 – lukanisches Doppelwerk 43–54 Nikolaos 118 Offenbarung Gottes 74, 165, 169–172, 200–202, 281–291, 332f., 399f. Ordnungstransformation 52–54, 447 – Grenzüberschreitung 52f. – Selbstvergewisserung 52f. Ort – der Gegenwart Gottes, 278, 284f., 291, 302, 327f., 331–362, 410, 428, 450 – der Offenbarung Gottes 302–305, 332f.
Sachregister – Gottes 165, 278, 284f., 291, 302–305, 327f., 344f., 353–361, 396f., 400f., 410, 434, 450 – Gottesdienst 189, 201f., 285, 291, 450 – heiliger 284f., 291, 302, 327f. Parusie 51, 55, 405, 447 Patriarchen 166, 195, 205–207, 213, 215, 231 Paulus (s. auch Saulus) – Ablehnung durch Juden 55, 370–376 – (Christen-)Verfolger 418f. – Heidenmission 15, 19 – in der Apostelgeschichte 370–376, 418f. – Konflikte 52, 370–376 – Verkündigung 50, 55, 370–376, 419 – Volk Israel 55, 370–376 – Völker 55, 370–376 Petrus 52, 100f., 111, 380–383, 393 Pfingstereignis 100, 106, 111, 120 Pharao 203, 207–212, 215, 219, 232f., 238, 240–245 – Josef 203, 207–212, 215, 238, 240 – König von Ägypten 238, 240–245 – Mose 272, 299 – Tochter des Pharao 246, 252–255, 257 – Volk Israel 220, 233, 238–245 Phlippus 119, 131, 432–434 Point of View 68 Polyvalenz 62f. Präsenz Gottes Anwesenheit Gottes Priester 124, 126–129 Prinzip des ökonomischen Kommunizierens 65–69 Propheten – Jesus 119, 377–383, 386–388 – Mose 256, 300–305, 307, 324f., 327 – Natan 341f. – Simeon 49, 111 – Stephanus 19, 119, 130, 135f., 139, 146, 154, 159–164, 305, 322, 324, 326, 328, 358, 360, 363, 365, 368,
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376, 387f., 395f., 400, 411, 416, 428, 458, 464 Prophetenchristologie 407, 409–411 Prophetenschicksal – Jesus 378, 387, 409–411 – Mose 257, 302, 307, 324f., 327, 376f. – Stephanus 136, 146, 163, 376f., 392, 416, 428 Prophetentötung – deuteronomistisches Geschichtsbild 377–383 – im Lukasevangelium 378–380 – in der Stephanusrede 377–382, 387 – Jesus 378–382, 392 – Stephanus 392, 416, 428 Prophetenverfolgung 15, 362, 376f., 380, 387, 389, 392, 416, 428, 431f. Prophetenwort 80f., 82, 319–325, 329, 352–363, 376 – Funktion 323, 325, 354f., 358, 360, 362f. Proselyt 118–120 Prototyp des Märtyrers 1f., 5, 458–460 Prozedurale Interpretation 72 Prozedurale Lektüre 66–69 Prozess gegen Jesus (Lk) 406f., 412– 414, 429 – Jerusalemer Juden 412–414 – Menschensohn 406f. Prozess gegen Jesus (Mk) 140–144, 148f., 413f. – Blasphemievorwurf 141–143, 148f. – Endzeitlicher Richter 141 – Falschzeugen 148f. – Menschensohn 141f., 413f. – Prozess gegen Stephanus 141–143, 148f., 165 – Selbstverständnis Jesu 141f. – Tempellogion 153–155, 158, 350– 352, 361, 409 Prozess gegen Stephanus – Analogie zu Prozess Jesu 141–143, 148f., 165, 406f., 412–414, 428f. – Lynchjustiz 8, 414, 416
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Sachregister
Reden – anamnetisches Moment 52 – in der Apostelgeschichte 9f. Rede des Stephanus Stephanusrede Relektüre 66, 74, 165 Richter – endzeitlich 141, 407–410, 429 – Gott 188–190 – Jesus 379, 424 – Menschensohn 142, 404, 407–411, 429 – Mose 269f., 274, 294–296 Rom 50f., 55 Salomo 329, 345–362 – „Gottes-Haus“ 329, 345–362 – im lukanischen Doppelwerk 347 – Kritik an 348–352, 354–361, 363, 385–387 – Tempel 346–362, 385–387 Samarien 51, 54, 432–434, 445 Saulus (s. auch Paulus) – Berufung 54, 443–445 – Steinigung des Stephanus 418f., 426– 430, 440 – Stephanus 82f., 390, 418f., 426–428, 439 – Verfolger 54, 431f., 440–445 – Verkündigung unter den Völkern 54, 443–445 Schriftgelehrte 131 Sehen Gottes 170, 335, 398–402 Selbstvergewisserung 44, 52f., 448, 453–458 Selbstverständnis Identität Septuaginta 25, 48, 72–76 Sichem – Funktion in der Stephanusrede 225f., 230 – Grab der Väter Israels 224f., 229f. – heiliger Ort 232 Siebenerkreis – Funktion 113–117, 130 – Gemeinde 113–117, 119–124, 130 – Hellenisten 11, 119f. – Stephanus 11, 118f., 130
– Tischdienst 112, 116f. – Verhältnis zu Zwölferkreis 11, 113– 117, 121–124 – Wahl 111, 117–119, 123f. – Wahlkriterien 111, 114, 119f. Simeon 49, 55, 111, 368, 437 Sinai – Bund Gottes 128 – Erscheinung Gottes 127–129, 277f. – Gesetzgage 277, 302–305 – Ort der Gottesoffenbarung 278, 302– 305 – Priester 127–129 – Volk Israel 127–129, 170, 302–305 Sinn – Text 58, 71 – und Leser 60–63, 71 Sinnbildung 39, 72 Sinnpotentiale 39, 62, 70, 76, 314 Söhne Israels 213f., 219, 222, 236, 239, 260, 289, 299–301 Stammväter Patriarchen Stehen (zur Rechten Gottes) 20, 407– 411 – Menschensohn 20, 402, 407–411 – Vision des Stephanus 20, 407–411 Steinigung 2, 82, 414–416 Steinigung des Stephanus 2, 4, 12f., 82, 390, 411, 413–426, 428, 432–434 – Folgen 2f., 430–445 – Saulus 418f., 426–428 – Tod Jesu 416–430 – und Verfolgung 4, 12, 430–432 – und Zerstreuung 12, 432–434 – Vision des Stephanus 413f. – Zeugen 417–419, 426–428 Stephanus – Bezug zu Jesus 1f., 13, 16, 119, 130, 135, 139, 141–143, 147–149, 150– 164, 351f., 360, 392–395, 405, 413, 416, 420–430 – Charakterisierung 15, 54, 118, 131– 136, 139–141, 162f., 368, 387, 389, 395, 405, 411, 416 – Feindesliebe 1, 422–426, 428
Sachregister – Gegner 131, 136–165, 143–147, 159– 164, 167–168, 368, 389f., 393f., 396, 405, 411–416, 422–428 – Hörer der Stephanusrede 167f., 172, 368, 387, 389–396, 407, 411–413, 429 – Identifikationsfigur 457–460 – Jerusalemer Gemeinde 131–136, 163 – Märtyrer 1f., 5, 10, 12f., 19, 458–460 – Mittler Gottes 136, 397, 400 – Mose 140–142, 160f., 164, 168, 256, 305, 398, 400 – Nachfolger Jesu 1f., 405, 410f., 420– 426, 428f., 459 – Prophet 19, 119, 130, 135f., 139, 146, 154, 159, 160–164, 305, 322, 324, 326, 328, 358, 360, 363, 365, 368, 376, 387f., 395f., 400, 411, 416, 428, 458, 464 – Prophetenschicksal 136, 146, 163, 376f., 392, 416, 428 – Saulus/Paulus 16, 82f., 390, 418f., 422, 426–428, 439 – Siebenerkreis 11, 118f., 130, 164 – „Symbol der Trennung“ 1, 3–6, 388, 460–469 – Tod 1f., 136, 390, 444f. – Verkündiger 13, 139 – Zeuge Jesu 405, 410f. Stephanusepisode – Blasphemievorwurf 131, 142f., 149, 157–159, 164, 405, 414–416 – christologische Aussagen 20, 149, 380–383, 405, 407, 409–411, 451f. – Falschzeugnis 131, 149, 157–159, 164, 416 – Gerichtsszene 77, 80, 148f., 152–155, 167, 391, 405f., 425f., 429, 461 – Geschichte Israels 129–131, 326, 409–411, 416, 428–430 – Historizität 6, 16–18, 32 – Identitätsfrage 155f., 158f., 164, 361, 386–389, 453–458, 460–469 – im lukanischen Doppelwerk 6, 12, 16, 18f., 27–32, 54, 77f. – Juden/Judentum 18, 19, 26–32, 368– 376, 451f., 460–469 – literarische Funktion 33, 53–56, 76, 159, 448–453, 465
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– Schwellenerzählung 54, 448–453, 465 – Tempel 27, 30, 131, 153–155, 158f., 164, 359–361, 387, 450 – Theologie 18–26, 32, 48–56 – Verhältnis Judentum – Christentum 18, 26–32, 451f., 460–469 – „Weg des Heils“ 77, 131, 233, 361, 376, 432–434, 444f., 448–452, 466– 469 Stephanusrede – Abraham 23, 79f., 165–203, 234f. – Aktualisierung 182, 233, 240, 246, 276, 328, 362–389, 448 – Christologische Aussagen 380–383 – Erscheinung Gottes 79f., 127–129, 165, 168–176, 200, 202, 266, 278– 283, 290f., 450 – Geschichte Israels 22–24, 79, 214, 225f., 233, 236f., 326, 358f., 361, 363, 367, 377, 448, 460–469 – Gott (der Herrlichkeit) 79f., 165, 168–176, 200, 202, 278–280, 290 – Josef 80, 203–231 – lukanisches Doppelwerk 24, 26, 32f., 76, 159, 164f., 446–453 – Mose 80, 246–327 – Offenbarung Gottes 165, 169–172, 200–202, 281–291, 332f. – Ort Gottes 165, 278, 284f., 291, 302– 305, 327f., 344f., 353–361, 360 – Reflexion 247, 291, 296, 299–302, 326f., 448 – Tempel 4, 24–26, 291, 346–362, 385– 387 – Theologie 9f., 21, 26 – Verhältnis Judentum – Christentum 21, 27, 368–376, 388, 451f., 461– 469 – (verheißenes) Land 80, 173–187, 180f., 212, 224, 232, 289, 328 – Verheißungen Gottes 79f., 175, 184– 196, 201f., 228, 233–241, 285, 298f., 326f., 337, 345, 358, 361, 388 Sterbegebet – Jesu 1, 420f. – des Stephanus 1, 420–426
512
Sachregister
Strafe Gottes 248, 308, 316–320, 322, 324f., 335, 364–366, 415 Strategie des Textes 59, 68, 70, 76 – Grenzen der Interpretation 64f. – intertextuelle Referenzen 76 – Knotenpunkt 66, 68, 76 – Leerstelle 68 – Leserlenkung 70 Subtext 59, 72, 175 – Verhältnis zu Hypertext 70 Summarien 47, 53, 110 Sünde (des Volkes Israel) 333–336, 340–345, 399 „Symbol der Trennung“ 1, 3–6, 460– 469 – Anwesenheit Gottes 464–466 – Gegner des Stephanus 461, 463 – Geschichte Israels 460, 463f. – Israelbild 466f. – Stephanus 1f., 5, 388, 460f., 464 – Verhältnis Judentum – Christentum 3–6, 460–469 – Verstockungsmotiv 461, 467 Synedrium 78, 131, 143–148, 153, 159– 163 Szenographie 68 Taufe 54, 100 Tempel – Apostel 100, 103 – David 338–345 – Gegenwart Gottes 150, 154f., 158, 170, 192f., 285, 291, 327f., 359– 361, 410, 450 – Götzenbild 154, 350–352, 356–361, 367 – Hellenisten 14–16 – Identität Israels 152, 155, 158f., 164, 361 – im lukanischen Doppelwerk 156f., 164, 356f., 359–361, 387 – in der Stephanusepisode 27, 30, 131, 153–155, 158f., 164, 359–361, 387, 450 – in der Stephanusrede 4, 24–26, 291, 346–362, 385–387 – Jesus 131, 153–155, 350–361
– Kritik 5, 14, 348–361 – Ort Gottes 150, 155, 158, 164f., 170, 291, 327f., 344f., 350–361, 401 – Salomo 345–362 – Zerstörung 27, 154, 442 Tempellogion – Jesu 153–155, 158, 350–352, 361, 409 – in der Stephanusepisode 8, 150–155, 158f., 350–352, 361 Tempelweihgebet 346f. Terach 173, 177f., 180f. Tertullian 2 Text 28, 32, 34–36, 446 – Begriff 34–36, 58 – (christliche) Bibel 36–38, 57f., 67, 71, 72, 446 – Endtext 57 – Erzählte Welt 68 – Hypertext 59 – Hypotext 59 – Knotenpunkt 66, 68, 76 – Kohärenz 62 – Kommunikation 58 – Sinn 58f. – Sinnpotential 39, 62, 70, 76, 314 – Strategie 59, 62, 68, 70 – Struktur 58–60 – Subtext 59, 72, 175 – Szenographie 68 – und Autor 28, 32, 36 – und Intertextualität 35, 58–60 – und Kontext 35, 58–60 – und Leser 28, 58f., 62, 70 Textzentrierung 24, 58–60, 76, 446f. – Grenzen der Interpretation 63–65 Theologie – des lukanischen Doppelwerks 46–56 – in der Stephanusepisode 9f., 18–26, 32, 46–56 Tischdienst 98, 102, 109–112, 116f., 130 – die Zwölf 109, 116f. – und Dienst am Wort 109–112 Thron – Davids 347 – Gottes 353f., 408
Sachregister Tod – der Väter Israels 221f. – des Stephanus 1f., 390, 420–424, 432–434, 444f. – Jakobs 203, 221f. – Jesu 1f., 49, 378–383, 407, 413f., 420–426, 429 – Josefs 221f., 230 – Saras 226 – Terachs 180f. Tod des Stephanus – Folgen 2–5, 12f., 430–445 – Martyrium 1–3 – und Verfolgung 4, 12, 430–436, 444f. – und Verkündigung unter Völkern 12f., 432–434, 444f. – und Zerstreuung 12, 430, 432–434, 436, 444f. Tora Gesetz Totenklage 438f. Transzendenz Gottes 169–172, 278– 280, 283–289, 327f., 349, 353–361, 383f., 398–401, 449f. Trennung – Judentum – Christentum 3–6, 52 – Prozess 52 Ungehorsam – gegen Gesetz 303–307, 325, 330, 362, 364f., 383–389, 392 – Hörer der Stephanusrede 362, 383– 389, 392 – Väter/Volk Israel 247, 306f., 319, 325, 364–366 Unheil 52, 404f. Unheilsgeschichte 45, 336, 375, 387– 389, 460, 465 Unverständnismotiv 264f., 272, 292– 296 Urchristentum 6, 17 Urgemeinde 10, 11f. Vätergeschichte 175
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Väter Israels (s. auch Volk Israel) – Ablehnung Moses 247, 269–272, 290, 292–296, 299, 306–314, 324, 327, 330 – Ägypten 203, 215–222, 231, 307f., 364 – Gesetz 247, 302–308, 321f., 325f., 330, 364f., 384 – Götzendienst 247, 269, 308–319, 365f., 367 – Grab 203, 227–232 – Heiliger Geist 367f., 376 – Hörer der Stephanusrede 221f., 228, 362–389 – Jakob 213, 221f. – Josef 203, 205–207, 211, 215–217, 221f., 231 – Prophetenverfolgung 376f. – Tod 203, 221f. – Unbeschnittenheit 363–376 – Wüstenzeit 302–307, 320f., 328, 330–337 – Zelt des Zeugnisses 330–337, 359 Verfolgung – der Jerusalemer Gemeinde 54, 83, 430–432, 436, 440–445, 449 – durch Saulus 431f., 440–445 – Propheten s. Prophetenverfolgung – und Steinigung des Stephanus 4, 430– 436, 444f. – und Verkündigung 432–434, 444f. Vergebungsbitte 1, 422–426 Vergegenwärtigung 54, 454–456 – Geschichtsrückblick 54, 454f. – Idealbild der Jerusalemer Gemeinde 454 – Stephanus 455f. verheißenes Land 52, 80, 194, 224, 232, 237, 318, 320f., 323, 328, 332, 341 Verheißungen – an Abraham 79f., 175, 187–193, 201f., 233–240 – an Nachkommen Abrahams 79f., 184–193, 195f., 201f., 285, 298f. – Bund 195f. – Erfüllung 55, 182, 187, 202, 220, 228, 232–241, 244–246, 250, 252,
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Sachregister
258f., 262–264, 273f., 277, 285f., 326f., 337, 345 – Funktion für Geschichte Israels 236f., 361 – Geistausgießung 51f. – Gottes 51f., 79f., 175, 187, 201f., 233–240, 280f., 327, 361, 388, 447 – Gottesdienst 189, 191f., 314, 323, 358 – Knechtschaft Israels 240f. – Land 175, 182–187, 201, 228, 235, 289, 337 – Nachkommen 175, 184–187, 201f., 232, 235, 238, 273–276 – Simeons 55 Verkündigung (in Apg) – Auftrag 50 – durch Apostel 100f., 116, 145, 434f. – durch Paulus 50, 55, 370–376, 419 – in Jerusalem 54 – in Judäa und Samarien 54, 430–434 – in Rom 50f., 55 – Königsherrschaft Gottes 50 – unter den Völkern 54f., 430–434 – s. auch »Ende der Erde« – s. auch „Weg des Heils“ Verstockung 368–376, 451f., 461, 466– 469 Vision des Stephanus 13, 18–20, 82, 389f., 395–411, 428, 453 – Christologie 409–411 – Funktion 402, 407, 413f. – Herrlichkeit Gottes 395, 397–401 – Himmel (geöffnet) 395, 397, 400f. – Jesus 395, 397, 402–410 – Menschensohn 20, 395, 397, 402– 410, 428 – Sitzen zur Rechten Gottes 20, 402, 407–410 – Stehen zur Rechten Gottes 20, 402, 407–410 – Steinigung des Stephanus 413f. Völker – Heil 49, 157, 368–376, 466f. – Saulus/Paulus 54f., 370–376, 443– 445 – verheißenes Land 328, 337, 341 – Volk Israel 49, 55, 128, 157, 199f., 337, 341, 365f.
Volk Israel (s. auch Väter Israels) – Ablehnung Moses 247, 269–272, 290, 292–296, 299, 306–314, 327, 330 – Ägypten 220, 233–240, 244–246, 285–291, 307–309 – Anwesenheit Gottes 332–336, 340– 345, 365 – Babylon 318f., 323, 326 – Beschneidung 364–376 – Bund 128, 195f., 364f. – Gesetz 247, 302–304, 306–314, 330, 364f., 384 – Götter/Götzen 247, 308–314, 318 – Gottesbezug 104–106, 115, 170f., 176, 195f., 247, 263, 291, 293–296, 323, 327, 363f., 399 – Götzendienst 308–314, 318, 364–366 – halsstarrig 332, 363–376 – Heil 49, 157, 368–376, 466f. – Identität 74, 128, 199f., 202f., 366 – Jerusalemer Gemeinde 246, 431f. – Kanaan 220–231 – Knechtschaft 104, 190, 239–242, 245f., 285–291, 298f. – Land (verheißenes) 318, 323, 332, 341 – Mose 104, 114, 161, 192, 251, 259– 263, 289, 291–297, 299–302, 306– 314 – Murren 104–109, 113, 130 – Sinai 127–129, 170, 302–305 – Sünde 333–336, 340–345, 399 – Ungehorsam 247, 306f., 319, 325, 364–366 – Unverständnis 264f., 272, 292–296 – Völker 49, 55, 128, 157, 199f., 337, 341, 365f. – Wachstum 220, 233–238, 244–246 Vorwürfe gegen die Hörer der Stephanusrede 362–398, 412 Wachstumsnotiz 98, 124–130, 235–238, 244–246 Wahl der Sieben 117–119, 123f., 129f. „Weg des Heils“ – Apostelgeschichte 50–53, 56, 361, 376, 432f., 444f., 448–452, 466– 469
Sachregister – »Ende der Erde« 47, 50, 157, 361, 432–434, 444f., 447f., 451, 453, 457, 468 – Etappen 50–53, 447 – lukanisches Doppelwerk 46–56, 156– 158, 447–452, 466–469 – Stephanusepisode 77, 131, 233, 361, 376, 432–434, 444f., 448–452, 466– 469 – theologisches Konzept 46–56, 447f. Weisheit 15, 111f., 114, 119f., 131–136, 139–141, 207, 209, 238, 255 Wille Gottes 54, 140–142, 155, 285– 291, 297, 309, 383–386, 469 Witwen 77, 101–106, 136–138, 164, 449 Witwenversorgung 10f., 15, 77, 98, 100–106, 109, 449 „Wohnen“ Gottes (im Volk) 332f., 338– 362, 344f. Wort(e) Gottes 80, 109, 124f., 129f., 187, 279–283 Wüste – Ablehnung Gottes 320f., 323, 331– 336 – Gegenwart Gottes 202f., 278, 285, 290f., 302, – Wanderung 104, 298f., 302, 306–314, 320f., 328 – Zelt des Zeugnisses 330–337, 359 Wüstenzeit 306–314, 320f., 328, 330– 334, 336 Wunderwirken 13, 103, 126
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Zähneknirschen 393–394 Zelt des Moloch 318, 331, 336, 359 Zelt des Zeugnisses – Gegenwart Gottes 331–337, 359–362 – Heiligtum 333–336, 359 – Väter Israels 330–337, 359 – Wüstenzeit 330–337, 359 – Zelt des Moloch 331, 336, 359 Zeltwohnung 328, 338–345, 349, 359 Zerstreuung – der Jerusalemer Gemeinde 54, 430, 432–434, 436, 444f., 449 Zeugen – der Steinigung 417–419, 426–428 – Falschzeugen 131, 148f., 153, 155, 157–159, 164, 416 – Jesu Christi 2, 3, 52f., 55, 108 Zion 343f. Zorn Gottes 304, 314 Zuhörer der Stephanusrede Hörer der Stephanusrede Zwölferkreis – Aufgaben 116f. – Dienst am Wort 109, 116f. – Dienst an den Tischen 98, 102, 109– 112, 116f. – im lukanischen Doppelwerk 108 – Jerusalemer Gemeinde 107–112, 117, 121–124 – Siebenerkreis 11, 113–117, 121–124