Geschichte des christlichen Gottesdienstes [2. verb. u. erw. Aufl. Reprint 2019] 9783110845877, 9783110028041


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German Pages 258 [260] Year 1970

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Inhaltsverzeichnis
Zum Eingang: Gottesdienstgesdüdite in ihrer praktischen Bedeutung
I. Der Gottesdienst im Neuen Testament
II. Der Gottesdienst in der nadiapostolischen Zeit
III. Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst
IV. Die Liturgien im Osten der Reichskirdie seit dem 4. Jh
V. Der griechisch-katholische (orthodoxe) Gottesdienst
VI. Die Liturgien der westlichen Kirche vor dem Sieg der römischen Messe
VII. Die Entwicklung der römischen Messe
VIII. Die Gestalt der römischen Messe
IX. Der Gottesdienst der lutherischen Reformation
X. Der reformierte Gottesdienst
XI. Der anglikanische Gottesdienst
XII. Der Bruch mit der liturgischen Tradition durch Pietismus und Aufklärung
XIII. Die Erneuerung des evangelischen Gottesdienstes
XIV. Der römisch-katholische Gottesdienst seit dem 19. Jh
XV. Das Stundengebet
XVI. Das Kirchenjahr
Nachwort: Von Freikirchen, Sekten und Jungen Kirchen
Literaturiibersidit
Verzeichnis der Abkürzungen
Namenregister
Sachregister
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Geschichte des christlichen Gottesdienstes [2. verb. u. erw. Aufl. Reprint 2019]
 9783110845877, 9783110028041

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Geschichte des christlichen Gottesdienstes von

D. William Nagel Prof. m. Lehrst, a. d. Universität Greifswald

2., verbesserte und erweiterte Auflage

Sammlung Göschen Band 1202/1202 a Walter de Gruyter & Co. • Berlin 1970 vormals G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

Copyright 1970 by W a l t e r de Gruyter & Co., vormals G. J. Gösdien'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. — Ardliv-Nr. 72 30 708. — Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36. — Printed in Germany.

Inhaltsverzeichnis

Seite

Zum Eingang: Gottesdienstgeschichte in ihrer tischen Bedeutung I. Der Gottesdienst im Neuen Testament

prak-

6 8

1. J e s u s und der Gottesdienst 2. Die Apostelzeit 3. Einzelne gottesdienstliche Elemente im Neuen Testament

8 13 18

II. Der Gottesdienst in der nachapostolischen Zeit ...

24

1. Die Quellen 2. Die Ergebnisse

III. Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst 1. Die Quellen 2. Die Ergebnisse

IV. Die Liturgien im Osten der Reichskirche seit dem 4. Jh 1. 2. 3. 4. 5.

Allgemeine Charakterisierung Ägypten Syrien Jerusalem Konstantinopel

V. Der griechisch-katholische dienst

(orthodoxe)

Gottes-

1. Gesamteindruck. Das Kirchengebäude 2. Die Gestalt der „Liturgie" 3. Die Bedeutung der Liturgie

VI. Die Liturgien der westlichen Kirche vor dem Sieg der römischen Messe 1. 2. 3. 4. 5. 6.

35 36 43

45 45 47 50 55 58

60 60 63 69

72

Messe Messe Messe die angelsächsische Messe

72 73 75 79 83 86

VII. Die Entwicklung der römischen Messe

88

1. 2. 3. 4. 5.

Allgemeines Nordafrika Die mailändische Die gallikanische Die mozarabische Die keltisdie und

24 35

Frühgeschichte. Die liturgischen Bücher Die römischen Sakramentare Die Lektionare und ordines Die Eigenart der römisch-fränkischen Messe Der W e g zur Vereinheitlichung der römischen Messe

VIII. Die Gestalt äer römischen Messe 1. 2. 3. 4. 5.

Allgemeines Rüstakte Die Vormesse Die Opfermesse Die Verschiedenartigkeit der Messen

88 91 95 96 97

101 101 103 106 112 122

Inhaltsverzeichnis

4

Seite

IX. Der Gottesdienst der lutherischen Reformation ... 123 1. 2. 3. 4.

Luthers Gottesdienstverständnis Die ersten Neugestaltungen der Messe Luthers Entwürfe von 1523 Müntzers „Deutsche evangelisdie Messe" und süddeutsche Formulare 5. Luthers „Deutsche Messe" von 1526 6. Die Entwicklung im 16. Jh. nach Luther

X. Der reformierte Gottesdienst

123 129 131

134 136 140

143

1. Zwinglis Gottesdienstreform 2. Der calvinistische Gottesdienst

143 149

XI. Der anglikanische Gottesdienst

1. Der Wesenszusammenhang zwischen der Church of England und dem Common Prayer Book 2. Geschichte und Inhalt des „Book of Common Prayer" 3. Der Gottesdienst nach dem „Book of Common Prayer" . . . 4. Die ökumenische Bedeutung des Common om. Prayer Book

152 152 154 157 159

XII. Der Bruch mit der liturgischen Tradition durch Pietismus und Aufklärung 159 1. 2. 3. 4.

Das Zeitalter der Orthodoxie Der Pietismus Die Liturgie der Brüdergemeine Die „liturgische Bewegung" der Aufklärung und des Rationalismus

159 162 165

169

XIII. Die Erneuerung des evangelischen Gottesdienstes seit dem 19. Jh 174 1. Die Lage am Ausgang des 18. Jh.s 174 2. Die theologische Neubesinnung auf das W e s e n des Gottesdienstes 176 3. Die Agende Friedrich Wilhelms III. von Preußen 180 4. Die Agendenarbeit des 19. Jh.s in anderen Landeskirchen 186 5. Die ältere liturgische Bewegung 188 6. Die jüngere liturgische Bewegung 190 7. Der evangelische Gottesdienst in seiner Entwicklung bis zur Gegenwart 196 8. Gegenwartsprobleme und Zukunftsaufgaben 202

XIV. Der römisch-katholische 19. Jh

Gottesdienst

seit

1. Die liturgische Erneuerung 2. Erste Reformen am Kultus. II. Vatikanum Konzil

XV. Das Stundengebet

1. Die Anfänge des Stundengebetes 2. Das Stundengebet in der römischen Kirche 3. Das Stundengebet in der lutherischen Kirche

dem

206 206 211

218 218 222 227

Inhaltsverzeichnis XVI. Das Kirchenjahr 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Der Sonntag Der Osterfestkreis Der Weihnaditsfestkreis Marien- und andere Feste Römische Reformen am liturgischen J a h r Besonderheiten des reformatorischen Kirchenjahres

5 230 231 234 236 237 239 240

Nachwort: Von Freikirchen, Sekten und Jungen Kirchen 242 Literaturübersicht 246 Verzeichnis der Abkürzungen

251

Namenregister

254

Sachregister

256

Zum Eingang: Gottesdienstgesdüdite in ihrer praktischen Bedeutung Die Kirche Jesu Christi realisiert sich immer wieder vom Gottesdienst ihrer Gemeinden her: wo das Wort verkündigt wird und die Sakramente verwaltet werden, will Gott selbst gegenwärtig sein, um in den Seinen den Glauben zu wecken, zu reinigen und zu stärken; in Bekenntnis, Gebet und Gotteslob der versammelten Gemeinde soll offenbar werden, daß seine Gnade an ihr nicht vergeblich gewesen ist. Im Gottesdienst zeichnet sich auch der Sinn aller christlichen Existenz urbildlich ab: hier geschehen Einübung in die Rühmung dessen, der im Menschen dem Glauben ruft und im Glauben das Leben schenkt, durch Fürbitte und Opfer der Liebe auch Einübung in die Brüderlichkeit und schließlich Sendung zum Zeugnis an die gottentfremdete Welt, wie schon der Vollzug jedes Gottesdienstes solch ein Zeugnis darstellt. Gegenüber der heute akuten Gefahr einer einseitigen aktivistischen Weltzugewandtheit will der Gottesdienst der Christenheit zu der Erfahrung helfen, daß echtes, wesentliches Tun nur aus dem erwachsen kann, was wir von Gott her an uns geschehen lassen. Darum gilt der Gottesdienst mit Recht als Herzstück im Leben jeder christlichen Gemeinde. Woran liegt es aber, wenn die Wirklichkeit gemeindlichen Lebens dem oft nicht entspricht? Sicherlich gilt vielen die Verheißung nichts mehr, die der gottesdienstlichen Gemeinschaft gegeben ist (Mt 18,20). Aber oft auch liegt die Hemmung in den liturgischen Formen, in welchen die christlichen Kirchen ihre Gottesdienste begehen. In diesen Formen verkörpert sich j a meist eine Tradition, die über Jahrhunderte, z. T. bis in die Anfänge der Christenheit zurückreicht. Der schnellebige moderne Mensch hat wenig Sinn für Geschichte; wenn schon Gottesdienst, dann wünscht

Zum Eingang

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er ihn in Formen, die aus der eigenen Zeit geboren sind. Doch er vergißt dabei, daß im liturgischen Erbgut Glaubenserfahrungen und meditative Erkenntnisse von Generationen sich bergen, die mit ganz anderer Intensität im Gottesdienst gelebt haben. Es würde Verarmung bedeuten, wollte sich die Liturgie allein auf Gestaltungsmöglichkeiten beschränken, wie sie die jeweilige Gegenwart hergibt. Die Geschichte des Gottesdienstes liefert dafür ihre Beispiele. Alle Bemühungen um eine Erneuerung des christlichen Gottesdienstes, wie wir solche heute als ökumenische Erscheinung beobachten, werden deshalb auf einer gründlichen Beschäftigung mit der Geschichte der Liturgie aufzubauen haben. Sie zeigt, wo sich im Evangelium verwurzelte Ansätze entfaltet haben oder wo dem Evangelium fremde Tendenzen das Uranliegen der Liturgie trübten. So wird das sachlich Notwendige wie auch mancherlei Fehlentwicklung in der Grundstruktur des Gottesdienstes offenbar, und man beginnt die einzelnen liturgischen Elemente in ihrem ursprünglichen Sinn innerhalb dieser Grundstruktur zu verstehen. Der Gottesdienst wird uns in seiner uns zugewachsenen Gestalt vertraut, und wir werden vor allem begreifen: Liturgie kann nie nur Mittel sein, mit dessen zweckentsprechender Handhabung die Kirche irgendetwas erreichen will; Liturgie geschieht unter der Verheißung, daß Christus selbst, daß der hl. Geist in der Versammlung der Gemeinde durch Menschenworte hindurch wirken und in sichtbaren Zeichen die damit bezeichnete Sache gegenwärtig und wirksam machen wolle. Aus dieser liturgischen Grunderkenntnis erwächst die Ehrfurcht auch vor der ererbten Form, ja, die Liebe zu ihr, welche die für jede Zeit nötige Weiterarbeit an der Liturgie nicht lähmen, sondern ihr erst den nötigen Tiefgang ermöglichen. Anm.: Die Gesdiidite der Liturgie muß sich in diesem Rahmen auf den Gemeindegottesdienst beschränken.

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Der Gottesdienst im Neuen Testament

I. Der Gottesdienst im Neuen Testament Das Neue Testament stellt auf die Frage nach dem Aufbau und den Elementen des Gottesdienstes vor eine Fülle ungelöster Probleme. Darum haben bedeutende Liturgiewissenschaftler (Wetter, Lietzmann u. a.) nicht ohne Ertrag von den ausgebildeten Liturgien der späteren Zeit her einen Weg zum Verständnis der neutestamentlichen Aussagen gesucht. Trotzdem wollen wir beim Neuen Testament einsetzen. Dessen eigentliche Bedeutung für eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes beruht nämlich nicht so sehr auf mehr oder minder problematischen Einzelaussagen. Hier wird vielmehr offenbar, welch tiefgehende innere Wandlung der religionsgeschichtliche Begriff „Gottesdienst" ( = cultus dei bzw. deorum) durch das Evangelium erfahren hat. Daraus ergibt sich eine Eigenwüchsigkeit christlichen Gottesdienstverständnisses, die es vor allem in der Frühzeit zu erkennen gilt. 1. Jesus und der Gottesdienst Trotz aller Problematik der Evangelienüberlieferung wird man vom Verhältnis Jesu zum jüdischen Gottesdienst (auf dessen Darstellung muß aus Raumgründen verzichtet werden) auszugehen haben. Man wird meinen, darin zunächst eine Linie der Kontinuität feststellen zu müssen. Jesus ist für den Tempelkult mit seinen Opfern zwar nie grundsätzlich eingetreten, dennoch hält er den geheilten Aussätzigen zum Reinigungsopfer im Tempel an (Mk 1,44 par), wodurch zwar in letzter Absicht die erfolgte Heilung den Priestern bezeugt werden sollte. Das Opfer der armen Witwe zu Gunsten des Tempelschatzes wird von Jesus in seiner Zweckbestimmung nicht kritisiert (Mk 12,41 ff. par). Mt 5,23 f. rechnet mit einer Beteiligung der Seinen am Opfer im Tempel, wenn auch im Sinn des Jesu geläufigen Wortes Hosea 6,6 (vgl. Mt 9,13; 12,7) Bewährung der

Jesus und der Gottesdienst

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Nächstenliebe der Opferleistung vorausgehen soll. Der Urgemeinde erschien, wohl gemäß ihrem eigenen Verhalten, die Entrichtung der Tempelsteuer durch ihren Herrn nicht als etwas Unmögliches (Mt 17,24ff.). Man mag über den Beriditswert von Lk 2,41 ff. urteilen, wie man will, die Erinnerung kann zutreffend sein, daß Jesus einer gesetzestreuen Familie entstammte, die es mit der jährlichen Pilgerreise nach Jerusalem ernstnahm. Auch der Rahmen des vierten Evangeliums deutet an, Jesus sei während seiner Wirksamkeit viermal hinaufgezogen (Joh 2,13; 5,1; 7,10; 12,12). Doch daß er dort Opfer gebracht hätte, erfahren wir nie. Konservative Züge trägt Jesu Verhalten gegenüber dem Synagogengottesdienst. Er hat nicht nur daran teilgenommen (Mk 3,1 par. Lk 4,16), sondern das Recht des jüdischen Mannes auf Lesung der Schrift und deren Deutung für sich beansprucht (Mk 1,21; 1,39; 6,2 par. Mt 9,35. Lk 4,15. Joh 6,59). Sehr bald haben sich freilich Zwischenfälle und Streitgespräche an solchen Dienst angeschlossen; auch hat man im Volk die Andersartigkeit seiner Auslegung stark empfunden (Lk 4,28 f.). Jedenfalls scheint Jesus wie später Paulus im Synagogengottesdienst vor allem Möglichkeiten zur Verkündigung gesucht zu haben, ohne aber diese darauf zu beschränken. Es ist zudem mit einer Überzeichnung solcher Züge durch das junge Christentum zu rechnen, zumal es in der durch Schriftauslegung und Gebet bedingten Gestalt jenes Gottesdienstes etwas Verwandtes empfinden mußte. Einen unbedingten Gegensatz hat Jesus auch gegenüber der jüdischen Privatliturgie nicht bekundet: Almosengeben, Beten und Fasten hat er nur insofern bekämpft, als sie eitler Selbstgerechtigkeit dienen sollten (Mt 6,2 ff., 5 ff., 16 ff.). Fasten kann freilich jetzt nur im Zeichen der Freude stehen (Mk 2, 18, 19 a). Das Tischgebet des Hausvaters hat er geübt (Mk 6,41 par. Lk 24,30). Aber bedeutet es mehr als ein Zeugnis für die Realität seiner Menschwerdung, wenn Jesus als Glied des jüdischen Volkes auch dessen kultische Formen in gewissem Grade auf sich nimmt? Manches davon mögen judenchristliche Kreise in die Überlieferung eingetragen haben, weil man sich dort nicht immer der Andersartigkeit Jesu gegenüber dem Judentum in ganzer Tiefe bewußt war. Unbestreitbar

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Der Gottesdienst im Neuen Testament

machen dagegen die Evangelien sichtbar, wie radikal in Jesu Verkündigung und Verhalten ein Neuansatz im gottesdienstlichen Bereich in Erscheinung tritt. Im Alten Bund glaubte man die Erfüllung der Grundforderung „Ihr sollt heilig sein; denn Ich bin heilig!" (3 Mose 11,45 u. ö.) durch Opfer und fromme Satzung gewährleistet; damit war sie wesentlich an priesterliches Wirken gebunden und gipfelte alljährlich im großen Versöhnungsfest. Jesus hat diese kultischen Ordnungen außer Kraft gesetzt, indem er die Wertung „Rein-Unrein" von Grund aus wandelt (Mk 7,1 ff.). E. Käsemann sagt davon mit Recht: „Er hebt die für die gesamte Antike grundlegende Unterscheidung zwischen dem Temenos, dem hl. Bezirk, und der Profanität auf und kann sich deshalb den Sündern zugesellen." Wenn nur Opfer und priesterliches Wort dem Sünder Gottes Vergebung zusichern konnten, so setzt Jesus an dessen Stelle sein Vollmachtswort (Mk 2,1 ff. par.). Des Meisters Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern wendet sich wider kultische Gebote, die solche Menschen aus der Gemeinschaft des „heiligen Volkes" ausschlössen. Durch den Bruch von Sabbatgeboten erweist sich Jesus als „Herr auch über den Sabbat" (Mk 2,28 par). Mehrfach beruft sich Jesus auf Hosea 6,6 (s. oben). Alle vier Evangelien berichten von der Tempelreinigung durch Jesus, und die Synoptiker beziehen sich dabei auf Jes 56,7 (Mk 11,17 par): danach soll in der eschatologischen Erfüllungszeit der Tempel nur noch Stätte der Anbetung sein. Angesichts des Opferkultus im Tempel wagt er zu verkünden, Gott lieben und seinen Nächsten wie sich selbst sei mehr als alle Opfer (Mk 12,33), und seinen Jüngern weissagt er, von> Jahwehs Tempel auf dem Zion solle „nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde" (Mk 13,2). Vielleicht offenbart sich ein tiefes Verständnis für die Aufhebung des jüdischen Kultus durch Jesus in jenem Zug der Leidensgeschichte, nach welchem in seiner Todesstunde der Vorhang im Tempel, der das Allerheiligste verbarg, zerrissen sein soll (Mk 15,38 par). All diese Züge radikaler Kritik werden uns nur von der Vollmacht her begreiflich, die Jesus als der „Menschensohn", d . h . der eschatologische Heilbringer, für sich bean-

Jesus und der Gottesdienst

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Sprucht und die ihm die Seinen zuerkennen (Mk 2,10. Mt 12,6.8. Lk 4,21; 11,20 — Mk 1,22.27; 11,9 f.). Vor dem Neuen und Endgültigen, das er bringt, zerbricht das Alte (Mk 2,21 f.). Aber indem sein Evangelium vom Anbruch des Gottesreiches den von Gott in Israel gesetzten Kultus überwindet, begründet der Menschensohn zugleich mit der neuen Gemeinde auch den neuen Gottesdienst im Zeichen der Vollendungszeit. Lohmeyer mag Recht haben, wenn er diese Verknüpfung von Ende und Beginn in Mk 14,58 zu erkennen glaubt. Als spätes Echo dessen ist auch Joh 4,20 ff. zu werten. Worin kann man Ansätze zu neuen gottesdienstlichen Formen bei Jesus finden? Vor allem ist hier das Vaterunser zu nennen (Mt 6,9 ff. par), das die Bitte um das kommende Reich zum vordringlichen Anliegen der Seinen macht, vielleicht auch das Gebet in seinem Namen (Joh 14,4 u. ö.) und die Anleitung zu richtigem Beten (Mt 6,7 f.). Es wandelt sich vom frommen Werk zum Ausdruck des Vertrauens, das erhöhungsgewiß macht (Mk 11,22 ff.). Sein eschatologisches Selbstbewußtsein kann sich (im Gegensatz zu ähnlich geformten jüdischen Aussagen über die Sdiediina) in der Verheißung seiner Gegenwart für gottesdienstliche Gemeinschaft in seinem Namen (Mt 18,20) ausgesprochen haben. Der Hinweis auf Gebetsgemeinschaft (Mt 18,19) stammt kaum von ihm. Die Taufe wird man jedenfalls nicht auf den historischen Jesus zurückführen können (Mt 28,19). Eindeutig bekundet sich der Wille Jesu zu neuer liturgischer Form erst in der Entstehung der christlichen Mahlieiei. Man kann sie nicht nur auf die Berichte des Paulus (1 Kor 11,23 ff.) und der Synoptiker (Mk 14,22 ff. par) von dem Mahl am Vorabend seines Todes begründen, zumal diese bereits vom liturgischen Vollzug der Folgezeit geprägt sind. Sooft er mit den Seinen in seinen Erdentagen das Mahl gehalten hat, leuchtete über dieser Gemeinschaft

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Der Gottesdienst im Neuen Testament

mit dem Bringer des Reiches zugleich die Hoffnung auf das eschatologische Freudenmahl auf. Ein solches Mahl mußte den Seinen schon wie ein Anbruch des Kommenden erscheinen, wenn er Zöllner und Sünder hinzuzog; denn begann sich so nicht bereits Mt 8,11 zu erfüllen! In den wunderbaren Speisungen erlebten sie den Gottgesandten nicht nur als den Gastgeber Tausender, sondern schauten zugleich, wie sich das Mahl in liturgischen Formen, mit Dankgebet und Austeilung an Tischgemeinschaften, vollzog (Mk 6,39 ff. par). Nach Mk und Mt hat Jesus danach die Masse „entlassen", wie das sonst der Priester am Ende des heiligen Dienstes tat (Mt 15,39. Mk 8,9). Schon auf dieser Stufe wird also die Mahlgemeinschaft zum Hinweis auf das in Jesu verbürgte kommende Reich und gnädig gewährte Gemeinschaft mit dessen Bringer. So deutet sie die gegenwärtige Stunde in ihrer Heilsträchtigkeit und weist der Vollerfüllung entgegen. Das alles birgt sich aber unter einem alltäglichen Geschehen, welches jüdische Frömmigkeit seit je durch Dankgebet und Segnung mit dem Aufblick zu Gott verknüpft hat. Eine Grenze zwischen sakralem und profanem Bereich wird hier nicht mehr sichtbar! In diesen Rahmen ordnet sich auch das letzte Mahl im Jüngerkreis ein. Jesus ist der Gastgeber, der die Seinen an seinen Tisch ruft. Das Essen und Trinken fügt sich gewissen liturgischen Elementen jüdischer Tischsitte ein. Die eschatologische Blickrichtung bezeugen alle drei Synoptiker (Mk 14,25 par). Ob dieses Mahl ein Passamahl war und Jesus sich an die Liturgie eines solchen gehalten hat, ist umstritten. „Die Argumente für und gegen den Passacharakter dieses letzten Mahles halten sich die Waage" (E. Schweizer). Bejahendenfalls hat Jesus das Tischgebet vor der Hauptmahlzeit und das andere nach ihr zur Anfügung seiner Deuteworte über Brot und Wein benutzt. Dann wird hier am greifbarsten, wie Jesus die Zeit für gekommen

Die Apostelzeit

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erachtet, an Stelle der bisherigen kultischen Formen das Neue zu setzen. Nur soweit in ihm die Erfüllung der Hoffnungen Israels wirklich angebrochen ist, kann sein Tod mehr und anderes bedeuten als das Passageschehen, das man sich bisher in diesem Mahl vergegenwärtigte. Wenn man beim Passamahl der Bewahrung vor dem Würgeengel und der Befreiung aus der Knechtschaft durch Gottes Treue gedachte und das Mahl im Zeichen der dafür geschlachteten Lämmer stand, so soll nun das Essen und Trinken von Brot und Wein, wie Jesus sie beim Mahl darreicht, die Seinen der durch ihn geschehenen Erlösung gewiß machen. Wer diese Speise empfängt, dem gilt sein Tod für die „Vielen" (= Völkerwelt). Durch das Opfer des „eschatologischen Passalammes" darf er der Zugehörigkeit zum neuen Gottesbund sicher sein, bis sich alles vollendet „in seines Vaters Reich". So aber gewinnt zumal in dieser letzten Mahlzeit des Herrn mit den Seinen sein Evangelium die Gestalt einer äußeren Handlung. Und in dieser wird offenbar, daß im Gottesdienst des Neuen Bundes nicht mehr des Menschen kultisches Handeln das Heil gewährleistet, sondern Gott in Jesus Christus dienend und sich opfernd bis hin zum Tode den Seinen Erlösung und Leben schenkt. 2. Die Apostelzeit Wie hat sich dieser gottesdienstliche Neuansatz in der Apostelzeit entfaltet? Die neutestamentlichen Quellen gestatten wohl einen Rückschluß auf Wesen und Bedeutung des gottesdienstlichen Lebens in den jungen Christengemeinden. Die Forschung der letzten Jahrzehnte ist zudem in steigendem Maß auf liturgische Elemente im neutestamentlichen Schrifttum aufmerksam geworden (J. Jeremias, Lohmeyer, Cullmann, Stauffer u. a.). Aber ein eindeutiges Bild vom Aufbau der urchristlichen Gottesdienste ist nicht

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Der Gottesdienst im Neuen Testament

zu gewinnen. Ebenso schwanken die Urteile über den Einfluß des Synagogengottesdienstes oder gar Einwirkungen aus dem Bereich hellenistischer Mysterienkulte. Beides scheint mir erst glaubhaft für die Zeit, in der die glutvolle Naherwartung des Reiches abklingt und man sich inmitten der religiösen Lebensformen der Umwelt einzurichten beginnt. Wichtigste neutestamentliche Quellen für das gottesdienstliche Leben sind: 1 Kor 11, 20ff.; 12; 14. Apg 2,42. 46 f.; 5,42; 20, 7 ff. Hinzu kommen die Doxologien und Grußformeln der Briefe und die Apk, die den himmlischen Gottesdienst mehr oder minder mit Formelementen des irdischen anschaulich macht. O. Cullmann hat außerdem zu erweisen versucht, es sei „ein Hauptanliegen" des vierten Evangeliums, „die Beziehung zwischen dem Gottesdienst der urchristlichen Gegenwart und dem historischen Leben J e s u herzustellen". In welchem Maß das neutestamentliche Verständnis des Gottesdienstes dessen Beschränkung auf den Bereich kultischer Ordnung zerbricht, macht der Gebrauch der Wortgruppen AaTpEÜco-Aarpsia und AEiTOupyico-AsiToupyia deutlich. Im AT wird die Wortgruppe AaTp. zur Bezeichnung der kultischen Verehrung ganz allgemein verwendet; sie kann sich bis zur Forderung einer Bewährung des frommen Herzens auch im sittlichen Leben vertiefen. Man verwendet sie aber gar nicht für den priesterlichen Kult. Dagegen wird die Wortgruppe AEIT. zum term. techn. für diesen. Für das NT ist die seltene Verwendung dieser Wortgruppe bezeichnend. Relativ häufig begegnet sie nur im Hebr infolge seiner Deutung von Christi Person und W e r k aus der Anschauungswelt des alttest. Kultus. Nie wird sie mit den Aufgaben christlicher Amtsträger verbunden. Dagegen kann Paulus Begriffe dieser Wortgruppe von seinem (Phil 2,17) und der Brüder Einsatz für die Mitbrüder (Rom 15,27. 2 Kor 9,12. Phil 2,30) gebrauchen. Also Tendenz zur Ausweitung auf den Gottesdienst des täglichen Lebens! Vielleicht kündigt sich Apg 13,2 die folgenschwere Übertragung dieser vom alttest. Kultus geprägten Begriffswelt auf den christlichen Gottesdienst an. Auf die Wortgruppe AaTp. greift das NT häufig zurück, zunächst zur Bezeichnung des Gebets-

Die Apostelzeit

15

dienstes, während die Erinnerung an den Opferkult auch nur im Hebr nachwirkt. Vor allem kann das ganze Leben des Christen zu einem AcrrpsOeiv werden, vielleicht in Auswirkung eines völlig spiritualisierten Opferbegriffs. Diese im AT bereits vorbereitete Ausweitung (Dt 10,12 ff.) macht Rom 12,1 eindrücklich und weist damit hinaus auf Luthers grundsätzliche Infragestellung eines „äußerlichen" Gottesdienstes, der sich der Forderung des Gottesdienstes mit dem ganzen Leben entzieht. Das relativ farblose Wort 0pt|CTKsia begegnet nur viermal und zeigt Jakobus 1,26 f. auch die Tendenz zur Ausweitung auf den Gottesdienst des Alltags. Im gottesdienstlichen Erleben der jungen Gemeinde muß sich ganz entscheidend das Osterereignis ausgewirkt haben. Dadurch weiß sich die Gemeinde in ihrem Glauben bestätigt, daß in Jesus Christus wirklich der neue Äon angebrochen ist. Diesen Herrn darf sie nun in geheimnisvoll neuer Weise gegenwärtig wissen. Die Gemeindeversammlungen — nicht mehr an geheiligter Stätte —, in denen das Wort verkündigt, gebetet und das Mahl gehalten wird, sind der Ort, wo man diese Nähe erfährt. Das hat nicht zuletzt in jenen Ostererzählungen seinen Ausdruck gefunden, in welchen der Auferstandene mit den Seinen das Mahl hält (Mk 16,14. Lk 24,30. 41 ff. Joh. 21,9 ff.). Zugleich wird in ihnen die Erinnerung fortleben, wie gerade bei Mahlzeiten der Auferstandene aufs neue Gemeinschaft mit den Seinen aufnahm. Wenn dem so ist, wird Cullmann recht zu geben sein, daß hier vielleicht die entscheidende Wurzel für das von „überströmender Freude" geprägte Herrenmahl der Urgemeinde zu suchen ist. Jedenfalls läßt sich nicht verkennen, daß die Mahlgemeinschaft im Zentrum des urgemeindlichen Lebens steht. Demgemäß berichtet die Apg, wie zu den Lebenselementen der Gemeinde „das Brotbrechen" gehört und man sich dazu in den Häusern von Gemeindegliedern versammelt (Apg 2,42.46). Diese der jüdischen Privatliturgie entstam-

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Der Gottesdienst im Neuen Testament

mende Bezeichnung sollte vielleicht Unberufene vom neuen Gehalt dieser Mahle ablenken. Unübersehbar unterstreicht die Apg den in ihrem eschatologischen Gehalt begründeten Freudencharakter dieser Mahlgemeinschaften (Apg 2,47). Zweifellos hat es sich um richtige Mahlzeiten gehandelt, an deren Anfang das Dankgebet stand, wie es der Herr zu üben pflegte; ob dabei immer in Erinnerung an Jesu letztes Mahl der Brotbissen gereicht wurde und am Schluß der Mahlzeit der Kelch, begleitet von seinen Deuteworten, ist ungewiß. Gebet und Lehre der Apostel hatten in diesen Mahlgemeinschaften sicher Raum. Ob wir aber Apg 2,42 als Aufriß solcher Mahlfeiern verstehen dürfen, so daß Apostellehre und „Gemeindeopfer" (beide mit Kai verbunden; Koivcovia dann im Sinn von Rom 15,26) den ersten Teil, das Brotbrechen und das Dankgebet (beide wieder mit Kai verbunden) den zweiten Teil gebildet hätten, ist höchst ungewiß. Erst Apg 20,7 ff. zeigt auf heidenchristlichem Boden, in Troas, die Verbindung apostolischer Predigt mit nachfolgendem Brotbrechen. O. Cullmann hat die These vertreten, dies sei seit je die Gottesdienstform der Urgemeinde gewesen („Die Mahlfeier ist Grund und Ziel aller Versammlungen"). Wenn dem so ist, gibt es als weitere gottesdienstliche Gemeindefeier nur die Taufe. Selbstverständlich ist außerdem missionarische Verkündigung geübt worden (Apg 3,11 ff.; 5,42; 14,1; 17,22). Daß die Christen in Jerusalem noch zu den Gebetsstunden in den Tempel gingen, erweist, daß man den Bruch mit dem Kult der Väter kaum in ganzer Tiefe empfunden hat (Apg 3,1); wir hören sogar gelegentlich von einer Beteiligung am Opferkult (Apg 21,26). Trotzdem läßt sich selbst für Jerusalem kaum erweisen, daß die junge Gemeinde die Ordnung des Synagogengottesdienstes übernommen hätte, mögen auch gewisse Formelemente daraus schnell in den christlichen Gottesdienst übergegangen sein. Die in der Liturgiegeschichte

Die Apostelzeit

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lange Zeit tradierte Behauptung, die Urchristenheit habe zwei Gottesdienstformen gekannt, einen formal aus der Synagoge übernommenen Wortgottesdienst und die Mahlfeier, ist jedenfalls nicht beweiskräftiger als die von O. Cullmann vertretene Anschauung. Was wissen wir vom Gottesdienst auf dem Boden des Heidenchristentums? Einem festgefügten liturgischen Aufbau widerstreitet hier schon die tiefe pneumatische Bewegtheit, wie sie uns, zumindest für Korinth, von Paulus bezeugt wird. Immerhin rechnet das gesamte urchristliche Schrifttum ganz real mit der Gabe des hl. Geistes in den Gemeinden. In Korinth muß der Apostel aber dafür Sorge tragen, daß die Fülle der Geistesgaben nicht jede Ordnung zerbreche und damit die „Erbauung" (O!KO6O|JT|), d.h. die Förderung des göttlichen Heilswerks an der Gemeinde, unmöglich gemacht werde. Das läßt zugleich auf die esdiatologische Erfülltheit dieser Gottesdienste schließen; denn in den Wirkungen des Geistes sah man ein wesentliches Moment der Vollendungszeit (Apg 2,15 ff.). Von daher gewinnt auch die These, daß die Gottesdienste in der Mahlfeier ihr Herzstück hatten, besonderes Gewicht; gerade bei ihr wußte man den Herrn inmitten der Seinen und blickte deshalb mit freudiger Gewißheit der nahen Vollendung entgegen. In Korinth beginnt sich dann die ursprüngliche Einheit von „Eucharistie" als Empfang der Elemente des „Abendmahls" und einer wirklichen Mahlzeit (dydnrq) aufzulösen. Gemeinschaftstörendes Verhalten einzelner Gemeindeglieder hat Paulus dazu veranlaßt (1 Kor 11,17 ff.). Wenn nunmehr nach des Apostels Willen das von eschatologischer Freude erfüllte Herrenmahl unbedingt und immer in der Vergegenwärtigung des letzten Mahles Jesu vor seinem Sterben sein Schwergewicht gewinnen soll, beruft er sich dafür (1 Kor 11,25 b) auf eine ihm zuteilgewordene Offenbarung 2

Nagel, Gottesdienst

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Der Gottesdienst im Neuen Testament

(1 Kor 11,23). Das entsprach zugleich seiner Theologie von Kreuz und Auferstehung, sollte aber die eschatologische Orientierung der Feier nicht beeinträchtigen (1 Kor 11,26). Die Gegenwärtigkeit des Erhöhten war jedoch künftig wesentlich durch das mit Jesu Worten gedeutete Brot und den Kelch verbürgt, und in deren Genuß war auch die Gemeinschaft untereinander gegeben (1 Kor 10,16 f.). Daß dadurch die Spontaneität in der Gestaltung des Herrenmahles zu Gunsten einer festliegenden Ordnung zurücktrat, mußte die Folge sein. Es ist mir fraglich, ob diese in Korinth sich darstellende Entwicklung unbedingt aus hellenistischsakramentalem Denken erklärt werden muß. Daß das Wachstum der Gemeinden ohnedies auf die Dauer die Verbindung von Eucharistie und Agape praktisch undurchführbar machte, liegt auf der Hand. Jud 12 erscheint die Agape verselbständigt. 3. Einzelne gottesdienstliche Elemente im Neuen Testament Konstitutiv für den christlichen Gottesdienst aller Zeiten sind das Wort und das Mahl des Herrn, beide einander erst in ihrer ganzen Fülle auslegend. Obwohl jener sich in seiner Wertung des Wortes mit dem Gottesdienst der Synagoge berührt, hat sich selbst für Jerusalem nicht nachweisen lassen, daß man, wie oft behauptet wird, die synagogalen Schriftlektionen übernommen hätte. Gewiß hat man aber in judenchristlichen Gemeinden Abschnitte aus dem AT vorgelesen und auf Christus gedeutet. Wahrscheinlich sind nach dem Hingang der Augenzeugen für die gottesdienstliche Lesung die Evangelienstoffe gesammelt und gestaltet worden. Paulus beruft sich noch nicht auf die Autorität solch schriftlich überlieferter Tradition. Er weiß hinter seiner Verkündigung immer die lebendige Autorität seines Herrn, mag es sich dabei um Stoffe handeln, die auf

Einzelne gottesdienstl. Elemente im Neuen Testament 19 dem Wege mündlicher Tradition auf ihn gekommen sind (1 Kor 11,23; 15,1 ff.), oder um das von ihm frei bezeugte Evangelium (Gal 1,12. 1 Kor 1,17. Phil 4,9. Rom 2,16). Diese Verkündigung bezeichnet schon Paulus als „das Wort" (ô Âôyoj) in absolutem Sinn (1 Thess 1,6. Gal 6,6. Kol 4,3). Es schließt eine Reihe bestimmter Tatsachen ein und gewinnt dort Eingang, wo Gott die Möglichkeit dazu schafft. Um der Autorität seines Evangeliums willen fordert Paulus die Verlesung seiner Briefe im Gemeindegottesdienst (1 Thess 5,27. Kol 4,16). Die meisten seiner Briefe lassen schon durch ihren Aufbau (Eingangsgruß — Eingangsgebet — Themen der brieflichen Verkündigung — Hymnische Elemente — Schlußsegen) darauf schließen, daß er sie dem Gottesdienst eingefügt wissen wollte. Die gleiche Bestimmung hat ihr Verfasser der Apk zugedacht (Apk 1,3). Solche Verlesungen haben die freie Verkündigung im Gottesdienst sicherlich ersetzt, selten nur ergänzt. Diese darf man sich nicht in der Art unserer heutigen Predigt vorstellen. Sie ist Zeugnis von einer erfahrenen Wirklichkeit aus innerster Nötigung heraus (Apg 4,20). Inhaltlich weiß sie sich als „Evangelium" (eOayyÉÂiov), frohe Botschaft von dem in Christus angebrochenen Heil. Die Kraft des Geistes wirkt sich in solcher Verkündigung aus (1 Thess 1,5. 1 Kor 2,4 f. Apg 4,33). Ja, Christus und Gott selbst werden im Wort gegenwärtig (2 Kor 2,17; 5,20). Dadurch hat es Vollmacht, in den Hörern Glauben zu wirken (Rom 10,17. Kol 1,5 f.). Einzelformen des Wortes im Gottesdienst: Der Lehrvortrag (SiSaxri) ist nicht formulierte Dogmatik oder Ethik, sondern Verkündigung des göttlichen Heilsratschlusses und Willens (1 Kor 14,6. 26). Erst im Hebr, ohne Bezug auf den Gottesdienst, gewinnt SiSaxii die Bedeutung einer formulierten Lehre (6,2; 13,9). — Bei der „Offenbarung" ( à i T O K â À u y i s ) (1 Kor 14, 6. 26. 30) wird es sich um Erfahrungen ekstatisch-visionärer Art handeln, die zu tieferer Er2"

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Der Gottesdienst im Neuen Testament

kenntnis führen (Phil 3,15. Eph 1,17) und so dem Aufbau der Gemeinde dienen können. Die Gesichte der Apokalypse sind ihr großartiges Beispiel. — Hierher gehört auch die „Weissagung" (irpo vom Wein und vom Wasser zu. Abwesenden werden die Elemente überbracht. Ein Wortgottesdienst hat sich durch den vorausgehenden Taufgottesdienst erübrigt. Kap. 66 läßt vermuten, daß im Eucharistiegebet auf den Einsetzungsbericht Bezug genommen wurde. Auch im „Dialog mit dem Juden Tryphon" erscheint die Eucharistie mit der memoria passionis verbunden (41 und 70). Eine solche entsprach anscheinend der durch Justin repräsentierten liturgischen Uberlieferung, die darum in den paulinischen Gemeinden ihre Wurzeln haben kann; das würde auch zum Lebensgang des Christen Justin passen. Die betonte Hervorhebung des „Amen" der Gemeinde zeigt noch ihre Mitbeteiligung am Liturgieren des „Vorstehers". Vielleicht sollte man auch die Uberbringung der gesegneten Elemente an Abwesende weniger aus heidnischem Sakramentalismus erklären als aus der Anschauung von einer Konstituierung des „Leibes Christi" im Herrenmahl, in die auch abwesende Gemeindeglieder eingeschlossen werden sollen. Für eine häusliche Eucharistiefeier war damit keine Veranlassung mehr. In den ersten Versen des 67. Kap. scheint Justin an das zu denken, was wir heute etwa den „Gottesdienst des Alltags" nennen. Man erinnert einander an den Gehalt der Eucharistie, und — er scheint es als dessen Folge zu verstehen — wer es vermag, hilft allen Bedürftigen, und man steht einträchtig zusammen. Dann fährt er fort: „Und bei allem, womit wir umgehen, loben wir den Schöpfer des Alls durch seinen Sohn Jesus Christus und durch den Hl. Geist." Wie gestaltet sich nun der Sonntagsgottesdienst? Man eilt zum Ort des Gottesdienstes aus Stadt und Land zusammen. Zunächst wird aus den Evangelien (TCI dirouvrinoveOucrra TCÖV ¿TTOOTOACOV) oder den Schriften der Propheten 3 Nagel, Gottesdienst

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Der Gottesdienst in der nachapostolischen Zeit

(TC* auyyp&upcrra TCÖV TrpocfiriTCöv) vorgelesen und zwar, „solange die Zeit reicht" (entweder auf die Zeit des Zusammenströmens der Gemeinde oder auf die für den Gottesdienst zur Verfügung stehende Zeit zu beziehen). Es folgen die Predigt des Vorstehers und ein stehend gesprochenes Gemeindegebet (etwa in der Form von I Clem). Die Eucharistie wird dann genau wie in 65 geschildert. Vielleicht verrät sich noch ein Wissen um das gottesdienstliche Gebet als Aufgabe des Charismatikers in der Bemerkung, daß die Eucharistiegebete des Vorstehers in ihrer Ausdehnung davon abhängen, „wieviel er vermag" (6CTT| Süvams AÜTCÖ). Bei Justin haben wir zum ersten Mal ganz eindeutig die Verbindung von Wort- und Mahlgottesdienst vor uns. Die Eucharistie hat sich von der Agape völlig gelöst, während nun der Wortgottesdienst den Umrissen nach an den der Synagoge erinnert. Das eucharistische Gebet hat vielleicht die Einsetzungsworte eingeschlossen. Das hängt davon ab, wie man die Wendung „ T p v 6 1 ' s ü x f j s Aöyou T O Ü irap' aCrroö ei>XapiaTTi96iT|Vi( (66) versteht. Sie kann bedeuten: „die Nahrung, die durch das Beten eines von ihm stammenden Wortes (sc. des Einsetzungsberichtes bzw. der Deuteworte) eucharistiert ist." Man kann aber auch in dem „von ihm stammenden Wort", das hier „gebetet" wird, das Vaterunser erblicken. Da jedoch in der Alten Kirche durchweg in der sogen. „Epiklese" die Wandlung der Elemente durch den hl. Geist erfleht wird, liegt folgendes Verständnis nahe: „die durch das Gebet um den von ihm (ausgehenden) Logos geweihte Speise" (Justin kann das Wort „Logos" sowohl vom Sohn wie vom Geist gebrauchen). Wir hätten dann an dieser Stelle das älteste Zeugnis für die Epiklese.

Die bei Justin zugrunde liegende Opfervorstellung erscheint noch schwebend. Jedenfalls dankt man nicht nur „über" der heiligen Speise und „für" diese, sondern auch mit ihrer Darbringung. So wird für Justin die Eucharistie

Die Ergebnisse zur Erfüllung von Mal Tryphon 41).

1,11 (Dialog mit dem

35 Juden

2. Die Ergebnisse Der von der Apg bezeugte „Jerusalemer" Typus der Mahlfeier, von eschatologischer Freude und Parusieerwartung geprägt, begegnet uns nur noch in der Didache. Der von der memoria passionis bestimmte „paulinisdie" Typus gewinnt statt dessen Raum. Agape und Eucharistie trennen sich immer deutlicher voneinander; während die Agape an Bedeutung verliert, wird die Eucharistie zum sonntäglichen Gottesdienst der Gemeinde. Wieweit daneben als zweite regelmäßige Gottesdienstform ein Wortgottesdienst begangen wurde, ist nicht feststellbar. Jedenfalls tritt uns bei Justin in der ältesten Bezeugung des Gottesdienstaufbaus ein zur Einheit verbundener Wort- und Mahlgottesdienst entgegen. Auf die Eucharistie wird die Vorstellung eines „Opfers" übertragen, und Termini des antiken Opferdenkens dringen in die Sprache des christlichen Gottesdienstes ein. Noch bleibt in der Schwebe, wieweit das Verständnis der Eucharistie sich dadurch zu verändern beginnt. Jedenfalls nimmt die Laiengemeinde noch aktiv am Gottesdienst teil; durch Zutragen der Elemente in die Häuser Abwesender soll sie noch in ihrer Gesamtheit in die communio (= Mahlgemeinschaft) einbezogen werden.

III. Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst Wenn in der nachapostolischen Zeit das Gottesdienstliche zusehends aus der Sphäre des Privaten herausrückt und zu dem die ganze Gemeinde zusammenführenden Zentrum ihres geistlichen Lebens wird, so wächst es damit zugleich in 3'

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Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst

eine straffere Ordnung hinein. Trotzdem verrät sich auch noch in diesem Zeitraum etwas von der Unmittelbarkeit der Geisteswirkungen und der leidenschaftlichen Parusieerwartung der Anfänge. In der zweiten Hälfte des 2. Jh.s zwingen nun die innere Gefährdung durch den Gnostizismus und die Gegnerschaft des römischen Staates die Gemeinden der Ökumene, die sich im Glauben stets als die eine Ekklesia Gottes gewußt haben, auch äußerlich zueinander. Auf der Grundlage der regula fidei ( = Glaubensbekenntnis), des monarchischen Episkopates, der in der Ausübung des apostolischen Lehramtes kraft der auf die Apostel zurückgeführten Traditionskette die Zuverlässigkeit der kirchlichen Überlieferung gewährleisten sollte, und des „apostolischen", dem Alten Testament gleichgestellten neutestamentlichen Kanons erwächst die alte katholische Kirche. Im Zuge dieser Gesamtentwicklung mußte man auch das gottesdienstliche Leben immer fester ordnen und dessen inhaltliche Gestaltung wie rechtes Verständnis gegen unkatholische Auffassungen sichern. Dieser Zeitraum reicht von der zweiten Hälfte des 2. Jh.s bis zur Entstehung der Reichskirche am Anfang des 4. Jh.s. 1. Die Quellen Der gegen Ausgang des 2. Jh.s in Lugdunum (Lyon) wirkende, aus Kleinasien stammende Irenaus ist auch für das theologische Verständnis der Eucharistie nicht ohne Bedeutung. Für ihn verbindet sich durch das Gebet über den irdischen Elementen mit diesen ein himmlisches Element, so daß sie dadurch Leib und Blut Christi sind (adv. haer. IV 18,4.5). So wird die Eucharistie zu etwas Gegenständlichem, während die gleiche Bezeichnung auch weiter vom Dankgebet als solchem gebraucht wird. Im Sinn des Opferschemas nennt Irenäus die Eucharistie „die neue oblatio, die die Kirche von den Aposteln empfangen hat

Die Quellen

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und in der gesamten Welt Gott darbringt" (adv. haer. IV 17,5; 18,4). Ein Schüler des Irenaus war der am Anfang des 3. Jh.s wirkende römische Presbyter und spätere Schismatiker Hippolyt, dessen Leben und Schrifttum noch viele ungelöste Probleme bietet. Seine „Apostolische Überlieferung" (diroaToAiKTiirapÄSoCTis), die seinen Gegnern die rechte „apostolische" Ordnung entgegenstellen soll, ist eine der wertvollsten liturgischen Urkunden der alten Kirche. Da zu jener Zeit das Stadium liturgischer Improvisation noch nicht überwunden war, konnte Hippolyt um so eher eigene Gebetsformulierungen als Modellformen anbieten. Diese Schrift hat ihre Wirkung auch im Osten tun können, weil im 3. Jh. die Sprache der römischen Kirche noch Griechisch war. Auf deren schwierige Überlieferungsgeschichte können wir hier nicht eingehen. E. Schwartz erkannte 1910 die „Apostolische Überlieferung" in der sogen. „Ägyptischen Kirchenordnung". Der Text ist unvollständig in altlateinischer Sprache, so gut wie vollständig in koptischer, äthiopischer und arabischer Übersetzung erhalten. 1963 hat Dom B. Botte unter kritischer Verwertung aller Textzeugen eine Rekonstruktion des Textes vorgelegt. Von der Eucharistie berichtet die „Traditio" zweimal, einmal in Verbindung mit der Bischofsweihe (Botte, S. 10 ff.), dann mit der Taufe (Botte, S. 54 ff.). Aus der Taufmesse muß folgendes hervorgehoben werden: Das eucharistische Beten (eüxapicjTEiv) wird eindeutig auf die Elemente als sein Objekt bezogen. Sie werden als „Abbild" (AVTITUTTOJ) des Leibes und des Blutes Christi gewertet, überraschend ist es, daß der Bischof drei Kelche weiht, einen mit Mischwein, einen mit Milch und Honig (in Erinnerung an die dem Gottesvolk gegebene Verheißung), einen mit Wasser zum Zeichen der Reinigung des inneren Menschen. Vor der Kommunion erfolgt die Brechung des Brotes, und der

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Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst

Kommunikant erhält eine Partikel mit den Worten „Das himmlische Brot in Christo Jesu", vom Empfänger mit „Amen" bestätigt. Die Spendung der drei Kelche begleiten die Worte „In Gott, dem allmächtigen Vater", „In dem Herrn Jesus Christus", „In dem Hl. Geist und der hl. Kirche"; der Empfänger antwortet mit „Amen". Bei der Schilderung der Taufe begegnet uns auch zum ersten Mal das römische Taufbekenntnis, das sogen. „Apostolicum", das später auch für den Gottesdienst Bedeutung gewinnen sollte. Hippolyt erwähnt den Wortgottesdienst nicht, weil an dessen Stelle in dem einen Fall die Taufhandlung, im andern die Bischofsweihe stattfindet. Bei der Eucharistie im Anschluß an die Bischofsweihe wird ein auch für die Folgezeit typisches Eucharistiegebet überliefert. Nach einer Salutatio ( = Wechselgruß) beginnt es mit der Präfation, diese eingeleitet durch das „Sursum corda!" ( = Empor die Herzenl) und die Aufforderung „Lasset uns danken dem Herrnl", beide von der Gemeinde entsprechend beantwortet. Das an paulinischen Christozentrismus gemahnende Dankgebet hat die Sendung Christi (er wird bezeichnet als „dein von dir untrennbares Wort" im Sinn von Joh 1,1 ff.) zum Retter, Erlöser und Boten des göttlichen Willens mit besonderer Betonung seiner Passion zum Inhalt. Es geht über in die Verba testamenti. Aus deren Schlußsatz „wann ihr dies tut, begeht ihr mein Gedächtnis" ergibt sich die Anamnese seines Todes und seiner Auferstehung; diese Anamnese geschieht zugleich durch die Darbringung von Brot und Kelch. Die anschließende Epiklese hat folgenden Wortlaut: „Und wir bitten, daß du deinen Hl. Geist in die Opferdarbringung der hl. Kirche senden mögest. Indem du sie vereinigst, gib allen Heiligen, die davon empfangen, daß sie mit dem Hl. Geist zur Befestigung ihres Glaubens in der Wahrheit erfüllt werden, damit wir dich loben und verherrlichen durch deinen Knecht Jesum Christum, durch welchen dir

Die Quellen

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Ruhm und Ehre sei, dem Vater und dem Sohn zusammen mit dem Hl. Geist, in deiner heiligen Kirche jetzt und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen." Im Bischofsweihegebet wird unter dessen Funktionen ausdrücklich genannt, er habe die Gaben der Kirche darzubringen. Demgemäß bringen die Diakonen vor dem Eucharistiegebet dem neugeweihten Bischof die oblatio in Gestalt von Brot und Wein herzu. Er legt dann während des Betens zusammen mit den Presbytern auf Brot und Kelch die Hände. Aus diesem Zutragen der oblatio hat sich die Opferprozession, das Offertorium, als selbständiger liturgischer Akt entwickelt. Das Verständnis der Eucharistie ist bei Hippolyt in hohem Grade vom Opferdenken her bestimmt. Das zeigt deutlich die Epiklese: wenn vom Genuß der mit hl. Geist erfüllten Opferdarbringung (oblatio) geistliche Wirkungen erwartet werden, so erinnert das doch an Erwartungen, die andere Religionen an den Genuß von Opferfleisch knüpfen. Wie weit die Epiklese hier schon „Konsekrationsmoment" (K. = Wandlung der Elemente) bedeutet, darüber besteht in der Forschung keine Einmütigkeit. In der Mysterienlehre Odo Casels (s. S. 210) ist der Versuch unternommen worden, den in der Alten Kirche sich entwickelnden Opferbegriff von den antiken Mysterienkulten her zu verstehen. Im kultischen Handeln der Kirche werde demgemäß die Heilsgeschichte „gegenwärtig gesetzt", und darum handele es sich bei der Eucharistie nicht um ein von der Kirche neu zu vollziehendes Opfer. „Dies Sakrament wird ,Opfer' (sacrificium) genannt, soweit es gerade die Passion Christi vergegenwärtigt", mit diesen Worten des hl. Thomas könne man den tatsächlichen Sachverhalt am zutreffendsten ausdrücken (Summa III qu. 73 a. 4 ad 3). Die Agape (Botte, S. 64 ff.) hat sich von der Eucharistie völlig gelöst. Hippolyt nennt sie aber noch „Herrenmahl"; nur der Bischof oder ein ihn vertretender Presbyter, not-

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Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst

falls ein Diakon, dürfen sie halten. Laien pflegen zu ihr einzuladen. Mancherlei Hinweise auf den Gottesdienst ergeben sich aus dem Schrifttum des Tertullian, des Cyprian und des Origenes. Auch der Afrikaner Tertullian (etwa 195 getauft, gest. nach 220) beschreibt die Agape als eine von der Eucharistie getrennte Feier (Apol. 39). Von den Stücken des sonntäglichen Gottesdienstes nennt er Lesung (De monog. 12. De praescr. haer. 36,51. Adv. gentes 22), Psalmgesang zwischen den Lesungen (De anima 9), Predigt, Fürbittengebet (De anima 9) mit dem Friedenskuß (De orat. 18. Ad uxor. II, 4). An Stelle der einst so leidenschaftlichen Enderwartung betet man nun im Gemeindegebet um „Aufschub des Endes" (mora finis — Adv. gentes 39 B). Der Gottesdienst mit der Eucharistie soll allmorgendlich vor jeder anderen Mahlzeit begangen werden (Ad ux. II, 5. De cor. 3. De orat. 8) und zwar die Eucharistie nach Entlassung der Katechumenen und Pönitenten (De praescr. haer. 41. Adv. gentes 39). Aus der Abendmahlsliturgie wird (wahrscheinlich) das Trishagion erwähnt (De orat. 3), ebenso die Einsetzungsworte (Adv. Marc. IV, 40). Wenn Tertullian vom Vaterunser als der „legitima oratio" spricht, wird auch dieses ein Stück dieser Liturgie gewesen sein. Sonst heißt es von der Eucharistie nur ganz allgemein: „über dem Brot handelt man mit Danksagungen zu Gott" (Adv. Marc. I, 23). Vielleicht in Auswirkung der Opfervorstellung gibt es bereits Oblationen der Brautleute (Ad uxor. II, 9), solche für Verstorbene (De cor. 3. De exh. cast. 11. De monog. 10) und für Märtyrer (De cor. 3). Die Kommunionsgabe wird mit den Händen entgegengenommen (De idol. 7) und das Spendewort (?) mit „Amen" beantwortet (De spect. 25). Schon kündigt sich die Sorge an, es könne etwas davon zu Boden fallen (De cor. 33). An einem Fasttag kann der Leib des Herrn mitgenommen wer-

Die Quellen

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den, um ihn nach dessen Ende zu genießen (De orat. 19. Vgl. ad ux. II, 5 u. 4). Man betet mit erhobenem Haupt und ausgestreckten Händen gen Osten, Frauen tragen den Schleier (De orat. 14; 17; 22). An Sonntagen und in der österlichen Freudenzeit betet man stehend, in der Fastenzeit kniend (De cor. 3. De orat. 3; 23). Cyprian von Karthago (um 246 Christ, gest. 258), von Tertullian stark beeinflußt, darf „der maßgebende Lehrer der abendländischen Kirche vor Augustin" genannt werden. Die von ihm vertretene Auffassung des Abendmahles hat sich demgemäß in der westlichen Kirche tiefgehend ausgewirkt. Der Vollzug der Liturgie geschah zwar zunächst noch nach den überkommenen Formularen, aber deren Verständnis und allmähliche Umgestaltung wurden mehr und mehr von Cyprians Anschauungen beeinflußt. W i e versteht er das Abendmahl? W a s bei Irenäus im Keim vorhanden w a r und im Eucharistiegebet des Hippolyt, speziell in der Epiklese, greifbar wurde, wird nun als das sachgemäße Verständnis der Eucharistie definiert: sie ist wirkliches Opfer, d. h. „unsere Darbringung des Blutes Christi" (ep. 63,9.15; 37,1; 72,2. De un. eccl. 17). Das darf man freilich nicht so verstehen, als ob für Cyprian Leib und Blut in der Eucharistie bereits real gegenwärtig w ä r e n (ep. 63,2.13; MPL 4, S. 374. 383). F. Loofs hat das, worum es hier geht, vielmehr eine „symbolisch-sakrifizielle Handlung" genannt. Gegenstand der priesterlichen Darbringung ist die ganze „passio domini" (ep. 63,17). Diese Opferdarbringung ist nun an die Kirche gebunden, weil ausschließlich der Priester an Christi Statt das wahre und vollgültige Opfer Gott darbringt und zwar in Nachahmung des Opfers Christi (ep. 63,14). W a s erfahren wir über den Vollzug der Liturgie? Cyprian bestätigt die bei Tertullian unsicheren Aussagen über tägliche Eucharistie (ep. 57,3; 58,1; 63,8. De orat. dorn. 18), ja, er

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Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst

hat anscheinend darauf gedrängt (De or. 18. Vgl. ep. 39,4). Den sonntäglichen Gottesdienst eröffnet die „feierliche Verlesung des göttlichen Wortes" durch den geweihten Lektor, der vom Lesepult (pulpitum) aus „das Evangelium Christi verkündet" (ep. 38,2). Ausdrücklich genannt werden nur Epistel- und Evangelienlesung (ep. 34,4; vgl. 25. MPL 4, S. 323. 288 f.). Beim eucharistischen Weihegebet („prex"-De or. 31) stehen Liturg und Gemeinde. Als Bestandteile lassen sich die Verba testamenti erschließen (ep. 63,16; vgl. auch ep. 63,10), während die Präfation (De orat. dorn. 31. MPL 4, S. 539) und die Anamnese ausdrücklich erwähnt werden (ep. 63,17). Das Ende der einstigen liturgischen Freiheit kündigt sich an, wenn Cyprian sich mit Entschiedenheit gegen einen wendet, der sich vom Bischof gelöst hat und bei der Eucharistie „ein neues Gebet mit unerlaubten Worten" verwendet (ep. 63,9.11.13 f.; vgl. ep. 75,10: „solita praedicatio"). Das Vaterunser wird als das „öffentliche und gemeinsame Gebet" hervorgehoben (De orat. dorn. 8,1). Die tägliche Kommunion wird dadurch erleichtert, daß es noch immer möglich ist, Teilchen des geweihten Brotes zu diesem Zweck nach Hause zu nehmen (De laps. 26). Kinderkommunionen finden statt (De laps. 25). Die liturgiegeschichtliche Bedeutung des Origenes (185 bis 254) beruht vor allem auf seinen Predigten. Durch sie hat er die Ausbildung der gottesdienstlichen Rede in Gestalt der Homilie, d. h. der dem Text von Vers zu Vers folgenden Auslegung, maßgebend bestimmt. Als Bestandteile der gottesdienstlichen Liturgie nennt er: Lesung und Predigt (In Rom. 9,2), Fürbittengebet (In Rom. 10,15), den Friedenskuß (In Rom. 10,33). Kraft des Eucharistiegebetes wird zwar das Brot zum „Leib" und damit zu „etwas Heiligem und Heiligendem" (Contra Celsum VIII,33) — In Lev. hom. 13,3 bezeichnet er das Brot als „Brot der Versöhnung" —, doch im Grunde gilt für Origenes die Anamnese

Die Ergebnisse

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als „das Einzige, was Gott den Menschen geneigt macht". Ja, er kann ausdrücklich sagen: wir essen „die mit Danksagung und Gebet über den Gaben dargereichten Brote" (Contra Celsum VIII,57). Auch sonst ist bei ihm ein Zug zur Vergeistigung des eucharistischen Opfers spürbar (Ad mart. 30). Wenn er erklärt „Alle Rede von Gott ist Brot" (In Lev. 13,3) oder das Hören des Wortes mit „Trinken des Blutes Christi" vergleicht (In Nm. 16,9), so liegen Rückschlüsse auf ein symbolisches Verständnis der Kommunion nahe. Doch vergessen wir nicht, man kann Origenes trotz seiner theologiegeschichtlichen Bedeutung nicht einfach als Vertreter der kirchlichen Lehre ansehen. 2. Die Ergebnisse Die aus den antiken Religionen hereinwirkenden Opfervorstellungen führen zu einer sich zunehmend vertiefenden Wandlung im christlichen Gottesdienstverständnis. Wir sahen oben (s. S. 28f.), wie das frühe Christentum den Begriff „Opfer" nur in übertragenem Sinn sich zu eigen gemacht hat. Immerhin gebraucht schon das Neue Testament das Bild eines Opfermahles für das Herrenmahl (1 Kor 10,14 ff.; Hebr 13,10 ff.). Mag auch die Didache die Bezeichnung „Opfer" für die Mahlfeier im Blick auf die Dankgebete wesentlich noch als „Lobopfer" verstanden haben, so sind bereits bei Justin die Elemente selbst zur „eucharistierten Speise" geworden (s. S. 33). Von diesem Ausgangspunkt entwickelt sich in unserm Zeitraum das Herrenmahl zu einer spezifischen Opferhandlung. Dabei haben eine ganze Anzahl verschiedener Momente ineinander gegriffen: nicht nur neue Gesichtspunkte theologischer Deutung, deren wichtigste wir erwähnt haben, sondern vor allem der wachsende Einfluß der religiösen Umwelt durch Neubekehrte, sicherlich auch die Abtrennung der Eucharistie von

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Die frühkatholische Zeit und ihr Gottesdienst

der gemeinsamen Mahlzeit und nicht zuletzt die Bindung der Feier an den Leiter der Gemeinde als eine Art „Opferpriester". Cyprian hat schließlich das Abendmahl als die Opferhandlung der Kirche theologisch definiert, und sein Verständnis ist für die Folgezeit von nachhaltiger Wirkung geworden. Diese Entwicklung zeitigt drei weitere Auswirkungen: 1. Es ist mindestens seit Justin unwiderleglich, daß sich im sonntäglichen Gottesdienst Wortverkündigung und Eucharistie miteinander verbinden. Aber die Hinweise auf den Wortgottesdienst sind in den Quellen relativ spärlich. Man meint diesen abzuspüren, wie das Schwergewicht des gottesdienstlichen Geschehens sich zunehmend auf die Eucharistie verlagert. 2. Das Opferdenken läßt den Leiter des Gottesdienstes wieder in die Stellung eines „Priesters" hineinwachsen, der als solcher allein befugt und qualifiziert ist, ein gültiges Opfer darzubringen. Bereits Justin ist gelegentlich der Meinung, Gott nehme nur durch seine Priester Opfer an (Dial. c. Tr. 116). Tertullian bezeichnet besonders deutlich den Wendepunkt: einerseits ist er noch ausgesprochen der Anwalt des allgemeinen Priestertums aller Christen (besonders in seinen montanistischen Schriften), andererseits kann er bedenkenlos den Begriff „sacerdos" (Priester) verwenden, ja, rechnet er bereits mit der mittlerischen Kraft priesterlicher Gebete (im Zusammenhang mit der oblatio für Verstorbene). Bei Cyprian ist diese Entwicklung zusammen mit der des Opferbegriffs zum Ziel gekommen. 3. Wenn das Abendmahl von Anfang an nur den Getauften zugänglich war, so ist das begreiflich. Von da her mag schon die verhaltene Sprache des Lk-Evangeliums (im kürzeren Abendmahlstext) und des Joh-Evangeliums vom Herrenmahl zu verstehen sein (vgl. auch Hebr 6,4f.). Doch noch Justin kann es verantworten, den Gang auch der

Allgemeine Charakterisierung

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Eucharistie in seiner „Apologie" offen darzulegen, schon um allen bei den Feinden des Christentums umgehenden Gerüchten zu begegnen. Bei Hippolyt wird das anders, wenn er nicht nur von der Tauf-, auch von der Abendmahlsordnung sagt: „Die Ungläubigen sollen es nicht erfahren" mit einem Schriftbeweis aus Apk 2,17 (TU 58, 1954, 24 f.). Es ist die Stimmungswelt der Mysterienfeier, die zusammen mit dem Opferbegriff immer stärker in das Christentum eindringt. Sie umgibt alle Riten, Formeln und Darbringungen mit der Pflicht zur Geheimhaltung vor der profanen Welt. Infolgedessen beginnt sich gegen Ende des 3. Jh.s die Arkandisziplin (fides silentii, Verpflichtung zum Schweigen) herauszubilden, die dann im 4. Jh. in vollem Umfang festzustellen ist. Vielleicht hängt es sogar damit zusammen, daß wir für die frühkatholische Zeit (mit Ausnahme Hippolyts) im wesentlichen auf Einzelhinweise für das gottesdienstliche Leben angewiesen sind. Wieweit übernommenes Mysteriendenken die Eucharistie geradezu als mystagogischen Vorgang aufgefaßt hat, wird sich kaum mehr feststellen lassen. Daß von vielen Getauften, die aus jener religiösen Sphäre kamen, etwa der eucharistische Gebetsakt im Sinn jener Hymnen verstanden worden ist, durch die im Mysteriendrama die Epiphanie der Gottheit für die Eingeweihten herbeigeführt werden sollte, scheint mir keine Frage.

IV. Die Liturgien im Osten der Reichskirdie seit dem 4. Jh. 1. Allgemeine Charakterisierung Die grundlegende Wandlung, die das Verhältnis von Staat und Kirche durch die Religions- und Kirchenpolitik Konstantins d. Gr. erfuhr und die nach einer kurzen Reak-

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Die Liturgien im Osten der Reichskirche

tion des Heidentums unter Julian Apostata zur Anerkennung der katholischen Kirche als allein berechtigter Staatskirche führte (380), wirkte sich auch in hohem Maß auf die gottesdienstliche Entwicklung aus. Zunächst ging es darum, dem Gottesdienst ein äußeres Gewand zu geben, wie es seiner neuen Stellung im öffentlichen Leben des Reiches entsprach. Demgemäß umkleidete man das gottesdienstliche Gefüge, wie es die vorangegangenen Jahrhunderte geformt hatten, mit einem prunkvollen Zeremoniell, dessen Bestandteile man dem Ritual antiker Kulte, aber auch dem kaiserlichen Hofzeremoniell entnahm. Der Hervorhebung des Priesterstandes gegenüber der Masse der „Laien" entsprach die liturgische Gewandung, wie sie nun üblich wurde. Die dogmatischen Kämpfe um Trinität und Christologie blieben nicht ohne Wirkung auf die Liturgie. Wo immer Gebetsformulare und Doxologien noch heilsökonomische Vorstellungen von der Trinität ( = die Tr. im Handeln Gottes offenbar) und eine subordinatianische Christologie ( = Christi Unterordnung unter den Vater) bewahrt hatten, wurden diese im Sinn der Orthodoxie umgestaltet. Damit wurde der Liturgie zugleich eine Aufgabe zugemutet, die ihr im Grunde nicht wesensgemäß ist: wo sie zuvor der unmittelbare Ausdruck des die ganze Gemeinde erfüllenden und bewegenden Glaubens war, sollte sie nun zugleich Mittel dogmatischer Belehrung, ja, Kampfinstrument gegen Häretiker werden. Vielleicht nicht ohne inneren Zusammenhang damit begann man die breit dahinströmenden Gebete zu kürzen — sicher kein Zeichen für lebendiges liturgisches Beten. Der nun einsetzende Zustrom der Massen mag auch Gottesdienste von der bisherigen Länge nicht mehr ermöglicht haben. Die dogmatisch gereinigten Liturgien werden fast ausnahmslos unter die Autorität apostolischer Namen oder bedeutender Vertreter der reichskirchlichen Orthodoxie gestellt; dadurch soll ihre verpflichtende Bedeutung

Ägypten

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unterstrichen werden. In dieser Berufung auf apostolische Autorität gibt die Orthodoxie zugleich ihrer Uberzeugung Ausdruck, im Ertrag der leidenschaftlichen dogmatischen Kämpfe Kernwahrheiten der apostolischen Verkündigung für die Folgezeit sichergestellt zu haben. Von dieser Überzeugung mögen auch Antriebe zu wachsender Vereinheitlichung des Gottesdienstes ausgegangen sein. Viel stärker ist diese Vereinheitlichung noch durch den organisatorischen Ausbau der Reichskirche vorangetrieben worden. Wenn im 4. Jh. zunächst noch jede Gemeinde von einiger Bedeutung ihr eigenes Gottesdienstformular besessen hat, werden nun die kirchlichen Metropolen für die Gottesdienstgestaltung größerer Bereiche maßgebend. Im Osten sind es Alexandria und Antiochien, zu denen dann in erster Linie Jerusalem und weiterhin Konstantinopel hinzukommen, im Westen Rom und Mailand. Als dieser ganze Prozeß im 7. Jh. zu Ende geht, haben sich wenige Haupttypen der Liturgie herausgebildet. Die spätere Zeit hat in den östlichen Kirchen am Ergebnis dieser Entwicklung nichts Wesentliches mehr geändert, während der Westen allmählich erst einer Vereinheitlichung im Sinn der römischen Liturgie zustrebt, wobei die Romanisierung der Liturgie des merowingischen Galliens dem Einfluß Jerusalems auf Konstantinopel zu vergleichen ist. Trotzdem sind auch hier gegenüber dem im 7. Jh. erreichten Entwicklungsstand keine Eingriffe in die Substanz des Gottesdienstes mehr erfolgt. 2. Ägypten Das Euchologion des unterägyptischen Bischofs Serapion von Thmuis (gest. etwa 362), 29 von ihm verfaßte oder auch nur gesammelte und vielleicht überarbeitete Gebete, hat darin seine Bedeutung, daß es uns eine klare Vorstellung vom liturgischen Beten jener Zeit vermittelt.

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Am wichtigsten ist darin das Darbringungsgebet (süxil -rrpoatpöpou) des Bischofs (TU NF 2, 3 b. Nr. 1). In seiner theologisierenden und zugleich an rhetorische Formen der Zeit erinnernden Sprache strömt es breit dahin. Zunächst wird der unerschaffene, unsichtbare Gott gepriesen, der sich vom Sohn hat erkennen lassen und durch ihn sich den Heiligen offenbart hat. Daraus erwächst die Bitte um rechte Erkenntnis durch das Werk des Geistes und des Herrn Jesu in den Betern, der Aufblick zu den Engelchören, in deren Mitte Gott thront, und das Einstimmen in den Lobgesang des Dreimalheilig. In der Art auch später ägyptischer Liturgien geht nun das Gebet zu den Einsetzungsworten über und zwar mit dem epikleseartigen Satz „Erfülle auch dieses Opfer mit deiner Kraft und deiner Einflußnahme (Tfjs 0% HETaAriyecos). Dir nämlich haben wir dieses lebendige Opfer dargebracht, dieses unblutige Opfer. Dir haben wir dargebracht dies Brot, die Gleichnisgestalt (¿(joicopa) des Leibes des Eingeborenen." Zwischen die Brot- und die Kelchworte des Einsetzungsberichtes ist ein Gebet um Vergebung der Sünden und das Gebet um Vereinigung der zerstreuten Kirche aus der Didache (9,4) in erweiterter Form, aber ohne den eschatologischen Bezug (s. S. 27) eingeschoben. Die folgende Epiklese bittet darum, daß der Logos das Brot zum „Leib des Logos" und den Kelch zum „Blut der Wahrheit" wandeln möge. So möge daraus für die Kommunikanten ein leibliches „Heilmittel" und geistliche Stärkung werden. Danach wird für das Volk gebetet, für die Verstorbenen (mit Namensnennung) und für die Spender der Oblation. Die abschließende Doxologie hat die für das 3. und 4. Jh. charakteristische Form „durch deinen Eingeborenen, Jesus Christus, im Hl. Geist." Statt der paulinisdien Linie der memoria passionis begegnet uns hier wieder ein Gebetstypus von der Art der Didache; demgemäß fehlt eine Anamnese. Die erwähnte Epiklese vor

Ägypten

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den Verba testamenti madit den Stiftungsbericht gleichsam zum nachträglichen „Schriftbeweis" f ü r das dargebrachte Opfer. Da das sakramentale „Tun" bereits vollzogen ist, fehlt auch der Wiederholungsbefehl. So erscheint es nicht unmöglich, daß in der von Serapion repräsentierten liturgischen Überlieferung die Verba testamenti ursprünglich ganz gefehlt haben (wie in der Didachel). Das Fragment von Der-Balyzeh in Unterägypten (etwa 4. Jh.) überliefert den Wortlaut eines Eucharistiegebetes vom Sanctus ab. W i e im Euchologion folgen die Einsetzungsworte einer Epiklese. Hier aber findet sich eine Anamnese an Tod und Auferstehung (nach 1 Kor 11,26). Der nach einer Lücke vorhandene Schluß des Gebetes läßt auf eine Bitte um gesegneten Genuß schließen. Dieses „Hochgebet" ( = der die W a n d l u n g einschließende Gebetsakt beim Abendmahl) ist deutlich von der sonst in der syrischen Liturgie sich auswirkenden paulinischen Tradition beeinflußt. Das Euchologion wie das genannte Fragment stehen in engem Zusammenhang mit der alexandrinischen, dem Markus zugeschriebenen Liturgie. Sie darf als die für Ägypten charakteristische Liturgie gelten. Ein in der gesamten liturgischen Tradition einmaliges Element bedeutet das epikletische Gebet vor den Einsetzungsworten, das der Markusliturgie mit Serapion und dem Fragment gemeinsam ist. Die später folgende zweite Epiklese wird man bei Serapion wie der Markusliturgie (im Fragment weggebrochen) aus der Einwirkung syrischer Tradition zu erklären haben, zumal die Markusliturgie dieser auch sonst nahesteht. Vielleicht sind überhaupt erst von da her die Verba testamenti und dann eine Anamnese in die ägyptische Liturgie eingedrungen, um eine weitere Epiklese zur Folge zu haben. Die Markusliturgie verrät durch ihre Beteiligung der Gemeinde in der Form von Responsorien 4

Nagel, Gottesdienst

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( = liturgische Antwortgesänge) noch ein Wissen um die Bedeutung des priesterlichen Mithandelns der Gemeinde im Gottesdienst. Die Markusliturgie ist zusammen mit anderen koptischen Formen später von der Basiliusliturgie verdrängt worden, w ä h r e n d die Monophysiten Liturgien aus syrischer Tradition übernahmen. (Text der Markusliturgie in: Brightman, Liturgies eastern and western. Bd. I, 1896. S. 113 ff.) 3. Syrien Weit gewirkt hat der nordsyrische Ritus, repräsentiert durch die Liturgie von Antiochia. Wahrscheinlich dürfen wir sie in den Apostolischen Konstitutionen aus dem Ende des 4. Jh.s (F. X. Funk, Didascalia et Constitutiones Apostolorum. 2 Bde. 1905) erkennen, selbst wenn in diesen ein Idealformular auf Grund der Ortsliturgie vorliegen sollte. Dieses in 8 Büchern vorliegende, aus stark überarbeiteten Quellen kompilierte kirchenrechtliche W e r k bietet in Buch I—VI die sogen. „Didaskalia, d. i. die katholische Lehre der 12 Apostel und hl. Schüler unseres Erlösers", im VII. Buch eine Überarbeitung der Didache (Kap. 1—32) und eine auch später gebrauchte jüdische Gebetssammlung (Kap. 33—38), während Buch VIII die sogen. „Ägyptische Kirchenordnung" (s. S. 37) neben anderem verarbeitet hat. Hier findet sich in Kap. 5—15 die wichtige sogen. „Clementinische Liturgie" (nach der angeblichen Herkunft des ganzen Werkes von dem Apostelschüler Papst Clemens I.). Den Liturgiewissenschaftler interessieren vor allem Buch II und VIII durch ihre reichhaltigen, einander ergänzenden Angaben über die Gottesdienstordnung. Buch II bietet in Kap. 57 den Verlauf des sonntäglichen Gottesdienstes (vgl. 11,59): vier Lesungen (aus dem Alten Testament, der Apg, den paulinischen Briefen, den Evangelien) —• zwischen j e 2 Lesungen ein zwischen Psalmsänger

Syrien

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(11,27) und Gemeinde responsorisch gesungener Psalm — Predigten einiger Presbyter und des Bischofs — Entlassung der Katediumenen und Büßer — stehend gen Osten gesprochenes Gebet — Herzutragen der Prosphora durch die Diakone, die zugleich für Ruhe im Gotteshaus zu sorgen haben — Ruf des Diakons: „Keiner sei wider den anderen, keiner ein Heuchler!" — Friedenskuß—Ektenie ( = Gebet, bei dem der Diakon die Gebetsanliegen nennt, die Gemeinde sie mit „Herr, erbarme dich!" aufnimmt und der Liturg mit einem Kollektengebet abschließt) — Segen des Bischofs, erweitert aus 4 Mose 6. Nun folgt die Opferhandlung (öuaia), während der die Gemeinde stehend in stillem Gebet verharrt. Man kommuniziert in einer bestimmten Ordnung. Wie sehr sich der Stimmungsgehalt der Mahlfeier, nicht ohne Einfluß der Mysterienfrömmigkeit, verändert hat, zeigt die Feststellung, daß man „mit Scheu und frommer Furcht" den Herrenleib und das Blut empfange, wie auch die Diakone bei der Prosphora nur mit Furcht dem Leib des Herrn dienen könnten. Die Agape ist zur Speisung armer Gemeindeglieder herabgesunken; trotzdem erhält die Priesterschaft ihren Anteil davon (11,28). In welcher Weise ergänzt die Clementinische Liturgie diese Angaben des II. Buches? Sie stellt den Gottesdienst im Anschluß an eine Bischofsweihe dar und zwar in folgender Ordnung: vierfache Schriftlesung (hier aus Gesetz, Propheten, Episteln oder Apg, Evangelien) — Salutatio — Predigt des Bischofs als ermahnender Zuspruch und Lehre — Entlassung anwesender Nichtchristen — viergliedriges Gebet für die Katechumenen, Energumenen, Täuflinge und Büßer mit Entlassung jeder Gruppe nach dem ihr geltenden Gebetsakt — allgemeines Fürbittengebet — Friedensgruß und Friedenskuß — symbolische Handwaschung — die Diakone sollen nun auf würdige Haltung der Gemeinde und die Türen achten, damit kein Fremder eintrete; es ist ja die Stunde der „Anaphora", wie jetzt im Osten die gesamte Eucharistiefeier benannt wird. Ein Diakon mahnt die Gemeinde zu Ordnung und rechter Haltung gegenüber dem Bruder. Dann fordert er auf, „mit Furcht und Zittern 4'

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vor dem Herrn" darzubringen. — Herzubringen der Oblationen zum Altartisch — mit Wechselgruß eingeleitetes Eucharistiegebet des Bischofs. Dies Gebet stellt die Forschung allein schon durch seine Ausdehnung vor schwierige Fragen. Ist es in dieser Länge tatsächlich gebetet worden? Ist es nur eine Art „Musterformular", das dem Bischof Material für das erst von ihm zu gestaltende Gebet darbieten sollte? Wie weit sind dafür ältere Quellen (jüdische!) benutzt worden? Mir scheint dies Stück am ehesten so gemeint, daß es dem Liturgen Hilfe zu meditativer Versenkung in die Heilsgeschichte geben wollte, aus der dann als Frucht sein eigenes Gebet erwachsen sollte. Immerhin ist dies „Eucharistiegebet" ein Beispiel dafür, welchen Aufbau man in Antiochien am Ende des 4. Jh.s dem Hochgebet gegeben hat. Das Dankgebet, dem das „Sursum corda" und die Aufforderung zum Danken in dialogischer Form vorausgehen, gliedert sich durch das vom Volk aufzunehmende Sanctus in zwei große Teile. Das Ante-sanctusgebet ( = Gebet vor dem „Heilig") preist Gott als den Schöpfer. Die Sprache der Philosophie hat hier gegenüber der der Bibel das Übergewicht. Der Betrachtung der Schöpfung und des Loses Adams folgen die Wohltaten Gottes an den Vätern bis hin zur Eroberung Jerichos (Bousset hat nachgewiesen, daß dieser Teil auf jüdische Grundlagen zurückgeht). Es folgt hier das Sanctus, eingeleitet in Anlehnung an Jes 6,2; Jes 6,3 spricht das Volk. Der Post-sanctus-Teil ist der Dank für Christi Menschwerdung und Erlösungswerk. Diese Betrachtung führt bis zur Himmelfahrt. Danach wird zu den Verba testamenti übergeleitet. Diese sind schon wie später durch ausmalende Wendungen erweitert und werden mit 1 Kor 11,26 (in Gestalt direkter Rede Jesu) abgeschlossen. An diese Mahnung schließt sich die Anamnese. Sie gilt seinem Leiden und Sterben, seiner Auferstehung, Himmelfahrt und Parusie. Mit der Anamnese ist die Anaphora (im engeren Sinn) verknüpft; die „Darbringung" wird hier auf

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Brot und Kelch gemäß Jesu „Anordnung" bezogen und mit dem Dank dafür verbunden, daß „du uns gewürdigt hast, vor dir zu stehen und dir priesterlidien Dienst zu leisten" (Opferhandlung und Priestertum gehören nun zusammen!). Die nachfolgende Epiklese erfleht den hl. Geist „auf dieses Opfer", um die Elemente zu Leib und Blut Christi zu „erklären" (rivi]) und durch sie bestimmte geistliche Wirkungen geschehen zu lassen. Gemäß einer zuerst bei Serapion sichtbar werdenden Entwicklung folgen unmittelbar auf das Weihegebet ausgedehnte Fürbittengebete. Sollte sich hier schon das Empfinden äußern, daß solche Fürbitten durch ihre Nähe zur Konsekration und Darbringung gesteigerte Aussicht auf Erhörung haben? I Danach folgt die Kommunion, die der Bischof mit dem Ruf „Das Heilige den Heiligen!" (nach 3 Mose 24,9 im LXX-Wortlaut) einleitet. Die Gemeinde antwortet mit dem Lobgesang „Einer ist heilig, einer der Herr, Jesus Christus zur Ehre Gottes des Vaters, hochgelobt in Ewigkeit. Amen.", dem das Gloria in excelsis ( = Lobgesang aus Lk 2,14) und ein erweitertes Hosianna folgen. Es wird in festgelegter Reihenfolge kommuniziert. Auf die Spendeformeln „Der Leib Christi" — „Das Blut Christi Kelch des Lebens" antwortet der Empfangende mit „Amen". Mit Danksagung, Entlassung und Segen geht die Feier zu Ende. Diese Form der Eucharistie hat auf die östliche Liturgie nachhaltig gewirkt. Wenn sie in einem kirchenrechtlichen Werk ihren Platz fand, so mag das schon im Sinn eines Anspruchs auf Verbindlichkeit zu verstehen sein. Nach Palästina und Antiochien gehört auch die den Apostolischen Konstitutionen sehr nahestehende, auf den Herrenbruder Jacobus zurückgeführte griechische Liturgie (Brigthman, a.a.O., S. 31 ff.). Ursprünglich die Liturgie von Jerusalem und zuerst 692 bezeugt, hat sie zwar starke

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Einwirkungen von Konstantinopel aufgenommen, ist so aber bis in die Gegenwart hinein praktiziert worden. Ihre Ausstrahlungen reichen bis Armenien und Äthiopien; sie wurde zur Hauptform der Eucharistie bei den Monophysiten ( = für diese die göttliche Natur als im Fleischgewordenen beherrschend). Den Konstitutionen „urverwandt" zeigt sich jene Liturgie, die Theodor von Mopsuestia (gest. 428) in seinen Tautkatechesen (ed. aus dem Syrischen von H. Lietzmann in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie 1933) erklärt hat. Sie mag in Cilicien in praktischem Gebrauch gestanden haben. Ihr Eucharistiegebet nähert sich bereits den Kurzformen späterer Zeit. Die Epiklese erfleht das Wirken des hl. Geistes auch unmittelbar an den Kommunikanten. Ob sich in der Beschränkung der Anamnese auf den Tod Jesu, wie das sonst nur gallikanische Messen haben, vielleicht ein Zug zur „Historisierung" der Liturgie geltend macht? Im Ausbau des Kirchenjahres ist dieser gleichzeitig ohne Zweifel festzustellen und mußte zur Folge haben, daß man nicht mehr in jedem Gottesdienst die Vergegenwärtigung der ganzen Heilsgeschichte erlebt. Die Reichskirche hat als historisch-politische Größe eben auch „historisch" denken gelerntl Ein neues Moment im konsekratorischen Handeln begegnet bei Theodor darin, daß der Bischof mit dem Brot über dem Kelch das Kreuzzeichen macht und die Elemente vereinigt, indem er ein Stückchen Brot in den Kelch legt. Die antiochenische Liturgie sollte später durch die von dem Antiochener Chrysostomus entscheidend beeinflußte Stadtliturgie von Konstantinopel zu weiter Auswirkung kommen (s. S. 58 f.). Neben Nordsyrien ist das östliche Syrien liturgieschöpferisch gewesen. Hier ist die „Anaphora der Heiligen Addai und Mari" zu nennen (Brigthman, a . a . O . , S. 252 ff.). In ihrem Kern vornizänischen Ursprungs haben ihr anschei-

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nend ursprünglich die Verba testamenti gefehlt. Sie ist später durch Liturgien beeinflußt worden, die unter dem Namen des Theodor von Mopsuestia und Nestorius bekannt wurden, und steht heute noch bei den Nestorianem und unierten Chaldäern in Gebrauch. Wie weit diese Liturgie in den Osten ausgestrahlt, zeigt die malabarische Liturgie der Thomaschristen (vgl. Brigthman, a. a. O., S. LXXVIII). Man faßt diese Gruppe von Liturgien auch als den „persischen Ritus" zusammen. 4. Jerusalem Man muß heute dieser Tradition in der Liturgiegeschichte eine größere Bedeutung zumessen, als das lange Zeit geschehen ist. Vom 4. Jh. an wurde Jerusalem zum Ziel zahlreicher Wallfahrer aus West und Ost. Sie übertrugen liturgische Ordnungen der heiligen Stadt in ihre Heimat, so daß zumal im 5. Jh. der Einfluß Jerusalems im Osten und Westen greifbar wird. Als älteste Quellen für die Jerusalemer Liturgie sind zu nennen: die meist noch auf den Bischof Cyrill zurückgeführten, wahrscheinlich von seinem origenistischen Nachfolger Johannes (gest. 417) stammenden Mystagogischen Katechesen (Lietzmann, Kl. Texte Nr. 5) und der Pilgerbericht der vornehmen Galläcierin (in Nordwestspanien) Aetheria (W. Heraeus, Silviae vel potius Aetheriae peregrinatio ad loca sancta, 4. Aufl. Heidelberg 1939). Die Eucharistie wird in der V. der Mystagogischen Katechesen behandelt. G. Kretschmar hat vor wenigen Jahren zuerst darauf hingewiesen, wie hier die eigenartige Gestaltung der Überleitung zum Trishagion und dessen Verkürzung nur auf das dreimalige Heilig den Schüler des Origenes verraten. Im Sinne seines Meisters versteht er das Trishagion als innertrinitarischen Lobgesang der in den Seraphen symbolisierten Personen Sohn und Geist; das „Alle Lande. .." läßt er weg, da er mit Origenes darin

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schon die Verheißung der Inkarnation erkennt. Die hier sich andeutende subordinatianische Christologie scheint die aus der Jerusalemer Tradition erwachsene syrische JakobusAnaphora gespürt zu haben, wenn sie an dieser Stelle die traditionelle Form wiederherstellt. Ein Post-sanctus-Gebet, die Verba testamenti und eine Anamnese läßt die Katechese nicht erkennen; sie spricht alsbald von der Epiklese. Weiter werden die Fürbitten erwähnt, das Vaterunser, die Kommunion und der Segen. Fehlten ein Post-sanctus-Gebet, der Einsetzungsbericht und die Anamnese wirklich? Die Rubriken ( = Ausführungsanweisungen liturgischer Bücher) der syrischen Jakobus-Anaphora (s. u.) ordnen an, den Anfang des Präfationsgebetes (in der Katechese ebenfalls nicht erwähnt!) und das Post-sanctus-Gebet unhörbar zu sprechen. Wenn zwar in der Jakobus-Anaphora die Verba testamenti und die Anamnese wieder laut gesprochen werden, so gibt es frühe Beispiele auch für ein Leisesprechen dieser Stücke. Die gleichzeitigen Katechesen des Theodor von Mopsuestia schließen ebenfalls die Epiklese fast unmittelbar an das Trishagion an. Da man Neugetauften nur die für sie vernehmbaren liturgischen Stücke erklärte, wird also das Schweigen über andere Stücke aus deren Nichtvernehmbarkeit verständlich. In solchem Leisesprechen bestimmter Gebete und Formeln kommt die wachsende Scheu vor dem Tremendum im eucharistischen Geschehen zum Ausdruck. Man hat damit zugleich ein warnendes Zeichen für die Heiligkeit der Liturgie vor den jetzt in die Kirche einströmenden christianisierten Massen aufrichten wollen. Entsprechend redet die V. Katechese von der „schauervollen Stunde" (5,4) der Eucharistie und nennt die Elemente „das heilige und schauervolle Opfer" (5,9). Dem entspricht es, daß seit Beginn des 5. Jh.s im Gebiet von Antiodiia und auch in Palästina Vorhänge vor dem Altar festzustellen sind. Wie weit war die Feier des Herrenmahles der ein-

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stigen Freude an der Gemeinschaft mit dem gegenwärtig Geglaubten und dem zukunftsfrohen Ausblicken auf den Tag seiner Parusie entfremdet I Die Besonderheit des Jerusalemer Ritus zeigt sich am deutlichsten in den täglichen Gottesdiensten und in der Gestaltung des Kirchenjahres, beides weitgehend in der Bindung an bestimmte hl. Stätten. Diese Dinge treten uns im Bericht der Aetheria entgegen, deren Reise vielleicht in die ersten J a h r e des 5. Jh.s anzusetzen ist. Gerade dies muß ihr, der Vertreterin des Laienstandes, auffallen, während sie mangels ausreichender griechischer Kenntnisse der Liturgie kaum im einzelnen zu folgen vermochte. Wichtig ist, was sie über die gottesdienstlichen Lesungen berichtet: diese werden ebenso wie Gesänge und Gebete dem Tag und dem Ort der Feier entsprechend gewählt. Damit tritt uns die erwähnte (s. S. 54) „Historisierung" der Liturgie bezeichnenderweise in Jerusalem am deutlichsten entgegen. Man zog in feierlicher Prozession zu den Orten der hl. Geschichte. Dort hielt man ortsbezogene „Stationsgottesdienste" wesentlich mit Verkündigungscharakter (etwa am Palmsonntag auf dem ölberg). Dementsprechend beobachten wir hier den Beginn einer „Perikopenlesung" (P. = ausgewählter Sdiriftabschnitt, der dann an dem betr. Tag des Kirchenjahres wiederkehrt). Dies Perikopenwesen fand zusammen mit dem Festkalender Jerusalems und dem Ritual dieser Feste zunächst im Osten weite Verbreitung. Eine f r ü h e Rezension der Liturgie der Mystagogischen Katechese V stellt die Jakobus-Anaphora dar, handschriftlich bezeugt seit dem 8. Jh., die bei den westlichen und südlichen orthodoxen Syrern heimisch wurde und heute noch in ihren wesentlichen Stücken von den syrischen Jakobiten (in dieser Form bei Brigthman, a. a. O., S. 69 ff.) gebraucht wird. Die byzantinische Liturgie hat später auch diese Anaphora beeinflußt, aber die über 60 national-

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syrischen Formen zeigen, wie im Gegensatz zur Erstarrung der byzantinischen Liturgie hier noch etwas von der schöpferischen Kraft und Freiheit altkirchlicher liturgischer Praxis fortlebt. 5. Konstantinopel Konstantinopel ist durch seine seit dem 10. Jh. dem Chrysostomus zugeschriebene Stadtliturgie zum weitwirkenden liturgischen Zentrum der Ostkirche geworden. Der „Chrysostomusliturgie" verwandt und mit ihr zusammen in der Folgezeit wirksam ist die sogen. „Basiliusliturgie Diese Liturgien gehen wesentlich auf die antiochenische Tradition zurück; denn Johannes Chrysostomus (354—407) stammt aus Antiochien und ist dort 13 J a h r e als Presbyter und Prediger tätig gewesen. Sein liturgisches Formular läßt sich aus der späteren „Chrysostomusliturgie" dank vieler liturgischer Angaben in seinen (zum größten Teil zwar noch in Antiochien gehaltenen) Homilien noch ungefähr herausschälen, während wir über die liturgischen Bemühungen des großen Kappadoziers Basilius (329—379) wenig Sicheres sagen können. J ü n g s t e Untersuchungen über das Hochgebet der nach ihm benannten Liturgie (Engberding) haben gegenüber früheren Vermutungen wahrscheinlich gemacht, daß es ihm nicht so sehr auf eine Kürzung des ü b e r kommenen als auf dessen Durchdringung mit dem Schriftwort ankam. Die Scheu vor dem hl. Geheimnis der Eucharistie wird im Sinne der antiarianischen Hervorhebung der Gottheit Christi durch Basilius weiter verstärkt. Da auch Chrysostomus dieser Tendenz Rechnung getragen hat, versteht man, daß im Osten im 4. und 5. Jh. die Teilnahme an der Kommunion immer mehr zurückgeht. Ihren architektonischen Ausdruck findet dieser Stimmungsumschwung in der Betonung der Trennungslinie zwischen Altar und Ge-

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meinde. Schließlich wachsen die Chorsdiranken zu der den Altarraum geheimnisvoll verschließenden Ikonostase ( = Bilderwand) empor. Bei Chrysostomus, dessen liturgische Äußerungen Brigthman zusammengestellt hat (a.a.O., S. 470 ff.), läßt sich noch deutlich die Clementinische Liturgie erkennen. Nur das Hochgebet erscheint hier bedeutend kürzer. Der Umstand, daß viele Kommunikanten gleich nach dem Empfang der Elemente ohne Dankgebet wegliefen (In Mt. hom. 82,2), mag dazu genötigt haben. Durchweg redet Chrysostomus von der Eucharistie als dem „schaudervollen Mysterium" (De sacerdotio 111,4). So wird verständlich, daß der Kommunionsempfang sich zunehmend nur auf die vorösterliche Fastenzeit und das Epiphaniasfest beschränkte (In Eph. hom. 3,4). Die Gemeinde ist also immer mehr nur noch passiv im Gottesdienst anwesend. Wie völlig ein dem Evangelium fremdes Opferdenken das Verständnis der Eucharistie geformt hat, zeigt jener Vergleich, mit dem Chrysostomus die Epiklese verständlich zu machen versucht: der Priester ziehe nicht wie Elias das Feuer, sondern den hl. Geist herab . . . auf daß die Gnade auf das Opfer falle (De sacerdotio 111,4). Wenn der ostkirchliche Christ bis heute dem Gottesdienst auf Erden die himmlische Liturgie aufs engste verbunden glaubt, so deutet sich das schon bei Chrysostomus an, wenn dieser zum Gesang des Trishagion erklärt: „Zu der Zeit umringen selbst Engel den Priester; das ganze Heiligtum und der Raum um den Altar ist angefüllt mit himmlischen Heerscharen, dem zu Ehren, der auf dem Altar liegt" (De sacerdotio VI,4). Im 7. und 8. Jh. haben die ursprünglichen Liturgien des Chrysostomus und Basilius ihre uns überlieferte und gegenüber der Urform erweiterte Gestalt angenommen. Voneinander weichen beide eigentlich nur in den Gebeten ab. Diese Liturgien gelten, wenn auch mit erneuten späteren

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Der griechisch-katholische (orthodoxe) Gottesdienst

Erweiterungen, in der griechisch-katholischen Kirche bis heute. Das ist dadurch begünstigt worden, daß durch den Sieg des Islam die anderen Patriarchate ihre Bedeutung verloren. Schon im 9. Jh. wurde außerdem die Stadtliturgie von Konstantinopel durch Methodius und Cyrillus in eine slawische, nämlich die altbulgarische Sprache, das sogen. „Kirchenslawisch", übertragen. Als dann 987 Großfürst Wladimir von Kiew durch eine eigens dazu entsandte Gesandtschaft die Liturgie der Hagia Sophia in sein Reich übertrug, war deren Ausbreitung im gesamten Ostslawentum gesichert. Der russische Patriarch Nikon hat ihr hier 1655 die endgültige Form gegeben. In der orthodoxen Kirche ist somit heute „Die göttliche Liturgie unseres hl. Vaters Joannes Chrysostomus" die regelmäßige Sonn- und Festtagsliturgie, während die des hl. Basilius nur an bestimmten Tagen (z. B. Fastensonntage, Neujahr, Epiphanias) gebraucht wird.

V. Der griechisch-katholische (orthodoxe) Gottesdienst 1. Gesamteindruck. Das Kirchengebäude Der orthodoxe Gottesdienst gleicht für den, der ihn zum ersten Mal miterlebt, einem gewaltigen, ausgeuferten Strom liturgischer Formen; manch Einzelnes mutet bekannt an, doch als ganzer erscheint er kaum überschaubar. Das ist die Folge einer Entwicklung, in welcher die noch erkennbaren Formen der Clementinischen Liturgie (s. S. 50) durch den Einbau von Rüstakten für die entscheidenden liturgischen Vorgänge und kommentierende wie symbolisierende Gebete und Schriftworte sich immer breiter ausgewachsen haben. Diese Liturgie kann hier nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden; hat man aber ihren Aufbau vor Augen,

Gesamteindrude. Das Kirchengebäude

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wird bei einem Studium des Formulars auch der Sinn der Einzelstücke erkennbar werden. Die zu wenig bekannten „Betrachtungen über die göttliche Liturgie" aus der Feder N. Gogols — A. von Maltzew hat sie seinem „Liturgikon" (Berlin 1902) in deutscher und russischer Sprache vorangestellt — können in besonderer Weise zum Verständnis helfen. Man kann von der orthodoxen Liturgie nicht reden, ohne zuvor den Blick auf den gottesdienstlichen Raum gerichtet zu haben, in den sie gleichsam hineinkomponiert erscheint. Noch heute gilt als Mutter aller orthodoxen Kirchen die Hagia Sophia in Konstantinopel, „ein unnachahmliches Werk, wahrhaftig die Himmelssphäre auf Erden", wie ein Grieche des 12. Jh.s sagt. Wenn deren gewaltige Kuppel den erdüberspannenden Himmel in einem begrenzten Raum über den Feiernden gegenwärtig machen will, wenn von der Kuppelzone her die Augen eines riesigen Bildes Christi als des Allherrschers den Beschauer überall in dem weiten Raum mit gleicher Eindringlichkeit treffen und die Erzengel, Propheten, Apostel und Evangelisten vom Kuppelaufbau auf die Gemeinde schauen, so ist hier die Uberzeugung Gestalt geworden, daß im Vollzug der Liturgie irdischer und himmlischer Kultus ineinander übergehen. Es gibt deshalb auch kaum eine orthodoxe Kirche ohne eine oder mehrere Kuppeln, und deren Innenschmuck hat sich im Maß des Möglichen die Motive, ja, die Anordnung in der Kuppel der Hagia Sophia zum Vorbild genommen. Die meist goldglänzende russische Zwiebelkuppel empfindet man zugleich als „gen oben schlagende Flamme, in der die Liebe der Erde dem sich neigenden Himmel Antwort gibt". Der Innenraum ist aufgeteilt in den Narthex (irpovoos, Eingangshalle), der das Taufbecken birgt, und das Schiff (votös). Hier ist der Platz für das Volk, während im östlichen Teil der erhöhte Ambon für Klerus und Chor be-

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Der griechisch-katholische (orthodoxe) Gottesdienst

stimmt ist; Orgeln gibt es nicht. Hinter dem Ambon erhebt sich die Bilderwand (EiKOVooraais), die das Allerheiligste (fiyiov ßfjua) mit dem steinernen Altar verbirgt; auf ihm befinden sich ein liegendes Kreuz, das Evangelienbuch und ein Schrein für konsekrierte Elemente zu Krankenkommunionen. An den Altarraum grenzen im Norden die Prothesis mit dem Tisch zum Rüsten der Abendmahlselemente und im Süden das Diakonikon ( = Sakristei). In diese Räume führen drei Türen der Bilderwand — die mittlere, zum Altar sich öffnende heißt die „heilige Türe" —, was Erinnerungen an die Szenenwand des antiken Theaters weckt. Hinter der hl. Türe ist noch ein Vorhang. Die Bilderwand, die die ganze Breite des Raumes durchzieht, trägt immer rechts der hl. Türe ein Bild Christi und links ein Marienbild, an den Seitentüren "Bilder der Erzengel. Heute ist diese Wand außerdem mit Propheten-, Apostel- und Heiligenbildern überfüllt, die in traditionell festliegenden Reihen zusammengestellt sind. Die Ikonostase bedeutet zugleich Grenze gegenüber dem Ort, wo sich „das schauervolle Mysterium" vollzieht, und Pforte zum Himmel. In der Fülle der Bilder auch an den Wänden wird der Gemeinde die „Wolke der Zeugen" (Hebr. 12,1) gegenwärtig. Da die Ikonen die Heiligen nicht nur darstellen, sondern vertreten, genießen sie zwar keine Anbetung (Äcn-pEia), aber fußfällige Verehrung (TIHTITIKH irpooKOviiais). Wenn jedem Gottesdienst die Proskynese der Bilder vorangeht und der Diakon dabei sowohl die Bilder wie die Gemeinde mit Weihrauch bedenkt, wird etwas vom tiefen Sinn der Ikonenverehrung sichtbar: jeder Christ ist geschaffen zum Gleichnisbild Gottes (EIKCOV) und soll im Sinn von Gal 4,19 Christus in sich Gestalt gewinnen lassen. Ikonen haben im Unterschied zur griechischen und russischen Kirche in den getrennten Nationalkirchen nur geringe Bedeutung; in den syrischen Kirchen fehlen sie fast völlig.

Die Gestalt der „Liturgie"

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2. Die Gestalt der „Liturgie" Der Eingang der „Liturgie" — so die übliche Bezeichnung des Meßgottesdienstes — ist dadurch so schwer zu übersehen, weil dem Wortgottesdienst ein Rüstakt für die Priester und ihre Assistenz, ein solcher zur Bereitung der Elemente für die Eucharistie (Proskomidie) und ein die Lesungen vorbereitender Akt vorangestellt sind. Außerdem wird in der griechischen Kirche unmittelbar vor der Liturgie die Matutin ( = Morgengebet) gehalten, während man in der russischen Kirche an derselben Stelle die Gebete und Lesungen der dritten, sechsten und neunten Stunde liest. Diesem Gebetsteil geht eine feierliche Inzensierung ( = Beweihräucherung) voraus und folgt der Hymnus Movoyevris nach. Die Bereitung der Liturgen beginnt beim Betreten des Gotteshauses mit Gebeten und Begrüßung der Bilder Christi und der Theotokos ( = Gottesgebärerin) durch Gebet und Kuß. Nach einem Gebet um Kraft zum hl. Dienst am unblutigen Opfer betreten die Priester unter Worten des 5. Psalmes den Altarraum, küssen den Altar und das auf ihm liegende Evangelienbuch und legen im Diakonikon unter Gebet und passenden Schriftworten die hl. Gewänder an; danach wird die Handwaschung vollzogen. Nun folgt die im späten Mittelalter ausgebildete Proskomidie: aus dem Abendmahlsbrot, der Prosphora, werden mit der „hl. Lanze" unter Gebet und Schriftworten das „Lamm", die Prosphorenteile der Maria und der Heiligen, sowie die für Lebende und Tote ausgestochen und auf dem „Diskos", einer großen Patene, nach festen Regeln angeordnet. Die Griechen verwenden dazu ein größeres Opferbrot, die Russen fünf kleinere. Darin soll die ganze Kirche, die triumphierende im Himmel wie die streitende auf Erden, um ihren Herrn versammelt, zur Darstellung kommen. Uber dem geweihten Brot wird der Asteriskos (Kreuzstern) aufgestellt (mit Bezug auf Mt 2,9) und das ganze mit Decken verhüllt. Schon dieser Teil schließt, den Opfergedanken der Eucharistie vorwegnehmend, ein Darbringungsgebet ein. Nach Räucherung durch den Diakon im

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Der griechisch-katholische (orthodoxe) Gottesdienst

Altarraum und der ganzen Kirche erfolgt eine letzte Zurüstung der Liturgen am Altar. Danach beginnt die Enarxis (Eröffnung): nach dem Eingangsgruß des Priesters betet der Diakon die große Ektenie (auch „Synaptie"). Durch die Preußische Liturgie Friedrich Wilhelms III. (s. S. 180 ff.) ist sie auch bei uns als „Chrysostomusgebet" bekannt geworden („Lasset uns in Frieden den Herrn anrufen"). Nach einem leisen Gebet des Priesters mit laut gesprochener Doxologie folgen die drei Antiphonen ( = Wechselgesang) des Chores, zwischen die sich kurze Ektenien und Gebete einfügen; sie bestehen am Sonntag aus dem 103., dem 146. Psalm und den Seligpreisungen. Diesem Eingangsakt schließt sich der „kleine Einzug" (f) P I K P D EICTOSOS) durch die nördliche Türe an: unter Vorantragung brennender Lichter schreiten Priester und Diakon, der das Evangelienbuch trägt, durch das Schiff und die heilige Türe zum Altar. Hierdurch soll das Kommen des Herrn zum Lehren abgebildet werden. Audi diesen Vorgang begleiten Gebete, Segensworte und Gesänge; als Höhepunkt erklingt das Trishagion. Danach beginnt die Katechumenenmesse (katechetische Synaxis). Der zweimalige Ruf des Diakons „Weisheit!" und das dazwischen vom Lektor gelesene Prokimenon, ein der Tagesfeier angemessener Vers meist aus den Psalmen, den der Chor zweimal wiederholt, leiten zur Epistellesung (auch aus der Apg) durch den Lektor über. Die Lesung wird mit dem erneuten Ruf „Weisheit!", den vom Lektor gelesenen Hallelujaversen und mit dreimaligem Halleluja des Chores beschlossen. Vor der Evangelienlesung betet der Priester leise ein Gebet am Altar und segnet den Diakon, der nun unter Vorantragung von Lichtern zur hl. Tür hinaus auf den Ambon tritt und dort, bei den Griechen zum Volk, bei den Russen zum Altar gewandt, das Evangelium liest. Nachdem das hl. Buch zum Altar zurückgebracht ist, kann eine

Die Gestalt der „Liturgie"

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Homilie folgen. Nun wird die heilige Tür geschlossen, Diakon und Chor beten in Litaneiform (L. = responsorisches Gebet, das kurze Anrufungen und Bitten aneinander reiht und mit Kyrierufen beginnt und schließt) die „Ektenie des inbrünstigen Gebetes", während der Priester leise (nur mit laut gesprochener Doxologie) betet. Danach betet der Diakon im Wechsel mit dem Chor die „Ektenie der Katechumenen", der ein leises Gebet des Priesters für diese folgt., Sie werden dann durch den Diakon entlassen. Bezeichnend ist, wie etwa Gogol diesen heute gegenstandslos gewordenen Ritus umdeutet: „Bei diesen Worten erzittern alle, die ihre Unwürdigkeit fühlen. Rufend in Gedanken zu Christo s e l b s t . . . strebt jeder Anwesende, aus dem Tempel seiner Seele den fleischlichen Menschen, den Katechumenen, der nicht bereit ist, der hl. Handlung beizuwohnen, auszutreiben und ruft zu Christo, auf daß er in ihm den Menschen des verborgenen Herzens, . . . den zur auserwählten Herde Gezählten wachrufe" (a. a. O., S. LIII). Es schließt sich die Gläubigenmesse (eucharistisdie Liturgie) an: die Aufforderung „Die ihr Gläubige seid, wieder und wieder lasset uns in Frieden beten zu dem Herrn!", beantwortet durch das Kyrieleison des Chores, leitet zu einer Litanei des Diakons und des Chores über, unterbrochen von leisen Gebeten des Priesters. Die hl. Pforte wird wieder geöffnet. Während einer ausgedehnten Inzensierung durch den Diakon stimmt der Chor den cherubischen Lobgesang an. Der Priester betet indes für sich um rechte Würdigkeit zur Verrichtung „dieses liturgischen und unblutigen Opfers" und rüstet sich mit dem Diakon zum „großen Einzug" (f| |ieyaAr| etaoSos). Dieser ist Abbild des Ganges Christi zum Kreuz und zur Auferstehung. Der Priester trägt den Kelch, der Diakon auf seinem Haupt den Diskos mit dem geweihten Brot. Mit Gebeten durchschreiten sie den Kirchenraum, um dann die geweihten Gaben 5 Nagel, Gottesdienst

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Der griechisch-katholische (orthodoxe) Gottesdienst

zum Altar zu bringen. Unter den vielen Gebeten und Zeremonien, die nun folgen, ist das vom Priester leise gesprochene Opfergebet das wichtigste Stüde. In der Chrysostomusliturgie bittet es um Annahme der „Gaben und geistlichen Opfer für unsere eigenen Sünden und für des Volkes Unwissenheiten" und fleht den Geist der Gnade „auf uns, auf diese vorliegenden Gaben und auf dein ganzes Volk herab". Sehr viel umfänglicher ist das Opfergebet in der Basiliusliturgie. Hier bittet man um rechte Würdigkeit zur Darbietung des „vernünftigen (AoyiKT|) und unblutigen Opfers für unsere eigenen Sünden und des Volkes Unwissenheiten", um Annahme des den Opfern Abels, Noahs u. a. gleichgestellten Opfers und Herabsendung des Geistes auf die Darbringenden. Nach dem Friedenskuß wird von Priester und Volk das Credo (sogen. „Nicänum") gebetet (vom hl. Geist natürlich: „der von dem Vater ausgeht"). Nach der Aufforderung durch den Diakon „Lasset uns schicklich dastehen, lasset uns mit Furcht dastehen, lasset uns aufmerksam sein, das heilige Opfer in Frieden darzubringen!" wird nun, durch 2 Kor 13,13 eingeleitet, das Weihegebet gesprochen. Die leise gebetete Danksagung nach dem einleitenden „Empor die Herzenl" ist in der Basiliusliturgie wesentlich länger. Noch während die Gemeinde das Trishagion und „Gelobt sei, der da kommt!" singt, beginnt der Priester die die Verba testamenti einschließende Anamnese leise zu rezitieren. Während die Chrysostomusliturgie mit kurzen Worten vom Lobpreis der Heiligkeit Gottes zum Erlösungswerk und den Stiftungsworten übergeht, wird in der Basiliusliturgie hier der Heilsgeschichte von der Erschaffung und dem Fall Adams an über die alt- und neutestamentliche Offenbarung bis zur Himmelfahrt und Wiederkunft Christi gedacht. Die Deuteworte Jesu werden laut gesprochen, Priester und Diakon weisen dabei auf die Elemente. Die Anamnese, die

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bei Basilius mit 1 Kor 11,26 einsetzt, schließt mit der laut gesprochenen Darbringung: „bringen wir Dir das Deine von dem Deinen dar, gemäß allem und für allesI", wobei der Priester die Elemente erhebt und mit dem Kreuz zeichnet. Nach einem kurzen Lobpreis des Chores wird vom Priester leise und gebeugten Hauptes die Epiklese gebetet, in deren Erfüllung der hl. Geist auf die Darbringenden und die Gaben der Eucharistie kommen möge (auch hier hat Basilius eine erweiterte Fassung, die von den Elementen als „Gegenbildern" (äv-RITURRA) des Leibes und Blutes Christi spricht). Sie allein gilt seit dem 17. Jh. als für die Konsekration notwendig; in ihr geht nach Isidor von Kiew der Same auf, den die Einsetzungsworte bedeuten. Von besonderem Gewicht ist dabei die Segnung der Elemente. Der Diakon bittet „Segne, Gebieter, das hl. Brot", und der Priester macht über die Elemente dreimal das Kreuzeszeichen und betet über dem Brot „Und mache dies Brot zum kostbaren Leib deines Christus!" Entsprechendes geschieht mit dem Kelch. Dann fordert der Diakon auf, beide Elemente zu segnen, und der Priester schließt mit den Worten „Sie verwandelnd durch deinen Hl. Geist". Danach erst beten Priester und Diakon die gewandelten Elemente an. Das letztgenannte Wort bezeichnet den Zeitpunkt der Wandlung (TEAETIKCC pr|H