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German Pages 720 [724] Year 1989
W E L L E K · G E S C H I C H T E DER L I T E R A T U R K R I T I K
KOMPARATISTISCHE STUDIEN Beihefte zu „arcadia" Zeitschrift für vergleichende Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Erwin Koppen
Band 15
W DE
G WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1990
RENE WELLEK
GESCHICHTE DER LITERATURKRITIK 1750 - 1950
Band 4 Das 20. Jahrhundert Teil I: Die englische und die amerikanische Literaturkritik 1900—1950
w DE
G WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1990
Titel der amerikanischen Originalausgabe A History of Modern Criticism (Yale University Press, New Haven 1986) Übersetzt von Annegrit und Martin Brunkhorst
Geschichte der Literaturkritik in vier Bänden Band i Band 2 Band 3 Band 4
Das späte 18. Jahrhundert - Das Zeitalter der Romantik Das Zeitalter des Übergangs Das späte 19. Jahrhundert Das 20. Jahrhundert
gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig — pH 7, neutral)
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wellek, Rene: Geschichte der Literaturkritik : 1750 -1950 / Rene Wellek. — Berlin ; New York : de Gruyter. Einheitssacht.: A history of modern criticism Bd. 4. Das 20. Jahrhundert. Teil I. Die englische und die amerikanische Literaturkritik 1900 -1950 / [übers, von Annegrit u. Martin Brunkhorst]. -
1990 (Komparatistische Studien ; Bd. 15) ISBN 3-11-007540-7 NE:GT
© für die amerikanische Originalausgabe 1986 by Yale University Press, New Haven © für alle deutschsprachigen Rechte 1990 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Dörlemann-Satz, Lemförde Druck: W. Hildebrand, Berlin Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin
VORWORT
Die Entstehung dieses Buches hat sich über einen langen Zeitraum erstreckt. Mehrere Aufsätze über einzelne Kritiker wurden über die Jahre in Zeitschriften veröffentlicht. Sie werden in der Liste am Ende dieses Vorworts aufgeführt. Sie alle wurden mit dem Gesamtplan vor Augen und mit der Absicht der schließlichen Einfügung in dieses Projekt geschrieben. Als ich die Geschichte der Literaturkritik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts plante, war mir bald klar, daß ich nicht wie in den anderen Bänden vorgehen konnte. Dort war es problemlos möglich gewesen, die Grenzen der nationalen Literaturkritik zu überschreiten: im ersten Band von Frankreich nach England, dann weiter nach Italien und Deutschland, danach von Deutschland über Frankreich, Italien und England wieder nach Deutschland zurückkehrend. In den Folgebänden wurden die die einzelnen Länder betreffenden Kapitel eingerahmt von Abschnitten über die französische Kritik, die von den ersten vergleichenden Literarhistorikern bis zu den Symbolisten reichte. Offensichtlich hatten sich im beginnenden 20. Jahrhundert die englische und amerikanische Welt von den Bindungen an den Kontinent - vor allem an Frankreich - emanzipiert; augenscheinlich war der Austausch jetzt nur noch minimal. So ignorierten die französische, deutsche, italienische, russische und spanische Kritik die englische und amerikanische fast völlig. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals und des Atlantischen Ozeans stellte sich die Situation etwas anders dar. Kontinentale Schriftsteller, Philosophen und Ästhetiker gewannen Einfluß auf die englische und amerikanische Kritik. Marx' Grundgedanken beeinflußten - in mehr oder weniger konkreter Form - einen großen Teil der Sozialkritik. In den Vereinigten Staaten kann man von einer förmlichen marxistischen Bewegung während der Depression der dreißiger Jahre sprechen; in England wuchs der Einfluß der marxistischen Kritik unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg rapide. Zwei englische Kritiker, Christopher Caudwell und Ralph Fox, starben im Spanischen Bürgerkrieg im Kampf für die Republik. Freud und in seiner Nachfolge Carl Jung begannen, die Literaturkritik zu beeinflussen. Neben den Schriftstellern, die sich der Psychoanalyse als Methode anschlössen, erschienen Autoren auf der kritischen Szene, die sehr allgemeine Vorstellungen über Sexualität, das Unbewußte, Träume, Konzepte wie den Ödipus-Komplex, Repression,
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VORWORT
das kollektive Unbewußte und die Lehre von den Archetypen aufgriffen. Bergson hatte eine Zeitlang großen Einfluß in England. Der Moralist oder Antimoralist Nietzsche gewann Bedeutung. Doch die Literaturkritiker des Kontinents blieben praktisch unbekannt. Eine Ausnahme könnte für die französischen antiromantischen Polemiker wie Pierre Lasserre und Julien Benda gemacht werden, die T. E. Hulme, T. S. Eliot, Herbert Read u.a. bekannt waren und in Amerika von Irving Babbitt gelesen wurden. Doch sie waren eher Ideologen und Propagandisten als Literaturkritiker. Nur T. S. Eliot und Ezra Pound hatten Kontakt mit richtigen französischen Kritikern, mit Remy de Gourmont und Ramon Fernandez. Am wichtigsten, obwohl im einzelnen oft kaum nachweisbar, war der Einfluß von Benedetto Croce, dessen frühe Estetica 1907 übersetzt wurde. Es scheint sein einziges Werk gewesen zu sein, das damals irgendeine Bedeutung erlangte. In Amerika hatte Croce in Joel E. Spingarn einen zuverlässigen Anhänger; und ein englischer Philosoph, Robin Collingwood, zeigt Croces Einfluß in seiner Ästhetik The Principles of Art (1934) und seinen Schriften zur Geschichtstheorie. Zeitgenössische russische und deutsche Kritiker waren vor den fünfziger Jahren völlig unbekannt in der englischsprechenden Welt. So erscheint es notwendig und vollkommen gerechtfertigt, den Kontinent getrennt von der englischen und amerikanischen Kritik abzuhandeln. Es gibt gute Gründe für die enge Verbindung der englischen und amerikanischen Kritiktradition im 20. Jahrhundert. Dies wird eindringlich belegt durch die Tatsache, daß zwei Amerikaner, Ezra Pound und T. S. Eliot, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg nach England kamen, nicht nur die folgende Kritik sowohl in England wie auch in Amerika tief beeinflußten, sondern auch zu zentralen Figuren für den Geschmackswandel und die Theorieentwicklung in diesem Jahrhundert wurden. Als Engländer, der die Kritik sowohl in seinem Heimatland wie auch in Amerika nachhaltig beeinflußte, verbrachte I. A. Richards zwanzig Jahre (1943-63) als Professor in Harvard; G. Wilson Knight war neun Jahre lang (1931-40) Professor für Englisch an der Universität von Toronto, ehe er in seine englische Heimat zurückkehrte. Andere englische Kritiker kamen wenigstens gelegentlich als Dozenten und Lehrer für die Sommerschulen nach Amerika (William Empson, Herbert Read) oder kamen wie F. R. Leavis für eine Vortragsreihe. Eine so unakademische Gestalt wie D. H. Lawrence verbrachte lange Perioden im Südwesten der Vereinigten Staaten, aber hatte schon über amerikanische Literatur geschrieben, ehe er seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzte. Der Austausch erfolgte auch umgekehrt: Neben denen, die in Europa blieben - Eliot, Pound und Santayana -, dürfen wir nicht die Wirkung vergessen, die die Studienjahre in England auf die Rhodes-Stipendiaten (J. C. Ransom, F. O. Matthiessen, Cleanth Brooks, R. P. Warren) hatten. Andere verbrachten in fortgeschrittenem Alter beträchtliche Zeit als Gastprofessoren in England (Allen
VORWORT
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Täte, R. P. Blackmur, Lionel Trilling); natürlich waren amerikanische Studenten und Professoren eifrige Englandbesucher, die dort die Bibliotheken aufsuchten und benutzten. Die Mobilität des 20. Jahrhunderts machte mit gestiegener Reisegeschwindigkeit diese Kontakte sehr viel häufiger als in den vorangehenden Jahrhunderten. Doch auch ohne persönliche Beziehungen erfolgte der Bücheraustausch zwischen den beiden Ländern schnell und war oft entscheidend für die Begründung und die Fortdauer einer Reputation. Englische Bücher erschienen regelmäßig - oft mit einem Jahr Verspätung - in amerikanischen Ausgaben, amerikanische Bücher weniger häufig in englischen Verlagen. Eine Untersuchung dieses Austausches könnte viele Ungereimtheiten und Ungleichheiten zutage fördern, doch sie würde auch belegen, daß der internationale Buchhandel ein Hauptfaktor bei der Verbreitung kritischer Ideen gewesen ist. Obwohl all dies sicher zutrifft, kann man doch andererseits auch nicht leugnen, daß die englische und die amerikanische Kritik sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ziemlich getrennt entwickelt haben. Die Situation war 1910 z.B. in beiden Ländern ganz unterschiedlich. In England begann die BloomsburyGruppe zu dominieren, und die Wissenschaft lag in den Händen eingeweihter Kenner. In den Vereinigten Staaten lag die Kritik in den Händen von Sensationsjournalisten und Kritikern der amerikanischen Geschäftskultur. Sie propagierten den naturalistischen Roman und griffen die Umgebung, in der der Schriftsteller zu leben gezwungen war, an. In den Universitäten herrschte eine positivistische Wissenschaft, obwohl sie hier und dort von den neuen Humanisten herausgefordert wurde, die ihre Inspiration zur Bewahrung des klassischen Erbes von Matthew Arnold bezogen. Beide Traditionen waren grundsätzlich verschieden, zumindest bis zum Aufkommen des New Criticism. Doch auch später blieb der Unterschied sehr deutlich. Der Einfluß der Leavis-Anhänger in England wurde in Amerika nur schwach reflektiert, während Gestalten wie Yvor Winters oder Kenneth Burke amerikanische Lokalgrößen blieben. Unter den amerikanischen Kritikern hatte nur Edmund Wilson Erfolg in England - und paradoxerweise kann gerade er in vielerlei Hinsicht als ausgesprochener Anglophobe bezeichnet werden. Wenn man eine Geschichte der englischen und amerikanischen Literaturkritik schreibt, ist eine getrennte Anordnung unvermeidbar, auch wenn der Kontakt zwischen den beiden Traditionen sehr eng war. Die ersten Bände dieser Kritikgeschichte hatten einen umfangreichen Apparat im Anhang, weil in den Anmerkungen alle übersetzten Zitate des Textes im Original wiedergegeben werden sollten. Da im hier vorliegenden Band alle Zitate auf englisch sind, entfällt die Notwendigkeit eines umfangreichen Apparates. Auch jetzt beharre ich auf vollständigen Angaben für jedes Zitat, da einer der Ansprüche dieser Kritikgeschichte darin besteht, daß jedes der zitierten Bücher auch tatsächlich eingesehen wurde. Doch statt Anmerkungen im Apparat führe ich jetzt - soweit möglich - Abkürzungen im Text an. Wenn die Anmerkung länger
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VORWORT
ist und daher die Abfolge des Textes unterbrechen würde, wird sie jedoch auch jetzt im stark reduzierten Apparat angeführt. Die Bibliographien führen die benutzten Bücher auf und die im Text benutzten Abkürzungen sowie eine sehr begrenzte Zahl von erläuternden Hinweisen zu den Autoren und Themen. Es gibt heute so viele Möglichkeiten bibliographischer Information - wie etwa die jährliche MLA-Bibliographie -, daß es überflüssig erscheint, jedes einzelne Werk aufzuführen. Die Auswahl konzentriert sich auf Kommentare zur Literaturkritik oder zu den erörterten Autoren. Doch werden in einzelnen Fällen auch Bibliographien und allgemeine Arbeiten angeführt, wenn sie für die Literaturkritik nützlich sind. Viele Freunde haben Vorschläge und kritische Anmerkungen in all den Jahren gemacht. Einige haben Teile des Manuskripts gelesen oder bereits veröffentlichte Artikel kommentiert. Ich danke besonders meinem alten Freund und Mitarbeiter Austin Warren, aber auch Lowry Nelson, Jr., Barbara Rosecrance und einem anonymen Leser meines Kapitels über T. S. Eliot für ihre Hilfe. In all den Jahren ist mir die Unterstützung verschiedener Institutionen bei meiner Arbeit für diese Kritikgeschichte zuteil geworden. Ich möchte der Guggenheim Foundation danken, die mir 1966/67 ein drittes Fellowship zuerkannte. Ich war im Frühjahr 1969 in Deutschland als Fulbright-Dozent für amerikanische Literaturkritik. Nach meiner Emeritierung an der Yale University 1972 war ich 1972/73 Senior Fellow des National Endowment for the Humanities. 1966,1969 und 1977 wurde ich von der Rockefeiler Foundation jeweils für einen Monat in das Konferenz- und Studienzentrum in Bellagio eingeladen. 1977 war ich Fellow des Institute of Humanities der Cornell University. Ich möchte auch den von mir benutzten Bibliotheken danken. Ohne freien Zugang zur Yale Universitätsbibliothek wäre dieses Buch nicht möglich geworden. Gelegentlich war ich auch in den Bibliotheken der University of California in San Diego, Riverside und Santa Barbara und in den Bibliotheken der University of Washington in Seattle, der University of Iowa, der Indiana University in Bloomington, der Princeton University und der Cornell University. Ich benutzte die British Library in London, die Bodleian Library in Oxford, die Universitätsbibliothek in Mainz und die Alessandrina, die Bibliothek der Universität Rom.
New Haven, Connecticut April 1985
R.
HINWEIS
Die folgenden meiner Aufsätze verwende ich in erweiterter, gekürzter oder anderweitig veränderter Form: Einleitung: »Reflections on My History of Modern Criticism«, in PTL: A Journal for Descriptive Poetics ana Theory ofLiterature 3 (1977): 417-27. Ndr. in The Attack on Literature and Other Essays (1982), 134-45. Auch in Proceedings of the VHIth Congress of the International Comparative Literature Association, 1976, Budapest. Akademia Kiado (1981), 439-47Akademische Kritiker: »A. C. Bradley, Shakespeare and the Infinite«, in From Chaucer to Gibbon: Essays in Memory of Curt A. Zimansky (1975), 85-103. Auch in Philological Quarterly 54 (1975): 85-103. DieBloomsbury-Gruppe: »Virginia Woolf as Critic«, Southern Review 13 (1977): 419-37· Die Neuen Romantiker: »The Literary Criticism of D. H. Lawrence«, Sewanee Review 16 (1983): 598-613. Die Erneuerer: »Ezra Pound's Literary Criticism«, Denver Quarterly 3 (1976): 1-20. T. S. Eliot: »The Criticism of T. S. Eliot«, Sewanee Review 64 (1956): 398—443. I. A. Richards: »On Re-reading I. A. Richards«, Southern Review 3 (1967): 533-54F. R. Leavis: »The Literary Criticism of Frank Raymond Leavis«, in Literary Views: Critical and Historical Essays, hg. v. Carroll Camden (1964), 175-99. Auch »The Later Leavis«, Southern Review 17 (1981): 490-500. F. W. Bateson: »The Literary Theories of F. W. Bateson«, Essays in Criticism 29 (1979): 112-23. Die Neuen Humanisten: »Irving Babbitt, Paul More, and Transcendentalism«, in Transcendentalism and Its Legacy, hg. v. Myron Simon und Thornton H. Parsons (1966), S. 185-203. Außenseiter: »The Literary Criticism of W. C. Brownell«, Sewanee Review 90 (1982): 158-67.
X
HINWEIS
Edmund Wilson: »Edmund Wilson (1895-1972)«, Comparative Literature Studies 15 (1978): 97-123. Ndr. in History as a Tool in Critical Interpretation, hg. v. Thomas R. Rugh und Erin R. Silva, S. 63-95. Lionel Trilling: »The Literary Criticism of Lionel Trilling«, New England Review 2 (l979): 26-49. Der New Criticism: »The New Criticism: Pro and Contra«, Critical Inquiry 4 (1978): 28-33. Ndr. in meinem Buch The Attack on Literature and Other Essays (1982), S. 87-103. John Crowe Ransom: »John Crowe Ransom's Theory of Poetry«, in Literary Theory and Structure: Essays in Honor of William K. Wimsatt, hg. v. Frank Brady, John Palmer und Martin Price (1973), S. 179-98. Allen Täte: »Allen Täte: Literary Theorist and Critic«, in Englische und amerikanische Literaturtheorie, hg. v. Rüdiger Ahrens und Erwin Wolff (1979); 2:557-72. Cleanth Brooks: »Cleanth Brooks, Critic of Critics«, Sewanee Review 10 (1974): 125-52. Ndr. in The Possibilities of Order: Cleanth Brooks and His Work, hg. v. Lewis P. Simpson (1976), S. 196—229. R. P. Blackmur: »R. P. Blackmur Re-Examined«, Southern Review N. R 7 (1971): 825-45. Ndr. in English Studies Today, 5. Folge, hg. v. Sencer Tongug (Istanbul 1973), S. 453-76. Kenneth Burke: »Kenneth Burke and Literary Criticism«, Sewanee Review 79 (1971): 171-88. Yvor Winters: »Yvor Winters Rehearsed and Reconsidered«, Denver Quarterly (1975): 1-27. William K. Wimsatt: »The Literary Theory of William K. Wimsatt«, Yale Review 66 (1977): 176-92.
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
v
Hinweis
ix
Einleitung
i
ERSTER TEIL: ENGLISCHE LITERATURKRITIK 1900-1950 Kapitel i:
Englischer Symbolismus W. B. Yeats Arthur Symons George Moore
15 15 29 35
Kapitel 2:
Akademische Kritiker Walter Raleigh und Arthur Quiller-Couch A. C. Bradley Oliver Elton, W. P. Ker, Herbert Grierson und H. W. Garrod
40 42 46 62
Kapitel 3:
Die Bloomsbury-Gruppe Roger Fry und Clive Bell Lytton Strachey Virginia Woolf E. M. Forster Desmond MacCarthy
77 78 83 89 no 115
Kapitel 4:
Die Neuen Romantiker John Middleton Murry D. H. Lawrence G. Wilson Knight Herbert Read Christopher Caudwell
119 119 145 159 170 175
XII
INHALTSVERZEICHNIS
Kapitel 5:
Die Erneuerer T. E. Hulme Ezra Pound Wyndham Lewis
Kapitel 6:
T. S. Eliot
Kapitel 7:
I. A. Richards
263
Kapitel 8:
F. R. Leavis und die Scrutiny-Gmppe Der späte Leavis
283 299
Kapitel 9:
F. W. Bateson
Kapitel 10: William Empson
177 179 186 204 213
313 324
ZWEITER TEIL: AMERIKANISCHE LITERATURKRITIK 1900-1950 Kapitel i:
Literaturkritik vor dem New Criticism Naturalisten, Symbolisten und Impressionisten H. L. Mencken Van Wyck Brooks
345 345 348 356
Kapitel 2:
Die Neuen Humanisten Irving Babbitt und Paul Elmer More
364 364
Kapitel 3:
Außenseiter John Jay Chapman W. C. Brownell George Santayana
385 385 387 397
Kapitel 4:
Akademische Kritik Joel Elias Spingarn Die Chicagoer Aristoteliker Weitere gelehrte Kritiker
410 413 415 421
Kapitel 5:
Marxistische Kritik
444
Kapitel 6:
Edmund Wilson
455
Kapitel 7:
Lionel Trilling
482
Kapitel 8:
Der New Criticism
504
Kapitel 9:
INHALTSVERZEICHNIS
XIII
John Crowe Ransom
520
Kapitel ίο: Allen T te Kapitel n: Cleanth Brooks
536 551
Kapitel 12: Robert Penn Warren
582
Kapitel 13: R. P. Blackmur
586
Kapitel 14: Kenneth Burke
605
Kapitel 15: Yvor Winters
628
Kapitel 16: William K. Wimsatt
653
Nachwort
666
Zeittafel der Werke
673
Personenregister
68l
Sachregister
701
EINLEITUNG GEGENSTAND UND METHODE
Ich habe mich in der umfangreichen neueren historiographischen Literatur umgesehen. Diese wird - zumindest in der anglo-amerikanischen Welt - von den Methoden der analytischen Philosophie beherrscht. Zu meiner Enttäuschung behandeln jedoch nahezu alle diese Bücher und Aufsätze Probleme, die nur von geringer Bedeutung für eine Kritikgeschichte sind. Die meisten dieser Erörterungen beschäftigen sich mit moralischen Fragen: mit Verantwortung und Schuld, mit Normen oder Normverstößen menschlichen Verhaltens, mit Ereignissen wie unerwartetem Tod oder Ermordung. Fragestellungen wie »Warum erstach Brutus Cäsar?« oder »Warum starb Ludwig XIV als unpopulärer Monarch?« sind Thema dieser Arbeiten. Kaum irgendwo werden die ganz anders gelagerten Probleme einer Kritikgeschichte überhaupt nur angesprochen. Nach möglichen Vorbildern müssen wir anderswo suchen. Ganz offensichtlich unterscheidet sich die Kritikgeschichte von der politischen, sozialen oder ökonomischen Geschichte in einem wesentlichen Punkt: Die Texte, auf denen die Kritikgeschichte basiert, sind direkt zugänglich. Sie können jederzeit gelesen, kommentiert, interpretiert, erörtert und kritisiert werden, als seien sie gestern geschrieben worden, selbst wenn sie (wie etwa die Poetik des Aristoteles) tatsächlich schon vor 2300 Jahren geschrieben worden sind. Kritikgeschichte ist daher nicht Geschichte in dem Sinn, wie es beispielsweise die Kriegsgeschichte ist. Die Schlacht bei Waterloo muß anhand von Augenzeugenberichten, schriftlich überlieferten Kommandos oder Plänen oder auch anhand von Fundstücken rekonstruiert werden. Im Gegensatz dazu sind die Texte Homers oder Platons gegenwärtig, wie auch der Parthenon oder die Fresken von Giotto in der Arenakapelle noch gegenwärtig sind. Aber auch von der Kunst-, Musik- oder Dichtungsgeschichte unterscheidet sich die Kritikgeschichte, da sie es nicht mit Übersetzungen von einem Medium (oder wie man neuerdings sagt, von einer Sprache oder einem Code) in ein anderes zu tun hat. Notwendigerweise benutzt die Kritikgeschichte (selbst wenn wir aus dem Altgriechischen übersetzen) dieselbe Sprache, die Sprache der Begriffe. Die Kritikgeschichte bringt also dieselben Probleme mit sich wie alle Ideengeschichten: die Philosophie1
Wellek, Literaturkritik 4/1
2
EINLEITUNG
geschichte, die Ästhetikgeschichte, die Geschichte des politischen, religiösen und ökonomischen Denkens, der Linguistik und vieler anderer Wissenschaftszweige. Hier finden wir unsere Vorbilder und Anleitungen. Aus anderen Kritikgeschichten können wir leider nicht viel übernehmen. Die einzige allgemeine Geschichte der Kritik, die vor meinen Arbeiten veröffentlicht wurde, ist George Saintsburys Werk von 1901-04. Es ist eine dezidiert antitheoretische und impressionistische Geschichte des literarischen Geschmacks. Saintsbury beklagt »das Sich-Verzetteln in abstrakten Fragen nach dem Wesen und der Berechtigung von Dichtung«1 und reflektiert kaum jemals seine Methode. Dagegen ist R. S. Cranes Rezension von J. W. Atkins' Buch English Literary Criticism: 17th and 18th Century (1953) schon nützlicher. Crane lehnt Atkins' Zusammenfassung der Lehrmeinungen ab und bevorzugt eine chronologische Analyse spezifischer Texte, eine »Geschichte ohne vorherige Festlegung, was Kritik ist oder sein sollte«, eine Geschichte »ohne These«. Das ist allerdings eine Vorstellung, die meiner Meinung nach weder wünschenswert noch überhaupt möglich ist.2 Mehr ist über die Philosophiegeschichte geschrieben worden. Man kann die Geschichte der Philosophiegeschichtsschreibung verfolgen von Diogenes Laertius im 3. Jahrhundert bis zu den Kompendien von Jakob Brucker (1742-67, 5 Bände) im 18. Jahrhundert. Sie reicht weiter über Wilhelm Gottlieb Tennemanns zwölfbändiges Werk (1798-1817) bis zu Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (veröffentlicht 1833-36, jedoch basierend auf Manuskripten und Mitschriften von Studenten von etwa 1815-16). Alle Philosophiegeschichten vor Hegel können Doxographien genannt werden. Sie fassen die Lehren der Philosophen zusammen und sind entweder nach philosophischen Schulen (platonisch, skeptisch, epikureisch, stoisch etc.) oder chronologisch geordnet. Obwohl eine neutrale und deskriptive Darstellung angestrebt wird, läßt sich Brucker unschwer als Leibnizianer und Tennemann als Kantianer erkennen. Mit Hegel hat sich das gesamte Konzept einer Philosophiegeschichte radikal geändert. In der Einleitung stellt Hegel nachdrücklich fest: »Denn notwendig hängt die Geschichte eines Gegenstandes mit der Vorstellung aufs engste zusammen, welche man sich von dem selben macht.« Er räumt ein, daß Philosophie (und das gilt im stärkeren Maße noch für die Kritik) im Vergleich zu anderen Wissenschaften den Nachteil habe, daß es sehr unterschiedliche Ansichten gebe über das, was Philosophie tun kann oder tun soll. Mit einem für ihn ungewöhnlichen trockenen Humor meint Hegel: Wer sich über die Vielfalt der Philosophie beklage, sei mit einem Mann zu vergleichen, der sich weigere, Kirschen, Pflaumen und
1. George Saintsbury, History of Criticism, 3. Aufl. (1908); :$6. 2. R. S. Crane, »J. W. Atkins's English Literary Criticism: 17th & 18th Century«, University of Toronto Quarterly 22 (1953); Ndr. in The Idea of Humanities (1967); Bd. 2.
EINLEITUNG
3
Weintrauben zu essen, nachdem der Arzt ihm empfohlen habe, Obst zu essen: »Wir müssen dies begreiflich machen, daß diese Mannigfaltigkeit der vielen Philosophien nicht nur der Philosophie selbst - der Möglichkeit der Philosophie keinen Eintrag tut, sondern daß sie zur Existenz der Wissenschaft der Philosophie schlechterdings notwendig ist und gewesen ist -, dies ihr wesentlich ist.« Die Vielfalt der Philosophie wird nicht als nebensächlich begriffen, sondern als eine organisch progressive Totalität, als eine rationale Kontinuität. Die Philosophie hat eine Geschichte, die einen »notwendigen, zusammenhängenden Prozeß« darstellt. Jede Philosophie war notwendig. Keine ist gänzlich verschwunden. Die neueste Philosophie - damit meint Hegel seine eigene - ist das Ergebnis aller vorangegangenen Philosophien. Hegel erörtert das Paradox, daß es in der Philosophiegeschichte, obwohl es sich um Geschichte handelt, nicht um etwas Vergangenes geht: »Gehen wir davon aus, daß die Wahrheit ewig ist, so fällt sie nicht in die Sphäre des Vorübergehenden und hat keine Geschichte.«3 Für Hegel ergaben sich daraus das Recht und die Verpflichtung des Historikers zu urteilen und zu entscheiden, welche Vorstellungen zur Kette der Entwicklung gehören. Auch für den Historiker der Literaturkritik haben die einleitenden Überlegungen von Hegels Philosophiegeschichte heute noch Geltung. Bei Hegel werden die Fragen angesprochen, mit denen ich mich zu befassen habe. Gibt es so etwas wie »Kritik«? Kann sie von anderen geistigen Aktivitäten getrennt werden? Lassen sich Einheit, Fokus und Kontinuität einer Kritik erkennen? Ich habe diese Fragen bejaht, obwohl Benedetto Croce (in seiner frühen Schrift Critica letteraria, 1894) und Erich Auerbach (in einer Rezension der ersten beiden Bände meiner History of Modem Criticism) bezweifelten, daß Kritik ein einheitlicher Gegenstand sei. Die Menge möglicher Probleme und Überschneidungen, die extreme Vielfalt ihrer Voraussetzungen, Ziele und Schwerpunkte4 sprächen dagegen. Mir genügt die Antwort, daß jeder Diskurs über Literatur Kritik enthält. Die Kritik wird genauso wie alle anderen Wissenschaften durch ihr Thema klar umrissen. Gerade die Vielfalt ihrer Probleme und Ansätze ist Gegenstand meiner Untersuchungen. Ein wesentliches Ziel ist die Erörterung der unterschiedlichen Möglichkeiten, den Gegenstand zu definieren und zu betrachten. Die Geschichte der unterschiedlichen Vorstellungen von Kritik, Literatur und Dichtung steht im Mittelpunkt meiner Erörterungen. Croce und Auerbach sehen - um Hegels Vergleich aufzugreifen - nur die Kirschen, Pflaumen und Weintrauben und scheinen die Existenz von Obst zu bezweifeln. Andere Historiker wollten die Unterscheidung von Obst und der übrigen Pflanzenwelt ganz abschaffen. Sie wollten - unmetaphorisch ausge-
3. Georg Hegel, Werke (Theorie-Werkausgabe) (1971), 18:16, 19, 37, 20, 55, 57, 24. 4. Erich Auerbach, »Wellek, A History of Modem Criticism«, Romanische Forschungen 67 (1956): 387-97.
4
EINLEITUNG
drückt - den Unterschied zwischen Literatur- und anderer Kritik, etwa der Kunst- oder Musikkritik abschaffen. Sie behaupteten sogar, daß Literaturkritik nur als Teil der allgemeinen Geschichte behandelt werden könne. Die Meinung, daß die gesamte Wirklichkeit aufs engste verknüpft ist, daß jede geistige Aktivität mit allen anderen geistigen Aktivitäten zusammenhängt, ist unbestreitbar. Literaturkritik ist mit der Literatur- und Kunstgeschichte, mit Geistesgeschichte und allgemeiner Historic eng verbunden. Selbst die ökonomischen Bedingungen spielen eine wichtige Rolle für die Kritikgeschichte. Es hat Versuche gegeben, die Literaturkritik als bloßen Spiegel einer bestimmten Zeit und einer spezifischen Situation zu verstehen. Bernard Smith behauptet zum Beispiel in Forces in American Criticism: A Study in the History of American Literary Thought mit Nachdruck, daß für ihn die Literaturkritik »enger mit der Sozialgeschichte verbunden ist, als dies bei der Dichtung der Fall ist«.5 Die Literaturkritik wird verstanden als »Ideologie« - nicht in der geläufigen Bedeutung von Weltanschauung, sondern als falsches Bewußtsein der Realität, als bloßes Sprachrohr spezifischer literarischer oder sozialer Strömungen. Literaturkritik ist hier verstanden als integraler Bestandteil der Kulturgeschichte und als Ausdruck des kulturellen Wandels. Wir werden konfrontiert mit der gesamten Problematik des Determinismus, mit der Ansicht, daß »alles behandelt werden muß nicht nur in seiner Verbindung mit allem anderen, sondern immer auch als Symptom für etwas anderes«.6 Ich habe die Fragestellung mehrfach an anderer Stelle erörtert7 und fasse hier nur meine Folgerungen kurz zusammen. Die >Ursache< im Sinne Morris R. Cohens als »Grund für eine Konsequenz, die auf ein Antezedenz eintreten muß«8, ist ein Begriff, der in der Literatur- oder Kritikgeschichte nicht anwendbar ist. Ein Werk kann die notwendige Bedingung für ein anderes sein. Man kann jedoch nicht sagen, daß das eine das andere verursacht habe. Der menschlichen Freiheit, der Entscheidung des Individuums müssen Zugeständnisse gemacht werden. Wir sollten jedoch diese philosophisch-abstrakten Überlegungen nicht weiter verfolgen. Als Historiker der Literaturkritik muß ich den Versuch unternehmen, die Beziehung der Kritik zu den anderen geistigen Aktivitäten zu beschreiben, ohne mich dabei jedoch zu weit von meinem eigentlichen Gegenstand zu entfernen. Die Verbindung zwischen Kritik und dem literarischen Schaffensprozeß muß immer gegenwärtig sein. Gelegentlich finden sich Dichter und Kritiker in einer Person: In der englischen Literaturgeschichte sind es vor allem Dichter wie Dryden, j. Bernard Smith, Forces in American Criticism: A Study in the History of American Literary Thought (1939), vii. 6. Ernst Gombrich, In Search of Cultural History (1969), 31. 7. Siehe Rene Wellek, »The Fall of Literary History«, in R. Koselleck und Wolf-Dieter Stempel, Hg., Geschichte: Ereignis und Erzählung (1973), 430—36. 8. Morris R. Cohen, The Meaning of Human History (1947), 102.
EINLEITUNG
5
Wordsworth, Coleridge, Matthew Arnold und T. S. Eliot, die auch in der Kritikgeschichte eine bedeutende Rolle spielen. Ein Großteil der Kritik wurde speziell als Apologie einer literarischen Richtung oder Schule verfaßt. Ich brauche nur auf die Schlegels zu verweisen als Herolde der Romantik oder auf die russischen Formalisten als Verteidiger des Futurismus. Die Literaturkritik ist eng mit der Ästhetik verbunden: Möglicherweise hat Croce recht, wenn er die Kritik als einen Zweig der Ästhetik ansieht. Ich erörtere Autoren wie Kant, Schiller, Schelling, Ruskin und Croce, obwohl ich von abstrakten Spekulationen über die Schönheit und über das ästhetische Bewußtsein abzusehen versuche. Die Kritik ist wesentlich von der Philosophie beeinflußt: Der Empirismus der britischen Kritiker des 18. Jahrhunderts steht in scharfem Kontrast zu den idealistischen und manchmal mystischen Grundsätzen der deutschen Kritiker der Romantik. Diese wiederum unterscheiden sich deutlich von den französischen Positivisten des späten 19. Jahrhunderts. Man kann die Bedeutung der politischen Geschichte für die Literaturkritik nicht außer acht lassen: Madame de Stael wurde von Napoleon außer Landes verwiesen, Georg Brandes propagierte liberale Ideen, und die radikalen Literaturkritiker vertraten um 1860 in Rußland antizaristische Einstellungen. Die deutschen Professoren des frühen 19. Jahrhunderts (auch Hegel) unterscheiden sich in ihrem Lebensstil sehr deutlich von einem Pariser Bohemien wie Baudelaire oder auch von streitbaren Journalisten wie den Russen Belinski, Dobroljubow und Pissarew. All dies sei zugestanden, es löst jedoch nicht das in den Hegel-Zitaten angesprochene Problem. Die Literaturkritik muß als relativ selbständiges Gebiet gesehen werden. In keiner wissenschaftlichen Disziplin ist man vorangekommen, ehe man sie nicht weitgehend aus dem Umfeld der Nachbardisziplinen ausgegliedert hatte, ehe nicht die Randbedingungen - um den phänomenologischen Ausdruck zu gebrauchen - »eingeklammert« worden waren. Diese Isolation des Gegenstandes bedeutet nicht Kritik um der Kritik willen, sondern ist eine rein pragmatische Voraussetzung. Auch ein sehr umfangreiches Buch hat seine Grenzen. Wenn die Beziehung der Literaturkritik zur Literatur selber beschrieben werden sollte, so müßte man z.B. alle Tragödien Schillers untersuchen oder erforschen, ob Wordsworth wirklich in der Umgangssprache dichtete. Man müßte sehr schnell die postulierte Einheit des Gegenstandes, seine Kontinuität und Entwicklung, aufgeben. Die Geschichte der Literaturkritik würde in eine Literaturgeschichte übergehen. Nur durch die Beschränkung und Eingrenzung des Gegenstandes können wir seine Darstellung bewältigen. Doch wie soll diese Darstellung aussehen? Wie kann man den Widerspruch auflösen, daß man es mit heute noch gegenwärtigen Texten zu tun hat, die dennoch als Teil der Vergangenheit, als Geschichte begriffen werden müssen? Man kann den Standpunkt vertreten, daß es keine Kritikgeschichte und auch keine Literaturgeschichte gibt. W. P. Ker vergleicht den Literarhistoriker mit einem Museumsführer, der die Bilder kommentiert; und Benedetto Croce ver-
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trat in vielen Fällen die Ansicht von der Einzigartigkeit, der Individualität und unmittelbaren Gegenwart des Kunstwerkes. Er sah keine grundlegende Entwicklung in der zeitlichen Abfolge der einzelnen Werke. In der Literaturkritik kann man sagen, daß die von Platon und Aristoteles erörterten Probleme auch heute noch bestehen. Wir haben es mit »grundsätzlich in Frage zu stellenden Begriffen« zu tun - wie W. B. Gallic es treffend ausgedrückt hat.9 Man kann Begriffe wie »Imitation«, »Tragödie«, »Form« oder »Katharsis« - um nur einige der Zentralbegriffe der Poetik zu nennen - herausgreifen und sie erörtern, als ob sie gerade geprägt worden seien. Man kann ihren Sinngehalt und ihre Anwendungsmöglichkeiten überprüfen. Ich stimme zu, daß es durchgängige, auch heute noch ungelöste Probleme gibt und daß Aristoteles, Kant, Coleridge, Friedrich Schlegel, T. S. Eliot u.a. Fragen gestellt haben, die auch wir noch beantworten müssen. Dabei geht es oft um dieselben Fragen, die nur neu formuliert wurden. Es ist auch Aufgabe einer Kritikgeschichte, dem Leser zu verdeutlichen, daß Entdeckungen, die als neu deklariert werden, tatsächlich oft schon sehr alt sind. Die moderne Literaturkritik kann als ständige Wiederentdekkung alter Fragen begriffen werden. Doch diese Vorstellung von den ewig gleichen Fragen ist vom neuen Historismus angegriffen worden. Es wird behauptet, daß die aristotelischen Begriffe nicht zeitlos, sondern durchaus zeitgebunden seien. »Tragödie« bedeute für Aristoteles etwas ganz anderes als für uns, denn er kannte ja nur die griechischen Dramen. Jeder Kritiker schreibe in seiner Zeit und unterliege ihren Bedingungen. Meiner Meinung nach sollte man die Gefahr einer zu bereitwilligen Anerkennung zeitloser Begriffe durchaus eingestehen. Man muß sich des Bedeutungswandels der Begriffe bewußt sein und darf sich nicht durch die Verwendung derselben Wörter und Wendungen in unterschiedlichen Zeiten zum Narren halten lassen. Doch scheint mir das eher eine Herausforderung für den Historiker und kein unüberwindbares Hindernis zu sein. Ich kann nicht an eine unerforschbare Vergangenheit glauben oder an die geschlossenen Zyklen des Zeitgeistes, wie sie von den Hegelianern und in deren Nachfolge etwa von Oswald Spengler postuliert werden. Auch ein großer Teil der deutschen »Geistesgeschichte« mit den Vorstellungen des »mittelalterlichen Bewußtseins« oder des »barocken Menschen« sind mir fremd. Ich habe selber eine Reihe von Aufsätzen zur historischen Semantik geschrieben. Dabei folge ich dem Vorbild von Leo Spitzers Arbeiten über die Wörter »Stimmung« und »Milieu«. Meine Aufsätze behandeln die Begriffe Kritik, Literatur, Epoche, Evolution und fünf Epochenbezeichnungen: Barock, Klassik, Romantik, Realismus und Symbolismus. Doch ich lehne es ab, meine History nach einzelnen Begriffen oder »Leitideen« anzulegen und dann deren Entwicklung darzustellen, wie es Arthur O. Lovejoy in seiner speziellen Methode der »Ideen-
9. W. B. Gallic, Philosophy and the Historical Understanding (1958), 153ff.
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geschickte« empfiehlt. Ein solches Vorgehen würde die Systeme der einzelnen Literaturkritiker zerstören, auch wenn diese zugegebenermaßen oft nur lose zusammengefügt oder sogar widersprüchlich sind. Es würde das Verständnis ihrer Individualität und Persönlichkeit (natürlich nicht im biographischen Sinne verstanden) unmöglich machen. Wir sollten vor der »Falle einer falschen Bedeutungsgleichheit« - wie Peter Gay das genannt hat - auf der Hut sein; wir sollten aber auch darauf bestehen, daß wir die Begriffe und Probleme selbst entfernter Zeiten und Autoren noch verstehen können. Die moderne Hermeneutik verfolgt auch falsche Probleme. Der Mensch kann durchaus auch Ansichten verstehen, die von seinen eigenen Ansichten abweichen. Wilhelm Dilthey hat die Auffassung entwickelt, daß die Menschheit ein gemeinsames Potential zum Verständnis des anderen besitze. Man kann jedoch nicht mit der Vorstellung der Zeitlosigkeit der Kritik zufrieden sein, wenn man eine Geschichte schreiben will, gerade obwohl oder weil man die Beständigkeit und Dauer der Begriffe in der Geschichte erkennt. Wenn man nur die gegenwärtige Gültigkeit der Begriffe anerkennen würde, könnte man keine Kritikgeschichte, sondern lediglich eine Einleitung zu kritischen Problemen anläßlich der Erörterung von Aristoteles, Dryden, Lessing, Matthew Arnold, Hippolyte Taine u.a. schreiben. Die Geschichte der Literaturkritik, wie ich sie mir vorstelle, kann nicht lediglich eine Erörterung zeitloser Texte sein und darf nicht auf ein Teilgebiet der allgemeinen Geschichte oder der Kulturgeschichte reduziert werden. Man muß den Weg zur Vorstellung einer inneren Entwicklung der Kritikgeschichte finden. Hegel setzt dies für die Geschichte der Philosophie voraus. Croce verfährt im historischen Teil seiner Ästhetik ähnlich. Alle Philosophie und Ästhetik bewegt sich auf das eine göttliche Ereignis hin: die Philosophie Hegels oder die Ästhetik Croces. Diese Geschichtsdarstellungen kann man »retrospektiv« nennen: Sie gehen davon aus, daß Philosophie und Ästhetik ihr Ziel erreicht haben. Mich hat man verdächtigt, eine ähnliche Ansicht zu vertreten: Man hat mir vorgeworfen, »auf die Kritikgeschichte herabzublicken als eine Anhäufung von Fehlschlägen und vergeblichen Bemühungen, die Höhen des heutigen Ruhms zu erreichen«. Mit »Höhen des heutigen Ruhms« meinte man wahrscheinlich meine Theory of Literature (1949). Doch dies ist ein Mißverständnis der Theory of Literature, die eine tolerante und offene Darstellung vieler Theorien anstrebt. Dieses Mißverständnis soll durch meine History behoben werden. Ich habe einen spezifischen Ansatz. Ich wähle Texte und Autoren aus. Die Vorstellung einer völlig neutralen und rein darstellenden Geschichtsschreibung ist meiner Meinung nach eine Chimäre. Es kann keine Geschichtsdarstellung geben ohne Richtung, ohne Zukunftsverständnis, ohne Ideal, ohne Grundsatz und folglich auch nicht ohne eine bestimmte Absicht. Aber wenn man einen speziellen Ansatz und selbst eine bestimmte Überzeugung vertritt, kann das nicht bedeuten, daß andere Ansätze oder Perspektiven nicht gesehen werden. Die Bedeutung des vorliegenden Bu-
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ches besteht darin, die große Vielfalt der Ansichten und Meinungen darzulegen, ohne jedoch die eigene Perspektive aufzugeben. Ich verstehe meine History - um eine Einteilung John Passmores für Philosophiegeschichten zu benutzen10 - als »erhellend«, nicht aber als »argumentativ« oder »polemisch« in dem Sinne, daß ein Kritiker widerlegt wird. Allerdings wird er durchaus bewertet und eingeordnet. Diese History versteht sich nicht als Kulturgeschichte, die die kritischen Meinungen nur als repräsentativ für eine Epoche oder eine Richtung darstellen würde. Ein großer Teil meiner Bücher muß notwendig »doxographisch« und beschreibend sein, denn um nützlich für andere zu sein, müssen die kritischen Vorstellungen aus direkter Quellenkenntnis heraus dargelegt werden. Ein großer Teil ist notwendig »retrospektiv«: Ich kann schließlich nur von meinem eigenen Standpunkt aus die Auswahl treffen und die Beurteilung vornehmen. Einiges ist Kulturgeschichte: Ich muß die Kritiker in ihrer Zeit vorstellen. Doch ich war mir immer der Gefahr bewußt, die Kritiker lediglich als Symptome ihrer Zeit und ohne Verbindung zur Historizität ihrer Argumente zu behandeln. Die Beziehungen zwischen den Kritikern würden dann bedeutungslos werden. Ich erkenne das Problem der Neuheit - das Hinzukommen oder Entstehen neuer Probleme, die Frage nach der Originalität und die Verzweigung von Ideen. Ich halte es z.B. nicht für unwichtig, auf die hauptsächlich deutschen Ursprünge von Coleridges Theorien hinzuweisen. Das ordnet ihn der Geistesgeschichte zu und verhindert eine Beurteilung, wie sie etwa I. A. Richards vornimmt, wenn er Coleridge zum Galileo der Literaturkritik und zum Vorläufer eines Newton der Literaturkritik erklärt.11 Wenn man die Möglichkeit unterschiedlicher Standpunkte zugesteht, setzt man sich der Gefahr des Historismus und sogar des völligen Relativismus aus. Diese Folgerung ist jedoch nicht zwingend. Man kann immer noch die jeweiligen Vorteile der verschiedenen Ideen abschätzen und die relative Berechtigung dieser oder jener Formel und Antwort sehen. Man muß weder tiefverwurzelte Widersprüche und Konflikte ausgleichen noch eine »Synthese« beanspruchen, um den Eklektizismus zu überwinden. Meiner Meinung nach ist es durchaus objektiv zu beurteilen, ob das Wesen der Literatur oder Dichtung besser oder weniger gut verstanden wird. Die Wahrheit hat keine Geschichte, sagt Passmore im Anschluß an Hegel, doch fügt er hinzu, daß »die Problemerörterung eine Geschichte hat.«12 Wie soll man sich eine solche Kontinuität vorstellen? Früher war ich der Ansicht, daß eine Entwicklungsgeschichte der Literatur und der Kritik möglich sein müßte. Nach dem Vorbild der russischen Formalisten könnte man an eine 10. John Passmore, »The Idea of a History of Philosophy«, in History and Theory: Studies in the Philosophy of History, Bd. 5 (1965), 1-31. 11. I. A. Richards, Coleridge on Imagination (1934), 232. 12. Passmore, »The Idea of a History of Philosophy«, 31.
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Literaturgeschichte denken, die eine Abnutzung, eine »Automatisierung« von Konventionen darstellt, der eine »Aktualisierung« neuer Konventionen durch radikal neue Vorstellungen oder Begriffe folgt. Man könnte in Begriffen der Konvention und der Revolte denken. Neuheit wäre das Kriterium für den Wandel. Ich bin jedoch zu der Überzeugung gelangt, daß dieses Schema viel zu einfach ist und daß es die Grundfrage nach der Richtung des Wandels nicht beantwortet. Dieses Schema impliziert zudem eine Zeitvorstellung, die von der modernen Psychologie widerlegt wird. Heute erkennt man die potentielle Simultaneität in der geistigen Entwicklung des Menschen. Das konstituiert eine in jedem Augenblick virtuell vorhandene Struktur: Es besteht eine wechselseitige Durchdringung der kausalen Abfolgen von Erfahrung und Erinnerung. Ein literarkritisches Werk ist nicht einfach Teil einer Reihe, Glied einer Kette. Es kann auf verschiedenste Weise mit der Vergangenheit verbunden sein. Der Kritiker kann sich auf die entfernteste historische Zeitstufe beziehen. Ein entwicklungsgeschichtlicher Ansatz ist für die Kritikgeschichte nicht tragfähig. Das ist meine resignative Schlußfolgerung. Das von Thomas Kühn in seinem Buch Structure of Scientific Revolutions vorgeschlagene Modell für eine Wissenschaftsgeschichte kann ich allerdings auch nicht akzeptieren. Kühn meint, daß die Kanonbildung für Theorie und Praxis der Naturwissenschaften sich von Epoche zu Epoche radikal verändere und daß es »Paradigmen« oder »disziplinäre Matrices« gebe, die sich nach einzelnen wissenschaftlichen Genies wie Kopernikus, Newton, Lavoisier oder Einstein richten. Sie schaffen Meinungssysteme und Texte, die Kühn »exemplars« nennt. Diese Paradigmen sind inkommensurabel, da es keine Erweiterung oder Ansammlung wissenschaftlicher Erkenntnis gibt außer innerhalb eines einzelnen Paradigmas. Sogar die Wörter, die sie benutzen, haben unterschiedliche Bedeutung. »Wie können sie auch nur miteinander sprechen, geschweige denn sich wechselseitig überzeugen?« sagt Kühn.13 Man könnte versucht sein, dieses Schema auf die Geschichte der Literaturkritik anzuwenden. Man könnte argumentieren, daß Aristoteles ein Modell geschaffen habe und daß dieses Modell durch die Romantik, die wahrscheinlich bei Kant und Herder ihre Ursprünge hat, völlig verdrängt worden sei. Im 20. Jahrhundert könnte man - zumindest in der englischen und amerikanischen Welt - von einem von T. S. Eliot geschaffenen Modell sprechen. Man könnte versucht sein, von völlig unvereinbaren Standpunkten zu sprechen, einen Pluralismus der Methoden zu akzeptieren und damit die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Kommunikation zu erklären, den Turm von Babel, die Verwirrung der Sprachen. In einem Sammelband, Studies in the History of Linguistics, vom Anthropologen Dell Hymes 1974 herausgegeben, wird der Versuch gemacht, Kuhns Schema auf
13. Thomas Kühn, Structure of Scientific Revolutions (1970), 200.
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die Geschichte der Linguistik anzuwenden. Dieser Versuch hat mich jedoch nicht von den Revolutionen in der Linguistik überzeugt. In der Geschichte der Linguistik besteht durchaus Kontinuität, wie einige Ansätze in diesem Buch überzeugend nachweisen. Linguistik ist eine kumulative Wissenschaft trotz einiger Schwerpunktsverlagerungen und Interessenwechsel. Ich stimme Keith Percival in Language zu, der meint, daß es zu einer »ungesunden Situation« führen würde, wenn man Kuhns Ansichten folgte: Die Linguistik würde »alle Meinungsverschiedenheiten auf theoretischem Gebiet als Konflikte zwischen rivalisierenden Paradigmen, d. h. zwischen unvereinbaren Standpunkten ansehen und dies als Ausrede benutzen, die Grundregeln des rationalen Diskurses nicht mehr einzuhalten«.14 Dasselbe gilt für die Literaturkritik. Es gibt in der Geschichte der Literaturkritik keine so vollständigen Umschwünge, wie Kühn sie in der Geschichte der Naturwissenschaften sieht. Auch gibt es keine Epochen, die von einer einzigen Gestalt oder einem sakrosankten Text völlig beherrscht werden. Da es viele unterschiedliche Standpunkte gibt, können und müssen sie rational erörtert werden. Die Literaturkritik ist ein fortlaufender Prozeß, der im Hinblick auf die Zukunft offen ist. Ich glaube weder, daß irgendwelche Erörterungen abgeschlossen sind (wie Hegel und Croce es glaubten), noch glaube ich, daß meine Meinungen und die meiner Zeitgenossen durch völlig andersgeartete Annahmen ersetzt werden. Es hat eine ständige Erhellung der Probleme im Verlauf der Geschichte, eine auf vielen Gebieten wachsende Übereinstimmung trotz der offensichtlichen Konflikte gegeben. Meine eigenen Überzeugungen werden hoffentlich niemals jemandem als fertiges Muster aufoktroyiert werden. Die Anordnung meiner Ausführungen nach Kritikern erfolgt aus meiner Überzeugung, daß in der Literaturkritik die individuelle Initiative wichtiger als die kollektive Tendenz ist. Kritiker dürfen nicht lediglich als »Fälle« behandelt werden. Sowohl Kritikerporträts und Geistesprofile wie auch das Gespür für Tendenzen und sich wandelnde Bedingungen ergeben erst zusammen eine Geschichte. Die Anordnung erfolgt jedoch nicht dialektisch oder streng entwicklungsmäßig. Je gründlicher ich eine Epoche untersuche, desto mehr nehme ich Abstand von Verallgemeinerungen. Ich vertraue darauf, daß ich wie ein Landvermesser das Feld abstecke und so seinen Umfang und seine Breite sichtbar mache. Ich muß nicht jeden Zentimeter des Bodens einzeln vermessen. Eine abschließende Beurteilung meiner Arbeit bleibt dem Historiker überlassen. Ob ich in jedem Fall die richtige Auswahl getroffen habe, vermag ich nicht selbst zu entscheiden. Wie jeder Autor muß ich das Urteil von Lesern und Kritikern abwarten.
14. Keith Percival, »The Applicability of Kuhn's Paradigms to the History of Linguistics«, Language 52 (1976): 285-94.
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Bei der Anordnung des Materials für diesen Band habe ich mich an die Chronologie der Fakten gehalten. Es gibt eine Geschichte der Ereignisse, die scharf getrennt von der Ideengeschichte verläuft. Kritiker werden zu bestimmten Zeiten geboren und sterben in bestimmten Jahren; Bücher und Aufsätze werden mit festen Daten veröffentlicht. (Am Ende des Buches findet sich wie in den früheren Bänden eine chronologisch angeordnete Bücherliste.) Doch ordnet man diese Fakten für die Darstellung, so entdeckt man bald, daß die Vorstellung einer exakten Abfolge von Kritikern und kritischen Strömungen keineswegs klar ist: T. S. Eliots äußerst einflußreicher und vielzitierter Aufsatz »Tradition and the Individual Talent« wurde 1919 veröffentlicht, während die Hauptschriften seines so bezeichneten Vorläufers John Middleton Murry erst später erschienen. The Problem of Style erschien 1922. Daraus folgt, daß kontrastierende und widersprüchliche Lehrmeinungen gleichzeitig bestanden. Die Vorherrschaft einer bestimmten Ansicht - etwa des New Criticism - war immer begrenzt und bezog sich lediglich auf bestimmte Gruppierungen; sie wurde unterstützt von einigen Zeitschriften, abgelehnt von anderen, viele schenkten ihr überhaupt keine Beachtung. Die chronologische Anordnung des Materials in diesem Buch bezieht sich nur auf die Abfolge der Schlüsselwerke. Die Auswahl der Schlüsselwerke oder der wichtigsten Äußerungen wurde in bestimmter Absicht getroffen. Diese Absicht erlaubt mir z. B. die Entscheidung, daß die Chicagoer Aristoteliker noch in den von mir festgesetzten zeitlichen Rahmen fallen, obwohl ihr Sammelband Critics and Criticism erst 1952 erschien und somit hinter dem proklamierten Schlußdatum für mein Buch liegt. Doch ich meine, daß die entscheidenden Feststellungen von R. S. Crane vor 1950 liegen. Sein Essay »History versus Criticism in the Study of Literature« datiert von 1935, seine Lehrtätigkeit und seine Polemik gegen den New Criticism erstrecken sich über die vierziger Jahre. Northrop Fryes Anatomy of Criticism (1957), das grundlegende Werk der Mythenkritik, fällt aus meinem zeitlichen Rahmen heraus; aber man kann argumentieren, daß sein Blake-Buch Fearful Symmetry (1949) das in Anatomy dargelegte System in vieler Hinsicht vorwegnimmt. Das Schlußdatum 1950 wurde bereits vor vielen Jahren im Titel des Gesamtwerkes festgelegt und bedeutet, daß ich jeden wichtigen Kritiker, der schon vor 1950 berühmt war, erörtern werde, auch wenn ich dadurch mein Schlußdatum überschreite. So hinterließ R. P. Blackmur z.B., als er 1962 starb, ein umfangreiches Manuskript über Henry Adams, das erst 1980 im Druck erschien, das aber doch einen integralen Bestandteil seines Oeuvres darstellt. Noch einen weiteren Punkt muß ich betonen. Ich konzentriere mich auf die Literaturkritik meiner Autoren und kann nicht ihr Gesamtwerk erörtern: Ihre Bedeutung für eine Dichtungs- oder Roman- oder Philosophiegeschichte wird nicht erläutert. Die Ausführungen würden sich ins Uferlose erstrecken, wenn ich die Dichtung von Yeats, Pound und Eliot oder die Romane von Virginia Woolf, E. M. Forster, D. H. Lawrence oder Wyndham Lewis oder sogar die Philosophie von George Santayana einbeziehen würde. Eine allgemeine Kenntnis der Litera-
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turgeschichte dieser Zeit muß vorausgesetzt werden. Ich bin überzeugt, daß die Literaturkritik eine klar definierte geistige Aktivität ist, die ein gesondertes Studium lohnt, genauso wie ich glaube und behaupten würde, daß es eine klar definierte Gruppe von Texten gibt, die schon seit der Antike als »Literatur« bezeichnet wird. Sie verdient unsere Aufmerksamkeit wegen ihrer ästhetischen Qualität, wegen ihrer »Schönheit«, wegen ihrer Wirkung auf das Individium wie auf die Gesellschaft im allgemeinen. Die Welt wäre unvorstellbar ärmer ohne die Literatur; und die Literatur braucht ihrerseits das Verständnis, das Ordnen und Beurteilen, wie die Kritik dies vornimmt.
ERSTER TEIL ENGLISCHE LITERATURKRITIK 1900-1950
KAPITEL I
ENGLISCHER SYMBOLISMUS
Der dritte Band dieser Geschichte der Literaturkritik schloß mit einem Kapitel über die französischen Symbolisten und kulminierte in Mallarmes Theorie der absoluten Dichtung im Kontrast zu Tolstoi und Zola, bei denen die Kunst mit dem Leben gleichgesetzt wird. Die Diskussion der englischen Literaturkritik schloß in ähnlicher Weise mit der Opposition zwischen Oscar Wilde, dem Ästheten, und Bernard Shaw, dem bekennenden Marxisten, eine Opposition, die genauso absolut erscheint, obwohl beide aus derselben Stadt, aus Dublin, kamen und fast Zeitgenossen waren. Die englische Literaturkritik zeigt keine großen Wandlungen bis ungefähr 1910, als nach den Worten von Virginia Woolf »der menschliche Charakter sich wandelte« (Mr. Bennett and Mrs. Brown [1924], 4). Wir müssen Virginia Woolfs genaue chronologische Festlegung nicht ernst nehmen, um zu erkennen, daß ungefähr in der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts die neue Kunst, die ungenau Modernismus genannt wird, in den meisten Ländern ihren Anfang nahm: Der frühe Pound, T. E. Hulme und etwas später T. S. Eliot stellen einen Bruch in der englischen Literaturgeschichte dar, genauso wie sie einen Bruch in der Kritikgeschichte darstellen. Vor dieser Zeit standen viktorianische, romantische oder »ästhetische« Ansichten einem zunehmenden Realismus oder Naturalismus gegenüber. Nichts davon trug etwas Neues zum kritischen Denken bei, wenn wir die Vorworte ausnehmen, die Henry James damals fast unbeachtet für die New Yorker Ausgabe seiner Novels and Tales (1906-07) schrieb.
W. B. YEATS (1865-1939)
In England kann man nicht von einer symbolistischen Bewegung sprechen, obwohl sich die Kenntnis der französischen Bewegung in den i89oer Jahren durchzusetzen begann. William Butler Yeats entwickelte eine symbolistische
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Theorie eigener Art, die isoliert blieb und ein eindrucksvolles und zusammenhängendes Schema der Ästhetik, Poetik und sogar der praktischen Kritik darstellt. Da Yeats zu Recht als großer Dichter angesehen wird, verdient er es, auch als Theoretiker ernst genommen zu werden. Er war auf eigenem Weg zum Symbolismus gelangt, unabhängig von der französischen Bewegung, obwohl er durch seine Verbindungen mit Arthur Symons durchaus Interesse an der französischen Entwicklung gewonnen hatte. Auf den ersten Blick scheint Yeats kein kritisches, nicht einmal ein theoretisches Talent zu haben. In mancher Hinsicht gehört er zu den leichtgläubigen Menschen: Er nahm den Okkultismus ernst, behauptete, an die Existenz von Feen, Dämonen, Astralleibern und Geistern zu glauben, akzeptierte die Telepathie und das zweite Gesicht und stellte selbst noch 1935 ein Horoskop für Lady Wellesley auf. Immerhin war er ehrlich genug, seiner Überraschung Ausdruck zu geben, daß »das Ergebnis einen falschen Eindruck vermittelt« (Letters on Poetry, 37), wenn man es mit dem vergleicht, was er aus persönlichem Kontakt mit ihr wußte. Ich werde die Frage, wie weit Yeats wirklich an okkulte Phänomene glaubte, da sie für meine Zwecke irrelevant ist, nicht erörtern: Bestimmt hat er seine eigene Obsession gelegentlich mit Ironie behandelt. Später in seinem Leben hat er die großen Philosophen - Berkeley, Schopenhauer, Nietzsche, Bergson, Russell, Whitehead, Croce und Gentile mit Nachdruck und durchaus mit Verständnis für die relevanten Probleme studiert, um sich gegen eine idealistische Philosophie zu verteidigen, aber man weiß nicht, ob er wirklich unterscheiden konnte zwischen einer idealistischen Epistemologie und den alten Traditionen von Mystik oder sogar Okkultismus. In der oft witzigen Diskussion in Briefen mit T. Sturge Moore, dem Bruder von G. E. Moore, verteidigt Yeats hartnäckig das komplette Fehlen eines Unterschiedes zwischen einer wirklichen schwarzen Katze und der eingebildeten schwarzen Katze, die der verwirrte Ruskin angeblich aus dem Fenster geworfen hatte. Sturge Moore hatte ganz offensichtlich die besseren Argumente in dieser Diskussion (W. B. Yeats and T. Sturge Moore [vgl. Register]). Auch wenn wir die Absurdität von Yeats' Annahmen über die Natur der Welt zugeben und das wirre System, das er in A Vision entwickelt hat, übergehen, so können wir doch nicht deren Wichtigkeit für die Praxis und die Interpretation seiner Dichtung (womit ich mich hier jedoch nicht befassen werde) unbeachtet lassen, denn dadurch wird das Paradox der Klarheit und sogar Vernünftigkeit von Yeats' Dichtungstheorie nur umso auffälliger. In seinen frühen Jahren war Yeats ein fleißiger Rezensent. Er fing 1886 im Alter von 2i Jahren mit einem Essay über »Poetry of Sir Samuel Ferguson« an und schrieb dann einen Aufsatz über Clarence Mangan (1803-49) und andere irische Dichter des 19. Jahrhunderts. Er lehnte die rein rhetorische, patriotische und sentimentale Tradition ab zugunsten der seiner Meinung nach wirklich volkstümlichen Tradition. Er trat für eine Bewegung des Sammeins und der Erneuerung der irischen Folklore ein und unterstützte diese Bewegung durch The Celtic
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Twilight (1893). Er nahm teil an dem Streit über die irische nationale Erneuerungsbewegung auch in der Literatur und verteidigte eine Rückkehr zu den nationalen Wurzeln, zu einem »ererbten Thema, das dem ganzen Volk bekannt ist« (A, 116). In Wendungen, die den Gebrüdern Grimm verständlich gewesen wären, dachte Yeats an die Kunst als an »eine traditionelle Mitteilung von gewissen heroischen und religiösen Wahrheiten, die von Epoche zu Epoche weitergegeben werden, dabei vom individuellen Genius modifiziert werden, die aber nie aufgegeben werden« (298). Dichtung und Literatur hatten in Irland ganz allgemein die Funktion, das nationale Selbstbewußtsein zu definieren und zu steigern und die Einschüchterung durch die industrielle Zivilisation, die mit den Zentralkräften Londons identifiziert wurde, einzudämmen. Diese Ansicht implizierte eine Ablehnung des »schmutzigen Stromes von flachem Realismus« (Letters to the New Island, 176) und der utilitaristischen und rationalistischen Philosophie und Wissenschaft des Viktorianismus (Ay 77). Als Dichter wuchs Yeats mit Shelley und Rossetti auf. Schon früh erlag er dem Zauber Blakes, und 1893 arbeitete er mit Edwin John Ellis an einer Edition von Blakes Works, Poetic, Symbolic and Critical in drei großen Bänden. Obwohl die Ausgabe von modernen Wissenschaftlern streng kritisiert wird wegen ihrer Ungenauigkeiten, war sie doch wichtig, weil sie die Prophetischen Bücher in extenso abdruckte und einen Kommentar vorlegte, mit dem Yeats hoffte, »einen großen religiösen Visionär für die Welt zu entdecken« (L, 156). Die Erläuterung von Blakes »symbolischem System« ist eine »unsystematische Katalogisierung von symbolischen Farben, Gegensätzen, Namen, Geschichten, Bildern und Körperteilen« genannt worden (Bloom, Yeats, 79.), doch Yeats hat zumindest zum ersten Mal seit Swinburnes bedrückendem Verzicht versucht, den Symbolismus der Prophetischen Bücher zu interpretieren, die Four Zoas zu verstehen und Blakes Kosmos zu beschreiben, wie inakkurat die Einzelheiten dieser Darlegung auch sein mögen. Die erste Sektion von »Symbolic System«, »The Necessity of Symbolism« genannt, stellt Swedenborgs und Blakes Vorstellung zweier Welten dar, eine Welt der Sinne und eine des Verstandes, die miteinander korrespondieren, und die Ansicht, daß der »Hauptunterschied zwischen den Metaphern der Dichtung und den Symbolen des Mystizismus darin liegt, daß die letzteren in ein vollständiges System verwoben sind« (WWB, i: 238). So brauchte Yeats keine französischen Theorien, um sich einem Symbolismus zu verschreiben, der eine direkte Offenbarungstheorie ist. In den Essays mit dem Titel Ideas of Good and Evil (1903) und in verstreuten Artikeln sammelte er Ausführungen zu dieser alten Ansicht. Die Kunst ist nicht »eine Kritik des Lebens«, sondern »die Offenbarung eines versteckten Lebens« (UP, 2:131). Dieses versteckte Leben, zu dem die Kunst oder die Dichtung Zutritt hat, wird manchmal vorgestellt in Begriffen, die das kollektive Unbewußte von Carl Gustav Jung vorwegzunehmen scheinen, doch auch von Emersons Überseele oder von der neoplatonischen anima mundi suggeriert werden konnten. Es gibt 2
Wellek, Literaturkritik 4/1
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eine »große Einsicht und große Erinnerung«, die durch Symbole evoziert werden können, denn »unsere Erinnerungen sind Teil einer einzigen großen Erinnerung, die Erinnerung der Natur selber« (£7, 28). Im selben Essay, »Magic« (1901), ist die Große Erinnerung, die ein »Wohnhaus der Symbole« (79) ist, ganz anders interpretiert als »unser Bewußtsein, das einen Moment lang den übernatürlichen Künstler enthüllt« (36). Früher (1896) hatte Yeats von »dem Kleinritual« der Verse gesprochen als »ähnlich dem großen Ritual der Natur«. Der Dichter »wird - die großen Mystiker glaubten es nur zu sehr - ein Gefäß der schöpferischen Kraft Gottes; und ob von einem großen oder einem mäßigen Dichter die Rede ist, wir loben seine Gedichte mit dem extremsten Lob, das wir diesem großen Ritual als Kopie des ewigen Modells zukommen lassen« (EI, 202). Eine Variation der Mikrokosmos-Makrokosmos-Parallele ist impliziert: Der Dichter ist ein Priester, der ein festgelegtes Ritual zelebriert, während anderswo, manchmal gleichzeitig, eine Imaginationskraft vorgestellt wird, die auf kreative Weise mit dem universalen Verstand, Gott oder dem höchsten Künstler, kollaboriert. Manchmal werden sehr hohe Anforderungen an die Wirkung von Kunst gestellt: »Die Künste gründen sich auf das Leben außerhalb der Welt, und sie müssen in den Ohren unserer Reue schreien, bis die Welt vernichtet ist und nur noch als Vision existiert« (EI, 184). Oder anders ausgedrückt: »Wir müssen diese Imagination herausschreien, die immer versucht, die Welt neu zu schaffen entsprechend den Impulsen und den Mustern in jener Großen Vorstellungskraft und in jener Großen Erinnerung« (52). Die apokalyptische Geste zur »Zerstörung der Zeit« scheint eine Vernichtung der Natur zu erfordern, ein komplettes Vertrauen auf die Vision, und zeigt wenig Interesse an uns, der Dichtung oder ihrer Sprache. Meistens werden die Symbole mit den ungenauesten Begriffen beschrieben: »Ein Symbol ist allerdings der einzig mögliche Ausdruck einer unsichtbaren Essenz.« Verglichen mit der symbolischen Imagination, die eine Offenbarung darstellt, ist die Einbildungskraft reines Vergnügen (116). Symbole sind »Blüten, wie man sagt, die aus unsterblichen Wurzeln wachsen, Hände, wie man sagt, die den Weg in ein göttliches Labyrinth zeigen« (117). Doch Yeats macht auch Versuche, zwischen angeborenen oder willkürlichen (49), emotionalen oder intellektuellen Symbolen zu unterscheiden: »Sie evozieren entweder nur Ideen oder Ideen mit Emotionen vermischt« (160). Dies impliziert, daß heutige Symbole bedauernswerterweise intellektuell sind. Denn wie, fragt Yeats, »können die Künste das langsame Sterben der menschlichen Herzen überdauern, das wir Fortschritt der Welt nennen, und wie können sie ihre Hände wieder auf die Herzen der Menschen legen, ohne zum Schmuck der Religion zu werden wie in alten Zeiten?« (162-63). Diese Vorstellung des Symbolismus erscheint seltsam und sehr allgemein, aber Yeats bringt es fertig, diese Vorstellung als kritisches Werkzeug erfolgreich zu gebrauchen. In dem positiven Sinn von Coleridge (und schließlich Goethe) lehnt
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Yeats die Allegorie ab. Sie ist »an die große Scheunentür des gemeinen Verstandes angeheftet und von rein praktischer Bedeutung« (EI, 367). Wenn Yeats Spenser erörtert, versucht er, ihn von einem Makel zu befreien: »Die Allegorie ist nicht natürlich« für ihn (368); er sei eher »ein Dichter der entzückten Sinne« (370): »Als Spenser lebte, hatte die Erde noch ihre schützende Heiligkeit«; seine Religion war ein »Paganismus, wie er stolzen und glücklichen Menschen natürlicherweise eigen ist« (366). Dieser Paganismus werde durch den Platonismus der Renaissance bekräftigt. Wenn Yeats Shelleys Symbolismus (unter dem irreführenden Titel »The Philosophy of Shelley's Poetry« [1903]) diskutiert, versucht er, die wiederkehrenden Bilder herauszustellen: Türme und Flüsse, Höhlen und Quellen und jener »einzigartige Stern«. Er schließt daraus, daß »Shelleys Welt solide geworden ist und konsistent genug für den Aufenthaltsort der Seele« (EI, 294). Später allerdings, als Yeats sich selber von dem übermächtigen Einfluß Shelleys auf seine frühe Dichtung befreit hatte, hat er Shelley wegen seines Utopismus kritisiert: »Jene Theorien über die bevorstehenden Veränderungen der Welt, die er mit soviel mühsamem Engagement erbaut hat, treiben ihn ständig vom Leben weg« (E, 149). In A Vision (1928) bedauert Yeats, daß »Shelley die Vision des Bösen nicht hatte, daß er sich die Welt nicht als ständigen Konflikt vorstellen konnte.« Die Gerechtigkeit in Prometheus Unbound erscheint ihm jetzt als ein vages Gefühl, und »die Frauen, die ihre Ankunft erwarten, sind lediglich Schatten« (V, 144). In einer späten Einleitung zu Prometheus Unbound(1932) verurteilt Yeats Shelley, weil er »ein Wunder erwartet, das Königreich Gottes im Zwinkern des Auges« (EI, 419). Er wendet sich gegen einen, wie er meint, willkürlichen Rationalismus: »Shelley war kein Mystiker, sein Gedankensystem wurde durch seine logischen Fähigkeiten begründet, um seine Wünsche zu befriedigen, nicht um eine symbolische Offenbarung nach der Verabschiedung aller Wünsche zu erlangen. Er konnte weder mit Dante sagen, >Sein Wille ist unser Friedes noch mit der literarischen Figur Finn, >die beste Musik ist die, die gespielt wirddurchtränkt< von Liebe«(£, 448-49). Ähnlich spricht Yeats über andere Beispiele: »Timon von Athen denkt an sein eigenes Ende und befiehlt, daß sein Grabmal am Strand der Salzflut errichtet werden solle, und Cleopatra legt die Schlange an ihren Busen, und ihre Worte bewegen uns, weil ihr Leid nicht ihr eigenes über das Grab und die Schlange ist, sondern weil es das Schicksal aller Menschen ist. Diese Freude hat das Leid rein gehalten, genauso wie sie die Gefühle Liebe oder Haß einbezogen hat, denn der Adel der Künste liegt in der Vermischung der Gegenteile. Es geht um das Extrem des Leidens, das Extrem der Freude, die Perfektion der Persönlichkeit, die Perfektion ihres Untergangs, überfließende turbulente Energie und marmorhafte Stille« (EI, 255). Die Vermischung oder das Gegeneinanderschlagen der Gegenteile hört sich an wie ein ästhetisches Prinzip von Coleridge oder Blake, aber es geht auch um Yeats' eigene Ablehnung und seinen eigenen Haß auf den Tod: »Wir lieben laut und verspotten im Entsetzen oder in der Süße des Jubels den Tod und das Vergessen« (322). Die Schöpfung, die Kunst, der Ruhm und der Nachruhm sind Garantien des Überlebens jenseits einer christlichen Unsterblichkeit oder einer indischen Metempsychose: Non omnis moriar, sagte der stolze Horaz schon vor langer Zeit. Yeats, so kann man argumentieren, versucht es immer auf beiden Wegen, oder er erfaßt beide Extreme und findet sie vereinbar oder wenigstens kompatibel: das Einzelne und das Allgemeine; das Persönliche und das Kollektive; das SinnlichKörperliche und das Übernatürliche; Tradition und den individuellen Genius; das Suggestive und das solide, fixierte Symbolische, »Marktstand und Himmel«. Eine genuine Dialektik ähnlich der Hegels durchdringt seine Theorie der Kunst. Er sehnt sich letztlich wie viele vor und nach ihm - selbst T. S. Eliot - nach der Einheit des Seins und projiziert es in die Geschichte als eine Realität der Vergangenheit, die durch die moderne Zivilisation verloren gegangen ist. In Übereinstimmung mit Ruskins und Morris' Mittelalterbegeisterung sieht Yeats das Mittelalter als die Epoche an, in der der Mensch noch ganzheitlich begriffen wurde. Dante wird zitiert mit dem Begriff »Einheit des Seins«. Er vergleicht die Schönheit mit einem perfekt proportionierten menschlichen Körper in Convito (A, 128): »Europa hatte ein gemeinsames Bewußtsein und ein gemeinsames Herz, bis Bewußtsein und Herz in Teile zerbrachen kurz vor Shakespeares Geburt« (129). Es ist nicht klar, warum die Mitte des 16. Jahrhunderts hier herausgestellt wird als Drehpunkt. Nachdem er Whiteheads Science and the Modem World (1926) gelesen hatte, akzeptierte Yeats die Ansicht, daß
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»das Bewußtsein sich im 17. Jahrhundert gespalten hat in Bewußtsein und Raum« (E, 434), daß »Descartes, Locke und Newton die Welt wegnahmen und uns statt dessen Exkremente gaben« (325). Das ist eine derb formulierte Wiederaufnahme von Blakes Ablehnung von Locke und Newton. Manchmal legt Yeats den Beginn der Desintegration auf ein spezifisches Datum fest: »jener Morgen, als Descartes entdeckte, daß er besser in seinem Bett denken konnte« (A, 120) wahrscheinlich der 10. November 1619 in Neuburg an der Donau, als er drei aufeinanderfolgende Träume hatte, die ihn von seiner Mission überzeugten. Manchmal scheint Yeats zwei Meinungen gleichzeitig zu vertreten: »Ich verachte die Renaissance«, sagt er, »weil sie das menschliche Bewußtsein unorganisch machte; ich bete die Renaissance an, weil sie die Form klärte und Freiheit schuf« (On the Boiler, 27, in E unterdrückt). Bei anderen Gelegenheiten sieht er den Vorgang sinnlich als graduelles Absinken, als einen Prozeß der menschlichen Spezialisierung: »Der Feind dieser Einheit war die Abstraktion, wobei Abstraktion nicht den Unterschied, sondern die Isolation der Beschäftigung meint, den Unterschied der Klasse oder Fähigkeit.« Diese Mitteilung klingt fast marxistisch und ist sicher für Morris verständlich, der Marx gelesen hat, während Yeats Marx ablehnte als »Macaulay mit den Hacken in der Luft« (E, 424). Yeats selber bezieht sich auf Ruskin, der wußte, daß »die Maschine sich nicht zum Besten der Welt von der Handarbeit trennte« und daß »die Trennung der Klassen zu ihrer Isolation geführt hat« (A, 130). Yeats zitiert dann sein eigenes »Second Coming«: Die Dinge fallen auseinander; das Zentrum hält sie nicht mehr; Reine Anarchie regiert die Welt. Dies wird manchmal als Verfall der Religion dargestellt: »Ich würde die Literatur in den drei Dingen finden, die Kant notwendig für ein lebenswertes Leben hielt Freiheit, Gott, Unsterblichkeit. Das Verschwinden dieser Trias schon vor >Bacon, Newton, Locke < hat die Literatur dekadent gemacht. Weil die Freiheit verschwunden ist, haben wir Stendhals >Spiegel, der die Straße hinabwandeltdie Vernichtung von Völkern und die Zerstörung von Städtenein zur Ewigkeit erstarrter Augenblick< begriffen wurde«, was dann nicht mehr ganz mit der Ansicht, »daß es die Absicht aller Dichtung war, Dichtung zu sein«, (RM, 20) übereinstimmt. Doch gerade dieses Beharren auf dem Grundsatz einer Dichtung um der Dichtung willen erlaubt es Symons, Hintergrund, Vorbilder, historische Entwicklung (er weist ausdrücklich Courthope und Brunetiere zurück [10]) außer acht zu lassen und einen Maßstab des poetischen Augenblicks, der Verzauberung, der Intensität zu propagieren. Er erhält so ein Kriterium, um das ganze 18. Jahrhundert als eine Unterbrechung der großen imaginativen Tradition der englischen Dichtung zu begreifen und abzulehnen und um Scott, Southey und jeden anderen, von dem er glaubt, er schreibe versifizierte Rhetorik, Didaktik, Narrativik oder breite reine Beschreibungen oder satirische Schlauheit aus, hart zu kritisieren. Dennoch behandelt Symons sowohl John Cläre (seine Entdeckung) wie auch George Crabbe mit großer Sympathie, obwohl er sich beklagt: »Was für eine abwegige Einbildung, daß Wahrheit ohne Schönheit irgendeine Bedeutung für die Kunst haben könne« (60). Die Essays über die großen Dichter enthalten zahlreiche bemerkenswerte Formulierungen, die ungerecht oder einseitig sind, doch oft ins Schwarze treffen. Blake, über den Symons ein überraschend vernünftiges Buch schrieb (1907), das ihn eher zum Nietzsche-Anhänger als zum Mystiker stempelt, wird charakterisiert mit der Feststellung, daß er »eine Dichtung des Verstandes, abstrakt in ihrer Substanz« schreibe: »Es gibt keine Männer und Frauen in der Welt von Blakes Dichtung, nur Instinkte und Energien der Einbildungskraft« (RM, 42). Wordsworth wird als gespaltene Persönlichkeit gesehen, die entweder in göttlicher Sprache prophezeit oder wie ein Dorftrottel daherbabbelt (80). Er wird kritisiert wegen seiner Unfähigkeit, zwischen »Laune und Intuition« zu unterscheiden (78). Der Höhepunkt von Coleridges Dichtung wird in Kubla Khan gesehen - ein Gedicht, das Symons in seiner »Traumtechnik« an Mallarme erinnert (140). Dann unternimmt Symons Versuche psychologischer Porträtierung, wenn er von Coleridges »leidenschaftsloser Empfindsamkeit« spricht, »dem tropfenden
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Ausfluß unterdrückter Gefühle, einer Art moralischen Lecks« (124), und über dessen »Rhetorik der Unterwürfigkeit« (125) ablehnend reflektiert, während er dessen Literaturkritik überschwenglich lobt. Denkt man an den von Symons propagierten Maßstab der »Verzauberung«, so ist der Essay über Byron überraschend positiv in seiner Betonung von Byrons Ernsthaftigkeit, seiner rauhen und direkten Menschlichkeit, obwohl Symons ein »Fehlen von Atmosphäre« und ein »Fehlen >Innerer VisionHerz der Dunkelheit habe. ... Ich wußte nicht, daß ich mich an Grausamkeit ergötze und daß Blutvergießen meine Obsession ist« (Brief vom August 1908, zit. bei Lhombreaud, Arthur Symons, 232); doch er vergab ihm und wurde sein Freund und Nachbar im ländlichen Kent, wo Symons 1945 im Alter von 80 Jahren starb, nachdem er seinen Ruhm längst überlebt hatte.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Studies in Two Literatures (1897) Studies in Prose and Verse (1904). The Romantic Movement in English Poetry (1909). Zitiert als RM. Figures of Several Centuries (1916). Dramatis Personae (1923). Collected Works, 9 Bde. (1924). The Symbolist Movement in Literature, Ndr. mit einer Einleitung von Richard Ellmann (1956). Zitiert als SM. Max Wildi. Arthur Symons als Kritiker der Literatur (1929). Eine gute Schweizer Arbeit. Roger Lhombreaud. Arthur Symons. A Critical Biography (1963). John M. Munro. Arthur Symons (1969).
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GEORGE MOORE (1852-1933)
Das Interesse an den französischen Symbolisten zeigte sich schon vor Symons in den frühen Schriften George Moores. 1873 war Moore von Irland nach Paris gegangen und lebte dort bis 1880. Zuerst versuchte er, Maler zu werden, später schloß er sich der französischen literarischen Szene an, über die er einen frischen und begeisterten Bericht in Confessions of a Young Man (1888) gibt. Hier und in den Artikeln, deren Sammelausgabe als Impressions and Opinions (1891) erschien, schrieb Moore skizzenhafte und oft schlecht recherchierte Berichte über die neuen französischen Dichter. Moore war der erste, der - auf englisch - die Legende von Rimbauds Leben erzählte und Laforgue, »diesen Watteau des cafe-concert«l, beschrieb. Er lehnte Mallarmes Dichtung als »Verwirrungen eines verfeinerten Verstandes« ab, obwohl er den Dichter als Menschen bewunderte. Gautier und Verlaine waren seine französischen Lieblingsdichter. Wie seine Zeitgenossen wendet er sich gegen Hugo und dessen Darstellung Gottes: »Arm in Arm tollt er mit Ihm durchs Universum.« Der Kontrast zwischen Verlaines geistiger und musikalischer Dichtung und seiner Lebensführung fasziniert Moore, denn er hatte Verlaine in der Verkommenheit seiner letzten Tage gesehen (CYM, 340, 350; Letters from George Moore to Edouard Dujardin [1929]; »A Great Poet« in /O, 85-94). Er war Freund und Korrespondent von Edouard Dujardin geworden und zeigte Sympathie für symbolistische Theorien, obwohl seine frühen Romane ziemlich naturalistisch sind und in Thema und Technik sogar an Zola erinnern. Moore kehrte 1901 ins heimatliche Irland zurück und beteiligte sich an der Etablierung eines irischen Dramas; doch er war ein später Teilnehmer an der irischen Literatur-Renaissance und war nie völlig von der Sache überzeugt. Er fühlte sich eher wie Joyce und meinte, daß »ein Ire aus Irland fliehen müsse, wenn er zu sich selbst gelangen wolle« (Hail and Farewell. Carra-Ausg., i:viii). Die irische Episode war ein Fehlschlag: Moore stritt sich mit Yeats über ein gemeinsames Dramenprojekt. Sein angeberischer, bösartig satirischer und sogar beleidigender Bericht über seine Jahre in Irland in Hail and Farewell (5 Bde., 1911-14) bestätigt diese Ansicht. Lediglich in Moores späten Schriften kann man gelegentlich auch Literaturkritik finden. An Anthology of Pure Poetry (1924) basiert auf einer definitiven Theorie, die im Vorwort und in einem Dialog in den Conversations in Ebury Street (1924) dargelegt wird. Reine Dichtung ist eine Dichtung, die frei von .
, 95—102, bes. 97—98: »Two Unknown Poets«; Moore zitiert Rimbauds »Ma Boheme« als »never before published«, obwohl er es aus La Revue Independante (Januar-Februar 1889) abgeschrieben haben muß; siehe Rimbaud, Oeuvres, PleiadeAusg., 663.
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Gedanken, Ideen, Moral, Propaganda ist: Sie ist frei von persönlicher Emotion, eine Dichtung der Dinge, nicht der Gefühle: »Der Dichter kreiert außerhalb seiner eigenen Persönlichkeit.« Moore beklagt sich, daß moderne Kunst der »Unschuld der Vision« entbehre. Er bewundert Gautiers »La Tulipe«, weil sie nicht »durch die subjektive Schwäche verdorben« sei, wie er sie selbst in Keats' »Ode to Autumn« findet (CES, 223, 230; APP, 20; Moore spricht ungenau von Keats' »Sonnet to Autumn«!). Shakespeares Lieder, einige elizabethanische Gedichte von Campion, Ben Jonson, Herrick und anderen, viele Gedichte des frühen Blake, »Kubla Khan«, einige von Shelleys Gedichten, wie etwa »Hymn to Pan« und »The Cloud«, Tennysons »Mariana« und »The Lady of Shalott«, vieles von Poe und einige Stücke von Morris entsprechen diesem Ideal und werden in die Anthologie aufgenommen. Außer »The Green Linnet« entspricht jedoch nichts von Wordsworth den Ansprüchen Moores. Das Sonett über die Westminster-Brücke verfällt dem Verdacht, »daß der Dichter nicht durch das schöne Bild einer morgendlichen Stadt am Fluß, sondern durch die Hoffnung, ein weiteres Mal in der Natur eine Seele zu entdecken, angeregt worden sei«. Das Gedicht »fällt in die Kategorie des Proselytentums in der Dichtung« (APP, 30-31, 19-20). Moores Argumentation und sein zentrales Kriterium sind durchaus vernünftig. Sein Begriff der »reinen« Dichtung ist nicht schlechter als der des Abbe Bremond, der diese Art der Dichtung mit Gebeten verglich, und er ist auch nicht schlechter als Valerys strenges geistiges Ideal. Doch Moore kann kaum Marvells Gedicht »Nymph Complaining for the Death of Her Faun« verstanden haben, das er in seine Sammlung aufnahm. Moore will keine Beschreibungen, sondern fordert Bilder, bildhafte Klarheit und die visuelle Welt, die er als Romanschriftsteller und Romankritiker anstrebte. In seinen frühen Jahren wurde Moore tief von Zola beeindruckt. Sein erster Roman, A Modern Lover (1883), ist eine unbeholfene Imitation des Meisters.2 Doch Moore erkannte bald die Grenzen Zolas und seiner Methoden (siehe »My Impression of Zola«, IO, 66-84, und CYM, 364, 380). Er zog den imaginationsreichen Realismus Balzacs und Turgenjews vor. Moore findet »mehr Weisheit und mehr göttliche Imagination in Balzac als in irgendeinem anderen Schriftsteller« einschließlich Shakespeare und sieht sehr wohl Balzacs historische Voreingenommenheit, »seine Fähigkeit, seine eigene Zeit mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit in Kontrast und in Opposition zu setzen«.3 Turgenjew zog ihn sogar noch unmittelbarer an, obwohl Moore den Unterschied zwischen »dem Feuer Siehe Milton Chaikin, »The Composition of George Moore's A Modem Lover«, Comparative Literature 7 (1955): 259—64. , 43, i6; vgl. CES, 73; in Conversations druckt Moore einen frühen Aufsatz über Balzac (1889) mit einigen Veränderungen und ebenfalls eine französische Vorlesung »Balzac et Shakespeare« (1910), die schon vorher in Avowals (1919) nachgedruckt worden war; siehe CES, 67-93.
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und der Explosion Balzacs« und einer »dürftigen, irritierenden Zurückhaltung« bei Turgenjew zugab. Moore bewunderte die Kurzgeschichten sehr wegen »ihrer Abruptheit und Freiheit von Psychologie« und versuchte, sie in seinen irischen Geschichten, The Unfilled Field (1903), zu imitieren. Er zog eine fließende Linie zwischen dem westlichen analytischen Roman und der östlichen gradlinigen Erzählung, für die ihm Turgenjew repräsentativ zu sein scheint. Moore weiß um Turgenjews Methode, sich auf seine Erfahrung und auf reale Vorbilder zu beziehen, und bemerkt einfühlsam, daß Turgenjew nicht immer seine Vorbilder verstehe: Der Charakter Basarows bliebe seinem eigenen Autor unklar. Deswegen zog Moore Jungfräuliche Erde dem Roman Väter und Söhne vor (IO, 47, 60, 63-64, 58). Diese frühen Vorlieben unter den Romanschriftstellern werden in den späteren Büchern, Avowals und Conversations in Ebury Street, ausgearbeitet. Moore hatte sich von den Anwandlungen der 9oer Jahre freigemacht und hatte eingesehen, daß Impressions and Opinions ein Buch der »Ungereimtheiten« war, das jeder Einheit des Gegenstandes und der Sprache entbehrte (CES, 36, 95). Doch in den neuen Büchern mit ihrer losen Form erfundener Gespräche beging Moore schlimmere Sünden als bloß Ungereimtheiten. Er zeigt heftige Vorurteile, läßt sich auf ausgedehnte Spiele mit vorgeblicher oder angeberischer Unwissenheit ein, führt Rundumschläge gegen fast das gesamte Werk seiner Konkurrenten unter den Romanschriftstellern und widerspricht sich ohne Scheu oder ändert seine Meinung schon nach wenigen Seiten. Ansichten anderer Autoren verdreht er gelegentlich sogar absichtlich. So sagte er in dem Turgenjew-Essay in der Fortnightly Review (N. F. 48 [1888] : 239): »Tolstoi [sie.] habe ich nicht gelesen, aber er ist Gaboriau [ein früher Kriminalschriftsteller] mit psychologischer Soße und das auch nur minderer Art.« Damit wiederholt er einen Ausspruch über Dostojewski, wie er von Teodor de Wyzewa Zola zugeschrieben wird (in Revue independante, Januar 1887). 1894 schrieb Moore jedoch eine zustimmende Einleitung für eine Übersetzung von Dostojewskis Arme Leute mit einem Titelbild von Aubrey Beardsley. Dort gesteht er, daß er einst über Schuld und Sühne geschrieben habe, es sei »Gaboriau mit psychologischer Soße« und entschuldigt sich. »Der Wunsch, geistreich zu sein, verleitet die Menschen zu Wendungen, die sie später« bereuen. Dennoch, das Gesagte erscheint ihm nicht »völlig unverdient«. Arme Leute wird gelobt, doch es kann nicht so perfekt sein wie Turgenjew, weil Turgenjew »der größte Künstler seit dem Altertum« sei (Vorwort). Turgenjews und Balzacs Konkurrenten werden systematisch abgewertet. Madame Bovary, erfahren wir, ist nicht so gut geschrieben wie Eugenie Grandet. Moore möchte »die steife Erzählweise, die kurzen Sätze, die wie ein Geflügelbraten zusammengebunden sind und das unvermeidliche Adjektiv in der Mitte stehen haben«, bloßstellen. Er kann den »merkwürdigen Glauben an das treffende Wort« nicht verstehen. Dennoch ist Flaubert besser als Zola, Daudet und die Goncourts (A, 235-37). Moore mochte Tolstoi auch wegen
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seines »rohen Temperaments« - wie »ein wildes Tier, das am Gitter rüttelt und versucht, seiner Animalität zu entfliehen« - nicht leiden. Er wird abgestoßen von Tolstois »unangenehm grellem weißem Licht« (A, 144, 132; ES, 13). Die Kommentare über den englischen Roman neigen ebenfalls zu einer übertriebenen Heftigkeit des Ausdrucks und zu leichtfertigen Aburteilungen. Da Tom Jones ein »völlig leeres Buch ohne Empfindsamkeit irgendeiner Art, geistig oder physisch« ist, ist es nicht verwunderlich, daß Moore eher Sterne bewundert: »The Sentimental Journey erinnert vielleicht mehr an die Antike als irgendein anderes Buch der modernen Welt« - etwa eines wie Daphnis and Chloe (A, 18, 21-23). Er beurteilt Scott unfairerweise nach einer unmaßgeblichen Passage aus Waverley, die ihm aus einer Dienstmädchenpostille zu kommen scheint (33). Die Zurückweisung der »niederträchtigen englischen Tradition, daß Humor eine literarische Qualität sei«, erlaubt es ihm, Dickens' natürlich-spontanes Talent zuzugeben, doch dessen Vergeudung zu bedauern (79-81). Es erscheint als wenig wohlwollend, von Thackerays »magerem, sandigem Verstand« (83) zu sprechen und sich in einem beabsichtigt frivolen Austausch mit John Freeman über George Eliot lustig zu machen, obwohl Moore zugibt, daß The Mill on the Floss »eine gut angelegte Erzählung sei«: »George Eliot konstruierte gut und solide; ihre Prosa ist umfassend und ausgewogen. Aber diese Vorzüge reichen nicht aus, um sie vor der verschlingenden, gurgelnden Flut der Zeit zu retten; ihre Bücher sind untergegangen wie die Mühle.« Dieses Urteil mag in den 2oer Jahren gestimmt haben, ist jedoch durch die Wiederentdeckung George Eliots ungültig geworden. Statt dessen scheinen Moores eigene Werke wie die Mühle untergegangen zu sein. Manchmal verbindet Moore allerdings satirische Analyse und hartes Abwägen mit einem hohen Maßstab der Glaubwürdigkeit, mit einer zusammenhängenden und guten Darstellung, so daß es ihm gelingt, den Leser zu überreden oder wenigstens zu amüsieren durch passende Zitate und geschicktes, tendenziöses Nacherzählen. Moore trifft ins Zentrum mit seiner Verspottung von Jane Eyre (A, 68 ff.) und glänzt auf Hardy s Kosten mit Witzen über dessen »schlechtgebautes Melodrama, das schwach und in fehlerhafter Sprache abgefaßt ist«. Er erzählt eine anmaßende Geschichte aus A Group of Noble Dames mit vernichtendem Effekt nach. Moore verfolgte auch Henry James mit seinem beißenden Spott. Obwohl er ihn als »außerordentlich fähigen Kritiker« bewunderte, bedauerte er, daß ihm »menschlicher Instinkt fehlte«: »Er hielt triviale Bemerkungen über Männer und Frauen irrtümlich für Psychologie.« Er verliert sich in Nebensächlichkeiten, in Abwägungen, ob eine Frau eine Tasse Tee annehmen solle oder nicht, »im Durchwandern eines Gestrüpps von Nebensätzen«, im »Hervorholen eines Rudels von Jagdhunden für die Jagd auf eine Ratte«. Der Kuß in Portrait of a Lady ist »einer der schlimmsten in der Literatur und gleichzeitig der Nachweis, daß Henry James nichts vom Küssen versteht und ihn das auch nicht interessiert« (A, 186-187). Dennoch ist Moore nicht nur unfreundlich gegenüber seinen Konkurrenten oder unempfänglich gegenüber dem, was nach Romantik aus-
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sieht. Er lobt Hawthorne und The House of Seven Gables nachdrücklich (95 ff.). Er bewahrte sich etwas von seiner frühen Begeisterung, auch wenn sie nicht mit seinen Romanzielen in Übereinstimmung stand: Die Bewunderung für Pater »ein größerer Schriftsteller als Flaubert« -, der »die englische Sprache von den Toten auferweckte«, und für Länder, den er über Shakespeare stellt, bleibt uneingeschränkt bestehen (198,180; CES, 96). Imaginary Conversations sind das Vorbild für die Dialoge in Avowels und Conversations in Ebury Street, an denen Edmund Gosse, Walter De La Mare, John Freeman und andere einen eher passiven Anteil nehmen. Moores späte Bücher sind viel leichter, flüchtiger, viel weniger bemüht als Landors Dialoge. Ein tiefer Einschnitt liegt zwischen dem dominierenden, lehrhaften Landor und dem spöttischen Moore, der nur seinem Gespür vertraut, einem »Sinnesurteil«, das er mit den »Launen des Fleisches« und »sexuellen Neigungen« vergleicht. Kurz nachdem Anatole France die impressionistischen Glaubenssätze formuliert hatte, sagte Moore, daß Kritik »die Seelengeschichte des Kritikers« sei (CYM, 367-68; /0,43, im Artikel über Balzac [1889]; das Vorwort für La vie litteraire datiert von r£
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Confessions of a Young Man (1888). Zitiert als CYM. Impressions and Opinions (1891). Zitiert als 7O. Avowals (1919). Zitiert als A. An Anthology of Pure Poetry (1924). Zitiert als PP. Conversations in Ebury Street (1924). Zitiert als ES. Collected Works, Carra-Ausg., 21 Bde. (1922—24). Malcolm Brown. George Moore: A Reconsideration (1955). Enthält ein Kapitel über »The Craftsman as Critic«, Ndr. in The Man of Wax: Critical Essays on George Moore, hg. v. Douglas A. Hughes (1971). Georges-Paul Collet. George Moore et la France (1957). Enthält eine Bibliographie früher Artikel und Schriften über Moore. Jean-C. Noel. George Moore: L'homme etl'oeuvre (1966). Eine umfangreiche (706 S.) these mit wenig Interesse an Literaturkritik; enthält eine ausführliche Bibliographie.
KAPITEL 2
AKADEMISCHE KRITIKER Im frühen 20. Jahrhundert etablierte sich die Kritik an den Universitäten. Kritiker waren Professoren oder vielmehr: Professoren wurden Kritiker, und Kritik wurde ein Unterrichtsgegenstand. Ob diese Entwicklung gut gewesen ist für die Sache der Kritik als solche, bleibt diskutierbar. Sowohl in Großbritannien wie in den Vereinigten Staaten sind viele Kritiker »akademisch« geworden und fühlen nachdrücklich, daß sie etwas anderes sind als Journalisten. Der Literat, der Gelehrsamkeit und Journalismus verband, ist fast verschwunden. Middleton Murry und Edmund Wilson sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Die Eingliederung der Kritik in die Universitäten war ein sehr langsamer Prozeß. Man könnte behaupten, daß Hugh Blair, der 1762 an der Universität Edinburgh der erste Professor für Rhetorik und Beiles Lettres wurde, ein Kritiker war und daß Thomas Warton, der Autor der ersten History of English Poetry (1774-81), ein Fellow des Trinity College Oxford, so etwas wie ein Kritiker war. Doch keiner der wichtigen Kritiker des frühen 19. Jahrhunderts lehrte an der Universität: weder Coleridge, noch Hazlitt, noch Macaulay, noch Carlyle, noch De Quincey, noch nicht einmal der gelehrte Historiker der europäischen Literatur, Henry Hallam, ein Jurist! Die Situation änderte sich langsam in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Matthew Arnold wurde 1857 zum Professor für Dichtung in englischer Sprache in Oxford gewählt. Er war der erste, der in englischer Sprache auf diesem ehrwürdigen, 1704 begründeten Lehrstuhl lehrte. Arnold blieb zehn Jahre im Amt und hielt jedes Jahr einige Vorlesungen. Aus seinen Vorlesungen entstanden zwei Bücher, On Translating Homer (1861) und On the Study of Celtic Literature (1867), obwohl Arnolds Literaturkritik meistens für Zeitschriften verfaßt wurde. Swinburne, John Addington Symonds, Walter Bagehot und Leslie Stephen (der früh akademische Ambitionen aufgegeben hatte) hatten nichts mit einer Universität zu tun. Nur Walter Pater war Fellow des Brasenose College Oxford. Er war ein scheuer, zurückgezogener Mann, dessen Bedeutung nicht aus seiner Lehrtätigkeit, sondern aus der Verbreitung seiner Schriften resultierte. Englische Literatur zu unterrichten, war gegen Ende des 19. Jahrhunderts weit verbreitet, führte aber natürlich nicht notwendig zu einer Stärkung der Position
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der Kritik. University College London hatte seit 1828 einen Professor für englische Sprache und Literatur, doch der Rev. Thomas Dale war eher ein moralisierender Laienprediger. Henry Morley (1822-94), der an demselben Institut von 1865 bis 1885 unterrichtete, war ein populärer Biograph, der Literatur als »Verkörperung des religiösen Lebens Englands« verstand, als eine Sammlung erbauender Passagen. Das technische Literaturstudium wurde außerhalb der Universität betrieben. F. J. Furnivall (1825-1910), Sekretär der Philologischen Gesellschaft, gründete die New Shakspere Society, die Early English Text Society und viele andere solcher Unternehmungen. An den Fakten orientierte Gelehrte kamen nach und nach an die Universitäten. A. W. Ward (1837-1924) nahm 1866 seine Lehrtätigkeit in Manchester auf, und David Masson (1822-1907), der Autor des monumentalen Life of Milton, hatte 30 Jahre lang (1865-95) den zuerst von Blair vertretenen Lehrstuhl inne. So bedeutete das Unterrichten in englischer Literatur, entweder Faktenwissen über die Literaturgeschichte (Ward trat ein für das, was er mit einem deutschen Wort Realpolitik nannte, und schrieb eine rein äußere History of Dramatic Literature) zu vermitteln, oder es war ein unsystematischer, oft predigtähnlicher Kommentar über Personen und Bücher. Der Wendepunkt war die Ernennung von George Saintsbury zum Professor für Rhetorik und Beiles Lettres in Edinburgh 1895. Er war ein entschiedener Verteidiger der Kritik, ein ausgesprochener Kritiker und später der erste Kritikgeschichtler. Er fand große Resonanz an der Hochschule. Etwas bescheidener hatte Edward Dowden (1842-1913) am Trinity College in Dublin kritische Interessen noch über sein weitbekanntes Shakespeare-Buch (1875) hinaus entwickelt. A. C. Bradley fing 1882 als Professor für moderne Literatur und Geschichte am University College in Liverpool an, und W. P. Ker, der 1889 Morley am University College in London folgte, war nicht nur gelehrter Mediävist. In Oxford und Cambridge dauerte es am längsten. In Oxford wurde 1894 eine School of English gegründet, die für das Abschlußexamen eine »kritische« Arbeit verlangte. Als 1885 die Merton-Professur für englische Sprache und Literatur gegründet wurde, wurde mit A. S. Napier ein Philologe ohne literaturwissenschaftliche Interessen ernannt, obwohl Saintsbury, Bradley, Dowden und J. Churton Collins sich beworben hatten. Collins (1848-1908), der als Herausgeber von Cyril Tourneur, Lord Herbert of Cherbury und Milton hervorgetreten war, nahm die Zurückweisung seiner Bewerbung nicht ruhig hin, sondern entfachte eine entschlossene Kampagne für den Unterricht von englischer Literatur, befreit von ihrer - wie er es sah - beschämenden Unterordnung unter die Philologie. Er propagierte ein Studium der englischen Literatur in enger Verbindung mit ihrem antiken Hintergrund und forderte das Einhalten von gewissen Standards der Genauigkeit, die er selber mit gewisser Strenge in seinen oft übertriebenen Rezensionen von Gosse, Saintsbury und anderen Größen seiner Zeit anwandte (siehe Ephemera Critica, 1901). Obwohl seine unmittelbare Wirkung nur minimal war (weil er gegen den akzeptierten Höflichkeitscode ver-
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stieß), erkannte er doch die Feinde eines englischen Literaturunterrichts sehr richtig. Es gab die Verfechter einer rein klassischen Bildung, die nicht ohne Grund um das Leben ihres Unterrichtsgegenstandes fürchteten und das Studium der modernen Literatur des Dilettantismus verdächtigten (»Schwatzen über Shelley«); und es gab die Wissenschaftler der germanischen Philologie, die allein am Altenglischen und am Sprachwandel interessiert waren. So bestand die Hoffnung, sich zu etablieren, für die englische Literaturwissenschaft nur in der Imitation der Methoden und Maßstäbe der klassischen Philologie. Textkritik, Edition, Kommentierung, Forschung im Public Record Office sollten die Anglistik als wissenschaftliche Disziplin etablieren. Eine enorme Aktivität dieser Art hat sich seitdem an den Universitäten wie außerhalb ausgebreitet. Trotz vieler Pedanterie hat sie bedeutende Ergebnisse vorzuweisen. Ihre Geschichte zu schreiben, liegt jedoch nicht in der Absicht dieses Buches.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE J. Churton Collins. Ephemera Critica (1901). Life and Memoirs ofJ. Churton Collins Written and Compiled by His Son L. C. Collins (1912). Stephen Potter. The Muse in Chains: A Study in Education (1937). Oberflächlich. E. M. W. Tillyard. The Muse Unchained: An Intimate Account of the Revolution in English Studies at Cambridge (1958). D. J. Palmer. The Rise of English Studies: An Account of the Study of English Language and Literature from Its Origins to the Making of the Oxford English School (1965). Solide. Chris Baldick. The Social Mission of English Criticism, 1848-1932 (1983).
WALTER RALEIGH (1861-1922) UND ARTHUR QUILLER-COUCH (1863-1944).
Die Anglistik hätte sich problemlos entlang dieser Richtlinien einer Buchwissenschaft entwickeln können, doch überraschenderweise wurde die MertonProfessur 1904 geteilt in Englische Sprache und Englische Literatur. Walter Raleigh wurde gebeten, den dadurch neu entstehenden Lehrstuhl einzunehmen. Als die neubegründete King-Edward-VII-Professur für Englische Literatur in Cambridge durch den frühen Tod des ersten Stelleninhabers, A. W. Verrall (1851-1912) - ein Altphilologe, der über Dryden las - vakant wurde, wurde Sir Arthur Quiller-Couch, ein erfolgreicher Romancier, der sich mit Eifer für die Liberale Partei eingesetzt hatte, aus Cornwall herbeigeholt. Obwohl sie sehr unterschiedlich in Temperament und Charakter waren, vertraten beide eine her-
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ablassende Haltung gegenüber der mehr technischen Seite der Wissenschaften und hegten Verachtung für Theorie und Kritik - oder wenigstens waren ihnen die Gebiete verdächtig -, wo sie über »Zustimmung« und »die Kunst des Lobens« hinausgingen. Sie begründeten, was nach Max Weber fast schon als »Idealtyp« bezeichnet werden könnte: den Professor, der auf seinem Gebiet unsicher ist, Literaturkritik ablehnt und dennoch Genuß und Freude an der Literatur verbreitet, indem er die von ihm geliebten Autoren rezitiert und kommentiert. Er fürchtet sich zutiefst vor dem Vorwurf der Pedanterie, versteckt seine Gelehrsamkeit in der Untertreibung oder in launischen Bemerkungen und ist doch stolz, ein Gentleman zu sein, ein Auserwählter, ein Ritter sowohl durch seinen Titel wie in seiner Einbildung. Alle seine Schriften behandeln wohletablierte Gestalten der Vergangenheit; wenn er sich der Herausforderung des Neuen stellen muß, versucht er sich mit abfälligen Bemerkungen und Scherzen zu verteidigen. Walter Raleighs Letters belegen eine Unbedarftheit in Gefühl und Ausdruck, die man nicht von einem Ästheten, der ein kostbares kleines Buch über Style (1897) geschrieben hatte, erwartet hätte. Die Briefe zeigen seine Verachtung für Kritik: »Der Eunuch war der erste moderne Kritiker« (1:220). »Kritische Bewunderung für das, was jemand anderes geschrieben hat, ist ein Gefühl für Junggesellen. Shakespeare wollte das nicht. Jerome K. Jerome ist in mancher Hinsicht ein passablerer Schriftsteller als Brunetiere oder Saintsbury oder jeder andere der professionellen Kritiker. Er geht und zeugt das Kind selber und hält sich nicht über anderer Leute Liebschaften auf. Wenn ich eine Autobiographie schreibe, soll sie >Bekenntnisse eines Zuhälters< heißen« (1:268-69). »Ich machte mir nie etwas aus Literatur als solcher . .. für mich ist der gelehrte Kritiker ein Tier« (2:239). Verbunden mit dieser Verachtung von Kritik ist Raleighs Hilflosigkeit und Sentimentalität, wenn er z.B. Christina Rossetti als beste lebende Dichterin lobt: »Das einzige, zu dem Christina mich anregt, sind Tränen, nicht Vorlesungen« (1:164). Die Briefe sind voller ungehobelter oder unqualizifierter Urteile: Browning ist »ein gebildetes, interessantes, progressives Schwein« (1:164). Zola und Ibsen sind »moderne Schweine« (1:215). Macaulay ist »Gottes Affe - er geht mir auf die Nerven. Billig, eingebildet, arm, lärmend, blind« (2:279). Raleigh formuliert seine Vorurteile: »Brandes ist völlig bedeutungslos: Er ist nur ein kontinentaler jüdischer Kulturhändler« (2:281). Selbst Matthew Arnold muß ein Jude gewesen sein: »Ich weiß es: wie er aussieht und wie er schreibt. Mein Essay behandelt den kultivierten Juden« (2:383). Doch es ist immer ungerecht, jemanden nach seinen Gelegenheitsbriefen, die von einer Witwe oder einem Schüler aus Pietät gesammelt wurden, zu beurteilen. Ein Schriftsteller sollte nach seinen offiziellen Aussagen beurteilt werden, und hier geht Raleigh viel besser aus einer Beurteilung hervor. Trotz seines vorgeblichen Amateurstatus hatte er eine beträchtliche und breit gestreute Gelehrsamkeit. Die Einleitung zu Sir Thomas Hobys Übersetzung von Castigliones Cortegiano (1900), dessen Ideal des höfischen Gelehrten ihn sympathisch berührte, ist
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äußerst kompetent; und die Six Essays on Johnson (1910) waren zu ihrer Zeit ein guter Vorstoß, um Johnson vor Boswell und Macaulay zu retten und ihn als repräsentativen Engländer zu sehen, als Moralisten und Kritiker und nicht nur als polterndes Orakel. Die Bücher über The English Novel(1894), Milton (1900), Wordsworth (1903) und Shakespeare (1907) sind als Einführungen konzipiert und enthalten in begrenztem Maß nicht nur viel Information und Beschreibung, sondern auch vernünftige, doch kaum tiefreichende Kritik. The English Novel skizziert die Entwicklung von den Anfängen bis zum Erscheinen von Waverley. Der Schwerpunkt liegt bei Fielding und Jane Austen, während Richardson und Sterne auf konventionelle Weise kritisiert werden: »Richardsons Charaktere leben in einem Krankenzimmer, aber an der freien Luft würden sie sterben« (160). Sterne wird wegen »der unkünstlerischen Einbeziehung seiner selbst und seiner eigenen Gefühle in ein Geschehen, das anrührend genug wäre, wenn es nicht durch Sternes Selbstzentriertheit verdorben würde«, getadelt (198). In Milton wird die romantische Auffassung vertreten, daß Milton auf Seiten des Teufels stehe. Wordsworth ist auf die offensichtlichen Aspekte konzentriert: die Französische Revolution, Coleridge, poetische Diktion, Natur. Das Buch schließt mit der Feststellung, daß Wordsworth ein »echter Visionär« gewesen sei (213). Shakespeare ist gut für das Zerstören von Legenden, ist auf wesentliche Aspekte hin angelegt und ist klarer als Bradley bei der Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität. Raleigh stellt fest, daß es wenig sinnvoll wäre, Cordelia wegen ihrer Widerborstigkeit zu schelten: »Wenn Cordelia völlig sanft und nachgiebig gewesen wäre, hätte es kein Drama gegeben« (135). Sie ist eine Figur, die für die Situation erfunden wurde. Raleigh spielt auf Bradley an, wenn er sich über Kritiker beklagt, die die Tatsache außer acht lassen, daß einige Figuren »keine vollständige und unabhängige Existenz« haben; »sie werden nur unter einem begrenzten Gesichtspunkt vorgeführt.« Die Kritiker sind im Unrecht, wenn sie Shakespeares Skizzen vollenden wollen (135). Vieles in diesem Buch ist abgedroschen: Der Nachdruck auf Shakespeares Ironie und Distanz erscheint überspitzt; doch einzelne Erörterungen wie etwa die ziemlich lange von Measure for Measure sind überzeugend, selbst wenn die vom Dramenschluß aufgeworfene Frage nach der Moral ausgespart wird. Raleigh bewundert W. E. Henleys überzeugten Imperialismus. Handlungsstarke Männer wie etwa die elisabethanischen Seefahrer, über die er mit Sympathie schrieb, sind sein Ideal. Im Ersten Weltkrieg unternahm er es, eine Geschichte der britischen Air Force zu schreiben. Ein erster Band, The War in the Air, erschien 1922; doch ehe Raleigh das Werk vollenden konnte, starb er am Fieber, das er sich auf einer Dienstreise nach Bagdad zugezogen hatte. Quiller-Couch war eine viel sanftere Seele. Er schrieb Abenteuerromane in der Nachfolge von R. L. Stevenson, aber kaum ein wirklich kritisches Werk. Er sammelte seine Vorlesungen in vielen Bänden (z.B. On the Art of Writing, Studies in Literature, On the Art of Reading, The Poet as Citizen). Mit dem Oxford Book of
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English Verse, dessen Auswahl er vornahm, beeinflußte er den lyrischen Geschmack nachhaltig und weitreichend. Quiller-Couch teilt Raleighs Ablehnung der Kritik. In seiner Antrittsvorlesung (1912) verspricht er, »alle allgemeinen Definitionen und Theorien« (AW, 18) zu unterlassen. In einer Vorlesung »über die Begriffe >klassisch< und >romantischKlassik< oder >RomantikTendenzenEinflüsseRenaissancenRevolten< aus ihrem Vokabular streichen« (SL, 1:79). Die deutsche Wissenschaft wird das Ziel seiner Angriffe im Ersten Weltkrieg. Es ist merkwürdig, daß er sich ausgerechnet Georg Brandes, einen dänischen Juden, als ihren Repräsentanten aussucht: »Ein Deutscher befaßt sich mit der Theorie, daß Wordsworth den Naturalismus schrieb oder daß der Naturalismus Wordsworth schrieb« (SL, 1:82) - als ob irgend jemand das je gesagt oder geglaubt hätte. Quiller-Couch lehnt Croce und Spingarn ab (PC, 76-77) und kann sich mit einem simplen Relativismus zufrieden geben: »Alle kritische Unterscheidung, aller Geschmack ist relativ« (SL, 3:208). »Ein Buch kann nicht einmal für zwei Menschen dasselbe bedeuten« (SL, 3:211). Doch manchmal bricht er auch in vage idealistische Deklamationen aus: »Platonische Harmonie ist das Prinzip der Dichtung« (PC, 134). Der Mensch »gelangt durch die Harmonisierung der Sprache zur Dichtung und so einen Schritt näher zur Bedeutung der Natur« (PC, 136). Die Verbindung von rohem Empirismus und hochfliegendem Idealismus, von verstreuter Gelehrsamkeit und amateurhafter Begeisterung fand nicht nur bei einer eifrigen Studentengemeinde Anklang, sondern gab auch für die akademische Wissenschaft in den folgenden Jahrzehnten den Ton an. Quiller-Couch war zumindest ein Mann von großer Toleranz: 1917 bewirkte er die Einrichtung eines English Tripos (das ist ein Abschlußexamen in Cambridge), das die Beantwortung von Fragen zur Geschichte der Literaturkritik erfordert. 1919 fing I. A. Richards an, über die Theorie der Kritik zu lesen. Auf das Drängen von Quiller-Couch kam 1925 eine Prüfung über die englischen Moralisten hinzu. Die Atmosphäre änderte sich; die Studenten wurden weniger in Quiller-Couchs Vorlesungen. Er zog sich mehr und mehr in seine Heimat Cornwall, zu seinem Yachtclub und in sein Haus, The Haven, in Fowey zurück. Er starb dort 1944.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Sir Walter Raleigh. The English Navel (1894). Milton (1900). Wordsworth (1903).
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Shakespeare (1907). The Letters of Sir Walter Raleigh (1879-1922), hg. v. Lady Raleigh mit einem Vorwort von David Nichol Smith. 2 Bde., (1926). Sir Arthur Quiller-Couch. On the An of Writing (1916). Zit. als AW. On the Art of Reading (1920). Oxford Book of English Verse (1900). The Poet as Citizen (1934). Zit. als PC. Studies in Literature. 3 Bde. (1919, 1922, 1929). Zit. als SL. F. Brittain. Arthur Quiller-Couch: A Biographical Study (1947).
A. C. BRADLEY (1851-1935).
Die beiden Männer im Rampenlicht in Oxford und Cambridge des frühen 20. Jahrhunderts sollten nicht andere Wissenschaftler dieser Zeit, die Kritiker waren, verdecken. Von diesen ist A. C. Bradley deutlich der beste. Seine Shakespearean Tragedy (1904) bewahrt sich hohe Anerkennung und eine große Leserschaft. Katherine Cooks A. C. Bradley and His Influence in Twentieth-Century Criticism hat das Auf und Nieder von Bradley s Anerkennung als Kritiker verzeichnet: die heftige Reaktion in den 3oern und den späteren Aufschwung. Merkwürdigerweise übersah sie bei den Dutzenden von Urteilen auf ihrer Liste den Lobgesang von John Middleton Murry. Shakespearean Tragedy, sagte er, ist »sicher das größte kritische Einzelwerk in englischer Sprache«.1 Wir können diese Ansicht mit dem Stolz von F. R. Leavis kontrastieren über die »Relegation Bradleys«, die er und die Scrutiny-Gruppe durchsetzten. Sie belehrten die akademische Welt, »wie unangenehm und falsch die Methode Bradleys war«.2 Diese extremen Ansichten entbehren beide der historischen Perspektive sowie jedes Sinnes für Bradleys Stellung innerhalb einer Geistesgeschichte über die Tragödie und über Shakespeare. Nur wenige Kommentatoren sind sich der Grundfakten von Bradleys geistigem Hintergrund bewußt. Er war ein Schüler von Thomas Hill Green, von dem er 50 Jahre später sagte, daß er »seine Seele gerettet« hätte.3 Green wird oft als erster Hegelianer in Oxford beschrieben, obwohl er eher als Kantianer, der Hume und den Empirismus kritisierte, bezeichnet werden sollte. Nach Greens Tod (1882) edierte Bradley die unvollende-
1. »Andrew Bradley«, in Katherine Mansfild and Other Literary Portraits (1949), 114. 2. »A Retrospect«, in Scrutiny 20 (1963): 12. 3. M. Richter. The Politics of Conscience: T. H. Green and His Age (1964), 14.
A. C. BRADLEY
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ten Prolegomena to Ethics (1883). Bradleys philosophischer Hintergrund - der Oxforder objektive Idealismus - könnte nicht deutlicher hervortreten. Auch in der ästhetischen Theorie sind Bradleys Vorläufer offensichtlich. Hegels Philosophie der Tragödie ist das prominenteste Vorbild. Bradley nannte Hegel »den einzigen Philosophen, der die Tragödie auf originelle und zugleich auf gründliche Art abgehandelt hat« (ÖL, 69). Bradleys Darlegung von »Hegel's Theory of Tragedy« (1901) wird mit Recht als wichtigster Hinweis auf seine eigenen Ansichten betrachtet. Aber Bradley hatte auch Kant, Schiller und Eduard von Hartmann studiert. In einer Anmerkung zur Abhandlung über »The Sublime« bemerkt Bradley, daß seine Ansicht »vielleicht näher bei Hartmann als bei irgend jemand sonst« anzusiedeln sei (37 A). Bradley kannte die wichtigsten deutschen Shakespeare-Kritiker: Erbezieht sich auf Goethe, A. W. Schlegel, den Hegelianer Heinrich Theodor Rötscher, Hermann Ulrici, Georg Gottfried Gervinus, Karl Werder und Bernhard Ten Brink.4 Wenn er die Struktur von Shakespeares Dramen erörtert, weist er auf seine Verpflichtung gegenüber Gustav Freytags Technik des Dramas (1873) hin (ST, 40,63). Bradley kannte sich gut aus in der gesamten deutschen Diskussion des Tragischen, eines Begriffes, der bis dahin in England offenbar fast unbekannt war. Nach dem NED erscheint der Begriff »das Tragische« zum ersten Mal in John Morleys Voltaire (1872). »Das Tragische« wurde offenbar sogar in Frankreich als deutsche Erfindung angesehen. Ein Brief Marcel Prousts beginnt: »Vous allez voir tout le tragique comme dirait le critique allemand Curtius de ma situation.«5 Mit ihrer starken Verbindung zur aristotelischen Tradition hatten die Engländer den strukturellen Aspekt der Tragödie erörtert und ihre Wirkung auf die Zuschauer, die angebliche Katharsis, besprochen. Friedrich Wilhelm Schelling war 1795 der erste, der mit dieser Tradition brach und in der Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit nach dem Tragischen suchte.6 Wenn man über Bradley spricht, kommt man nicht umhin, sich mit seiner Philosophie, Ästhetik und seinem Begriff der Tragödie zu befassen. Bradley meinte zu wissen, was Tragödie ist, und er wüßte es, weil er eine Vorstellung von Metaphysik hatte. A. C. Bradley ist überzeugter Monist. Die Wirklichkeit ist eine Einheit. Es kann nicht viele Wirklichkeiten geben. Pluralismus, Atomismus und Individualismus sind falsch. Alle endliche Existenz ist eine »partielle Manifestation des Unendlichen«: »Wahrheit und Wirklichkeit erweisen sich schließlich als bloße Namen für diese Idee oder diese Unendlichkeit.« - »Das Böse ist der Versuch der 4. Siehe Index zu ST; zu Rötscher siehe ÖL, 252; Gervinus: M, 208 und ÖL, 2/iA.; Ten Brink: OL, 298. 5. Correspondance generate (1932), 3:31 6. Siehe Peter Szondi, Versuch über das Tragische (1961); vgl. Josef Körner, »Tragik und Tragödie«, in Preussische Jahrbücher 225 (1931): 59—75, 157—86, 260—84.
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völligen Isolation des Teiles vom Ganzen.« Es ist unvermeidbar, denn es ist Unvollkommenheit, und jedes Endliche drückt das Unendliche nur unvollständig aus. Religion entsteht, weil wir erkennen, daß wir nicht vollkommen sind, weil wir Böses erdulden und böse sind. Es ist ein Fluchtversuch vor dem Bösen, vor dem die Menschen merken, daß sie ihm nicht anders ausweichen können (IR, 236, 241, 247; vgl. 26${.). Doch schließlich, glaubt Bradley, triumphiert die moralische Ordnung, und die Harmonie wird wieder hergestellt. Die Tragödie ist ein Abbild dieses Weltdramas, und Bradley behauptet, daß Shakespeare dieses Drama richtig begriffen, dargestellt und entwickelt habe. Tragödie ist so letztlich Theodizee, eine Verteidigung der Weltordnung. Wenn, wie Bradley ausdrücklich sagt, die Welt »das Königreich des Bösen wäre und daher wertlos«, gäbe es keine Tragödie; denn nichts, nicht das Leid und nicht der Tod, würden viel bedeuten (ST, 327). Tragödie muß ein Zusammenprall von Kräften sein. Indem er sich gegen die Ordnung des Universums auflehnt, muß der tragische Held untergehen, aber es muß ein erhabener Untergang sein: »Wir fühlen, daß dieser Geist selbst in Irrtum und Unterlegenheit durch seine Größe in die ideale Verbindung mit der Macht, die ihn überwindet, aufsteigt« (ÖL, 292). Aus dieser Vorstellung folgt, daß rein passives Leiden nicht tragisch sein kann. Hiob ist nicht tragisch (ST, u). Der Held muß für seine Handlungen verantwortlich sein, muß die Freiheit der Wahl haben, kann daher nicht wahnsinnig sein oder von übernatürlichen Mächten regiert werden und kann auch nicht dem reinen Zufall unterworfen sein (13-15), denn dann könnte er nicht nach moralischen Prinzipien beurteilt werden. Ajax würde wahrscheinlich aus der Liste tragischer Helden ausgeschlossen werden, was auch immer die Griechen gedacht haben und Lily B. Campbell vorbringen könnte.7 Ein wahnsinniger Hamlet ist nicht vorstellbar: er gibt seine »Neigung zur Tollheit« vor. Lear, muß Bradley zugeben, wird wahnsinnig, doch sein Wahnsinn ist eine Folge seiner freien Handlungen und ist vorübergehend. Er wird am Ende wieder er selbst. Auch kann die Tragödie durch das Eingreifen des Übernatürlichen nicht entschieden werden: Die Hexen in Macbeth drücken, obwohl sie keine Halluzinationen sind, doch Macbeths Wünsche aus, die es schon vor dem Erscheinen der Hexen gab; und der Geist bestätigt Hamlets Ahnungen. Dennoch handelt Hamlet oder handelt nicht - wie er es möchte (343f., 139, i73f·)· Reiner Zufall würde die Tragödie zerstören: »Wir finden praktisch keine Spur von Fatalismus« in Shakespeares Tragödien. Selbst in Lear, der voller zufälliger Begegnungen ist, wird »die genaue Verbindung zwischen Handlung und Folge« bewahrt (29, 284; vgl. 15).
7. Shakespeare's Tragic Heroes: Slaves of Passion (1930). Vgl. die Anhänge: »Bradley Revisited: Forty Years After«, Ndr. aus SP 44 (1947) und »Concerning Bradley's Shakespearean Tragedy«, Ndr. aus HLQ j (1949).
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Der Held braucht kein moralischer Mensch zu sein: Er muß jedoch ein großer Mensch, ein erhabener Mensch, der auch Verbrecher sein kann, sein. Das Erhabene, sagt Bradley, »erweckt durch die Erschütterung unserer Endlichkeit das Bewußtsein eines Unendlichen oder Absoluten« (ÖL, 53). Es gibt keine ethischen Unterschiede des Erhabenen: »Daß Sokrates nicht Satan ist, interessiert [das Erhabene] nur wenig. Worum es geht, ist die Wahrheit, daß wenn die Helden erhaben sind, sie alle erhaben und alle gleich sind; denn jeder wird unendlich und fühlt in sich seine eigene Unendlichkeit« (63). So kann Macbeth als erhabener Held behandelt werden auf einer Stufe mit Hamlet, Othello und Lear. Bradley weiß, daß Macbeth ein schreckliches Verbrechen beging, doch er ist ein tragischer Held mit »entsetzlichem Mut«, »unter seinem Gewissen zusammenbrechend« (57^353). Das Böse ist wie Gift: »Die Welt reagiert heftig dagegen und wird im Abwehrkampf gezwungen, sich selbst zu zerstören. Wenn wir fragen, warum die Welt das hervorbringt, was sie zerdrückt und ausscheidet, so gibt uns die Tragödie darauf keine Antwort; und wir versuchen, über die Tragödie hinauszugehen, wenn wir nach einer Antwort suchen« (57^ 304). Wir würden uns dann bemühen, das Geheimnis des Bösen zu ergründen, das nach Bradley (und vielen anderen) unergründbar, ein rein Gegebenes der Existenz, ist. Die Welt stößt das Böse aus, und die moralische Ordnung ist wieder hergestellt. Doch diese Wiederherstellung des Ganzen ist nicht einfach ein moralisches Urteil. Bradley vermeidet mit Bedacht alles, was dem Begriff der »poetischen Gerechtigkeit« ähnlich sein könnte, was an die Verteilung von Belohnungen erinnern könnte, obwohl seiner Meinung nach die Katastrophe einer Tragödie »ein Beispiel von Gerechtigkeit« (31) ist. Es ist allerdings eine mysteriöse Gerechtigkeit, denn sie schließt oft den Untergang der Unschuldigen ein: Desdemona und Cordelia. Bradley verteidigt den Tod Cordelias eigenartigerweise dadurch, daß er sie der Sterblichkeit enthebt: »Was solch einem Wesen widerfährt, ist unwichtig; wichtig ist, was sie ist. Wie das sein kann, wenn nach allem, was die Tragödie uns erzählt, sie aufgehört hat zu existieren, fragen wir nicht; doch die Tragödie selber läßt uns fühlen, daß es irgendwie so ist.« Wir werden auf die »unerforschlichen Wege Gottes« verwiesen, obwohl Bradley immer darauf beharrt, daß der christliche Glauben, die Vorhersage von Belohnung im folgenden Leben, den tragischen Effekt zerstört: »Solche [d. i. Shakespeares] Tragödie setzt voraus, daß die Welt, wie sie dargestellt wird, die Wahrheit ist« (325). Bradley beharrt darauf, daß das elisabethanische Drama »fast ausschließlich weltlich« war. Shakespeare stellt die Welt »im wesentlichen auf die gleiche Art dar, egal ob die Epoche der Geschichte vorchristlich oder christlich ist« (25). Er gibt zu, daß Hamlet »sicher nicht als >religiöses Drama< in diesem Sinn bezeichnet werden kann«, obwohl es »verbreitete religiöse Vorstellungen« häufig benutzt und obwohl es »die am Bösen und Guten im Menschen interessierte höchste Macht auf entschiedenere - obwohl immer dichterische - Weise zur Anschauung bringt als irgendeine andere von 4 Wellek, Literaturkritik 4/1
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Shakespeares Tragödien« (174). Dies konzediert er durchaus. Sein Urteil über Cordelia muß jedoch als verfehlt angesehen werden: »Je unmotivierter, unverdienter, sinnloser, monströser Cordelias Schicksal ist, desto mehr fühlen wir, daß es sie nicht betrifft... wenn wir nur die Dinge so sehen könnten, wie sie sind (d. h. daß das Gute nicht immer belohnt wird), dann würden wir erkennen, daß das Äußere nichts und das Innere alles ist« (325 f.). Hier werden der Tod und das Leiden sehr leichtfertig als Äußerlichkeiten minimiert mit der Begründung, daß der Mensch nur als Geist bestehe. Da die Welt Geist ist, besteht sie aus der Summe, wie F. H. Bradley es nennt, der »endlichen Zentren«. Es gibt nur Seelen, deren Gemeinschaft und das unendliche Ganze. Bei der Tragödie muß Bradley daher zuerst auf die Charaktere sehen. Die Charaktere müssen in ihrer Motivation untersucht werden und als verantwortliche Wesen, deren Beweggründe ihr Verhalten bestimmen und sie in die Handlung einbeziehen, behandelt werden: »Unglück und Katastrophe folgen notwendig aus den Taten der Menschen, und die Hauptursache dieser Taten ist der Charakter.« Bradley akzeptiert nur bedingt das Diktum, daß »der Charakter das Schicksal des Menschen« sei.8 Der Charakter kann offensichtlich nicht lediglich eine überwältigende Leidenschaft oder ein verallgemeinerter Humoraltyp sein wie etwa »die trockene Schwermut« - wie einige Wissenschaftler behaupten. Bradleys Nachdruck auf Charakter hat die schärfste Kritik an seiner Methode und an seiner speziellen Interpretation hervorgerufen. Er versucht mit voller Absicht, die Lücken in der Darstellung eines Charakters auszufüllen und darüber nachzudenken, was diesen Charakter in der Vergangenheit bewegte oder in Zukunft bewegen könnte. Er sieht die Charaktere als Bühnenfiguren, die vom Schauspieler als stimmige menschliche Wesen verstanden und dargestellt werden müssen. Obwohl Bradley nicht von Stanislawski gehört haben wird, erinnert seine Methode doch an die des russischen Produzenten, der empfiehlt, daß der Schauspieler die Biographie der Person, die er auf der Bühne darstellen soll, sich vorstellt und sogar rekonstruiert.9 Bradley war sich sehr wohl des Unterschieds zwischen einem Charakter in einem Drama und einer Person im wirklichen Leben bewußt, obwohl man zugeben muß, daß er sich dem Vorwurf der Verwechslung von Kunst und Leben in einer ganzen Reihe von Fällen aussetzt. Einige davon sind pedantische oder spekulative Projektionen, über die sich L. C. Knights in seinem Pamphlet How Many Children Had Lady Macbeth? (1933) erfolgreich lustig machte. Man muß wissen, daß Bradley diese Frage nie gestellt hat. Doch in den Anmerkungen gibt es eine Sektion »Er hat keine Kinder«, wo
8. ST, 12 f. Der Ausspruch kann zurückgeführt werden auf ein Fragment von Heraclitus: . Vgl. G. Kirk und J. E. Raven, The Presocratic Philosphers (1957), 2139. Konstantin Stanislavsky, Building a Character (1949) und An Actor Prepares (1936).
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wir erfahren: »Lady Macbeths Kind (I, iii, 54) kann leben oder tot sein . . . Es kann sein, daß Macbeth viele oder auch keine Kinder hatte. Wir können darüber nichts sagen, und es berührt das Stück nicht« (ST, 486, 489). Knights selber schrieb später die Erfindung des Titels F. R. Leavis zu und entschuldigte sich für die böse Wirkung, die dieser Titel hatte.10 Doch es gibt in der Tat viele Fälle, die als Verwechslung zwischen Leben und Bühne bezeichnet werden können. Einige sind sentimentale Projektionen, hypothetische Fragen, wenn etwa Bradley über Desdemona sagt, daß, »wenn sie gelebt hätte, . . . ihre Individualität und Stärke zu tausend Handlungen geführt hätten, die mitfühlend und gut, aber überraschend für ihre alltäglichen und zurückhaltenden Nachbarn gewesen wären« (204). Diese Feststellung könnte als Versuch der weiterführenden Definition ihres Charakters verteidigt werden, eines Charakters, der Freundlichkeit und Zurückhaltung mit Mut und Hartnäckigkeit verbindet, wie sich in ihrer Heirat und in ihrem nachdrücklichen Eintreten für Cassio zeigt. Wir könnten sogar das Spekulieren über Romeos Liebe zu Rosaline, »die zur echten Leidenschaft hätte werden können, wenn Rosaline freundlich gewesen wäre« (ÖL, 326 A), verteidigen als Umschreibung der Feststellung, daß Romeo in die Liebe verliebt war. Andere Passagen scheinen das Bühnengeschehen wörtlich zu nehmen, als ob es historisch sei. Bradley behauptet, daß Cassio nicht jünger als Jago war, der 28 ist, denn »ein bloßer Jüngling wäre nicht zum Gouverneur von Zypern ernannt worden« (ST, 213), oder daß Cleopatra eine physisch starke Frau gewesen sein müsse, weil sie Antonys schweren Körper vom Boden zu ihrem Turm getragen hätte (ÖL, 300), oder daß der Hofstaat in Hamlet - immerhin lediglich eine Bühnenschar - keinen Hinweis darauf gebe, daß er Claudius' Verlassen des Stücks im Stück als Mordeingeständnis erkennt (ST, 137 A). Schon 1905 hob A. B. Walkley, damals ein bekannter Theaterkritiker, diese Passage als »herrliche Naivität« hervor.11 Andere Passagen könnten als merkwürdige geistige Experimente bezeichnet werden, etwa wenn Bradley eine Figur in ein anderes Drama hinüberzieht und darüber spekuliert, wie sie in anderer Situation sich verhalten hätte. Eine ganze Seite ist der Frage gewidmet, was Cordelia an Desdemonas Stelle und was Desdemona an Cordelias Stelle getan hätte (205f.; vgl. 318). Ähnlich erfahren wir: »Stellen Sie sich vor, daß Goneril sagt >Hätt er nicht / Geglichen meinem Vater, wie er schlief, / So hart' ich's selbst getan. < (Macbeth, II, ii, 14 [Schlegel-Tieck])« (370) und daß »Posthumus nie gehandelt hätte wie Othello« und »Othello Jachimos Herausforderung mit mehr als Worten entgegengetreten wäre« (21). Bradley nimmt an, daß Hamlet, »wäre die Botschaft des Geistes innerhalb der ersten Woche nach seines Vaters Tod gekommen, so
io. Vgl. den von John Britton zitierten Brief in »A. C. Bradley and Those Children of Lady Macbeth«, in SQ 12 (1961): 349-51. n. London Times vom 7. 4. 1905, Ndr. in Drama and Life (1907), I37A.
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entschlossen wie Othello gehandelt hätte« (116). Alle diese Passagen können als rhetorische Wendungen erklärt werden, um uns die unterschiedlichen Charaktere und Situationen um so klarer erkennen zu lassen. Wir könnten Lady Macbeths erwachendes Gewissen bemerken, oder wir können erkennen, daß Hamlet keine abnorm spekulative und sensitive Natur war, wie Goethe und Coleridge meinten, sondern durch den Schock über den Tod seines Vaters und die inzestuöse Heirat seiner Mutter ein anderer wurde. Dennoch gibt es Passagen bei Bradley, die eine fast unglaubliche Verwechslung von Fiktion und Realität belegen. So erfahren wir: »Als Desdemona ihre letzten Worte sprach, bewegte sie vielleicht noch jene Zeile aus der Ballade, die sie eine Stunde vor ihrem Tod sang: >O scheltet ihn nicht, sein Zorn ist mir recht.< Die Natur bewirkt solche Merkwürdigkeiten, und allein Shakespeare unter den Dichtern scheint wie die Natur zu schaffen« (206). Bradley sieht offenbar nicht, daß Desdemona das Lied in den Mund gelegt wird, weil es ihre letzten Worte vorwegnimmt. Mit Wohlwollen interpretiert, könnte der letzte Satz aber auch solch eine Erkenntnis enthalten. Viele dieser Verwechslungen von Fiktion und Realität können jedoch mit ebenso vielen Passagen konfrontiert werden, die belegen, daß Bradley sich sehr wohl der Unterscheidung von Drama und Realität bewußt war. »Der Verdacht, daß Bradley nie im Theater war«,12 ist eine üble Nachrede, die nicht belegbar ist. Es gibt viele Beweise in den gedruckten Werken (und in Erinnerungen), daß er ein eifriger Theaterbesucher war. Er bezieht sich auf Aufführungen und Schauspieler wie etwa Salvini als Othello und Sarah Bernhardt als Lady Macbeth (ST, 203,379 A). Er tadelt eine nicht genannte Schauspielerin, die als wahnsinnige Ophelia einen Schrei des Entsetzens ausstößt; er widerspricht Schauspielern, die als Othello Desdemona mit einer Papierrolle auf die Schulter tippen, anstatt ihr ins Gesicht zu schlagen; er beklagt sich über einen King Lear, der sich in der allerletzten Szene ständig voller Wut über die Leiche Cordelias beugt; und er stimmt all jenen Schauspielern nicht zu, die als Lear nur dreimal »Never« sagen, obwohl die Folio eine fünfmalige Wiederholung vorschreibt (165, 184, 292 A, 293 A). Bradley bemerkt mit Nachdruck, daß »Shakespeare in erster Linie für das Theater und nicht für die Forscher schrieb« (ST, 158f., auch 47). Er weiß, daß vieles bei Shakespeare durch die Bühnenbedingungen und die Dramentechnik erklärt werden kann und daß wie auf einem Bild eine Figur im Hintergrund schwach skizziert werden kann. So wird Kent im Lear, sagt er, »hauptsächlich benötigt, um einen Platz im Schema des Dramas auszufüllen« (295). Ophelia, erkennt er, »ist nur ein untergeordneter Charakter«, denn »es war für Shakespeares Zweck wichtig, daß kein zu großes Interesse an der Liebesgeschichte
12. Sir Ifor Evans in Helen Gardner, King Lear (1967), Vorwort.
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entstehen würde« (160). Bradley verallgemeinert sogar, daß »ein Teil des Textes wegen seiner unmittelbaren Anziehungskraft und nicht, weil er wichtig für die Handlung ist, ins Drama aufgenommen wurde« (ÖL, 383). Er erkennt »Erklärungen für die Zuschauer« (ST, 222) als einen Aspekt der Dramentechnik, den er lediglich »bemerkenswert« findet, während L. L. Schücking und E. E. Stoll ihn später zum Schlüssel für ihre Interpretation von Shakespeares Charakteren gemacht haben. Bradley meint, daß »niemand jemals« (78) kleine Ungereimtheiten bei einer Bühnenaufführung bemerken würde, obwohl er selber genauer als irgend jemand vor ihm die »doppelte Zeit« in Othello untersucht, ein Problem, das von John Wilson 1849 zuerst entdeckt wurde.13 Bradley folgert, daß Shakespeare wahrscheinlich zu sich selber sagte: »Niemand im Theater wird das alles bemerken« (ST, 428). Dennoch gehört Bradley trotz allem zu den Nachfolgern Lambs, der Shakespeare lieber lesen als ihn aufgeführt sehen wollte. Er meint, daß Lear für das »innere Auge« bestimmt sei und daß die Hexen in Macbeth wie auch die Sturmszenen in Lear »eigentlich der Welt der Einbildungskraft« angehörten (269, 340 A). Wir haben für diese Ansicht Verständnis, wenn wir an den Lärm und die Beleuchtung viktorianischer Aufführungen im Stil Henry Irvings denken. Die Reaktion gegen Bradley basierte jedoch nicht nur auf seiner übertriebenen Konzentration auf die Charakteranalyse. Es stimmt keineswegs, daß er Shakespeares Charaktere betrachtete wie »Charaktere in einem ernsten moralisierenden Roman, etwa wie in Middlemarch«.14 Er sagte ausdrücklich, »Shakespeares Dramen wie einen realistischen Roman zu kritisieren, wäre nur dumm«, und betonte, daß »der psychologische Gesichtspunkt nicht dem tragischen vergleichbar sei« (ST, 71, 127). Vielmehr kam die Reaktion gegen Bradley aus unterschiedlichen Lagern. Sie kam von denen, die wie Schücking, Stoll, G. B. Harrison und Alfred Harbage Shakespeare hauptsächlich als Verwalter eines effektiven Bühnendramas sahen. Sie kam von Wissenschaftlern wie Lily B. Campbell, die Bradleys Tragödienkonzept als unhistorisch verwarfen, weil sie die Tragödie streng nach den Begriffen der elisabethanischen Humoralpsychologie interpretiert sehen wollten. Sie kam auch von denen, die die Dramen in erster Linie als Dichtung verstanden wissen wollten, als Muster aus Bildern und Themen. L. C. Knights war der effektivste Polemiker, während G. Wilson Knight, der ursprüngliche Vertreter des »räumlichen« Zugangs zu Shakespeare, erkannte, daß Bradley die Wirkung von Atmosphäre, Bildern und einer implizierten Metaphysik fühlte. Obwohl Knight sich der älteren Shakespeare-Kritik wegen ihrer
13.
»Christopher North«, in Blackwood's Magazine (November 1849, April und Mai 1850). 14. Terence B. Spencer, »The Tyranny of Shakespeare«, British Academy Annual Shakespeare Lecture, 1959, 163.
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»hauptsächlich ethischen Ausrichtung« und der ganzen »Suche nach Motiven«15 widersetzte und besonders Bradley beschuldigte, »gelegentlich die Charakteranalyse unnötig übertrieben« zu haben, lobte er doch auch Bradley, weil er als erster »das, was ich die >räumlichen< Qualitäten von Shakespeares Dramen genannt habe, einem überlegten, wenn auch rudimentären Kommentar unterzogen hat«.16 G. Wilson Knight bestätigte später seinen Anspruch, daß seine eigenen Untersuchungen »direkt in der Tradition von A. C. Bradleys Shakespearean Tragedy liegen, ein Buch, von dem zu oft fälschlicherweise vermutet wird, daß es auf die minutiae der Charakteristik beschränkt sei«.17 Die Atmosphäre zählt zu Bradleys Interessengebieten: jene in King Lear in »ihren verwischten Umrissen wie im Winternebel«, jene in Troilus and Cressiäa, »intellektuell, von dichter, aber harter Klarheit«, jene in Macbeth, »als ob der Dichter die ganze Geschichte durch einen blutigen Nebel sähe«, während in Othello eine »vergleichsweise Eingrenzung der dichterischen Atmosphäre« stattfindet (ST, 247, 275, 336, 185). Coriolanus schließlich hat »kaum mehr übernatürliche oder natürliche Atmosphäre als das durchschnittliche Prosadrama von heute« (M, 77). Auch kann nicht gesagt werden, daß Bradley die Bilder völlig außer acht ließ, die seit Caroline Spurgeons Buch so viel Interesse erweckt haben. Er zollt den Tierbildern in Lear Aufmerksamkeit, die vorher schon von J. Kirkman entdeckt worden waren (ST, 266),18 und er kommentiert Jagos widersprüchliche Bevorzugung nautischer Ausdrücke, obwohl dieser als Landsoldat vorgestellt wird (213). Ebenfalls kann nicht gesagt werden, daß Bradley die Dichtung und die Wortoberfläche von Shakespeares Dramen ignoriert habe. Er wußte, daß »Dichtung aus Worten besteht«, »eine Kunst der Sprache ist«, und er war sich der »Identität von Form und Inhalt« bewußt (ÖL, 25; M, 2 .; ÖL, 15). »Dichtung um der Dichtung willen« (1901), Bradleys Antrittsvorlesung als Professor für Dichtung in Oxford, artikuliert klar und beredt die Ansicht, daß Dichtung »eine Welt für sich selbst ist, unabhängig, vollständig, autonom« (ÖL, 5), die nur analog zum Leben besteht. Sie ist weder Philosophie noch Religion, obwohl Bradley gelegentlich sagt: »Wo immer die Einbildungskraft zufriedengestellt ist, sollten wir keine leere Phantasie, sondern das Abbild der Wahrheit entdecken« (394f.). Geduldig erklärt Bradley den Unterschied zwischen »Subjekt«, das einem Gedicht vorausgeht und ästhetisch indifferent ist, und »Substanz« (entsprechend dem deutschen Wort Gehalt), die sich im Gedicht findet. In der Dichtung sind Bedeutung und Klang eins: »Form und Inhalt sind eine Sache von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet« (15). Drei Jahre vor der Veröf-
15. 6. 17. 18.
The Wheel of Fire (1930), 7, . Vorwort zur Ausg. von 1949 The Wheel of Fire, v. The Imperial Theme (1931), Vorwort zur Ausg. von 1951, v. J. Kirkman in The New Shakespeare Society Transactions (1877).
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fentlichung von Shakespearean Tragedy weist Bradley bereits die Kritik zurück, die später gegen ihn erhoben werden wird: »Wenn man Hamlet wirklich liest, dann sind die Handlung und die Charaktere nicht etwas, das unabhängig von den Wörtern betrachtet werden kann; man nimmt beide jeweils für sich in den Wörtern wahr und zugleich die Wörter als Ausdruck von beiden«; und auf der nächsten Seite betont er, daß der wahre Kritiker, wenn er von Charakteren und Handlung unabhängig von Stil und Versifizierung spricht, »nicht wirklich von ihnen als von getrennten Größen spricht« (15f.)· Der am meisten auf das Wort ausgerichtete Kritiker, William Empson, zollt in seinem Essay »The Fool in Lear« und »Honestin Othello« Bradleys »großartigen« Dramenanalysen Tribut, obwohl er Bradleys fromme Interpretation von Lears Ende als »Verdrehung der Blasphemien gegen die Götter in die orthodoxe Meinung der Mrs. Gamp, daß die Welt ein Walfisch sei«, zurückweisen muß. Dennoch stimmt er Bradleys Interesse für die Motivation der Figuren zu: »Ich denke, es ist völlig falsch, so zu tun, als ob die Kohärenz des Charakters im poetischen Drama nicht benötigt würde, sondern lediglich die Kohärenz der Metapher oder des Stils.«19 Bradley hätte dem »poetischen«, »statischen« oder »räumlichen« Verständnis der Dramenanlage, wie sie Wilson Knight vertrat, nicht zugestimmt. Er definierte Tragödie wie Aristoteles als eine »Geschichte von außergewöhnlichem Unglück, die zum Tod eines Menschen von großer Bedeutung führt« (ST, n, 12). Er beschreibt auch die Konstruktion einer Shakespeare-Tragödie im Sinne eines aristotelischen Interesses an solchen Unterschieden wie Exposition, Konflikt, Drehpunkt und Resolution, obwohl er die ziemlich angepaßte Modernisierung der Poetik, wie er sie in Freytags Technik des Dramas fand, benutzt (40-78; über Freytag, 40 A, 63). Im allgemeinen lehnt Bradley es ab, bei Shakespeare Symbole und Allegorien zu suchen. Dennoch sieht er bei der Analyse des Lear, daß die kontrastierenden Kräfte in ihrer ganzen Macht diese Fragen hervorlocken - wie es auch bei Ariel und Caliban der Fall ist. Er sieht »eine Tendenz, die Symbole, Allegorien, Personifizierungen von Qualitäten und abstrakten Vorstellungen hervorbringt«. Vorsichtig gibt Bradley zu, »daß es zwar zu weit gehen würde, wenn man behauptet, daß [Shakespeare] bewußt Symbole oder Allegorien in King Lear benutzt hätte, doch daß diese Art des Denkens nicht so sehr weit entfernt liegt von der, mit der Shakespeare völlig vertraut war durch die Moralitäten und die Fairy Queen« (264ff.). Alle diese etwas zögernden Zugriffe auf neue Themen und Methoden der Shakespeare-Kritik werden weit überragt von dem, was mir neben dem Tragödienkonzept und der Charakteranalyse Bradleys Hauptmethode zu sein scheint: eine Beschreibung der angenommenen emotionalen Zuschauerreaktion, die, wenn Bradley unsicher über ihre Allgemeingültigkeit ist, oft direkt als seine
19.
The Structure of Complex Words (1951), 125, 229, 153, 231.
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AKADEMISCHE KRITIKER
eigene persönliche Reaktion mitgeteilt wird. Einige dieser Reaktionen scheinen sehr genau beobachtet zu sein, auch wenn man unmöglich ihre Allgemeingültigkeit nachweisen kann. So kommentiert Bradley die Totengräberszene: »Unsere Trauer um Ophelia ist nicht so umfassend, daß wir uns gar nicht für den Mann, der ihr Grab gräbt, interessieren könnten oder daß wir uns das ganze lange Gespräch hindurch immer mit Schmerzen erinnern, daß es ihr Grab ist« (ST, 396). In ähnlicher Art stellt er fest, daß »wir traurig werden allein durch die Tatsache schon, daß die Katastrophe [von Antony and Cleopatra] uns so wenig traurig macht« (ÖL, 304). Er meditiert über den Tod Coriolans: »Da der Plan seines Rivalen vor unseren Augen gefaßt wird, erwarten wir mit wenig Spannung, sogar mit Ruhe, das sichere Ende.« Er beschreibt dann sorgfältig die letzte Szene, in der Coriolan getötet wird: »Das abrupte Aufhören einer enormen Energie (die nirgends sonst bei Shakespeare vorkommt) erfüllt uns mit Ehrfurcht, aber nicht mit Mitleid ... Das Leben ist plötzlich geschrumpft und klein und ist eine Heimat für Pygmäen geworden und nicht für ihn« (M, 94f.). In anderen Zusammenhängen erscheinen Konstatierungen über unser Fühlen oft weit hergeholt, beliebig oder sogar direkt sentimental. Besonders seine Bemerkung über Othello (die so sehr die Empörung F. R. Leavis' erregte, daß dieser seinerseits Othellos »primitiven und brutalen Egoismus« und »wilde Dummheit« denunziert)20 erscheint übertrieben, wenn er beim Publikum »eine Leidenschaft [für Othello] aus Liebe und Mitleid gemischt« annimmt, wie »es sie für keinen anderen Helden bei Shakespeare empfindet«. Sogar beim Mord an Desdemona, »so schrecklich schmerzvoll diese Szene auch ist, gibt es hier doch fast nichts, was die Bewunderung und Liebe, wie sie das Mitleid überhöhen, beeinträchtigt« (ST, 191,198). Ob das Erdrosseln wirklich »fast nichts« ist? Gelegentlich teilt Bradley seine persönliche Reaktion in fast lächerlicher Heftigkeit mit. So tadelt Bradley Octavius, daß er immun gegen Cleopatras Faszination sei: »Wir wenden uns mit Abscheu von ihm ab und halten ihn für eine Schande seines Geschlechts« (ÖL, 302). Wenn Jago seinen Vorschlag, daß Othello Desdemona »einen Freibrief zu freveln« geben solle, kommentiert: »Denn wenn's Euch nicht rührt, geht es keinen etwas an« (IV, i, 194), erlaubt sich Bradley den Ausbruch, daß »dieses wahrscheinlich der Augenblick ist, an dem wir Jago am liebsten umbrächten« (ST, 436). Am übertriebensten spricht Bradley in seinem Essay über Coriolanm von der »unsäglichen Niedrigkeit in [Aufidius'] Spott über die Tränen des Helden«: »Ich gebe zu, daß ich nur Verachtung empfinde, wenn Aufidius die letzten Worte spricht. Ich bin empört über den Dichter, der ihm erlaubte, so zu sprechen, und hege einen nicht nachvollziehbaren Wunsch, Kopf und Körper des Sprechers an den entgegengesetzten Enden der Bühne liegen zu sehen« (M, 98). Was geschieht hier mit der Welt der Dichtung, die
20. »Diabolic Intellect and the Noble Hero«, in The Common Pursuit (1952), 146f.
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»unabhängig, vollständig, autonom« ist und die nur analog zum Leben gebaut ist? Genau genommen sind diese emotionalen Reaktionen auch die Grundlage für Bradleys selten auftretende negative Kritik an Shakespeares Kunst. Offensichtlich und ganz richtig geht er von der Größe der Shakespeare-Tragödien aus, die weder Verteidigung noch Lob brauchen. Er listet aber auch - sehr im Stile Dr. Johnsons - Shakespeares Fehler auf: zu lockere Konstruktion, bombastische Sprache usw. Er erklärt sie wie üblich als durch die Bühne und die Zeit bedingt.21 Doch es handelt sich um geringe Fehler, die Bradleys Maßstäbe nicht tangieren. Eher erscheint Kohärenz des Charakters das Kriterium zu sein, mit dem er Jagos »Verbindung von Bosheit und überragendem Verstand« als »wirklich unmögliche Erfindung« verdammt (ST, 237). Subtiler noch argumentiert Bradley, daß es »wirklich ein Fehler ist, Antony and Cleopatra als Konkurrenz für die berühmten vier anzusehen«, nicht, wie er anderswo sagt, weil es »die am fehlerhaftesten konstruierte von allen Tragödien« ist, sondern weil dieses Werk nicht mit Bradleys Tragödienvorstellung übereinstimmt. Die tragischen Emotionen, sagt er, werden »nur erregt, wenn solche Schönheit oder solcher Adel des Charakters dargestellt wird, die uneingeschränkte Bewunderung oder Liebe hervorrufen; oder wenn, im anderen Falle, die Kräfte, die die Handelnden antreiben, und die Konflikte, die aus diesen Kräften resultieren, eine erschreckende und überwältigende Macht erreichen. Die vier berühmten Tragödien genügen einer oder beiden dieser Bedingungen; obwohl Antony and Cleopatra eine große Tragödie ist, genügt sie keiner der beiden Bedingungen völlig« (282, 260; ÖL, 305). Aber Shakespeares größter Fehler wird in der Darstellung der Entlassung Falstaffs gesehen. Henry »hatte kein Recht, plötzlich wie ein Geistlicher zu reden: Und sicher ist es sowohl kleinmütig wie auch unaufrichtig, von [Sir John und seinen Leuten] als von seinen >Verführern< zu sprechen«. Shakespeare ging in diesen Falstaff-Szenen »über sein Ziel hinaus«. - »Er schuf ein so außergewöhnliches Wesen und setzte ihn so fest auf seinen geistigen Thron, daß er ihn nicht mehr absetzen konnte« (ÖL, 259). Darin steckt Wahrheit, so sehr wir auch Henrys Verhalten rechtfertigen können, wenn wir Falstaff als Herrn der Unordnung begreifen, der Aschermittwoch entlassen wird. King Lear bereitet die größte Schwierigkeit für Bradleys kosmischen Optimismus. Die Katastrophe, beklagt er sich, »ist keineswegs unvermeidbar«. - »Sie ist noch nicht einmal ausreichend motiviert.« Die Verspätung Edmunds bei seinem Versuch, Cordelia und Lear zu retten, hat keinen ausreichend klaren Grund. »Der wahre Grund«, muß Bradley folgern, »liegt außerhalb des dramatischen nexus. Es ist Shakespeares Wunsch, den Hoffnungen, die er weckte, einen plötzlichen und zerschmetternden Schlag zu versetzen« (ST, 252-53). Doch
2i
ST, jiff., und der Aufsatz »Shakespeare's Theatre and Audience«, in OL, 361-93.
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AKADEMISCHE KRITIKER
Bradley widersteht dem Eindruck, daß Lear »fast völlig aus schmerzhaften Gefühlen besteht - tiefste Depression oder empörte Rebellion oder abstoßende Verzweiflung. Und das wäre wirklich merkwürdig.« Es wäre »ein sehr ernster Fehler«, den Bradley nachdrücklich auch als ästhetischen Fehler ansehen würde. Er muß die letzte Szene als »Die Erlösung des King Lear« interpretieren und muß »das letzte und totale Ergebnis« bezeichnen als »eines, bei dem Mitleid und Schrecken, wie sie bis an die äußersten Grenzen der Kunst entwickelt werden, so verbunden sind mit dem Eindruck von Gesetz und Schönheit, daß wir schließlich nicht Depression und noch weniger Verzweiflung empfinden, sondern das Bewußtsein der Größe im Schmerz und der Feierlichkeit im Mysterium, das wir nicht ergründen können« (277, 278 A, 285,279). Wir sind wieder am Anfang: bei Bradleys Hauptbeschäftigung mit einer Welt, die letztlich dem menschlichen Leben einen Sinn und dem Universum eine moralische Ordnung garantiert. Eine Interpretation des Lear wie bei Jan Kott im Sinne von Becketts Endgame oder wie bei Octavio Paz als »Rückkehr zum Chaos«22 wäre für Bradley nicht nur verfehlt, sondern unverständlich. Obwohl Bradley den Unterschied zwischen Religion und Dichtung kennt und sogar betont, scheint letztlich die Dichtung doch dasselbe auszudrücken: »Die Religion bestreitet, daß das reale Leben ... die ganze und letzte Wahrheit ist; und das ist genau, was Dichtung, die nichts behauptet, dennoch suggeriert«.23 Die Tragödie ist »eine Art Mysterium der ganzen Welt ... sie drängt uns das Mysterium auf«; oder in anderen Worten: »Um die beste Dichtung - und nicht nur um die beste - schwebt eine Atmosphäre unendlicher Suggestion« (23; ÖL, 26). >Unendlich< und >das Unendliche< sind die Schlüsselwörter. Das Unendliche ist der »Gegenstand der Verehrung«, »keine fremde Macht, doch das Ziel allen Wünschens und Strebens ... Schönheit, Wahrheit, Güte, wenn auch nicht identisch, sind ihre höchsten Ausdrucksformen. Sie ist die eine und einzige Macht« (IR, 146). So ist es höchstes Lob für Bradley zu sagen, daß »Antony die Unendlichkeit berührt«, daß Hamlet, Falstaff, Macbeth und Cleopatra »ein Gefühl für die Unendlichkeit der Seele haben«, während es bei Henry V fehlte (ST, 83, 128; ÖL, 273). Wir verstehen, warum Wordsworth für Bradley nach Shakespeare der bedeutendste englische Dichter ist. Bradley war einer jener Wordsworth-Forscher, die den »mystischen«, »visionären« und »erhabenen« Aspekt von Wordsworths Dichtung sahen. Für Wordsworth, sagt er, »ergibt sich die >visionäre< Kraft aus der Unendlichkeit des Geistes«, und »das Nachempfinden dieser Kraft schließt das Gefühl oder die Vorstellung des Unendlichen oder des >einen Geistes Wirklichkeit< überspannt oder in sie einbricht . . . Bei ihrer Berührung wird die Seele sich plötzlich ihrer eigenen Unendlichkeit bewußt und verschmilzt in Begeisterung mit dem unendlichen Sein« (134). Ein später Aufsatz, »English Poetry and German Philosophy in the Age of Wordsworth« (1909), postuliert »einige besondere Affinitäten zwischen Wordsworth und Hegel« und beklagt das Fehlen einer angemessenen (d.h. idealistischen) Philosophie zu Wordsworths Zeiten in England. Ein ausführlicher Vergleich auf hohem Abstraktionsniveau wird zwischen Wordsworth und Hegel angestellt. Z. B. glauben beide, daß »das innerste Prinzip des menschlichen Geistes auch das innerste Prinzip aller anderen Dinge sei«, daß »die Einbildungskraft der Weg zur Wahrheit sei« und daß »es eine >Seele der Güte< in den bestehenden Dingen gebe und daß der >innere Rahmen der Dinge< trotz des Bösen weiser als seine Kritiker sei«. Der Mensch muß sich Gott unterwerfen, »der nichts Negatives an sich hat, das nicht überwunden wird«. - »Hier legt der Geist (denn es gibt nur einen) seine Endlichkeit ab; seine implizite Unendlichkeit wird erkannt, sein zeitliches Leben gegen die Ewigkeit ausgetauscht und seine bloße Menschlichkeit gegen Göttlichkeit« (M, 107, 122, 125, 130, 136). So nähert Bradley Wordsworth an Hegel an, erkennt, daß sich diese Parallele ebenso zu Schelling und sogar zu Spinoza herstellen läßt (i25A) (wie E. D. Hirsch sie für Wordsworth und Schelling aufgestellt hat)24 und daß Wordsworth keineswegs einzig in seiner Zeit ist. Eine beredte Darstellung von »Shelley's View of Poetry« beschreibt Shelleys Feier der Einbildungskraft, obwohl Bradley die Grenzen von Shelleys »schönem Idealismus der moralischen Vorzüglichkeit« zugibt (OL, 169). Die Vorlesung über »The Letters of Keats« betont Keats' Ansicht »des regulären Voranschreitens der Einbildungskraft zur Wahrheit« (235). Ein später Aufsatz, »Keats and Philosophy« (1921), versucht zu belegen, daß sich Keats um eine philosophische Sicht der Dinge bemühte (M, 189-206). Matthew Arnold wird kritisiert, weil er übersieht, was für Bradley bei Shelley im Zentrum steht: daß es hinter dem Leben und der Welt »und dem sie Betreten« jene »letzte geistige Perfektion gibt, die auch die letzte Macht ist«. Für Wordsworth und für Shelley »gibt es einen Geist in der Natur, und Natur ist daher nicht bloß >äußere Weltund nicht mit dem Verstand - denn es ist einfach mit dem Verstand -, sondern mit dem Herzen< - das ist die Wolke, die über der gesamten russischen Literatur hängt.« Es ist ein Klischee, von der Seele, als »dem Hauptcharakter in der russischen Dichtung« zu sprechen, und ein Irrtum zu sagen, daß es in russischen Romanen »keine genaue Trennung von Gut und Böse gibt, wie wir es gewohnt sind« (CR, 173,177,178). Der Unterschied, den sie zwischen Annabella in Fords '77s a Pity She 's a Whore und Anna Karenina macht, vergleicht Unvergleichbares: »Das englische Mädchen ist flach und derb wie ein Gesicht auf einer Spielkarte; es ist ohne Tiefe, ohne Ausdehnung, ohne Komplexität,« während »die russische Frau aus Fleisch und Blut ist, Nerven und Temperament, Herz, Verstand, Körper und Bewußtsein hat« (61). Englische und russische Dichtung scheinen ihr »unmeßbar weit auseinander«, obwohl sie gelegentlich den Engländern »eine natürliche Freude an Humor und Komödie, an der Schönheit der Erde, an den Aktivitäten des Intellekts und an den Herrlichkeiten des Körpers« zugesteht, wie sie den Russen offenbar fehlt (153). Zum Glück werden diese umfassenden Verallgemeinerungen modifiziert in den zahlreichen Essays über individuelle Autoren. Sie sieht den Unterschied zwischen Dostojewski und Tolstoi und formuliert ihn in Begriffen aus Mereshkowskis Antithese: »Bei Tolstoi dominiert das Leben, bei Dostojewski die Seele.« Virginia Woolf zieht Turgenjew, Tolstoi und Tschechow offenbar Dostojewski vor. Sie bewundert Tolstoi als »den größten aller Romanschriftsteller« (CR, 181, 179), als »Genie im Urzustand. Er ist daher aufrüttelnder, >schockierenderLebenskritik< sein ... eine Erörterung der menschlichen Natur und des Guten und Bösen« (C, 152), da der Schriftsteller (wahrscheinlich der Romancier oder Dramatiker) »ein rationales kohärentes Ideal« des Lebens »kreieren oder suggerieren« wird. MacCarthy bemerkt zu Recht, wie ich denke, daß wir überrascht sein werden, wieviel der Kritik Goethes, Coleridges, Sainte-Beuves, Baudelaires, Arnolds sich mit dieser Frage beschäftigt (19, vgl. 286; 152). Es ist der Maßstab George Santayanas, den MacCarthy als »den größten lebenden Kritiker« bewundert (18). Wenn MacCarthy im Vorwort zu seiner ehrgeizigen Sammlung, Criticsm (1932), sein Ideal formuliert, so stimmt er eher Sainte-Beuves Ansicht vom Kritiker als einer »Kreatur ohne geistige Heimat« zu, deren »Ehrenkodex darin besteht, niemals eine Heimat zu suchen«, deren »oberstes Gebot darin besteht, selber in der Vision des Schriftstellers aufzugehen«. Am meisten zählen Einfühlungsvermögen und bei den Literaturen der Vergangenheit die Macht des »Kritikers, seinem Leser den Gesichtspunkt zu vermitteln, aus dem die Zeitgenossen jene Literatur sahen, und doch gleichzeitig diese Literaturen von seiner eigenen Zeit aus zu beurteilen; und in bezug auf die zeitgnössische Literatur kommt es darauf an, deren Beziehung zur heutigen Welt nachzuweisen«. In Übereinstimmung mit Hennequin nimmt MacCarthy einen wesentlichen modernen Aspekt vorweg. Er meint, daß »die Psychologie des Lesers eines Buches fast genauso Gegenstand [des Kritikers] ist wie das Buch selber«, obwohl er in der Praxis wenig darüber
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DIE BLOOMSBURY-GRUPPE
sagt (vii, ix). Manchmal wird die Funktion des Kritikers bescheiden als »nicht begrenzt auf Vergleich, Analyse und Beurteilung« definiert: »Er sollte uns einfach fühlen lassen, was er gefühlt hat.« In solchen Augenblicken bewundert MacCarthy Leigh Hunt und Swinburne (H, 175). Er scheint »Würdigung« und »Impressionismus« zu proklamieren, wenn er Leslie Stephen als den »am wenigsten ästhetischen« Kritiker darstellt und sich darüber beklagt, daß Stephen »die Macht, Emotionen zu vermitteln, die er selber aus der Literatur empfangen habe, abgeht; er hat selten - wenn überhaupt - versucht, eine Erschütterung mitzuteilen« (Leslie Stephen [1937])· Doch in den meisten seiner Schriften ist MacCarthy selber ein Moralist, der nach dem Ideal einer vernünftigen, aber etwas düsteren und desillusionierten Lebenssicht urteilt. MacCarthy gehörte zu den frühen Bewunderern Prousts in England. Prousts Anziehungskraft, argumentiert er, gründet sich auf der von ihm erweckten Hoffnung, daß »ästhetische Erfahrung schließlich den Platz religiöser Erfahrung einnehmen wird - wahrscheinlich eine vergebliche Hoffnung«, wie er zugibt. Während er das Werk lobt, schließt er doch mit einem Verdacht gegen den Autor: »Wie habe ich doch bei ihm als Mensch den Kontakt mit den allgemeinen, massiven Lebensfreuden und die Beständigkeit grundsätzlicher Lebensbejahung vermißt!« (C, 198, 209). Dieser vernünftige Maßstab veranlaßt MacCarthy, »Unklarheit als literarischen Defekt«, Mystik als »fast immer anmaßend und unaufrichtig« und Katholizismus als »Kapitulation« abzulehnen (141). MacCarthy hat kein Verständnis für die meisten als modern erklärten Experimente und philosophischen Lehren. Er bewundert D. H. Lawrence als »einen religiösen Propheten, der als Pornograph mißverstanden wurde«, aber seine Mystik ist »Unsinn für jene [und MacCarthy muß sich selber dazugerechnet haben], denen der Glaube an die Zivilisation eine erste Bedingung der Vernunft zu sein scheint« (253, 257). MacCarthy gesteht zu, daß Lawrences Kritik an der modernen Zivilisation Wahrheit enthält, und er ist tief beeindruckt von der Visionskraft und Vitalität seiner Gedichtsammlung Pansies. MacCarthy kann jedoch nichts mit der Psychoanalyse Freuds anfangen: Sie »hat einen schlechten Einfluß auf die Dichtung gehabt, weil sie leichtfertige Abkürzungen statt psychologischer Gründlichkeit anbietet«. Ein Roman von May Sinclair, The Life and Death of Harnet Frean, wird als abschreckendes Beispiel angeführt (172,176-80). Die Wendung zur Subjektivität und zur Technik des Bewußtseinsstroms insgesamt sagt ihm nicht zu. Selbst Virginia Woolf, die er persönlich bewunderte, wird kritisiert: »Sie gab uns nicht den Zug, wie man sagt, selber, sondern nur den Luftzug, den der Zug beim Vorbeifahren macht« (173). Obwohl MacCarthy Joyces »beachtliche Talente« und sprachlichen Erfindungsreichturn erkennt, scheint er ihm doch »eine erschreckte, versklavte Seele« zu sein: »Viel von Ulysses ist kalt, häßlich, klein und überernst.« Das Buch ist »viel zu sehr eine selbstverordnete Entschlackungskur« (304, 303, 300). Der Bewußtseinsstrom ist eine neue künstliche Konvention, genauso künstlich wie jede andere Konven-
DESMOND MACCARTHY
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tion. Gertrude Stein ist ein Ziel seines Spottes. MacCarthy bezieht sich auf eine Seite von Pitman's Commercial Type-writing Manual (»sie mag einen Damensattel; er wird zur Seite gelegt; er hat Begabung« usw.), um ihre Schriften als »Geschwätz« abzutun (261, 265). MacCarthy kann mit der »Vorstellung, daß die literarische Materie eine Wortmenge ist, die wie bunte Kiesel zu einem Muster arrangiert werden kann«, nichts anfangen. Sie »untergräbt fast die gesamte Idee dessen, was Literatur dem Menschen wertvoll macht« (269). Es überrascht nicht, daß MacCarthy wenig über lyrische Dichtung und ihre Technik zu sagen hat. Er entschuldigt sich für seine »Unsicherheit im Urteil über Dichtung«, die sich aus »unserem steten Stimmungswechsel« ergibt (C, 81). Als er 1921 T. S. Eliot rezensiert, beschreibt er dessen Grundhaltung als »feinsinning, sanft, desillusioniert, kompliziert und kalt« und spricht von dessen »selbstentwickeltem Stolz, seiner Zurückhaltung und seiner dem dandyhaften Laforgue vergleichbaren Sensibilität«. Eliot wird als »ironischer Sentimentalist« klassifiziert (92, 95, 96). Nirgends blickt MacCarthy auf die Dichtungstechnik, selbst dann nicht, wenn er über Donne, Browning und den hoch bewunderten Patmore schreibt (36, 68, 74). MacCarthy erreicht viele Effekte durch eine Technik des Vergleichens. Eliots moderner Antiquitätenladen mit seinen wenigen ausgewählten Gegenständen wird mit Brownings Trödelladen, »einem riesigen, geschäftigen Ort, voller Spinnweben, überfüllt und rembrandtesk«, verglichen; Joyces »abergläubische Angst vor dem Körper und vor Sex« wird mit dem »fröhlichen Stoizismus« bei Rabelais verglichen, der »skeptische, ästhetische, amoralische« Proust schließlich mit dem »gefühlsselig-tränenreichen und sentimental-moralischen« Richardson (C, 91, 300, 299, 213). MacCarthys Vorliebe gilt der Theaterkritik, von der vieles notwendigerweise ephemer ist. Aber er schrieb auch über seine Lieblingsdramatiker, vor allem über Ibsen und Tschechow. Ibsens Theater war für ihn ein »Seelentheater«. Ibsens Bedeutung für die Sozialreform ist ihm weniger wichtig: »Die Gesellschaft verändert sich schnell, die Seele dagegen kaum; sie ist das, was seinem Werk Dauer verleiht.« Sie ist das, was Ibsen »ermöglicht, sich einem Realismus zuzuwenden, der sogar eine perverse Art der Gewöhnlichkeit, der phantastischen Symbole hat - Rattenfrauen, Wildenten, Häuser mit hohen Türmen«. Ibsen bleibt der »Dramatiker der Zukunft«, »unser Dichter«. MacCarthy hofft auf einen »heftigen Umschwung«, »der zu einer das Individuum und sein Glück respektierenden Philosophie« führen soll (H, 62, 60, 65). Bei Tschechow findet sich eine »nie formulierte« Philosophie, ein »Gefühl eher als ein Gedanke«. Dieses Gefühl, obwohl bedenklich und vage, ist dennoch durch seinen Absolutheitsanspruch von einer Art Heiligkeit umgeben (81). In seiner Renzension von Eliots The Use of Poetry and Criticism kann MacCarthy seine Ansicht, daß Kunst und Dichtung kein Ersatz für Religion sein sollten, vertreten: »Aber Dichtung kann uns helfen, etwas zu tun, was Religion zu tun
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DIE BLOOMSBURY-GRUPPE
hilft, nämlich das Leben geistig zu lieben d.h. mit Vernunft und Abstand« (H, 132). Vernunft und Abstand sind die richtigen Begriffe auch für MacCarthys eigene Kritik. Sie genügen allerdings nicht, um ihn, wie Lord David Cecil uns glauben machen möchte, »zu einem der besten Literaturkritiker Englands« zu erheben (vi). Er bleibt eine zweitrangige, doch liebenswerte Gestalt.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Remnants (1918). Portraits (1931).
Criticism (1932). Zitiert als C. Leslie Stephen (1937). The Leslie Stephen Lectures 1937 (Cambridge). Drama (1940). Humanities (1953). Vorwort von Lord David Cecil. Zitiert als H. Theatre (1954).
KAPITEL 4
DIE NEUEN ROMANTIKER
Ezra Pound und T. S. Eliot haben unsere Vorstellung der neuen Kritik im 20. Jahrhundert so sehr beherrscht, daß andere Schriftsteller dieser Zeit ins Vergessen gedrängt wurden. Aber unmöglich kann man die Kritikergruppe J. M. Murry, D. H. Lawrence und G. Wilson Knight ignorieren, denn ihre Vorstellungen von Kritik und Literatur lassen romantische oder zumindest irrationale Einstellungen, die uns heute noch begleiten, wieder aufleben. Man kann zu jener Zeit keine genau umgrenzte Aufeinanderfolge von Trends, Gruppen und Überzeugungen feststellen. Vielmehr werden die unterschiedlichsten Ansichten gleichzeitig vertreten. Trotz großer Unterschiede standen sogar solche Antipoden wie J. M. Murry und T. S. Eliot in engem persönlichen Kontakt miteinander. Um ihre genaue Beziehung zueinander herauszufinden, die Prioritäten und die Chronologie ihrer Aneignung, Entwicklung oder Erfindung von Grundideen, wäre mehr Platz nötig, als dieses Buch erlaubt.
JOHN MIDDLETON MURRY (1889-1957) Die Zentralfigur der Gruppe war John Middleton Murry, der eine wichtige Rolle sowohl als Herausgeber von Athenaeum und Adelpbi wie auch als Autor einer langen Reihe von Büchern über Kritik und eine Vielzahl anderer Themen spielte. Nur wenige seiner Bücher sind heute noch erhältlich. Man kennt ihn gewöhnlich als Ehemann von Katherine Mansfield, als Freund und Feind von D. H. Lawrence und möglicherweise als Autor eines Buches über Keats and Shakespeare (1925), das oft abgelehnt wird wegen seiner unkritischen Dichterverehrung und wegen des im Titel implizierten erzwungenen Vergleiches. Wenn wir seine Schriften über Literatur, besonders The Problem of Style und die Sammlungen früher Essays, jedoch näher betrachten, gelangen wir zu einem ganz anderen Urteil. Während Murrys politische und religiöse Ideen donquichottische Kreisbewegungen durchliefen, war seine Haltung gegenüber der Literatur bemerkenswert
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DIE NEUEN ROMANTIKER
kohärent, umfassend und zur damaligen Zeit innovativ oder doch zumindest restaurativ. Durch Murry wird die romantische Vorstellung von Dichtung als »einer Art von Pantheismus« (vgl. »Thoughts on Pantheism« in Things to Come, 221) wiederbelebt, ein Glaube an die Einheit der Welt, die er oft »organisch« nennt. Eine Anerkennung von Ordnung, von Tod und vom Bösen folgt daraus. Jeder Mensch vollzieht in seiner Existenz diese Natur des Universums nach. Er durchläuft einen Reifeprozeß, den Murry mit Keats' Ausdruck als »seeleschaffend« bezeichnet. Alle große Dichtung existiert, um uns zu dieser Erkenntnis zu verhelfen, die letztlich die Vernunft übersteigt. Murry maß einem Augenblick nach Katherine Mansfields Tod große Bedeutung zu: Er kam sich völlig verlassen vor und gelangte dann plötzlich zu der Erkenntnis: »Ich war nur Teil eines Ganzen und daher nicht länger ich« (TUG, 43). Er erinnerte sich 1923 an diese Erfahrung als eine mystische Erleuchtung. Aber man braucht sich auf nichts so Bedeutungsvolles zu berufen, um eine Weltsicht und ein Dichtungsverständnis zu begreifen, das Goethe, Coleridge, Carlyle, Emerson oder Blake durchaus geläufig war. Man kann Dichtung (wie alle Kunst und fiktionale Literatur) verstehen als Vermittlerin einer Wahrheit, die mit rationalen Begriffen nicht ausdrückbar ist: »Sie enthüllt, was nicht ausgesprochen werden kann« (TUG, 265). Sie ist »das Ergebnis einer Anstrengung, undenkbare Gedanken und unsagbare Worte in den Horizont des menschlichen Bewußtseins und Gehörs zu bringen« (D, 159). Dichtung ist nicht mit Denken zu identifizieren: »Dichter haben keine >IdeenIdeeIntuitionguten< Königs Claudius und gegen Knights Ansicht, »daß das Etwas, das im Staate Dänemark verfault ist, Hamlet selber sei«. Knight unterstellt »einen gefährlichen, weil leeren Schematismus« (siehe Adelphi, N. F. i [Jan. 1931]: 342-43). Er stellt das Stück auf den Kopf. Murry war offenbar nicht beeindruckt von Eliots lobendem Vorwort. Die beiden großen Shakespeare-Kritiker waren für ihn Coleridge und A. C. Bradley. Coleridge ist »der größte Shakespeare-Kritiker« (AL, 195), Biographia Literaria ist »das beste kritische Werk in englischer Sprache« (184), aber Murry mag Coleridges Philosophieren nicht. Sein »Eintauchen in den lauen Transzendentalismus war von verheerender Wirkung auf Coleridges Gemüt« (184). Er sieht ihn als einen Rationalisten, der Wordsworth zum Schreiben eines philosophischen Gedichtes zu verführen versuchte und eine falsche Unterscheidung zwischen der Dichtungssprache und der Prosasprache verteidigte. Murry bewundert vornehmlich Coleridges angewandte Kritik: Die Seiten über Venus and Adonis zeigen ihn »auf dem Gipfel seiner kritischen Fähigkeiten« (186). Bradleys Buch Shakespearean Tragedy sieht Murry als »das größte kritische Einzelwerk der englischen Sprache« an. Bradley ist »der wahrhaft ideenreichste Kritiker, den unser Land hervorgebracht hat . . . Eher als Coleridge oder Hazlitt war er das kritische Bewußtsein jenes [romantischen] Zeitalters« (Kathenne Mansfield and Other Literary Portraits, 114, 119). Der Bewunderer Bradleys hatte keine Verwendung für I. A. Richards' Ansicht von der Tragödie als Indikator dafür, daß »alles in Ordnung ist mit dem Nervensystem«. Murry bezweifelt, daß »wir King Lear lesen sollten, nur um das herauszufinden«. Richards' Ansicht ist »rein emotional und subjektiv. Wir fühlen es, und das ist alles. Murry dagegen behauptet, daß »wenn wir nicht die Natur des Objekts erkennen, wir auch nichts über die Natur des Subjekts ableiten können«. Richards klammert die »Tragödie aus seiner Überlegung« aus: »Es ist zweifellos lästig, so schmerzhaft gezwungen zu sein, daraufhinzuweisen, daß ein Ei ein Ei ist und kein Geschmack.« Murry lehnt notwendigerweise Richards' Zerstörung der »Offenbarungs«-Theorie ab. Er verteidigt die von Dichtung vermittelte Erkenntnis als »die Realität in ihrer Besonderheit«. Murry erkennt an, daß wir »Freude und Heiterkeit« durch die Tragödie erfahren, doch es gäbe keine Freude und Zustimmung zur tragischen Erfahrung, wenn sie nicht »ihre Wurzeln im wirklichen Leben« hätte (in Things to Come, 178, 180, 182, 186). Dasselbe Beharren auf der Objektivität eines Gedichts, dasselbe Mißtrauen gegenüber der Psychologisierung motivieren Murrys Kritik an Empsons Seven 9
Wellek, Literaturkritik 4/1
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Types of Ambiguity. »Ein Gedicht«, glaubt Murry, »ist eine Beschwörung, ein Wort unmittelbarer Macht, die das umherschweifende Denken zur Reaktion in eine gewisse Ordnung zwingen.« Es ist »ein organisches Ganzes«, während Empson nur die Teile sieht: Das Buch »ist unzusammenhängend und verundeutlicht eher, als daß es etwas erklärt« (PCM, 81). Der Kommentar über F. R. Leavis ist ziemlich mager und kommt spät. Murry rezensierte das Buch über Lawrence, wobei er sich erwartungsgemäß über die Überschätzung von The Rainbow und Women in Love beklagte und die »extreme Hochschätzung» von St. Mawr'm Frage stellt. Murry folgert mit Recht, wie ich meine, daß Leavis »einen beachtlichen und anregenden Versuch gemacht hat, Lawrences Kunst von seiner Lehre zu trennen, doch daß er dabei zu einer stillschweigenden Expurgation gezwungen war. Die Lehre ist immer gegenwärtig« (PCM, 87, 90). Murry scheint sich nicht bewußt zu sein, daß dieselbe Kritik auch für sein eigenes Buch über Lawrence zutrifft. In Unprofessional Essays (1956) verteidigte Murry Fielding gegen Leavis' Ausklammerung Fieldings aus der Großen Tradition. Er versucht zu erklären, daß Leavis wegen seiner Vorurteile über Fielding gelangweilt sei, und protestiert dabei gegen Leavis' Vorliebe für Dickens' Hard Times (UE, 21). Obwohl der Schwerpunkt des Essays auf der Darstellung von Fieldings Moral liegt, erscheint Leavis als ehrlicher, aber beschränkter Dogmatiker, der im Bann seiner Theorien steht. Murrys letzte Rezension diskutierte R. P. Blackmurs The Lion and the Honeycomb und Allen Tates The Man of Letters in the Modern World. Er sieht, daß T. S. Eliot »zuvorderst im neuen Kanon steht, den auch Mr. Blackmur und Mr. Täte mit Nachdruck vertreten«. Er findet sie jedoch »übertrieben in ihrer Geheimnistuerei« und beschwert sich über die »Komplexität, Intensität, Scholastik und Konzentration« und über »etwas Verhängnisvolles« am New Criticism. Hauptsächlich artikuliert er Unzufriedenheit mit einer »unnatürlichen Verbindung zwischen akademischer Kritik und den privaten Welten« (London Magazine 4 [1957]: 67, 69). Murry blieb bewußt ein freier Schriftsteller, ein Journalist, ein man of letters. Auf den vorangehenden Seiten wurden Murrys Literaturtheorie und Kritik beschrieben, wurde seine Position in einer Kritikgeschichte definiert. Doch Murrys Reputation ruht mit Recht auf seinen Büchern und den Essays über einzelne Schriftsteller. Fyodor Dostoevsky (1916) war Murrys erste Biographie, ein Versuch, die Entwicklung des Schriftstellers zur Erlösung (was Aussöhnung, Annahme bedeutet) zu beschreiben, eine Erlösung, die der Menschheit und implizit auch Murry selber angeboten wird. Murry übersieht Dostojewski als Künstler fast völlig, wenn er erklärt: »Dostojewski ist kein Romanschriftsteller und kann nicht als solcher beurteilt werden« (48). Er konnte das Leben nicht darstellen, »weil er von seiner Vision der Ewigkeit besessen war« (37). Seine Charaktere sind »körperlose Geister. Sie haben das Aussehen von Menschen, erfahren wir, aber wir wissen, daß wir solche Menschen nie erblicken werden« (47): »Ihre
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Körper sind nur Symbole«. Stawrogin z.B. »ist kein Mensch, sondern eine Gegenwart« (161). Murry überlegt: »Es kann sein, daß es wirklich keinen Smerdjakow gab, wie es ja auch in Wirklichkeit keinen Teufel gab. Beide lebten nur in Iwans Seele. Aber wer beging dann den Mord? Dann könnte es nur Iwan selber gewesen sein, oder es könnte andererseits gar keinen Mord gegeben haben« (228) - und, können wir hinzufügen, kein Buch. Der Sinn für Phantasmagorien, für Allegorien mit völliger Ausklammerung dessen, was Dostojewskis Realismus genannt werden kann, wird so stark vermittelt, daß die Romane nicht nur allegorisiert werden - oft in offensichtlicher Weise: »Rogoshin ist Körper, Myschkin ist Seele« (152); Nastasja ist »keine Frau, sondern die Verkörperung des Schmerzes« (152) -, sondern auch verflüchtigt werden zu Stationen in Dostojewskis spiritueller Pilgerfahrt aus Verzweiflung und Schmerz zum Leiden und zur schließlichen Anerkennung und Versöhnung mit dem Leben (43). Die Stationen werden nicht nur als Wegmarken von Dostojewskis Entwicklung begriffen, sondern auch als Epochenmerkmale des menschlichen Bewußtseins, die schließlich zum Glauben an die Menschlichkeit führen, wie Dostojewski ihn als typisch russisch propagiert: »Niemand, der ständig auf das 19. Jahrhundert blickt, kann abstreiten, daß der russische Geist allein in neuerer Zeit die Menschheit einen großen Schritt näher an ihr unausweichliches Ziel gebracht hat. Allein in der russischen Literatur kann der Trompetenklang eines neuen Wortes gehört werden.« Bei Tolstoi und Dostojewski »stand die Menschheit am Rande der Entdeckung eines großen Geheimnisses« (263). Wir erfahren allerdings nicht, worin das Geheimnis bestehen könnte, außer in einem »offenen Geheimnis«: Liebe, Humanität, Versöhnung, Annahme des Bösen und des Todes. Das Buch ist von D. S. Mirsky als »Pecksniffian sobstuff«6 bezeichnet worden. Wir wundern uns, wie Murry zuversichtlich behaupten kann, daß Dostojewski »wußte, daß ihm der Glaube an Gott als Person, der Glaube an die Religion, wie wir sie verstehen, auf immer versagt war« (44). Wir rätseln, warum er »Swidrigailow« zum »wirklichen Helden von Schuld und Sühne« (113) erklärte; und wir können seine oberflächliche Lektüre korrigieren, wenn er über Nastasja sagt, daß »sie an der Tür zur Kirche, in der [sie und Myschkin] geheiratet haben, Myschkin verläßt, um zu Rogoshin zu gehen« (148). Man kann den inbrünstigen Ton, den schrillen Anspruch auf Dostojewskis Glauben an die Regeneration der Menschheit bedauern, aber man kann kaum abstreiten, daß Murry richtig begriffen hat, daß Dostojewski ein Wunder erwartete, eine Utopie in unmittelbarer zeitlicher Nähe. Murrys Buch ist in England der Höhepunkt von Dostojewskis Wirkung als »Offenbarung«. Er wird zur Inkarnation des Geistes der russischen Literatur. »Russische Literatur«, sagt Murry, »hat mehr zum Abbau des Prestiges der
6. Mirsky, Vorwort zu E. H. Carr, Dostoevsky (1931).
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französischen Literaturauffassung beigetragen als alles andere« (D, 47). »Französisch« bedeutet hier l'artpour l'art, den wohlgebauten Roman in der Nachfolge von Madame Bovary. Russische Literatur wird gefeiert wegen ihres Bemühens um das menschliche Verhalten, um die Harmonie der menschlichen Fähigkeiten, wegen ihrer Toleranz gegenüber den menschlichen Schwächen, die Murry vergleichbar findet mit dem Bemühen um das richtige Leben und dem Hunger nach dem Absoluten. Russische Literatur, folgert er, ist »christlicher als irgendeine andere Literatur« (63). Sie ist »historisch die Erfüllung unserer eigenen Literatur« (69) und antwortet auf das Streben von Wordsworth, Shelley und Keats nach »einer Erfahrung der Harmonie, die alles Übel und allen Schmerz umfaßt und dadurch rechtfertigt« (72). Die russische Literatur erscheint so als eine Fortsetzung der englischen Romantik. Murry denkt hauptsächlich an Dostojewski und Tolstoi und sieht beide in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen. Doch Tschechow wurde Murrys zweite und größte Liebe. Er ist für ihn »der letzte große Schriftsteller« (D, 78) nicht nur in Rußland. Er stimmt der verbreiteten Ansicht von Tschechow als dunklem, depressivem und schmerzvollem Schriftsteller nicht zu. Tschechow »geht ohne Hoffnung, ohne Glauben daher; es ist die letzte aller hoffnungslosen Suchen: Und er bringt den Gral in seinen Händen zurück« (78). In vergleichbar übertriebenen Wendungen: »Es gibt keine Harmonie, ruft er, und schon der Klang seiner Stimme wirft das Echo der Sphärenmusik zurück« (76). Tschechow war »der vollkommen freie Mann; ein Mann, der sich selbst von aller Furcht befreite und in sich die Kraft fand, völlig allein dazustehen« (100). Murry blieb ein Individualist, auch als er sich dem Sozialismus und sogar einer Art von Kommunismus zuwandte. Doch er machte sich oft falsche Vorstellungen über Rußland. Im November 1916 lobte er Schestow in einer Einleitung zu einer Übersetzung der Essays und sagte: »In Rußland werden Geistesdinge mehr als alle anderen Dinge in Ehren gehalten« (EI, 26). Rußland war ein Traumland. Es war Krieg, und die Russen waren Englands Verbündete. Murrys wirkliche Idole, die beiden Dichter, die er vor allen anderen bewunderte, waren Shakespeare und Keats. Keats and Shakespeare (1925) brachte die beiden Namen auf das Titelblatt, obwohl es ein Buch über Keats ist und nur Keats' Begeisterung für Shakespeare ausnutzt, um eine gezwungene Parallele herzustellen. Murry betont Keats' dramatische Ambitionen, sieht eine Entwicklung zu größerer Objektivität und spekuliert über die vergebliche Hoffnung, ein großes Drama zu schreiben. Doch Otho the Great widerspricht seinen Ansichten. Keats konnte nie ein Dramatiker werden. Murry schreibt - wie in seinem Dostoevsky eine geistige Biographie mit Keats als »einem Helden der Humanität« (5), einem Dichter, der Dichtung »als eine bestimmte und selbständige Art, jene schließliche Wahrheit zu erreichen«, ansah: »die Wahrheit der Seele, die die Teilwahrheiten von Herz und Verstand umfaßt und vereint« (26). Murry versteht die negative Fähigkeit als »den einzigen Weg zu einer wahren persönlichen Identität, wie es
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auch die Wahrheit selber ist« (49). Keats bestätigt seine Ansicht der Unpersönlichkeit als den »wahren Weg zur Persönlichkeit«, da »SelbstVernichtung eine Möglichkeit der Selbstfindung ist« (53). Dieses Thema erlaubt es Murry, seine »intimste Geschichte in Worten der Ablehnung zuerst von Wordsworth, dann von Milton zu schreiben zugunsten einer tieferen und unwandelbaren Loyalität gegenüber Shakespeare« (41). In immer neuen Variationen wird Keats geschildert, der die Zwietracht zwischen Schönheit und Schmerz, das Chaos und die Widersprüche der Welt auflöst. Keats »entdeckt die Harmonie, die den Menschen mit dem Tieruniversum verbindet; er offenbart sich und uns, daß die Dinge so sein müssen, wie sie sind« (120). Hyperion ist der Gipfel von Keats' eigentlichem Schaffen, aber Murry möchte zeigen, daß Keats »größer, weit größer war, als sein eigentliches Schaffen es zeigt«. Er möchte ihn als »den perfekten Typ des großen Dichters« (70) vorstellen, als einen Menschen, der eine unverwechselbare Seele besaß und ein vollkommener Mensch wurde. Die Seele, wie Murry Keats' berühmten Brief interpretiert, entsteht langsam durch »Unterwerfung des Bewußtseins unter das Unbewußte« (138). Dichtung ist so »einer der wenigen Wege, die der ewigen Wirklichkeit, wie sie weniger direkt und weniger vollständig durch Religion ausgedrückt wird, offen bleiben« (144). Reine Dichtung enthält eine Offenbarung, »eine Erkenntnis der Einheit und Harmonie des Universums, die nur durch die Erkenntnis der Einheit und Harmonie des Individuums in sich selber erreicht werden kann« (147). Wie Hyperion Keats' größtes poetisches Werk ist, so stellt The Fall ofHypenon den Höhepunkt seines geistigen Fortschritts dar. Hier ist die Vision Monetas »die poetische Vision Gottes - es ist eine in der sich wandelnden und leidenden Wirklichkeit der Welt immanente Gottheit« (183). Zugleich ist es die Todesbereitschaft des Dichters. Dieses übergreifende Schema sollte den Umstand nicht verbergen, daß Murry im ersten Buch und in vielen Ergänzungen und Revisionen (Studies in Keats [1930], Studies in Keats: New and Old [1939], The Mystery of Keats [1949] und Keats [1955]) einfühlsam die Briefe kommentierte, ebenso aber auch Keats' persönliche Beziehung zu Fanny Brawne (über die er seine Meinung änderte), zu Fanny Keats und anderen. In ausführlichen Vergleichen mit Wordsworth, Milton und Blake kommentierte er fast alle Keats-Gedichte: Endymion, »On First Looking into Chapman's Homer«, »On Visiting the Tomb of Burns« und weitere. Murry übergeht Isahella, weil es für seine Vorstellung von Keats nicht allzuviel hergibt, und er sieht die Gedichte, die sich dafür eignen, hauptsächlich aus biographischer Perspektive. »La Belle Dame sans Merci« z. B. ist Fanny Brawne (124). Aber man muß zugeben, daß Murry sowohl den geistigen wie den erotischen Kampf des Menschen, den Ton und die Bedeutung der Briefe und Gedichte vermittelt, obwohl er das transzendentale und sogar »mystische« Element überbetont. Murry formulierte die Hauptprobleme der späteren Keats-Forschung, obwohl er heute von der Wissenschaft nicht sehr positiv beurteilt zu werden scheint. Morris Dickstein, Autor von Keats and His Poetry (1971), ist hier eine Ausnahme.
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Vieles bei Murry ist überholt oder muß korrigiert oder abgeschwächt werden. Doch es gelang ihm, Keats von der »ästhetischen« Fehlinterpretation, wie sie bei H. W. Garrod noch vorherrscht, zu befreien. Er nahm Keats' Kampf um Selbstbewußtsein und Reife, der in den Briefen bewegend dargestellt ist, ernst, ohne der Versuchung zu erliegen, »Keats' Bewußtsein« zu systematisieren, wie es Clarence D. Thorpe in seinem einflußreichen Buch tat. Obwohl die Ausführungen in Murrys Buch über Shakespeare (1936) schon in frühen Artikeln bedacht und vorweggenommen worden waren, ähnelt dieses Buch doch dem Keats-Buch und beruht auf der Vorstellung einer negativen Fähigkeit: »In der moralischen Welt kann der beste Charakter erreicht werden, wenn man gar keinen hat; in der Welt der Kunst fängt die Perfektion des Stils an, wo die Konvention endet; in der Welt des Geistes folgt absolute Identität auf Selbstvernichtung« (30). Das Thema einer allumfassenden Sympathie, der Identität von Objektivität und Empathie wird wie in Keats oft vernachlässigt, um Shakespeare mit einer spezifischen Figur in seinen Dramen zu identifizieren. Es gibt den Shakespeare-Menschen: Hamlet. »Wir können uns vorstellen, daß Shakespeare sich wie Hamlet verhält, während wir uns nicht vorstellen können, daß er sich wie Lear oder Othello oder Macbeth verhält« (324). Es gibt andererseits aber auch die Shakespeare-Frau: »Sie ist Desdemona und Imogen, Perdita und Miranda« (231). Die Sonette erlauben Murry zu spekulieren, wobei er zugibt, daß alles nur Vermutung ist. Er sagt dreimal auf einer einzigen Seite (106) »ich glaube« und beruft sich auf sein »hartnäckiges Gefühl, daß die Sonette als Ganzes das Werk von drei Jahren sind« (113). Dann gibt es noch Shakespeares ideale Engländer: der Bastard in Kingjohn, »eine der großartigsten Schöpfungen Shakespeares« (162). Murry stellt fest, daß der wortkarge, vornehme Verehrer Portias in The Merchant of Venice wie der Bastard Falconbridge heißt; Murry »bedauert, daß er Portia nicht heiratet; er wäre ein vornehmerer Ehemann als Bassanio gewesen«. »Des Bastards Portia ist eine französische Prinzessin; ihr Name (wie es bei Shakespeare sein soll) ist Kate« (169). Es wird von uns verlangt, eine Identität von Bastard und Henry V anzunehmen. Aber nur selten gibt sich Murry mit solchen Gefühlsspekulationen ab. Er kennt die Schriften L. L. Schückings, E. E. Stolls und W. W. Lawrences und stimmt zu, daß »die Situationen [in Shakespeares Dramen] im allgemeinen den Charakteren vorausgehen« (209). Er bemerkt, daß er »gerade durch den Zwang, den das Publikum auf sein Genie ausübte, zum größten Dramatiker der Welt wurde« (134), obwohl für Murry »der poetische und der dramatische Schöpfungsakt unlösbar miteinander verbunden sind« (286). Merkwürdigerweise halt Murry King Lear für »entschieden den anderen drei >großen< Shakespeare-Tragödien nachgeordnet« (337), weil hier »kontrollierte Einbildungskraft« und »poetische Spontaneität« fehlen (342, 348). Murry zieht Coriolanus vor, über den er zwei frühe, nicht unkritische Essays geschrieben hatte (D, 265-85, und CM, 34-35), und Antony and Cleopatra, wo Murrys obsessives Thema des Liebestodes, wie er es im
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Keats-Buch verfolgt, am ausführlichsten zum Ausdruck kommt: »Das völlige Selbstopfer eines Menschen für einen anderen im Tod ist das einzig wahre Zeichen, das es gibt und das wir als Liebe erkennen können« (378). Murry lehnt allerdings die allegorische Interpretation der letzten Dramen ab, weil er mit Sicherheit fühlt, »daß Allegorie Shakespeares Denken fremd war« (392). Dennoch sieht er in der letzten Periode einen »Mann, der sich nach dem Frühling in der Natur und in den Herzen der Menschen sehnt: Er hält fest an der Realität der wiedergeborenen Natur und am Traum vom wiedergeborenen Menschen« (408). Trotz all seiner Lücken und Nachteile vermittelt das Buch, meine ich, einen »Eindruck« Shakespeares (vii). Es sollte durch Murrys Essays über Shakespeare und die Shakespeare-Forscher ergänzt werden. Murry widersteht hartnäckig dem Versuch, Shakespeare zu einem Vertreter irgendwelcher abstrakter Glaubenssätze oder Vorstellungen zu machen. So lehnt er »den >IdeeSymposiumKunst< hat der Kunst keinen Vorteil gebracht« (CM, 225). Der Kult um Flaubert als »den größten Schriftsteller, der je lebte«, wie er besonders in England und Amerika prosperierte, erscheint ihm absurd. Er ist von Flauberts Agonien nicht beeindruckt: »Es ist nicht leicht zu verstehen, warum der Wert eines schriftstellerischen Werkes von der Vollständigkeit seiner Entflammung auf dem Altar der Kunst abhängen sollte« (206). Murry verunglimpft Flauberts visionäre Kraft, seinen Metapherngebrauch und erkennt nur sein »visuelles Gepräge« an. Flaubert »hatte einen bürgerlichen Horror vor dem Bürgerlichen« und litt unter einem »merkwürdigen Mangel an innerem Wachstum« (208, 210). Murry findet Salammho, La Tentation de St. Antoine und Bouvard et Pecuchet »innerlich hohl«. Nur Madame Bovary wird gelobt, während L'Education sentimentale als »ein Geschichtswerk und keine Literatur« abgetan wird (211, 218). Murry zog Stendhal vor. Er bewunderte dessen tragische Haltung dem Leben gegenüber und dessen Glauben an des Menschen Pflicht zum tragischen Helden (237). Er nennt ihn »einen verkümmerten Miniatur-Shakespeare« (230) - ein zweifelhaftes Lob, das das Etikett »Hedonist« vermeidet und Stendhal Shakespeares Lebenseinsstellung annähert. Aber Stendhal »hatte keinen faden Humor« (236). Murry hatte das einzigartige Verdienst, als erster auf englisch im Juli 1922, noch zu Prousts Lebzeiten, über A la recherche du temps perdu geschrieben zu haben: »der subtilste von allen modernen psychologischen Romanen« (D, 118). Er hatte Proust kurz in Paris getroffen. Murry sagte den damals noch unveröffentlichten Romanschluß sehr genau vorher und sah, daß das Buch »im wesentlichen die Geschichte seiner eigenen Entstehung« war (118). Er beschrieb die Dualität zwischen »der psychologischen Geschichte der modernen Mentalität und einer Anatomie der modernen Gesellschaft« (115). Aber er ließ sich auf keine Diskussion der Technik ein, obwohl er vorhersagte, daß Henry James' Critical Prefaces »eines Tages einen Platz analog zu Flauberts Korrespondenz einnehmen können« (PS, 21). Im englischen Roman blieb Murrys Geschmack traditionell. Er scheint über keinen der Standardautoren ausführlich geschrieben zu haben - außer einen späten Aufsatz zur Verteidigung von Fielding (UE). Das Interesse an George Gissing (konzentriert auf dessen erotisches Leben) und an einem Freund, Henry Williamson, gehört auch in seine letzten Jahre (in Kathenne Mansfield and Other Literary Studies}. Die neuen Entwicklungen im Roman empfand er als »Zusammenbruch des Romans« und als Ende des Geschichtenschreibens. Er bedauerte James' »unangebrachte Beschäftigung mit Technik« und die »Hypertrophie seines Stils« (PS, 21-22). Er nannte Ulysses »ein Werk des Genies«, aber auch
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»eine gigantische Verwirrung, die letzte Extravaganz der Romantik« (D, 146-47). Er rezensierte dann Ulysses in diesem Sinn (The Nation and Athenaeum 31 [22. 4. 1922]: 124-25) völlig unschockiert zu einer Zeit, als das Buch aus Paris herübergeschmuggelt werden mußte. Am meisten bewunderte Murry das CirceKapitel, eine »transzendentale Posse« (er nennt es Walpurgisnacht), als »würdig eines Genies des höchsten Ranges, vergleichbar dem Goethes oder Dostojewskis«. Gleichzeitig beklagt er sich aber auch über Dunkelheit und den »Fluch der Überfülle, des Zuviels, der über dem Ganzen hängt« (125). Es ist durchaus berechtigt zu sagen, daß »der stärkste Teil von [Joyces] Talent großartig komisch ist« (D, 151). Von allen Romanschriftstellern beschäftigte D. H. Lawrence Murry am meisten. Er sieht in Lawrence nicht allein den Romanschriftsteller, sondern eher den Propheten, den Freund und zugleich den Feind. Man muß nicht die Wechselfälle dieser Beziehung, die 1913 begann, nacherzählen, noch die Genauigkeit von Murrys Reminiscences of D. H. Lawrence (1933) erörtern oder die Art, in der Lawrence Murry als Modell für sein Werk benutzte und ihn in der Geschichte »Smile« karrikierte. Doch Murry schrieb durchaus Rezensionen über Lawrences Bücher zu dessen Lebzeiten. Son of Woman (1931) ist nicht nur eine Lawrence-Biographie, die, wie Graham Hough sich beklagt, »durchgehend Lawrences Werke bemängelt, weil sie die Geschichte [von Lawrences Leben] nicht richtig erzählt«7: Sie enthält auch Literaturkritik und Werturteile über Bücher und Ideen. Die von Murry in den Zwanzigern nach dem Bruch mit Lawrence geschriebenen Rezensionen verdammen die Romane nach Sons and Lovers rigoros. The Lost Girl zeigt »einen sehr offensichtlichen Verlust der dichterischen Einbildungskraft«, obwohl es ein kompetenter Roman ist von dichterer Struktur als The Rainbow. Doch der »korrupte Mystizismus« wird verdammt. Lawrence »möchte uns in den Schleim zurückversetzen, aus dem wir stammen« (nachgedr. in R, 217). Women in Love besteht aus »fünfhundert Seiten leidenschaftlicher Vehemenz, Welle um Welle schwülstigen, gereizten Schreibens« (220). Murry fragt: »Ist Mr. Lawrence ein Fanatiker oder ein Prophet? Daß er kein Künstler mehr ist, ist sicher - so sicher, wie er offenbar auch keiner sein möchte« (222). Merkwürdigerweise gefiel Murry Aaron's Rod als »lustig, sorglos, überzeugend«: »Aaron's Rod zu lesen bedeutet, aus einer Lebensquelle zu trinken.« Lawrence hat Gelassenheit erreicht. Aaron's Rod »ist das Wichtigste, was der englischen Literatur seit dem Krieg widerfahren ist. Meiner Meinung nach ist es viel wichtiger als Ulysses.. . Ulysses'ist steril; Aaron 's Rod'ist voller Lebenssaft« (231). Fantasiaofthe Unconscious wird gelobt als Kritik an unserer Zivilisation, unabhängig von Freud oder Jung (241; vgl. eine noch positivere Rezension in The Nation and Athenaeum, in R übersehen). Murry prophezeit, daß »Lawrence unvermeidbar eine Gestalt
7. Hough, The Dark Sun (1956), 13.
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von europäischer Bedeutung werden wird«, und nennt ihn »den bedeutendsten Schriftsteller seiner Generation« (242). Eine Rezension von Birds, Beasts and Flowers lobt Lawrences Kenntnisse des nicht menschlichen Lebens (250), doch kurze Hinweise auf St.Mawrund The Plumed Serpent belegen Enttäuschung, und eine längere Rezension von The Collected Poems artikuliert die Weigerung, »intellektuelles Bewußtsein« abzulegen: »ein Selbstmord, den wir weder begehen wollen noch können« (262). Dennoch ähnelt Lawrence »einem großen Propheten in der Nachfolge Jesu. Seine Botschaft ist vergleichbar und von derselben Kraft der dynamischen Sprache, obwohl Lawrence, wie Murry weiß, sich weigert, »der Tatsache Jesus ins Auge zu sehen« (266-67). Eme Rezension von Lady Chatterley 's Lover nennt das Buch »bei all seiner Unvollständigkeit und seiner noch schwelenden Wut ein positives, lebendes und kreatives Buch«, ein »reinigendes Buch, das eine neue >Katharsis< bringt« (275, 271). Trotz des Risses in ihrer Freundschaft behandelte Murry Lawrence weiterhin als einen sehr großen Schriftsteller, aber weigert sich, seinen Anti-Intellektualismus zu teilen, und beurteilte seine Bücher nach dem Maßstab der Annäherung an Gelassenheit und Vernunft. Das ist im Grunde auch die Ansicht, die in Son of Woman (1931) vertreten wird, obwohl das Buch Anstoß erregt wegen seiner scharfen Verurteilung von Lawrence als einem »Propheten der falschen Religion, die die Wirklichkeit des Geistes leugnet und nicht erkennen will« (352), und wegen seiner Unterstellung, daß Lawrence »beinahe ein sexueller Schwächling« sei (52). Murry erschien als Verräter, als Judas, der nach Lawrences Tod sich für die zurückgewiesene Freundschaft rächte. Wir brauchen uns auf diesen verbitterten Disput nicht einzulassen, um zu sehen, daß es Murry um zwei kritische Fragen geht, die er sehr klar von der Biographie trennt: Lawrences Ideologie, seine sogenannte Liebesethik, und sein Erfolg als Romanschriftsteller. Murry scheint mir im wesentlichen die Ideologie richtig zu beschreiben und zu interpretieren, den Haß auf die moderne Zivilisation, den Murry zu teilen oder wenigstens doch zu verstehen scheint, und auch Lawrences Ansicht von der Beziehung zwischen den Geschlechtern, »die Intensität des Abscheus vor der Frau in sexueller Beziehung« (44), seine Forderung, daß die Frau sich dem Manne völlig und zutiefst unterwirft, jeden Anspruch auf eigene Befriedigung aufgibt und selbst physischem Mißbrauch zustimmt. In seinem Abscheu vor diesem Glaubenssatz versucht Murry, ihn von der Kunst des Romanschriftstellers zu trennen, und nimmt eine Einstufung der Bücher vor, die ihnen nicht gerecht wird. Ich glaube, er hat recht, wenn er Sons and Lovers als Lawrences »größtes Buch« lobt: »Wenn Lawrence als >reiner Künstler< beurteilt werden soll, dann hat er wahrhaftig dieses reiche und bewegende Zeugnis eines Lebens nie übertroffen und kaum je wieder erreicht« (23). The Rainbow und Women in Love erscheinen im Vergleich chaotisch und dunkel. Obwohl Murry den Anfang des Kapitels »Anna Victrix« in The Rainhow lobt und sagt, daß es »nichts Schöneres oder Stärkeres in allen Lawrence-Schriften«
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gebe (75), wird doch die implizierte Eheauffassung und die »ultra-phallische Andersartigkeit« (134) der Birkin-Ursula-Beziehung verurteilt als »eine Lüge oder viele Lügen«. Fantasia of the Unconscious wird dann als Lawrences »größtes Buch« (171) und Aaron's Rodais der »größte seiner Romane« bezeichnet (141); Sons and Lovers wird offensichtlich in jedem Fall vergessen. The Lost Girl wird wegen der »großartigen Kapitel« (149) über das Leben in den Albaner Bergen gelobt. Der Roman erscheint als der »entscheidende Moment« in Lawrences Genesung, in seinem Abscheu vor der früheren Nostalgie: »Ein Mann darf seine Menschlichkeit nicht ablegen; die Verlockung der prämentalen Welt ist eine Versuchung, ein Köder des Todes« (151). Aaron's Rod erreicht wieder höchstes Niveau: »In diesem Roman steckt mehr vom wesentlichen Lawrence als in irgendeinem ändern« (220). Murry sieht den »reinen Abscheu vor der Frau«, den Aaron's Rod bestimmt. Sex ist das höchste Unglück: »Alles Bestehen auf Sex und Blut-Bewußtsein, das die ständige Obsession all seiner Bücher ist ... war in seiner eigenen geheimen Beurteilung eine Selbstverletzung, eine Sünde wider das Licht« (287). Murry hält The Plumed Serpent für ein »phantasievolles Werk«, für Lawrences »größtes >Kunst 352-67. Ernest G. Griffin, John Middleton Murry (1969). Ein hilfreiches, sympathisches Buch. Die Murry-Ausgabe von The D. H. Lawrence Review, Bd. 2, Nr. i (Frühjahr 1969), enthält einige nützliche Aufsätze.
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Wenn John Middleton Murry der romantische Kritiker redivivm ist, wird D. H. Lawrence als extremster Irrationalist erscheinen. Er möchte »uns vom fürchterlichen Griff des nach Bösem riechenden alten Logos befreien« (Apocalypse [1932], 171); er verachtet abstrakte Philosophie einschließlich des »widerlichen Kant« (P, 520); er beruft sich ständig auf das »Blut-Bewußtsein«, oder das »phallische Bewußtsein«, auf den »solar plexus«, die »dunklen Götter« - Metaphern für das Unbewußte, das Instinktive, das völlig Spontane und Intuitive. Literaturkritik scheint keinerlei Chance zu haben, obwohl Lawrence doch ganz offensichtlich ein radikaler Kritiker der Industriekultur, der Sexualmoral und der zwischenmenschlichen Beziehungen im allgemeinen war. Dennoch konnte F. R. 10 Wellek, Literaturkritik 4/1
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Leavis ihn »den besten Literaturkritiker unserer Zeit - einen der größten Literaturkritiker, die es je gab«, nennen (Scrutiny 6 [1937]: 352). Und das einzige literarkritische Buch, das Lawrence in seinem Leben veröffentlichte, Studies in Classic American Literature (1923), wurde von Edmund Wilson als »eines der wenigen erstklassigen Bücher, die je über dieses Thema geschrieben wurden«, gelobt (The Shock of Recognition, 2: 906). Es geht offenbar nicht an, Lawrences Intelligenz, Genauigkeit und Kraft der treffenden Formulierung unterzubewerten. In der Tat war sein Konzept der Literaturkritik eine gute Neuformulierung einer sehr alten Überzeugung. »Literaturkritik«, sagt er am Anfang einer scharfen Attacke auf John Galsworthy, »kann nicht mehr sein als eine begründete Darstellung des Gefühls, das vom zu kritisierenden Buch beim Kritiker ausgelöst wird. Kritik kann niemals eine Wissenschaft sein: Sie ist viel zu persönlich und entsprechend mit Werten befaßt, die die Wissenschaft ignoriert. Der Maßstab ist das Gefühl, nicht der Verstand. Wir beurteilen ein Kunstwerk ausschließlich nach seiner Wirkung auf unser wahrhaftiges und lebendiges Gefühl«. - »Ein Kritiker muß in der Lage sein, die Bedeutung eines Kunstwerks in seiner ganzen Komplexität und Kraft zu fühlen ... Ein Kritiker muß in jeder Phase gefühlsmäßig lebendig, verstandesmäßig fähig und erfahren in den Grundlagen der Logik und dann noch moralisch sehr ehrlich sein« (P, 539). Sainte-Beuve bleibt für ihn ein großer Kritiker, »der den Mut hat, zuzugeben, was er fühlt, genauso wie die Flexibilität zu wissen, was er fühlt«. Hier erkennt Lawrence ausdrücklich die Rolle des Intellekts und sogar der Logik an, während er dennoch den ersten Platz dem instinktiven Geschmack oder der instinktiven Einsicht zuerkennt. In vielen Zusammenhängen, in Briefen und Rezensionen bekundet Lawrence seine Meinungen lebhaft, manchmal ausfällig, aber oft einfühlsam: Die kurzen Rezensionen von Hemingways In Our Time und Dos Passos' Manhattan Transfer (363-65), die Einleitungen zu Übersetzungen von Verga (223-31, 240-50) und zu Edward Dahlbergs Bottom Dogs (267-73) und selbst die Verrisse von H. G. Wells' World of William Clissold (346-50) und von John Galsworthy sind gute traditionelle Kritik. The World of William Clissold »besteht völlig aus zerkauter Zeitung und zerkauten wissenschaftlichen Berichten wie ein Mäusenest« (350). Lawrence erzählt z.B. mit komischer Indignation eine Geschichte, »The Apple Tree«, nach, um Galsworthys klassengebundenen Snobismus und seinen vulgären Sentimentalismus nachzuweisen. Lawrence hat Wichtiges über den Roman zu sagen. Er hat eine hohe Meinung von der Aufgabe des Romanschriftstellers: »Der Roman ist eine große Entdekkung: viel größer als Galileis Teleskop oder die Erfindung des Radios« (P2, 416). »Als Romanschriftsteller stehe ich über dem Heiligen, dem Wissenschaftler, dem Philosophen und dem Dichter; diese sind alle große Meister der unterschiedlichen Teile des Menschen, aber nie des Ganzen.« - »Das Ganze« meint hier den totalen Menschen - Seele, Verstand und Körper -, aus dem heraus der Romanschriftsteller schöpft oder schöpfen sollte, damit er »ein Erzittern des Äthers«
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bewirken kann, »das den ganzen lebenden Menschen zum Zittern bringen kann« (P, 535). Der Roman kann uns helfen »zu leben wie sonst nichts« (532). Er enthüllt (wie wahrscheinlich alle Kunst) »die Beziehung zwischen dem Menschen und dem ihn umgebenden Universum im lebendigen Augenblick« (527). »Der Roman ist das höchste Beispiel subtiler Interrelationen, das der Mensch entdeckt hat« (528). Aus offensichtlichen Gründen reflektierte Lawrence die Verbindung des Romans zur Moral und besonders zur Pornographie. Er lehnte offenes Moralisieren ab. Moral ist »jene delikate, immer schwankende und sich ändernde Balance zwischen mir und dem mich umgebenden Universum«. Das Moralisieren, die Tendenzhaftigkeit dagegen ist vergleichbar mit »dem Romancier, der seinen Daumen auf die Waagschale drückt, um die Balance zu seinem eigenen Vorteil zu verändern« (528) - und das ist für Lawrence unmoralisch. Er gibt zu, daß »der Roman im allgemeinen nicht unmoralisch ist, weil der Romanschriftsteller eine beherrschende Idee oder einen beherrschenden Zweck hat. Die Unmoral liegt in der Hilflosigkeit des Schriftstellers, in seiner unbewußten Voreingenommenheit« (529), in sentimentalen Romanen, in Blut-und-DonnerRomanen, in modisch-zynischen Romanen, in jeder Kunst, die die Wirklichkeit und die realen Beziehungen verfälscht. Er stimmt zu, daß »jedes Kunstwerk einem Moralsystem verpflichtet ist. Aber wenn es wirklich ein Kunstwerk ist, muß es auch wesentliche Kritik an der Moral, der es verpflichtet ist, enthalten (476). Verständlicherweise war Lawrence sehr an einer Befreiung des Romans von prüder Zurückhaltung in sexuellen Dingen interessiert. Wir alle kennen seinen posthumen Sieg in England. Der Prozeß gegen Lady Chatterley 's Lover zerbrach 1960 mit Triumph die Sprachtabus im sexuellen Bereich. Doch Lawrence selber war in seiner Abhandlung über »Pornography and Obscenity« und in seiner geistreichen Verteidigung »A propos Lady Chatterley 's Laver« sehr darauf bedacht, einen Unterschied zwischen freizügiger Darstellung von Sex und Pornographie zu machen: »Selbst ich würde Pornographie rigoros reduzieren. Pornographie ist der Versuch, den Sex zu beleidigen und zu beschmutzen« (175) während seine eigene Dichtung, wie er behauptet, ohne Sentimentalität und Obszönität auskomme. Lawrence gibt vor, kein Interesse an dem »kritischen Hickhack über Stil und Form« zu haben (P, 539). Er macht sich über Clive Beils Begriff significant form lustig (566-67). Er verurteilte das »Streben nach Form« im Roman nach Flaubert und wählte Thomas Mann aus als »den letzten kranken Erdulder von Flauberts Beschwerde« (312). Merkwüdigerweise identifiziert Lawrence den J3Jährigen Aschenbach in Tod in Venedig mit Thomas Mann und sieht Mann als »alt« und überlebt, obwohl dieser 1913 erst 38 ist: »Sogar Madame Bovary erscheint mir tot im Vergleich zum lebenden Rhythmus des Gesamtwerkes« (313). Die Maxime »nichts außerhalb der definitiven Entwicklung des Buches« erscheint ihm lächerlich: Das menschliche Bewußtsein kann nicht »irgendeine Handlungsentwicklung für ein lebendes Wesen absolut festlegen« (308). Er verteidigt damit eine
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lockere organische Form: »Wir brauchen eine offensichtliche Formlosigkeit, die definitive Form ist mechanisch« (248). Er hört sich wie Croce an, wenn er sagt, daß jedes Kunstwerk seine eigene Form habe, die »keine Beziehungen zu irgendeiner anderen Form hat« und die »Existenz keiner anderen Form erlaubt« (454). Er verteidigte die Form von Sons and Lovers mit der Feststellung: »Alle Konstruktionsregeln gelten nur für Romane, die Kopien anderer Romane sind; ein Buch, das keine Kopie anderer Bücher ist, hat seine eigene Konstruktion« (L, 299). Er argumentiert - und wehrt Einwände gegen die erste Fassung von The Rainbow (damals The Wedding Ring betitelt) ab -, daß »man in meinem Roman nicht nach dem alten stabilen ego des Charakters suchen darf. Es gibt ein anderes ego, entsprechend dessen Handlung das Individuum unverkennbar ist und allotropische Stadien durchläuft, die Stadien desselben einzelnen, völlig unveränderten Elements sind - doch das zu erkennen bedarf es eines tieferen Sinnes, als wir ihn haben« (CL, 282). Die Ablehnung der well-made novel, die Vorstellung der einzigartigen, flüssigen Form und des unbestimmbaren Charakters hören sich an wie eine Verteidigung der Innovationen dessen, was allgemein als Modernismus bezeichnet werden kann. Außerdem war Lawrence ein engagierter Verfechter des freien Verses. Doch das täuscht. Lawrence lehnte das Psychologisieren, die »selbstüberzeugten Gemüter« (Lady Chatterley's Lover, Kap. 13) von Proust, ab. In einer höhnischen Attacke, die Dorothy Richardson, Proust und Joyce bündelt, werden diese Schriftsteller der Vorliebe für kleinste Trivialitäten beschuldigt: »>Fühlte ich ein Zwicken in meinem kleinen Zeh oder nicht ? < fragt jeder Charakter von Mr. Joyce oder Miss Richardson oder M. Proust« (P, 517). Joyce und Richardson »entblößen ihre geringsten Gefühle bis auf den letzten Faden ... Es ist wirklich kindisch, in einem gewissen Alter noch so völlig verlegen zu sein« (518). In einem Brief beklagt sich Lawrence noch heftiger über einen Abschnitt von Finnegans Wake in Transition: »Mein Gott, was für ein ungeschickter Trottel James Joyce doch ist! Nichts außer alten Stummeln und Kohlstrunken von Zitaten aus der Bibel und sonstwoher zusammengekocht im Saft journalistischer und absichtlich schmutziger Gedanken - was für eine alte und bemühte Abgestandenheit, die sich als völlig neu maskiert hat!« (CL, 1075). Bei gleicher Gelegenheit schreibt Lawrence: »James Joyce langweilt mich zu Tode - zu sehr bemüht und mit Absicht, völlig ohne Spontaneität oder wirkliches Leben« (1087). Lawrence wollte, daß die fiktiven Figuren und die fiktionalen Bücher »lebensvoll und lebendig« wären. Lebendig, versucht er zu erklären, »bedeutet, daß der Mann im Roman eine lebendige Beziehung zu allen anderen Dingen im Roman haben muß: Schnee, Wanzen, Sonnenschein, Phallus, Züge, Seidenhüte, Katzen, Trauer, Leute, Essen, Diphtherie, Fuchsien, Sterne, Ideen, Gott, Zahnpaste, Blitz und Toilettenpapier« (P2, 420). Doch das bringt uns nicht weiter als E. M. Forsters runde und flache Charaktere. In der Praxis ist der lebendige Charakter bei Lawrence immer der instinktive Mann oder die instinktive Frau. Alle Schriftsteller sind »phallische
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Verehrer. Von Balzac bis Hardy ist es so, von Apuleius bis E. M. Forster. Doch wenn es zu ihrer Philosophie kommt oder zu dem, >was sie denken, was sie sindbedeuten< nicht >etwasTrink mir nur mit deinen Augen zuA Lecture on Modern Poetry< and the Birth of Imagism«, Papers on Language and Literature 5 (1969): 465-70. Ronald Schuchard. »Eliot and Hulme in 1916«, PMLA 88 (1978): 1083-94.
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Miriam Hansen und Helmut Viebrock. »Thomas Ernest Hulme's >SpeculationsWas soll ich lesen?es gefällt mirich bin bewegts
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oder etwas Ähnliches. Wenn er sich uns so offenbart hat, sind wir in der Lage, ihn zu verstehen« (56). Die einzige bösartige Kritik ist daher die akademische Kritik derer, die die große Verweigerung betreiben, die sich weigern zu sagen, was sie denken, wenn sie überhaupt denken, und die lediglich anerkannte Meinung zitieren; diese Leute sind Ungeziefer, ihr Verrat an der Vergangenheit ist so groß wie der des falschen Künstlers an der Gegenwart. Da sie sich nicht genug um das Erbe kümmern, um sich eine persönliche Meinung bilden zu können, haben sie auch keine Berechtigung zu schreiben« (56). Pound erfüllt diese kritische Funktion. Er verkündet ständig entschieden und klar, was er schätzt und was er ablehnt. Pound kümmert sich wenig um die Geschichte der Kritik. Eliot reagierte zunächst auf die Kritiker, die ihm vorangingen: Arthur Symons, Walter Pater john Addington Symonds und andere. Pound dagegen lehnte die Dichtung seiner Zeit ab, die Georgianer und Viktorianer, gerade weil er selber im Stil Brownings und der Präraffaeliten zu schreiben begonnen hatte. Pound ist der Ansicht, »der Kritiker St. Beuve [sie] hat beträchtliches und unabsehbares Unheil angerichtet. Er hat es jedem Parasiten und Ignoranten ermöglicht, sich als Kritiker aufzuführen. Tausende von unfähigen Essayisten erhielten Gelegenheit zur Erörterung von Wäschelisten« (PE, 3; vgl. 87). Doch dies ist nur ein parodistischer Protest gegen den Mißbrauch der biographischen Methode. Von allen Kritikern scheint Pound nur Remy de Gourmont zu bewundern, der offensichtlich seiner Lebensauffassung entsprach. Er nennt ihn »Konfuzianer, Epikureer, einen Mann voller Ideen« und spricht von seiner »komplizierten sinnlichen Weisheit« (LE, 340-41). Er glaubt sogar, daß »de Gourmont schließlich nicht weniger bedeutend ist als Voltaire« (Fortnightly Review 104 [1915]: 1164). Aber in allen drei de Gourmont gewidmeten Essays findet sich kein Versuch, dessen Ideen über Kritik darzustellen oder zu erörtern. Selbst der längste Essay besteht lediglich aus einer Reihe unverbundener Zitate, die in einem Brief de Gourmonts an Pound gipfeln. Diesem überaus höflichen Brief wird dann ein Brief des Herausgebers der Quarterly Review, Lord Prothero, gegenübergestellt, in welchem dieser sich weigert, einen Beitrag Pounds zu veröffentlichen, weil Pound mit Blast'm Verbindung stehe (LE, 356-58). Pounds persönlicher Kummer überdeckt jedes Interesse an seinem eigentlichen Thema. Offensichtlich traf de Gourmonts literarischer Kosmopolitismus bei Pound auf Sympathie. Er betonte immer die Idee der »Weltliteratur« und ging sogar so weit, »die Einrichtung von Kursen in >amerikanischer Literatur< an amerikanischen Schulen als Verbrechen zu bedauern: Genauso gut könnte man Kurse in amerikanischer Chemie< einrichten und alle ausländischen Entdeckungen übergehen« (218). Er übersieht hier das Problem der Nationalität und den Unterschied zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und poetischem Ausdruck. T. S. Eliot traf den Nagel auf den Kopf, als er sagte, »falls Pound zu Hause geblieben wäre, wäre er vielleicht Professor für vergleichende Literaturwissenschaft geworden« (Poetry 68 [1946]: 330). Pound hatte
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Romanistik an der University of Pennsylvania bei H. A. Rennert studiert, dem Biographen von Lope de Vega, und bei Wickesham Crawford, einem Spezialisten für das >Goldene Zeitalter< in Spanien. Seine allgemeine Verachtung gegenüber amerikanischen >Lernereien< erinnert an den Fuchs und die sauren Trauben. Pounds Äußerungen klingen immer wie die eines Lehrers oder eines verhinderten Professors. Er machte sich eine internationale Sicht der Dinge zu eigen, als er »einen universalen Standard forderte, der Zeit und Land nicht berücksichtigt - ein Weltliteraturstandard« (L, 24f.). Eine solche Sicht spiegelt auch seine Beschreibung der englischen Dichtungsgeschichte als »einer Geschichte erfolgreicher Diebstähle aus dem Französischen« (Future 2 [1917]: ). Dieser Internationalismus untermauert Pounds Betonung des Übersetzens und der Rolle von Übersetzungen in der Geschichte, der er viele Artikel widmete. Er grub wenig bekannte elisabethanische Übersetzungen oder frühe lateinische Homer-Übersetzungen aus (siehe LE, 227-75). Man war überrascht zu hören, daß Gavin Douglas' Übersetzung der Äneis »besser sei als das Original« (35) oder daß Goldings Übersetzung von Ovids Metamorphosen »möglicherweise das schönste Buch in unserer Sprache« sei (238 A.). Trotz seiner weitreichenden Interessen an oft entlegenen Gebieten der Dichtungsgeschichte hatte Pound eine völlig unhistorische Methode bei deren Erforschung. Er glaubt, daß »Dichtung sich immer gleich bleibt, daß die Veränderungen nur oberflächlich sind« (Egoist 2 [1915]: n): »Notwendig ist eine Literaturwissenschaft, die Theokrit und Yeats nach demselben Maßstab mißt« (SR, 8), da »alle Zeitalter gleichzeitig sind« (8). Schließlich muß Pound folgern: »Im Verhältnis zur Produktion von Dichtung ist der Wert der Kritiker weniger als eins zu einhundert. Die einzigen kritischen Äußerungen, denen mehr Bedeutung zukommt, sind Äußerungen von Künstlern, die diese dann später auch in die Praxis umsetzen und so am Kunstwerk selbst demonstrieren« (Pavannes and Divagations [1918], 231). Literaturtheorie, Poetik, spielt also nur eine untergeordnete Rolle in Pounds Denken. Meistens ist es »Spezifizierung«, ein elementarer und sehr allgemeiner Hinweis, der seinen Zweck nur im jeweiligen Kontext erfüllt. Christoph de Nagys Behauptung, Pound wäre schon dann ein großer Kritiker, wenn er nur seine konzeptualistische Poetik geschrieben hätte, trifft nicht zu (Ezra Pound's Poetics, 19). Die frühen Manifeste wie »Don't« in Poetry (März 1913) empfehlen lediglich »direkte Behandlung des Gegenstandes«, Ökonomie der Worte und »Verfassen in der Abfolge der Musikalität des Satzes«. Diese Empfehlungen haben ihre Berechtigung in der Ablehnung der viktorianischen Rhetorik und der normativen Metrik. Heute sind sie jedoch wenig mehr als eine Binsenweisheit. Interessanter ist Pounds Definition von image, da sie von der gängigen Bedeutung von image abweicht: »Ein image stellt einen geistigen und emotionalen Komplex in einem bestimmten Augenblick dar« (LE, 4). Der Begriff Komplex, sagt Pound, werde hier als Fachbegriff verwendet, wie er von den neueren Psychologen wie zum Beispiel Hart benutzt werde. Dr. Bernard Hart, Autor von
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The Psychology of Insanity (1912), definierte »Komplex« als ein System von »emotional gefärbten Ideen, die unbeachtet im Bewußtsein wirksam sind und die zufällige Gedankengänge kontinuierlich auf einen Gegenstand oder ein Gefühl zurückführen«. Es bleibt jedoch unklar, wie Pound oder sonst jemand solche Komplexe in einem Augenblick zur Darstellung bringen könnte. Soweit ich weiß, hat Pound diese anmaßende Formulierung niemals aufgenommen. Sie lenkt jedoch die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, daß der Imagismus nicht mit der Empfehlung visueller Bildlichkeit identifiziert werden darf, obwohl Pound in vielen anderen Zusammenhängen dies behauptet. Der Imagismus wandelte sich leicht zum Vortizismus, wobei »Vortex« scharf mit allem bricht, was als visueller Ausdruck interpretiert werden konnte. Vortizismus ist interpretiert worden als »Expressionismus auf Englisch«.1 Doch image und vortex bleiben ebenso Slogans wie das Ideogramm, das Pound seiner Lektüre von Ernest Fenollosas The Chinese Written Character as a Medium of Poetry (1919, Pound bekannt in Manuskriptform seit 1913) entlehnt. Image, Vortex und Ideogramm sind Schemata, mit denen Pound seine Montagetechnik verteidigt, die »dichte Phalanx der Einzelheiten« (Cantos, 74), von der die Cantos ein deutliches Zeugnis geben. Die Literatur über Pound hat mit unglaublicher Ernsthaftigkeit alle Arten von philosophischen Implikationen in seinen wechselnden Positionen zu erkennen gemeint. Walther L. Fischer hat die chinesische Korrelationslogik herangezogen;2 William Fleming hat in Pound einen Cartesianer entdeckt;3 Christine BrookeRose erkennt Ähnlichkeiten mit Husserls Phänomenologie,4 während Hugh Kenner Pound als Mystiker anzusehen scheint, für den das Wort identisch mit dem Gegenstand selbst ist.5 All dies erscheint mir unnötig. Pound ist offensichtlich ein völlig unphilosophischer und untheoretischer Denker: Er behauptet an keiner Stelle von sich, solche Kenntnisse zu besitzen. Mit großer Geste erklärt er, »die Philosophie seit Leibniz (wenigstens seit Leibniz) ist ein schwacher Nachfolger der materiellen Wissenschaften und hat Männer von drittrangiger Bedeutung beschäftigt« (LE, 76) - offensichtlich Männer wie Hume, Kant und Hegel. Doch auch Aristoteles (manchmal von Pound kindisch-scherzhaft »Arry Stotl« geschrieben) wird verspottet als »Meister all derer, die zerschneiden, auseinandernehmen und teilen«. Er sei ein kompetenter Vorläufer der Zettelkästen, aber ohne Sinn für das Organische gewesen (GK, 343). Er bezieht sich auch auf den »Schund wie Bergson«, wenn er die Bedeutung T. E. Hulmes herabspielt (»This 1. 2. 3. 4. j.
Siehe Ulrich Weisstein, Yearbook of Comparative and General Literature 13 (1964): 28—40; Ndr. in Expressionism as an International Literary Phenomenon (1973), 167—80. Fischer, Ezra Pound: 22 Versuche, hg. v. Eva Hesse (1966), 167-81. Fleming, »Ezra Pound and the French Language«, in Ezra Pound: Perspectives, hg. v. Noel Stock (1965), 129-50. Brooke-Rose, ZBC of Ezra Pound (1971), 1231. Kenner, The Theory of Ezra Pound (i%i), 98.
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Hulme Business«, Townsman 2 [1939]: 15). Es ist sinnvoller, Pound als modernen Stoiker zu sehen. Er zitiert die Stoiker mit Zustimmung, wenn sie sagen, die Realität existiere nur im einzelnen: »Die Universalien waren für sie subjektive Vorstellungen, die man durch Abstraktion erhielt« (GK, 123). Pound ist - will man ihn auf eine philosophische Position festlegen - ein naiver Realist, ja sogar ein Sensualist. In seinem Imagismus möchte er das Interesse an der konkreten, vielschichtigen Welt der Sinne mit dem Glauben an die Notwendigkeit der menschlichen Gefühlsäußerungen verbinden: »Dichtung ist Ausdruck überwältigender emotionaler Werte, alles andere gehört in die Niederungen der Kunst« (Little Review [1918]: 23). Doch die Niederungen der Kunst, die hier offensichtlich abgewertet werden, spielen eine große Rolle in Pounds kritischen Schriften. Er befaßt sich ständig mit Metrum und Strophenform und konzentriert sich oft so sehr auf technische Aspekte von Dichtung, daß er sich dem Vorwurf aussetzt, Form und Inhalt voneinander zu trennen. Gelegentlich erinnert er sich jedoch, daß »das Gefühl der Organisator der Form ist« (New Age 16 [1915]: 350) oder daß »die Qualität von Dichtung durch die Qualität des zu vermittelnden Gefühls bestimmt wird« (LE, 285). Diese Äußerungen erinnern an Croce. Pounds Ausspruch, Dichtung sei »eine Art inspirierter Mathematik, die uns Gleichungen gibt, nicht für abstrakte Ziffern, Dreiecke, Sphären und dergleichen, sondern Gleichungen für die menschlichen Gefühle« (SR, 14), wurde von Mario Praz als »der Anfangspunkt von Eliots Theorie des objective correlative« angesehen.6 Doch meist vertritt Pound überraschenderweise eine Version von Realismus im Sinne einer genauen Wiedergabe der Realität. Kunst ist für Pound eine Wissenschaft wie die Chemie: »Die Künste geben uns einen hohen Prozentsatz der überdauernden und unangreifbaren Data über die Natur des Menschen als geistiges, denkendes und fühlendes Wesen« (LE, 42). Gute Kunst ist genaue Kunst: »Schlechte Kunst ist ungenaue Kunst. Diese Kunst gibt falsche Auskünfte« - oder anders ausgedrückt: Die Künste geben uns unsere psychologischen und menschlichen Daten, soweit es das Innenleben oder das Verhältnis von Denken und Fühlen usw. betrifft. Der Prüfstein einer Kunst ist ihre Genauigkeit (43, 48). Man mag sich darüber wundern, wie ein solches Verhältnis überhaupt zustande kommen kann, aber man kann Pounds Sympathie für einen wissenschaftlichen Naturalismus nicht bestreiten. Er zitiert mehrfach zustimmend das Vorwort zum Roman der Goncourts, Germinie Lacerteux (416f.). Genaue Kunst bedeutet für Pound auch, daß die Kunst nicht unmoralisch sein kann: »Gute Kunst kann nicht unmoralisch sein. Mit guter Kunst meine ich die Kunst, die wahres Zeugnis ablegt, ich meine Kunst, die äußerst präzise ist« (44). Gelegentlich verteidigt Pound eine l'art pour /'art-Position und bestreitet jede
6. Praz, »T. S. Eliot and Dante«, in T. S. Eliot: A Selected Critique, hg. v. L. Unger (1948), 298 f.
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direkte soziale Bedeutung von Kunst: »Kunst fordert niemals jemanden auf, etwas zu tun, etwas zu denken oder zu sein. Sie existiert, wie ein Baum existiert« (46). Doch diese Position wird oft aufgegeben oder modifiziert durch eine Anerkennung der allgemeinen sprachlichen und schließlich sozialen Wirkungen von Literatur: »Sie hat Auswirkung auf die Klarheit und Kraft jedes Gedankens und jeder Meinung. Sie hat Auswirkungen auf die Reinheitserhaltung der Werkzeuge des Geistes und auf die Gesundheit der Substanz des Denkens selber« (21). Dies folgt aus Pounds Glauben an das mot juste, den er von Flaubert übernimmt, und aus seinem ständigen Beharren auf lebendiger Umgangssprache in Rhythmen, ähnlich denen der gesprochenen Sprache, »die auf das Objekt gerichtet ist - streng, direkt, frei von Gefühlsschwankungen« (12). Diesen Ratschlag schrieb Pound Ford Maddox Hueffer zu. Er hätte ihn jedoch auch sehr wohl für sich selbst entdeckt haben können in seiner Abneigung gegen die Rhetorik seiner Zeit. Pound besteht auf einer Klassifizierung von Dichtungsarten, auf die er sich häufig bezieht: Melopoeia, »worin Wörter mit musikalischen Eigenschaften belegt werden«; Phanopoeia, die eine »Überlagerung der visuellen Einbildungskraft mit Bildern darstellt«; und Logopoeia, »der Tanz des Intellekts unter Wörtern« (LE, 25). Betrachtet man diese Einteilung als strenge Klassifizierung, so würde sie allem widersprechen, was wir über das Gedicht als Organismus wissen. Aber in der Tat entsprechen diese Unterscheidungen in etwa den Hauptebenen eines Kunstwerkes. Pounds Hauptinteressen sind auf die Lautebene gerichtet, auf Rhythmus, Reim und Lautmuster. Er betrachtet die Lautebene als eng mit der Musik verbunden: »Dichter ohne Interesse an Musik sind oder werden schlechte Dichter. Ich möchte fast sagen, daß Dichter niemals lange ohne Verbindung zu Musikern sein sollten. Dichter ohne musikalische Kenntnisse bleiben unvollkommen« (437). »Dichtung muß wie Musik gelesen werden und nicht wie Redekunst« (437). Zwar richtete sich Pounds ganzes Interesse auf solche Dichtung, die für den musikalischen Vortrag geschrieben war, wie provenzalisehe Dichtung oder elisabethanische Lieder: Sein Interesse an Musik währte sein ganzes Leben lang und war durchaus nicht nur theoretisch (er komponierte selber); dennoch scheint er kein rechtes Verständnis für die tatsächliche Beziehung zwischen Dichtung und Musik gehabt zu haben; ebenfalls scheint er ohne technisches Verständnis für moderne Metrik gewesen zu sein. Der Umstand, daß er seine Kenntnis der italienischen Metrik aus einem alten Schulbuch, das er in einem sizilianischen Hotel gefunden hatte, bezog, ist bezeichnend. Pounds Auffassung seiner Kunst mutet amateurhaft an. In der Praxis gleicht sein gutes Gehör diesen Mangel aus. Phanopoeia ist ein anderer Ausdruck für Bildlichkeit. Er bedeutet Klarheit der Darstellung, nicht nur reine Beschreibung (LE, 6f.). Darin sind auch Metaphern eingeschlossen, die Pound scharf von Symbolen unterscheidet, weil er nicht dem Symbolismus zustimmen wollte. Diese Kunstrichtung erschien ihm mystisch
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und spekulativ, einer »diffusen Technik« und der Ungenauigkeit eher als der von ihm geschätzten Präzision ergeben.7 Über Logopoeia finden sich die wenigsten direkten Äußerungen. Doch Pound schätzte immer die Rolle des Intellekts in der Kunst. In der amüsanten Rezension zu A. E. Housmans Vorlesung über »The Name and Nature of Poetry«, betitelt »Mr. Housman at Little Bethel«, ruft Pound: »Ein Groschen Belohnung für jeden nachgewiesenen Fall, bei dem der Verstand jemanden vom Dichten abgehalten hat! Man könnte genausogut behaupten, daß die Schienen die Lokomotive am Fahren hindern« (LE, 71). Laforgue scheint das einzige dichterische Beispiel von Logopoeia zu sein, das Pound einfällt. Es muß mehr bedeuten als der Tanz des Verstandes: Es scheint etwas wie die kontextbezogene Modifizierung zu sein, die Cleanth Brooks Ironie nennt: »Wörter werden nicht nur in ihrer direkten Bedeutung benutzt, sondern hinzugezogen wird ihre besondere Verwendung im Sprachgebrauch, der Kontext, den wir bei diesem Wort erwarten, seine gewöhnliche Umgebung, seine bekannten Verwendungen und seine ironische Verdrehung« (25). Pound findet ein viertes Element in der Dichtung, »Architektonik« oder »die Form des Ganzen« (26), aber er hält es nicht für unverzichtbar oder von zentraler Bedeutung. »Diese Architektonik«, räumt er ein, »ist eine literarische Komponente. Es kann nicht schaden, für eine kurze Weile die Zahl der wichtigsten Werke der Weltliteratur zu betrachten, bei denen die Form, die Architektonik, bemerkenswert wegen ihrer Abwesenheit ist« (394). Er führt die Ilias, Aischylos' Gefesselten Prometheus, Rabelais, Lope de Vega und Flauberts BoHvard et Pecuchet an: »Der unverzichtbare Bestandteil dieser Werke ist die Textur« (395), nicht die Struktur. Es liegt nahe, hier die Verteidigung der offenen Form der Cantos zu sehen. Dies scheint alles zu sein, was sich in Pounds Schriften an poetischer oder literarischer Theorie findet. Es erscheint dürftig genug, jedoch war es für Pound ausreichend, um seinen äußerst dogmatischen Geschmack zu rechtfertigen, über den man nicht streiten kann, weil Pound analytische Fähigkeit und kritisches Vokabular fehlen. Seine Essays sind weitgehend Anthologien von Passagen, die durch apodiktische Aussprüche und Werturteile verbunden werden. Er unterteilt die gesamte Dichtungsgeschichte in gute und schlechte Gedichte entsprechend seinen Maßstäben, die entweder sehr elementar (Schlichtheit gegen Rhetorik, Klarheit gegen Verschwommenheit) oder unerklärt und möglicherweise unerklärbar sind. Ein kurzer Überblick über seine Meinung kann dies verdeutlichen. Pounds sämtliche Essays und pädagogischen Büchlein - How to Read (1931) und ABC of Reading (1934) - erfüllen nur eine Funktion: »Alle Kritik« - ich weiß nicht,
7. Siehe »Vorticism«, in Fortnightly review, N. F. 96 (1914): 461-71; und in GaudierBrzeska: A Memoir (1960), 84.
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wen Pound hier zitiert - »ist ein Versuch, den Klassiker zu definieren« (LE, 214). Pound benennt die Klassiker, stellt eine Rangordnung unter ihnen her, ordnet zu, schließt aus. Von den Griechen interessieren ihn nur Homer und Sappho, von den Römern Catull, Ovid und Propertius: »Ich verzichte auf Pindar und Vergil ohne das geringste Bedauern« (28). Pindar wird »der größte Windbeutel aller Zeiten« (L, 87) und Vergil ein »zweitklassiger Schriftsteller«, eine »TennysonVersion von Homer« (87) genannt. Wir sollen über Aeneas lachen, wenn er als »Stockfisch« bezeichnet wird, »der für den New Statesman geschrieben haben würde« (LE, 215), und wir sollen über die Anekdote des Seemanns lachen, der Aeneas für einen Priester und nicht für einen Helden hielt (ABC; 44). In der mittelalterlichen Literatur bewundert Pound den angelsächsischen Seafarer, den er mit Homer vergleicht (LE, 64) und den er übersetzt oder eher paraphrasiert. Er schätzt Beowulf, den Cid, den er der Chanson de Roland vorzieht (SR, 66), die isländischen Sagas; er bewundert die provenzalische Dichtung und ihre Nachfolger. Cavalcanti beschäftigte Pound viele Jahre lang: Er widmete ihm Übersetzungen und Kommentare und schließlich eine Ausgabe, obwohl nach Meinung italienischer und anderer Spezialisten Pounds Bemühungen wenig zum Fortschritt der Wissenschaft beitrugen. Dante gilt Pounds höchste Bewunderung; auch einige der Minnesänger sind Pound bekannt: Heinrich von Morungen und Walther von der Vogelweide. Von Villon fühlt er sich direkt angesprochen; er widmet ihm ein sehr lebendig geschriebenes Kapitel in Spirit of Romance. Er ist »der mächtigste, der authentischste, der absoluteste Dichter Frankreichs« (ABC, 104). Die Auswahl aus der Dichtung des Mittelalters erscheint reichhaltig und im ganzen überlegt. Nur Petrarca wird abgewertet als »Meilen hinter Ventadorn und Arnault Daniel. Ein ausgezeichneter Autor für einen italienischen Jurastudenten, der seine Vortragsweise verbessern möchte« (SR, i66A.). Chaucer wird nur nebenbei als »sozusagen eine Bereicherung, eine weichere Version der französischen Dichtung« (LE, 28), in Pounds frühen Schriften gelobt; in dem ABCofReadingw'ird dieses Lob hymnisch gesteigert. Chaucer wird gegen Shakespeare ausgespielt: »Chaucer besaß eine tiefere Lebenskenntnis als Shakespeare. Er versteht die intellektuellen Eroberungen Europas ... in einer Art, die Will Shakespeare wahrscheinlich nicht besaß« (ABC, 99, ). Wir erfahren, daß »Chaucers Kultur umfassender war als Dantes und daß Petrarca unermeßlich tief unter beiden steht«: »Es wäre nicht falsch, Chaucer als den Vater der litterae humaniores in Europa zu bezeichnen« (103). Pounds Urteile über die Renaissance und besonders über die elisabethanische Literatur sind sehr zwiespältig: »Seit Lamb und den Kritikern seiner Zeit hat man alles - absurderweise - auf die Elisabethaner zurückgeführt, die bestenfalls als Pastiche anzusehen sind. Sie sind weder von großer Tiefe noch von großer Bedeutung (wenn man einmal von Shakespeare absieht)« (LE, 216). Pound bedauert, daß »die englische Meinung jahrhundertelang durch die Liebe zum Theater, durch den Glanz des Theaters und die Vorliebe für bombastische 13 Wellek, Literaturkritik 4/1
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Rhetorik verwirrt wurde« (ABC, 99), wenn sie Shakespeare Chaucer vorzog. Pound argumentiert folgendermaßen: »In der Zeit nach Villon findet sich diese ftoritura, die schon vorher anfing und Jahrhunderte gedauert hat. Selbst bei Marlowe und Shakespeare gibt es diese Ausschmückung der Sprache, dieses Gerede über die Sache, bevor man die Sache selbst darstellt. Ich bezweifle, daß irgend jemand durch das Studium der Elisabethaner sein Unterscheidungsvermögen geschult hat« (LE, 29). Trotzdem hatte Pound großes Interesse an den elisabethanischen Übersetzern und scheint seine Ansicht über Donne geändert zu haben. In How to Read findet sich eine Klassifizierung der Schriftsteller in Erfinder, Meister, Epigonen und solche, »die mehr oder weniger gute Arbeit in den mehr oder weniger guten Stilen der Epoche leisten«. Donne wird der letzten Gruppe zugezählt (23), aber im ABC of Reading wird er »derjenige englische metaphysische Dichter« genannt, der alle anderen übertrifft! Donnes Gedicht »The Ecstasy« wird zitiert und als »geglaubter Platonismus« gelobt (ABC, 140). Das Ende des Gedichts wird jedoch gänzlich falsch interpretiert, wenn »bodies« in der letzten Zeile als »atoms« verstanden wird (140). Pounds spezielle Abneigung gilt dem diable noir Milton. Der Hauptanklagepunkt besteht darin, daß »Milton scheiterte, als er den Versuch unternahm, Englisch zu schreiben, als ob es Lateinisch wäre« (LE, 40). Anders formuliert: »Er versuchte Englisch zu Latein zu machen. Er benutzte eine unflektierte Sprache so, als sei es eine flektierte. Er vernachlässigte die englische Eigenart, verdrehte die Satzstruktur und stellte so stümperhafte Übersetzungen lateinischer Sätze her: >Him who disobeys me disobeys.meschugge< geworden sei«.10 Ich werde den Kritiker Pound nicht in die Enge treiben, wenn ich seine Meinung über deutsche Literatur zitiere. Mit den Dichtern zwischen Minnesängern und Heine weiß er nichts anzufangen: »Nach Villon kann man, so meine ich, bis hin zu Heine alles ausfallen lassen« (L, 88). Schon früh übersetzte Pound einige Gedichte Heines (siehe Demetz, »German Studies«) und lobte seine »absolut klare Farbskala« (LE, 216). Goethe blieb ihm fremd, »seine Gedichte sind so zart, so unnahbar - ich meine, sie sind so gut wie die von Heine oder von Walther von der Vogelweide -, aber außerhalb seiner Gedichte steigt er nie von seinem Podest herab. Männer auf Podesten sind langweilig« (217). Das Fehlen weiterer Dichter muß Pounds begrenzten Sprachkenntnissen und seiner wachsenden Abneigung gegenüber deutscher Politik und Wissenschaft zugeschrieben werden (obwohl Pound Leo Frobenius ganz außerordentlich bewunderte). Was ist über Pounds Ablehnung der »Ruskies« zu sagen? »Nun, man soll sie erst beurteilen, nachdem man Charles Bovary getroffen hat; man wird sie mit ausgeglichenerem Verständnis lesen« (LE, 40). Pounds Ablehnung bezog sich vielleicht doch nicht auf alle Autoren. In seinem Essay über Remy de Gourmont zieht er eine Parallele zu Turgenjews Adelsnest, die eine genaue Kenntnis und Bewunderung dieses Romans belegt; er hat diesen Roman in der französischen Übersetzung gelesen (Selected Prose, 414). Pound ist weniger an Prosa als an Dichtung interessiert. Was er über die großen Romanschriftsteller sagt, ist kaum wert, aufgeschrieben zu werden. Er macht sich nichts aus Balzac. Er empfiehlt Stendhal und lobt Flaubert. Er lobt Madame Bovary und Trois Contes, besonders Un Coeur Simple, das »alles, was jemand über das Schreiben weiß«, enthält (L, 89). Salammbö dagegen lehnt er ab und nennt es »dumm und langweilig« (C, 93), »eine alte Scharade in Kostümen« (ABD, 74). Über zwei Romanschriftsteller schrieb Pound mehr als über jeden anderen Autor: Henry James und James Joyce. Der lange Artikel über James ist der positivste Essay, den Pound je geschrieben hat. Er unternimmt sogar kurze Versuche der Charakterisierung. So sagt er zum Beispiel, er habe »ein sicheres Gespür für die Atmosphäre der Handlungsorte und für die Stimmungen der Personen« (LE, 306). Er hebt hervor, wie James sich in die Unterschiede der Nationalkulturen (298) hineinfühle. Er bewundert James als einen Verächter der
io. Siehe LE, 288; »A Study of French Poets«, in Instigations; »Approach to Paris« (1913), in Selected Prose.
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Tyrannei, einen Freund der menschlichen und persönlichen Freiheit (296). Ein großer Teil der Essays beschäftigt sich damit, eine Rangfolge der Romane und Erzählungen herzustellen. Daraus wird deutlich, daß Pound an dem frühen und mittleren James interessiert ist: Washington Square, Portrait of a Lady und, seltsam genug, The Sacred Fount. Den späten James lehnt Pound ab. Er hätte »nicht so übertrieben versponnen, redselig, auf Nebensächliches gerichtet, schreiben sollen« (311). Pound kritisiert »die Fetzen von Back Bay und Buffalo [eine Verwechslung mit Albany?], die provinzlerische Frömmelei«, die er in James' Essay über Baudelaire findet, den er für einen »außerordentlichen Ausrutscher« hält (307). Einige von Pounds Urteilen über einzelne Werke sind exzentrisch: Was veranlaßt ihn zu sagen, die Obszönität von Turn of the Screw habe dieser Erzählung »zu ungebührlichem Ruhm verhelfen« (326)? Inwiefern sieht er The Aspem Papers als unbedeutend an (320) ? Warum macht er seine ganze Wertschätzung von James zunichte, indem er sagt: »Man fragt sich, ob nicht einzelne Werke von Kipling durch die reine Kraft ihrer inhaltlichen Mitteilung die Spinnweben von James überdauern werden« (324). Pound hat ein sehr persönliches Interesse an James' Problem eines Exilamerikaners in Europa. Er empfiehlt The American Scene zur Lektüre als ein Buch, »das kein echter Amerikaner übersehen darf«, und ist fasziniert von James' Memoiren, The Middle Years, die dessen Ankunft in England beschreiben: »Nur ein Amerikaner in Übersee wird all die Lebenskraft aus Henry James' Schriften ziehen« (332). Pound hat James Joyce nicht entdeckt, aber er ermutigte ihn und half ihm wie kein anderer. Bevor er ihn 1920 in Sirmione am Gardasee persönlich kennenlernte, hatte Pound bereits sehr positiv über die Dubliners, über Exiles und über A Portrait of the Artist as a Young Man geschrieben. Die Rezension der Dubliners (1914) lobt »das Fehlen von Rührseligkeit, die klare und präzise Prosa« und das Fehlen der irischen Mentalität: »Es überrascht, daß Mr. Joyce Ire ist. Man ist der irischen oder >keltischen< Imagination (sie nennen es jetzt Phantasie), die gegenwärtig weit verbreitet ist, so überdrüssig. Mr. Joyce dagegen schreibt präzise« (LE, 399 f.). »Er schreibt als europäischer Schriftsteller... Er gräbt keine Horrorgeschichten aus der Unterwelt aus, er bringt keine makabre Subjektivität zur Darstellung. Er ist klassisch, insofern er sich mit normalen Sachverhalten und normalen Menschen befaßt« (461). In ähnlicher Weise stellt ein Artikel über »The Non-Existence of Ireland« fest, daß Joyce »ohne eine Spur von Morbidität« schreibe: »Das Häßliche ist vorhanden, aber er sucht nicht nach dem Häßlichen. Er hat Sinn für eine Fülle von Schönheit.... Wir können dankbar sein, daß Joyce in klaren, harten Konturen schreibt, daß er die Weichheit und den Sumpf des Neosymbolismus und die noch blumigere Schule des Neorealismus flieht« (New Age 16 [1915] =452; Ndr. in P/J$2 ff.). In gleicher Weise lobt Pound The Portrait of the Anist: Der Roman stehe der Prosa Flauberts am nächsten: »klar konturiert, kein Wort zuviel, keine überflüssigen Sätze, keine künstliche Auffüllung mit Gerede« (P/J, 88 f.). Doch Pound sieht jetzt die Bedeutung von Joyce klarer: »Die
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Spannbreite seiner Arbeiten reicht von den gerösteten Brotkanten und den Feigenkernen in Cranleys Zähnen bis zu der gelegentlichen Erörterung des Aquinaten« (LE, 411). »Auf fast jeder Seite findet sich der schnelle Wechsel von subjektiver Schönheit zu äußerlicher Dürftigkeit, Schmutzigkeit und Häßlichkeit« (412). Bei Ulysses, den Pound unermüdlich propagiert und gegen die Vorwürfe der Obszönität und den Versuch des Verbots verteidigte, wird seine positive Kritik konkreter. Pound widersetzt sich der Ansicht, daß Joyce nur über sich selber schreiben könne: »Joyce hat seinen zweiten Charakter entworfen (Bloom); er ist fortgeschritten zur Schaffung einer ergänzenden Figur« (416). Molly wird definiert als »ein Erdsymbol, ein ungeschlachtes Weib, keine Hure, eine Ehebrecherin. ... Sie sagt letztlich, ihr Körper sei eine Blume; ihr letztes Wort ist positiv« (407). Ein Artikel in französischer Sprache »James Joyce et Pecuchet« betont die Parallelen zu Flauberts sottissierund versucht zu zeigen, daß der Roman die Form einer Sonate habe: Hauptthema, Nebenthema, Durchführung, Reprise, Coda (in Mercure de France [1922]; Ndr. in P/J, 200-211). Doch selbst in den positivsten Rezensionen hält Pound sich zurück bei Parallelen mit der Odyssee: »Diese Entsprechungen sind vor allem seine eigene Sache, ein Gerüst, eine Konstruktionshilfe, die durch das Ergebnis legitimiert wird und auch nur dadurch zu rechtfertigen ist. Das Resultat ist ein Triumph der Form - das Hauptthema und Verknüpfungen und Arabesken durchgängig in ausgewogener Balance« (LE, 406). Ohne einsichtige Gründe findet sich gelegentlich auch scharfe Kritik an Joyce. So schreibt Pound 1931 in der New Review: »Ich interessiere mich keinen Deut für die Metaphysik, die Korrespondenzen, für die allegorischen und anagogischen, die skatologischen Parallelen seines Werkes. . . . Ich respektiere Mr. Joyces Integrität als Autor, insofern er keinen leichten Weg gewählt hat. Ich habe jedoch niemals Respekt vor seinem common sense und seiner Intelligenz gehabt. Damit meine ich die allgemeine Intelligenz, nicht die Begabung des Schriftstellers« (P/J, 239). Besonders starke Vorbehalte hatte Pound gegen Finnegans Wake wegen seiner Schnörkel: »Meiner Meinung nach spricht Mr. Joyces späteres Werk nur noch einige Spezialisten an« (251). »Joyce hat in der Laube seiner Gedanken gesessen. Er führte Selbstgespräche, er hat seine Stimme auf der Schallplatte gehört und hörte nur unverständliche Laute. Vor drei Jahrzehnten begann er zu schreiben. Die letzten beiden Jahrzehnte hat er nichts dazu gelernt« (256). In einem Brief steht dann: »Ich habe genug von dieser Diarrhöe des Bewußtseins« (257). In der Rundfunksendung nach Joyces Tod aus Rom lobt Pound Ulysses als einen »Schatz reichhaltiger Komik«, Cummings' Roman Eimiund Wyndham Lewis' Apes ofGodwerden als würdige Nachfolger hochgespielt (267). Lewis war Pounds alter Mitstreiter für den Vortizismus. Pound hatte sich positiv über Tarr geäußert als den »kräftigsten und vulkanischsten Roman unserer Zeit; Lewis ist der einzige englische Schriftsteller, der mit Dostojewski verglichen werden kann« (LE, 424). Auf keinen Fall darf man
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Pounds Ablehnung der Russen wörtlich nehmen, denn er versteht seinen Vergleich hier als Lob. Dieses letzte Zitat und viele frühere führen wieder zu der Frage, bis zu welchem Grad Pounds Äußerungen ernst genommen werden können. Pounds ständige Absicht ist es zu schockieren und zu übertreiben. Es stört ihn nicht, wenn er gleichsam als Marktschreier vor seiner Bude auftritt. Ihm ist fast jedes Mittel recht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Mit besonderer Begeisterung spielt er in seinen Büchlein How to ReadunA ABC of Reading die Rolle des Pädagogen. Dies gilt ebenso für den närrischen Guide to Kulchur wie für die persönlichen Briefe zum Beispiel an Iris Barry, die Ratschläge erhält, was sie lesen, nicht wie sie lesen solle. Man kann sich abgestoßen fühlen durch die rauhen Scherze und oftmals groben Beleidigungen. Man muß oft Yvor Winters zustimmen, der Pound »einen losgelassenen Barbaren in einem Museum« nennt (In Defense of Reason [1947], 480). Oft stellt sich der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit als unbegründet heraus: So ist zum Beispiel die Vorliebe für das Chinesische, die sich auf die phantastischen Theorien von Ernest Fenollosa (siehe Kennedy, »Fenollosa, Pound«) gründet, ein Beispiel solcher arroganten Unwissenheit. In gleicher Weise erfolgt die Verurteilung von Autoren und ganzen Literaturepochen - so ist zu befürchten - auf der Basis von flüchtigen Kenntnissen und Berichten aus zweiter Hand. Die übertriebene Selbstsicherheit auf fast jedem Gebiet ist verblüffend. Doch sie erreichte, was Pound wollte - eine Revolution des Geschmacks. Pound (und T. S. Eliot) brach entschieden mit der rhetorischen Tradition und definierte einen neuen Geschmack: auf dem Gebiet des Romans für den objektiven Roman von Flaubert, James und Joyce; auf dem Gebiet der Lyrik für direkte, einfache, oft visuelle, prosaische oder scheinbar prosaische Verse. In Pounds Kampf gegen den englischen Provinzialismus liegt sein wahres Verdienst, wie unzusammenhängend seine Auswahl aus den unterschiedlichen Literaturen auch sein mag. Schließlich kommt Pound großer Verdienst zu für seine großzügige Unterstützung der jungen Schriftsteller. Mit seinem außerordentlichen kritischen Talent wurde er zum Fürsprecher von Robert Frost, William Carlos Williams, Marianne Moore, T. S. Eliot und James Joyce. Wenn eine der Funktionen von Kritik die Entdeckung neuer Talente, die Vorhersage einer neuen Denkrichtung in der Literatur ist, dann war Pound zu seiner Zeit ein wichtiger Kritiker.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE The Spirit of Romance (1910). New-Directions-Ausg. (1953), mit Korrekturen und einem neuen Kapitel, zitiert als SR. Instigations (1920). How to Read (1931).
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ABC of Reading (1934). New-Directions-Ausg. (1960), zitiert als ABC. Polite Essays (1937)· Zitiert als PE. Guide to Kulchur (1938). New-Directions-Ausg. (1952), mit Ergänzungen, zitiert als GK. The Leiters of Ezra Pound (1907-41), hg. v. D. D. Paige (1950). Zitiert als L. Literary Essays of Ezra Pound, hg. und mit einer Einleitung versehen von T. S. Eliot (1954). Ndr. (1968), zitiert als LE. Pound/Joyce: The Letters of Ezra Pound to James Joyce, hg. v. Forrest Read (1967). Ndr. (1970), zitiert als P/J. Selected Prose, 1909-1965, hg. v. William Cookson (1973). Die Literatur über Pound ist sehr umfangreich, jedoch hauptsächlich biographisch, exegetisch und apologetisch. Seine Literaturkritik wird selten erörtert. Herbert Bergmann. »Ezra Pound and Walt Whitman«, American Literature 27 (1955): 56-61. Peter Demetz. »Ezra Pound's German Studies«, Germanic Review 31 (1956): 279 ff. Gian N. Orsini. »Ezra Pound: Critico letterario«, Letterature moderne 7 (1957): 34-51- Ein verheerender Angriff. George Kennedy. »Fenollosa, Pound and the Chinese Character«, Yale Literary Magazine 126 (1958): 24-36. Donald A. Gallup. A Bibliography of Ezra Pound (1963). Unverzichtbar. N. Christoph de Nagy. Ezra Pound's Poetics and Literary Tradition: The Critical Decade (1966). Richard Ellmann. »Ez and Old Billyum«, in New Approaches to Ezra Pound, hg. v. Eva Hesse (1969), S. 55-85. Max Nänni. Ezra Pound. Poetics for an Electric Age (1973). Miriam Hansen. Ezra Pounds frühe Poetik und Kulturkritik zwischen Aufklärung und Avantgarde (1979). Ian F. A. Bell. Cntic as Scientist: The Modernist Poetics of Ezra Pound (1981).
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Wyndham Lewis war geistig und persönlich eng verbunden mit Hulme, Pound, Joyce und Eliot. Er teilte ihre französische Form der Antiromatik. Er hatte Benda, Maurras, Lasserre und andere Autoren gelesen und daraus eine heftige Abneigung gegen einen Primitivismus Rousseauscher Prägung und die gesamte Philosophie der Veränderung bezogen: gegen Bergson und den Bergsonismus und gegen den Glauben an den Fortschritt und an die Geschichte. Er pflichtete ihrer Forderung nach einer neuen »klassischen Kunst« bei. »Klassisch« bedeutet streng, ungeschliffen und rauh. In der Praxis bedeutete dies für den Künstler
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Lewis Kubismus (aber keine abstrakte Kunst) oder eine seiner Spielarten, für die er Pounds Ausdruck »Vortizismus« akzeptierte. Lewis gründete die Zeitschrift Blast, von der nur zwei Nummern im Juni 1914 und Juni 1915 erschienen. Zwischenzeitlich veröffentlichte Pound einen Aufsatz über Vortizismus in der Fortnightly Review am i. September 1914. Der Krieg unterbrach alles (Lewis diente an der Front). Der Vortizismus war tot, obgleich Pound noch in den zwanziger Jahren George Antheil zu einem musikalischen »Vortizisten« erklärte. Der Ausdruck »Vortex« und die Manifeste und Aphorismen von Lewis, »Our Vortex«, sind lediglich bombastische Proklamationen vollständiger Unabhängigkeit und Neuheit, ziellose Verallgemeinerungen hinsichtlich des Nationalcharakters. Die Abneigung gegen Marinetti, seinen »sentimentalen Unsinn über Autos und Flugzeuge« (OA, 49), und ein Angriff auf den englischen Humor beschreiben diese Position nur wenig besser als solche Behauptungen, daß »wir alle nur primitive Söldner in der modernen Welt« seien und »unsere Sache niemandes Sache« sei (27). Erst nach dem Krieg kann man von Wyndham Lewis sagen, daß er Literaturkritik geschrieben habe. The Lion and the Fox (1927) ist eine ehrgeizige Untersuchung über Shakespeare mit wissenschaftlichem Anspruch. Sie skizziert die Beziehung zwischen Italien und Tudor-England und betont, ja übertreibt, den Einfluß Machiavellis; dabei stützt sie sich hauptsächlich auf Sekundärmaterial wie Eduard Meyers bahnbrechende Forschungen. Dies alles führt zu einer Interpretation von Shakespeares Helden unter dem Aspekt von Machiavellis Metapher von der notwendigen Aufgabe des Prinzen, die einzelnen Tugenden von Löwe und Fuchs miteinander zu verbinden. Lewis hält sich allerdings nicht an seinen ursprünglichen Plan. Er gibt sogar zu, daß »es unmöglich ist, aus ihm [Shakespeare] einen Fuchsjäger zu machen; er zeigt keine Neigung, ein Löwe zu sein« (LF, 178). Eher interpretiert Lewis Shakespeare als einen »öffentlichen Scharfrichter«, dessen »Gefühllosigkeit die professionelle Maske des Henkers ist« (145). Er benutzt dabei Frazers Golden Bough. Shakespeares tragische Protagonisten »werden immer durch die kümmerlichsten Waffen niedergestreckt; immer durch Verrat und zwar in seiner niedrigsten Form« (188). Othello, Cordelia und Timon sind seine Beispiele. Lewis gehört zu der langen Reihe von Kritikern, die sich in dem Glauben wiegen, die Stimme Shakespeares vernehmen zu können. Lewis folgert, Shakespeare sei der Gegner des Lebens selber gewesen, »seine Werke sind ein schöner und persönlicher Ausbruch von Wut, bitterer Reflexion, Beleidigung und Klage« (160) - eine angemessene Charakterisierung von Lewis eigener Kritik, einmal abgesehen davon, daß diese persönlich war. Er entwickelte immer stärker eine selbstzerstörerische Tendenz und machte seine Freunde und Verbündeten dadurch zu Feinden. Lewis' gesamte spätere Kritik an seinen Zeitgenossen kann als Beleidigung, als Satire und sogar als Verleumdung beschrieben werden. In großer Ausführlichkeit entwickelt Lewis eine grundsätzliche Rechtfertigung in Time and Western
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Man (1927). Die westliche Kultur ist aus den Fugen. Die Verehrung der Zeit und der Veränderung von Geschichte, wie sie in der Philosophie von Bergson und Croce, Spengler und Whitehead propagiert wird, ist die Wurzel des Übels; dies gilt ebenso für die Literatur, wo sie die unangemessene Vorherrschaft der Introspektion, der Psychologie und schließlich des »Bewußtseinsstroms« bewirkte. Gegen diese Methode der Innerlichkeit, gegen dieses »Erzählen von innen« (AiA, 145,127) setzt Lewis das Auge, die Außenansicht und damit die Satire, in der »das Auge vorherrscht« (127). Für ihn ist die Satire das einzige Mittel der modernen Kunst, das er selber in seinen Romanen praktiziert. Diese einfache Überzeugung erlaubt es Lewis, alle seine Zeitgenossen, seine Freunde Inbegriffen, aufs heftigste anzugreifen. Man muß zugestehen, daß Lewis nicht nur eine scharfe Zunge, sondern auch ein scharfes Auge für Fehler und Nachlässigkeit hat. Er besitzt große verbale Erfindungskraft, um seine Opfer zu charakterisieren und sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Gertrude Stein erscheint ihm als Hauptanhänger Bergsons. Sie ist ein leicht zu treffendes Ziel. Ihr »eintöniger Prosagesang« wird verglichen mit einem »kalten schwarzen Talgpudding« und »dem Variantenreichtum von Wurst vom Fließband« (TWM, 78). Sie verunstaltete Hemingway zum Clown, indem sie ihm ihre Babysprache beibrachte - »ein kindisches, geistloses verträumtes Gestotter« (MA, 27). Im Kontrast zu Merimees kraftvollen und rauhen Männer- und Frauengestalten zeichnet Hemingway »unnütze, clowneske, passive und vor allem zwecklose Figuren. Die Männer und Frauen seiner Welt (ständig in heftiger Aktion) sind grundsätzlich willenlos« (21-22). Sie sind »holzköpfige, tölpelhafte und einfältige Marionetten« (29) und sprechen ein Pidgin-Englisch der Unterklasse. Dennoch erkennt Lewis die Kunst Hemingways an und schließt seine Ausführungen mit einem doppeldeutigen Kompliment: »Der Seelenausdruck des stumpfen Ochsen würde eine durchdringende Schönheit besitzen, wenn sie mit Genie ausgedrückt würde - mit einem dem Ochsen angemessenen Genie (und im Falle Hemingways ist genau dies der Fall)« (40). Nicht allein dem Stil Gertrude Steins gilt seine Abneigung. Er verurteilt jeden Irrationalismus, Primitivismus, jede Verehrung von Kindern, gleichgültig ob sie nun in den höheren Schichten stattfindet oder unbeholfen, dunkel und mystisch ist. Bloomsbury erscheint ihm als Derivat der ästhetischen Bewegung, der Oskar Wilde vorstand (171). Lewis hatte heftig mit Roger Fry gestritten und meint, er packe »den Stier bei den Hörnern«, wenn er die »ängstlich kichernde«, ein wenig altjüngferliche Virginia Woolf angreife (169). Er kritisiert den Essay »Mr. Bennett und Mrs. Brown« (1924), weil er künstliche Probleme behandle: Als ob es keine anderen Romane gebe als jene von Arnold Benett, Galsworthy und H. G. Wells. Noch viel später bezieht sich Lewis auf »die gänzlich zweitrangige, obwohl sorgfältige und gefällige literarische Produktion von Mrs. Woolf, der originalen weiblichen Entsprechung des Führers Lytton« (ES, 93). Den Ursprung dieser Dekadenz sieht er bei Proust und Henry James; beide hatten das innere Auge, das
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»gleichermaßen auf Vergangenheit und Gegenwart blickt, aber das tatsächliche Leben nur schwach wahrnimmt« (MA, 145). In dem Essay über James unternimmt Lewis keinerlei Anstrengung, »die großen formlosen Romanzen«, das »zwielichtige feminine Universum mit wenig direkter Handlung und ohne jede Substanz« zu kritisieren (149). Er zieht es vor, die »snobistischen« jugendlichen Rezensionen zu kommentieren, die James über Trollope schrieb. Er interpretiert James mit Begriffen, die er von Van Wyck Brooks' Pilgrimage of Henry James übernimmt. Er sieht James als jemanden an, der vor der amerikanischen Sterilität flieht (die er selbst in der Landschaft entlang der Ostküste findet), der zu spät nach Europa flieht, um die amerikanische formlose Abstraktheit zu überwinden. 1934 war es noch ungewöhnlich, sich auf Faulkner zu berufen. Merkwürdigerweise sieht Lewis nicht, daß zumindest The Sound and the Fury seine Abneigung gegen die Verehrung des Zeitflusses unterstützen könnte. Er erörtert Faulkner als »eifrig bemühten romantischen Schriftsteller der psychologischen Schule« (MA, 58) und als einen sehr beachtlichen Moralisten - einen Moralisten mit einem Lächeln (64), der an das Schicksal glaubt, das »für ihn ein wissenschaftlicher Begriff zu sein scheint, der sich auf die Idee von der Vererbung konzentriert« (57). »Seine Romane sind eine Art klinischer Seminare. Das Schicksal lastet schwer auf jeder Figur, die ihr Leben in dieser erstickenden Atmosphäre fristet, in der sie umgeben ist von Ziegenmelkern, Magnolien, Feuerfliegen und Wassereichen (nicht zu erwähnen die Ausdünstungen der ständig sumpfigen Erde). Die besondere Form, in der das Schicksal auftritt, ist die Rasse. Ob es Weihnachten ist oder Sartoris, es ist stets eine Frage der Fatalität, die ihren Sitz im Blute hat. Lewis erkennt, daß das dichterische Element mit der äußerst melodramatischen Handlung zusammenstößt. Er beklagt sich zum Beispiel über eine Beschreibung des Mondscheins, der »unmerklich gebrochen und ohne Ursprung in den Raum floß« (45). Er sammelt weitere Beispiele des nachhaltigen Gebrauches der Wendung »ohne Ursprung« in anderen Romanen zusätzlich zu Light in August. Zumindest in dem angeführten Beispiel ist der Mondschein gut beobachtet: Mondlicht kann so diffus sein, daß sein Ursprung nicht mehr offensichtlich ist. Faulkner verehrte die dunklen Götter der Tragödie, D. H. Lawrence ist noch fanatischer in seiner Verehrung für die dunklen Götter Mexikos. Mornings in Mexico wird ausführlich verspottet in einem langen Abschnitt von Paleface (1929). Lawrences »dumpfe Begeisterung für den mexikanischen Indianer« (Rüde Assignment, 204) erscheint Lewis lediglich als absurdes Extrem einer Feier der Geistlosigkeit, der Kommune (was Lewis mit Kommunismus gleichsetzt), des Feminismus, der »an den weißen Mann adressierten Einladung zum Selbstmord« (P, 193). Lewis erörtert die Romane nur kurz: Sons and Lovers ist »eine beredt wabernde Masse von Mutterliebe und Sexverehrung. Seine Women in Love sind ebenfalls ein zähflüssiges, sentimentales, saftiges Schmorgericht« (P, 180). Später nannte Lewis Lawrence einen genialen Romanschriftsteller (Rude Assignment, 106). Sherwood Anderson und besonders Dark Laughter (1926) werden
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leichthin abgetan als »Sherwood Lawrence«, ein Witz, den Lewis von H. L. Mencken übernahm (P, 198). Anderson lädt uns ein, »in den dunklen und üppigen Mutterboden der Natur einzutauchen; wir sollen eintauchen in ihren unmittelbaren, kolossalen und seelenlosen Überfluß« (P, 212). Lewis5 Abneigung gegen alles, was mit der Verehrung für Zeit und Geschichte verbunden war, verleitete ihn zur Kritik auch an seinen alten Freunden Ezra Pound und James Joyce. Allerdings macht er einige Zugeständnisse für Pounds »persönliche Freundlichkeit« und »seine großzügige und taktvolle Wesensart« (TWM, 38). Er erinnert sich an seine Verbindung zu Blast, verkündet dann aber feierlich, er müsse seine Verbindung zu Pound lösen (41). Er ist offensichtlich verärgert über ein Interview Pounds, in dem dieser Konzerte in einer Fabrik vorschlägt und sich der Musik und der Förderung von George Antheil zuwendet. Pound wird jetzt abgewertet als ein Mann, der in der Vergangenheit lebt, als eine »Person ohne eine Spur von Originalität« (69), als »ein großer intellektueller Parasit« und »ein großer Mitläufer« (71), der sich nur mit den Toten verbündet. Einige der Cantos werden wegen ihrer derben Scherze kritisiert, wegen »ihrer übertriebenen Komik nach Art der Herrenwitze« (74). Pound erscheint ihm als Kind, als Primitiver: »Irgendeine Hemmung hat verhindert, daß er das wirklich Naive (das ihn zum Dichter gemacht hätte) in seinem Werk zur Darstellung bringen konnte. Statt dessen setzt er sich in Pose, stolziert selbstgefällig einher, runzelt die Brauen, unterbricht sich, schneidet auf und verdeckt so den Charme und die echte Gradheit, die er tatsächlich besitzt« (74). Der Angriff auf Joyce überrascht noch mehr. In den frühen zwanziger Jahren waren sie Zechkumpane in Paris gewesen. Man könnte behaupten, daß Joyce genau das zu tun versuchte, was Lewis propagierte: auf simultaner Ebene Erfahrungen zu sammeln, um dem Alptraum der Geschichte zu entgehen. Ulysses ist das herausragendste Beispiel für räumliche Form. Doch in Time and Western Man verwendet er ein langes Kapitel darauf, »An Analysis of the Mind of James Joyce«, urn Ulysses als »Zeit«-Roman abzustempeln. Joyce gehört »eng zur Schule Bergson-Einstein, Stein-Proust« (89). Joyces Methode des innenperspektivischen Erzählens »führt den Leser in eine Höhle Aladins von unglaublichen Raritäten; eine große Menge von Gegenständen liegt hier herum: von der Zahnpasta aus dem Jahre 1901 über einen oder zwei Takte von Sweet Rosie O'Grady bis zur pränordischen Architektur« (91). Ulysses erscheint als »der wirkliche Alptraum der naturalistischen Methode« und erinnert uns an einen »gigantischen viktorianischen Quilt oder Antimacassar« (91-92). Spezielle Kritik übt Lewis an Joyces Figuren. Stephen Dedalus ist eine »wirklich hölzerne Figur« (97). Bloom ist »meistenteils kein Jude, sondern dessen talentierter irischer Autor« ( ). Und als unfreundlichste Bemerkung von allen: »Joyce ist voller Traurigkeit und Schäbigkeit und erinnert an die gekünstelte Vornehmheit der oberen Kaufmannsklasse, wie sie in der hintersten Provinz schlummert« (77). Lewis unternimmt einige Versuche, Gertrude Stein und den Elisabethaner
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Thomas Nashe als Joyces Vorläufer vorzuschlagen, und als Vorbild für die Stakkato-Sätze weist er überzeugend auf die Reden des Jingle in The Pickwick Papershin. Trotz dieser oft bösartigen Kritik sieht Lewis Joyce als »einen genialen komischen Schriftsteller der traditionellen englischen Schule, der in den besten Passagen an Sterne erinnert« (76). Er erkennt Joyces technische Virtuosität, seine künstlerische Meisterschaft, obwohl »der homerische Rahmen« ihm als »lediglich unterhaltender Schnörkel oder als Ornament erscheint« (104). Den gegen Joyce erhobenen Vorwurf der Obszönität lehnt Lewis natürlich ab. Joyce ist für ihn respektabel, sogar konventionell und altmodisch. Wenn man ihn liest, »meint man, einem Zeitgenossen von Meredith oder Dickens zuzuhören (der Luftsprünge zu den Klängen der elisabethanischen Hornpfeifen macht, wie Miss Stein es interpretieren würde)« (109). Es scheint abwegig zu sein, Portrait of the Artist as a Young Man als »nüchternes und dünkelhaftes Buch« zu bezeichnen (75) und die Dubliners wegen »ihres kleinlichen Naturalismus abzulehnen« (100). Ulysses wird fälschlich als Höhepunkt des Naturalismus verstanden, als Ausfluß reiner Materie, als »Rekorddiarrhöe« (92), aber als eine sanfte Spielart des Naturalismus, weich und vage in »seiner bergsonschen Unbestimmtheit« (103). Lewis' kritische Prinzipien sind sehr einfach: Unabhängigkeit, Freiheit des Künstlers, Abneigung gegen die zeitgenössische Szene. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Satire, die den visuellen, konkreten, von außen betrachtenden Ansatz favorisiert. Dies impliziert auch eine Ablehnung der Introspektion, der Tiefenpsychologie, des Bewußtseinsstromes. In seinen Kommentaren zur Literaturkritik T. S. Eliots und I. A. Richards' in Men Without Art (1933) kritisiert der »klassische« Lewis jedoch Eliots Unpersönlichkeitstheorie genauso wie Richards' Idee des »Unglaubens«. Lewis war ein sehr individueller Autor, der seine Ziele mit Nachdruck verfolgte. Unpersönlichkeit erscheint ihm wissenschaftlich, sogar behavioristisch. Er beschuldigt Eliot »der Verwechslung wissenschaftlicher mit künstlerischen Werten« (MA, 75). Lewis hält Richards' Ansicht, daß es bei Eliot »eine völlige Trennung gebe von Dichtung und Glauben« (Science and Poetry [1926], 64-65), für genauso falsch wie die Reduktion aller Behauptungen in der Dichtung zu »Pseudobehauptungen«. Selbst damals konnte man Eliot keineswegs beschreiben als »Mann ohne jeden Glauben« (MA, 76). Lewis stellt eine wachsende Meinungsverschiedenheit zwischen Eliot und Richards ironisch dar und meint dann, daß Richards eine neue pour /'tfrf-Theorie oder »ein Stilevangelium«, wenn auch in versteckter Form, vertrete (78). Lewis übersieht Richards' große Verpflichtung gegenüber der sozialen Bedeutung von Dichtung, selbst wenn man den soteriologischen Charakter, wie Arnold ihn vertritt, als albern ablehnt (94). Man könnte noch weitere Äußerungen Lewis' zitieren. In bewunderungswürdiger Weise kommentierte er George Orwells Animal Farm. Während er dessen frühere Schriften ablehnte, trat er sehr für 1984 ein. Er bewunderte Camus, den er 14 Wellek, Literaturkritik 4/1
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Sartre vorzog; er verachtete Malraux. Er verteidigte Matthew Arnold als Dichter (in TLS, 1954; Ndr. in ES 179-83). Er griff Shaw an und machte sich lustig über die Sitwells. Alle seine Äußerungen sind klar, treffend und oft witzig und einfühlsam, obwohl sie dogmatisch sind durch kompromißlosen Traditionalismus, ideologischen Klassizismus und den Haß auf den Bergsonismus. Die Wirkung von Lewis' Kritik wurde stark beeinträchtigt durch die Langatmigkeit seiner kritischen Hauptschriften Time and Western Man und Men Without Art. Scharfe Beobachtungen gehen unter in öden Polemiken und oft kleinlichen Wortklaubereien. Hinzu kommt, daß Lewis wegen seiner politischen Ansichten - wie das frühe Eintreten für Hitler (1931) - eine schlechte Reputation hat. Dazu kommt der Angriff auf Freunde wie Feinde. Hemingway rächte sich in A Movable Feast ([1964], 108-10), Joyce machte sich über Lewis ausgiebig lustig in Finnegans Wake. Virginia Woolf trug ihre Verletztheit in ihr Diary ein, Lawrence drückte seine Verachtung in Essays und Briefen aus, und Leavis nannte ihn »langweilig und brutal«. Nur Eliot, der Lewis 1915 kennengelernt hatte und 1920 eine Frankreich-Reise mit ihm gemacht hatte, blieb sein Bewunderer, obwohl sie sich 1925 über die Ablehnung eines Manuskripts von Lewis zerstritten. Doch Eliot hielt die freundschaftliche Verbindung aufrecht, und 1938 malte Lewis zwei ausgezeichnete Porträts von Eliot. Nach Lewis' Tod schrieb Eliot einen wohlwollenden Nachruf (in Hudson Review [Sommer 1957]: 167-71). In neuerer Zeit hat Lewis neue Bewunderer und Verteidiger gefunden, angefangen 1954 mit Hugh Kenner. Lewis verdient es, in eine Reihe mit Hulme, Pound und Eliot gestellt zu werden, aber es ist unwahrscheinlich, daß die etwa 50 Bände seiner Werke jemals an die Bedeutung von Eliots oder Pounds Oeuvre heranreichen.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE The Lion and the Fox (1927). Zitiert als LF. Time and Western Man (1927). Zitiert als TWAf. Paleface (1929). Zitiert als P. Men Without Art (1934). Zitiert als MA. Rude Assignment (1950). Letters, hg. v. W. K. Rose (1963). Wyndham Lewis on Art: Collected Writings, 1913-1956, hg. v. Walther Michel und C. J. Fox (1969). Zitiert als OA. Enemy Salvoes: Selected Literary Criticism, hg. v. C. J. Fox, Einleitung von C. H. Sisson (1975). Zitiert als ES. Ausgezeichnet. Hugh Kenner. Wyndham Lewis (1954). Geoffrey Wagner. Wyndham Lewis: Portrait of the Artist as the Enemy (1957).
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William H. Pritchard. Wyndham Lewis (1968). Hat ein gutes Kapitel über Literaturkritik. -. »Wyndham Lewis«, in Profiles in Literature (1972). Kurze Auszüge mit Kommentaren. Fredric Jameson. Fables of Aggression: Wyndham Lewis, the Modemist as Fascist (1979). Jeffrey Meyers. The Enemy: A Biography of Wyndham Lewis (1980).
KAPITEL 6
T. S. ELIOT (1888-1965) Eliot ist bei weitem der bedeutendste Kritiker des 20. Jahrhunderts in der englischsprechenden Welt. Sein Einfluß auf den Geschmack seiner Zeit ist äußerst nachhaltig: Er hat mehr getan als jeder andere, um die Abwendung vom Geschmack der »Georgianer« voranzutreiben und um die Hauptepochen und Hauptgestalten der englischen Dichtungsgeschichte neu zu bewerten. Er wandte sich scharf gegen die Romantik, er kritisierte Milton und die miltonische Tradition, und er bewunderte Dante und die jakobeischen Dramatiker, die metaphysischen Dichter, Dryden und die französischen Symbolisten als »die Tradition« großer Dichtung. Mindestens ebenso wichtig ist Eliot wegen seiner Dichtungstheorie, die diesen Geschmack untermauert und die sehr viel kohärenter und systematischer ist, als die meisten Kommentatoren und Eliot selber es zugestanden haben. Sein Konzept der »unpersönlichen Dichtung«, seine Beschreibung des Schaffensprozesses, der eine »einheitliche Wahrnehmung« verlangt und der in ein »gegenständliches Korrelat« münden sollte, die Rechtfertigung der Tradition, sein Schema einer Geschichte der englischen Dichtung als Prozeß, der zur »Auflösung« einer ursprünglich einheitlichen Wahrnehmung führte, seine Betonung der »Vervollkommnung der gesprochenen Sprache« als Sprache der Dichtung, seine Erörterung der Beziehung zwischen Ideen und Dichtung unter dem Begriff des »Glaubens« - all dies sind wesentliche Themen seiner Kritik, für die Eliot denkwürdige Formeln, wenn auch nicht immer überzeugende Lösungen fand. Eliots Bedeutung als Theoretiker wird etwas verdeckt, weil er selbst sein Interesse an Ästhetik und seine Fähigkeit zu systematischem Denken ständig leugnete. So äußert er zum Beispiel, er sei sich sehr wohl seiner »Unfähigkeit zu komplizierter Argumentation« bewußt und habe daher »keine eigene allgemeine Theorie« (UP, 143). Er versichert, daß »das extreme Theoretisieren über die Natur und das Wesen der Dichtung, wenn es so etwas gibt, zu den Aufgaben der Ästhetik gehört und einen Dichter oder Kritiker mit meinen begrenzten Qualifikationen nichts angeht« (149-50). Er will sich nicht mit »ästhetischen Spekulationen« befassen, für die er »weder Kompetenz noch Interesse« habe (Stallman, no; unterdr. in OPP-Ndr.). Ein solchermaßen abwertendes Eingeständnis von Unwissen und
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Dilettantismus erscheint übertrieben bei jemandem, der jahrelang intensiv Philosophie studiert hat. Seine Harvard-Dissertation über F. H. Bradley (veröffentl. als Knowledge and Experience in the Philosophy of E H. Bradley, 1963) und zwei Artikel über Leibniz (in The Monist, 1916, Ndr. mit der Diss.) sind sehr kompetente Beiträge zur Philosophie. Aber nicht nur Bescheidenheit veranlaßt ihn, sein Interesse und seine Fähigkeit zum Aufbau einer allgemeinen Theorie zu leugnen. Es ist vielmehr seine echte Überzeugung, daß letzte Fragen sich dem verstandesmäßigen Zugriff entziehen und daß Versuche, Dichtung zu definieren, scheitern müssen: »Die Kritik findet natürlich niemals heraus, was Dichtung ist, in dem Sinne, daß sie zu einer adäquaten Definition gelangen würde« (UP, 16). Seiner Meinung nach gibt es »überraschend wenige Aussagen, die man über Dichtung machen kann; von diesen wenigen stellen sich die meisten als falsch oder nichtssagend heraus« (Criterion 13 [1933-34] :i53). Obwohl diese Infragestellung der abstrakten philosophischen Ästhetik durchaus überzeugend klingt, sollte doch nicht übersehen werden, daß Eliot ständig an einer allgemeinen Theorie gearbeitet hat und schon seit Beginn seiner Karriere als Kritiker eine Theorie im Hinterkopf gehabt hat. Zugestandenermaßen gibt es gewisse Spannungen und Widersprüche in seinen grundlegenden Positionen. Unbestreitbar wandelte sich sein Standpunkt oder zumindest die Betonung einzelner Probleme nach seiner Konversion. Trotzdem gibt es eine Kontinuität zwischen den frühesten Artikeln und den Ansichten, die er in seinen ExtensionVorlesungen von 1916 bis 1919 darlegte; diese Kontinuität ist weitaus größer, als man gewöhnlich annimmt (vgl. Schuchard, »Eliot and Hulme in 1916«). Von 1922 bis 1925 änderte Eliot seine Meinung über einige Sachverhalte und Themen, aber im wesentlichen kann man seine Theorien als klar, kohärent und stimmig bezeichnen. Es stimmt, daß er die Angewohnheit hat, Probleme von verschiedenen Seiten anzugehen, plötzlich ein Argument fallen zu lassen, gewisse Themen nur fragmentarisch abzuhandeln, Verbindungen zu kaschieren oder nicht wahrzunehmen, beiläufige Bemerkungen ohne hinreichende Begründung zu machen und Zitate einzufügen, ohne Folgerungen aus ihnen zu ziehen. Obwohl er auch später noch leugnet, daß seine Kritik ein »Entwurf für ein umfassendes kritisches System« sei (CC, 14, 19), enthält sie doch - liest man sie als Ganzes und berücksichtigt man in jedem Fall den Kontext - so etwas wie ein System, das die wesentlichen Themen einer poetischen Theorie definiert oder beschreibt. Zu Recht kann Eliot verärgert oder verwundert sein über den Erfolg der beiden Ausdrücke »Aufspaltung des Empfindungsvermögens« (dissociation of sensibility) und »gegenständliches Korrelat« (objective correlative) (CC, 19; OPP, 106). Guten Gewissens kann er bereits in seiner Dissertation dafür eintreten, »daß der wahre Kritiker Formeln sorgfältig vermeidet: Er meidet Feststellungen, die vorgeben, wörtlich wahr zu sein. Er findet nirgendwo Fakten, nur Annäherungen. Seine Wahrheiten sind Wahrheiten der Erfahrungen, nicht solche der Kalkulation« (KE, 164). Mit Recht kann er sich darüber verärgert zeigen, daß »Worte, die
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ich vor vielleicht dreißig oder vierzig Jahren geschrieben habe, zitiert werden, als hätte ich sie gestern ausgesprochen« (CC, 14). Ebenso kann er auch seine eigenen früheren Schriften kritisieren wegen »gelegentlicher Arroganz, Heftigkeit, Selbstgefälligkeit oder Rüpelhaftigkeit, wegen der Prahlerei eines umgänglichen Mannes, der sicher verschanzt hinter seiner Schreibmaschine sitzt« (14). So schließt er drei Essays vom Nachdruck seiner Essays on Elizabethan Drama (1964) aus, weil sie »von bestürzender Gefühllosigkeit und glatter Oberflächlichkeit, die sich gelegentlich bis zu Unverschämtheit steigert, sind« (vii). Aber nichts kann den, der Eliots Gesamtwerk überblickt, davon abhalten, den inneren Zusammenhang, das Muster im Teppich seiner Gedanken, zu sehen. Man muß dem Umstand Rechnung tragen, daß Eliot für bestimmte Gelegenheiten geschrieben hat: Zeitschriftenartikel, Vorlesungen und Einleitungen. Man muß den Kontext und die Zeitgebundenheit gewisser Polemiken berücksichtigen, aber auch beachten, daß die Theorie der Kritik insgesamt unvollständig ist. Eliot betrachtet seine Kritik aus der Sicht des Dichters, der »immer die Art der Dichtung zu verteidigen sucht, die er selber schreibt« (OPP, 26). Seine Kritik, so behauptet er, sei »Werkstattkritik« (107), »ein Nebenprodukt meiner privaten poetischen Werkstatt« (106). Sein eigenes Theoretisieren ist nach Eliots Aussage »epiphenomenal für [seinen] Geschmack« gewesen (CC, 20). Dies kann jedoch, wie ich belegen werde, nicht stimmen, weil Eliots persönlicher Geschmack oft nur in loser Verbindung zu seiner Theorie gestanden hat. Manchmal kann man sogar von einem Konflikt zwischen seiner Ideologie und seinen tatsächlichen literarischen Vorlieben sprechen, obwohl er selber feststellt: »Bei literarischen Urteilen müssen wir auf zwei Dinge gleichzeitig scharf achten: auf das, >was wir mögens und auf das, >was wir mögen solltenAufrichtigkeit< nennen« (SE, 194). Er greift den Begriff »Echtheit« (OPP, 51) auf, der den Trugschluß des psychologischen Terminus »Aufrichtigkeit« vermeidet. Manchmal scheint er die Irrelevanz der gesamten Frage zuzugeben, wenn er argumentiert, daß man zwischen Aufrichtigkeit und den Überzeugungen von Dante, Crashaw und Christina Rossetti nicht unterscheiden könne. Innerhalb dieses Rahmens der Annahme gewisser gemeinsamer Dogmen ergeben sich jedoch durchaus wichtige Unterschiede zwischen den angeführten Dichtern (Enemy i [1927]:i6). Aufrichtigkeit scheint mir ein psychologisches Problem zu sein, das für die Kritik unwichtig ist. Die Stärke der Überzeugung bleibt ohne Einfluß auf die Güte der Kunst. Eliot ist ein sehr viel überzeugenderer Kritiker, wenn er sich von der Aufrichtigkeit und dem mysteriösen Schaffensprozeß abwendet und seine Aufmerksamkeit entschieden auf das Kunstwerk als selbständiges Objekt, als symbolische Welt, die der Analyse und der Bewertung zugänglich ist, lenkt. Er fand den Begriff des »gegenständlichen Korrelats« (objective correlative) für diese symbolische Welt, die für ihn im Zusammenhang mit den Gefühlen des Dichters steht und diese objektiviert und strukturiert. Das gegenständliche Korrelat wird schon in vielen Formen vorweggenommen, ehe der Ausdruck geprägt wird: Eliot sagt, daß »Literatur Gefühle darstelle, indem
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sie menschliche Handlungen oder Objekte der äußeren Welt beschreibt« (SW, 58), oder daß »die überzeugenden Schriftsteller ihre Gefühle in eine verständliche äußere Welt verwandeln« (Dial [1921] :2i6). Die Wendung »gegenständliches Korrelat« selber wird in betonter Weise nur im Hamlet-Essay von 1919 benutzt. In ganz anderer Bedeutung erscheint diese Wendung in Washington Allstons Lectures on Art (1850); hier war sie jedoch wahrscheinlich durch Santayanas Benutzung von »Correlative Objects*? angeregt und stimmt überein mit Bradleys Definition von »Gefühl«, das »zwar immer die gleichbleibende Grundlage darstellt, dennoch aber eine über sich hinausweisende Welt enthält«6. »Die einzige Möglichkeit, Emotionen in der Sprache der Kunst auszudrücken«, sagt Eliot im Hamlet-Essay, »besteht darin, ein gegenständliches Korrelat zu finden; mit anderen Worten: eine Reihe von Gegenständen, eine Situation, eine Kette von Ereignissen, die die Formel für jene besondere Emotion sein sollen; die Emotion wird sofort evoziert, wenn die äußeren Handlungen, die in sinnliche Erfahrung münden müssen, beschrieben werden« (SE, 145). Der Begriff scheint hier einfach die richtige Art der Situation, die richtige Art der Handlung oder eine Reihe symbolischer Objekte in einem Drama oder Roman zu bezeichnen, die die Emotionen der Figuren in diesem Drama oder Roman motivieren. Eliot führt die schlafwandelnde Lady Macbeth als gelungenes Beispiel für ein objektives Korrelat an. Er zeigt daran »die völlige Entsprechung des Äußeren zur Emotion« (145). Doch die Erörterung des Hamlet ist stellenweise unverständlich: »Hamlet (der Mensch) wird von einer Emotion beherrscht, die nicht formulierbar ist, weil sie die Tatsachen, wie sie erscheinen, übersteigt« (145); aber es ist nicht klar, für wen dies gilt: für uns oder für Hamlet. Offensichtlich meint Eliot, daß Hamlets Lebensüberdruß (der sehr gut formuliert wird) durch die Hochzeit der Mutter und die vermutete Ermordung des Vaters nicht hinreichend motiviert ist. Aber warum sollte dieses nicht formulierbar sein und wie - wenn es so wäre - könnte jemand davon wissen? Warum sollte die hastige inzestuöse Heirat seiner Mutter und die Ermordung seines Vaters keine hinreichende Motivation für seine Verzweiflung und seinen Lebensekel sein? Warum sollte es nicht einen tragischen Helden geben, der auf seine Situation übertrieben reagiert? Ist dies nicht oftmals die ganz allgemeine Voraussetzung der Tragödie und - wenn wir etwa an Lear, Othello, Romeo oder Coriolanus denken - für Shakespeares Tragödie in besonderem Maße? Fälschlicherweise wendet Eliot seine Interpretation des Hamlet in diesem Essay auf Shakespeare selber an: »Und die von uns angenommene Gleichsetzung Hamlets mit seinem Autor stimmt bis zu diesem Punkt: Hamlets Verwirrung über das Fehlen einer objektiven Entsprechung für seine Gefühle ist eine Spiegelung der Verwirrung seines Schöpfers angesichts seines künstleri-
j. Interpretations of Poetry and Religion (1900), 277. 6. Essays on Truth and Reality (1914), 190.
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sehen Problems«. An dieser Stelle führt Eliot seine Theorie der Katharsis, die Selbstreinigung des Dichters durch die Kunst, ein: »Hamlet kämpft gegen die Schwierigkeit, daß sein Ekel durch seine Mutter verursacht wird, diese jedoch kein angemessenes Äquivalent dafür ist; sein Ekel umfaßt und übersteigt sie« (145). (Man kann noch ergänzen, daß der Ekel alle Sexualität, alles Leben und ihn selber umfaßt.) »Es ist daher ein Gefühl, das Hamlet unverständlich bleibt; er kann es nicht objektivieren, und es bleibt deshalb bestehen, vergiftet sein Leben und macht ihn handlungsunfähig.« - »Es ist die Karikatur einer Emotion, die für den Charakter des Hamlet keine Umsetzung in Handlung finden kann: Es ist ebenfalls die Karikatur einer Emotion für den Dramatiker, die er nicht in der Kunst ausdrücken kann« (146). Doch die folgenden Ausführungen zu vagen, pubertären und gegenstandslosen Gefühlen machen diesen Sachverhalt nicht deutlicher. Man muß mit Eliseo Vivas folgern: »Es ist eine verwirrende Illusion zu meinen, daß wir durch den Vergleich der im Drama dargestellten Emotion mit Shakespeares Emotionen das Drama Hamlet kritisieren könnten oder daß wir am Stück die Emotionen, die zu seiner Schaffung nötig waren, ablesen könnten.« 7 Doch selbst wenn Eliots Hamlet-Analyse verfehlt scheint - und es ist merkwürdig, Hamlet als mißlungen zu bezeichnen, wie Eliot später selbst erkannte8 - müssen wir den Begriff »objective correlative« nicht ablehnen. Er ist eine geeignete Bezeichnung für die richtige Art von Bildern, Situationen, Handlungen und Gegenständen, die die Emotion eines Charakters in einem Drama oder einem Roman motivieren. Wenn Eliot ihn in weiterem Sinne benutzt, ist er das »Äquivalent« für die Emotion des Autors, die erfolgreiche Objektivierung der Emotion in einem Kunstwerk. Wie genau ist dieses objektive Konstrukt analysierbar? Wenn Eliot sich mit einem Kunstwerk befaßt, sieht er es zunächst als Sprache. In allen möglichen Zusammenhängen, von seinen frühesten bis zu seinen spätesten Schriften wiederholt Eliot: »Literatur muß durch Sprache beurteilt werden, es ist die Pflicht des Dichters, die Sprache zu entwickeln« (Egoist 5 [1918] 155), »die Schönheit einer Sprache zu bewahren und sogar wiederherzustellen« (OPP, 22). Die Sprache der Dichtung, so sagt Eliot immer wieder, darf nicht »zu weit von der normalen Umgangssprache, die wir benutzen und hören, abweichen« (29). Sie sollte »die eigene Sprache sein, wie sie zur eigenen Zeit gesprochen wird« (New English Weekly ^[1939] 128). Positiv beurteilt werden daher solche Dichter, die die Dichtung zur gesprochenen Sprache zurückführen. Dantes Sprache wird als »Vervollkommnung der gesprochenen Sprache« (SE, 238) bezeichnet, und Dryden »führte den englischen Vers zur Bedingung der Sprache zurück« (/D, 13). Aber diese weit gestreuten Zitate dürfen nicht zu wörtlich als Empfehlung zum
7. Vivas, Creation and Discovery, 189. 8. Siehe »Shakespears Verskunst«, in Essays (1949), hg. v. Helmut Viebrock, 103.
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Kolloquialismus verstanden werden. In einem Essay über Dr. Johnson räumt Eliot 1944 ein: »Wir sollten anerkennen, daß es für jede Epoche einen Maßstab für angemessene dichterische Sprache geben müsse, die weder mit der gesprochene Sprache identisch noch zu weit von dieser entfernt sein sollte« (OPP, 185). Wenn Eliot Hopkins erörtert, verteidigt er dessen Sprache, die nur scheinbar von der gesprochene Sprache entfernt ist: »Man gewinnt den Eindruck, daß Hopkins' Dichtung die notwendige Treue zu seiner Art des Denkens und des Selbstgesprächs besitzt« (33). Dies ist allerdings ein ganz anderer Maßstab als der Vergleich mit der Umgangssprache einer spezifischen Gesellschaft. Auf der anderen Seite stehen die Dichter, die die Sprache verdarben, indem sie ihre musikalischen Möglichkeiten überbetonten. Eliots Hauptangriffspunkt ist Milton, durch den die Sprache »auf besondere Art dem Verfall ausgesetzt war« (138). Seine Sprache ist künstlich und konventionell. »Es ist nicht so ungerecht, wie es zunächst erscheinen mag, wenn man sagt, daß Milton Englisch schreibt, als ob es eine tote Sprache wäre« (141). Eliots sogenannter Widerruf von 1947 enthält hauptsächlich das Argument, daß er und seine Freunde zu Beginn ihrer Schriftstellertätigkeit es für nötig befanden, die Sprache zur kolloquialen Rede zurückzuführen und damit als Dichter dem gefährlichen Einfluß Miltons entgegenzuwirken. Heute ist die Revolution abgeschlossen. Wir sind jetzt in einer Periode der Erweiterung der Sprache, und die Dichter können es sich erlauben, Miltons Experiment Aufmerksamkeit zu schenken. Doch die Bewertung Miltons bleibt unverändert. Diesen Maßstab, der Sprache nicht nur als gehörte Worte, sondern als präsentierte Gegenstände und als gesehene Dinge versteht, wandte Eliot auch auf die Geschichte der englischen Prosa an. Sir Thomas Browne und Jeremy Taylor schätzt Eliot gering ein und findet bei ihnen nur »eine Fülle von Sentenzen in klingender Sprache«, eine »von den Gegenständen abgelöste Sprache, die eine von diesen unabhängige Existenz führt« (PV, 6-7). Er lehnt die poetische Prosa des 19. Jahrhunderts, die Schwelgerei und die dichterische Freiheit von Carlyle wie auch Ruskins und Paters »übertriebenen« Stil ab (Vanity Fair, Juli 1920, 51, 98). Während er Joyce grundsätzlich bewundert, hielt er den späten Joyce, den Autor von Finnegans Wake, für einen Exzentriker, ähnlich einem anderen blinden Musiker, Milton, der »die musikalischen Quellen der Sprache ausschöpfte« (OPP, 157). Ich kann nur auf Eliots langen Kampf um die richtige Bühnensprache hinweisen. 1926 meinte er, daß »die gebräuchlichen Formen der Verssprache nicht so wirksam sind, wie sie sein sollten: Wahrscheinlich muß eine neue Form aus der Umgangssprache entworfen werden« 9 - und alle seine Dramen sind ein Versuch, diese Vorhersage zu erfüllen. Die gesamte Beziehung zwischen Dichtung und Prosa beschäftigt Eliot sehr. Er verteidigt den prosaischen Stil in der Dichtung (wie bei Dryden oder Dr. John9. Einleitung zu Charlotte Eliot, Savonarola (1926), xi.
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son) und lehnt dennoch Prosa ä la Pater ab. Einerseits scheint er eine Verwischung der Grenzen, eine Mischung der Genres, zu vertreten, andererseits möchte er die Kluft zwischen Prosa und Dichtung erweitern. Eliot verstrickt sich in terminologische Schwierigkeiten: Er verteidigt Dryden als Dichter, der nicht lediglich »Verseschmied« gewesen sei. Wenn er später Kipling lobt, versucht er eine Kategorie des »Verses« zu begründen und spricht von Kiplings Dichtung als »großer Lyrik«: »Während ich Kiplings Werk als Lyrik und nicht als Dichtung bezeichne, kann ich immer noch von einzelnen Kompositionen als Gedichten sprechen und auch behaupten, daß es Dichtung in der Lyrik gebe« (OPP, 251). Eliot kann nicht genau entscheiden, welche Unterschiede zwischen Dichtung und Prosa er anerkennen will. Er lehnt die älteste Lösung, die Gleichsetzung von Dichtung und Lyrik, ab: »Gute Dichtung ist offensichtlich mehr als gute Lyrik; und gute Lyrik kann sehr mittelmäßige Dichtung sein«. Aber er gesteht zu, daß »die Versifizierung etwas zusätzlich bringt, was nicht in der Prosa vorhanden ist; unter einem anderen Gesichtspunkt als dem der Kunst handelt es sich um etwas Überflüssiges und ein entschiedenes Zugeständnis an den Wunsch zu spielen« (PV, 4). Eliot findet die Unterscheidung zwischen Dichtung und Prosa unverständlich. Er ist der Ansicht, »daß wir drei Begriffe hätten, wo wir vier brauchten. Wir haben Vers und Dichtung auf der einen Seite und nur Prosa auf der anderen. Die weitere Schwierigkeit ergibt sich aus der ersten. Die Bezeichnungen implizieren in dem einen Kontext eine Bewertung und in dem anderen nicht. >Dichtung< impliziert die Unterscheidung in gute und schlechte Verse; aber wir haben keine Vokabel, um gute von schlechter Prosa zu trennen. Tatsächlich ist ein großer Teil der schlechten Prosa poetische Prosa, und nur ein sehr kleiner Teil der schlechten Verse ist schlecht, weil sie prosaisch sind.«10 Wie andere Passagen belegen, hat Eliot zwei unterschiedliche Kriterien für Dichtung: Wenn er St. John Perse und dessen Prosadichtung lobt, versteht er das Poetische als die »Logik der Einbildungskraft«, als eine Serie von Bildern. An anderer Stelle gibt er zu, daß »die Leistung der Dichtung im Gebrauch der Bilder bestehe: durch eine kumulative Abfolge der Bilder, von denen jedes sich mit dem nächsten verbindet, und durch eine schnelle und unerwartete Verbindung von offensichtlich unverbundenen Bildern« (FLA, 138). »Logik der Einbildungskraft« scheint hier nur den Zusammenhang und die Ordnung in einer Abfolge von Bildern zu bezeichnen und kann kaum verglichen werden mit dem, was er in seiner Dissertation als »Verbindungen in wirklich großer kreativer Arbeit, die durch logische Notwendigkeit stärker verbunden werden als irgendwelche anderen Verbindungen«, bezeichnet (KE, 75). In anderen Zusammenhängen verteidigt Eliot eher die feststellende Dichtung, Dichtung, die mit nur wenig Bildlichkeit auskommt, wie die Dichtungen Dry-
io. St. John Perse, Anabasis (1930), Vorwort, 9.
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dens, Goldsmiths und Crabbes. Hier ist das Kriterium der Dichtung Präzision, Nähe zum Gegenstand, eine Tugend, die Eliot »lebende Sprache« nennt. Goldsmith und Johnson schreiben »Verse, die Dichtung sind, weil sie zum Teil die Vorzüge guter Prosa haben«. Eliot bezieht sich dabei auf einen Ausspruch von Ezra Pound - der zurückgeht auf Victor Hugo und D'Alembert -, daß »Verse wenigstens so gut geschrieben sein müssen wie Prosa«.11 Eliot ist überzeugt, daß es schlecht sei, wenn Dichtung und Prosa zu weit auseinanderstünden (JD, 43). Doch wenn Eliot über die Probleme des langen Gedichts und des Dramas nachdenkt, wird ein anderes Kriterium, das der »Intensität«, eingeführt: »Es muß Übergänge geben zwischen Passagen von größerer und geringerer Intensität. . . . Die Passagen von geringerer Intensität werden in bezug zum Gesamtgedicht als prosaisch anzusehen sein« (OPP, 32). In der Göttlichen Komödie, der Odyssee und der Aeneis entdeckt Eliot »die abnehmende und zunehmende Intensität als Bewegung des Lebens selbst« (PV, 5). Wenn er über die richtige Art der Sprache für das poetische Drama nachdenkt, definiert er Dichtung als »die Sprache in solchen dramatischen Momenten, wenn sie die Höhe der Intensität erreicht« (OPP, 92). Intensität ist eine ungenaue Bezeichnung und meint augenscheinlich eine emotionale Erhöhung, eine Verdichtung des Tons. Sie ist ein zweifelhafter Maßstab für Dichtung. Er würde zur Isolation ausgewählter Passagen führen, zu Poes Argument gegen die Möglichkeit eines langen Gedichts überhaupt, zu den poetischen Momenten Saintsburys oder zu der generellen Spaltung von Dichtung und Literatur insgesamt, wie wir sie bei Croce finden. Gewöhnlich beruft sich Eliot auf unsere Intuition als letzte Instanz: »Wir wären nicht in der Lage, Dichtung zu erkennen ..., wenn wir nicht eine angeborene Vorstellung von Dichtung im allgemeinen hätten« (UP, 19). Das scheint eine vernünftige Einsicht in die bekannte Situation, daß wir einen Sachverhalt aus der Erfahrung kennen, ohne in der Lage zu sein, ihn richtig definieren zu können. Doch dies ist eine Geste der Resignation, die sich daraus ergibt, daß Eliot Dichtung weder hinsichtlich ihrer Fiktionalität noch ihrer Lautstruktur erörtern will. Das bedeutet jedoch nicht, daß Eliot die Problematik von Laut und Metrum übersieht. Er weigert sich nur, darin einen wesentlichen Unterschied zwischen Dichtung und Prosa anzuerkennen. Oft denkt er einfühlsam und sachverständig über metrische Probleme nach: die Geschichte des englischen Blankverses, die Verschmelzung verschiedener metrischer Systeme im Englischen, »den Kontrast zwischen Statik und Bewegung« oder »das Vermeiden der Monotonie, was die Lebendigkeit des Verses direkt betrifft« (CQ 187). Er bekennt, daß er sich nie die Namen der unterschiedlichen Metren habe merken können; er vergleicht das Studium der Metrik mit dem der Anatomie, das »einen nicht lehrt, wie man eine
ii. Einleitung zu Johnsons London und The Vanity of Human Wishes (1930).
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Henne zum Eierlegen bringen kann« (OPP, 27). Neben seinen oft detaillierten Kommentaren über einzelne metrische oder lautliche Effekte benutzt Eliot auch die Begriffe Rhythmus und Musik. Rhythmus ist für ihn ein vager, allgemeiner Begriff: »Er bezeichnet das wirkliche Muster im Teppich, das Schema der Organisation, des Denkens, Fühlens und des Vokabulars, die Art und Weise, in der alles zusammengefügt wird« (Dialj^ [1923]: 595). Er bezeichnet eine »höchst persönliche Sache. Er ist keine Versform. Er ist etwas Besonderes« (SPMM, Vorwort). Der Rhythmus geht dem eigentlichen Gedicht voraus (OPP, 38) und ist in einigen Fällen ein nationales Charakteristikum wie bei Dunbar und Whitman (Criterion 14 [1935]: 611). Der Begriff wird nie genau analysiert oder konkret verwendet. Obwohl Musik eigentlich kein ungenauer Begriff ist, wird er bei Eliot im weitesten Sinne verwandt. Er bezeichnet nicht nur das Lautmuster in der Dichtung. Eliot bezweifelt, daß »verbale Schönheit jemals reine lautliche Schönheit sei« (PV, 7). Er sieht, daß Laut und Metrum sich auf die gesamte Struktur des Gedichts beziehen. Musik in der Dichtung bezeichnet ein »musikalisches Lautmuster und ein musikalisches Muster der Sekundärbedeutungen der Wörter; diese beiden Muster sind unauflösbar miteinander verschränkt« (OPP, 33). Schon vorher beschreibt Eliot, was er unter »Musik des Wortes« versteht: »Sie kommt durch Überschneidung zustande. Sie entsteht aus ihrer Beziehung zunächst zu den Wörtern, die unmittelbar vorausgehen und folgen, dann aber aus ihrer Beziehung zum gesamten Zusammenhang; und sie entsteht noch aus einer weiteren Beziehung: wenn man nämlich die Bedeutung des Wortes in diesem unmittelbaren Kontext in Verbindung bringt mit allen Bedeutungen, die das Wort jemals in anderen Zusammenhängen haben kann« (32). So erkennt Eliot den Wörtern kontextbezogene Bedeutung sowohl innerhalb eines Gedichts als auch im Zusammenhang des gesamten sprachlichen Systems zu. Bedauerlich ist allerdings, daß Eliot diese überzeugende Erkenntnis abschwächt, weil er ein semantisches Phänomen, die Wechselbeziehung der Bedeutungen, als Musik bezeichnet, obwohl er den Unterschied zwischen Dichtung und Musik sehr genau einzuschätzen weiß (38). Der Ausdruck »musikalische Qualitäten« wird manchmal als Synonym für »akustische Einbildungskraft« benutzt (der Begriff stammt von Theodule Ribot). Damit ist nicht nur die dichterische Empfindung für Laut und Metrum, sondern etwas viel Umfassenderes gemeint: »Ein Gefühl für Silben und Rhythmen, das die Bewußtseinsebenen von Fühlen und Denken weit übersteigt und zu den ursprünglichen und vergessenen Bereichen hinabreicht ... Es teilt sich über Bedeutungen mit und verbindet die ältesten mit den zivilisierten Denkungsarten« (UP, 118-19). Gelegentlich macht Eliot deutlich, daß sich im Streben nach Musik die Grenzen der Dichtung offenbaren: »Wir kommen an die Grenze solcher Gefühle, die nur durch Musik ausgedrückt werden können. Wir können es niemals der Musik gleichtun. Sich auf die Bedingung der Musik einzulassen, würde eine Auslöschung der
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Dichtung - insbesondere der dramatischen Dichtung - bedeuten« (OPP, 87). Ausdrücklich verneint Eliot die Existenz von Nonsens-Dichtung. Bei Edward Lear findet er eine »Parodie des Sinns«. Ein »Kauderwelsch-Gedicht ohne Bedeutung ist kein Gedicht«, sondern »lediglich eine Imitation von Instrumentalmusik« (OPP, 29-30). So bezeichnet der Begriff Musik die Grenzen zwischen Dichtung und Bewußtsein, den Kontakt des Dichters mit dem, was wir seit Jung »das kollektive Unbewußte« nennen. Eliot zitiert die Arbeiten von Caillet und Bede über die Beziehung des Symbolismus zur primitiven Psyche mit offensichtlicher Zustimmung (UP, I48A). Doch es ist unvorstellbar, daß Eliot wirklich einen irrationalen Mystizismus akzeptiert. Er weist den modischen Primitivismus unserer Zeit zurück (siehe Nouvelle Revue Frangaise 14 [1927]: 670-71) und zweifelt an den Grundsätzen eines an Jung orientierten Symbolismus: »Was meint [Herbert Read] mit unbewußten Symbolen? Wenn wir nicht merken, daß ein Symbol vorliegt, ist es dann überhaupt ein Symbol? Und in dem Augenblick, in dem wir uns bewußt werden, daß ein Symbol vorliegt, ist es dann immer noch ein Symbol?« (Criterion 4 [1926]: 756). Wenn Eliot den französischen Symbolismus erörtert, hält er es für eine Ungerechtigkeit, diese Dichter von der übrigen Dichtung abzutrennen. Er entwickelt eine völlig unmystische Beschreibung der Bedeutung eines Symbols: »In der Dichtung ist es die Tendenz des Wortes, soviel wie möglich zu bedeuten . . . so viele Dinge wie möglich zu bedeuten, exakt und umfassend zugleich zu sein und das Disparate und Entfernte zu verbinden, ihnen einen Zusammenhalt und eine Struktur durch das Wort zu geben. Das ist die Meisterschaft, die der Dichter anstrebt. Der Dichter ist dadurch ausgezeichnet, daß er dem Wort mehr abverlangt als andere Menschen«.12 Ein Symbol ist lediglich ein treffend gewähltes Wort und kein Hinweis auf das Übernatürliche. Eliot hält die Kunst oft für ein Ritual. Er parodiert Pater, wenn er sagt, »alle Kunst wetteifert mit dem Ritual« (Dial $ [1923]: 597); in allen seinen Aussagen aus der Mitte der zwanziger Jahre zur Erneuerung des poetischen Dramas ist Ritual seine Schlüsselvorstellung: »Die Bühne ist - nicht nur in ihren entfernten Ursprüngen, sondern immer - ein Ritual. Die Unfähigkeit der zeitgenössischen Bühne, dem Wunsch nach Ritualen zu entsprechen, ist einer der Gründe, warum sie keine lebende Kunst hervorbringt« (Criterion i [1922-23] 1305). Sogar der Mythos, auf den er sich als Dichter ständig bezieht, wird nur als Methode, als Technik und Mittel empfohlen, als »Mittel, das Kontrolle, Ordnung, Gestaltund Bedeutungsgebung für das immense Panorama der Vergeblichkeit und Anarchie« ist (Dialyj [1923]: 480). Doch Eliot setzt Dichtung nicht mit Mythenbildung oder Suche nach dem Urmythos gleich. Wir kommen Eliots Ansicht am nächsten, wenn er behauptet, daß der Künstler primitiver und zugleich zivili-
12. Vorwort zu Harry Crosby, Transit of Venus (1931), ix.
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sierter als seine Zeitgenossen sei (Egoist 5 [1918] 1105). Der Künstler ist dem Alten wie dem Neuen verpflichtet: Er hat oder sollte die ganzheitliche Wahrnehmung haben, die von der elementarsten Reaktion bis zu den höchsten intellektuellen Abstraktionen reicht. Er trägt die gesamte Geschichte in sich. Darin liegt seine Universalität. Eliot hat eine komplizierte und möglicherweise widersprüchliche Vorstellung von Geschichte, Entwicklung und des Dichters Beziehung dazu. Einerseits scheint er eine fast hegelsche Geschichtsauffassung zu vertreten. Jedes Zeitalter ist völlig integriert in ein Ganzes, und der Dichter ist ein reines Sprachrohr seiner Zeit. Wenn er von Dante spricht, sagt er, daß »der große Dichter immer die Gedanken seines Zeitalters ausdrückt« (SE, 137) und sich offensichtlich dagegen nicht wehren kann. Paul Elmer More kritisiert das Auseinanderklaffen von Eliots korrekt-klassischer Kritik und seiner verdreht-modernistischen Dichtung. Eliot verteidigt sich mit der merkwürdigen Behauptung, daß in einem chaotischen Zeitalter auch die Dichtung chaotisch sein müsse. Durch keinerlei Anstrengung könne dies geändert werden: »Im Moment des Schreibens bleibt man der, der man ist; und der Schaden, in eine unruhige Gesellschaft hineingeboren zu sein, bleibt ein Leben lang bestehen und kann im Schaffensmoment nicht behoben werden« (ASG, 30). Manchmal differenziert Eliot. Das Geschäft des Dichters ist es, der Kultur, in der er lebt und zu der er gehört, Ausdruck zu geben und nicht einer Kultur, die es noch nicht gibt. Doch Eliot beeilt sich, hinzuzufügen: »Das bedeutet jedoch nicht, daß der Dichter die Gesellschaft, in der er lebt, anerkennen muß. Eine vorhandene Kultur darzustellen oder eine soziale Situation anzuerkennen, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Die Darstellung der ihn umgebenden Kultur kann den Dichter sogar in heftige Opposition zu einer sozialen Situation bringen, die diese Kultur verletzt« (Stallman, 108). Einerseits betont Eliot das Recht des Dichters, den vorhandenen Mächten, nicht aber den tiefsitzenden Voraussetzungen seiner Kultur zu widersprechen. Zum anderen lobt er die Elisabethaner wegen ihrer Anachronismen und weil sie gleichzeitig ihr Zeitalter unkritisch akzeptieren: » Sie waren in der Lage, sich auf ihre Fähigkeiten zu konzentrieren, die gemeinsamen Merkmale der Menschheit zu allen Zeiten, nicht deren Unterschiede herauszustellen« (SE, 202). Das Fehlen eines historischen und kritischen Bewußtseins, die Konformität, wird hier zur Bedingung erhoben, um die Kunst allgemeingültig zu machen, eine Kunst, die klassisch werden könnte. Diese Zeitlosigkeit ist das, was Eliot mit Klassik und Tradition meint. Eliot hat einen doppelten Maßstab und eine doppelte Vorstellung von Zeit. Einerseits erkennt er die Bedürfnisse einer Zeit an und beurteilt Literatur oft entsprechend ihrem Beitrag zur Entwicklung von Sprache und Dichtung. Andererseits geht er von einem überzeitlichen Maßstab aus. Er lehnt den »literarischen Pyrrhonismus« ab, obwohl er die Wechselfälle des Ruhmes sieht und deren Beziehung zu den speziellen Erfordernissen und Neigungen eines Zeitalters (G/D, 7). »Tradi-
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tion and the Individual Talent« (1919) enthält eine denkwürdige Definition dieses Zusammenspiels. Die Tradition »enthält zunächst einmal den historischen Sinn, . . . und der historische Sinn enthält eine Wahrnehmung nicht nur der Vergangenheit der Vergangenheit, sondern auch ihrer Gegenwart; der historische Sinn zwingt den Menschen, nicht nur aus dem Bewußtsein seiner eigenen Generation heraus zu schreiben. Vielmehr muß er aus dem Gefühl heraus schreiben, daß die Gesamtheit der europäischen Literatur seit Homer - und darin enthalten die Gesamtheit der Literatur seines eigenen Landes - simultan existiert und eine simultane Ordnung ergibt. Dieser historische Sinn, der das Bewußtsein von Zeitlosigkeit und Zeitlichkeit sowie das Bewußtsein von deren Verbindung enthält, verpflichtet den Schriftsteller auf die Tradition« (SE, 14). Eliot verwendet den Begriff »historischer Sinn« nicht im herkömmlichen Verständnis. Er lehnt deterministische historische Ursächlichkeit ab, er ist kein Relativist. Vielmehr sieht er das Absolute im Relativen, jedoch nicht in seiner endgültigen oder vollkommenen Form. Es ist irreführend, wenn J. C. Ransom Eliot »den historischen Kritiker« nennt (The New Criticism, 1941). Vielmehr möchte Eliot, daß der Kritiker die Literatur »nicht als durch die Zeit geheiligt versteht, sondern sie als jenseits der Zeit stehend begreift; das beste Kunstwerk unserer Zeit und das beste Kunstwerk, das vor 2500 Jahren entstanden ist, müssen mit denselben Augen gesehen werden« (SW, xiv). Alle Kunstwerke werden als irgendwie immer noch gegenwärtig begriffen: »Die vorhandenen Denkmäler stehen in idealer Anordnung zueinander, die modifiziert wird durch das Hinzukommen des neuen (des wirklich neuen) Kunstwerkes . . . . Wer immer dieser Anordnung, dieser Form europäischer, englischer Literatur zugestimmt hat, wird es nicht absurd finden, daß die Vergangenheit durch die Gegenwart genauso geändert wird wie die Gegenwart durch die Vergangenheit« (SE, 15). Obgleich die Gestalt sich ständig weiter zurückzieht und die Anordnung dadurch ständig umarrangiert wird, bleibt es doch eine simultane Anordnung. Wie Eliot in Little Gidding sagt: »Die Geschichte ist ein Muster zeitloser Momente.« Die Konsequenzen von Eliots Traditionsbegriff sind offensichtlich. Zum Teil sind sie negativ: Sie rechtfertigen nämlich das Mißtrauen gegenüber bloßer Persönlichkeit, Neuheit oder Originalität: »Das absolut originale Gedicht ist absolut schlecht« (SPEP, x). Diese Konsequenzen verhindern die Revolution und das individuelle Streben jeder Art. Als positive Konsequenz fordert Eliot, daß der Dichter in der Dichtungsgeschichte belesen, ja sogar gelehrt sein sollte, daß er sich anpassen solle, jedoch nicht gänzlich und unaktiv: »Wahre Originalität ist lediglich eine Frage der Entwicklung« (ebd.). Was theoretisch in Begriffen der Tradition vorgestellt wird, nimmt konkrete Bedeutung an, wenn Tradition von Eliot als die Tradition definiert und als klassisch beschrieben wird. Eliot erklärt sich selber im Vorwort zu For Lancelot Andrewes (1928) zum »Klassizisten«, »Royalisten« und »Anglikaner«. Diese Erklärung bereute er später als »unüberlegt«. Er nahm sie jedoch nicht zurück,
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verwahrte sich aber gegen die Interpretation, daß »die drei Substantiva dieselbe Wichtigkeit« für ihn hätten, und daß er glaubte, alle drei seien miteinander verbunden oder meinten sogar dasselbe (ASG, 29). Eliots Version des Klassizismus ist keine neue Version des französischen akademischen Klassizismus, denn Eliot verehrt nicht das Goldene Zeitalter Frankreichs wie Nisard und Brunetiere. Er war an den französischen Klassikern kaum interessiert, obwohl er positive Anmerkungen zu Racines Athalie machte - »ein sehr gutes Stück in der Tat, ein wirklich gutes Drama« (OP, 176) - und einen Essay über Pascal schrieb, der jedoch angemessenerweise nicht literarisch ist. Eliots Bewunderung für die griechischen und römischen Klassiker ist ganz allgemein und theoretisch. Er gibt offen zu, daß er zu jenen gehört, »die nicht genug von den klassischen Sprachen im Gedächtnis behalten haben, um die Originale ohne Mühe lesen zu können« (CC, 159). Doch Eliot besitzt - seine Stücke belegen dies - eine genaue Kenntnis der griechischen Tragödie in Übersetzung und zeigte schon früh ein fast professionelles Interesse an Seneca, bedingt durch sein gründliches Studium des elisabethanischen Dramas. Der Autor, den Eliot ausführlich und mit größter Sympathie kommentiert hat, ist Vergil. Er kontrastiert Vergils Welt, die er als »äußerst zivilisiert, würdig, vernünftig und geordnet« bezeichnet, mit der Homers. Obwohl er Vergil »als dem Christentum näherstehend als irgendeinen anderen römischen oder griechischen Dichter« ansieht, findet er die Bezeichnung Vergils als »anima naturaliter Christiana« nicht völlig angemessen (OPP, 130). Vergil war kein Mystiker, ihm fehlte Liebe im Sinne Dantes. Die Kommentare über Vergil sind mit großer Verehrung für den klassischen Autor geschrieben. Vergil wird als Autor gesehen, dessen »Wesenszüge dem christlichen Bewußtsein besonders nahestehend« sind (121) und der eine »Verbindung zwischen der alten und der neuen Welt« herstellt (123). Obwohl Eliot erkennt, daß die vierte Ekloge nicht die Ankunft Christi vorhersagt, sieht er sie doch als »Symbol« für Vergils besondere Stellung (123). Gelegentlich scheint die Antike kaum um ihrer selbst willen, sondern nur als Vorbereitung für das Christentum geschätzt zu werden. Man kann auch nicht sagen, daß Eliot sich besonders zur Epoche des englischen Klassizismus hingezogen fühlt: »Meiner Meinung nach haben wir kein klassisches Zeitalter und keinen klassischen Dichter in England« (OPP, 59). Eliot steht Pope ablehnend gegenüber: »Ein Meister der Miniatur« (SE, 296). Swift erregte seine Bewunderung, die sich allerdings mit Entsetzen mischte. Im Vergleich mit Ben Jonson nennt Eliot »das letzte Kapitel der Voyage to the Houyhnhnms eine schrecklichere Satire als alles, was Jonson je geschrieben hat, doch es kann uns zum Mitleid bewegen und eine Art von Reinigung bewirken. Wir empfinden überall Swifts eigene Tragödie .. ., die schreckliche Persönlichkeit in seinem Werk, die aus einer tieferen und intensiveren Emotion kam« als Jonsons Persönlichkeit (Dial, 8j [1928] :68). Dies ist der Tenor der späteren Kommentare über »die fürchterliche Aufrichtigkeit von Swifts Beschimpfung der menschlichen
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Rasse«13 oder über »den progressiven Zynismus des reifen und enttäuschten Mannes von Welt.. ., der schon den Geruch der Bestie Mensch haßte.«14 Eliots Kritik an Milton ist eine Kritik des klassizistischen Geschmacks: der künstlichen Sprache, der dröhnenden Rhetorik und des Melodramas. Nur Dryden sagt Eliot sehr zu aufgrund seines Gebrauchs der gesprochenen Sprache, seiner satirischen Kraft und seiner Kritik. Obwohl Dryden ständig gelobt wird, weil er »eine normale englische Sprache begründet hat, die für Vers wie Prosa gültig ist« (JD, 2), gesteht Eliot ein, daß Dryden »bei all seiner Intelligenz eine banale Denkungsart hatte . . . Ihm fehlte eine umfassende und herausragende Lebenssicht. Ihm fehlte Einsicht, ihm fehlte Tiefe« (SE, 300, 302). Im allgemeinen lehnt Eliot das 18. Jahrhundert ab wegen seiner »besonders im religiösen Empfinden begrenzten Sensibilität« (OPP, 60). Nur Dr. Johnson wird ausgenommen wegen der Präzision seiner Verse in den zwei Juvenal-Satiren und wegen deren Urbanität, Sicherheit und Leichtigkeit.15 Als Kritiker und Moralist wird er hoch geschätzt. Gleichsam nebenbei erfahren wir überraschend, daß »ich The Deserted Village höher einstufe als irgendein Gedicht von Johnson oder Gray« (OPP, 181). Crabbe wird empfohlen als »sehr guter Dichter, der aber keine magische Kraft besitzt« (49)· Dies alles weist darauf hin, daß Eliots Geschmack nicht als klassisch oder klassizistisch beschrieben werden kann. Die Klassiker sind jedoch die Quelle der Tradition. Die Vorlesung What Is a Classic"? (1944) vertritt eine ähnliche Ansicht wie Sainte-Beuve, obwohl Eliot versichert, daß er Sainte-Beuves Essay mit demselben Titel mindestens dreißig Jahre nicht gelesen habe (OPP, 53). »Der Lebensnerv der europäischen Literatur ist Latein und Griechisch - dabei handelt es sich nicht um zwei getrennte Systeme, sondern um ein einziges System, denn wir müssen unsere Vorfahren über Rom nach Griechenland verfolgen« (70). Dabei weist Eliot indirekt die - vor allem in Deutschland vertretene - Vorstellung zurück, daß Rom übergangen werden und man statt dessen direkt nach Griechenland gehen sollte. Rom ist nach Eliots Ansicht die unverzichtbare Verbindung in der Kette der Tradition. Er lobt die »Kontinuität des römischen Impulses« und setzt die klassische Tradition vor allem mit der römischen und katholischen Tradition gleich, die auch auf politischem Gebiet autoritär ist (Criterion 4 [1926] -.22). Eliot betont die »Notwendigkeit der kulturellen Einigung Europas«, die nur aus den alten Wurzeln, »dem christlichen Glauben und den klassischen Sprachen« wachsen könne: »Diese Wurzeln sind - so glaube ich - unauflöslich miteinander verflochten« (CC, 160). Gelegentlich schließt Eliot Deutschland in die Einheit der europäischen Kultur mit ein und definiert es als christlich und klassisch. Er leugnet jedoch, daß 13. GJD, io. 14. »Cyril Tourneur«, in SE, 190; vgl. EAM, 152. 15. Johnsons London (1930) und OPP, i6iff.
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Goethe ein universaler Klassiker sei, findet ihn »ein wenig provinziell« (OPP, 67) und meint sogar, er habe in Philosophie und Dichtung ohne großen Erfolg dilettiert; seine wahre Bedeutung sei die des Weisen und des Mannes von Welt gewesen - wie La Rochefoucauld, wie La Bruyere, wie Vauvenargues (UP, 99). Davor schon nannte Eliot die »Hymne an die Natur« »Unsinn« und »trostlos wie eine ländliche Predigt«. Offensichtlich wußte er nicht, daß Goethe die Autorschaft dieses Aufsatzes leugnete (Nation and Athenaeum 44 [1929] :52/). Auf jeden Fall ist die heute Johann Christoph Tobler zugeschriebene Prosahymne abhängig von Shaftesburys Rede an die Natur in The Moralists und enthält kaum etwas Anstößigeres als das, was die antiken Stoiker lehrten. In einer 1955 in Hamburg gehaltenen Rede revidierte Eliot seine abschätzige Meinung über Goethe. Zusammen mit Dante und Shakespeare rechnet er ihn jetzt unter die großen europäischen Klassiker und findet bei ihm eine Weisheit, die mehr als die nur weltliche Weisheit von La Rochefocauld ist. Eliot hatte das Buch Mensch und Materie von Ernst Lehrs gelesen, der den Wissenschaftler Goethe absurderweise als Vorläufer von Rudolf Steiners okkulter Anthroposophie interpretiert. Eliot sieht Goethe jetzt weniger repräsentativ für sein Zeitalter als früher, er findet ihn universaler, fast wie Blake über seinem Zeitalter stehend. Lehrs ist bedauerlicherweise ein sehr spekulativer und unkritischer Interpret. In der Vorlesung zeigt Eliot wenig Interesse an Goethes Werken, obwohl er behauptet, daß er den zweiten Teil des Faust mehr als den ersten schätzen gelernt habe. Aber die neue Bewunderung für Goethe hat einen Anflug von Unglaubwürdigkeit und sogar Kulturdiplomatie. 1955 sollte Deutschland gerade wieder in die europäische Kulturwelt aufgenommen werden. Wir müssen erkennen, daß Eliots Klassizismus eher der Kulturpolitik als der Literaturkritik verpflichtet ist. Er stammt entschieden von Irving Babbitt und den französischen polemischen Antiromantikern ab: Lasserre, Seiliiere und Charles Maurras. Eliot gab zu, daß Maurras' L'Avenir de ['intelligence (1905) großen Einfluß auf seine geistige Entwicklung ausübte (Nouvelle Revue Frangaise 9 [1923]: 619—25), und verteidigte Maurras in seiner Auseinandersetzung mit dem Vatikan. Eliots Büchlein über Dante (1929) ist Maurras gewidmet. Bei Maurras finden wir die Gleichsetzung von klassischer und römischer Tradition und die (sicher besonders deshalb außerhalb Frankreichs falsche) Ansicht, daß die Romantik Revolution sei und daß beides moralische und ästhetische Anarchie sei. Bei den französischen Autoren fand Eliot die Idee einer Ordnung, einer autoritären Tradition und eines römischen Erbes. Er akzeptierte ihren allgemeinen Angriff auf die Romantik als kulturelles Phänomen, aber nicht ihren konkreten literarischen Geschmack, der sich kaum auf die englische Literatur anwenden läßt. Eliot nennt den modernen Klassizismus ein »Streben nach einer höheren und klareren Form der Vernunft«. Er zitiert dann die Namen Sorel, Maurras, Benda, Hulme, Maritain und Babbitt als dieser Richtung angehörend (Criterion 4 [1926] 15). Es ist symptomatisch, daß alle hier aufgeführten Autoren Ideolo16 Wellek, Literaturkritik 4/1
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gen sind. Unter ihnen befindet sich kein Dichter, es sei denn, man nimmt die wenigen kleinen imagistischen Gedichte von Hulme ernst. Eliot nahm sie ernst, wenn er bemerkte, daß Hulme den großen Vorzug einer kreativen Begabung habe, obwohl Hulme im Vergleich zu Maurras, Sorel und Lasserre »unreif und oberflächlich« sei. Eliot sah selber das Problem: »Die Schwäche, unter der die klassische Bewegung in Frankreich gelitten hat, besteht darin, daß sie eher eine kritische als eine kreative Richtung gewesen ist . . . Ein neues klassisches Zeitalter ist erst dann erreicht, wenn das Dogma oder die Ideologie der Kritiker durch den Kontakt mit der kreativen Arbeit so modifiziert ist und wenn die kreativen Schriftsteller von dem neuen Dogma so durchdrungen sind, daß ein Zustand des Gleichgewichts erreicht worden ist« (Criterion 2 [1924]: 232). Doch diese Synthese fand nicht statt und konnte auch nicht stattfinden. Bei Eliot bleibt der Klassizismus ein ethisches und religiöses Ideal: »Das klassizistische oder erwachsene Bewußtsein ist völlig realistisch, ohne Illusionen, ohne Tagträume, ohne Hoffnung, ohne Bitterkeit und voller Resignation« (Criterion [1923] :39). Die ästhetischen Implikationen von Ordnung und Form sind minimal, wenn Eliot Klassik und Romantik als »das Vollständige und das Fragmentarische, das Geordnete und das Chaotische« voneinander unterscheidet (SE, 26). 1934 meinte er, daß die Unterscheidung »nicht zu ernst genommen werden sollte« (ASG, 25); 1961 äußerte er, daß die Begriffe nicht mehr die ursprüngliche Bedeutung für ihn hätten (CC, 15). Tatsächlich ist Eliots Einschätzung der englischen Romantiker keineswegs gleichbleibend negativ. Er bewundert Blake, obwohl der Grund für diese Bewunderung nicht deutlich wird. Er lobt ihn, weil »sein Denken nicht von gängigen Meinungen« beeinflußt sei (SE, 306). Er bedauert aber auch, daß Blake sich nicht auf anerkannte und traditionelle Vorstellungen gestützt habe, die ihn davor bewahrt hätten, sich zu tief in seiner eigenen Philosophie zu verlieren (308). Mit dieser Feststellung scheint er die vorangehende wieder aufzugeben. Dieser offensichtliche Widerspruch kann jedoch gelöst werden: Nur aufgrund seiner Einsamkeit kam Blake zu seiner Position, und diese Einsamkeit wiederum bewirkte seine Exzentrizität. Die Dichtungen Wordsworths und Coleridges werden von Eliot an keiner Stelle detailliert erörtert. Eliot bezieht sich auf den »übersteigerten Ruhm« von Kubla Khan (UP, 146) und nennt die Ode on Intimations of Immortality einen »brillanten Wortschwall« (Dial 83 [1927] 1260). An den kritischen Schriften Wordsworths und Coleridges ist Eliot weitaus mehr interessiert. Er nennt die Biographia Literaria »eines der zugleich weisesten und albernsten, der zugleich aufregendsten und anstrengendsten literaturkritischen Bücher, die je geschrieben wurden«, und er mißt ihm eine große historische Bedeutung bei: »Sehr deutlich hat Coleridge die Beziehung der Literaturkritik zu dem Zweig der Philosophie herausgearbeitet, der unter dem Namen Ästhetik erstaunlich populär wurde« (»Experiment in Criticism«, 70 [1929]: 227) - eine Neuheit, so sollte man hinzufügen,
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nur für die englischsprechende Welt. Er bezeichnet Coleridges Beschreibung der Einbildungskraft zustimmend als Rechtfertigung der metaphysischen Urteilskraft (SE, 278); Coleridges Unterscheidung zwischen Einbildungskraft (imagination) und Phantasie (fancy) (UP, 77) und den Ausdruck »freiwilliger Verzicht auf Unglauben« lehnt er ab. Offensichtlich versteht er nicht, daß Coleridge von Theaterillusionen und nicht von Eliots Glauben an die dichterische Sendung spricht (95). Es ist überraschend, daß Eliot Byron bewundert, den er als verspäteten schottischen Calvinisten interpretiert, der einen Sinn für die Verdammnis habe. Er lobt besonders die letzten Cantos von Don Juan, in denen Byron ein echtes Gefühl, den Haß auf die Heuchelei, gefunden habe (OPP, 205). Dennoch hält Eliot Byrons der Alltagssprache verpflichtete Ausdrucks weise ebenso für ein Anzeichen »mangelhafter Sensibilität«, wie er dessen »Maske eines gefühllosen Zynismus« für ein Anzeichen eines gleichgültigen und verwirrten Geistes hält (201). Keats wird als großer Dichter angesehen. Eliot ist der Ansicht, daß allein die Oden - »vor allem vielleicht seine Ode to Psyche - ausreichen, um seinen Ruhm zu rechtfertigen«. Eliot gibt jedoch vor, nicht zu verstehen, was mit »Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit« gemeint ist. Er bezeichnet diese Zeile als »ernsthafte Beeinträchtigung eines schönen Gedichtes« (SE, 256). Eliot fand »Spuren eines Ringens um die ganzheitliche Wahrnehmung« im zweiten Hyperion (SE, 174), aber behielt seine Zweifel in bezug auf dieses Gedicht (UP, 100). Er bewundert die Briefe als »sicher die bemerkenswertesten und wichtigsten, die je von einem englischen Dichter geschrieben wurden« (100). Er zitiert den Brief an Benjamin Bailey vom 22. n. 1817: »Geniale Menschen wirken - wie gewisse Chemikalien - auf eine Masse neutralen Geistes ein, aber sie haben keinerlei Individualität, keinerlei bestimmten Charakter«. Dies muß Eliot beeindruckt haben, weil er darin eine Vorwegnahme seiner eigenen Bevorzugung der »Unpersönlichkeit« erkannte. Er sah hier das »Klassische« eher als das »Romantische« betont. Shelley ist der Dichter, den Eliot sich für seine negative Kritik an der Romantik auswählt. Eliots Einwände sind hauptsächlich ideologischer Art: Er ist aufgebracht über Shelleys Atheismus, dessen Haß auf Könige und Priester und dessen Ansichten über freie Liebe. Er nennt ihn »humorlos, pedantisch, selbstzentriert und manchmal fast ein Schuft« (UP, 89). Doch er kritisiert Shelley auch als Dichter: wegen eines unklaren Bildes (SE, 292) und wegen einer Strophe aus »The Skylark«, in der ihm die darin erwähnte Astronomie unklar bleibt (Dial 84 [1928] :247). The Cenci wird als bloße »Rekonstruktion« der elisabethanischen Tragödie bezeichnet (SW, 55; vgl./Z), 35-36 und OPP, 34). The Defense of Poetry wird geringer als Wordsworths Preface eingeschätzt (UP, 93). Gelegentlich verliert Eliot auch eine positive Bemerkung über »The Triumph of Life«, weil es wie Keats' Hyperion - »Spuren eines Ringens um eine ganzheitliche Wahrnehmung« zeige (SE, 274). Es enthält »einige der größten und Dante am nächsten
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kommende Zeilen der englischen Lyrik« (CC, 130). In der Einleitung zu Leone Vivantes English Poetry (1950) schreibt Eliot, daß er durch Vivantes Ausführungen »zu einer neuen und positiveren Einschätzung Shelleys« gelangt sei (x). Eliots Ablehnung der Romantik richtet sich daher eher gegen Tennyson und Swinburne, Pater und Morris und gegen die Georgianer Rupert Brooke und John Drinkwater. Aber auch seine Einschätzung Tennysons war schwankend. 1918 schrieb er eine zweischneidige Verteidigung von Tennysons sorgfältiger Technik. »Und Tennyson«, so fügt er hinzu, »hat einen Verstand (groß und schwerfällig wie eine Bauernuhr), der ihn vor der Trivialität bewahrte. Sein Thema (die luftige und feenhafte Lilian) handelt er oberflächlich ab, doch die Technik ist sorgfältig durchgefeilt« (Egoist^ [1915] :43). 1936 schrieb Eliot dagegen für eine Ausgabe der Poems eine durchaus schmeichelhafte Einleitung, in der er Tennyson lobt wegen »seines scharfen Gehörs - des schärfsten in der englischen Dichtung seit Milton« und wegen seiner »Vielfalt und Kompetenz«. Er wendet nur ein, daß die Princess langweilig und Maud unrealistisch sei. »Ich sollte«, so schließt er, »Tennyson nicht tadeln, weil er milde oder unentschlossen ist, sondern weil er keine Heiterkeit besitzt« (EAM, 175,181). Er wählt Swinburne als Beispiel eines Dichters, für den »das Objekt zu existieren aufgehört hat, weil Bedeutung nur noch die Einbildung von Bedeutung ist und weil die Sprache sich verselbständigt hat zu atmosphärischer Lebendigkeit« (SE, 313). Bei Swinburne sind Bedeutung und Klanggestalt ein und dasselbe, oder vielmehr gibt es eigentlich nur die Klanggestalt, während sich die Bedeutung in ihrer Allgemeinheit verflüchtigt hat. Überraschenderweise bewundert Eliot in Swinburne eher den Forscher und Wissenschaftler als den Kritiker der elisabethanischen Dramatik. Er meint, Swinburnes Urteil erscheine bei genauer Betrachtung »angemessen und gemäßigt« (SW, 17). Auch Whitman wird von Eliot abgelehnt, weil seine Schriften einen hohen Anteil an leerem Gerede enthalten (SPEP, xi). Zwar erkennt er ihn als »großen Prosaschriftsteller« an, doch hält er seine Behauptung, seine Prosa sei eine neue Versform, für falsch (Nebraska-Vorlesung [1960], 206). Heftig, ja sogar satirisch wird Eliot bei der Erörterung von Gilbert Murrays Euripides-Übersetzung. Er sieht darin eine »vulgäre Verfälschung von Swinburnes äußerst persönlicher Sprachgeste« (SW, 66). Ebenso verhöhnt er John Drinkwater, wenn dieser sich seiner rein englischen Vorfahren rühmt (Vanity Fair, November 1923, 44). Und ebenso lehnt er Edgar Lee Masters, Carl Sandburg und Vachel Lindsay als »mittelmäßige und konventionelle Geister« ab (ebd., 118). Man kann also Elidts dichterischen Geschmack und die Ahnenreihe, die er für seine Tradition konstruiert, nicht einfach als Opposition von Klassik und Romantik beschreiben. Trotz seines ideologischen Überbaus des Klassizismus gehört Eliots Geschmack in eine Entwicklungslinie, die man als mittelalterlichbarock-symbolistisch bezeichnen könnte. Diese Stilrichtungen haben genug Gemeinsamkeiten, um Eliots Präferenzen klar und stimmig erscheinen zu lassen. Es ist daher eigentlich nicht unbedingt notwendig, Eliots Beziehung zu
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Dante darzustellen, der für ihn der größte Dichter der gesamten Geschichte, »der europäischste und der am wenigsten provinzielle« war (CC, 134). Eliots Sicht Dantes ist zwar parteiisch, doch bringt sie einige Grundvorstellungen seiner eigenen Literaturtheorie gut zum Ausdruck: die Betonung einer bildlichen Vorstellungskraft, der gesprochenen Sprache, eines Korpus allgemein anerkannter Gedanken; ebenfalls die emotionale Struktur, die abstrakte Ideen aufnimmt und umformt, gehört hierher. Dante scheint der einzige mittelalterliche Autor zu sein, der bei Eliot auf ein tieferes Interesse stößt, obwohl Eliot auch Interesse an Malory und Villon artikuliert und sich ebenfalls auf Guido Cavalcanti und Richard von St. Victor bezieht.16 Ich benutze den Begriff »Barock«, um damit alle Kunst zu bezeichnen, die sich gegen den Schönheitsmaßstab der Renaissance wendet und dem Klassizismus vorausgeht. Eliot scheint an der Renaissance als solcher nicht besonders interessiert gewesen zu sein. Nirgends findet sich eine ausführliche Erörterung wichtiger Renaissance-Dichter mit Ausnahme der elisabethanischen Dramatiker Marlowe und vor allem Shakespeare. In zwei langen Aufsätzen, die eher einen Beitrag zur englischen Literaturgeschichte als zur Literaturkritik darstellen, untersuchte Eliot die Seneca-Übersetzungen und »Shakespeare and the Stoicism of Seneca« (SE, 65, 126). Er bewundert die Handhabung des Blank-Verses: seine Freiheit, seine Nähe zur Umgangssprache und gleichzeitig seine Flexibilität und Kraft. Er meint, daß die elisabethanischen Dramatiker durch schlecht definierte Konventionen in ihrer Arbeit behindert worden seien, und argumentiert überzeugend, daß die Schwäche des elisabethanischen Dramas nicht darin bestanden habe, daß »es Konventionen verhaftet gewesen sei, sondern daß es ohne Konventionen habe auskommen müssen« (112). Einzelne Punkte in Eliots Kritik bleiben fragwürdig. Es ist wohl kaum möglich, The Jew of Malta als Farce zu bezeichnen, selbst wenn es die »Farce des altenglischen Humors« wäre, »der seinen letzten Atem im dekadenten Genie Dickens' aushauchte« (123). Ebenfalls vermag es kaum zu überzeugen, wenn er Othellos letzte Rede als einen Versuch, »sich selbst aufzumuntern«, als »eine übertriebene Darstellung menschlicher Schwäche« und als eine Art bovarysme interpretiert. Es stimmt nicht, daß »Othello aufgehört hat, über Desdemona nachzudenken, und statt dessen über sich selber nachdenkt« (130-31). Es gelingt Eliot nicht, die Stimmung und die Wirkung von Othellos Selbstbezichtigungen zu vermitteln. Othellos letzte Rede dient der Vorbereitung seines Selbstmordes. Da die anderen Figuren durch seine Rede abgelenkt werden, kann er unbemerkt den Dolch ziehen und sich selbst erstechen. Auch Eliots Hamlet-Interpretation ist nicht akzeptabel. Sie basiert viel zu stark auf J. M. Robertsons nicht nachprüfbaren Spekulationen. Es ist bezeichnend, daß Eliot Antony and Cleopatra und Cor^oL·nus für Shakespeares »überzeugendste
16. In Vorlesung III der unveröffentlichten Clark-Vorlesungen, zitiert bei Bush, T. S. Eliot.
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künstlerische Erfolge« hält (144). Offensichtlich standen ihm die jakobeischen und karolinischen Dramatiker, denen er einige seiner besten Essays widmete, weitaus näher: BenJonson, Thomas Middleton, Thomas Heywood, Cyril Tourneur, John Ford, Philip Massinger und John Marston. Eliots Beschäftigung mit Jonson, Middleton, Tourneur und Marston, ihrem »Lebenshaß« und ihren Werken - »ein verschlungenes Netzwerk von Wurzeln, die wie Fangarme zu den tiefsten Schrecken und Lüsten hinabreichen« (155) - haben viel dazu beigetragen, daß sie auf dem Theater und in der Kritik wieder aufgewertet wurden. Eliots Eintreten für die metaphysischen Dichter erwies sich sogar als noch einflußreicher, obwohl das Interesse an Donne nicht neu war: Coleridge, Saintsbury, Gosse und andere hatten Donne im 19. Jahrhundert bewundert, und Grierson brachte 1912 eine kritische Ausgabe heraus. Eliot setzte keinen neuen Akzent in der Definition und der Beschreibung der metaphysischen Dichtung, denn der Gedanke der »ganzheitlichen Wahrnehmung« oder des »gefühlten Denkens« geht mindestens zurück bis Alexander Grosart. Auch hat er nicht versucht, das Wesen des conceit zu definieren. Eliot legt eher den Schwerpunkt darauf, daß es sich um intellektuelle Dichtung handelt, und betont ihre Bedeutung für die Gegenwart. In unserer heutigen Kultur muß Dichtung komplex sein: »Die Dichtung muß immer intensiver werden, anspielungsreicher, indirekter, um die Sprache in die angestrebte Bedeutung hineinzuzwingen und - wenn notwendig - umzuändern. Es genügt nicht mehr, >in unsere Herzen zu blicken und zu schreiben^ Man muß in die Großhirnrinde, in das Nervensystem und den Verdauungstrakt blicken« (SE, 275-76). Eliot wird im allgemeinen als der Begründer von Donnes Ruhm angesehen. In dem Schlüsselaufsatz »The Metaphysical Poets« (1921) benutzt er Beispiele von Donne, um »eine direkte Wahrnehmung des Denkens oder eine Umwandlung des Denkens in Gefühle« zu illustrieren (SE, 272). Er bezieht sich direkt auf Donne: »Ein Gedanke war für Donne eine Erfahrung: Er modifizierte seine Wahrnehmung« (273). Eine uneingeschränkt positive Rezension (Nation and Athenaeum 33 [1923]: 331-32) und Bemerkungen, daß Donne »den Gegenstand sieht, wie er ist« (Egoist 4 [1917] :n8), belegen Eliots frühen Enthusiasmus. Doch um 1926 muß er seine Ansicht geändert haben, möglicherweise unter dem Einfluß von Mario Praz' Untersuchung über Donne und Crashaw.17 Die Clark-Vorlesungen sind nur teilweise veröffentlicht und auch nur in französischer Übersetzung. Dieser Teil stellt ausführlich die unterschiedlichen Vorstellungen von Liebe bei Dante und Donne dar, wobei Dante den Vorzug erhält. Eliot hat pedantische Einwände gegen die Bilder in Donnes »Ecstasy«, weil er Stimmung und Pointe des Gedichts falsch interpretiert. In
17. Siehe seine Rezension von Secentismo e marinismo in Inghilterra in TLS, n. 12. 1925, 878.
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Wirklichkeit - hierin folge ich Pierre Legouis - geht es in diesem Gedicht um die verschlüsselte Aufforderung zur Liebe.18 Diese Kritik an Donne ist noch milde gegenüber dem, was folgt: Donne erscheint als Beispiel des Dichters, der nur mit Ideen spielt: »Ich konnte weder einen >Mediävismus< noch überhaupt Denkstrukturen feststellen, sondern nur ein großes Durcheinander unzusammenhängender Gelehrsamkeit, die er für rein poetische Effekte benutzte. Es ist mir völlig unmöglich zu folgern, daß Donne an irgend etwas geglaubt hat« (SE, 138-39). Bald darauf zog Eliot einen weiteren für Donne ungünstigen Vergleich, diesmal zu Lancelot Andrewes. Donne hat »etwas von einem fesselnden Redner, Hochwürden Billy Sunday seiner Zeit, der die Zuhörer in seinen Bann schlägt« (320). Es ist erstaunlich, daß Eliot dann einen Beitrag zu Theodore Spencers Lobeshymne A Garland for John Donne (1930) liefert, in dem er Donne als Reformator der poetischen Sprache in England feiert, gleichzeitig aber auch bei ihm ein »offenbares Auseinanderklaffen von Denken und Empfinden« feststellt. Er hält Donnes Einfluß auf dessen eigene Zeit für überschätzt und sagt voraus, daß dessen Predigten genauso plötzlich, wie sie erscheinen, auch wieder verschwinden würden (G/D, 8, 19). Eliot schätzt George Herbert als großen Meister der Sprache, als aufrichtig frommen Dichter, als Anatomisten des Gefühls höher ein (Spectator, 1932, 360-61). The Temple wird als eine durchgängig religiöse Meditation mit sorgfältig durchdachtem geistigem Rahmen gelobt (OPP, 45): »Die Emotion Herberts ist klar, entschieden, rein und durchgängig« (Dial 83 [1927] 1263). Diese Ansichten werden in einem eher unbedeutenden Pamphlet über Herbert, das Eliot noch 1962 schrieb, wiederholt. Es wird eingeleitet durch eine Biographie, ist angefüllt mit langen Zitaten und versucht ebenfalls, Herbert gegenüber Donne hervorzuheben: »Der Unterschied besteht in der Vorherrschaft des Intellekts über die Sensibilität im einen Fall und der Vorherrschaft der Sensibilität über den Intellekt im anderen Fall« (17). Verglichen mit Herbert kommt Henry Vaughan geringere Bedeutung zu. Er ist weder ein großer Mystiker noch ein großer Dichter, aber ein Vorläufer von Wordsworth und Lamb in der Hinwendung zu seiner eigenen Kindheit, ein Thema, mit dem Eliot wenig anfangen konnte (Dw/83 [1927]: 259-63). Obwohl der Essay über Marvell ebenfalls in wesentlichen Teilen aus Zitaten besteht (27 aus 17 Gedichten von n Autoren in drei Sprachen), hatte er eine sehr viel größere Wirkung. Entschlossen löste Eliot Marvell aus der damals üblichen Zuordnung zu den Puritanern Bunyan und Milton heraus und erklärte, daß seine besten Verse aus europäischem Geist, d. h. aus lateinischer Kultur, hervorgegangen seien. Dieses Urteil ist seither von der Forschung bestätigt worden, die Marvells Beziehung zur französischen und neulateinischen Dichtung nachge-
18. Cbroniques 3 (1927) 1162.
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wiesen hat. Eliot gelingt eine denkwürdige Charakterisierung Marvells. Er konstatiert »die hartnäckige Vernünftigkeit hinter der lyrischen Anmut«, »die helle, harte Präzision«, ein »ausbalanciertes Gleichgewicht der Stimmungen« und »den mit der Einbildungskraft verbundenen scharfen Geist« (SE, 279, 285, 288, 282). Eliot bewunderte auch Crashaw in hohem Maße. Er findet intellektuelles Vergnügen sogar in den völlig absurden Bildern Crashaws. Er stimmt Mario Praz zu, der Crashaw »über Marino, Gongora und jeden anderen als den Repräsentanten des barocken Geistes in der Literatur« stellt (SE, 250). Cowley interessiert Eliot als Vertreter des neuen wissenschaftlichen Geistes. Er gibt Eliot Gelegenheit für eine zusammenfassende Bewunderung der Dichtung des 17. Jahrhunderts, der »zivilisiertesten« Epoche der englischen Dichtung. Eliot bewundert den Geist dieser Zeit, »eine Art Balance zwischen intellektuellen und emotionalen Werten« (Seventeenth Century Studies, 1938, 242). Er verbindet Geist und Witz mit anderen Bedeutungen dieser Wörter (Nouvelle Revue Franfaise 9 [1926] 1525). Witz sollte nicht mit Zynismus verwechselt werden. Er impliziert eine »ständige Beobachtung und Kritik der Erfahrung. Er schließt eine Erkenntnis ein, die im Ausdruck jeder möglichen Erfahrung implizit vorhanden ist« (SE, 289). Witz scheint hier fast ein Synonym für das zu sein, was die Neuen Kritiker Ironie nannten. In Eliots Dichtungsgeschichte erscheinen das 18. Jahrhundert und die Romantik als Epochen der Auflösung, in denen Geist und Gefühl auseinanderfallen. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit wurde von den französischen Symbolisten angestrebt und - so hofft Eliot - durch sein eigenes Werk, durch Pound, Joyce und Marianne Moore gefördert. Eliot lehnt jedoch die vom französischen Symbolismus vertretene Dichtungstheorie ab: ihre mystischen oder okkulten Voraussetzungen, ihre Betonung der Suggestivität und ihr Streben nach Musikalität (PV). Wenn Eliot Mallarme zu Poe in Verbindung setzt, verwischt er die Unterschiede zwischen ihnen und beschuldigt beide, nicht an die von ihnen aufgestellten Theorien zu glauben. Er nennt sie reine Techniker, die ihre Wahrnehmung über die Grenzen der normalen Welt hinaus erweitern wollten (Nouvelle Revue 9 [1926]:525). Eliot konnte sich den Dichter nicht als Entzifferer der Hieroglyphen der Natur vorstellen. Er konnte ebenfalls die an Swedenborg oder Schopenhauer angelehnte Metaphysik der französischen Dichter nicht akzeptieren. Lieber wollte er sie sehen als Entdecker neuer Techniken und Menschen mit neuer Wahrnehmungsfähigkeit. Baudelaire ist für ihn »bei weitem der größte der französischen Symbolisten« (Criterion 9 [1930]:357), während Laforgue nur ein »zweitrangiger Nachfolger« war (SE, 376). Der »zweitrangige Nachfolger« Jules Laforgue war jedoch viel wichtiger für Eliots eigene dichterische Entwicklung. Eliot gesteht Laforgues Einfluß auf seine frühe Dichtung ohne Bedenken ein (CQ 22,126), aber weiß in seinen veröffentlichten Schriften wenig über ihn zu sagen. Die meisten seiner vereinzelten Bemer-
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kungen enthalten eher starke Vorbehalte gegen Laforgue. Er beklagt »unverarbeitete metaphysische Fragmente und schwankende Gefühle« in dessen Werk (Egoist 5 [1918] 169). Er sagt sogar, daß Laforgue »in seiner Adoleszenz befangen verharre« (SPEP, viii). Aber in den immer noch unveröffentlichten Clark-Vorlesungen von 1926 und in den Turnbull-Vorlesungen von 1933, die in kürzlich erschienenen Büchern von Edward Lobb und Ronald Bush und in einem Artikel von Michele Hannoosh zitiert werden, wird Laforgue ausführlich erörtert. In den Clark-Vorlesungen, die Eliot in Cambridge hielt, werden Laforgue und Baudelaire als die ersten Dichter gesehen, die das Problem von gut und böse wieder aufgriffen, dadurch Denken und Fühlen wieder verbanden und so eine moralische Ordnung schufen. Sogar Baudelaires »Satanismus - die Kultivierung des Bösen - ist ein Derivat oder eine Imitation des geistigen Lebens« (Hannoosh, 168). Dieses Thema wird im Essay über Baudelaire (1930) dann weiterentwickelt. Laforgue »hatte ein angeborenes Streben nach Ordnung; das bedeutet, daß jedes Gefühl sein intellektuelles Äquivalent und seine philosophische Rechtfertigung haben sollte und daß jede Idee ebenso ihr emotionales Äquivalent, ihre gefühlsmäßige Rechtfertigung erhalten müßte«.19 In den TurnbullVorlesungen, die Eliot an der Johns-Hopkins-Universität hielt, wird dieser Sachverhalt in einer religiöseren Ausdrucksweise wiederholt. Laforgue strebt nach »Erlösung«, so daß Denken und Wahrnehmung für ein »erfülltes Leben« zusammenwirken müßten. Laforgues Ironie entsteht aus dem »Krieg zwischen den in den Gefühlen enthaltenen Ideen und den in den Ideen beschlossenen Gefühlen«.20 Laforgue ist zugleich ein Sentimentalist, der beim Anblick eines Mädchens am Klavier ins Träumen gerät, und ein Behaviorist, der ihre Reflexe untersucht« (Lobb, 42). Eliot definiert Laforgues Ironie als Selbstironie und daher als Ausdruck des Leidens. Eliot lobt Laforgue für seine technischen Innovationen, von denen er profitierte; doch er schätzt ihn als Künstler »weit weniger als Corbiere und Rimbaud« (Hannoosh, 173-74). Sein späteres Versagen wird dem Umstand zugeschrieben, daß die Philosophen, auf die Laforgue sich beruft, keine reinen Denker (wie Thomas von Aquin für Dante) waren, sondern durch Gefühle verdorben zum Poetischen neigten. Eliot hält es auch für möglich, daß Laforgue nicht wirklich an diese Denker glaubte und daher gespalten, dedouble, blieb. In einer frühen Rezension von Arthur Symons' Baudelaire-Übersetzung (1927) verurteilt Eliot diese Übersetzung und Symons' Kommentare dazu, weil sie Baudelaire zu einer Figur der 9oer Jahre und zu einem Verfechter einer abartigen Bosheit machen (Criterion 9 [1930]). Symons mißversteht den völlig traditionellen Charakter von Baudelaires Versen, deren Strenge an Racine erinnert, und er
19. Hannoosh, zitiert aus Vorlesung VIII, 170. 20. Hannoosh, zitiert aus Vorlesung III, 5 und 8.
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versteht nicht Baudelaires Denken: seine Klarheit und sein Christentum. Eliot stimmt Charles Du Bös zu, daß Baudelaire »im Grunde ein unzeitgemäßer Christ und ein unzeitgemäßer Klassizist« war (EAM, 73). Der spätere Essay ist sehr viel kritischer. Eliot gesteht ein, daß die Ansicht, »Baudelaire sei im Grunde ein Christ gewesen, beträchtliche Bedenken herausfordere«. Baudelaires Christentum ist »rudimentär oder embryonisch«. Eliot betrachtet Baudelaires chaotisches Leben und bezeichnet »seine Prostituierten, Mulatten, seine Jüdinnen, Schlangen, Katzen und Leichen« als »Apparatur, die nicht lange ausgehalten hat«, (SE, 372) und als »romantischen Abfall« (371). Dennoch ist er »der erste Gegenromantiker der Dichtung« (372) und wird für seine grundsätzliche Aufrichtigkeit, für das Bewußtsein der Sünde im bleibenden christlichen Sinn bewundert: »Er war wenigstens in der Lage zu begreifen, daß der Geschlechtsakt als Böses würdiger und weniger langweilig ist als der natürliche, >lebensspendendeAura< ist einfach die Verlängerung der täglichen Erfahrung des Gehirns in die selten erforschten Grenzen des Leidens.« Eliot steht auf seiten Stendhals und Flauberts, die »unmißverständlich die ungeheure Diskrepanz zwischen möglicher Leidenschaft und im Leben realisierbarer Leidenschaft verlangen. Sie beschreiben auch die unaufhebbaren Grenzen zwischen den menschlichen Individuen« (Athenaeum, 30. 5. 1919, 392-93). Eliots Hauptaugenmerk galt unter den Romanschriftstellern Henry James und James Joyce. Genau wie Pound interessierte ihn James zunächst als der exilierte Amerikaner, der »Bürger zweier Länder« (wie es auf James' Grabstein steht). In »In Memory« schreibt er: »Ich nehme nicht an, daß irgend jemand, der kein Amerikaner ist, James richtig verstehen kann« (Egoist 5 [1918]). Überraschenderweise hält Eliot James für keinen guten Literaturkritiker. Er meint, er habe als erster Romanschriftsteller »eine aus Männern und Frauen bestehende soziale Einheit« zum Mittelpunkt eines Romans gemacht. Eliot kommentiert James' Verzicht auf Ideologie und abstrakte Philosophie in einer oft zitierten und mißverstandenen Passage: »Er hatte einen so unbestechlichen Geist, daß keine Idee ihn korrumpieren konnte.« Der Kontrast besteht zwischen »mit unseren Gefühlen denken« und »unsere Gefühle durch Ideen zu korrumpieren«. »James nimmt einen Standpunkt ein, der nicht von parasitären Ideen erreicht werden kann. Er ist der intelligenteste Mann seiner Generation« (Egoist 5 [1918] :z). Man muß das Vokabular des frühen Eliot kennen. Er lobt die Intelligenz und das Denken und verurteilt die abstrakten Ideen, die völlig leblos und von der Wahrnehmung und dem Besonderen getrennt sind. James spricht für Eliot natürlich die gesamte amerikanische Frage an. Er verbindet James sofort mit Hawthorne, hält seine Beziehung zum viktorianischen Roman jedoch für »unbedeutend« (wobei er George Eliot übersieht) und Balzacs Einfluß für »schädlich«.
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James wird entschieden als der »Fortführer« des Neuengland-Genies gesehen, das Eliot - auch später noch - als einen geistigen Triumph über eine feindliche Umgebung, als »auf Granitboden wachsend«, interpretiert (Little Review 5 [1918] 153). In einem späteren Kommentar betont Eliot, daß Henry James' Werke eine vollständige Einheit bilden: »Man muß sie alle lesen, denn man muß sowohl die Einheit wie die Entwicklung begreifen.« James versuchte nicht, Charakterporträts zu entwerfen, wie sie gewöhnlich in englischen Romanen erwartet werden. Wenn er »die englische Gesellschaft romantisierte, so deshalb, weil er von der Vision einer idealen Gesellschaft besessen war; deshalb war er durchaus nicht blind gegenüber den Mißständen in der Realität«. Eliot schließt seine Ausführungen: »James hat uns nicht Ideen geliefert, sondern eine Welt des Denkens und Fühlens entworfen. Um eine solche Welt zu finden, lesen die einen Dostojewski, die anderen James. Und ich neige zu der Meinung, daß James' Geist, obgleich sanfter, vernünftiger und entsagender als der des Russen, doch nicht weniger tief, wohl aber nützlicher und zukunftsweisender für uns ist« (Vanity Fair, Februar 1924). Joyce, den Eliot 1920 in Paris kennenlernte, ist für ihn das Beispiel eines völlig unabhängigen Künstlers. Er protestierte gegen das Verbot des Ulysses und einen gefühllosen Nachruf in der Times und trat ständig für die Anerkennung von Joyces Größe ein. Ulysses ist »ein irisches Werk, wie ein Werk nur irisch sein kann, aber zugleich auch ein so wichtiges Buch für die Geschichte der englischen Sprache, daß es seinen Platz als Teil der Tradition dieser Sprache einnehmen muß. Ein solches Werk realisiert nicht nur die noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten einer Sprache, sondern belebt auch die gesamte Vergangenheit« (Vanity Fair, November 1923, 118). Abgesehen von einem Vergleich von »The Dead« aus den Dubliners mil Erzählungen von Katherine Mansfield und D. H. Lawrence ist mir keine detailliertere Erörterung von Joyces Werken durch Eliot bekannt. Joyce ist für ihn »der ethisch Orthodoxeste der wichtigen Schriftsteller seiner Zeit« (ASG, 38). Die abschließende Feststellung in »The Dead« - »seine Seele hatte sich jener Region genähert, wo die riesigen Scharen der Toten wohnen« machen Joyce im Vergleich mit dem Häretiker Lawrence zu einem religiösen Schriftsteller. Die Figuren in Lawrences »In the Shadow of the Rose Garden« verraten »keinen Respekt vor moralischen Verpflichtungen und scheinen nicht einmal die leiseste Spur von Gewissen zu besitzen« (37). Dennoch wird Lawrence als »viel größeres Genie als Hardy, wenn nicht auch als größerer Künstler« angesehen. Er wird gescholten, weil er keinen Sinn für Humor und keine Fähigkeit zu dem, »was wir gewöhnlich Denken nennen«, habe. Er wird getadelt wegen seiner »sexuellen Morbidität«, aber auch gelobt wegen »einer außerordentlich scharfen Wahrnehmungsfähigkeit und tiefen Intuition - eine Intuition, aus der er gewöhnlich die falschen Schlüsse zog« (58). Eliot erkennt seinen geistigen Kampf: »Niemand war weniger ein Sensualist« (6o). Fantasia of the Unconscious hält er unbestreitbar für eine Anklageschrift gegen die moderne
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Welt. Diese unfreundlichen Kommentare in After Strange Gods findet man auch an anderen Stellen bei Eliot. So bezieht Eliot sich 1927 verächtlich auf Lawrences »Tin Chapel Atheism« (Criterion 6:179). 1° einem Artikel in französischer Sprache wird Lawrence als ein natürlicher und ungekünstelter »Dämon mit einem Evangelium« bezeichnet. »Wenn Lawrences Figuren sich der Liebe hingeben - und sie tun nichts anderes -«, so erscheint das Eliot wie die »entsetzliche Vermischung von Urschleim« (Nouvelle Revue Pranqaise 27 [1927] 1164). In einem späteren Essay räumt er ein, daß Lawrence ein »Erforscher des religiösen Lebens« sei, eine Art von »eher kontemplativem als theologischem Geist«, der zu einer »Religion von Macht und Magie« gelange, die schließlich nur »eine Religion der Selbsttherapie« sei.22 In einem Hinweis auf Pater William Tivertons Arbeit über Lawrence (Tiverton ist das Pseudonym für Martin Jarrett-Kerr) scheint Eliot zu einem günstigeren Urteil gelangt zu sein. Er hält Lawrence immer noch für »unwissend, weil ihm nicht bewußt war, wieviel er nicht wußte«, doch nennt er ihn jetzt einen Mann »von tiefer Einsicht« auf der Suche nach fundamentaler Wahrheit: »Ohne selber Christ zu sein, war er doch religiös.«23 Eliot faßt seine Beziehung zu Lawrence in einer späten Vorlesung (1962) zusammen: Mein Urteil über Lawrence »wird, so fürchte ich, immer zwischen Ablehnung, Entrüstung, Langeweile und Bewunderung schwanken«. Eliot berichtet von seiner Bereitschaft, zu Lawrences Verteidigung im Lady ChatterlyProzeß 1960 zu erscheinen. Er wiederholt jedoch auch seine Antipathie gegen Lawrences Egoismus: »Er besaß einen Zug von Grausamkeit, und es fehlte ihm, wie Thomas Hardy, der Sinn für Humor« (CC, 24-25). Ich vermag nicht zu erkennen, daß Eliot jemals tief von Lawrence beeinflußt war, wie behauptet wurde. Als großer Romanschriftsteller interessierte er ihn nicht. Er behauptet, Lawrence habe niemals ein »Kunstwerk geschaffen« (Criterion [1930-31] 1769). Er lobt »großartige Beschreibungen hier und dort« (770), einige Dialoge und eine Erzählung, »Two Blue Birds«, die »keine Beziehung zu Lawrences eigener Gemütskrankheit hat« (770). Für Eliot galt Middleton Murrys psychoanalytische Diagnose, daß Lawrence einen Mutterkomplex habe, als bewiesen. Er klagte oft über schlechten Stil bei Lawrence, er hielt ihn für einen falschen Propheten (769), den Medizinmann einer fremden Religion. Er konnte ihm höchstens in seiner Kritik der modernen Kultur zustimmen. Eliot sah Lawrence auch als symptomatisch für den Niedergang des Protestantismus, das Verschwinden Gottes - Hardy ist dafür ein weiteres Beispiel. Er nennt Hardy »eine mächtige Persönlichkeit, durch keinen institutionellen Zwang oder irgendwelche objektiven Glaubenssätze behindert« (ASG, 54). Sein extremer Emotionalismus erscheint Eliot als Symptom der Dekadenz (55). Eliot hat
22. Revelation (1937), 28 ff. 23. D. H. Lawrence and Human Existence (1951), viii. 17 Wellek, Literaturkritik 4/1
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grundsätzlich keine Beziehung zum modernen agnostischen oder atheistischen Pessimismus oder auch Optimismus. Dasselbe belegen auch seine abwertenden Bemerkungen über Meredith: »Der größte Teil von Merediths Tiefe ist tiefe Plattheit« (Egoist $ [1918] :ii4). Eliot vermeidet Kommentare über direkte Zeitgenossen, obwohl seine Präferenzen sehr klar sind. Er bewundert Wyndham Lewis, einen persönlichen Freund, und vergleicht Tarr mit Dostojewskis Werken. Er sieht aber auch, daß Lewis »äußerst besonnen, sogar gefühlskalt« ist: »Vielleicht wäre seelenlos das bessere Wort« (Egoist 5 [1918] :iO5). Er war sehr beeindruckt von Djuna Barnes Nightwood. Hier meinte er, sein Ideal einer Prosa zu finden, das »den Prosastil und die musikalische Struktur, die sich von der Lyrik unterscheidet, ausmacht«. Er nennt dieses Buch ein Werk von kreativer Imagination, keine philosophische Abhandlung, und findet darin eine Art von Schrecken oder Verhängnis, die derjenigen der elisabethanischen Tragödie eng verwandt ist« (Criterion 16 [1937] 1561, 564). Man sieht, wie Eliot dieses Buch mit einigen seiner Lieblingsthemen, Prosastil und jakobeischer Tragödie, verbindet, aber es ist nicht zu leugnen, daß diese Befangenheit ihn gegenüber den Schwächen des Romans blind machte. Wir müssen einige zentrale Punkte von Eliots Theorien und Positionen noch einmal hervorheben. Dreierlei muß man auseinanderhalten: i. Eliots Literaturtheorie, die sich im Laufe der Zeit zu einem politischen und religiösen Konzept erweiterte; 2. Eliots praktische Kritik, seine Meinungen über Schriftsteller, sein Geschmack; 3. Eliots Praxis als Dichter. Zwar ist nicht zu leugnen, daß diese drei Tätigkeiten seines Bewußtseins (eines einzigen Bewußtseins) miteinander in Verbindung standen, doch daraus kann man nicht - wie dieser Überblick zeigt folgern, daß sie unstrukturiert zusammenhängen. Jede Tätigkeit hat Kontinuität und Kohärenz für sich selber, und man darf die Grenzen zwischen den Aktivitäten nicht verwischen. Eliot sagt häufig, daß seine Literaturkritik eine Verteidigung seiner Praxis, »Werkstattkritik«, sei, doch dies stimmt nur auf einer sehr allgemeinen Ebene. Durch seine Theorie rechtfertigt er den Versuch, seine Person aus seinen Schriften herauszuhalten, obwohl ihm dies kaum völlig gelingen kann. Er verteidigt seine Verwendung zeitgenössischer Umgangssprache, obwohl seine Dichtung sich häufig weit von der Umgangssprache entfernt. Er argumentiert für das rituelle Drama und betont die visuelle Bildlichkeit; doch seine Theorien treffen durchaus nicht den tatsächlichen Stil und die Art seiner eigenen Dichtung. Andererseits übersteigen seine Theorien und konkreten Meinungen in ihrer Anwendung und Anwendbarkeit bei weitem die bloße Verteidigung seiner dichterischen Praxis. Wenn sie bloße vernunftgemäße Erklärung seiner Praxis wären, wären sie - außer für die Eliot-Forschung - von geringem Interesse. Tatsächlich aber stellen sie weit mehr dar. Sie beanspruchen, exemplarisch zu sein, und sie haben viele Kritiker überzeugt. Es mag genügen, zwei berühmte amerikanische Namen zu nennen: Allen Täte und Austin Warren.
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Doch diese Beziehung zwischen Eliots Theorie und Praxis ist ein schwieriges Problem, das nicht zum Thema der vorliegenden Untersuchung gehört, die auf Metakritik zielt und die der Gefahr, in einer Dichtungsgeschichte unterzugehen, ausweichen muß. Sie würde ihren Interessenschwerpunkt verlagern bzw. ihr Thema verfehlen. Eliot sagt auch, daß seine Theorien in bezug auf seinen Geschmack »epiphänomenal« seien. Doch dies ist auch nur teilweise richtig. Wie unser Überblick über Eliots literarische Meinung zeigt, steht sein Geschmack oft in direkter Opposition zu seinen Theorien. Es entsteht eine Spannung zwischen Eliots Vorliebe für Dante oder die metaphysischen Dichter und jakobeischen Dramatiker, für die französischen Symbolisten oder sogar für Pound und Joyce und der Literaturtheorie mit ihrer Betonung der Unpersönlichkeit, der Tradition, der Klassik, der Ordnung und der Vernunft. In einigen Fällen erkannte Eliot selber diesen Konflikt und modifizierte seine Theorien entsprechend. Die Lehre der Unpersönlichkeit, der objektiven oder objektivierten Gefühle, kollidierte mit seinem tiefgreifenden Interesse an der Persönlichkeit und schließlich an der Seele und ihrer Rettung. In frühen Jahren akzeptierte Eliot einen »totalen Skeptizismus, eine unzynische Illusionslosigkeit«, die er bei Bradley fand (SE, 398). Er wies alle metaphysischen Systeme zurück, »die hochgehen wie eine Rakete und schwer wie ein Stock zur Erde fallen« (KE, 168). Das Ego löst sich in direkte Erfahrung auf, die direkte Erfahrung besteht »sowohl am Anfang wie am Ende unserer Reise in Auflösung und völliger Dunkelheit« (KE, 31). Doch gerade diese Resignation und dieser Agnostizismus (obwohl Eliot diesen Ausdruck, der mit Thomas H. Huxley verbunden ist, nicht mochte) scheinen es ihm zu ermöglichen, sich unerschrocken und förmlich zum Katholizismus zu bekennen. Eliot fing an, an die Seele, ihre Einheit und Unsterblichkeit zu glauben; er scheint, wie Hamlet, das Jenseits gefürchtet zu haben. Wir können nicht sicher wissen, wann genau Eliot zu dieser Überzeugung gelangte, doch sie muß seiner öffentlichen Konversion wenigstens um zehn Jahre vorausliegen. Im Zusammenhang seiner Literaturkritik widerstand Eliot jedoch lange dem Druck seiner neuen Glaubenssätze, zum Teil, weil er bis zuletzt die Funktion von Dichtung als Religion oder als Religionsersatz (wie Arnold und I. A. Richards sie verstehen) ablehnt. Vom Gesichtspunkt der Literaturkritik ist es bedauerlich, daß Eliot die Idee der Tradition mit der der Orthodoxie verband (ASG, 31-32) und daß seine Kritik zunehmend zur Überprüfung der Konformität von Literatur mit der offiziellen Lehre geriet. »Die Überwachung der Tradition durch die Orthodoxie« (67), die er forderte und praktizierte, veranlaßte ihn, »teuflischen Einfluß« überall zu vermuten und ein »Lesebuch moderner Häresie« zusammenzustellen. Er sah selbstgefällig auf jene herab, die sich weigerten, zwischen Rom und Canterbury einerseits und Moskau andererseits zu wählen (der Kommunismus war für ihn eine Religion), und die sich weigerten, seiner Glorifizierung einer früheren Epoche der britischen Kultur zuzustimmen. Es ist jedoch sicher nicht richtig zu
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sagen, Eliot sei nach seiner Konversion ein schlechter Kritiker geworden. Seine Talente bleiben dieselben. Doch seine Interessen wandten sich von der Literaturkritik ab, und daher konnte er die Literatur als Dokumentationsmaterial für seine Klagegesänge über die moderne Welt benutzen. Er bekannte sich zu einem zweifachen Maßstab, der sowohl die Einheit des Kunstwerks auflöst als auch die Wahrnehmungsfähigkeit, die zu dessen Produktion notwendig ist. So schwächte er (seiner Meinung nach wegen höherer Interessen) seine Leistungen als Literaturkritiker. Die unverfälschte Kritik der frühen Jahre ist dagegen von größter Bedeutung.
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KAPITEL 7
I. A. RICHARDS (1893-1979)
1937 schrieb ich einen Artikel auf tschechisch für die Zeitschrift des Prager Linguistischen Zirkels1, in dem ich über die Gruppe der Cambridger Literaturtheoretiker berichtete: I. A. Richards, W. Empson und F. R. Leavis. Ich trug eine beschreibende Darstellung von Richards' Ansichten einschließlich Coleridge on Imagination (1934) vor. Ich führte die Einwände an, die jedem notwendig erscheinen müssen, der einem grundsätzlich strukturalistischen Ansatz verpflichtet ist. Ich lobte Richards' Geschick, die Ursachen der Fehlinterpretation aufzuspüren, und begrüßte seine Beachtung der dichterischen Sprache. Ich lehnte seine Psychologie ab und kritisierte seine Ansichten über die Existenz des Kunstwerks. Obwohl ich Richards' Bücher mehrfach las, habe ich meine Ansicht darüber nicht geändert, und seine Vorlesung »Emotive Language Still«, 1949 in Yale gehalten2, bestätigte meine Einschätzung, daß Gerüchte, Richards habe seine frühere Position revidiert, völlig unbegründet waren. Gleichzeitig erklärte Richards in einem weiteren Vortrag »Emotive Meaning Again«3: »Bei der erneuten Lektüre von Principles ... bin ich mehr beeindruckt durch die Vorwegnahme meiner späteren Ansichten als dadurch, daß irgend etwas zu widerrufen wäre. Ich habe meine Terminologie und meine Metaphern etwas geändert, .. . um doch wieder dieselben Ansichten darzulegen« (SI, 53A). Richards muß wissen, worüber er spricht. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Richards veröffentlichte eine weitere Sammlung von Aufsätzen Speculative Instruments (1955), die zum Teil aus alten, aber auch aus neuen Beiträgen besteht. Zwei schmale Bände mit eigenen Gedichten, Goodbye Earth and Other Poems (1958) und The Screens and Other Poems (1960), die auch Prosakommentare und eine Vorlesung »The Future of Poetry« enthalten, kommen hinzu. Des weiteren müssen verstreute Vorlesungen und Artikel
1. Slovo a slovesnost (Wort und Literatur) 3 (1937): 108-21. 2. Veröffentlicht in Yale Review ,^ (1949): 108—18. 3. Philosophical Review 57 (1949): 145-57; Ndr. in SI, 39-56.
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aufgeführt werden, von denen zwei, die in den Tagungsakten über Style in Language (1960) veröffentlicht wurden, von besonderem Interesse sind. Hier muß ich mich nun wieder mit Richards befassen. John Crowe Ransom beginnt sein Kapitel in The New Criticism (1941): »Eine Erörterung der neuen Kritik muß mit Mr. Richards anfangen. Die neue Kritik beginnt ziemlich genau mit ihm«. Stanley Hyman wiederholt in The Armed Vision (1948) den Anspruch, daß Richards »die moderne Kritik buchstäblich begründet hat«. Ich habe daher seine Bücher noch einmal gelesen und zum erstenmal auch einige seiner verstreuten frühen Aufsätze und einige spätere Aussprüche. Ich las ein umfangreiches Werk von W. H. N. Hotopf, Language, Thought and Comprehension: A Case Study of the Writings of I. A. Richards (1965), und ein ausgezeichnetes Buch von Jerome Schiller, I. A. Richards' Theory of Literature (1969). Ich hoffe, man verdächtigt mich nicht - wie Richards seine Kritiker verdächtigt -, seine Bücher nicht gelesen zu haben (SI, 44). Daher werde ich Richards' »traurige Überzeugung« nicht bestätigen, daß man durch die Widerlegung seiner Meinung zu beschäftigt ist, um die Meinung selber noch zu verstehen (76). Zunächst einmal weist Richards die Ansicht zurück, daß es eine »spezielle ästhetische Erscheinungsform oder einen ästhetischen Zustand« oder »ästhetische Gefühle« gibt (PLC, n, 15): »Wenn wir ein Bild betrachten, ein Gedicht lesen oder Musik hören, so ist dies nichts grundsätzlich anderes, als wenn wir ins Museum gehen oder uns morgens anziehen« (16). Etwas abstrakter formuliert er: »Die Welt der Dichtung hat keineswegs eine andere Realität als die restliche Welt, und sie hat keine Sondergesetze und keine außerweltlichen Besonderheiten« (78). Doch diese Aufhebung des Unterschiedes zwischen Kunst und Leben, zwischen unterschiedlichen Verhaltensweisen - Bilder betrachten, Musik hören, ins Museum gehen oder, um diese Reihe fortzusetzen, frühstücken, rechnen usw. - kann den Ästhetiker nicht befriedigen, der auf die eine oder andere Weise nach einer Definition der Besonderheit von Kunst trachten muß. Richards erkennt dieses Problem. Er versucht sich an einer Definition des Unterschiedes zwischen gewöhnlichen Erfahrungen und denen der Kunst; die ästhetischen Erfahrungen schreibt er einer größeren Zahl von Impulsen zu, »die miteinander koordiniert werden müssen« (no). Anschließend gelangt er zu seiner berühmten Definition der Wirkung von Kunst: »die Herauslösung, die wechselseitige Belebung und die Ausbalancierung der Impulse« (113). Impuls ist ein umfassender Begriff, der die Stimuli einschließt, die in uns Einstellungen hervorrufen, »bewußte Aktivitäten oder Handlungstendenzen« (112). Richards' Theorie ist so eine Wiederaufnahme der affektiven Kunsttheorie, die auf Aristoteles' Katharsis zurückgeführt werden kann und ihre unmittelbaren Vorläufer in der Tradition der psychologischen Ästhetik in Deutschland und den Vereinigten Staaten findet. Genau Richards' Vokabular findet sich in Ethel D. Puffers Psychology of Beauty (1905), wo vom »Gleichgewicht der Impulse« die Rede ist, und in Wilbur M. Urbans Valuation (1909), wo die »Balance der
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Impulse« innerhalb einer Wertetheorie erörtert wird. Richards' Begriff für Ruhe und Harmonie, coenaesthesis, stammt aus James Wards Psychological Principles. Ward war Professor in Cambridge, als Richards dort studierte. Schließlich ist die Beziehung zu der gesamten umfangreichen Literatur über »Einfühlung« (Lipps, Vernon Lee, u. a.) offensichtlich; diese wiederum geht zurück auf Dilthey, Robert Vischer, Fechner und Lotze. Bei Dilthey - oder eher einer Phase in seinem Schaffen - ist die Vorwegnahme von Richards' Theorie besonders auffällig, obwohl es unwahrscheinlich ist, daß Richards diese Texte gekannt hat. Hugo Münsterberg, dem sich Ethel Puffer weitgehend verpflichtet fühlt, ist wahrscheinlich ein Zwischenglied. Welches seine genauen Vorbilder auch gewesen sein mögen: In jedem Fall ist Richards' zentrale psychologische Theorie nicht originär. Ihre Bedeutung beruht darauf, daß er sie für eine moderne Verteidigung der Dichtung benutzte und in der Lage war, sie konkreter auf die Literaturkritik zu beziehen als irgendeiner seiner Vorläufer. Diese blieben alle Psychologen im weiteren Sinne oder abstrakte Philosophen oder vermischten ihre Ästhetik mit sentimentaler Rhetorik (wie Ethel Puffer). Aber war Richards je in der Lage, diese Balance der Impulse in ihrer Beziehung klarer zu beschreiben? Ich bezweifle es. Der einzige Versuch einer Beschreibung dieses Prozesses ist eine merkwürdige Neufassung der Aristotelischen Katharsis: »Mitleid, der Impuls näherzutreten, und Schrecken, der Impuls zurückzuweichen, werden in der Tragödie miteinander versöhnt« (PLC, 245). Dies scheint ein völliges Mißverständnis von Mitleid und Schrecken zu sein, ganz zu schweigen von ihrer Reinigung. Diese Formulierung kann nur als Metapher aufgefaßt werden für den Anspruch, den Richards für die Wirkung der Dichtung geltend macht: Sie ordnet unser Bewußtsein (C7, 3227), sie bringt es in eine höhere Ordnung und macht uns so glücklicher und gesünder. In Formulierungen, die allen Verteidigern der Kunst - vor allem Wordsworth und Shelley - bekannt sind, teilt Richards uns mit, daß »die Bewußtseinserweiterung, die Erweiterung der Sphäre der menschlichen Sensibilität, durch Dichtung bewirkt wird« (PLC, 67); daß Dichtung uns einen Schock versetze, »wenn wir die neue lebendige Gestalt unserer Umwelt entdecken« (PC, 254); daß Dichtung »durch ihren engen Kontakt zur Realität... eine mächtige Waffe zur Vernichtung unwirklicher Ideen wird« (251) oder daß »sie unser Bewußtsein ausdehnt«.4 Dies sind alles vertretbare und vernünftige Ansprüche. Doch dann behauptet Richards in übertriebenen Formulierungen, daß Dichtung »ein erfüllteres und vollständigeres Leben leichter mache«5 und daß »sie unser Bewußtsein erneuert und mit diesem auch unsere Welt« (C/, 229). Er bedauert, daß »nicht ein Zehntel der Kraft der Dichtung für das allgemeine Wohl frei-
4. How to Read a Page (1942), 15. 5. »The God of Dostoevsky«, Forum 78 (1927): 97.
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gesetzt wird, ja nicht einmal ein Tausendstel« (PC, 321). In einer späten Vorlesung, »The Future of Poetry« (1960), bekennt sich Richards zu Shelleys Anmaßung, daß »die Dichter die heimlichen Gesetzgeber der Welt seien« (Screens, 106), und schilt mich wegen meines Ausspruches, »es sei heutzutage unbezweifelbar, daß diese Art von Dichtungsapologetik ihren eigenen Zweck vernichtet« (Diese History, 2:125). Aber Richards versucht nicht, meine Argumentation der beiden Folgesätze zu widerlegen, die er nicht einmal zitiert: »Die Dichtung verliert ihre Identität völlig in einer losen Verbindung mit Philosophie, Moral und Kunst. Was man allen drei Bereichen zusammen zuschreiben kann, oder auch nur einem von den beiden übrigen, wird man nicht ernsthaft allein der Dichtung zugute halten.« Genau dies gilt auch für Richards' eigene Dichtungsverteidigung. Dichtung ist für Richards »in der Lage, uns zu retten«; sie »ist ein völlig legitimes Mittel, das Chaos zu überwinden« (SP, 95), weil die Dichtung bei Richards, Shelley und der neuplatonischen Tradition mit Mythos und Religion gleichgesetzt wird. Bei Richards spricht man allerdings treffender von einem Mythos, der seines alten Anspruchs auf Wahrheit und Religion beraubt wurde und keine Offenbarung, Lehre, biblische Geschichte oder irgendeinen Anspruch auf Erkenntnis mehr besitzt. So wird Matthew Arnolds Hoffnung auf die Dichtung durch Richards wieder erneuert: »Dichtung wird die Bedeutung von Philosophie und Religion ersetzen« (Essays in Criticism, z. Serie [1888], 2). Es erscheint kaum nötig zu sagen, daß dies ein unmögliches und unerwünschtes Ziel ist: Die Menschen werden ihre Philosophien, Ideologien und Religionen nicht für etwas aufgeben, was auch nur entfernt an Dichtung in irgendeiner ihrer bekannten Formen erinnert. Sachlicher verteidigt Richards den Wert der Dichtung mit dem Vorschlag, die Funktionen von Dichtung auf die anderen menschlichen Aktivitäten zu übertragen. Die Pflege der Dichtung ist eine Schule der Sensibilität. Beschränktheit in dichterischen Sachverhalten impliziert mangelndes Empfindungsvermögen. Schlechter Geschmack in der Dichtung wirkt sich ungünstig auf unsere Gesamtpersönlichkeit aus: »Eine allgemeine Gefühllosigkeit gegenüber Dichtung zeugt von einem niedrigen Standard lebendiger Phantasie« (PC, 320). Doch Richards selber räumt ein, daß »jemand, der töricht ist in bezug auf die Dichtung«, nicht töricht im Hinblick auf das Leben sein muß (319). Und wenn die Torheit auf den Intellekt begrenzt ist, so fragt er an anderer Stelle pointiert: »Wie aufrichtig kann jemand versichern, daß Studenten der Geisteswissenschaften im allgemeinen besser als andere Menschen sind?« (SI, 98). Die beiden Argumente sind nur plausibel, wenn wir die bildende Funktion der Dichtung in ihrem weitesten und höchsten Sinne verstehen, so daß sie die Mythologie Homers, die Theologie Dantes, die Ethik Shakespeares einschließt, und wenn wir uns auf den Langzeiteffekt im sozialen Bereich konzentrieren. Man kann dies kaum beweisen oder analysieren, aber man kann es unmöglich isolieren. Wenn wir an die Dichter denken, so gibt es hinreichende Beweise, daß Richards' Auffassung von Dichtung
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als ordnender Kraft und Schöpferin des vollkommenen Menschen falsch ist. Es gab Verrückte, Selbstmörder, Schufte und viele entsetzlich unglückliche und verwirrte Menschen, selbst unter den größten Dichtern. Richards gelangt zu einer so außerordentlichen Hoffnung für die Dichtung, weil er eine optimistische, individualistische Auffassung vom Menschen und seinen Idealen vertritt. Sein Ziel sind das gesunde Bewußtsein und die freie Anordnung der Dinge, für die »Konflikte zwischen unterschiedlichen Impulsen das größte Übel ist« (SP, 42): »Der Mensch ist kein Ding, das - wie freundlich und wohlwollend auch immer - herumgestoßen wird. Er ist ein Geist, der lernt. . . von der Freiheit, die zu seinem Wesen gehört, Gebrauch zu machen« (57,63). Es gibt nach Richards keinen Konflikt zwischen diesem Individualismus und der Sorge um die Menschheit: Er nennt sich selber einen Pädagogen, und alle seine Interessen an Basic English (erfunden von C. K. Odgen, seinem engen Mitarbeiter), an den Vereinten Nationen usw. belegen seine Fürsorge für die Menschheit und ihr Wohlergehen. Aber dieses Wohlergehen wird ausgedrückt in utilitaristischen Begriffen mit wenig Empfinden für tragische Erfahrung oder historischen Sinn und mit nur geringem Interesse am Sozialkonflikt und gar keinem Interesse an allem, was transzendental genannt werden könnte. Dies hat alles offenbar wenig zu tun mit Literaturkritik. Doch die Hauptkonsequenz aus Richards' Betonung der schwer faßbaren Impulse, Neigungen und Einstellungen bestand darin, daß er zumindest in der Theorie vom Gegenstand der Kunst, dem Gedicht, abgeschnitten war. Der von ihm vertretene Psychologismus leugnet die objektive Struktur eines Kunstwerks: »Der gesamte Bewußtseinszustand, die mentale Kondition ist das Gedicht« (PC, 204). Darüber hinaus gibt es nichts. Schönheit besteht »nicht im physischen Objekt. Sie ist vielmehr ein Kennzeichnen einiger unserer Reaktionen auf das Objekt« (PLC, 164). Eine Statue »kann einen gewissen Bewußtseinszustand hervorrufen. Dieser Bewußtseinszustand ist das Entscheidende. Er gibt der Statue ihren Wert« (163). Dieses Thema der Subjektivität wird in bezug auf alle Aspekte des Gedichts entfaltet. Die Worte in der Dichtung sind »in ihrer Bedeutung frei«, »sie können miteinander herumtanzen, soviel sie wollen« (57,150). Daraus schließt Richards, daß die dichterische Sprache per definitionem zweideutig (oder besser mehrdeutig) sei, »liquide«, »geschmeidig«, »erfinderisch«. Sie ist daher für unterschiedliche und sogar konträre Interpretationen offen, wie Richards' Schüler William Empson es in Seven Types of Ambiguity vorführt in einem Maße, das Richards später offensichtlich »übertrieben« fand (57, 184). Was für die poetische Sprache gilt, hat ebenso für das Metrum Gültigkeit: »Das Metrum ist ein Teil der Selbstorganisation des Bewußtseins« (C7, 118). »Seine Wirkung besteht nicht darin, daß wir ein Muster in einem außerhalb unseres Bewußtseins liegenden Sachverhalt entdecken, sondern daß wir selber mit einem solchen Muster versehen werden« (PLC, 139). Bilder und Metaphern zwingen uns nicht zu einer bestimmten Vorstellung. Die Menschen sind sehr verschieden auf diesem Gebiet, und es gibt
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keinen Grund, warum sie einheitlich reagieren sollten. Die Tragödie ereignet sich ebenfalls in unserem Bewußtsein: Sie erfreut uns, doch ist dies kein Hinweis, daß alles mit der Welt in Ordnung ist oder daß es irgendwo und irgendwie eine Gerechtigkeit gibt; es ist vielmehr ein Hinweis darauf, daß in diesem Augenblick alles mit unserem Nervensystem in Ordnung ist (246). Die Vorstellung der romantischen Dichter von einem lebendigen Universum hat nichts zu tun mit der von der Wissenschaft erforschten Natur: Es ist eine reine Projektion des dichterischen Bewußtseins auf die Natur, ein animistischer Aberglaube (CI). Die Verbindung zum Kunstwerk ist völlig aufgelöst. Gelegentlich zieht Richards die logischen Konsequenzen. Der ausbalancierte Schwebezustand, der durch die Kunst erreicht wird, »kann genauso unverwechselbar erzielt werden durch einen Teppich, durch einen Krug oder durch eine Geste wie durch den Parthenon; er kann durch ein Epigramm genauso deutlich zustande kommen wie durch eine Sonate.. . Die Balance existiert nicht in der Struktur des stimulierenden Objekts, sie liegt vielmehr in der Reaktion darauf« (PLC, 248). Es ist daher »weniger wichtig, gute Dichtung zu mögen und schlechte abzulehnen, als in der Lage zu sein, beide Arten von Dichtung als Mittel zur Ordnung des Bewußtseins zu benutzen« (PC, 349). Diese Passagen rechtfertigen das Urteil, daß Dichtung für Richards zur Bewußtseinstherapie reduziert wird, zu einer harmlosen Droge, bei der die Art des Gegenstandes (ein Teppich, ein Krug, eine Geste) oder die Qualität des Gegenstandes (gute oder schlechte Dichtung) bedeutungslos werden. Die Tür zur völligen Anarchie in der Kritik steht offen, da der einzige Maßstab in dem Bedürfnis des Individuums liegt, das gute oder schlechte Gedichte, Krüge, Teppiche und Gesten benutzt, um geistige Gesundheit zu erzielen (PLC, 248). Man fragt sich, warum Menschen den Parthenon bauten, riesige Fresken malten, Sinfonien komponierten, lange Epen schrieben, wenn sie dieselben Ergebnisse hätten erzielen können durch die Herstellung von Krügen, Teppichen und am einfachsten von allem - durch Gesten. Vom Standpunkt der kritischen Theorie, die im allgemeinen nach Beurteilung streben sollte, kann man sich keine größere Verirrung und Bankrotterklärung vorstellen. Aus der Sicht der psychologischen Ästhetik ist es Richards gelungen, die Einheit in der Vielfalt, die Aussperrung des äußeren Gegenstandes und die beruhigende Genugtuung der ästhetischen Erfahrung auf unterschiedliche Weise zu beschreiben - alles Charakteristika, die in der traditionellen kantischen Ästhetik gut bekannt sind. Doch wer hat je den »sehr komplexen Verlauf der Nervenbahnen« beobachtet (135) oder weiß irgend etwas von »verzerrten Impulsen« oder »Zuckungen«, die von Stimuli verursacht werden (263), oder wäre in der Lage, diese Science Fiction-Gebilde auf konkrete Kunstwerke zu beziehen? Zum Glück ist dies nur ein Aspekt von Richards' Theorie. Die psychologische Beschreibung der ästhetischen Erfahrung ist verbunden mit einer Sprachtheorie, die in Richards' und Ogdens Buch Meaning of Meaning (1923) dargelegt wird. Sie brachte die neue Sprachskepsis und die dadurch be-
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wirkte Verwirrung auf den Punkt und analysierte die unterschiedlichen Aspekte der Wortbedeutung sehr genau. In Abgrenzung gegen die Linguisten und Philosophen, die sich mit dem Problem der Bedeutung befaßt hatten, dachten Richards und Ogden auch über die Bedeutung in der Dichtung und über den besonderen Status der dichterischen Sprache nach. Sie lösten das Problem durch eine einfache Unterscheidung: Es gibt »zwei völlig unterschiedliche Arten des Gebrauchs von Sprache, den referentiellen und den affektiven« (PLC, 261). Die Dichtung benutzt oder besser: ist affektive Sprache. Es sollte daher unmöglich sein, über Dichtung oder Religion zu sprechen, als ob diese in der Lage seien, Erkenntnisse zu liefern: »Ein Gedicht hat nichts zu tun mit begrenzter oder zielgerichteter Referenz. Es hat keine konkrete Aussage und soll auch keine konkrete Aussage haben« (MM, 158). Richards argumentiert, daß Wahrheit und Lehre keinen Platz in der Dichtung hätten und daß didaktische Dichtung notwendigerweise von geringem Wert sei (PLC, 75-76). Er teilt Tolstois Ansicht, daß Dichtung in der Vermittlung von Gefühlen bestehe. Dabei beschränkt er dies nicht - wie Tolstoi auf positive Gefühle, die die Verbrüderung der Menschen fördern. Dichtung ist für Richards radikal von Philosophie, Ideologie, Doktrin und anderen Arten von Erkenntnis getrennt. Beharrlich versucht Richards, das Problem des kognitiven Wertes von Dichtung mit seinem psychologischen Ansatz zu lösen. Er diskutiert die Frage des Glaubens. Dabei geht es darum, ob vom Leser zu verlangen sei, die vom Dichter vertretenen Lehren und Ideen zu glauben, und andererseits, ob ein Dichter ein Korpus von Ideen und Lehren haben oder vermitteln müsse. Mit Recht verneint er beide Fragen, doch er übersteigert das - berechtigte - Mißtrauen gegenüber intellektuellen Lehren in der Dichtung zur völligen Ablehnung jeder in ihr enthaltenen Weltanschauung. So verkündet er, daß wir die Dichtung aus der Verstrickung in den Glauben befreien müssen (SP, 96). Er behauptet, daß wir keinen Glauben benötigen, auch keinen haben müssen, wenn wir King Lear lesen wollen (72), und kritisiert Yeats' und D. H. Lawrences Eintreten für bestimmte Lehren, die er für archaisch und abergläubisch hält. Er hofft auf eine Dichtung ohne doktrinäre Bindung: Er meint, ein solches Gedicht in T. S. Eliots The Waste Land gefunden zu haben. In diesem Gedicht erreicht Eliot, wie Richards meint, eine völlige Trennung der Dichtung von jeglicher Glaubensrichtung (76A). Gelegentlich modifizierte Richards jedoch seine Position, indem er einen Unterschied zwischen emotionalem und intellektuellem Glauben einführte (PC, 278). Donnes Sonett »At the Round Earth's Imagined Corners« kann man »den vollen emotionalen Glauben« schenken, doch keinen intellektuellen (278); aber dies ist offensichtlich eine weniger wichtige Ansicht. Das Gedicht erfordert »für sein volles Verständnis einen echten Glauben an die Lehre« (272-73). Einige Passagen weiter wird von uns verlangt, Shakespeares »The Phoenix and the Turtle« »emotionalen Glauben« zu schenken (270). Einige Seiten später modifiziert Richards dies jedoch wieder und führt einleuchtend aus, eine Idee könne
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weder geglaubt noch abgelehnt, angezweifelt oder in Frage gestellt werden: »Sie ist einfach da« (275): »Die Frage nach Glauben oder Unglauben im intellektuellen Sinne stellt sich überhaupt nicht, wenn wir richtig lesen« (277). Die gesamte Verwirrung scheint sich aus Coleridges eindrucksvoller Wendung vom »freiwilligen Verzicht auf Unglauben« ergeben zu haben, eine Formel, die ursprünglich aus Moses Mendelssohns Erörterung der theatralischen Illusion stammt. Dort ist die Bedeutung klar: Man muß seinen alltäglichen Argwohn aufgeben, wenn man im Theater sitzt und Ereignisse in - sagen wir - Alexandria zur Zeit Antonius' und Kleopatras sieht; man kann sagen, daß sich dasselbe Problem beim Lesen ergibt. Wir dürfen nicht an Elfen, Drachen, Zentauren und dem Phönix zweifeln, obwohl schwer einsichtig ist, warum dies nötig ist für das Verständnis, den Genuß oder auch die Komposition eines Gedichtes über »The Phoenix and the Turtle«. Shakespeare kann sehr wohl gewußt haben, daß es einen solchen Vogel nicht gibt, und dennoch sein Gedicht geschrieben haben - genauso wie viele andere Dichter über Riesen und Feen, über Leda und Daphne schrieben, ohne an deren historische Existenz zu glauben. Es stimmt auch nicht, daß wir keinerlei Glauben für die Lektüre des King Lear mitbringen müßten. Zwar brauchen wir nicht an die historische Wahrheit der Handlung zu glauben, wohl aber müssen wir überzeugt sein von der Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht, Dankbarkeit und Undankbarkeit, Grausamkeit und Barmherzigkeit. Weder ist Eliots The Waste Land »von allen Glaubenssätzen getrennt«, noch erfordert die Dichtung von Yeats oder Lawrence den Glauben an die Mondphasen oder die dunklen Götter des Blutes, damit wir sie verstehen können. Die gesamte Theorie, die das - von Person zu Person unterschiedliche - psychologische Problem behandelt, bis zu welchem Grad Wirklichkeit und Wahrheit in der Dichtung enthalten sind, ist ein Versuch, die alte Frage nach der dichterischen Wahrheit zu lösen: die Beziehung von Dichtung zur Wirklichkeit, ihr Anspruch, Wissen zu vermitteln, den man nicht dadurch erledigen kann, daß man einfach die altmodischen Offenbarungstheorien ablehnt oder die Frage auf eine solche nach dem Grad der Glaubwürdigkeit oder dem Gefühl der Gewißheit begrenzt. Man kann sehr wohl eine entschieden weltliche Sicht von Dichtung vertreten, ohne die scharfe Trennung von Intellekt und Gefühl, Objekt und Subjekt von Richards zu übernehmen. Dieser Psychologismus wird derart auf die Spitze getrieben, daß Richards selber die Notwendigkeit erkannte, ihn durch den Rückgriff auf gewisse Maßstäbe zu überwinden. Einer findet sich in der Erörterung mangelnder Qualität in der Dichtung (CLC, 199ff.). Richards unterscheidet zwischen einer erfolglosen Mitteilung einer wertvollen Erfahrung (dargestellt an einem kleinen imagistischen Gedicht von H. D., »The Pool«) und einer erfolgreichen Mitteilung einer trivialen Erfahrung (illustriert durch ein Sonett von Ella Wheeler Wilcox). Doch in der Tat ist diese Unterscheidung, die Richards hier trifft, nicht verifizierbar: Wie kann man wissen, ob H. D.s Erfahrung irgendwelchen Wert hat oder welchen
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Wert für wen oder wann und warum diese Erfahrung nicht mitgeteilt wird, wenn das Gedicht unsere einzige Quelle für diese Erfahrung ist? Wie kann .jemand beweisen, daß Mrs. Wilcox' Gedicht den Bewußtseinszustand seiner Autorin »sehr genau reproduziert« (201)? In der Tat kritisiert Richards das Gedicht und den unterstellten Erfolg seiner Mitteilung gut: Die verwirrte Bildlichkeit, »der plumpe Rhythmus, leiernde Reim, die Augenfälligkeit der Beschreibung, die Trivialität des Schlusses« - alles feststellbare Merkmale des Textes, die nichts zu tun haben mit der angenommenen »Beruhigung des rastlosen Geistes«, die Mrs. Wilcox erreicht. Aus Richards Feststellungen kann man schließen, daß ein kritischer Leser verärgert und wütend über das Gedicht wäre und keineswegs jenes »Gleichgewicht der Impulse« erreichte, das Richards postuliert. Auch der zweite Versuch, über die psychische Ausgeglichenheit hinauszugelangen, ist nicht erfolgreicher. Richards unterscheidet vier Bedeutungen des Wortes Gedicht: i. Die Erfahrung des Künstlers, insoweit sie von Bedeutung ist. 2. Die Erfahrung eines qualifizierten Lesers, der keine Fehler macht. 3. Die mögliche Erfahrung eines idealen und perfekten Lesers. 4. Unsere eigene tatsächliche Erfahrung (PLC, 225). Richards lehnt die erste und vierte Definition ab, weil er erkennt, daß die Erfahrung des Künstlers einzigartig und unwiederholbar ist, und weil unsere eigene tatsächliche Erfahrung nicht der Maßstab für die Lektüre des Gedichts sein kann: Sie ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich und würde zu der Schlußfolgerung führen, daß es so viele Gedichte wie Leser gibt. Richards beschließt, »daß wir nicht eine einzelne Erfahrung als die des Gedichts verstehen können: Wir benötigen eine Gruppe von mehr oder weniger ähnlichen Erfahrungen«. Diese Gruppe wird aus allen durch die Wörter des Gedichts veranlaßten Erfahrungen gebildet, »die innerhalb gewisser Grenzen nicht von der ursprünglichen Erfahrung des Dichters abweichen« (226). Richards weiß allerdings nicht, wie wir diese Gruppe und die Grenzen der Abweichung von der Erfahrung des Dichters, die er selber als einzigartig bezeichnet, festlegen können. Die maßgebliche Erfahrung ist nach Richards die des Dichters, der sein vollendetes Werk betrachtet (227). In einer Anmerkung scheint Richards jedoch die Schwierigkeiten dieser Lösung einzugestehen: »Der Dichter könnte ohne Grund unzufrieden sein, Coleridge hielt z.B. Kubla Khan lediglich für eine psychologische Kuriosität ohne poetische Kraft und mag zu einem gewissen Grade recht gehabt haben. Wenn wir ihm darin nicht zustimmen, müßten wir wahrscheinlich seine Traumerfahrung als unseren Maßstab zugrunde legen« (227 A). Die Einschränkung »wahrscheinlich« zeigt, daß Richards mit seiner paradoxen Lösung selber nicht zufrieden war. Der Versuch, die Existenzweise eines Kunstwerks in der unzugänglichen Psyche eines Autors zu suchen - sei es beim Schaffensprozeß oder bei der Betrachtung des vollendeten Kunstwerkes oder sogar in der anarchischen Vielzahl der Leserreaktionen - führt zu absurden Schlußfolgerungen. Richards' Lösungsvorschlag ist unhaltbar, weil er auf zweifelhaften Lehrsätzen basiert. Er geht davon aus, daß das seelische Gleich-
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gewicht eines Lesers, der gute Dichtung liest, wertvoller ist als das seelische Gleichgewicht eines Menschen ohne Bildung und ohne Sinn für Poesie. Es bleibt unklar, warum eine komplexe Organisation von Impulsen besser sein sollte als eine weniger komplexe und wie ein System von Gleichgewichtszuständen zu einer Bewußtseinserweiterung beitragen kann. Es ist auch nicht klar, inwiefern Dichtung Mitteilung von spezifischen emotionalen Erfahrungen eines Autors ist und inwiefern die Lektüre eines Gedichts zu identischen oder sehr ähnlichen Erfahrungen bei uns führt. Richards verirrt sich in dem Labyrinth, das durch die Vorstellung der Aufrichtigkeit - ein Spezifikum der englischen Tradition der Literaturkritik - geschaffen wurde. Er erkennt zwar einige Schwierigkeiten, weil Geschmack und Ausbildung ihn argwöhnisch gegenüber dem »spontanen Überfluß mächtiger Gefühle« gemacht haben. Er sieht, daß die in einem Gedicht ausgedrückten Gefühle »keine tatsächlichen, persönlichen Gefühle des wirklichen Lebens sein müssen«; es können fiktive Gefühle sein (PC, 280). Er distanziert sich von der Auffassung, »Dichtung müsse aus dem Herzen kommen, d. h. der Dichter entlade sein Herz in Worte« (CI, 208). Er erkennt, daß Aufrichtigkeit mit Spontaneität verbunden ist, mit Rousseaus romantischer Fiktion vom natürlichen Menschen, doch er folgert dennoch: »Was immer es sein mag, es ist die Qualität, die wir in der Dichtung brauchen« (PC, 282). Aufrichtigkeit bleibt für ihn ein Kriterium ausgezeichneter Dichtung (298 A), aber er versucht, sie neu zu definieren, ihr eine besondere Bedeutung zu geben, für die er sich auf Passagen aus Konfuzius beruft, obgleich diese nicht sehr deutlich mit Richards' Gedanken und Vokabular in Verbindung stehen. Aufrichtigkeit, so erfahren wir schließlich, ist »nichts als der Wunsch nach Selbstvervollkommnung« (285), »Gehorsam gegenüber jener Tendenz, die in unserem Bewußtsein nach einer vollkommenen Ordnung strebt« (287). Es geht um den uns bereits bekannten Begriff des »geordneten Bewußtseins«: Ein Gedicht ist aufrichtig und daher wertvoll, wenn es uns hilft, »unser Bewußtsein zu ordnen«. Probehalber schlägt er »eine Art Technik oder Ritual zur Erhöhung der Aufrichtigkeit« vor (290). Dies besteht in einer Liste von Themen zur Meditation über Sachverhalte wie »die Einsamkeit des Menschen, Geburt und Tod, deren unerklärliche Singularität, die unvorstellbare Größe des Universums, die Situation des Menschen unter dem Aspekt der Zeit, die ungeheure Größe unserer Unwissenheit« (290). In den späteren Ausgaben verzichtete Richards auf den einführenden Ratschlag: »Setze dich ans Feuer, presse die Hände fest auf die geschlossenen Augen und denke nach mit möglichst großer Konzentration«. Eine säkulare Version von Loyolas Exerzitien wird vorgeschlagen. Dies veranlaßte Eliot zur Äußerung, daß Richards Emotionen zu bewahren versuche ohne den Glauben, in den sie historisch eingebunden seien.6 Doch
6.
The Use of Poetry and the Use of Criticism (1933), 135.
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Richards' Liste scheint solche Fragen zu enthalten, auf die Religionen ihre eigenen Antworten gegeben haben. Das Nachdenken darüber trägt jedoch nichts zur Beurteilung von Dichtung bei. Viele, die sich mit diesen Fragen qualifiziert beschäftigt haben, waren keine Dichter, und ebenso gibt es viele Dichter, die sich nicht mit diesen Fragen befaßt haben. Richards' metaphysisches Pathos, seine philosophische Neugier werden in solchen Passagen offenbar: Sie helfen jedoch der Literaturkritik nicht. Beide Eigenschaften stehen in merkwürdigem Kontrast zu seinem sonstigen Vertrauen in die Wissenschaft und zu dem Anspruch, den er mit seiner Kritik verbindet, eine Wissenschaft zu etablieren oder wenigstens vorzubereiten. Richards hat jedoch recht, wenn er sich dagegen verwahrt, als Behaviorist zu gelten (SI, 118). Sein Standpunkt ist eher der des britischen Empirismus: Seine Psychologie kommt von James Ward und G. F. Stout eher als von J. B. Watson. Dennoch finden sich in seinen frühen Schriften viele ehrerbietige Hinweise auf die Neurologic und ihren zukünftigen Fortschritt (PLC, i/o). Er macht es sich zum Beispiel bequem, indem er ein epistemologisches Problem in die »Dschungel der Neurologic« verbannt (120). Gelegentlich spricht er in rein biologischen Begriffen, setzt das Bewußtsein mit dem Nervensystem gleich (83) und nennt »geistige Vorgänge mit den nervlichen identisch« (84). Er entwirft sogar ein unsinniges Diagramm (226), das ein Auge darstellt und Nervenstränge, die in Zickzackkurven zu den Wörtern »Arkadia, Nacht, eine Wolke, Pan und der Mond« führen. Sogar in vielen späteren Aufsätzen wird eine Sammlung von Fehlinterpretationen als »von hoher Bedeutung für die Biologie« bezeichnet (SI, 182) und als »von medizinischem Interesse« angesehen (186). Der frühe Versuch, den Gedanken auf seine Ursache zu reduzieren, den Unterschied zwischen Bewußtsein und Verursachung abzuschaffen (PLC, 90), setzt eine erstaunlich naive Erkenntnistheorie voraus. Doch in demselben Buch - das dürfen wir nicht vergessen - gesteht Richards zu, daß »die Beziehung zwischen dem Bewußtsein und seinem Inhalt« ein Geheimnis sei (89). Dennoch kann er sagen, er schreibe über Coleridge »wie ein Materialist, der die Äußerungen eines extremen Idealisten zu interpretieren versucht« (CI, 19). Er stimmt einem »metaphysischen Materialismus zu, der annimmt, daß der menschliche Geist lediglich aus bestimmten Funktionen des Körpers besteht« (60). Richards versteht seine Kritik als Wissenschaft, eine »neue Wissenschaft« (CI, 43): Seine Kritik trage durch Experimente zur Umwandlung der heutigen Literaturkritik in eine Wissenschaft bei (137). Dennoch hat er recht, wenn er den Vorwurf eines Szientismus im Sinne eines Glaubens an die Universalität der wissenschaftlichen Methode zurückweist (SI, 48). Dichtung im weiteren Sinne ist von der Wissenschaft ausgeschlossen, steht ihr entgegen; und die Verteidigung jener Dichtung - die sich nach Richards' Meinung wirklich wissenschaftlicher Methoden bedient - ist genau darauf gerichtet, eine speziell unwissenschaftliche Tätigkeit und deren Effekt abzugrenzen und zu bewahren. Die 18 Wellek, Literaturkritik 4/1
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dichterische Sprache ist emotional und damit ausgenommen vom wissenschaftlichen Maßstab der korrekten Referenz und objektiven Wahrheit. Andererseits hofft Richards trotz allem auf den letztlichen totalen Sieg der Wissenschaft. In einem späten Aufsatz von 1952 sagt er: »Wir müssen einen Weg finden, wodurch die Werturteile in die unbegrenzte Obhut der Wissenschaft gestellt werden« (145). »Das Faktum würde den Wert bestimmen, wenn die Beschreibung umfassend genug wäre« (16). Mit der Zeit wird die Wissenschaft so anwachsen, daß sie die Bedürfnisse, die jetzt von der Religion wahrgenommen werden, übernehmen wird. Dies würde allerdings beträchtliche Veränderungen in den Gesetzen der wissenschaftlichen Evidenz erfordern (143). In seinen späteren Schriften hat Richards die neurologische Terminologie abgelegt und hat Begriffe aus der neuen Informationstheorie übernommen: »feedforward« und »feedback« (SI, 27), »message«, »signal«, »encoding« und »decoding«. In einem Diagramm wiederholt er sein semantisches Schema in dem neuen Vokabular. Doch schließlich erkennt er, daß die Informationstheorie dem ältesten aller Irrtümer verfällt, den er als »die gesamte Verpackungstheorie« bezeichnet - die Vorstellung, daß der Dichter seine Erfahrung »in ein adrettes und elegantes Wortpaket« einwickelt (Screens, 124). Dies alles sind Versuche, die Kluft zwischen den beiden Geistesregionen zu überbrücken: Gemeinhin vertritt Richards die Ansicht, daß es zumindest in unserer Zeit zwei getrennte Bereiche gebe, den der Wissenschaft und den der Dichtung, des Mythos und der Religion. Während er die fundamentale Dichotomic aufrecht erhält, versucht er doch etwas zu finden, das den Abgrund überbrücken könnte. In dem Buch über Coleridge nannte er die Wissenschaft einen Mythos: »Alle Sichtweisen der Natur müssen als Projektionen des Bewußtseins verstanden werden, und die Religionen, genau wie die Wissenschaft, zählen zu den Mythen« (CI, 177). Doch der Mythos der Wissenschaft hat einen speziellen Status. Er hat den uneingeschränkten Anspruch auf unsere äußere Handlung, zum Beispiel, einem Auto auszuweichen (178). Viel später bestätigt er: »Ich vertrete immer noch die Ansicht, daß die Wissenschaft wahr ist, d. h. daß sie nachprüfbare Dinge behauptet« (Sf, 55). Es muß uns merkwürdig erscheinen, wenn »das Ausweichen vor Autos« als Wissenschaft gilt! Der Begriff Mythos enthält keine Abwertung und keinen Gegensatz (56). Alle kognitiven und symbolischen Aktivitäten des Menschen werden als Mythen betrachtet - eine Ausweitung des Begriffs, die uns nicht empfehlenswert erscheint. Doch andererseits besteht Richards darauf, »der Wissenschaft nicht die Weltherrschaft zu übertragen« (55); es gebe nur Regeln wissenschaftlichen Verhaltens, jedoch keine Konfession und keinen Verwaltungssitz, keine letzte Berufungsinstanz und kein Zentrum der Autorität für die Wissenschaft (177). Langsam hatte Richards die ursprüngliche linguistische Unterscheidung zwischen referentieller und emotionaler Sprache modifiziert, so daß eine gewisse Überschneidung entstand. 1946 entwarf er eine Tabelle der Funktionen von Wissenschaft und Dichtung, auf der dieselben Funktionen auf
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beiden Seiten, jedoch mit unterschiedlichen Bedeutungen, erscheinen. »Bezeichnen und charakterisieren« erscheinen auf Seiten der Dichtung wie auch auf seiten der Wissenschaft. »Anerkennen« und »beeinflussen« heißt dies auf der Seite der Wissenschaft; dieselbe Funktion der Dichtung wird jetzt »bemerken« genannt (Yale Review 39 [1946] :no). Doch die Anerkennung der kognitiven Funktion der Dichtung wird merkwürdig verschlüsselt durch die Fiktion eines Gegensatzes zwischen »the troth of poetry« und »the truth of science« ausgedrückt. Das Wort »troth« scheint auf Bacon zurückzugehen, der ein spanisches Sprichwort zitiert: »Tell a lie to find a troth«. Richards hat möglicherweise Bacons Zitat aus Eneas Sweetland Dallas' Gay Science 2 (1866): 214, einem heute fast vergessenen viktorianischen Buch über Kritik. Diese Vokabel ist ein ungeschickter Versuch, den früheren Begriff »Pseudofeststellung« zu ersetzen, weil er - wie Richards sich beklagt - falsch verstanden wurde als »falsche Feststellung« . Dabei sollte er nur besagen, daß poetische Feststellungen überhaupt keine Feststellungen und daher auch weder wahr noch falsch seien und keinen assertorischen Zuschnitt hätten. Sie sind das, was Meinong mit »Annahme«, Vaihinger mit »als ob« und Bentham mit »Fiktionen« bezeichnet. Richards' Mitarbeiter C. K. Ogden hatte Bentham gelesen. »Troths« sind »Einbildungen«, »Entschlüsse«, »Bindungen« und »Überzeugungen«. In ihnen erreichen wir die Kontrolle über das Milieu und uns selber (177-78). Sie ordnen unser Bewußtsein. Der Begriff enthält Richards' These in neuer Formulierung. Wenn auch die Dichtung keinen Wahrheitswert hat, so hat sie doch einen Lebenswert für ein gutes, geordnetes Leben. Dichtung hat jedoch für Richards viele Bedeutungen. Im weitesten Sinn bezeichnet sie alle Werturteile, Religionen, Verpflichtungen, Glaubenssätze, aber verwirrenderweise auch eine bestimmte Sorte von Dichtung. In Richards' Verteidigung der Dichtung wird nicht ganz klar, ob er nicht eher das Studium der Dichtung oder sogar nur den Gebrauch emotionaler Sprache meint. Richards nimmt wohl an, daß sich seine Theorie auf alle Formen und Arten imaginativen Schreibens bezieht. In einigen Passagen führt er Prosaschriftsteller wie Henry James, Bunyan, Defoe und Swift gleichberechtigt mit Dichtern an (PLC, zu, 213). In frühen Jahren schrieb er über Dostojewski und E. M. Forster. Doch weder ist er an Gattungsfragen besonders interessiert, noch befaßt er sich mit historischen Typen, Bewegungen oder Traditionen. In der Praxis liegt sein Schwerpunkt auf der Analyse von lyrischer Dichtung und auf den Versuchen, zwischen englischen Gedichten und Dichtern Vergleiche anzustellen. Es erscheint als Paradoxon von Richards' Werk, daß er hier den psychologischen Jargon über »geistiges Gleichgewicht« und »Anordnen von Impulsen« und solche Metaphern des Bewußtseins wie »ein Arrangement von vielen magnetischen Nadeln« außer acht lassen kann und dennoch Gedichte als Gegenstände, die der Untersuchung offenstehen, analysieren kann (SP, 24). Es wird zwar nirgendwo klar ausgedrückt, doch Richards nimmt an, daß wir uns in die
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Gegenstände hineinfühlen (entsprechend der Einfühlungstheorie), daß wir in ihnen nicht einfach Stimuli unserer Wünsche und Bedürfnisse nach Ordnung sehen, sondern uns den Eindrücken unterwerfen, die wir in der richtigen Weise und unverstellt auffassen müssen. Sogar das merkwürdige Diagramm mit den Nerven in Schlangenlinien kann als eine ergiebige Analyse der unterschiedlichen Ebenen eines Gedichts verstanden werden: i. Die gedruckten Wörter; 2. die vorgestellten oder ausgesprochenen Laute, die Richards aus unerfindlichen Gründen Bilder nennt; 3. die relativ freien Bilder, d.h. die von den Worten evozierten visuellen Vorstellungen; 4. Bezüge; 5. Gefühle; 6. affektiv-willensmäßige Haltungen. Richards ist besonders überzeugend, wenn er gegen die Trennung von Klang und Bedeutung, Metrum und Sinn argumentiert. Seine Beispielstrophe aus Unsinnswörtern, die entsprechend dem Muster von Miltons »Ode on Christ's Nativity« angeordnet sind, ist eine überzeugende Demonstration, daß »das Metrum nicht ohne den Sinn und das Gefühl der Wörter beurteilt werden kann« (PC, 232). Bei der Analyse der Metapher greift Richards mit einleuchtenden Argumenten die Auffassung an, Metaphern müßten konkrete bildliche Vorstellungen sein. Metaphern, so argumentiert er, konstituieren Bedeutungen und sind ein verbales Mittel. Tenor und Vehiculum (zwei von Richards eingeführte Begriffe, um die Zweideutigkeit von »Bild« (image) zu vermeiden) interagieren und können nicht auf ihre Ähnlichkeiten begrenzt werden: »Die Unterschiede zwischen Tenor und Vehiculum >sind< genauso bedeutungsvoll wie ihre Ähnlichkeiten« (PR, 127). Auch Coleridges Unterscheidung zwischen imagination und fancy erweist sich in Richards' Interpretation eher als eine Typologie der Metapher denn als Unterscheidung zwischen Fähigkeiten des Geistes. Es geht zunächst um die witzige Metapher, bei der es nur einen Kontaktpunkt zwischen Tenor und Vehiculum gibt wie in Samuel Butlers Zeilen: »Und wie ein gekochter Hummer wandelte sich der Morgen von schwarz zu rot«. Sodann gibt es die imaginative Metapher, wie sie sich in Coleridges Lieblingszeile aus Venus and Adonis findet: »Schau, wie ein heller Stern vom Himmel fällt: So gleitet er nachts aus Venus' Auge«. Hier ist es möglich, mehr und mehr Querverbindungen zwischen den Bedeutungen festzustellen. Auf den Kontrast zwischen beiden Arten der Metapher kommt es an. Coleridges Unterscheidung zwischen einer »esemplastischen« Imagination und einer assoziativen Phantasie wird von Richards benutzt, um eine seiner Ansicht nach rein deskriptive Auffassung von Metaphern zu entwickeln. Obwohl er meint, daß Coleridges Unterscheidung immer noch gültig ist, reduziert Richards sie doch zu einem quantitativen Unterschied: »Die Anzahl der Beziehungen« entscheidet darüber, was Imagination und was Phantasie ist, und wahrscheinlich sogar über den Grad der Imagination (CI, 83). Doch die Konsequenzen aus dieser Interpretation werden nicht gezogen. Richards bevorzugt tatsächlich phantasievolle, witzige, barocke Metaphern. Dieser Geschmack wird durch eine weitere von ihm entworfene Typologie gestützt: Die Unterscheidung zwischen ausschließender und einschließender
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Dichtung - diese Begriffe stammen von Santayana.7 Bei Richards bedeutet »ausschließend« die Begrenzung auf eine bestimmte Stimmung oder ein definitives Gefühl (PLC, 249), während »einschließend« komplexe Dichtung meint und »Heterogenität«, »Rivalität und Konflikt« zwischen den Gefühlen erlaubt. Eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen, die Richards nicht besonders betont, wurde für Cleanth Brooks' Theorie wesentlich: der Nachweis von Ironie. Exklusive oder einfache Dichtung hält einer ironischen Betrachtung »nicht stand« (250). Trotz seines psychologischen Vokabulars über Impulse, Haltungen und Neigungen regte Richards die Analyse dichterischer Texte hinsichtlich der Interaktion von Wörtern und der Funktion der Bildlichkeit an. Daraus resultiert seine Bedeutung für den New Criticism, der jedoch trotz des beibehaltenen psychologischen Vokabulars wenig Interesse an Richards' psychologischen Spekulationen zeigte. Richards' Practical Criticism (1929) war sein bedeutendstes und einflußreichstes Werk. Man kann es leicht negativ kritisieren, wenn man es entsprechend seinem Anspruch als wissenschaftliches Experiment beurteilt. Es findet sich wenig objektive Methodik darin: Weder findet quantitative Analyse statt, noch gibt es eine richtige Methode der Fragebogenformulierung, noch findet sich irgendein anderer Schutz vor der hemmungslosen Prahlerei der Versuchspersonen. Vor der Verulkung durch die Studenten war Richards nicht sicher. Trotz der unkontrollierten Dokumentation gelingt es ihm, die Quellen der Fehlinterpretation zu untersuchen. Überzeugend stellt er die Orientierungslosigkeit der Studenten dar, wenn sie ohne Angabe des Autors, ohne Kenntnis seiner Bedeutung und ohne seine Verankerung in der Geschichte auskommen müssen. Die detaillierte Klassifizierung der Ursachen für das Fehlverständnis ist teilweise redundant; einige der Gruppierungen könnten daher zusammengelegt werden, doch aufs Ganze gesehen ist das Schema überzeugend. Eine unmißverständliche Bedeutung der Dichtung herauszustellen, erwies sich als die erste und größte Schwierigkeit bei der Interpretation. Mangelnde Wahrnehmungsfähigkeit (z.B. der falsch eingeschätzte Rhythmus eines Gedichtes) ist die zweite Quelle der Fehldeutung. Mißverständnis der metaphorischen Sprache ist die dritte Quelle. Die vierte besteht in dem Mißverständnis, das durch irrtümliche persönliche Assoziationen bewirkt wird. Die fünfte ist die Falle stereotyper Reaktionen, die sechste Sentimentalität, die siebte Unentschlossenheit, »Härte des Herzens«, und die achte das Einwirken doktrinärer Vorbehalte religiöser, politischer und philosophischer Art. Die neunte besteht aus Vorurteilen über poetische Technik, wie zum Beispiel die Erfordernisse des reinen Reimes. Die zehnte Quelle der Fehlinterpretation besteht schließlich in kritischen Vorurteilen und Voraussetzungen über das Wesen der Dichtung.
7. Sense of Beauty (1896), 235.
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Möglicherweise könnte man diese Unterscheidungen neu klassifizieren, indem man sie entweder als Abweichungen in das zu Allgemeine, Konventionelle und Triviale (für das Richards den Ausdruck »stereotype Reaktionen« benutzt) oder als Abweichungen in das zu Individuelle, das willkürlich Persönliche bezeichnet. Die Ausführungen zielen insgesamt auf etwas, dem Richards' Theorie bisher ausgewichen war: die Korrektheit und Gültigkeit einer bestimmten Interpretation, die Objektivität einer vom Gedicht vorgegebenen bestimmten Struktur. Richards muß annehmen, daß einige oder viele der Interpretationen seiner Studenten völlig falsch sind und daß viele Beurteilungen und Einordnungen bezüglich ihrer ästhetischen Qualität falsch sind, seine eigenen Interpretationen und die seiner Anhänger richtig sind. Warum sind einige der Gedichte gut, andere definitiv schlecht? Mit dem Hinweis auf die »Balance« seiner Studenten oder deren geistige Bedürfnisse kann er das nicht beweisen. Er kann es allerdings durch den Hinweis auf den Text beweisen, durch den Hinweis auf eine ungeordnete Bildlichkeit, einen einförmigen Rhythmus und ein triviales oder sentimentales Thema. In einer Ergänzung zu Practical Criticism, »Fifteen Lines from Landor« (1933), greift Richards das Problem der korrekten Interpretation zum erstenmal systematisch auf. Er wiederholt seinen Glauben an die subjektive Evidenz: »Das Urteil, das sich vorgeblich auf das Gedicht bezieht, bezieht sich in Wirklichkeit auf dessen Leser«. - »Eine Aussage über ein Gedicht... sagt uns in Wirklichkeit, wie es unter gewissen geistigen Bedingungen gelesen wird«. Dann gibt Richards zu: »Es scheint, als ob in dieser Sicht der Dinge die Unterscheidung zwischen guter und schlechter Interpretation aufgehoben wird; damit kann man Interpretation in keiner Weise mehr als >richtig< bezeichnen«. Er meint jedoch, daß diese Ansicht falsch sei, und erörtert verschiedene mögliche Bedeutungen des Wortes »richtig«. Er entschließt sich im Endeffekt, daß der Beweis für die Richtigkeit einer Interpretation »ihre innere Stimmigkeit und ihre Übereinstimmung mit allen übrigen relevanten Daten« sei (SI, 195-96). Doch wie kann er auf dieser Grundlage eine Kohärenztheorie aufbauen? Er fährt fort: »Doch dies ist eine uneigentliche Sprechweise. Wir können statt dessen sagen, daß die innere und äußere Kohärenz die Richtigkeit ist. Wenn eine Interpretation zusammenhängend ist (und nicht zu Geschichte, literarischer Tradition etc. im Widerspruch steht), nennen wir sie korrekt - wenn sie alle gegebenen Fakten berücksichtigt und die übrigen Fakten in annehmbarer Weise zusammenstellt«. Doch was kann »annehmbar« in einer solchen Theorie bedeuten? Dahinter scheint sich ein Problem zu verbergen: »Möglicherweise haben wir die >richtige< Interpretation einer Passage nicht, möglicherweise werden wir sie auch nie haben, und wir würden sie, wenn wir sie hätten, nicht als solche erkennen; in dieser Hinsicht stimmt unsere Definition mit dem landläufigen Gebrauch des Wortes >korrekt< überein, der wahrscheinlich die Übereinstimmung mit der Absicht des Dichters
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meint« (196). In der für Richards charakteristischen Weise werden wir im Ungewissen gelassen. Wir werden verwiesen an ein unbekanntes und unzugängliches dichterisches Bewußtsein. Doch selbst dieser Hinweis erfolgt zögernd und durch »wahrscheinlich« eingeschränkt. Dennoch muß Richards sich der Frage nach der »Korrektheit« noch einmal stellen. Ohne Bedenken spricht er gelegentlich von einem »Irrtum« der Interpretation (SI, ) und von einem »Wunsch nach glaubwürdiger Interpretation« (PC, 242). In den frühen Schriften hatte Richards eine scharfe Trennung zwischen dem technischen und dem kritischen Teil eines Kunstwerks vorgenommen und dem technischen wenig Interesse beigemessen: Form, Einheit, Komposition, Ausdruck, Rhythmus, Betonung, Handlung, Charakter werden als Beispiele für Begriffe aufgeführt, die benutzt werden, als ob sie »Qualitäten bezeichnen, die den Dingen außerhalb des Bewußtseins zukommen« (PLC, 21). Doch es handelt sich hier nur um Bewußtseinszustände, Erfahrungen, die Richards als Stimuli, Haltungen und Ausgewogenheit bezeichnen kann. Dennoch gelangte er zu der Erkenntnis, daß es ein Problem der »Relevanz von Dichtung« (SI, 102), »des Fehlers, der unzulässigen Interpretation« gebe (Style, 242). Er gesteht jetzt zu, daß »ein Hinweisen auf hypothetische Ereignisse in Shakespeares Bewußtsein oder auf ebenso hypothetische Ereignisse im Bewußtsein irgendeines Lesers kein ... geeignetes Vorgehen ist«. Ohne Angabe von Gründen behauptet er sonderbarerweise, daß »ich solche Hinweise ohne Zögern für die Interpretation eines Dramas oder einer Predigt benutzen würde« (245). Er sucht dann nach einer Erklärung, warum ein offensichtliches Fehlverständnis eines Wortes in einem Shakespeare-Sonett falsch ist: Er beruft sich auf die Kenntnis des Shakespeare-Englisch und der Etymologie und vertritt allgemeiner »die übergreifende Relevanz, eine Kontrolle des Ganzen über die Teile« (249). Die Grenzen, die ein bestimmtes Sprachsystem jedem seiner Teile auferlegt, erkennt Richards jetzt, »erinnern sehr an solche, die eine Gesellschaft ihren einzelnen Mitgliedern, oder an solche, die ein Organismus seinen einzelnen Zellen auferlegt« (250). Diese Analogie ist in der romantischen Kritik sehr alt, doch bleibt sie bei Richards nicht nur Metapher, die das Gedicht mit dem Tier, dem Menschen, der Pflanze in Beziehung bringt, sondern wird darüber hinaus noch als Analogie der menschlichen Einheit von Geist und Körper verstanden. Einmal bezieht sich Richards sogar auf den »Zirkel des Verstehens«, der jeder Interpretationstheorie seit Schleiermacher bekannt ist. Die oberste Formel aller Interpretation besteht darin, daß wir zur Beurteilung der Teile nur über die Beurteilung des Ganzen gelangen. Die Umkehrung dieses Prozesses ist immer verhängnisvoll (PC, 40). Er entwickelt diese Erkenntnis jedoch nicht weiter, sondern bleibt bei der Organismusanalogie stehen, die meiner Meinung nach jedoch zu weiteren Irrtümern führt: Die Strukturen des Kunstwerkes werden verwischt, denn es ist keinesfalls ein lebender Organismus, sondern ein zusammenhängendes System von Zeichen, Normen und Werten.
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Das Organismuskonzept, die Parallelisierung von Gedicht und Mensch, liegt Richards' gesamten kritischen Maßstäben und Beurteilungen zugrunde. Er bezieht sich auf die alten Begriffe von Einheit und Harmonie, wenn er E. M. Forsters Howards End erörtert. Er lehnt den Konflikt zwischen dem »Überlebensthema«, der halbmystischen Beschäftigung mit der Generationsfolge, und der soziologischen These, »der Trennung von Sehenden und Handelnden«, ab.8 Dieser Konflikt »ist die Ursache, daß Howards End nicht als einer der größten Romane der Weltliteratur angesehen werden kann«. Das Kriterium der Harmonie wird so erweitert, daß es die Forderung nach Harmonie mit dem Zeitgeist einschließt. Wenn Richards Yeats und D. H. Lawrence erörtert, wendet er ein, daß sie »nicht in Einklang mit der allgemeinen Entwicklung« stünden - »eine Überlegung, die bei der Beurteilung dichterischer Qualität von größter Bedeutung ist« (PLC, 197). Andererseits wird T. S. Eliot gelobt, weil er im Trend der Zeit liege (i9/A). Alle drei Dichter werden dennoch als Spezialisten und nicht als Universalisten wie Shakespeare, der die menschliche Natur aller Zeiten anspricht, eingestuft. Richards lehnt den Historismus ab, weil dieser versucht, Dichter und Denker auf »sozio-ökonomiko-politische Produkte« und auf ihre angeblichen Ursprünge bei Freud und Marx zu reduzieren (SI, 82). Er ist überzeugt von der grundsätzlichen Einheit der Menschheit, dem Fortbestand der Tradition von Platon bis zur Gegenwart, der Übereinstimmung der entferntesten Kulturen, der chinesischen und englischen - und von der heilenden und zivilisierenden Kraft der Dichtung in Vergangenheit und Zukunft. Richards' große Überzeugung von der Kraft einer allgemeinen Sprach- und Dichtungstheorie ist zugleich mutig und donquichottisch. Von dieser Theorie erwartet er »neue Kräfte für unser Bewußtsein, die jenen vergleichbar sind, die die Forschungen der systematischen Physik uns über unsere Umwelt geben« (CI, 232). Nichts scheint auf eine solche Zukunft hinzuweisen. So lange Richards' Dichtungstheorie in seiner Psychologie befangen ist und mit dem simplen Begriff der affektiven Sprache arbeitet, scheint sie die Kritik in eine Sackgasse zu führen. Doch wo es ihm gelingt, Texte zu erörtern, Ursachen der Fehlinterpretation aufzulisten und einzelne Aspekte des Kunstwerks zu analysieren, fand Richards den Weg zur Organismustradition der Dichtungstheorie, wie sie von Aristoteles über die deutschen Kritiker bis zu Coleridge reicht. Wenn wir diese Aspekte betonen, bringen wir Richards in Verbindung zu bereits vorher bekannten Theorien. Wir leugnen damit gerade den Aspekt, der - wie übertrieben auch immer - die anregende Neuheit seiner Theorie ausmachte: die radikale Ablehnung der Ästhetik, die entschiedene Reduktion des Kunstwerks auf einen Bewußtseinszustand, die Verneinung des Wahrheitswertes von Dichtung und die Verteidigung
8. Forster: A Collection of Critical Essays, hg. v. M. Bradbury (1966), 19-20.
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von Dichtung als affektiver Sprache, die unser Bewußtsein ordnet und uns Ausgewogenheit und geistige Gesundheit vermittelt. Stanley Hyman sagt: »Richards hat sich vielleicht stärker als jeder andere seit Bacon als Universalwissenschaftler gesehen« (The Armed Vision, 315). Doch dies scheint völlig übertrieben. Im Gegenteil, Richards ist kein Bacon oder Hegel, nicht einmal ein Dilthey oder Croce, sondern ein Spezialist, der von einer zentralen Idee besessen ist, der Sprachkritik, die er auf viele Sachverhalte anwendet und in seinen Büchern darlegt: Basic English, How to Read a Page und Mencius on the Mind. Er ist keineswegs »der größte und wichtigste praktizierende Literaturkritiker« (ebd.). Es gibt keinen Grund, warum er den von ihm gewählten Interessenschwerpunkt hätte verlassen sollen; doch er hat nicht über zeitgenössische Literatur geschrieben, hat sich niemals um Literaturgeschichte oder die Charakterisierung eines individuellen Schriftstellers bemüht. Auch hat er keine Stilanalyse geschrieben. Man könnte argumentieren, Richards' mangelndes Interesse an einer Stilanalyse, wie sie auf dem Kontinent praktiziert wurde (von den russischen Formalisten, den tschechischen Strukturalisten und von deutschen Romanisten wie Leo Spitzer und Erich Auerbach), habe die Kluft zwischen der englischen und amerikanischen Kritik einerseits und den Entwicklungen auf dem Kontinent andererseits noch erweitert. Richards' wenige kritische Äußerungen zu Einzelwerken sind oft nachweislich falsch. Die Analyse von Hopkins' »Windhover« ist äußerst verdienstvoll als eine der ersten ernsthaften Erörterungen von Hopkins; sie gelangt jedoch zu einer falschen Sicht des Gedichts, weil sie die Anrede an Christus übersieht. Die Erörterung von The Waste Land wird durch den Text selber und durch Eliots spätere Entwicklung widerlegt. Die Hinweise auf »Kubla Khan« sind in keiner Weise stichhaltig. Der frühe Artikel über »The God of Dostoevsky« (Forum 78 [1927]: 97) interpretiert den Gedanken völlig falsch, wenn Richards folgert, daß Dostojewski den Glauben an eine Gottheit als »unwesentlich« ansehe. Doch dies ist nicht eigentlich wichtig: Richards' Anregungen für die englische und amerikanische Kritik (besonders Empson und Cleanth Brooks), indem er nachdrücklich auf die Frage der Sprache und deren Bedeutung und Funktion in der Dichtung hinwies, werden ihm immer einen Platz in der Geschichte der modernen Kritik sichern. AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE The Meaning of Meaning, mit C. K. Ogden (1923). Zitiert als MM. Principles of Literary Criticism (1924). Zitiert als PLC. Science and Poetry (1926). Zitiert als SP. Practical Criticism (1929). Zitiert als PC. Coleridge on Imagination (1934)· Zitiert als C7. The Philosophy of Rhetoric (1936). Zitiert als PR.
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Speculative Instruments (1955). Zitiert als SI. The Screens and Other Poems (1960). Zitiert als Screens. Style in Language, hg. v. Thomas E. Sebeok (1960). Zitiert als Style. J. C. Ransom. World's Body (1938). -. The New Criticism (1941). Stanley E. Hyman. The Armed Vision (1948). R. S. Crane. Critics and Criticism (1952.). E. Vivas. Creation and Discovery (1955). Murray Krieger. The New Apologists for Poetry (1956). R. J. Foster. The New Romantics (1962). W. H. N. Hotopf. Language, Thought, and Comprehension: A Case Study in the Writings of I. A. Richards (1965). Jerome P. Schiller. I. A. Richards's Theory of Literature (1969). John Paul Russo. »Richards and the Search for Critical Instruments«, in Twentieth Century Literature in Retrospect (1971), hg. v. Reuben Brower. Helen Vendler, Reuben Brower und John Hollander, Hg. /. A. Richards: Essays in His Honor (1973). Bibliographie von John Paul Russo. Murray Krieger. Poetic Presence and Illusion (1979). John Needham. The Completest Mode: I. A. Richards and the Continuity of English Literary Tradition (1982).
KAPITEL 8
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1963 erschien der Name F. R. Leavis in vielen amerikanischen Zeitungen. Die New York Times brachte sein Bild und eine empörte Reportage über eine Vorlesung im Downing College in Cambridge vom 28. 2. 1962, in der er Sir Charles Snow und dessen Broschüre The Two Cultures and the Scientific Revolution angegriffen hatte.1 Der heftige Ton in Leavis' Kritik und die Flut empörter Briefreaktionen in der britischen Presse erregten großes Aufsehen. Nur wenige Kommentatoren ergriffen für Leavis Partei: Soweit ich weiß, war es nur Lionel Trilling in seinem Artikel »Science, Literature and Culture: The Leavis-Snow Controversy«.2 Obwohl Trilling Leavis' beispiellose Heftigkeit beklagte, sah er doch, daß Leavis recht hatte, wenn er Sir Charles' Kontrast zwischen einer alten schlechten Literatur und einer neuen Wissenschaftskultur ablehnte. Dennoch schwächte Leavis seinen Standpunkt nicht nur durch die Schärfe seines Tones, sondern auch dadurch, daß er das eigentliche Thema der Kontroverse mit einer Denunziation der Qualität von Snows Romanen vermischte. Es stimmt allerdings nicht, daß es Leavis überhaupt nicht um Literatur ging. Er brandmarkte nicht nur die Lehre der »sozialen Hoffnung« Snows; er versuchte auch zu zeigen obwohl nur kurz und unklar -, daß Literaten wie Ruskin und Arnold sich mit der sozialen Frage beschäftigt hatten und daß phantasievolle Romanciers wie Conrad und Lawrence ein auf Selbstbewußtsein, Intelligenz und Verantwortung gegründetes Lebensideal vertraten, das dem von Charles Snow propagierten unkritischen Glauben an medizinischen und technologischen Fortschritt völlig unzugänglich war. Leider konzentriert sich Leavis auf die Art von Literaturun-
New York Times, 10. 3. 1962. Leavis' Vorlesung wurde veröffentlicht als »The Significance of G. P. Snow«, Spectator (1962): 297—303. Snows Pamphlet war seine RedeVorlesung, Cambridge, 1959. Leavis, in »A New Preface for the American Reader« für Two Cultures? The Significance of C. P. Snow, bezichtigt Trilling als »guilty of la trahison des clercs« (16) in überraschender und ungerechter Weise.
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terricht und Literaturkritik, wie sie in Cambridge vertreten wurde. Diese Art des Literaturunterrichts und der Literaturkritik sah er gefährdet durch die Verarbeitung der naturwissenschaftlichen Bildung und durch die akademische Wissenschaft und Kritik der andernorts herrschenden Lehrmeinungen. Mit 76 Jahren, am Ende seiner Lehrtätigkeit stehend, fürchtete Leavis um die Fortsetzung und den weiteren Einfluß seines Lebenswerks. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist Leavis jedoch nicht als repräsentativ für den Englischunterricht in Cambridge anzusehen. Vielmehr kämpfte er immer am Rande der Universität in Opposition zu der herrschenden Lehrmeinung. Fünf Jahre lang (1931-36) hatte er nicht einmal eine Professur. In E. M. Tillyards kleinem Buch, The Muse Unchained (1958), das »einen gründlichen Bericht über die Neuordnung der Englisch-Studien in Cambridge« liefern will, wird Leavis bewußt übergangen, obwohl seine Zeitschrift Scrutiny wegen ihrer Dogmatik und ihres autoritären Tones verurteilt wird (128-29). Trotz der offiziellen Mißachtung gelingt es Leavis in Downing College, ein einflußreiches Zentrum der englischen Literaturwissenschaft zu etablieren. Mit Hilfe kleiner, aber engagierter Gruppen von Schülern erlangte er generellen Einfluß auf die Ausbildung in englischer Literaturgeschichte. Die Zeitschrift Scrutiny, die einundzwanzig Jahre lang (1932-53) erschien, war wohl kein finanzieller Erfolg, war jedoch weit verbreitet und ein stark beachtetes Sprachrohr dieser Gruppe. Die Cambridge University Press druckte alle 19 Bände dieser Zeitschrift nach. In Amerika wurde man durch eine von Eric Bentley zusammengestellte Anthologie aus Scrutiny, The Importance of Scrutiny (1948), zuerst auf diese Gruppe aufmerksam. Paperback-Ausgaben von Leavis' Schriften finden sich in den abgelegensten College-Buchläden der Vereinigten Staaten. Die siebenbändige Literaturgeschichte, Pelican Guide to English Literature (1954-61), von einem der Leavis-Schüler, Boris Ford, herausgegeben, wurde sehr erfolgreich. Sie ist fast ausschließlich von früheren ScrwizVry-Beiträgern oder persönlichen Schülern von Leavis verfaßt worden; sie hält sich entsprechend sehr genau an Leavis' Ansichten. Eine ganze Reihe von Leavis' engsten Mitarbeitern haben einen akademischen Status oder zumindest Bedeutung als Kritiker erlangt. L. C. Knights ist zum Beispiel durch seine Schrift How Many Children Had Lady Macbeth? (1933), sein Buch Drama and Society in the Age ofjonson (1937), eine Sammlung von Essays, Explorations (1947), Some Shakespearean Themes (1959) und An Approach to Hamlet (1960) sehr bekannt geworden. Derek Traversi, ein Walliser trotz seines italienischen Namens, ist Autor zweier maßgeblicher Bücher über Shakespeare3 und ein weiterer Leavis-Schüler. Martin Turnells Bücher, The Classical Moment (1946), The Novel in France (1951), Baudelaire (1953) und The Art of French Fiction (1959) befassen sich mit Interpretationen moderner französischer Literatur. Ein amerika-
3. An Approach to Shakespeare (1938; Ndr. 1956) und Shakespeare: The Last Phase (1955).
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nischer Anhänger Leavis', Marius Bewley, hat zwei Bücher über die Tradition des amerikanischen Romans im 19. Jahrhundert geschrieben: The Complex Fate (1952) und The Eccentric Design (1959). Auch der Franzose Henri Fluchere, Verfasser von Shakespeare (1948; engl. Übers. 1953) und Laurence Sterne (1961), hat frühe Verbindungen mit Leavis gehabt und sympathisiert mit dessen Ansichten. Ich erwähne diese Fakten, denen man leicht weitere hinzufügen könnte, um klarzustellen, daß Leavis' eigene Überzeugung von seiner Erfolgslosigkeit und Isolation auf völlig unangebrachtes Selbstmitleid zurückzuführen ist. Zweifellos ist Leavis heftig angegriffen worden. Oft wurde er mit Schweigen und Verachtung gestraft oder als »kalter Intellektueller« abgetan. Leavis hat dies zum Teil durch sein Verhalten selbst verschuldet. Es wäre kindisch, wollte man in jedem Fall herausfinden, wer eine Kontroverse angefangen hat. Zweifellos stellte sich Leavis in Opposition zu den älteren akademischen Wissenschaftlern und betonte seine eigenen Unterschiede zu Eliot und zu der in England unter dem Namen »Christian Discrimination« bekannten Richtung. Er lehnte den Marxismus und dessen Verbündete durchgängig ab; und er sprach nur mit Verachtung von den literarischen Massenmedien: Times Literary Supplement, das Dritte Programm der BBC, die Sonntagszeitungen und die linken Wochenzeitungen. Absurderweise hat er auch seine Opposition zu den amerikanischen Neuen Kritikern und zu F. W. Bateson, Herausgeber der Konkurrenzzeitschrift Essays in Critcism, betont. Als Mensch war Leavis äußerst empfindlich, wenig flexibel in seinen Überzeugungen, war oftmals von Vorurteilen besessen, die er in polemischer Manier vertrat. Er war wenig diplomatisch, gelegentlich nicht einmal höflich. Er hätte zufrieden sein sollen, daß es ihm trotzdem gelang, zum einflußreichsten englischen Kritiker dieses Jahrhunderts - gleich nach Eliot - zu werden. Im Rahmen der offiziellen Lehrmeinung hat Leavis eine klar umrissene, wenn auch oft kritisierte Position inne. Die ersten Ansichten Leavis' waren eine Fortentwicklung von Eliots Erkenntnissen und Urteilen, modifiziert durch einige an Matthew Arnold erinnernde moralische und gesamtkulturelle Vorurteile. Leavis ist vom frühen Eliot stark beeinfluß (wie er selber zugibt).4 Sein erstes wichtiges Buch New Bearings in English Poetry (1932) kann als Darstellung, Entwicklung und Anwendung von Eliots Standpunkt beschrieben werden. Er beginnt mit einer scharfen Kritik an der viktorianischen und georgianischen Tradition; er kritisiert deren Vorstellungen des »Dichterischen«, deren Flucht in eine Traumwelt und deren Kontaktverlust zum Zeitgeist. Dies habe dazu geführt, daß die Dichtung in der modernen Welt lediglich noch Unterhaltungswert besitze. Wenn er die literarische Situation
NB, ix; CP, 280; und weniger positiv »T. S. Eliot's Stature as Critic«, Commentary 26 (1958): 399.
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zu Kriegsende beschreibt, bewertet Leavis nur den späten Yeats, einige Gedichte von Hardy und einige Passagen von Edward Thomas positiv. Scharfe Kritik übt er an Rupert Brooke, A. E. Housman und Robert Bridges. Bei seiner Darstellung von T. S. Eliot kommentiert er The Waste Land, Gerontion und AshWednesday scharfsinnig und einfühlsam. Das Kapitel über Pound fällt weniger positiv aus. Zwar bewundert Leavis High Selwyn Mauberley als großes Gedicht, hat jedoch Vorbehalte gegenüber den Cantos, die ihm weitgehend als »Spielerei« erscheinen - eine »ernste Spielerei, mit der Ernsthaftigkeit der Pedanterie« (NB, 155). Das Kapitel über Hopkins stellt eine der ersten positiven Kritiken über diesen Dichter dar. Es erscheint mir immer noch völlig überzeugend in seiner Betonung von Hopkins' Integrität und Neuheit; mich überzeugt das Bemühen, Hopkins nicht länger mit dem Viktorianismus im Zusammenhang zu sehen und auch nicht länger Hopkins metrische Theorie in den Vordergrund zu stellen. Leavis schließt: »Eine Technik, die so sehr mit der inneren Zerrissenheit und den psychologischen Sachverhalten im allgemeinen beschäftigt ist, hat eine besondere Bedeutung für die Probleme der zeitgenössischen Dichtung. Hopkins wird sich wahrscheinlich für unsere Zeit und für die Zukunft als einziger noch einflußreicher Dichter des Viktorianismus herausstellen« (193). In der Vorliebe für Hopkins unterscheidet sich Leavis von Eliot. Das letzte Kapitel zeigt aber auch Leavis' soziales Interesse, das sich auf Standardisierungsprozesse, auf die Massenproduktion und die Einebnung der Wertmaßstäbe in der Literatur bezieht. Dies wurden die Hauptthemen seiner Zeitschrift. Seine zweite kritische Arbeit, Revaluation (1936), kann als Anwendung von Eliots Methoden und Erkenntnissen auf die Geschichte der englischen Dichtung beschrieben werden. Es ist ein skizzenhafter erster Versuch - soweit mir bekannt ist -, die Geschichte der englischen Dichtung aus der Sicht des zwanzigsten Jahrhunderts neu zu schreiben. Spencer, Milton, Tennysson und die Präraffaeliten treten in den Hintergrund, Donne, Pope, Wordsworth und zum Teil Keats, Hopkins, der späte Yeats und T. S. Eliot treten stärker in den Vordergrund. Leavis befaßt sich stärker als Eliot mit dem Nachweis von Zusammenhängen: Mit Bezug auf das 17. Jahrhundert argumentiert er zum Beispiel, daß die geistige Linie von Ben Jonson und Donne über Carew und Marvell zu Pope verläuft. Das Kapitel über Pope stellt dessen Abstammung von den metaphysischen Dichtern heraus; bei Wordsworth wird die Affinität zur Eklogentradition des 18. Jahrhunderts hervorgehoben. Die Interessenschwerpunkte der einzelnen Kapitel sind ganz unterschiedlich. Das Buch setzt sich aus einzelnen Artikeln zusammen, die miteinander zusammenhängen, jedoch in ihrer Thematik stark differieren. Im Kapitel über Milton wird dessen metrische Form herausgestellt, dabei greift Leavis auf Eliot zurück; im Essay über Pope zeigt Leavis überzeugend, wie Pope, inspiriert von einer Idealvorstellung der Zivilisation, eine Verbindung von Kunst und Natur anstrebte und verlangte, daß die menschliche Kultur sich ihrer »Abstammung und Abhängigkeit von der Kultur des Bodens« bewußt bleiben
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müsse (R, 80). Ähnlich wird Wordsworth unter dem Aspekt seiner »Vernünftigkeit und Normalität« erörtert (174). Keats wird unter dem Aspekt seiner moralischen Reife und seiner »diszipliniert ertragenen tragischen Erfahrung« behandelt (272). Das einzige fast völlig negative Kapitel ist Shelley gewidmet, dessen Dichtung als »sich wiederholend, verschwommen, penetrant selbstbezogen und oft emotional billig« bezeichnet wird (IS, 39). Die grundsätzliche Übereinstimmung mit Eliots Maßstäben und mit Eliots Geschmack ist offensichtlich. Doch Eliots Interesse an Dryden teilt Leavis nicht. Sein Interesse richtet sich stärker auf Pope. Umgekehrt hat Eliot wenig Interesse an Wordsworth und Keats. Das dritte Buch, The Great Tradition (1948), ist dem englischen Roman gewidmet. Es enthält jedoch nur Aufsätze über George Eliot, Henry James und Joseph Conrad, die Einleitung rechtfertigt diese Auswahl aus der Tradition. Leavis wertet die Romanciers des 18. Jahrhunderts, Fielding und Sterne, ab5 und sieht Jane Austen als den Ursprung des englischen Romans an. Ihre Romane werden jedoch nicht detailliert erörtert - möglicherweise, weil Mrs. Leavis mehrere lange Artikel in Scrutiny über Jane Austen geschrieben hatte, die Leavis' Zustimmung gefunden hatten.6 Doch er untersucht Jane Austens Einfluß auf George Eliot und entsprechend auf James, der seinerseits von George Eliot beeinflußt war. Es bedarf keines besonderen Nachweises mehr, daß Conrad zum Teil von James beeinflußt wurde. Leavis weiß mit Thackeray nichts anzufangen; er nennt ihn einen »größeren Trollope«. Er lehnt Meredith ab; er kann sich nicht entschließen, Hardy als Romanschriftsteller von Rang anzuerkennen; er lehnt Emily Brontes Wuthering Heights als eine Art Zeitvertreib ab (GT, 27). Am überraschendsten ist der Ausschluß von Dickens, der für Leavis keinerlei ernstzunehmende Bedeutung zu haben scheint: »Daß Dickens eine große Begabung war und ständig bei den Klassikern genannt wird, ist gewiß. Doch seine Begabung ist die eines großen Unterhaltungskünstlers« (19). Absurderweise wählt Leavis das in der Forschung wenig beachtete Hard Times aus, um es positiv zu interpretieren; er greift dazu die großartigen Passagen dieses Buches heraus, obwohl es als Ganzes, wie ich meine, als verfehlt anzusehen ist (227-48). Die Einleitung lehnt auch Joyce als Fehlentwicklung ab und lobt unter den jüngeren Romanautoren nur D. H. Lawrence, über den Leavis schon vorher eine sachliche kleine Studie (1930) geschrieben hatte und dem er später ein Buch widmet: D. H. Lawrence: Novelist (1955). Lawrence ist für ihn »die große kreative Begabung der Zeit und eine der größten Figuren der englischen Literatur«. Leavis verteidigt ihn durchgängig wegen der ihm eigenen Intelligenz und Vernunft, wegen seiner treffenden Diagnose der Übel der modernen Kultur. Nach Leavis gehört Lawrence dersel5.
GT, 2-3: »Life isn't long enough to permit one's giving much time to Fielding.« »Sterne's irresponsible (and nasty) trifling.« 6. Q. D. Leavis, »A Critical Theory of Jane Austen's Writings«, Scrutiny 10 (1941): 61-87, 4~4 2 > 272~94! und 12 (1944): 104-19, zu den Briefen.
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ben ethischen und religiösen Tradition wie George Eliot an (DHL, 18, 303, 204, 98, 104, 107) - dem ländlichen und nonkonformistischen England. Leavis feiert The Rainbow und Women in Love als die beiden größten Romane Lawrences und nimmt T. S. Eliot und andere Kritiker Lawrences unter Beschüß. Doch Leavis' Auswahlprinzipien sind oft sehr dubios: Er lobt die langweilige Allegorie St. Mawr oder solche plakativen Erzählungen wie »The Daughters of the Vicar«. Er umgeht die Erörterung von The Man Who Died und setzt sich kaum mit Lawrences politischen Ansichten oder mit seiner speziellen »Liebesethik« auseinander. The Great Tradition konzentriert sich auf George Eliot, die Leavis sehr bewundert und aus ihrer relativen Vergessenheit herausholt. Leavis legt sein Schwergewicht auf die späteren Werke wie Middlemarch, Teile von Felix Holt und besonders Daniel Deronda. Aus Daniel Deronda plant er die Erzählung von Gwendolyn Harleth gesondert zu veröffentlichen.7 Die Ausführungen über James stellen die mittleren Romane in den Vordergrund - besonders The Portrait of a Lady - und stehen dem ganz späten James sehr kritisch gegenüber. Ich stimme zwar der Bevorzugung des mittleren James zu, doch halte ich es für ungerechtfertigt, The Ambassadors so entschieden wie Leavis abzulehnen und The Wings of the Dove und The Golden Bowlnis realitätsfern und moralisch blind zu interpretieren. Bei Conrad gilt die größte Bewunderung The Secret Agent und Nostromo, die frühen Malaya-Erzählungen werden dagegen abgewertet. The Great Tradition muß nach dem Erfolg dieser Essays beurteilt werden, so sehr wir auch Leavis einseitiger Auswahl aus den Werken seiner von ihm bevorzugten Autoren widersprechen mögen. Wir dürfen uns nicht zu sehr ereifern über die Rundümschläge des ersten Kapitels. The Common Pursuit (1952) - der Titel stammt aus Eliots »Function of Criticism« - ist ein Sammelband von Essays. Hier sind zwei weltbekannte, jedoch absurde Essays nachgedruckt: einer über »The Irony of Swift«, der Swift als einen rein destruktiven, aber mächtigen Autor sieht und seine religiösen und rationalen Maßstäbe übersieht; der zweite Essay über Othello, »Diabolic Intellect and the Noble Hero«, ist die Umkehrung von Bradleys sentimentaler Verehrung des edlen Mohren. Othello erscheint als ein brutaler Egoist, sinnlich, dumm und eifersüchtig, der sogar in seiner letzten Rede sich nur in rhetorischer Selbsttäuschung verliert. Verstreute Essays von Leavis können in Bentleys Anthologie, in Commentary, in der Sewanee Review und anderswo gefunden werden. Sie werden schriller und lauter wie der polemische Artikel gegen T. S. Eliots Kritik (»T. S. Eliot's Stature as Critic«) oder zeigen neue Interessenschwerpunkte. Die Einleitung zu Marius Bewleys Complex Fate (1952) stellt Leavis' umfangreichste Äußerung über den amerikanischen Roman und seine große Tradition dar. Diese 7. Leavis zog den Vorschlag zurück, daß der Roman geteilt werden könnte oder sollte: siehe Einleitung zu G. Eliot, Daniel Deronda [1876; Ndr. 1961], xiv; siehe Commentary 30 [1960]: 318.
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Tradition findet er bei Hawthorne und James und möchte Mark Twain zu ihr in Beziehung setzen. Die Literatur der »Grenzlandtradition«, die durch Mark Twain respektabel geworden war, wird von Leavis abgewertet. Ebenfalls lehnt er es ab, Whitman, Dreiser und Scott Fitzgerald in ihrem »Amerikanisch-Sein« auf Kosten der größten und besten amerikanischen Schriftsteller aufzuwerten: Hawthorne, James und Mark Twain. Es ist nur folgerichtig, daß Leavis auch Van Wyck Brooks ablehnt, weil dieser einen unkritischen Nationalismus vertritt und James und Mark Twain als abtrünnige Amerikaner interpretiert.8 Andere neue Essays von Leavis sind überraschend gemäßigt und konventionell: So der Essay über Dombey and S««.9 In diesem Essay nimmt Leavis sein früheres Urteil, Dickens sei ein großer Unterhaltungskünstler außerhalb der Tradition des englischen Romans, zurück. Wir können Leavis' Position besser verstehen, wenn wir den Versuch, seine Meinung zu beschreiben, aufgeben und statt dessen seine Maßstäbe und Methoden definieren. Dies ist nicht einfach, weil Leavis selber ständig sein Desinteresse an philosophischer Theorie, an methodischer Verteidigung und prinzipiellen Erörterungen betont und statt dessen der Literaturkritik stets einen rein empirischen Zugriff auf den Text empfiehlt. Ich selber wurde in einem Scrutiny-Auisatz, »Literary Criticism and Philosophy«, 10 zum Anlaß für die Demonstration von Leavis' scharfer Trennung zwischen Philosophie und Literaturkritik. Ich werde wiederholt als Philosoph bezeichnet, wahrscheinlich wegen meines Buches Immanuel Kant in England (1931), in dem ich auf Leavis' Fehlverständnis der Philosophie der englischen Romantiker hingewiesen habe. Ich wurde so etwas wie ein »Strohmann«, eine Rolle, die mir nicht gefällt, da ich die mir zugeschriebenen extremen intellektualistischen Meinungen nicht vertreten habe und auch jetzt nicht vertrete. Ich stimme generell mit Leavis' Unterscheidung zwischen Philosophie und Dichtung überein. Es ist daher nicht überraschend, daß mein Buch Theory of Literature von einem amerikanischen Leavis-Anhänger, Seymor Betsky, in Scrutiny sehr ungünstig rezensiert wurde.11 Er versucht, mich als Vertreter eines typisch amerikanischen, industriellen, effizienten, theoretischen Ideals der Wissenschaft darzustellen. Leavis scheint der Rezension zugestimmt zu haben, da er F. W. Bateson tadelt, weil dieser mein Buch gelobt hatte.12 In der frühen Arbeit 8. »The Americanness of American Literature: A British Demurrer to Van Wyck Brooks«, Commentary 14 (1952): 466—74. 9. Sewanee Review jo (1962): 177-201; siehe auch den Essay über Conrads Shadow Line in Sewanee Review 66 (1958): 179-200. 10. Ursprünglich in Scrutiny 6 (1937): 59—70; Ndr. mit meinem Brief in 7S, 30—40, und ohne meinen Brief in CP, 211—22. 11. »The New Antiquarianism«, Scrutiny 16 (1949): 260—64. 12. »The Responsible Critic«, Scrutiny 19 (1953): 182. 19 Wellek, Literaturkritik 4/1
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»Literary Criticism and Philosophy« betont Leavis, daß es hier um zwei getrennte und voneinander unterschiedene Disziplinen gehe. Der Kritiker der Dichtung ist der vollkommene Leser; der ideale Kritiker ist der ideale Leser: Die Wörter in der Dichtung laden uns ein, nicht über etwas nachzudenken und darüber zu urteilen, sondern uns hineinzufühlen oder es zu werden - eine komplexe Erfahrung, die in Wörtern mitgeteilt wird, zu realisieren . . . Ziel des Kritikers ist es, zunächst so einfühlsam und vollständig wie möglich dieses oder jenes, was seine Aufmerksamkeit erregt, festzustellen; eine gewisse Bewertung ist in dieser Feststellung bereits enthalten. Wenn dann die Erfahrung des neuen Gegenstandes tiefer wird, fragt er sich explizit und implizit: »Woher kommt das? Wie steht dies in Beziehung z u . . . ? Wie relativ wichtig erscheint es?« Die gedankliche Form, in die der Gegenstand gerät, ist kein theoretisches System und kein durch abstrakte Überlegungen determiniertes System (75, 32-33). In einer Diskussion mit L. D. Lerner im London Magazine (i955)13 scheint Leavis seinen Standpunkt leicht verändert zu haben. Er war verwirrt durch den Ausspruch eines seiner Mitarbeiter, der gegen ihn verwendet wurde. Geoffrey Walton hatte gesagt, daß »zu starke Beschäftigung mit den grundlegenden Begriffen um eine ScraizVry-Plattitüde zu wiederholen - der Literaturkritik schade«.14 Leavis erkannte deutlicher als bisher, daß ein Kritiker mit kritischen Prinzipien, mit grundlegenden Begriffen befaßt ist. Dennoch beharrte er darauf, daß eine Erörterung grundlegender Begriffe nicht notwendig philosophisch sein müsse. Kriterien und Grundsätzen der Kritik galt jetzt Leavis' Interesse, obwohl sie nur im tatsächlichen Prozeß der Kritik definiert werden. Sein Hauptinteresse gilt immer dem jeweiligen konkreten Fall: »Wenn ich in einer Kritik, abgeleitet vom konkreten Beispiel, meine Reaktion vollständig darstelle, so hoffe ich, daß beim Leser ein ähnliches Bild der englischen Dichtung in ihrer Gesamtheit entsteht wie bei mir« (75, 33). Leavis sieht die Kritik unter dem Aspekt der Pädagogik: »Sie trainiert wie keine andere Disziplin die Intelligenz und das Einfühlungsvermögen gleichermaßen; sie kultiviert eine Sensitivität und Genauigkeit der Reaktion und eine ausgewogene Intelligenz« (EU, 34). Da sie eine »einfühlende Gewöhnung an die Feinheiten der Sprache« (38) bewirkt, »muß alles von diesem Einfühlungsvermögen ausgehen und mit diesem verbunden bleiben. Nachdrücklich sollte betont und durch verschiedene Analyseübungen verstärkt werden, daß Literatur aus Wörtern besteht, so daß alles, was in 13.
»Correspondence«, London Magazine 2, Nr. 3 (1955): 77-83; eine Antwort auf L. D. Lerners »The Life and Death of Scrutiny«, ebd., Nr. i, 68-77. 14. Rezension von M. M. Mahoods Poetry and Humanism, in Scrutiny 17 (i95i):278. Der Kontext zeigt, daß Walton an Religion denkt. Leavis konnte die Passage nicht finden.
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der Kritik von Versen oder Prosa wert ist, gesagt zu werden, sich auf Urteile bezieht, die die besondere Anordnung der Wörter der jeweiligen Seite betreffen« (120). Die Betonung des Text-Aspektes, ja sogar der Textur des vor uns liegenden Textes, führt Leavis zur völligen Ablehnung dessen, was gewöhnlich »Literaturgeschichte« oder »Literaturwissenschaft« genannt wird: »Es gibt kein müßigeres Studium als das, welches zu reinem Wissen über Literatur führt.. . Was nützt die Beschäftigung mit einem literarischen Text, wenn der Student nicht sagen kann, warum dieser das Studium wert ist« (EU, 67-68). Literaturgeschichte wird als »wertloser Erwerb« bezeichnet: »Wertlos für den Studenten, der als Kritiker d. h. als intelligenter und unterscheidungsfähiger Leser die wesentlichen Daten des Literaturhistorikers, nämlich die Werke der Literatur, nicht selber einschätzen kann (eine Einschätzung muß persönlich sein: Man kann die Bewertung eines Gedichtes nicht übernehmen, und ohne Bewertung existiert das ganze Gedicht nicht)« (68). Ähnlich sagt Leavis: »Für die Zwecke der Kritik ist die Literaturwissenschaft nutzlos, es sei denn, sie wird durch ein intelligentes Interesse an Dichtung bestimmt« (CP, 9). In einem interessanten Gedankenaustausch mit F. W. Bateson argumentiert Leavis, die Unterscheidung zwischen Literaturkritik und Literaturgeschichte, wie Bateson sie macht, die Unterscheidung zwischen Meinung und Tatsache, sei außerordentlich unkritisch. »Worin besteht die faktische Abhängigkeit der Dichtung Drydens von der Wallers?« fragt er. Ich würde gerne wissen, durch welche »nüchterne Abwägung der Beweise« Mr. Bateson diese Abhängigkeit feststellt. Die einzige angeführte Beweisführung ergibt sich aus der Gegenüberstellung von Textpassagen. Dadurch kann man Dryden nachweisen, daß er sowohl Waller wie auch Cowley und Milton gelesen hat. Doch das nüchternste Abwägen führt nicht weiter - außer unter dem Aspekt des kritischen Urteilens in einer sehr komplexen und vorsichtigen Art: »Abhängigkeit« im literarisch interessierenden Sinn muß immer noch .. . festgelegt, bewertet, definiert usw. werden.. . Mr. Bateson kann als Literaturhistoriker zu einem Werk, mit dem er sich befaßt, nur Zugang gewinnen, wenn er in ausreichendem Maße auch Kritiker ist; dies gelingt nur durch eine angemessene und unterscheidende Reaktion auf das Werk; darunter ist eine Reaktion zu verstehen, die eine besondere Aktivität einschließt, die Werturteile produziert. Diese Urteile sind, wenn sie Gültigkeit besitzen sollen, keine Meinungsäußerungen über Tatsachen, die man sich aneignen oder neutral handhaben kann (IS, 21). Nur sehr selten macht Leavis Konzessionen an die Theorie: Er gesteht ein, daß eine Kritik der Kritik notwendig sei (EV, 132), und er äußert sich gelegentlich über andere Kritiker. Aristoteles' Poetik, meint er, trage nicht dazu bei, jemanden
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zu einem besseren Kritiker zu machen. Man muß sie mit einem kritischen Apparat benutzen, um sie mit Gewinn studieren zu können (133). Drydens Kritik hält er für weit überschätzt: Dryden »zeigte Kraft und Unterscheidungsvermögen in seinen selbständigen Urteilen, aber ich bin nicht der Ansicht, daß wir viel von ihm lernen können« (IS, 98). Leavis bewundert Dr. Johnson als Kritiker. Er betont seinen Empirismus: »Johnsons Rückgriff auf die Autorität ist so durchgängig und kompromißlos und in bezug auf die klassizistische Autorität so subversiv, daß es irreführend ist, ihn unter der Überschrift Klassizismus einzuordnen« (71). Aber Leavis sieht auch die Grenzen von Johnsons Urteilsfähigkeit (58), z.B. in seiner Behandlung Shakespeares, seiner Bevorzugung der Komödie (CP, 108), seiner Abhängigkeit vom moralischen Fehlschuß und seinem mangelnden Verständnis der dramatischen Form. Leavis kann kaum etwas mit Coleridge als Kritiker anfangen. Er lehnt Ästhetik als »Ärgernis« ab und kommt zu dem Schluß, Coleridges »Anerkennung als akademischer Klassiker sei ein Skandal« (IS, 86). Jedoch anerkennt er den Wert einiger Überlegungen Coleridges zu Metrum und Bildlichkeit und die Neuheit seiner literarischen Meinung. Der Student, so erklärt er ohne Umschweife, »wird mit Hazlitt oder Lamb nichts anfangen können« (EV, 133). Arnold sagt ihm unter den älteren englischen Kritikern am meisten zu. Er bewundert dessen Eintreten für kritische Intelligenz und kritische Maßstäbe und dessen Idee der »Zentralität«. Er verteidigt Arnolds Ausspruch von der »Kritik des Lebens«: »Arnolds Wendung ist ausreichend erklärt und , so meine ich, bewiesen. Sie ist Ausdruck einer der l'art pour /3Sozialkontext< entspräche.«15 Während Leavis soziologische oder religiöse, marxistische oder katholische Maßstäbe ablehnt, kehrt er ständig zu den moralischen, sozialen und lebenswirklichen Implikationen der Literatur zurück. Während er generell didaktische Aspekte ablehnt, betont er doch, daß die Kritik »moralisches Unterscheidungsvermögen und die Beurteilung der daraus resultierenden menschlichen Werte« impliziert (GT, 29). Er behauptet sogar, daß der Kritiker gezwungen sei, ein ausgesprochener Moralist zu werden (75, 39). Die Vorgehensweise wird bei Leavis' verheerender Analyse eines Shelley-Gedichtes (»That time ist dead forever, child«) verteidigt: »Bei der Gedichtanalyse gelangt der Literturkritiker unvermeidlich von der Beschreibung charakteristischer Einzelheiten zur Beurteilung emotionaler Qualitäten; von hier aus gelangt er fast ohne Überlegung zur moralischen Beurteilung und dann weiter zu einer Art der Erörterung, in der die Literaturkritik durch ihre eigenen Vorgehensweise und durch das Verfolgen ihrer eigenen Ziele zur Diagnose dessen wird, was man mit einem umfassenden Begriff nur als >geistige Krankheit< bezeichnen kann.«16Auch die soziale Bedeutung von Literatur findet sich in diesem Zusammenhang von Gesundheit und Krankheit in der vernünftigen Tradition einer guten Gesellschaft. Literarische Tradition ist, wie Leavis zugibt, »weitgehend eine Entwicklung der Sprache«, doch diese ist in ein kulturelles und soziales Gefüge eingebunden (EV, 118). In einem kleinen, zusammen mit Denys Thompson verfaßten Buch, Culture and Environment (1933) undin Mrs. Q. D. Leavis' Fiction and the Reading Public (1932) wird diese These unter soziologischen Aspekten verfolgt. Es geht um das Interesse an der Wirkung von Massenproduktion, Standardisierung, Einebnung, Reklame und deren Wirkweise, die gesamte Entwicklung der mo-
15. »The Responsible Critic«, 174. 16. »Thought and Emotional Quality«, Scrutiny 13 (1945): 6 .
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dernen städtischen und industriellen Kultur, die mit der organischen Gemeinschaft der englischen Landbevölkerung und des kommunalen Lebens früherer Zeiten kontrastiert wird. Mrs. Leavis untersucht konkret die unterschiedlichen Ebenen des englischen Geschmacks - hoher, mittlerer und niedriger - und trägt eine große Anzahl von Beweisen für den allmählichen Verfall der Wertmaßstäbe zusammen. Wenn sie moderne Bedingungen mit denen der Vergangenheit vergleicht - die elisabethanische Epoche, das 18. Jahrhundert, die Romantik -, folgert sie stets, daß die Wertmaßstäbe früher höher und der Geschmack besser waren. Aber in ihrer ausschließlichen Berücksichtigung des hohen Geschmacks übersieht sie die soziale Funktion der Volkskunst und des echten Kunsthandwerks und schätzt die Segnungen der älteren Zeit zu hoch ein. Soziale Klassen, deren Geschmack in früheren Zeiten nicht befriedigt wurde, treten heute lautstark hervor. Wenn wir auch meinen, daß ihre Stimmen ziemlich rauh sind, so ist das Sprechen doch besser als das Schweigen oder die passive Zustimmung zu den Maßstäben der höheren Klassen. Doch eben das Fehlen einer zentralen Autorität in der Kritik unserer Zeit bedauert das Ehepaar Leavis - die Weltanarchie der Gegenwart. Sie schlagen vor, durch den Zusammenschluß wenigstens einer kleinen kritischen Minorität diesen Mißstand zu beheben. Leavis benutzt ständig den Maßstab der Integration in eine gesunde Gesellschaft. Zum Beispiel beschreibt er Popes Interesse an den »grundlegenden moralischen Werten einer Kultur«; er lobt Johnson und Crabbe wegen ihrer tiefen Verwurzelung im Leben ihrer Zeit, was man von Gray und Thomson nicht behaupten kann (R, 77, 83, 105). Er kritisiert die Restaurationszeit, weil sie keine tiefe Bindung zur moralischen Basis der Gesellschaft habe (113). Bei Leavis hat der Dichter immer eine wichtige soziale Funktion: »Der Dichter hat den höchsten Bewußtseinsgrad unter seinen Zeitgenossen« (NB, 13), und die Literatur ist das »Bewußtsein ihrer Zeit« (EV, 119). So ist Johnsons Bemühen um eine literarische Ordnung untrennbar mit einem tiefen moralischen Bewußtsein verbunden (R, 117). Dr. Johnsons Manieren mögen gelegentlich bedauernswert ungeschliffen gewesen sein, aber sein Bemühen um soziale Ordnung ist sicher so stark wie sein Interesse an der literarischen Tradition. Einige von Leavis' Äußerungen über Tradition, über die alte Gesellschaft, über Ordnung usw. hören sich sehr konservativ an. Der von Arnold übernommene Begriff »Zentralität« unterstreicht diesen »Humanismus«, das Bemühen um »Kultur« im Sinne des 18. Jahrhunderts. Andere bevorzugte Begriffe - »Reife«, »Gesundheit«, »Disziplin« - umschreiben dieselben Werte: Wie Leavis immer Gefühlsüberschwang, Häufung und Rhetorik ablehnt, so sagt er über einige Zeilen bei Shelley, daß sie abstoßend seien, »weil sie ein starkes Gefühl ausdrükken, dieses Gefühl jedoch falsch ist. Es ist ein falsches Gefühl, weil es erzwungen ist« (R, 237). Shelley präsentiert das Gefühl »ohne Zusammenhang, isoliert, während Wordsworth das Gefühl aus dem Dargestellten ableitet« (214). Bei
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Wordsworth steht das Gefühl also, in der Terminologie Eliots, in Beziehung zu einem objective correlative. Doch diese Maßstäbe werden bei Leavis oftmals modifiziert und durch sein Interesse für das Leben und für die Vitalität überlagert. Gelegentlich bedeutet dies lediglich die Hinwendung zur Realität, eine Ablehnung des Ästhetizismus und eine Betonung des Empirischen. Die großen Romanschriftsteller, die Leavis am meisten bewundert, George Eliot, Henry James und Joseph Conrad zeichnen sich durch eine »lebendige Fähigkeit zur Erfahrung, eine Art ehrfurchtsvolle Offenheit vor dem Leben und eine herausragende moralische Kraft« aus (GT, 9). Im Keats-Essay tritt die Lebensbejahung an einigen Stellen als Gegenbegriff zur Ästhetik auf: »In Keats Ästhetizismus wird der Wert der Erfahrung nicht so scharf vom gewöhnlichen Leben getrennt, wie es in der ästhetischen Antithese von Kunst und Leben impliziert ist« (R, 257). »Leben« nimmt hier die zweifelhafte Rolle eines Maßstabs für Gesundheit ein. Die »Ode to a Nightingale«, so lautet Leavis' befremdliche Behauptung, »bewegt sich nach außen und oben zum Leben genau so, wie sie sich nach unten der Auslöschung entgegenbewegt« (246). Bei Leavis wird das Leben zur dynamischen, vitalistischen Kraft. Die Wertschätzung von Lawrence auch als Kritiker wird so gerechtfertigt: »Er hat einen untrüglich sicheren Sinn für den Unterschied zwischen dem, was zum Leben strebt, und dem, was von der Gesundheit wegführt. Dies ist es, was ihn zu einem so viel besseren Kritiker als Eliot macht« (DHL, 311). Es wäre jedoch ungerecht, nur diese moralischen, sozialen und vitalistischen Maßstäbe bei Leavis zu betonen. Er beginnt seine Analysen gewöhnlich mit einer Untersuchung des Textes und mit ästhetischen Beobachtungen. Aber immer insistiert er darauf, daß alle Elemente zusammenwirken und nicht voneinander zu trennen sind. Wenn er Pounds Unterscheidungen zwischen Melopoeia, Phanopoeia und Logopoeia kritisiert, weist Leavis darauf hin, daß Melopoeia völlig untrennbar von der Bedeutung und der Bildlichkeit sei, und daß Phanopoeia, die Bildlichkeit, nicht rein visuell sei, sich erst recht nicht auf die Wahrnehmung kleiner Bilder beschränke: »Sie reicht von unbedeutenden Suggestionen . . . bis zur vollständigen Wahrnehmung« (£V, 115). »Technik muß betrachtet und beurteilt werden im Hinblick auf die Sensibilität, die sie zum Ausdruck bringt.« Sonst ist sie eine nutzlose Abstraktion (113). Tatsächlich jedoch beurteilt Leavis - wie Eliot - Dichtung ständig unter dem Gesichtspunkt der Visualisierung, der sinnlichen Einzelheiten, deren Fehlen er bei Milton besonders stark empfindet. Wie Eliot insistiert Leavis auf einer Sprache, die möglichst eng mit der Alltagssprache verbunden ist. Milton wird wegen seiner Absage an die englische Sprache kritisiert (R, 52). Hopkins dagegen führt, so paradox dies klingen mag, die Dichtung sehr viel näher an die lebende Sprache heran (NB, 168). Dichtung darf nicht in Gesang übergehen, sollte nicht lediglich schmeichelnd dahinfließen und nicht als bloßer Bewegungsfluß erscheinen. Beschwörende Dichtung, fern von der Sprache, wird stets abgewertet. Milton behandelt Sprache als »ein von ihm
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unabhängiges musikalisches Medium« (82); er »scheint sich eher auf Worte zu konzentrieren als auf Wahrnehmungen, Gefühle oder Gegenstände«. »Er bringt eher ein Gespür für Wörter zum Ausdruck, als daß er seine Gefühle durch Wörter ausdrückt« (R, 49-50). Die Sprache als unmittelbare Oberfläche der Literatur führt zu den Gegenständen der Wirklichkeit hin. Leavis' sprachliches Interesse ist dem, was er Leben nennt, streng untergeordnet. Seine Betonung des Textaspektes ist daher etwas irreführend. Leavis' Beobachtungen über sprachliche Phänomene erscheinen oft vage und ungenau, betreffen die Wirkung einzelner Wörter oder beziehen sich auf die Bildlichkeit.17 Er ist nicht an Stil oder Metrum interessiert und vermeidet jede technische Analyse dieser Art. Er ist ebenfalls wenig an Fragen der Romantechnik interessiert. Oft spricht er über den »Druck hinter den Worten« (R, 56) oder »das Fehlen einer Kontrolle durch einen von innen wirkenden Druck« (CP, 57); dies jedoch scheint nur eine Geste in Richtung auf ein unbestimmtes Gefühl zu sein. Tatsächlich verläßt er die Wortoberfläche sehr schnell, um die besondere Emotion, die ein Autor vermittelt, zu beschreiben. Wie Croce ist er vor allem an »Gefühl« interessiert und wird daher sehr schnell zum sozialen und moralischen Kritiker. Mir scheint ein Widerspruch zu bestehen zwischen dieser Betonung der Wörter und ihrer schließlichen Abwertung zum Mittel, durch das man zum Fühlen gelangt. Ebenso besteht ein Widerspruch oder zumindest eine Spannung zwischen Leavis' Betonung der kulturellen Tradition, des Humanismus, und seinem Eintreten für das Leben um des Lebens willen. Es erscheint merkwürdig, daß er Eliot und Lawrence bewundert (nicht nur passiv, sondern glühend), obwohl er sich später gegen Eliot wandte und Lawrence zum größten englischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts erhob. Leavis tritt für Henry James, G. M. Hopkins, Jane Austen ebenso ein wie für Bunyan, Blake und Mark Twain. Er schätzt Pope und die Rationalität genauso wie Lawrences unsicheren Irrationalismus. Sein zentraler Wert, das Leben, ist ein zweideutiger Begriff, der sowohl Wirklichkeit und Wahrheit wie auch Aufrichtigkeit und sogar Sinn für Gemeinschaft und für Einzelgängertum meinen kann. Gelegentlich nimmt das Leben sogar eine religiöse Färbung an. Religion bedeutet hier »Relation, Abhängigkeit, Zutrauen« in dem Sinne, daß der Mensch weiß, daß er nicht sich selbst gehört, sondern für etwas »verantwortlich ist, das Liebe und auch Sex übersteigt« (DHL, m). An 17. George Watson (The Literary Critics [1962]; 209) geht zu weit, wenn er leugnet, daß Leavis »a verbal analyst« sei. Er kennt nur eine Analyse, die von Arnolds Sonett über Shakespeare (in EU). Aber es gibt zwei wichtige Artikel, »Thought and Emotional Quality: Notes on the Analysis of Poetry« (Scrutiny 13 [1945]: 53-76) und »Imagery and Movement: Notes on the Analysis of Poetry« (Scrutiny 16 [1948]: 119-3405), die Wörter (»diurnal«), kinetische Bilder, metrische Effekte usw. erörtern. Siehe auch »Antony and Cleopatra and All for Love«, Scrutiny 5 (1936): 158-69, wo sich ein Kommentar zu verbalen und metrischen Effekten findet.
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anderer Stelle bedeutet das Leben ein Gefühl, »ins Universum zu gehören«, was Albert Schweitzers Wendung »Ehrfurcht vor dem Leben« nahekommt:18 Oft bedeutet es einfach nur Mut, Hingabe und schließlich Optimismus. In einem eigenwilligen Aufsatz über die Tragödie (der mich irritiert, weil keine anderen Theoretiker als Aristoteles und Santayana angeführt werden) lehnt Leavis die Katharsis als reinigende und ausgleichende Kraft ab. Die Tragödie habe eher eine begeisternde und anregende Wirkung: Sie verstärkt unseren Lebenssinn, befreit uns von den Grenzen unseres Selbst und läßt uns den Tod als Grenze der Werte erkennen (CP, 132). Die Kunst dient so immer dem Leben, steigert die spontane, kreative Fülle des Seins. Künstler, die das »Leben beschmutzen«, werden abgewertet: Besonders in The Cocktail Party zeigt Eliot Anzeichen von »Überdruß, Furcht und Zurückweisung« des Lebens;19 Flaubert fehlt das Mitleid und das Vertrauen auf die menschliche Würde.20 Ich fürchte, ich bin zu sehr Theoretiker, um nicht die Zweideutigkeit, das Schwanken und die Ungenauigkeit von Leavis' letztem Wertkriterium, dem Leben, zu empfinden. Die Implikationen und Ausgrenzungen dieses Lebensbegriffs stellen die Grenzen von Leavis' Literaturkonzept und den engen Kreis seiner Vorlieben klar heraus. Das Leben ist für Leavis zunächst einfach realistische Kunst - nicht bloß im Sinne einer Kopie der sozialen Situation der objektiven Darstellung des Lebens, sondern in dem Verständnis, wie wir es bei Shakespeare und dem englischen Roman des 19. Jahrhunderts finden. In der Praxis hält Leavis nichts von der stilisierten, konventionalisierten Kunst, wie Ortega sie in Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst beschreibt. Dieses gewichtige Lebensideal läßt Leavis argwöhnisch werden gegenüber einer Kunst, die nur spielerisch, rokokohaft, ornamental, ästhetisch und formalistisch im engen Sinne ist. Sein Optimismus dagegen macht ihn zum Gegener von solchen pessimistischen Dichtern wie Hardy oder Flaubert. Leavis' Geschmack wurzelt im kritischen Realismus des 19. Jahrhunderts, dem er die frühe Dichtung T. S. Eliots und eine Auswahl von D. H. Lawrences Romanen, vor allem The Rainbow und Women in Love, hinzufügt. Dem Modernismus und der Avantgarde steht er feindlich gegenüber: Joyce, Wyndham Lewis, Auden, Dylan Thomas und fast jedem Autor, der nach 1930 berühmt wurde. Er hält sich - wie wir es alle tun - an die Entdeckungen seiner Jugend: Conrad, Lawrence, Hopkins und den frühen Eliot. Die Betonung des Lebens im Sinne des Konkreten und Unmittelbaren verbindet sich mit Leavis' Interesse an der englischen ländlichen Tradition, wie er sie offensichtlich bei Shakespeare, Bunyan, Jane Austen, George Eliot und D. H.
18. /?, 161, 164. 19. Antwort auf Robert D. Wagner, »Correspondence: Lawrence and Eliot«, Scrutiny 18 (1951) 142; siehe auch DHL, 25-26, 308. 20. GT, 60; siehe auch DHL, 25-26, 75, 86.
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Lawrence findet; im Kontrast hierzu steht die gelehrte städtische Dichtung der Londoner Spenser, Milton und Dryden. Leben bedeutet für Leavis auch Pädagogik, die Sorge um seine Studenten und die Teilnahme an den Kontroversen seiner Universität. Aus diesem Verständnis des Lebens resultiert jedoch auch Leavis' Provinzialismus und seine Isolation. Er hat keinerlei Interesse für ausländische Literaturen: Es gibt nur sehr wenige positive Bemerkungen über Tolstoi und auch nur wenige kritische Bemerkungen über Flaubert.21 In Scrutiny hat er die deutsche und die französische Literatur den Spezialisten Martin Turnell und D. H. Enright überlassen. Leavis' größte Schwäche scheint mir sein Mißtrauen oder sogar Haß gegen die Theorie zu sein: sein resoluter, selbstzufriedener, nominalistischer Empirismus, seine Verehrung des Konkreten und des Einzelnen um jeden Preis. Doch Leavis' Maßstäbe kann man wörtlich zitieren. In meinem Brief, abgedruckt in Scrutiny 5 (1937) (auch in IS, 23), habe ich Leavis' Dichtungsideal beschrieben: Dichtung muß in enger Beziehung zur Wirklichkeit stehen, sie muß einen festen Zugriff auf das Tatsächliche, auf das Objekt haben, sie muß in Beziehung zum Leben stehen, sie darf nicht vom direkten gewöhnlichen Leben abgeschnitten sein, sie sollte nicht persönlich sein und sich in persönlichen Träumen und Phantasien ergehen, sie sollte keine Emotion um ihrer selbst willen enthalten, keine Eingebung, keine reine Emotionalität, kein Übermaß an Schmerz oder Freude, jedoch auch keine sinnliche Armut, sondern eine scharfe konkrete Wahrnehmung und eine sinnliche Genauigkeit. Die Sprache der Dichtung darf nicht von der gewöhnlichen Rede getrennt sein. Sie sollte nicht der Singstimme schmeicheln und nicht als bloßer Bewegungsfluß erscheinen. All diese Wendungen sind wörtlich aus Revaluation übernommen. Einzeln betrachtet, in willkürlich isolierter Aufzählung sind sie »unerträglich, plump« (CP, 215), wie Leavis sich in seiner Entgegnung beklagt. Ich gestehe, daß sie ihre Bedeutung nur im Kontext erhalten, aber sie repräsentieren implizite Normen, ein dahinterstehendes Schema oder Muster, das sich bei jedem Kritiker finden läßt, das zu beschreiben die Aufgabe eines jeden Kritikhistorikers ist. Die Verweigerung gegenüber der Theorie hat einen lähmenden Effekt auf Leavis' Praxis. Er lehnt die Werkzeuge und Begriffe der technischen Analyse ab und begnügt sich mit Impressionen und dogmatisch mitgeteilten Gefühlen. Er bezieht sich auf den »komplexen Rhythmus«, der sich in The Rainbow findet, ohne überhaupt zu
2i. Zu Flaubert vgl. die vorangehende Anm. Zu Tolstoi vgl. »Note on Being an Artist«, in DHL, 297-302, mit Kommentar zur Episode Michailow in Anna Karenina. Siehe auch »T. S. Eliot's Stature as Critic«, Commentary 26 (1958): 401.
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versuchen, ihn zu beschreiben. Er bemüht sich um Formulierungen für die metrischen und metaphorischen Effekte bei Donne, die er zwar fühlen, aber nicht benennen kann. Er verstrickt sich schließlich sogar in Widersprüche, wenn seine Gefühle seinen unausgesprochenen Voraussetzungen zuwiderlaufen. So erfahren wir, daß »Johnsons Abstraktheit hier [in The Vanity of Human Wishes] die Konkretheit nicht ausschließt«, da der Stil »Körper« und »generelles Gewicht« habe. Johnsons Abstraktionen und Verallgemeinerungen »vereinigen einen weiten Kreis äußerst repräsentativer Erfahrungen, die vom Leser als unmittelbar gegenwärtig gefühlt werden«.22 Der Kampf um den Ausdruck, die Verstrickung in Lieblingsbegriffe wird in vielen Passagen von Leavis' umständlichen Ausführungen peinlich offenbar. Das krampfhafte Bemühen um das Nächstliegende läßt diese Äußerungen oft leblos und unvernünftig erscheinen. Empirie, Beobachtung, Unterwerfung unter den Gegenstand als Ideal postuliert - geraten zunehmend in Konflikt mit dem obskuren Vitalismus, den Leavis von Lawrence mit unkritischer Bewunderung übernimmt. Trotz seiner Grenzen ist es Leavis gelungen, seinen Geschmack zu definieren, die von ihm als wesentlich angesehene Tradition zu beschreiben und seinen Zeitgenossen sein Urteil aufzuzwingen. Leavis hat erreicht, was er wollte: »Ein Urteil ist verbindlich, oder es ist überhaupt überflüssig. Dies bedeutet, daß es ein aufrichtiges persönliches Urteil sein muß; doch es strebt noch mehr an. Im wesentlichen hat es die Form: Dies ist doch wohl so?«23 Viele unserer Zeitgenossen haben »es ist so« geantwortet, und das ist doch sicherlich der Erfolg, den jeder Kritiker, der nicht nur Theoretiker, sondern Geschmacksbildner ist, erhoffen kann. Leavis hat einen generellen Geschmack und Geschmackswandel definiert und artikuliert. Ich bin überzeugt, daß er eine Position in der Geschichte der englischen Kritik behalten wird, die der von Matthew Arnold fast gleichkommt.
DER SPATE LEAVIS
Nachdem ich 1963 den hier zugrundegelegten Artikel über F. R. Leavis (zuerst veröffentlicht in Literary Views, hg. v. Carroll Camden [1964]) geschrieben hatte, hat Leavis sieben Bücher veröffentlicht, die in ihrem Umfang seine vorangehenden Schriften weit übertreffen: Anna Karenina and Other Essays (1967), Lectures in America (1969), English Literature in Our Time and the University (1969), Dickens: The Novelist (1970), TVor Shall My Sword: Discourses on Pluralism, 22. DHL, 122; »Imagery and Movement«, Scrutiny 13 (1945): 124; CP, 102. 23. »Mr. Pryce-Jones, the British Council and British Culture«, Scrutiny 18 (1951): 227.
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Compassion and Social Hope (1972), The Living Principle: >English< as a Discipline ofThought (1975) und Thought, Words and Creativity: Art and Thought in Lawrence (1976); zu ergänzen sind noch einige verstreute Essays wie »Justifying One's Evaluation of Blake« (in William Blake: Essays in Honour of Sir Geoffrey Keynes, 1973) und »Wordsworth: The Creative Conditions« (in Twentieth-Century Literature in Retrospect, hg. v. Reuben A. Brower, 1971). Es gibt auch interessante Ausführungen in einer Sammlung von Leavis' Briefen an die Presse, Letters in Criticism (hg. v. John Tasker, 1974). Erwartungsgemäß bestätigen, wiederholen und verteidigen diese Bücher seine früheren Ansichten manchmal wörtlich, obwohl ich zeigen werde, daß es eine erkennbare Interessenverlagerung gibt und daß wir in früheren Schriften noch nicht vorhandene Motive finden. Einige der Bücher enthalten alte Aufsätze: Anna Karenina enthält frühere Aufsätze aus Scrutiny und die Einleitung zu einer Auswahl aus dem Calendar of Modem Letters von 1933. Dickens: The Novelist übernimmt den Essay über Hard Times aus The Great Tradition und den Artikel über Dombey and Son aus der Sewanee Review von 1962. Nor Shall my Sword veröffentlicht im Nachdruck »Two Cultures: The Significance of C. P. Snow« und die Verteidigung aus Lectures in America. The Living Principle druckt schließlich die Artikel »Judgment and Analysis«, »Imagery and Movement«, »Reality and Sincerity« und »Antony and Cleopatra and All for Love« aus Scrutiny nach. Es gibt viele Überschneidungen und Wiederholungen, wenn Leavis einige Grundideen mit beharrlicher Eloquenz und leidenschaftlicher Überzeugung vorträgt. In zweien dieser Bücher, Lectures in America und Dickens: The Novelist, wird Q. D. Leavis (1907-1981) als Mitautor aufgeführt. Seit der Hochzeit (1929) muß Mrs. Leavis einen starken Einfluß auf ihren Mann gehabt haben. Ihre eigenen Arbeiten werden aber auch durch seinen Geschmack und seine Überzeugungen stark bestimmt. Ihre Beiträge zu Scrutiny zeigen einen unabhängigen Geist und persönliche Vorurteile; ihr frühes Buch Fiction and the Reading Public führte folgerichtig zu ihrem Aufsatz über den besten Kritiker des englischen Romans des 19. Jahrhunderts, Leslie Stephen (Scrutiny 7 [1939]). Weiter schrieb sie über die von ihr so bezeichnete »Soziologie der akademischen Welt« (Scrutiny n [1943]: 3o8A.) und verfaßte scharfe Kritiken über Walter Raleigh und andere Oxforder Größen. Ihr Interesse am Roman konzentrierte sich auf Jane Austen: »A critical Theory of Jane Austens Writings«, in Scrutiny 10 [1941] und 12 [1944]. Sie weist nach, daß Jane Austen ihre frühen Arbeiten ständig revidierte und neu schrieb. Eine ausführliche Interpretation von Whuthering Heights minimiert die mystischen und metaphysischen Aspekte zugunsten der psychologischen Charakterzeichnung (LA). Fast ihr gesamtes Werk repräsentiert die »besondere englische Art des englischen Romans«, wie sie in einem späteren Essay näher erläutert wird (Collected Essay, hg. v. G. Singh, 1983). Der Roman des 19. Jahrhunderts, der »einen großen künstlerischen Fortschritt brachte durch seine Schwerpunktverschiebung von der pikaresken Tradition zur Soziologie« (313), wird als mora-
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lischer Mentor, Vorbild und notwendige Kritik der englischen Gesellschaft begrüßt. Q. D. Leavis lobt die englische Abneigung gegen den Ästhetizismus und den Argwohn gegenüber einem doktrinären Standpunkt in Politik und Religion. Sie verheimlicht nicht ihr Desinteresse an angeblichen Technikern wie Virginia Woolf oder dogmatischen Naturalisten wie George Moore und Arnold Bennett. Sie verteidigt ihre Vorstellung von einem moralischen Realismus in soliden Essays über Dickens, George Eliot und George Gissing und in Exkursen über den amerikanischen Roman Henry James' und - als dessen Erbin - Edith Whartons (Scrutiny j [1938]). In ihren Grenzen trug Q. D. Leavis entschieden zur Rehabilitation des englischen Romans bei. F. R. Leavis ist einer der vielen Denker und Publizisten unseres Jahrhunderts, der den Fortschritt des Maschinenzeitalters bedauert und mit Wehmut sich an die alte organische Gemeinschaft der vorindustriellen Gesellschaft erinnert. In seinen späteren Schriften wehrt sich Leavis mit Nachdruck gegen den Vorwurf, ein Anhänger von Ludd oder einfach ein sentimentaler Bewunderer einer so nicht vorhandenen Vergangenheit zu sein. Er wiederholt, daß es keine Rückkehr zur Vergangenheit gebe, aber daß »die Erinnerung an die alte Ordnung die Hauptantriebsfeder für eine neue Ordnung sein müsse« (C£, 97). Er bestreitet, daß er nicht die dunklen Seiten der guten alten Zeit sehe: »Ich bin kein Anhänger von William Morris gewesen und habe auch nicht behauptet, daß die idealen Bedingungen der Menschheit in irgendeiner Vergangenheit gefunden werden können. Allein schon Dickens hätte ihm »die Armut, das Elend, die Unterdrückung und das Versagen vor Augen geführt, die das viktorianische England zu einem ganz anderen Ort als Utopia gemacht hatten« (NS, 192). Dennoch besteht Leavis an vielen Stellen auf den Vorteilen einer präindustriellen Gesellschaft, besonders hinsichtlich einer >gesunden< Literatur, auf der Basis der Volkssprache und der Volkskultur. In einem Essay über Bunyans Pilgrims Progress (1964) behauptet er, daß Bunyan »jene mächtige Kontinuität, eine lebende Kultur, hinter sich gehabt habe oder eher um sich herum und auch in sich gehabt habe«. Auch habe er eine Sprache gehabt, »ein Vehikel kollektiver Weisheit und grundsätzlicher Werte« (AK, 41). Shakespeare ist für Leavis das andere Beispiel eines Dichters, der in der Volkssprache wurzelt und eine kreative und unerreichte Sprachkraft besitzt. Leavis reagiert merkwürdig scharf darauf, daß T. S. Eliot die Dorfbewohner in »East Coker« als »derbe, ungeschickte Lümmel bezeichnet, die unfähig zu geistigem oder kulturellem Anstand sind«. Er zitiert: »Essen und trinken. Dumm und tot«: »Dennoch haben sie die englische Sprache geschaffen . . . und zu gegebener Zeit Shakespeare, Dickens und den Dichter der Four Quartets möglich gemacht« (LP, 196). Die Auflösung der alten Ordnung spiegelt sich im Verfall der literarischen Kultur, die nach Leavis' Ansicht immer eine Minderheitenkultur war und es auch bleiben wird. Er weist ständig auf die Notwendigkeit eines gebildeten Publikums hin, glaubt an dessen Kernpunkt in der Universität und besonders an
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der englischen Hochschule nach seiner Vorstellung; diese sollte eine Hochschule der Kritik sein, ein Trainingslager für Sensibilität und Verständnis. Während seiner gesamten Laufbahn, besonders aber in Cambridge, hat sich Leavis intensiv mit Bildung und Ausbildung befaßt. Obwohl er die in Cambridge erfahrenen Anfeindungen detailliert beschrieben hat (EL, 22; LC, 147-48) und keinen Anlaß hatte, in Cambridge ein Modell zu sehen (NS, 183), gibt er doch ständig der Hoffnung Ausdruck, daß sich eine neue Elite an der Universität bilden möge. Er weist den Begriff »Elitismus« als dumm zurück, »weil es immer Eliten geben wird . . . Es gibt Wissenschaftlereliten, Piloteneliten, corps d'elite und soziale Eliten (die besten). Die unterprivilegierten Massen wissen, daß professionelle Fußballer und BBC-Ansager Eliten sind« (NS, 169). Von Aldous Huxley ist Leavis »Literarismus« vorgeworfen worden (im Gegensatz zu »Scientismus«). Leavis selber bemüht sich, eine Fehlinterpretation von »Minderheitenkultur« als Reservat der Literaturkritik zu verhindern. Er setzt sich für eine Zusammenarbeit von Seminaren über englische Literatur und Seminaren über Philosophie ein. Sein Programm der »englischen Studien« - mit Schwerpunkt auf dem 17. Jahrhundert - sollte interdisziplinär sein und politische, soziale und religiöse Geschichte einschließen. Nachdrücklich vertritt Leavis die Wichtigkeit des von ihm so genannten Dritten Reiches (LP, 36), das weder rein privat ist noch öffentlich in dem Sinne einer wissenschaftlichen Nachprüfbarkeit; es ist vielmehr ein gemeinsames Unternehmen von Mensch und »Kultur« oder dem, was Hegel den »objektiven Geist« nennt. So sieht Leavis nur eine Kultur: »Es ist offensichtlich absurd, eine >Kultur< festzusetzen, die der Naturwissenschaftler als solche ansieht« (LA, 14). Doch diese Kultur ist nicht literarisch, da Leavis nicht an einen separaten Bereich der Literatur glaubt: »Ich glaube an keine literarischen Werte und spreche auch nicht darüber; die Urteile, mit denen sich der Literaturkritiker befaßt, sind Urteile über das Leben« (LA, 23). Nachdrücklich verkündet er: »Ich halte mich selber für einen Antiphilosophen, der den Ansprüchen des Literaturkritikers genügt . . . >Ästhetik< ist ein Wort mit wenig Nutzen für mich« (TWC, 34). Leavis scheint zu bestreiten, daß er es mit ästhetischen Reaktionen und Urteilen zu tun hat. Das trifft meiner Meinung nach auch zu, vor allem, was eine Romankritik angeht, die ausschließlich auf die Charakterbeurteilung durch den Autor eingeht. Er scheint seine frühe Zustimmung zu C. H. Rickwords »Note on Fiction« vergessen zu haben. Rickword sagt hier, daß »Plot oder Charakter nur als losgelöst von der Erinnerung greifbar sind: Doch nur in der Loslösung haben beide eine emotive Wertigkeit«. Leavis vergißt sogar seine eigene Behauptung, ein Roman bestehe wie ein Gedicht aus Wörtern (AK, 228-29). Oft hat Leavis nichts über Sprache zu sagen oder verläßt die Textoberfläche sehr schnell und ist mit einigen Hinweisen auf ihre Lebendigkeit zufrieden. Er hat kaum deskriptive Werkzeuge, geschweige denn analytische. Er verurteilt die Linguistik und Wittgensteins Sprachphilosophie als nutzlos für den Literaturwissenschaft-
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ler. Er nimmt an, daß beide Bereiche eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Bedeutung erschweren (LP, 57). Leavis tut sich selber unrecht, wenn er bestreitet, daß er es mit literarischen Werten zu tun habe. In der Regel ist es schwierig, seine Voraussetzungen und Maßstäbe zu fixieren. Seit der Veröffentlichung seines Aufsatzes »Literary Criticism and Philosophy« (1937), in dem er sich gegen mein Bemühen um Klarheit richtete, hat er immer wieder seine Ansicht betont, daß Maßstäbe nur »im aktuellen Prozeß der Kritik« definiert werden können und daß eine präzise Definition »unerträglich schwerfällig und ineffektiv« sein würde (LC, 48). Theoretiker sind ihm immer verdächtig. Richards' Principles of Literary Criticism gesteht er allerdings eine befreiende Wirkung zu: »Das Buch befreite von der Gedankenlähmung durch >Formreinen LautwertNew Establishment in Criticism«, in The Charted Mirror (1960), S. 204—26. Andor Gomme. »Criticism and the Reading Public«, in The Modern Age, Bd. 7 von The Pelican Guide to English Literature, hg. v. Boris Ford (1961), S. 350-76. George Steiner. »F. R. Leavis«, Encounter 18 (Mai 1962): 37-45 (Ndr. in Language and Silence, 1967, S. 221-38). Lionel Trilling. »Science, Literature and Culture: The Leavis-Snow Controversy«, Commentary 33 (1962): 461-77 (Ndr. in Beyond Culture, 1965, S. 145-77). George Watson. The Literary Critics (1962), S. 208-1 j. E. Singh. »Better History and Better Criticism: The Significance of F. R. Leavis«, English Miscellany 16 (1965): 215-79. Andor Gomme. Attitudes to Criticism (1966). Ronald Hayman. Leavis (1966). D. F. McKenzie und M. P. Allum. E R. Leavis: A Checklist, 1924-64 (1966). Enthält eine veraltete Bibliographie. F. W. Bateson. »The Scrutiny Phenomenon«, Sewanee Review 85 (1977): 144—52. Robert Boyer, E R. Leavis: Judgment and the Discipline of Thought (1978). R. P. Bilan. The Literary Criticism of E R. Leavis (1979). Francis Mulhern. The Moment o/>Scrutiny< (1979). Siehe meine Rezension der vorangehenden drei Bücher in Modem Language Review 76 (1981): 175-80. William Walsh. E R. Leavis (1980). Enthält auch ein Kapitel über Q. D. Leavis. Siehe meine Rezension in Modern Language Review 77 (1982): 710—12.
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P. J. M. Robertson. The Leavises on Fiction: A Historic Partnership (1981). Denys Thompson, Hg. The Leavises: Recollections and Impressions (1984). Q. D. Leavis: Fiction and the Reading Public (1932). Bibliographie in Scrutiny 20 (1963). Collected Essays, Bd. von The Englishness of the English Novel, Hg. v. G. Singh (1983). Zwei weitere Bände folgen.
KAPITEL 9
F. W. BATESON (1901-1978)
Im Frühjahr 1935, als ich an der Karls-Universität Prag englische Literatur lehrte, gab mir mein Vorgesetzter, Professor Vilem Mathesius, der Gründer und Präsident des Prager Linguistischen Zirkels und Herausgeber der Zeitschrift Slovo a slovesnost (Wort und Literatur), ein kleines Buch, English Poetry and the English Language, zum Rezensieren. Die Rezension wurde im ersten Band der neuen Zeitschrift veröffentlicht (1935, 229-31). Dieses Buch enthielt »ohne die geringste Kenntnis des russischen Formalismus oder anderer paralleler Bewegungen auf dem Kontinent eine diesem sehr ähnliche Theorie der Literaturgeschichte. In einem skizzenhaften Überblick über die Geschichte der englischen Literatur zeigt Bateson, wie diese Geschichte seinem Schema entsprechend aussehen würde. Batesons Buch ist ein weiteres äußerst interessantes Symptom für die Methodenkrise in der Literaturgeschichte und bestätigt, daß der Weg aus dieser Krise (oder wenigstens einer der Auswege) in der engen Zusammenarbeit zwischen Literaturgeschichte und Linguistik liegt. Als konservatives Land auch auf dem Gebiet der Literaturgeschichtsschreibung findet England offensichtlich später zum methodologischen Durchbruch als das übrige Europa. Das von Bateson gezeichnete vereinfachte Bild vom Zustand der englischen Literaturgeschichte entspricht dem der deutschen oder tschechischen Literaturgeschichte während der Dominanz des Positivismus in der Vorkriegszeit. Nach Batesons Ansicht ist die Literaturgeschichtsschreibung im Sinne von Taine oder Brandes praktisch ausgestorben. >Der typische Wissenschaftlers so schreibt er im Vorwort, >ist heute kein Historiker im strengen Sinne, sondern ein Antiquare« Nach einer Paraphrase des Inhalts schließe ich mit dem Ausdruck meiner Sympathie für das Hauptthema des Buches: »Die enge Beziehung zwischen Literaturgeschichte und Linguistik, die Art, das Problem der Literaturgeschichtsschreibung klar als allgemeines Problem der Evolution zu sehen, die Art, den Unterschied zwischen Dichtung und Prosa und der Gesamtheit eines literarischen Kunstwerks zu formulieren: Mit allen diesen Ideen stimmen der Formalismus und der Strukturalismus voll überein. Auch die Einwände gegen den Positivismus in der Literaturgeschichte, gegen das Philosophieren und Soziologi-
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sieren der Geschichtsschreibung sind überzeugend. Man darf jedoch nicht vergessen, daß Literatur auch anders verstanden werden kann, als eine Geschichte der Dichtkunst dies tut. Eine Literaturgeschichte aus philosophischer Sicht ist durchaus möglich, wenn wir uns bewußt sind, daß wir die ästhetische Funktion der Literatur außer acht lassen. Batesons Hauptthese, die Dichtungsgeschichte der Sprachgeschichte völlig unterzuordnen, und seine Ansicht, daß soziale Einflüsse die Literatur nur durch die Sprache erreichen, erscheinen mir strittig. Bateson weigert sich mit Recht, eine bedeutungslose Abfolge irrationaler Veränderungen in der autonomen Entwicklung der Literatur zu erkennen. Aus dieser Erkenntnis folgert er, daß die Entwicklung von Literatur notwendig der kausalen Abfolge von Sprachwandlungen untergeordnet ist. Die selbständige Entwicklung der Literatur ist jedoch keineswegs irrational, sondern stellt eine ebenso kontinuierlich-organische Abfolge dar, wie es die Abfolge der Sprachwandlungen ist. So verschwindet die Notwendigkeit einer künstlichen Trennung von Dichtung und der Abfolge von ökonomischen Phänomenen oder der Entwicklung von philosophischen Ideen. Nichts existiert isoliert, obwohl die Dichtung ihre eigene Entwicklung hat, unterliegt sie doch dem direkten Einfluß aller anderen kulturellen Phänomene. Dichtung selber affiziert Sprache, Philosophie usw. - ein Umstand, den Bateson erstaunlicherweise übersieht. Zusammenfassend ausgedrückt: Bateson hat den Hauptgedanken der Hegeischen Dialektik nicht verstanden, der ihn vor einer solchen einseitigen und künstlichen Konstruktion bewahrt hätte. Auch die Ansicht, daß Dichtung statisch sei, ist anfechtbar und entsteht aus einem Fehlverständnis des Begriffs des Ganzen. Es gibt ein dynamisches Ganzes, eine Sukzessivgestalt, einen dialektischen Begriff: Dies wird völlig verständlich, wenn wir etwa an die Musik denken, in der eine zeitliche Abfolge von Tönen zugleich ein klares Muster des Ganzen darstellt. Es fehlt Bateson die theoretische, philosophische Ausbildung. Seine völlige Unkenntnis von ähnlichen Ansätzen auf dem Kontinent, aus denen er Methoden und Theorien hätte lernen können, behindert sein eigenes Vorgehen. Doch gerade die Unabhängigkeit und der etwas starre Radikalismus seines »Experiment in Literary History« dokumentieren, daß seine Position zeittypisch ist. Wir werden an den fast mystischen Umstand der Übereinstimmung erinnert, der gewöhnlich mit dem vagen Begriff >Zeitgeist< umschrieben wird. Es ist allerdings einsichtig, daß ähnliche Probleme notwendigerweise zu ähnlichen Lösungen führen, daß gewisse Fragen, die überall dringlich geworden sind, überall ähnliche Antworten verlangen.« Ich habe diese vor so vielen Jahren verfaßte Rezension übersetzt und bin erstaunt über ihre Direktheit und Arroganz (eine kollektive Arroganz, die von der Inferiorität der empirischen Tradition überzeugt ist) und auch über die Hoffnung, die dort in Richtung auf eine internationale Entwicklungsgeschichte der Dichtung ausgedrückt wird. Dieser Hoffnung begegne ich seitdem mit der
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angemessenen Skepsis.1 Doch die Hauptangriffspunkte meiner Kritik sind immer noch gültig: Weder kann die Literaturgeschichte völlig untergeordnet werden, noch ist die Vorstellung, daß soziale Einflüsse Dichtung nur durch die Sprache erreichen, richtig. Bateson änderte selbst seine Ansicht. Im Nachwort zur dritten Ausgabe (1972) räumt er ein, daß »die Hypothese wahrscheinlich zu eng war« (99). Tatsächlich stellen viele seiner späteren Argumente zur Beziehung zwischen Literaturgeschichte und Linguistik eine fast völlige Widerlegung seiner frühen These dar. In einem Aufsatz in der Festschrift zu meinem 65. Geburtstag, The Disciplines of Criticism2, legt er dar, daß Linguistik für die Literaturkritik irrelevant sei. Zwischenzeitlich schrieb Bateson ein weiteres Buch über die Geschichte der englischen Dichtung, English Poetry: A Critical Introduction (1950). Hier propagiert er eine ebenso bemerkenswerte Theorie. Lange vor der Mode der deutschen Rezeptionsästhetik und ähnlicher Überlegungen zum »fiktiven« oder »impliziten« Leser behauptet Bateson kühn, daß »das Wesen der Dichtung in der Dichter-Leser-Beziehung liegt« und daß »ohne die Mitarbeit des Lesers das Gedicht wohl kaum existiert« (66). Der Leser ist daher »des Dichters alter ego« (64). Bateson zieht radikale Konsequenzen aus dieser Erkenntnis. Der Leser, besser der ideale Leser gehört »zu den intelligenteren unter den ursprünglichen Lesern des Dichters« (73). »Das endgültige Kriterium . . . besteht darin, was der Dichter für seine Zeitgenossen bedeutet« (72); und »die Bedeutung eines Gedichts ist die Bedeutung, die es für den idealen Repräsentanten jener Zeitgenossen des Dichters hatte, für die das Gedicht implizit oder explizit ursprünglich geschrieben war« (76). Bateson vertritt somit entschieden eine Ansicht, die ich »historischen Rekonstruktionismus« nenne. Er unterscheidet sich jedoch von anderen Vertretern des Historismus, die von uns die Identifikation mit den Intentionen des Autors verlangen; er dagegen erhebt das Publikum unterschiedlicher Epochen zum Maßstab der Interpretation und Bewertung. Dabei unterscheidet er die Epochen der englischen Dichtung hauptsächlich auf der Basis einer traditionellen Stilistik und verbindet diese Epochen mit den jeweils vorherrschenden sozialen Klassen. Er führt sechs Epochen an: den Feudalismus der Rechtsgelehrten, die lokale Demokratie des Bauerntums, den zentralisierten Absolutismus der Prinzendiener, die Oligarchie der Landbesitzer und das heutige Management (113). Er wählt Texte aus, um diese Abfolge zu illustrieren. Immer geht Bateson davon aus, daß Dichtung »die spezielle Sozialordnung auf ihrem höchsten Bewußtseinsstand darstellt« (261) und daß allein der »historisch-so-
1.
Siehe meinen »Fall of Literary History«, in Geschichte: Ereignis und Erzählung, hg. v. R. Kosseleck und W. Stempel (1973); aucn m Proceedings of the Eighth Congress of the International Comparative Literature Association, Bordeaux 1970 (1975). 2. Hg. v. Peter Demetz, Thomas M. Greene und Lowry Nelson, Jr. (1968).
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ziologische Ansatz den Kritiker mit einer Tatsachenstruktur versieht, auf der er seine Wahrnehmung und Verallgemeinerung gründen kann« (258). Dichtung (Bateson schließt Drama und Roman mit ein) repräsentiert die Gesellschaft ihrer Zeit und faßt sie auf ihre Weise zusammen. Sie ist »lediglich sprachlicher Ausdruck des Bewußtseins der sozialen Solidarität« (86). Treffend, aber willkürlich wählt Bateson beispielsweise vier Heldinnen aus, um die vier Entwicklungsstufen der englischen Gesellschaft zu verkörpern. Alison aus Chaucers »Miller's Tale« wird als »die Verkörperung der bäuerlichen Lebensphilosophie« betrachtet, während »Shakespeares Cleopatra die Renaissance-Idee, Millamant die Restaurationsidee und Becky Sharp das 19. Jahrhundert verkörpern« (134). Detaillierte Interpretationen von Gedichten von Wyatt, Milton, Waller, Gray, Keats, Wordsworth und Tennysson untermauern das Schema. Dieses Schema widerspricht dem, was J. S. Mill als Definition von Dichtung angeben würde: »Dichtung ist ihrem Wesen nach Selbstgespräch«, »Dichtung ist sich in Momenten der Einsamkeit offenbarendes Gefühl«.3 Für Bateson gilt das Gegenteil. Seiner Meinung nach versagten die späten Gedichte von Wordsworth, »weil sie keinen Adressaten hatten« (211). Bateson glaubt, daß »rein private Emotionen und Reflexionen nicht zu Dichtung werden können« (79). Diese Ansicht widerspricht den Bemühungen vieler romantischer und symbolistischer Dichter, das Unaussprechliche auszusprechen, das »Persönlichste und das Innerste« des Menschen. Durchgängig übersieht Bateson die Außenseiterposition vieler Dichter, das gesamte Problem der »Entfremdung« und vertritt das genau entgegengesetzte romantische Diktum der Brüder Grimm: »Das Volk dichtet« (Essays in Criticism, 19:4). Er lehnt jede Inspirationstheorie ab (14), glaubt nicht an das Genie, hält hypnotische Dichtung für nicht wünschenswert (29). Er meint, daß Wortmusik und »reine Dichtung« einer genauen Untersuchung nicht standhielten (52). Dieser kollektivistische Historismus steht deutlich dem Marxismus nahe, obwohl keiner orthodoxen Version des Marxismus: Die determinierende Ursache liegt eher im speziellen Publikum als in der ökonomischen Basis der Gesellschaft. Es gibt auch keine Vorhersage der Zukunft und keine Vorschrift für einen speziellen Stil. Bateson mußte seine Ansicht gegen F. R. Leavis verteidigen. Dieser argumentierte, daß eine Rekonstruktion unmöglich und auch unerwünscht sei und daß der Kritiker notgedrungen nach heutigen Maßstäben urteilen müsse. Hieraus entstand die Kontroverse zwischen Bateson und Leavis, die seit Leavis' Rezension von English Poetry and the English Language vorhanden war.4 Leavis war damals der Ansicht, eine Geschichte der englischen Dichtung »werde geschrieben, weil den Werken bestimmter Dichter beständiger Wert beigemessen werde - damit ist
3. J. S. Mill, Dissertations and Discussions, ^. Aufl. (1867), 1:71-72. 4. Scrutiny 4:96—100, Ndr. in The Importance of Scrutiny, hg. v. Eric Bentley (1948).
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ein Wert in der Gegenwart gemeint« (13). Bateson meinte in seinem »Comment«, dies bedeute, daß Leavis »die Möglichkeit einer Literaturgeschichte bestreite« (16). Er schlug vor, zwischen zwei Typen von Sätzen zu unterscheiden: einem literarhistorischen, der behauptet, daß A von B abstamme, und einem kritischen, der zusammengefaßt werden kann als »A ist besser als B« oder sogar »A ist gut« (16). Mühelos zerstörte Leavis diese Unterscheidung zwischen angenommenen Tatsachen und Meinungen: Abhängigkeit, Abstammung ist keine Tatsache. Sie erfordert kritische Beurteilung einer äußerst komplexen und feinen Art. In English Poetry: A Critical Introduction konzediert Bateson, daß es keine feste Grenze zwischen Literaturgeschichte und Kritik gebe. Im Gegensatz zu Leavis behauptet er sogar, daß vieles dafür spreche, die Kritik in die Literaturgeschichte einzubeziehen (252), eine logische Schlußfolgerung, wenn alle Urteilsmaßstäbe aus der historischen Situation abgeleitet werden. Doch Bateson war mit diesem Anspruch nicht zufrieden. Später setzte er sich ausdrücklich dagegen ab (Essays in Criticism, 14:12-13): »Ich habe erst vor kurzem entdeckt, daß Leavis grundsätzlich recht hatte.« Bateson spricht sogar von einer Medizin, die viele Jahre brauchte, um zu wirken (19). Er scheint entweder die historische Position aufgegeben zu haben oder eher noch vernünftigerweise gefolgert zu haben, daß »Literaturkritik und Literaturwissenschaft komplementäre Disziplinen sind« (SC, vii). An einer Stelle formuliert er den Kontrast neu. Die Literaturgeschichte befaßt sich mit der Kunst der Literatur, die »historisch determiniert, eine Art der Kommunikation zwischen dem speziellen Dichter und seinen ursprünglichen Lesern oder Zuhörern ist«. Kritik befaßt sich dagegen mit dem Leben, »das trotz der zwangsläufigen Entstehung aus Sprache und Gesellschaft im wesentlichen ein totales Kontinuum ist, ein Spiegel der Lebensarten, wie sie uns allen ständig offenstehen« (Essays in Criticism, 23:178). Bateson scheint hier Leavis' Erklärung zuzustimmen, nach der »die Urteile, mit denen der Literaturkritiker befaßt ist, die Urteile über das Leben sind«.5 Daraus ergibt sich die merkwürdige Konsequenz, daß die Kunst der Geschichte übereignet wird. Ich vermag nicht zu glauben, daß Bateson dies realisiert hat und dennoch die Position, Kritik betreffe nur das Leben, ernsthaft verteidigen konnte. Wahrscheinlicher ist, daß er die Unterscheidung von Sinn (meaning) und Bedeutung (significance) von E. D. Hirsch übernommen hat, der seinerseits von Gottlob Frege dazu angeregt worden war. Dabei ist Sinn (meaning) historisch verifizierbar in der Vergangenheit. Bateson bezeichnet dies auch als Damais-Bedeutung (SC, 188); Bedeutung (significance) meint dagegen die zeitgenössische Relevanz und impliziert ein Werturteil für die Gegenwart.6 Bateson ist überzeugt, daß es möglich ist, die ursprüngli-
5. F. R. Leavis, Lectures in America (1969), 23. 6. Siehe Batesons Rezension von E. D. Hirschs Validity in Interpretation, in Essays in Criticism 18: 337—42.
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ehe Bedeutung eines Kunstwerks zu erfassen. Er akzeptiert die »Absicht« des Autors als Kriterium und weist in vielen Zusammenhängen die »vorsätzliche Irreführung«, wie W. K. Wimsatt und Monroe Beardsley sie formuliert haben, zurück. Bateson mißversteht diesen Begriff jedoch als Verbot, »den anderen Schriften eines Autors, seiner Biographie oder seiner sozialen Zugehörigkeit Aufmerksamkeit zu schenken«, ein Verbot, das Bateson als offensichtlichen Unsinn bezeichnet (ECD, xv). Bateson führt Beispiele für die Relevanz der Biographie an, etwa bei der Interpretation von Chaucers »Merchant's Tale« (88-91) oder von Housmanns Gedichten (100-14), um "die Widerlegung der vorsätzlichen Irreführung« zu demonstrieren (114). Ein Hinweis auf Batesons Wordsworth: A Re-interpretation (1954) genügt, um zu zeigen, wie stark private Konflikte eines Dichters (die jedoch eine repräsentative Qualität haben, 119) nach Batesons Auffassung das Wesen und den Wert der Dichtung bestimmen. Wenn Bateson für die Erforschung der ursprünglichen Bedeutung eintritt, so hat er doch Vorbehalte, diese dem modernen Leser mitzuteilen. Mit Nachdruck trat er für die Modernisierung der Schreibweise ein. Er mokierte sich über die Vorstellung, daß man bei konsequenter Historisierung Blake und Keats mit CockneyAkzent vortragen müßte (ECD, 27). Entschieden trat er für die Erforschung der ursprünglichen Wortbedeutungen ein (eine Forderung, die auch Wimsatt nicht in Abrede gestellt hätte) und argumentierte ausführlich gegen Empsons unhistorische, phantasievolle Interpretation. Bateson bemühte sich um eine Einschränkung willkürlicher Interpretationsmöglichkeit durch den Rekurs auf die literarische Tradition, die Gattungskonventionen und schließlich den intellektuellen und sozialen Zusammenhang: »Als Ergebnis einer Reihe von Eingrenzungen der Wortbedeutung und als Resultat der Wortassoziationen auf verschiedenen inhaltlichen Ebenen läßt sich eine grundsätzliche Bedeutung herstellen. Sie kann die richtige Bedeutung genannt werden, die das Objekt in seiner vollen Existenz erfaßt« (Essays in Criticism, 3:18). Diese Formulierung findet sich im programmatischen Essay »The Function of Criticism at the Present Time«, das die ursprüngliche Sprache als Gegenstand kritischer Erörterung vorschlägt, obwohl »der letzte Maßstab der Richtigkeit in der Erkenntnis des angemessenen Zusammenhangs liegt« (19). In einer Anmerkung kritisiert Bateson das von mir gemeinsam mit Austin Warren verfaßte Buch Theory of Literature: »Der Hauptfehler besteht darin, daß die Autoren die zentrale Rolle der Sprache für den literarischen Gegenstand nicht erkennen« (23A). Überraschenderweise gab Bateson seine Betonung des Zusammenhangs von Sprache und Literatur auf, als er ein Argument gegen die Wichtigkeit der Linguistik für die Literatur entdeckte. Am deutlichsten modifizierte er seine bisherige historistische Position in dem Aufsatz »Linguistics and Literary Criticism« (in The Disciplines of Criticism, 1968). Hier stellt er fest, die Literatur der Vergangenheit müsse für den kritischen Zugriff in der Tat in die Vergangenheit übersetzbar sein (7); ein gewisser Grad von Antihistorismus sei der Preis für die
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fortdauernde Vitalität der englischen Literaturtradition (8). Er benutzt jetzt das Diagramm, das Saussure in seinem Cours de linguistique generate als »le circuit de la parole« bezeichnet,7 um zu zeigen, daß Sprache nur ein entfernter Ursprungsfaktor in der kritischen Reaktion ist. Die Entstehung eines literarischen Werkes beginnt mit einer Vorstellung im Kopf des Autors, wird dann verbalisiert und durch physikalische Laute zum Ohr des Empfängers übertragen, der in umgekehrter Reihenfolge die physikalischen Laute in sein Bewußtsein übernimmt. Bateson bezieht sich auf Lessings Laokoon: »Im Moment der Illusion sind uns die Mittel, d. h. die Wörter, die der Dichter benutzt, nicht mehr bewußt« (14). Dies ist ein rein psychologisches Argument. Die historische wie die deskriptive Linguistik unterbrechen den kontinuierlichen Prozeß der Rezeption und können so »wenig zum kritischen Studium der Literatur beitragen« (16). Diese neue Betonung des Reaktionsprozesses - der natürlich individuell und subjektiv ist - ergab das Hauptargument gegen die Wichtigkeit der Linguistik für die Kritik in der Auseinandersetzung mit Roger Fowler.8 Die Linguistik ist eine wertfreie, deskriptive Wissenschaft oder behauptet dies von sich; sie hat daher nichts mit Kritik zu tun. Kritik kann sich nur mit dem Stil befassen, der nicht lediglich als »der Sprache übergestülpt« gelten kann (DC, ), sondern als »innere Vision« angesehen werden muß, die den linguistischen Ursprüngen vorausgeht und sie übersteigt (ECD, 29): »Diesem Bereich der Transzendenz gelten vor allem die Bemühungen des Wissenschaftlers und Kritikers« (SC, 79). »Die grundsätzliche Funktion des Stils besteht darin, den symbolischen Zustand herzustellen, in dem die Wörter die Eigenschaften bedeutungsvoller menschlicher Situationen oder Probleme anzunehmen scheinen« (SC, 89). Früher hatte sich Bateson immer auf die Dichtung im engeren Sinne konzentriert: Er hielt eine Vorlesung über »Die Ursünde des Romans«, in der er seiner Überzeugung Ausdruck gibt, daß der Roman eine mindere Kunstform sei (ECD, 242). Seine Konvention bestehe im Fehlen jeder Konvention - eine Konvention, die die ästhetische Distanz zwischen der Kunstwelt und der realen Welt verringerte (247). Diese Konvention vermischt zwei Ordnungen der Realität oder stellt sie zumindest einander gegenüber: die Welt der Kunst und die Welt der Dinge (243); diese Feststellung entspricht Batesons allgemeiner Ablehnung der Ästhetik. Doch im Essay über den Stil (SC, 78-100) wird schon der Umstand, daß im Roman (und in der Prosa allgemein) nicht die Wörter an sich die Aufmerksamkeit erregen, als Argument gegen die zentrale Rolle der Wörter in der Literatur benutzt. Bateson hat meiner Ansicht nach recht, wenn er den kritischen Wert der linguistischen Stilistik anzweifelt. Auch ist es richtig - ich habe dies an anderer Stelle bereits ausge-
7. Saussure, Cours de linguistique generate, 5. Aufl. (1955), 28. 8. Ndr. in Roger Fowler, Hg., The Languages of Literature (1971).
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führt -9, daß die Literaturkritik sich mit jenen Ebenen des Kunstwerks befaßt, die der Linguistik unzugänglich sind. Dagegen hat Bateson sicherlich unrecht, wenn er den Stil völlig von der Sprache trennt. Ich stimme seinem Widerstand gegen den (von mir so bezeichneten) »linguistischen Imperialismus« und gegen die überzogenen Ansprüche der neuen linguistisch-analytischen Methoden in ihrer Bedeutung für die Literaturwissenschaft zu. Es ist jedoch nicht zu leugnen, daß das literarische Werk ein Wortkunstwerk ist, ein »linguistisches Konstrukt«; dies hat Bateson in früheren Jahren etwa in Essays in Criticism (7:474) dargelegt. Bateson widersprach heftig den angeblichen Implikationen des Begriffs »Artefakt«. Er beruft sich auf die unbestreitbare Tatsache, daß ein literarisches Kunstwerk nur als Prozeß in der Zeit und nicht als Struktur im Raum begreifbar ist: eine Vorstellung, wie er sie in den Titeln solcher Bücher wie Cleanth Brooks' Well-Wrought Um und W. K. Wimsatts Verbal Icon ausgedrückt findet. Er argumentiert, daß die Parallele zwischen dem literarischen Werk und dem Sprechakt, parole in Saussures Sinn, »die formalistische Position umstößt« (ECD, n). Ausführlicher sagt er: »Wenn man versuchte, aus diesem Prozeß die besten Wörter in der besten Ordnung auf ihrem Wege vom Autor zum Leser in eine künstliche räumliche Starre zu bringen, so bedeutete dies, daß man parole wie langue behandeln würde . . . Dies ist in der Tat der Irrtum der Formalisten« (ECD; 11-12). Doch diese Formalisten (wozu Bateson auch gelegentlich meine eigene Strukturanalyse rechnet) würden wahrscheinlich antworten, sie sähen sehr wohl den zeitlichen Prozeß der Reaktion (lesen oder hören), hielten jedoch die Abfolge nicht für unvereinbar mit der Struktur (Gestalt). Wie ich in meiner frühen Rezension über English Language and English Poetry sagte, gibt es so etwas wie eine »Sukzessivgestalt«, für die die Musik das offensichtliche Beispiel ist. Vor längerer Zeit wies Joseph Frank darauf hin, daß der moderne Roman bewußt eine »räumliche Form« anstrebe (Sewanee Review 53 [1945]), und vor kurzem hat er diese Ansicht wieder aufgegriffen (CriticalInquiry 5 [1987]). Der entscheidende Punkt meiner phänomenologischen Ausführungen zu »The Mode of Existence of a Literary Work of Art« in Theory of Literature besteht darin, den ontologischen Status dieser schwer faßbaren dynamischen Struktur zwischen Autor und Leser zu definieren.10 Bateson mißversteht die phänomenologische Methode, wenn er den Begriff »ontologischer Status« als Synonym für Ästhetik ansieht (Essays in Criticism 19:428). Viele meiner Äußerungen belegen gerade umgekehrt, daß man sich das literarische Werk als Ansammlung von sozialen, politischen, intellektuellen, moralischen Werten vorstellen muß, allerdings mit der Einschränkung, daß die Dominanz der ästhetischen Funktion es zu einem literari-
9. Z.B. in »Stylistics, Poetics, and Criticism«, in Discriminations (1970). . 1948; doch das Kapitel beruht auf einem älteren Aufsatz, »The Theory of Literary History«, in Travaux du Cercle Linguistique de Prague 6 (1936).
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sehen Kunstwerk macht. Der ontologische Status kann nicht mit der ästhetischen Funktion gleichgesetzt werden. Wenn man das literarische Kunstwerk weder als real (physisch) noch geistig oder ideal existierend begreift, sondern als System intersubjektiver Normen, dann erreicht man eine erste Stufe in der Theorie dieser Disziplin: die Definition ihres Gegenstandes. Bateson hat jedoch in einem Punkt recht, wenn er in seiner Kritik sagt, »es sei offensichtlicher Unsinn, der Bildhauerei ihren Kunstcharakter abzusprechen« (ebd.). Meine Formulierung verwischt die Tatsache, daß ich, wie der Zusammenhang zeigt, nur vom literarischen Kunstwerk spreche, das sich als Sprachkonstrukt grundsätzlich vom realen, physischen Objekt wie etwa einer Marmor- oder Bronzestatue unterscheidet. Bateson erkennt meinen Versuch, das Kunstwerk als ein System intersubjektiver Normen zu definieren, jedoch an. Er hat Schwierigkeiten mit dem Begriff »Normen«, die er als »Maßstab«, »Muster« oder »Typ« auffaßt (CS, 54). Tatsächlich ist dieser Begriff jedoch sehr viel umfassender und bezeichnet in Husserls Terminologie »Strukturen der Determination«. Im literarischen Zusammenhang würde er alle vom Text auferlegten Zwänge, Konventionen, Traditionen und Voraussetzungen einschließen. Diese Formulierung bemüht sich um eine theoretische Fundierung der Interpretation, sicherlich eines der dringlichsten Probleme der heutigen Literaturwissenschaft, in der - nicht nur in Frankreich - völlige Willkür herrscht. Bateson verfolgt dasselbe Ziel. Meine Forderung nach einer »kollektiven Ideologie« entspricht seiner »intersubjektiven Verständigung« und seiner Vorstellung einer »Kontrolle über unsachgemäße Interpretation« (Essays in Criticism, 430). Doch Bateson hält an seinem Ansatz fest, der mir im Grunde eine Kommunikationstheorie zu sein scheint. Er weigert sich, das Kunstwerk in irgendeiner Weise als Hypostase anzusehen. Er fürchtet den Ästhetizismus und kann der organischen Ansicht der Form nicht zustimmen (Form als Eidos verstanden, als Totalität, nicht als äußerliche Hülle): »Die organische Metapher kann nicht sehr ernst genommen werden« (SC, 61), sagt er zu Recht und weist auf die Gefahren hin, die entstehen, wenn die Parallelen zu lebenden Organismen zu weit vorangetrieben werden. Der »Formalist« W. K. Wimsatt sieht dies ganz ähnlich.11 Bateson bleibt in der empirischen und letztlich psychologischen Tradition. Er hat ständig die Bewußtseinsprozesse von Autor und Leser vor Augen: Die Einbildungskraft des Autors, für die er gern Coleridges Begriff »esemplastisch« verwendet (ein Versuch, das deutsche Wort Einbildungskraft, mißverständlich auch »In-eins-Bildung«, ins Griechische zu übersetzen), und die Reaktion des Lesers, die auf Empathie und schließlich Identifikation zielt. Bateson spricht von der »Inkorporation des Gedichts« in das eigene Bewußtsein (English Poetry, 60). Er
ii.
Siehe »Organic Form: Some Questions about a Metaphor«, in Organic Form: The Life of an Idea, hg. v. George Rousseau (1972), Ndr. in Day of the Leopards (1976).
21 Wellek, Literaturkritik 4/1
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versucht, diesen Prozeß zu einem sozialen Vorgang werden zu lassen, indem er den Leser zum Sprecher einer Gruppe macht, wie er den Dichter als Repräsentanten seiner Zeit und seiner Nation versteht. Bateson insistiert auf der urteilenden Funktion der Kritik und leugnet, daß die Interpretation von der Bewertung getrennt werden kann: »Auch der Wert ist ein Faktum« (SC, 25). Die wertende Kritik muß einen Kanon erstellen; sie muß zwischen gut und schlecht nach ästhetischen Gesichtspunkten unterscheiden. Für Bateson setzt die Beurteilung jedoch die Fähigkeit voraus, »zwischen dem, was gut, und dem, was weniger gut im gewöhnlichen menschlichen Verhalten ist«, zu unterscheiden (SC, 66). Dies wiederum erfordert eine Antwort auf die Frage: »Was macht eine gute Gesellschaft aus?« (SC, 16). Bateson ist auch Moralist und Sozialkritiker. Dies ist an seiner Ablehnung der beiden wichtigsten englischen Kritiker seiner Zeit zu erkennen. Einerseits nennt er T. S. Eliot »den besten Kritiker seit Matthew Arnold«, andererseits tadelt er ihn nicht nur wegen seines »Dogmatismus« und seiner »tollkühnen Behauptungen« (ECD, 133), sondern auch wegen seines »anstößigen Klassenbewußtseins« und seines Snobismus (»Criticism's Lost Leader«)12. Leavis wird einerseits wegen seines »moralischen Eifers« und seiner »Integrität« von Bateson bewundert, andererseits wird er von ihm getadelt, weil er sich »weigert, die demokratische Basis in seiner Mitarbeitergruppe anzuerkennen«: »Dr. Leavis war zu sehr >Führer< und zu wenig >Vorsitzender The Construction of Seven Types of Ambiguity«, Modem Language Quarterly 27 (1966): 243-59. -. »Some Ambiguous Preliminaries: Empson in The Granta«, Criticism 8 (1966): 349-61. W. W. Robson. »Mr. Empson on Paradise Lost«, in Critical Essays (1966) S. 87-98. Roger Sale. »The Achievement of William Empson«, Hudson Review 19 (1966): 369-90; Ndr. in Modem Heroism: Essays on D. H. Lawrence, William Empson, and]. R. Tolkien (W3)· J. H. Willis, Jr. William Empson (1969). In der Reihe: Columbia Essays on Modern Writers. Roma Gill, Hg. William Empson: The Man and His Work (1974). Enthält eine Bibliographie von Moira Megaw und Essays von M. C. Bradbrook, G. Fräser und I. A. Richards über die Literaturkritik. Horst Meiler. Das Gedicht als Einübung. Zum Dichtungsverständnis William Empsons (1974) Christopher C. Norris. William Empson and the Philosophy of Literary Criticism, mit einem Postskript von William Empson (1978). Ausgezeichnet. Siehe meine Rezension in Modem Language Review 75 (1980): 182-85.
ZWEITER TEIL AMERIKANISCHE LITERATURKRITIK 1900-1950
KAPITEL I
LITERATURKRITIK VOR DEM NEW CRITICISM NATURALISTEN, SYMBOLISTEN UND IMPRESSIONISTEN
Am Ende des dritten Bandes dieser Geschichte der Literaturkritik wurden Henry James und William Dean Howells als Vertreter einer Realismustheorie vorgestellt. James und Howells publizierten auch noch im 20. Jahrhundert. Doch wurden James' Vorbemerkungen zur New Yorker Ausgabe seiner Romane (1907-17) damals kaum beachtet. Auch in den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatten James und Howells keine allzu große Bedeutung für die Literaturkritik. In den Vereinigten Staaten dominierte eine von Santayana 1911 als »Genteel Tradition« bezeichnete Richtung der Kritik: Dies war eine Variante des Viktorianismus, ein vager und verfälschter Idealismus. Hauptvertreter dieser Richtung war Edmund Clarence Stedman (1833-1908). Er trat hervor als Dichter, Herausgeber von Anthologien, Autor von The New York Stock Exchange: Its History (1905) und als fleißiger Rezensent und Kritiker. 1891 hielt er eine Reihe von Vorlesungen über The Nature and Elements of Poetry. Hier formulierte er eine schwärmerische Auffassung von Dichtung: Sie sei »rhythmisch, imaginativ, expressiv. Sie bringe Geschmack, Gedanken, Leidenschaft und Erkenntnis der menschlichen Seele« zum Ausdruck (44). In der Tat propagiert Stedman Melancholie (Dürers Holzschnitt wird als Titelblatt benutzt), lehnt die l'art pour /^ri-Auffassung ab und begeistert sich für Wahrheit, Ethik und Einbildungskraft als »göttliche Fähigkeiten« des Dichters: »Dichterische Äußerung ist Licht von einem anderen Stern, unsere direkteste Verbindung zur menschlichen Seele« (259). Insgesamt sind Stedmans Äußerungen weitherzig (sogar Whitman wird gelobt), vage, eklektisch, unkritisch und ohne theoretische Grundlage. Die Gegenreaktion erfolgte sehr schnell aus verschiedenen Richtungen. Im wesentlichen war sie beeinflußt durch die neuen Ideen und Stilrichtungen aus Frankreich. Der Naturalismus in der Nachfolge Zolas fand Anhänger und Nachahmer. Dabei ging es um Roman und Erzählung, weniger um Literaturkritik, obwohl die Autoren ihre Überzeugung durchaus wortreich vertraten. Hamlin
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LITERATURKRITIK VOR DEM NEW CRITICISM
Garland (1860-1940) prägte oder entlehnte die Bezeichnung veritist, um seine Form des Naturalismus in The Crumbling Idols (1908) zu beschreiben. Wahrscheinlich wurde er von Eugene Verons Gebrauch des italienischen vensmo angeregt. So hoffte er auf eine Erneuerung der amerikanischen Literatur: »Die Gegenwart ist unser zentrales Thema; die Vergangenheit ist tot; die Zukunft wird sicher für sich selber sorgen« (Brown, 471). Der bedeutendste Romancier, Frank Norris (1870-1902), verteidigt in Responsibilities of a Novelist (1903) den didaktischen Roman. Allerdings räumt er ein, daß der Roman »durch das Erzählen und Beschreiben seiner Gegenstände« eher als durch Proklamation einer These - wie Zola es in Fecondite versuchte - sein Ziel erreiche (Brown, 522). Aus Frankreich kam auch der Symbolismus. Genauer müßte man sagen, daß alle literarischen Richtungen, die zu dieser Zeit in Frankreich anzutreffen waren, in Amerika ihre Fürsprecher fanden. Schon früh fanden sich in Zeitschriften zustimmende Artikel über die französische Literatur. T. S. Perry schrieb über »The Latest Literary Fashion in France« - gemeint ist der Symbolismus - in The Cosmopolitan (1892) und Aline Gorren über »The French Symbolists« in Scribner's (1893). Unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Paris gab Vance Thompson (1863-1925) eine Zeitschrift mit dem merkwürdigen Titel M 'lie New York heraus, für die er Essays schrieb, die später in dem reich illustrierten Sammelband French Portraits nochmals veröffentlicht wurden. Der Essay über Mallarme (ursprünglich 1895 verfaßt) gibt einige Hinweise auf dessen Theorien und unternimmt den Versuch, einige der bekannteren Gedichte zu interpretieren. Für das Titelblatt wählte er jedoch eine große Photographic von Catulle Mendes aus, dem letzten der Parnassiers. Im Gegensatz zu den heute berühmteren Dichtern galt Thompsons Vorliebe den Dichtern Mendes, Jean Moreas und Albert Mockel. Der Band ist James Huneker (1857-1921) gewidmet, dem Hauptverfechter und Vermittler der jüngsten europäischen Literatur. Schon 1896 hatte er die Dichter des Symbolismus gegen Max Nordaus Vorwürfe der Entartung verteidigt. Gleichzeitig begann er eine lange Reihe von Artikeln über Maeterlinck, Laforgue und viele andere zu publizieren, die seine Abhängigkeit von Remy de Gourmont (der auch Vorbild für Vance Thompson war) deutlich demonstrierten. Huneker seinerseits widmete seine späte Essaysammlung Visionaries (1905) Gourmont. Diese Sammlung begründete seinen Ruhm, »einer der bestinformierten ausländischen Kritiker« zu sein, einer von den Kritikern, »die uns [die Franzosen] mit größter Sympathie und Unbefangenheit beurteilen« (Schwab, 194). Dies ist ein zutreffendes Urteil über Huneker, der als Reporter und enthusiastischer wie unkritischer Vermittler sein Wissen über fast alle damals bekannten europäischen Autoren, Musiker und Maler weitergab. Huneker ist unideologisch und schließt niemanden aus. Fast alle nur denkbaren Berühmtheiten in England, Frankreich, Deutschland, Skandinavien, Italien und sogar Rußland werden erwähnt, und alle Künste werden miteinander in Verbindung gebracht. Zurückblickend muß Huneker selber über seine Vorliebe für Synästesie lächeln: »Ich
NATURALISTEN, SYMBOLISTEN UND IMPRESSIONISTEN
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vermengte die sieben freien Künste zu einem riesigen Eintopfgericht. Ich sah Musik, hörte Farben, schmeckte Architektur, roch die Bildhauerkunst und ertastete Düfte.«1 Zwar war seine Methode impressionistisch, sein Stil bildreich und oft hektisch; sein Geschmack war undifferenziert und reichte in der amerikanischen Literatur von Huckleberry Finn bis zu The Wings of the Dove (Schwab, 129-30), im Französischen von Maeterlinck bis Stendhal, im Deutschen von Sudermann bis Nietzsche. Dennoch nahm er unbefangen Bewertungen und Beurteilungen vor und geriet dadurch in Schwierigkeiten. Schon früh hatte er Shaw überschwenglich gelobt. 1894 hatte er eine positive Rezension über Arms and the Man veröffentlicht. Ein kritischer Essay in Iconoclasts provozierte 1905 einen beleidigten Brief von Shaw, in dem dieser Huneker einen »entsetzlich ungenauen Flegel« nannte. Er beschimpfte ihn: »Ihr Kopf ist voller romantischer Idolatrien, und Sie halten sich an keinerlei Regeln« (Schwab, 168). Danach wurde Shaw für Huneker zu einem bete noire. Der Titel eines seiner nächsten Bücher, Promenades of an Impressionist (1910), charakterisiert ihn daher nicht vollständig: Oft war er ein kämpferischer, rechthaberischer Kritiker, der seine Vorurteile ungehemmt verkündete. Doch dies gehört in eine Geschichte der Autorenfehden und nicht in eine Geschichte der Literaturkritik. Dennoch erfüllte Huneker zu seiner Zeit eine wichtige Funktion. Edmund Wilson sieht Hunekers Verdienst darin, daß er die musikalischen und literarischen Ereignisse der letzten fünfzig Jahre von Europa nach Amerika vermittelt habe. Bis zu diesem Zeitpunkt war Amerika in unglaublicher Weise rückständig in der Aufnahme ausländischer kultureller Bewegungen gewesen. Wilson bezeugt, daß Huneker zwar von chaotischer Unbefangenheit gewesen sei, es aber verstanden habe, seine Leser für die Lektüre seiner Lieblingsschriftsteller zu begeistern.2
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Bernard Smith. Forces in American Criticism (1939). Trotz des marxistischen Ansatzes oft tiefblickend. Robert E. Spiller, Willard Thorp et al., Hg. Literary History of the United States, 3 Bde. (1948). Enthält wichtige Kapitel, »The Discovery of Bohemia« von Harry Levin und »The Battle of the Books« von Robert E. Spiller sowie ausführliche Bibliographien in Bd. 3. Morton D. Zabel, Hg. Literary Opinion in America, überarb. Ausg. (1951). Gute Einleitung. William Van O'Connor. The Age of Criticism, 1900-1950 (1952).
1. Zit. von Harry Levin in Spiller, Literary History, 1075. 2. Wilson, Classics and Commercials, 114; Shores of Light, 713.
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LITERATURKRITIK VOR DEM NEW CRITICISM
Clarence Arthur Brown. The Achievement of American Criticism (1954). Enthält schwer zugängliche Texte. Floyd Stovall, Hg. The Development of American Literary Criticism (1955). Enthält Aufsätze über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts von Robert P. Falk und John H. Raleigh. John Paul Pritchard. Criticism in America (1956). Unzulänglich, aber gute Bibliographien. Hans-Joachim Lang. Studien zur Entstehung der neueren amerikanischen Literaturkritik (1961). Wertvolles Quellenstudium auch der weniger bedeutenden Autoren. Arnold T. Schwab. James Gibbon Huneker: Critic of the Seven Arts (1963). Ausführliche Biographie. Walter Sutton. Modem American Literary Criticism (1963). Oberflächliche Ausführungen zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Richard Ruland. The Rediscovery of American Literature: Premises of Critical Taste, 19001940 (1967). Allgemeine Darstellung des wiedererwachenden Interesses an früher amerikanischer Literatur.
H. L. MENCKEN (1880-1956)
Vance Thompson, Huneker und Percival Pollard - Pollard hatte Masks and Minstrels of the New Germany (1911) geschrieben - empfanden alle einen starken Widerwillen gegen ihre kommerzielle und philisterhafte Umgebung. Doch sie beriefen sich auf so unterschiedliche ausländische Schriftsteller, daß sie keine nachhaltige Wirkung erreichen konnten: Sie erregten nur Neugier und Unbehagen. Erst dem viel jüngeren Henry Louis Mencken gelang es, dem Aufbegehren gegen die Genteel Tradition kraftvoll Ausdruck zu verleihen. Aber erst nach dem Ersten Weltkrieg erlangte er wirklichen Einfluß: 1927 wurden von seinem American Mercury monatlich 70000 Exemplare verkauft. Doch schon sehr viel früher hatte er literaturkritische Schriften publiziert. 1905 veröffentlichte er ein kleines Buch, George Bernard Shaw, das hauptsächlich aus einer Erörterung von Shaws Themen ganz in der Art von Shaws eigenem Quintessence of Ibsenism bestand. 1908 folgte ein sehr viel umfangreicheres Werk, The Philosophy of Friedrich Nietzsche, eine stark beschreibende, zusammenfassende, ziemlich ermüdende Studie. Der Schwerpunkt liegt auf Nietzsches Angriff auf das Christentum und auf die Sklavenmoral des Christentums. Mencken interpretiert Nietzsche als Sozial-Darwinisten, als einen Verfechter der Theorie vom »Überleben der Tüchtigsten« und als Verfechter einer neuen Aristokratie »amoralischer Übermenschen«. Ebenfalls sympathisiert Mencken mit Nietzsches Misogynie und seiner Verachtung von Regierung und Demokratie. Die Motive in Nietzsches Denken, die uns heute interessieren, hat er völlig übersehen. Mencken vergleicht Nietzsche mit Thomas Henry Huxley, den er »den größten Engländer
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aller Zeiten« nennt.1 Diese frühen Werke werden durch Menckens umfangreiche und unermüdliche journalistische Tätigkeit völlig in den Hintergrund gedrängt: Seit 1908 arbeitet er für The Smart Set und seit 1923 für The American Mercury. Essaysammlungen, A Book of Prefaces (1917) und die sechs Bände Prejudices (1919-27) sichern ihm einen Platz in der Literaturkritik. Mit dem sorgfältig zusammengestellten, geistreichen und gründlichen Buch The American Language (1919) erhebt Mencken Anspruch auf linguistische Gelehrsamkeit. Er tritt für Unabhängigkeit und Lebenskraft des amerikanischen Englisch ein, das er nachdrücklich als eigenständige Sprache verstanden wissen will. Menckens Einfluß wurde während des Ersten Weltkrieges durch seine deutschfreundliche Haltung für kurze Zeit unterbrochen und verschwand sehr unvermittelt während der Depression, da Mencken der Ansicht war, Politik sei insgesamt nebensächlich, und die Armen sollten arm bleiben. Edmund Wilson, ein maßgeblicher Sachverständiger in dieser Sache, sagt: »Mencken verkörperte das zivilisierte Bewußtsein des modernen Amerika, seine Gelehrsamkeit, seine Intelligenz und seinen Geschmack. Dieses Bewußtsein erkennt, wie grob und ungehobelt amerikanisches Verhalten und Denken sind und schreit auf vor Entsetzen und Ärger« (zit. bei Stenerson, 219). Doch die Begriffe »Entsetzen und Ärger« sind falsch gewählt. Mencken war vielmehr ein heiterer und witziger Satiriker, der sich mit Freude über den amerikanischen Spießer, die Prohibition, den Neopuritanismus und das Mann-Gesetz lustig macht. Wie Wilson später feststellte, wollte Mencken »nur seinen Brahms, sein Bier und seine Bücher und den belustigenden Ausblick auf seine Nachbarn haben«.2 Er wollte den Ausblick auf den »Zoo der amerikanischen Demokratie« - eine Aussicht, die er nicht gegen die auf ein anderes Land eingetauscht haben würde. Doch hinter der heiteren Fassade, der ausgelassenen Lustigkeit und dem herausfordernden Benehmen verbirgt sich eine melancholische Haltung, die Erkenntnis von der Bedeutungslosigkeit des Lebens, das dem Tod ausgesetzt ist, ein Gefühl, das in Menckens literarischen Präferenzen zum Ausdruck kommt. Obwohl die Literaturkritik nur einen kleinen Teil von Menckens Schaffen ausmacht, war sie von großer Bedeutung für den Geschmackswandel, der sich unmittelbar vor und nach dem Ersten Weltkrieg in Amerika vollzog. Amerika befreite sich von den Zwängen der vorangegangenen Zeit. Mencken erhob keinen Anspruch auf eine Theorie. »Kritik«, so bekannte er unverhohlen, »ist im Grunde nichts anderes als ein begründetes Vorurteil« (»Soul's Adventures«, Smart Set 48, 1916, 153). Mencken schätzte J. E. Spingarn, der wie Croce alle Klassifizierung und Moralisierung ablehnte, und begrüßte dessen unakademi-
1. Isaac Goldberg. The Man Mencken (1925), 91. 2. Wilson, Shores of Light, 486.
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sehen Stil. Er bezweifelt jedoch, daß Schönheit eine Erscheinung in vacua sei, »wie Dr. Spingarn es zu meinen scheint«: »Sie hat soziale, politische und sogar moralische Implikationen«. - »Der wirklich kompetente Kritiker muß Empiriker sein. Er muß seine Forschung mit allen seinen Möglichkeiten, so begrenzt sie im individuellen Fall auch sein mögen, vorantreiben. Mit allen ihm verfügbaren Mitteln muß er seine Wirkung zu erreichen suchen.« Mencken würde Spingarns »kreative Kritik« durch den Begriff »katalytische Kritik« ersetzen. Dieser Begriff weist Ähnlichkeit auf mit T. S. Eliots chemischer Metapher für die unpersönliche Rolle des Dichters. Aufgabe des Kritikers ist es, »die Reaktion zwischen dem Kunstwerk und dem Betrachter zu provozieren« (»Criticism of Criticism of Criticism«, PES, 18-20). Diese Auffassung würde - wenn man Menckens Gedanken fortführt - den Kritiker auf eine Mittlerrolle reduzieren. Er würde zum Katalysator, der schließlich diskret verschwindet. Später wendet sich Mencken gegen die Annahme, die Aufgabe des Kritikers sei im Vergleich zu der des Künstlers primär pädagogisch. Der Künstler »will die inneren Gedanken in äußere und objektive Form umsetzen, sich ihrer auf erregende Weise entledigen und dies vernehmlich verkünden in der Welt«. Ein Kritiker, »dem jene intellektuelle Beweglichkeit und Initiative fehlen, die notwendig sind, um vom Kunstwerk zu den dahinterliegenden geheimnisvollen Sachverhalten vorzustoßen, bleibt ein bloßer Sekundant oder Polizist«: »Doch ist ein echter Künstler in ihm verborgen,... so bewegt er sich ganz automatisch vom Kunstwerk zum Leben selber« (»A Footnote on Criticism«, PTS, 84-86). Der Kritiker wird zum kreativen Künstler: »Die Rezension eines Kunstwerks wird selber zum Kunstwerk und ist nur noch indirekt mit ihrem Ausgangspunkt verbunden.« Kein Kritiker kann sich auf seine kritische Aufgabe beschränken. Er wird die Kritik einzelner Kunstwerke aufgeben und eine Tätigkeit beginnen, die ihn zum »Verfechter allgemeiner Ideen macht, d. h. er wird ein Künstler, dessen Material das Leben selber ist«. Mencken glaubt an »kreative Kritik«. Der Kritiker ist »stets darauf bedacht, seine eigenen Ideen zur Darstellung zu bringen« (91). Goethe, Carlyle, Macaulay, Arnold und Sainte-Beuve werden als erstrangige Künstler beschworen: »Vergessen wir die schwierigen Bemühungen, aus der Kritik eine Wissenschaft zu machen: Sie ist eine Kunst oder gar nichts.« Der Wahrheitsgehalt spielt keine Rolle: »Ist Carlyles Frederick wahr? Wen interessiert dies?« (95). Ebenfalls lehnt Mencken die Forderung nach »konstruktiver Kritik« ab. Er bezweifelt, daß Kritik jemals eine Wirkung auf den kritisierten Schriftsteller gehabt habe. Auch das Publikum spielt keine Rolle: »Es kann nicht die Aufgabe der Kritik sein, das Publikum zu bekehren« (92). Es gibt keine unveränderlichen Wahrheiten in der Kunst: »Im Grunde entspricht die Kritik in ihrer Grundhaltung der Skepsis« (97). Diese Extrempositionen, die Mencken in seinen bekanntesten Aufsätzen über Kritik vertritt, entsprechen keineswegs seiner kritischen Praxis: Weder ist er ein unpersönlicher Katalysator noch ein Künstler, der nicht auf den Wahrheitsgehalt seiner Charakterisierungen und Urteile achtet;
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er brachte eine eigene Persönlichkeit und einen eigenen Denkstil in sein kritisches Wirken ein. In der Praxis setzte sich Mencken für den neuen realistischen Roman ein. Dieser soll, so hofft Mencken, »darstellen, nicht was wahr sein könnte oder was wahr sein sollte, sondern was wirklich wahr ist« (PTS, 205). Den realistischen Roman setzt Mencken in einem Artikel sehr oberflächlich gegen die Lyrik ab, die er als »schönen Unsinn« bezeichnet (154). Lyrik besteht im wesentlichen aus der Verneinung der inneren oder äußeren Tatsachen. Als Beleg für solche dichterische Unwahrheit zitiert er Brownings Pippa: »Gott ist im Himmel, auf der Welt ist alles in Ordnung«; er zitiert ebenfalls Henley: »Ich bin Herr meines Schicksals: Ich bin der Kapitän meiner Seele.« Lediglich über die Musikalität der Lyrik spricht er sich anerkennend aus: »Shakespeare sollte, wie Beethoven, zu den Musikern gezählt werden. Als Philosoph ist er weniger als drittklassig« (165). Er benutzte Hamlet, um die schönste Musik, die es je gab, in Worte zu fassen (165). Menckens Interesse galt ausschließlich dem Roman und dem Ideendrama. Zwei Romanschriftsteller, Joseph Conrad und Theodore Dreiser, interessierten ihn besonders. Conrad wird überschwenglich gelobt. Er ist »der größte lebende Dichter englischer Sprache« (Smart Set 44, 1912, 231) und sogar »der größte Romanschriftsteller aller Zeiten« (Vorwort zu A Conrad Argosy, 1942). The Heart of Darkness ist sicherlich »das beste Beispiel für imaginative Kunst, das die englische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts bisher hervorgebracht hat« (Smart Set, 241); »Youth« ist »wohl die besten Kurzgeschichte, die jemals in englischer Sprache geschrieben wurde« (ebd., 96). Lord Jim ist »der größte englische Roman« (Nolte, 71). Obwohl Dreiser nicht von Mencken entdeckt wurde, wurde Mencken einer seiner eifrigsten Verehrer und begründete seinen Ruhm. Er nannte Jenny Gerhardt »den besten amerikanischen Roman«, Sister Carrie wird als »Höhepunkt in der Geschichte der amerikanischen Literatur« bezeichnet. Diese beiden sehr unterschiedlichen Schriftsteller repräsentieren für Mencken eine Lebensauffassung, die seiner eigenen entspricht: Dreiser und Conrad sind von der ungeheuren Verschiedenheit der Dinge fasziniert, sie werden von der tragischen Vergeblichkeit menschlichen Strebens und der tiefen Bedeutungslosigkeit des Lebens bedrängt (BP, n). In einem ausführlichen Vergleich behauptet Mencken: »Wenn man die Namen Dreiser und Conrad gegeneinander austauscht, wird man in ihren Werken kaum ein Wort verändern müssen« (89). »Der Kampf des Menschen ist nicht nur ohnmächtig, sondern auch vergeblich und zwecklos.« - »Beide Schriftsteller verstehen die menschliche Existenz als ergebnislose Suche; beide wenden sich gegen die vorherrschende Interpretation einer großartigen und sinnvollen Existenz; beide ziehen sich auf einen Standpunkt der Ungewißheit zurück« (88). Mencken sieht jedoch auch Unterschiede: »Conrad ist entschiedener; der Grund dafür ist leicht erkennbar. Seiner Herkunft und seiner Erziehung nach ist er Aristokrat.« - »Er hat die Fähigkeit zu gefühlsmäßiger Distanz« (92). Dreiser dagegen »schwankt oftmals ge-
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fährlich zwischen moralischem Sentimentalismus und extravaganter Auflehnung« (93). Der offensichtliche Grund für Menckens Bewunderung ist das Gefühl einer inneren Verwandtschaft mit der agnostischen und pessimistischen Auffassung der beiden Schriftsteller. Darüber hinaus kritisiert Mencken jedoch die Romane auch nach künstlerischen Gesichtspunkten. Der Essay über Dreiser urteilt über einige der späten Romane ziemlich hart. The Genius wird beispielsweise »kraftlos, schwerfällig, tölpelhaft, ungeschliffen, trostlos, naiv, wenig überzeugend und langweilig« genannt (107). Später schrieb Mencken eine negative Rezension über An American Tragedy? Der Roman sei »ein amorphes und abstoßendes Monstrum, eine übervolle Ladung Rohmaterial für einen Roman, mit Abfällen aller Art vermischt«. Der Roman sei »ein riesiges chaotisches Gebilde von 385000 Wörtern, von denen wenigstens 250000 überflüssig« seien. Mencken räumt lediglich ein, daß das Werk »zu seinem abstoßenden Höhepunkt hin besser wird«. Obwohl Conrad sehr viel uneingeschränkter bewundert wird, findet sich auch hier Kritik am Detail. Victory ist ein melodramatischer Thriller; Under Western Eyes gibt eine verkrampfte Darstellung der russischen Mentalität; Chance ist unnötig kompliziert. Menckens Absicht war, Conrad in Amerika bekannt zu machen. Dreiser wollte er dagegen gegen die Angriffe der Zensur verteidigen. Stuart Shermans Vorwurf, Dreiser zwinge seinen Charakteren die eigene materialistische Philosophie auf, kontert Mencken, indem er absurderweise Dreisers Naturalismus leugnet: »Dreisers Geisteshaltung geht nicht auf Zola, Flaubert, Augier und den jüngeren Dumas zurück, sondern beruft sich auf die Griechen« (Bode, The Young Mencken, 555). Mencken setzte sich ebenfalls für Sinclair Lewis und besonders für seinen Roman Babbitt ein, weil dieser Roman eine genaue Beschreibung der amerikanischen Provinz enthält. Upton Sinclair lehnte er dagegen schon sehr früh ab: 1908 bezichtigte er ihn, er verwechsle die Aufgaben des Romanschriftstellers mit denen eines Kreuzritters. The Money^ Changersist »eine überladene soziologische Studie« (ebd., 103). Mencken hatte wenig Sympathie für den Sozialismus. Menckens Eintreten für den neuen amerikanischen Naturalismus wird ergänzt durch seine unerschrockene Bewunderung von Schriftstellern ganz anderer Art: James Branch Cabell ist Gegenstand eines fast schwärmerischen Büchleins (1917). Max Beerbohms Zuleika Dobson findet Menckens überschwengliches Lob (Smart Set, 1912, 134-42). Seine Bewunderung für die phantastische Utopie Cabells begründet Mencken mit dem Argument, daß »Jurgen trotz seiner grotesken Fabel im Stil so realistisch ist wie Zolas La Terre«. Cabells künstlerische Bedeutung »begründet sich fast ausschließlich durch seine Fähigkeit zu akkurater Beobachtung und realistischer Darstellung« (PTS, 206). Unter den englischen Romanciers wird Arnold Bennett hervorgehoben: Er sei frei von messianischem Sendungsbewußtsein, jedoch ohne Leidenschaft und 3. A Mencken Chrestomathy (1944), 501-05, ursprünglich in American Mercury (1926).
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Emotionen in Bezug auf seine Charaktere; er sei gelähmt durch Skepsis und Ironie (PFS, 36-37). Schon früh lobt Mencken Tono Bungay und The New Machiavelli von H. G. Wells, ist aber von dessen späteren Werken enttäuscht: »Die späten Werke zeigen, wie der Künstler zum Sozialreformer und zum professionellen Weisen wird« (PFS, 290). Moon and Sixpence von Somerset Maugham und Crome Yellow von Aldous Huxley finden Menckens Zustimmung, D. H. Lawrence und Virginia Woolf dagegen lehnt er ab. Bedenkt man Menckens grundsätzliche Verachtung der Lyrik und sein geringes Interesse daran (ausgenommen vielleicht E. L. Masters und Carl Sandburg), so überrascht es, wenn er Ezra Pounds wegen »atemberaubender Kraft« und wegen »mächtiger heidnischer Musikalität« lobt (Smart Set, 1911, 77). Doch T. S. Eliots Dichtung blieb ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Mencken war stolz auf seine Abstammung von deutschen Wissenschaftlern. Er sah sich selber als Verfechter einer neuen Nationalliteratur, die sich von der Vorherrschaft der »Sassenach«Tradition befreit hatte und den neuen Emigranten (Dreiser, Dos Passos, Hergesheimer, Steinbeck) Gehör verschafft hatte. Er bewundert Huneker, weil dieser die Verbindung zum kontinentalen Europa hergestellt hatte: »Er befreite die amerikanische Literaturkritik aus ihrer Einfalt, und gleichzeitig befreite er die anderen Künste« (PTS, 83). Doch Mencken Uagte, daß Huneker - ganz im Gegensatz zu ihm selber - trotz seiner Initiative und seiner Bilderstürmerei eigentlich keine Kämpfernatur gewesen sei und daß Hunekers Verspottung der nationalen Ästhetiktradition selten die Form einer offenen Herausforderung angenommen habe (76). Huneker sei viel zu empfänglich für »den Hokuspokus der Mystiker, vor allem Maeterlincks«, gewesen (Bode, The Young Mencken, 513). Mencken dagegen interessierte sich - abgesehen von Nietzsche - wenig für die europäische Literatur. Das frühe Interesse an Ibsen, Hauptmann und Sudermann ist nur oberflächlich. Ein Essay über Strindberg ist sehr kritisch: Mencken verachtet Strindbergs Interesse am Spiritualismus und an der Theologie, er mißbilligt die »allgemeine Unklarheit und Abwegigkeit in ernsten Gedankengängen«. Er schließt seine Ausführungen damit, daß er Strindberg einen »zweitrangigen Künstler« nennt (Smart Set, 67). Die größte Provokation rief damals Menckens geringe Wertschätzung der amerikanischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts hervor. Seiner Meinung nach war sie vom Puritanismus beherrscht, ein ungenauer Ausdruck für verflachten Idealismus und prüdes Philistertum. Emerson wird »der akademische Theoretiker par excellence« genannt: »Er lebte in einer Welt mystischer Abstraktionen« (Smart Set, 184). »Obwohl zu Lebzeiten als Revolutionär gefeiert, war Emerson tatsächlich epigonal und zaghaft, ein Importeur abgestandener deutscher Ideen« (PFS, 191; ähnlich: PSS, 44). Mencken tadelt ihn wegen seiner Anhänger, die sich in New Thought und Christian Science zu Wort melden. Hawthorne, so beklagte sich Mencken, »befaßte sich mit Problemen, die nicht nur abwegig und konstruiert, sondern längst überholt waren; in seinem Hauptwerk bemüht er 23
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sich, so könnte man fast sagen, die Toten zu psychoanalysieren« (Smart Set, 184). Poe wird sozusagen als Antipode zum großen nationalen Künstler gesehen: »Inmitten der denkbar schmutzigsten Zivilisation und angesichts einer Anhäufung von Pedanten widmete er sich mit großer Geste dem heliogabalisme« (185). Als Dichter und Erzähler war Poe für Mencken von geringem Interesse. Er hob dessen Literaturkritik lediglich als negatives und abschreckendes Beispiel hervor (333-34 und PSS, 60-63). Seine Schriften »sind voller seltsamer Schrecken, die ihn verfolgten; sonst findet sich wenig Erwähnenswertes« (Nolte, 162). Whitman war der menschlichen Gemeinschaft stärker zugewandt, doch er hielt »den äußeren Schein fälschlich für ein großes Sakrament, er hielt einen billigen bunten Zirkus für eine Wiederkehr Christi« (Smart Set, 185). Mencken denunzierte William Dean Howells als das überlebende Idol einer verachtenswerten Vergangenheit: »Hinter all seinem Charme verbirgt sich keinerlei konkrete Aussage. Seine Psychologie ist oberflächlich, amateurhaft, oft abwegig: Seine Ironie ist kaum mehr als einfältige Drolligkeit; seine Charaktere sind ohne jede Lebendigkeit« (PFS, 54). Um Henry James machte Mencken einen Bogen. Er hielt ihn für »eine Art Super-Howells mit einer langen Reihe umständlicher, aber nichtssagender Bücher« (Smart Set, 13). Der einzige frühe amerikanische Schriftsteller, den Mencken ohne Einschränkung bewunderte, war Mark Twain. Er überhäufte Huckleberry Finn mit Lob und bezeichnete das Buch als »eines der größten Meisterwerke der Welt, ein ranggleiches Pendant zu Don Quijote und Robinson Crusoe«; er hielt es für »sehr viel besser als Gil Bias, Tristram Shandy, Nicholas Nickleby oder Tom Jones« (Smart Set, 179). Noch überschwenglicher formulierte er: »Mark Twain ist das genaue Äquivalent von Cervantes und Moliere, von Swift und Defoe. Er war und ist der einzige wahre Gigant unserer Nationalliteratur« (181). Hier wird eine vollständige Wandlung sichtbar: Mark Twain war lange Zeit als Buffo abgetan worden. Mencken hatte die gerade edierten Spätschriften gelesen und zeigte sich interessiert an der Entdeckung von Verzweiflung und Zynismus als Facetten von Twains Werk. Mencken war ein kampferprobter Polemiker: Mit Vergnügen übte er destruktive Kritik an sentimentaler Dichtung und verurteilte alle akademischen Kritiker, allen voran die neuen Humanisten. Er bezeichnete sie als schwerfällig, moralistisch und anachronistisch; Paul Elmer More sei langweilig, wisse nichts zu sagen, obwohl er »möglicherweise einem echten Wissenschaftler in Amerika am nächsten kommt - Gott bewahre uns vor ihm!« (PTS, 178). Babbitt ist »ein Tagträumer wie Jean-Jacques Rousseau. Er strebt zu Buddha und dem Bhong-Baum, zu Sokrates und dem Hex zurück ... Er ist so sentimental wie Bernardin de St. Pierre« (Nolte, 169). Die Humanisten rächten sich für diese Verurteilung: Babbitt warf ihm »selbstzufriedenen Zynismus« vor (On Being Creative, 212), More bezeichnete ihn als »zänkischen Rüpel« (Demon of the Absolute, 76). In diesen Äußerungen liegt eine Spur von Wahrheit. Doch Mencken erfüllte in seiner Zeit eine wichtige Funktion für die Emanzipation der amerikanischen
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Literaturkritik von Selbstzufriedenheit und Konformität, engstirniger Prüderie, borniertem Patriotismus und erdrückender ästhetischer Konvention. In seinem Kampf gegen offizielle Zensur und die inoffizielle Unterdrückung des Unkonventionellen kamen Kraft und Mut zum Ausdruck. Mencken betonte später selber, daß die Schlacht gewonnen sei, daß der amerikanische Schriftsteller jetzt »so frei, wie er es verdient«, sei (PFthS, 289). Als Verfechter des neuen Realismus und Naturalismus gebührt Mencken ebenfalls Verdienst. Allerdings scheint er, rückblickend geurteilt, Nebensächliches überzubewerten und den großen Errungenschaften der Moderne unempfänglich gegenüber zu stehen. Heute erscheint seine strenge Kritik an der frühen amerikanischen Literaturtradition ungerechtfertigt. Damals dagegen diente sie als Gegenkraft gegen die erstarrten Illusionen der älteren Generation. Mencken blieb seiner Sache treu. Er hielt nichts von der Wiederentdeckung der amerikanischen Literatur: »Historisch gesehen besteht das gesamte gegenwärtige Geschwätz über eine Restauration der altamerikanischen Tradition nur aus Narretei und Dummheit« (19). Nur wenige Gestalten - Emerson, Hawthorne, Poe und Whitman - verdienen Aufmerksamkeit. Trotz dieser Verdienste, trotz des Schwunges, des scharfen Geistes, der amüsanten Selbstdarstellung in vielen seiner Schriften bleibt Mencken dennoch ein Literaturkritiker von sekundärer Bedeutung. Seine Zeit ist vorbei, obwohl er auch heute noch eine große Gruppe von Bewunderern, Herausgebern, Sammlern und - vor allem - begeisterte Leser findet. Dies liegt an seiner farbigen Persönlichkeit, seinem beißenden und kraftvollen Stil, der voller amüsanter Vergleiche und Bonmots ist. Ein typisches Beispiel dafür: »Ein kräftiges Gelächter ist zehntausend Syllogismen wert. Es ist nicht nur wirkungsvoller, sondern auch entschieden intelligenter« (140). Es schmeichelt einem Publikum, »sich über die stumpfe Menge«, die »Herde«, »die Spießbürger«, die Professoren, Politiker, Kleriker und viele andere, die Mencken offensichtlich verachtete, zu erheben, ohne dabei die Anstrengung der Theorie und des Nachdenkens auf sich nehmen zu müssen.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE A Book of Prefaces (1917). Zit. als B. P. Prejudices: First Series (1919). Zit. als PFS. Prejudices: Second Series (1920). Zit. als PSS. Prejudices: Third Series (1922). Zit. als PTS. Prejudices: Fourth Series (1924). Zit. als PFthS. H. L. Mencken's Smart Set Criticism, hg. v. William H. Nolte (1968). Nachdr. der Arbeiten in Auswahl.
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Betty Adler und Jane Wilhelm, Hg. H. L. Mencken: A Bibliography (1961). Auflistung zahlreicher Titel. William H. Nolte. H. L. Mencken: Literary Critic (1967). Sehr nützlich. Douglas C. Stenerson. H. L. Mencken: Inconoclastfrom Baltimore (1971). Eine gute Darstellung. Carl Bode, Hg. The Young Mencken (1973). Nachdr. früher Arbeiten in Auswahl.
VAN WYCK BROOKS (1886-1963)
Wie Mencken gehörte Van Wyck Brooks in seinen frühen Jahren zu den heftigen Kritikern amerikanischer Literatur und Kultur. In einem gekünstelten Dialog, The Wine of the Puritans (1908), machte er die Puritaner verantwortlich für Transzendentalismus, Idealismus und Kommerzialismus. Die Metapher des Titels wird von ihm erklärt: »Man gießt alten Wein in neue Flaschen... Das Aroma oder das Ideal wird zum Transzendentalismus, der Wein oder das Reale wird zum Kommerzialismus« (60). Einige Jahre später formulierte Brooks in America 's Corning of Age (geschrieben 1914, veröffentlicht 1916) diesen Sachverhalt sehr viel direkter und daher wirkungsvoller. Der Kontrast von lowbrow und highbrow (das OED gibt Beispiele von 1911 und 1914) wurde zwar nicht von ihm geprägt, doch verschaffte er ihm durch sein erstes Kapitel, das dieses Begriffspaar im Titel enthielt, Popularität. In diesem Kapitel wiederholt er die Ansicht, daß »die puritanische Theokratie der einflußreichste Faktor in der Geschichte des amerikanischen Bewußtseins« sei (8). Sie ist der Ursprung zweier gleichermaßen unsozialer Richtungen: Der Transzendentalismus »führte schließlich zur Unwirklichkeit des größten Teils der zeitgenössischen Kultur«, der catchpennyOpportunismus herrscht im zeitgenössischen Geschäftsleben (9-10). Jonathan Edwards, der highbrow, und Benjamin Franklin, der lowbrow, sind die beiden großen Vorläufer des amerikanischen Charakters. Sie schufen die Doppelung von vertrockneter Kultur und übertriebenem Utilitarismus. Die Situation der amerikanischen Literatur spiegelt diese Blockierung. Die Dichter waren »unmaßgeblich, ausgelaugt und isoliert«. Die klassische Periode der amerikanischen Literatur war durch das Fehlen eines sozialen Hintergrundes paralysiert (46). Brooks kritisiert die großen Gestalten scharf: »Longfellow bedeutet für die Dichtung, was der Leierkasten für die Musik bedeutet« (50). Poe nahm die romantischen Spielereien ernst. Seine Welt ist »kalt, verdorrt, mondsüchtig, steril, eine Teufelsheide« (59). Hawthorne versucht, »Nebel zu modulieren, wie die Griechen Marmor gestalteten«: »Seine Begabung ist dürftig und blutleer« (66). »Er war ein Gespenst in einer gespenstischen Welt« (70). Immer wieder kehrt Brooks zu diesen beiden Extrempunkten zurück. Der Transzendentalis-
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mus ließ »die Beziehung zwischen Theorie und Praxis, zwischen Abstraktem und Konkretem außer acht« (71). Er machte die Kunst zu »einem Organ der Religion« (93). Emersons »schwache Stimme ertönte aus großer Ferne, fast wie ein kontinuierliches Falsett« (75). Lowell war »ein freundlich-nichtssagender Botschafter ohne Ideen und ohne Programm«. Der Grundtenor der Kritik bleibt derselbe: Den amerikanischen Schriftstellern fehlte die Integration in eine kongeniale Gesellschaft. Sie litten unter dem »isolierenden Idealismus«: Dabei gilt jedoch: »Je tiefer, dringender und unmittelbarer man den Druck der Gesellschaft spürt, um so tiefer, bewußter und reifer findet man zu sich selbst« (2). Die einzige Ausnahme bildet Walt Whitman: »Er vermittelte zum erstenmal das Gefühl des Organischen im amerikanischen Leben« (112). Er trieb die Entwicklung des amerikanischen Charakters voran (118), gab ihm ein Zentrum des Bewußtseins und legte »den Grundstein des nationalen Ideals« (121). Brooks erkennt jedoch, daß Whitman durch fehlende Selektion auch die Konfusion der Dinge und das fait accompli wohlgefällig anerkennt (123) und unfähig zur Disziplin ist (126). Die europäische Literatur »wird zusehends dichter und konzentrierter, während die amerikanische Literatur immer geschwätziger und langatmiger wird« (173). Er schließt jedoch seine Ausführungen mit einem unerwartet positiven Ausblick: »Alle Amerikaner sind gut - dies ist mein Axiom.« - »Vielleicht wird der verdorrte alte Yankee-Stock sich regen und ausschlagen und ein Meer von Blüten hervorbringen. Schließlich ist die Menschheit älter als der Puritanismus« (182-83). Diese Schlußfolgerung steht zum Vorangegangenen in Widerspruch (wie der vom Verlag vorgeschlagene Titel; Brooks hatte sein Buch »A Fable for Yankees« genannt). Tatsächlich drückt sie Brooks' durchgängige Hauptthese aus: »Die noble Religion des Nationalismus« (Sketches, 185). Er vertritt die Hoffnung, daß eine große Nationalliteratur »ein Stimulus und eine Hilfe für die menschliche Entwicklung« sein werde (135), daß die Kritiker »nationale Erwecker« sein sollten (Three Essays, 168). Die Harmonie von Literatur und Gesellschaft ist sein Ideal. Die ältere amerikanische Literatur wird kritisiert, weil dieses Ideal dort fehlt. Das Talent der Schriftsteller wurde durch die Gesellschaft verdorben und abgeschwächt. Diese These findet sich in Brooks' bekanntesten und besten Büchern: The Ordeal of Mark Twain (1920) und The Pilgrimage of Henry James (1925). Beide Bücher sind psychologische Biographien, die das Hauptthema des frühen Brooks weiterentwickeln: Das Leiden des Künstlers an der Gesellschaft. Schon sehr viel früher hatte Brooks einfühlsame, doch etwas oberflächliche Studien über Senancour, Maurice de Guerin und Amiel geschrieben, die unter dem Titel The Malady of the Ideal (1913) veröffentlicht wurden. Wie in dem Euch John Addington Symonds (1914) geht es auch in den Studien um europäische Schriftsteller, die von der sie umgebenden Gesellschaft isoliert sind. In den beiden Büchern über amerikanische Schriftsteller wird jedoch die Misere des Künstlers den besonderen Miß-
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ständen in Amerika zugeschrieben. Brooks zeigt Twain als einen Autor, der durch den Materialismus des vergoldeten Zeitalters verkrüppelt, verführt und korrumpiert war und der unter dem Druck von Mutter und Ehefrau zu wenigstens äußerlicher Konformität mit den Konventionen der gehobenen Schichten gezwungen wurde; dies begründete seinen Zynismus und seine Verzweiflung, die in seinen posthum veröffentlichten Schriften Mysterious Stranger (1916), What is Man?and Other Essays (1917) und The Letters (von Albert B. Paine gesammelt, hrsg. 1917) zum Ausdruck kommen. Brooks bemüht sich, eine Erklärung zu finden sowohl für Twains »Leid, seine Angst vor Einsamkeit, sein gefoltertes Gewissen, seine abwegigen Selbstbezichtigungen, seine offensichtliche Selbstverachtung« (26) wie auch für »schriftstellerische Entgleisungen in seinem Schaffensprozeß, für eine gehemmte Persönlichkeit, eine blockierte menschliche Entwicklung« (27). Die dafür bemühten psychoanalytischen Theorien bleiben ziemlich amateurhaft. Ausführlich schildert er, wie Twain in der Nacht nach seines Vaters Beerdigung schlafwandelte. Er folgert, daß dieser Somnambulismus Hinweis auf eine gespaltene Persönlichkeit sei. Twains literarische Vorliebe für Zwillinge und Verdoppelungen stützt diese Diagnose. Brooks kannte zu dieser Zeit Freud noch nicht, hatte jedoch die Arbeit des englischen Psychiaters Bernard Hart, Psychology of Insanity (1912), gelesen. Brooks' unklare Vorstellungen vom Westen der USA und von Hannibal/Missouri im besonderen riefen erheblichen Widerspruch hervor. Er bezeichnete Hannibal als den ödesten Platz unter der Sonne und wunderte sich, daß ausgerechnet hier ein literarisches Genie gelebt haben sollte. Bernard De Voto wirft Brooks in seinem Buch Mark Twain's America (1932) vor, daß er den Westen und seinen Humor nicht verstanden habe. Gravierender ist jedoch nach meiner Meinung Brooks' oberflächliche Literaturkritik. Zum einen überbetont er Twains nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten (ein mißlungener Swift), zum anderen schätzt er Twains literarische Erfolge, besonders Huckleberry Finn, viel zu gering ein. Selbst später noch schreibt Brooks über Huckleberry Finn: »Es ist ein Kinderbuch für Kinder, geschrieben von einem Kind« (From a Writer's Notebook, 102). The Pilgrimage of Henry James (1925) ist sehr viel interessanter. Es vertritt allerdings die zweifelhafte These, James habe sich selber entwurzelt und sein Talent geschädigt, weil er nach England ging. Wie F. R. Leavis gehört auch Brooks zu den Kritikern, die die späten Romane James' wenig schätzten: The Ambassadors, The Golden Bowl und The Wings of the Dove. Hier, so sagt Brooks, »haben die Personen für James nahezu aufgehört zu existieren. Grundsätze sind an ihre Stelle getreten« (124). James habe das lebendige Gefühl für eine objektive Wirklichkeit verloren (125) und arbeite im luftleeren Raum (134). Auch die Romane aus der mittleren Schaffensperiodejames' übergeht Brooks (89). Damit widerlegt er seine eigene These, daß James sich von seiner Lebensquelle durch sein Verlassen Amerikas abgeschnitten habe (64). Grundsätzlich richtig ist Brooks Urteil, daß »James auch in Paris die Prägung durch die puritanische Welt seiner
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Vorfahren beibehalten« habe (60) und daß er in London erfolglos geblieben sei. Trotzdem habe James seine ursprüngliche Vorstellung von England bis zum Ende aufrechterhalten (79). Beim Versuch einer Anpassung an den englischen Lebensstil verlor James seine instinktive Urteilsfähigkeit über Menschen und Dinge (105). In dem Maße, wie sein Talent wuchs, so stellt Brooks fest, sei sein Bewußtsein für menschliche Werte verfallen. Der späte Stil zeige »das Ausweichen, das Zögern, die Skrupelhaftigkeit eines zunehmend ratlosen Menschen«. Hinter den Romanen, »jenen großartigen Projektionen eines geometrischen Intellekts«, entdeckt Brooks »die verwirrten Träume eines kranken Kindes« (131). Der gesamte Sachverhalt wird völlig falsch eingeschätzt. Die Reduktion auf eine einzige Ursache, nämlich Expatriation, ist nicht beweisbar und wahrscheinlich sogar falsch. Brooks stellt den Sachverhalt mit Zitaten aus James' Erinnerungen, Briefen und Schriften dar und beschwört die Erinnerung an James und an das Schicksal eines Amerikaners in Europa mit so viel Charme, daß seine gewagte Grundthese abgeschwächt wird und aus dem Blickfeld gerät. Brooks' Methode, um mit den Worten James' zu sprechen, verwischt jedoch die Ironie und die komplexe moralische Vision des Autors. Nachdem The Pilgrimage of Henry James veröffentlicht war, beschäftigte sich Brooks wieder mit Emerson und gelangte zu einer völlig neuen Sicht der amerikanischen Vergangenheit. Er schrieb in einem Brief: »Bisher habe ich vor allem die dunkle Seite unseres Mondes erforscht; der begnadete Emerson hat mich geradewegs auf die Sonnenseite geführt« (Spiller, Brooks-Mumford Letters, 33). Sehr viel später fühlte sich Brooks als Versager und meinte, »daß meine Arbeit eine falsche Richtung genommen hat, daß ich mich geirrt habe in allem, was ich sagte oder dachte« (Autobiography, 739). Er begann eine Biographie über Emerson zu schreiben, führte diese jedoch nicht zu Ende: Er erlitt einen schweren Nervenzusammenbruch und kämpfte jahrelang mit Depressionen. Als 1932 sein Life of Emerson doch noch erschien, war es ein Mosaik von Zitaten, eigenartig unpersönlich und hagiographisch im Ton. Das biographische Faktum dieses »Seelenkampfes« muß erwähnt werden, um die Auffassung zu widerlegen, daß Brooks nach seinem Zusammenbruch ein Konversionserlebnis hatte. Die Wandlung ging der Krankheit voraus. Emerson und Others (1927) enthält lange Abschnitte aus dem späteren Buch. Dennoch, der Wechsel ist nicht zu leugnen, wann immer er auch stattgefunden haben mag. Der scharfe Kritiker der amerikanischen Vergangenheit wandelte sich zu einem laudator temporis acti. Doch läßt sich auch eine Verbindung zwischen beiden Stadien der Entwicklung Brooks' erkennen. Schon früh war er ein romantischer Nationalist: »Der große Schriftsteller ist die Stimme des Volkes« (Pilgrimage, 51). Dies war sein Credo: Auch in seiner kritischen Zeit forderte er, daß die Stimme des Schriftstellers laut, klar und hoffnungsvoll sein solle. Seine Enttäuschung über die Vergangenheit war die Enttäuschung eines Enthusiasten. War er zunächst der Ansicht, daß Amerika versagt habe, so gelangte er später zu der Ansicht, daß er versäumt habe, den
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Ruhm Amerikas zu erkennen. Den größten Teil seines letzten Lebensabschnitts widmete Brooks einer großartigen fünfbändigen Geschichte der amerikanischen Literatur: Makers and Finders. Sie erschien nicht in chronologischer Anordnung der Ereignisse, sondern begann mit dem Höhepunkt der amerikanischen Literatur: The Flowering of New England, 1815-1865 (1936). Das Werk wurde zu einem beispiellosen Erfolg, gewann den Pulitzer-Preis und wurde in vier Monaten iiooomal verkauft. Der erste Band war jedoch auch mit Abstand der beste. Es folgte New Engfand: Indian Summer 1865-1915 (1940). The World of Washington Irving (1941) behandelte die vorangehende Epoche; The Time of Melville and Whitman (1947) hatte die Literatur außerhalb Neuenglands zum Gegenstand; The Confident Years, 1885-1915 (1952) reichte bis fast in die Gegenwart. Diese Bände wurden »nicht nur als die beste Geschichte der amerikanischen Literatur, sondern als eine der besten Literaturgeschichten überhaupt« bezeichnet (Carl Van Doren in Hoopes, 198). Diese Bände spiegeln eine stupende Belesenheit: Brooks spricht von 4000 Bänden Lektüre. Besonders die beiden ersten Bände zeigen Brooks' Fähigkeit, Atmosphäre, Kostüme und Gesichter heraufzubeschwören, Miniaturen zu zeichnen, Anekdoten zu erzählen und das Leben des amerikanischen Schriftstellers zu beschreiben. Seine persönlichen Beziehungen, seine Ortsgebundenheit, seine Gefühle und Vorstellungen über seine Umgebung werden herausgestellt. Viele Leser waren von dieser Art der Darstellung begeistert. Als Literaturgeschichte jedoch verfehlen diese Bücher ihren Zweck. Weder findet sich darin eine konkrete Literaturanalyse noch eine zusammenhängende Darstellung literarischer Themen und Formen. Auch gibt es keine zusammenhängende und kritische Abhandlung über die Weltsicht der Autoren, über ihre Beziehung zur Vergangenheit oder zu Europa. Die Anordnung erfolgt ausschließlich nach äußeren Gesichtspunkten und Kriterien. Beispielsweise werden so unterschiedliche Autoren wie Rowland E. Robinson, Autor von Uncle Lisha 's Shop, John Dewey, Eugene O'Neill, Edna St. Vincent Millay und Mary Wilkins in einem einzigen Kapitel behandelt, und dies nur aus dem Grunde, weil alle Autoren aus Neuengland, aber nicht aus Boston stammen. Nur die abgegriffenen Metaphern von »Frühling, Sommer und Nachsommer« oder ein »zweiter März«, der in diesem Fall von Edwin Arlington Robinson, Robert Frost, Amy Lowell, John Dewey und Gamaliel Bradford verkörpert wird, gliedern diese Bücher. »Verwelken und verfaulen«, »zur Blüte gelangen«, »Agonie« und »Scheintod« sind Stichwörter, mit denen Kontinuität hergestellt wird. Im übrigen bestehen diese Bände aus einem bunten Mosaik von Namen, Städten, Orten und Ideensplittern. Die verwendeten Vergleiche sind wenig erhellend: Massachusetts ist ein kleineres England, Boston ein anderes Edinburgh, Cambridge ein zweites Heidelberg, Harvard »ein provinzielles Oxford«. Webster erinnert an Edmund Burke, Edward Everett ist ein zweiter Abälard und Oliver Wendell Holmes ein amerikanischer Pope (Flowering, 2, 7,166, 41, 94,100,355). Brooks3 Verdienst besteht darin,
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die amerikanischen Schriftsteller in ihrer Eingebundenheit in örtliche und persönliche Gegebenheiten dargestellt zu haben, um zu demonstrieren, daß es in der Tat ein literarisches Leben in Amerika gab, selbst wenn Brooks gelegentlich Zusammenhänge forciert und Zufälligkeiten überbewertet. Brooks' allgemeine Ansicht von der Urbanisierung Amerikas ist zutreffend. Er bezieht sich durchgängig auf die Utopie einer Nation, deren Grundcharakteristika »Bodenständigkeit, intensive Frömmigkeit, Ursprünglichkeit, Naivität in Kunst und Wissenschaft, tiefe Verbundenheit mit Heimat und Vaterland« waren; jetzt ist diese Nation in bedauerlicher Weise entwurzelt und desorientiert (Wasserstrom, Legacy, 233). Obwohl Brooks' Einbeziehung auch vergessener Schriftsteller von geringer Bedeutung grundsätzlich verdienstvoll ist, bewirkt sie doch auch wieder eine Verwischung der Unterschiede, eine Einebnung der literarischen Landschaft, eine verfehlte Gleichmacherei, eine Absage an die Aufgaben der Literaturkritik. Neben diesen pauschalen, undifferenzierten, nostalgischen Abhandlungen schrieb Brooks auch weiterhin kritische Erörterungen, in denen er zeitgenössische Autoren und Werke beurteilte. Nur die Vergangenheit behandelte er mit Nachsicht und Bewunderung. Sein Buch The Opinions of Oliver Allston (1941) überrascht durch die harte Verurteilung eines großen Teils der modernen Literatur: Eliot, Joyce, Pound, die Southern Critics und viele andere wurden scharf kritisiert. Die Idee, die Ansichten eines fiktiven verstorbenen Freundes wiederzugeben, sollte einen doppelten Brennpunkt und hinreichende Distanz schaffen. Gleichzeitig sollte dadurch ein Spielraum für eigene Idiosynkrasien entstehen. Aber das Maskenspiel ist zu offensichtlich. Die Unterscheidung zwischen beiden Autoren verwischt sich. Die Allston zugesprochenen Meinungen entstammen Brooks' eigenem Notizbuch. Brooks bezieht sich auf Allstons »Abneigung gegen alles Theoretisieren«: Kritiker sollten »jede Form der Theorie mit Abscheu von sich weisen« (108). Hinter dieser Übertreibung verbirgt sich ein sehr simpler Maßstab der Beurteilung: Literatur soll Bestandteil des Lebens sein, dem »Wesen der Natur folgen«, das »Leben bereichern«, »den Lebenswillen stärken« (115) und »ein Stimulus zum Leben« sein (133). Mit solchen darwinistischen oder nietzeschen Formeln rechtfertigt Brooks seine Unterscheidung zwischen »erstklassiger« und »zweitklassiger« Literatur. Die »erstklassige Literatur« ist positiv, optimistisch, glaubt an den Fortschritt und das Gute im Menschen (154-55) und wird von Autoren verfaßt, die sich für Gesundheit, Willenskraft und Mut einsetzen und sich mit großen Themen wie »Gerechtigkeit, Gnade, Ehre und Liebe« befassen (145). Brooks' Liste der hervorragenden Autoren schließt alle großen Klassiker der Literatur ein, seien sie nun Optimisten oder auch nicht: Goethe und Dickens, Tolstoi und Dostojewski (der wohl kaum als fortschrittsgläubig zu bezeichnen ist); von den zeitgenössischen noch lebenden Autoren werden Thomas Mann, Robert Frost, Carl Sandburg und Lewis Mumford genannt. Die lange Liste der zweitrangigen »Koterie-Literatur« zählt alle von Brooks nicht geschätzten Autoren auf: Die französischen Symbolisten, Eliot,
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Pound, Gertrude Stein, Joyce und die Neuen Kritiker. Die Einwände gegen die Southern Critics beruhen auf Brooks' fälschlicher Ansicht, daß diese Kritiker Wissenschaftler sein wollten und daß sie »keinerlei Wertgefühl« hätten (165). Im Laufe der Zeit verschärfte sich Brooks' Angriff auf die »Koterie-Literatur« zu irrationalen Haßtiraden besonders gegen T. S. Eliot (siehe Hoopes, 234) und Joyce, »den kranken irischen Jesuiten«. The Confident Years, der letzte Band seiner Literaturgeschichte, wiederholt seine pauschale Verurteilung der Moderne und beklagt die seiner Meinung nach verhängnisvolle Wende vom Optimismus eines William James zum Pessimismus eines Henry Adams: »Zu diesem Zeitpunkt breitete sich der Mythos von Moby Dick im amerikanischen Bewußtsein aus, und Melvilles übermächtige Vorstellung von der Allgewalt des Bösen verfinsterte die strahlende Helligkeit von Emerson und Whitman« (347). In seinen späteren Jahren publizierte Brooks eine Reihe von Büchern: Biographien wie Howells: His Life and World (1959), das reizvolle Dream of Arcadia: American Writers and Artists in Italy, 1760-1915 (1958), eine ausführliche Autobiographie in drei Bänden Scenes and Portraits: Memories of Childhood and Youth (1954), Days of the Phoenix: The Nineteen-Twenties IRemember(1957) und From the Shadow of the Mountain: My Post-Meridian Years (1961; einbändiger Ndr. 1961). Diese Autobiographie ist nostalgisch im Ton, apologetisch in der Absicht, urban und freundlich. Ihr folgen eine Reihe gesammelter Aufzeichnungen wie The Writer in America (1953) und From a Writer's Notebook (1958). Diese Werke enthalten viele plausible, oft aber auch triviale Überlegungen und Urteile und führen den Angriff auf die neueren literarischen Strömungen fort. Brooks bevorzugt affirmative Autoren, die »uns an das Gute im Menschen erinnern, die Lebensfreude zurückbringen und uns die Fähigkeit zur Hoffnung vermitteln« (The Writer, 188). So sieht er einen Widerspruch zwischen Faulkners Stockholmer Rede anläßlich der Verleihung des Nobelpreises und seinen düsteren Romanen. Er lobt Pearl S. Buck, Trollope und andere renommierte Autoren, äußert sich jedoch verärgert über die »Verführer Amerikas« und die Untergangspropheten in Amerika und Europa. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Brooks hat sich zum Moralisten, Prediger und Verherrlicher der für ihn akzeptablen amerikanischen Literatur entwickelt. Er vertritt einen Nationalismus, der im Zweiten Weltkrieg virulent wurde, der jedoch schon immer seiner Überzeugung entsprach. Brooks' späte Literaturkritik und Literaturgeschichtsschreibung können nicht ernst genommen werden. Der Angriff auf die Moderne ist zu beliebig, um zu überzeugen. Die Ansicht, er sei »der amerikanische Hippolyte Taine und SainteBeuve und Georg Brandes in einer Person« gewesen, erscheint mir grotesk (Charles Angoff in Wasserstrom, The Critic, 201). Wegen seiner frühen Diagnose und Darstellung der Situation des amerikanischen Schriftstellers und wegen seiner Wiederentdeckung einer durchaus glorreichen amerikanischen Literaturtradition bleibt er eine repräsentative Gestalt der Literaturkritik.
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AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE F. R. Leavis. »The Americanness of Van Wyck Brooks«, in Anna Karenina ana Other Essays (1967)· James R. Vitelli. Van Wyck Brooks (1969). Robert E. Spiller, Hg. The Van Wyck Brooks-Lewis Mumford Letters: The Record of a Literary Friendship, 1921-1963 (1970). William Wasserstrom. The Legacy of Van Wyck Brooks (1971). Ndr. verstreuter Arbeiten im Anhang. James Hoopes. Van Wyck Brooks (1977). Der ausführlichste Bericht auf der Basis handschriftlicher Quellen. William Wasserstrom, Hg. Van Wyck Brooks: The Critic and His Critics (1979)- Ndr. von Zeitschriftenaufsätzen, auch mein Artikel »Van Wyck Brooks and a National Literature«, ursprünglich in American Prefaces 8 (1942): 292-306. Raymond Nelson. Van Wyck Brooks: A Writer's Life (1981). Eine lesbare, aber wenig originelle Biographie.
KAPITEL 2
DIE NEUEN HUMANISTEN IRVING BABBITT (1865-1933) UND PAUL ELMER MORE (1864-1937)
Die humanistische oder neuhumanistische Bewegung war eine Episode in der amerikanischen Debatte über Kultur und Literatur, die heute fast vergessen zu sein scheint. Die damals erörterten Themen werden heute wieder aufgegriffen, allerdings in neuer Formulierung und nur selten mit Bezug auf die Slogans der Humanisten. Die Wendung inner check oder den Unterschied zwischen Humanismus und Humanität gibt es nicht mehr. Auch »Klassik versus Romantik« findet sich nur noch in historischen Zusammenhängen. Das große Aufsehen, das Irving Babbitt erregte, als er am 9. 5. 1930 in der Carnegie Hall in New York eine öffentliche Debatte mit Henry Seidel Canby und Carl Van Doren führte (zwei Sammelbände wurden darüber veröffentlicht: der eine humanistisch, der andere antihumanistisch) blieb insgesamt ohne nachhaltige Wirkung. Aus heutiger Sicht hatten die Polemiken der Presse nur geringes Niveau. Sie waren oft von beißender Schärfe und enthielten vielfältige Mißverständnisse oder Fehlinterpretationen der gegenseitigen Standpunkte. Eine ausführliche Wiedergabe dieser Diskussion würde eine ungerechtfertigte Aufwertung bedeuten und die historische Perspektive verfälschen. Unter dem Druck der Depression und durch das Aufkommen der marxistischen Kritik fand diese Bewegung ohnedies ihr Ende. Ihr sozialer Konservatismus und ihre Aversion gegen neuere literarische Tendenzen beschleunigten ihr Ende. Der Zeitpunkt 1930 ist nicht entscheidend für das richtige Verständnis und eine angemessene Interpretation des Denkens von Irving Babbitt und Paul Eimer More, den beiden Hauptvertretern dieser Richtung. Beide gehören einer sehr viel früheren Zeit an. Ihre Grundüberzeugungen formulierten sie bereits 1890. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts erschienen ihre Hauptschriften: die ersten sieben Bände der Shelburne Essays zwischen 1904 und 1910, Literature and the American College 1908, The New Laokoon 1910 und Masters of Modern French Criticism 1912. More und Babbitt müssen im Zusammenhang der Epoche, in der sie ihre Reife erlangten, betrachtet werden. Man erweist ihnen keinen Dienst,
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wenn man sich auf ihre Spätphase und damit auf ihre Reaktion auf die jüngeren Zeitgenossen nach dem Ersten Weltkrieg konzentriert. In diesem Fall nämlich käme man zu der Schlußfolgerung, daß Babbitt die gesamte moderne Welt und die moderne Literatur unterschiedslos verurteilte und daß More seine Analyse von Proust, Joyce, Eliot und der amerikanischen Naturalisten mit wenig Verständnis und Sympathie ausführte. Allerdings erscheint Mores geringe Wertschätzung vieler der bedeutenden Autoren der zwanziger Jahre - die er in seinem Essay »Modern Currents in American Literature« (NSE, Bd. i)1 pointiert formuliert - aus heutiger Sicht nicht völlig verfehlt. Mores Urteile sind scharf formuliert: Manhattan Transfer von Dos Passos ist »eine Explosion in einer Jauchegrube« (63), die Spoon River Anthology von Edgar Lee Masters ist »nur ein übelriechendes Strohfeuer« (69), Main Street von Sinclair Lewis ist »eine einfallslose Erzählung in dilettantischer Manier« (69). Der Autor steht offensichtlich selber kaum höher als die von ihm beleidigten Schriftsteller. Dreiser ist nach Mores Ansicht der kraftvollste Autor in dieser Gruppe; Clyde Griffiths, der Protagonist von An American Tragedy, wird »mit meisterhaftem Verständnis für die verschlungenen Wege einer schwachen Natur, der ein Vorbild fehlt, gezeichnet« (68). Dennoch ist der Roman ein »monstrum informe cui lumen ademptum« (69). Dem »Ästheten« James Branch Cabell ergeht es kaum besser: Seine Methode ist »eine Mischung von Maurice Hewlett und Anatole France« (59). H. L. Mencken wird als »zänkischer Rüpel« bezeichnet (76). Ich bin der Überzeugung, daß diese Qualifizierungen jeder soliden Grundlage entbehren. Sie leiten sich vielmehr her aus einer allgemeinen Abneigung gegen den naturalistischen Determinismus und aus einem Widerwillen vor allem Häßlichen und Niedrigen allgemein. Der Artikel »The Cleft Eliot«2 bestätigt meine Ansicht. Die Dichotomic zwischen dem dunklen Dichter, dem »lyrischen Propheten des Chaos«, und dem soliden Kritiker bewirkt nur »Verwirrung über ein Paradoxon«. Auch der Essay über Joyce stellt in ähnlicher Weise nur das Dilemma fest, wie man den Wandel von einer vernünftigen Lebensauffassung in The Dead zu dem »moralischen Sumpf«, der »erschöpften und häßlichen Kunst«, der »Philosophie der Leere« des Ulysses verstehen kann. Dabei vollzieht sich dieser Wandel bei Eliot in umgekehrter Richtung wie bei Joyce. Der Essay über Proust (in On Being Human, Bd. 3) setzt sich mit dessen Weltsicht auseinander: Für More ist A la recherche du tempsperdu »einer der schwermütigsten Romane« (63). Hier zeigt Proust »seine Verachtung für die Welt« (43). More zitiert Leon-Pierre Quint, um zu demonstrieren, daß dieser Roman die Mensch-
1. Humanism and America: Essays on the Outlook of Modem Civilization, hg. v. Norman Foerster, und The Critique of Humanism, hg. v. C. Hartley Grattan. 2. Saturday Review, 12. . 1932; Ndr. in Designed for Reading, hg. v. H. S. Canby (1934), S. 333-38.
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heit ohne Ziel und ohne Freude, ohne Frieden und ohne Hoffnung zurückläßt (56). Hier findet sich kein Versprechen »einer zukünftigen Existenz oder eines Fortschritts der Menschheit« (57-58). Wie vorherzusehen, ist More entsetzt über »das doppelte Thema von hysterischem Sadismus und hysterischem Masochismus«; Albertines Schicksal langweilt ihn als »eine der rührseligsten Darstellungen menschlicher Trostlosigkeit, die man in der Literatur finden kann« (63). Lediglich die Kunsttheorie sieht More als einen Versuch, den Relativismus der Zeit durch konservierte Erinnerung aufzuhalten. Für Proust ergibt sich hier das Faktum der Verzweiflung, da die Erinnerung das Vergangene nicht neu schaffen kann. Prousts Glaube an eine durch die Kunst vermittelte übernatürliche Freude hält More für abwegig: »Kunst, reine Kunst, die in vollständiger Trennung von der Faktizität existiert, gibt es nicht« (56). More bewertet nur den ersten Teil von Swanns Weg, »Ouvertüre« und »Combray«, als den »subtilsten, schönsten und interessantesten Teil des Romans: Er ist höchst originell, oft anheimelnd und vorzüglich« (47). More nutzt die Gelegenheit, um sich gegen Edmund Wilsons Darstellung der symbolistischen Auflehnung gegen den Naturalismus in Axel 's Castle zu wenden. Für More ist der Symbolismus nur eine Spielart der breiten naturalistischen Bewegung. Schließlich wird Wilson getadelt, weil er »in seiner Verwirrung von seiner Bewunderung für Proust zur Bewunderung für Marx umschwenkt« (68). Dies geschah 1933. More hatte in seinen letzten Lebensjahren persönlichen Kontakt zu Eliot und für kurze Zeit auch zu Edmund Wilson (der seinen Besuch in The Triple Thinker lebhaft beschreibt). More hat ein feines Gespür für das geistige Klima und die literarischen Ereignisse der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Man gewinnt den Eindruck, daß Babbitt in Harvard wenig Kontakt zu den neuen literarischen Strömungen hatte. Zumindest in seinen veröffentlichten Arbeiten befaßte sich Babbitt bewußt nicht mit zeitgenössischer oder auch »moderner Literatur«, abgesehen von einigen abwertenden Anspielungen auf den »fortgeschrittenen Zustand der psychischen Desintegration«, wie er sich in Joyces Ulysses findet (BC, 132). Selbst die bekanntesten Namen der französischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts fehlen in den Indizes von Babbitts Arbeiten. Wenn er Zeitgenossen erörtert, so wählt er dafür nur Autoren bestimmter Denkrichtungen aus: Pierre Lasserre, Julien Benda, Baron Seilliere, Vertreter der französischen antiromantischen Polemik, Abbe Bremond und Jacques Maritain als Repräsentanten der katholischen Position. Babbitt war offensichtlich entschlossen, Historiker zu bleiben oder wenigstens sich auf die historische Evidenz für seine Diagnose der Zivilisationsübel zu beschränken. Wahrscheinlich war More aufgrund seiner langen Erfahrung als Literaturjournalist in New York paradoxerweise sehr viel weniger »akademisch« und sehr viel wahrnehmungsfähiger in bezug auf seine Umwelt, obwohl er sich später der Geschichte der platonischen Tradition widmete und sich nach Princeton zurückzog.
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Babbitts bemühtes Aussparen einzelner Werke und Autoren der neuen Literatur und Mores herablassende Artikel seiner letzten Jahre erklären so merkwürdige Urteile wie das von Oscar Cargill, der beiden eine fast völlige Unvertrautheit mit den Hauptideen ihrer Zeit attestiert.3 Dieselbe Situation rechtfertigt Santayanas Ausspruch: » The Genteel Tradition in der Defensive« (1931), obwohl man zu dieser Zeit eher von einer humanistischen Offensive sprechen kann. Den Versuch, den Humanismus um 1930 an ein breiteres Publikum heranzuführen und ihn zu einer Bewegung, ja zu einer Art Religion werden zu lassen, übergehen wir. Statt dessen versuchen wir ein gedankliches Experiment, indem wir uns vorstellen, daß sowohl Babbitt wie More um 1920 ihre Veröffentlichungen eingestellt hätten. Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Positionen schon längst formuliert. Nach diesem Datum vollzog More eine Wendung zum Religiösen, während Babbitt seine Meinung unverändert beibehielt, auch wenn deren Ausformulierung und Verbreitung sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte. Rousseau and Romanticism (1919) und Democracy and Leadership (1924) sind implizit schon in Babbitts erster Veröffentlichung Literature and the American College (1908) enthalten. Bereits diese Veröffentlichung besteht aus zum Teil viel früheren Artikeln; der älteste, »The Rational Study of the Classics«, stammt von 1897. More wurde 1904, Babbitt 1905 vierzig Jahre alt. In diesem Lebensalter hat sich bei den meisten Menschen die Lebenseinstellung gefestigt. Auch More hatte seinen Weg gefunden, als er Babbitt bei Professor Charles Lanman in einem Seminar über Sanskrit 1892 in Harvard begegnete. Was More später oft als sein jugendliches Streben bezeichnete, erschien ihm nur als solches aus der Perspektive der religiösen Gewißheit seiner späten Jahre. Tatsächlich war die geistige Position der beiden Freunde bereits sehr früh formuliert. Beide Positionen unterscheiden sich nur hinsichtlich des Temperaments und des intellektuellen Hintergrundes. Erst spät gerieten die beiden in Streit. Mit scharfen Worten kritisierte More in seinen Briefen Babbitts letztes Buch On Being Creative (1932). Er war entrüstet über Babbitts Darstellung von Wordsworth, die er für »abschreckend einseitig«, »verzerrend und rechthaberisch« hielt (Dakin, More, 317). Am besten erörtern wir beide Kritiker gesondert, da ihre Schriften unterschiedliche Fragen aufwerfen. Beide gehen als geistige Persönlichkeiten und nicht als Anführer von erfolglosen Bewegungen in die Geschichte der Literaturkritik ein (More schrieb nicht einmal einen Beitrag zu dem Band Humanism in America; er gab lediglich seine Einwilligung zu einem teilweisen Nachdruck seines Artikels »The Demon of the Absolute«). »Brunetiere spricht Englisch«, sagt J. E. Spingarn in einem Abriß von Babbitts Masters of Modem French Criticism (Journal of Philosophy [1913]: 693)· Aus der Perspektive eines Historikers der Literaturkritik ist es wohl am einleuchtend-
3. Oscar Cargill, Intellectual America (1941), 530.
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sten, Babbitt als einen Klassizisten französischer Art zu beschreiben. Babbitt schrieb zwei Essays über Brunetiere, die er auch in seinem Buch verwendet; er übersetzte einen Essay für den Atlantic Monthly im Jahr 1897, als Brunetiere Harvard besuchte. Grundsätzlich teilte er Brunetieres Ansicht der französischen Tradition, seine Verachtung des Naturalismus. Auch seinem Angriff auf den kritischen Impressionismus stimmte er voller Überzeugung zu. Babbitt lehrte französische Literatur in Harvard und war mit den Klassikern des 17. Jahrhunderts vertraut. Seiner Bewunderung für Racine, für dessen »Vernunft, ausgezeichnetes Empfinden für Maß und Ordnung, für höchste Klarheit, zarte Empfindung, die durch Urteilsvermögen kontrolliert wird«, verleiht er mit einem Zitat von Lemaitre, dem führenden Impressionisten, Ausdruck (SC, 95). Heftig verteidigte er Boileau gegen Saintsburys Verunglimpfungen. Später gewann vor allem Pascal beispielhafte Bedeutung für den Konflikt von Religion und Wissenschaft und für die Lehre von den drei Dimensionen des Menschen: die tierische, die menschliche und die göttliche. Babbitt sah in Desire Nisard den unmittelbaren Vorgänger von Brunetiere; er war der erste, der eine französische Dekadenz feststellte und das 17. Jahrhundert im Gegensatz zum 18. Jahrhundert als die Verkörperung des klassischen Geistes und des zeitlosen menschlichen Bewußtseins feierte. Babbitt erörterte die Entwicklung von Sainte-Beuves Literaturkritik. Er sah sie als geglückte Befreiung von den Fesseln der Romantik und als Entdeckung oder Wiederentdeckung der Gültigkeit einer klassischen Tradition. Die Entstehung dieses französischen Klassizismus des 19. Jahrhunderts ist das zentrale Thema von The Masters of Modem French Criticism. Es ist Babbitts systematischstes und neutralstes Buch. The New Laokoon basiert auf der klassischen Lehre der strengen Gattungsgliederung, le genre tranche, als Ausgangspunkt für den Angriff auf die Vermischung der Gattungen in der modernen Kunst. Rousseau and Romanticism ist aufs engste mit den französischen Polemiken des frühen zwanzigsten Jahrhunderts - mit Lasserres Attacke in Le Romantisme franqais (1907), die Babbitt selber als »sehr drastisch« bezeichnet (RR, 409) - und mit zahlreichen Schriften Seiliier es und Maurras' verbunden. Obwohl Babbitts Verbindung nach Frankreich sehr eng ist, kann man ihn dennoch nicht als amerikanischen Brunetiere bezeichnen. Einigen Aspekten in Brunetieres Arbeiten konnte Babbitt nicht zustimmen: Dies war seine Evolutionstheorie, sein Versuch, eine Analogie zwischen der Literaturgeschichte und der biologischen Entwicklung herauszustellen (siehe NL, 215). Des weiteren hielt er nichts von Brunetieres Rückkehr zum katholischen Glauben (SC, 145-146, und MFC, 330, 334), seinem »naturalistischen Pessimismus« und seiner »stoischen Freudlosigkeit« (MFC, 333, 335). Trotz seiner Sympathie für die antiromantische Polemik der französischen Gruppe um die Action frangaise distanzierte sich Babbitt doch schließlich von deren autoritären Ansichten und von den politischen Konsequenzen ihrer Argumente. Obwohl er 1924 für kurze Zeit ein hypothetisches »amerikanisches
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Äquivalent für Mussolini« einem »amerikanischen Äquivalent für Lenin« vorzog (DL, 312), lehnte er doch die faschistischen oder protofaschistischen Formen der Antiromantik, wie sie sich in Frankreich entwickelt hatten, ab. 1909 erklärte er: »Vor etwa einem Jahr ging ich durch eine kleine Straße am Rande des Quartier Saint-Germain und gelangte an einen Buchladen, der voll von reaktionärer Literatur war; dort im Fenster stand zwischen monarchistischen Büchern ein Band von M. Lasserre« (SC, 90; genauso NL, xii-xiii). Marcus Seiden Goldman erinnert sich, daß er 1923 mit Überraschung erkannte, wie »tiefreichend Babbitts Ablehnung einer Verbindung von politischen, religiösen und literarischen Zielen in einem einzigen Programm, nämlich dem der Action frangaise, war«.4 Babbitt, so muß man folgern, blieb ein amerikanischer Republikaner und Protestant, wie groß auch immer seine Wertschätzung für die historische Rolle der katholischen Kirche war und wie distanziert er selber einem protestantischen oder auch nur christlichen Glaubensbekenntnis gegenüberstand. Man darf Babbitt nicht zum Epigonen der französischen klassischen Tradition machen. Er betrachtet sie stets von außen und sieht in ihr lediglich einen Bundesgenossen. Eher schon kann man Babbitt zur Klassik-Renaissance in der englischen Literaturkritik rechnen und als Anhänger Matthew Arnolds sehen. Der von Arnold schon früh vertretene Klassizismus - besonders in dem Vorwort (1853) zu den Poems - und Arnolds Kritik der englischen Romantiker müssen Babbitts Standpunkt entscheidend geprägt haben. Die Bewunderung für SainteBeuve und Edmond Scherer ist, obschon unterschiedlich motiviert, Arnold und Babbitt gemeinsam. Babbitts starkes Interesse an Joubert stammt von Arnold und dessen Vorbild Sainte-Beuve. Arnolds und Babbitts Goethe-Bild ist von Eckermann beeinflußt, der Goethe als Weisen präsentiert. Arnolds Kulturvorstellung, paideia, und Arnolds Vorstellung des totalen Menschen und dessen »imaginativer Vernunft« waren Grundlage für die Herausbildung von Babbitts pädagogischen Zielen. Babbitts Rezension von Stuart Shermans Buch über Arnold (1917 in SC) stimmt überein mit Arnolds Empfehlung des saving remnant, mit seiner qualitativen Demokratie; er übersieht jedoch die Hauptpunkte von Arnolds Literaturkritik und hat Vorbehalte gegen Arnolds »Hoffnung auf die Dichtung« als schließlichen Ersatz für die Religion. Babbitt wirft Arnold vor, dieser habe sich nicht weit genug vom naturalistischen Niveau entfernt, das in diesem Fall das stoische Niveau ist (SC, 56). Im Gegensatz zur gängigen Meinung war Babbitt kein Bewunderer der klassizistischen Tradition. In The New Laokoon wird der Klassizismus als reiner Formalismus, als Ablehnung der Einbildungskraft und des »Unterbewußten und Spontanen« dargestellt (NL, 52) und so negativ bewertet, wie es sich die Verfechter der abgegriffensten Romantik-Klischees nur wünschen können. Der französische
4. In Manchester und Shepard, Irving Babbitt: Man and Teacher, 235. 24 Wellek, Literaturkritik 4/1
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Klassizismus wird als »Mischung von Aristoteles und Tanzmeister« definiert (66): Dichtung erschöpfte sich in dekorativer Eleganz (63). Ohne Zweifel verdammte Babbitt die Romantik. Rousseau and Romanticism ist eine gelehrte, ausführlich dokumentierte, doch oft sehr lebhafte und geistreiche Attacke auf einige Aspekte der Romantik: Primitivismus, die Überschätzung des vorbildlosen Genies, die Sehnsucht nach Arkadien oder Elysium und besonders die romantische Mentalität, die sich als »eine Verneinung des Kampfes zwischen Gut und Böse in der Brust des Individuums« versteht (RR, 130). Babbitt verachtet ebenso die rührselige Zuneigung zu Kindern und Tieren, die Glorifizierung der Melancholie und den übersteigerten Nationalismus, der damals entstand. Er wählt gern übertriebene Beispiele: Er zieht Hugos Gedicht »Sultan Mourad« heran. Es handelt von einem grausamen Monster, das seine Rettung einem Schwein verdankt (RR, 143). Er zitiert Hugos »Ibo«, das von einem Dichter handelt, der den Donner übertönen und die Kometen an ihrem Schweif herumwirbeln will (RR, 392); Wordsworth wird erwähnt, der ein Kind als »mächtigen Propheten« und als »gebenedeiten Seher« tituliert; Babbitt hält dies für »aufgeblähten Unsinn« (NL, 93) und für »einen Abgrund der Abwegigkeit« (RR, 52). Wordsworths Zeilen »Ein Augenblick in einem Frühlingswald / Lehrt uns mehr über die Menschen / Über die Moral von Gut und Böse / Als alle Weisen der Welt es jemals könnten« werden verdammt als Inbegriff der Kulturlosigkeit im Sinne Arnolds (BC, 60). Die Erlösung des Ancient Mariner - er bewundert die Farbe der Wasserschlangen - wird verspottet als mühelose Rettung (BC, 120). Das Ende von Brownings Gedicht »Summum Bonum« wird kommentiert: »Das höchste Gut scheint identisch zu sein mit dem höchsten Entzücken« (RR, 127). Viele Beispiele dieser Art werden noch angeführt, wie etwa Emersons »The Humble Bee«: Hier wird die Biene als »gelbbehoster Philosoph« und als »weitaus weiser als ein menschlicher Prophet« tituliert (BC, 76). Babbitt vernachlässigt vielfach den Anlaß und den Zusammenhang einer Aussage und fragt immer nach ihrer Gültigkeit. Er duldet keinen Nonsens, keine Phantasterei, keine Übertreibung und kein Paradox. Tagträume läßt er nur »als gelegentliche Erholung von der Ernsthaftigkeit des Lebens« gelten (RR, 91). Babbitts prosaische und nüchterne Gesinnung und sein strenger Ton haben ihm den Vorwurf der Schulmeistere!, der Beschränktheit, des fehlenden ästhetischen Gespürs eingebracht. Meiner Meinung nach gibt es hinreichende Gründe, um Babbitt zu verteidigen: Er hat sich leidenschaftlich für Ideen eingesetzt, die heute noch lebendig sind, auch wenn sie falsch verstanden werden; und seine Bücher sind ursprünglich für Unterrichtszwecke, d.h. als Lehrwerke geschrieben worden. Er wollte aufrütteln und belehren; er wollte seine Studenten und Leser auf die praktischen Konsequenzen anmaßender Äußerungen hinweisen und den leichtfertigen Historismus seiner Zeit erschüttern. Seine Ausfälle gegen die Romantik sind jedoch in mancher Hinsicht irreführend. Man könnte sogar behaupten, daß Babbitt im Grunde selbst eine romantische
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Ansicht von Kunst und Dichtung vertritt. Er zitiert aus The Tempest: »Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind« (RR, xv); er versteht den Menschen als in einem Zustand der Fiktion und Illusion lebend: »Die Illusion ist das zentrale Problem der Kunst« (RR, 103). »Kunst schafft die Illusion einer höheren Realität, die nur durch den Schleier einer imaginativen Illusion erkannt werden kann« (27, auch 102). »Die Illusion der wahren Kunst« wird als »Wachtraum« bezeichnet (NL, 51). Die Einbildungskraft wird hervorgehoben, weil sie »einen Schleier göttlicher Illusion über einige Grundwahrheiten wirft« (NL, 100). Babbitt steht völlig unter dem Einfluß romantischer Begrifflichkeit, wenn er sagt: »Die Einbildungskraft muß völlig frei und spontan sein. Die lebenswichtige Vereinigung von Illusion und Erkenntnis mit dem Gespür für die Unendlichkeit findet sich im wahren Symbol« (RR, ). In Übereinstimmung mit der symbolistischen Theorie führt Babbitt aus: »Die Einbildungskraft kann die Wörter verwandeln und sie mit einer neuen und aktiven Potenz versehen« (116). Er stimmt sogar der »suggestiven Kraft« (129) zu, obwohl er meint, daß wir in einem Zeitalter leben, »das durch die Kräfte der Suggestion verrückt geworden ist« (178). Obwohl Babbitt in The New Laokoon über weite Passagen gegen die Vermischung der Künste polemisiert, beschränkt er sich dabei auf die wesentlichen Punkte. Er stellt nie die Reinheit der Gattungen als Ideal in Frage, gibt jedoch zu, daß Musik beispielsweise nicht unbedingt reine Musik sein müsse. Auch die Programmusik habe ihre Vorzüge (RR, 171). Er beharrt nicht länger auf den klassischen Prinzipien von Einheit und Proportion, wenn er sagt, daß Ariost den Alten sehr viel näher stehe als Tasso. Ausschlaggebend sei hierfür der psychologische Test, »der einzige in dieser Sache relevante Test« (NL, 192). Er räumt sogar ein, daß es eine natürliche Neigung des Menschen zur Romantik gebe: eine Neigung zur Fiktion, zum Wunder, zum Abenteuer und zur Überraschung (203). Babbitts ständige Betonung von Maß und Proportion führt ihn zu Verurteilung von Exzentrik, Übertreibung und Extremen in allen Formen. Er kommt stets auf die Nikomachische Ethik zurück, die uns »Bescheidenheit, Vernünftigkeit und Anständigkeit lehrt« (381). Doch hinter Maß und Norm verbergen sich tiefe Melancholie, Skepsis und Agnostizismus. Babbitt nennt diese Haltung Positivismus. Ein tiefes Empfinden für die grundlegende Unwissenheit des Menschen in einer rätselhaften Welt läßt Babbitt solche selbstsicheren Wissenschaftler wie Haeckel, die die Rätsel der Welt gelöst zu haben meinen, oder solche neuen Realisten, die vor der Wissenschaft ehrfurchtsvoll zu Boden sinken, mit Argwohn betrachten. Babbitt mißtraut der Philosophie der Technik: der Epistemologie und der rationalen Metaphysik. Im Grunde ist er Empiriker, obwohl er einräumt, daß »der Humanismus ohne Religion nicht weiterkommt« (RR, 380). Unklar bleibt allerdings, welche Religion er meint. Gelegentlich scheint es sich nur um ein Gefühl der Demut angesichts der Nichtigkeit und Hilflosigkeit des Menschen zu handeln, um das Gefühl der Abhängigkeit von einer höheren Macht (302). An anderer Stelle verlangt Babbitt,
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daß die Kunst den Blick auf eine höhere Realität richte. Dabei bleibt unklar, ob es sich um eine Illusion oder den Anblick eines tatsächlich existierenden Reiches handelt. Paul Elmer More war ein gläubiger Christ und hob Babbitts Unsicherheit in religiösen Fragen in Briefen und Gesprächen scharf hervor (Dakin, More, 317-18, 341). Diese Unsicherheit beeinträchtigte Babbitts Literaturauffassung. Bei Arnold vermißte er, was er bei Tennyson fand: »Zumindest die Ahnung eines übernatürlichen Lichts« (SC, 56). Dieses reine, übernatürliche Licht fand Babbitt am ehesten in der Tradition des amerikanischen Transzendentalismus. Er fand es hier unbehindert durch mittelalterliche oder enge theologische Vorstellungen, die Babbitt zum Beispiel bei Pascal abstießen (SC, 88). In seiner Jugend begegnete Babbitt immer wieder dem Transzendentalismus. Allerdings kann Babbitt nicht einfach als Nachfahre der amerikanischen Transzendentalisten beschrieben werden. Wenn Austin Warren Babbitt als »Neuengland-Heiligen« bezeichnet, so kann dies nur als schrullige Laune verstanden werden. Man könnte sogar umgekehrt den Standpunkt vertreten, daß Babbitt eine tiefe Abneigung gegen den Transzendentalismus hegte. Diese Ansicht läßt sich stützen, wenn man den Konflikt zwischen Babbitt und seinem Vater berücksichtigt. Austin Warren nannte Edwin D. Babbitt »einen sehr toleranten und großherzigen Arzt, einen naiven und verspäteten Transzendentalisten« (New England Saints, 144); er nahm an, daß sein Sohn ihn als Scharlatan betrachtete. Harry Levin beschrieb, wie er praktizierte: Er benutzte »Hypnose, Spiritualismus, Frenologie, Hellseherei, Massagen, Sonnenbäder, elektrische Behandlung und die Ideen des utopischen Sozialismus«. Levin zitiert die Titel seiner Pamphlete: Babbitt's Health Guide, Vital Magnetism, The Fountain of Life und Marriage, with Sexual and Social Up-Building (in Irving Babbitt and the Teaching of Literature, 13). Man könnte annehmen, daß Irving Babbitt alles zurückwies, was ihn an seinen Vater erinnerte. Sogar ohne Kenntnis der Theorien Freuds kann man in Babbitts früher Entwicklung eine Kluft in Temperament und Geisteshaltung zwischen Vater und Sohn erkennen (Warren, 145). Aber der Augenschein trügt. Austin Warren erkennt, daß sich Babbitt nicht völlig von den Ansichten seines Vaters abwandte und stets einen gewissen Respekt vor Emerson beibehielt (145). Seine Beziehung zu Emerson ist jedoch nicht nur respektvoll. Sie ist konstitutiv für seine Entwicklung und führt sogar zu einer bewußten Jüngerschaft. Am Ende von Masters of Modern French Criticism erscheint Emerson als der große Gegenspieler zu Sainte-Beuve: Der Absolutist gegen den »Doktor der Relativität«. Der ideale Kritiker sollte, so stellt Babbitt es sich vor, eine Synthese von Sainte-Beuve und Emerson sein. Zweifellos lehnte Babbitt die von ihm als Degeneration verstandene Entwicklung des Transzendentalismus ab. Diesen Verfall erkannte er sowohl in dem gefälligen Optimismus der Christian Science, in den Quacksalbereien seines Vaters und sogar in dem Pragmatismus seines gewaltigen Kollegen William James, den er als einen Prediger der Veränderung und einen Verherrlicher des alkoholischen und
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geistigen Rausches ansieht (RR, 183-84). Babbitt ist auch an den sekundären Transzendentalisten wenig interessiert: Obwohl More sehr an Thoreau interessiert ist, wird dieser von Babbitt nicht erwähnt. Doch Emerson ist ihm wichtig: Er bezog von ihm nicht nur einen großen Teil seiner Begrifflichkeit, sondern übernahm auch Grundzüge seines Denkens. Der Ausdruck »inner check« stammt von Emerson, der ihn seinerseits aus Colebrookes Essay on the Vedas entnahm (siehe Warren, 162). Noch bevor Babbitt diesen Begriff in The New Laokoon (201) herausstellte, wurde er von More benutzt. Babbitt hatte allerdings schon vorher von »Selbstdisziplin« gesprochen (SC, 145); tatsächlich ist dieser Begriff sowohl als Kompliment wie als Gegensatz zu Emersons Begriff »Selbstvertrauen« zu sehen. Die Wendungen »law for man« und »law for thing« aus Emersons »Ode: Inscribed to W. H. Channing« (NL, 200; RR, x; LC, v) sind Schlüsselbegriffe für den Dualismus. Wichtiger als solche Schlagwörter ist jedoch für Babbitt Emersons allgemeines Anliegen: Die Versöhnung des Absoluten mit dem Relativen, der Dauer mit dem Wechsel, des Einen mit dem Vielen. Wie Emerson ging auch Babbitt von einem »Modell« des menschlichen Geistes aus. Es geht dabei um eine Schichtung des menschlichen Geistes, bei der die Wahrnehmung Handlung und Willensmanifestation ist und bei der das Individuum zum Charakter geformt und schließlich mit dem Übernatürlichen konfrontiert wird. Babbitt vertritt eine Auffassung, die man als »intuitiven Voluntarismus« bezeichnen könnte. Die Erkenntnis ist das wichtigste Werkzeug und das Ziel des Menschen. Die wichtigste Erkenntnis, die von der Natur des Menschen, offenbart sich für Babbitt in der Tradition. Diese Tradition ist der »Weltseele« sehr verwandt. Babbitt stellt positiv heraus, daß Emerson »ein neues Empfinden für die Einheit der menschlichen Natur« entwickelt habe, die »sich nicht mehr auf die Tradition, sondern auf die Erkenntnis stützt« (MFC, 346). Er stimmte Emersons Interpretation des sokratischen Satzes »Der Mensch ist das Maß aller Dinge« zu. Babbitt hält die Weltseele, wie Emerson sie an wenigen Stellen hervorragend beschreibt, für das wahre Prinzip der Existenz (362). Hierbei handelt es sich um ein Reich geistiger Werte, nicht nur um die gemeinsame Seele aller Menschen. Emerson wird als Gelehrter und als weiser Mann bezeichnet (375, 361), weil er der Kritik auf ihrer Suche nach inneren Maßstäben hilft und weil er in der gegenwärtigen Anarchie die Kritik auf die mögliche Erkenntnis einer höheren Ordnung hinweist. Emerson empfindet die Einheit alles Wirklichen (391—92), das Absolute, das Babbitt definiert als »eine rein geistige Wahrnehmung des Lichtes jenseits der Vernunft, völlig losgelöst von Glaubensbekenntnissen und Formeln« (SC, 144). Babbitt erkennt hier eine Übereinstimmung mit der indischen Philosophie. Sein eigenes Bemühen um die indische (hauptsächlich buddhistische) Philosophie erfolgte ohne Zweifel durch die Anregung, die er vom Orientalismus der amerikanischen Transzendentalisten und von Emersons eigener Beschäftigung mit der »Weisheit der Brahmanen« erhalten hatte.
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Hier liegt ein wesentlicher Punkt der Übereinstimmung, obwohl es nicht einfach ist, Babbitts »geistige Wahrnehmung« genau zu definieren. Gelegentlich äußerte er sich wie ein Puritaner, der an die Stimme des Gewissens glaubt. Dabei geht es jedoch nicht einfach um ein inneres Licht, sondern um einen überindividuellen Zwang, die Stimme der Tradition. Doch Emersons Vorstellung des moralischen Empfindens wird von Babbitt als negative Kraft gesehen. Den Begriff »frein vital« (NL, 212) prägt er als Gegenbegriff zu Bergsons »elan vital«. Dieser Begriff umfaßt die Anerkennung der normativen Setzungen eines höheren Willens; dabei meint »höher«, daß dieser Wille überindividuell, nicht aber, daß es der Wille eines höheren Wesens ist. Babbitt widersetzt sich jeder Fixierung dieser Normen. Die Wirkung der Religion ist nur durch Anstrengung erreichbar, durch innere Disziplin, die auf innere Befriedigung, ja sogar auf persönliches Glück zielt. An anderer Stelle wird der »inner check« aber auch mit der Stimme Gottes identifiziert oder als möglicher Zugang zum Übernatürlichen, zum Göttlichen und Numinosen verstanden. Babbitt strebt danach, den ethischen Rigorismus sogar in seiner schärfsten Form der Askese und des Verzichts mit einem intuitiven Einblick in das Reich des Göttlichen, das hinter und jenseits der Vernunft liegt, zu verbinden. Babbitt war sich seiner Differenzen zu Emerson durchaus bewußt. Er verdächtigte ihn in jeder Hinsicht des Rousseauismus, eines unangemessenen Optimismus, eines ungerechtfertigten Vertrauens auf das Gute im Menschen, vor allem auf die Güte des Durchschnittsmenschen. Babbitt bezeichnet Emerson als einen »Sykophanten« der menschlichen Natur (MFC, 361). Er stand Emersons »Verherrlichung des Genies« kritisch gegenüber (RR, 67) und zeigte keinerlei Verständnis für das Konzept der »Kompensation«; er glaubte nicht an die Entsprechung von geistigen und physischen Gesetzmäßigkeiten. Babbitt wuchs auf in der Atmosphäre der mechanistischen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts und lehnte daher die Einflüsse der Naturphilosophie oder der noch archaischeren Vorstellung von den Hieroglyphen der Natur als abwegig ab. Emersons Vorliebe für Elektrizität, Magnetismus, Geologie usw. war ihm fremd, da er die zugrundeliegende romantische Haltung und ihren Glauben an die Aussöhnung von Mensch und Natur, an eine Überbrückung des Zwiespaltes von Subjekt und Objekt ablehnte. Dies wird deutlich in Babbitts ablehnender Haltung gegenüber Coleridge und Wordsworth, die immerhin zu den wichtigsten Vorbildern Emersons zählten. Babbitt konnte Emersons symbolischer Weltsicht nicht zustimmen. Ihm war Emersons glühend mystische Geisteshaltung fremd. Seine Vorbilder waren weder die griechischen oder englischen Neoplatonisten noch Swedenborg und dessen Nachfolger. Babbitt hatte keinen Zugang zu dieser symbolischen Weltsicht. Emersons Satz: »Alles Feste im Universum wird sofort flüssig, wenn sich der Geist diesem nähert« war für ihn unverständlich (Complete Works, 7:43). Austin Warren (New England Saints, 159) hat überzeugend nachgewiesen, daß Babbitt als Buddhist charakterisiert werden muß. Obwohl er nicht offiziell zum
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Buddhismus übertrat, teilte er die buddhistische Überzeugung vom Illusionscharakter der Welt. More bemerkte, daß in Babbitts Philosophie kein Raum für Gott im engeren theologischen Verständnis oder für den Sachverhalt der Gnade war (Brief zit. bei Dakin, More, 341). Mores Weltsicht war nach Ansatz und Ziel grundsätzlich anders orientiert. Er berichtet, daß er sich in seiner Jugend voller Begeisterung mit der deutschen Romantik beschäftigt habe (Dakin, More, 313). Der Aufsatz »Thoreau's Journal« (SE, 5:106-31) belegt Mores persönliche Vertrautheit mit Fichte, Schelling, Novalis, Friedrich Schlegel und besonders mit Schleiermachers Reden über die Religion. Als er diesen Aufsatz (1908) schrieb, hatte er sich längst von seiner frühen Begeisterung für die Romantik gelöst. Er stellt die Differenz zwischen dem romantischen »Gemüt« und dem Charakter und Ethos Neuenglands heraus. Seine Ernsthaftigkeit scheint More vielfach am Verständnis der romantischen Ironie und der polemischen Kontexte und der mehrdeutigen Terminologie zu hindern. Er zeigt ein sehr viel korrekteres und einfühlsameres Verständnis der romantischen Tradition als Babbitt. Wenn More später über seine geistige Entwicklung berichtet, stellt er fest, er habe sich wie ein Chamäleon gewandelt (Dakin, More, 323). Die Shelburne Essays vermitteln den Eindruck eines in seiner Zielrichtung noch Ungewissen Geistes: »Die Themen sind zu disparat, um zu einem Ergebnis zu führen. Es scheint kein geschlossenes Konzept zu geben, sondern nur Ansätze und Impulse« (ebd., 371). Dieses rückblickende Urteil Mores wird durch die Vielfalt der in den Shelbume Essays erörterten Themen noch unterstützt, ist jedoch nicht ganz gerechtfertigt. Es liegt eine einheitliche Geisteshaltung zugrunde, mit der die Vielfalt von Literatur und Philosophie abgehandelt wird. Dies trifft besonders zu für Mores Sicht der amerikanischen Tradition, die einfühlsam nachgezeichnet wird in Daniel Aarons Einleitung zu seiner Ausgabe der Shelbume Essays on American Literature. More betonte nachdrücklich »die dunkle Macht« in der amerikanischen Literatur, »den düsteren Glanz einer übernatürlichen Bedeutung des Lebens« als »dominierende Geisteshaltung im Lande« (SE, 1:64); ebenfalls hebt er die Kontinuität von den frühesten Dichtern Neuenglands über Jonathan Edwards bis zu den Transzendentalisten hervor. All dies zeigt ein Verständnis der amerikanischen Tradition, das bei Babbitt fehlt. Die Arbeit der Generation Emersons wird von More als höchste und homogenste Kultur dieses Landes gelobt (SE, 11:105). Etwas unkritisch bezieht er in seine brillante Darstellung sogar Whittier, Longfellow und Lowell ein. Der Essay »Fate« von Emerson hatte More bei der Lektüre 1894 sehr beeindruckt. »Er enthält«, sagt er, »so viel Weisheit, Moral, Kraft und Tröstung, daß alle Propheten und Weltweisen ihn kaum übertreffen könnten«5. In dem Festaufsatz
5. Francis X. Duggan, zit. aus einem Brief in American Literature 3i (1963): 554.
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über Emerson von 1921 hat sich Mores Urteil kaum verändert. Emerson »ist die herausragende Gestalt der amerikanischen gelehrten Welt« (SE, 11:69). Seine Position wird richtig beschrieben als »eine in puritanischer Geistlichkeit verwurzelte Romantik« (83), seine Philosophie als »beginnende Auflösung eines Dualismus« (87) bezeichnet. Schon im ersten Band der Shelbume Essays (1904), in »The Influence of Emerson«, war More der Ansicht entgegengetreten, daß Emerson widersprüchlich und inkohärent sei: »Seine Ausführungen scheinen bei oberflächlicher Betrachtung verworren, dahinter verbirgt sich jedoch ein zielgerichtetes Denken« (SE, 1:73). More unternimmt große Anstrengungen, um die Einheit der amerikanischen Tradition nachzuweisen. Er sieht ihre Wurzeln im England des ^.Jahrhunderts: »Daraus wuchs das geistige Leben unserer Nation. Selbst heute wird die Armut unserer Kunst und Literatur noch zum Teil dadurch bedingt, daß unsere stärksten Kolonisten nur eine Position der endlosen Fehde« zwischen Wahrheit und Schönheit, zwischen Reformation und Renaissance vertreten (SE, 1:203). Die Kontinuität der amerikanischen Literatur schließt auch Poe mit ein, der als geistesverwandt mit Hawthorne erscheint. Hawthornes Visionen von den Schrecken des Bösen werden verglichen mit der lieblichen »Waldeinsamkeit« der Deutschen, mit den vergessenen Verfechtern von Mondlicht und Mystik (52, 57). Diese Ansicht erscheint mir zu oberflächlich, wenn man an E. T. A. Hoffmann, Arnim, Tieck und einige Dichtungen von Jean Paul denkt. Der Puritanismus, wie ihn Jonathan Edwards vertrat, vermittelte »ein überstarkes Empfinden für die Einzelexistenz« (48) und verursachte so Hawthornes tiefe Isolation. Er verlor den christlichen Glauben; sein unkontrollierter Aberglaube führte zu einem diffusen Symbolismus (65). More zitiert Hawthorne: »Wir sind nur Schatten, alles, was uns real erscheint, ist nur ein Traumgebilde - bis unser Herz angerührt wird. Erst diese Berührung erschafft uns tatsächlich, dann beginnen wir zu existieren. Dadurch werden wir reale Wesen und erben die Ewigkeit« (34). Hier formuliert More im Zitat seine eigene Grunderfahrung: Die Welt und die ethische Substanz des Menschen sind Illusion. Dies ist auch das Hauptthema der Essays über Thoreau. In seiner Kritik Santayanas drückt More dies unvermittelt aus: »Kein großes Gedicht wurde je geschaffen, dessen Autor nicht . . . an die Realität der idealen Welt glaubte« (Harvard Graduates' Magazine 9 [1900]: 21). Noch im Alter spricht er von »aller würdigen Kunst« als »mystischer Initiation« (The Catholic Faith, 1931, 215). Eine genauere Betrachtung der zahlreichen Essays Mores über die englische Literatur würde diese Schlußfolgerung bestätigen, obwohl Mores Interesse an englischer Literatur viel zu vielfältig war, um sich eindeutig auf diese symbolistische Tradition im klassischen Verständnis zu beschränken. Er veröffentlichte viel über die großen Geister des 18. Jahrhunderts, über Dichter wie Crabbe und über viktorianische Romanciers wie Gissing. Am ausführlichsten beschäftigt er sich jedoch mit George Herbert und Henry Vaughan. Den letzteren zieht er Thoreau vor, weil »er sich nie lossagte von Kirche und Staat, sondern in den größeren
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Zusammenhängen der Tradition blieb« (SE, 5:131). Er lobt Sir Thomas Browne wegen seiner »religiösen Vorstellungskraft«, die es uns ermöglicht, die zerbrochenen und verstreuten Bilder der Welt zu einem harmonischen und poetischen Symbol zusammenzufügen« (6:167). Die viktorianischen Schriftsteller, die diese geistige Tradition aufgreifen, finden seine lebhafte Zustimmung. Tennyson fasziniert ihn wegen der Vision in »The Holy Grail«, die »einen plötzlichen und das Auge blendenden Zwiespalt zwischen der Welt und der menschlichen Seele sichtbar macht, vor dem die scheinbar feste Erde ins Wanken gerät und sich auflöst« (7:90). Den heute vergessenen Richard S. Hawker, den Vikar von Morwenstow (den Tennyson in Cornwall besuchte), verehrt er wegen seines Gedichtes »Holy Grail«. More hält es für »das vergeistigste Gedicht in unserer Sprache« (6:33). Das Interesse an Shorthouses historischer Romanze John Inglesant gehört auch in diesen Zusammenhang. Ebenfalls bewundert er den ganz anderen Carlyle, dessen Gespür für den Illusionscharakter ihn nach Mores Ansicht schon zu einem Hindu-Seher und einem »hebräischen Propheten« macht (1:98, ). Der Essay über Newman lehnt dessen Konversion völlig ab. Er bezeichnet sie als eine »Pflichtvergessenheit und einen Verrat an der Willenskraft« (8:77). Der Essay beginnt jedoch mit der Darstellung von Newmans Illusionismus und zieht dazu einen sehr frühen Brief von 1828 heran: »Welch ein Schleier und Vorhang ist doch diese Welt der Sinne: schön, aber dennoch ein Schleier« (8:45). Selbst wenn More einen Autor ablehnt, hat er den Maßstab eines geistigen Symbolismus im Sinn. Brownings »Theorie der Liebe«, sagt er z. B., »weitet sich nicht wie Dantes in eine große Lebensvision aus, in der Symbol und Wirklichkeit verschmelzen« (SE, 3:160-61). Arthur Symons' Illusion ist zwar für More attraktiv, erscheint ihm aber doch als falsche Illusion und falsche Desillusion (i: 127). More behandelt Walter Pater mit ungewöhnlicher Schärfe, weil er ihn als Hedonisten sieht, der »schlaff, satt und impotent« endet (114). Er lehnt Paters Plato-Interpretation ab und hält Maritts the Epicurean für »nur eine weitere Manifestation jenes Ästhetizismus, den Pater aus der romantischen Schule seines Jahrhunderts herauspreßte und in die Phraseologie des antiken Glaubens verkleidete« (8 :96). More gesteht jedoch ein, daß »ich sein Epikureertum nicht genau genug getrennt hatte von der geistigen und moralischen Auflösung, die von Anfang an in der Romantik so verheerend gewirkt hatte; dieser Gefahr war ich, so meinte ich, nur knapp entronnen« (8:83). Da er immer noch die Gefahr spürt, möchte er sich vor ihr schützen, selbst um den Preis der Ungerechtigkeit. Meiner Meinung nach ist es falsch, Pater den Status eines richtigen Kritikers abzusprechen (8:99) und ihn lediglich als geistigen Vater für Oscar Wilde und den dekadenten Ästhetizismus hinzustellen (vgl. das Kapitel über Pater in dieser History Bd. 4). Die Sticheleien gegen die Humanisten, sie hätten die Literatur auf wenige große Namen reduziert, sind unzutreffend. More hatte einen weitgefächerten, keines-
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wegs exklusiven Geschmack. Er besaß eine stupende Belesenheit auf allen Gebieten. Er hatte ein Gespür für historische Zusammenhänge, einen »sicheren Zugriff auf die Kette menschlicher Ereignisse« (SE, 9136). More konnte durchaus Schriftsteller goutieren, die nicht seinem geistigen Niveau entsprachen. Er verteidigt Horace Walpole gegen die Beleidigungen Macaulays und gesteht, er habe eine unbezwingliche Vorliebe für diese Schriftsteller der Vergangenheit, die »für mein Vergnügen gelebt und geschrieben haben« (4:277). Er verteidigt Chesterfield und dessen Ratschläge an seinen Sohn (5:214). Er schätzt Rabelais und Laurence Sterne und wendet sich gegen Thackerays Abwertung Sternes (3:179-80). Von Byrons Werken bewundert er besonders Don Juan. Er erkennt Byrons Bedürfnis nach seelischer Tröstung und Frieden: »Das heroische Ideal und das Refugium der Religion können keine Grundlage mehr sein. Doch obwohl er ins Gegenteil verfällt und die Macht des Menschen, alles zu verspotten, zeigt, will er doch die Möglichkeit herausstellen, eine über den Dingen stehende Position zu beziehen« (3:176). Die Schlußpassage drückt Mores Hoffnung aus, daß Byrons Standpunkt durch »unser Wissen um die Bedeutung des menschlichen Lebens« überholt werden wird (3:176). Dieser Optimismus hat rhetorischen Charakter. Insgesamt vertritt More klassische Maßstäbe. Er rühmt Sainte-Beuve als »im Grunde genommen klassisch in seiner Liebe zu Klarheit und Zurückhaltung« (SE, 3:62), in seiner Ablehnung des Unmaßes (63) und in seiner »Liebe für das klassische Mittelmaß« (74). Bei dieser Gelegenheit bedauert er, daß die Engländer im elisabethanischen Zeitalter keinen Boileau hervorgebracht hätten, um Shakespeare zu lehren, »seine Redundanzen zu beseitigen, seine Sprache gelegentlich zu glätten und die Spuren archaischen Barbarentums in seinen Dramen zu tilgen« (71-72). More hat wohl an Arnolds Essay über die französische Akademie gedacht, wenn er sich auf »den Höhepunkt der englischen Literatur bezieht, der genau dort liegt, wo die französische Literatur sich am schwächsten erweist, nämlich im einsamen und ungeselligen Leben des Geistes; der Fehler der englischen Literatur resultiert aus dem Mangel an Disziplin und aus ästhetischer Unsicherheit« (81). More vertritt eine Klassikvorstellung im Sinne Arnolds, wenn er sich mehr mit formalen als mit inhaltlichen Aspekten befaßt, sich dem Nachdenken über Probleme der Moral widmet und sich beschäftigt mit der kritischen Gesinnung, die die Spontaneität einschränkt: »Mit einem Wort, das aristokratische Element bezeichnet Selbstkontrolle, Disziplin, Zurückhaltung« (5:29). Diese Ausführungen grenzen sich ab gegen Dickens' unkontrollierten Gefühlsüberschwang und gegen Tolstois Vorliebe für den bäuerlich-derben Geschmack. Dieser klassizistische Geschmack zeigt sich auch in einem Essay, der Lionel Johnson auf Kosten von Yeats positiv herausstellt (i: 177). Man muß dabei allerdings bedenken, daß dieser Aufsatz bereits 1904 geschrieben wurde, bevor Yeats sich von seiner »schwelgenden Träumerei« - wie More es nennt abwandte (1:187). Johnsons »Festigkeit und vitale Klarheit«, sein »zum Ideal
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stilisierter Schmerz« sprachen More mehr an. Ebenfalls weigert sich More, die »hochromantische Überschwenglichkeit« in Coleridges Kubla Khan als höchste Form der Dichtung anzuerkennen (n: 161). Zu eng sei hier die »Inspiration des Genies« mit dem »automatischen Schöpfungsakt im Traumzustand« verknüpft. Ähnlich erscheint ihm Blakes Methode »vernichtender für die Dichtung als die strengsten Konventionen des [18.] Jahrhunderts« (4:229). Im selben Zusammenhang führt er Klage über die weit verbreiteten und blind arbeitenden Kräfte, die an den Grundlagen der Strukturen von Leben und Dichtung im 18. Jahrhundert rüttelten (4:216). More ist gelegentlich ein altmodischer, starrer Klassizist, wenn er Ibsen verurteilt, weil dieser »gegen das Gesetz der Tragödie durch Trivialität und prosaische Sprache verstoßen hat« (SE, 2:160). Er selbst glaubt an »literaturimmanente Gesetze« (164) und lehnt Brownings dramatische Monologe ab. Diese lenkten die Aufmerksamkeit zu sehr auf den individuellen Fall oder das individuelle Problem und verhinderten so, daß das Augenmerk sich auf die größere und allgemeinere Vision richtete, die den Unterschied zwischen Prosa und Dichtung darstellte (3:153). Ohne nähere Begründung werden der dramatische Monolog, der point of view im Sinne Henry James' und der stream of consciousness im Verständnis Joyces angeführt als Gestaltungsmittel, die das Entstehen universeller Gültigkeit in einem Kunstwerk verhindern. Der Anspruch universeller Gültigkeit ist jedoch für More das Kriterium jeder echten Kunst. More übertreibt, wenn er 1917 in einem Brief an Babbitt schreibt: »Wie Sie wissen, basiert meine gesamte geistige Entwicklung auf den mit Ihnen geführten Gesprächen« (Dakin, More, 170 A). Ausdrückliche Bekenntnisse zum Humanismus als Weltanschauung sind vor 1908 und vor dem Vorwort zum achten Band der Shelhume Essays und der darin enthaltenen »Definitions of Dualism« selten. Doch schon viel früher hatte More Browning getadelt, weil dieser den Bruch zwischen der niederen und höheren Natur des Menschen nicht erkannt habe. (SE, 3:163). Brownings Popularität erklärt sich für ihn wenigstens zum Teil durch dessen Verherrlichung der menschlichen Leidenschaft. Der Schluß von Fifine at the Fair >»Mein letztes Wort lautet - Liebe ist alles. Tod ist nichts< - hört sich an wie die Weisheit eines Schulmädchens«, beklagt sich More (164). Browning ist, zusammenfassend beurteilt, ein »falscher Prophet« (165). Ähnlich wird Meredith kritisiert wegen »der Vermischung von materiellen und geistigen Sachverhalten« (2:167). Wordsworth wird wegen einiger Liebesgedichte, »die vollkommen sind aufgrund ihrer zurückhaltenden Schönheit«, gelobt (7:27). More ist begeistert von seiner »großen, wenn auch spasmodischen Leistung« (45). Wie viele andere Kritiker ist auch More erstaunt darüber, daß sich vereinzelte großartige Werke unter einer Vielzahl von eher mechanischen Übungen finden (46). Er tadelt Wordsworth, weil dieser sein Leben der Bewunderung der Natur gewidmet habe (42), und meint dagegen, das menschliche Schicksal sei großartiger als tote Dinge (47).
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Überschwang der Gefühle, fehlende Selbstdisziplin (SE, 7:13), »kindische Leichtgläubigkeit« hinsichtlich der Überzeugung, daß »Religion und politische Unterdrückung eine aufrechte und unschuldige Menschheit negativ beeinflussen könnten«, sind Kritikpunkte, die More gegen Shelley vorbringt. More sucht den Nachweis zu erbringen, daß Shelleys politische Überzeugungen seine Dichtung beeinflußt hätten. Diese Überzeugungen, so argumentiert More, hätten sich »zerstörerisch auf seine Selbsterkenntnis, die aus den großen Schöpfungen der Natur erwachsen ist«, ausgewirkt (8). More gesteht Shelley »Passagen lyrischer Ekstase« zu und räumt ein, daß auch andere Urteile über Shelley möglich seien (22). Eine grundsätzliche Übereinstimmung mit Arnolds Einstufung der englischen Romantiker ist offensichtlich. Dennoch steht More dem Rousseauismus, wie er sich in der romantischen Naturverbundenheit und Menschenliebe äußert, skeptisch gegenüber. Doch More kennt sich zu gut in der Geistesgeschichte aus, als daß er Rousseau als die einzige Quelle allen Übels ansähe. Die Ideen von Freiheit, Fortschritt, natürlicher Religion und angeborener Güte des Menschen sind viel älter und finden sich in England im Deismus, in den Lehren Algernon Sidneys und vieler anderer. Nach Mores Ansicht haben alle Philosophen des 18. Jahrhunderts »die Spaltung der menschlichen Seele, die aus der bitteren Erkenntnis des Bösen entspringt, ausgeklammert« (6:223). Am deutlichsten wird Mores Einstellung in dem Aufsatz über Tennyson. Er kritisiert Tennysons unkritischen Glauben an »ein lange vergangenes göttliches Ereignis« (5£, 7:83). Er stimmt ihm jedoch zu in seiner Neigung zur Mystik und seinem Selbstverständnis als ein »dem Zeitfluß entrücktes Wesen« (88). Ablehnend äußert sich More über Tennysons »offiziellen Kompromiß in In Memoriam«; hier werde nicht nur der Dichter, sondern Gott selber »eins mit der Summe aller Dinge in ihrem unbestimmten zeitlichen Fortschreiten. Darin liegt, richtig verstanden, der Unterschied zwischen Glauben und Naturalismus begründet« (88). More erkennt hier die Ablehnung zweier entgegengesetzter Prinzipien im Menschen. Das eine verspricht »Einheit, Frieden und ewiges Leben, das andere ruft zu endlosem Wechsel, Teilung und Zwietracht auf« (86). Der Wechsel ist der eigentliche Feind. Die Vorstellungen von Evolution und der Abstammung des Menschen sind für More Alpträume. In einer merkwürdigen Abhandlung über prähistorische Monster in einem Museum kommt Mores Entsetzen über die menschliche Animalität fast schon grotesk zum Ausdruck. Alle bisher erörterten Fragen befassen sich mit literarischen Inhalten. Hier liegt Mores Interessenschwerpunkt. Er beschäftigt sich jedoch durchaus auch mit formalen Gesichtspunkten der Literatur. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang ein ausgezeichneter Aufsatz über Metrik, »The Science of English Verse« (SE, 1:103), der 5 au^ Helmholtz' Tonempfindungen beruft. Hier legt er überzeugend dar, daß der lyrische Vers ein »Kompromiß zwischen unserem rhythmischen Instinkt und der normalen Prosaaussprache« sei (120). Es gibt vereinzelte Kommentare, die als Detailanalysen von Dichtung anzusehen sind. So weist
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More nach, daß die 45. Strophe von Shelleys Adonais Elemente von Vergil und Milton verbindet. More beklagt die aufgeblasene Wendung »far in the Unapparent« und hebt den Kontrast hervor zwischen der großartigen Zeile über Lukan und der »ungenaueren Allegorie des Vergessens«, die sich in der nächsten Zeile findet (7:23-24). Blickt man auf die n Bände der Shelhume Essays (und die drei Ergänzungsbände) zurück, so muß man die Vielfalt der Gegenstände, das Geschick der Darstellung, das umfangreiche Wissen und die Ausgewogenheit des Urteils bewundern. Dabei muß man allerdings auch Mores Grenzen sehen. Die Essays sind oft lediglich Rezensionen; dies war allerdings auch schon bei den Causeries du lundi der Fall. Dieser Vergleich findet sich bei Kritikern wie etwa Norman Foerster, die Mores Essays als »höchste Vollendung der amerikanischen Literaturkritik«6 bezeichnen und More selber den »größten aller amerikanischen Kritiker« nennen.7 Dieser Vergleich ist für eine richtige Einschätzung von Mores Leistung eher hinderlich. More fehlten sowohl Eleganz wie Leichtigkeit und das meisterhafte Gespür für das Individuelle, die Sainte-Beuve auszeichnen. Er ist keine so große Persönlichkeit oder Autorität wie Johnson; er hat wenig von Coleridges philosophischem Scharfsinn und psychologischer Sensibilität. More kommt jedoch das große Verdienst zu, das Ideal einer genau urteilenden und zugleich verständnisvollen Literaturkritik mit Nachdruck vertreten zu haben zu einer Zeit, als die Literaturkritik entweder rein impressionistisch geworden war oder sich in akademische Faktenhäufung beziehungsweise in Relativismus verlor. Mores kritische Schriften weisen eine Reihe von Nachteilen auf. Ein gewisser Ton der Selbstgefälligkeit und eine extreme Prüderie stören uns heute. Dies sind jedoch zu vernachlässigende Mängel einer Sammlung von eher zufällig entstandenen Essays und erweiterten Rezensionen. In ihrer Gesamtheit repräsentieren sie einen sicheren Geschmack und eine geistige Position. Die Shelhume Essays sind als Vorbereitung für die späteren Arbeiten über die platonische Tradition zu verstehen, die für More in den eindrucksvollen Gestalten der Cambridger Platoniker des 17. Jahrhunderts wieder auflebte. Mit Bezug auf Newman hebt er die Bedeutung der Platoniker als früher Theologen hervor, »die trotz ihres offensichtlichen Dogmatismus in Wirklichkeit den Mystikern aller Zeiten nahestanden und ihren Frieden in einem Glauben finden, der keinen Verzicht auf [ihre geistige Integrität] erfordert« (SE, 8:76). Bei meinem ersten Besuch in Princeton lieh mir More 1929 ein Buch; ich erinnere mich noch genau, es waren die Sermons von John Smith; bei meinem zweiten Besuch lieh er mir The Candle of the Lord von Nathaniel Calderwell. More war
6. Foerster, Humanism and America, viii. 7. Russell Kirk, in The Essential Paul Elmer More, hg. v. Byson C. Lambert, 9.
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Neuplatoniker, der der symbolischen Tradition, der auch Emerson entstammte, nahestand. Babbitt hätte für diese verfeinerte Spiritualität kein Verständnis gehabt. Mores gesamtes kritisches Schrifttum zeigt, daß er ein Moralist war, der sich letztlich auf eine unmittelbare Wahrnehmung übersinnlicher Wahrheit berief. Als Literaturkritiker hatte Babbitt seine Grenzen in der ästhetischen Sensibilität und der menschlichen Neugier. Auch er war in erster Linie Moralist. Er war jedoch, dies muß betont werden, ein überzeugender und gelehrter Historiker im Hinblick auf kritische, moralische und politische Ideen. Obwohl die Weiterentwicklung der modernen Wissenschaft viele seiner Arbeiten überholt hat, geben sie doch eine gedrängte Zusammenfassung der Geschichte der französischen Literaturkritik, der Geschichte der Wechselbeziehungen der Künste, der Geschichte der Einbildungskraft, der Geschichte des Primitivismus, des Sentimentalismus und vieler verwandter Themen. Fraglos werden alle diese Arbeiten von Babbitts einseitigen Überzeugungen beeinträchtigt und verfälschen auch gelegentlich ihren Ausgangstext - wenn Babbitt etwa versucht, Schiller zum Primitivisten zu erklären (vgl. Lovejoys Rezension von RR in Modern Language Review). Doch sie haben das große Verdienst, ernsthafte Begriffsgeschichte zu betreiben zu einer Zeit, als die amerikanische Wissenschaft sich ausschließlich dem antiquarischen Faktensammeln widmete. Babbitts Ansatz, der antike, englische, französische und deutsche Literatur sowie Ausblicke auf die fernöstliche Literatur einbezog, begünstigte die Entwicklung der Vergleichenden Literaturwissenschaft - ein Fach, das er mit Nachdruck zu empfehlen pflegte und dessen Schwierigkeiten er vernünftig abzuschätzen wußte (LC, 123-25). Es ist daher nur angemessen, daß heute der Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft in Harvard nach ihm benannt ist. In Harvard war Babbitt eine überragende Persönlichkeit. Der Einfluß auf seine Studenten blieb deutlich zu erkennen, selbst wenn diese Studenten sich später gegen ihn wandten. Man braucht nur auf T. S. Eliot zu verweisen. Auch seine Wirkung auf Studenten wie Stuart Sherman, Norman Foerster, G. E. Elliott, Newton Arvin, Austin Warren und Harry Levin oder solche »Renegaten« wie Van Wyck Brooks und Walter Lippman ist nicht zu überschätzen. Fast im Alleingang gelang es Babbitt, zu seiner Zeit die Bedeutung von Interpretation und Kritik für das Literaturstudium zu etablieren. Bei aller Begrenztheit seiner Ansichten verdient Babbitt doch Lob für seine Verteidigung der Urteilsfreiheit und der Notwendigkeit von Kritik.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Irving Babbitt: Literature and the American College (1908). Zit. als LC. The New Laokoon (1910). Zit. als NL.
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The Masters of Modem French Criticism (1912)· Zit. als MFC. Rousseau and Romanticism (1919). Zit. als RR. Democracy and Leadership (1924). Zit. als DL. On Being Creative and Other Essays (1932). Zit. als BC. Spanish Character and Other Essays (1940). Enthält eine Bibliographie von Babbitts Schriften und einen Index. Zit. als SC.
Paul Elmer More: Shelhume Essays, n Bde. (1904-21). Zit. als SE. Ein willkommener Ndr. ist Shelbume Essays on American Literature, hg. v. Daniel Aaron (1963). New Shelhume Essays, 3 Bde. (1928-36). Zit. als NSE. A Paul Elmer More Miscellany, hg. v. A. H. Dakin (1950). Nachdr. verschiedener Arbeiten und Auflistung von 600 anonymen Artikeln. The Essential Paul Elmer More, hg. v. Byson C. Lambert (1972). Eine Anthologie mit einem Vorwort von Russell Kirk.
Babbitt und More: Louis J. A. Mercier. Le Mouvement humaniste aux Etats-Unis: W. C. Brownell, Irving Babbitt, Paul Elmer More (1928). Die erste Monographie zu diesem Thema. Norman Foerster, Hg. Humanism and America: Essays on the Outlook of Modem Civilization (1930). Norman Foerster. Toward Standards: A Study of the Present Critical Movement in American Letters (1930). C. Hartley Grattan, Hg. The Critique of Humanism: A Symposium (1930). Francis Elmer McMahon. The Humanism of Irving Babbitt (1931)· T. S. Eliot. »The Humanism of Irving Babbitt« (1927) und »Second Thoughts about Humanism« (1929), in Selected Essays, 1917-1932 (1932). Louis J. A. Mercier. The Challenge of Humanism: An Essay in Comparative Criticism (1933). Robert Shafer. Paul Elmer More and American Criticism (1935). Folke Leander. Humanism and Naturalism: A Comparative Study of Ernest Seilliere, Irving Babbitt and Paul Elmer More (1937). Victor Lange und Hermann Boeschenstein. Kulturkritik und Literaturbetrachtung in Amerika (1938). Frederick A. Manchester und Odell Shepard, Hg. Irving Babbitt: Man and Teacher (1941). Malcolm Young. Paul Elmer More: A Bibliography (1941)· Sehr nützlich. Austin Warren. »Irving Babbitt« in New England Saints (1956), S. 143-64. Robert M. Davies. The Humanism of Paul Elmer More (1958). Arthur Hazard Dakin. Paul Elmer More (1960). Harry Levin. Irving Babbitt and the Teaching of Literature (1961).
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Francis X. Duggan. Paul Elmer More (1966). Austin Warren. »Paul Elmer More«, in Connections (1970), S. 129-51. J. David Hoeveler. The New Humanism: A Critique of Modem America, 1900-1940 (1976). Thomas R. Nevin. Irving Babbitt: An Intellectual Study (1984). Bibliographie.
KAPITEL 3
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Huneker, Mencken und Van Wyck Brooks waren primär Journalisten: Sie beherrschten die amerikanische Literaturkritik bis zur Großen Depression. Daneben gab es jedoch viele Literaturkritiker, die in direkter oder mittelbarer Verbindung zur Universität oftmals Theorien vertraten, die im Gegensatz zur herrschenden Meinung standen und auch untereinander kontrastierten. John Jay Chapman und George Santayana waren Einzelgänger; Joel E. Spingarn war ein reiner Theoretiker; Paul Elmer More, Irving Babbitt und beider Schüler und Anhänger Norman Foerster bildeten die Gruppe der Humanisten.
JOHN JAY CHAPMAN (1862-1933)
John Jay Chapmans Ansichten sind anachronistisch. Er ist strikter Anhänger Emersons, Individualist und fast eine Art Don Quijote. Wie der von ihm bewunderte William Lloyd Garrison - dem er in einer Monographie eine späte Ehrung zuteil werden ließ (1913) - widmete er sein ganzes Leben der Universalreform: New Yorker Politik, Einwanderung, Negerverfolgung usw. Er schrieb Stücke für Kinder, Lesedramen, antideutsche Pamphlete und vieles andere. Die Literaturkritik ist nur ein kleiner Teil seiner Produktion. Obwohl er darin niemals Anspruch auf Systematik erhebt, finden sich doch überraschende Einsichten. Besonders der Titelaufsatz in Emerson and Other Essays (1898) vertritt mit Nachruck die Position des Individualismus. Emerson wird als großer Rebell, als »der erzradikale« (107) Gegner der herrschenden Meinung dargestellt: »Wenn eine Seele, von der Demokratie unterdrückt, einen Schrei ausstieße, dann wäre dies ein Schrei wie der Emersons« (106). Emerson ist ein »Yankee Shelley« (15), dessen »Arbeiten alle einen einzigen Angriff auf die Stimme des Zeitalters, die moralische Feigheit, darstellen« (29). Chapman übersieht Emersons Vertrauen auf die Demokratie, weil er selber die amerikanische Realität seiner eigenen Zeit als »von einem unfreien Geiste einge25
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schüchtert« (103), arbeitsam, borniert, gewöhnlich und abgestumpft beurteilt: »So uniform, daß der eine Mensch kaum vom anderen unterschieden werden kann in Gesetzesgehorsam, Verschüchterung und Traditionsverhaftung« (114). Emerson steht wie ein Koloß über seiner Zeit. Doch Chapman erkennt auch Emersons Grenzen. Er ist kein Philosoph; er ist kein Kritiker, weil er »keine Vorstellung von Wachstum, von Entwicklung« und historischem Verständnis hat: »Kunst, Musik und Liebe waren leere Vokabeln für ihn« (78). Er hatte kein Verständnis für Leidenschaft und Sexualität. Seine Dichtung ist zu analytisch. Emersons Charakter wird als anämisch und unvollständig bezeichnet (72). Man sollte annehmen, daß Chapman Whitman geschätzt habe. Doch er verspottet die britischen Literaturkritiker (gemeint ist wahrscheinlich John Addington Symonds), die Whitman als repräsentativen amerikanischen Dichter verherrlichen. Chapman dagegen meint: »Man könnte ihn als Gegenbild zum Durchschnittsamerikaner sehen, doch in Wirklichkeit ist er, lediglich ein poseur, ein schlimmer Kurpfuscher und krankhafter Egozentriker« (E, 121), der dem Gefühl des Tramps Ausdruck verliehen hat (119). Nur seine Menschenverachtung kann anerkannt werden, doch seine Naturverbundenheit, seine Freude am Frivolen entsprechen nicht Chapmans Vorstellung des Individualismus. Chapmans Interesse gilt vielmehr, wie die Titel seiner Publikationen verraten, öffentlichen Themen: Political Agitation und Political Nursery. Chapman hatte wechselnde und breite literarische Interessen. Sein Interesse an italienischer Literatur spiegelt sich in seiner Bewunderung für Michelangelos Sonette und in einer Blankvers-Übersetzung des vierten Cantos des Inferno. Später erstreckte sich sein literarisches Interesse sogar auf Goethe; über ihn schrieb er eine Monographie, die jedoch nur teilweise veröffentlicht wurde. Er verfolgte darin den alten Vorwurf, Goethe habe seine »teutonische Leidenschaft der Selbstvervollkommnung« auf Kosten der Frauen, die ihn liebten, realisiert (Howe, 445-56). Chapman interessiert sich auch für die griechische Literatur. Seine Bevorzugung Lukians gegenüber Platon ist abwegig. Noch vor T. S. Eliot äußerte er sich negativ über Gilbert Murrays Übersetzungen aus dem Griechischen. Chapman schrieb sogar einen Artikel über Balzac, dessen Betonung von Balzacs »absoluter Menschenliebe« anzuerkennen ist. Die Aufsätze über Shakespeare, Browning, Kipling und Stevenson dagegen bringen nichts Neues. Kipling wird wegen seines Rassismus verurteilt, Stevenson wird als epigonal bezeichnet: Sein Werk »ist aufgeblasener literarischer Schaum« (Bernstein, 97). Bemerkenswert sind allerdings Chapmans treffende Metaphern. So erfahren wir: »Man kann Emerson nicht klar erkennen. Er verbirgt sich hinter einer hohen Mauer; doch man weiß immer ganz genau, an welcher Stelle er sich befindet. Man weiß dies durch die Gegenstände, die er über die Mauer wirft: ein Stiefelknecht, ein Apfel, eine Krone, ein Rasiermesser, ein Band Verse« (E, 30-31). Man könnte dies als »impressionistische Kritik« ablehnen, doch in ihrer phantastischen Art beschreibt sie genau, wie wenig fixierbar Emersons Charakter, wie
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gleichbleibend seine Position und wie »demokratisch ranggleich« die von ihm dargestellten Gegenstände sind. Auch Stevensons Benutzung älterer Literatur wird treffend beschrieben: »Er ist die Mistel der englischen Literatur, die nicht im Boden, sondern im Baum wurzelt« (243). Chapman könnte diese Methode von Emerson übernommen haben: Sein Leben und seine lebendigen Briefe belegen seine aufrechte Unabhängigkeit; negativ könnte man es allerdings auch als Spleen oder sogar Verrücktheit bezeichnen. Er wollte nicht, so schrieb er, »ein zweiter Sainte-Beuve« werden: »Seine Handschrift bleibt immer dieselbe. Er tut immer dasselbe, er ist passiv; man wünschte sich eine Kritik, die nicht die Vergangenheit verherrlicht, sondern die Gegenwart bewegen könnte« (Howe, 143). Als Kritiker hat Chapman die Gegenwart jedoch nicht bewegt. Er blieb ein Außenseiter, der erst spät Bewunderer wie Edmund Wilson fand.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE John Jay Chapman. Emerson and Other Essays (1898). Zit. als E. John Jay Chapman. Selected Writings, hg. v. Jacques Barzun (1957). M. A. De Wolfe Howe. John Jay Chapman and His Letters (1937). Richard Bennet Hovey. John Jay Chapman: An American Mind (1959). Melvin Herbert Bernstein. John Jay Chapman (1964).
W. C. BROWNELL (1851-1928)
William Crary Brownell scheint heute vergessen zu sein. Er wird nicht einmal in Alfred Kazins On Native Grounds oder in Stanley Edgar Hymans Armed Vision erwähnt, obwohl beide Bücher zu einer Zeit geschrieben wurden, als er noch nicht völlig vergessen war. Robert E. Spillers kurze Erörterung in seinem Standardwerk Literary History of the United States bezieht sich nur auf Brownells Aufsatz über Matthew Arnold. Seither ist nichts über ihn erschienen. In der sehr vollständigen zweibändigen, von Cleanth Brooks, R. W. B. Lewis und R. P. Warren herausgegebenen Anthologie, American Literature: The Makers and the Making, ist er nicht vertreten. Diese Vernachlässigung ist teilweise bedingt dadurch, daß er zu keiner der beiden Hauptgruppen der amerikanischen Literaturkritik gehörte. Weder war er, wie Irving Babbitt, Professor, noch, wie H. L. Mencken, Journalist. Mit 18 Jahren begann er seine Karriere als Journalist. Doch den größten Teil seines Lebens (seit 1888) war er Herausgeber und literarischer Berater bei der Verlagsgruppe Charles Scribner's. Edith Wharton, deren Bücher in diesem Verlag erschienen, nannte ihn dankbar »den urteilsfähigsten Literatur-
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kritiker unserer Zeit«. Er wurde von Stuart P. Sherman bewundert, der eine sehr positive Einleitung zu der neuen Ausgabe von American Prose Masters (1923) schrieb. Außerdem gibt es nur noch einen bescheidenen Aufsatz von G. M. Harper, dem Biographen von Wordsworth, in John Morley and Other Essays. Brownell begründet seinen Ruf als Kritiker mit zwei Büchern über Frankreich. Er hatte drei Studienjahre (1881-84) m Paris verbracht. French Traits: An Essay in Comparative Criticism (1888) ist eine soziologische Studie, vergleichbar mit Emersons English Traits oder Taines Notes sur l'Angleterre. Brownells Werk kontrastiert die französischen sozialen Verhältnisse, den Respekt für Institutionen, Rationalität, Geschmack, Sitten und geordnete Demokratie mit dem amerikanischen Individualismus, dem Kult der Häßlichkeit und der Gefühlsrohheit. Seine Sympathie scheint den Franzosen zu gehören. Erst gegen Ende der Ausführungen meint Brownell, daß er für die amerikanischen Bemühungen um »Überwindung von Chaos und Dunkelheit« eintreten müsse (411). Sein zweites Buch, French Art: Classic and Contemporary Painting and Sculpture (1892), ist eine sorgfältige Geschichte der französischen Kunst vom 16. Jahrhundert bis zum Zeitpunkt der Abfassung. Man muß sie als zeitgenössisches Dokument sehen. Brownell bewundert die Realisten und Impressionisten. Der jüngste Maler ist Monet, doch Brownell engagiert sich nur nachhaltig für Rodin, den er persönlich kannte. Das Buch ist auch Rodin gewidmet; der Nachtrag zu einer neuen illustrierten Ausgabe (1901) berücksichtigt keine neueren Entwicklungen, außer der Weiterentwicklung in Rodins Werk. Da das Buch auf Brownells Pariser Studien in den Jahren 1881-84 beruht, sollte man ihm nicht vorwerfen, er habe Cezanne und van Gogh übersehen. Sie waren damals noch nicht prominent. Ernst zu nehmender scheint mir der Vorwurf, daß die akademischen Bildhauer überbetont werden, obwohl Brownell sich zusammen mit Rodin gegen das Institut wandte. Auch die Überbewertung von Puvis de Chavanne scheint nicht gerechtfertigt. Das als Titelblatt gewählte Corot-Gemälde repräsentiert Brownells eigenes Kunstideal am besten. Als Literaturkritiker ist Brownell durch zwei Bücher, Victorian Prose Masters (1901) und American Prose Masters (1909), berühmt geworden. Jeder Band enthält Essays über nur sechs Autoren. Ergänzend müssen drei kleine Bände herangezogen werden: Criticism (1914), Standards (1917) und The Genius of Style (1924). Victorian Prose Masters erscheint heute abwegig: Die glühende Begeisterung für Thackeray und Arnold, die Gleichgültigkeit gegenüber George Eliot und Meredith und die scharfe Ablehnung von Carlyle und Ruskin sind für den heutigen Leser befremdlich. Doch die geschlossene Argumentation, die oft geistreiche aphoristische Formulierung, die geschickte Benutzung der Quellen, der abwägende und objektive Ton wirken auch heute noch überzeugend. Manches ließe sich auch noch für Brownells Verteidigung von Thackerays Bemerkungen gegen das Dogma »exit author« anführen, das damals aus Frankreich kommend von Henry James aufgegriffen wurde. Brownell argumentiert, daß der Roman nicht
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lediglich Kunstprodukt sei und auch kein Bild der Gesellschaft entwerfe. Vielmehr hänge seine Wirkung von der Persönlichkeit des Autors ab: »Thackeray durchzieht seine Fabel mit seiner persönlichen Philosophie« (7). Der Vorwurf, daß dieses Vorgehen die Objektivität und damit die Illusion zerstöre, sei falsch. Vielmehr vertiefe Thackerays Subjektivität die Illusion, stimme den Leser auf den Rhythmus des Gegenstandes ein und bewirke »eine wechselseitige Beziehung« zwischen Schriftsteller und Leser. Der Kommentar des Autors bewirke die Trennung der Figur von ihrem Hintergrund. Thackerays Subjektivität erhöhe die Objektivität seiner Schöpfungen: »Auf diese Weise werden sie entschieden >exteriorisiertDer Mensch ist kollektiv. Eine Veränderung steht bevor< zielt auf das Herz unseres Zeitalters« (2:1353). Doch das Kapitel endet mit dem Lob für Eliots Four Quartets. Weitere Aspekte von Matthiessens Ansichten über amerikanische Dichtung werden in der von ihm zusammengestellten und eingeleiteten Oxford Anthology of American Verse (1948) erkennbar. Er beklagt die Rhetorik des 19. Jahrhunderts besonders bei Lowell und Longfellow. Nicht nur in der Auswahl der Gedichte für diese Anthologie, sondern auch in einer Anzahl von Rezensionen (Nrd. in R) und in den Berichten über seine Vorlesungen und Vorträge in Salzburg und Prag zeigt sich, daß Matthiessen einen äußerst toleranten und umfassenden Geschmack besaß. Für ein Symposium in Alpbach wählte Matthiessen Gedichte von Sandburg, Frost und Eliot aus, um die extremen Positionen der amerikanischen Dichtung zu belegen. Seine Bewunderung für Eliot vertrug sich durchaus mit seinem Lob für Karl Shapiro; genauso ging er mühelos von Henry James zu Theodore Dreiser über, über den er sein letztes unvollendetes Buch schrieb (veröffentlicht 1951). Seine Motivation ist vor allem politisch. Matthiessen verteidigt sogar Dreisers späten Beitritt (Sommer 1945) zur Kommunistischen Partei als »eine symbolische Handlung, die sein Eintreten für internationale Solidarität belegt« (202, 250). Für Dreiser stand dieser Beitritt nicht in Widerspruch zu seiner Teilnahme am Kommunionsgottesdienst und auch nicht zu seiner Meditation »My Creator« (249, 241). Aber Matthiessen bewundert auch seine Romane, obwohl er deren Fehler durchaus erkennt: der ungeschickte Stil, die Abwegigkeit einiger Handlungsverläufe, die Geschmacklosigkeit der Dialoge, das primitive Argumentieren eines mit »Chemismen« durchsetzten Kommentars und die anderen Versatzstücke des Materialismus aus dem vorigen Jahrhundert. Matthiessen findet jedoch immer Entschuldigungen. Den Titel von An American Tragedy verteidigt er allerdings nur mit großer Mühe. Zugegebenermaßen sei es
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nur »die rührende Geschichte eines in die Enge getriebenen Tieres ... zwar keine Tragödie, doch aus einem zutiefst tragischen Verständnis des menschlichen Schicksals geschrieben« (207). Obwohl die Erörterungen der Romane oft einfühlsam und durchaus nicht unkritisch sind, stellt das Buch dennoch eine Antiklimax in Matthiessens Werk dar. Es ist merkwürdig flach und gezwungen apologetisch, nicht nur mit Bezug auf Dreisers politische und philosophische Ansichten, sondern auch mit Bezug auf Matthiessen selber und auf seine eigene Überzeugung und Entwicklung. Die im Mai 1949 an der Michigan Universität gehaltene Rede »The Responsibilities of the Critic« ist seine letzte und beste Verteidigung. Er tadelt die New Critics (oder eher deren Imitatoren), weil sie Literatur lediglich als ein zu lösendes Rätsel sehen (R, 5). Vor allem steht jedoch die Furcht vor dem Auseinandertreten von »Minoritätenkultur und Massenzivilisation« im Vordergrund dieser Rede. Der Kritiker müsse die Vergangenheit kennen: »Ein guter Goethe-Kritiker muß Thomas Mann kennen und ein Donneoder Dryden-Kritiker muß Eliot kennen« (6). Matthiessen wiederholt hier die Erkenntnis von Allen Täte. Obwohl er selber kein Marxist ist, verteidigt er Parrington, der auf »der Vorherrschaft der ökonomischen Faktoren in der Gesellschaft besteht«. Er behauptet, daß die »marxistischen Prinzipien uns bei der Erkenntnis und dem Verständnis unserer Literatur unbedingt helfen könnten« (n), und beruft sich auf das Beispiel Christopher Caudwells in England: Es zeige den großen Unterschied, »der immer noch zwischen Amerika und Europa besteht« (12). Doch dann kehrt die Vorlesung zur alten Forderung zurück, daß der Kritiker »das Werk als Kunstwerk beurteilen muß: Die Beurteilung von Kunst ist unvermeidlich ein sowohl ästhetischer wie auch sozialer Akt« (150). Der Kritiker müsse beides können, sowohl seine eigene Zeit völlig verstehen wie auch sie in Bezug zu anderen Zeiten abwägen (18). Mit dieser Schlußwendung steht er Eliot sehr nahe. Hier zeigt sich, daß Matthiessen zwar nachdrücklich für die von ihm so genannten »Möglichkeiten der Demokratie«, die in der Praxis der Politik von Henry Wallace entsprachen, eintrat, in Wirklichkeit jedoch seiner Kunsterkenntnis und seinem soliden ästhetischen Urteilsvermögen treu blieb. Er bleibt die eindrucksvollste Gestalt unter den gelehrten amerikanischen Kritikern dieser Dekade. 1942, ein Jahr nach der American Renaissance, veröffentlichte Alfred Kazin (geboren 1915) sein Buch On Native Grounds, eine Geschichte der amerikanischen Prosa seit dem Beginn des Realismus im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Wie Matthiessens Buch ist auch dieses geprägt vom Glauben an die Möglichkeiten der amerikanischen Demokratie und führt »unsere Entfremdung« auf die Geschäftskultur, wie sie sich »auf heimatlicher Erde« entwickelte, zurück (ix). Wie Matthiessen lehnt auch Kazin den rein ästhetischen Ansatz ab. Er weiß jedoch, daß die Kritik mit »Geschick, Talent und Übung« beginnt (xi). Seine Geschichtsdarstellung ist eine »moralische Geschichte, die höher als die Literaturgeschichte zu bewerten ist« (x). Obwohl Matthiessens und Kazins
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Ideologien sich nahe stehen, hatte Kazin doch einen völlig anderen Hintergrund. Wie man in seinen späteren Autobiographien A Walker in the City (1952), Starting Out in the Thirties (1966) und New York Jew (1978) erfährt, wuchs er unter eingewanderten polnischen Juden in New York auf. Während der Depressionsjahre stand er marxistischen oder zumindest radikalen Gruppierungen nahe, obwohl er nie der Kommunistischen Partei beitrat. Sein Buch begreift die amerikanische Literatur als im Protest und in der Rebellion entstanden (31) und vertritt ein klares Schema der dreifachen Epocheneinteilung: vor dem Ersten Weltkrieg (1890-1914), vor dem Bankenkrach und der Depression (1918-29) und schließlich die Depressionsjahre bis fast hin zu Pearl Harbor (1930-40). Daraus ergeben sich für Kazin drei Wellen des Realismus: Die erste (heute wird sie als Naturalismus bezeichnet) umfaßt Dreiser, Norris, Upton Sinclair u. a. Der Realismus der zweiten Epoche ist sanfter: Sherwood Anderson und Sinclair Lewis waren die führenden Romanschriftsteller. Schließlich kommt der neue Naturalismus der dreißiger Jahre: besonders Dos Passos und Farrell, beeinträchtigt von den Außenseitern Faulkner und Thomas Wolfe. Kazin schreibt mit stürmischer Begeisterung und tendiert zu vagen und unbeweisbaren Verallgemeinerungen. Gelegentlich finden sich ganze Reihen von Fragesätzen mit Anspielungen auf sehr spezielle Details in den erörterten Büchern. Seine Fähigkeit zu genauer Darstellung ist außergewöhnlich. So etwa werden Thorstein Veblens düstere Weltsicht, seine Satire des amerikanischen Geschäftslebens, sein grotesker Humor, seine Verachtung für den marxistischen Optimismus vorzüglich mit einer skizzenhaften Biographie verschränkt. Sein Stil wird als »witzig und pompös« (132) und als »übersteigerter akademischer Jargon« (138) bezeichnet. Das Kapitel über Faulkner fällt negativ aus. Nach Robert Penn Warrens Meinung stellt Kazin »die Argumente gegen Faulkner vollständiger und wirkungsvoller als jeder andere Kritiker zusammen«.4 Kazin erkennt bei Faulkner einen scharfen Gegensatz zwischen der ungestümen Ausdrucksweise und dem langweiligen und nichtssagenden Inhalt; er gesteht jedoch Faulkner »eine wirklich ungewöhnliche Wendigkeit des Geistes zu; eine solche Wendigkeit und ein solcher Einfallsreichtum«, so meint Kazin, »sei in der gesamten modernen amerikanischen Literatur nicht anzutreffen« (456). Er erkennt »eine fast schon groteske Darstellungskraft, die ohne Bezug zu Situationen und Figuren des Romans bleibt. . . eine Großartigkeit, die sich im luftleeren Raum bewegt« (459). In seinem Übereifer betont er »die monotone Verzweiflung« Faulkners (469) zu sehr. Ein so deutliches Werturteil, wie es sich in diesem Kapitel findet, ist für Kazin ungewöhnlich. Gewöhnlich findet man bei ihm eine ausgeprägte Offenheit für alle Arten von Literatur: für Willa Gather ebenso wie Dos Passos und Thomas Wolfe. Bemerkungen über Steinbecks Naivität oder die Abwertung von For Whom the Bell Tolls (338) sind
4. Faulkner, hg. v. R. P. Warren (1966), 15.
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seltene Ausnahmen. Lediglich in den Kapiteln zur Kritik teilt Kazin seine geistigen Überzeugungen explizit mit. In seinem Kapitel mit dem Titel »Criticism at the Poles« werden die Liberalen mit den Neuen Humanisten und die Marxisten mit den Neuen Kritikern kontrastiert. Besonders scharf fällt die Kritik an Babbitt aus. Daß er Babbitt »engstirnig, kritikwütig und ausufernd vulgär« nennt (295), ist eventuell noch verständlich. Wenn er jedoch behauptet, daß Babbitt »geistig nicht über Mark Hanna« stehe (297) oder daß er »keinerlei ethische Überzeugungen« besitze (299), widerspricht das den Tatsachen ganz und gar. Einem Marxisten wie Granville Hicks wird »eigenwilliger Moralismus« (421) und »monumentale Naivität« (420) vorgeworfen. Die New Critics werden unterschiedslos einer »tiefen Verbitterung«, »Wut und Verachtung« bezichtigt (433). Mit Sicherheit trifft dieses Urteil auf solche sanften Gemüter wie John C. Ransom oder Cleanth Brooks nicht zu. Blackmur wird eine »gierige Leidenschaft für die Kritik um ihrer selbst willen, eine Obsession mit der Technik« vorgeworfen (440). Das als Beleg angeführte Zitat jedoch bezieht sich lediglich auf den negativen Einfluß der Religion auf Shelley, Swinburne und Hardy. Das Kapitel betont die Verbindung von Formalismus und »Szientismus« als Grundzug des New Criticism (432) und hat dadurch die gängige Meinung bestärkt, während der New Criticism tatsächlich weder formalistisch noch szientistisch ist. Kazins letztes Kapitel mit dem Titel »America! America!« handelt vom neuen Nationalismus, aber hauptsächlich von Van Wyck Brooks' Verehrung für die amerikanische Vergangenheit. Brooks' ausnahmslose Verdammung der modernen Literatur in The Opinions of Oliver Allston wird mit deutlicher Abneigung, aber auch resigniert erörtert: »Der Einfluß des Zeitgeistes ist zu groß, er lastet auf uns allen« (517). Kazins kritische Grundsätze finden sich bereits bei Bernard Smith (geb. 1909), dessen Werk Forces in American Criticism: A Study in the History of American Literary Thought (1939) einen dezidiert marxistischen Standpunkt vertritt. Die »ästhetischen Nihilisten« werden abgewertet. Das Ende von Eliots Zeitschrift Criterion erfüllt ihn mit Befriedigung: Eliot könne seine Position jetzt nicht mehr kämpferisch vertreten. Smith beendet sein Buch mit dem Ausspruch: »Alle, die an wissenschaftliche Methoden, an Realismus, an soziale Gleichheit und an Demokratie glauben, werden hoffen und kämpfen« (387). Es wäre falsch, das Werk nur nach den letzten polemischen Passagen zu beurteilen. In der Tat ist es eine solide, kenntnisreiche und ausgewogene Darstellung der amerikanischen Kritikgeschichte, deren Schwerpunkt auf den sozial engagierten »progressiven« Autoren und auf sozialen Bedingungen liegt. Die sorgfältig ausbalancierten Kapitel über Emmerson, Poe und Henry James enthalten keine Denunziation des Ästhetizismus. Die Abschnitte über Parrington und Granville Hicks führen die Spaltungen und Widersprüche ihrer Positionen vor Augen. Entgleisungen finden sich nur selten in einer grundsätzlich fundierten Geschichtsdarstellung. So ist es zum Beispiel falsch, Spingarn als »entwurzelten großbürgerlichen Kosmopoliten« zu bezeichnen (285) oder von Croces »unverhohlener Mystik« zu sprechen (283).
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1948 publizierte Stanley Edgar Hyman (1919-70) einen interessanten Überblick über die moderne Kritik mit Schwerpunkt auf der englischen und amerikanischen Kritik: The Armed Vision: A Study in the Methods of Modern Literary Criticism. Er vertritt einen völlig anderen Ansatz als ich. Während ich die moderne Kritik als Versuch betrachte, der die ästhetischen, moralischen und sozialen Charakteristika der Literatur herausarbeitet, liegt für Hyman die Leistung der modernen Kritik in der Übernahme von Begriffen und Methoden aus der Sozialwissenschaft, aus der Psychoanalyse, der hauptsächlich marxistischen Soziologie und der Anthropologie. Marx, Frazer und Freud sind die großen Vorbilder. Ziel ist es, eine Wissenschaft zu etablieren, die formale Methodologie und einen systematischen Ansatz aufweist. Eine solche Wissenschaft wäre für jeden, der das entsprechende Interesse und die Fähigkeiten besäße, nachvollziehbar (9). Evaluation und Wertschätzung werden zu völlig subjektiven Vorgängen erklärt. Doch der größte Teil der Ausführungen widerlegt glücklicherweise diesen unbeholfenen Ansatz. Als Höhepunkt des Werkes kann die Verherrlichung von Kenneth Burke gelten. Er habe in seiner Position die verschiedenen Ansätze zusammengeführt (461) und »das umfassendste kritische System, das es je gab«, aufgebaut (394); dabei sei er seinem eigenen Ratschlag, alles nur Mögliche in die Überlegungen einzubeziehen, gefolgt (375). Er wird uneingeschränkt als idealer Kritiker akzeptiert. Lediglich seine »anachronistische Abneigung dem Fortschritt gegenüber« (397) wird vorsichtig kritisiert. Die in den Kapitelüberschriften angeführten Namen repräsentieren jeweils eine bestimmte Richtung oder Methode der Literaturkritik. Die Kapitelanordnung führt von Ablehnung über begrenzte Zustimmung zu höchstem Lob. Hyman beginnt mit einem Kapitel über »Edmund Wilson and Translation in Criticism«. Wilson wird als propädeutische Lektüre empfohlen: Er benutze mit Geschick und gelegentlich sogar ohne Quellenangabe fremde Forschungsergebnisse (21). Er wird der Profitgier, des Chauvinismus und einer obsessiven Sexualität bezichtigt. Lediglich die Psychoanalyse von The Wound and the Bow wird positiv beurteilt. Die besonders aggressiven Abschnitte wurden in späteren Ausgaben gestrichen. Das nächste Kapitel mit dem Titel »Yvor Winters and Evaluation in Criticism« führt einige von Winters' ausgefallenen und sogar kuriosen Ansichten an, um ihn als »einen äußerst provozierenden und schlechten Kritiker« zu beschreiben (72). Das Kapitel »T. S. Eliot and Tradition in Criticism« beinhaltet eine durchaus gründliche Auseinandersetzung mit Eliot, obwohl die Abneigung gegen seine religiösen und politischen Ansichten unübersehbar ist. Das abschließende Urteil lautet: »Entgegen Eliots eigenen Behauptungen ist der Mensch Eliot unzweifelhaft der Schlüssel zum Verständnis seiner Dichtung und seiner Kritik. Auch die >Tradition< scheint letztlich auf ein persönliches Bedürfnis zurückführbar zu sein« (103). Damit übergeht Hyman viel zu schnell die Frage nach der Gültigkeit von Eliots Vorstellungen. Das nächste Kapitel, »Van Wyck Brooks and Biographical Criticism«, erhebt erwartungsgemäß Einwände gegen den
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Mißbrauch der Biographie. Ein weiteres Kapitel, »Constance Rourke and Folk Criticism«, lobt das Buch Roots of American Culture (1942), das sich mit der Volkskunst befaßt, überschwenglich. In Kapitel 6, »Maud Bodkin and Psychological Criticism«, wird Bodkins Buch Archetypal Patterns in Poetry (1934) bescheinigt, »wahrscheinlich die überzeugendste Anwendung der Psychoanalyse in der Literaturkritik zu sein« (142). Doch auch Hyman erkennt, daß Bodkins Buch sich stark an Jung orientiert. Die Darstellung der Beziehung zwischen Freud und Jung führt zu einer kritischen Erörterung von Freuds Psychoanalyse und Jungs Gestaltpsychologie. Hyman bewertet die speziellere Position Kurt Lewins positiver: »Von dieser Position kann die Literaturkritik die stärkste Innovation seit Coleridges erstem Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse auf die Dichtung anzuwenden, erwarten« (163). Diese seltsame Prophezeiung basiert auf mangelhaften historischen Kenntnissen: Coleridge benutzte niemals die Wissenschaft außer in dem Verständnis von Shelleys Naturphilosophie. Vielmehr kritisierte er scharf die Assoziationspsychologie seiner Zeit. Von einer Literaturkritik Kurt Lewins oder seiner Anhänger hat man niemals etwas gehört. Das nächste Kapitel, »Christopher Caudwell and Marxist Criticism«, konzentriert sich auf Illusion andReality (1937). Diese undifferenzierte Vermischung von verwässertem Vulgärmarxismus mit Anthropologie wird als »die wichtigste Publikation der marxistischen Literaturkritik« bezeichnet (168). Caudwell, ein junger Engländer, der im Spanischen Bürgerkrieg fiel, wird als »der wirklich wichtigste marxistische Literaturkritiker unserer Zeit« vorgestellt (174). Hyman nimmt Caudwells Theorien über den Ursprung der Dichtung ernst. In den archaischen Erntefesten sieht Caudwell die ideale Verbindung von Dichtung und Produktion, wie sie heute in abgewandelter Form nur noch im Sozialismus erreicht werden könne. Hyman bewundert ein Diagramm »The Movement of Bourgeois Poetry«, das Parallelen zwischen ökonomischen Bedingungen und literarischen Bewegungen in sehr dilettantischer und oft mißverständlicher Weise aufstellt. Das nächste Kapitel heißt: »Caroline Spurgeon and Scholarship in Criticism«. Spurgeons Shakespeare's Imagery and What It Tells Us (1935) wird positiv herausgestellt, obwohl Hyman durchaus die eigenartigen Ergebnisse, die sich in den biographischen Deduktionen aus den Bildern ergeben, erkennt. Im Folgekapitel, »R. P. Blackmur and the Expense of Criticism«, wird Blackmur als »wahrscheinlich der subtilste und beste dose readerin der amerikanischen Literaturkritik« bewundert (244). Aber in der Bewunderung des sprachlichen Geschicks, seiner stupenden Gelehrsamkeit und seiner aufrichtigen Bescheidenheit (244) sehe ich eine völlige Fehleinschätzung seiner Person und seiner tatsächlichen Talente. In dem Kapitel »William Empson and Categorical Criticism« liegt der Schwerpunkt auf Empsons Some Versions of Pastoral. Categorical meint lediglich Gattungskritik. Die Ausführungen zu Alice in Wonderland werden als »die wohl erfolgreichste literarische Kurzanalyse nach der Methode Freuds, die je geschrieben wurde«, gelobt (283). Das vorletzte Kapitel, »I. A. Richards and
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the Criticism of Interpretation«, ist geradezu eine Hymne auf seine »Bildung auf fast allen Wissensgebieten«. Er wird als »wichtigster und größter der professionellen Literaturkritiker« bezeichnet: »Mehr als wohl irgendein anderer seit Bacon ist Richards in allen Bereichen der Wissenschaft zu Hause. Der gesamte menschliche Geist ist sein Forschungsbereich« (319). Nach Hyman begründete Richards die moderne Literaturkritik (317). Mit ihm beginne die »objektive Kritik« (315). Auf das enthusiastische Lob Burkes folgt ein merkwürdiger Schlußparagraph. Hyman entwirft die Vorstellung von Teamarbeit in der Literaturkritik. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf Film, Detektivgeschichte und Comics (407). In jedem Kapitel findet sich eine Fülle von Hinweisen auf literarische Polemik und verstreute Zeitschriftenliteratur. Weiterhin enthalten die einzelnen Kapitel eingeschobene Exkurse über Geschichte und Hintergrund der jeweiligen Ansätze. Diese Exkurse scheinen mir die Schwerpunkte des im übrigen interessant geschriebenen Buches zu sein. Die Skizze der biographischen Kritik seit Waltons Lives, die Aufzählung der englischen Anthropologen seit Frazer, die historische Entwicklung der psychoanalytischen und der marxistischen Kritik leiden unter oft überraschenden Wissenslücken; dies wird besonders deutlich, wenn sich die Darstellung auf Ereignisse oder Gegenstände außerhalb Englands oder Amerikas bezieht. Beispielsweise ist es falsch, De Sanctis als Anhänger Taines zu bezeichnen (180) oder die sowjetische Kritik dafür zu loben, daß sie in den dreißiger Jahren an Niveau gewonnen habe, während tatsächlich zu dieser Zeit das Dogma des sozialistischen Realismus forciert wurde. Ungerechtfertigt ist es auch, die New Critics und F. R. Leavis in den Hintergrund zu drängen und sie nur gelegentlich in den Exkursen zu erwähnen. Das Buch erscheint mir ohne konzentrische Mitte: oder vielmehr scheint mir diese konzentrische Mitte nur in der vornehmlich psychoanalytischen und marxistischen Methode und in dem Interesse an der neuen Semantik Richards' zu liegen. Diese ungewöhnliche Methodenverbindung wird am besten von Kenneth Burke repräsentiert, der Hymans großes Vorbild ist. Welche Fehler die erörterten Autoren - Parrington, Matthiessen, Kazin, Bernard, Smith und S.E. Hyman - auch immer haben mögen, ihr Verdienst ist die Wiederentdeckung amerikanischer Literatur und Kritik.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Arthur Lovejoy und Vernon Parrington: Vernon L. Parrington. Main Currents of American Thought, 3 Bde. (1927-30). Zit. als MC. Arthur O. Lovejoy. The Great Chain of Being (1936). Zit. als GCB. Arthur O. Lovejoy. Essays in the History of Ideas (1948). Zit. als EHI.
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Lionel Trilling. »Parrington, Mr. Smith and Reality«, Partisan Review 8 (1940): 24-40; gek rzt als »Reality in America« in The Liberal Imagination (1950). Yvor Winters. The Anatomy of Nonsense (1943), S. 556-64; Ndr. in In Defense of Reason (i947)· Robert Allen Skotheim. American Intellectual Histories and Historians (1966), S. 124-48. Richard Hofstadter. The Progressive Historians: Turner, Beard, Parrington (1969). F. O. Matthiessen: American Renaissance (1941). Zit. als AR. Henry James: The Major Phase (1944). Zit. als HJ. The Responsibilities of the Critic: Essays and Reviews, hg. v. John Rackliffe (1952). Zit. als R. George Abbott White. »Ideology and Literature: American Renaissance and F. O. Matthiessen« in Literature and Revolution, hg. v. G. A. White und Charles Newman (1972), S. 430-500. Giles Gunn. Ε Ο. Matthiessen: The Critical Achievement (1975). Fredrick C. Stern. F. O. Matthiessen: Christian Socialist as Critic (1981). Stanley Hyman: Howard Nemorov. »A Survey of Criticism« in Poetry and Fiction: Essays (1963).
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Man sagt, die marxistische Kritik sei in den Jahren der großen Depression, im »roten Jahrzehnt« vorherrschend gewesen. Aber »marxistisch« ist nicht immer die richtige Bezeichnung, selbst wenn der betreffende Autor als Marxist bekannt ist. In der Regel bedeutet »Marxismus« kein tatsächliches Eintreten für die marxistische Lehre, sondern lediglich eine antikapitalistische Haltung ganz generell, Sympathie für die Arbeiterklassen und eine Bewunderung für die russische Revolution. Vieles von dem, was Literaturkritik genannt wurde, hatte strenggenommen kaum etwas mit Literatur zu tun, wenn man von Debatten über solche abgegriffenen Themen wie das Verhältnis von Literatur und Propaganda absieht. Die meisten der verhandelten Themen gehören eher in den Zusammenhang der radikalen Arbeiterbewegung und der Geschichte der Kommunistischen Partei bzw. der darin ausgefochtenen Kämpfe zwischen den Anhängern der Moskauer Edikte und den Trotzkisten. Die stalinistischen Säuberungsaktionen und der Ribbentrop-Molotow-Pakt führten zu Parteiaustritten. Pearl Harbor und der Kriegsbeginn können als Endpunkte dieser Bewegung verstanden werden. Aber marxistische Elemente bleiben deutlich erkennbar in der Literaturkritik so unterschiedlicher Kritiker wie Edmund Wilson, Kenneth Burke, Lionel Trilling und F. O. Matthiessen, obwohl diese alle nicht als Marxisten gelten können. Ich habe nicht die Absicht, die Parteientwicklung nachzuzeichnen oder die genaue Beziehung der Schriftsteller zur Partei zu beschreiben. Auch der Grad ihres Engagements für die parteipolitischen Ideen interessiert in diesem Zusammenhang nicht, wenn diese Autoren lediglich Mitläufer waren. Daniel Aarons Writers on the Left (1961) ist eine ausgezeichnete detaillierte Studie zu diesem Themenkomplex, die jedem, der an dieser Zeit interessiert ist, erschöpfend Auskunft gibt. Wie auch sonst werde ich die für die konkrete Kritik interessantesten Autoren auswählen, die reinen Polemiker dagegen auslassen. Max Eastman (1893-1967) ist der früheste Vertreter des radikalen Flügels. Eine Zeitlang war er an der Columbia Universität John Deweys Assistent, wurde dann Herausgeber von The Masses (1912-17) und des Liberator (1918). Für zwei Jahre ging er nach Rußland und wurde später Anhänger Trotzkis. Schließlich wandte er sich völlig vom Kommunismus ab und publizierte nur noch im Reader's
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Digest. Eastman ist eine zwiespältige Persönlichkeit. Sein fanatischer Glaube an die russische Revolution behinderte nicht seine sentimentalen Dichtungen und auch nicht sein Interesse an dichtungstheoretischen Fragen. 1913 veröffentlichte er sein erstes Buch, The Enjoyment of Poetry; es basierte auf seinen Vorlesungen an der Columbia Universität, in denen er einen Beitrag zur Psychologie leisten wollte. Die Dichtungstheorie wird in diesem Buch mit dem praktischen Leben konfrontiert. Liebhaber von Dichtung sind die, die die Schönheiten des Lebens lieben (EP, 4). Sie sind besessen von dem Verlangen, die Schönheiten des Lebens wahrzunehmen (5): »Dichtung erhöht das Bewußtsein« (144). Diese Wendung übernimmt Eastman aus Edith Sitwells Poetry and Criticism. Obwohl Dichtung an sich nicht mit Verhaltensnormen und Erklärungen befaßt ist, so vermag sie doch, so argumentiert er, dazu beizutragen, »nützliche Verhaltenskorrekturen für die Zukunft zu erreichen« (130). Dies alles spiegelt den Einfluß von Bergson und ist wohl in seiner Betonung des Unterschiedes von Theorie und Praxis als pragmatisch und empiristisch zu werten. Diese Gedanken werden durch eine bunte Sammlung von Zitaten aus der Literatur belegt. Beispielhaft führt Eastman Namen, Vergleiche, Sprachfiguren an, um im Anschluß daran eine Auswahlsammlung aus der englischen Dichtung zu präsentieren. Seine Kommentare dazu verdeutlichen die Umsetzung (oder genauer die poetische Darstellung) von Handlung, Gegenständen, Gefühlen. Die Ausführungen gipfeln in der Erörterung von reiner Dichtung, womit melodiöse onomatopoetische Dichtung gemeint ist, bei der Rhythmus und Melodik dominieren. Eastman gibt sogar eine Anleitung für eigene Dichtungsversuche: Man solle sich dem »Ansturm der Ideenflut im eigenen Bewußtsein hingeben« (127). Seine insgesamt dilettantischen Ausführungen verfolgen das Ziel, beim Leser entsprechend dem Titel seines Buches »Freude an der Dichtung« zu erwecken. Obwohl die Vorstellung von Dichtung als »Umsetzung« dieselbe geblieben ist, hat sich der Schwerpunkt in Eastmans nächstem Buch Literary Mind: Its Place in an Age of Science (1932) verlagert. Dichtung wird gegenüber dem siegreichen Vormarsch der Wissenschaft völlig zurückgedrängt. Die Neuen Humanisten werden als reaktionäre Gentleman-Wissenschaftler angegriffen, die moderne Literatur wird wegen ihres Kultes der Unverständlichkeit diffamiert. Eastman denunziert Cummings, Joyce und T. S. Eliot wegen ihres Strebens nach reiner Dichtung und ihres gesamten esoterischen Anspruches. Ein Kapitel heißt »Dichter im Selbstgespräch«. Eigentlich sollte Eastman I. A. Richards' psychologischen Ansatz, der die Kritik als Zweig der Psychologie auffaßt (LM, 297), begrüßen; doch Eastman distanziert sich von Richards' Position. Er führt aus: »Obwohl Richards die notwendige Arbeitsteilung zwischen Dichtung und Wissenschaft zunächst anerkennt, möchte er dann doch der Dichtung ihre überlegene Position wieder zugestehen. Der coup d'etat von Ogden und Richards besteht darin, daß sie Wissenschaft und Leben trennen und dann doch die Dichtung
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wieder zur Herrscherin über das Leben erheben« (301). Der Grundirrtum bestehe darin, so meint Eastman, daß man versuche, Organisation und Kontrolle der Praxis aus der Wissenschaft in die Dichtung zu verlagern (303). Eastman lehnt Richards' Vorstellung ebenso ab wie die Erwartung, Dichtung könne uns retten und als Mittel zur Überwindung des Chaos dienen. Lange Zeit war Eastman ein Anhänger des wissenschaftlichen Fortschrittsglaubens auch in seiner russischen Variante, obwohl er schon sehr bald die Kulturpolitik der Sowjetunion ablehnte. Artists in Uniform: A Study of Literature and Bureaucratism (1934) ist ein sorgfältig recherchierter und für die damalige Zeit erstaunlich informierter Bericht über die Unterdrückung der russischen Avantgarde. Die Suizide von Esenin und Majakowski, die Demütigung von Boris Pilnjak, die Verleumdung von Eugeni Samjatin, die Kaltstellung von Isaak Babel und die gewaltsame Durchsetzung eines neuen Dogmatismus durch Erlaß von oben werden authentisch dokumentiert. Eastman hatte keinerlei Interesse für eine Haltung, die er als »deutschen Unsinn der Dialektik« bezeichnet. Er blieb während seines gesamten Lebens ein guter Pragmatiker und Empiriker, der schließlich seinen Glauben an das kommunistische Utopia verlor. Wenn wir die marxistische Literaturkritik als eine Bewegung verstehen, die den Klassenkampf proklamiert, auf eine radikale Sozialrevolution hofft und für eine neue proletarische Kunst eintritt, dann können wir von marxistischer Literaturkritik erst seit den frühen zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts sprechen. Das früheste Manifest, »Toward Proletarian Art«, erschien in The Liberator (Februar 1921) und ist auf rührende Weise optimistisch: »Wenn auf jeder amerikanischen Straße Gesang und Musik erklingen, wenn es in jeder amerikanischen Fabrik eine Theatergruppe der Arbeiter gibt, wenn die Mechaniker in ihrer Freizeit malen und die Bauern Sonette schreiben, dann und nur dann wird eine größere Kunst entstehen« (MG, 70). Diese sentimentale Utopie wurde von Irwin Granich (1893-1967) unter dem Pseudonym Michael Gold veröffentlicht. Auch in der Folgezeit setzte er sich ein für Proletkult als Vorbild und lobte Trotzkis Literatur und Revolution auf überschwenglichste Weise in The New Masses (1926). Für ihn ist Trotzki ein neuer Leonardo da Vinci (MG, 131). Mencken, Van Wyck Brooks und deren Anhänger werden abgelehnt. Ungeduldig fordert Gold einen großen Literaturkritiker: »Leben! Sende Amerika einen großen Literaturkritiker . . . sende einen Künstler, sende einen Wissenschaftler, sende einen Bolschewisten, sende einen Menschen« (139). Doch der Messias blieb aus. Gold konnte nur Schockreaktionen erzeugen durch seine grobe Attacke auf Thornton Wilder (in New Republik, 1930). Er bezeichnete ihn als »Prophet of the Genteel Christ«. Er griff ihn an wegen seiner Geistlosigkeit und seiner beschränkten Geschichtskenntnisse (MG, 199). 1935 entrüstete er sich aufs heftigste über Dreisers antisemitische Tiraden (MG, 223). 1941 widmete Gold ein ganzes Buch, The"Hollow Men, der Denunziation derer, die sich vom Kommunismus abgewandt hatten. Er verschonte niemanden: Hemingway, Steinbeck, Dos Passos und selbst seine
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Kollegen unter den Kritikern, Eastman und Granville Hicks. Gold blieb bis zum Ende seines Lebens dem Kommunismus verbunden. Granville Hicks (1901-82) trat nach der Unterzeichnung des Ribbentrop-Molotow-Paktes aus der Partei aus und distanzierte sich im Verlauf der Jahre von seinen früheren kritischen Grundsätzen. Im Nachwort zu einer Neuauflage (1969) seines bekanntesten Werkes, The Great Tradition: An Interpretation of American Literature since the Civil War (1933), stellt er selbstkritisch fest: »Wenn Künstler Marx lesen oder der Kommunistischen Partei beitreten oder diese unterstützen, so habe ich argumentiert, dann würden sie bessere Künstler werden. Welch ein Unsinn!« (318). Er erkennt, daß »der Marxismus ein nützliches Instrument zur Erklärung literarischer Phänomene war, doch nichts mit ihrer Bewertung zu tun hat« (309). Er gibt die Begrenztheit seines früheren Standpunktes zu: das fehlende Interesse sowohl an metaphysischen wie psychologischen Fragestellungen (310) und an Dichtung überhaupt. Seine literarischen Werturteile dagegen hält Hicks nur für bedingt korrekturbedürftig. Winesburg, Ohio war »das Werk, das seine geistige Entwicklung prägte« (317); dazu kam noch der Einfluß von Dos Passos (320). The Great Tradition propagiert in der 1933 veröffentlichten Form eine sehr einfache These: Die amerikanische Literatur im Zeitalter des merkantilen Aufschwungs war notwendigerweise eskapistisch, fern vom Leben der Nation, dekadent wie Hawthorne, Melville, Thoreau und Emily Dickinson oder konformistisch wie Lowell und die Brahmins; sie ist daher als zweitrangig zu beurteilen. Whitman war der Begründer einer neuen amerikanischen Literatur (30), aber er verstrickte sich in den Widersprüchen von Individualismus und Kollektivismus. Mark Twain wird als »bloßer Unterhaltungsschriftsteller« abgetan (41). Nur Howells wird bewundert, obwohl nicht nur seine Grenzen in seiner Geziertheit gesehen werden, sondern auch seine Unfähigkeit, die entscheidenden Impulse der amerikanischen Nation zu erfassen, kritisiert wird (88). Es gelang ihm nicht, »in das Herz des amerikanischen Lebens vorzudringen«: Hicks bringt damit euphemistisch zum Ausdruck, daß Howells nicht über die Arbeiterklasse geschrieben habe. Man kann leicht erraten, was Hicks über Henry James, den »Flüchtling« sagt. Trotzdem bewundert er James' Subtilität und fällt moralische Werturteile über seine Werke. Er kritisiert The Golden Bowl: »Alles hängt davon ab, ob der Leser James' Behauptung akzeptiert, daß Maggie eine Person von ungewöhnlicher Simplizität und Unschuld ist. Dem widerspricht allerdings der Umstand, daß ihr Denken und Handeln eine solche Verschlagenheit offenbart, daß Charlottes sogenannte Falschheit im Vergleich dazu fast edel erscheint« (119). Der auf diese frühen Schriftsteller angewandte Maßstab ist immer derselbe: Sie entsprechen nicht dem idealen Künstler, »für den jeder individuelle Charakter immer auch eine Darstellung der Gesellschaft ist, der er angehört« (130). Die Hoffnungen für die amerikanische Literatur richten sich auf die Sensationsschriftsteller und Naturalisten: Upton Sinclair wird als einer der wichtigsten
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Autoren genannt; Dreisers »sechs umfängliche Romane werden durch das Fundament von Ehrlichkeit und Mitleid getragen« (GT, 229) - trotz zahlreicher Mängel. Sinclair Lewis ist für Hicks der Autor, der die genaueste Schilderung über das Leben der Menschen liefert (230). Hicks äußert sich sehr scharf über James Branch Cabell, indem er ihn als »Betrüger, als glatten und selbstgefälligen Egoisten« bezeichnet (221). Er hat nur geringes Interesse an Willa Gather, deren »gefühlsselige und verschwommene Nostalgie« er ablehnt (225). Völlig verfehlt erscheint Hicks' besserwisserische Auseinandersetzung mit Edwin Arlington Robinsons Behauptung, daß es zeitüberdauernde Problemstellungen gebe: »Wir können nur die Probleme unserer eigenen Zeit wirklich beurteilen. Es gibt keine ewigen Probleme; jedes Zeitalter hat seine eigenen Schwierigkeiten. Obwohl einige Probleme immer wieder auftauchen, erhalten sie durch die jeweilige Zeit ihre spezifische Form« (244). Alle neueren Autoren weisen nach Hicks' Ansicht entscheidende Mängel auf: Hemingway flüchtete in den Alkohol (277); Faulkner läuft Gefahr, in routinierten Grand-Guignol-Effekten zu erstarren (267). Das Buch kulminiert in einem nachdrücklichen Statement, daß »das zentrale Faktum des amerikanischen Lebens der Klassenkampf« sei. Hicks fordert die Schriftsteller auf, »die soziale Klasse zu unterstützen, die die Entmachtung des Kapitalismus bewirken kann« (306). Will man diese Ansicht überhaupt als Marxismus gelten lassen, so kann er in wenigen Worten zusammengefaßt werden: Der Feind ist der Kapitalismus. Durch ihn wurden die amerikanischen Schriftsteller in die Isolation, die Entfremdung oder die Opposition gedrängt. Dabei verhielten sich einige der Schriftsteller zurückhaltend, andere traten entschlossen und aggressiv auf. Hicks zieht die offene Opposition vor. Dieses schlichte, fast naiv zu nennende Werk gilt als der Klassiker des amerikanischen Marxismus. Trotz möglicher Einwände muß man diesem Werk den Mut zum Urteil zugestehen: Darin erweist es sich als Kritik. Mit James T. Farrells A Note on Literary Criticism (1936) begann das Ende des dogmatischen Marxismus, ohne daß Farrell dabei die marxistische Orientierung aufgab. Farrell war selber Autor eines proletarischen Romans: Studs Lonigan. Für ihn ist Literatur sowohl ein Teilbereich der Kunst wie gleichzeitig auch ein Instrument sozialer Beeinflussung (NLC, n). Farrell befaßt sich mit der jüngsten Literaturkritik, dem Impressionismus, dem Humanismus und dem Marxismus. Er kritisiert Hicks und andere, die meinen, die Literaten der Vergangenheit seien Propagandisten gewesen (41) und die Literatur folge immer der Ökonomie (60). Er wirft ihnen vor, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Geschichte vernachlässigt zu haben: Damit greift er Golds Polemik gegen Thornton Wilder wieder auf (98-99). Farrell zitiert Passagen von Marx, die sich auf eine indirekte Verbindung zwischen Literatur und Gesellschaft beziehen. Er folgert daraus, daß »funktionaler Extremismus [Farrells Ausdruck für Kunst als Propaganda] zwangsläufig zu einseitigen Formulierungen, zur Verfestigung und Vorurteilen und zu sinnlosen Ratschlägen für die Schriftsteller einer zukünftigen
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klassenlosen Gesellschaft führt« (85). Der Versuch, eine proletarische Kunst ohne Bezug zur Vergangenheit zu schaffen, übersieht nach Farrells Meinung den Umstand, daß die Tradition niemals ausgeklammert werden kann. Er bezweifelt auch die Möglichkeit eines kollektiven Romans. Er vermag nicht zu erkennen, inwiefern sich Dos Passos' 42nd Parallel in der Figurenzeichnung von den individualistischen Romanen unterscheidet (114). Er sucht seine Ansicht anhand einer Erörterung von Dostojewskis Die Dämonen zu belegen. Man kann Dostojewski widerlegen (was nach Farrell einfach wäre), indem man seine Ansichten auf seine Biographie zurückführt und ihn damit in ein Museum der historischen Kuriositäten verbannt; man kann aber auch - und darin besteht die eigentliche Aufgabe des Literaturkritikers - Dostojewskis Bedeutung für unsere eigene Zeit herausarbeiten (208). Nach dieser letzten Methode hat Marx Balzac beurteilt; diese Ansicht vertritt Lenin in seinem Artikel über Tolstoi. Dieser »funktionale Ansatz« sollte allerdings in einer Zeit der sozialen Krisen andere Urteile und Vorgehensweisen nicht ausschließen. Farrell setzt sich für »Pluralismus in der Literaturkritik« ein (289) und möchte selber ein Beispiel für solche Toleranz geben. Ein Jahr nach dem Erscheinen von Farrells Buch erschien auch die unabhängige Zeitschrift Partisan Review wieder. Sie war von William Phillips und Philip Rahv 1934 unter der Schirmherrschaft der Kommunistischen Partei gegründet worden, konnte jedoch wegen innerer Auseinandersetzungen nicht erscheinen. Diese Zeitschrift propagierte eine Verbindung von Marxismus und Modernismus. Der gesellschaftlichen Revolution sollte die literarische Revolution folgen. (Im Kontrast dazu war in Rußland während der Revolution die moderne Kunst verurteilt und verfolgt worden). Der in der Ukraine geborene Philip Rahv (Pseudonym für Ivan Greenberg: 1908-73) ist als bedeutendster Kritiker dieser Position zu bezeichnen. Er hatte seine Laufbahn als radikaler Journalist bei New Masses und Daily Worker begonnen. In guter marxistischer Manier hatte er Gorki als »einen großen Führer der Kulturrevolution« begrüßt und Joyce und D. H. Lawrence als »Randfiguren der Literaturgeschichte« abgetan (ELP, xii). Rahv blieb trotz seiner Verachtung für den Stalinismus bis zu seinem Tode ein überzeugter Marxist. Dezidiert antireligiös, war er völlig überzeugt vom marxistischen Geschichtsbild. Rahv war strenggenommen kein Theoretiker, es sei denn, man sieht in seiner Formel für die beiden Traditionsstränge der amerikanischen Literatur »Bleichgesicht und Rothaut« (in Kenyan Review, 1939) mehr als ein geistreiches Apergu. Henry James wird mit Whitman kontrastiert, Melville mit Mark Twain. Patrizier werden mit Plebejern verglichen, Allegorie und Symbolismus werden zum Naturalismus in Beziehung gesetzt, highbrow wird mit lowbrow verglichen. Diese Vorstellung wird weiterentwickelt in »The Cult of Experience in American Writing« (Partisan Review, 1940). Lambert Strethers Ratschlag für den kleinen Gilham: »Lebe!« in The Ambassadors soll nachweisen, daß selbst James diese 29 Wellek, Literaturkritik 4/1
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Meinung vertrat und »daher in bemerkenswertem Kontrast zu der damals herrschenden amerikanischen Moral der Enthaltsamkeit steht« (ELF, 9). Die hervorstechende Bedeutung der Erfahrung ist für Rahv das »Grundthema und das einheitsstiftende Prinzip« eines »wahrhaft nationalen Erfahrungsschatzes«, der die beiden Traditionen miteinander versöhnt (10). Immerhin waren beide Traditionsstränge historisch bereits verbunden durch das entschiedene Bemühen, das puritanische Nützlichkeitsstreben im praktischen Leben zu überwinden: »Whitman und James sind die wahren Initiatoren der amerikanischen Moderne« (14). Cooper, Hawthorne und Melville sind nach Rahv eher Romanciers als ernstzunehmende Romanschriftsteller gewesen. Hemingway, Sherwood Anderson und Faulkner sind Beispiele für den Kult der Erfahrung und des Anti-Intellektualismus der amerikanischen Literatur. In marxistischer Terminologie formuliert Rahv: »Die Ebene des Überbaus wird vom typischen amerikanischen Schriftsteller der Moderne selten erreicht« (19). Der bedauernde Unterton des Intellektuellen, der New York als Vorposten Europas sah, ist unüberhörbar. Rahvs Stärke als Literaturkritiker liegt in der Erörterung einzelner Werke. Die beiden Hauptaufgaben des Kritikers, zu beschreiben und zu beurteilen, nimmt er überzeugend war. Im Vergleich zu dem oft farblosen und schwerfälligen Stil seiner Kollegen schreibt er flüssig und verfügt über ästhetische Sensibilität, die für andere Kritiker unüberwindbare ideologische Barrieren mühelos überwindet. Man muß allerdings zugeben, daß sein ästhetischer Geschmack und seine historische Perspektive gewissen Grenzen unterliegen. Die Literatur beginnt in Amerika mit Hawthorne, in Rußland mit Gogol. Sie endet mit Rahvs eigenen amerikanischen Entdeckungen, Saul Bellow, Randall Jarrell, John Berryman und Bernard Malamud. Die Auseinandersetzung mit Lyrik übersteigt seine Möglichkeiten, aber er ist ein scharfsinniger Kommentator zeitgenössischer Literaturkritik. Eliot ist für ihn »der beste Literaturkritiker dieses Jahrhunderts im englischen Sprachraum« (ELF, 82); er wird mit einigen Vorbehalten gegenüber seiner religiösen und politischen Haltung abgehandelt. F. R. Leavis wird wegen seiner »Kraft, Festigkeit und Ehrlichkeit« bewundert, wegen seiner Verehrung für D. H. Lawrence jedoch getadelt (264). Leavis habe ein im Widerspruch zur Realität stehendes Idealbild von Lawrence geschaffen (270). Leavis' eigene Überzeugungen, so konstatiert Rahv (271), stünden in ganz entschiedenem Widerspruch zu seiner Sympathie für Lawrence. Lawrences Buch Studies in Classic American Literature sei nicht das Meisterwerk, für das es gelte (267). Rahv distanziert sich vom New Criticism, weil dieser sich der Langweiligkeit der eng am Text arbeitenden formalistischen Methode verschrieben habe. Außerdem habe sich der New Criticism uneingestandenermaßen und unreflektiert einer obskuren sozialen und historischen Ideologie zugewandt (MP, 66). Vor allem wendet sich Rahv gegen Ransoms Versuch, Dichtung als Poesie zu verstehen, und gegen die Überbewertung von Stil und Diktion. Für Rahv bedeutet Dichtung »Figurenzeichnung, Tiefe des Lebens, aus der die moralischen Gefühle des
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Autors entspringen, die Fähigkeit, eine Handlung zu entwickeln ... und die Fähigkeit, zufällige Erfahrungen als unausweichliche Notwendigkeiten darzustellen« (50). Auch die in den fünfziger Jahren dominierende Mythenkritik lehnt Rahv ab: »Der Umstand, daß der Mythos die gemeinsame Matrix vieler literarischer Formen ist, bedeutet nicht, daß Mythos Literatur oder daß Literatur Mythos ist. Diese Annahme gründet auf einem einfachen genetischen Fehlschluß« (9). Mir erscheint diese Feststellung richtig. Rahvs Ansicht, daß »die Vorliebe für den Mythos vor allem eine Furcht vor der Geschichte zum Ausdruck bringt« (7), ist dagegen eine sehr anfechtbare marxistische Folgerung. Richtig ist dagegen wiederum Rahvs Überzeugung, daß »der Mythos in einem Roman oder einem Gedicht noch nicht über dessen Wert entscheidet«: »Derselbe Mythos kann nämlich in völlig zweitrangigen Werken genauso gefunden werden wie in einem vorzüglichen Werk« (21). Rahv war entscheidend an der Rehabilitierung von Henry James beteiligt. »Attitudes toward Henry James« (1943) ist eine ausgezeichnete Widerlegung der damals gängigen negativen Haltung gegenüber James; dabei verfällt dieser Aufsatz jedoch umgekehrt nicht der damals ebenfalls entstehenden übertriebenen James-Verehrung. Rahv zählt The Golden Bowl »unter das halbe Dutzend großer Romane der amerikanischen Literatur« (//, 67). Überzeugend beschreibt er den Widerspruch in diesem Werk als »positive und glühende Suche nach Erfahrung und ein gleichzeitiges Zurückschrecken davor, das noch genauer als Angst vor der unmittelbaren Erfahrung beschrieben werden kann« (69). Unbestritten hat Rahv recht mit seiner Bemerkung: »Noch nie war ein Schriftsteller so tief in persönliche Beziehungen verstrickt; aus der Unfähigkeit, sich daraus zu lösen, ergibt sich eine antihistorische Haltung.« - »Europa steht für Phantasie, für Wirklichkeit und für Kultur, aber der Geist bleibt in Amerika« (70). Dieser Aufsatz wird ergänzt durch eine Analyse von James' Frauengestalten: »The Heiress of All the Ages« (1943; ELP, 43-61). Jahre später vertritt Rahv eine andere Meinung in »Henry James and His Cult« (1972; in ELP). Er wendet sich gegen die >beweihräuchernde< Biographie Leon Edels und argumentiert, daß »James in der Weltliteratur nicht die erste Stelle zukomme« (97), wenn man ihn mit Nikolai Leskow, Adalbert Stifter oder Gottfried Keller vergleicht. Rahv folgert, daß trotz »eines gewissen psychologischen Lyrizismus James nicht als wahrhaft moderner Autor angesehen werden kann« (103) wie etwa Kafka, dem Rahv einen guten einleitenden Essay widmet (250-62). Rahvs beste Literaturkritik befaßt sich allerdings mit der russischen Literatur, die er im Original las. Seine Aufsätze über Dostojewski waren Vorarbeiten für ein Buch, das nie erschienen ist. Weniger bedeutend sind die beiden Aufsätze über Tolstoi. Ein früher Essay, »The Death of Ivan Ilyich and Joseph K.« (1940), zieht eine übertriebene Parallele zwischen Tolstois Geschichte und Kafkas Prozeß. Tolstois Geschichte wird in marxistischer Terminologie allegorisiert: »Die geheimnisvol-
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le Katastrophe, die Iljitsch tötet, entspricht in der historischen Wirklichkeit dem Geist des alten Statusdenkens, der sich an seinen Mördern rächt. Durch Iljitschs Tod werden die Expropriatoren expropriiert« (LSS, 46, 50). Zum Glück überwandt Rahv diese Art Marxismus sehr bald. Ein späterer Aufsatz über Tolstoi, »Tolstoy: The Green Twig and the Black Trunk« (1946), bewahrt jedoch die marxistische Linie: Tolstois »Angriff auf die Kultur ist im Wesentlichen ein Angriff auf die Bedingungen, die für die Entfremdung verantwortlich sind« (ELF, 212). Seine Doktrin von der christlichen Anarchie hat nur geringen religiösen Inhalt. Sie ist eher eine »Formulierung eines sozialen Ideals und eines utopischen Programms« (221). Die Essays über Dostojewski sind viel scharfsichtiger. Der Essay über Die Dämonen (1938) stellt eine gute Analyse des ideologischen Themas dar, formuliert jedoch nur, was bereits früher gesagt wurde: »Dostojewskis Kunst ist reaktionär, was ihren abstrakten Inhalt anbelangt ..., radikal in ihrem Empfindungsvermögen, subversiv in ihrer Durchführung« (ELP, 128). Interessanterweise meint Rahv: »Dostojewski hatte ein ungeheures Interesse an Menschen, aber er hat wenig Begabung für Textur und Gegenstände ... Diese Besonderheit macht die halsbrecherische Geschwindigkeit seiner Erzählungen möglich - wenn man auf nichts achten muß, muß man auch nicht verweilen« (126). Der Artikel »The Legend of the Grand Inquisitor« (1954) formuliert das Problem sehr deutlich: »Dostojewski stellt die Wahrheit der Geschichte so dar ..., daß wir erkennen, sie gehört ganz offensichtlich auf die Seite des Großinquisitors, nicht auf die Seite Christi. Trotzdem steht Dostojewski jedoch auf sehen Christi« (ELP, 147). »Wenn Dostojewski die Weisheit des Inquisitors zurückweist, so geschieht dies ausschließlich aufgrund seines verzweifelten Glaubens an das Paradox des Christentums« (148). Die Erörterung von Dostojewskis Roman Schuld und Sühne lehnt jede rationale Motivation des Verbrechens ab und stellt Dostojewski als den ersten Romanschriftsteller heraus, der »das Prinzip der Unbestimmtheit in der Charakterdarstellung voll akzeptierte und ausführte« (ELP, 155). Rahv lehnt jede Allegorisierung ab, die Swidrigailow zu einer Spiegelfigur Raskolnikows machen würde und die dabei leugnen würde, daß er ein eigenständiger Charakter ist, der in keinerlei mystischer Beziehung zum Protagonisten steht (160). Der Romanschluß wird abgewertet, da er »unwahrscheinlich und ohne Bezug zum übrigen Roman« sei (172). Rahv weist mit Nachdruck auf die antiradikale Polemik des Buches hin: »Der Roman basiert auf einem Taschenspielertrick, der ein bedeutungsloses Verbrechen zu einem bedeutsamen verwandelt« (173). Der Artikel »Dostoevsky: The Descent into the Underground« (1972) rechtfertigt paradoxerweise den Umstand, daß die Passage in Kapitel 10 von Aufzeichnungen aus dem Untergrund über »Glaube und Christus« dem Verdikt der Zensur unterlag (ELP, 177): »Sie [die Zensoren] handelten wie richtige Literaturkritiker« (180). Dostojewski stimmte ihnen indirekt zu: Er fügte die gestrichene
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Passage nie wieder ein. Dostojewski »rügte die konkreten sozialen und politischen Freiheiten, die von seinen radikalen Zeitgenossen im Namen >absoluter Freiheit gefordert wurden, als ohne jede Erfahrungsgrundlage im Leben der Menschen. Für ihn war der absolute Charakter einer solchen Freiheit metaphysisch begründet, rein imaginär, gänzlich utopisch und historisch unvorstellbar« (182). Die letzte Veröffentlichung Rahvs mit dem Titel »The Other Dostoevsky« (1972) stellt dagegen vor allem den utopischen Dostojewski in den Vordergrund, der vom Goldenen Zeitalter träumt; dieser säkulare und implizit atheistische Traum widerspricht der christlichen Vision. Rah v insistiert auf dem Widerstreit zwischen »dem extremen Skeptiker und dem radikal Gläubigen« (ELF, 189); darin ist die Widersprüchlichkeit der historischen Situation, in der Dostojewski lebte, eingeschlossen. In seiner Erörterung von »Onkelchens Traum« wertet Rahv den Schluß als parteiisch ab und versucht zu zeigen, daß Dostojewski eine doppelte Ansicht verfolgte: »Er führt den Glanz des ersehnten Goldenen Zeitalters vor und präsentiert gleichzeitig das angeborene Böse in der Natur des Menschen, das zu seinem Ausschluß aus der Schöpfung führt. Dieses Vorgehen spiegelt seinen eigenen inneren Zwiespalt« (190). Weil er die menschliche Natur negativ sieht, kann Dostojewski sich seiner utopischen Version nicht völlig hingeben. Rahv benutzt Bilder aus Wallace Stevens' Gedicht »Sunday Morning« und folgert, daß Dostojewski die Herrschaft von »Blut und Begräbnisstätte« niemals vergaß. Gelegentlich und vorsichtig jedoch entdeckte er das Paradies im »Balsam und der Schönheit der Erde« (202). Ähnlich wie der wichtigste tschechische Kritiker, F. X. Salda (Salduv zapisnik 3 [1929]: 3370°.), vertritt auch Rahv hier die Ansicht, daß Dostojewski als fast erotischer Dichter zu sehen sei, der die Erde und die menschliche Brüderlichkeit feiert. Im Rückblick auf die marxistische Literaturkritik ist die Erörterung der sozialen Quellen und Implikationen positiv hervorzuheben. Diese wurden vorher oftmals übersehen. Dieser Ansatz wurde jedoch selten systematisch entwickelt. Am überzeugendsten war diese Literaturkritik, wenn sich ein Kritiker wie Rahv von den Zwängen des Dogmatismus befreite, selbst wenn er sich zu den marxistischen Grundsätzen bekannte. AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Max Eastman. The Enjoyment of Poetry (1931). Ndr. 1939, zit. als EP. Max Eastman. The Literary Mind: Its Place in an Age of Science (1932). Zit. als LM. Granville Hicks. The Great Tradition: An Interpretation of American Literature since the Civil War (1933). Ndr. mit Nachwort von Hicks (1969), zit. als CT. Max Eastman. Artists in Uniform: A Study of Literature and Bureaucratism (1934). James T. Farrell. A Note on Literary Criticism (1936). Zit. als NLC.
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Michael Gold [Irwin Granich]. Mike Gold: A Literary Anthology, hg. v. Michael Folsom (1972). Zit. als MG. Philip Rahv. Image and Idea (1949). Zit. als II. Philip Rahv. The Myth and the Powerhouse (1965). Zit. als MP. Philip Rahv. Literature and the Sixth Sense (1969). Zit. als LSS. Philip Rahv. Essays on Literature and Politics, 1932-1972, hg. v. Arabel J. Porter und Andrew J. Dvosin, mit einer Erinnerung von Mary McCarthy (1978). Zit. als ELF. Alle Geschichten der amerikanischen Literaturkritik enthalten Abschnitte über die marxistische Gruppe. Außer der kleinen Erinnerung von Mary McCarthy in Essays on Literature and Politics ist mir keine Abhandlung über Philip Rahv bekannt. Granville Hicks et al., Hg. Proletarian Literature in the United States: An Anthology, mit Einleitung von Joseph Freeman (1935). Enthält einen Abschnitt über Literaturkritik. Daniel Aaron. Writers on the Left (1961). Die beste mir bekannte Abhandlung zum Thema. David Madden, Hg. Proletarian Writers of the Thirties, mit Vorwort von Harry T. Moore (1968). Enthält mehrere Aufsätze mit Relevanz für die Literaturkritik. Milton Cantor. Max Eastman (1970). Ein Überblick auch über seine Literaturkritik. Martin Christadler und Olaf Hansen, Hg. Marxistische Literaturkritik in Amerika (1982). Eine ausgezeichnete neue englischsprachige Anthologie der wichtigsten Texte.
KAPITEL 6
EDMUND WILSON (1895-1972) Edmund Wilson ist der in Europa bekannteste und meistgelesene amerikanische Kritiker. In den Vereinigten Staaten ist er (genauer: war er) eine herausragende Gestalt als Literat und Gesellschaftskritiker. Viele seiner Schriften - zum Beispiel The American Jitters (1932), To the Pinland Station (1940), The Scrolls from the Dead Sea (1955), Apologies to the Iroquois (1959) und O Canada (1965) - reichen weit über das Gebiet der Literatur hinaus. Wilson schrieb auch Romane, Dramen und Gedichte, zeichnete Eindrücke seiner Reisen nach Sowjetrußland, Israel, Haiti und Europa auf. In mehreren autobiographischen Veröffentlichungen hinterließ er einen ausführlichen Bericht über seine Entwicklung und seine Ansichten über die unterschiedlichsten Sachverhalte. Die von Leon Edel herausgegebenen Tagebücher und Notizen und die Briefsammlungen geben Auskunft über die sehr persönlichen Gefühle eines Menschen und dokumentieren zugleich seine Beschäftigung mit den Problemen seiner Zeit. Diese Veröffentlichungen umfassen die Zeitspanne von seiner ersten Europareise bis zu seiner letzten Krankheit. Wenn ich mich hier nur auf seine Literaturkritik beschränke, so wird dies seiner Persönlichkeit nicht ganz gerecht. Aber selbst bei dieser Beschränkung entstehen sofort zwei Schwierigkeiten. Wilson selber lehnte es ab, als Literaturkritiker bezeichnet zu werden: »Ich halte mich selber einfach für einen Schriftsteller und Journalisten. Ich bin an Geschichte gleichermaßen interessiert wie an Literatur«, sagte er 1959.' Als überzeugter Empiriker wollte Wilson nicht auf eine einzige Theorie festgelegt werden. Ausdrücklich betonte er in der Einleitung zu seiner Anthologie The Shock of Recognition (1943), daß »das Allgemeine am besten durch das Studium des einzelnen zu verstehen sei« (Vorwort). Lediglich zwei Essays aus dem umfänglichen Korpus von Wilsons Schriften können als Kritikund Literaturtheorie im strikten Sinn verstanden werden: »Marxism and Literature« (1937) und »The Historical Interpretation of Literature« (1941, in TT, 197-212, 257-70). Man muß einzelne Äußerungen und Bemerkungen heranzie-
Henry Brandon, »We don't know where we are.« Ein Gespräch mit Edmund Wilson in New Republic, 30. 3. 1959, S. 13-14.
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hen, um die Theorien und Grundsätze zu erkennen, auf denen seine Literaturtheorie basiert. Zu achten ist auch auf die Veränderungen oder Verlagerungen seiner literarkritischen Schwerpunkte. Diese verlaufen parallel zu seiner politischen Einstellung und verändern sich mit der Entwicklung der Sozialgeschichte der Vereinigten Staaten. Am sinnvollsten erscheint es, zunächst einmal Wilsons Position in der amerikanischen Kritikgeschichte zu beschreiben. Seine Karriere beginnt vor der Zeit des New Criticism und reicht über dessen Höhepunkt hinaus. Wilson erörtert keinen der New Critics im Detail. Es finden sich nur gelegentliche Anspielungen, wie etwa auf Allen Tates Kritik an Keats, daß dieser sich den emanzipatorischen Ideen seiner Zeit angeschlossen habe (TW, 426). Einige Anmerkungen finden sich auch über Ransoms Interesse an Shakespeares Beziehung zum »staubigen Tod« (CC, 518), wobei Ransom jedoch nicht namentlich erwähnt wird. Weiterhin finden sich Bemerkungen über Empsons »interessante Studie über die AliceBücher« (SL, 546). Erst 1962 nimmt Wilson auch Bezug auf Leavis. Er bekennt, Leavis' Bücher vollständig gelesen zu haben, aber »wenn ich sie gelesen habe, so war dies stets eine Polemik gegen irgend jemanden. Er ist ein Dogmatiker, der mich unweigerlich herausfordert.« »Warum sollte man jemanden verdammen, nur weil er eine Abneigung gegen George Eliot hat? Als ich Silas Marner und Adam Bede in der Schule lesen mußte, haßte ich diese Titel, und ich konnte mich niemals dazu überwinden, Middlemarch zu lesen. Warum soll man Max Beerbohm als Trivialautor bezeichnen?« Dennoch gesteht Wilson zu, daß Leavis ein leidenschaftliches und ehrliches Interesse an Literatur habe (BBT, 535-36). In dem Interview, in dem Wilson über die Leavis-Snow-Kontroverse die beiden Kulturen betreffend spricht, ohne dabei jedoch eine eigene Position zu beziehen, spricht er über den Plan, »eine Art melodramatische Farce über das akademische Leben« zu schreiben: »Der Schurke ist ein New Critic, der Yeats' Gedichte methodisch auseinandernimmt und in den >Wild Swans at Coole< Homosexualität entdeckt - man beachte die Homophonie >WildWildeGusto< von Saintsbury und die Identität des poetischen Effekts, wie Poe sie propagierte. Saintsbury wird als der »einzige wirklich professionelle Kritiker von erstklassigem Rang« bezeichnet. Er sei, so meint Wilson, »ein Gourmet und Schlemmer«, für den »die Freude an der Literatur eine moralische Frage ist« (CC, 306,368-69). Wilson scheint hier seine eigene Einstellung und seine Praxis zu definieren: Freude an Literatur zu vermitteln durch das Beschreiben und Heraufbeschwören oder oft nur durch das Zusammenfassen der von ihm gelesenen Bücher. Er selber sagt dazu: »Mit großer Freude berichte ich Menschen über Bücher, die sie nicht gelesen haben, so daß sie wünschen, sie hätten sie gelesen - vor allem dann, wenn Bücher schwer zu erhalten sind oder in einer Sprache geschrieben wurden, die diese Menschen nicht beherrschen« (SL, 376). Vielfach beklagt Wilson den Niedergang der »Würdigung« zugunsten einer rein technischen, philosophischen oder soziologischen Behandlung von Literatur (BBT, 49). Hauptsächlich ist Wilson ein propädeutischer Kritiker, ein Vermittler, ein Berichterstatter und Chronist literarischer Ereignisse. Diese Funktion sollte man weder hinsichtlich ihrer Wirkung auf Generationen von Lesern noch im Hinblick auf die dazu erforderlichen Fähigkeiten unterschätzen - Fähigkeiten, die man benötigt, um Prousts Romanserie oder auch die zahlreichen Anspielungen auf den Bürgerkrieg in Patriotic Gore nachzuerzählen. Wilsons Kritikerideal übersteigt allerdings diese Funktionen. Ein Kritiker und Rezensent sollte »das Gesamtwerk eines jeden bedeutenden Autors, mit dem er sich befaßt, kennen und in der Lage sein, über das neueste Werk eines Autors in Rücksicht auf dessen generelle Entwicklung und Intentionen zu schreiben. Er sollte ebenfalls in der Lage sein, den Autor im Zusammenhang der nationalen Literatur zu beurteilen und die Nationalliteratur wiederum in Beziehung zu anderen Literaturen zu setzen« (SL, 603). Zu Recht beansprucht Wilson in »A Modest Self-tribute« (1952), »einen Beitrag zur allgemeinen Querverbindung geleistet zu haben, die es unserem literarischen Publikum ermöglicht, sowohl unsere anglo-amerikanische Kultur wie auch die der europäischen Länder zu würdigen und in ihren wechselseitigen Beziehungen zu verstehen« (BBT, 5).
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Obwohl Wilson die amerikanischen Humanisten verabscheute, gelangt er dennoch zu einem eigenen Humanismus: Darunter versteht er »den Glauben an die Würde und Schönheit menschlicher Werke und die Verehrung für Literatur als Zeugnis dieser Werke«. Seit seiner Schulzeit »hat der Humanismus mir immer dann weitergeholfen, wenn die Religion unglaubwürdig wurde. Die Faszination, die ich vor dreißig Jahren in der Schule für Xenophon und Homer empfand, empfinde ich noch heute« (7T, 254-55). Marxismus wird lediglich als Variation des historischen Ansatzes anerkannt. Wie die Erörterung von Marx in To the Finland Station zeigt, war Wilson von der Persönlichkeit Marx' tief beeindruckt. Er bewunderte dessen Hingabe und moralischen Eifer in bezug auf die Kritik der Industriegesellschaft seiner Zeit. Das Studium der Schriften von Marx ließ ihn jedoch völlig unbeeindruckt von zwei zentralen marxistischen Lehren: Mehrwert und Dialektik. Marx' Theorie der Arbeit wird abgelehnt als »Schöpfung eines Metaphysikers«. Sie sei wegen ihres zu engen Begriffs der menschlichen Motivation falsch. Die Dialektik wird als »religiöser Mythos« bezeichnet, »der von einer Gottheit losgelöst und mit der menschlichen Geschichte verbunden wurde«. Die Dialektik ist einfach eine Umsetzung »der alten Dreifaltigkeit«: »das mythische und magische Dreieck, das seine Bedeutung wahrscheinlich aufgrund seiner Analogie zu den männlichen Sexualorganen erhält« - dies ist ein unanständiger Scherz, der sich gegen die Dreifaltigkeit richtet (FS, 298, 194, 190). Die Geschichte ist im Marxismus »ein Ersatz für die altmodische Vorsehung« (436). Durchgängig kritisiert Wilson eindeutig propagandistische Kunst. In »Communist Criticism« (1937) erklärt er: »Es ist sinnlos, eine Literaturkarriere zu verfolgen, wenn man das Gefühl hat, ein Bombenflugzeug zu fliegen« (SL, 650). Die marxistische Literaturkritik verkennt, daß »es klassenunabhängige Gruppierungen gibt, die zu einer unabhängigen Existenz neigen. Schriftsteller, Maler und Wissenschaftler bilden jeweils eigene Gruppierungen. Jede dieser Gruppen hat ihre Tradition, ihre eigenen Fertigkeiten und Lehren, die bis heute von Praktikern aus den unterschiedlichsten Klassen überliefert sind... Ein kommunistischer Literaturkritiker, der beim Rezensieren eines Buches den Status des Autors als Handwerker übersieht, leugnet aus Propagandagründen die Würde der menschlichen Arbeit« (501). In ganz anderem Zusammenhang erläutert Wilson diese Vorstellung, wenn er zugibt, daß Vergil ohne Augustus nicht denkbar sei, aber auch nicht ohne Apollonius Rhodius, seinen alexandrinischen Vorgänger, den Dichter der Argonautica (FS, 187). Wilson hatte vom Marxismus gelernt, daß »ökonomische und soziale Kräfte eine weitaus größere Rolle in der Herausbildung von Idealen und entsprechend auch bei der Entstehung literarischer Tendenzen spielen als gemeinhin zugegeben wird« (SL, 501). Er stimmte jedoch weder dem marxistischen Geschichtsbegriff zu, noch vertrat er die Vorstellung von einer Literatur, die die Ziele des Marxismus fördern sollte. Proletarische Literatur kann es ebensowenig wie proletarische Chemie oder proletarische Technik geben: »Wenn das Proleta-
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riat die Künste zu würdigen gelernt h a t . . . , wird es sie in derselben Weise wie jeder andere würdigen und verstehen.« - »Bisher sind die großen Namen in den Künsten und Wissenschaften die Namen großer Künstler und Wissenschaftler, nicht die Namen großer Proletarier.«14 Wilson leugnet, daß Kunst etwas mit Ideologie oder Klassenzugehörigkeit zu tun habe: Er setzt eine universale Kunst und auch eine universale menschliche Natur voraus. Der Marxismus wird abgelehnt. Wilsons Interesse an der Psychoanalyse wuchs; sein Buch The Wound and the Bow (1941) widmet sich ausdrücklich diesem Thema. Die Methode der Psychoanalyse war Wilson allerdings schon vorher nicht unbekannt. Schon 1920 schrieb er den Aufsatz »The Progress of Psychoanalysis«.15 Wilsons Interesse an der Psychologie eines Autors war nicht nur biographisch ausgerichtet. Bei der Erörterung Prousts setzt er voraus, daß »natürlich die wahren Elemente jedes Kunstwerks die Elemente der Persönlichkeit des Autors sind. Seine Einbildungskraft verkörpert in den Charakteren, Situationen und Szenen die fundamentalen Konflikte seines Wesens. Die Figuren sind Personifizierungen der Impulse und Gefühle des Autors« (AC, 176). Doch erst in The Wound and the Bow wird die Verbindung zwischen psychischer Krankheit und künstlerischer Leistung als These formuliert. Der Titelaufsatz, der letzte im Buch, benutzt die PhiloktetGeschichte aus dem Drama des Sophokles: »Das Opfer einer tückischen Krankheit . . . ist zugleich der Meister einer übermenschlichen Kunst« (WB, 294). Man könnte einwenden, die Philoktet-Geschichte eigne sich weder zur Demonstration der unlösbaren Verbindung von überlegener Stärke und Krankheit noch zum Nachweis einer unauflöslichen Verbindung von Genie und Krankheit oder Kraft und Verstümmelung - wie Wilson hier zu behaupten scheint (287, 289). Philoktet besaß den wunderbaren Bogen, ehe er von der Schlange verletzt wurde. Aus der Geschichte folgt nicht, daß der Bogen nicht ohne die Wunde benutzt oder gespannt werden könnte. Doch die Parallele sollte nicht überzeichnet werden. Die Philoktet-Geschichte sollte als Allegorie einer Situation, wie sie in mehreren Aufsätzen des Buches beschrieben wird, verstanden werden. Der Aufsatz »Dickens: The Two Scrooges« akzentuiert den Schock, den ein zwölfjähriger Junge von seiner sechsmonatigen Arbeit in einer Schuhcremefabrik davonträgt. Der Essay »The Kipling Nobody Read« erörtert die entwürdigenden Erfahrungen, die Kipling als Kind mit Pflegeeltern in England machte und die er in nur geringfügig fiktionalisierter Form in »Baa Baa Black Sheep« darstellte; im Anschluß daran werden seine Erfahrungen mit Brutalität im United Services College ausgeführt, auf die er später in merkwürdig glori-
14. »Are Artists People?« New Masses 3 (1927): 5-9. 15. »The Progress of Psychoanalysis: The Importance of the Discovery, by Dr. Sigmund Freud, of the Subconscious Self«, Vanity Fair 14 (1920): 41, 86, 88.
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fizierender Form in Stalky and Co. zurückgriff. Die anderen Aufsätze dieses Bandes passen in ihrer Thematik nur wenig zum Titel des Buches. Doch selbst die Essays über Dickens und Kipling können nicht einfach als Exemplifikationen der Theorie verstanden werden. Wilson benutzt hier auch die traditionellen literarkritischen Methoden. In dem Essay über Dickens stellt Wilson stärker die dunklen Seiten in Dickens' Werk heraus als dessen Humor. Ausführlich beschäftigt er sich mit Dickens' Interesse an Kriminellen und Rebellen, an Dieben und Mördern, an Szenen der Gewalt wie der Hinrichtungszene oder dem Brand des New Gate-Gefängnisse in Bamaby Rudge. Hier zeigt er eine generelle Revolte gegen die Institutionen, gegen die Stimmung der Zeit und gegen deren Repräsentantin, die Königin, deren Bekanntschaft er sorgfältig vermied. Nach Wilsons Ansicht hat Dickens in seinem letzten unvollendeten Roman, The Mystery of Edwin Drood, den Protest gegen die Zeit zu einem Protest gegen das Selbst verwandelt. Wilson ist der Ansicht, Dickens beziehe das Urteil, eine »unwiderruflich beschmutzte Kreatur« zu sein, auf sich selbst (102-03). Eine solche Schlußfolgerung scheint nur dann gerechtfertigt, wenn man annimmt, daß der Mörder Jasper eine latente Seite des Dichters selber verkörpert.16 Doch obwohl Wilsons Aufsatz zur Korrektur des Bildes vom heiteren >Weihnachtsdichter Dickens< beitrug, scheint es doch in der anderen Richtung überzeichnet zu sein. Auf ähnliche Weise gelangt der Kipling-Essay - obwohl er ausführlich auf die Qualen des Knaben eingeht und daran nachweisen will, daß Kiplings Werk mit Haß durchsetzt ist - sehr schnell zur traditionellen Literaturkritik. Stalky and Co. ist Kiplings schwächstes Werk, »stilistisch plump, inhaltlich oberflächlich«. Kim dagegen ist fast erstklassig zu nennen (WB, in, 114, 123). Gelegentlich werden psychologische Kriterien benutzt. Die Vorstellung der Überkompensation wird augenscheinlich herangezogen, wenn man erfährt, Kiplings überzogene Glorifizierung seines Vaterlandes sei der Beweis seiner Schüchternheit und Schwäche. Schwer verständlich ist die Begründung seiner wilden Ablehnung der Demokratie aus dem Schrecken seiner Kindheit in Southsea, die sein Genie im Keim zu ersticken drohte (138, 143). Diese Behauptung geht davon aus, daß Kipling als Kind das Prinzip der Demokratie in der Tyrannei seines Vormunds zu erkennen vermeinte und daß er sich bereits damals seiner Begabung bewußt war. Nach Wilsons Meinung zeigt sich sogar in The Light that Failed »das Thema einer grundlos erlittenen Seelenqual« - gemeint ist die Erblindung des Helden: »Dieses Thema scheint aus einem pathologischen Gefühl erlittenen Unrechts herzurühren, wie er es in Southsea zu erleben meinte.« Der Versuch, jedes Thema aus Kindheitserfahrungen herzuleiten, erscheint oftmals erzwungen. So etwa soll
16. A. E. Dyson, The Inimitable Dickens (1970), lehnt Wilsons Ansicht ab, doch Agnus Wilson stimmt zögernd zu. Siehe die Einleitung zur Penguin-Ausg. von The Mystery of Edwin Drood (1974), 23.
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»Mary Postgate«, die Erzählung eines im Flugzeug ermordeten Soldaten, das »Thema des verlassenen Vaters behandeln, das seinerseits das Thema des verlassenen Kindes spiegelt« (166). Wie so oft in der Psychoanalyse handelt es sich hier um Beliebigkeit der Ausdeutung. Um Wilsons Anwendung von psychoanalytischen Erkenntnissen richtig einzuschätzen, darf man sich nicht nur auf The Wound and the Bow beschränken. Der Aufsatz »The Ambiguity of Henry James« in The Triple Thinkers ist der bekannteste Versuch, The Turn of the Screw als »neurotischen Fall sexueller Verklemmung« zu interpretieren. Die Geister sind nicht wirklich existent, sondern repräsentieren Halluzinationen der Gouvernante (TT, 88). Wilsons Ansicht ist leicht zu widerlegen: Nicht nur Henry James' ausdrückliche Erklärung in den Notehooks (erst nach Wilsons Aufsatz veröffentlicht) liefert hierfür Belege. Mrs. Gross, die Haushälterin, erkennt in der sehr genauen Beschreibung der Gouvernante von einem finsteren Eindringling den toten Diener Peter Quint, den die Gouvernante ihrerseits nicht kennen konnte. Auch dieser Umstand widerspricht Wilsons psychoanalytischer Deutung.17 Während die psychoanalytische Interpretation von James' Geistererzählung als verfehlt betrachtet werden muß, erörtert der Aufsatz doch sehr einfühlsam James' Darstellung »eines ungeliebten Mannes, der zur Beobachtung anderer verdammt ist« und die »Frustration seines eigenen Lebens dramatisiert« (100-01). In einem Nachtrag (1948) zu diesem Aufsatz stimmt Wilson der psychoanalytischen Interpretation von James' Unfall - er war damals 18 Jahre alt - bei einem Feuer 1861 in Newport, Rhode Island, durch Dr. Saul Rosenzweig zu. Er schränkt diese Zustimmung aber auch wieder ein, wenn er meint, daß »durch das Hineinlesen der Verwirrungen des Autors die Würde dieser Erzählungen beeinträchtigt« würde (129, 130 A.). Ein großer Teil dieses Aufsatzes besteht aus konventioneller Literaturkritik. So bezeichnet Wilson den ersten Band von The Tragic Muse als »solide und lebendig«, als James' »besten Roman«. The Awkward Age verurteilt er »wegen der Verbindung der leblosen Logik mit der Ungewissen Subjektivität eines Alptraums« (106, m). Als Student in Princeton gewann Wilson einen Preis für einen Aufsatz über Henry James18 und hegte sein Leben lang Sympathie und kritische Bewunderung für diesen Autor. Anders als Van Wyck Brooks (oder auch F. R. Leavis) sah Wilson Henry James' späte Romane durchaus positiv. Sie seien nicht, »wie Mr. Leavis behauptet, grundsätzlich unglaubwürdig und schwach. Vom geistigen Standpunkt aus sind sie die vielleicht lebendigsten und heroischsten seiner Werke« (SL, 220).
17. The Notebooks, hg. v. F. O. Matthiessen und K. Murdock (1947), S. 178-79. Ich zit. Leavis' Zurückweisung in Scrutiny 18 (1950): 117. Hierzu gibt es erstaunlich viel Literatur. 18. Nassau Literary Magazine 70 (1914): 286-95.
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Eine gründlichere Technik der psychoanalytischen Interpretation wandte Wilson erst für seine Erörterung von Ben Jonson an, nachdem er Freuds Aufsatz »Charakter und Analerotik« (1908) bzw. einige der daran anknüpfenden Arbeiten gelesen hatte. Er findet drei Aspekte bei Ben Jonson: Pedanterie, Habgier und Hartnäckigkeit. Diese Eigenschaften werden von Freud auf kindliche Erfahrungen mit Ausscheidungsprozessen zurückgeführt. Habgier erscheint in der Literatur als ein Horten von Wörtern. Wilson zieht sich jedoch plötzlich zurück von seinem Interesse am Freudschen Ansatz: »Ich bin nicht qualifiziert genug, um Jonson im Lichte dieser Vorstellung Freuds zu >analysierenentgehenHistory< and the Limits of >Criticism 95· Vgl. »The Language of Poetry«, 407. »A Note on Symbol and Conceit«, 208; LC, 620; Brooks, »The Pernicious Effects of Bad Art«, Et Veritas (1949): 14.
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den Leser, so hat er doch die Aufmerksamkeit auf die subtilen Wechselwirkungen in der Struktur der poetischen Bedeutung gelenkt.«47 Brooks verteidigt sich gegen den Vorwurf, er messe der Einfachheit keinen Wert bei, weil er die »Komplexität« so betone. Er geht jedoch dabei auf Umwegen vor. Zunächst lenkt er die Aufmerksamkeit auf E. B. Burgums idiosynkratische Verwendung des Simplizitätsbegriffs und unterstellt den Verteidigern dieses Begriffs, daß sie die in den Gedichten entdeckten (und nicht in diese hineingelesenen) Komplexitäten und Ironien als nicht bewußt vom Dichter verwendet ansähen. Anschließend weist Brooks überzeugend nach, daß eine reine Feststellung wie zum Beispiel »Reife ist alles« ihre spezielle Bedeutung in King Lear nur durch den speziellen Zusammenhang erhält und daß ein scheinbar einfacher Gedichtvers wie zum Beispiel »Westwind, wann wirst du endlich wehen?« in Wirklichkeit keineswegs einfach ist (LG, 648-50; vgl. Z, 730). Es ist kaum zu leugnen, daß Brooks' persönlicher Geschmack und seine Vorliebe wie auch seine Theorie der Dichtung aufweite Gebiete der Weltliteratur kaum zutreffen: Volkskunst, narrative Dichtung, berichtende Dichtung, romantische Stimmungsdichtung und Dichtung ohne Metaphern. Die Hauptaufgabe der Literaturkritik sieht er darin, »die implizite Vielfalt der Bedeutungen auszufallen« (LC, 652). Brooks erkennt die Notwendigkeit, den Sachverhalt der Komplexität vor allem den Lesern nahezubringen, die mit einer Vorliebe für romantische Dichtung aufgewachsen sind. Musterbeispiele von Brooks' close reading-Methods sind natürlich solche Fälle, an denen er eine bisher unterschätzte oder eine überraschende Komplexität nachweisen kann. Eindeutige Texte haben ihn nie interessiert, obwohl er gelegentlich ihren Wert und ihre Bedeutung anerkennt. Von Richards lernte Brooks, auf das alte Kriterium visueller Lebhaftigkeit einer Metapher zu verzichten. Er lernte, die Bedeutung der Metapher für die Darstellung subtiler Zusammenhänge und Gefühle zu schätzen. Schließlich lernte er, daß der reine Klang ohne Bedeutung keine poetische Wirkung habe (LS, 642, 644; UP [1938], 230; WU, 9). In vielen Fragestellungen stimmt Brooks Richards zu. Ich habe bereits seine Bemerkungen zu Coleridges Kommentar über Venus and Adonis erwähnt. Ich könnte Richards' Erörterung von Antony and Cleopatra und von John Donne hinzufügen.48 Brooks lobt Richards, weil dieser die Aufmerksamkeit auf das Problem der Unterscheidung zwischen guter und schlechter Dichtung lenkt. Wahrscheinlich spielt er damit auf das Kapitel »Badness in Poetry« in Principles of Literary Criticism an. Einige Seiten zuvor hatte Brooks jedoch eingeräumt, daß Richards' Unterscheidung zwischen unvollständiger Kommunikation und der Vermittlung nichtssagender Erfahrung (er bezieht sich
47. »Implications of an Organic Theory of Poetry«, 63. 48. »The Poem as Organism«, 23-24, 25-26. Vgl. UP(icftS), 230; UP(i^o), 576; WU, 22.
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dabei auf Gedichte von H. D. und Ella Wheeler Wilcox) nicht aufrecht erhalten werden kann (LC, 632, 624). Grundsätzlich stimmt Cleanth Brooks Richards' Dichtungsbegriff wie auch seiner Mythenverteidigung zu. Er zitiert Richards: »Ohne Mythologie ist der Mensch nur ein grausames Tier.« Weiter bezieht er sich auf eine Passage, in der Richards behauptet, daß das Studium der Dichtung »auf ein Studium der Metaphysik« ziele. Nach seiner Überzeugung wäre ein »metaphysischer Ansatz aus neuer Sicht« mehr als die »Analyse« der »vielfältigen Bedeutung der Wörter«. »Vielfältige Bedeutung der Wörter« ist Richards' neuer Terminus, um den »in Mißkredit geratenen Begriff >ambiguitySymbol-Handel< in Wirklichkeit »ein mechanisches Aufsuchen von Allegorien« sei. Detailliert kritisiert Brooks die schwerfälligen Symbolanalysen, wie sie in der FaulknerKritik weitverbreitet sind. Leslie Fiedlers Eintreten für die Archetypen-Forschung sei, so behauptet Brooks, im Grunde eine genuin literaturwissenschaftliche Angelegenheit.63 Die Gleichwertigkeit aller Themen in der Literaturwissenschaft ist eine von Brooks' Grundüberzeugungen. So tritt er für die Metaphysiker wie für T. S. Eliots Dichtung mit demselben Engagement ein. Über Northrop Frye schreibt Brooks positive Rezensionen; auf dem Gebiet der Klassifizierung von Dichtung wie im Bereich der Gattungsforschung hält er Frye für hervorragend. Er wendet sich jedoch gegen Fryes Ablehnung aller Werturteile und aller beurteilenden Kritik, da dies zu einem neuen Historismus und Relativismus führen würde. Er erkennt Fryes Dilemma, wenn dieser für die Autonomie der Literatur und gleichzeitig für deren Nutzen für die Menschheit eintritt. Wie Arnold sei auch Frye in Gefahr, aus der Literatur eine Ersatzreligion zu machen. Dies ist eine prophetische Feststellung, wenn wir an Fryes spätere Schriften über einen »Mythos der Teilhabe« denken. Nach Brooks' Ansicht löst die Mythenkritik die Grundprobleme der traditionellen Literaturkritik nicht.64 Tatsächlich beziehen sich Brooks' positivste Einschätzungen der Mythen- und Archetypenkritik auf W. B. Yeats und W. H. Auden, die er neben Eliot unter den modernen Dichtern am meisten bewundert. Außer den Büchern über Faulkner enthält jedes Werk von Brooks ein Kapitel über Yeats. Yeats' kritische und theoretische Schriften werden ständig zitiert und erläutert. Sie dienen Brooks als Kommentar und Beleg für seine Interpretationen von Yeats' Gedichten und den diesen zugrunde liegenden Mythen. Dies ist eines der Schwerpunktthemen von Brooks. Da Yeats' höchst extravagante historische und psychologische Vorstellungen oder auch seine absurden Äußerungen über okkulte Erscheinungen oder über die Seelenwanderung für die Gedichtanalyse aufschlußreich sein können, ist Brooks dem Wahrheitsgehalt dieser Ansichten gegenüber sehr tolerant. Yeats' Vision bezeichnet er als »eines der bemerkenswertesten Bücher der letzten hundert Jahre«. Die Anlage des Buches ist »ausführlich und komplex. Es gehört zur besten Dichtung unserer Zeit.« Nur selten kritisiert Brooks Yeats' Okkultismus und dessen »lebenslanges Interesse am Tischrücken, an Geistermedien und Hellsehern« (MPT, 173; LC, 600). Später nennt Brooks A Vision »ein üppiges, verworrenes und erstaunliches Buch.« Brooks gesteht einem Dichter gewisse Vorrechte zu. Er versucht daher gelegentlich etwas gewaltsam, Yeats' Äußerungen einen annehmbaren Sinn zu entnehmen. Es zeigt sich, daß Yeats' Gedanken
63. »The State of Criticism«, 490-91; WF, 6-8, 377, 380, 408-10; LC, 713. 64. Rezension von Northrop Fryes Anatomy of Criticism, in Christian Scholar^ (1958): 172, 170, 171; LC, 711, 714.
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in sachlicherer Formulierung oft mit Brooks' Ansichten und Meinungen übereinstimmen. Yeats' Geschichtsauffassung sagt Brooks zu, da er hier seine eigene Ablehnung von Fortschritt und Naturwissenschaft wiederfindet. Brooks zitiert Yeats' Äußerungen über Descartes, Locke und Newton, die »uns die Welt stahlen und uns statt dessen nur Exkremente hinterließen«. Nach Brooks' Ansicht korrespondiert diese Auffassung mit Eliots dissociation of sensibility wie auch mit seiner eigenen Auffassung von Hobbes' »tödlichem Einfluß«. Er erläutert Yeats' Lehre von den Mondphasen als Charaktertypologie, weil die Vorstellung des Antiselbst seine eigene Theorie unpersönlicher Dichtung unterstütze. Sogar die versponnenen Äußerungen über Christus und das Christentum nimmt Brooks ernst, weil seiner Meinung nach Yeats »die dem Christentum eigenen Vorstellungen von Angst und Leid wiederentdeckt hat«. Brooks kommt zu der zutreffenden Feststellung, daß Yeats zwar kein Christ war, aber »durch die christlichen Symbole angeregt worden ist«.65 Brooks' Interesse bezieht sich auch auf Yeats' Literaturtheorie und Literaturkritik. Er kommentiert Yeats' frühen Essay »The Symbolism of Poetry« (1900) und benutzt Yeats' Zitat aus Robert Burns auch in Understanding Poetry. Er zitiert Yeats' One great memory als »Vorwegnahmen von Carl Jungs Lehre vom kollektiven Unbewußten« (LC, 598, 599; UP [1950], 20). Diese Feststellung ist unzutreffend, da Yeats' Vorstellung eher der von Eduard von Hartmann oder F. W. J. Schelling oder sogar von Emerson ähnelt und der mystischen Tradition entstammt (wie dies auch bei Jung der Fall ist). In seinem Aufsatz »W. B. Yeats as a Literary Critic« (1963) räumt Brooks bereits zu Beginn ein, daß Yeats als Literaturkritiker »oft verrückt und konfus war. Sein Oxford Book of Modem Verse dokumentiert einen eher wahllosen Geschmack«. Doch daran anschließend führt Brooks einfühlsame und brillant formulierte Äußerungen Yeats' über Walt Whitman, Keats, J. M. Synge, Byron, Pope und Wordsworth an. Im Anschluß daran erläutert er Yeats' Auffassung vom dichterischen Schaffensprozeß, den Yeats als Rekurs auf das vergrabene Selbst versteht. »Rhetorik entsteht aus dem Streit mit anderen, Dichtung jedoch entsteht aus dem Streit in unserem Inneren«66: Dieser Ausspruch leitet über zur Darstellung von Yeats' Auffassung vom wahren Dichter, den er vom Rhetoriker und vom Schwärmer unterscheidet. Noch einmal erläutert Brooks Yeats' Auffassung von der ursprünglichen kulturellen Einheit und der menschlichen Gemeinschaft, wie sie sich in den Canterbury Pilgrims äußert. Descartes' Traum eines mathematischen Universums und die Spinning Jenny, die moderne Physik und die Technologie haben diese Einheit und Gemeinschaft zerbrochen. Yeats' Vorstellung vom Rhetoriker wird am Beispiel Bernard Shaws erläutert. Brooks führt aus, daß Yeats Oscar Wilde
65. Brooks, The Hidden God, 47, 53, 60; SJy . 66. SJ, 102, 107. Das Yeats-Zitat stammt aus Mythologies (1958), 331. 37 Wellek, Literaturkritik 4/1
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implizit Mangel an »wahrer Persönlichkeit« vorwirft und ihn als »künstlich, abstrakt, fragmentarisch und dramatisch« abwertet. Auf das Dramatische jedoch richtet sich auch Yeats' eigenes Interesse. Der Dichter darf kein bloßer Spiegel sein, sondern muß sich eine Maske zulegen. Sehr zurückhaltend beschreibt Brooks Yeats' Ablehnung sowohl der anarchischen Subjektivität wie auch des naturalistischen Zurückschreckens davor. Der Dichter sei für Yeats ein Schöpfer, der »als Idee, als etwas Planvolles und Vollendetes wiedergeboren wurde«. Kunst sei, trotz Yeats' eigener Selbstdramatisierung, im Grunde unpersönlich. Abschließend zitiert Brooks Yeats' Bekenntnis zur Lust des Künstlers an der Gestaltung, die darin besteht, daß »er das Leid rein erhalten hat«, als handle es sich um Liebe oder Haß; »die Hoheit der Künste liegt im Zusammenfügen von Gegensätzen«.67 A Shaping Joy ist der Titel von Brooks' Essaysammlung von 1971. »The mingling of contraries« wäre die beste Beschreibung von Brooks' eigener Dichtungsauffassung. Ähnlich tolerant äußert sich Brooks auch über Auden, obwohl dieser sich herablassend über Yeats' Aberglauben aussprach. Wie bei Yeats, dienen auch bei Auden oftmals verschrobene Ansichten zur Kommentierung seiner Dichtung. Doch auch aus ganz objektiven Gründen stimmt Brooks Audens Literaturkritik zu. In einem eigenen Essay, »W. H. Auden as a Literary Critic«, charakterisiert Brooks Audens »Bemühen um die Klassifizierung von Dichtung«, seine Erforschung von Motivfolgen bei der Erörterung der Beziehung zwischen Herr und Diener in der Literatur und sein Interesse an Symbolhäufungen, das als Archetypenkritik verstanden werden kann. Dabei verhehlt er seine Kritik durchaus nicht: Der Aufsatz »The Guilty Vicarage: Notes on the Detective Story, by an Addict« erscheint ihm als »äußerst schwach und absurd« und als »begrenzt und exzentrisch«.68 Das Vorwort zu A Selection from the Poems of Alfred Lord Tennyson (1947) dagegen bewundert Brooks. Hier bezeichnet Auden Tennyson im Vergleich zu Baudelaire als einen »Dichter für die Kinderstube«. Während Baudelaire einen hervorragenden kritischen Verstand besessen habe, sei Tennyson »ein Narr« gewesen, »weil er versuchte, in seiner Dichtung ein Ideal zu propagieren«. Hier zeigt sich wieder Brooks' zentrales Anliegen, nämlich dem »Irrtum zu begegnen, die Ästhetik zur Religion zu erheben«. Brooks teilt Audens Auffassung, daß der Kunst in der Geschichte nur eine begrenzte Bedeutung zukomme. Zustimmend zitiert er Auden: »Ohne Gedichte, ohne Bilder und ohne Musik wäre die Geschichte der Menschheit nicht anders verlaufen.« Brooks scheint sogar Audens Ansicht zu teilen, daß Kunst im Grunde genommen »frivol« sei. Der Begriff »frivol« wird hier augenscheinlich in dem Sinne verstanden,
67. SJ, 124-25. Das Yeats-Zitat stammt aus Essays and Introductions (1961), 255. 68. SJ, 133, 135. W. H. Audens »The Guilty Vicarage« findet sich in The Dyer's Hand (1962).
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in dem S0ren Kierkegaard das ästhetische gegen das ethische und religiöse Stadium negativ abgrenzt. Wie Auden meint auch Brooks, Kunst dürfe nicht als Magie oder als Prophetic mißbräuchlich eingesetzt werden. Brooks beruft sich auf Auden, der über Shelleys Ausspruch, die Dichter seien die geheimen Gesetzgeber der Welt, gesagt haben soll, daß dies »die dümmste Bemerkung ist, die je über Dichter geäußert wurde«. Die Zustimmung zu Audens Meinung stellt Brooks in Gegensatz zu I. A. Richards, der betroffen war, als ich mich einmal gegen Shelleys großartigen Anspruch aussprach.69 In seinem Aufsatz »Nature, History and Poetry« (1950) versuchte Auden, den von ihm vertretenen Ästhetizismus vor dem Vorwurf der Frivolität und dem reinen Spiel zu retten, indem er den Gegenstand des Dichters definierte als »eine Anhäufung historischer Gefühlsmomente, die der Vergangenheit angehören ... Der Dichter sieht diese Anhäufung als real an und versucht sie in eine Gemeinschaft hineinzutragen«. Diese soziologische Terminologie scheint aus Ferdinand Tönnies' Unterscheidung von »Gesellschaft« und »Gemeinschaft« zu stammen. Mit dieser Terminologie umschreibt Auden, was Brooks in der Terminologie der organischen Ästhetik formulierte. »Gemeinschaft« scheint hier ein anderer Ausdruck für Organismus zu sein. Die Grundaufgabe der Literaturkritik, so sagt Brooks, bestehe darin festzustellen, »ob ein Gedicht wirklich einheitlich oder ob es chaotisch ist, ob es durch Ordnung zusammengehalten oder durch Unordnung zerrissen wird«. Das zentrale literarische Problem für Brooks wie für Auden liegt darin, diese Einheit herzustellen, die sich positiv im Zusammenfügen des Disparaten und Widerstrebenden in einem Gedicht und negativ im Ausschluß dessen, was nicht integrierbar ist, äußert. Brooks begrüßt, daß Auden als strenger Moralist mit klaren religiösen Überzeugungen einen »formalistischen Dichtungsbegriff« vertritt, und bemerkt: »Die Annahme, Dichtung müsse entweder Lebensflucht oder Entwurf für ein besseres Leben sein, ist offensichtlich zu einfach« (SJ, 138-40). Auden sieht das Gedicht als Analogie zu einer gefallenen, aber nicht letztlich verlorenen Welt an. Daß eine solche Auffassung in sich widersprüchlich ist, scheint Brooks nicht bemerkt zu haben. »Analogie« ist nicht weit von der Vorstellung des »Entwurfs« entfernt: Nach Auden ist die Dichtung in der Lage, einen Plan zur Erlösung zu entwerfen. Audens Schwierigkeit wird in Brooks' Literaturkritik deutlich: Aristoteles' Unterscheidung zwischen Poetik und Politik, Ethik und Metaphysik wird ergänzt durch Audens Trennung von christlichem Glauben und frivoler Kunst. Notwendigerweise muß Brooks dieser Ansicht zustimmen, weil er die Vermischung der Bereiche fürchtet, wie es bei Arnolds (und Richards') Dichtungsauffassung als Ersatzreligion der Fall ist. Aber Brooks kann nicht ernsthaft der Ansicht, daß Kunst frivol ist, zustimmen; wenn Brooks dies in seinem Essay über Auden
69. SJ, 133, 135, 137. Vgl. I. A. Richards, So Much Nearer (1968), 152, 179.
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dennoch zu tun scheint, so geschieht dies mit einem Unterton der Verzweiflung darüber, daß die hohe Kunst unfähig ist, eine geeignete Vorlage für ein moralisches Leben bereitzustellen. Tatsächlich demonstrieren alle seine Schriften, daß Brooks den Anspruch, Literatur sei erkenntnisfördernd - in der »Erkenntnis einer wertbestimmenden Welt« - nicht aufgeben kann. Brooks' Formulierung reicht über den Anspruch hinaus, daß die Literatur wahr sei. »Wertbestimmt« impliziert die Aufgabe der Dichtung, die Brooks auch bei T. S. Eliot zu erkennen meint: »die Wiederherstellung von Ordnung«, die Erkenntnis einer »vernünftigen Welt« und das »Bild einer Art Harmonie, wie es sich in einem größeren Rahmen, in einer gerechteren Gesellschaft und einer wahren Gemeinschaft verwirklicht« (SJ, n, 37, 51). Die bereits zitierte Passage über das »Simulacrum der Wirklichkeit« spricht in allgemeineren Begriffen von einer Welt, die »durch die Perspektive des Wertens kohärent wird«.70 Obwohl Brooks an der Unterscheidung von Dichtung, Politik und Religion festhält, ist Dichtung für ihn doch letztlich ein Weg zur Wahrheit und zur Religion. Der Vorwurf des »Formalismus« trifft ihn nicht. Er träfe nur in dem Sinne zu, daß Formalismus einfach den ästhetischen Zugriff bezeichnet und die Erkenntnis des Unterschieds zwischen Kunst und Information, Kunst und Überredung, Kunst und Propaganda betrifft. Dies wird hinlänglich durch Brooks' Gedichtanalysen belegt. Diese Analysen zeigen aber auch seine Überzeugung von der Bedeutung der Kunst jenseits des Hedonismus, des Spiels, der Harmonie und der Freude. Dichtung stellt für Brooks »eine besondere Form der Erkenntnis« dar: »Durch die Dichtung gelangt der Mensch zur Erkenntnis seiner selbst im Bezug zur Realität. Dadurch wird er weise« (LC, 601). Obwohl Brooks hier die Sicht seines Lieblingsautors Yeats wiedergibt, könnte dieser Ausspruch für ihn selber zutreffen.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Understanding Poetry, zusammen mit Robert Penn Warren (1938). Rev. Ausg. (1950). Zit. als UP. Modem Poetry and the Tradition (1939). Zit. als MPT. The Well-Wrought Um (1947). Zit. als WE7. Literary Criticism: A Short History, zusammen mit William K. Wimsatt, Jr. (1957). Zit. als LC. The Hidden God: Studies in Hemingway, Faulkner, Eliot, and Warren (1963). William Faulkner: The Yoknapatawpha Country (1963). Zit. als WF. A Shaping Joy: Studies in the Writer's Craft (1971). Zit. als SJ.
70. »Implications of an Organic Theory of Poetry«, 51.
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»Irony as a Principle of Structure«, in Literary Opinion in America, hg. v. Morton D. Zabel, rev. Ausg. (1951). Eine Neufassung von »Irony and Ironic Poetry«, College English 9 (1948): 231-37. Zit. als Z William Faulkner: Toward Yoknapatawpha and Beyond (1978). Lewis P. Simpson, Hg. The Possibilities of Order: Cleanth Brooks and His Work (1976).
KAPITEL 12
ROBERT PENN WARREN (1905-
)
Robert Penn Warren studierte wie Cleanth Brooks in Vanderbilt bei John Crowe Ransom. Die Zusammenarbeit mit Brooks bei dessen Anthologien Understanding Poetry (1938), Understanding Fiction (1943) und Modem Rhetoric (1949) ist so eng, daß der Anteil beider Autoren nicht mehr auseinanderdividiert werden kann. Als junge Professoren an der Louisiana State University in Baton Rouge gründeten und edierten sie gemeinsam die Southern Review, die von 1935 bis 1942 erschien. Im Laufe der Jahre richtete Warren sein Interesse in zunehmendem Maße auf Literatur und Poesie und wurde dadurch sehr berühmt. Literaturkritik wurde für ihn eine Nebenbeschäftigung, die sich auf die Herausgabe und Erläuterung amerikanischer Dichter und Romanschriftsteller für pädagogische Zwecke beschränkte. In einem späten Interview (A Conversation with Roben Penn Warren, hg. v. Frank Gado, 1972) sagt Warren ausdrücklich, Kritik sei »eine Erweiterung der Lehre, ja sogar der Konversation. Man entdeckt etwas an einem Gedicht oder Roman und versucht, es zu erklären und zu verdeutlichen. Dies ist meiner Ansicht nach der eigentliche Prozeß der Literaturkritik« (8). Im Vergleich zu Brooks, Täte und Ransom hat Warren Vorbehalte gegenüber der Theorie. Er lobt die alten Tugenden »Intelligenz, Takt, Disziplin, Aufrichtigkeit und Einfühlsamkeit« (SelectedEssays, 1958, xii). Er glaubt nicht an die Alleingültigkeit einer einzigen Methode oder Analysestrategie und betont, daß der New Criticism keine geschlossene Lehre darstelle: »Richards, Eliot, Täte, Blackmur, Winters, Brooks und Leavis gehören dazu. Wie läßt sich ein gemeinsamer Nenner für diese Autoren finden? Ich halte dies für ganz und gar unmöglich« (Paris Review-Interview, Ndr. in Robert Penn Warren: A Collection of Critical Essays, hg. v. John L. Longley, Jr., 1965, 26). Warren ironisiert die Vorstellung, der New Criticism sei eine Art »dunkler Verschwörung« gewesen (A Plea for Mitigation: Modem Poetry and the End of an Era, 1966, 10). Er räumt jedoch ein, daß diese Kritikergruppe »gemeinsame Feinde« gehabt habe (SE, xii). 1966 bezeichnet er den New Criticism als eine Richtung der Kritik, die zwar zeitweilig sehr nützlich gewesen, jetzt aber abgeschlossen sei (A Plea, ). Der größte Teil von Warrens Literaturkritik in den Selected Essays besteht aus Autorenporträts, Lebensläufen, aus Urteilen über Figuren, Situationen und
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Handlungsentwicklungen in Romanen oder Themen in Gedichten. Abschließend findet sich jeweils eine Betrachtung der sozialen und philosophischen Einstellung des betreffenden Autors. Schon früh bewunderte Warren Faulkner. Er schrieb mehrere Essays über ihn, wobei er stets seinen »ethischen Grundansatz« (SE, 67) betonte und seine Haltung gegenüber den Farbigen erläuterte und verteidigte. Für die Südstaaten sei die Sklaverei in besonderem Maße »ein Fluch«, sie sei aber gleichzeitig eine Allegorie des menschlichen Schicksals (60). Faulkners Werk stellt einen entschiedenen »Vorwurf« gegen unsere technologische Kultur dar. Es gelinge ihm, was Stephen Dedalus auch für Irland anstrebte, nämlich »das Bewußtsein seiner Nation zu bilden«. Faulkner »blieb in der Heimat und durchlebte die Geschichte seines Volkes in ihren positiven wie negativen Aspekten« (Faulkner, A Collection of Critical Essays, hg. v. R. P. Warren, 1966, 271). Die Pietät gegenüber seiner Heimat stellt somit den Schlüssel zu Faulkners Werk dar (ebd. 269). Faulkner ist für Warren der größte amerikanische Schriftsteller seiner Zeit, vergleichbar nur mit Melville und Henry James. Obwohl Hemingway positiv beurteilt wird, erscheint er Warren wegen der »Einförmigkeit und Selbstbezogenheit« seiner Darstellung begrenzter (SE, 105). A Farewell to Arms wird jedoch als »frommes Buch« gelobt, weil Frederick hier die Tugend der selbstlosen Liebe vertritt (107). Im Gegensatz dazu wird Thomas Wolfe als völlig autobiographisch und selbstzentriert abgewertet: »Shakespeare schrieb Hamlet, ohne dabei jedoch Hamlet zu werden« (SE, 183). Unter den europäischen Schriftstellern schätzt Warren Conrad am höchsten. In einem überschwenglichen Essay wird Nostromo als Conrads »Meisterwerk« gefeiert (327). Warren sieht diesen Roman als Beleg dafür, daß Conrad ein »philosophischer Schriftsteller war«: Die Darstellung der Welt wird für ihn zur Präsentation allgemeingültiger Werte, das Bild wird für ihn zum Symbol; Bilder werden bei ihm in den Zusammenhang einer dialektischen Beziehung gestellt; die Notwendigkeit der Erfahrung, wie lebendig und stark sie auch sein mag, bringt die Notwendigkeit zum Ausdruck, die Bedeutung der Erfahrung zu erkennen (58). Im Grund beschreibt Warren hier seine eigenen Ambitionen. Der Aufsatz »The Themes of Robert Frost« befaßt sich auch mit der Frage, in welcher Weise die Ideen »sich in den Gedichten selber entwickeln« (SE, 119). Warren erkennt, daß ein Gedicht »ein kontrollierter Brennpunkt der Erfahrung ist«, für den nicht jede Reaktion angemessen ist (120). Im Zusammenhang sehr genauer Interpretationen einiger sehr bekannter Gedichte gelangt er zu einer Dichtungsvorstellung, die die Vereinigung von Mensch und Natur fordert, wie dies in Frosts Gedichten belegt wird (135). Eine ähnliche »Tiefe, Komplexität und vage Verschmelzung der Werte« findet Warren in Melvilles Gedichten (Selected Poems of Herman Melville, hg. v. R. P. Warren, 1970, viii). Warren weist die »erstaunliche Kontinuität« nach (SE, 198), die zwischen den frühen Battle Pieces und dem unbekannteren, von ihm erläuterten und in seine Anthologie aufgenommenen Gedicht Clarel besteht.
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In anderen Kommentaren richtet sich Warrens Interesse vornehmlich auf die Darstellung des sozialen und biographischen Hintergrunds.John GreenleafWhittier's Poetry (1971) beschäftigt sich hauptsächlich mit dem Leben dieses Autors und der Rolle, die dieser bei der Abschaffung der Sklaverei spielte. Warren stellt fest, daß Whittiers Gedichten »Innerlichkeit und organische Strukturen« fehlen (24). »Ichabod«, ein Gedicht über Daniel Webster, beurteilt er allerdings positiv. Auch Homage to Theodore Dreiser (1971) ist größtenteils eine Biographie mit psychologischem Grundtenor. Warren paraphrasiert die Romane mit Bezug auf Dreisers Biographie, wobei sein Urteil über die Romane sehr positiv ausfällt und die Schwächen übergeht. Sogar die Romantrilogie (The Financier, The Titan, The Genius) wird positiv beurteilt, obwohl Warren ihre formalen Mängel erkennt. Doch er bewundert Dreisers »kraftvollen und leidenschaftlichen Tagtraum der Macht« (Homage, 87). Besonders beeindruckt ist er von An American Tragedy. Trotz der plumpen Philosophie, die die kraftvollen Szenen und Dialoge überlagert, scheint ihm hier Faulkners Vorwurf gegen Amerika wieder aufgegriffen zu sein. Größte Aufmerksamkeit haben zwei frühe Aufsätze erregt, in denen Warren sich theoretisch geäußert hat. »Pure and Impure Poetry« (1942) ist offensichtlich eine paradoxe Apologie für »unreine Dichtung« zu einem Zeitpunkt, als die Debatte über »reine Dichtung« noch nicht abgeschlossen war. Tatsächlich stellt dieser Aufsatz eine Verteidigung des Sachverhalts dar, den Santayana und I. A. Richards als »inklusive« Dichtung bezeichneten. Hierunter versteht man Dichtung, die gegensätzliche Stimmungen enthält - wie etwa Romeo und Julia mit Mercutio und der Amme kontrastiert werden -, aber auch Dichtung, die ein vorherrschendes ernstes Thema mit Ironie unterlegt. So wird in Landors Gedicht »Rose Aylmer« die Trauer um eine tote Frau durch das Versprechen des Dichters, »ihr eine Nacht der Erinnerung und Seufzer zu widmen«, abgemildert. Nach Warrens Interpretation handelt es sich um eine einzige Nacht. Anhand dieser Analyse will Warren nachweisen, daß der Dichter »seine Darstellung dem Feuer der Ironie aussetzt« und sie dadurch erproben wolle (SE, 7). Mit dieser Argumentation wendet sich Warren gegen die Forderung nach patriotischer und optimistischer Dichtung, die in Kriegszeiten erhoben wird. Er hat dabei wohl an Van Wyck Brooks gedacht. Dieser wirkungsvolle, ja sogar großartige Aufsatz verbindet thematische Analyse und textnahe Interpretation mit einer Dichtungstheorie, die Dichtung weder als Gefühlserguß noch als ideologische Aussage verstanden wissen will. Warrens bedeutendster Beitrag zur Literaturwissenschaft und Interpretation ist eine Arbeit über Coleridges Rime of the Ancient Mariner. »A Poem of Pure Imagination: An Experiment in Reading« (1946). Mit Nachdruck weist Warren solche Interpretationen zurück, die das Gedicht als phantastische Erfindung mit einer aufgesetzten Moral betrachten. Überzeugend legt er dar, daß die Tötung des Albatros ein Willkürakt ist und einen Frevel der Anmaßung gegen die Natur darstellt. Die Erlösung des Seemanns, die mit seiner »unbeabsichtigten« Segnung
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der Wasserschlange beginnt, wird von Warren als Erkenntnis der »Lebenseinheit«, der Identität von Mensch und Natur verstanden. Diese durchaus einleuchtende Analyse der Haupthandlung wird durch den Versuch beeinträchtigt, die »Imagination« als weiteres Thema des Gedichts nachzuweisen. Mond und Sonne werden als Symbole aufgefaßt: Die Sonne des Todes, die »blutige Sonne«, wird als »Gleichnis der Aufklärung und des Zeitalters der Vernunft« angesehen. Dieses vielversprechende Jahrhundert endete in einem Blutbad (SE, 241). Der »Mond der Imagination« sei die »angebetete, die leuchtende und alles beherrschende Kraft« (247). Die endlosen Kontroversen über dieses Gedicht finden sich gut zusammengefaßt in The English Romantic Poets: A Review of Research ana Criticism (hg. v. Frank Jordan, Jr., 3. Aufl., 1972). Ich möchte mich hier nicht mit diesen Kontroversen befassen, muß jedoch meinen Zweifel daran zum Ausdruck bringen, daß das Gedicht, obwohl durch dichterische Imagination geschaffen (Coleridge entwarf später eine Theorie der Imagination, die Warren gut darstellt), überhaupt von der Imagination handelt. Ich vermag nicht zu sehen, wie und aus welchem Grund die Sonne als Symbol des 18. Jahrhunderts gelten kann oder wie die Szene im Heimathafen, in der der Seraph bei den Leichen der Matrosen steht, als »endgültige Verbindung von Imagination und sakramentaler Vision« verstanden werden sollte (248). Mit Recht weist Warren die biographischen und psychoanalytischen Interpretationsansätze von Kenneth Burke und anderen zurück. Warrens eigener Interpretationsansatz ist jedoch ein frühes Beispiel für die Überbetonung der Symbolhaltigkeit von Literatur, die zeitweilig die gesamte amerikanische Literaturkritik negativ beeinflußte.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE »A Poem of Pure Imagination: An Experiment in Reading«, in The Rime of the Ancient Manner by Samuel Taylor Coleridge (1946). Ndr. in Selected Essays. Selected Essays (1958). A Plea in Mitigation: Modem Poetry and the End of an Era. 1966. Faulkner: A Collection ofCriticial Essays, hg. v. R. P. Warren. Homage to Theodore Dreiser (1971). John Greenleaf Wbittier's Poetry. An Appraisal and a Selection (1971). Selected Poems of Herman Melville (1971). A Conversation with Robert Penn Warren, hg. v. Frank Gabo (1972). Elder Olson. »A Symbolic Reading of the Ancient Mariner«, in Critics and Criticism: Ancient and Modern, hg. v. R. S. Crane (1952). Frederick P. W. McDowell. »Robert Penn Warren's Criticism«, in Accent 1$ (1955): 173-96. Klaus Poenicke. R. P. Warren: Kunstwerk und kritische Theorie (1959). John L. Longley, Jr., Hg. Roben Penn Warren. A Collection of Critical Essays (1965).
KAPITEL 13
R. P. BLACKMUR (1904-1965)
Ein Freund von Blackmur erzählte mir, einer von Blackmurs Lieblingsversen stamme aus Donnes dritter Satire: Auf einem hohen Berg Zerklüftet und steil, wohnt die Wahrheit; und wer sie Erreichen will, muß weit gehen. »Weit gehen« (going about and abouf) scheint mir Blackmurs kritische Methode genau zu beschreiben. Der mühsame und tastende Versuch, die Erfahrung von Dichtung durch Umschreibung oder metaphorische Analogie auszudrücken, bleibt immer außerhalb der Reichweite des rationalen Diskurses. »Schließlich besteht«, so sagt er ohne Umschweife, »ein genauso großer Unterschied zwischen den Ausführungen über ein Gedicht und dem betreffenden Gedicht selbst wie zwischen den Ausführungen über ein Gemälde und dem betreffenden Gemälde. Diese Differenz ist nicht zu überwinden« (LG, 381). Wenn dies tatsächlich der Fall wäre, so müßte Blackmur daraus folgern, daß die deskriptive Kritik versagt habe. Die Analyse erreicht das Gedicht überhaupt nicht. Der Kritiker kann lediglich »Hinweise« geben. Darüber hinaus bleibt ein »Bereich des Gedichts, den man nicht benennen und über den man nicht verfügen, sondern den man nur intuitiv wahrnehmen kann« (264). Doch bis auf weiteres verteidigt und definiert Blackmur die Aufgaben und Grenzen der Literaturkritik allerdings sehr viel zusammenhängender, als man es aufgrund seiner Überzeugung von der grundsätzlichen Irrationalität und Ungreifbarkeit der Dichtung vermuten könnte: »Jeder rationale Zugriff auf Literatur, der sich in irgendeiner Hinsicht auf das Werk selber bezieht, ist für die Literatur von Belang und kann im eigentlichen Sinne kritisch genannt werden« (LG, 379). Diese Äußerung stimmt mit der vom New Criticism postulierten Textnähe überein. In Anlehnung an Manfred Kridl habe ich dies als »ergozentrische Auffassung« bezeichnet. Offensichtlich zieht Blackmur hier die Konsequenzen, wenn er die Methoden der extrinsischen Kritik, Biographie, Psychologie, Marxismus und akademisch-historische Wissenschaft, zurückweist. Blackmur selber hatte keine akademische Ausbildung (nicht einmal das Abitur) und nur
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unsichere wissenschaftliche Grundlagen: Zumindest seine Kenntnisse der klassischen Sprache und der neueren Fremdsprachen waren sehr begrenzt. Im Unterschied zu Allen Täte hegte er allerdings keine Vorbehalte gegen die English Departments; zumindest hat er solche niemals geäußert. Er wurde auf sehr unorthodoxe Weise Professor für Englisch an der Princeton University. »Wissenschaft«, so führt er aus, »beschäftigt sich immer nur mit Literatur. Sie besteht unabhängig vom literarischen Werk« (LH, 180-81). Sie ist nützlich, so lange sie uns mit Fakten versieht, doch sie wird unerträglich, wenn sie meint, sie »habe eine Deutung eines Werkes geleistet, indem sie es mit Fakten überhäuft« (181). Auch der Marxismus bleibt für Blackmur eine Randerscheinung. Seine ökonomischen Erkenntnisse »sind nur von begrenztem Interesse und ohne eigentliche Relevanz« (LG, 374). Granville Hicks' marxistische Geschichte der amerikanischen Literatur, The Great Tradition, sieht Blackmur nicht als Literaturkritik an. Entsprechend zeigt er wenig Interesse für die psychologischen Ansätze von Richards und Kenneth Burke. Blackmur bewunderte Richards als Persönlichkeit, weil er »ein sympathischer und engagierter Mensch mit einer großen Vorliebe für die Literatur war« (PI, 76). Obwohl er einräumt, daß Richards' Schriften eine »gute Einführung in die Literaturkritik« und »eine ausgezeichnete Verständnishilfe bei der Lektüre von Dichtung und Literaturkritik« seien (HH, 3:453), meint er doch, daß Richards letztlich nicht als »Literaturkritiker bezeichnet werden sollte« (LG, 387): »Wollte man Richards' Zugriff auf die Literaturkritik wörtlich übernehmen, so würde man genau die Kraft, die geweckt werden soll, ersticken, die Kraft der imaginativen Würdigung, der imaginativen Koordination verschiedener und unterschiedlicher Elemente« (389). Blackmur bewunderte Richards' Werk Coleridge on Imagination wegen seines leidenschaftlichen Bekenntnisses zur dichterischen Imagination. Er ist jedoch der Ansicht, daß Richards »die Tragfähigkeit dieses Konzepts und dessen praktische Möglichkeiten überschätzt« habe (Nation, 146:423-24). Kenneth Burke, dessen Verpflichtung gegenüber Richards für Blackmur offensichtlich ist (LG, 91), ist »nur in den wenigen Momenten, in denen er seine Rhetorik vergißt, ein Literaturkritiker» (LH, 392). Seine Methode könnte, so bemerkt Blackmur scharfsinnig, »mit demselben Erfolg auf Shakespeare, Dashiell Hammett oder Marie Corelli angewandt werden« (393). Er bewege sich jedoch auf der Ebene abstrakter Rhetorik, die alles durch »Methodologie« überdeckt. Mit demselben Nachdruck leugnet er die kritische Bedeutung der Biographie. Biographische Erkenntnisse »betreffen weder die Dichtung selbst noch unser Verständnis von Dichtung . . . Je mehr Leben oder Bewußtsein, je mehr äußere Sachverhalte jeder Art man bei der Beschäftigung mit einem Gedicht an dieses heranträgt, um so mehr tut man dem Gedicht selbst Gewalt an und macht es zu einem Dokument persönlicher Äußerung« (KR 1:97). Dadurch soll jedoch nicht die Biographie als Gattung verurteilt werden. Vielmehr bemühte sich
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Blackmur ein Leben lang um die Erstellung einer geistigen Biographie Henry Adams'. Eliot übte entschieden den größten Einfluß auf Blackmur aus. In seinem ersten Essay über Eliot definierte Blackmur die Eigenschaft, die Eliot von allen anderen Kritikern unterscheide, als »das reine Interesse an der Literatur als Literatur und als autonome und vollständige Kunst« (HH, 292). Seiner Meinung nach ist dies durchaus kein steriler Ästhetizismus. Die Kritik, die sich auf das Werk konzentriert, »ohne sich jemals vom Gegenstand zu entfernen«, ist die einzig vertretbare Form der Kritik (293): »Eliots bemerkenswerteste kritische Äußerungen wie seine trivialsten haben gleicherweise Autorität, weil sie das Merkmal der Intelligenz haben« (317). Blackmur übernahm von Eliot in der Tat nicht nur die Auffassung, daß die Literatur autonom und die Kunst unpersönlich sei. Gleicherweise stimmte er auch Eliots literaturgeschichtlichen Vorlieben und dessen Auswahl aus der Literaturgeschichte, seiner Antiromantik und seinem Interesse an Dante und dem Symbolismus zu. Doch Blackmur äußert sich deutlich reserviert in bezug auf Eliots Tendenz, Kritik nach religiösen Kriterien zu beurteilen. »Man kann ihm nicht mehr folgen« (DA, 177), sagt Blackmur 1935 ohne Umschweife in seiner Rezension von After Strange Gods. »Es ist später, als er denkt« ist der Titel für eine Rezension von The Idea of a Christian Society (KR 2:235-38; auch in EG): »Der Mensch ist dazu nicht fähig; Mr. Eliots Ideal einer christlichen Gesellschaft. .. kann in dieser Welt nicht verwirklicht werden, und ich meine, es ist für jede nur denkbare Welt ausgeschlossen« (EG, 241). In einem späteren Artikel »In the Hope of Straightening Things Out« (1951) stimmt Blackmur Eliots Schlüsselbegriffen Gefühl, Emotion, Sensibilität und Unpersönlichkeit zu, macht sich jedoch über einige Auswirkungen von Eliots Kritik lustig: Milton, Shelley und Swinburne werden nach Blackmurs Ansicht heute nicht mehr gelesen. Eine ganze Generation wuchs auf, die ihre geringen Kenntnisse des Christentums aus Eliot bezog, und »ein Dante-Kult breitete sich in Bloomsbury und Cape Cod aus« (LH, 167). Eliot wurde zu einem beispiellosen Diktator der Literaturkritik unserer Zeit. Seine Vorliebe für Ben Jonson, Dryden und Dr. Johnson konnte er jedoch nicht durchsetzen. Blackmur stimmte Eliots späterer religiöser Bekehrung nur insofern zu, als dadurch klar werde, daß »Dichtung niemanden rettet, sondern lediglich die wirkliche Welt vorführt, aus der der Mensch gerettet werden kann oder auch nicht« (175). Das »Abenteuer einer Inkarnation der Religion durch die Dichtung,... das Eliot durchgängig verfolgte«, mißlang und mußte mißlingen (174). Unter den Südstaatenkritikern beurteilt Blackmur nur Allen Täte positiv. Er stimmt Täte zu, der »gegen Richards' Ideen und gegen alle Ideen, die nicht aus der Dichtung abgeleitet sind und sich in individuellen Gedichten finden, kämpfte sowie gegen jede explizite oder organisierte Literaturtheorie,... die in irgendeiner Form mit der systematischen Philosophie verbunden ist« (PI, 166). Die Hommage an Täte endet mit einer merkwürdig unverbindlichen Aufzählung
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von Tares Hauptbegriffen: Inkarnation, Ordnung, Erfahrung, Vorurteil, historische Einbildungskraft, Wille, Gemeinschaft und Liebe. Diesen Katalog nennt Blackmur »Hohe Diplomatie« (176). Man könnte diese Wendung ebenso gut auf Blackmurs eigene Ausführungen anwenden. Notwendigerweise erörtert Blackmur auch Ransom im Zusammenhang mit Täte. Vorher hatte er Ransom lediglich als Rhetoriker gesehen, der mit Begriffen wie »Tenor«, »Vehikel« und »Textur« arbeitet und dabei in seiner Analyse von Lycidas »das geistige und poetische Thema des Gedichts« übersieht (LH, 192). Im letzten Essay über Täte wird Ransom dagegen eher deswegen kritisiert, weil er seine Aufmerksamkeit »fast ausschließlich auf das Erkenntnisproblem, auf »Epistemologie und Ontologie« konzentriere. Blackmur sieht Ransom als einen »Solipsisten, der das einzige herauszufinden sucht, dem er in der von ihm geschaffenen Welt trauen kann. Dies ist letztlich nur die Form, in der diese Welt in Erscheinung tritt« (PI, 169). Blackmur weiß, daß Ontologie die Lehre vom Sein ist. Dennoch meint er, daß Ransom lediglich mit Form und Relation, nicht jedoch mit Realität befaßt sei. Mit Recht stellt er jedoch Ransoms rastlose Experimentiersucht heraus: »Er schafft das Gerüst für eine Folge von Systemen, die Täte anwenden und wieder verwerfen kann« (170). Diese merkwürdige Formulierung scheint den Lehrer zum Schüler zu machen. Die Einstellung gegenüber Cleanth Brooks ist noch negativer: Er »hat eine Rhetorik der Ironie und des Paradoxen mit den Untergattungen Ambiguität, Haltung, Ton und Meinung geschaffen«. Blackmur stimmt Ronald Cranes Angriff auf Brooks' »kritischen Monismus« zu. Die Anwendung des New Criticism auf Milton oder Shakespeare erscheint ihm »unmöglich« (LH, 192); dennoch erkennt er dieser Methode eine begrenzte Erkenntnisförderung zu, wenn sie nicht zu sehr von seiner These, »einem Komplex von Prinzipien«, beherrscht werde, wie es der Fall sei in Brooks' Modem Poetry and the Tradition (MLN, 65:388-90). Im Lauf der Jahre wandte sich Blackmur zunehmend gegen den New Criticism: Er »hat sich fast ausschließlich mit den exekutiven Techniken der Dichtung (und auch nur mit einem Teil von ihnen) oder mit den allgemeinen verbalen Techniken der Sprache befaßt« (LH, 206). Für das Verständnis Dantes, Chaucers, Goethes oder Racines erscheint der New Criticism Blackmur »nutzlos«. Auf das Drama angewandt »ergeben sich genauso wie für die Dichtung des späten 17. und des ganzen 18. Jahrhunderts verzerrende Ergebnisse« (207). Es handelt sich um »Methodologie« und um »Neubelebung der alten Rhetorik« (189). Es gab allerdings »nie eine kohärente kritische Position und mit Sicherheit auch nie eine einheitliche Praxis« (191). Die Heftigkeit dieser meiner Meinung nach unzutreffenden späten Äußerungen Blackmurs muß als Reaktion auf dessen eigene Vergangenheit begriffen werden. Mit Analysen moderner Dichtung, durch Untersuchung von Techniken, Formen und Bedeutung bei Thomas Hardy, Ezra Pound, T. S. Eliot, Hart Crane, Wallace Stevens, E. E. Cummings und Marianne Moore wurde Blackmur schon früh
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berühmt. Er erkannte, daß der Vorwurf, Kritik um der Kritik willen zu üben, in besonderem Maß auf ihn selber zutreffen würde. Er hat seine frühen Überzeugungen jedoch nie widerrufen. Mit Blick auf seine frühe Kritiktheorie muß man eine Konstanz des Ansatzes für Blackmurs gesamte Karriere feststellen, auch wenn seine Interessen sich merklich wandelten und erweiterten. Über die Beschäftigung mit moderner Dichtung gelangte er zum Roman, von rein amerikanischen Themen wandte er sich ausländischen Schriftstellern wie Flaubert, Thomas Mann, Tolstoi und Dostojewski zu. Schließlich widmete er sich allgemeineren Fragestellungen, die über die eigentliche Literaturkritik hinausreichten und auch kulturelle Aspekte, die Unterschiede zwischen Amerika und Europa wie auch die Bedeutung von Geschichte und Religion umfaßten. Die Grunderkenntnis blieb jedoch immer dieselbe. Es geht ihm um die Erkenntnis der zentralen Dunkelheit in der Dichtung wie im Leben, die sich für den Verstand als Skeptizismus äußert und ein »undoktrinäres Denken« darstellt, das bis auf den frühen Plato und auf Montaigne zurückgeht (LG, 375). Blackmur wendet sich z.B. gegen den Rationalismus von Mortimer Adler und dessen Opposition gegen das »Reich der vorangehenden Überzeugung« (KR 2:355). Er lehnt die Lehre der amerikanischen Neuhumanisten entschieden ab, die zu Beginn seiner Laufbahn die Literaturkritik beherrschten. 1930 schrieb Blackmur einen Beitrag für C. Hartley Grattans Symposium A Critique of Humanism. Hier verurteilte er die kritische Haltung des Neuhumanismus gegenüber der modernen Literatur, seinen engen Kanon willkürlicher Regeln und seine Traditionsauffassung, die so statisch und selbstzentriert sei, daß sie »nur Sophokles, Dante und Racine gelten lassen kann« (CH, 251). In einem späteren Essay, »Humanism and Symbolic Imagination«, äußert sich Blackmur noch kritischer (1941, in LH, 145—61). Über Babbitt erfährt man dort, daß dessen Denkstruktur mechanisch gewesen sei. Er habe unter Imaginationsschwäche und unter mangelnder Einfühlungskraft gelitten: »Er nahm nie die chthonische Rückseite der Erscheinungen wahr«. Er »war nur an den abstrahierbaren Elementen der Literatur interessiert« (146—48). Blackmur lehnt es ab, die Literaturkritik aus der »Ideengeschichte« zu entwickeln: »Die Literatur als einen Strom von Ideen zu bezeichnen, ist so ergiebig, wie die Shakespeare-Dramen als Strom von entlehnten, geborgten oder erfundenen Handlungssträngen zu bezeichnen« (159). Man kann so nur die »verstandesmäßig formulierbare Anordnung« und nicht die »innere [tatsächliche] Ordnung« erreichen, die u.U. der »Verbalisierung auf intellektueller Ebene nicht zugänglich ist« (159). Der Intellekt wird generell abgewertet: Er »stellt nur die Formen des Bewußtseins dar, und der Humanist, der sich wie Babbitt dem Intellekt verschreibt, ist nur Form und kein Mensch« (161). Der Intellekt wird bei Blackmur natürlich nicht einfach mit der Vernunft gleichgesetzt. Er schlug 1948 sogar nachdrücklich vor, »in den Künsten ... die rationale Absicht, die rationale Äußerung und die rationale Technik zu propagieren; ich
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möchte dies durch technische, erhellende und entdeckende Beurteilung erreichen; alle drei Formen der Beurteilung bezeichne ich als rational« (LH, 212). »Ratio« bzw. »Vernunft« wird hier in besonderer Bedeutung als unterschieden vom »Verstand« verwendet. Das erinnert etwa an Coleridges Unterscheidung in Anlehnung an Kant - zwischen Verstand und Vernunft. Psychologie und Semantik werden von Blackmur als »Unruhestifer« abgelehnt, die lediglich »zu einer Reihe unlösbarer und irrelevanter Probleme - soweit die Literaturkritik betroffen ist - führen«. Auch die Ästhetik mißfällt Blackmur, da sie »sich mit überflüssigen und mechanischen Techniken befaßt, die besonders in bezug auf die dahinterstehenden Techniken der begrifflichen und symbolischen Formen wenig erkenntnisfördernd sind« (209). Diese Differenzierungen und ungewöhnlichen Begriffe werden im folgenden erklärt: »Exekutive Techniken« sind z.B. metrische Schemata oder narrative bzw. dramatische Formen. »Begriffliche Techniken« werden durch Beispiele verdeutlicht: Dostojewskis Doppelgänger, das homerische Modell in Joyces Ulysses, die Mondphasen in der späten Dichtung Yeats', das Motiv der christlichen Wiedergeburt, Glaubenswechsel oder Gefühlswandel im modernen Roman. Blackmur definiert »symbolische Technik« ziemlich unklar als »suggestive oder rohe Kräfte, die Kraft der Wirklichkeit«. Zu dieser »symbolischen Technik« zählt auch die Kreation hervorragender Charaktere wie Hamlet, Lear, Emma Bovary oder die Brüder Karamasow. Blackmur stellt sich diese Techniken als rational zusammenwirkend vor: Das Logische, das Rhetorische und das Poetische bilden eine merkwürdige Dreiheit, wobei die »exekutive Technik« dem Logischen zugerechnet wird, »die begriffliche Technik« dem Rhetorischen und die »symbolische Technik« dem Poetischen. Die Künste »bilden ein logisches Grundprinzip der Entdeckung des Lebens ... Durch die ästhetische Erfahrung.. . entdecken wir immer wieder, was das Leben ist, . .. und wir entdecken auch, was unsere Kultur ist« (211). Jetzt erst versteht man den Satz über die unterschiedlichen Arten der Beurteilung: Die technische Beurteilung bezieht sich auf die exekutive Technik, auf das Logische; die erhellende Beurteilung gehört zur begrifflichen Technik, zum Rhetorischen; und die Beurteilung der Entdeckung gehört zur symbolischen Technik, dem Poetischen. Eine etwas andere Klassifizierung findet sich in »Notes on Four Categories in Criticism« (1946). Die erste Kategorie bilden die »oberflächlichen Techniken«; die zweite die »sprachlichen Techniken«, die Bilder und Tropen wie auch das »Idiom«, das hier synonym mit »Stil« verwendet zu werden scheint. Die dritte Kategorie ist »die dahinterstehende Technik der Imagination - wie das Bewußtsein in Bildern spricht..., die so bedeutungsvoll wie die ursprünglich parallelen Erfahrungen . . . im Leben sind« (LH, 218). Hierher gehören die Ideengeschichte, der Freudsche Ansatz und jede deterministische Methode wie auch die historische Kritik. Alle diese Ansätze werden nur unzulänglich erörtert. Umständlich erörtert Blackmur, daß die Künste das »Tatsächliche« und Konkrete
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exemplifizieren, wodurch das Wirkliche nur gelegentlich hindurchschimmert, da »die Menschen nicht sehr viel Wirklichkeit erkennen können« (221). Das Thema einer grundlegenden Dunkelheit der Wirklichkeit wird wieder aufgegriffen. Der Künstler kann das Geheimnis durch die »symbolische Imagination« erhellen, die die vierte und letzte Kategorie darstellt. Diese wird lediglich durch eine kleine Szene aus Madame Bovary verdeutlicht: Es ist die Szene, in der Emma vor ihrer Hochzeit Dr. Bovary eine Erfrischung anbietet und selber ihre Zunge in das enge Glas steckt. Der Symbolismus ist Blackmurs zentrales kritisches Konzept, das er in unterschiedlichen Zusammenhängen zu erklären versucht. Der Aufsatz »Language as Gesture« (1942) liefert den Titel für seine dritte Essay-Sammlung. Hier wird dargestellt, wie alle Künste aus einer anfänglichen »Geste« stammen. Dieser Begriff wird in einem so weiten Sinn gebraucht, daß Blackmur sogar von der Geste in der Architektur sprechen kann. Ein Turm, eine Brücke, eine Kuppel, eine Krypta stellen Gesten dar. Selbst die Skulptur ist auf bestimmte Weise eine »Geste«: »Der Mensch entwickelt aus seinem Nachdenken Formen« (LG, 7). Malerei, Tanz und Musik stammen von der Geste ab. In der Dichtung bezeichnet die Geste die Bedeutung der Wörter: Rhythmus, Kadenz und Intervall werden hier in einem anderen als dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verwendet. Die Geste wird auch durch die Wiederholung deutlich. Sie kulminiert im Symbol. »Ein Symbol«, so formuliert Blackmur, »benutzen wir, um Bedeutung dauerhaft auszudrücken. Es kann nicht direkt in Wörtern oder Formulierungen vollständig ausgedrückt werden; ein Symbol ist eine Bedeutungshäufung« (16). Die anschließenden Beispiele stammen aus den unterschiedlichsten Bereichen. Sie reichen von prägnanten Shakespeare-Aussprüchen wie »Der Rest ist Schweigen« oder »Reife ist alles« bis zu Wortspielen, Synästhesien, onomatopoetischen Wendungen, metrischen Beispielen und Refrains. Alle diese Beispiele widersprechen dem traditionellen Symbolbegriff. Blackmur wendet sich schließlich wieder seinem Begriff der »Geste« zu, der sich letztlich auf jede kontextuelle Bedeutung und jedes von der Norm abweichende Sprachmittel beziehen läßt. Literaturkritik ist somit für Blackmur keine Wissenschaft. Der Versuch, Literaturkritik als eine Wissenschaft zu betreiben, ist zum Scheitern verurteilt, weil die Literaturkritik »nur die Sprache und ihre Wörter erörtern kann, nicht jedoch das imaginative Produkt der Wörter, die Dichtung, erreichen kann. Doch gerade die Dichtung soll ja von der Kritik erhellt und erläutert werden. Die Kritik muß sich - in welcher Methode auch immer - mit dem Gedicht befassen, wie es gelesen und wie es in seiner Bedeutung gefühlt wird« (LG, 390). »Keine noch so umfangreiche Sprachanalyse kann das Empfinden für das Gedicht oder das Gedicht selbst erklären.« Auch die Philosophie kann hier nicht helfen. Sie gibt »der Kritik keine Macht über das Wesentliche (das gefühlte Leben, das Betragen), das sie reflektiert und ordnet« (LH, 291). Die Kritik überläßt dem Leser letztlich
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»das Gedicht und die zu seinem Verständnis nötige Arbeit« (LG, 396). So gelangt Blackmur zur Überzeugung von einer sehr eingeschränkten Bedeutung der Literaturkritik. Sie ist eine bedauerliche Notwendigkeit: »Kritiker und Wissenschaftler sind Vermittler und sollten verschwinden, wenn das Paar zusammengekommen ist. Dann besteht in der Tat kein Bedarf mehr für sie. Aus diesem Grund gibt es auch keine Ehrendenkmäler für Kritiker und Wissenschaftler. Und aus diesem Grunde ist nichts so überflüssig wie tote Kritik und tote Wissenschaft« (LH, 184). Deshalb nannte Blackmur seinen zweiten Band The Expense of Greatness, obwohl nur der Essay über Henry Adams dieses Thema behandelt: »Das Versagen ist der Preis der Größe.« Literaturkritik muß letztlich versagen. Blackmur hatte große Ambitionen und auch eine wirkliche Begabung als Dichter. Er scheint seine kritischen Schriften als pis-aller verstanden zu haben. Doch im Unterschied zu denen, die Kritik als artistes manques schrieben wie Pater oder Wilde, wollte Blackmur keine kreative Kritik in Konkurrenz oder als Ersatz für produktive Kunst schreiben. Eher spricht er bescheiden von »der Last der Kritik«. Für ihn stellt die Kritik eine Brücke zwischen der Gesellschaft und den Künsten dar, da »das Publikum [heute] Unterweisung in der verlorengegangenen Fähigkeit des symbolischen Denkens braucht« (LH, 206). Mit etwas anderer Betonung formuliert Blackmur die grundlegende Aufgabe der Kritik als »Heranführung des Kunstwerks an die Bedingungen seiner Darstellung« (290). Wenn ich ihn richtig verstehe, muß »Darstellung« hier so etwas wie »Konkretisierung« bedeuten, nämlich die richtige Reaktion des Lesers. Literaturkritik hat eine streng vermittelnde Aufgabe, die darin besteht, die Hindernisse zwischen Leser und Werk aus dem Weg zu räumen. Diese enge Vorstellung von der Aufgabe der Kritik übersieht nicht nur die Notwendigkeit der Theoriebildung, sondern auch die der Wertung und Einordnung von Literatur. Wertung und Einordnung war jedoch das Hauptinteresse in Blackmurs frühen Aufsätzen über moderne Dichtung. In »Notes on E. E. Cummings' Language« (1930) wird Cummings wegen seines »romantischen Egoismus«, wegen seines Anspruchs, daß »alle Erfahrung wirklich und endgültig sei«, oder auch wegen seiner Auffassung vom Gefühl, »das vor dem Gedicht schon bestand und aus dem privaten Leben des Dichters stammt«, kritisiert (LG, 319). Blackmur wirft Cummings Sentimentalität vor, die er mit Eliots Unterscheidung von Emotion und Gefühl definiert (332). Er wirft ihm vor, »jedes Erfahrungsfragment als endgültig zu akzeptieren« (318). Blackmur verurteilt das Träumen und das rein »private Sinnieren« (325), das zur Unverständlichkeit führe. Cummings' Sprache weise einen Mangel »an mittelbarer Präzision« auf (330). Sie sei abstrakt und zugleich vage, während Dichtung »konkret, bestimmt, ewig und öffentlich«, »solide und entschieden« sein sollte (339, 325). Cummings fehle »das Zutrauen zu seinen Wörtern als lebenden Gebilden« sowie »eine völlige Unterwerfung unter seine Wörter«; gemeint ist damit eine Variante des Konkreten (338, 324). Das Abstrakte, die »Idee«, wird abgelehnt. So wird von dem Wort 38 Wellek, Literaturkritik 4/1
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»Blume«, einem Lieblingswort Cummings', behauptet, daß es »zu einer Idee abgetötet« wurde (324). Cummings' Dichtung »endet in Ideen über Dinge« (334)· Diese Betonung der Unpersönlichkeit, Objektivität, Konkretheit und Verständlichkeit findet sich auch in den anderen Aufsätzen aus den dreißiger Jahren. In »D. H. Lawrence and Expressive Form« (1935) wird Lawrences Dichtung kritisiert, weil sie »nur auf der untersten Ebene der Selbstdarstellung« existiere (LG, 288). Sie hänge völlig ab »vom Dämon der Inspiration, der inneren Stimme, des inneren Lichts« (289). Im weiteren Verlauf des Aufsatzes bezeichnet Blackmur dies als »Hysterie« und »unangemessene Reaktionen auf den Schock der Erfahrung« (295). Blackmur erkennt Lawrences »wilde Ehrlichkeit der Beobachtung« und hat »keine Einwände gegenüber der dargestellten Lebensauffassung« (297, 287). Er hält Lawrences Dichtung jedoch für völlig verdorben durch die »Krankheit der expressiven Form . . . durch den Fehlschluß, daß die intensiven Gefühle allein schon durch ihre Umsetzung in Worte eine zufriedenstellende Form erhalten« (288-89). Es fehle Lawrences Dichtung an Techniken, »die einem Gedicht Zusammenhang, Bewegung und besonderen Glanz verleihen« (288). Blackmur fordert eine objektive Ordnung: »Das Chaos der privaten Erfahrung kann nicht erkannt oder verstanden werden, solange es nicht außerhalb des Bewußtseins, in dem die Erfahrung entstand, abgebildet und geordnet wird« (295). Bei Lawrence »herrschte lediglich Unordnung« (300). Eine völlig andersartige Dichterin wie Emily Dickinson wird nach denselben Maßstäben beurteilt und abgewertet. Blackmur erkennt ihr Sprachtalent, kritisiert jedoch ihr »ungestümes Streben nach Bedeutung - ein Streben, so ungestüm, daß es alle Verantwortung gegenüber der Gestalt und Primärbedeutung der Wörter außer acht läßt« (LG, 42). Ihre Gedichte bleiben wie die von Lawrence und Cummings »Übungen der Selbstdarstellung« (40) und »ungeordnetes Durcheinander«, weil sie »automatisch geschrieben wurden« (41). In seiner satirischen Zusammenfassung nennt Blackmur Dickinson »weder einen professionellen Dichter noch einen Amateur: Sie war eine private Dichterin, die unermüdlich schrieb, wie andere Frauen kochen oder stricken. Ihre Sprachbegabung und die kulturellen Voraussetzungen ihrer Zeit veranlaßten sie zu dichten statt Sofadecken zu häkeln« (49). Übertriebene Ansprüche auf den Titel der »größten Dichterin aller Zeiten« (27) beleidigten Blackmurs Proportionsempfinden und machten ihn blind gegenüber ihrer genuinen Originalität und Begabung. Die Erörterungen von Pound und Wallace Stevens gehen von anderen Grundsätzen aus. Nach Blackmurs Auffassung ist Pound »eher ein Verfertiger bedeutender Gedichte als ein großer Dichter« (LG, 124). Diese Unterscheidung wurde damals von Eliot aufgegriffen. Blackmur meint, Pound sei »ganz Oberfläche und Ausdruck« (125). Seine größten Leistungen seien seine Übersetzungen, da es ihm an »ausreichender eigener Substanz« fehle (136). Die Cantos enthielten »Passagen von außerordentlicher Schönheit und Klarheit«, seien jedoch als Ganzes chaotisch
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(152): »Die Verwirrung ist ein gewolltes Darstellungsprinzip« (145). Das fördere jedoch nicht die dichterische Qualität. Schon früh erkannte Blackmur Wallace Stevens als »genuinen Dichter«, der »eine Oberfläche, eine Textur, eine Rhetorik« geschaffen habe, in denen »seine Gefühle und Gedanken in neuer Sensibilität zum Ausdruck kommen« (LG, 249). Blackmur weist auf Stevens' Preziosität hin und kommentiert dessen merkwürdige und ausländische Ausdrücke, seinen Witz, seine Eleganz und seine Dunkelheit. Positiv merkt er an, daß Stevens »in einer existierenden Sprache schreibt, als ob sie seine eigene Erfindung sei« (221): »Die Natur wird zu Wörtern, und für einen Dichter sind Wörter alles« (249). Später zweifelt Blackmur jedoch an Stevens' »spekulativer Imagination« (252). Stevens fehle die Kraft der »objektiven und autoritären Imagination« (253). Er sei weitschweifig geworden, habe sich dem Hokuspokus, Wortgeklingel und Dandyismus ergeben und sei nur durch den Unterton der Verzweiflung der Trivialität entgangen. Zu einem ähnlichen Schluß gelangt Blackmur in seiner Beurteilung von Marianne Moore. Sie sei eine »idiosynkratische Dichterin« und strebe nicht nach »höherer Dichtung«. An einer Stelle beschreibt Blackmur ihre dichterische Technik mit Zustimmung: Reim, Zeichensetzung, der Versuch, eine »Physiognomie, einen Gegenstand mit Oberflächen und Zeichen« heraufzubeschwören (LG, 270). Wie Emily Dickinson bleibt jedoch auch Marianne Moore für ihn fremd. Unter den älteren Dichtern bewunderte Blackmur Thomas Hardy, beurteilte ihn aber auch nach den Prinzipien der Eliot-Theorie einer objektiven, unpersönlichen und gleichzeitig konkret-emotionalen Dichtung. Der Aphorismus Eliots über Henry James, der ein so edles Gemüt gehabt habe, daß keine Idee es verletzen konnte, wird von Blackmur umgekehrt, um Hardy als »das große Beispiel einer von Ideen verletzten Sensibilität« vorstellen zu können (LG, 79). Dabei geht es um die Ideen des 19. Jahrhunderts: Evolutionismus, Atheismus und Pessimismus. Hardys Dichtung »gelingt es nicht, die Bedingung der Anonymität einzuhalten«. »Anonymität« scheint für Blackmur ein Synonym für »Unpersönlichkeit« zu sein: »Es ist interessant zu beobachten, daß Autor wie Leser ins Blickfeld geraten, für das eigentliche Gedicht dann aber kein Platz mehr bleibt« (65). Nur in wenigen Gedichten überwinde Hardy diesen Mangel. Wie Hardy war auch Yeats seinen eigenen Ideen ausgeliefert, nämlich der Magie und einem privaten Symbolismus. Doch sei es ihm gelungen, deren emotionale und dramatische Entsprechungen in großer Dichtung darzustellen (LG, 90). Blackmur äußert Zweifel an den übernatürlichen, okkulten und magischen Elementen in Yeats' Dichtung: »Die Magie verspricht genau das, was sie nicht halten kann - zumindest nicht in der Dichtung« (93). Er gesteht allerdings ein, daß »Magie durchaus Teil einer rationalen Imagination sein kann« (103) und daß in den erfolgreichen Gedichten (des späten Yeats) »die Maschinerie [der Magie] mit dem dramatisierten Symbol verschmilzt« (118). Meistens stehe Yeats jedoch »zwischen Mythos und Philosophie« und gehöre daher »nicht zu den größten
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Dichtern« (122). Diese Zwischenstellung beschreibt nicht nur Yeats' Unfähigkeit, an sein eigenes System zu glauben (117): Auch sein Schwanken zwischen der Verwendung des Mythos in der Dichtung, der Blackmur zustimmt, und der Verwendung von »Philosophie«, die Blackmur als unpoetisch ablehnt, wird dadurch verdeutlicht. Überraschend und etwas unlogisch wird Yeats als »der größte englische Dichter seit dem 17. Jahrhundert« bezeichnet (123) und damit über Pope und alle romantischen und viktorianischen Dichter gestellt. Blackmur meint, Yeats »konnte höchstens in Fragmenten die aktuellen Probleme seiner Zeit in seiner Dichtung verarbeiten, wie Joyce und Mann und vielleicht auch Eliot es taten, die gleichermaßen rebellierten« (122). Hier wird ein doppelter Maßstab verwandt: Dichtung als autonome, »unberechenbare Größe der Schöpfung« (no) und Dichtung als Verarbeitung der »Aktualität« einer Zeit, Dichtung als Mimesis. Zwar rechnet Blackmur Yeats unter die ersten der modernen Dichter; am intensivsten und längsten hat er sich jedoch mit Eliot beschäftigt. Der Aufsatz in Hound ff Horn (1927) wurde nie nachgedruckt. Zusammen mit den Aufsätzen in Language as Gesture (1952) und The Lion and the Honeycomb (1955) ergibt er eine Beschäftigung mit Eliot, die von der frühen Dichtung bis zu den Four Quartets reicht. In seinem ersten Aufsatz behauptet Blackmur, Eliot habe die Sensibilität der gesamten Epoche verändert, was seiner Meinung nach einer »Veränderung der Identität, einem Seelenwandel« gleichkomme (HH, i: 187). Blackmur macht jedoch nicht deutlich, worin dieser Seelenwandel besteht. Dafür definiert er Dichtung und besonders Eliots Dichtung in Wendungen aus dessen eigener Theorie: »Dichtung ist weder Denken noch Theologie noch Wissenschaft« (188). Dichtung darf nicht Partei ergreifen, darf keine Behauptungen aufstellen und sollte an erster Stelle durch Intelligenz motiviert werden: »Eliots Gedichte sind ein überzeugender Beleg dafür, daß Intelligenz gute Dichtung schaffen kann« (189). Intelligenz wird hier in Opposition zu Verstand und einfacher Wahrnehmung gesetzt. Doch die Differenzen bleiben vage. Blackmur gesteht, daß »niemand verwirrter als ich selber in dieser Sache ist«. Er beschließt seine Ausführungen mit der Feststellung, daß man »die neue Art zu fühlen, die neue Form der Verbindung von Gefühlen, wie Mr. Eliot sie geschaffen hat, unmöglich beschreiben kann« (200). Dennoch trifft Blackmur im Hinblick auf bestimmte Gedichte kritische Unterscheidungen. »Gerontion« fehle es an Sensibilität. Obwohl er es für anregend und satirisch-scharf hält, ist es ihm nicht »vorzüglich, nicht artikuliert« genug (202). »The Hollow Men« dagegen sei ein »voller Erfolg« (213). »Whispers of Immortality« sei höchst originell. Blackmur erkennt Eliots »Selbstverspottung« und »die große Leistung und spezielle Qualität« dieser Gedichte, die »gewisse Perspektiven der Seele mit der komischen Kraft des Unmittelbaren darstellen« (212). Eliot ist ein klassischer Dichter, der in diesem frühen Aufsatz von Blackmur dafür getadelt wird, daß »er vielleicht nicht genug risikiert hat« (210). Blackmur fordert von Eliot mehr Kühnheit und bestätigt sie ihm in der späteren Dichtung von »Ash Wednesday« bis Four Quartets. Black-
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mur hatte Richards' Ansicht von The Waste Land als Dichtung ohne Glauben zugestimmt, lehnt Eliots spätere Wendung zur Religion dann aber doch ab. Er weiß, daß Eliot keine devotionale Dichtung wie Hopkins oder Crashaw schreibt, sondern religiöse Dichtung in dem Sinne, »wie Mr. Eliot selber die Dichtung von Villon oder Baudelaire als religiös versteht, nämlich als stilvoll und echt« (LG, 168). Blackmur stellt jedoch »die moralische und technische Gültigkeit von Mr. Eliots Christentum« in Frage, wenn Eliot sich um die Darstellung der aktuellen Probleme in der Dichtung bemüht (165). Von »The Rock« und Murder in the Cathedral ist er nicht überzeugt, doch tief beeindruckt von Four Quartets. Blackmur erörtert Bilder und einzelne Wörter wie peregrine, den Einsatz der »Analogie« und das Kreismuster. Blackmur formuliert die inhärente Lehre: »Die Purgation zerstört das, was gereinigt werden sollte, und das ist die Verfeinerung ins Nichts« (217-18). Die Four Quartets seien »höfische Dichtung ohne die Funktionshilfe eines Hofes; religiöse Dichtung ohne die Funktionshilfe der Kirche; klassische Dichtung ohne die wirksame Gegenwart der Klassiker« (203). Diese Erkenntnisse werden jedoch mit Reflexionen verbunden, die - wenn man von dem prätentiösen Vokabular abstrahiert - besagen, daß ein Gedicht einen Anfang, ein Ende und eine Abfolge in der Zeit hat oder daß ein Gedicht der Realität eine Ordnung auferlegt, die Blackmur »Verhalten« nennt, möglicherweise, um die Wirklichkeit auf menschliches Handeln zu reduzieren (LG, 192). In verschiedenen Formulierungen wiederholt Blackmur, daß die Quartets »das Dogma des Realen besitzen, ein exemplarisches vademecum für Eliots Pilgerfahrt zur Emotion der Wirklichkeit darstellen: Anders ausgedrückt sind die aktuellen Probleme in diesen Gedichten das Rätsel des Realen, wobei das Rätsel nicht so sehr auf eine Lösung als auf eine Erlösung zielt« (201). Wenn man Blackmurs Metaphern in direkte Sprache übersetzt, scheint er mir zu sagen, daß nur die Emotion der Realität, nicht aber die Realität selber in der Dichtung dargestellt werden kann. Eliot wisse, wie die Wirklichkeit aussehe. Im Anschluß an Santayana benutzt Blackmur die platonische Unterscheidung zwischen dem »Tatsächlichen« und dem »Wirklichen«, um zu sagen, daß die »Tatsächlichkeit« oder Realität für Eliot ein Rätsel sei, ein Mysterium, das auf eine höhere Realität hinweise. Das Rätsel kann für Eliot nicht gelöst werden, es dient jedoch der Erlösung bzw. der Errettung durch den Glauben. Viele Passagen dieses Aufsatzes enthalten triviale Aussagen: »Niemand kann wirklich sagen, was vom Realen verloren geht, wenn man zum Tatsächlichen gelangt« (204). Oder: »Der Mensch wohnt im Tatsächlichen zwischen dem Realen und dem Realen« (205). Es finden sich allgemeine Aussagen von rein verbaler Selbstzentrierung: »Die Drohung und Zärtlichkeit der brechenden Welle - denn ist die Drohung nicht zärtlich und droht nicht die Zärtlichkeit?« (204). Da Blackmur an anderen Stellen durchaus feinsinnig und scharfsinnig denkt und Ereignisse und Charaktere sehr klar beschreibt und seine Beobachtungen und Urteile mit scharfem epigrammatischen Witz formuliert, sollte man ihn auch hier zurückhaltend beurteilen. Doch
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gelegentlich ist nicht zu übersehen, daß er den Leser absichtlich zu verwirren sucht, daß er mit den Wörtern spielt und zur Scharlatanerie neigt. Obwohl es auch frühe Aufsätze gibt, die gedanklich erstaunlich undifferenziert sind, und der Essay über Eliot in der Tat unklar und unsicher in der Argumentation ist, nimmt das Niveau der Publikationen Blackmurs seit 1950 doch deutlich ab. Zu dieser Zeit hatte er sein Interesse auf den Roman verlagert. Schon vorher hatte er allerdings über den Roman geschrieben. In seiner Einleitung zu Henry James' Critical Prefaces (1934) entwickelt Blackmur eine ausgezeichnete und mit Recht einflußreiche Systematisierung von James' Theorien wie auch eine überzeugende Demonstration der Anwendung dieser Theorien auf The Ambassadors. In einem umständlichen Aufsatz über The Sacred Fount (in KR 4:328-52), in einer ungewöhnlich klaren Darstellung von James' Künstlererzählungen (»In the Country of the Blue«, 1943), in einem umfangreichen Überblick für die Literary History of the United States (1946) von Spiller, Thorp und Johnson und am eindrucksvollsten in »The Loose and Baggy Monsters of Henry James« (1951) erörterte Blackmur nicht nur formale Probleme des Romans, sondern auch die moralischen Themen und Ereignisse bei James. Er bewunderte James' Romantheorie. Die Darlegung dieser Theorie in seiner Ausgabe (The Art of the Novel, 1934) der Vorworte zur New Yorker James-Ausgabe hat entschieden zur Bedeutung dieser Anthologie beigetragen. Doch schon bald erkannte Blackmur, daß James' eigene Romane nicht nach den Grundsätzen des >gut gebautendas Richtige zu sagenReichtums der Armutuniversale Schwingungen, in denen alle geistigen und körperlichen Bewegungen sublimiert und verschmolzen werden« (281). Die »universalen Schwingungen« scheinen eine Schlußfolgerung aus Florizels Wunsch für Perdita zu sein, daß diese »eine Welle des Meeres« werden möge. Burke hatte diese Stelle aus A Winter's Tale schon früher zitiert (278). Burke gibt zu, daß er kein »komplettes Schema symbolischer Elemente« aufstellen könne (AH, 285). Der Grund dafür liegt in seiner prinzipiellen Überzeugung, daß »jeder Symbolismus als rituelles Benennen und Ändern von Identität aufgefaßt werden kann« (285). Dennoch versucht er, drei Arten von Bildern in diesen Ritualen der Veränderung und »Reinigung« zu unterscheiden: Veränderung durch Eis, durch Feuer oder durch Verfall. Das Feuer weist auf »Inzestangst« hin, da Feuer weiblich ist. Dies wird angeblich durch Siegfried belegt, der Brunhilde vor dem Feuer rettet (285). Eine Passage aus einem heute vergessenen Buch, Nathan und Charles Reznikoffs Early History of a Sewing Machine Operator, wird dann unter psychoanalytischen Gesichtspunkten interpretiert. Whiskey-Fässer werden als schwangere und zum Verkauf angebotene Frau begriffen (287). Es bleibt jedoch ein Geheimnis, warum diese Interpretation einen so »epochalen Effekt« haben sollte. Burkes Programm als Literaturkritiker besteht in der Verbindung von »technischer Kritik mit Sozialkritik (Propaganda, Didaktik), wobei die Treue zur Autorität als Symbol begriffen wird« (AH, 331). Es bleibt jedoch unklar, worin diese technische Kritik besteht, wenn man nicht sein »verbales Atomisieren« darunter verstehen will: »Man bricht ein Wort heraus und verwendet es metaphorisch für eine andere Kategorie« (308). Wörter enthalten Handlungsanweisungen. Burke unterscheidet drei Ebenen: die mimetische, die private und die abstrakte, die zusammen als »charakterbildend durch weltliches Gebet« bezeichnet werden (341). Der soziale Aspekt der Sprache ist »die Vernunft«, auf die sich Burke in seinen »Autoritätssymbolen« konzentriert (343). In einer Neuformulierung der unterschiedlichen menschlichen Handlungsmotive (in einem Anhang von 1958) werden der Literatur sieben Aufgaben zugeschrieben: zu regieren, zu dienen (als Material), zu verteidigen, zu lehren, zu unterhalten, zu heilen und zu
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hüten (seelsorgen mit Bezug auf das Jenseits) (359). Weiter wird eine dreifache Funktion der Literatur angenommen: lehren, unterhalten und bewegen, wobei bewegen auch herrschen und regieren bedeutet. Somit kann Burke Shelley zustimmen, wenn dieser behauptet, daß »die Dichter die heimlichen Gesetzgeber der Welt sind« (362), oder etwas weniger anmaßend formuliert: »Die Zukunft erfährt man, wenn man den Liedern des Volkes lauscht« (335). Dennoch ist Burke skeptisch hinsichtlich der Bedeutung von Sprache: »Die Wörter bilden ein vermittelndes Reich, das uns einerseits mit der wortlosen Natur verbindet, andererseits aber auch zwischen uns und der wortlosen Natur steht« (373). Der Kritiker ist Ironiker oder muß nach Burke alles unter einem »komischen« Blickwinkel betrachten: »Wie >tragisch< auch immer die Tragödie selber sein mag, die kritische Analyse der >tragischen< Motive ist in ihrem Wesen >komischsoziologisch< und vielleicht sogar >marxistisch< genannt werden könnten« (LSA, 499). Doch die New Critics und besonders die Südstaatenkritiker waren nie Formalisten in irgendeinem Sinn, der Inhalt und Bedeutung ausklammern würde. Sie hatten stets - wie die Südstaaten-
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agrarier, die nie Marxisten und oft sogar Antimarxisten waren - ein soziales Interesse. Theoretisch vertritt Burke einen kritischen Pluralismus: »Das Hauptideal der Literaturkritik, wie ich es verstehe, besteht darin, alle kritischen Methoden, die es gibt, zu benutzen« (PLF, 23). Später formuliert er: »Alle Ansätze werden benötigt, um den Untersuchungsgegenstand möglichst vollständig zu erhellen« (LSA, 36). Die auf den Gegenstand bezogene Kritik muß durch zwei weitere Überlegungen ergänzt werden: das Geschehen im Bewußtsein des Dichters - den »Vorgang des Dichtens«, der Burke »oft mehr als die Dichtung selber interessiert« (36) - und die Wirkung der Dichtung auf die Leser, deren Vernachlässigung er der »formalistischen« Position, wie er sie Brooks zuschreibt, in besonderem Maße vorwirft (488). Für Brooks ist die Wirkung von Dichtung sowohl psychologisch wie auch sozial. Sie kann nicht begriffen werden ohne die Untersuchung der Sprache als individuelle symbolische Handlung oder als kollektives Unternehmen. Burke hat Freud sehr sorgfältig gelesen und fand ihn »über alle Maßen anregend« (PLF, 256). Er bezieht sich überall auf ihn: bei seiner Vorstellung von Gedichten als Träumen, bei seinem ständigen Interesse an verborgenen oder latenten Bedeutungen von Wortspielen und Zweideutigkeiten, bei seinem Interesse am sexuellen Hintergrund der Verhaltensweise des Dichters und besonders bei der Anpassung der Methode der »freien Assoziation«, die Freud bei der Behandlung seiner Patienten anwandte,-an literarische Kontexte. Durch die Untersuchung von Bildbereichen und besonders von Bildhäufungen, meint Burke, könne der Kritiker den »Anlaß« eines Werkes entdecken (269). Doch Burke ist nicht einfach Freud-Anhänger: Er widerspricht Freuds Betonung des patriarchalischen Musters, des Ödipus-Komplexes, das er durch ein matriarchalisches Muster ersetzen möchte, durch den Wunsch nach Rückkehr in den Leib und nach Wiedergeburt. Das ist für Burke das Hauptmotiv jedes Lebewesens und das Zentralmotiv aller Kunst. Freud erscheint Burke behindert durch die Ästhetik seiner Zeit, durch die übertriebene Betonung der Kunst als Selbstverwirklichung, der Kunst als »Herausplatzen« und als »Katharsis durch Absonderung bzw. Ausscheidung« (281). Freud verstehe nicht, daß Kunst auch - wie Burke es sieht - »Gebet« sein kann, d. h. Überredung oder im negativen Sinn Beschimpfung und Verfluchung (281). Auch erkenne Freud nicht eigentlich, daß Kunst nach Burke - »Schautafel« sein kann, ein Versuch, die Wirklichkeit auf einer Karte einzutragen und sie so zu begreifen. Doch Burke verteidigt Freud gegen den marxistischen Vorwurf der Irrationalität: Es gebe »nichts Rationaleres als die systematische Erkenntnis der irrationalen und arationalen Faktoren« (290). Eine Versöhnung zwischen Freud und Marx ist Burkes Ideal - oder eher: ein Hineinfügen Freuds »in die marxistische Perspektive« (296). In seinen neueren Schriften meint Burke, Freud habe zwei der drei Faktoren in der von Burke sogenannten »dämonischen Dreiheit« nicht ausreichend betont. Burke möchte die
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exkrementale Seite des Menschen stärker als seine rein sexuelle Seite betont sehen. Hier liegt der Schwerpunkt von Burkes Spätschriften, die er nicht so sehr als Angriff, sondern eher als Korrektur an Freud versteht (LSA, 953). Was immer auch Burkes Vorbehalte gegen Freud sein mögen, sein literarkritischer Ansatz ist grundsätzlich psychoanalytisch und ist es in der Folgezeit verstärkt. Vorjahren erkannte er, daß Freuds Methode sich eines Zufallsmechanismus bedient (CS, 74 A.). In seinen späten Schriften bedient sich Burke jedoch der Methode der »freien Assoziation« ohne Zurückhaltung als »einer wahrlich flüssigen Sprechhaltung« (AH, 231). Das erlaubt ihm, fast alles miteinander gleichzusetzen, jedes Wort in jedes andere zu transformieren auf der Grundlage einer sehr weit gefaßten phonetischen Ähnlichkeit und somit jede Bedeutung auf eine latent unbewußte, hauptsächlich skatologische Bedeutung zu reduzieren. Literaturkritik wird für Burke oft zu einem Spiel, das er selber joycing nennt. Das Wort enthält Anspielungen nicht nur an Joyce, sondern offenbar auch an das englische Wort für »Freude«. Um ein charakteristisches Beispiel anzuführen: Keats' Feststellung »Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit« am Ende der »Ode on a Grecian Urn« wird »gefreudet (joyced)« zu »Körper ist Kot, Kot Körper« (RM, 204). Man kann nur schwer glauben und unmöglich nachweisen, daß diese Transformierung auch Keats hätte einfallen können. Obwohl Burke diese Zeile von Keats als »rätselhaft« bezeichnet, ist sie doch vollkommen verständlich und klar auf das Vorangehende bezogen. Kunst ist die Wahrnehmung der Wahrheit. Alles Wirkliche (und somit Wahre) ist schön. Die Gleichsetzung von Schönheit und Körper sowie Wahrheit und Kot kann nicht einmal aus der Sprachstellung herausgelesen werden. Man muß schon die phonetischen Ähnlichkeiten (truth und turd stehen lautlich weit auseinander) wie auch die begrifflichen Analogien in einem alle Glaubwürdigkeit übersteigenden Maß erzwingen. Selbst wenn es Burke gelänge, die Möglichkeit eines solchen Wortspiels nachzuweisen, bleibt immer noch unklar, wo der Erkenntnisertrag für die Interpretation eines Gedichts liegen sollte, dessen allgemeines Thema keinerlei Beziehung zu solchen idiosynkratischen Assoziationen aufweist. Der Aufsatz über KublaKhan enthält vernünftige Bemerkungen zum Aufbau des Gedichts und verficht seine Abgeschlossenheit. Doch die psychoanalytische Obsession mit Wortspielen stört dabei empfindlich. »Laute (loud)« Musik bedeute »unzüchtige (lewd)« Musik (LSA, 215). Die Erwähnung von »Wäldern« wird als implizite Anspielung auf »Holz« interpretiert und dieses wiederum als »Materie« und »Mutter« (206). Die »sonnenlose See« wird gedeutet als »der Leib-Himmel der amniotischen Flüssigkeit, die einst den Fötus mit paradiesischem Komfort umgab« (206). In einem anderen Gedicht, »Christabel«, soll Geraldine einen »prächtigen Hals« haben. Dieses Detail wird von Burke als bedeutungsvoll für das »prächtige Lusthaus« in Kubla Khan angesehen. Burke schlägt in einer Konkordanz nach und nimmt an, daß jedes Wort in Verbindung
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zu jedem anderen mit gleicher oder ähnlicher Lautung stehe und daß alle Wörter kryptisch seien. »Kryptologie ist alles«, sagt er (132). Die Suche nach Wortspielen und verborgenen Bedeutungen ist nicht der einzige Anklang an Freud bei Burke. Noch nachhaltiger vertritt er die Ansicht, der Kritiker müsse »herauszufinden suchen, was das Gedicht für den Dichter bedeutet« (PLF, 73). Das »Bedeuten« zielt nicht auf eine einfache Befriedigung durch den Schaffensprozeß und auch nicht auf eine direkte Selbstverwirklichung. Burke geht vielmehr davon aus, daß alle Menschen Schuldgefühle haben und diese abbauen möchten. Der Dichter versucht dies durch den Akt des Schreibens, der ihn reinigt und so seine Identität verwandelt. Diese Reinigung ist kein direkter Akt der Bekenntnis seiner Schuld, sondern eine persönliche Katharsis durch die Erfindung eines Symbolsystems, das als Code und als Kryptogramm gesehen werden und vom Kritiker entschlüsselt werden muß. So wird The Ancient Manner als ein »Ritual der Erlösung von seiner [Coleridges] Droge« gesehen (PLF, 96) und der Albatros als »synekdochische Darstellung von Sarah [Coleridges Frau]« begriffen (72), obwohl es keinen Beweis dafür gibt, daß Coleridge 1798, zur Entstehungszeit des Gedichtes, Laudanum im Übermaß nahm, um dadurch Schuldgefühle zu entwickeln, oder daß diese Gefühle durch ein Gedicht hätten abgebaut werden können. Warum sollte Sarah mit einem Albatros gleichgesetzt werden, der mutwillig getötet wurde? Burke versucht, eine Verbindung zwischen dem Albatros und Sarah durch den Hinweis herzustellen, daß der Albatros durch den Nebel kam, »als ob es eine christliche Seele gewesen wäre«. In einem anderen Gedicht, »The Eolian Harp«, werde Sarah eine »bescheidene Tochter in der Familie Christi« genannt. Doch offensichtlich hält diese »Parallele« (71) keiner Inspektion stand: Der Albatros wird von der Mannschaft als etwas Lebendiges in der desolaten Wasserwüste begrüßt, während die Frau des Dichters in einem völlig anderen Zusammenhang wegen ihrer pietistischen Einwände gegen Coleridges Beschäftigung mit Dichtung sanft getadelt wird. Außer dem Bezug zum Christentum haben die beiden Passagen nichts Gemeinsames. Auch ist nicht einzusehen, warum das Wort silly in der Wendung silly buckets auf das Schicksal des Lotsenjungen vorausweisen sollte, der verrückt wird (crazy), nur weil das Adjektiv silly heute an das Wort crazy denken läßt. Burke hätte den Hinweis auf silly buckets nicht »jahrelang bedenken« müssen (287). Silly bedeutet hier, wie ein Blick ins NED zeigt, »schlicht, häuslich« und hat nichts mit dem Geisteszustand der Eimer (buckets) und noch weniger mit dem des Jungen zu tun. Das Gedicht, eine Ballade, wird von Burke einfach falsch verstanden. Burkes frühere »ausschmückende« Interpretation von Keats' »Ode on a Grecian Urn« ist ein weiteres wenig überzeugendes Beispiel seiner Methode. Dort wird »Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit ist Schönheit« mit »Akt ist Szene, Szene ist Akt« gleichgesetzt, obwohl Burke diese Feststellung modifiziert durch den Hinweis auf die Wendung »schöne Haltung«, wodurch - wie er meint - der Akt eher ein Anfangsakt sei. Doch die Gleichsetzung von »Schönheit« und »Akt«
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erscheint völlig willkürlich. Die Schönheit wird durch die Urne als inaktiv und ruhig, als »stille Form« und »kalte Landschaft« dargestellt. Auch den vorangehenden Interpretationswechsel, der »Schönheit« mit »Dichtung« und »Wahrheit« mit »Wissenschaft« gleichsetzt, kann man nicht als überzeugend bezeichnen. Die Schönheit der Urne meint in erster Linie nicht die Dichtung. Es geht um die Schönheit der geformten Urne und der auf ihr dargestellten Szenen und möglicherweise auch um die Schönheit der Jungfrauen. Die Wahrheit in Keats' Gedicht meint nicht - wie Burke sagt - diejenige der modernen Wissenschaft, der Nützlichkeit und des Geschäfts, der »technologischen Genauigkeit, Kontoführung, Statistik oder Versicherungstabellen« (GM, 859). Es gibt für Burkes Schlußfolgerung keinerlei Beleg: »Es ist erfreulich, daß das Orakel die Einheit von Dichtung und Wissenschaft verkündet, weil die Werte der Technologie und des Geschäftslebens ein Auseinandertreten bewirken« (462). Auch muß man nicht die ausführliche Gleichsetzung von Liebe und Tod (die Keats in seinen Briefen entwickelt) heranziehen, um das Gedicht zu interpretieren. Burke selber bemerkt, daß das Gedicht »nicht von Liebe und Tod, sondern von ewiger Liebe« spricht (LSA, 856). Vergängliche menschliche Liebe wird in diesem Gedicht mit der unwandelbaren, aber auch unvollziehbaren, auf der Urne dargestellten Liebe kontrastiert. Ewige Liebe wird wegen ihrer Unwandelbarkeit als beneidenswert angesehen, doch sie wird auch distanziert gesehen, weil sie unerfüllbar, unwirklich, statisch und kalt ist. Es scheint mir völlig unnötig zu sein, auf die Identifizierung von Tod und sexueller Liebe als »besonders repräsentativ für die Romantik als Reflex des Geschäftslebens« hinzuweisen und »den Anteil, den der kapitalistische Individualismus bei der Anstiftung zum Vollzug spielt«, festzuhalten (GM, 450). Auch die vorkapitalistische Kultur kannte die Affinität zwischen Liebe und Tod, wie die mittelalterliche Tristan-Erzählung belegt. Burke selber bezieht sich oft auf die Bedeutung von dying als »Orgasmus«. Diese Bedeutung war im 17. Jahrhundert geläufig. Auch war Keats' Individualismus in keinem konkreten Sinne kapitalistisch. Seine bewußt politische Ausrichtung war »liberal«. Hazlitt und Leigh Hunt waren seine Freunde. Es gibt sogar eine antikapitalistische Passage in Isahella, die von Shaw überschwenglich gelobt wurde. Burke beruft sich auf die »unbezweifelbare Autorität« Shakespeares und zitiert aus »The Phoenix and the Turtle«: »Das Eigentum war so entsetzt/Daß es nicht mehr dasselbe war« (451). Doch »Eigentum« hat hier nichts mit physischen Besitztümern oder mit Kapitalismus zu tun. »Eigentum« kann hier nur die charakteristische Eigenart, das Wesen der Sache meinen. Burkes Vielzahl an Zitaten von Shelley, Shakespeare, Coleridge, Donne, Yeats und die Hinweise auf Richard Wagner, D. H. Lawrence, Leo Spitzer und Ernst Kretschmer (449-63) sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie keineswegs das Gedicht selber erhellen oder Burkes Argumente für »eine Abschaffung der Romantik durch die Romantik« stützen (447) oder die theologische Parallele vom »guten Gott, der das Gute will«, untermauern (455). Besonders im letzten
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Fall ist keinerlei Textrelevanz gegeben. Das Gedicht, das den Neid auf die Ewigkeit der Kunst zum Ausdruck bringt und weiß, daß diese Ewigkeit mit dem Leben bezahlt wird, und durch die Urne die alte platonische Identität von Wahrheit und Schönheit proklamiert, wird von Burke falsch verstanden. Seine Methode verbindet willkürliche Allegorisierung mit falsch verstandener Psychoanalyse und weit hergeholten marxistischen Analogien. Wahrscheinlich ist Burke auch mehr daran interessiert, wie ein Gedicht auf seine Zuhörer und damit auf die Gesellschaft wirkt: »Was das Gedicht dem Dichter bedeutet, bedeutet es noch längst nicht für uns« (73). In der Praxis ist Burke jedoch nicht in der Lage, zwischen der Zufriedenstellung des Dichters und der des Publikums zu unterscheiden. Die Entbürdungdes Dichters, seine Reinigung, seine »Sühnestrategie« wird vom Publikum geteilt, das sich dadurch auch selber reinigt (LSA, 188). Die Aristotelische Katharsis versteht Burke als medizinische Purgation und gründet auf diese Vorstellung seine eigene Überzeugung von der Wirkung der Kunst. Die Tragödie ist für ihn die literarische Grundgattung, die maßgeblich ist für alle Wortkunst, alle sprachliche Gestaltung und sogar alles menschliche Verhalten. Darum nennt er seine Philosophie auch »Dramatismus«. In der Literaturkritik hat diese Philosophie eine gewisse Plausibilität für die Analyse von Tragödien, doch mit Bezug auf andere Gattungen ist sie unzureichend. Burkes Interpretation von Antony and Cleopatra ist ein günstiges Beispiel für seine Methode. Das Publikum, erfahren wir, identifiziert sich mit den beiden Liebenden: Es fühlt sich »geadelt« durch deren Großartigkeit (LSA, 102). Der »globale« Aspekt der Liebe, das Bühnenbild, Liebe als Politik - alles dient als »Mittel der Erweiterung« (103). Irgendwie, meint Burke, schmeichle die Handlung »jedem Zuschauer durch die Pracht der Hofhaltung« (105). Um das ganze unter soziopolitischem Aspekt zu sehen, bezeichnet Burke es als »unterstützt und gefördert durch den beginnenden Imperialismus« im England des frühen 17. Jahrhunderts. Selbst die Eunuchen in Shakespeares Drama dienen diesem Zweck. Durch die »vielen bezeichnenden Anspielungen auf die Benachteiligung der Eunuchen« entwickle das Drama eine »Situation, die allen Männern unter den Zuschauern suggeriert, zur selben Klasse wie Antony zu gehören. Solche Klassifizierung durch Kontrast ermöglichte es Shakespeare, Antonys außergewöhnliche Liebeskraft zu betonen, ohne Risiko, daß jemand, der keine solche ausgeprägte Liebeskraft besitzt, sich nicht mehr mit Antony identifizieren kann« (105-06). Doch diese »Zurschaustellung... der Liebeskraft« ist übertrieben. Die Liebenden gehen unter: »Außer der mitfühlenden Anteilnahme für die beiden großartigen Selbstmörder ergeben sich auch die Bedingungen für eine Reinigung. Die Demütigen und Mäßigen können Gott danken, daß sie persönlich nicht an dieser Unmäßigkeit leiden« (108). Burke sieht in dieser »Bestrafung« der Unmäßigkeit eine »frühpuritanische« Weltsicht (108), wobei er übersieht, daß es hier um historische Fakten geht, die von Plutarch berichtet werden und sich auch in
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den Tragödien anderer Epochen finden. Der beginnende »Puritanismus« (bei Shakespeare oder bei seinen Zuschauern »beginnend«?) ist für das Drama irrelevant. Die gesamte Spekulation über die angebliche Wirkung des Dramas auf das elisabethanische Publikum ist ziemlich dürftig: Burke übersieht die Charakterisierung Cleopatras als bewußte Kokotte und Antonys als Liebesnarr. Erst in den letzten Szenen entwickeln sich die beiden Titelfiguren zu heroischer Größe. Cleopatra verhandelt mit Augustus bis zum allerletzten Augenblick. Das Prinzip der Identifizierung des Publikums mit den dramatischen Figuren kann für andere Shakespeare-Dramen von Burke nur sehr mühsam aufrechterhalten werden. Coriolanus erscheint als Opfer, »das die Reinigung des Publikums ermöglicht« (LSA, 87). Doch Burke hat Schwierigkeiten zu zeigen, daß man sich je mit Coriolanus identifizieren konnte oder wovon man sich angeblich reinigen muß. Er meint, daß soziale Spaltungen, »die Freuden der Parteiung«, die Schuld darstellten, an der wir litten, und daß wir gereinigt würden »dank seiner Überbetonung dieses Sachverhalts« (89). Burke versucht, diese Ansicht zu untermauern durch den Hinweis auf eine soziale Spaltung zur Zeit der Erstaufführung des Dramas. Er findet diese Spaltung in den Aufständen anläßlich der Einzäunungsgesetze (enclosure acts), die Grundbesitzer und Bauern gegeneinander aufbrachten (82). Man kann jedoch bezweifeln, daß das Londoner Publikum den Konflikt zwischen dem stolzen und verletzenden Coriolanus, »dem einsamen Drachen«, und dem römischen Mob mit einem Konflikt im zeitgenössischen England identifizierte. Burke wertet Coriolanus ab: Er erinnere an eine »Figur des Satyrspiels« (92). Er sei ein »Großmaul«, ein »Meister im Schmähen«. Dies erlaubt Burke, seiner Obsession zu fröhnen: Beschimpfungen sind »fäkalisch«, und Coriolanus werde mit Recht als »CoriolEigentumBesitz, Besitzer und Entfremdung (Androhung des Verlusts)Göttinperversleiten< immer auf den Nationalsozialismus hinweisen, und jede Verwendung des Wortes »Straße« wäre eine Anspielung auf den vergessenen Gauleiter Gregor Strasser. Die Interpretation von Faust II ist weniger abschreckend: Burke konzentriert sich hier auf Schlüsselwörter, die er in Paul Fischers Goethe-Wortschatz nachschlug (LSA, 174). Befremdlich erscheint mir jedoch die unhaltbare Gleichsetzung von Dr. Faust mit Doktor Marianus (182-83). Wenn überhaupt, wäre Dr. Marianus mit St. Bernard in Dantes Paradiso zu vergleichen. Auch die In-
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terpretation der Schlußzeile »das Ewig-Weibliche / Zieht uns hinan« ist überaus plump. Burke sieht hier »Unentschlossenheit«: »Für mich bedeutet >ewighöhere Form der Wahrheit< gegenüber der Wissenschaft abzugrenzen« (226). Für Burke ist Kunst mit Überredungskunst und Rhetorik gleichzusetzen, sie hat in der Tat nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Sie ist vielmehr die Erfindung eines Systems von Symbolen. Dies erinnert an Ernst Cassirers Vorstellungen in Die Philosophie der symbolischen Formen (3 Bde., 1923-29). Doch Burke selber weist auf den Unterschied zu Cassirer hin: Cassirers Ansichten seien naturwissenschaftlich beeinflußt. Cassirer sehe symbolischen Mythos, Sprache und die Kategorien als Instrumente der Erkenntnis. Burke dagegen kehrt zu der älteren Tradition zurück, nach der Gegenstände und Wörter gleichgesetzt werden (LSA, 23). In dem Aufsatz »A Dramatic View of the Origins of Language« wird diese Auffassung näher ausgeführt, und das »Negative« wird als eine »spezifisch sprachliche Möglichkeit« erläutert (419). Die Vorstellung, daß der Säugling durch die Ablehnung der Mutterbrust eine Geste vorsprachlicher Verneinung äußerte, erscheint nicht überzeugend. Der von Burke vertretene sprachliche Realismus impliziert zugleich Skeptizismus, Probabilismus, Relativismus oder - in Burkes Formulierung - »Perspektivismus«. Perspektivismus versteht Burke allerdings anders als Ortega y Gasset oder etwa auch ich. Er meint damit eine Form der »Unzulänglichkeit«, wie etwa Benjamin De Mott nachweist (in Rueckert, Critical Responses, 361). Ich bezweifle allerdings weder Burkes großes Engagement für 40 Wellek, Literaturkririk 4/1
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soziale und politische Ziele noch sein intensives Empfinden für die biologischen Grundlagen des menschlichen Lebens, auch wenn dies in seinen Schriften durch allegorische und wortspielerische Ausdrucksweisen verdeckt wird. Doch Burkes Perspektivismus oder »komischer Rahmen« (eine Version der romantischen Ironie, die von Thomas Mann stammt, den Burke übersetzte und überaus bewunderte) führt zu einem Okkasionalismus, der den Gedanken der Kausalität ablehnt und die wissenschaftliche Weltordnung in Frage stellt. Diese Auffassung führt schließlich dazu, daß Burke jede Überzeugung von der Möglichkeit richtiger Interpretation ablehnt und eine völlige Freiheit der Interpretation vertritt. Burke gelangt schließlich zu einem universalen Symbolismus; ähnlich wie Emerson oder Carlyle vertritt er die Auffassung, daß »jeder Schlauch auf jeden Hydranten paßt« (^3 : 37> ^4:121). Dies führt notwendigerweise zur Gleichgültigkeit gegenüber ästhetischen Werten und Rangordnungen wie auch zu einer unhistorischen Literaturauffassung. Abgesehen von einigen Exkursen über die Periodisierung bei Marx und Spengler wird Literatur unabhängig von ihren Zeitbezügen erörtert. Blackmurs Vorwürfe, diese Methode könne »mit demselben Erfolg auf Shakespeare, Dashiell Hammett oder Marie Corelli« angewandt werden, wird von Burke akzeptiert (Language as Gesture [1982], 393). Er verteidigt sein Vorgehen allerdings mit dem Hinweis: »Man kann Marie Corelli und Shakespeare nicht gegeneinander abgrenzen, wenn man sie nicht vorher zueinander in Beziehung gesetzt hat« (PLF, 302). Dies wäre eine gute Verteidigung einer allgemeinen Literaturtheorie als Produktionstheorie, wenn Burke je zu einer Abgrenzung zwischen Shakespeare und Marie Corelli gelangt wäre. Doch daran ist er nicht im geringsten interessiert: Er setzt Texte der unterschiedlichsten ästhetischen Qualität und historischen Provenienz gleich und erörtert übergangslos Aischylos und Odets, Shakespeare und William Carlos Williams, indem er die Texte als Anlaß für seine Spekulationen benutzt. Die Literatur wird in seiner Theorie in ein so umfassendes System sprachlicher Handlung oder Rhetorik gestellt, daß Dichtung als Kunst aus dem Blick gerät. Das Kunstwerk wird in eine Folge von Anspielungen, Wortspielen und Bildsequenzen aufgelöst ohne Rücksicht auf seine Ganzheit oder Einheit. Der eigentliche künstlerische Aspekt geht unter, und es ist unklar, welche Absicht mit dem Kunstwerk verfolgt wurde. In einer eigenartigen Verkehrung der Werte werden Sprache und Literatur abgewertet. Einerseits sagt er: »Das Denken ist weitgehend ein sprachliches Produkt« (PLF, 163); und: »Das Leben ist ein Gedicht« (SC, 254). Zum anderen jedoch behauptet er: »Kopfschmerzen sind >authentischer< als eine große Tragödie« (76-77), oder auch: »Das geringste Leben steht weit über dem edelsten Gedicht« (x). Bei Bu ;ke stehen die Extrempositionen dicht beieinander, Unterschiede scheinen bedeutungslos zu werden. Die Gesetze der Evidenz haben für ihn keine Gültigkeit. Vielmehr bewegt er sich in einem selbstgeschaffenen Universum der Wörter, in dem alles alles bedeuten kann.
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AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE Counter-Statement (1931). 2. Ausg. 1953, zit. als CS. Permanence and Change (1935)· Zit. als PC. Attitudes toward History (1937). Ndr. 1961, zit. als AH. The Philosophy of Literary Form (1941). Zit. als PLR A Grammar of Motives (1945). Zit. als GM. A Rhetoric of Motives (1950). Zit. als RM. Perspectives by Incongruity, hg. v. Stanley E. Hyman (1964). Zit. als PL Language as Symbolic Action (1966). Zit. als LSA. Kenneth Burke schrieb eine lange Entgegnung auf meinen ursprünglichen Aufsatz »Kenneth Burke and Literary Criticism« (Sewanee Review 79 [1971]: 171-88), mit dem Titel »As I Was Saying« in Michigan Quarterly Review 40 (1972): 9—27. Ich habe meinen Text hier dennoch unverändert nachgedruckt. Austin Warren. »Kenneth Burke: His Mind and Art«, Sewanee Review 41 (1933): 225—36, 344-64. Sidney Hook. »The Technique of Mystification«, Partisan Review 4 (1937): 57-64. Bernard Duffy. »Reality as Language: Kenneth Burke's Theory of Poetry«, Western Review 12 (1948): 132-45. Marius Bewley. »Kenneth Burke as Literary Critic«, in The Complex Fate (1952), S. 211-43. Luciano Gallino. »Kenneth Burke e la critica americana«, Studi Americans 3 (1957): 315—46. George Knox. Critical Moments: Kenneth Burke's Categories and Critiques (1957). William Rueckert. Kenneth Burke and the Drama of Human Relations (1963). William Rueckert, H g. Critical Responses to Kenneth Burke, 1924-1966 (1968). Enthält eine Bibliographie von Burkes Schriften sowie der Schriften über ihn. Armin Paul Frank. Kenneth Burke (1969). Hayden White und Margaret Brose, Hg. Representing Kenneth Burke (1982). Eine Festschrift. Einige Aufsätze betreffen die Literaturkritik.
KAPITEL 15
YVOR WINTERS (1900-1968)
In seinem letzten und umfänglichsten Werk Forms of Discovery (1967) schreibt Yvor Winters: »Es ist an der Zeit, daß ich meinem treuen Leser, auch wenn ihm dies unangenehm sein sollte, folgendes sage: Auf dem Gebiet der Dichtung betrachte ich mich sowohl in theoretischer wie in historischer und praktischer Hinsicht als Experten« (FD, 346). Dies sollten wir Winters vorbehaltlos zugestehen. Über Jahrzehnte hat er eine gut verständliche Dichtungsauffassung vertreten und diese auch immer wieder klar formuliert: Dichtung ist »die in Worte gefaßte Mitteilung menschlicher Erfahrung« (DR, n). Diese Mitteilung ist rational nachvollziehbar, da Wörter Begriffe sind. Sie unterscheidet sich jedoch von einer rein philosophischen oder theoretischen Mitteilung durch einen »bestimmten Gefühlsanteil« (363). Jedes Wort hat neben seiner begrifflichen Bedeutung auch eine gefühlsmäßige Bedeutung. Der Dichter fügt beide Bedeutungen Begriff und Gefühl oder wie Winters es nennt: »Motiv und Emotion« - zusammen (365). In geläufigerer Terminologie, wie auch Winters sie häufig benutzt, verwendet die Dichtung denotative Wörter, Begriffe und Inhalte, um Konnotationen herzustellen, die Gefühle und Haltungen ergeben und schließlich zu Urteilen auffordern. In dieser Formulierung ist uns Winters' Theorie sehr vertraut: Wenn die Kunst eine wahre oder falsche Aussage über die Wirklichkeit macht, repräsentiert und erzeugt sie zugleich eine »spezifische und nicht zu beschreibende« Emotion (CH, 305; DR, 20). Aber anders als Eliot und Coleridge in ihren Theorien über die Einheit von Denken und Fühlen betont Winters, daß diese Einheit durch einen Akt moralischer Beurteilung und nicht durch einen Akt der Einbildungskraft erreicht wird (DR, 370). Winters betont immer wieder, daß »die einzige Zielsetzung der Dichtung ihr ethisches Interesse ist«. Alle Dichtung nämlich »handelt auf irgendeine Weise von menschlicher Erfahrung. Der Wert der Dichtung richtet sich danach, wie angemessen sie diese Erfahrung bewertet« (505). »In Ermangelung eines besseren Ausdrucks« nennt Winters diese Theorie »moralistisch« (3). Dieser Moralismus ist jedoch kein gewöhnlicher Didaktizismus. »Moral« wird von ihm in einem sehr allgemeinen Sinn verwendet: Oft meint sie die Unterscheidungsfähigkeit, die Empfindung von Wahrheit und Lüge und nicht nur das Empfinden für richtig
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und falsch. Somit ist Dichtung eine »Technik der Kontemplation« oder »ein Akt der Meditation« (491), die »die Intelligenz schärfen und die Moral stärken« sollen (CH, 317; DR, 29). 1929 sagt Winters sogar: »Die Wurzel des Bösen liegt in der Emotion; das Gute basiert auf der rationalen Entscheidungsfähigkeit.« Er stimmt mit den Stoikern überein, daß der Mensch nach einem »kontrollierten und harmonischen Leben streben soll«, daß »das höchstmögliche Stadium des Bewußtseins anzustreben« sei und daß die Künste »eine überaus schwierige emotionale Disziplin« darstellen (UER, 221-23). Das Urteil, wie es in einem Gedicht ausgesprochen wird, wird durch die Kritik erneut einer Beurteilung unterzogen. Die Kritik muß sich auf konstante Prinzipien und auf eine Grundvorstellung von Gut und Böse berufen. 1929 sagt Winters: »Die Überzeugung, eine solche Vorstellung von Gut und Böse könne nur auf göttlicher Offenbarung beruhen, erscheint mir unbegründet.« Eine von der Religion unabhängige Ethik sei schließlich schon von Aristoteles ausgearbeitet worden. Wenn man diese als Naturalismus begreifen wolle, so sei dagegen nichts einzuwenden (UER, 220). Im Vorwort zu In Defense of Reason (1947) räumt Winters später ein: »Ich komme nicht umhin zuzugeben, daß mein Absolutismus eine theistische Komponente enthält« (DR, 14). »Die primäre Funktion der Literaturkritik ist die Bewertung.« - »Ohne ein praktikables Bewertungssystem ist die Literaturkritik wenig wert« (FC, 17). Dieses System muß nicht nur die Abgrenzung der Kunst gegen die Nicht-Kunst leisten. Es muß auch in der Lage sein, innerhalb des literarischen Kanons die relative Qualität eines Gedichtes, einer Strophe, eines Verses, einer Metapher und sogar eines Wortes feststellen zu können. Diese Konzentration auf die Aufstellung von literarischen Rangordnungen hebt ihn gegenüber allen anderen amerikanischen Kritikern hervor. Er vertritt seine Bewertungskriterien mit großer Entschiedenheit. Einwände werden nicht akzeptiert. Lediglich einmal dementiert er vorsichtig den Anspruch, er habe persönlich freien Zugang zu diesen absoluten Werten und seine eigenen Urteile seien endgültig (DR, 10). Auch bezweifelt er an einer Stelle, daß das Urteil des Kritikers präzise vermittelt werden könne. Dies steht im Gegensatz zu seiner sonstigen Auffassung, daß die Beurteilung des Kritikers direkt auf die vom Dichter formulierte Beurteilung eines Sachverhalts zurückgreife (372). Generell sind solche Einschränkungen bei Winters jedoch nur selten zu finden. Statt dessen sucht er seine Ansichten durch Argumente abzusichern. Er grenzt seine eigene Auffassung gegen andere Theorien ab, erhärtet sie durch Beispiele und durch ein ausführliches literaturgeschichtliches System der englischen Dichtung. Entschieden grenzt sich Winters gegen andere literaturtheoretische Konzepte ab. Einfache didaktische Theorien lehnt er ab mit der Begründung, daß »der paraphrasierbare Inhalt eines Kunstwerks niemals dem Kunstwerk entspricht« und daß »eine Moral viel treffender in einem expositorischen Text zum Ausdruck gebracht werden« könne (DR, 4). Beispielsweise tadelt er Vernon L. Parrington,
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weil dieser »die Qualität des Gefühls, mit der der paraphrasierbare Inhalt mitgeteilt werde, übersieht... Damit läßt er den endgültigen und ursprünglichen Akt der Beurteilung außer acht, der dem Gedicht seine entscheidende poetische Identität verleiht« (559-60). Der amerikanische Humanismus wird als eine Form des Didaktizismus angesehen, die übersieht, daß »der poetische Gehalt unlösbar mit dem Gefühl, dem Stil, dem Unübersetzbaren verbunden ist und daher nicht auf eine Formel reduziert werden kann« (UER, 224). Winters lehnt ebenfalls die hedonistische Kunstauffassung ab, derzufolge Kunst Vergnügen bereite oder unsere Erfahrung intensiviere. Die Auffassung von Kunst als Möglichkeit der Selbstverwirklichung lehnt er als in höchstem Maße romantisch ab: »Im Schaffensprozeß muß der Künstler selbst in seinem Gegenstand aufgehen« (UER, 198). Der Künstler muß unpersönlich vorgehen; das Nachgeben gegenüber persönlichen Gefühlen führt zum Manierismus, zum Subjektivismus, zum Automatismus und schließlich sogar zum Wahnsinn. Alle diese Fehlhaltungen lastet Winters der Romantik an. Ebenso unbefangen verwirft er den Gedanken der Mimesis: »Dieser Gedanke der Mimesis ist falsch, daß die Dichtung aus Wörtern besteht, deren grundsätzliches Merkmal die Abstraktion ist« (DR, 522). Obwohl zugegebenermaßen in der Literatur die Wirklichkeit versprachlicht wird, berührt Winters' Einwand das eigentliche Problem der Repräsentation nicht. Auch die Katharsis wird abgelehnt: Ransoms Interpretation der Katharsis (die der von Bernays folgt) wertet die Dichtung nach Winters' Meinung ab und macht sie zu einer »obskuren Form der Selbstbetrachtung«. Aristoteles, so äußert sich Winters, »hätte sich auch etwas Besseres einfallen lassen können« (553). An anderer Stelle bekennt Winters sich zur aristotelischen Ethiktradition besonders in der Form, wie sie sich bei Thomas von Aquin findet (UER, 222). Thomas von Aquin habe, so äußert Winters, »wahrscheinlich das sorgfältigste und überzeugendste moralphilosophische System entwickelt, das die Welt jemals gesehen hat« (DR, 374-75). Man sollte Winters jedoch keinesfalls als Aristoteliker oder Thomisten bezeichnen. Nachdrücklich betont er, daß er kein Christ sei (408); in scharfer Form wendet er sich gegen die Ästhetik der Neothomisten Maritain und Gilson (FD, xii). In seiner praktischen Arbeit verfällt Winters selber den Fehlern, vor denen er gewarnt hat. Immer wieder erörtert er den beschreibbaren Inhalt eines Gedichts, schließt vom Wesen der Dichtung auf den Dichter selbst und muß sich auf die in der Dichtung dargestellte Wirklichkeit beziehen. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn er die Genauigkeit einer Beschreibung - oft sehr detailliert - beurteilt (man vergleiche hierzu die Bemerkungen über Tates Jaguar [DR, 530-31] oder über die Klapperschlange in einem Gedicht von Alan Stephens [FD, 341]). Doch durchgängig wendet sich Winters gegen die deterministische Betrachtung der Beziehung Werk-Autor bzw. Autor-Zeit. Er prägte den Begriff »Fehlschluß der expressiven oder imitativen Form« (DR, 41). Dieser Begriff bezieht sich auf die
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Auffassung, daß ein chaotisches Leben sich auch in einer chaotischen Form ausdrücken müsse bzw. daß ein chaotisches Thema oder eine chaotische Zeit eine entsprechend chaotische Dichtung verlange. Winters führt diese Überzeugung auf Henry Adams zurück (414, auch 49/A.), aber er findet diese Auffassung auch im Begriff »Zeitgeist« wieder. Er sieht darin eine Konsequenz aus der Lehre von der organischen Form (453), die er gleichsetzt mit einem Determinismus, wie ihn Taine vertritt (482), und mit »der Auffassung, daß Thema, Sprache, Über-Ich oder andere Sachverhalte unmittelbar durch den Dichter als Medium zum Ausdruck gelangen« (585). Hier liegt ein offensichtliches Mißverständnis der von Aristoteles abgeleiteten Grundvorstellung vor. An keiner Stelle findet sich eine Erörterung komplizierterer Kunsttheorien. Die im wesentlichen in Deutschland entwickelte - Haupttradition der modernen Ästhetik scheint ihm gänzlich unbekannt zu sein. Zum einen lehnt er die Überzeugung ab, daß die Künste eine gemeinsame Basis hätten (DR, 518; FD, xii); zum anderen deutet er den Anspruch der Ästhetik als ein Eintreten für eine l'artpour /'dri-Auffassung und für einen reinen Hedonismus. Er weigert sich, das Problem des »Scheins«, der »Illusion«, oder der »ästhetischen Distanz« zu sehen. Er kommentiert Eliots Begriff »autotelisch« (DR, 461 ff.) und Ransoms (von Croce übernommene) Unterscheidung zwischen »dem praktischen und dem ästhetischen Stadium« (508) auf so verschwommene Weise, daß man daraus auf seine völlige Unkenntnis dieser Sachverhalte schließen muß. Obgleich seine theoretischen Kenntnisse sehr begrenzt sind, sind Winters' Definitionen dennoch von Bedeutung für die Literaturkritik. Vor allem in seinem ersten Buch, Primitivism and Decadence (1937), bemüht Winters sich, durch genaue Analysen von Dichtungstechniken zu einer Klassifizierung und Rangordnung von Dichtungstypen zu gelangen. Er übernimmt die Unterscheidungskriterien aus Kenneth Burkes Counter-Statement, benutzt sie jedoch zur Bewertung. Burke selber hatte - wie Winters sofort bemerkte - nicht die Kraft zum Urteil gefunden und verfiel daher dem Relativismus (DR, 74). Winters unterscheidet verschiedene Methoden oder Techniken der Dichtung: Die Methode der Wiederholung lehnt er ab; der logischen und narrativen Methode stimmt er zu; weiter erwähnt er noch die Methode der »Pseudoreferenz«, worunter er beispielsweise den Bezug auf einen fiktiven plot (46) oder einen fiktiven symbolischen Wert (47) oder aber ein fiktives Prinzip der Handlungsmotivierung (51) versteht. Ein fünfter Typ wird als »qualitative Progression« bezeichnet. Darunter verstehen Winters und Burke rein assoziative Sequenzen, wie sie zum Beispiel der stream of consciousness darstellt. Als letztes nennt er »Doppeldeutigkeit«, die Antiklimax und romantische Ironie beinhaltet. Antiklimax und romantische Ironie deuten auf einen »Zustand moralischer Unsicherheit« (70) und werden daher als »fehlgeleitete Gefühle« angesehen (88). Diese Klassifizierung ermöglicht es Winters, die Werke moderner englischer und amerikanischer Autoren in unterschiedliche Dichtungstypen einzuteilen und sie
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dennoch nach einem durchgehenden Maßstab zu beurteilen: Enthält das Gedicht eine rationale Feststellung, vermittelt es seine Aussage über das Gefühl, und wird die Aussage als moralische Erfahrung bewertet? (Darunter soll natürlich nicht die Abstraktion von der Erfahrung, sondern die Konzentration der Erfahrung verstanden werden.) »Die Verbindlichkeit der emotionalen Referenz eines Gedichtes steht in direktem Verhältnis zu der Möglichkeit, keine abstrakten Schlußfolgerungen daraus zu ziehen« (UER, 264). In Anlehnung an Hegel unterscheidet Winters die Kategorie der konkreten und der abstrakten Allgemeinheit; er arbeitet jedoch diese Unterscheidung an keiner Stelle exakt aus. Da das Gedicht als direkte, verbindliche und ernsthafte Äußerung des Autors begriffen wird, wendet Winters sich gegen alles »Dramatische«, weil dort die Meinung des Autors durch verschiedene und untergeordnete Intelligenzen zum Ausdruck komme. Lange vor Wayne Booths Buch Rhetoric of Fiction wendet er sich gegen die von Flaubert und Henry James vertretene Romantheorie, daß »der Autor völlig aus der Perspektive seiner Figuren schreiben sollte« (DR, 38). Winters hält dies für einen »Aberglauben«, der seiner Meinung nach in Hemingways Kurzgeschichten über Berufsboxer und Matadore bis zur Absurdität geführt werde. Bei Flaubert allerdings, so räumt Winters ein, werde dieses Defizit wenigstens teilweise durch die hohe Qualität des Stils ausgeglichen, und bei Henry James seien die Charaktere so ausgeformt, daß sich ihr Bewußtseinsstand nicht mehr von dem des Autors unterscheide (39). Sehr einfühlsam kommentiert Winters James' ausgeprägtes moralisches Empfinden, das dieser in Situationen vorführt, die seinen Figuren maximale Freiheit geben. Hierin sieht Winters eine Rechtfertigung für James' Vorliebe für Millionäre und Prinzen. Winters stellt jedoch bei James eine grundlegende Unklarheit fest, »ein Übermaß an Gefühlen weit über den jeweiligen Anlaß hinaus« (DR, 327). Er wendet sich außerdem gegen James' Ambiguität. Unsere Einschätzung von Chad Newsome in The Ambassadors und Owen Gareth in The Spoils of Poynton bleibt bis zum Ende des Romans unentschieden. Winters bemerkt hierzu treffend: »Dies mag für das Leben zutreffend sein, für die Kunst ist es jedoch nicht adäquat, denn ein Kunstwerk ist Bewertung und Beurteilung einer Erfahrung« (334). Winters faßt seine Einschätzung von James folgendermaßen zusammen: »James hatte ein zu ausgeprägtes moralisches Empfinden, war jedoch ein unzureichender Moralist.« Dennoch hält Winters ihn für »den größten englischsprachigen Romanschriftsteller« (336). Nachdem Winters Henry James' Fähigkeit der Figurenzeichnung und »die große Anzahl der von ihm geschaffenen großartigen Menschen« überschwenglich gelobt hat (DR, 342), schließt er seine Ausführungen überraschend mit höchstem Lob für Edith Whartons Age of Innocence, das er als »die edelste Blüte in der Nachfolge James'« bezeichnet, und für The Valley of Decision, das er als »jedem einzelnen Werk von Henry James überlegen« ansieht (342). Dadurch stellt er diesen letzten Roman indirekt als bedeutendstes Werk der englischsprachigen Dichtung
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vor. Winters begründet sein überschwengliches Lob von Edith Wharton damit, daß diese die moralischen Themen weitaus präziser formulierte, als es James jemals vermocht habe (310). Dennoch beurteilt er ihre schriftstellerischen Fähigkeiten, abgesehen von den beiden überaus positiv beurteilten Romanen, eher als »mittelmäßig, wenn nicht schlecht« (342). Winters' humorlose Ernsthaftigkeit nimmt ihn gegen jede Form der Ambiguität, Ironie und Unklarheit in der Motivation und im moralischen Urteilen ein; auch jede Form des Dramatischen, wenn sie die Darstellung einer dem Autor geistig unterlegenen Figur einschließt, wird abgelehnt. Dies ist offensichtlich der Haupteinwand auch gegen das Drama als Gattung. Man gewinnt den Eindruck, daß Winters keinerlei Interesse für das Theater zeigt. Mit fast komisch anmutender Heftigkeit setzt er Schauspieler und Schauspielkunst herab (FC, 85; FD, 127): »Generell, denke ich, könnte die Welt gut ohne Schauspieler auskommen«. Bei einer Erörterung von Macbeth, »das großartigste Drama, das ich kenne und ein Meisterwerk der Literatur« (FC, 55), bemüht er sich nachzuweisen, daß die Schwächen des Dramas durch das Medium Theater bedingt seien. Weil Shakespeare bei der Darstellung von Macbeths Verbrechen und der bei Macbeth nur stufenweise erfolgenden Erkenntnis der Konsequenzen gezwungen ist, seinen Helden in verschiedenen Stadien der Verworrenheit, der Befangenheit und eines nur unvollkommenen Bewußtseinsstandes sprechen zu lassen, kann er auch nur inferiore Dichtung zustandebringen. Zur großen Dichtung gelangt er erst in der Rede: »Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow« (27-28). Mit einiger Selbstgefälligkeit behauptet Winters, daß der Roman in unserer Gegenwart nahezu, das Drama aber bereits vollständig »tot« sei (39). Da das Epos schon seit langer Zeit eine »tote» Form ist (46), bleibt nur noch die lyrische Gattung oder, wie Winters sagt, das kurze Gedicht als die Kunstform, die Zukunft hat. Das Gedicht stellt nach Winters die höchste Kunstform dar (74). An zweiter Stelle steht für Winters die »literarische« Historiographie, weil diese erzählt und moralische Urteile fällt: Hume, Gibbon, Macaulay werden genannt und die Amerikaner Motley, Prescott, Parkman. Henry Adams' History of the United States during the Administration of Thomas Jefferson and James Madison wird ausdrücklich zitiert. Winters spricht abfällig über Carlyle: »Am besten äußert man sich möglichst wenig über Carlyle« (DR, 422A.). Ausländische Historiker werden nicht einmal erwähnt. Die von ihm bevorzugten Historiker kommentiert er durchaus mit Sachverstand. Obwohl er Adams positiv gegenübersteht, bezweifelt er jedoch, daß dieser »tatsächlich einen neuen Stil und ein völlig neues Konzept der Historiographie eingeführt« habe (422) oder daß die History zu den »größten Geschichtswerken in englischer Sprache« gehöre (415). Adams' »Interesse an psychologischer Motivierung« (422), seine Kunst der Charakterzeichnung waren um 1800 kaum mehr als innovativ anzusehen. Winters' Hauptinteresse richtet sich jedoch auf die englische und amerikanische lyrische Dichtung von Wyatt bis zu seinen eigenen Schülern. Daneben interes-
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sierte er sich auch für die französische Lyrik von Baudelaire bis Valery. Schon 1930 zählt er Baudelaire »ohne Zweifel zu den drei oder vier Hauptvertretern einer wahrhaft humanen Dichtungsform, die in den vergangenen zweihundert Jahren zu finden sind« (CH, 330). Obgleich Winters die Reminiszenzen des romantischen Denkens bei Baudelaire bedauert, meint er jedoch, daß gerade »die Erkenntnis der grundlegenden Verderblichkeit romantischen Denkens und die Spuren der katholischen Erziehung Baudelaire eine tiefgehende Einsicht in die menschliche Schwäche ermöglichen, die er in seinen großen Gedichten behandelt. Welche Mängel Baudelaires Les Fleurs du malauch haben mögen: Insgesamt ist dieses Werk von herausragender Größe; es enthält einige der bedeutendsten Gedichte, die jemals geschrieben wurden« (FC, 63). Drei Gedichte führt Winters namentlich auf: »Les Petites Vieilles«, »Le Goüt du neant« und »Le Mort joyeux« (FD, 188). Auch Rimbaud und Mallarme hält Winters für »weitaus begabtere Dichter als Blake« (FC, 68). Nur Mallarmes »L'Apres-Midi d'un faune« wird ausführlich erörtert als Beispiel für einen Methodenwechsel, der durch »zwei alternierende Bewegungen« bewirkt wird (UER, 255-56). Winters' größte Begeisterung gilt allerdings Valery und hier besonders den Gedichten »Le Cimetiere marin« und »Ebauche d'un serpent«, die er für die beiden größten Gedichte überhaupt hält (FC, 63). »Ebauche d'un serpent« erhält dabei gegenüber »Le Cimentiere marin« den Vorzug. Sorgfältig beschreibt Winters die Kernaussage. Es ist jedoch zweifelhaft, ob das Thema tatsächlich »zutiefst tragisch« ist oder ob man es als das »grundlegende Thema für eine Tragödie schlechthin« bezeichnen kann (65). Eindeutig hat Allen Täte mit seinem Einwand recht: »Was Winters als Thema der Tragödie beschreibt, scheint mir lediglich das historische Paradox von Unvollkommenheit und Bosheit zu sein« (Memoirs and Opinions [1975], 137). Obwohl »Ebauche d'un serpent« Elemente »der dramatischen und der assoziativen Methode enthält, bleibt das wesentliche Merkmal der lyrischen Methode, die Darstellung oder der besondere Vorzug einer möglichst scharfsinnigen Schreibweise, erhalten« (FC, 66). Winters schließt mit der Feststellung: »Ebauche d'un serpent« ist »meiner Meinung nach ohne jede Einschränkung das größte Gedicht, das ich jemals gelesen habe« (74). Die Sicherheit, mit der Winters diese Behauptung vorträgt, überrascht. Winters erörtert weder deutsche, italienische, spanische noch russische Dichter oder Romanschriftsteller. Nicht ernst zu nehmen sind offensichtlich seine lapidare Kommentierung Goethes und der gesamten deutschen Dichtung: Er zitiert zwei Verse aus dem »Mailied«, einem sehr frühen Gedicht von 1771: »O Erd! O Sonne! O Glück! O Lust!« und bezeichnet sie als typisch deutsch, in Hinsicht auf ihren literarischen Wert jedoch als »zu vernachlässigen« (UER, 193). An einer Stelle wertet er die Allegorie des Panthers im ersten Gesang von Dantes Inferno als »eine sehr sanfte Darstellung der Lust« ab (FC, 45). Diese Bemerkung findet sich im Zusammenhang einer pauschalen Ablehnung der Allegorie insgesamt; besonders kritisch setzt er sich mit Spensers Verwendung der Allegorie in The
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Faerie Qtteene auseinander (44). Obwohl er Hawthorne und Melville grundsätzlich bewundert, lehnt er ihre Allegorisierungen ebenfalls ab. Moby Dick ist nach Winters eher als Epos denn als Roman zu bezeichnen (DR, 219). Dieses Lob überrascht, da Winters sonst die Epik abwertet: Weder Le Cidnoch La Chanson de Roland noch die Aeneis oder Ilias vermögen ihn zu beeindrucken (FC, 41-42). Paradise Lost wird sogar mehrfach abfällig kommentiert: »Die Lektüre Miltons erfordert mehr als die Bereitschaft zur Leichtgläubigkeit. Sie erfordert geradezu die Bereitschaft zur Dummheit« (43). Der größte Teil von Winters' Publikationen befaßt sich mit Lyrik und der Geschichte der Lyrik in England und den Vereinigten Staaten. In seinem letzten Buch, Forms of Discovery, wird diese kritische Geschichte der Lyrik am ausführlichsten, allerdings auch sehr dogmatisch dargelegt. Vorentwürfe finden sich jedoch schon sehr früh. Winters zielt auf eine völlige Umwertung der durch die Theorie der Geistesgeschichte etablierten Werte. Es erscheint mir am sinnvollsten, Winters Ansichten entsprechend der Chronologie der englischen und amerikanischen Dichtung nachzuzeichnen. Nur wenige Anspielungen finden sich auf Chaucer und andere mittelalterliche Dichter. Trotz seiner Vorliebe für Thomas von Aquin hat er kaum Interesse an der mittelalterlichen Gesellschaft. Henry Adams' Glorifizierung des 13. Jahrhunderts kritisiert er und sieht hier »lediglich eine Form der romantischen Vorstellung vom Goldenen Zeitalter« (DR, 411). Die Idee des »Zeitgeistes«, nach der große Denker repräsentativ für ihre Epoche sind, lehnt er ab. Dante und Thomas von Aquin als repräsentativ für das Mittelalter auszuwählen, ist ebenso falsch, als wenn man Dewey und Bertrand Russell für unsere Zeit auswählen würde. Ebensogut könnte man Gilson, Maillol und Valery auswählen und würde dann zu einem ganz anderen »Geist« gelangen (487). So bewegt sich Winters' Geschichte der englischen Dichtung, zumindest zu Beginn der Ausführungen, in vacua. Sie besteht aus einer Serie von Kommentaren über einzelne Autoren und Gedichte. Winters verlangt von einer Lyrikgeschichte, daß hierfür die besten Gedichte ausgewählt werden und ist entschlossen, in dieser Weise zu verfahren. Die Lyrik beginnt mit Thomas Wyatt, der die Tradition des englischen Kurzgedichtes in seiner einfachen Form begründete. Die Gedichte haben oft sprichwörtlichen, logischen, expositorischen und aphoristischen Charakter (FD, 3). Winters sieht Wyatts Gedichte als Reaktion auf den »höfischen ornamentalen und gezierten Petrarca-Stil« (8). Dagegen ließe sich einwenden, daß ein großer Teil von Wyatts Gedichten freie Paraphrasen von Petrarca und seinen italienischen und französischen Schülern sind. Nach Winters erreicht der frühe einfache Stil seinen Höhepunkt bei George Gascoigne. »Woodmanship« sei Gascoignes bedeutendstes Gedicht (17). Auch Sir Walter Raleigh und Thomas Nashe gehören zu dieser Tradition des schlichten Stils, den Winters der petrarkistischen Bewegung, wie sie zu Sidney und Spenser hinführt, entschieden vorzieht. In einer Rezension von C. S. Lewis' English Literature in the Sixteenth
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Century tadelt Winters Lewis, weil dieser die Lyrik als »Schund« (drab) abwerte: »Lewis hat überhaupt nicht begriffen, was Dichtung ist« (FC, 197). Er »sieht die Dichtung der gesamten Epoche unter dem Aspekt eines romantischen Vorurteils: Er konzentriert sich zu sehr auf das Gefälligste und übersieht dabei das Bedeutende« (195). Sidney und Spenser sind die »gefälligen« Dichter: Winters hält »ihre Sprachkunst für weitaus ausgeprägter als ihr moralisches Bewußtsein« (FD, 28). Ihre größten Mängel seien »Dekadenz, dekorative Fülle, Übermaß an Technik gegenüber schwachen Inhalten« (28). »Epithalamium« ist das einzige von Spensers Gedichten, das »in irgendeiner Weise seinen Ruhm rechtfertigen könnte«. Dennoch fehlen auch diesem Gedicht »Gewicht und intellektuelle Konzentration. Es weist wenig von der moralischen Größe auf, die man bei Gascoigne und Raleigh findet« (29). O'iefioritura der Elisabethaner, wie Pound sie schätzte, trifft bei Winters auf Verachtung. Ausgenommen sind lediglich kurze »Arien«, obwohl Winters diese für seicht und trivial hält. Der einfache Stil der späteren Elisabethaner findet bei Fulke Greville und Ben Jonson seinen Höhepunkt; beide Dichter sind daher für Winters die Meister des Kurzgedichts in der Renaissance (44). Unter allen Renaissancedichtern ist Greville für Winters derjenige, dessen Werk die »größte Intensität des intellektuellen Inhalts« aufweist (52). Ben Jonson ist der bedeutendste Vertreter eines schlichten Stils, ein »Klassizist im besten Sinne« (63). Bei ihm findet sich »eine genaue Entsprechung von Gefühl und Motivierung«, eine Geschlossenheit und Qualität, wie man sie sonst nirgendwo findet (64). Im Vergleich zu Greville und Jonson beurteilt Winters Shakespeares Sonnets und Donnes Gedichte als exzentrisch. Shakespeare sei, so führt Winters aus, einer unkontrollierten und übertriebenen Sensibilität verfallen. Donnes Gedichte sind Winters zu raffiniert. Wie Ransom analysiert Winters einige von Shakespeares Sonetten, die er als dunkel, sentimental und voll vager Gefühle bezeichnet. Donnes Gedichte dagegen weisen eine naive Heftigkeit und willkürliche Ausschmückungen auf. Dadurch gehören sie in die Nähe Sidneys und zur AntiPetrarca-Bewegung, als deren Anführer Donne gemeinhin gilt. Die Sprachspiele der metaphysischen Dichter werden als Weiterentwicklung des Petrarkismus verstanden. Winters distanziert sich von Donnes Sensibilität. Er nennt ihn einen Menschen »von heftigem und oft unberechenbarem Temperament. Er neigt zur melodramatischen Selbstüberschätzung. Er leidet an einer Sexualneurose« (FD, 74). Winters macht sich lustig über die extravaganten Sprachfiguren und Kommentare in »The Canonization« und bemerkt: »Ich bin weder an dem Geschwätz Donnes noch irgendeines anderen Menschen interessiert. Ich sehe keine Veranlassung, warum ich mir dieses Gerede anhören sollte, nur um mich von Donnes Aufrichtigkeit überzeugen zu lassen« (76). Winters übersieht dabei allerdings, daß er es mit einem Gedicht und nicht mit der Aufzeichnung eines Gesprächs zu tun hat. Um so überraschender ist es, daß Winters Donne dennoch für einen großen Dichter hält.
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Nur kurz befaßt Winters sich mit den anderen Dichtern des 17. Jahrhunderts. Edward Lord Herbert of Cherbury erhält gegenüber seinem Bruder George den Vorzug. Das einzige Gedicht George Herberts, das seine Bewunderung findet, ist »Church Monuments«; die übrigen Gedichte seien von einem undifferenzierten und kindlichen Pietismus überladen (FD, 88). Crashaw erscheint ihm geschmacklos. Von der Vermischung von Religion und Sexualität vor allem in der »völlig überbewerteten« »Hymn to Saint Teresa« fühlt Winters sich abgestoßen (92). Zwei Gedichte von Vaughan, »The Lamp« und »To His Books«, werden von Winters überaus bewundert. Die letzten elf Verse von »To His Books« gelten Winters mit der ihm eigenen Selbstsicherheit für »die größten in unserer Dichtung« (102). »The Retreat« dagegen bleibt für ihn »eine Form sentimentaler Phantasie« (103). Überraschenderweise äußert sich Winters sehr distanziert über Marvell: »The Horatian Ode« ist für ihn »eine Art Jahreskalender« (103). »To His Coy Mistress« ist lediglich »eine brillante akademische Stilübung zu einem vorgegebenen Thema« (104). Nur »The Garden« erhält Winters' Lob, obwohl der angebliche Pantheismus in diesem Gedicht ihn verwirrt, da ihm die Naturverehrung fremd ist. Als letzter Dichter wird Milton erörtert. »L'Allegro« und »II Penseroso« sind trivial und von »schwerfälligen Assoziationen« bestimmt (FD, 119). In Lyciäas löst sich die rationale Struktur in Assoziationen auf. Milton bereitete die fatale Wende der englischen Lyrik zur Assoziation und zum Sentimentalen vor. Dabei bemerkt Winters, daß die von ihm vertretene Auffassung in der Literaturkritik noch nicht allgemein anerkannt ist. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts geht Winters streng nach der Methode der Anthologisierung vor. Dabei unterscheidet er zwei lyrische Hauptströmungen, den schlichten und den ornamentalen Stü. Trotz einiger Querverbindungen und Überschneidungen (FD, 123) wertet Winters grundsätzlich die ornamentale »italienische« Tradition - Sidney, Spenser und Milton - zugunsten der Tradition des schlichten Stils - Wyatt bis Dryden - ab. An dieser Stelle der Literaturgeschichte wechselt Winters seine Methode und gibt eine historische Erklärung für den Niedergang der englischen Lyrik im 18. und 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zu Eliots Auffassung von der dissociation of sensibility oder den Theorien vom verhängnisvollen Einfluß von Szientismus und Rationalismus nennt Winters zwei ganz konkrete Gründe: i. Die Assoziationen hätten die frühere rationale Struktur der Dichtung zerstört; 2. Der Sentimentalismus behandle die »plötzliche Eingebung ... mit Respekt«, die Vernunft dagegen »mit Argwohn« (124). Eine solche Auffassung »beraubt den Dichter unvermittelt seines eigentlichen Gegenstandes, der im Verständnis der menschlichen Natur besteht«: »Mehr als zweitausend Jahre ethischer und psychologischer Erkenntnis wurden dadurch ausgelöscht« (124). Damals herrschte die Ansicht vor, »daß Ideen durch die Beschreibung von Sinneswahrnehmungen ausgedrückt werden könnten« (125). Der natürliche Gegenstand wurde dadurch zum poetischen Symbol. Assoziationen aber lösten notwendig die Struktur der Dichtung auf: »Man kann sich nicht
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auf die Bilderwelt einlassen, ohne dabei die Struktur des Traumes anzuwenden« (125). Der Begriff »Zeitalter der Vernunft« ist daher äußerst irreführend: »Das vernünftige Denken im Zeitalter der Vernunft war weitgehend darauf gerichtet, die Autorität der Vernunft zu zerstören« (DR, 450-51). Die Dichtung des 18. Jahrhunderts ist nicht schlecht, weil sie zu intellektuell wäre: »Tatsächlich ist die Dichtung des 18. Jahrhunderts grundsätzlich vorzüglich und vielfach sogar großartig; sie weist jedoch Mängel auf, die in erster Linie auf intellektuelle Schwächen zurückzuführen sind« (451). Pope wird als »einer der vollendetsten und zugleich bewegendsten englischen Dichter« gefeiert (138). Der Essay on Man allerdings enthalte auch »unsinnige und sentimentale Passagen« (451 A.), in denen ein »abgeschmackter Deismus« von der »Unfähigkeit zu denken zeugt« (488). Wiederholt entdeckt Winters unbekannte Dichter; so erhält zum Beispiel Charles Churchill, obwohl nicht gänzlich unbekannt, für ihn eine wichtige Stellung in der Dichtung des 18. Jahrhunderts. Die »Dedication to Bishop Warburton« wird zum »größten englischen Gedicht des 18. Jahrhunderts und zu einem der größten in unserer Sprache« erkärt (FD, 145). Diese Einschätzung wird selbst durch eine genaue Analyse nicht nachvollziehbar. Das Gedicht ist sehr persönlich und lediglich von lokaler Bedeutung; dasselbe gilt für ein anderes von Winters bewundertes Gedicht mit dem Titel The Candidate (DR, 139; auch FD, 130). Die assoziative Methode wird von Churchill in einem bewundernden Hinweis auf Sternes Lehre von der Abschweifung ausdrücklich verteidigt (zit. bei Winters, FD, 128-29). Obwohl diese Äußerung eigentlich gegen ihn sprechen sollte, ist sein moralisches Engagement, seine »Darstellung einer Psychologie des Bösen« so überzeugend für Winters, daß alle möglichen Einwände hinfällig werden (FD, 144). Dr. Johnsons Imitationen Juvenals werden als »überaus langweilige Lektüre« abgetan (FD, 151), während seine Prologe zu Comus und A Word to the Wise hochgeschätzt werden. Obwohl Winters Johnsons Verachtung des Deismus bekannt war, meint er in dessen Stil doch den Einfluß eben dieses Deismus feststellen zu können (DR, 451): »Diese Gedichte sind das Werk eines großen Genius, der eine dekadente Sprache verwendet« (451). »Dekadent« bedeutet hier offensichtlich »stereotyp« und »sentimental«. Diese Merkmale werden als Auswirkungen des Deismus begriffen. Die Dekadenz wird nach Winters bei Collins und Gray ganz offensichtlich. Winters kritisiert die »Ode to Evening« wegen mißglückter Syntax, schwammiger Klischees und einer wenig überzeugenden Moral (FD, 152-53). Grays »Elegy« wird als monoton und sentimental abqualifiziert: »Hier spricht ein sentimentaler und eingebildeter Dichter, ein affektierter Dandy, wie er eigentlich der englischen Dichtung fremd ist« (156; vgl. FC, 21). Die beginnende Romantik stellt für Winters keinen grundlegenden Einschnitt dar. Sie ist die konsequente Folge der sentimentalen und assoziativen Tendenzen des 18. Jahrhunderts: »Blake und Wordsworth sprengten den zu engen Rahmen
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der frühen Romantik und setzten neue Emotionen, vor allem prophetische Emotionen frei« (DR, 452). Blake wird von Winters als falscher Prophet angesehen: »Seine Überzeugungen sind so albern, daß sie mich völlig unberührt lassen« (FD, 161). »The Tyger« wird als »bemerkenswerte Verbindung von Genie und Narrheit«, als »erstaunlich, aber ohne wirkliche Qualität gesehen: »Vorgeführt werden uns viele Merkmale des Tigers, seine Existenz wird jedoch nicht erklärt« (162). In der »Introduction« zu The Songs of Experience wird »die Menschheit aufgefordert, die Fesseln der Ratio und des Gesetzes zu sprengen und den wahren Gott zu befreien«. Dennoch basiert diese Einleitung »auf einer völligen Verkehrung nicht nur der christlichen Mythologie (dies wäre nicht so schwerwiegend), sondern auch der christlichen Moral« (DR, 178). Für die meisten Leser »stellt diese Einleitung eine Anstiftung zu lasterhaftem Verhalten dar« (FD, 163). Dieselbe anarchistische Auffassung findet Winters in »London«. Daher »ist es töricht, Blake als großen Dichter zu bezeichnen; er war ein begabter Dichter, der sein Talent durch Größenwahn verschwendete« (167). Wordsworth erfährt dieselbe Kritik: »Obwohl ihm einige gute Verse gelungen sind, ist er doch ein schlechter Dichter« (FD, 167). Da Winters unbeeindruckt ist von Pantheismus, Naturverehrung, Prophetic oder Pathos im Stil Miltons, kann er schließlich nur noch den Vers, »die unvorstellbare Berührung der Zeit«, gelten lassen (169-70). Winters vermag nicht zu glauben, »daß Wordsworths Leidensdruck durch den Anblick der Narzissen gelindert wurde« (DR, 369). »Den Abend sollte man nicht mit einer Nonne vergleichen« (FD, 168), sagt er und weiter: Die Themse »fließt (glücklicherweise) nicht nach eigenem Belieben, sondern nach den Gesetzen der Schwerkraft«. Wordsworths Dichtungen werden als »unerträglich anmaßend«, »offenkundiger Unsinn«, »aufgeblähte Frömmelei« abqualifiziert. Mit Entsetzen konstatiert Winters, daß Wordsworth, obwohl tatsächlich nichts anderes als eine »komische Figur«, länger als ein Jahrhundert von vielen Wissenschaftlern und Kritikern mit einer Gloriole umgeben wurde (172). Nicht überraschend ist es, daß Coleridge »lediglich als unbedeutender Dichter in einer unglücklichen Epoche« gesehen wird (FD, 175). The Rime of the Ancient Mariner ist eine »Kindergeschichte mit einer Konfirmandenmoral« (173). Es wäre falsch, hier bedeutende Aussagen entdecken zu wollen. Kubla Khan verherrlicht nach Winters Meinung die Auffasssung, daß der geniale Dichter zugleich wahnsinnig sei: »Diese Idee ist überaus albern. Der Wert eines Dichters ergibt sich lediglich aus seiner überragenden Intelligenz, nicht jedoch aus dem Feuer seiner Augen und seiner wallenden Haarpracht« (174). Bei Shelley läßt sich »kein einziges Gedicht finden, daß nicht bereits im Konzept schwach und in der Ausführung außerordentlich mißlungen wäre« (FD, 178). Winters hält es für absurd, daß Shelleys »Leidenschaften . . . durch den Anblick der vom Herbstwind aufgewirbelten Blätter erregt werden« (DR, 369). Auch Keats verfällt dem Verdikt der Kritik: »Seine Gedichte sind geistlos; sie sind in jeder Hinsicht pubertär« (FD, 179). Die »Ode on a Grecian Urn« »erschöpft sich
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in beredtem Unsinn« (180). Byron wird als »amüsant, aber seicht« abgewertet (172-73). Die Technik, durch Antiklimax den Umbruch einer Stimmung herbeizuführen, die Byron als erster Dichter populär machte, mißfällt Winters (DR, 65). Für Winters muß Dichtung eine klare und direkte Sprache sprechen. Diese äußerst heftige Verurteilung der englischen Romantiker bleibt in ihrem sachlichen Gehalt oberflächlich. Intensiver und genauer setzt Winters sich mit den Zeitgenossen der Romantiker in Amerika auseinander. Besonders Emerson verfällt Winters' Kritik. Er wird mit derselben Schärfe kritisiert wie Rousseau bei Babbitt. Winters beurteilt Emersons Position als den Gipfel romantischer Narretei. Seine Lehre von der Unterordnung unter das Gefühl, seine Idee der Äquivalenz, die den Menschen zum Automaten werden lasse und jeden Handlungsimpuls lahme, werden als romantischer »Amoralismus« gesehen, der die gesamte amerikanische Kultur und Dichtung in ihrer Entwicklung korrumpiert habe (DR, 267-68). An ausgewählten Passagen aus Essays und Gedichten belegt Winters Emersons gänzliche Willkür, seinen durchgängigen Relativismus und törichten Optimismus (578 ff.). Emersons Dichtung »befaßt sich nicht mit der Erfahrung, sondern ausschließlich mit seiner eigenen Theorie der Erfahrung. Seine Dichtung ist nicht mystisch, sondern gnomisch und didaktisch. Da die vorgetragenen Gedanken einer genaueren Prüfung nicht standhalten, ist auch die Dichtung trotz der kraftvollen Sprache letztlich mittelmäßig« (279). Fast zwangsläufig schließt sich der Angriff auf Edgar Allan Poe an, den er als »schlechten Schriftsteller, der nur durch Zufall eine gewisse Zeit Popularität erlangte«, vorstellt (DR, 234). Winters weist auf Poes Einfältigkeit und triviale Sentimentalität hin. Poes kritische Position wird von Winters mühelos widerlegt. Er geht allerdings zu weit, wenn er Poe bezichtigt, die Dichtung auf eine »Position der Trivialität« reduziert zu haben (241). Zumindest in ihrer Zielsetzung ist Poes Vorstellung der »erhabenen Schönheit« keineswegs trivial. Winters hält jedoch »The Philosophy of Composition« für ein »abscheuliches Machwerk«. Es sei der Versuch, »Regeln für Beschwörungen und Zauberei aufzustellen« (248). Es ist nicht notwendig, an dieser Stelle Winters' Auffassung von Poes Dichtung detailliert zu erörtern. Nur »The City in the Sea« entgeht der Verurteilung (251, 253). Winters' Zusammenfassung, Poe sei weder Mystiker noch Moralist, sondern ein aufgeregter Schwärmer oder - besser noch - »ein ausgesprochener Kulturfeind«, überrascht nicht (246). Die Ausführungen Winters' über die bekanntesten amerikanischen und englischen Schriftsteller der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verdienen kaum, zitiert zu werden. Tennysons Dichtungen »sind inhaltsleer, sein Stil ist abgeschmackt« (FD, 181); Browning ist »munter, forsch, seicht und journalistisch« (182); Arnold ist »bis zur Rührseligkeit sentimental« (183). Swinburnes Gedichte »halten keiner ernsthaften Lektüre stand« (i8j). Von den Amerikanern wird Whitman als »ohne jedes literarische Talent« bezeichnet (315). Er wird als Beispiel für den Irrweg der expressiven Form genannt. Er habe versucht, »ein befreites Amerika
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durch eine befreite Dichtung zum Ausdruck zu bringen« (DR, 62): »Er brachte nur äußerst verschwommene und allgemeine Gefühle zum Ausdruck« (91); darüber hinaus steht er in der Tradition Emersons (578). Als einziger Dichter des späten 19. Jahrhunderts wird Gerard Manley Hopkins gründlich und textnah erörtert. Winters zeigt sich interessiert an der Theorie der Akzentverschiebungen. Im Verlauf der Ausführungen gelangt er jedoch zu der Ansicht, daß diese Theorie »ziemlich dumm« sei und zu »nahezu unaussprechbaren und oftmals lächerlichen Sprachdeformationen« führe (FC, 123). Hopkins' geistiger Kampf erscheint Winters unverständlich: »Ein großer Teil seiner Lyrik steht unter dem Einfluß von unverstandener und unkontrollierter Heftigkeit des Gefühls« (136). Obwohl Winters eine Reihe von Hopkins' Gedichten bewundert, sieht er ihn »weitgehend als unmoralischen Dichter« an (141). Für Winters liegt dies darin begründet, daß Hopkins beim Versuch, seine Individualität auszudrücken, sich in bedeutungslose Gefühle verloren habe. Aus seiner Analyse von »The Windhover« und der unterschiedlichen Bedeutungen des Schlüsselworts buckle folgert Winters: »Wenn man bei der Beschreibung eines überaus schönen Vogels diesen mit Christus vergleicht, obgleich Christus größer ist, dann ist dies kein glücklicher Hinweis auf die Größe Christi« (133). In einer merkwürdig persönlichen Passage spricht Winters über seine Airedale-Zucht und sagt, daß er diese Tiere den Vögeln weitaus vorziehe. Vögel als Symbol des freien und unbeschränkten Geistes zu deuten, lehnt er als romantisch und sentimental ab. Jeder Bezug auf eine sakramentale Auffassung der Natur erscheint ihm »einfach töricht« (133-34). Dagegen ist einzuwenden, daß schon lange vor der Romantik Adler und Falke als Symbole der Macht und Anmut gegolten haben. Nach Winters' Meinung ist Hopkins schließlich nur ein mittelmäßiger Dichter, der in seiner Bedeutung überschätzt wird. Winters entdeckt zwei vergessene amerikanische Dichter, für die er große Ansprüche erhebt: Jones Very, ein Mystiker, und Fredrick Goddard Tuckerman. Very werden dieselben Qualitäten zugesprochen wie Blake, Traherne oder George Herbert (DR, 269). Im Vergleich zu Emersons Sentimentalität werden Very s Mystik und Moralität als überzeugend dargestellt (279). Winters Begeisterung für Tuckerman konzentriert sich auf dessen Gedicht »The Cricket«. Dieses Gedicht hält Winters für »das größte Gedicht dieses Jahrhunderts, wenn nicht aller Zeiten, in englischer Sprache« (FD, 263). Es erinnert ihn an Baudelaire: Es sei bedeutender als Wallace Stevens' »Sunday Morning« (279). Siehe! Der Herbst geht, Der Schatten wird länger, Der Augenblick greift nach der Ewigkeit. Diese Verse werden als »eine der bedeutendsten Passagen unserer Dichtung bezeichnet« (262). Mich allerdings erinnern sie stark an Wordsworth. Das gesamte Gedicht erscheint mir als eine wenig geglückte Imitation der »Ode to a 41 Wellek, Literaturkritik 4/1
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Nightingale«. Es bleibt völlig unklar, inwiefern Tuckermans Sensibilität »der Valerys verbunden sein soll« (261). Nach Winters' Überzeugung sind das 18. und 19. Jahrhundert sehr schwache Perioden der englischen Dichtungsgeschichte. Erst am Ende dieser Zeit entdeckt er eine Wende, die sich in Frankreich durch Baudelaire abzeichnet, sich jedoch unabhängig davon auch in Amerika und England feststellen läßt. Emily Dickinson leitet diese Wende ein und gilt Winters neben Melville als größter amerikanischer Autor: »Sie ist eine der größten lyrischen Begabungen aller Zeiten« (DR, 299). Allerdings erkennt Winters auch ihre Schwächen: »Alberne Verspieltheit« (284), »Mangel an Geschmack« (298) und fehlender Kontakt zur kulturellen »Tradition«: »sie war eine völlige Naive, nicht vergleichbar mit den Indianern, sondern eher mit Grandma Moses« (FD, 266). Winters wählt einige Gedichte über Nostalgie und Todeserfahrung wegen ihrer »intensiven Fremdartigkeit« aus (DR, 293ff.). Er betont jedoch, daß Emily Dickinson weder eine Mystikerin war noch sich selber dafür hielt (288). Winters ist der Ansicht, daß in Dickinsons »besten Gedichten Sinneswahrnehmung und Begriff« (er verwendet hier Eliots Formulierung) »identisch« seien: »Es gibt weder Ausschmückung noch Erklärung, und keines von beiden ist erforderlich« (FD, 270). Thomas Hardy wird mit Emily Dickinson verglichen: Auch er ist ein naiver Schriftsteller, ein Naiver von beachtlicher Genialität (FD, 189). An seinen Lehren allerdings ist Winters keineswegs interessiert. Er lehnt Hardys Determinismus ab und bezeichnet ihn eher als »mythisch und animistisch«, nicht jedoch als wissenschaftlich (DR, 27). Zwei Autoren der Jahrhundertwende setzen nach Winters die große englische Tradition fort: Robert Bridges und T. Sturge Moore. Bridges' »gelungenste Gedichte entfalten eine lebendige Intellektualität, wie sie sich am ehesten in den Gedichten Fulke Grevilles, Ben Jonsons und George Herberts« findet (FD, 194). Die Begeisterung für das Gedicht »Low Barometer« erscheint übersteigert: »Meiner Meinung nach gibt es in der englischen Literatur nichts Größeres und wenig Vergleichbares« (197). Winters gibt diesem Gedicht den Vorzug gegenüber seinen Lieblingsgedichten von Greville und Jonson: Da es nicht auf dem Christentum basiert, ist seine Aussage »allgemeingültiger« (198). Winters wählt jedoch nur wenige Gedichte von Bridges aus. Die Mehrzahl von Bridges' Gedichten erscheint ihm »durch die oberflächliche Diktion des 19. Jahrhunderts verdorben« (194). Er lehnt Bridges' metrische Theorien ab und hält das Metrum in The Testament of Beauty für monoton (DR, 146-47). Bridges' Dichtung repräsentiert für Winters eine Form der Dichtung, die sich bei größtmöglicher Ausdifferenzierung ihrer Möglichkeiten dennoch keiner Schule, keiner Richtung und keinem individuellen Vorbild anschließt. Dadurch entsteht eine Dichtung, die bei größter stilistischer Durchformung der Gefahr des Manierismus entgeht (82-83). Meiner Meinung nach handelt es sich hier um Klassizismus: Bridges und Moore sind akademische Klassizisten. Vor allem Moores
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Daimonassa, ein blutrünstiges Drama über ein griechisches Thema - Winters nennt es »eines der größten englischen Werke« (FD, 239) -, und Moores Gedicht »From Titian's Bacchanal in the Prado at Madrid« - Winters zitiert es in voller Länge (247-48) - sind für mich rein akademische Übungen und unter literarischen Gesichtspunkten anachronistisch. Winters dagegen konstatiert mit einiger Selbstgefälligkeit: »Wenn Bridges' dichterischer Ruhm überlebt, so haben auch meine Darstellungskünste in geringem Maße dazu beigetragen« (324). Alle moderne Dichtung bezeichnet Winters als post-symbolistisch. Der Begriff symbolistisch ist wahrscheinlich der französischen Dichtung vorbehalten. Ausdrücklich wird Yeats nicht als Symbolist bezeichnet. Winters bezweifelt, daß Yeats' Kenntnisse der französischen Sprache dazu ausgereicht hätten, um Mallarmes Prosa, geschweige denn seine Gedichte, zu verstehen (FD, 233). Dabei übersieht Winters allerdings die mögliche Mittlerrolle von Arthur Symons. Wie Auden und Eliot befaßt sich auch Winters mit dem Wahrheitsgehalt von Yeats' philosophischen und politischen Schriften: »Je besser man ihn versteht, um so schwerer wird es, ihn ernst zu nehmen« (205). Mit dieser Feststellung beginnt Winters' vernichtender Aufsatz, der die Absurdität von Yeats' historischen und psychologischen Ansichten aufdeckt und Yeats' politische Überzeugung ins Lächerliche zieht. Yeats habe nach einer Rückkehr Irlands ins 18. Jahrhundert gestrebt, in eine Zeit, als es noch landbesitzenden Adel, tollkühne Reiter, elegante Damen, unterwürfige Bauern und malerische Bettler gab (207—08). Bei seiner Erörterung von »Leda and the Swan« appelliert Winters an den gesunden Menschenverstand des Lesers: Er hält die sexuelle Vereinigung nicht für eine Form mystischer Erfahrung. Weder glaubt er daran, daß sich die Geschichte in Zyklen von zweitausend Jahren entwickle, noch daran, daß der Raub Ledas einen neuen Zyklus eingeleitet habe: »Niemand außer Yeats hat dies jemals geglaubt, ja, wir können nicht einmal sicher sein, daß Yeats selbst davon überzeugt war« (212). Außerdem: »Ein Gedicht mit einer echten Frage zu beenden, ist vom literarischen Standpunkt aus äußerst unbefriedigend, da auf diese Weise kein eindeutiges Urteil gefällt wird« (211). In »The Second Coming« gelten nach Winters' Ansicht Yeats' Sympathien dem Tier und damit der Brutalität. Über den Schluß von »Among Schoolchildren« macht Winters sich lustig: »Wie soll hier zwischen Tänzer und Tanz unterschieden werden?« - »Wenn aber Tänzer und Tanz nicht mehr zu unterscheiden sind, dann kann auch der Tänzer den Tanz niemals gelernt haben« (220). Zwar erkennt Winters noch einige positive Merkmale in weniger bekannten Gedichten, kommt jedoch zu dem Schluß, daß man »Narrheit nicht mit Größe« verwechseln solle. Lediglich Yeats' Überheblichkeit, sein bardischer Habitus so wie die anti-intellektuelle Tendenz seines Werks und dessen emotionale Übersteigerung hätten Yeats' Erfolg bewirkt (234). Einen ähnlichen Angriff führt Winters gegen die Dichtung von Robert Frost. Frost sei »ein Romantiker in der Nachfolge Emersons« (FC, 159) und ein spiritual drifter (so der Titel des Aufsatzes, ebenfalls S. 163); er glaube an Einge-
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bung und Relativismus, was zu »ungesunder Exzentrik und wachsender Melancholie geführt« habe (162). Winters äußert sich negativ über The Masque of Reason: Er ist entsetzt über Frosts »gewollte Dummheit, über seine selbstgefällige Unwissenheit« (176). Einige Gedichte werden zunächst von der Kritik ausgenommen. Doch auch hier wendet er sich gegen die darin zum Ausdruck kommende Beliebigkeit und führt aus: »Die großen Werke der Weltliteratur beruhen fast immer auf ernsten Entscheidungen. Wenn der Ernst schon nicht mehr im Leben vorhanden ist, fehlt er auch in der Dichtung« (166). Ernst und moralische Ernsthaftigkeit dagegen attestiert Winters dem Dichter Edward Arlington Robinson. Ihm widmete er ein kleines Buch (1946) sowie 1922 seinen allerersten Aufsatz in der Zeitschrift Poetry (UER, 3-10). Mit Bedauern konstatiert Winters, daß Robinsons Dichtung einige Reminiszenzen an Emerson aufweise, doch sieht er die moralistische New-England-Tradition bei Robinson als entscheidend an (R, 18). Er erörtert Robinsons Beziehung zu Browning, Tennyson und Praed, wobei er die Langatmigkeit und Sprödigkeit der längeren Gedichte betont. Doch Robinsons Vorzüge, sein »schlichter Stil«, seine »klare Aussage«, seine »psychologische Feinfühligkeit«, »seine verhaltene Ironie«, seine »grundlegende Ernsthaftigkeit« und »Hartnäckigkeit« besonders in den kürzeren Gedichten wiegen die Schwächen auf. Diese Gedichte zählt Winters einzeln auf und bewertet sie mit der ihm eigenen Selbstsicherheit (146). Winters zeigt sich über »das lebendige Metrum der didaktischen Dichtung und die Form der Darstellung ebenso begeistert wie über die dargestellte Weltsicht, daß »das Leben eine sehr harte Erfahrung ist, die nur mit Schmerzen ertragen und nur unter Schwierigkeiten verstanden werden kann« (31). »The Wandering Jew« wird wegen der »rationalen Grundstruktur«, der detaillierten Gedankenfülle, der klaren Aussage und Entwicklung und wegen seiner »schlichten Bildlichkeit« gelobt. Es sei »eines der größten Gedichte nicht nur unserer Zeit, sondern der englischen Dichtung überhaupt« (37). Winters nennt Pound, Eliot, Wallace Stevens, William Carlos Williams und Marianne Moore »die experimentelle Generation« (DR, 104 A.). Seine Haltung gegenüber Pound ist sehr kritisch. Die Cantos »entwickeln sich in einzelnen Bildern und werden nur durch das Gefühl zusammengehalten« (57); für Winters sind sie »Traumblasen« (59), »diffuse Unterhaltung« (145). Pounds Dichtung ist für ihn »Gefühl gänzlich ohne Bewußtsein oder nur mit minimalen Anteilen an Bewußtsein« (496). »Pound wird bereits durch den Klang seiner eigenen Stimme zutiefst berührt« (FD, 317). Winters erkennt zwar einige faszinierende Details in den frühen Cantos, hält diese Gedichte insgesamt jedoch für »unerträglich langweilig«. Dagegen gilt Pound ihm als einer der wenigen großen englischsprachigen Übersetzer (DR, 494). Einwände gegen die Genauigkeit der Imitationen läßt Winters nicht gelten (siehe FD, 352-54). Doch Pounds Beziehung zur Tradition bleibt insgesamt gesehen wechselhaft und unstet: »Es ist die Haltung eines Epigonen, der die Vergangenheit in bezug auf Einzelheiten ausplündert, ihre
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Methode jedoch nicht übernimmt. Er ist lediglich ein im Museum herumirrender Barbar« (DR, 480). Winters gibt Pound gegenüber Eliot den Vorzug, da Pound ein sehr viel besseres Sprachempfinden habe (FD, 321). Eliots frühe Gedichte mißfallen Winters vor allem wegen ihrer Ironie (DR, 88, 496);nach Winters'Ansicht ist The WasteLand stark von Baudelaire beeinflußt. Während jedoch bei Baudelaire Form und Inhalt in ausgewogenem Verhältnis ständen, habe Eliot die Form dem Inhalt untergeordnet. Das Ergebnis sei »eine ungeordnete Darstellung und eine journalistische Wiedergabe von Details« (499). »Gerontion« erscheint Winters als Eliots bestes Gedicht (492). Er beurteilt es als »das gelungenste moderne englischsprachige Gedicht, in dem die Technik der pseudo reference in hohem Maße benutzt wird« (87). Dies ist ein doppeldeutiges Lob, da es den Vorwurf der Sinndunkelheit enthält, die möglicherweise durch den Irrtum der imitativen Form entsteht. Winters meint: »Hier liegt der Versuch vor, eine inhaltliche Unsicherheit auch durch vage Formulierung auszudrücken« (87). Von den späteren Gedichten wird nur »Burnt Norton« kritisiert. Die ersten zehn Zeilen enthalten »naive Tiefsinnigkeiten. Es folgen die jämmerlichen Klischees des Rosengartens, der Rosenblätter und der verschlossenen Tür . . . Die Sprache besteht aus einzelnen journalistischen Klischees und Sentimentalitäten... Die Durchführung ist nachlässig und unpräzise« (FD, 321). Völlig grundlos bezeichnet Winters Eliots Konversion als »gänzlich nominell«: »Zumindest für seine schriftstellerische Arbeit hat sie keinerlei Bedeutung erlangt« (DR, 501). Dies schrieb Winters 1943, als bereits hinreichende Belege dafür vorlagen, daß diese Auffassung falsch war. Doch für Winters war Eliot ohnehin der »belangloseste Dichter« seiner Generation (FD, 322). Unter den neueren amerikanischen Dichtern schätzte Winters Wallace Stevens am höchsten. In seinem ersten Aufsatz über Robinson nennt er Stevens »den größten lebenden amerikanischen Dichter« (UER, 10). Zu diesem Zeitpunkt hatte Stevens noch keine einzige Gedichtsammlung veröffentlicht. In Primitivism and Decadence (1937) wird Stevens als »wohl der größte Dichter seiner Generation« bezeichnet (DR, 70). In einem langen Aufsatz über Stevens mit dem Titel The Anatomy of Nonsense nennt Winters das Gedicht »Sunday Morning« »wohl das hervorragendste Gedicht des zwanzigsten Jahrhunderts« und »mit Sicherheit eines der bedeutendsten kontemplativen Gedichte in englischer Sprache überhaupt« (DR, 433, vgl. 447). In Forms of Discovery lobt Winters Stevens' Diktion und Metrum noch überschwenglicher: »In dieser Hinsicht ist [Stevens] ein Rivale für Ben Jonson; seine Gedichte sind denen Donnes, Sidneys oder auch Shakespeares Sonetten vorzuziehen« (FD, 274). Diese Hochschätzung bezieht sich jedoch nur auf wenige Gedichte: »Sunday Morning«, »The Course of a Particular«, »Of the Manner of Addressing Clouds« und einige wenige mehr. Noch prägnanter als in dem Essay behauptet Winters in seinem Abschnitt über Stevens in Forms of Discovery, daß Stevens ein Hedonist sei, dessen Hedonismus zur Lange-
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weile, zu romantischer Ironie, zu »schwerfälliger Dummheit« und sogar »absichtlichem Unsinn« geführt habe (DR, 445-46). Stevens habe »die Fesseln des Christentums« abgeworfen. Ermutigt durch die moderne Romantik habe er »seinen Hedonismus so mit dem romantischen Gedankengut verknüpft, daß schließlich eine elegantere Form dieses >Systems der Gedankenlosigkeit entstanden ist« (459). Unbeeindruckt bleibt Winters von Stevens' Imaginationslehre, die dieser von Coleridge übernahm. Den entscheidenden Unterschied zu Coleridge sieht er darin, daß die Imagination bei diesem eine Brücke zur transzendenten Wirklichkeit darstelle, während sie bei Stevens nur als vom Autor willkürlich benutztes Ordnungsprinzip erscheint (FD, 273). Nahezu alle nach Harmonium (1931) erschienene Dichtung erscheint Winters schwächer. Er spricht von »einem schnellen und tragischen Verfall seines dichterischen Stils« (DR, 433). Stevens' zentrales Thema besteht in der Überzeugung, »daß es kein Leben nach dem Tode gibt, daß der Mensch isoliert in Zeit und Raum, aber in einem Universum von größter Schönheit existiert« (FD, 273). Zwar stimmt Winters dieser These Stevens' zu, weigert sich jedoch, Konsequenzen wie Stevens zu ziehen. Er sieht hier höchstens die Empfehlung des l'art pour /'^ri-Prinzips oder gar der Selbstzentriertheit und des zweckfreien Spiels. William Carlos Williams erfährt im Lauf der Jahre unterschiedlichste Beurteilungen. In einer frühen Rezension von Sour Grapes in Poetry äußert sich Winters sehr unentschieden (1922; UER, 13-15). 1929 dagegen nennt er Williams den »großartigsten Meister der englischen Sprache und der menschlichen Gefühle seit Thomas Hardy« (55). Er verfüge über »ein sichereres Sprachgefühl als jeder andere Dichter seiner Zeit, mit Ausnahme vielleicht von Stevens in seinen besten Gedichten« (DR, 93). »Im Hinblick auf seine metrischen Techniken ist er ein experimenteller Dichter«, doch »im Hinblick auf seine darstellerischen Qualitäten einer der traditionsbewußtesten Dichter der letzten 150 Jahre«. In dieser Hinsicht ist er mit Hardy und Bridges vergleichbar (84). In anderem Zusammenhang kritisiert Winters Williams scharf, weil dieser vor allem seine jungen Leser zur »weinerlichen Selbstzentriertheit« ermutige (55). Die letzten Kommentare in Forms of Discovery sind ausgesprochen ablehnend. Williams sei ein »unverbesserlicher Romantiker«, der an die Unterwerfung der Gefühle unter den Instinkt glaube. Er glaube an die »organische Form«: »Ein Gedicht bewegt sich wie ein Krebs, oder es wächst wie ein Kohlkopf« (FD, 318-19). »Es ist töricht, Williams für einen großen Dichter zu halten; der größte Teil seiner Werke ist nicht lesenswert. Er kann nicht einmal als anti-intellektueller Dichter gelten, denn der Intellekt war ihm gänzlich unbekannt. Er war ein törichter und ungebildeter Mensch, obwohl er gelegentlich in einem ausgefeilten Stil zu schreiben verstand« (319). Unter den wenigen Gedichten, die er gelten läßt, befindet sich überraschenderweise The Destruction of Tenocbtitlan. Dieses Prosastück hält Winters für der »Prosa von Anahase und von Anna Livia Plurabelle überlegen«; »jeder anderen Prosa und den meisten Gedichten unserer Zeit« sei dieses Prosastück
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vorzuziehen (DR, 63, vgl. 93-94)· Williams' expositorische Schriften dagegen seien »weitgehend unverständlich« (93). Winters gliedert die Darstellung der Dichter des 20. Jahrhunderts nach Generationen (DR, 104 A.)· Hart Crane wird der letzten Gruppe, »The Reactionary Generation«, wegen seiner Lebensdaten, seiner persönlichen Beziehungen und wegen seines Unverständnisses in bezug auf/ree verse zugerechnet. Winters hatte vor allem im Jahr 1927 persönliche Kontakte zu Crane und korrespondierte vier Jahre lang mit ihm. Zum Bruch kam es, weil Winters The Bridge 1930 in Poetry kritisch rezensierte (36:153-65; Ndr. in UER, 73-82). Winters bewunderte Crane zwar außerordentlich, sah ihn jedoch vor allem als Beispiel für den verderblichen Einfluß Emersons und Whitmans, deren Lehre notwendig zum Wahnsinn und Selbstmord führe. In seinem bekannten anthologisierenden Verfahren wählt Winters einige Verse aus The Bridge als »großartigste Passagen romantischer Dichtung in unserer Sprache« aus. Das zweite Gedicht von »The Voyages« hält Winters für Granes »größtes Gedicht« (DR, 92); es erschien ihm als »eines der kraftvollsten und vollendetsten Gedichte der letzten 200 Jahre« (598). Winters sieht Crane als »Heiligen mit der falschen Religion« (602), als »Dichter von großer Begabung, der sein Leben und sein Talent ruinierte, weil er sich nach den Empfehlungen der beiden größten religiösen Lehrer [Emerson und Whitman] unserer Nation richtete« (598). Winters bedauert Cranes »intellektuelle Verwirrung« (22), seinen vagen Mystizismus, sein Streben nach »einer kaum faßbaren, jedoch ekstatisch behaupteten höheren Existenzform« (27), seine Gleichsetzung von Auslöschung und Glückseligkeit (45) und seinen Rückgriff nicht auf den Mythos, sondern auf ein Gefühl der Mystifikation (52). Winters distanziert sich von Cranes Beschäftigung mit Tod und Unsterblichkeit, wenn dieser die Erde »Pocahontas« nennt oder »das Mississippi-Tal mit Gottes Gegenwart verwechselt« (592-93). An vielen Stellen findet Winters Crane vorsätzlich unklar, obwohl er in einem Fall eine Passage ganz offenbar falsch verstanden hat (42-43). In diesem Fall mußte er sich selbst in seinem Vorwort zu Maule 's Curse korrigieren (153-56). Crane war Winters' Zeitgenosse. Obwohl Winters eigentlich eine Vorliebe für unbekannte oder wenig beachtete Autoren hat, befaßt er sich nicht mit jüngeren Autoren. Der einzige neuere englische Dichter, den er bewundert, ist Elizabeth Daryush, die Tochter Robert Bridges'. Er schreibt für eine Teilausgabe ihrer Gedichte eine Einleitung (Selected Poems, 1948). Für ihn ist sie »der beste englische Dichter seit T. Sturge Moore« (DR, 105 A.). Ihre besten Gedichte hält er »für gelungener als die von Landor« (FD, 347). Abschließend sagt er: »In den letzten 250 Jahren hat es in England nicht viele bemerkenswerte Dichter gegeben« (347). Damit datiert er das Ende der bedeutendsten Dichtungsepoche auf 1715. In Amerika findet Winters dagegen viele Dichter, die es verdienen, herausgestellt zu werden. Mit Erstaunen erfahren wir, daß Adelaide Crapsey »mit Sicherheit eine unsterbliche Dichterin« ist (DR, 568). Ihre kleinen Gedichte in japanischer
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Manier werden von Winters hoch geschätzt (FD, 329). J. V. Cunningham wird 1943 als »bester Wissenschaftler und Kritiker« unter den jungen Amerikanern und möglicherweise auch als »der beste [Dichter] seiner Generation« bezeichnet (Cunningham wurde 1911 geboren; DR, 574). In Forms of Discovery wird er ausführlicher und zurückhaltender beurteilt. Cunningham ist Winters' berühmtester Schüler. Aus einer Gruppe von sieben ehemaligen Schülern, die er zu den besten Dichtern dieses Jahrhunderts zählt, hebt er Cunningham als den vorzüglichsten hervor (FD, 346). Diese Liste soll uns hier nicht interessieren, denn Winters befaßt sich nicht mit Sandburg, Vachel Lindsay, E. E. Cummings, Archibald MacLeish, W. H. Auden, Dylan Thomas und Robert Lowell (FD, 359). Augenscheinlich hat Winters seine sehr positive Rezension von MacLeishs Streets in the Moon (1927) vergessen. Hier bezeichnete er MacLeish als einen Dichter, der »zu Recht einen Platz neben den berühmtesten der vorigen Generation beanspruchen kann« (UER, 46). Man kann Winters eine heroische Beherztheit nicht absprechen, wenn man sieht, mit welcher Ungeduld er sich gegen Sachverhalte oder Autoren ausspricht, die mit seiner Dichtungsauffassung nicht übereinstimmen. Er lehnt jede Form von Emotionalismus, Mystizismus und Obskurantismus ab und besteht stets auf einer vernünftigen Aussage und einer moralischen Beurteilung des menschlichen Schicksals in einer zwar emotionalen, jedoch dem Anlaß und der »Grundidee« adäquaten Sprache. Diese Grundidee bezieht sich auf die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, auf die Ungewißheit und Rätselhaftigkeit des Schicksals. Er bevorzugt Dichter, »die der schwarze Stier berührt hat« (FD, 70; dies ist ein Zitat aus Grevilles Life of Sir Philip Sidney, FD, 52). Wie Arnold bevorzugt er Gedichte mit düsterer, resignierter Stimmung und stolzer Haltung. Die Dichtung muß, welches Thema und welche Sprachebene sie auch hat, notwendig metrisch sein. Winters selbst plädiert allerdings für eine Wechselbeziehung zwischen Metrum, Thema und Sprachform. Er äußert sich ausführlich zum Metrum, skandiert sogar viele Gedichte durch und macht sich Gedanken über freie Verse, Akzentverschiebung und die richtige Rezitationsweise von Gedichten (siehe FC, 79 ff.). Obwohl Winters wahrnehmungsfähig für subtile Effekte ist, überzeugend skandiert und treffende Einwände gegen die Theorien von Poe, Bridges und Hopkins vorbringt, ist sein eigener Beitrag zur Theorie der Prosodie unerheblich, da er weder mit der modernen Phonologic noch mit der Analyse des freien Verses zurechtkommt. Winters gesamte literarkritische Einstellung basiert auf einer Ablehnung der damals herrschenden historischen Wissenschaft an den amerikanischen Hochschulen. Er lehnt den »Aberglauben« von einer wertfreien Literaturgeschichtsschreibung ab: »Jeder Autor, mit dem sich ein Wissenschaftler befaßt, begegnet ihm bereits als Resultat vorangegangener kritischer Beurteilung« (FC, 24). »Unser Wissenschaftler wäre wohl kaum in der Lage, eine Dichtungsgeschichte zu schreiben, ohne zu wissen, was ein Gedicht ist oder wie es funktioniert« (24).
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Keinesfalls setzt sich Winters jedoch für eine Abschaffung der Literaturgeschichte ein. Vielmehr erstrebt er eine Verbindung von Literaturkritik und Literaturgeschichte: »Das kritische und das historische Verstehen sind Aspekte eines einzigen Vorgangs« (DR, 565). Nach Winters' Ansicht hat sich die Situation an den amerikanischen Universitäten in den letzten Jahrzehnten entscheidend verbessert: »Die Qualität der traditionellen Wissenschaft hat zugenommen, und ich meine, daß diese Qualitätssteigerung im wesentlichen auf die Literaturkritiker in den einzelnen Fakultäten zurückgeht« (FC, 13). Mit rhetorischem Geschick verteidigt er sich gegen einen allerdings ziemlich plumpen Angriff. Seine Lehrtätigkeit zwang ihn, seine Vorstellungen über Literatur zu präzisieren: »Ohne meine akademische Karriere wäre ich wahrscheinlich ein unbedeutender Schüler W. C. Williams' geblieben und würde noch heute kleine impressionistische Studien über Landschaften schreiben.« (UER, 308). Wenn man Winters' langen und mühsamen Weg zur akademischen Anerkennung betrachtet, überrascht es zu lesen, daß er die Universität immer noch als »intellektuelles und geistiges Zentrum unserer Welt« ansieht. Mir scheint es allerdings fraglich, daß er auch heute noch die Universität als »konkrete Verkörperung... des Glaubens an die absolute Wahrheit... und der intellektuellen Freiheit und Integrität« sehen würde (DR, 569). Winters' Haltung gegenüber den Richtungen der Literaturkritik, die die von ihm begrüßte Veränderung bewirkten, ist dennoch oft ambivalent oder sogar ablehnend. An manchen Stellen ähneln seine Ausführungen denen von Irving Babbitt: Er teilt dessen antiromantische Ansichten; seine ethischen Überzeugungen wie auch sein Rationalismus scheinen ähnlich zu sein. Zu einem späteren Zeitpunkt betont er jedoch nachdrücklich: »Ich betrachte mich selber nicht als Humanisten. Obwohl ich Babbitt bewundere und ihm viel verdanke, stimme ich ihm in vielen Punkten nicht zu« (DR, 569). Winters hatte für C. Hartley Grattans Symposium The Critique of Humanism (1930) einen Aufsatz geschrieben. Dieser enthielt eine frühe Beschreibung seiner Dichtungsauffassung wie auch eine vergleichsweise milde Kritik an Paul Elmer More und, eher beiläufig, auch an Babbitt. Winters zog damals die literarkritische Position Mores der Babbitts vor. Er war der Ansicht, daß die von den Neuhumanisten vertretene moralische Lehre »eine Art bessere Kirchenmoral« sei (CH, 330): »Fast alle Elemente ihrer Philosophie lassen sich in komplexerer Form bei Matthew Arnold finden« (332). Er hält Babbitts Ausführungen über Dichtung für wenig sensibel (FC, n). More und Babbitt werden von ihm gleichermaßen getadelt wegen ihrer Ablehnung Baudelaires (CH, 330). Obwohl Winters sagt: »Gelegentlich werde ich für einen New Critic gehalten« (FC, 81), distanziert er sich doch von dieser Gruppe. Seiner Meinung nach gibt es »fast nichts im Denken von Allen Täte und R. P. Blackmur, was man nicht auch bei Eliot und Ransom finden könnte« (DR, 556). Er verdächtigt Blackmur, ein Relativist zu sein, der »sich zu keinerlei Prinzipien bekennt« (FC, 17). Cleanth
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Brooks wird ironisch als »Meister der Paraphrase« zitiert (FD, 31, 75). Brooks, so meint Winters, versteht Dichtung lediglich als Struktur und zeigt an stilistischen Mängeln kein Interesse (FC, 16). Ransoms Literaturkritik ist Gegenstand eines langen Aufsatzes. Hier antwortet Winters auf Ransoms Kritik an seiner Position in The New Criticism (1941), so daß dieser Aufsatz als Apologie seiner eigenen Ansichten zu verstehen ist. Hauptsächlich wirft Winters Ransom Nominalismus und Hedonismus vor. Er bezweifelt, daß Kunst Nachahmung oder Erkenntnis konkreter Qualitäten sei. Winters wendet sich gegen Ransoms Dichotomic von Struktur und Textur ebenso wie gegen seine Ansichten von Metrum und Metapher. Er kommt zu dem Ergebnis: »Dichtung ist für Ransom eine mysteriöse Form der Selbsterforschung, eine Suche nach Stimulantien, die Ransom selbst nicht genau beschreiben kann« (DR, 553). Bedauerlicherweise mißversteht Winters Ransoms Aussagen an vielen Stellen, da er die traditionellen ästhetischen Probleme nicht versteht oder nicht verstehen will. Viel später konstatiert er: »Ransom ist, sowohl was seinen Stil wie auch was seine Grundgedanken anbelangt, anachronistisch« (FD, 334). Dennoch schreibt er den Triumph der Literaturkritik an den Hochschulen dem Einfluß »einiger weniger Männer meiner Generation zu: Ransom, Täte, Brooks, Blackmur und mir selbst« (FC, 13). Eine Zeitlang war Winters von den Chicagoer Aristotelikern, besonders von der Gelehrsamkeit Ronald S. Cranes beeindruckt. Dennoch bemerkt er, Crane sei eher »ein wissenschaftlicher Amateur; er versteht nicht mehr von der Literaturkritik, als Täte, Ransom und ihre agrarischen Freunde von der Landwirtschaft verstanden« (FC, 22). Durchaus überzeugend stellt Winters fest, daß Crane »durch das Interesse an der Literaturkritik zur Dichtung gelangt« sei (22). Cranes Eintreten für den Pluralismus der Literaturkritik sei ein »theoretischer Relativismus« oder sogar »ein unverantwortlicher persönlicher Dogmatismus« (23). Meiner Kenntnis nach bezieht sich Winters an keiner Stelle auf F. R. Leavis, obwohl er wie dieser ein moralisches Dichtungsverständnis und Vorbehalte gegenüber der Romantik hat. Wie Leavis lehnt er Milton ab und hat wenig übrig für die englische Dichtung von Pope bis Ezra Pound. Allerdings unterscheidet er sich auch grundsätzlich von Leavis. Winters befaßte sich weder mit D. H. Lawrence noch mit T. S. Eliot als Dichter oder Kritiker. Die Ähnlichkeit zwischen Winters und Leavis basiert offensichtlich auf den gemeinsamen Vorbildern Babbitt, Arnold und den französischen Antiromantikern. Trotz aller Ungleichartigkeiten läßt sich dennoch auch eine Ähnlichkeit zwischen Winters und Pound feststellen. Sie haben denselben Geschmack in bezug auf die englische Dichtungsgeschichte: Beide schätzen den »niederen Stil« und lehnen die elisabethanische fioritttra, Milton und die romantische Dichtung ab. Gemeinsam sind ihnen auch die Schärfen des Tons, die Unverbindlichkeit und oftmals komische Heftigkeit ihrer Äußerungen, der freizügige Gebrauch von Superlativen sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht und eine offensichtliche Freude daran, den Bürger oder eher noch den akademischen Professor zu schockieren. Winters hält
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Pound für den einflußreichsten Literaturkritiker Amerikas, weil »er fast 15 Jahre lang unseren Geschmack für Gedichte prägte« (FC, 12). Winters ist der Ansicht, daß die Begabung für Literaturkritik zu den am wenigsten häufig zu findenden Begabungen zähle und daß vielleicht Samuel Johnson der einzige sei, der im englischen Sprachraum die Bezeichnung eines literarkritischen Genies verdiene (DR, 565). Winters fühlt sich Johnson in bezug auf dessen Moral und Beständigkeit, dessen Melancholie und »private Verbitterung« verwandt (138). Von Johnson hat Winters seine Methode der abwertenden Metaphernanalyse durch Hinweise auf den gesunden Menschenverstand - übernommen, die an die satirischen Techniken Voltaires und Thomas Rymers erinnert. Allerdings fehlt Winters Johnsons Beherrschung der klassischen Tradition und dessen sicherer Bezug zur Wirklichkeit. Im Vergleich zu Johnson ist Winters isoliert, exzentrisch und launisch. Zwar verfügt Winters über großes Geschick in der Auswahl seiner Zitate und versteht es, überzeugend zwischen guten und schlechten Gedanken oder Aussagen zwischen präzisen oder verschwommenen Äußerungen zu unterscheiden. Dennoch bleibt in allen seinen Ausführungen eine grundsätzliche Unklarheit bestehen. Diese liegt in Winters ipse dixitund in seinem Anspruch auf »einen Geschmack, der den Leser in die Lage versetzt, ein gutes Gedicht unter lauter schlechten herauszufinden« (FD, 324). Seine Beurteilungskriterien für die ältere Dichtung sind klar: Winters verlangt eine vernünftige Aussage, vorzugsweise über ein bedeutsames Thema. Für die moderne Dichtung hat er jedoch einen anderen Maßstab. Winters bevorzugt Dichtung, die von der klassischen oder romantischen Tradition abweicht. Er bewundert drei der >dunkelsten< Dichter des Jahrhunderts: Er begeistert sich für die symbolistischen Tendenzen bei Valery, Wallace Stevens und - mit Einschränkungen - Hart Crane. Vielfach zieht Winters die konventionellen Dichter (Bridges und Sturge Moore) den innovativen (Yeats und Eliot) vor. Die symbolistische oder, wie er sie nennt, die postsymbolistische Dichtung stellt Winters noch über die der Elisabethaner: »Die kontrollierte Assoziation bietet zumindest die Möglichkeit größerer Flexibilität und größerer stofflicher Komplexion, als dies in den Strukturen der RenaissanceDichtung der Fall ist. Die post-symbolistische Bildlichkeit bietet eine größere Spannbreite des Denkens und Wahrnehmens als jemals zuvor. Es gibt meiner Meinung nach bisher keine umfassendere Methode. Ich gehe sogar noch weiter und behaupte, daß die vorzüglichsten Gedichte, die in dieser Weise geschrieben wurden, die besten sind, die jemals geschrieben wurden. Weiterhin meine ich, daß die Dichter, die ich jetzt erörtere, gerade als Gruppe in der englischsprachigen Dichtung die bedeutendste Gruppe darstellen« (253). Enttäuschend sind allerdings die aufgeführten Namen; die Dichter dieser Gruppe scheinen nichts gemeinsam zu haben: F. G. Tuckerman, Emily Dickinson, Wallace Stevens, Louise Bogan, Edgar Bowers, N. Scott Momaday. Die letzten beiden Autoren sind Schüler von Winters. Es ist eine willkürlich ausgewählte Gruppe. Weder Winters' Neufassung der englischen Dichtungsgeschichte noch sein Widerspruch-
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liches Dichtungskonzept sind überzeugend. Seine Position erschöpft sich in rein »subjektiver Bewertung einer Reihe von Erfahrungen«, wie Winters sie in seinem frühen antihumanistischen Aufsatz von Paul Elmer More verlangt hatte. »Leider«, so räumt er ein, »ist dies letztlich die einzige Möglichkeit, Erfahrung, sei sie nun literarisch oder nicht literarisch, zu bewerten; dazu bedarf es der Übung und des Mutes« (CH, 320). Zweifellos besaß Winters diesen Mut: Er legte ein umfängliches Werk vor, das sowohl eine Vielzahl literarischer Urteile wie eine deutliche Formulierung seines Geschmacks enthält. So entzündet sich an seinem Werk wieder die bisher ungelöste Frage, ob über Geschmacksfragen ein Konsens möglich ist und welche Gültigkeit literarkritischen Urteilen und Rangfolgen zukommt. Auch mit der Frage des Wahrheitsgehalts von Dichtung befaßte er sich ausführlich. Er erkannte, daß Theorien wie L A. Richards' pseudo-statements diese Frage nicht zu lösen vermochten. Dichtung, so war seine Meinung, kann in unserer Zeit nur noch Bedeutung haben, wenn sie Aussagen über den Menschen oder die condition humaine macht; in diesem Fall ist die Aussage am Maßstab der Wahrheit zu messen. Zwar erkannte Winters nicht die in seinen Konzept enthaltenen Schwierigkeiten. Mit Sicherheit jedoch vertrat er eine Position, die auch in der Literaturkritik der Gegenwart wieder erörtert werden sollte. AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE The Critique of Humanism. Zit. als CH. Primitivism and Decadence: A Study of American Experimental Poetry (1936). Maule's Curse: Seven Studies in American Obscurantism (1938). The Anatomy of Nonsense (1943). In Defense of Reason (1947), enthält auch das vorangehende Buch. Zit. als DR. The Function of Criticism: Problems and Exercises (1957). Zit. als FC. On Modem Poets (1959). The Poetry of W. B. Yeats (1960). Forms of Discovery: Critical and Historical Essays on the Form of the Short Poem in English (1967). Zit. als FD. Uncollected Essays and Reviews, hg. v. Francis Murphy (1976). Zit. als UER. Kenneth A. Lohf und Eugene P. Sheehy. Yvor Winters: A Bibliography (1959). Hart Crane and Yvor Winters: Their Literary Correspondence, hg. v. Thomas F. Parkinson (1978). Keith McLean. The Moral Measure of Literature (1961). Richard). Sexton. The Complex of Yvor Winters' Criticism (1973). W. W. Robson. »Yvor Winters: Counter-Romantic«, in The Definition of Literature and Other Essays (1982). Dick Davis. Wisdom and Wilderness: The Achievement of Yvor Winters (1983).
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WILLIAM K. WIMSATT (1907-1975) Ich befasse mich mit William K. Wimsatt erst im letzten Kapitel meines Buches zum einen, weil er der jüngste der amerikanischen Kritiker ist, die ich ausführlicher behandeln wollte. Zum anderen ist er der Kritiker, der meiner Meinung nach die Position der New Critics am überzeugendsten zusammengefaßt und auch neu formuliert hat. Schon sehr früh allerdings hatte er sich gegen die New Critics abgegrenzt mit der Bemerkung, er sei kein »fortgeschrittener Anhänger von Richards oder Ransom« (University Review 9 [1942]: 139). Als er im Dezember 1975 starb, würdigte man ihn in den Nachrufen zu Recht als herausragenden Experten in bezug auf die Literatur des 18. Jahrhunderts. Er schrieb Bücher über Dr. Johnsons Stil und Wortschatz, gab einen Band der BoswellAusgabe (Yale) heraus, verfaßte scharfsinnige und differenzierte Artikel über Alexander Pope (geschickt zusammengefaßt in seiner Einleitung zu Selected Poetry and Prose, 1972) und schließlich die weitgefächerten Studien über die Entwicklung der englischen Dichtung von der augusteischen Epoche über die am Ende des 18. Jahrhunderts wieder neu belebte Vorliebe für ältere Dichtung bis zur Bildlichkeit der Romantiker. Dies alles wäre mehr als genug für das Leben eines Forschers. Zu ergänzen ist jedoch noch der großartige Band The Portraits of Alexander Pope (1966). Darin findet sich eine vollständige Sammlung und Reproduktion aller bekannten Porträts Popes, der im übrigen der erste englische Dichter war, über den eine zusammenhängende Porträtfolge besteht. Darüber hinaus wird die Beziehung zwischen dem Dichter und seinen Porträtisten untersucht. Die Vorbilder der Porträts werden so genau erforscht, daß diese Methode als Modell für ähnliche Untersuchungen über die Geschichte der Porträtmalerei und -skulptur gelten kann. Dennoch wird Wimsatt hauptsächlich als Literaturtheoretiker Bedeutung behalten. Radikaler als jeder andere bekannte Kritiker vertrat Wimsatt den »Objektivismus«, die Überzeugung, daß die Literaturkritik sich auf das Kunstwerk selbst konzentrieren müsse. Schon in seinem frühen, vielbeachteten Aufsatz »The Intentional Fallacy« (1946 in Zusammenarbeit mit Monroe C. Beardsley verfaßt) lehnte Wimsatt jeden literarkritischen Ansatz ab, der sich mit der Genese eines Werks im Bewußtsein des Autors oder mit seiner Abhängigkeit von historischen
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und sozialen Vorbildern beschäftigte. Dieser etwas unzusammenhängende Aufsatz wandte sich gegen die Auffassung, daß »die Absicht des Autors als Maßstab für die Beurteilung des literarischen Kunstwerks dienen könnte oder sollte« (VI, 3). Vor allem in »Genesis: An Argument Resumed« (1968, in DL), aber auch in vielen anderen Zusammenhängen wird die »dichterische Intention« zum Zentrum einer Kritik an Maßstäben, die sich aus den Vorstellungen von »Inspiration«, »Ausdruck«, »Authentizität«, »Aufrichtigkeit«, »Absicht« und ähnlichen Vorstellungen entwickelt hatten (DL, 35). Wimsatts Auffassung impliziert auch eine Kritik an der expressionistischen Theorie Benedetto Croces (obwohl Croce ebenfalls die dichterische Absicht als Wertkriterium ablehnte); der Freudsche Ansatz wird in seinen unterschiedlichen Formen ebenso abgelehnt wie die Suche der Genfer Schule nach dem cogito hinter dem Kunstwerk. Auch die biographische Methode, die nach Einzelheiten über Geschwister und Vorfahren des Dichters forscht und die etwa von Sainte-Beuve vertreten wird, schließt Wimsatt aus. Schließlich wendet sich Wimsatt gegen jede Art von historischem Determinismus, zum Beispiel auch gegen den Marxismus, den er pauschal ablehnte. Ein Kunstwerk kann weder durch die Bedingungen seiner Zeit noch durch die Bedingungen seiner Entstehung erklärt werden. Das Kunstwerk ist jedoch nicht nur von seiner Herkunft, sondern auch im Hinblick auf seine Leser autonom. Der zweite zusammen mit Monroe C. Beardsley verfaßte Aufsatz, »The Affective Fallacy« (1949), wendet sich sowohl gegen die »emotive« Theorie von I. A. Richards wie auch gegen den Impressionismus in der Kritik und den daraus resultierenden Relativismus: »Hier tritt das Gedicht selbst der eigentliche Gegenstand der Kritik - zu sehr in den Hintergrund« (VI, 21). Später weitet sich das Interesse an Richards zur Erforschung der gesamten bei Longinus beginnenden Tradition der Begriffe »die Begeisterung«, »das Erhabene«, »der große Stil« und anderer Begriffe aus: »Eine reine Gefühlsdichtung ist eine Illusion« (37). Die Katharsis, »die nach Aristoteles dem Zuschauer einen ruhigeren Schlaf verschafft, gehört eher in den Bereich der Experimentalpsychologie als in den der Literaturkritik« (LC, 37). Wenn wir Autor und Publikum aus unseren kritischen Erörterungen ausschließen, konzentrieren wir uns auf das Kunstwerk selbst, das »unabhängig«, »objektiv« oder zumindest »zum Objekt hypostasiert« oder - metaphorisch ausgedrückt - als »räumliches Objekt« existiert (DL, 194-95). Die Darstellung oder das Bild der Urne steht im Zentrum. Nicht jede Ausdehnung im Raum, so behauptet Wimsatt, ist sichtbar: »Einige Formen von Anordnung und Struktur sind weder räumlich noch überhaupt sichtbar. Die einfache Gegenüberstellung der zeitlichen Abläufe mit der Starre im Raum ist ein bedauerlicher, aber gängiger Irrtum« (LC, 194 A.). Dieser Objektivismus hat Wimsatt den Spitznamen »Yale-Formalist« eingetragen; man ordnete ihn einer imaginären Gruppe zu, der auch Cleanth Brooks und ich selber angeblich angehörten. Doch Wimsatt ist keinesfalls als Formalist zu bezeichnen, denn er begreift durchgängig das Kunstwerk als Verbindung von Form und
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Inhalt, Sprache und Bedeutung (DL, 118). Immer wieder verweist er auf die »organische Einheit des Kunstwerks«, obwohl er in einem späten Artikel, »Organic Form: Some Questions about a Metaphor« (1971, in DL), vor dem unqualifizierten Gebrauch dieser biologischen Metapher gewarnt hat. Er vertritt die Vorstellung der »Organizität«, weil sie dazu beiträgt, eine atomistische Sicht des Schaffensprozesses zu überwinden. Er lehnt diese Vorstellung jedoch ab, wenn sie zu undifferenzierter Gleichförmigkeit führt. Vielmehr vertritt Wimsatt die Idee der coincidentia oppositorum, die über Coleridge aus dem mittelalterlichen Denken übermittelt wurde. Das Kunstwerk wird als ein Ganzes, als individuell und einzigartig begriffen. Das Ganze geht den Teilen voraus, die Teile sind sowohl untereinander wie auch mit dem Ganzen verbunden (DL, 214-15): »Die engen, vielfältigen (und daher dramatischen und imaginativenWechselwirkungen< der Teile in einem Gedicht herauszustellen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben eines modernen Literaturkritikers« (220). Aber die Analogie zu einem lebendigen Organismus verstellt die Tatsache, daß ein Gedicht »vollständig erfaßbar ist; es ist durch und durch der Erkenntnis zugänglich« (216). Das Vermögen des menschlichen Geistes, sich selbst zu korrigieren (211), widerspricht der Vorstellung, daß Gedichte Organismen im wörtlichen Sinne sein könnten. In erster Linie sind Gedichte sprachliche Produkte. Besonders in seiner praktischen Literaturkritik ist Wimsatt ein ganz entschiedener Sprachkritiker. Seine scharfsinnigen Aufsätze über Metrum und Reim in der englischen Dichtung achten zwar sehr genau auf die Lautschicht des Kunstwerks, verstehen jedoch Metrum und Reim immer als Bestandteil der Bedeutung. Beispielsweise führt er in seinem Aufsatz »One Relation of Rhyme to Reason« überzeugend aus, daß es gänzlich unangebracht sei, bei Alexander Pope von einer »Armut des Reims« zu sprechen. Dieser Irrtum könne nur dadurch entstehen, daß man den Reim »als eine Form phonetischer Harmonie« und »unter dem Aspekt phonetischer Genauigkeit, Komplexität und Vielfalt« begreife. Man vergißt dabei, daß »Reim und Vernunft zusammengehören« (VT, 163). Vernunft meint »Bedeutung«. Sie zeigt sich im Kontrast verschiedener Redeteile oder in verschiedenen Funktionen ein und desselben Redeteils; sie zeigt sich in der Überraschung eines ernsten oder auch komischen Zusammenpralls, der keineswegs nur als »euphonisch« zu verstehen ist. »Der Klang des gesprochenen Worts allein ist unergiebig«, denn »die Wortkunst ist eine geistige Kunst« (165). Anhand vieler konkreter Beispiele erhärtet Wimsatt die Bedeutung solcher Redefiguren wie Zeugma, Parallelismus und Wortspiel, die als »der Logik zuwiderlaufend« bezeichnet werden können. Ebenfalls erörtert er logische Figuren wie Wiederholung, Variation oder Lautmalerei, die als Fehler angesehen werden (207). Das erste Kapitel von Wimsatts Dissertation The Prose Style of Samuel Johnson (1941) lautet »Style as Meaning«. Obgleich die Ausführungen dem Thema entsprechend den Schwerpunkt auf formale Aspekte wie Parallelismus, Antithese und Satzstruktur legen, stellt
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Wimsatt durchgängig heraus, daß die Wörter immer über ihren bloß verbalen Kontext hinausweisen. Man würde ihn völlig mißverstehen, unterstellte man ihm, daß er an ein »Gefängnis der Sprache« im Sinne der französischen Strukturalisten oder an ein »verbales Universum« in Northrop Fry es Verständnis glaube. Immer wieder betont er: »Unser gesamtes Wortwissen ist zu einem gewissen Grade immer auch Erkenntnis von Gegenständen«. Dichtung ist daher »eine Art Diskurs, in dem die Erkenntnis der Dinge von der Erkenntnis der Sprache abhängt und durch diese zum Ausdruck gebracht wird« (HC, 70). In der Dichtung sind die Wörter nicht mehr bloße Aussagen, Zeichen oder Hinweise. Vielmehr »repräsentieren sie die Gegenstände, die sonst von der Sprache nur bezeichnet werden«. Das Zeichen wird zum Symbol oder, wie Wimsatt lieber sagt (um die Zweideutigkeit des Symbolbegriffs zu vermeiden), zum icon, zum Bild. Seine erste Essaysammlung betitelte Wimsatt The Verbal Icon. In einer Anmerkung zu diesem Titel wies er darauf hin, daß er mit diesem Begriff - der über Charles Morris auf Charles Sanders Peirce zurückgeht - »ein verbales Zeichen« verstehe, »das in besonderer Form die Eigenschaften des von ihm bezeichneten Gegenstandes teilt«: »Es bringt nicht nur ein klares Bild zum Ausdruck, sondern enthält eine Interpretation der Wirklichkeit in ihrer metaphorischen und symbolischen Dimension« (VI, x). So ist Wimsatt überzeugt, daß Sprache nicht nur tbesei (durch Konvention), sondern auch physei (von Natur aus) existiere. Dieses Problem wurde schon von Platon im Kratylos erörtert und von Saussure zugunsten der völligen Konventionalität der Sprache entschieden; Roman Jakobson, Beneviste, Genette und andere haben diese Problematik wieder aufgegriffen. Wimsatts letzter Aufsatz, »In Search of Verbal Mimesis« (1975), stellt Argumente zusammen, die von Beispielen aus der konkreten Lyrik über Onomatopoesie, wurzelbildende Morpheme und Klangsymbolismus bis zu Diagrammen reichen, um überzeugend nachzuweisen, daß »die Wörter tatsächlich ihre Bedeutung verkörpern« (DL, 73). Die Hauptverbindung zwischen Gedicht und Wirklichkeit wird durch die Metapher geleistet. Literary Criticism: A Short History enthält die umfänglichste zusammenhängende Darstellung (554 der insgesamt 755 Seiten wurden von ihm verfaßt). Dieses Werk schließt mit einer überschwenglichen Hymne auf die Metapher: »Diese ist im weitesten Sinne das Prinzip aller Dichtung« (LC, 750). Sie verbindet »das Konkrete mit dem Signifikanten« (753): Sie erlaubt uns, die Mimesis in eine Theorie der Dichtung aufzunehmen. Mimesis bedeutet bei Wimsatt keinesfalls »Widerspiegelung der Wirklichkeit«, wie die marxistischen Kritiker in ermüdender Eintönigkeit behaupten, sondern ein kreatives Prinzip, fast schon Imagination im Sinne Coleridges. Dies gilt jedoch nur mit Einschränkungen, weil Wimsatt ein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber der idealistischen Kunsttheorie von Plotin bis Croce oder Susanne Langer hat. »Es ist zweifelhaft«, so führt er aus, »ob der Theorie der Übergang von der Epistemologie zur Kunst gelingt, ohne dabei einen Sprung zu machen, bei dem sie die
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Wissenschaft im streng formalen Sinn aufgeben muß« (399). In letzter Konsequenz kann Wimsatt nicht an die Identität von Subjekt und Objekt, von Kunst und Natur, wie es die Romantiker fordern, glauben. Hier, so schließt er, handelt es sich lediglich »um belebte Bilder«, um die »Theorie eines romantischen Anthropomorphismus« (400). Die Dichtung kann lediglich die »Wahrheit des >Zusammenhangss nicht die der >Entsprechung< herstellen«. Doch in der Dichtung »wird die Dimension des Zusammenhangs durch unterschiedliche Weisen der Implikation so vorangetrieben, daß eine gesonderte Dimension der Entsprechung zur Realität geschaffen wird. Dies ist die symbolische oder analoge Dimension. Doch alle Bedeutung muß unvermeidlich einen gewissen Bezug zur äußeren Realität haben, der einen - wenn auch minimalen - Anteil an Wahrheit enthält« (VI, 241). Daher kann Wimsatt Sidney zustimmen, der sagt: »Der Dichter behauptet nichts, daher lügt er auch nicht« (LC, 748). Meiner Meinung nach stimmen Wimsatt und Sidney jedoch nicht völlig überein, weil für Wimsatt »der Begriff der Wahrheit jenseits der Sprache liegt« (VI, 279) und weil das Kunstwerk für ihn die gesamte Wirklichkeit zum Ausdruck bringt. In dieser Weise greift er die hegelsche Formel vom »konkreten Allgemeinen« wieder auf wie Josiah Royce und Bernard Bosanquet vor ihm. Das Gedicht wird begriffen als »eine große schweigende Metapher oder ein umfangreiches Symbol, das über die im Gedicht selbst dargestellte Wirklichkeit hinausweist« (LC, 256). Dichtung und möglicherweise jede Kunst wird als eine einzige große Metapher für die gesamte Welt verstanden. Im Epilog zu Literary Criticism gelangt Wimsatt zu einem überraschend genauen Urteil über die Welt, das er aus der Dichtung ableitet. Die Dichtung läßt sich weder durch einen Monismus, wie Platon oder die Gnostiker ihn vertreten, noch durch den manichäischen Dualismus erfassen. Vielmehr stellt das »Dogma von der Inkarnation« die Zentralaussage der Dichtung dar, denn die Dichtung unterstützt diese Sicht der Welt, nämlich einen »Optimismus angesichts des Leidens«. In einer etwas unklaren Formulierung heißt es an anderer Stelle: »Dies ist nicht nur eine komplizierte Entsprechung, eine Methode des Wechsels von Glück und Trauer ..., sondern der heimliche Blick, die vertikale Vereinigung im metaphorischen Lächeln« (746). Mit Witz versteht die Dichtung ihr Wesen zu tarnen: »Ironie sollte als ein kognitives Prinzip benutzt werden, das sich über das Paradox zu einem generellen Prinzip der Metapher und der metaphorischen Struktur entwickelt. Diese Spannung ist immer vorhanden, wenn Sprache in einer entscheidend neuen Art benutzt wird« (747). Die Schlüsselbegriffe des New Criticism, Ironie, Paradox und Witz, werden hier der Metapher untergeordnet. Die Metapher wird zu einem Begriff, der das Wesen der Welt zeigen kann. Wimsatt weigert sich, weitergehende Theorien anzuerkennen. Obgleich man den Mythos entsprechend Vicos Ausspruch: »Jede Metapher ist ein Mythos in nuce« als ausgefaltete Metapher ansehen könnte, bezeichnet Wimsatt den Mythos argwöhnisch als »aufgeblähtes Symbol« und die Mythenkritik als »antiver42 Wellek, Literaturkritik 4/1
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bale Poetik« bzw. als eine Art des Didaktizismus (LC, 733-35). Northrop Frye wird eingehend kritisiert, weil er die Ansicht vertritt, daß der Queste-Mythos der Ursprung aller literarischen Gattungen sei: »Es ist ausgeschlossen, daß sich ein solches geschlossenes, zyklisches und enzyklopädisches System, ein solcher Monomythos irgendwo auf der Welt im Zusammenhang mit einem religiösen Ritual oder aus ihm abgeleitet gebildet haben könnte« (DL, 88). Fryes Forderung nach einem allumfassenden Mythos widerspricht Wimsatts fester Überzeugung, daß die Dichtung sich von der Religion und der Philosophie abgrenzen müsse. Die Mythenkritik »erschafft einen neuen Mythos, wenn ihr einziger Einwand gegen den alten Mythos darin besteht, daß dieser ein vergangener Mythos ist« (VI, 278). Wimsatt bezeichnet Matthew Arnolds Voraussage, daß die Dichtung zur Ersatzreligion werden wird, als einfach »erschreckend« (LC, 448). Ebenfalls verurteilt er Irving Babbitts »konsequente Ablehnung der Offenbarungsreligion« als eine Haltung, die »sogar die kulturellen Träume Arnolds noch übertrifft« (451). Auch von Shelleys großartiger Verkündigung, daß die Dichter die »unerkannten Herrscher der Welt« seien, distanziert er sich entschieden (421-23). Es ist nicht immer leicht zu erkennen, welche Aufgabe der Dichtung in Wimsatts System zukommt. Die Metapher, so sagt Wimsatt, »fügt die Gegensätze zusammen«: »Durch diese Spannung generiert die Dichtung eine neue Sicht der Wirklichkeit, die die gesamte Fülle, Vollständigkeit und Konkretion der Erfahrung enthält« (HC, 41). Diese Auffassung greift Ransoms Idee vom »Weltkörper« auf, die ihrerseits aus den empiristischen Theorien der Partikularität abgeleitet wurde. Doch die Literatur liefert auch ethische Vorbilder, Verhaltensmodelle, wobei dies jedoch nicht mit direktem Didaktizismus oder mit Propagandakunst verwechselt werden darf. Mit dem moralischen Aspekt der Kunst hat Wimsatt jedoch durchaus Schwierigkeiten. So verurteilt er Antony and Cleopatra als »unmoralisch« (VI, 96) und entrüstet sich über die »albernen Vorstellungen« von Blakes »lasterhaftem Gedicht« »London« (DL, 32-33). Die der Literatur auferlegten moralischen und religiösen Wertmaßstäbe können allerdings zu Konflikten mit den ästhetischen Maßstäben führen. So erkennt Wimsatt durchaus, daß Antony and Cleopatra ein »großartiges« Drama ist. Andererseits erklärt er, daß »die Religion das einzige Thema wirklich großer Dichtung ist« (HC, 39). Die sonst von ihm vertretene Auffassung der Dichtung als Spiel, wie sie in seiner Analogie zwischen Dichtung und Schachspiel oder seiner Vorliebe für die Komödie und das Lachen zum Ausdruck kommt, wird allerdings hier außer acht gelassen. Da die Literatur jedoch keinesfalls die Funktionen der Religion oder einer besonderen philosophischen Weltsicht übernehmen darf, bleibt sie ein Panorama nicht ganz widerspruchsfreier Weltauffassungen. So findet sich bei Homer, in der griechischen Tragödie, bei Lukrez, Dante, Shakespeare, Milton, Wordsworth und Baudelaire eine »ganz unterschiedliche konkrete Wirklichkeit dargestellt« (VI, 89). Der »christliche Kritiker« - und Wimsatt sieht sich als christlichen Kritiker - hat seine eigenen und besonderen Maßstäbe.
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Bisher wurde die Dichtung oder die imaginative Literatur aufgefaßt als etwas, das zugleich unterschieden und einheitlich, allgemein und besonders, vergangen und gegenwärtig ist. Wimsatt akzeptiert eine Unterteilung der Dichtung in Gattungen nur als Beschreibungshilfe. Er wendet sich mit einiger Schärfe gegen die Chicagoer Aristoteliker, weil sie behaupten, man könne keine allgemeine Aussage über Dichtung formulieren, ohne dabei auf das Gebiet der Psychologie überzugreifen. Mit dem ihm eigenen metaphorischen und geistreichen Witz macht er sich über die Ansicht der Aristoteliker lustig, daß man einen Gegenstand wie die Dichtung zunächst »in ihre Gattungen zerlegen muß, um eine objektive Feststellung treffen zu können. Wenn man versucht, eine Pastete auf einmal zu verschlingen, dann wird sie sich in ihr Rezept bzw. in ihren Geschmack auflösen. Wenn man sie dagegen in Stücke schneidet, dann wird sie als Pastete ganz bleiben« (VI, 57). Die kumulative Erfahrung der Literaturkritik spricht gegen die Gattungstheorie. Nach Wimsatts Ansicht ist der Versuch E. D. Hirschs, die Interpretation von der Kenntnis der Gattung abhängig zu machen, verfehlt: »Wir entdecken die Gattung eines Kunstwerks durch die Lektüre und nicht vorher« (DL, 191). Dichtung oder genauer die imaginative Literatur setzt sich klar gegen die anderen Künste ab. Wimsatt mißtraut einer allgemeinen Ästhetik, da diese »sensualistisch ausgerichtet ist« und daher »keine hinreichenden Grundlagen für den Literaturkritiker liefern kann« (JEGP 52 [1953]: 586 A.). Er leugnet eine spezifisch ästhetische Komponente in der Literatur, zumindest in dem Sinne einer dem Gegenstand inhärenten Komponente, die dabei ohne Bezug zur Lebenswirklichkeit bleibt (JEGP 53 [1945]: 270). Sein Aufsatz mit dem Titel »Laokoon: An Oracle Reconsulted« schließt mit der Erkenntnis, daß »eine tatsächliche formale, stilistische oder ästhetische Abhängigkeit der Künste untereinander nicht möglich ist« (DL, 50ff.). Croces Versuch, die Unterschiede zwischen den Künsten aufzuheben, schlage fehl, da ein unüberwindlicher Unterschied bestehe zwischen dem bloß verbalen Konstrukt eines im Geist des Dichters existierenden Gedichtes und dem Gemälde oder der Skulptur, die erst durch den Herstellungsprozeß zur realen Existenz gelangen. »Dichtung«, so führt Wimsatt treffend aus, »ist vergleichbar mit einem Vogel in der Hand«: »Die Idee eines Bildes im Bewußtsein des Malers dagegen ist nur vergleichbar mit einem Vogel auf dem Dach« (LC, 403). Literatur unterscheidet sich von den anderen Künsten, weil »der intellektuelle Charakter der Sprache die Literatur für den Ästhetiker schwierig macht« (VI, 230). In einer späten Rezension von F. E. Sparshotts Structure of Aesthetics gelangt Wimsatt zu der überraschenden Schlußfolgerung, daß er unter den drei zentralen Vorstellungen der Ästhetik (Darstellung, Form und Ausdruck) den Ausdruck als die allen Künsten gemeinsame Größe auswählen müsse. Die Darstellung kann in der Musik »überhaupt nicht festgestellt werden«, und Form »im strengen Sinn läßt sich nur in sehr abstrakter Musik oder in reinen Formen mathematischer
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Malerei oder Bildhauerei feststellen«. So ist der Ausdruck das Hauptelement einer generellen Ästhetik. Doch ist »der Ausdruck grundsätzlich in allen Künsten nicht trennbar von Darstellung und Form«. Der Ausdruck ist weniger mit der Biographie oder dem Dichter selbst verbunden. Er wird vielmehr verstanden als in eine Form gebrachte »Artikulation, Abstraktion, Symbolisierung und Bedeutung« (Review of Metaphysics 20 [1966]: 82, 85). Darstellung und Mimesis dominieren in der Literatur, Form und Ausdruck sind dagegen für Wimsatt weniger wichtig. Literatur wird als unmittelbar gegenwärtig verstanden in dem Sinne, wie Eliot Tradition definiert. Tradition und Geschichte werden als unlösbar miteinander verknüpft begriffen: »Ich akzeptiere keine Sicht der Literatur, die diese als ihrem Wesen nach revolutionär bezeichnet« (DL, 117). Besonders die kontinuierliche Verbindung zur Antike wird nachhaltig empfunden. Platon, Aristoteles, Horaz und Longinus werden in die Diskussion einbezogen, als seien ihre Werke erst gestern erschienen. Sie liefern Vorbilder für gegenwärtige Vorstellungen. So wendet sich Wimsatt gegen die Forderung der Historiker, einen Autor nur aus seiner Zeit heraus zu beurteilen. Ihm erscheint es absurd, daß »alle Erkenntnisse über Shakespeare mit dem Ende seiner Epoche aufgehört haben sollten« (VI, 56). Vielmehr habe Shakespeare heute mehr Bedeutung und Wert als zu seinen Lebzeiten: »Obwohl wir Homers Sprache nur mit Mühe rekonstruieren können und obwohl wir nicht wissen, wieviele Personen sich tatsächlich hinter seinem Namen verbergen, hat er heute mehr Bedeutung und mehr Wert als je zuvor« (DL, 39). So ist in der Geschichte oder zumindest in der Kritikgeschichte ein Zuwachs an Bedeutung festzustellen, der im Widerspruch zu Wimsatts Überzeugung vom Verfall des westlichen Bewußtseins steht. Wimsatt spricht von »einem drei Jahrhunderte währenden Abstieg des modernen Menschen aus den Höhen der Theologie und der Metapysik« (DL, 161). Er ist überzeugt von der dissociation of sensibility; für ihn stellt sie eine Katastrophe dar, die im 17. Jahrhundert in England einsetzte: »Sowohl das Gefühl wie die Fähigkeit des Urteils wurden künstlich von ihrem Hintergrund, dem aristotelischen Ideengebäude und einem wesentlichen Glauben an Gott, den Menschen und das Universum«, getrennt (LC, 253). Diese etwas umständliche Formulierung wird genauer erläutert: »Es handelt sich um ein Auseinanderstreben von Gefühl und damit verbundenen Bewußtseinsaspekten einerseits und dem Erkennen und Bewerten andererseits. Daraus entsteht eine Trennung von Autor und Inspiration einerseits und Publikum und Rezeption andererseits« (284). Der Terminus dissociation bezeichnet hier eine Abkehr vom »Objektivismus« und eine Hinwendung zum »internationalen und affektiven Irrtum«. Diese Auffassung ist auf die Antike zurückleitbar und kann daher kaum als Erfindung des 17. Jahrhunderts bezeichnet werden. Literaturkritik beginnt für Wimsatt mit einem Kommentar, der eine sachliche Beschreibung der wesendichen Merkmale des Kunstwerks liefert. Danach wen-
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det sie sich behutsam einer Herausarbeitung der impliziten Bedeutung und dem Nachweis der Einheit und Kohärenz etwa eines Gedichts zu. So gelangt sie schließlich zu einer wertenden Beurteilung: »Das Hauptproblem der Literaturkritik besteht darin, das Verständnis und die Bewertung so weit wie möglich im Gleichgewicht zu halten, bzw. darin, zu einem wertenden Verständnis zu gelangen« (VI, 251). Nach Wimsatt ist die Bewertung keinesfalls rein subjektiv. Er glaubt an »ein vorhandenes Wertsystem und an eine darin aufgezeigte Hierarchie der Werte« (JEGP 52 [1958]: 585). Die Literaturkritik wird »als objektiv und absolut« von der »nur ort- und zeitbezogenen Literaturkritik« unterschieden. Wimsatt glaubt an ein gleichbleibendes Wesen des Menschen und an ein Moralsystem, das die Unterscheidung zwischen positiven und negativen Handlungen des Menschen ebenso möglich macht wie die Beurteilung eines Gedichts als tiefsinnig, vollendet und komplex oder seicht und oberflächlich (VI, 82). Doch während das Urteil abschließend und gültig sein kann, gerät die Literaturkritik immer an ein letztes, nicht mehr auflösbares Mysterium: »In jedem Gedicht gibt es etwas (eine spezielle Eingebung oder eine Vorstellung), das nicht anders ausgedrückt werden könnte« (83). Es reicht nicht aus, diesen Sachverhalt als »Häresie der Paraphrase« zu bezeichnen. Vielmehr werden darin die Grenzen der Literaturkritik offenbar. Ein Gedicht gleicht der Wurzel aus zwei oder auch der Zahl pi: »Neben der erkennbaren, doch nicht beschreibbaren Eigenart des Gedichts gibt es noch das unbekannte und nicht mitteilbare Geheimnis der dichterischen Inspiration« (LC, 53). Auch die Theorie ist nicht in der Lage, dieses nicht definierbare Zentrum zu erklären (25). Wegen dieses letzten Geheimnisses lehnt Wimsatt katholische Schriftsteller wie Bremond, Peguy und den späten Maritain ab. Mit Bezug auf Gebet, Trance und Ekstase versuchen diese Schriftsteller, eine mystische Poetik zu entwickeln. Durchgängig betont Wimsatt, daß er sich als Anhänger de la Ramees und als Visualisten verstehe. Nachhaltig vertritt er die Überzeugung, daß die Theorie nur zur gedanklichen Klärung eines Sachverhalts führen könne (HC, 35). Mit Vorliebe erklärt Wimsatt seine Ausführungen durch Diagramme und visuelle Metaphern. Er ist überzeugt davon, daß die Literaturkritik nach rationalen Verallgemeinerungen und theoretischen Überlegungen streben müsse. Dabei müsse sie die Geheimnisse bestehen lassen, dürfe sich aber dennoch keinem neuen Anti-Intellektualismus ausliefern. Er klagt über »die Ausuferung der >Bewußtseins-SchuleSprachlosigkeitTod der Literatur< feiern, sind neben vielen anderen Bestrebungen Versuche, die >postmoderne Imagination zu etablieren« (DI, 248). Bei dem vorangegangenen Überblick über Wimsatts Theorien habe ich mich bemüht, diese Theorien in einen Zusammenhang zu stellen. Nur gelegentlich
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habe ich auf einige Widersprüchlichkeiten hingewiesen. Für diese Darlegung mußte ich allerdings auswählen und Akzente setzen, die von einem anderen Standpunkt aus zu kritisieren wären. Wahrscheinlich habe ich mich Wimsatts Vorwurf ausgesetzt, es sei »falsch zu meinen, daß der Standpunkt eines Autors ein kohärentes Ganzes oder ein dialektischer Prozeß sein müsse und daß sich - wie in jedem einzelnen seiner Werke - sogar noch exakter in seinem gesamten Oeuvre eine Einheit feststellen lasse« (DL, 37). Dennoch hoffe ich, durch meine Darlegung gezeigt zu haben, daß Wimsatt seine Ansichten über 35 Jahre lang konsequent, zusammenhängend und klar vertreten hat. Dies gilt für sein Gesamtwerk, von den frühen Artikeln, die sich gegen die Überbetonung von Poes intellektueller Meisterschaft richten, bis zu seinen letzten Ausführungen über verbale Mimesis in dem posthum erschienenen Band Day of the Leopards: Essays in Defense of Poems (1976). Zweifellos ergaben sich kleinere Akzentverschiebungen in der Argumentation und oftmals waren spätere Formulierungen erhellend für einen früheren Text. So war etwa der Terminus intentional fallacy Anlaß für viele Mißverständnisse und ausführliche Kontroversen. In seinem späten Aufsatz »Genesis: An Argument Resumed« (1968) nimmt Wimsatt darauf Bezug. In dem Band On Literary Intention (hg. v. David Newton-De Molina, 1976) finden sich wesentliche Beiträge dieser Kontroverse zusammengestellt. Im Vordergrund stehen allerdings Beiträge, die die Bedeutung der Intention in der Literaturkritik betonen. Doch die meisten der Angriffe verfehlen Wimsatts Position. Niemals hat Wimsatt daran gezweifelt, daß »die Wörter eines Gedichts aus dem Kopf ihres Autors stammen und nicht aus dem Hut gezaubert werden«; diesen Ausspruch von E. E. Stoll zitiert er selber (VI, 4). Mit Nachdruck hält er jedoch an der Forderung fest: »Weder die Aussage eines Werkes noch das Werk selbst wird durch die Intention des Künstlers allein bedeutsam« (DL, 12). Denkt man an die zahlreichen falschen Angaben von Schriftstellern über ihre ursprünglichen Absichten, so erscheint diese Position durchaus vernünftig. Der viel weitergehende Vorwurf, Wimsatt habe kein Interesse an der Dichterpersönlichkeit, der dichterischen Biographie und dem allgemeinen historischen und sozialen Hintergrund gezeigt, ist nicht haltbar. Tatsächlich hat Wimsatt ein ausgeprägtes Interesse an Biographie und Literaturgeschichte. Vielfach hat sich Wimsatt über die historischen Determinanten der Wortbedeutungen und über den Einfluß der sozialen Faktoren geäußert. Ich zitiere einige dieser Äußerungen: »Die Bedeutung eines Wortes erschöpft sich nicht im Wort selbst, sondern umfaßt seine gesamte Geschichte und die Zusammenhänge, in denen es benutzt wurde. Teil dieser Geschichte sind die Erfahrungen und Assoziationen des Autors«. (University Review 9 [1942]: 141). Ähnlich formuliert Wimsatt: »Als Medium der Literatur müssen die Wörter verstanden werden; wenigstens zum Teil resultiert dieses Verständnis aus historischen Belegen« (VI, 254). Er sagt ausdrücklich: »Unabweisbar gelangen historische Ursachen bis in die Bedeutungen der literarischen Werke« (254). Die Vorliebe Popes und seiner Zeitgenossen
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für Freunde aus aristokratischen Kreisen kommentiert er: »Dieser Umstand war nicht nur eine soziale und ökonomisch bedingte literarische Mode; er prägte vielmehr das Bewußtsein des Schriftstellers und bestimmte sein Weltbild« (Pope, Selected Poetry and Prose, xxii). Dennoch besteht Wimsatt auf einer Unterscheidung zwischen historisch-genetischer und deskriptiv-analytischer Literaturbeschreibung. Diese Unterscheidung entspricht Saussures Unterscheidung von Synchronie und Diachronie in der Linguistik. Diese Methode hat zu großen Fortschritten in der Linguistik geführt, ist jedoch in den letzten Jahrzehnten zugunsten einer Untrennbarkeit von historischen und deskriptiven Untersuchungen bestritten worden. Wimsatts Position hat die Aufmerksamkeit auf die Analyse und Bewertung der Texte selbst gelenkt und die Bewertungsmaßstäbe der traditionellen Literaturkritik - etwa Aufrichtigkeit, Spontaneität, Authentizität und »lebendige Erfahrung« - in Frage gestellt. Seine Position hat dazu beigetragen, die Auffassung eines extremen sozialen oder historischen Determinismus, derzufolge ein Kunstwerk als Spiegel einer Epoche oder einer sozialen Situation gedeutet wird, zurückzuweisen. Wimsatt stellt nicht in Frage, daß ein Kunstwerk im Zusammenhang der Biographie des Autors oder der Entstehungsgeschichte gesehen werden muß. Vielmehr stellt er - wie Hillis Miller - die Frage: »Wo endet der Kontext eines Gedichts?« (DL, 196). Seiner Meinung nach stößt die Frage nach den historischen Ursprüngen auf Grenzen. Auch Wimsatts Kritik an der affective fallacy erweist sich als berechtigt, wenn man darin die Zurückweisung des vagen Fühlens über Dichtung oder des mysteriösen »Ausgleichs von Impulsen« (I. A. Richards) erkennt. Wimsatt bestreitet energisch, daß die Qualität des ästhetischen Gefühls Gegenstand der Literaturkritik sei. Dies ist verständlich, weil er Zweifel an der gesamten Idee eines speziell ästhetischen Verhaltens wie auch an dem traditionellen Schönheitsbegriff - zumindest in bezug auf die Literatur - hat: »Die richtige Reaktion auf Kunst und Literatur wird sich von selbst ergeben« (LC, 740). Wimsatts Ansicht wird sehr treffend als »ergozentrische Ansicht« bezeichnet. Dieser Ausdruck stammt von Manfred Kridl, hat sich jedoch nicht durchgesetzt, weil er oftmals fälschlich als »egozentrisch« gelesen wird. Diese Auffassung kann auch durch Eliseo Vivas nicht widerlegt werden, der zu Recht meint: »Die Beschäftigung mit dem Gedicht selber verlangt vom Leser, über ein Gedicht zu sprechen, das er weder gelesen noch gesehen hat« (The Artistic Transaction, 224). Vor allem in seinen Arbeiten über die Theorie der Komödie kommt Wimsatt immer wieder auf die Wirkung der Literatur zu sprechen. So sind das Gelächter, Hobbes' Begriff vom »plötzlichen Ruhm« und der Vorgang der Desillusionierung Phänomene, die sich notwendigerweise auf das Gefühl beziehen. Gelegentlich spricht Wimsatt von einem »speziellen Leser«, im Hinblick auf den »der Stil, die Struktur und die Metaphorik eines Gedichts ausgewählt worden sind. Andere Gedichte sind als geschlechtsspezifisch, schichtenspezifisch oder parteispezifisch zu verstehen. The Rape of the Lock richtet sich unmittelbar an ein gewählte-
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res Publikum als The Dunciad«. Wimsatt sagt: »Im Zusammenhang der kognitiven Auseinandersetzung verbindet die Literaturkritik Sprecher und Publikum zu einer Einheit« (VI, xvi). Damit scheint Wimsatt den Begriff der »Horizontverschmelzung« vorwegzunehmen, der sich bei den deutschen Vertretern der Rezeptionsästhetik findet. Dennoch hütet er sich vor Urteilen wie dem F. W. Batesons, daß die Gültigkeit des literarischen Werkes von dem Grad der Übereinstimmung mit dem Verstehenshorizont eines bestimmten historischen Publikums abhänge. Wimsatt gelangt zu der einleuchtenden Schlußfolgerung: »Es reicht nicht aus, daß der Kritiker das Verständnis eines beliebigen zeitgenössischen Lesers, sei es ein Durchschnittsleser oder ein Eliteleser, beachtet; vielmehr geht es in einem allgemeinen menschlichen Sinne um ein >ideales Verständnis Bedeutung< des Gedichts selbst richten« (IQ 546-47)· Die Bedeutung des Gedichts zu erforschen ist Wimsatts Hauptinteresse. In seinen ausgezeichneten und scharfsinnigen Untersuchungen zur Lyrik befaßte er sich nicht nur mit den formalen Belangen (Metrum, Klanggestalt und Reim), sondern vor allem mit dem Stil, der für ihn in der Beziehung von Wort und Bedeutung bestand. Durchgängig und ausführlich vertrat er die Einheit von Form und Inhalt, die Organizität des Kunstwerks, die er als Einheit in der Vielheit verstand. Er sah diese Einheit als Verbindung von Gegensätzen, die er als »spannungsreich« bezeichnete, um sie gegen eine entweder rein formal-stilistische bzw. gegen eine inhaltlich-didaktische Auffassung abzugrenzen (HC, 36). Außerdem beschäftigt er sich - und darin liegt die Besonderheit seiner Auffassung - bevorzugt mit der Beziehung zwischen Dichtung und Wirklichkeit. Für die Lyrik hat er den treffenden Ausdruck des »Wortbildes« (the verbal icon) geprägt. Dieser Ausdruck bezeichnet seiner Meinung nach das Wesen der Lyrik besonders zutreffend, weil damit die im Kunstwerk vorliegende Repräsentation und Interpretation der Wirklichkeit zum Ausdruck gebracht wird. Wimsatt ist sich sehr genau der Problematik einer rein »autotelischen« Literaturauffassung bewußt. Wie kann ein Gedicht in sich selber ruhen und seine Einzigartigkeit und Einheit bewahren, wenn man es lediglich als Äußerung über Wirklichkeit auffaßt? Der Begriff des Bildes (icon) wird anhand von Formulierungen wie »das konkrete Universale«, »Metapher«, »Symbol« und »verbale Mimesis« erläutert und entfaltet; durch diese Begriffe soll die Verbindung zwischen Dichtung und Wirklichkeit beschrieben werden. Es leuchtet ein, daß ein Gedicht »sowohl eine in sich abgeschlossene Einheit darstellt als auch über eine metaphorische Beziehung zur Wirklichkeit verfügt« (VI, 217). In immer neuen Formulierungen hebt Wimsatt die »Verdichtung des Mediums«, »die Geschlossenheit und Dichte des Gedichts und die Fülle der vorgeführten Bedeutungen« hervor (231). Wimsatt kommt allerdings nicht umhin, eine letztlich mystische
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Weltauffassung zu vertreten. Die Wirklichkeit enthält Metaphern und Analogien; Natur und Gesellschaft enthalten Bedeutungen, die sich in der Dichtung »offenbaren«. Dies ist die Lehre von der signatura rerum, wie sie Crashaw oder auch die Schlegels, Novalis oder Coleridge vertraten. Für das Denken der Gegenwart erscheint eine solche Auffassung inadäquat. Ich betrachte die Metapher durchaus als wichtiges Element der Dichtung. Ich betrachte sie als eine rhetorische Figur, deren Hauptleistung darin besteht, eine Art stereoskopische Wirkung zu erzielen; wir sehen zwei Gegenstände von zwei Seiten und sehen sie zugleich als Einheit. Sprachliche Metaphern stellen allerdings weder Analogien, Korrespondenzen oder Ähnlichkeiten dar, die sich in den Gegenständen selber oder in unserem Denken auffinden lassen. Ein phänomenologischer Ansatz, wie Husserl ihn vertrat und wie Roman Ingarden, Mikel Dufrenne oder die entsprechenden Theoretiker der Semiotik, Roman Jakobson und Jan Mukafovsky, ihn weiterentwickelten, hätte den Rekurs auf das Mysterium der Inkarnation und auf eine emblematische Weltsicht erübrigt. Doch hier geht es letztlich um eine religiöse oder philosophische Entscheidung. Doch auch wenn man eine andere Weltanschauung als Wimsatt vertritt, sollte man dennoch den Wert seiner Literaturtheorie anerkennen. Die Vorzüge dieser Theorie sind zunächst das Interesse am Gegenstand selber und die Analyse seiner Bestandteile. Seine erfolgreiche Polemik gegen modische Richtungen wie den Chicagoer Aristotelismus oder die Mythenkritik, seine Untersuchungen über Dichtungs- und Kritikergeschichte, sein entschiedenes Eintreten für Werturteile in der Literaturkritik sind ganz entschiedene Verdienste. Stets ist Wimsatt dafür eingetreten, die Literatur als eigenständige Wirklichkeit anzuerkennen, sie aber auch als Realität zu verstehen, die auf vielfältigste Weise Wahrheiten über den Menschen und das Universum zur Darstellung bringt.
AUSWAHLBIBLIOGRAPHIE The Prose Style of Samuel Johnson (1941). The Philosophie Words (1948). The Verbal Icon: Studies in the Meaning of Poetry (1954). Zit. als VI. Literary Criticism: A Short History, zusammen mit Cleanth Brooks (1957). Zit. als LC. Hateful Contraries: Studies in Literature and Criticism (1965). Zit. als HC. The Portraits of Alexander Pope (1965). Day of the Leopards: Essays in Defense of Poems (1976). Zit. als DL. Die Abkürzung für das Journal of English and Germanic Philology istJEGP. Eliseo Vivas. »Mr. Wimsatt on the Theory of Literature«, in The Artistic Transaction and Essays on Theory of Literature (1963). Auch in Comparative Literature 7 (1955): 344-61.
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1950 wurde die Literaturkritik in England von T. S. Eliot und F. R. Leavis bestimmt, während in Amerika der New Criticism herrschte. Ästhetizismus und Naturalismus, die sich am Ende des 19. Jahrhunderts gegenüberstanden, wurden überwunden und durch die Wiederbelebung der alten Lehre von der Untrennbarkeit und sogar Identität von Form und Inhalt ersetzt. Diese Vorstellung geht auf Aristoteles zurück. In der englischsprachigen Welt wurde sie jedoch von Coleridge neu formuliert und um weitere Aspekte ergänzt: Er beschäftigte sich mit der kreativen Imagination, der Aussöhnung der Gegensätze, dem Gedicht als organischem Ganzen und dem Symbol im Kontrast zur Allegorie. Alle diese Begriffe wurden durch ihn in die Literaturkritik eingeführt. T. E. Hulme und T. S. Eliot bekannten sich zur Klassik, I. A. Richards übersetzte Coleridge in die Begriffe des Behaviorismus, und Herbert Read verstand Dichtung im romantischen Sinn als »die wahre Stimme des Gefühls«. Welche Einwände und Vorbehalte auch immer gegen die Analogie des Organischen erhoben wurden, im frühen 20. Jahrhundert wurde die Literaturkritik von der Idee des Ganzen, der »Gestalt«, der Konfiguration und Struktur beherrscht. Die zentrale Erkenntnis der ästhetischen Qualität eines literarischen Werkes und der Lesererfahrung wurde trotz aller Abweichungen und Einsprüche und oft auch nur vage formuliert beibehalten. Fast alle bedeutenden Literaturkritiker faßten Literatur als Kunst auf. Sie glaubten, daß es die Aufgabe des Kritikers sei, zwischen Kunst und Nicht-Kunst zu unterscheiden, die großen Werke aus Vergangenheit und Gegenwart kritisch zu sichten und somit einen Kanon, eine Tradition, eine Reihe von Vorbildern oder Klassikern zu erstellen. Die meisten Literaturkritiker in England und Amerika stimmten darin überein, daß die aus dem 19. Jahrhundert übernommene rein impressionistische Würdigung eines Werkes nicht ausreiche, daß vielmehr zur Rechtfertigung einer kritischen Bewertung eine genaue Analyse erforderlich sei. Für die meisten Kritiker unterschiedlichster Richtungen rückte das Interesse an der literarischen Sprache in den Vordergrund ihrer Bemühungen. Sie konzentrierten sich auf die poetische Diktion und befaßten sich mit Bildern, Metaphern und Symbolen. Damals wandten die meisten Kritiker die linguistischen Techniken allerdings noch nicht in literaturwissenschaftlichen Arbeiten an; die Chicagoer Aristoteliker, die sich auf Handlung und Gattung spezialisierten, lehnten sogar generell
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jedes Interesse an der Sprache ab. Die alte Trennung zwischen denen, die Literatur als rein profane Kunst verstanden, und denen, die Kunst mit Kant als Symbol der Moral und damit letztlich als eine Form der Philosophie und Religion verstanden, blieb bestehen. Das Spektrum reichte von Kritikern, die Dichtung als Abbildung der realen oder idealen Welt verstanden, bis zu Kritikern, die nach dem Geheimnis unter der Oberfläche, nach philosophischen, religiösen oder sogar okkulten Bedeutungen suchten. Genauso groß war der Unterschied zwischen denen, die sich mit von mir als »intrinsisch« bezeichneten Methoden auf das literarische Werk konzentrierten, und denen, die »extrinsische« Methoden zur Literaturanalyse benutzten. Viele Kritiker befaßten sich auch mit genetischen Kriterien und konzentrierten sich auf die biographischen und psychologischen Hintergründe der Schriftsteller oder benutzten soziale Kriterien. Sie forderten, daß die Genauigkeit bei der Schilderung sozialer Umstände und ihre Bedeutung für soziales Verhalten Gegenstand des literarkritischen Urteils sein müßten. Um 1950 trat das Interesse an den Beziehungen der Literatur zu den großen Mythen der Menschheit, die die neue Anthropologie erforschte, in der Literaturkritik in den Vordergrund. G. Wilson Knights Schriften und R. P. Warrens symbolistische Interpretation von The Ancient Manner waren dabei richtungsweisend; T. S. Eliot und James Joyce hatten bereits Vorarbeit geleistet. Northrop Frye interpretierte in Fearful Symmetry (1947) Blakes prophetische Bücher als ein System kohärenter Mythen. Richard Chase führte in The Quest for Myth (1949) aus, daß alle gute Literatur Mythos sei. Diese Einstellung war die Reaktion auf den angeblichen Formalismus der New Critics. Die New Critics selber verstanden den Mythos allerdings durchaus als zentrales Mittel der Dichtung, als Hinführung zur Handlung, zum Thema oder zum Inhalt. Jede Geschichte konnte in bestimmter Hinsicht als Mythos verstanden werden: Selbst Huck Finns Fahrt den Mississippi hinab konnte als Mythos begriffen werden. Oft bestand die neue Mythenkritik aber auch nur in direkter Allegorisierung oder dem Versuch, einen primitiven Mythos oder ein Ritual hinter einem literarischen Werk zu entdecken. Dies war z.B. der Fall in Philip Wheelwrights einfühlsamer Interpretation der Orestie oder von The Waste Land in seinem Buch Burning Fountain (1954). Francis Fergusson suchte in Idea of a Theater (1949) die Riten zu erforschen, die den Dramen von Sophokles bis Tschechow und T. S. Eliot zugrunde liegen. Ein großer Teil der Mythenkritik entfernte sich sehr weit von der Literaturwissenschaft. Wheelwright verstand »ästhetische Kontemplation« als Station auf dem Weg zur Mystik und befaßte sich mit buddhistischen Sagen und Emblemen. Die Mythenkritik wurde von Northrop Frye in Anatomy of Criticism (1957) für die Literaturtheorie zurückgewonnen. In ganz anderem Zusammenhang antizipierte Frye dann die neue Version des Strukturalismus. Er verstand Literatur als »in ihrem eigenen Universum existierend«, so daß sie nicht mehr als »Kommen-
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tar von Leben und Realität« aufgefaßt werden kann: Vielmehr »enthält sie Leben und Realität in einem System verbaler Beziehungen«. Er entwarf ein diffiziles System von Darstellungs weisen, Symbolen und Mythen, für das Jungs Archetypenlehre die Grundvoraussetzung bildete, obwohl Frye kein Interesse an genetischen Erklärungen durch das kollektive Unbewußte zeigte. Vielmehr vertrat er eine synchronische Gattungstheorie, derzufolge Komödie, Romanze, Tragödie und Satire dem Rhythmus der Natur, den vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter entsprechen. Mit Hilfe von Substitutionen, Bedeutungsverdichtungen und Gleichsetzungen sucht Frye seinen Ansatz zu verteidigen. Dabei stellt er auch die gefährliche These auf, daß »das literarische Universum ein Universum ist, in dem alles mit allem potentiell identisch ist«. In einem solchen System sind keine künstlerischen Wertdifferenzen mehr möglich. Die schlichteste Volkssage gilt genauso viel wie Hamlet. In seiner »Polemical Introduction« schließt Frye Werturteile aus seinem Konzept der Literaturkritik aus. Es solle vielmehr, wie er hofft, »einen ständigen Fortschritt zur unterschiedslosen Universalität zeigen«. Als Kanadier blieb Frye ohne Einfluß auf die englische Literaturwissenschaft. Vielmehr wandte sich Frank Kermode in Romantic Image (1957) gegen die Tradition des Imagismus und Symbolismus und die damit verbundene Auffassung von der Entfremdung der Kunst und der Erhebung des Künstlers zum Propheten. In den Vereinigten Staaten dagegen trat man - durchaus unter dem Einfluß Fryes - sehr stark für eine romantisch-prophetische Dichtungsauffassung ein. Die Grundlage dafür legte Meyer Abrams' eindringliche und fundierte Darstellung der romantischen Literaturkritik und Philosophie in The Mirror and the Lamp (1953) und Natural Supernaturalism (1971). Geoffrey Hartmans Interpretation von Wordsworths Dichtungen in The Unmediated Vision (1954) und Wordsworth 's Poetry (1964) stellte den Konflikt zwischen Bewußtsein und Natur in den Mittelpunkt; Harold Bloom kontrastierte in The Visionary Company (1961) die englischen Romantiker von Blake über Yeats zu Wallace Stevens mit Eliots Auffassung einer kontinuierlichen Beziehung zwischen den Metaphysikern und den Symbolisten. Mit der Einführung des französischen Strukturalismus trat in der amerikanischen Literaturkritik eine entscheidende Wende ein. Diese Wende wurde eingeleitet durch ein Symposion an der Johns-Hopkins-Universität im Jahre 1966, an dem auch französische Wissenschaftler teilnahmen. Doch schon vorher hatte sich der Einfluß der neueren französischen Literaturkritik bemerkbar gemacht. Hartman hatte Maurice Blanchot gelesen. Die von George Poulet und der Genfer Gruppe der Bewußtseinskritiker vertretene Phänomenologie wurde schon bald von J. Hillis Miller adaptiert. In den Büchern über Dickens (1958) und die englischen und amerikanischen Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts (The Disappearance of God, 1963; Poets of Reality, 1965) beschreibt er die Seelenland-
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schaft des Autors durch ein Mosaik von Zitaten, wobei er jedoch die Einheit des Kunstwerks bewußt außer acht läßt. Ziel ist es, das cogito, die hinter dem Werk verborgene Persönlichkeit des Autors, herauszustellen. Diese Methode führt zu philosophischen und religiösen Ausführungen über Zeit und Raum, über Fragen der condition humaine und über den Tod Gottes. Der französische Strukturalismus steht unter dem Einfluß der linguistischen Theorien von Saussure und Roman Jakobson und der Anthropologie von Claude Levi-Strauss. In den Vereinigten Staaten waren Robert Scholes und Jonathan Culler hervorragende Verfechter dieser strukturalistischen Theorien. Außer der »Narratologie«, die sich mit der Erforschung von Erzähltechniken befaßt, finden sich in ihren Schriften keinerlei innovative Impulse für die Literaturwissenschaft. Keinesfalls ist ihre Arbeit vergleichbar mit der von Gerard Genette oder Tzvetan Todorov. In Amerika waren eher der »Poststrukturalismus« oder der »Dekonstruktionismus« erfolgreich. Diese Richtung, unter dem Einfluß von Jacques Derrida entstanden, wurde von Paul de Man und J. Hillis Miller - der damit seinen Standpunkt wechselte - vertreten. Die »Dekonstruktion« führt zum völligen Skeptizismus und sogar zum Nihilismus. Beides ist dem eigentlichen Strukturalismus, wie er als wissenschaftlich inspirierte Bewegung bestand und vom Prager Linguistischen Zirkel bereits 1929 formuliert worden war, fremd. Dennoch finden sich in der »Dekonstruktion« einige der Grundannahmen des Strukturalismus wieder. Hierzu gehört die Ansicht, daß die Sprache ein in sich geschlossenes System ist, das keinen Bezug zur Wirklichkeit hat. Nach der Auffassung der Strukturalisten leben wir in einem Gefängnis der Sprache (hierauf bezieht sich der Titel einer marxistischen Analyse von Fredric Jameson von 1972). Jedes Wort bezieht sich lediglich auf andere Wörter und so ad infmitum: »Es gibt nichts außerhalb des Textes.« Selbstgefällig wird das Ende des Autors, ja sogar der menschlichen Individualität schlechthin proklamiert. Doch Literatur ist mehr als Sprache: Sie ist eine Kunst wie Malerei, Bildhauerei und Musik und damit Gegenstand der Ästhetik. Der »Dekonstruktionismus« leugnet dagegen einfach die ästhetische Erfahrung, wie es beispielsweise früher I. A. Richards tat. Damit entfällt jede Unterscheidung zwischen imaginativer Literatur und anderen Schriften: Man spricht unterschiedslos von ecriture oder »Text«. So wird auch Literaturkritik zu Literatur. Die Kritiker können ihre persönlichen Eindrücke wiedergeben und sich paradoxerweise als Künstler gerieren, während sie gleichzeitig die Möglichkeit der ästhetischen Erfahrung bestreiten. Mit der Kunst als Kategorie verschwindet auch die Literatur. Jede Form der schriftlichen Äußerung - expositorisch, argumentativ oder rhetorisch wird Gegenstand der Literaturkritik. Wertkriterien gibt es nicht mehr: Kitsch und Kolportage werden bevorzugte Untersuchungsgegenstände. Ihre Erforschung soll Erkenntnisse über den populären Geschmack und literarische Grundmuster vermitteln, setzt jedoch die Hierarchie der literarischen Wertung außer Kraft. In seinem Werk What was Literature?(1982) bezeichnet Leslie Fiedler alle
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Literatur, die er zuvor bewunderte - dazu gehören T. S. Eliot, Joyce und andere Autoren -, als »elitär« und sogar repressiv. Statt dessen tritt er ein für triviale Science Fiction, harte Pornographie und für Romanschriftsteller, die bisher nicht zum literarischen Kanon zählten: Er nennt hier Gone With the Wind, Jack London und die Lederstrumpf-Erzählungen. Wenn es keine qualitative Differenz mehr zwischen Texten gibt, dann können Texte offensichtlich auch keinerlei Autorität mehr beanspruchen. Sie stellen weder für Leser oder Interpreten eine Herausforderung dar, noch haben sie überhaupt eine definitive Struktur. Schon früher wurde eine solche völlige Freiheit der Interpretation von I. A. Richards, Kenneth Burke und William Empson vertreten. Wenn allerdings die Interpretation völlig ins Belieben von Leser und Kritiker gestellt wird, wenn jeder Text mehrdeutig, polysem oder unauslotbar ist, so bedeutet dies das Ende der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur. J. Hillis Miller schlug die Wendungen »Parasit« und »Gastgeber« zur Bezeichnung der Beziehung zwischen Interpretation und Text vor. Er gelangt zu der Schlußfolgerung, daß alle Texte »unlesbar« seien, wenn »Lesbarkeit« in der Möglichkeit einer eindeutigen Interpretation besteht. Seiner Meinung nach ist der Nihilismus ein integrativer Bestandteil der westlichen Metaphysik. Er findet sich sowohl in den Gedichten selbst wie auch in ihren Interpretationen. Nietzsche gewinnt plötzlich große Autorität. Seine Aussprüche, daß die Wahrheit eine unstete Masse von Metaphern, Metonymien und Anthropomorphismen sei und daß wir nur Bilder der Gegenstände hätten, die in keiner Weise der wirklichen Entität der Gegenstände entsprächen, wird mit der Autorität einer biblischen Wahrheit zitiert. So vertritt Paul de Man in Blindness and Insight (1971) die Ansicht, daß Dichtung lediglich »Leere bezeichnet und sich selbst als reines Nichts auffaßt«. In Allegories of Reading (1979) versucht er die Literaturwissenschaft im Sinne der Rhetorik als Lehre von den Tropen, Kontradiktionen und - wie er es nennt - »Aporien« zu definieren. Rhetorisch wird ein Text dadurch, daß er »zwei unvereinbare und sich gegenseitig aufhebende Standpunkte zuläßt und daher jeder Interpretation unüberwindliche Hindernisse entgegenstellt«. Die Konsequenz dieser Aussage ist Resignation. De Man stimmt Audens berühmtem Ausspruch von 1939 zu: »Wenn kein Gedicht jemals geschrieben, kein Bild je gemalt oder kein Takt Musik je komponiert worden wäre, wäre die Menschheitsgeschichte doch nicht anders verlaufen.« Es verwundert nicht, daß es der Literaturwissenschaft an Studenten fehlt, wenn sie sich selbst in dieser Weise für überflüssig erklärt. Es ist jedoch keinesfalls meine Absicht, an dieser Stelle den Niedergang der Literaturkritik und der Literaturwissenschaft zu beklagen. Titel wie »The Death of Literature«, »The Prisonhouse of Language«, »A Map of Misreading« oder »What Was Literature?« beschreiben diese Situation und die vorherrschende Stimmung. Doch extremer Skeptizismus ist eine Möglichkeit, drängenden Fragen auszuweichen. Verzweiflung wird zum Alibi für die Flucht in den Elfenbein-
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türm. Wenn Literatur nur noch Sprachspiel ist, kann man Rhetorik, Tropen, Ambiguitäten und Mehrdeutigkeiten erforschen, ohne sich literarischen Werturteilen oder speziellen Welt- oder Gesellschaftsbildern auszusetzen. Ohne große Anstrengung gelingt es der marxistischen Polemik, Argumente gegen diese wirklichkeits- und geschichtsferne Theorie zu sammeln. Etwas allerdings ist positiv hervorzuheben: Die Rhetorik bedeutet ein neues Interesse am dose reading und an den Textdetails. Die Hinwendung zu »Intertextualität« und »Kontextualität« greift das Quellenstudium in anspruchsvollerer Form wieder auf. Das neue Interesse an der Rezeptionsforschung führt zum Studium alter Rezensionen, zur Akzentuierung der Kritikgeschichte und zum Studium solcher literarischer Formen wie Parodie und Imitation. Die Ablehnung des Kanons führt zu verstärkter Auseinandersetzung mit der Subliteratur. Die feministische Literaturkritik entdeckt unbekannte oder vergessene Schriftstellerinnen und führt zur Erforschung der sozialen Positionen, Benachteiligungen und Leistungen der Frau. Die psychoanalytische Interpretationsmethode lenkt das Interesse auf Biographien und besonders Autobiographien, die das private und das sexuelle Verhalten der Schriftsteller untersuchen. Ein neu erwachtes Interesse an der sogenannten Dritten Welt bewirkt eine beachtliche Ausdehnung der vergleichenden Literaturwissenschaft auf Bereiche, die von der eurozentrierten traditionellen Literaturgeschichte bisher vernachlässigt wurden. Sogar die Auffassung, daß dem Text jede Autorität abzusprechen sei, führt in einigen Fällen zu persönlichen Assoziationen und Überlegungen über Probleme unserer gemeinsamen Kultur, auch wenn diese Überlegungen in keinerlei Verbindung mehr zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Literatur stehen. Diese Hinweise auf einige neuere Richtungen in der amerikanischen Literaturkritik sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß England von der französischen Literaturkritik fast gänzlich unbeeindruckt blieb. Obwohl David Lodge in seinem Buch Working with Structuralism (1981) sein Interesse am französischen Strukturalismus betont, benutzt er tatsächlich nur Jakobsons Unterscheidung zwischen Metapher und Metonymie für seine eigenen Literaturanalysen. In Structuralism or Criticism?{1981) tritt Geoffrey Strickland entschieden für unmittelbare Literaturbewertung im Sinne Leavis' ein und verurteilt den Strukturalismus, gerade weil dieser Literatur als geschlossenes Zeichensystem beschreiben will. Ian McGilchrist fordert in Against Criticism (1982) eine Rückkehr zur englischen Tradition der Theoriefeindlichkeit: »Die einzige wahre kritische Theorie ist die Ablehnung der Theorie, die einzig anwendbare Abstraktion ist die Ablehnung jeder Abstraktion.« Im Anschluß an diese Ausführungen entwickelt er allerdings die wichtigsten Aspekte einer organistischen Ästhetik; er spricht von der Ganzheit des Kunstwerks, der Untrennbarkeit von Form und Inhalt, der Einheit der Gegensätze, als ob er diese Grundsätze selbst entdeckt hätte. Die einzige Alternative bietet in England ein neuer Marxismus. Sein Hauptvertreter ist Raymond Williams, der in einer Reihe von Publikationen und schließlich
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in Marxism and Literature (1977) die sozialen Implikationen und Wirkungen von Literatur überzeugend dargelegt hat. Obwohl er die Ästhetik als Kategorie ablehnt, übersieht er nicht die ästhetische Dimension der Literatur. Jüngere Marxisten wie etwa Terry Eagleton (Literary Theory, 1983) dagegen vertreten die marxistische Dogmatik in radikaler Form. Diese Skizze der neuesten literaturtheoretischen Richtungen in England und den Vereinigten Staaten stellt das Neue und Ungewohnte möglicherweise zu sehr in den Vordergrund. Die Mehrzahl der Lehrer und Forscher bleibt von den neuen Trends unbeeinflußt. Sie interpretieren weiterhin Texte in der Überzeugung, daß ihre Interpretationen besser oder wenigstens richtig seien. Sie edieren und annotieren Texte, treiben Quellenforschung, sammeln biographische und bibliographische Fakten, studieren den sozialen und historischen Hintergrund, um ein Werk zu erhellen. Damit kommen sie einer der Hauptaufgaben der Kritik nach, nämlich die Vergangenheit zu bewahren und das Erbe einer großen Literatur einem technologischen Zeitalter zu übermitteln. Zusammenfassend muß man feststellen, daß der traditionelle Positivismus (auch ohne Berufung auf seine theoretischen Prämissen) weitgehend weiter besteht. Zwar revoltiert das gesamte 20. Jahrhundert gegen die offensichtlichen Nachteile des Positivismus. Dies ist in den vorangegangenen Ausführungen hinreichend deutlich geworden. Dennoch ist es an der Zeit, für einen angemessenen Respekt vor Fakten, Evidenz, etablierten Werten und Traditionen einzutreten und sich für common sense und rationale Ansätze in der Literaturwissenschaft einzusetzen. Es ist angebracht, die Auswüchse des jüngsten Skeptizismus zu korrigieren. Würden dessen Lehren sich allgemein durchsetzen, so würde dies nicht nur zur »Dekonstruktion«, sondern zur Destruktion von Literaturkritik und Literaturwissenschaft insgesamt führen. Doch dieser Appell an die Vernunft darf nicht mißverstanden werden als eine Absage an die Literaturtheorie, wie sie in ständigen Bemühungen und Auseinandersetzungen seit Platon und Aristoteles entwickelt wurde. Neben der philosophischen Ästhetik, der Kunstgeschichte und der Musikwissenschaft ist die Literaturtheorie, die Poetik, einer der wesentlichen Versuche der Menschheit, ihre eigenen Schöpfungen zu verstehen.
ZEITTAFEL DER WERKE GROSSBRITANNIEN 1900 1903 1904 1905 1907
1909 1910 1912
1913 1914 1916 1919 1920
1921 1922
1923
1924
A. Symons: W. B. Yeats: W. Raleigh: W. P. Ker: A. C. Bradley: W. Raleigh: 0. Elton: H. Grierson: A. Symons: A. C. Bradley: E. Pound: O. Elton: W. P. Ker: L. Strachey: H. Grierson: C. Bell: G. Murray: A. Quiller-Couch: J. M. Murry: G. Moore: O. Elton: R. Fry: J. M. Murry: T. S. Eliot: H. Grierson: J. M. Murry: L. Strachey: D. H. Lawrence: 1. A. Richards und C. K. Ogden: J. M. Murry: I. A. Richards: G. Moore: T. E. Hulme:
43 Wellek, Literaturkritik 4/1
The Symbolist Movement Ideas of Good and Evil Wordsworth The Dark Ages Shakespearean Tragedy Shakespeare Modem Studies The First Half of the Seventeenth Century The Romantic Movement Oxford Lectures on Poetry The Spirit of Romance A Survey of English Literature, 1780-1830 English Literature: Medieval Landmarks of French Literature Edition of John Donne Art Hamlet and Orestes On the Art of Writing Fyodor Dostoevsky Avowals A Survey of English Literature, 1830—80 Vision and Design Aspects of Literature The Sacred Wood Metaphysical Lyrics The Problem of Style Countries of the Mind Books and Characters Studies in Classic American Literature The Meaning of Meaning Discoveries Principles of Literary Criticism An Anthology of Pure Poetry Conversations in Ebury Street Speculations
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1925
J. M. Murry: V. Woolf: 1926 I. A. Richards: H. Read: H. W. Garrod: 1927 W. Lewis: E. M. Forster: R. Graves and L. Riding: T. S. Eliot: 1928 W. B. Yeats: W. Lewis: T. S. Eliot: 1929 H. Grierson:
1930
1931
1932
1933
1934
G. W. Knight: I. A. Richards: T. S. Eliot: G. W. Knight: H. Read: W. Empson: D. H. Lawrence: W. B. Yeats: J. M. Murry: L. Strachey: H. W. Garrod: G. W. Knight: J. M. Murry: O. Elton: V. Woolf: D. MacCarthy: G. W. Knight: F. R. Leavis: Q. D. Leavis: T. S. Eliot: O. Elton: J. M. Murry: L. Strachey: L. C. Knights: G. W. Knight: T. S. Eliot: E. Pound: I. A. Richards: W. Lewis: F. W. Bateson: A. Quiller-Couch:
Keats and Shakespeare The Common Reader Science and Poetry Reason and Romanticism Keats The Lion and the Fox Aspects of the Novel A Survey of Modernist Poetry Shakespeare and the Stoicism of Seneca A Vision Time and Western Man For Lancelot Andrewes Cross Currents in English Literature of the Seventeenth Century Myth and Miracle Practical Criticism Dante The Wheel of Fire Wordsworth Seven Types of Ambiguity Vorwort zu Dostojewskis The Grand Inquisitor Oxford Anthology of English Poetry Countries of the Mind, second series Portraits in Miniature Poetry and the Criticism of Life The Imperial Theme Son of Woman, The Story ofD. H. Lawrence A Survey of English Literature, 1730-80 A Second Common Reader Criticism The Shakespearian Tempest New Bearings in English Poetry Fiction and the Reading Public Selected Essays The English Muse William Blake Characters and Commentaries How Many Children Had Lady Macbeth? The Christian Renaissance The Use of Poetry and the Use of Criticism ABC of Reading Coleridge on Imagination Men Without Art English Poetry and the English Language The Poet as Citizen
ZEITTAFEL DER WERKE
T. S. Eliot: 1935
W. Empson: C. Spurgeon: 1936 J. M. Murry: E. M. Forster: H. Read: F. R. Leavis: I. A. Richards: 1937 H. Grierson: E. Pound: L. C. Knights: C. Caudwell: 1938 H. Read: E. Pound: 1939 O. Elton: G. W. Knight: 1941 G. W. Knight: 1942 T. S. Eliot: 1944 1945
G. W. Knight: H. Read: T. S. Eliot: 1946 H. Grierson: 1947 G. W. Knight: L. C. Knights: T. S. Eliot: 1948 F. R. Leavis: T. S. Eliot: 1950 1951 1952 1953
1954
1955
F. W. Bateson: E. M. Forster: W. Empson: T. S. Eliot: G. W. Knight: F. R. Leavis: D. MacCarthy: H. Read: T. S. Eliot: E. Pound: F. W. Bateson: G. W. Knight: I. A. Richards: G. W. Knight: F. R. Leavis:
After Strange Gods Elizabethan Essays Some Versions of Pastoral Shakespeare 's Imagery and What It Tells Us Shakespeare Abinger Harvest In Defense of Shelley Revaluation The Philosophy of Rhetoric Milton and Wordsworth Polite Essays Drama and Society in the Age ofjonson Illusion and Reality Essays in Literary Criticism Guide to Kulchur Essays and Addresses The Burning Oracle The Starlit Dome The Classics and the Man of Letters The Music of Poetry The Olive and the Sword A Coat of Many Colours What is a Classic? A Critical History of English Poetry The Crown of Life Explorations Milton The Great Tradition Notes towards a Definition of Culture From Poe to Valery English Poetry: A Critical Introduction Two Cheers for Democracy The Structure of Complex Words Poetry and Drama Lord Byron: The Christian Virtues The Common Pursuit Humanities The True Voice of Feeling American Literature and the American Language The Three Voices of Poetry Literary Essays Wordsworth The Laureate of Peace Speculative Instruments The Mutual Flame D. H. Lawrence: Novelist
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676 1956 1957 1961 1962 1963 1964 1965 1967 1968 1969 1970 1972 1975 1976 1981 1984
ZEITTAFEL DER WERKE
The Frontiers of Criticism The Tenth Muse Of Poetry and Poets Milton's God George Herbert Two Cultures? The Significance of C. P. Snow Knowledge and Experience in the Philosophy of E H. Bradley To Criticize the Critic and Other Writings T. S. Eliot: Anna Karenina and Other Essays F. R. Leavis: Poetry and Experience H. Read: The Cult of Sincerity H. Read: F. R. und Q. D. Leavis: Lectures in America English Literature in Our Time F. R. Leavis: F. R. und Q. D. Leavis: Dickens: The Novelist F. R. Leavis: Nor Shall My Sword: Discourses on Pluralism, Compassion and Social Hope The Living Principle >English< as a Discipline of Thought F. R. Leavis: F. R. Leavis: Thought, Words and Creativity: An and Thought in Lawrence Collected Essays. Bd. i. Q. D. Leavis: Using Biography W. Empson: T. S. Eliot: H. Read: T. S. Eliot: W. Empson: T. S. Eliot: F. R. Leavis: T. S. Eliot:
VEREINIGTE STAATEN 1896 ^98 1899 1900 1901 1903 1904 1905
1908
1909 1910
1911
G. Santayana: J. J. Chapman: J. E. Spingarn: V. Thompson: G. Santayana: W. C. Brownell: Frank Norris: P. E. More: J. Huneker: H. L. Mencken: G. Santayana: H. Garland: H. L. Mencken: Van Wyck Brooks: I. Babbitt: W. C. Brownell: J. Huneker: G. Santayana: I. Babbitt: J. E. Spingarn: G. Santayana:
The Sense of Beauty Emerson and Other Essays A History of Literary Criticism in the Renaissance French Portraits Interpretations of Poetry and Religion Victorian Prose Masters Responsibilities of a Novelist Shelbume Essays: First Series Visionaries G. B. Shaw Reason in Art The Crumbling Idols The Philosophy of Friedrich Nietzsche The Wine of the Puritans Literature and the American College American Prose Masters Promenades of an Impressionist Three Philosophical Poets: Lucretius, Dante and Goethe The New Laokoon The New Criticism The Genteel Tradition in American Philosophy
ZEITTAFEL DER WERKE
1912 1913
I. Babbitt: Van Wyck Brooks: G. Santayana: M. Eastman: 1914 Van Wyck Brooks: W. C. Brownell: 1915 G. Santayana: 1916 Van Wyck Brooks: 1917 H. L. Mencken: J. E. Spingarn: W. C. Brownell: 1919 H. L. Mencken: H. L. Mencken: I. Babbitt: 1920 Van Wyck Brooks: G. Santayana: 1921 H. L. Mencken: 1922 H. L. Mencken: G. Santayana: 1925 Van Wyck Brooks: 1927 Van Wyck Brooks: 1928 P. E. More: 1930 N. Foerster, Hg.: C. Hartley Grattan, J. C. Ransom: 1931 G. Santayana: Edmund Wilson: Kenneth Burke: 1932 M. Eastman: Van Wyck Brooks: 1933 Granville Hicks: 1934 M. Eastman: 1935 R. P. Blackmur: K. Burke: F. O. Matthiessen: 1936 Van Wyck Brooks: G. Santayana: J. T. Farrell: Allen Täte: 1937 K. Burke: Y. Winters: 1938 E. Wilson: J. C. Ransom: . Winters: 1939 Bernard Smith: L. Trilling:
Masters of French Criticism The Malady of the Ideal Winds of Doctrine The Enjoyment of Poetry John Addington Symonds Criticism Egotism in German Philosophy America's Coming of Age Book of Prefaces Creative Criticism Standards The American Language Prejudices: First Series Rousseau and Romanticism The Ordeal of Mark Twain Character and Opinion in the United States Prejudices: Second Series Prejudices: Third Series Soliloquies in England The Pilgrimage of Henry James Emerson and Others New Shelhurne Essays: The Demon of the Absolute Humanism in America iThe Critique of Humanism God Without Thunder The Genteel Tradition at Bay Axel's Castle Counter-Statement The Literary Mind Sketches in Criticism The Great Tradition Artists in Uniform The Double Agent Permanence and Change The Achievement of T. S. Eliot The Flowering of New England, 1815-1865. Obiter Saripta A Note on Literary Criticism Reactionary Essays on Poetry and Ideas Attitudes toward History Primitivism and Decadence The Triple Thinkers The World's Body Maule's Curse Forces in American Criticism Matthew Arnold
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ZEITTAFEL DER WERKE
Cleanth Brooks: Van Wyck Brooks: E. Wilson: R. P. Blackmur: 1941 Van Wyck Brooks: Van Wyck Brooks: Michael Gold: E. Wilson: J. C. Ransom: K. Burke: F. O. Matthiessen: A. Täte: 1942 A. Kazin: 1943 L. Trilling: . Winters: 1944 F. O. Matthiessen: 1945 K. Burke: 1946 R. P. Warren: 1940
1947
Van Wyck Brooks: Cleanth Brooks: Northrop Frye: 1948 Stanley Hyman: Van Wyck Brooks: A. Täte: 1949 F. Fergusson: P. Rahv: R. Chase: A. Täte: R. Wellek und A. Warren: 1950 L. Trilling: E. Wilson: K. Burke: 1951 F. O. Matthiessen: 1952 Van Wyck Brooks: F. O. Matthiessen: E. Wilson: R. P. Blackmur: R. S. Crane, Hg.: 1953 Van Wyck Brooks: M. H. Abrams: G. Hartman: A. Täte: 1954 R. S. Crane: W. K. Wimsatt:
Modem Poetry and the Tradition New England: Indian Summer, 1865—1915 To the Finland Station The Expense of Greatness The World of Washington Irving The Opinions of Oliver Allston The Hollow Men The Wound and the Bow The New Criticism The Philosophy of Literary Form American Renaissance Reason in Madness On Native Grounds E. M. Forster The Anatomy of Nonsense Henry James: The Major Phase A Grammar of Motives »A Poem of Pure Imagination: The Rime of the Ancient Mariner« The Times of Melville and Whitman The Well-Wrought Um Fearful Symmetry The Armed Vision The Chilmark Miscellany On the Limits of Poetry: Selected Essays, 1928-48 The Idea of a Theater Image and Idea Quest for Myth The Hovering Fly and Other Essays Theory of Literature The Liberal Imagination Classics and Commercials A Rhetoric of Motives Theodore Dreiser The Confident Years, 1885-1915 The Responsibilities of a Critic The Shores of Light Language as Gesture Critics and Criticism The Writer in America The Mirror and the Lamp The Unmediated Vision The Forlorn Demon The Languages of Criticism and the Structure of Poetry The Verbal Icon
ZEITTAFEL DER WERKE
1955
1956 1957
1958 1959
1960 1961 1962 1963
1964 196$
1966 1967
1969 1970 1971
1972 1973
1976 1978 1980
L. Trilling: R. P. Blackmur: J. C. Ransom: A. Täte: M. Krieger: C. Brooks und W. K. Wimsatt: Northrop Frye: Y. Winters: Van Wyck Brooks: R. P. Warren: Van Wyck Brooks: . Winters: A. Täte: L. Trilling: H. Bloom: E. Wilson: C. Brooks: N. Frye: C. Brooks: R. P. Blackmur: P. Rahv: E. Wilson: W. K. Wimsatt: K. Burke: R. P. Warren: R. P. Blackmur: R. S. Crane: . Winters: P. Rahv: A. Täte: C. Brooks: M. H. Abrams: R. P. Warren: L. Trilling: L. Trilling: E. Wilson: E. Wilson: W. K. Wimsatt: C. Brooks: R. P. Blackmur:
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The Opposing Self The Lion and the Honeycomb Poems and Essays The Man of Letters in the Modem World The New Apologists for Poetry Literary Criticism: A Short History Anatomy of Criticism The Function of Critism The Dream of Arcadia Selected Essays Howe Us: His Life and Work On Modem Poetry Collected Essays Beyond Culture The Visionary Company Patriotic Gore William Faulkner: The Yoknapatawha Country Fahles of Identity The Hidden God Eleven Essays in the European Novel The Myth and the Powerhouse The Bit Between My Teeth Hateful Contraries Language as Symbolic Action A Plea for Mitigation A Primer of Ignorance The Idea of Humanities Forms of Discovery Literature and the Sixth Sense Essays of Four Decades A Shaping Joy Natural Supematuralism Homage to Theodore Dreiser Sincerity and Authenticity Mind in the Modem World A Window on Russia The Devils and Canon Barham Day of the Leopards: Essays in Defense of Poetry William Faulkner: Toward Yoknapatawpha and Beyond Henry Adams
PERSONENREGISTER Aaron, Daniel 375, 444 Abälard, Peter 360 Abrams, Meyer H. 21, 668 Adams, Henry n, 24, 362, 588, 593, 601-3, 631, 633, 635 Adams, Roben Martin 332 Addisson, Joseph 226, 430 Adler, Mortimer 590 Aiken, Conrad 436 Ainslie, Douglas 41$ Aischylos 91, 153,192, 626 Akenside, Mark 424 Alexander, Franz 487 Alexander, Samuel 306 Allston, Oliver 15 Allston, Washington 230 Amiel, Henri-Frederic 357 Amis, Kingsley 310 Anderson, Maxwell 475 Anderson, Sherwood 207f., 438, 450, 493 Andrews, Lancelot 224, 238, 247 Angoff, Charles 362 Antheil, George 205, 208 Apollonius Rhodius 470 Apuleius 149 Arcos 200 Aretino, Pietro 413 Ariost, Lodovico 371 Aristoteles i, 6f., 9, 55, 73f., 103, 123, i26f., 189, 216, z64f, 280, 291, 297, 370, 395, 416-8, 421, 486f., 498, 509, 515, 528, 540, 554, 557. 559-61.579. 599. 6l2.621, 629-31, 650, 654, 6jpf., 665 f., 672 Arnim, Ludwig Achim von 376 Arnold, Matthew , 5, 7,40,43,59,64, 69, 85, 108, 115, 210, 216, 227, 266, 283, 285, 292, 299, 310 f., 322, 350, 369 f., 372, 378,
380, 387-9, 392, 395f., 400, 405, 407, 410, 413.457,478,483,49°, 497.5OI> 559f-> 57°, 576, 579, 601, 640, 648-50, 658 Arnold, Thomas 83 Arvin, Newton 382 Atkins, J. W. 2 Auden, W. H. 26f., 297, 310, 457, 476, 554, 556, 576, 578f., 643, 648, 670 Auerbach, Erich 3, 327, 422 Augier, Emile 352 Augustinus 501 Augustus 470, 611 Austen, Jane 44, 64, 94f., 99, 103, io6f., 113, 287, 296f., 302, 3o8f., 419, 485, 494, 498 Azorin, Jose Martinez Ruiz 179 Babbitt, Edwin D. 372 Babbitt, Irving VI, 126, 181, 241, 354, 364-84 (Isolation in Harvard, 366; kein englischer Brunetiere, 367; über französischen Klassizismus, 396; Satire über die Romantik, 370; seine Religion, 371; über Emerson, 372), 385,387,395f., 405,414,439,458,488, 505, 508, 546, 560, 590, 640, 649, 658 Babel, Isaak 446, 449 Bacon, Francis 23,155,160,225,275,281,442, 5°9, 543 Bagehot, Walter 40, 172 Bailey, Benjamin 243 Baker, Howard 436 Balzac, Honore 26,30,36f., 39, 64,149, 200, 386, 449 Bandler, Bernard 396 Barnes, Djuna 258, 497 Barrett, William 485 Barry, Iris 203 Barthes, Roland 514
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PERSONENREGISTER
Bateson, F. W. 162,285,289,291, 293,313-23, 664 Baudelaire, Charles 5, 30, 34, 115, 138, 178, 200, 248-50,486, 565,578, 597,634, 64if., 645, 649, 658 Baugh, Albert C. 65 Bax, Ernest Beiford 180 Beach, Joseph Warren 99, 422 Beard, Charles A. 425 Beardsley, Aubrey 37 Beardsley, Monroe C. 318, 558, 653 Beaumont, Francis 218 Beckett, Samuel 58,179 Beddoes, Thomas Lovell 83, 87 Bede, Jean-Albert 236 Beeching, Canon 71 Beerbohm, Max 113, 352, 456, 463 Beerbohm-Tree, Herbert 166 Beethoven, Ludwig van 351 Beguin, Albert 541 Belinski, Wissarion 5 Bell, Clive 77, 78-82, 147 Bell, Quentin 91 Bell, Vanessa 78 Bellow, Saul 450 Benda, Julien VI, 171, 204, 241, 366 Benet, Stephen 436 Beneviste, Emile 656 Bennett, Arnold ioof., n, 113, 206, 303, 352 Bentham, Jeremy 275, 336, 485f., 610 Bentley, Eric 284, 288 Bentley, Richard 331 f. Berenson, Bernard 80 Bergson, Henri VI, 16,90,122,126,163, i7of., 180,182f., 185,189, 204,206,208,306,374, 397. 445» 491» 496> 52°» 5" Berkeley, Bishop George 16, 25 Bernays, Jakob 630 Bernhardt, Sarah 52 Berry, Francis 169 Berryman, John 450 Bertoff, Anne 331 Betsky, Seymour 289 Bewley, Marius 157, 285, 288 Bierce, Ambrose 436 Binyon, Lawrence 70, 195
Blackmur, R. P. VII, u, 130, 398, 420, 441, 457, 505-7» 513» SV. 5*9f·, 574f·, 574, 582, 586-604 (Ungreifbarkeit der Dichtung, 586; Einschätzung anderer Kritiker, 587; Eliot, 588; über New Ciricism, 589; über Humanismus, 590; symbolische Technik, 591; Literaturkritik als Scheitern, 592; über moderne Dichtung, Cummings und D. H. Lawrence, 593; Stevens und Yeats, 595; Eliot, 596f.; über den Roman: Henry James, 598; Flaubert und Mann, 599; über russische Romanautoren, 599f.; posthume Henry-Adams-Biographie, 601; seine Umständlichkeit, 602), 626, 649 f. Blair, Hugh 40 f., 410 Blake, William n, 17,19f., 22,25,32f., 64, 88, 120,133, i42f., 172,183,196,226,24if., 296, 301, 307f., 318, 356, 379, 485, 502, 517,556, 634, 638 f., 642, 658, 667 f. Blanchot, Maurice 668 Blök, Alexander 467 Bloom, Harold 17, 668 Blount, Martha und Teresa 85 Blunden, Edmund 137 Boas, George 423 Bodkin, Maud 441 Bogan, Louise 651 Böhme, Jakob 307 Boiardo, Matteo-Maria 69 Boileau, Nicolas Despreaux 369, 378, 413 Bonaventura 331 Booth, Wayne C. 389, 419, 632 Bosanquet, Bernard 525, 533, 657 Boswell, James 43, 86 Bouterwek, Friedrich 410 Bowers, Edgar 651 Boyers, Robert 486 Bradford, Curtis 337 Bradford, Gamaliel 360 Bradley, A. C. 41, 44, 46-61 (Anerkennung, 46; Oxforder Hegelianismus, 47; Tragödientheorien, 48f.; Nachdruck auf Charakter, 49f.; Verwechslung zwischen Fiktion und Realität, 51; Atmosphäre, Metaphorik, 53; Zuschauerreaktion, jj; kosmischer Optimismus, 57; Schwierig-
683
PERSONENREGISTER
keit mit King Lear, 58; Wordsworth, 58f.; Shakespeare-Kritik, 60), 62, 80, 95, 129, 163, 288, 552 Bradley, F. H. 50, 60f., 214, 223,230,259,333, 509. 525 Brahms, Johannes 349 Brandes, Georg 5, 43, 45, 62, 87, 313, 362, 425 Brawne, Fanny 133
Brecht, Bertolt 228 Bremond, Abbe Henri 36, 123, 366, 541 Breughel, Keter 80 Bridges, Robert 26, 72, 286, 642 f., 646-8, 651 Brink, Berhard Ten 47 Brion, Friederike 624 Bronte, Charlotte 38, 96, 104, 107, 150, 309 Bronte, Emily 96,103,107,113,150, 287,302, 309 Brooke, Rupert 72, 244, 286 Brooke-Rose, Christine 189 Brooks, Cleanth VI, 192, 225, 227, 281, 320, 387> 399. 416-20, 439, 457, 489, 505-7, 510f., 513,515 f., 529, 533, 547, 551-81 (close reading, w,Well-Wrought Urn, 55if.; Ambiguität, Paradox, Ironie, 553; Organic Theory, 554; Geschichte der englischen Dichtung, 555; Häresie und Paraphrase, 557; intentionalfallacy, 558; als Geschichtsschreiber von Literaturkritik, 559; über T. S. Eliot, 565; I. A. Richards, 566-8; Yeats, 576; Auden, 578), 582, 589, 616, 650, 654 Brooks, Van Wyck 207, 289, 356-63 (frühe Schriften, 356f.; Biographien über Mark Twain und Henry James, 357-9; Geschichte der amerikanischen Literatur, 36of.; The Opinions of Oliver Allston, 361), 382, 385, 434, 439, 441, 446, 458f., 468, 473, 505^, 546, 584 Brower, Reuben A. 300 Brown, Brockden 435 Brown, Norman O. 143, 487, 502 Browne, Sir Thomas 65,87,89,232,377,392, 423, 429, 555 Brownell, William Crary 3 87-97 (vergessen,
387; Victorian Prose Masters, 388-90; American Prose Masters, 390-4; spätere Schriften, 394-6) Browning, Elizabeth Barrett 108, 475 Browning, Robert 24,30,43,64, 69,117,187, 197, 224, 351, 370, 377, 379, 402, 459, 475, 556, 640, 644 Brucker, Jakob 2 Brunetiere, Ferdinand 32, 43, 68, 239, 367 f., 389, 394, 414 Bruno, Giordano 226 Buck, Pearl 362 Buddha 354 Bunyan, John 247, 275, 296 f., 303, 432, 612 Burgum, E. B. 505, 564, 569 Burke, Edmund 25, 64, 87, 360, 485 Burke, Kenneth VII, 60, 420, 440, 442, 444, 457, 506, 523, 529^, 548, 552, 573f., 585, 585f., 605-27 (Stellung, 650; frühe Schriften: Counter-Statement, 605f.; Permanence and Change, 609; Attitudes toward History, 610; kritischer Pluralismus, 617; Psychoanalyse, 617; Wortspiele, 617; marxistische Deutung, 620; ShakespeareInterpretationen, 621; über Goethes Faust, 623; allegorische Methode, 625; Sprachauffassung, 625), 670 Burns, Robert 19, 64, 69, 150, 556 Burton, Robert 548 Bush, Douglas 560 Bush, Ronald 249 Butcher, S. H. 528 Butler, Nicholas Murray 415 Butler, Samuel (Autor von Hudihras) 69, 276 Butler, Samuel (Autor von Erewhon) 92 Buttle, Myra siehe Purcell, Victor Byron, George Gordon, Lord 32 f., 64, 69, 107,162, i68f., 196,242,328,378,405, 508, 577, 640 Cabell, James Branch 352, 365, 427, 448 Cailliet, Emile 236 Calderon, Pedro C. de la Barca 402 Calderwell, Nathaniel 381 Calvin, Jean 24 Campbell, Lily B. 48, 53
684
PERSONENREGISTER
Campion, Edmund 36, 218, 221 Camus, Albert 209 Canby, Henry Seidel 364, 412, 435 Capek, Karel 66 Carew, Thomas 236 Cargill, Oscar 367 Carlyle, Thomas 29, 40, 64, 84, 88,120,196, 232, 35°, 377» 388> 39°» 626, 633 Carroll, Lewis siebe Dodgson, Charles Casanova, Giacomo 479 Cassirer, Ernst 575, 625 Castiglione, Baldassarre 43, 427 Gather, Willa 438, 448 Catull 193 Caudwell, Christopher (St. John Sprigg) V, 175f., 437, 441 Cavalcanti, Guido 193, 197, 226, 245 Cazamian, Louis 65 Cecil, David, Lord 118 Cellini, Benvenuto 390 Cervantes, Miguel de 88, 92, 354, 405, 432 Cezanne, Paul 79f., 170, 388 Chamberlain, Houston Stewart 149 Chambers, E. K. 159 Chambers, R. W. 68 Channing, W. H. 373 Chapmann, J. J. 385-7, 479, 488 Chapman, R. W. 95, 218, 221, 224 Charles I. (König von England) 508 Chase, Richard 157, 667 Chateaubriand, Francois-Rene de 183 Chatterton, Thomas 136 Chaucer, Geoffrey 91,108,112,135,150,193 f., 316, 318, 589, 635 Chavannes, Puvis de 388 Chenier, Andre 467 Cherbury, Edward Lord Herbert 637 Chesterfield, Philip, Stanhope Lord 8j, 378 Chesterton, G. K. 184 Chew, Samuel 6j Child, Francis James 410, 426 Churchill, Charles 638 Cicero 168 Cinthio, Giraldo 87 Cladel, Leon 30 Cläre, John 32, 137
Claudel, Paul 114 Coghill, Nevil 218 Cohen, Hermann 181 Cohen, Morris R. 4 Colebrooke, Henry Thomas 373 Coleridge, Samuel Taylor 5f., 8, 18, 22, 32, 40, 44, 52, 64, 74, 87, 90, 107-9, «5. 120, 122, 126, 129, rjöf., 149, 172f., 183, 2l6, 220,
242f., 246, 27of., 274,276, 28of., 339, 341, 374, 379,38i, 415, 417, 421,424, 429*·, 433, 441, 485 f., 490, 498, 509,516,520,523,531, 533,538,541,545^·, 555, 557,5if., 54, 566> 569, 584 f., 587, 591, 605, 619 f., 628, 639, 646, 655f., 665f. Coleridge, Sarah 619 Colie, Rosalie 331 Collingwood, R. G. 435 Collingwood, Robin VI, 306 Collins, J. Churton 41, 74,136 Collins, William 392, 611, 638 Congreve, William 316 Conrad, Joseph 34, 82, 91, 93, 98, 112, 283, 287, 295, 297, 308-10, 351 f., 484, 583 Constable, John 173 Cook, Katherine 46 Cooper, James Fenimore 154,157,393,450,670 Coppee, Fran$ois 198 Corbet, Richard, Bishop $51 Corbiere, Tristan 29, 199, 249, 565 Corelli, Marie 587, 626 Corneille, Pierre 114, 486 Corot, Jean-Baptiste Camille 388 Courthope, Wiliam J. 32, 63 Cowley, Abraham 248, 291, 539 Cowper, William 85, 136 Crabbe, George 32, 64,70,107,195,234,240, 294, 376 Craig, Edward Gordon 166 Grane, Hart 178, 436, 509^, 541, 544, 575, 589, 647, 651 Crane, Ronald Salon 2, n, 416, 504, 515, 551, 558, 560,589, 650 Crane, Stephen 456 Crapsey, Adelaide 647 Crashaw, Richard 70, 217, 229, 249, 597, 637, 665
PERSONENREGISTER
Crawford, Wickersham 188 Croce, Benedetto VI, 3, 5, 7, , 16, 45, 66, 68, 73, ijii., 181, 190, 206, 234, 281, 296, 349.397,412,4i4f·, 417,429,439.505, 5i7> 527, 553^·, 558, 631, 654, 656, 659 Groll, Morris 62, 422, 423, 506 Cromwell, Oliver 390, 508 Culler, Jonathan 513, 669 Cummings, E. E. 178,202,324,436,445,475, 499, 589> 593f-, M Cunningham, J. V. 648 Dahlberg, Edward 146 Daiches, David 547 Dale, Thomas 41 D'Alembert, Jean Le Rond 234 Dallas, Eneas Sweetland 275 Damon, Foster 33 Daniel, Arnault 193, 252 Daniel, Samuel 71 Dante, Alighieri 19, 22, 24f., 69, 85,120,127, 155, i93f., 196-8, 213, 222, 225-9, 231, 234, 237, 239, 241, 243, 245f., 249, 252, 255, 259, 266, 386, 392, 400-2, 405f., 414, 418, 457, 467, 491, 494, 508,517, 539 f., 543, 588-90, 624, 634 f., 658 D'Arcy, Father M. C. 126 Dario, Rüben 178 Darwin, Charles 348, 361 Dargush, Elizabeth 647 Daudet, Alphonse 38 Davidson, Donald 509 Davidson, John 26 Davie, Donald 490 Defoe, Daniel 91, 94, 103, 354, 612 De La Märe, Walter 39, 138 Delsarte, Fran9ois 166 de Man, Paul 558, 669 f. De Mott, Benjamin 625 Denham, Sir John 531 De Quincey, Thomas 40, 64 Derrida, Jacques 669 De Sanctis, Francesco 149, 429, 442, 459 Descartes, Rene 23, 25, 174, 178, 223, 308, 500, 540, 577 De Voto, Bernard 358
685 Dewey, John 360,444, 517, 523,533,545, 614, 635 Dickens, Charles 38, 99,103 f., 127, 130, 209, 245, 287, 289, 302 f., 307-9, 338, 354, 361, 378, 407^, 47if., 494 Dickinson, Emily 434, 447, 475, 490, 509, 529, 543f., 548, 575, 594f., 642, 651 Dickstein, Morris 133 Diderot, Denis 65, 614 Dilthey, Wilhelm 7,70,121,181, 265, 281,311, 398, 412 Dobroljubow, Nikolai 5, 149 Dodgson, Charles (Lewis Carroll) 382 Dolitde, Hilda 270, 570 Donne, John 31, 65, 69, 87, 97,108,117,194, 224, 246f., 250, 269, 286, 329 f., 339, 437, 457, 5o8, 539, 543, 552, 555, 557, 569, 620, 636, 645 Dos Passos, John 146, 353, 365, 422, 438, 446 f., 449, 493 Dostojewski, Fjodor 26, 37, 87f., 103, 105 f., 113,124,130-2,138 f., 150-2,155f., 163, 202, 224, 258, 275, 281, 307, 361, 449, 451-3, 478, 484, 492, 497, 517, 538, 59°f·, 599 f-> 612 Douglas, Gavin 188 Douglas, Norman 107 Dowden, Edward 41, 87 Dowson, Ernest 26 Drayton, Michael 62 Dreiser, Theodore 178, 289, 309, 351-3, 365, 433, 436, 438, 446, 448, 495, 505, 584 Drinkwater, John 244 Drummond, William, of Hawthornden 194 Dryden, John 4, 7, 42, 69,127,172,186,195, 213,216,218,225,231-3, 240,254,287,291 f., 298, 306, 330, 336, 437, 508, 560, 588, 637 Du Bös, Charles 250 Duffand, Madame du 85 Dufrenne, Mikel 665 Duhamel, George 178 Dujardin, Edouard 35 Dumas, Alexandre 352 Dunbar, William 235 Dürer, Albrecht 345 Durkheim, Emile 176
686
PERSONENREGISTER
Eastman, Max 444, 447, 526, 564, 573, 575 Eckermann, Johann Peter 369 Edel, Leon 451, 455 Edwards, Jonathan 356, 375f., 426 Einstein, Albert 9, 176, 208, 464 Eliot, George 38, 96, 99, 103, 106, 127, 255, 287 f., 295,297,303,308 f., 336-8,341,388 f., 456 Eliot, T. S. 5 f., 9, , 15, 22, 26, 29, 34, 61, 69, 78, 86, 102, 108, in, 117, 119, 120-30, 135, 138,159,165,170-3,177-81,185-7, 195» J97, 199, 203, 209f., 213-51 (leugnet Ästhetik und systematisches Denken für sich, 213; Theorie der Kritik, 215; Theorie der Interpretation, 216; Bewertung und Rangfolge, 217; Theorie der unpersönlichen Dichtung, 220; Emotion und Gefühl, 222; ganzheitliche Empfindung, 224; Spaltung der Empfindung, 225; Philosophie und Poesie, 226; Problem des Glaubens, 227; Problem der Aufrichtigkeit, 229; gegenständliches Korrelat, 229; Kommentar zu Hamlet, 230; Sprache der Dichtung, 231; Poesie und Prosa, 233; Musik und Poesie, 234; Symbol und Mythos, 236; Geschichtsauffassung, 237; Zeitlosigkeit, Klassik und Tradition, 237; Sicht der klassischen Antike, 239; What Is a Classic?, 240; über Deutschland, 240; französische Antiromantiker, 241; Dante, 245; metaphysische Dichter, 246; Französischer Symbolismus, 248; Laforgue, 248; Baudelaire, 249; Valery, 250; Yeats, 251; Pound, 252; poetisches Drama, 254; Henry James und Joyce, 255; D. H. Lawrence, 256; Orthodoxie, 259), 269^, 272, 28of., 285-8, 292, 295-7» 303-7. 3i°f·, 3", 3^5, 328f., 350. 353, 36if., 365^, 382, 386, 406, 427^, 430, 435-7.439 f·, 445.450.457.4^4»475 f·, 4^5, 488-91,497,505f., 508, 513,5i6f., 526,529, 533. 536 f-, 539. 543-7. 549. 553. 555 f·. 561 f-, 565-7. 574. 576f-, 58o, 582, 588f., 593-8, 602, 608, 613, 628, 631, 637, 642-5, 649 f., 660, 666-8, 670 . Elkamp, Max 200 Elliot, G. E. 382
Ellis, Edwin John 17 Ellis, Havelock 30 Ellmann, Richard 338 Elton, Oliver 62-76 Emerson, Ralph Waldo 17, 74, 120, 155, 353, 355, 357, 359, 362, 372-6, 382, 385-8, 392, 397, 403-5, 426, 429 f·, 435, 439, 5^2, 575, 577, 610, 626, 640 f., 643, 647 Empedokles 226 Empson, William VI, 129 f., 177, 263, 267, 281,324-42 (Beziehung zu I. A. Richards, 324; Seven Types of Ambiguity, 325; Some Versions of Pastoral, 329; The structure of Complex Words, 332; Milton's God, 335; Using Biography, 336; über Fieldings Tom Jones, 337; über Joyces Ulysses, 338; über Coleridges The Ancient Mariner, 339; über Ben Jonson, 340; Sprachphilosophie, 341), 4i6f., 441, 456, 529, 564, 570f., 612, 670 Engels, Friedrich 149, 428, 461, 466, 468 Enright, D. H. 298 Epiktet 392 Epstein, Jakob 180,182 Erskine, John 62 Esenin, Sergej 446 Euripides 91, 159, 244 Everett, Edward 360 Fanshawe, Sir Richard 551 Farrell, James T. 438, 448, 497 Faulkner, William 207, 362, 405, 436, 438, 448,450,491,552,563,565,575 f., 583 f., 616 Fechner, Gustav Theodor 265, 398 Fenollosa, Ernest 189, 203 Ferenczi, Sandor 487 Ferguson, Sir Samuel 16 Fergusson, Francis 667 Fernandez, Ramon VI, 126, 218 Feth, Afanassi 66 Fichte, Johann Gottlieb 375,562 Ficino, Marsilio 226 Fiedler, Leslie 157, 456, 576, 669 Fielding, Henry 38, 44, ii2f., 130, 139, 287, 337, 341, 419 Firbank, Ronald 463, 479 Fischer, Paul 624
687
PERSONENREGISTER
Fischer, Walther L. 189 Fitzgerald, Edward 400, 405 Fitzgerald, F. Scott 289, 309, 459, 494 Flaubert, Gustave 26, 30, 37, 39, 68, 90, m, 139, 147, 191 f., 2ocf., 203, 255, 297f., 309, 352, 422, 460, 466, 492, 496, 498,514, 517, 538, 590-2,599, 600, 606, 632 Flaxman, John 33 Fleming, William 189 Fletcher, John 218, 221 Flint, F. S. 179 f. Fluchere, Henri 285 Foerster, Norman 38if., 385, 546 Ford, Boris 284 Ford, John 105, 167, 218, 221, 246 Forster, E. M. u, 77,104, 110-4,148f., 275, 280, 485, 490 Foster, Richard 562 Foster, William 2. 401 Fowler, Roger 319 Fowlie, Wallace 484 Fox, Ralph V France, Anatole 39, 72, 81, 90, 112, 124, 365, 463 Frank, Charles P. 462 Frank, Joseph m, 320,484,500, 514, 552,601 Franklin, Benjamin 154, 356 Franz von Assisi 392 Frazer, Sir James 159, 205, 440, 442, 484 Frederic, Harold 463 Freeman, John 38 f. Frege, Gottlob 317 Freud, Sigmund V, 116, 140, 157, 171, 173, 176, 280, 325, 332, 358, 372, 440 f., 460, 468, 474, 483, 4861., 523, 531, 573, 591, 617-9 Frevtag, Gustav 47, 55 Friedrich der Große (König von Preußen) 84, 3JO Frobenius, Leo 149, 200 Frost, Robert 199, 203, 360 f., 436, 475, 499, 555, 583, 643 Fry, Roger 77, 78-82, 91, 206 Frye, Northrop n, 33, 86, 142, 169, 515, 552, 563, 576, 656, 658, 668 Frye, Prosser 560
Frye, Ronald N. 164 Furnivall, F. J. 41 Gaborian, Emile 37 Gadamer, Hans-Georg 513 Gado, Frank 582
Galilei, Galileo 146 Gallic, W. B. 6 Galsworthy, John 81, 100, 146, 206 Gardner, Heien 339 Garland, Hamlin 345, 426 Garnett, Constance 106 Garnett, David 125, 127 Garrison, William Lloyd 385 Garrod, H. W. 62-75,154 Gascoigne, George 635 Gates, Lewis E. 412 Gauguin, Paul 79 Gaulthier, Jules de 180 Gauss, Christian 460, 462, 479 Gautier, Theophile 30, 35 f., 199 Gay, John 571 Gay, Peter 7, 332 Genette, Gerard 516, 656, 669 Gentile, Giovanni 16 George, Stefan 464 Gervinus, Georg Gottfried 47,159 Gibbon, Edward 86f., 509, 543, 633 Gide, Andre 112, 422, 485, 606, 608 Gilson, Etienne 630, 635 Giotto di Bondone i, 392 Gissing, George 98, 139, 303, 376 Goclenius, Rudolf 522 Godwin, William 74, 171 Goethe, Johann Wolfgang 18, 24, 47, 52, 62, 65, 109, 115, I2of., 138, 140, 149, l62,
200,
226, 228, 241, 350, 361, 369, 386, 401 f., 4 5 6 9>5 8 3 f -, 587> 589~92> 6°8f·, 611, 615, 620, 626, 633, 636, 645, 658, 660, 668, Antony and Cleopatra, $6{., 134, 167, 306, 621 f.; Coriolanus, 56, 134; Hamlet, 2if., 49, 55, 134, 153, i63f., 23of., 245, 406, 487; King Lear, 44, 48-50, 52, 54f., 57^, 134, 165, 333, 486, 515, 539, 569; Macbeth, 48, 53f., 165; Measure for Measure, 44,164,
328, 333; Othello, 48f., 54, 56, 87, 245, 288, 333, 622; Timon of Athens, 166, 333; The Tempest, 371, 421 Shapiro, Karl 436 Sharp, James (Erzbischof) 328 Shaw, George Bernard 15, 21, 26, 82, 175 f., 210, 252, 338, 347f., 422, 468, 470, 480, 577, 620 Shelley, Percy Bysshe 17, 19, 25, 32 f., 36, 42, 45,59, 64, 69,132,137,150,168,171-3, 183, 196, 217, 228, 243f., 265, 266, 287, *93f·, 336, 38°f-, 385, 405, 4°7, 439» 457, 508, 529, 555 f., 579, 588, 616, 620, 639, 658 Sherman, Stuart 155, 352, 369, 382, 388, 396 Shirley, James 218 Shorthouse, Joseph Henry 377 Shove, Fredegond 71 Sidney, Algernon 380, 635-7, 645, 657 Sidney, Sir Philip 71, 92f., 328 Sinclair, May 116 Sinclair, Upton 352, 438, 447 Singh, G. 302 Sismondi, Jean-Charles-Leonard 410 Sitwell, Edith 210, 445 Smart, Christopher 136 Smith, Adam 612 Smith, Bernard 4, 439, 442, 528 Smith, John 381 Smith, John Alexander 73 Smith, J. C. 70 Smith, Norman Kemp 468 Snow, C. P. 283, 302, 456, 500 Sokrates 49, 354, 501 Sontag, Susan 512 f. Sophokles no, 458, 471, 590, 667 Sorel, Georges i8of., 242 Southey, Robert 32 Sparrow, John 564 Sparshott, F. E. 659 Spencer, Theodore 67, 247 Spender, Stephen 26, 310 Spengler, Oswald 509, 543, 607, 626 Spenser, Edmund 19, 7of., 87, 108,135, 298, 328, 539, 634-7 Spiller, Robert E. 387, 415, 435, 598
697
PERSONENREGISTER
Spingarn, Joel E. VI, 45, 62, 109, 349f., 367, 385. 413-5, 439, 488, 505 Spinoza, Baruch z^f., 59, 138, 401,500 Spire, Andre 200 Spitzer, Leo 6, 422, 620 Spurgeon, Carolin $4, 160, 441, 6n, 614 Stael, Madame de 5, 413 Stalin, Joseph 335, 461, 467, 613 Stallworthy, Jon 337 Stanislawski, Konstantin 50 Starkenburg, Hans 466 Starkie, Enid 486 Stearns, Harold E. 414 Stedman, Edmund Clarence 345 Stein, Gertrude in, 117, 206, 208, 362, 464 Steinbeck, John 353, 438, 446, 477 Steiner, Rudolf 166, 241 Stendhal (Henri Beyle) 21, 23,121,127,138f., 200, 255, 347, 460, 477, 491 Stephen, Leslie 40, 77, 93,116, 302 Stephen, Vanessa 77 Stephen, Virginia 77 Stephens, Alan 630 Sterne, Laurence 38, 44, 64, 94,103,113,173, 209, 287, 354, 378, 389, 638 Stevens, Wallace 398, 436, 453, 476, 510, 524, 541, 589, 594 f., 641, 644-6, 6ji, 668 Stevenson, Robert Louis 44, 72, 86,103,386, 387 Stifter, Adalbert 451 Still, Colin 160 Stirner, Max 173 Stoll, Eimer Edgar 53, 134, 421, 556, 662 Stout, G. F. 273 Stowe, Harnet Beecher 463 Strachey, Lytton 77, 83-9, 114,127, 206 Strasser, Gregor 624 Strickland, Geoffrey 671 Strindberg, August 353 Strzygowski, Joseph 24 Sudermann, Hermann 347, 353 Suetonius 427 Sutherland, James 67 Swedenborg, Emanuel 17, 26, 248, 307, 374, 402
Swift, Jonathan 25, 128, 142f., 173, 178, 239, 275, 288, 354, 358, 537, 556, 612 Swinburne, Algernon 17, 31, 40, 74,116,150, 159, 177. *97. 244, 329» 439, 588, 640 Swinnerton, Frank 102 Symonds, John Addington 40,187, 357,386 Symons, Arthur 16, 29-34, itfi., 187, 249, 377 Synge,John24, 577 Tacitus 423 Taggard, Genevieve 463, 476 Taine, Hippolyte 7, 62, 91, 313, 362, 388 f., 394, 396, 4", 425> 442, 459, 46*f·, 4^8, 478, 631 Tasso, Torquato 114, 195, 371 Tasker, John 302 Täte, Allen VE, 130,258,420,437,456,505-7, 509f., 5uf., 5i6f., 530, 536-50(Autonomie der Ästhetik, 536; besondere Art von Erkenntnis, 537; Spannung der Dichtung, 539; Angeitc and Symbolic Imagination, 540; Vorwurf des Szientismus und Positivismus, 541; close reading, 543; Bedeutung der Historizität, 543; Emily Dickinson und Hart Crane, 543f.; über Geschichte der Kritik, 545; über zeitgenössische Kritiker, 547; späterer niedrigerer Stellenwert der Kritik, 548f.), 554, 5^4, 56, 573> 575, 587-9, 630, 634, 644, 649f. Taupin, Rene 197 Taylor, Jeremy 232 Taylor, Rachel Armand 71 Tennemann, Wilhelm Gottlieb 2 Tennyson, Alfred Lord 36, 67, 69, 176, 193, 196 f., 224,244,286,316,372,377,380,405, 462, 556, 578, 640, 644 Thackeray, William Makepeace 38, 64, 104, ii2, 287, 378, 388f., 393
Thaies 613 Theokrit 188 Thomas von Aquin 127, 630, 635 Thomas, Dylan 297, 510, 541, 648 Thomas, Edward 138, 286 Thompson, Denys 293 Thompson, Francis 31, 195
698
PERSONENREGISTER
Thompson, Vance 346, 348 Thomson, James 71, 86, 294, 539 Thoreau, Henry David 373,375 f., 429f., 447 Thorp, William 435, 598 Thorpe, Clarence D. 134 Ticknor, George 410, 414 Tieck, Ludwig 376 Tillyard, E. M. 284 Tiverton, Father William (Martin JarrettKerr) 257 Tizian 463 Tobler, Johann Christoph 241 Todorov, Tzvetan 516, 669 Tolstoi, Leo 15,26,37f., 64,78,103, io5f., m, 113, 131 f., 150, 269, 298, 302, 310, 361, 378, 449, 45if., 459, 466, 477, 492, 517, 590, 599 f., 606, 609 Tönnies, Ferdinand 579 Tourneur, Cyril 41, 218, 222, 246 Toynbee, Arnold 24 Traherne, Thomas 641 Traversi, Derek 284 Trilling, Lionel , 444» 457. 482-503 (Judentum, 482; Politik, 483; Künsder versus Gesellschaft, 484; Freud, 486; Beziehung zum New Criticism, 488; Konzentration auf den Roman, 491; englischer versus amerikanischer Roman, 495; Philosophie, 499; Wortführer der New Yorker Intellektuellen, 502; Sincerity and Authenticity, 502), 509 Troeltsch, Ernst 70 Trollope, Anthony 103, 207, 287, 362 Trotzki, Leo 444, 446, 461, 466-8, 514, 612 Tschechow, Anton 66, 105f., 117, 132, 152, 667 Tuckerman, Fredrick G. 641 f., 651 Tupper, Fred S. 336 Turgenjew, Iwan 36f., 105, 152, 200 Turnell, Martin 284, 298 Turner, Joseph Mallord William 173 Turner, W. J. 26 Tuve, Rosemond 327 Twain, Mark (Samuel Clemens) 289,296,309, 347.354.357f-, 434,447,449,493,5i5,667 Tyrrell, George 179
Ulrici, Hermann 47 Unamuno, Miguel de 179 Urban, Wilbur M. 264, 554,575 Vaihinger, Hans 275 Valery, Paul 23,36,172,25of., 309,464^, 475, 517, 534, 541, 634f., 642, 651 Vallon, Annette 171, 490 Vanbrugh, Sir James 86 Van Doren, Carl 364 Van Gogh, Vincent 79, 388 Vaughan, Henry 247, 376, 637 Vauvenargues, Luc de Ciapiers, Marquis de 83, 241 Vega, Lope de 188, 192 Ventadorn 193 Verga, Giovanni 146, 152 Verlaine, Paul 20, 29-31, 35 Veron, Eugene 78, 346 Verrall, A. W. 42 Very, Jones 641 Vico, Giambattista 468, 487, 610, 657 Victoria (Königin von England) 83, 472 Vigny, Alfred de 183 Villiers de Plsle-Adam 29 f., 465 Villon, Fra^ois 193f., 197, 199, 245, 597 Vergil 193, 227f., 234, 239, 254, 381,405, 470, 475 Vischer, Robert 265 Vivante, Leone 244 Vivas, Eliseo 231, 567, 663 Volkelt, Johannes 521 Voltaire (Frangois-Marie Arouet) 83 f., 187, 651 Wagner, Richard 19, 613, 620 Wain, John 217, 462 Walkley, A. B. 51 Wallace, Henry 437 Waller, William 291, 316 Wallerstein, Ruth 351 Walpole, Horace 85, 378 Walther von der Vogelweide 193, 200 Walton, Geoffrey 290 Walton, Isaac 442 Warburton, William 638
PERSONENREGISTER
Ward, A. W. 41 Ward, James 265, 273 Waring, Jane 143 Warren, Austin 259, 318, 372, 374, 382, 491 Warren, Robert Penn VII, 387, 4i6f., 419^, 438, 489, 505-7, 5iof., 513, 515f., 547, 555, 582-5, 667 Warton, Thomas 40, 67 Watson, J. B. 273 Watteau, Antoine 35 Weaver, Harriet 102 Weber, Max 43 Webster, Daniel 360, 584 Weinberg, Bernard 416, 418 Weininger, Otto 150 Wellek, Rene 558 Wellesley, Lady 16, 26 Wells, H. G. 81, 100, 146, 176, 206, 353, 480 Wendell, Barrett 396 Werder, Karl 47 Wharton, Edith 303, 387, 633 Wheelwright, Philip 552, 571, 667 Whitehead, Alfred North 16, 22, 206, 306, 464, 479, 480, 540 Whitman, Walt 24, 114, 156f., 172, 198, 244, 28 9> 3°9> 345, 354f·, 357> &, 386> 397> 402, 404, 427,4291., 432f., 435,447,4491., 577, 6io£, 640, 647 Whittier, John Greenleaf 375, 584 Wilcox, Ella Wheeler 277, 570 Wilde, Oscar 15, 27, 30, 150, 206, 377, 414, 456, 463, 577, 593 Wilder, Thornton 446, 448, 465-7 Wilkins, Mary E. 360 Williams, Raymond 671 Williams, Roger 426 Williams, William Carlos 157, 199, 203, 436, 546, 626, 644, 646, 649 Williamson, Henry 139 Wilson, Angus 478 Wilson, Edmund VII, 40,146,308,347,349, 366, 387, 440, 444, 455-81 (seine Vielseitigkeit, 455; Beziehungen zur zeitgenössischen Kritik, 456; Nähe zu Mencken und Brooks, 458; französische Interessen, 459; Interesse an Sowjetunion, 46if.; deter-
699 ministisches Konzept, 462; Erklärungen durch soziale Herkunft, 463; Axel's Castle und Symbolismus, 465; Marxismus und Literatur, 466; historischer Ansatz, 468; Werturteil und Geschmack, 468f.; The Wound and the Bow Psychoanalyse, 471-4; über amerikanische Dichtung, 475; über den Roman, 476f.; philosophischer Hintergrund, 479), 482, 487, 505, 542, 547, 565,568 Wilson, John 53 Wimsatt, William K. 318, 320, 328, 336, 338, 505,510,514,516,552, 554, 558, 616, 653-65 (Schüler des 18. Jahrhunderts, 653; Aufrichtigkeit und The Affective Fallacy, 654; organische Einheit des Kunstwerks, 655; über die Geschichte der Kritik, 656; Dogma von der Inkarnation, 657; Metaphern, 658; Ästhetik, Stufen der Kritik, 660f.; Intention, 662f.; Publikum, 664; Wortbild, 664; signatura rerum, 665) Winchelsea, Countess Ann 136 Winckelmann, Johann-Joachim 418 Winters, Yvor VII, 203, 419f., 440, 457, 505-8, 511, 513, 529, 574f., 582, 628-52 (Dichtung als Behauptung, 628; EthikTradition, 630; Primitivism and Decadence, 631; über Henry James, 632; Geschichte des englischen kurzen Gedichts, 633; über französische Lyrik, 634; einfacher versus überladener Stil, 636; Assoziationen und Sentimentales, 637; über G. M. Hopkins; über Yeats, 643; über Frost, 643f.; über Hart Crane, 647; über zeitgenössische Kritik, 649; Beurteilung und Einordnung, 651 f.) Wittgenstein, Ludwig von 304 Wolfe, Humbert 72 Wolfe, Thomas 438, 494, 583 Wolff, Christian 522 Wölfflin, Heinrich 80 Woodberry, G. E. 396 Woolf, Leonhard 77 Woolf, Virginia , 15, 81, 89-109 (keine Impressionistin, 89; Anhängerin G. E. Moores; über Biographie, 91; über Zeit-
700
PERSONENREGISTER
geist, 91; über ökonomische Unterstützung der Literatur, 92; Geschichte des englischen Romans, 93; Klassifizierung von Romanschriftstellern, 103; Beurteilungsmaßstäbe, 104; der russische Roman, 104; männlich-weiblicher Kontrast, 106; Interesse an Lyrik, 107; Ideal der Kritik, 108), ii3f., 116, 127, 206, 210, 302, 310, 353, 501 siehe auch Stephen, Virginia Wordsworth, William 5, 24^, 32f., 36, 44f., 58f., 70, 72, 74, 83, 86, 88, 126, 129, i32f., 150, 156, 168, 171-3, 183, 224, 242f., 247, 265, 287, 294f., 301, 307f., 316, 318, 328f., 329. 37> 37°. 374. 379. 393. 399*·. 4°5> 477, 482f., 485, 487, 489 f., 498, 516, 526, 540, 552, 555f., 564, 577, 638f., 641, 658, 668 Worringer, Wilhelm i8if. Wyatt, Thomas 316, 633, 635, 637 Wylie, Elinor 476 Wyzewa, Teodor de 37
Xenophon 470 Yarrell, Randall 450 Yeats, William Butler , 15-29 (sein Okkultismus, 16; frühe Arbeit über Blake, 17; Vorstellung des Symbolismus, 18; Unpersönlichkeit und Tragödie, 21; Desintegration der modernen Gesellschaft, 23; Untergang der Dichtung, 24; Interesse für idealistische Philosophie, 24; über moderne Dichtung, 25), 31, 35, 70, 108, 138, 173, 177, 188, 199, 226, 251 f., 269f., 280, 286, 3°6. 337. 341. 378> 4i8, 456f-, 464 f·, 4/6, 5°7f·. 53*. 544. 551» 5S6. 576~78. 580, 591. 595^,620,643,651, 668 Young, Rev. Andrew 70 Young, Thomas Daniel 505 Zola, Emile 15, 21, 30, 35-7, 43, 345 f., 352, 531
SACHREGISTER abstrakte Kunst 182 achtzehntes Jahrhundert 32, 62, 65, 69, 83, 85, 136,173, 195, 239f. affective fallacy 654, 660-3 akademische Kritik 187 Allegorie i8f., 108, 135, 426, 429f., 433, 449, 457.494. 515.539.547.57^, 599.6". 623~5. 634f., 667 siehe auch Symbol Ambiguität 325, 498f., 529, 553, 558, 57of., 611, 617, 633 Amerikanische Literatur: ihre Wiederentdekkung, 356; Tradition, 375 f. Analogie 540, 562, 579, 596, 621, 623, 658 Anarchie in der Kritik 268 Anthropologie 440-2, 516, 6671. Arbeiterliteratur 448, 466, 47of., 612 Archetypen 576 f., 667 l'artpour /'