175 113 12MB
German Pages 144 [168] Year 1961
SAMMLUNG
GÖSCHEN
BAND
70
G E S C H I C H T E DER GRIECHISCHEN LITERATUR von
P R O F . DR. W I L H E L M N E S T L E f
Dritte Auflage, bearbeitet von
DR. W E R N E R
LIEBICH
BAND I
WALTER DE GRUYTER & CO. Tormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. BERLIN
1961
© C o p y r i g h t 1961 by W a l t e r de Gruyter & C o . , Berlin W 35. — A l l e Redite, einschl. der Rechte der H e r s t e l l u n g v o n P h o t o k o p i e n und M i k r o f i l m e n ,
von
der V e r l a g s h a n d l u n g v o r b e h a l t e n . — A r c h i v - N r . 11 00 70. — S a t z und Drude: $ Saladruck, Berlin N 65. — Printed in
Germany.
Inhalt Seite 5
Literaturhinweise Zur Uberlieferung der griechischen Literatur
8
Einleitung
11
I. V O N D E N A N F Ä N G E N BIS Z U D E N PERSERKRIEGEN A. D i e
Dichtung 15
1. Das Epos Vorhomerische Dichtung Das homerische Epos Ilias und Odyssee Die kyklischen Epen Sdierzepen und homerische H y m n e n Hesiod und seine Schule Religiöse Strömungen und Dichtungen Die Fabel: Aisopos
2. Die Lyrik
44
Die Elegie und das Epigramm Die Jambendichtung Die melisdie Dichtung Das Volkslied Kitharodie und Aulodie Die C h o r l y r i k
45 48 50 54 55 56
3. Das Drama Die Das Die Der
.
15 19 21 33 36 37 42 43
69
A n f ä n g e der Tragödie Satyrspiel dorische Komödie Mimos
B. D i e
70 72 73 74
Prosa
Die A n f ä n g e der Geschichtsschreibung Die ionische Philosophie Die A n f ä n g e der Medizin
75 77 81
IL V O N D E N PERSERKRIEGEN BIS AUF ALEXANDER D. GR. A. D i e
Dichtung
1. Das Drama
Seite
83
D i e attische T r a g ö d i e
83
Aischylos
83
Sophokles
88
Euripides
94
Die übrigen Tragiker
101
Die altattische K o m ö d i e
103
Aristopha:ies
106
Die mittlere Komödie
109
2. Das Epos
lio
Epische D i c h t u n g e n des 5. u n d 4. J a h r h u n d e r t s
3. Die Lyrik Monodische
110
110 Lyrik
110
Attischer D i t h y r a m b o s und Kitharodie
111
Elegie und E p i g r a m m
112
B. D i e P r o s a D i e ionische P r o s a
112
Philosophie: Anaxagoras und Demokrit
112
Medizin: Hippokrates
114
Geschichtsschreibung:
Herodot
115
Die Sophistik
118
Fachwissenschaftliche Literatur
123
Die attisdie Prosa
124
Thukydides
;
Xenophon
125 129
D i e G e s c h i e h t s : d i r e i b e r des 4. J a h r h u n d e r t s
131
Geographie: Pytntas .
133
D i e attische B e r e d s a m k e i t
133
Lysia? Isokrates
134 .
135
Demosthenes
136
Sonstige Redner
139
Register
140
Literaturhinweise Von größeren Werken über die griechische Literatur sind zu nennen: W. v. CHRIST, Geschichte der griechischen Literatur. Unter Mitw. v o n O . STÄHLIN b e a r b . v o n W . SCHMID. 3 B d e . 6. A u f l . M ü n -
chen 1920. In: I. v. MÜLLER, Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft 7, 1; 7, 2, 1/2 (Hauptwerk). Hiervon 7, 1 ersetzt durch: W. SCHMID, Geschichte der griechischen Liter a t u r 1, 1 — 5 .
1929—48.
U. v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, Die griechische Literatur des Altertums. In: Die Kultur der Gegenwart, hrsg. von P. HINNEBERG 1, 8. Berlin u. Leipzig 1905. 3. Aufl. 1912. E. BETHE U. P. WENDLAND, Griechische Literatur. In: Einleitung in die Altertumswissenschaft, hrsg. von A. GERCKE U. E. NORDEN 1, S. 131 ff. Berlin u. Leipzig 1910. 3. Aufl. 1, S. 275 ff. v o n E . BETHE u . M . POHLENZ. 1 9 2 4 .
I. GEFFCKEN, Griechische Literaturgeschichte. 1. 2. Heidelberg 1926—34. (Berücksichtigt nur die Zeit bis Aristoteles.) W. KRANZ, Geschichte der griechischen Literatur. Leipzig 1940. 3. Aufl. Bremen 1958. W.JÄGER, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen. T—3. Berlin u. Leipzig 1934—47. 3. Aufl. 1954—59. A. LESKY, Geschichte der griechischen Literatur. Bern 1957/58. Darstellungen einzelner Epochen und Literaturgattungen: E. BETHE, Die griechische Dichtung. Potsdam 1929. H. FRÄNKEL, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. New York u. Frankfurt 1951. C. M. BOWRA, Greek lyric poetry. Oxford 1936. M. POHLENZ, Die griechische Tragödie. Leipzig u. Berlin 1930. 2. Aufl. Göttingen 1954. A. LESKY, Die griechische Tragödie. Stuttgart u. Leipzig 1938. 2. Aufl. 1958.
6
Literaturhinweise
A. LESKY, Die tragische Dichtung der Hellenen. Göttingen 1956. A. KÖRTE, Die hellenistische Dichtung. Leipzig 1925. 2. Aufl. bearb. von P. HÄNDEL. Stuttgart 1960. R. HELM, Der antike Roman. Berlin 1948. 2. Aufl. Göttingen 1956. Von den einzelnen Gebieten griechischer Wissenschaft ist am gründlichsten die Geschichte der griechischen Philosophie bearbeitet: E. ZELLER, Die Philosophie der Griechen. Tübingen 1844—52. Das Werk liegt in folgender Form vor: 1, 1: 7. Aufl. bearb. von W. NESTLE. Leipzig 1923. 1, 2: 6. Aufl. bearb. von W. NESTLE. 1920. 2, 1: 5. Aufl. mit Anhang von E. HOFFMANN. 1922. 2, 2: 4. Aufl. 1921. 3, 1: 4. Aufl. hrsg. von E. WELLMANN. 1909. 3, 2:. 5. Aufl. 1923. Reg. 1882. F. ÜBERWEG, Grundriß der Geschichte der Philosophie. 1: Das Altertum. 12. Aufl. hrsg. von K. PRÄCHTER. Berlin 1926. (Nachdr. Tübingen 1953.) E. ZELLER, Grundriß der Geschichte der griechischen Philosophie in neuer Bearb. von W. NESTLE. 13. Aufl. Leipzig 1928. W. CAPELLE, Die griechische Philosophie. 1. 2. Berlin u. Leipzig 1922—34. 2. Aufl. 1953—54. W. KRANZ, Die griechische Philosophie. Leipzig 1941. 3. Aufl. Bremen 1958. W. NESTLE, Die griechischen Philosophen. 1: 4. Aufl. Düsseldorf 1 9 5 6 . 1 — 4 . Jena 1922—23. (Deutsche Auswahl mit Einleitungen.) W . NESTLE, Vom Mythos zum Logos. Die Selbstentfaltung des griechischen Denkens von Homer bis auf die Sophistik und Sokrates. Stuttgart 1940. 2. Aufl. 1942. B. SNELL, Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen. Hamburg 1946. 3. Aufl. 1955. E. HOFFMANN, Die griechische Philosophie bis Piaton. Heidelberg 1951. O. GIGON, Der Ursprung der griechischen Philosophie von Hesiod bis Parmenides. Basel 1945. W. CAPELLE, Die Vorsokratiker. Leipzig 1935. 4. Aufl. Stuttgart 1953. (Deutsche Obers, der Fragmente u. Zeugnisse mit Einleitungen.)
Literaturhinweise
7
G. S. KIRK U. J. E. RAVEN, The presocratic philosophers. Cambridge 1957. W. JAEGER, Die Theologie der frühen griechischen Denker. Stuttgart 1953. M. UNTERSTEINER, I sofisti. Torino 1949. Engl. Ausg. Oxford 1954.
M. POHLENZ, Die Stoa. 1.2. Göttingen 1948—49. 2. Aufl. 1955 bis 59. M. POHLENZ, Stoa und Stoiker. Zürich 1950. (Deutsche Übers, ausgewählter Zeugnisse mit Einführung.)
Zur Überlieferung der griechischen Literatur Das antike Buch w a r ursprünglich die Papyrusrolle. Man preßte aus dem in Streifen geschnittenen Stengel der ägyptischen Papyrusstaude Blätter, die zu einem langen Band aneinandergeklebt wurden. Für die Buchherstellung wählte man im allgemeinen eine 6—10 m lange Rolle, die quer zu ihrer Länge mit nebeneinandergestellten Kolumnen beschrieben und schließlich um einen Stab zusammengewickelt wurde. Die Beschriftung erfolgte in scriptio continua (keine Worttrennung), lyrische P a r tien wurden nicht abgesetzt, Akzente und Hauchzeichen fehlten bis ins erste J a h r h u n d e r t v . C h r . , n u r die I n t e r p u n k t i o n des Satzschlusses w a r schon in klassischer Zeit üblich. Das empfindliche Material nutzte sich, da man es beim Lesen stets aufrollen mußte, sehr stark ab, Feuchtigkeitsschäden und W u r m f r a ß kamen hinzu, so d a ß uns, wenn wir von einigen umstrittenen Fragmenten absehen, Autographen antiker Autoren aus vorbyzantinischer Zeit nicht erhalten sind. Erst von dem Erzbischof EUSTATHIOS von Thessalonike (gest. etwa 1190) besitzen wir die eigenhändig geschriebenen H o m e r k o m m e n t a r e in der Marciana in Venedig. Das älteste uns bekannte Papyrusbuch w u r d e auf dem Begräbnisplatze von Abusir in der N ä h e von Kairo .1902 gefunden und enthält Teile der Perser des TIMOTHEOS. ES stammt aus dem 4. J a h r h u n d e r t und ist, da das W e r k f ü r eine Festaufführung in Milet um 400 gedichtet wurde, von der Zeit des Originalmanuskripts nur Jahrzehnte entfernt. Leider ist aber dieser Papyrus wegen der Eigenarten seiner Beschriftung kein vollgültiges Beispiel f ü r d a s Buch d e r Z e i t des DEMOSTHENES u n d ARISTOTELES.
Bis zum 5. J a h r h u n d e r t v. Chr. scheinen die griechischen Bücher hauptsächlich durch Privatabschriften unter den Interessierten verbreitet worden zu sein. Erst im Laufe des 5. Jahrhunderts entsteht ein gewerbsmäßiger Buchhandel. U m 400 jedenfalls konnte man eine Schrift des ANAXAGORAS in Athen f ü r höchstens eine Drachme k a u f e n (Piaton, Apol. 26 D). Im 4. J a h r h u n d e r t wuchs die Buchproduktion. Die ältere und die gleichzeitige Literatur muß in sehr zahlreichen, o f t unzuverlässigen und verwilderten Abschriften verbreitet gewesen sein. Die Texte der Tragiker litten besonders durch Schauspielerinterpolationen. Deshalb w u r d e in Athen auf Antrag des Redners LYKURGOS ein Staatsexemplar hergestellt, von dem die Schau-
Z u r Überlieferung der griechischen L i t e r a t u r
9
Spieler nicht mehr abweichen durften. Aber das Entscheidende f ü r die Sammlung, Erhaltung und philologische Bearbeitung des literarischen Erbes der früheren Jahrhunderte geschah in Alexandria. H i e r gründete PTOLEMAIOS I (323—285) in seinen letzten Regierungsjahren unter dem Einfluß des aristotelischen Peripatos das Museion als wissenschaftliche Forschungsstätte, der eine großzügig angelegte Bibliothek als Arbeitsinstrument beigegeben war.
Z u r Z e i t des KALLIMACHOS, d e r u n t e r PTOLEMAIOS I I
in
seinen Pinakes den Bibliothekskatalog verfaßte und ihn zugleich mit literarhistorischen Notizen ausstattete, enthielt die Bibliothek 490 000 Buchrollen. Z u r Zeit des Brandes der Bibliothek (47 v. Chr.) waren die Bestände sogar auf 700 000 Rollen gewachsen. Ein zweites Zentrum hellenistischer Kulturpolitik bild e t e die v o n EUMENES I I ( 1 9 7 — 1 5 9 ) nach a l e x a n d r i n i s c h e m V o r -
bild gegründete Bibliothek von Pergamon. Angeblich sollen ihre Bestände (200 000 Buchrollen) nach dem Brand der alexandrinischen B i b l i o t h e k v o n ANTONIUS d e r KLEOPATRA als E r s a t z
ge-
schenkt und nach Alexandrien, vielleicht in das Serapeion, überf ü h r t worden sein. T r o t z d e m verfiel im ersten Jahrhundert die alexandrinische Philologie und Rhetorik, deren Bestreben es gewesen war, das literarische Erbe in vollem U m f a n g zu bewahren. U m die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts setzte als neue geistige Richtung der Attizismus ein, der zu einer wesentlichen Komponente der zweiten Sophistik wurde. In dieser klassizistischen Periode stand man der hellenistischen Literatur ablehnend gegenüber, hob aus den wichtigen Gattungen je einen Vertreter der klassischen Zeit als Hauptrepräsentanten hervor und stellte f ü r Schulzwecke Auswahlen, Blütenlesen, Exzerpte und Kompilationen her. So kommt es, daß die Verluste hellenistischer Werke besonders groß sind und daß wir nur von ganz wenigen
Klassikern
DEMOSTHENES,
( H O M E R , PLATON,
AISCHINES,
HERODOTOS,
XENOPHON,
ISOKRATES,
THUKYDIDES)
alles
be-
sitzen, was von ihnen im Altertum veröffentlicht wurde. Eine grundlegende Neuerung im Buchwesen bedingte, daß diejenigen Literaturwerke, an denen der Zeitgeschmack keinen Gefallen mehr f a n d , bald endgültig untergingen. Seit dem ersten J a h r h u n d e r t n. Chr. wurde, besonders in christlichen Kreisen, der Pergamentcodex neben der Papyrusrolle immer stärker benutzt. Er bot, da man seine Blätter beidseitig beschreiben konnte, bei geringerem U m f a n g mehr Inhalt, w a r deshalb relativ billiger und ließ sich leichter nachschlagen. Im 4. Jahrhundert hatte er sich als Buchform endgültig durchgesetzt. Die Literaturwerke, die nicht in C o d e x f o r m umgeschrieben wurden, gingen verloren.
10
Zur Uberlieferung der griechischen Literatur
Seit dem 6. Jahrhundert schwand das philologische Interesse, bis es im 7. und 8. Jahrhundert, in denen die schwersten Überlieferungsverluste eintraten, fast erloschen war. Erst im 9. Jahrhundert trat mit der sogenannten byzantinischen Renaissance ein Wiederaufleben der klassischen Studien ein. Besonders PHOTIOS, der Patriarch von Konstantinopel und sein Schüler ARETHAS, Erzbischof von Caesarea, setzten sich dafür ein, daß die noch vorhandenen Handschriften bewahrt und abgeschrieben wurden. Bei diesen Abschriften bediente man sich der neuen Minuskelkursive, führte die Worttrennung durch und setzte Akzente und Spiritus. Unsere Textüberlieferung beruht bei vielen Autoren auf dem damals umgeschriebenen Exemplar, das dann als Vorlage für weitere Abschriften diente. Die letzten großen Verluste an überliefertem Gut brachten Brand und Plünderung bei der Einnahme Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (1204). "Was diese Katastrophe überdauerte, ist im wesentlichen erhalten geblieben. Denn schon vor dem Fall Konstantinopels (1453) waren viele griechische Handschriften nach Italien hinübergewandert. Als einer der ersten unter den Vermittlern griechischer Geistesbildung wirkte MANUEL CHRYSOLARAS seit 1396 in Italien und verfaßte hier die erste griechische Grammatik. Nach dem Fall von Konstantinopel verstärkte sich der Strom griechischer Gelehrter nach dem Westen, weitere Handschriften gelangten nadi Italien und wurden hier eifrig abgeschrieben, bis dann am Ende des 15. Jahrhunderts die handschriftliche Uberlieferung von der wirkungsvolleren Vervielfältigungsmöglichkeit des Buchdrucks abgelöst wurde. Funde antiker Papyrusrollen haben seit dem 18. Jahrhundert (Herculaneum 1753, Ägypten 1778: Charta Borgiana) unsere Kenntnis griechischer Literatur wesentlich bereichert. In Herculaneum konservierte der Luftabschluß des vulkanischen Tuffgesteins, in Ägypten der trockene Wüstensand das vergängliche Material. Besonders seitdem FLINDERS PETRIE 1883/84 die Epoche der systematischen Ausgrabungen einleitete, haben uns ägyptische Papyri manche Neuigkeit gebracht, zuletzt den Dyskolos des MENANDER. WO wir Papyrustexte mit unserer handschriftlichen Überlieferung vergleichen können, zeugen sie im allgemeinen für die hohe Qualität der mittelalterlichen Tradition.
Einleitung „Zu allem Gewissen der Wissenschaft wie zu allem Schönen der Form ist in Griechenland der Grund gelegt worden." Mit diesen Worten hat HERDER1) die weltgeschichtliche Bedeutung der griechischen Literatur und Kunst, die aufs innigste verschwistert sind, treffend gekennzeichnet. In Griechenland sind die bleibenden Grundformen der Dichtung geschaffen worden: das Epos und die Lyrik, die Tragödie und die Komödie. In Griechenland liegen die Wurzeln aller Wissenschaften, die nicht umsonst noch heute großenteils griechische Bezeichnungen tragen und mit griechischer Terminologie arbeiten. Hier erblühte, anfangs im engsten Bunde mit der Naturwissenschaft, die Philosophie, die Geschichtschreibung und Erdkunde sowie die Medizin. Daneben entwickelte sich die Redekunst, gefördert durch die politischen Einrichtungen, zur höchsten Vollendung. Und auf allen diesen Gebieten ist die griechische Literatur durchaus original. Denn wenn die Griechen schon in ihrer Kunst und Religion, wie ein Schüler Piatons sagt 2 ), „was sie etwa von fremden Völkern übernahmen, zu noch schönerer Vollkommenheit ausgestalteten", so zeigt sich ihre Literatur, wenigstens in ihrer schöpferischen Zeit, fast ganz frei von fremden Einflüssen. Redeten und schrieben sie doch auch in einer Sprache, die nur ganz wenige teils von den Urbewohnern des Landes übernommene, teils auf dem Wege des Handels mit dem Orient eingewanderte Fremd- oder vielmehr Lehnwörter kennt. Und die zahlreichen einheimischen Dialekte meisterten sie in einer Weise, daß jeder der vier verbreitetsten seinen dauernden Beitrag zu der Gesamtschöpfung der Nationalliteratur leisten mußte: Ionisch blieb von Homer an bis zum Ausgang der Antike die Sprache des Epos und außerIdeen zur P h i l o s o p h i e d. Geschichte d . B d . 14, 129). 2) Philipp v. O p u s , E p i n o m i s 987 D .
Menschheit
3,
13, 5
(Suphan
12
Einleitung
dem der älteren Prosa. Der Dialekt der musikalisch besonders begabten D o r e r beherrschte neben dem Äolischen der lesbischen Melik die Lyrik, besonders das Chorlied. In attischem Wohllaut aber strömt der dramatische D i a l o g dahin, Attisch reden die Philosophie, die Geschichtschreibung u n d die R h e t o r i k auf dem H ö h e p u n k t ihrer Entwicklung, bis schließlich der hellenische Geist in der v o m Attischen abstammenden, aber m i t manchen andern, namentlich ionischen Bestandteilen versetzten Weltsprache, der sog. Koiné, sich das O r g a n zur Durchdringung des makedonischen und römischen Weltreichs m i t der v o n ihm erzeugten K u l t u r schuf. D i e zeitliche Gliederung der griechischen Literaturgeschichte ergibt sich unschwer aus dem Gesamtverlauf der Geschichte des griechischen Volkes. Der erste Zeitraum erstreckt sich bis zur Wende des 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr., d. h. bis zum ionischen A u f s t a n d und den Perserkriegen. M a n kann ihn als das griechische Mittelalter bezeichnen, weil hier im wesentlichen die aristokratische Oberschicht die Trägerin der noch einheitlichen in Religion und Staatswesen, Kunst und Dichtung sich ausprägenden Volkskultur ist. Der Schwerpunkt der literarischen Tätigkeit liegt in den Kolonien, besonders im äolischen und ionischen Kleinasien, das erst allmählich das Mutterland in seine Kreise zieht. Von den Perserkriegen (d. h. etwa von 480 v. Chr.) an, in denen sich das aus einem A g r a r s t a a t in eine H a n d e l treibende Seemacht verwandelte Athen durch seinen O p f e r m u t und seine T a t k r a f t die politische Vormachtstellung in Griechenland errang, beginnt die zweite, die attische Periode der griechischen Literatur und dauert bis zur Vernichtung der griechischen Polis durch PHILIPP und ALEXANDER (323 v. Chr.). D a m i t tritt die griechische K u l t u r in ihre Neuzeit ein: neben die Betätigung in Religion, Kunst und Dichtung tritt jetzt, vorbereitet durch die großen ionischen Denker, die kritische Wissenschaft. Träger der Literatur werden nunmehr die in der Demokratie zur Herrschaft gelangten bürgerlichen Kreise, deren zurückgebliebene Unterschicht aber den Fortschritt des Denkens als einen feindlichen Gegensatz zur Sitte
Einleitung
13
der Väter empfindet. D a m i t tritt die Gebrochenheit der Vollkultur, die beginnende Scheidung in Gebildete und U n gebildete, in Erscheinung. I m dritten Abschnitt, der mit den Diadochenreichen beginnenden Periode des Hellenismus, übernimmt nun vollends die Wissenschaft, d. h. die Philosophie und die in den Großstädten der hellenistischen Reiche, besonders Alexandria, sich mehr und mehr ausbildenden Einzelwissenschaften, die geistige Führung, ohne daß doch die dichterische Produktion ganz erlöschte. Ihre Sprache ist teils die Koiné (s. o.), teils ein künstlich aufgefrischter Attizismus. So bleibt es auch in dem letzten Zeitraum, der römischen Kaiserzeit, der sich vom Fall Alexandrias (30 v. Chr.) bis zum Ausgang der Antike erstreckt. Das Ende kennzeichnet sich am besten durch die Schließung der platonischen Akademie in Athen durch Justinian im J a h r e 5 2 9 n . C h r . Aber auch dann ist der griechische Geist noch nicht tot. E r lebt fast noch ein Jahrtausend, freilich in erstarrten Formen, weiter im byzantinischen Reich, seiner Kunst und Literatur. U n d auch im Westen hat die christliche Kirche vieles nicht nur von der Altersweisheit des Griechentums in ihr Dogma, sondern auch von den religiösen Vorstellungen des Volkes in ihren Kultus aufgenommen. Die ganze mittelalterliche kirchliche Wissenschaft aber, die Scholastik, beruhte auf Aristoteles. W a r dessen unbedingte Autorität, durch welche die kirchlichen Lehrsätze gestützt werden sollten, im L a u f der Zeiten zu einem Hemmschuh freier geistiger Entwicklung geworden, so war es im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus wiederum der nun richtiger und tiefer erfaßte freie griechische Geist, der den Bann überlebter Autoritäten brechen half und eine neue Zeit zu wahrer Geistesfreiheit, zu neuen Kunstformen und neuen Erkenntnissen führte. Für uns Deutsche vollendete sich diese durch das Griechentum bewirkte geistige Wiedergeburt e r ; : im 18. Jahrhundert, im Zeitalter unserer großen klassischen D i c h t e r , e i n e s KLOPSTOCK u n d WIELAND, LESSING u n d H E R D E R , GOETHE u n d SCHILLER. D i e V e r s e n k u n g i n d i e
Werke der griechischen Literatur verhalf ihnen zur Befreiung von dem bis dahin herrschenden französischen Ge-
14
Einleitung
schmack und spornte sie an, nicht sie äußerlich nachzuahmen, sondern sich in eigenen Neuschöpfungen mit ihnen zu messen. So bildet die griechische Literaturgeschichte ein Stück europäischer Kulturgeschichte, und ihre Meisterwerke haben sich nicht als eine drückende Norm, sondern, und zwar gerade auch auf den Höhepunkten des deutschen Geisteslebens, immer wieder als ein befruchtender Same erwiesen.
I. VON DEN ANFÄNGEN BIS ZU DEN PERSERKRIEGEN A. DIE DICHTUNG 1. Das Epos V o r h o m e r i s c h e D i c h t u n g . Dem englischen Architekten M. V E N T R I S verdanken wir einen sensationellen Entzifferungsversuch der Linearschrift B, einer Weiterentwicklung der kretischen Linear A. In Zusammenarbeit mit dem Philologen J. C H A D W I C K glaubte er nachweisen zu können, daß die mit Linear-B beschrifteten Tontäfelchen, die E V A N S in Knossos, B L E G E N in Pylos und W A C E in Mykene gefunden hatten, griechische Sprache wiedergeben. Sieht man diesen Nachweis als geglückt an 1 ), so beginnt unsere Kenntnis der griechischen Sprachgeschichte nunmehr bereits in mykenischer Zeit 2 ). Da bisher allerdings nur Inventare, Rechnungen u. ä. bekannt wurden, hat diese Entdeckung für die griechische Literaturgeschichte keine größere Bedeutung. An ihrem Anfang steht für uns H O M E R . Aber das homerische Epos weist über sich selbst hinaus auf eine hinter ihm liegende Vergangenheit. Gedichte von so vollendeter Kunst wie die Ilias und Odyssee können unmöglich am Anfang einer Entwicklung stehen, sondern müssen schon den Höhepunkt epischer Dichtung darstellen. Die Wiederholung stehender Beiwörter, formelhafter Verse und typischer Szenen weist auf eine feste, in längerer handwerklicher Tradition ausgebildete epische Technik hin. Es finden sich aber auch ganz bestimmte Anhaltspunkte für eine dem H O M E R vorausliegende teils lyrische, teils epische Dichtung. 1) Zur K r i t i k vor allem E. Grumadi, Bemerkungen zu M . Ventris — J . C h a d w i c k : Evidence for Greek dialect in the Mycenaean ardiives. Orient. Lit. Ztg. 52, 1957, 294 ff.; ders., Gnomon 32, 1960, 681 ff. 2 ) Eine grammatische Skizze des Mykenischen mit reichen Literaturangaben gibt A . Scherer in: A . Thumb, Handbuch d. gr. Dialekte. T . 2 21959, 314 ff.
16
V o n d e n A n f ä n g e n bis z u d e n
Perserkriegen
Schon in dieser Frühzeit verschönte der Gesang dem Hellenen das Leben; Freud und Leid, besonders auf den Höhepunkten des Lebens, strömte in das Lied aus; die wichtigsten Tätigkeiten wurden von ihm begleitet. Bei der Vermählung erklang das Hochzeitslied, der Hymenaios (Z 493), und bei der Bestattung wurde der Trauergesang um den Verstorbenen, der Threnos, angestimmt, wobei die Frauen der Familie im Chor mit Klagerufen einfielen (Q 721). An frohen Festen begleiteten den Tanz der Jünglinge und Jungfrauen Lied und Saitenspiel ( Z 604, 6 262), und im Kultus ertönten feierliche Hymnen auf die Götter, wie der dem Apollon, besonders nach siegreicher Schlacht, von den Kriegern gesungene Paian (A 473, X 391). Auch Arbeitslieder gab es, wie das bei der Weinlese gesungene Linoslied ( I 570); Hirten ziehen bei Flötenspiel auf die Weide (Z' 526), Kirke (K 221) und Kalypso (E 61) singen zum Weben; und ein einziges Mal wenigstens hören wir auch von einem Zauberliede(T457), dessen Kraft eine blutende Wunde stillt. Aber nicht nur dies: es muß auch schon frühzeitig kleinere erzählende Gedichte mythischen und heroischen Inhalts gegeben haben. „Taten der Götter und Menschen" verherrlichen die Sänger (a 338), und selbst Achilleus singt in der Ilias zur Laute von den Ruhmestaten der Männer (I 186 ff.). Die Argonautenfahrt nach dem goldenen Vlies ist allgemein bekannt (u 70), und die lange Erzählung des Phoinix von der Belagerung der ätolischen Stadt Kalydon durch die Kureten (I 529 ff.) sieht aus, als ob sie einer alten Meleagerdichtung entnommen wäre; ja vielleicht hat sogar der verhängnisvolle Groll dieses Helden dem Sänger des Liedes vom Zorn des Achilleus als Vorbild gedient. Von dem Vortrag eines Götterliedes3) hören wir 0 266 ff., wo Demodokos beim Gelage der Phaiaken von der heimlichen Liebe des Ares und der Aphrodite und der Rache des betrogenen Hephaistos singt, der die beiden mit einem unsichtbaren Netz fesselt. Dieses Lied stammt allerdings nicht unmittelbar aus älterer Uberlieferung, sondern ist als Folie zu dem 3 ) Zum folgenden vgl. W . Kullmann, Das "Wirken der Götter in der Ilias. Berlin 1956, 11 ff.
Das E p o s : Vorhomerische Dichtung
17
sorgenlosen Leben der Phäaken frei gestaltet. Als Vorbild diente wahrscheinlich ein vorhomerisches Götterlied, auf das die Ilias 2 395 ff. anspielt. Dieses Lied berichtete, wie Hephaistos seiner Mutter Hera, die ihn wegen seiner H ä ß lichkeit vom Olymp geworfen hatte, einen Thron mit unsichtbaren Fesseln schickte und sie erst löste, als ihm Aphrodite zum Lohn versprochen wurde. Auch die Geschichte von der Fesselung des Ares durch Otos und Ephialtes, seiner Gefangensetzung in einer ehernen Tonne und seiner Befreiung durch Hermes (E 385 ff.) und ebenso die Geschichte von der Fesselung des Zeus, die A 396 ff. erzählt wird, dürften auf ältere Götterlieder zurückgehen. Auf ein weiteres Lied vom Kampf des Zeus deutet schließlich vielleicht 0 18 ff., wo Zeus die Götter auffordert, mit ihm ein Tauziehen zwischen Himmel und Erde zu veranstalten, bei dem er sie alle besiegen wolle. Diese rekonstruierbaren Götterlieder zeichnen sich durch drastische Derbheit aus, die auf Ursprung aus einer bäuerlichen Kultur hinweist. Sie handeln vorwiegend von dem Kampf der Götter um die Macht, die Herrschaft des Zeus ist in ihnen noch nicht gesichert. Ihr Götterbild steht also in deutlichem Kontrast zu der Leichtigkeit und Seligkeit des göttlichen Lebens in den homerischen Epen. Aber nicht nur Helden- und Götterlieder, sondern auch kleinere vorhomerische Epen, in denen der göttliche und der menschliche Bereich fest miteinander verwoben sind, können wir wenigstens in Umrissen rekonstruieren. Besonders zahlreich sind in der Ilias die einander ergänzenden Hinweise auf ein altes Heraklesepos, das bereits einen „Götterapparat" hatte 4 ). Andere Kleinepen behandelten den trojanischen Sagenkreis. Besonders deutliche Parallelen zur Ilias zeigt die sog. Memnonis, ein Teil der zu den kyklischen Epen gehörigen Aithiopis (vgl. S. 34 f.). Sie berichtete wie die Ilias ( 0 8 0 ff.) von der glücklichen Rettung Nestors, einer Wägung der Todeslose, von der Todesklage der Thetis um Achilleus und von den warnehden Worten, mit denen sie •») K u l l m a n n , a . a. O . 25 ff.
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V o n den A n f ä n g e n bis zu den P e r s e r k r i e g e n
ihm den baldigen Tod voraussagt, und kannte eine Entrückung Memnons, der in der Ilias die Entrückung Sarpedons (TT 453 ff., 666 ff.) entspricht. All diese Motive sind in der Memnonis original, in der Ilias dagegen abgeleitet verwendet 5 ). Die Ilias hat also entweder von der Memnonis selbst oder einem Epos, an das sich die Memnonis inhaltlich eng anschloß, bedeutsame Anregungen empfangen. Die vorhomerische epische Dichtung wurde von berufsmäßigen Sängern (p 383, 9 481) an den Höfen der Fürsten und Adeligen zur Unterhaltung beim Mahle in einer Art Sprechgesang, der vom Spiel der Laute (Phorminx) begleitet war, vorgetragen. Solche Sänger führt HOMER selbst in Phemios, des Terpios Sohn, der im Palast des Odysseus singt ( a 154. 337, p 263, x 331), und Demodokos am Hof des Phaiakenkönigs (0 44) ein, deren redende Namen durchsichtig sind. Nicht selten ergriffen Blinde, die zu andern Tätigkeiten nicht verwendbar waren, wie Demodokos (8 63) und der Diditer des Hymnus auf den Delischen Apollon (V. 172), diesen Beruf. Eine Parallele dazu bietet sich bei den Serben, wo dies so gewöhnlich war, daß das Wort „slijepac" (d. h. blind) geradezu den Stand der fahrenden Sänger bezeichnete. Es hat bei den Griechen also schon in vorhomerischer Zeit eine sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbende dichterische Technik gegeben, die sich des noch im Flusse befindlichen Sagenstoffs bemächtigte und ihn aus dem Stegreif zum Lied formte: eine Kunst, die der Sänger selbst auf göttliche Eingebung, auf die Muse, zurückführte (X 347, 6 63, 499). Auch dazu bietet die Epik anderer Völker Analogien. Ganz ähnlich wie Phemios in der Odyssee erklärte ein kirgisischer Akyn (Sänger): „Ich kann überhaupt jedes Lied singen; denn Gott hat mir diese Gesangesgabe ins Herz gepflanzt. Er gibt mir das Wort auf die Zunge, ohne daß ich zu suchen habe. Ich habe keines meiner Lieder erlernt. Alles entquillt meinem Innern, aus mir her5) H . P e s t a l o z z i , D i e A c h i l l e i s als Q u e l l e d e r I l i a s , Z ü r i c h 1 9 4 5 ; W . S c h a d e w a l d t , V o n H o m e r s W e l t u n d W e r k . S t u t t g a r t 3 1 9 6 0 , 155 ff. G e r a d e n o d i h i n w e i s e n k a n n ich h i e r a u f W . K u l l m a n n , D i e Q u e l l e n d e r I l i a s . W i e s b a d e n 1 9 6 0 , 3 0 ff.
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aus" 6 ). Die vorhomerischen Götter- u n d Heldenlieder sind also mündliche Dichtung gewesen, wie wir sie von vielen Völkern der Erde, teilweise noch aus neuester Zeit, kennen. D e r mit der Kenntnis der Sagen u n d einem festen sprachlichen Formelschatz ausgestattete Sänger hält sich nicht an einen schriftlich fixierten Text, sondern improvisiert u n d variiert im mündlichen Vortrag. Es ist aber zweifelhaft, ob auch die gesamte vorhomerische Epik mündliche Dichtung w a r . Texte, die als Gedächtnisstützen dienten, hat es sicher gegeben, u n d vielleicht ist das eine oder das andere epische Gedicht auch schon schriftlich konzipiert worden. D e r griechische Heldengesang ist bereits in mykenischer Zeit entstanden. N a c h dem Niedergang der mykenischen K u l t u r z e n t r e n pflegte ihn besonders die äolische Bevölkerung Thessaliens. Ihre Sprache hat auch im homerischen Epos noch Spuren hinterlassen. Über die Form der alten Heldenlieder wissen wir nichts. Es scheint aber, d a ß der Hexameter, ein sehr altertümlicher, vielleicht sogar v o r griechischer Vers 7 ), mit der epischen Dichtung von ihren A n f ä n g e n an v e r k n ü p f t w a r . D e r Schritt von kleineren epischen Formen zum G r o ß epos u n d v o m musikalischen V o r t r a g des Aöden zur Rezitation des Rhapsoden aber w u r d e nicht in Äolien, sondern in Ionien getan. D a s h o m e r i s c h e E p o s . Das ionische Epos k n ü p f t sich an den N a m e n HOMERS. Infolge der großen Völkerverschiebung auf der Balkanhalbinsel, der sog. dorischen W a n d e r u n g , hatten sich im mittleren Teil der Westküste Kleinasiens zahlreiche ionische Kolonien gebildet. In ihnen erlebte die epische Dichtung eine großartige Renaissance. Das älteste uns erhaltene Zeugnis d a f ü r ist das homerische Epos. Es ist ritterliche Dichtung, f ü r die Kreise des ionischen Adels berechnet, dessen Stammesheroen darin in ihren G r o ß t a t e n gefeiert werden. Die Stoffe, wie der in der „homerischen" Thebais (s. S. 34) behandelte Sagenkreis der 6 ) burg ') 1923,
W . R a d i o f f , D i e S p r a c h e n der n ö r d l i c h e n t ü r k i s d i e n S t ä m m e . 1,5. P e t e r s 1885, X V I I . V g l . A . M e i l l e t , Les o r i g i n e s i n d o - e u r o p é e n n e s des m è t r e s grecs. P a r i s 60 ff.
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Labdakiden, sind teils aus dem Mutterland mit herübergewandert, teils sind sie aus Erinnerungen an K ä m p f e früherer Geschlechter um den Besitz des kleinasiatischen Küstenlandes geschöpft. Unter diesen erfreute sich besonderer Beliebtheit der troische Sagenkreis, der sich um die Eroberung der in der Skamanderebene gelegenen alten Burg Troja oder Ilios wob und in dem sich die Geschicke des äolischen Helden Achilleus mit den Taten des alten Herrscherhauses von Mykene, der Atriden, verknüpften. Auf der Seite der Gegner finden sich einige wenige nichtgriechische Namen, wie der der Stadt Troja selbst, ihrer Burg Pergamos, ihres Königs Priamos und seines Sohnes Paris, dem dann auch der griechische N a m e Alexandras beigelegt wird. Andere, wie Hektor, Andromache, Astyanax, erweisen sich als redende N a m e n und damit höchstwahrscheinlich als dichterische Erfindung. Manche der uns im Epos entgegentretenden Helden und Heldenfrauen mögen aus ursprünglich göttlicher Sphäre in die heroische herabgesunken sein, ohne daß dies jedoch dem Dichter noch irgend bewußt wäre. Am deutlichsten ist dies bei Helena, der Tochter des Zeus und der Leda und Schwester der Dioskuren, der in Sparta eine Platane heilig war, die in Rhodos als Baumgöttin verehrt wurde und in Therapnae einen Kult hatte 8 ). Vielleicht war sie einst eine minoische Vegetationsgöttin. Auch Achilleus, dessen N a m e offenbar mit dem des Flußgottes Acheloos verwandt ist, der nach außerhomerischer Sage unverwundbar ist wie der germanische Siegfried und nach seinem Tode von Thetis nach der Insel Leuke entrückt, dort einen Kult genießt, wird ursprünglich göttlichen Charakter gehabt haben. Wie im deutschen Nibelungenlied die Walküre Brünhilde und der dem Gotte Baidur ähnelnde Siegfried neben geschichtlichen Gestalten, wie dem Burgunderkönig Gunther und dem H u n nenfürsten Etzel, stehen, so werden wir auch f ü r das ionische Epos eine Vermischung historischer und mythischer Bestandteile annehmen dürfen. Eine der merkwürdigsten 8) V g l . M . P . N i l s s o n , Geschichte der g r . R e l i g i o n . 1. M ü n c h e n 315, 475 f . .
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1 9 5 5 , 211,
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Gestalten ist Odysseus (Namensform außerhalb des Epos: Olysseus). Am ehesten dürfen wir uns vorstellen, daß er anfänglich ein Märchenheld war, um den sich Erzählungen von mannigfachen Seeabenteuern und später Heimkehr rankten 9 ). Jedenfalls scheint er der heroischen Sphäre nicht von H a u s aus angehört zu haben. I l i a s u n d O d y s s e e . Von den älteren epischen Dichtungen der Ionier sind uns nur zwei vollständig erhalten, d. h. so, wie sie das spätere Altertum las: die Ilias und die Odyssee. Dies ist kein Zufall, sondern diese Gedichte galten als die vorzüglichsten unter allen, und als der Verfasser beider wurde von der herrschenden Meinung alter und neuer Zeit H O M E R betrachtet. D i e I l i a s erzählt nicht die Eroberung von Ilios, sondern der Dichter hat sich mit vollem Bewußtsein die A u f gabe gestellt, nur eine ganz bestimmte Episode aus dem zehnten Kriegsjahr zu behandeln: den Zorn des Achilleus und seine verderblichen Folgen. Trotz der bunten Fülle von Gestalten, die vor unser bewunderndes Auge treten, trotz der mannigfaltigen, die Aufmerksamkeit immer neu erregenden Wechselfälle des Kampfes wird dieses Thema nie aus den Augen verloren. Von Agamemnon durch die Wegführung der ihm als Kriegsbeute zugeteilten Briseis gekränkt, zieht sich Achilleus mit seinen Myrmidonen vom Kampfe zurück und erbittet durch seine Mutter Thetis von Zeus so lange die Niederlage der Achäer, bis er Genugtuung erlangt habe. Audi eine an ihn abgeschickte Gesandtschaft der ersten Helden, die ihm die Anerbietungen Agamemnons übermittelt, findet ihn unerbittlich. Ein persönliches Motiv ließ ihn aus dem Kampf ausscheiden und nur ein solches kann ihn auch wieder zur Teilnahme daran bestimmen: der Tod seines Freundes Patroklos, dem er statt seiner in den Kampf zu ziehen gestattet hatte, als die Troer drauf und dran waren, unter Hektors Führung das achäische Schiffslager zu erobern. N u n treibt ihn der leidenschaftliche 0 ) L. R a d e r m a d i e r , Die E r z ä h l u n g e n der Odyssee. Sitzber. A k . Wiss. W i e n . P h i l . - h i s t . K l . 178, 1. 19)5. P . K r e t s d i m e r , P e n e l o p e . A n z . A k . W i s s . W i e n . P h i l . - h i s t . K l . 1945, 80 ff.
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Wunsch, den Freund zu rächen, zur Versöhnung mit Agamemnon und zum Wiedereintritt in die Reihen der Kämpfer. H e k t o r fällt im Zweikampf von seiner H a n d . Die Leichenspiele zu Ehren des Patroklos und die Auslösung des Leidinams Hektors an Priamos bilden den versöhnlichen Abschluß des Gedichts. Obwohl die H a n d l u n g nur 51 Tage u m f a ß t und bloß zwei Schlachttage geschildert sind, zeigt sich die dichterische Phantasie unerschöpflich in der Mannigfaltigkeit plastischer Gestalten, scharf umrissener Charaktere und bald wildbewegter, bald ruhevoller und fast idyllischer Szenen, die sich teils unter den sterblichen Menschen, teils unter den Göttern auf dem Olymp oder Ida oder in den Tiefen des Meeres abspielen. Alle Saiten von H a ß und Liebe, Freude und Trauer, wildem Schmerz und sanfter Klage weiß der Dichter anzuschlagen und bald mit tiefsinnigen Gedanken uns zu erheben, bald mit schalkhaftem H u m o r über die N o t des Krieges und das Leid des Lebens hinwegzutäuschen. Die größte Meisterschaft aber zeigt er in der allmählichen Umstimmung des Achilleus im letzten Drittel des Epos, und die Szene zwischen Priamos und Achilleus gehört zu dem Tiefsten und Gewaltigsten, was die Weltliteratur hervorgebracht hat. Wesentlich verschieden von der Ilias in der ganzen Anlage, im Schauplatz der Handlung, im Charakter des H a u p t helden und im ganzen Ton der Erzählung ist die O d y s s e e . Verläuft in der Ilias die H a n d l u n g Schritt f ü r Schritt, so finden wir hier eine kunstvoll verschlungene Komposition, insofern der Dichter den Odysseus die von der Abfahrt von Troja bis zur A n k u n f t auf Ogygia erlebten Abenteuer den lauschenden Phaiaken selbst erzählen läßt und erst im 13. Gesang seinerseits die Erzählung wieder aufnimmt und bis zur Rache an den die Penelope umwerbenden Freiern f o r t f ü h r t . Dazu tritt noch eine zweite Handlung, die Ausfahrt des Telemachos auf Kunde von seinem Vater, die erst im zweiten Teil des Epos in den Strom der Haupterzählung mündet. U n d auch in dieser sind wieder zwei Motive zu einer Einheit verbunden: das des auf der Heimfahrt in ferne Meere verschlagenen Helden und das des heimkehren-
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den Gatten, der noch im letzten Augenblick die erzwungene Verheiratung der treuen Frau mit einem andern verhindert. Bildet in der Ilias die Küstenebene der Troas den Schauplatz der Handlung, so ist dieser hier bald das felsige Ithaka, bald das weite Meer, dessen dem Seefahrer noch bekannte Küsten vom Vorgebirge Maleia an sich in eine nicht mehr lokalisierbare Märchenwelt verlieren. Ist es in der Ilias der starke Arm des schnellfüßigen Aiakiden, der den endlichen Sieg davonträgt, so ist es in der Odyssee vor allem die nie versagende Klugheit des vielgewandten Ithakesiers, die ihn aus allen Gefahren rettet. Dort herrscht das tragische Pathos heroischer Geschicke vor, hier haben wir es großenteils mit Schiffermärchen, mit ungefügen Unholden und berückenden Nymphen zu tun. In der Ilias tritt uns das heroische Königtum noch im vollen Glänze seiner Macht entgegen, in der Odyssee sehen wir es erschüttert, und das Treiben der Freier nimmt sich wie ein satirisches Zerrbild der gesunkenen Aristokratie aus. Dafür nehmen die unteren Volksschichten, die in der Ilias nur in Thersites einen verächtlichen Vertreter stellen, hier einen breiteren Raum ein: Auch die Mühseligen und Beladenen, ein Eumaios und eine Eurykleia, sind mit Liebe gezeichnet und nicht minder lebensvoll ihre niedrigen Gegenbilder, der freche Ziegenhirt und die gemeine Magd oder der Bettler Iros. Selbst der treue Hund, der sterbend den heimkehrenden Herrn wiedererkennt, ist nicht vergessen. Mit einem Ausdruck der antiken Ästhetik kann man diesen Realismus der Darstellung als biotischen Stil bezeichnen. Auch das Verhältnis zur umgebenden Natur hat sich verändert: in der Ilias finden wir kaum einige dürftige Ansätze zur Landschaftsschilderung; die Odysseelandschaften, die der Dichter in bunter Pracht vor uns ausbreitet und die weder reine Märchenlandschaften sind, noch Anspruch auf genaue Wiedergabe bestimmter örtlichkeiten erheben, sondern das typische Bild der reich gegliederten griechischen Küsten- und Inselwelt wiedergeben, haben einen F R I E D R I C H P R E L L E R zur malerischen Darstellung gelockt. Schon regt sich auch das geoeraphischethnologische Interesse, das weiterhin zu den Anfängen der
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Erd- und Völkerkunde führen sollte, und die kolonisatorische Tätigkeit spiegelt sich im Lied, wenn wir den Seefahrer vor herrenlosem Lande stehen und seine Urbarmachung überlegen sehen (i 116 ff.). Homers Sprache und S t i l . Aus Zeiten, in denen die Sprache des Heldengesanges noch äolisch w a r , haben sich Äolismen innerhalb der überwiegend ionischen Sprache der homerischen Gedichte erhalten. Sie ist eine Kunstsprache u n d ist so, wie sie vorliegt, niemals gesprochen w o r d e n . A u d i der Z w a n g des Versmaßes mag d a z u m i t g e w i r k t haben, d a ß verschiedene N o m i n a l - u n d V e r b a l f o r m e n (z. B. k o n t r a h i e r t e u n d u n k o n t r a h i e r t e , unterschiedliche Kasus-, Personal-, I n f i n i t i v e n d u n g e n ) nebeneina n d e r gebraucht w e r d e n . I n der Satzbildung herrscht noch die K o o r d i n a t i o n ü b e r die S u b o r d i n a t i o n v o r . Kasus u n d M o d i sind vielfach in ihren G r u n d f u n k t i o n e n deutlich e r k e n n b a r . I m W o r t bestand gibt es zahlreiche alte W ö r t e r , die m a n in geschichtlicher Zeit nicht m e h r v e r s t a n d ; andererseits fehlen Ausdrücke, die später ganz geläufig sind, z. B. nomos, das n u r a 3 stand, u n d logos ( O 393, oc 56). W i e die Sprache, so ist auch der Stil in beiden Gedichten im wesentlichen derselbe. D a s Bezeichnendste ist, d a ß der Dichter ganz hinter seiner E r z ä h l u n g zurücktritt, die er in größter A n schaulichkeit u n d behaglicher Breite v o r t r ä g t . Auch wörtliche W i e d e r h o l u n g e n w e r d e n , namentlich bei der Ü b e r m i t t l u n g v o n A u f t r ä g e n o d e r Schilderung schon erzählter Ereignisse v o r dritten Personen, nicht gescheut. Alltägliche V o r g ä n g e , wie S o n n e n a u f u n d -Untergang, Essen u n d T r i n k e n , Fragen u n d A n t w o r t e n , w e r den in stehende F o r m e l n g e f a ß t . Auch G ö t t e r u n d H e l d e n haben ihre ständigen Beiwörter, w o r i n n u r ' geringe Abwechslung herrscht. Zuweilen sieht der Dichter die Person, v o n der er erzählt, so u n m i t t e l b a r vor sich, d a ß er statt der dritten P e r s o n sich der F o r m der A p o s t r o p h e bedient u n d sie direkt a n r e d e t . Will er v o n einem Gegenstand eine besonders l e b h a f t e Vorstellung in dem Z u h ö r e r erwecken, so l ä ß t er ihn, wie z. B. den Schild des Achilleus, T e i l u m T e i l v o r seinen Augen entstehen, statt ihn ais Ganzes zu beschreiben. S p a n n u n g im gewöhnlichen Sinn zu erregen, liegt dem homerischen Dichter so ferne, d a ß er nicht selten den Ausgang eines Ereignisses, das er zu erzählen beginnt, im A n f a n g v o r w e g n i m m t . Ein H a u p t m i t t e l des homerischen Stils z u r Veranschaulichung ä u ß e r e r u n d innerer V o r g ä n g e sind die zahlreichen Gleichnisse, die eine außerordentlich feine u n d liebevolle
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Naturbeobachtung verraten und in denen uns die Umwelt des Dichters in scharf gezeichneten kleinen Bildern entgegentritt. K o m m t es dem Dichter dabei auch nur auf einen einzigen Zug an, so läßt er es sich doch nicht nehmen, die ganze ihm vorschwebende Szene auszumalen. Ihr Gebrauch ist übrigens in der Ilias viel häufiger als in der Odyssee und steht in beiden Gedichten im Verhältnis von 4 : 1 . D e r den Griechen bei allem Idealismus ihrer Kunstformen eigene starke Wirklichkeitssinn scheut bei H o m e r auch vor dem Gräßlichen (TT 306ff., i 288) nicht zurück. Die Menschen (und die Götter) charakterisiert der Dichter nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch ihre H a n d lungen und ihre Reden. Diese nehmen einen so breiten Raum ein und sind so dramatisch gestaltet, daß H o m e r auch als der größte Meister des Dialogs erscheint. M a n hat viel von homerischer N a i v i t ä t gesprochen, u n d diese eignet auch dem homerischen Erzählungsstil, insofern nichts Natürliches versteckt oder bemäntelt w i r d und die homerischen Menschen ihren Gefühlen ganz ungehemmt den Lauf lassen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, d a ß auch die Reflexion über Welt und Leben schon eine beachtenswerte H ö h e erreicht hat. H o m e r i s c h e K u l t u r . H o m e r schildert mit Bewußtsein eine weit zurückliegende Zeit, was in Formeln wie der mehrfach wiederkehrenden „wie die Menschen jetzt sind" zum Ausdruck kommt. Diese Vergangenheit ist die Zeit vor der Wanderung, da die Achäer im Peloponnes herrschten: die Zeit der kretischmykenischen Kultur. Ihr-gehören die Schichten V I und V I I a des von SCHLIEMANN bloßgelegten Burghügels von Hissarlik an. Noch ist es umstritten, welche von ihnen mit der Feste der Ilias identisch ist. Jedenfalls irrte Schliemann, als er die Siedlung der zweiten Schicht, in der er den vermeintlichen „Schatz des Priamos" f a n d , f ü r das homerische T r o j a hielt. Der Zeit vor der dorischen W a n d e r u n g gehört auch die Burg von Mykene an, wo Schliemann in einem Schachtgrab jenen goldenen mit zwei T a u ben verzierten Becher f a n d , der mit der Beschreibung des Nestorbechers (A 632 ff.) genau übereinstimmt. Diesem Zeitalter entstammt auch die Burg von Tiryns, deren Anlage und künstlerische Ausschmückung teils dem Palast des Odysseus auf Ithaka, teils, nur in märchenhafte Pracht gesteigert, dem des Phaiakenkönigs Alkinoos entspricht. Schließlich haben BLEGEN und KURUNIOTIS 1939 am N o r d e n d e der Bucht von N a v a r i n o , beim heutigen Ano Englianos, einen ausgedehnten mykenischen Palast entdeckt, der sehr wahrscheinlich mit dem homerischen Pylos
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identisch ist 1 0 ). Einzelheiten des Ausgrabungsbefundes stimmen gut zu dem Palast Nestors in y 405 ff. In mykenische Zeit gehört auch der Eberzahnhelm des Meriones (K 261 ff.) 1 1 ). Anderes freilich, wie die goldenen Gesichtsmasken der Toten, die sich im „goldreichen" Mykene fanden, erwähnt das.Epos nicht und ebensowenig die großen, dem Seelenkult dienenden Grabgewölbe. D o d i ist die bewußte Archaisierung der Schilderung nicht ausnahmslos durchgeführt: Manchmal sieht man die eigene Zeit des Dichters in die Heroenzeit hineinragen. So weist die Schilderung des Panzers des Agamemnon (A 19 ff.) ins 8. J a h r h u n d e r t . Ebenso ist es ein Anachronismus, wenn an verschiedenen Stellen der Uias und Odyssee Tempel und in einem Gesang (Z 92, 273, 303) sogar ein Götterbild erwähnt werden. D a ß die Schrift in der Zeit der kretisch-mykenischen Kultur schon im Gebrauch war, wissen wir aus den kretisch-mykenischen Funden. D a ß sie also H o m e r kannte, ist heute selbstverständlich; seinen Helden aber leiht er sie nicht, außer, die primitive Form der Schriftzeichen andeutend, bei demUriasbrief, den Proitos dem Bellerophon mitgibt (Z 168). Dagegen ist bei der Bezeichnung der Lose, durch die der Gegner des H e k t o r im Zweikampf bestimmt werden soll (H 171 ff.), schwerlich an wirkliche Schrift zu denken. H o m e r i s c h e R e l i g i o n . Auch von der Religion der kretisch-mykenischen Zeit finden sich noch einige Nachklänge. W a h r scheinlich spiegelt der homerische Götterstaat, an dessen Spitze Zeus steht, die mykenische Feudalordnung wieder 1 2 ). Wenn Athene als persönliche Schutzgöttin a u f t r i t t und sich ihre H i l f e vom Vater auf den Sohn, von T y d e u s auf Diomedes, von Odysseus auf Telemach vererbt, so erinnert das an die Palastgöttin der minoischen Religion 1 3 ). Ein minoischer Zug scheint audi, d a ß Athene und mitunter andere Götter in Vogelgestalt erscheinen. Von dem T o t e n k u l t und dem ihm zugrunde liegenden Seelenglauben der vorgeschichtlichen Zeit finden sich gleichfalls nur noch vereinzelte Reste: so vor allem das T o t e n o p f e r , das Achilleus dem Patroklos darbringt (Y 166 ff.) und das des Odysseus im Eingang des H a d e s 23 ff.). In der Odyssee heißt es einmal (8 561 ff.), d a ß Menelaos nicht sterben soll, sondern von den Göttern nach dem elysischen Feld am Ende der Erde geleitet werden wird, wo Rhadamanthys wohnt. Die Vorstellung von 1°) V g l . R . H a m p e , D i e h o m e r i s c h e W e l t im Lichte d e r g r a b u n g e n . G y m n a s i u m 63, 1956, 20 ff. 11) V g l . H a m p e , a . a . O . 12. 12) M . P . N i l s s o n , G e s d i i c h t e d. g r . R e l i g i o n . 1, 350 ff. 13) N i l s s o n , a . a . O . 347 ff.
neuesten
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den Inseln der Seligen, auf denen der Verschiedene in voller Körperlichkeit fortlebt, ist ursprünglich ägyptisdi-minoisch 1 4 ). Später w u r d e sie bei den Griechen ganz geläufig, bei H o m e r begegnen wir ihr nur hier, sonst sind bei ihm „die kraftlosen H ä u p ter der T o t e n " als Schatten in den H a d e s gebannt. Das Leben im Licht ist frei von ihrer Einwirkung. Diese Vorstellung stammt aus der Wanderungszeit der Griechen, in der ein Grabkult o f t nicht möglich war. Der homerische Mensch kennt keine D ä m o n e n u n d Gespensterfurcht u n d , eine einzige Stelle (s. S. 16) ausgenommen, auch keinen Zauber. Wie das ganze Epos, so trägt auch die homerische Religion einen aristokratischen Charakter. Die der Klasse des ackerbautreibenden Volkes wichtigsten Gottheiten fehlen im homerischen Pantheon so gut wie ganz: Ge und Demeter und Dionysos sind dem Epos zwar bekannt, sie treten aber im O l y m p nicht auf. Der H a n d w e r k e r g o t t Hephaistos ist zwar unter die Olympier aufgenommen, aber er spielt hier eine komische Rolle, und die schlechte Behandlung, die ihm zuteil wird (A 590 ff. 2! 394 ff.), kennzeichnet den Lemnischen Lokalgott noch deutlich als Gegenstand einer urtümlicheren, bäuerlichen Gottesvorstellung. Auch der anderwärts hochverehrte Heilgott Asklepios ist bei H o m e r nur „der untadelige A r z t " ( A 194). Die „leicht lebenden" olympischen Götter aber sind das Abbild der adeligen ionischen Gesellschaft. Es sind, wie Aristoteles (Met. II 2. 997 b 11) sagt, „ewige Menschen". T r o t z dem bildet ihr Wirken auch da, wo sie am unmittelbarsten am irdischen Geschehen teilnehmen, in der Götterschlacht ( O ) , einen wirkungsvollen Kontrast zu menschlichem Schicksal 15 ). Auf Szenen menschlicher Todesnot folgt ein heiteres Kampfspiel der Götter. Durch einen Fausthieb wird Aphrodite von Athene zu Boden gestreckt (423 ff.), und H e r a schlägt der Artemis lachend ihren Bogen um die Ohren (489ff.). Zeus aber sieht vom O l y m p herab mit Freude zu (388 ff.). Auch sonst fungieren die Götter o f t als Zuschauer 1 6 ). Für sie ist das, was f ü r die Menschen letzte Entscheidung bedeutet, nur ein spannendes Schauspiel. So werden die Götter der Ilias mit manchen menschlichen Zügen gezeichnet und doch zugleich über menschliches Los hoch hinausgehoben. Vor allem sind sie auch nicht sittlicher als der Mensch, werden von allerlei Leidenschaften beherrscht und verschmähen, um den Gegner zu fällen, auch Betrug nicht. Sie sind aber frei " ) Nilsson, a. a. O. 324 ff. Vgl. W . Sdiadewaldt, Von H o m e r s W e l t u. W e r k . Stuttgart 31959, 291 ff. 16 ) Vgl. W . K u l l m a n n , Das W i r k e n der Götter in der Ilias. Berlin 1956, 83 ff.
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von der Gebundenheit menschlichen Daseins, können ihren Leidenschaften unbekümmerter nachgehen und ihren Willen ungehindert ausleben 1 7 ). Wenn der Lauf der Dinge nicht von der Moira vorgezeichnet ist, sind ihrer Willkür keine Schranken gesetzt. In der Odyssee allerdings kündigt sich eine neue A u f fassung des Verhältnisses von Göttern und Menschen an 1 8 ). D o r t sagt Zeus an einer programmatischen Stelle ( « 3 2 f f . ) : Die Menschen führten ihr Unglück auf göttliche Willkür zurück, zögen es sich aber durch eigene Freveltaten zu, wie Aigisthos, den die Götter doch vorher gewarnt hätt'en. Auch die Freier sind von Sehern zweimal gewarnt worden ( ß 157 ff., u 350 ff.), und die Gefährten des Odysseus wissen von Teiresias und Kirke, daß ihnen Verderben droht, wenn sie sich an den Rindern des Sonnengottes vergreifen. H i e r taucht also der Gedanke auf, daß menschliches Unglück gegen den Willen der warnenden Götter selbstverschuldet ist. Der Bereich einer neuen Ethik zeichnet sich ab. V o r t r a g u n d W i r k u n g des h o m e r i s c h e n Epos. Die homerischen Gedichte wurden durch Rhapsoden, fahrende Rezitatoren, die einen Stab als Abzeichen trugen, vorgetragen, anfangs wohl in den Palästen des Adels, später an den ö f f e n t lichen Festen vor versammeltem Volk (Herod. 5, 67). Solon oder Peisistratos richteten diese H o m e r v o r t r ä g e bei den Panathenäen ein. Selbstverständlich konnten immer nur einzelne Abschnitte („Rhapsodien") aus den großen Epen vorgetragen werden. Überschriften solcher Abschnitte, die sich mit unserer erst von dem alexandrinischen Grammatiker Zenodotos stammenden Einteilung in je 24 Gesänge nicht ganz decken, sind uns erhalten (Ael. V. H . X I I I 12). Schon sehr f r ü h wurde H o m e r Schulbuch, und noch im 5. J a h r h u n d e r t gab es Leute, die von ihrer Knabenzeit her die ganze Ilias und Odyssee auswendig wußten (Xen. Symp. 3, 5). H o m e r w u r d e f ü r die Griechen „der Dichter" schlechthin. Aus ihm lernte der einfädle Mann seine Lebensweisheit, und an seiner Kunst bildeten sich Dichter und Redner. Man kann seine Werke die griechische Bibel nennen, und Piaton (Staat 606 E) bezeugt es, d a ß er der Erzieher Griechenlands gewesen ist. D i e P e r s o n H o m e r s . Die homerischen Gesänge sind nicht das W e r k des „dichtenden Volksgeists". Volksdichtung ist die homerische Poesie nur insofern, als sie das geistige Eigentum des 17
) V g l . H . F r a n k e l , D i c h t u n g u . P h i l o s o p h i e im f r ü h e n G r i e c h e n t u m , 76 ff. ) F . J a c o b y , D i e geistige P h y s i o g n o m i e d e r O d y s s e e . A n t i k e 9, 1933, 186 f f . ; L e s k y , L i t e r a t u r g e s c h i c h t e , 67 f . ls
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ganzen griechischen Volkes werden konnte, dessen größter dichterischer Genius das Epos auf diese H ö h e hob. Aber trotz der sieben Lebensbeschreibungen Homers, die in der vorliegenden Fassung sämtlich erst der römischen Kaiserzeit angehören, wissen wir von der Person Homers wenig. D a ß ihn die Alten sich als blinden Greis vorstellten, wie ihn die hellenistischen Idealbüsten zeigen, beruht auf einer Stelle des ihm zugeschriebenen H y m n u s auf den Delischen Apollon (V. 172). Alte und einigermaßen zuverlässige Überlieferung scheint es zu sein, d a ß H o m e r in Smyrna geboren ist und auf der Insel Chios tätig war, wo es noch später eine Sängerschule gab, die „Homeriden" (Pind. N e m . 2, 1), die sein Werk bewahrten, verbreiteten und f o r t f ü h r t e n . Auch gewisse Ortskenntnisse (wie B 459 ff.) weisen auf die mittlere Küste Kleinasiens, einige Stellen ( Y 227, ß 13) auf eine ihr vorgelagerte Insel. Die Lebenszeit Homers kannten schon die Alten nicht mehr. H e r o d o t (2, 53) setzte ihn höchstens 400 Jahre vor seine Zeit, T h e o p o m p 500 Jahre nach T r o j a s Fall, in die Zeit des Archilochos. Die Verse über das Schicksal der Aeneaden, die bis etwa 700 die T r o a s beherrschten, lassen vermuten, d a ß H o m e r die Ilias an ihrem H o f e vorgetragen hat 1 9 ). Auch die Weise, in der sich Hesiod, Kallinos, Tyrtaios, Archilochos und Semonides auf H o m e r beziehen, sprechen f ü r die Annahme, daß mindestens die Ilias um 700 fertig vorlag. Wahrscheinlich, ist sie in der zweiten H ä l f t e des 8. Jahrhunderts entstanden. D i e h o m e r i s c h e F r a g e . Diese drehte sich im Altertum zunächst um die Grenze der Verfasserschaft Homers innerhalb des ionischen Epos. Denn es galten keineswegs von jeher nur die Ilias und Odyssee als Dichtungen Homers, sondern es wurden ihm großenteils auch die später sog. „kylischen Epen" (s. S. 33) zugeschrieben. Kallinos (bei Paus. I X 9, 5) nennt ihn als Dichter der Thebais, Archilochos und selbst noch Aristoteles schreibt ihm das komische Epos Margites zu, Pindar (bei Älian V. H . 9, 15) die Kypria, Thukydides (3, 104) den H y m n u s auf den Delischen Apollon. Bei H e r o d o t , der o f f e n b a r auch die Thebais als homerisch anerkennt (5, 67), tauchen die ersten Zweifel an der homerischen H e r k u n f t der K y p r i a (2, 117) und der Epigonoi (4, 32) auf, die bei dem ersten Gedicht auf sachliche Widersprüche mit Angaben der Ilias gegründet werden. Erst im 4. J a h r h u n d e r t w i r d H o m e r , vorwiegend aus ästhetischen Gründen, auf die Ilias und Odyssee beschränkt. U n t e r den alexandrinischen Kritikern 19 ) V g l . I . M a l t e n , A i n e i a s . A r c h i v f . R e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t 29, 1931, 33 f f . ; W . S d i a d e w a l d t , a. a . O . 95 f .
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Von den Anfängen bis zu den Perserkriegen
sprachen ihm Xenon und Hellanikos sogar die Odyssee ab und wurden daher die „Chorizonten", d. h. die Trennenden, genannt. Gegen sie w a n d t e sich Aristarch in einer besonderen Schrift. Aber auch die von diesem ausgehende konservative Kritik verwarf außer zahlreichen einzelnen Versen in der Ilias die Dolonie ( K) und in der Odyssee den Schluß (von y 297 an). Endlich hören wir noch von Interpolationen, die der am H o f e des Peisistratos lebende Onomakritos zugunsten Athens vorgenommen haben soll, und von einer angeblichen Sammlung der „Epen H o m e r s " durch den genannten Herrscher, die vorher zerstreut gewesen sein sollen (Cic. de or. I I I 34, 137, Jos. gg. Ap. 1, 12, Paus. V I I 26, 13, Äl. V. H . 13, 14). Schon im Ausgang des 6. Jahrhunderts finden wir in Theagenes von Rhegion den ersten Homererklärer, und zwar unterwarf er, namentlich veranlaßt durch den Götterkampf in Y, die Gedichte einer allegorischen Deutung, die später die pergamenischen Grammatiker und die kynisch-stoische Philosophie wieder aufnahmen, während die Alexandriner die rein sachliche Erklärung festhielten. In der Neuzeit brachte FR. A. WOLF durch seine Prolegomena ad Homerum (1795) die Frage in Fluß, dem aber in Frankreich schon d e r w e n i g b e a c h t e t e A b b é FRANÇOIS HEDELIN D'AUBIGNAC
(1604—1646) vorangegangen war, dessen Conjectures académiques ou dissertation sur l'Iliade 1715 erschienen waren. Wolf stützte sich teils auf die unleugbar vorhandenen Widersprüche zwischen den verschiedenen Gesängen der Ilias, teils auf die Annahme, daß zur Zeit der Entstehung der homerischen Gedichte die Schrift noch nicht bekannt gewesen, ohne sie aber die Ausbreitung und Überlieferung so umfangreicher Epen undenkbar sei. Auch habe die Sitte nur den V o r t r a g kürzerer Lieder gekannt. Immerhin ließ Wolf einen Dichter H o m e r am A n f a n g der Entwicklung bestehen, benutzte aber die Nachrichten von der Peisistrateischen Redaktion zur Erklärung des jetzigen Bestands des Epos. Sein Lehrer CHR. G. HEYNE, dem die erste sorgfältige Analyse der Ilias v e r d a n k t wird, stellte umgekehrt H o m e r als R e d a k t o r des Ganzen an das Ende. K. LACHMANN ließ dann, ausgehend von seiner Kritik des Nibelungenlieds und von der Vorstellung der Romantik vom „dichtenden Volksgeist", die Ilias aus 16 ursprünglich selbständigen Liedern entstehen (Betrachtungen über Homers Ilias, 1837), so d a ß die Annahme eines persönlichen H o m e r vollständig überflüssig zu werden schien. U n gefähr gleichzeitig suchte G. HERMANN seine Erweiterungstheorie zu begründen, der f ü r beide Gedichte einen ersten Kern, eine Achilleis und einen Nostos, annahm, der durch immer zahlreichere
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Eindichtungen auf den jetzigen Umfang angewachsen sein sollte. Die Kritik der Odyssee förderte besonders A. KIRCHHOFF, der sich dieses Epos als eine Kompilation mehrerer kleinerer Gedichte (Nostos, Telemachie, Freiermord) dachte und, gestützt auf nicht zu leugnende Unebenheiten, eine Umsetzung des sog. Apologs, der Ich-Erzählung des Odysseus, aus der dritten in die erste Person annahm. Die Kirchhoffsche Kritik führten U . v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF in seinen Homerischen Untersuchungen (1884) und in seinem Buch Die Heimkehr des Odysseus (1927) sowie O. SEECK (Die Quellen der Odyssee 1887) in eigenartiger Weise weiter. Ersterer nahm auch zur Kritik der Ilias Stellung in Die Ilias
und Homer
( 1 9 1 6 ) , und E . BETHE behandelte die ge-
samte Homerkritik in seinem Homer I (Ilias 1914), I I (Odyssee, Kyklos 1922), I I I (Die Sage vom Troischen Krieg 1917). Im Gegensatz zu dieser kritischen Richtung traten andere Forscher, wie K.
LEHRS,
F.
G.
WELCKER,
K.
O.
MÜLLER,
E.
DRERUP,
für
die
Einheit der Gedichte ein. So war eine gewisse Erschöpfung in der Homerforschung eingetreten. Den Unitariern gelang es nicht, die mit großem Scharfsinn von den Analytikern festgestellten Widersprüche zu entkräften, und die Analytiker büßten durch die Vielzahl ihrer Lieder-, Erweiterungs- und Kompilationstheorien ihre Glaubwürdigkeit ein. Für die Iliasforschung trat die entscheidende Wende durch W . SCHADENALDT (Iliasstudien, Abh. d. Sächs. Ges. d. W . 43, 1938. Phil.-hist. Kl. Nr. 6) ein. Schadewaldt ging von der Stellung des A im Gesamtaufbau der Ilias aus, wies auf eine Fülle von Beziehungen, Vor- und Rückverweisungen und Retardationen hin und legte den einheitlichen, kunstvollen Bauplan dieser Dichtung überzeugend dar. Doch sah auch er es als eine mögliche Aufgabe der Analyse an, den Quellen nachzugehen, die Homer in sein Epos einschmolz. Dieser Aufgabe haben sich die sogenannten Neoanalytiker ( J . TH. KAKRIDIS20), H . PESTALOZZI21), W. KULLMANN21), U. a.) gewidmet. Aber auch die alte Analyse hat heute noch entschiedene Vertreter (W. THEILER22),
G . JACHMANN23),
P . VON DER
MÜHLL24)).
Von ganz anderen Ausgangspunkten aus trug in der letzten Zeit die vergleichende Epenforschung, besonders in den angelsächsischen Ländern, Wesentliches zum Verständnis der home20) H o m e r i c Researches. L u n d 1949. 21) V g l . S . 18, A n m . 5. 22) D i e D i c h t e r d. I l i a s . Festschrift E . T i e c h e . B e r n 1947, 1 2 5 — 1 6 7 ; nochmals d. D i c h t e r d. I l i a s . T h e s a u r i s m a t a . Festschrift I . K a p p . München 1954. 23) H o m e r i s c h e E i n z e l l i e d e r . S y m b o l a C o l o n i e n s i a . Festschrift J o s e p h Krol'l. K ö l n 1949, 1 — 7 0 ; D e r h o m . S c h i f f s k a t a l o g u. d . I l i a s . K ö l n 1 9 5 8 . Kritisches H y p o m n c m a zur I l i a s . Basel 1952.
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Von den Anfängen bis zu den Perserkriegen
rischen Werke bei. Den entscheidenden Anstoß gab MILMAN PARRY, der in den Jahren 1933—35 etwa 12 500 Aufnahmen südslawischer Volksepik machte. Die Schule Parrys untersuchte Wesen und Form mündlichen Heldengesanges 25 ) und wies dessen Charakteristica, heroische "Weltsicht und handwerkliche Übung, in den homerischen Epen nach. Vielfach ging man allerdings zu weit, wenn man auch die Ilias und die Odyssee als oral composition ansah. A. LESKY26) hat mit Recht betont, daß sich der von Schadewaldt nachgewiesene kunstvolle Aufbau der Ilias nur durch die Annahme schriftlicher Konzeption erklären lasse. Trotzdem haben uns diese Forschungen eine klare Vorstellung von der Genesis mündlicher Heldendichtung gegeben. Ihre Ergebnisse lassen sich kaum mit dem Bild vereinbaren, das die alte Homeranalyse von dem Werden der Ilias zeichnete. So weist vieles darauf hin, daß die Ilias, mit Ausnahme der später eingefügten Dolonie und einiger unbedeutender Interpolationen, von einem Dichter, nämlich von Homer, geschaffen wurde. D i e O d y s s e e dagegen ist jünger als die Ilias und wahrscheinlich wenigstens teilweise von einem anderen Dichter geschaffen worden. Sie kennt Sizilien (u 383, co 211, 366, 389) und demnach jedenfalls die Anfänge der westlichen Kolonisation im Ausgang des 8. Jahrhunderts; sie hat eine dunkle Kunde von den hellen Nächten im hohen Norden (K 83 ff.), und die Kimmerier, die im 7. Jahrhundert in Kleinasien einfielen, sind ihr wenigstens dem Namen nach als ein noch halb fabelhaftes Volk bekannt (X 14). Sie hat etwa um 700 ihre endgültige Form erhalten. In ihr mögen ältere Vorlagen verarbeitet sein. Die Irrfahrten sind mindestens stoffmäßig der älteste Bestandteil des Epos. Sie spielen im Märchenlande. Die Versuche, sie im einzelnen zu lokalisieren, fallen unter das Urteil des Eratosthenes: Dies werde dann gelingen, „wenn man den Sattler ausfindig gemacht, der den Windschlauch des Aiolos zusammengenäht habe" (Strab. I 24 C.). Es ist möglich, daß die Telemachie erst nachträglich in das Heimkehrerepos gefügt wurde. Dafür spräche, daß die Entsendung des Hermes zu Kalypso bereits in der Götterversammlung a 80 ff. von Athene vorgeschlagen, aber erst nach einer weiteren Götterversammlung verwirklicht wird. Die moderne Odysseeforschung bemüht sich zu klären, wie sich die drei Stoffkreise (Irrfahrten, Heimkehrernovelle, Telemachie) zueinander verhalten und wie aus ihnen die vorliegende Dichtung entstanden ) Zusammenfassend C . M . B o w r a , H e r o i c P o e t r y . L o n d o n 1952. ) M ü n d l i c h k e i t u . S d i r i f t l i c h k e i t im h o m e r i s c h e n E p o s . F e s t s c h r i f t D . K r a l i k . W i e n 1 9 5 4 , 1 ff. 25
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Die kyklischen Epen
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ist. F. FOCKE27) glaubte, daß eine ältere Abenteuerdichtung von einem dem Hauptverfasser der Ilias nahestehenden Dichter zu einem Epos ausgebaut wurde, vor das ein Bearbeiter die Telemachie schaltete. P. v. DER MÜHLL28) ließ einen Bearbeiter zwei selbständige Epen, eine von Homer geschriebene Odyssee und ein Telemathepos verbinden, und W. SCHADEWALDT29) nimmt an, daß der Bearbeiter, ein tüchtiger Dichter, die Telemadiie selbst geschaffen und in die homerische Odyssee eingefügt hätte. Auf alle Fälle wird man sagen müssen, daß die Odyssee, wie sie uns vorliegt, kein Stückwerk, sondern ein organisches, wohl komponiertes Gebilde ist. D i e k y k l i s c h e n E p e n . Außer der Ilias u n d O d y s s e e g a b es noch eine Reihe alter epischer Gedichte, die m i t den beiden homerischen z u s a m m e n v o n späteren Literaturhistorikern als der epische Kyklos bezeichnet w u r d e n . Dieser „epische R i n g " u m f a ß t e die dichterisch dargestellte F o l g e v o n Ereignissen v o n der Entstehung der Welt bis z u m A u s g a n g der Heroenzeit, die m a n mit dem T o d des Odysseus abschloß. Sie bildeten das C o r p u s der heroischen E p e n , das mindestens in seinen älteren Bestandteilen, der Thebais, den Epigonoi u n d Kypria, vielleicht aber auch noch anderen Gedichten bis ins 5. J a h r h u n d e r t unter dem N a m e n H o m e r s lief. D i e ersten Z w e i f e l an der homerischen Verfasserschaft tauchen bei H e r o d o t auf (s. S. 29), u n d v o m 4. J a h r h u n d e r t an w e r d e n diese E p e n , vermutlich v o n peripatetischen Literarhistorikern, mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit bestimmten älteren Dichtern zugeschrieben, w ä h r e n d sie später vielfach wieder a n o n y m erscheinen. Wir besitzen v o n ihnen nur wenige wörtliche Bruchstücke, die im wesentlichen den Stil des homerischen E p o s zeigen. Doch w e r d e n diese e r g ä n z t durch I n h a l t s a n g a b e n der v o n P H O T I O S exzerpierten Chrestomathie eines P R O K L O S und in A P O L L O D O R S Bibliothek. Voran stand eine Titanomachia, von EUMELOS von Korinth oder ARKTINOS von Milet, die den Sieg der Olympier über das ältere titanische Göttergeschlecht des Kronos feierte. Dann folg2?) D i e Odyssee. Stuttgart 1943 28) Odyssee, R E , S u p p l . 7, 1940, 696 ff. 2») Von H o m e r s Welt u. W e r k . S t u t t g a r t 31959, 375 ff.
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Von den A n f ä n g e n bis zu den Perserkriegen
ten drei Gedichte aus dem thebanischen Sagenkreis: eine Oidipodia, angeblich von dem Lakedaimonier KINAITHON, die in 6600 Versen die Geschicke des Laios und Oidipus erzählte, die Thebais, die den Krieg der Sieben gegen Theben, und die Epigonoi, die die Eroberung der Stadt durch deren Söhne, je in 7000 Versen schilderten. Alles übrige gehört dem troischen Sagenkreis an: so das 11 Bücher umfassende Epos Kypria, dem STASINOS oder HEGESINOS zugeschrieben. Es handelte von der Vorgeschichte des Krieges: dem Beschluß des Zeus, die unter der Last der allzu zahlreich gewordenen Menschen seufzende Erde durch einen großen Krieg zu erleichtern, vom Parisurteil, dem R a u b der Helena, der Abf a h r t von Aulis nach der O p f e r u n g der Iphigenie, der Aussetzung des Philoktetes auf Lemnos und dem Verlauf des K a m p f e s bis zum Streit des Achilleus u n d Agamemnon: D a n n folgte die Ilias, und mit dieser w a r durch den letzten Vers aufs engste verklammert die Aithiopis (Fr. 1) des ARKTINOS in 5 Büchern. Sie hat ihren N a m e n von dem den T r o e r n zu H i l f e eilenden Aithiopenkönig Memnon, der von Achilleus getötet wird. Diesen selbst, der, obwohl in Liebe zu der feindlichen Amazonenkönigin Penthesilea entbrannt, auch diese erschlägt, ereilt sein Schicksal am Skäisdien T o r durch den Pfeil des Paris. Aber Thetis entrafft vom Scheiterhaufen weg seine Leiche nach der Insel Leuke (wo der Neubelebte, wie sicher anzunehmen ist, unsterblich wird, s. S. 20). D e r Stoff gab GOETHE die Anregung zu seiner Achilleis und H . v. KLEIST zu seiner Tragödie Penthesilea. Die sog. Kleine Ilias in 4 Büchern, dem LESCHES von Mytilene zugeteilt, begann mit dem Streit des Aias und Odysseus um die W a f f e n des Achilleus (vgl. X 547), erzählte den T o d des Paris durch einen Pfeil des Philoktetes, den Fall des Eurypylos, des Sohns des Telephos, durch den von Skyros herbeigeholten Neoptolemos, der in dem letzten Abschnitt des Krieges an die Stelle seines Vaters Achilleus tritt, den R a u b des Palladions, die Erbauung des hölzernen Rosses und die Eroberung Trojas. Nach der Angabe des Aristoteles (Poet. 23, 1459 b 5) lieferte dieses Epos den Stoff zu acht Tragödien. Die Iliupersis in 2 Büchern, d. h. die Zerstörung von Ilios, die wieder dem ARKTINOS zugeschrieben wird, lief dem letzten Teil der Kleinen Ilias parallel. Sie begann mit dem Bau des hölzernen Rosses und der Laokoongeschichte, worauf die Einzelheiten bei der Eroberung von T r o j a folgten: der T o d des Priamos durch Neoptolemos, die Vergewaltigung der Kassandra durch den jüngeren Aias, der T o d des Astyanax durch Odysseus, die O p f e r u n g der Polyxena auf dem Grabe des Achilleus u n d die Zuteilung
Die kyküschen Epen
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der Andromache an Neoptolemos bei der Teilung der Beute. Die Nostoi (d. h. Heimfahrten) des HAGIAS von Troizen in 5 Büchern schilderten die unglückliche Rückfahrt der Achäer: die Bestrafung des Aias für seinen Frevel, die Ermordung des Agamemnon und ihre Vergeltung durch Orestes (vgl. a 35 ff., X 405 ff.). Als letzter Nostos schloß sich hier die Odyssee an. Den Schluß des Kyklos bildete das jüngste Gedicht, die Telegonia des EUGAMMON von Kyrene (um 568) in 2 Büchern. Wir finden hier dasselbe tragische Motiv wie in dem altdeutschen Hildebrandslied: Der Vater wird unerkannt vom Sohne erschlagen. Telegonos, der Sohn des Odysseus und der Kirke, kommt auf der Suche nach seinem Vater nach Ithaka, gerät mit ihm in Kampf und tötet ihn mit einem Rochenstachel, der ihm als Waffe dient. Sophokles machte daraus eine Tragödie. Das Epos aber endete glücklich: Telegonos heiratet Penelope, die er samt Telemachos mit nach Hause nimmt. Dieser vermählt sich mit Kirke, die beide unsterblich macht. Seit F. G. WELCHER30) war im wesentlichen die Meinung vorherrschend, daß die Epen des troischen Kyklos im Anschluß an die Ilias, eventuell unter Benutzung vorhomerischer Sage, geschaffen worden seien, um die dort geschilderten Ereignisse des trojanischen Krieges zum vollen Zusammenhang des Geschehens zu ergänzen. Die Entdeckung, daß uns in demjenigen Teil der Aithiopis, der von den Schicksalen des Memnon berichtete, ein Vorbild der Ilias vorliegt (s. S. 17 f.), forderte eine neue Behandlung der Prioritätsfrage. Eine genaue Untersuchung der Sagenmotive, die den Kyprien, der Aithiopis und der Iliupersis mit der Ilias gemeinsam sind, hat ergeben, daß die Ilias den Stoff dieser drei Trojaepen kennt, während sich in ihnen Einfluß der Ilias nicht nachweisen läßt 3 1 ). Dieser Befund ließe sich am leichtesten erklären, wenn man — die Einheit der Ilias vorausgesetzt — annimmt, daß Kyprien, Aithiopis und Iliupersis auch in ihrer epischen Form vorhomerisch waren. Außer den kyküschen Gedichten sind noch weitere, uns nur durch vereinzelte Nachrichten bekannte Epen verlorengegangen, wie die Eroberung Oichalias, einer Stadt am Peneios in Thessalien, durch Herakles von dem Homeriden K R E O P H Y L O S von Samos, eine Phokais, Dunais u. a. Im Mutterlande stellte das im 7. Jahrhundert aufblühende Korinth in dem aus dem Geschlecht der Bakchiaden stam30) Der episdie Cyclus. 2 Bde. Bonn 1835—49. ) W . Kullraann, Die Quellen der Ilias. Wiesbaden 1960.
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Von den Anfängen bis zu den Perserkriegen
menden E U M E L O S einen Epiker, der die Lokalsage seiner Heimat dichterisch bearbeitete, wobei er auch des tragischen Schicksals der von Jason verstoßenen Medea gedachte. Außerdem verfaßte er eine Europia, in der die Entführung der Europa durch Zeus, der sich in einen Stier verwandelt hatte, erzählt war. Ein Epos, dessen Verfasser wir nicht kennen, die Alkmeonis, behandelte die Heimkehr des Alkmeon, des Sohns des Amphiaraos, aus dem Krieg der Epigonen (s. S. 34), der von seinem Vater beauftragt war, an seiner Mutter Eriphyle für den Verrat an ihrem Gemahl Rache zu nehmen: ein Prototyp des Orestes. Diese genealogischen Epen lieferten später den Tragikern reichliche Stoffe. Im 6. Jahrhundert verfaßte P E I S A N D R O S aus Kameiros auf Rhodos ein Heraklesepos in zwei Büchern. Er schuf den Typus des Helden mit Löwenfell und Keule. Der Dodekathlos, die Sage von den sog. zwölf Arbeiten des Helden, hat aber seine endgültige Form wahrscheinlich erst in hellenistischer Zeit erhalten 32 ). S c h e r z e p e n u n d H y m n e n . Merkwürdiger sind zwei scherzhafte „homerische" Epen. Das eine war der Margites, der noch dem Aristoteles (Poet. 4, 1448 b 29) als von Homer verfaßt galt und einen dummen Tölpel schilderte, der „allerlei Handwerk verstand, doch schlecht verstand er sie alle". Homer schien als Verfasser dieses Gedichts, das sich erstmals die „Nachahmung des Geringwertigen" zum Ziel setzte, ebenso der Vater der Komödie zu sein wie durch seine Heroenepen der der Tragödie. In der Form ist das Gedicht durch die Einmischung jambischer Trimeter unter die Hexameter merkwürdig. Erst in den Anfang des 5. Jahrhunderts dürfte das vollständig erhaltene, außer Homer auch dem Karer P I G R E S zugeschriebene komische Epos, die Batrachomyomachie, gehören, der Froschmäusekrieg, mit dem in lustiger Weise die Ilias parodiert wird. In G E O R G R O L L E N H A G E N S „Froschmeuseler" (16. Jahrhundert) hat es eine späte Nachahmung gefunden, deren lehrhafte Tendenz aber dem antiken Gedicht fehlt. 32) F. Brommer, Herakles. Münster 1953, 53 ff.
Scherzepen und H y m n e n
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Als homerisch galten endlich noch einem Aristophanes {Vögel 575) und Thukydides (3, 104) eine Anzahl Hymnen auf Götter, die an verschiedenen Orten bei den Festen als Einleitung epischer Rezitationen dienten und deshalb „Prooimia" hießen (Pind. Nem. 2, 3). D e r älteste ist der H y m n u s auf Apollon. E r verbindet zwei u r sprünglich selbständige Gedichte, den H y m n u s des blinden Sängers von Chios (s. S. 18) auf den Delischen Apollon ( V . 1 — 1 7 8 ) , der die Geburt des Gottes besingt und zum V o r t r a g an dem ihm auf der heiligen Insel gefeierten Fest bestimmt ist, mit einem H y m n u s auf den Pythischen Apollon ( V . 1 7 9 ff.), der den Sieg über den Drachen und die Gründung Delphis feiert. D e r H y m n u s auf Hermes schlägt einen scherzhaft heiteren T o n an und erzählt die Schelmenstreiche des jungen Gottes. E r gab Sophokles den Stoff f ü r sein Satyrspiel „Die Spürhunde" (Ichneutai). D e r große H y m n u s auf Aphrodite besingt ihre Vermählung mit Anchises. Der Demeterhymnus enthält die Kultlegende von Eleusis, w ä h rend der siebente, wahrscheinlich in A t t i k a entstanden, den Sieg des Dionysos über tyrrhenische Seeräuber erzählt, in deren H ä n d e der G o t t gefallen ist und die er in Delphine verwandelt. Die Geschichte ist a m Fries des Lysikratesdenkmals dargestellt und auch v o n O v i d in den Metamorphosen (3, 5 7 6 ff.) besungen. W ä h r e n d die ältesten dieser H y m n e n bis ins 7. J a h r h u n d e r t hinaufreichen, gehören die jüngsten unter ihnen erst der a l e x a n d r i nischen Zeit an.
H e s i o d u n d s e i n e S c h u l e . Wenn man sich vom homerischen Epos zu Hesiod wendet, fühlt man sich plötzlich wie in eine andere Welt versetzt: Dort das hochgemute Leben einer stolzen, waffenfreudigen Ritterschaft, hier das gedrückte, unter der harten Willkürherrschaft eines übermütigen Adels seufzende Dasein des böotischen Bauern; dort tritt der Dichter völlig hinter seinem Werke zurück, hier sehen wir die Dichtung ganz aus dem persönlichen Charakter und den besonderen Verhältnissen des Dichters herauswachsen. Hesiod ist die erste greifbare Dichterpersönlichkeit in der griechischen Literaturgeschichte. Er erzählt uns selbst (Erg. 633 ff.), daß sein Vater wegen seiner Armut aus dem äolischen Kyme ausgewandert und nach Askra am Fuß des Helikon in Böotien übergesiedelt sei, wo der Jüngling am Abhang des Gebirges die Schafe weidete.
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V o n den A n f ä n g e n bis zu den Perserkriegen
Hier erschienen ihm die Musen und beriefen ihn in ihren Dienst. Aber sie lehrten ihn anderes als den Homer. Diesem verliehen sie die Gabe freier, dichterischer Erfindungen; dem Hesiod und durch Hesiod wollen sie die Wahrheit verkünden (Theog. 27 f.). Ihm sind die Götter wirkliche Mächte, zu denen er hilfesuchend und vertrauensvoll emporschaut, auch wenn vorübergehend ein Zweifel an ihrer unbestechlichen Gerechtigkeit sich einschleichen will. Seine Religion beschränkt sich nidit auf die homerischen Götter, sondern er kennt deren so viele, daß alle zu nennen unmöglich ist (Theog. 369 f.). Dennoch unternimmt er es, in die Menge der göttlichen Wesen Ordnung und System zu bringen. Zwar hat es sich neuerdings erwiesen, daß die von Hesiod geschilderte Abfolge der Himmelsbeherrscher aus altorientalischen Sukzessionsmythen stammt 3 3 ), aber die einheitliche Erklärung des Werdens der Welt und der in ihr wirksamen Kräfte durch das genealogische Deszendenzprinzip und die Deutung des Beginns der Zeusherrschaft als Begründung einer sittlichen Weltordnung sind sicher das persönliche Eigentum des Dichters. So wird er zum ersten griechischen Theologen. Aber nicht nur das verstandesmäßige Bedürfnis veranlaßte ihn, über die Götter nachzudenken. Auch die N o t des Lebens führte ihn dazu. Sein leichtsinniger Bruder Perses hatte ihn mit Hilfe bestechlicher Richter um sein Erbe betrogen und lief dazu Gefahr, infolge seiner Arbeitssdieu ganz im Elend zu versinken. Diese Erfahrung befestigt in dem Dichter die Überzeugung, daß nur ein rechtschaffenes, der Arbeit gewidmetes Leben den Göttern wohlgefällig und für den Menschen segensreich sei. So nimmt die Dichtung Hesiods auch hier eine ethische Wendung, und der Sänger der gerechten Herrschaft des Zeus wird zugleich zum Herold der Arbeit. Diese Bedeutung hat bei ihm das griechische Wort „ponos", das bei Homer den Kampf bezeichnet. Mochte später der König Kleomenes von Sparta ihn als einen „Dichter für Heloten" verspotten, es bleibt sein Ruhm, die ehrliche 3 3 ) V g l . A . L c s k y , Griechischer M y t h o s und V o r d e r e r Orient. Saeculum 6, 1955, 35—52.
Das Epos: Hesiod
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Arbeit gepriesen zu haben, die der Grieche als banausisch zu verachten nur zu sehr geneigt war. Uberall verfolgt Hesiod eine lehrhafte Absicht, und auch unter den Mythen, die er einflicht, haben die meisten eine bestimmte Tendenz und grenzen damit an die Fabel, von der wir auch bei ihm das erste Beispiel finden (Erg. 202 ff.). Unverkennbar ist ein pessimistischer Zug in seiner Lebensanschauung, der in seiner Überzeugung von der absteigenden Entwicklung des Menschengeschlechts, in der Anschauung von der Verderblichkeit des Weibes und in der ganz düsteren Betrachtung seiner eigenen Zeit zum Ausdrude kommt. Seinen Trost suchte und fand er in der Dichtung, die ihm auch äußere Anerkennung brachte: trug er doch bei den Leichenspielen des Königs Amphidamas von Chalkis auf Euböa einen Dreifuß als Preis davon (Erg. 654 ff.). Hesiods Stil ist viel trockener als der Homers, aber die Sprache des Epos hat er von ihm übernommen. Seine Zeit ist nicht sicher zu bestimmen. Den Alten galt er meist als Zeitgenosse Homers. Da er aber sprachlich und gedanklich von beiden homerischen Epen abhängig ist, muß er jünger sein als Homer. Wahrscheinlich sind seine Gedichte kurz nach der endgültigen Redaktion der Odyssee in der Zeit um 700 entstanden. Dem Hesiod selbst gehören wahrscheinlich nur die beiden uns vollständig erhaltenen Dichtungen, die Theogonie und die Werke und Tage. Andere, die unter seinem Namen laufen, wie der Heroinenkatalog und der Schild des Herakles, zeigen sich von ihm abhängig. Der Heroinenkatalog ist aber mindestens teilweise, der Schild des Herakles sicher ganz unecht. Die Theogonie gibt nach der Anrufung der Musen und der Schilderung der Dichterweihe Hesiods einen Stammbaum der Götter, an dessen Spitze das Chaos, der gähnende Abgrund, steht. Außerdem gehören zu den Urwesen — denn die Vorstellung einer Schöpfung aus dem Nichts kennt der Grieche nicht — die Erde und der weltbildende Eros. Aus dem Chaos gehen Nacht und Finsternis hervor, und die Nacht erzeugt den Äther und den Tag. Die Erde aber läßt aus sich den Himmel hervorgehen und zeugt mit diesem das Geschlecht der Titanen und der Giganten. Von dem Titanen Kronos und Rhea stammen dann Zeus, Hades,
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Von den Anfängen bis zu den Perserkriegen
Poseidon, Hestia und Demeter; von Zeus, der die Titanen in den Tartaros bannt, die jüngeren Götter, deren Geschlechter bis zu den Flußgöttern und N y m p h e n herabgeführt werden, untermischt mit zahlreichen als Quellen des Obels und des Leids gedachten göttlichen Potenzen wie Vergessenheit, Hunger, Schmerzen, K ä m p f e n , selbst unwahren und zweideutigen Reden (226ff.). Mit einem Anhang über die Heroen bis herab auf die Söhne des Odysseus und der Kalypso schließt das Gedicht. Die trockene A u f z ä h l u n g der Stammbäume w i r d unterbrochen durch Einlegung von Mythen wie den von der Täuschung des Zeus durch Prometheus beim O p f e r in Mekone oder der Schöpfung des Weibes zur Strafe f ü r den Feuerdiebstahl des Titanen, von Perseus, Herakles und Bellerophon. In den Werken und Tagen sind verschiedene Bestandteile ineinander gearbeitet: ein Bauernkalender, der die f ü r die verschiedenen Feldarbeiten günstigen Jahreszeiten und Monate angibt (381 ff.), mit einem Anhang über die Schiffahrt und einer sicher unechten Liste der f ü r allerlei Verrichtungen zu empfehlenden Monatstage (765 ff.). D a z u kommt das Rügelied an seinen leichtsinnigen Bruder Perses (9 ff., 213 ff.). Dazwischen sind zwei Sentenzenreihen eingeschoben (317 ff., 696 ff.) und mehrere tiefsinnige Mythen. So vor allem die Erzählung von den fünf Weltaltern (109 ff.), eine Art primitiver, pessimistischer Geschichtsphilosophie, und der von der Schöpfung der P a n d o r a (59 ff.), wobei die Geringschätzung des als schlechthin verderblich betrachteten Weibes a u f f ä l l t im Gegensatz zu der geachteten Stellung, welche die Frau in den homerischen Gedichten einnimmt. N u r ein Mittel kennt der Dichter, das dem Menschen aus dem Elend des Lebens heraushelfen k a n n : die Arbeit. Sie legt er daher dem verirrten Bruder immer wieder ans H e r z : „Arbeit ist nimmermehr Schande; nur Nichtstun bringet dir Schande" (V. 311) und besonders in den berühmten Versen (287ff.): „Laster kannst du dir ohne Bemüh'n in Menge erwerben; K u r z ist der Weg dahin und nahe dir wohnen sie immer. Doch vor die Tugend setzten den Schweiß die unsterblichen Götter Weit und steil ist der P f a d , der zu ihr f ü h r e t den W a n d r e r , U n d gar rauh im Beginn; doch hat er die H ö h e gewonnen, Geht es sich leicht darauf hin, w a r auch beschwerlich der Anstieg." H i e r finden wir erstmals das Bild von den zwei Wegen, das dann in der orphisch-pythagoreischen Ethik, die sie in die U n t e r welt versetzt (Plat. Gorg. 524 A), im Mythus des Prodikos von Herakles am Scheideweg und schließlich in den christlichen Evangelien wiederkehrt.
Das Epos: Hesiod
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Mindestens teilweise nicht mehr von Hesiod selbst, sondern ein jüngeres Erzeugnis seiner Schule ist der Frauenkatalog oder die Ehoien (sog. nach dem stets wiederkehrenden A n f a n g der einzelnen Abschnitte e hoie), ein Verzeichnis von Heroinen und ihren Söhnen, von dem zahlreiche Bruchstücke erhalten sind. Ein Bruchstück (Fr. 149), dem schon die 630 v. Chr. in N o r d a f r i k a gegründete Kolonie Kyrene bekannt ist, weist diesen Teil des Gedichts in das Ende des 7. Jahrhunderts. 23 Bruchstücke u. a. aus der Meleager-, Bellerophon- und Helenasage sind bisher auf Papyrusresten gefunden worden. Auch sie gehören teilweise in die Zeit nach Hesiod. Ein längerer Abschnitt aus dem 4. Buche, der die Geburt des Herakles schildert, ist uns als Einleitung zu dem kleinen Epos Schild des Herakles erhalten, das den Kampf des Helden mit Kyknos, dem Sohn des Ares, erzählt und mit besonderer Ausführlichkeit bei der Beschreibung seines Schildes verweilt. Obwohl hier eine sichtliche Nachahmung der Schilderung des Achilleusschildes im 18. Gesang der Ilias vorliegt, besteht zwischen beiden doch der bemerkenswerte Unterschied, daß der homerische Dichter seine Szenen dem Menschenleben entnimmt, der hesiodische dagegen mythische Stoffe, wie den Kampf der Lapithen und Kentauren, bevorzugt.
Von Hesiod führen zur späteren griechischen Literatur eine Reihe von Fäden: Die Theogonie gab späteren kosmogonischen Dichtungen Anregung, seine Mythen gaben noch späten Geschlechtern zu denken, der Heroinenkatalog bot der Chorlyrik und den ältesten Logographen eine reiche Fundgrube von Stoffen, und ebenso konnte die Fabelpoesie und die gnomologische Dichtung an ihn anknüpfen. Die Hochschätzung des Dichters bei der Nachwelt sprach sich denn auch darin aus, daß sie ihn nicht nur zeitlich, sondern auch dem Werte nach neben Homer stellte. Ja ein altes Volksbuch, der Wettkampf des Homer und Hesiod, das zwar in seiner jetzigen Form erst der Zeit des Kaisers H a d r i a n entstammt, das aber schon dem Aristophanes bekannt war (Friede 1282 aus Agon 107 f.) und das wahrscheinlich durch das Museion, eine Art literarisches Lesebuch des Gorgiasschülers Alkidamas, der Nachwelt erhalten wurde, läßt, anknüpfend an eine Stelle Hesiods (Erg. 654 ff.), die beiden Dichter bei den Leichenspielen des Königs Amphidamas von Chalkis miteinander rivalisieren
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und den Hesiod den Sieg davontragen, da es billig sei, daß der Sänger von Landbau und Frieden dem von Krieg und Schlachten vorgehe (201 f.). Dies Urteil eines nachgeborenen Geschlechts ist für die eingetretene Wendung im griechischen Kultur- und Geistesleben bezeichnend: Indem Homer von Hesiod überwunden wurde, siegte die Reflexion über die Phantasie, der Verstand über die Kunst, der Pessimismus über die Lebensfreude, die Persönlichkeit über die schulmäßige Technik, der Bürger und Bauer über den Junker und Krieger. Das erzählende Epos tritt seine Herrschaft ab an die lehrhafte Dichtung, in der teils verstandesmäßige Forschung und Spekulation, teils mystische Erhebung und ethische Gesinnung zum Worte kommt, und die Persönlichkeit schafft sich für die innere Welt ihrer Gefühle ein Organ in den mannigfaltigen Formen der Lyrik. R e l i g i ö s e S t r ö m u n g e n u n d D i c h t u n g e n . Im 7. und 6. Jahrhundert drang mit dem orgiastischen Dionysoskult eine mächtige religiöse Strömung aus dem thrakisch-phrygischen Bereich in Griechenland ein. Die neue Erlösungsreligion berief sich auf Offenbarungen des thrakisdien Sängers Orpheus, und den Kern dieser orphischen Mysterien bildete die Seelenwanderungslehre. Diese stellte die ganze bisherige Lebensanschauung der Griechen buchstäblich auf den Kopf. Hatte ihnen der Mensch von Fleisch und Blut als der wirkliche Mensch, die Seele nur als sein schemenhaftes Abbild und dieses Erdenleben als das wirkliche Leben, das jenseitige nur als ein bewußtloses Hindämmern gegolten, so behauptete diese Mysterienlehre das genaue Gegenteil: Das Ewige und Dauernde am Menschen sei die Seele, die nur infolge einer Schuld auf lange Zeit in diese Körperwelt verbannt sei, um in einer Reihe von Einkörperungen, unterbrochen durch läuternde Strafen im Hades, allmählich wieder den Weg zurückzufinden in das selige Reich der Geister. Der Körper gilt als Gefängnis, ja als Grab der Seele (soma — sema), aus dem sie zu befreien Orpheus den Pfad des Heils in der Askese (hauptsächlich Enthaltung von Fleischnahrung) weist, auf dem allein es gelingen kann, dem Kreis der Geburten zu entrinnen.
Das Epos: Religiöse Dichtungen
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Neben dieser Seelenwanderungslehre hatte aber diese orphisdie Mystik auch ihre eigene Theologie, und die epischen Gedichte, in denen sie ihre theogonischen oder richtiger kosmogonischen Lehren niederlegte, reichen jedenfalls in hohes Alter, mindestens bis in das 6. Jahrhundert hinauf. Die zahlreichen Götter des Polytheismus werden hier Erscheinungsformen des Einen göttlichen Wesens, und Zeus erweitert sich zum Allgott: „Anfang Zeus, Zeu« Mitte, in Zeus ist alles vollendet." Diese Lehre breitete sich in zahlreichen Konventikeln über ganz Griechenland aus. O N O M A K R I T O S vertritt sie in Athen am Hof der Peisistratiden. Auch in Großgriechenland faßte sie Fuß, wo die mit Inschriften versehenen Goldplättchen von Petelia (in Bruttium), die man den Mysten ins Grab mitgab, ihre Verbreitung bezeugen. Durch den Pythagoreismus f a n d sie Eingang in die Philosophie und nahm zugleich mit diesem in der Spätzeit des Altertums einen neuen Aufschwung. Ihr nahe standen Persönlichkeiten wie der apollinische Prophet A R I S T E A S von Prokonnesos, der ein von vielen Fabeln durchsetztes geographisches Epos über die einäugigen Arimaspen schrieb, der Sühnpriester E P I M E N I D E S von Kreta, der im Ausgang des 7. J a h r hunderts zur Sühnung des kylonischen Frevels nach Athen berufen wurde, und P H E R E K Y D E S von Syros, der in seiner prosaischen Schrift Fünfschluft (Pentemychos) eine eigentümliche Weltbildungslehre vortrug und auch die Seelenwanderungslehre sich angeeignet haben soll. Der nunmehr ausgebildeten Form des Lehrgedichts bediente sich in Xenophanes, Parmenides und Empedokles auch die Philosophie, was aber besser im Zusammenhang mit der Entstehung der philosophischen Literatur behandelt wird. D i e F a b e l : A i s o p o s . Schon bei Hesiod wird gelegentlich die Tierfabel zur Veranschaulichung des menschlichen Lebens und Treibens benützt: So weist der Dichter mit der Fabel von Habicht und Nachtigall (Erg. 202 ff.) auf die. Brutalität der Macht hin, freilich nicht, ohne auch den zwischen dem Menschen- und Tierleben bestehenden
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Unterschied hervorzuheben, daß nämlich das erstere durch Sitte und Recht geregelt werden soll (Erg. 276 ff.). Es scheint nun, daß sich die Fabel schon früh aus der Fessel der gebundenen Form, in der wir sie auch bei Archilochos noch finden (S. 50), befreite, und zwar wird uns als der erste Verfasser prosaischer Fabeln AISOPOS von Sardes genannt, der nach Herodot (2, 134) um die Mitte des 6. Jahrhunderts Sklave eines gewissen Jadmon in Samos gewesen sein soll. Man dachte ihn sich häßlich und verwachsen, aber klug und erfindungsreich (vgl. die physiognomische Betrachtung Od. 8, 167 ff. im Gegensatz zu Ii. 2, 212 ff.), und ein altes Volksbuch machte ihn zum Helden vieler heiteren Schwänke. Seine Fabeln müssen, weil höchst volkstümlich, rasch in Umlauf gekommen sein. Sokrates unterhielt sich im Gefängnis damit, einige davon in Verse umzusetzen. Im 4 Jahrhundert veranstaltete Demetrios von Phaleron eine Sammlung äsopischer Fabeln. 2. Die Lyrik Die politischen Kämpfe des 7. und 6. Jahrhunderts, die den Übergang von der Monarchie zur Aristokratie und von dieser, nicht selten mit dem Zwischenstadium der Tyrannis, zur Demokratie bewirkten, die religiöse Krisis mit ihrem stark pessimistischen Zuge (s. S. 42 f.), mit der in ihrem Gefolge auftauchenden Angst vor Befleckung und dem Bedürfnis nach Reinigung und Sühnung, die kriegerischen Drangsale, durch einfallende Barbarenstämme hervorgerufen, endlich die harten wirtschaftlichen Kämpfe, die der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft mit sich brachte: Dies alles trug zu einer mächtigen Steigerung des Gefühlslebens, zur Entfesselung heftiger und tiefer Leidenschaften, zur Bildung kraftvoller und selbstbewußter Persönlichkeiten bei. Und wie jetzt auf politischem Gebiet das überlegene Individuum sich aus der Masse heraushebt und seine Gedanken und seinen Willen durchzusetzen sucht, so will nun auch in der Poesie der Dichter nicht mehr hinter seinem Stoff verschwinden, sondern sein persönliches inneres Erleben im Gedicht gestalten. So tritt neben die Epik
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die Lyrik, und es ist gar nicht selten, daß auch der Krieger und der Staatsmann zur Leier greifen. Vom 6. Jahrhundert an bildet der Vortrag lyrischer Gesänge auch einen regelmäßigen Bestandteil der öffentlichen Feste. Die griechische Lyrik ist aufs engste mit der Musik verbunden, und zwar waren die das Lied begleitenden Instrumente entweder die einheimische Lyra oder die aus Phrygien übernommene Flöte. Die Hauptgattungen der Lyrik sind Elegie, Jambus und Melos (Lied). Bei der melischen Dichtung sind aber wieder eine große Menge von Unterarten und vor allem das Einzellied und das Chorlied zu unterscheiden. Die Werke der älteren griechischen Lyriker sind uns mit Ausnahme von Pindars Siegesgesängen leider nur in Bruchstücken überliefert, die aber durch die Auffindung ägyptischer Papyri für Archilochos, Tyrtaios, Hipponax, Alkman, Alkaios, Sappho, Anakreon, Korinna, Simonides, Pindar selbst und Bakchylides eine sehr schätzenswerte Bereicherung erfahren haben. D i e E l e g i e . Das Wort „elegos" ist wahrscheinlich ein Fremdwort und bedeutet „Rohr", so daß Elegie ein zur Begleitung der Rohrpfeife oder Flöte gesungenes Lied wäre. Die Alten selbst erklärten Elegie als ein zur Flöte gesungenes Klagelied. Dodi ist dieser angebliche Ursprung für den sehr mannigfaltigen Inhalt der Elegie in keiner Weise bestimmend geworden. Was ihre Form betrifft, so verstand man unter „elegeion" die Verbindung eines Hexameters mit einem Pentameter, also das sog. Distichon. Dieses konnte nun zu ganz kurzen Gedichten verwendet werden: Dann entstand das Epigramm, das, wie sein Name sagt, zu Inschriften aller Art diente. So ließ der Peisistratide Hipparchos sogar die Meilensteine an den Landstraßen mit epigrammatischen Gedichten schmücken. Reihten sich eine größere Anzahl solcher Distichen aneinander, so gab dies eine Elegie, wie wir sie nun von einer Reihe namhafter Dichter ausgebildet sehen. So feuerte KALLINOS von Ephesos (um 650) seine Landsleute mit markigen Versen zum Widerstand gegen die in Kleinasien eingefallenen Kimmerier an. Etwa um dieselbe Zeit, während
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des zweiten messenischen Krieges, begeisterte T Y R T A I O S (vielleicht aus Milet gebürtig) die Spartaner zum todesmutigen Kampf gegen ihre feindlichen Nachbarn. Er stellt ihnen das dorische Mannesideal vor Augen, das die wahre Tüchtigkeit nicht in der Athletik, sondern nur im ernsten Kampfe sich bewähren sieht. Auf eines seiner Gedichte geht das horazische „dulce et decorum est pro patria mori" zurück. Ein Berliner Papyrus hat uns Fragmente eines Gedichtes gebracht, das mit großer Anschaulichkeit und treffenden Bildern das Gewoge und Getöse des Kampfes schildert. Die spartanische Verfassung scheint Tyrtaios in dem Gedicht Eunomia verherrlicht zu haben. Außer Elegien verfaßte er auch kurze, packende Marschlieder (,embateria') in anapästischem Rhythmus. Viel weichere Töne schlägt MIMNERMOS von Kolophon an. Er war von Beruf Flötenspieler wie die Lyderin Nanno, nach der man später ein Elegienbuch des Mimnermos betitelte. Zwar kommt auch er in einer Elegie, in der er einen Krieger der älteren Generation rühmt, einmal auf den Krieg der Ionier gegen die Lyder unter Gyges zu sprechen, aber in der Hauptsache gilt sein Lied der Jugend und der Liebe, die allein das Leben schön machen, das Leben, das nach dem homerischen Bilde so kurz grünt wie die Blätter des Waldes und das keinem Menschen ohne Leid dahingeht. Da es ungewiß ist, ob es sich bei der von ihm (Fr. 20 B.) erwähnten Sonnenfinsternis um die von 648 oder 585 handelt, kann man seine Lebenszeit nur ungefähr um 600 ansetzen. Die erotische Elegie des Mimnermos hat noch nach einem halben Jahrtausend auf die römische Elegie eingewirkt; besonders Propertius setzte seinen Stolz darein, als neuer Mimnermos zu gelten. Viel männlicher, aber auch viel nüchterner ist die Elegie SOLONS, des athenischen Archonten vom Jahr 594, der in kritischer Zeit von dem Vertrauen der sich bekämpfenden Parteien ans Ruder des Staates berufen, seine Aufgabe so trefflich löste, daß ihn die Nachwelt zum Kreis der sog. 7 Weisen rechnete, d. h. zu einer kleinen Zahl auserwählter Männer, die ihrem Volk in Gesinnung, Wort und T a t als vorbildlich galten. Er ist der Mann der Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit im Sinne Hesiods, mit dem er auch das Mißtrauen gegen die dichterische Phantasie teilt. Er stellte die Poesie in den Dienst der Politik und der Volkserziehung. Da ein Gesetz verbot, von der Wiedergewinnung der Insel Salamis in der Volksversammlung zu reden, so forderte er in einer Elegie dazu auf und riß das Volk mit sich. Er ist von stolzem Glauben an die Zukunft seines Vaterlandes erfüllt; aber Sorge macht ihm das Umsichgreifen des Ehrgeizes und der Hab-
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sucht. Darum erhebt er seine warnende Stimme und erinnert an die rächende Dike und den allwaltenden Zeus. So bekommen seine Gedichte eine paränetisdie Färbung wie Hesiods Mahnungen an seinen Bruder (S. 40). Aber trotz alles Unerfreulichen, was er wahrnimmt, wird er nicht Pessimist, sondern bewahrt sich seine Lebensfreude und möchte, im Gegensatz zu Mimnermos, der sich mit sechzig Jahren den Tod wünschte, ständig lernend achtzig Jahre alt werden. Ein guter Teil seiner Gedichte, teils in elegischen Distichen, teils in trochäischen Tetrametern und Jamben verfaßt, galt der Rechtfertigung seiner politischen Tätigkeit. In der Anfechtung, die sie von rechts und links erfuhr, sah er gerade den Beweis dafür, daß er mit seinem Gesetzgebungswerk die richtige Mitte eingehalten hatte: „Doch ich, dem Grenzpfahl gleich auf strittigem Gebiet, Stand zwischen den Partein." Piaton, der in ihm seinen Ahnherrn bewunderte, sah in ihm sein dichterisches Ideal, in dem sich der Dichter mit dem Philosophen und Staatsmann in seinemSinn aufs innigste verband (Tim. 21B). Durchaus lehrhaft gehalten sind die meist in Hexametern abgefaßten Sprüche des PHOKYLIDES von Milet (um 544), die, immer wieder eingeleitet mit den Worten „Auch dies ist von Phokylides", Maßhalten und Tüchtigkeit empfehlen. Originell ist eine Spruchreihe, in der die Frauen in vier Gattungen eingeteilt — ähnlich wie bei Semonides (S. 50) — mit Tieren verglichen werden. Die Erwähnung des Falles der üppigen Weltstadt Niniveh in einem seiner Sprüche (Fr. 4 D.) bildete wohl den Anlaß zur Fälschung eines größeren Lehrgedichts auf den Namen dieses Dichters, das unverkennbare Bekanntschaft mit jüdischen und christlichen Lehren verrät und etwa im ersten Jahrhundert n. Chr. entstanden sein dürfte. Zwei größere Elegien besitzen wir von dem eleatischen Rhapsoden, Theologen und Philosophen XENOPHANES von Kolophon, deren eine zu einem Symposion gedichtet ist, das er auch mit ernster Unterhaltung gewürzt wissen will, während die andere, einen bezeichnenden Umschwung in der griechischen Denkweise vorbereitend, die Überschätzung der Gymnastik tadelt, wie sie in den Ehrungen zum Ausdruck kommt, die den Siegern an den panhellenischen Festen erwiesen werden. Höher stehe die geistige Bildung: „Denn besser als die Kraft von Männern und Rossen ist unsere Weisheit". Zugleich aber tadelt er seine ionischen Landsleute wegen ihrer von den Lydern übernommenen Weichlichkeit. Neben der Elegie pflegte er in seinen Spottgedichten
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(Silloi) die satirische Parodie, wovon aber nur ganz geringe Reste erhalten sind. Das umfangreichste Elegienbuch ist uns unter dem Namen des T H E O G N I S von Megara erhalten, der der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts angehört, aber den Beginn der Perserkriege noch erlebt haben muß. Vieles darin gehört noch erheblich späterer Zeit an, und die Scheidung des Echten von dem Unechten ist keineswegs leicht. Sicher spätere Zutat sind das ganze zweite Buch (V. 1231 ff.) und im ersten zahlreiche Trinklieder (sog. Skolia). Den Versen 19—26 hat Theognis seinen Namen als „Siegel" aufgedrückt. Sie sind an seinen jugendlichen Freund Kyrnos gerichtet. So dürfen wir vor allem die Verse, in denen Kyrnos genannt ist, als echt ansehen. Aristokrat vom Scheitel bis zur Sohle und von dem zur Herrschaft gelangten Demos in die Verbannung getrieben, ist Theognis fest überzeugt, daß der Adel nicht nur der Geburt, sondern auch der Gesinnung nach edler ist als die übrige Menschheit. Mit wahrem Ingrimm sieht er den Einfluß der bürgerlichen Kreise wachsen, die sich sogar durch Heiraten mit adeligen Familien verschwägern und so die Rasse verderben. So sucht er sich in Kyrnos einen Erben seiner Denkweise zu erziehen. Ein stark pessimistischer Zug sowohl in der Beurteilung der Menschen, deren Unaufrichtigkeit und Charakterlosigkeit er tief verachtet, als auch der Götter, deren Walten er Gleichgültigkeit und Ungerechtigkeit vorwirft, durchzieht seine Lieder. Mit den anständigen Leuten der ganzen Welt könnte man nicht ein einziges Schiff füllen (V. 83 ff.). So finden wir denn auch bei ihm zum erstenmal in der griechischen Dichtung die trübe Lebensweisheit, die Silen dem Midas auf seine Frage, was für den Menschen das beste sei, geoffenbart haben soll (V. 425ff.): „Gar nicht geboren zu sein, das ist für den Menschen das beste, Niemals des Sonnenlichts stechende Strahlen zu schau'n; Ist man aber geboren, so bald wie möglich zum Hades Einzugehn und zu ruhn, dicht von der Erde umhüllt." Es ist die Tragik im Leben dieses Dichters, daß er auf verlorenem Posten für eine durch die soziale Umwälzung zum Untergang verurteilte Lebensanschauung kämpft; aber den Ruhm des bedeutendsten Vertreters der gnomologischen Dichtung hat er sich bei der Nachwelt errungen. D i e J a m b e n d i c h t u n g . Der Jambus (v^—) und sein Gegenstück, der Trochaios ( — s i n d diejenigen Rhythmen, die der gewöhnlichen Sprechweise am nächsten stehen.
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Deshalb wurden sie später in Tragödie und Komödie für die Dialogpartien verwendet. Schon in dem Sdierzepos Margites (s. S. 36) fanden wir jambische Trimeter unter die Hexameter eingesprengt. Audi das jambische Einzellied trägt im Vergleich mit der dem Stil des Epos verwandteren Elegie einen realistischen Zug. Der Schöpfer der Jambendichtung ist ARCHILOCHOS von Paros, ein Zeitgenosse des Kallinos. Er soll der Sohn eines ionischen Adligen u n d einer Sklavin gewesen sein, verließ, von A r m u t bedrängt, seine H e i m a t und weilte eine Zeitlang auf der Insel Thasos. D a n n finden wir ihn im Kampf gegen thrakische Stämme, wie er denn ein abenteuerreiches Landsknechtsleben führte, bis er in einem Krieg gegen Naxos den T o d f a n d . Er selbst nennt sich stolz einen „Diener des Kriegsgottes u n d der Musen"; der Aristokrat Kritias (Fr. 44) aber, der Oheim Piatons, machte ihm zum V o r w u r f , d a ß man seine ganze, keineswegs rühmliche Lebensgeschichte und seinen Charakter aus seinen Gedichten ablesen könne. Dies beweist, wie stark das Persönliche in der Dichtung des Archilochos hervortrat. So benutzte er sie auch, um die Familie des Lykambes mit den spitzen Pfeilen seiner Jamben zu verfolgen, weil dieser ihm die H a n d seiner Tochter verweigert hatte. Diese Schmähsucht rügt P i n d a r (P. 2,55) an ihm. Sonst sahen die Griechen ihn als einen ihrer genialsten Dichter an, dem sie seinen R a n g neben H o m e r anwiesen, u n d noch um 100 v. Chr. ließ sein parischer Landsmann Sosthen-es im H e r o o n des Dichters ein Denkmal errichten, von dessen umfangreicher Inschrift erhebliche Teile, darunter Bruchstücke von Gedichten des Archilochos, erhalten sind. Von gleicher Stätte stammen Reste einer neu gefundenen Inschrift aus dem 3. J a h r h u n d e r t v. Chr., die uns vor allem die hübsche Legende von der Musenweihe des Dichters erzählen 1 ). Leider lassen die erhaltenen Fragmente, die neuerdings wieder Zuwachs erhalten haben 2 ), die Größe des Mannes kaum mehr ahnen. Neben einigen elegischen Distichen stehen Gedichte in trochäischen Tetrametern und Jamben. Der Dichter zeigt einen starken Wirklichkeitssinn, der ihn den in Freud und Leid a u f - und abwogenden „Rhythmus" des Lebens erkennen und ertragen läßt. Eine Sonnenfinsternis (648 v. Chr.) r u f t sein naives Erstaunen über die Allmacht des Zeus wach. Ober den !) V . Peek, N e u e s von A r d i i l o d i o s , Philologus 99, 1955, 4 ff. 2 ) Vgl. W . Peek, Die Archilodiosgedidite v o n O x y r h y n d i o s . 1. P h i l o l o g u s 99, 1955, 193 ff. 2. ebd. 100, 1956, l f f . ; Ders. N e u e Brudistüdce f r ü h g r . Dichtung. Wiss. Zeitschr. U n i v . H a l l e 5, 1955, 191—96; Ardiilodios. G r . u. deutsch hrsg. v . M . T r e u . München 1959.
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Verlust seines Schildes im K a m p f e , was als Schande galt, setzt er sich leichten Herzens hinweg. Mit großer Geschicklichkeit baut er die von H o r a z nachgeahmten jambischen Epoden, in denen er auch mehrmals die Tierfabel verwendet. Auf der Bahn der Jambendichtung folgte ihm SEMONIDES von Amorgos. Von ihm haben wir zwei längere Gedichte, von denen das eine eine höchst pessimistische Betrachtung des Lebens bietet, w ä h r e n d das andere noch viel ausführlicher als Phokylides (S. 47) eine Typologie der Frauen gibt. Auch hier werden sie in wenig schmeichelhafter Weise mit Tieren, die letzte Gattung allerdings auch, wie dort, mit der fleißigen Biene verglichen, aber das Gesamturteil bleibt doch, wie in Hesiods Pandoramythus (S. 40): Zeus hat im Weib das größte Übel erschaffen. In die niedrige Sphäre des Bettelpoeten steigt die jambische Dichtung mit HIPPONAX von Ephesos (um 540) herab. Er bedient sich vor allem des sog. H i n k j a m b u s , d. h. derjenigen Form des Trimeters, die im sechsten Fuß immer einen Spondeus oder Trochäus statt des Jambus hat, wodurch der Rhythmus in seinem Lauf plötzlich gehemmt wird. E r nahm an den politischen K ä m p fen in seiner H e i m a t s t a d t teil und wurde, obwohl er vielleicht adeliger H e r k u n f t war, durch das Elend der Verbannung völlig zum Plebejer. D a v o n zeugen Sprache und Inhalt seiner Gedichte. Frierend bittet er um einen warmen Mantel u n d Schuhe und beklagt sich, d a ß der blinde Reichtum ihn übersehen habe. Mit seinem witzigen Kopf u n d seiner bösen Zunge könnte man ihn einen v e r f r ü h t e n K y n i k e r nennen, wenn ihm nicht die kynische Selbstgenügsamkeit gänzlich abginge. Auf die Mimendichtung der hellenistischen Zeit hat dieser Satiriker stark eingewirkt und in Verbindung damit eine Auferstehung bei der Nachwelt erlebt. Von seinem Zeitgenossen ANANIOS besitzen wir einen Fischkiichenkalender in hinkenden trochäischen Tetrametern. Von beiden Dichtern spinnen sich auch Verbindungsfäden zur Komödie des Epicharmos und Aristophanes. D i e m e l i s c h e D i c h t u n g . D a s zur L y r a gesungene E i n z e l l i e d (Melos) unterscheidet sich v o n Elegie u n d Jambus f o r m a l durch seine meist strophische K o m p o s i t i o n , i n h a l t lich durch das F e h l e n jeder l e h r h a f t e n o d e r satirischen Absicht. Es ist reiner Gefühlsausdruck, durch u n d durch persönlich u n d so erst im v o l l e n m o d e r n e n S i n n e echte L y r i k . Es versteht sich, d a ß sich diese g a n z persönlichen G e f ü h l s äußerungen u n d Bekenntnisse, in d e n e n t i e f e Sehnsucht u n d
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schwärmerische Liebe, glühender H a ß und bange Sorge, heitere Freundschaft und sinnenfroher Lebensgenuß nebeneinander ihren Ausdruck, fanden, nicht zum öffentlichen Vortrag eigneten. Wir müssen uns diese Lieder vielmehr im engeren Freundeskreis beim frohen Symposion oder beim einfachen Liebesmahl (Eranos) gesungen denken. Ihre rhythmische Form war äußerst mannigfaltig, wie neben den erhaltenen, neuerdings durch Papyrusfunde wieder stark vermehrten Resten noch die horazischen Nachahmungen erkennen lassen. Dieses lyrische Lied fand mit der Zeit in ganz Griechenland Verbreitung; die Stätte seiner Geburt aber und zugleich seiner höchsten Vollendung ist das äolische Lesbos, wo ihm Alkaios und Sappho in ihrer heimischen Sprache die meisterhafte Form schufen und es zugleich mit tiefster Empfindung erfüllten. ALKAIOS aus Mytilene (um 600) stammte aus einem alten Adelsgeschlechte und nahm, im waffengeschmückten Rittersaal aufgewachsen, den er uns in anschaulicher Schilderung mit Stolz vorführt, lebhaftesten Anteil an den äußeren und inneren Kämpfen seiner Vaterstadt: an dem Krieg gegen Athen um das die Einfahrt in den Hellespont und so mittelbar den Zugang zum Schwarzen Meer beherrschende Sigeion sowie an den leidenschaftlichen Verfassungskämpfen in Mytilene, in deren Verlauf zwei Tyrannen, Melanchros und Myrsilos sich erhoben und wieder gestürzt wurden und der Dichter selbst zeitweilig in der Verbannung leben mußte, bis endlich Pittakos, an die Spitze des Staates berufen, geordnete Verhältnisse schuf und dem politischen Gegner die Rückkehr gestattete. Eine ganze Reihe seiner Lieder, die Revolutionslieder (Stasiotika), verdankten diesen Erlebnissen ihre Entstehung, und in einem derselben führte er das später so oft wiederholte Bild vom lecken Staatsschiff aus: „Nicht mehr zu deuten weiß ich der Winde Stand, Denn bald von dorther wälzt sich die Wog' heran Und bald von dort, und wir inmitten Treiben dahin, wie das Schiff uns fortreißt, Mühselig ringend wider des Sturm's Gewalt; Denn schon des Masts Fußende bespült die Flut Und vom zerborstnen Segel trostlos Flattern die mächtigen Fetzen abwärts" 3 ). 3)
Ubersetzung von E .
G e i b e l , Klassisches L i e d e r b u d i ,
1888,
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Auf die wirtschaftlichen K ä m p f e der Zeit w i r f t der bedenkliche G r u n d s a t z : „Das Geld macht den M a n n " ein Licht. Neben solch leidenschaftlichen politischen Liedern finden wir solche an Götter, wie die Dioskuren, die um H i l f e in Seenot angerufen werden, oder auf gefeierte H e r o e n wie Achilleus. Überzeugt, d a ß „ohne den Willen des Zeus kein H a a r von unsrem H a u p t e falle", (Fr. 80, 10 D . 39, 10 LP 4 )), schüttelt der Dichter die Sorgen am liebsten beim Becher ab, und so v e r f a ß t er feurige Trinklieder: je mehr es draußen stürmt, desto behaglicher am warmen Kamin, das H a u p t auf weichem Kissen und vor sich den gefüllten Becher. Ihm tritt ebenbürtig zur Seite die um weniges ältere SAPPHO aus Eresos auf Lesbos. Eine Zeitlang nötigten auch sie die politischen "Wirren, die H e i m a t zu verlassen und nach Sizilien zu fliehen. Zwei Papyrusfragmente haben uns neuerdings ein Gedicht geschenkt (98 D. LP), in dem sich Sappho auf das politische Geschehen in Mytilene bezieht. Sie weiß nicht, wie sie den Wunsch ihrer Tochter Kleis nach einem buntgewirkten lydischen K o p f p u t z , einer Mitra, erfüllen soll. W i r erkennen in dem zerstörten T e x t gerade noch, daß sie den Pittakos u n d das Geschlecht der Kleanaktiden d a f ü r verantwortlich macht und von Flucht spricht. Vielleicht ist dieses Gedicht in der Verbannung entstanden 5 ). Später d u r f t e Sappho wieder nach Mytilene zurückkehren. H i e r sammelte sie einen Kreis junger Mädchen um sich, die sie in Musik, Dichtkunst und Reigentanz unterrichtete und mit denen sie gemeinsam die Feste der Götter, insbesondere der Aphrodite, beging. Aus näheren und ferneren Städten, aus Milet, Phokaia, Gyaros u. a. kamen sie zu ihr in ihr „Musenheim", wie sie selbst ihr H a u s nennt, lauter Töchter aus vornehmen Familien, die sich im U m g a n g mit der edlen Frau, die Alkaios „die dunkelgelockte, reine, goldlächelnde Sappho" nennt, zu feiner Sitte bildeten, um dann ins Leben hinauszutreten und sich zu verheiraten. Sappho w a r ihnen allen in w a r m e r Freundschaft, manchen in heißer Liebe zugetan, ohne dabei ihre eigene Familie, z. B. einen in der Ferne weilenden Bruder, zu vergessen. Diese Verhältnisse bilden den U n t e r g r u n d von Sapphos Dichtung, deren Lieder, von den Alexandrinern nach den Versmaßen geordnet, neun Bücher füllten. D a bittet sie Aphrodite, sie möge, mit ihrem Sperlingsgespann vom Himmel herniederfahrend, ihr das H e r z eines geliebten Mädchens zuwenden, oder sie dichtet einer besonders innig von ihr ins H e r z geschlossenen Schülerin 4 5
) P o e t a r u m Lesbiorum f r a g m e n t a . E d . E. Lobel et D . Page. O x f o r d 1955. ) Vgl. S a p p h o . G r . u. deutsch hrsg. v. M . T r e u . M ü n d i e n 1954, 215 ff.
Die Lyrik: Melische Dichtung
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das Hochzeitslied, das f ü r sie zugleich wehmutsvollen Abschied bedeutet. Eine andere tröstet sie, so schwer es ihr selbst wird, beim Weggehen und r u f t ihr die f r o h e gemeinsam verlebte Zeit in die Erinnerung zurück, oder sie gedenkt mit einer dritten, Atthis, einer gemeinsamen, jetzt in Sardes verheirateten Freundin Arignota, die „unter den lydischen Frauen glänzt wie der rosig strahlende Mond, der alle Sterne übertrifft" und die nun wohl auch in der Ferne sich nach den Freundinnen sehnt. Eine unbefriedigte Sehnsucht, die sie mit wundervollen Naturbildern zu verweben weiß, durchzieht diese Lieder Sapphos, die die Nachwelt zu der Legende von ihrer Liebe zu dem schönen Jüngling Phaon gestaltet hat. Hier und da tauchen aber in den Papyrusfragmenten auch Erinnerungen an das Epos auf: So w i r d Helena als Beispiel f ü r die Macht der Leidenschaft verwendet, und in einem Hochzeitslied w a r H e k t o r s u n d Andromaches Vermählung erzählt, in deren Glanz sich das gegenwärtige Fest spiegelte, ähnlich wie P i n d a r die T a t e n d e r Heroen zur Verherrlichung der von ihm besungenen Sieger erzählt. Mitunter scheint sie auch Epithalamien f ü r Mädchen- und Knabenchöre gedichtet zu haben. So erweitert sich doch der Kreis von Sapphos Lyrik mit den Funden zusehends nach Form u n d Inhalt, und immer besser verstehen wir, daß difc Nachwelt, angeblich Piaton (Anth. Pal. 9, 506; vgl. 66. 571), ihr den Ehrennamen „der zehnten Muse" gegeben hat. Catullus (51, 62) hat zwei ihrer Lieder nachgebildet. Keineswegs die tiefe Glut einer Sappho oder die wilde Leidenschaft eines Alkaios atmen die leichten und frohen Lieder des genußfreudigen Ioniers ANAKREON von Teos. Das Vordringen der Perserherrschaft nach dem Sturz des lydischen Reiches trieb ihn aus seiner H e i m a t nach Abdera. D a n n finden wir ihn in der Vollreife des Mannesalters an den H ö f e n kunstsinniger Fürsten, eines Polykrates in Samos und eines Hipparch in Athen, zuletzt folgte er einer Einladung des thessalischen Königs Echekratidas von Pharsalos. In kurzen, leichten Rhythmen besang er Jugend, Liebe und Wein, wobei er sich als alter M a n n — er soll 85 Jahre alt geworden sein — mit liebenswürdiger Selbstironie schildert. So lebte sein Bild bei der Nachwelt als das eines lebenslustigen Greises fort. Seine Lieder wurden als Skolien bei Gelagen gesungen und Kritias (Fr. 1) prophezeit ihm als dem Sänger der Lebens- und Festesfreude die Unsterblichkeit. In der römischen Kaiserzeit entstand unter seinem N a m e n ein K r a n z gefälliger, aber inhaltsarmer T r i n k - und Liebeslieder, die sog. PseudoAnakreonteen, die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts als echte Werke des Teischen Dichters galten und in den Anakreontikern
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V o n den A n f ä n g e n bis zu den Perserkriegen
von ganz Europa, auch den deutschen des 18. Jahrhunderts, einem Gleim, Uz, Ramler u. a., begeisterte Nachahmer fanden." Im griechischen Mutterlande brachte die Heimat Hesiods, Boeotien, zwei Dichterinnen hervor, M Y R T I S und K O R I N N A . Von der letzteren, einer Zeitgenossin Pindars 6 ), haben sich zwei balladenartige Gedichte gefunden, die einheimische Sagen in einfacher, volkstümlicher Weise behandeln: das eine ein Wettgesang der Bergriesen Helikon und Kithairon, bei dem die Götter als Kampfrichter entscheiden; das andere Die Töchter des Asopos, worin der apollinische Prophet Akraiphen dem Flußgott Auskunft über den Verbleib seiner von verschiedenen Göttern geraubten Töchter erteilt. Ein drittes Lied behandelte die Geschichte des unter die Sterne versetzten Jägers Orion. Korinna bedient sich des einheimischen Dialektes, der nicht, wie der der äolisdien Sänger, die landschaftlichen Grenzen überschritt, dichtete also nur für ihre engere Heimat und wollte sich gar nicht mit Pindar messen (Fr. 15 D. 5 Page 7 )), der sich an ganz Griechenland wandte und zu dessen hoher Kunst Korinnas schlicht erzählende Lieder sich verhalten, wie die kleinen hübschen Tonfiguren ihrer Vaterstadt Tanagra zur Erz- und Marmorplastik der klassischen griechischen Kunst. D a s V o l k s l i e d . Bei dem Trieb der Griechen, alles künstlerisch zu stilisieren, und dem Ansehen, das die so geschaffenen Typen der Dichtung ein f ü r allemal genossen, ist es begreiflich, daß w i r von dem urwüchsigen, im Schatten wachsenden Volkslied nicht viel besitzen. Immerhin hat sich noch einiges erhalten. Dahin gehören einige ganz einfache kleine Kultlieder an Dionysos, die Musen und andere Gottheiten; das Schwalbenlied, das Knaben im Frühjahr von Haus zu Haus ziehend und Gaben heischend zu singen pflegten, oder die Eiresione, ein ähnliches in Samos an einem Fest des Apollon v o r den Häusern gesungenes Bettlerlied; ferner ein kleines lesbisches Arbeitslied, das man zum Drehen der Mühlsteine sang und in dem diese Tätigkeit sogar dem weisen Pittakos zugeschrieben wird; ein alter spartanischer Wechselgesang von Männern, Jünglingen und Greisen; einige Rätsel in dichterischer Form, wie die unter dem Namen der Kleobulina erhalte6) V g l . K. Latte, Die Lebenszeit der K o r i n n a . Eranos 54, 1956, 57 ff. C o r i n n a . London 1953.
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Die Lyrik: Kitharodie und Aulodie
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nen, auch rhythmisch geformte Sprichwörter (daher der versus paroemiacus, der katalektische anapästische Dimeter und endlich die zahlreichen Skolia (^w—ww—ww — oder Trinklieder, unter denen in Athen dasjenige auf die Tyrannenmörder Harmodios und Aristogeiton eines der beliebtesten war. K i t h a r o d i e u n d A u l o d i e . Während der ionische Rhapsode das heroische Epos rezitierte, die Elegie, die jambische und melische Poesie nur in kleinerem Kreise vorgetragen wurde, wobei immer der Text gegenüber der Melodie an Wichtigkeit voranstand, bildete sich in Lesbos und an verschiedenen Orten des Mutterlandes, namentlich auf dorischem Gebiet, die Instrumentalmusik zu größerer Vollkommenheit aus, so daß sie sich bei festlichen Gelegenheiten auch öffentlich vernehmen ließ und bei ihren Kompositionen den Text nur als Unterlage für die Musik benutzte. Je nach den Instrumenten unterscheidet man Kitharodie und Aulodie. Als ältester Kitharode wird uns TERPANDROS von Antissa auf Lesbos genannt, der nach Sparta übersiedelte und hier an den Kameen in der 2 6 . Olympiade ( 6 7 6 / 7 3 v. Chr.) einen Sieg errang. Er dichtete und komponierte feierliche, choralartige Weisen in langsamen Rhythmen (sog. Nomoi), besonders Götterhymnen, von denen einer folgendermaßen begann: „Zeus, dir weih' ich dieser Hymnen Anfang. Zeus, Anfang und Führer aller Dinge." Er galt als großer Neuerer in der Musik, dem man die Erweiterung der Kithara von einem viersaitigen zu einem siebensaitigen, nach anderer Nachricht sogar zu einem zehnsaitigen Instrument zuschrieb. Seine Nomoi hatten sieben Teile, deren einer, die Sphragis, persönliche Äußerungen des Dichters enthielt. Als Begründer der aulodischen Nomendiditung gilt KLONAS von Tegea oder Theben (um 6 5 0 ) , dem SAKADAS von Argos, ECHEMBROTOS aus Arkadien und, als einziger Ionier, POLYMNESTOS von Kolophon folgten. Sakadas
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stellte in einer Flötenkomposition, die er in Delphi vortrug, den Kampf Apollons mit dem Drachen Python dar. D i e C h o r l y r i k . Der kitharodische und aulodische Nomos war zum Einzelvortrag bestimmt. Ungefähr gleichzeitig kommt nun aber auch der Chorgesang auf, zu dem sich Ansätze schon in den homerischen Gedichten finden. Der erste Schritt war wohl die Wiederholung gewisser Heiloder Klagerufe oder eines Kehrverses nach dem Vortrag des Sängers durch einen Kreis von Zuhörern. Seine künstlerische Ausbildung fand dann der Chorgesang im 7. Jahrhundert im Zusammenhang mit dem Reigentanz. „Choros" bedeutet ursprünglich „Tanzplatz", dann erst den auf diesem in rhythmischen Schritten zur Begleitung zuerst der Kithara, dann immer häufiger der Flöte sich bewegenden Chor. Solche Chöre wurden zu Ehren von Göttern, wie Ares, Apollon, Dionysos u. a., durch Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen an den Kultfesten aufgeführt. Der Chor, aus 7 bis 50 Personen bestehend, gruppierte sich dabei im Kreis um den vortragenden Sänger und hieß daher „Rundchor" (KÜKAIO; X ° P ° S ) - Ursprünglich ist diese Chordichtung besonders im Peloponnes gepflegt worden. Deshalb behielt ihre Sprache auch später eine dorische Färbung. Die Chorlieder waren entweder monostrophisch oder in der später von der Tragödie übernommenen triadischen Form von Strophe, Gegenstrophe und Nachgesang (Epodos) komponiert. Schließlich kamen unter dem Einfluß des Dithyrambos im 5. Jahrhundert auch ohne strophische Gliederung durchkomponierte Chorlieder (örrroAsAuHEva) auf. Der Inhalt war je nach dem Anlaß verschieden: Lieder auf Götter wie die Paiane und Dithyramben, Trauer- oder Hochzeitsgesänge, Tanzlieder und Festgesänge aller Art, Siegeslieder usw. THALETAS von Gortyn brachte aus seiner Heimat kretische und päonisdie Rhythmen nach Sparta, machte sich hier besonders um die musische Gestaltung der 665 gestifteten Gymnopaidiai, eines Apollofestes, verdient und trug wesentlich zu dem neuen Aufschwung bei, den die .Chorpoesie damals in Sparta nahm.
Die C h o r l y r i k
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Ebenfalls in Sparta wirkte in 4 e r zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts der in Sardes, der Hauptstadt Lydiens, geborene ALKMAN, der also entweder ein völlig hellenisierter Lyder oder ein Auslandsgrieche war. Er dichtete besonders Chorlieder für weibliche Kultvereine (Parthenien). Ein solches, eine große metrische Komposition, noch nicht ganz zur strophischen Responsion durchgebildet, ist größtenteils erhalten. Die erste Hälfte ist ernsten Inhalts und erzählt von Göttern und Heroen, während der Dichter im zweiten Teil zwei Mädchen, Hagesichora und ihre Verwandte Agido, in neckischem Ton vom Chor schildern läßt. Selbst die wenigen erhaltenen Reste zeigen, daß Alkmans Gesänge ziemlich viel Persönliches enthielten. So nimmt er als alter Mann, sich mit dem altersschwachen, von seinem Weibchen über die schäumenden Wogen getragenen Eisvogel vergleichend, in wehmütigen Versen Abschied von den süßstimmigen Mädchen seiner Chöre. Die Perle seiner Dichtungen aber ist das wundervolle Abendlied, dessen tiefes Naturgefühl sich mit Sappho messen kann und das man Goethes „Wanderers Nachtlied" an die Seite stellen darf: „Schlafend ruht das Gebirg, es ruhn die Gipfel und Schluchten, Steile H ä n g e , tiefe T ä l e r , Alle kriechenden Tiere, die n ä h r t die schwarze E r d e , Bergbewohnendes W i l d und die Völker der Bienen U n d U n g e t ü m e in purpurnen Meerestiefen. Schlafend ruht der Vögel Fittiche breitender S c h w ä r m . "
Auch in den dorischen Kolonien des Westens blühte die Chorlyrik auf, und einer ihrer ersten Meister war hier STESICHOROS von Himera (um 600), der seinen eigentlichen Namen Teisias mit diesem seine Kunst bezeichnenden vertauscht haben soll. Durch die Fabel vom Pferd, Hirsch und Menschen soll er seine Landsleute vor der Tyrannis des Phalaris gewarnt haben (Arist. Rhet. I I 20. 1393 b 9 ff.). Für seine Dichtung ist es charakteristisch, daß er heroische Stoffe in ausgedehntestem Maße in seinen Chorgesängen behandelte, worin ihm XENOKRITOS (oder XENOKRATES)
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Von den Anfängen bis zu den Perserkriegen
von Lokroi vorangegangen zu sein scheint. Seine Gedichte füllten 26 Büdier, und mandie waren so umfangreich, daß sie sich über mehrere Büdier erstreckten. Simonides (Fr. 32, 4 D.) nennt ihn deshalb mit Homer in einem Atem, und Quintilian ( X 1, 62) sagt von ihm, er habe der Leier die Last des Epos aufgeladen. So nimmt er eine Art Mittelstellung zwisdien diesem und der Tragödie ein. In einer Geryoneis besang er das Abenteuer des Herakles mit diesem Riesen, das hier schon in Spanien lokalisiert war, in der Eberjagd die Meleagersage, in der Eriphyle deren Verrat an ihrem Gatten Amphiaraos, in der Iliupersis die Zerstörung Trojas, wobei schon der Auswanderung des Aineias nach Italien gedacht war. In der Helena war deren Entführung durch Paris erzählt. In einer Palinodie widerrief er später, vielleicht mit Rücksicht auf den Helenakult in Sparta, die Geschichte als unwahr: Nur ein Scheinbild Helenas sei nach Troja gekommen. An diese beiden Gedichte hat sich die Legende geknüpft, daß Stesichoros nach seiner Schmähung von der beleidigten Göttin mit Blindheit gestraft worden sei, durch seinen Widerruf aber das Augenlicht zurückerhalten habe (Plat. Phaidr. 243 A) 8 ). An die Palinodie schließt sich Euripides in seiner Helena an. Endlich erscheint Stesichoros mit einer zwei Bücher umfassenden Orestie als Vorläufer des Aischylos. Außer diesen heroischen Stoffen behandelte er aber auch volkstümliche Liebesgesdiichten: so die treue Liebe der dem Tyrannen von Korinth verlobten Rhadina zu ihrem Vetter Leontichos, die das Paar mit dem Tode büßen mußte (ein Motiv ähnlich dem von Romeo und Julia) und den Selbstmord der von dem schönen Euathlos verlassenen Kalyke. Audi die später in der bukolischen Dichtung zum stehenden Typus gewordene Gestalt des von einer Nymphe geliebten, aber dann für seine Untreue von ihr bestraften Hirten Daphnis führte der himeräische Dichter, an eine Lokalsage seiner 8) H . Frankel vermutet ansprechend, Stesichoros habe in seiner geschrieben: »Dem blinden H o m e r folgend, habe ich dich verkannt selbst blind gewesen; nun aber bin ich sehend geworden", und die habe das wörtlich genommen (Dichtung u. Philosophie des frühen tums, 366, A . 4.
Palinodie und bin Nachwelt Griechen-
Die Chorlyrik
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Heimat anknüpfend, in die Poesie ein. Endlich wendete er manche Göttermythen, wie die Geburt der Athene und des Typhaon, ins Komische, ebenso die Heldengestalt des Herakles, aus dem er einen mächtigen Esser und Trinker machte. Dieses Heraklesbild hat wahrscheinlich eine Komödie des Epicharmos angeregt. Aus dem Sizilien benachbarten Rhegion stammte der durch Schillers Ballade allbekannte IBYKOS (um 540). In der ersten Periode seines Dichtens schuf er unter dem Einfluß des Stesichoros vorwiegend chorlyrische Mythenerzählungen 9 ). Bei ihm begegnet uns die früheste Erwähnung des Orpheus. Sie galt wahrscheinlich dem mythischen Sänger, nicht dem mystischen Propheten, da wir bei dem Dichter sonst keine Anzeichen pythagoreischer Gesinnung finden. Später weilte er am H o f des Polykrates von Samos. Dort huldigte er in einem Gedicht der Schönheit des Polykrates, des gleichnamigen Sohnes des Tyrannen 1 0 ). In Samos muß Ibykos auch dem Anakreon begegnet sein. Von ihm und von der erotischen Lyrik der lesbischen Dichter stammten die Einflüsse, die den Ibykos in dieser zweiten Periode seines Schaffens zum erotischen Chorlyriker machten. Er verherrlichte vor allem die Knabenliebe. Die Schönheit seiner Naturbilder kann sich mit denen des Alkman und der Sappho messen. Er scheint ein hohes Alter erreicht zu haben. Die Geschichte von den Kranichen (Anth. Pal. 7, 745), welche die Entdeckung seiner Mörder herbeiführten, ist ein weitverbreitetes Novellenmotiv und verdient deshalb keinen Glauben. Im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Tyrannis, die sich gegen die Aristokratie auf die Kleinbauern stützte, nahm der Kultus des Fruchtbarkeitsgottes Dionysos einen Aufschwung, und so wird im 6. Jahrhundert das ihm gesungene Festlied, der Dithyrambos, zur literarischen Kunstgattung. Als deren Schöpfer wird der mit Periander von Korinth (1. Hälfte d. 6. Jahrhunderts) befreundete ARION von Methymna auf Lesbos genannt, um dessen Person sich 9
) V g l . A. L e s k y , Literaturgeschichte, ) V g l . A . L c . k y , a . a . O . 173.
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V o n d e n A n f ä n g e n bis z u d e n P e r s e r k r i e g e n
die ätiologische Legende von der Errettung durch einen Delphin gerankt hat (Her. 1, 23 f.). Erhalten ist nichts von ihm: denn der ihm zugeschriebene Hymnus auf Poseidon gehört viel späterer Zeit an. Auf die jüngeren Chorlyriker aber hat diese Dithyrambendichtung stark eingewirkt. Unter diesen steht voran SIMONIDES aus Julis auf der Insel Keos (556—468). Er steht auf der Grenze zweier Zeitalter. Seine Jugend- und Mannesjahre führten ihn in einem unruhigen Wanderleben an die Tyrannenhöfe des Polykrates in Samos, der Peisistratiden in Athen und der Skopaden und Aleuaden in den thessalischen Städten Krannon und Larisa. D a n n erlebt er die Freiheitskämpfe gegen Persien und wird der Herold der griechischen Siege. Zuletzt (von 475 an) treffen wir ihn wieder im Fürstendienst, am Musenhof des Königs Hieron von Syrakus (478—466), wo er im Bunde mit seinem N e f f e n Bakchylides (s. S. 62) mit Pindar rivalisiert. Seinen Tod und sein Grab fand er in Agrigent. Simonides war ein großes dichterisches Talent und konnte sich rühmen, 56 lyrische Siege errungen zu haben. Mit gleicher Meisterschaft beherrschte er die verschiedensten Dichtungsformen: Siegeslieder und Lobgesänge, Tanzweisen und Klagelieder, Dithyramben und Skolien, Elegien und Epigramme. Vielfach dichtete er auf Bestellung gegen hohe Honorare, weshalb ihm Pindar (Isthm. 2, 6 ff.) den Vorwurf macht, seine Lieder hätten „ein versilbertes Antlitz". Wie mit dieser äußeren Form seiner „gewinnliebenden Muse", so erscheint Simonides auch mit seiner ganzen Geistesrichtung als ein Vorläufer der Sophistik. Seine Poesie weist einen stark reflektierenden Zug auf. Auf ihn geht das vielumstrittene Wort zurück, daß die Poesie eine redende Malerei u n d die Malerei eine stumme Poesie sei (Rhet. ad Her. IV 28, 39; vgl. Horaz, A. P. 361). Er gilt als erster Erfinder der von dem Sophisten Hippias vervollkommneten Mnemotechnik, auf die ihn ein in Krannon erlebter, legendarisch ausgeschmückter Unglücksfall geführt haben soll (Cic. de or. I I 86, 353 ff.). Die im Mittelpunkt der sophistischen Erörterungen stehenden Begriffe der
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Weisheit und Tugend spielen schon in seinen Gedichten eine große Rolle. Auch ein pessimistischer K l a n g fließt gelegentlich mit ein, wenn er den Vergleich der Menschengeschlechter mit dem k u r z grünenden L a u b des W a l d e s die schönste Stelle im H o m e r nennt. U n d sophistisch gedacht ist es auch, wenn er dem Schein eine größere M a c h t z u schreibt als der W a h r h e i t . Lessing h a t ihn deshalb den „griechischen V o l t a i r e " genannt, mit dem er auch die geistreiche Häßlichkeit teilte. Aber auch den Lebensgenuß v e r schmäht Simonides keineswegs, und der kluge, selbstbewußte W e l t m a n n weiß sich gleich gut a m Fürstenhofe wie im demokratischen A t h e n zu bewegen, w o er mit Themistokles in persönliche Verbindung getreten zu sein scheint. Als Dichter versteht er die verschiedensten Saiten anzuschlagen. E r dichtet als erster Siegeslieder auf Träger von Preisen in gymnischen und hippischen Agonen an den panhellenischen Festen. Er preist in einem unsterblichen Lied die Thermopylenkämpfer: „Die ihr erlagt an den Thermopylen, Im Tode gewannt ihr das herrlichste Los! Ein Altar ist das Grab euch, Gedächtnis die Trauer Und die Klage Triumphlied. Dies Heldenmal deckt nimmer das Moos Mit Vergessenheit zu, Noch tilgt es die Allverderberin Zeit. Denn es wohnt ja mit euch im dunkeln Gewölb Der Ehrenhort des Hellenengeschlechts, Mit euch Leonidas, Spartas König, Der das leuchtende Vorbild männlicher T a t Und unsterblichen Ruhm uns nachließ" 1 1 ). Wie er hier die kraftvollsten Töne erklingen läßt, so findet er in der aus unbekanntem Zusammenhang erhaltenen Klage der Danae, die mit ihrem Kinde Perseus, in einen Kasten eingeschlossen, auf dem Meere treibt, die weichsten Laute der Mutterliebe und Muttersorge und reißt den Hörer oder Leser zu Mitleid und Rührung hin. Und in einem verlorenen Gedicht ließ er bei der Abfahrt der Achäer von T r o j a mit ergreifender Anschaulichkeit den Schatten des Achilleus dem Grabe entsteigen (de subl. 15, 7). H ) Übersetzung von E . Geibel, Klassisches
Liederbuch.
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Von den Anfängen bis zu den Perserkriegen
Dagegen ist das Skolion an Skopas, das Piaton im Protagoras erörtert, fast eine philosophische Abhandlung in gebundener Form. W i e hier Piaton den Protagoras an ihn anknüpfen läßt, so ist seine Nachwirkung im Epitaphios des Gorgias spürbar. Xenophon läßt ihn mit Hieron ein Gespräch über den "Wert der T y r a n n i s führen, und nach Ciceros Zeugnis (n.. d. I 22, 60) lautete die A n t w o r t auf die von diesem Fürsten an den Dichter einmal gerichtete Frage, was ein Gott sei, ebenso skeptisch wie der bekannte Satz des Protagoras über die Götter. In dem Bild, das die Nachwelt von ihm festhielt, verblaßte allmählich der unschöne Zug der Gewinnsucht, den noch Thukydides (II 44,4) rügt. Für Piaton (Resp. 1, 331 E, 335 E) ist er in idealer Verbindung Denker und Dichter, den er d a r u m den sog. 7 Weisen an die Seite stellt. Bei Lebzeiten hat es ihm nicht an Neidern und Gegnern gefehlt. Z u ihnen gehörte TIMOKXEON aus Jalysos auf Rhodos, der unter den Chorlyrikern steht wie H i p p o n a x (s. S. 50) unter den Jambendichtern. Wie er leichten Herzens seinen Frieden mit den Persern machte, so verunglimpfte er in seinen Gedichten den hochverdienten Themistokles und den ihm nahestehenden Simonides, indem er die Dichtkunst zum Pamphlet in gebundener Form erniedrigte. Simonides rächte sich an ihm durch folgendes Epigramm auf sein Grab, in dem er ihn selbst sagen l ä ß t : „Viel gegessen und viel getrunken und viel auch die Menschen H a b ' ich geschmäht: davon ruh' ich, Timokreon, hier." M i t S i m o n i d e s z u s a m m e n gehört sein N e f f e u n d L a n d s m a n n B A K C H Y L I D E S , der, o b w o h l sein Leben bis e t w a in die M i t t e des 5. Jahrhunderts hineinreicht, doch m i t seiner g a n z e n D i c h t u n g noch in den aristokratischen Sitten der vorpersischen Z e i t w u r z e l t . M i t seinem O h e i m w e i l t e er wahrscheinlich eine Z e i t l a n g a m H o f e H i e r o n s v o n S y r a kus, u n d P i n d a r bezeichnet e i n m a l die i h m lästigen u n d unsympathischen keischen R i v a l e n als „kreischende Raben", die gegen den V o g e l des Zeus nicht a u f k o m m e n ( O l . 2, 86 f . ; v g l . auch P y t h . 2, 7 7 ) , w ä h r e n d Bakchylides selbst sich die keische N a c h t i g a l l n e n n t (3, 9 8 ) . D e r Dichter w u r d e gegen E n d e seines Lebens aus seiner V a t e r s t a d t v e r b a n n t u n d starb u m das Jahr 4 5 0 . A n geistiger B e d e u t u n g k a n n er sich m i t S i m o n i d e s nicht messen, u n d seine P o e s i e h a t in F o r m u n d I n h a l t v i e l K o n v e n t i o n e l l e s ; aber A n m u t u n d
Die Chorlyrik
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Geschick in Sprache und Rhythmus ist ihm nicht abzusprechen. Die Bruchstücke seiner Lieder, die alle Arten der Chorlyrik umfaßten und unter denen eines der schönsten der aus einem Paian stammende Preis des Friedens als des Spenders des Wohlstands und der Lebensfreude war, erfuhren im Jahr 1896 eine wertvolle Bereicherung durch die Auffindung von 19 annähernd vollständigen Gedichten in Ägypten. Davon sind 13 Epinikien, darunter drei auf Rennsiege des Hieron, und 6 Lieder für Götterfeste. In einem der Epinikien erzählt Bakchylides, abweichend von Herodot (1, 87), das Ende des Lyderkönigs Kroisos, der, wie es auch ein Vasenbild darstellt, sich selbst verbrennen will und von Apollon, den er so fromm und freigebig verehrt hat, ins Land der Hyperboreer entrückt wird. In einem andern läßt er den Schatten des Meleagros dem in den Hades hinabgestiegenen Herakles sein trauriges Schicksal berichten. Am interessantesten aber wird uns Bakchylides durch die andere Gruppe von Gedichten, weil in ihr die Entwicklung des Dithyrambos (s. S. 59 f.) zur Heroenballade vollendet vorliegt. In einem dieser Lieder (Die jungen Helden), eigentlich einem Paian für das Fest des Delischen Apollo, erzählt der Dichter, wie der junge Theseus auf der Fahrt nach Kreta vom Schiff des Königs Minos ins Meer springt und den von diesem in die Fluten geworfenen Ring wieder heraufholt. Hier tritt erstmals das Tauchermotiv in der Literatur auf. Noch einen Schritt weiter geht das folgende, gleichfalls von Theseus handelnde Gedicht. Es ist ein lyrischer Dialog in dramatischer Form 1 2 ), ein Gespräch zwischen König Aigeus, der die Heimkehr seines Sohnes erwartet, und einem Chor athenischer Bürger. Hier hat Bakchylides, angeregt von der gleichzeitigen Tragödie, den Dithyrambus ins Dramatische gesteigert. Seine dithyrambischen Gedichte tragen auch, ganz wie Tragödien, bestimmte Überschriften: Herakles, Theseus, Zurückforderung der Helena, Laokoon, Kassandra, Philoktetes, Jo u. a. In Oxyrhynchos fanden sich außerdem noch Reste zweier Skolien des Bakchylides, deren eines an Hieron, das andere an König Alexander I. von Makedonien (498—454), einen Freund griechischer Bildung, gerichtet ist, den auch Pindar eines Liedes gewürdigt hat. Ihre höchste künstlerische Vollendung fand die Chorlyrik in PINDAROS aus Kynoskephalai bei Theben (518 bis 1 2 ) Vgl. A . W . Pickard-Cambridge, Dithyramb, tragedy and comedy. O x ford 1927, 43 f.
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V o n den A n f ä n g e n bis zu den Perserkriegen
446). Uber seine Abstammung haben wir keine sicheren Nachrichten 13 ). Sehr wahrscheinlich stammte er aber aus vornehmem Geschlecht. Seine Gedichte spiegeln die Welt, die Sitten und Anschauungen der reichen Adelsfamilien, denen die Tüchtigkeit des Menschen durch seine Abstammung bedingt galt. Wie er den Reichtum dieser Geschlechter, der ihnen das Auftreten an den großen panhellenischen Spielen ermöglichte, als einen Segen der Götter betrachtete, so war ihm auch sein eigenes dichterisches und musikalisches Talent eine angeborene Gottesgabe, nicht eine erlernbare Kunst (O. 2, 86). Aber die musikalische Technik mußte auch der gottbegnadete Sänger sich erst erwerben, und so kam der begabte Jüngling nach Athen, wo ihn die Chormeister Apollodoros und Agathokles, der auch den später berühmten Musiktheoretiker Dämon unterrichtete, in die äußeren Formen der Kunst einweihten. Lasos von Hermione dagegen, der in antiken Lebensbeschreibungen ebenfalls als sein Lehrer genannt wird, verließ nach dem Sturz der Peisistratiden 510 Athen und kann ihn deshalb nur indirekt beeinflußt haben. Pindar blieb auch in Athen er selbst und lehnte die neue, demokratische Welt, die sich ihm dort auftat, bewußt ab. Nach Hause zurückgekehrt, trat der Zwanzigjährige erstmals mit einem Chorlied für einen thessalischen Sieger an den pythischen Spielen (P. 10) an die Öffentlichkeit. Wie mit Delphi verknüpften ihn auch mit Aigina schon früh nahe Beziehungen. Von der Teilnahme am öffentlichen Leben hielt sich der Dichter, dem die Formen der Verfassungen weniger wichtig schienen als die Person der leitenden Staatsmänner (P. 2, 86 ff.), fern, wenn er es auch mit reger Teilnahme begleitete. In eine schwierige Stellung brachte den Thebaner und Diener des delphischen Gottes der Freiheitskampf gegen Persien, an dem sich seine Vaterstadt nicht beteiligte und vor dem auch Apollon warnte. Daß er zur Neutralität riet (Fr. 10914)), 13 ) P y t h . 5, 75 f . : „ d i e A i g e i d e n , m e i n e V ä t e r " sagt n i d i t s ü b e r die H e r k u n f t des D i c h t e r s aus, s o n d e r n b e z i e h t sich, w i e d e r Z u s a m m e n h a n g e r w e i s t , a u f d e n C h o r ( v g l . H . F r a n k e l , D i c h t u n g u. P h i l o s o p h i e d. f r ü h e n Griechent u m s , 540). 14 ) Z ä h l u n g n a d i d e r A u s g a b e v. B. S n e l l , 2. A u f l . L e i p z i g 1955.
Die Chorlyrik
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macht ihm noch Polybios (4, 31) zum Vorwurf. Das Strafgericht, mit dem Theben nach Platää seine Haltung büßen mußte, ließ bei ihm keine reine Freude über die griechischen Siege aufkommen. So kam ihm der Ruf König Hierons von Syrakus, dem er 476 folgte, als eine Befreiung aus peinlicher Lage. Mit diesem Fürsten sowie mit der Familie des ihm verwandten Theron von Agrigent verband den Dichter echte persönliche Freundschaft und er, der zu stolz war, um Fürstendiener zu sein, sondern „sich selbst leben wollte" (Vita Ambr. 3, 20 f.), durfte sich in diesen Kreisen auch ein Wort ernster Mahnung erlauben. Für die von Hieron gegründete Stadt Aitnai, die auch Aischylos in einem Festspiel feierte, dichtete Pindar das Einweihungslied (P. 1), in dem er dem zu ihrem Regenten eingesetzten jungep Sohn Hierons, Deinomenes, eine Art Fürstenspiegel vorhielt. Unbequem empfand der Dichter die Konkurrenz des von ihm in seinem ganzen Wesen so völlig verschiedenen Simonides und seines Neffen Bakchylides (s. S. 62), und so kehrte er schon im folgenden Jahre in die Heimat zurück. In Sizilien hatte Pindar ein starkes Fürstentum in erfolgreichem Kampf für das Hellenentum gegen karthagische Machtgelüste schätzen und bewundern gelernt, und so hatte sich ihm auch der Blick für die nationalen Verdienste Athens geweitet, das er nun als das „Bollwerk von Hellas" und den „Hort der Freiheit" feiert (Fr. 76, 77). Dafür verlieh ihm die Stadt die Proxenie und eine Ehrengabe von 10000 Drachmen (Isokr. 15, 166). Salamis, Platää und Himera stehen ihm nun als ruhmvolle Befreiungstaten in einer Reihe (P. 1, 75 ff.). Inzwischen hatte sich Pindars Ruhmj durch ganz Griechenland verbreitet und drang selbst bis nach Makedonien und in das ferne Kyrene, wo er zwischen dem König Arkesilaos und dessen Volk zu vermitteln suchte (P. 4; 5). Die Ausbreitung der athenischen Macht in Mittelgriechenland seit dem Sieg bei Oinophyta (457) war jedoch keineswegs nach seinem Sinne, und ihr Zusammenbruch bei Koroneia (447) war wohl der letzte Lichtblick seines Alters. Aus dem Jahr 446 stammt sein
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letztes Lied (P. 8). Bald darauf scheint er fern der Heimat in Argos gestorben zu sein. Obgleich so Pindars Leben noch bis an das perikleische Zeitalter heranreicht, gehört er doch mit seiner ganzen Denkart noch der vorpersischen Zeit an. Der schwerblütige Böotier wandelt in den Bahnen seines alten Landsmannes Hesiod, dessen Gedichte er auch öfters als Quelle für seine Mythen benützt. Wie diesem ist es ihm um Wahrheit und Frömmigkeit zu tun, und auch er hat daher eine ausgesprochene Antipathie gegen Homer und besonders gegen den Typus ionischer Lebensklugheit, gegen Odysseus (N. 7, 20f.; 8, 24 ff.; Fr. 260). Und ebensowenig teilt er die Wißbegier der rasch aufblühenden ionischen Physik, die ihm „eine unreife Frucht der Weisheit zu pflücken" scheint (Fr. 209). Reichlich ein Jahrhundert nach Thaies flößt ihm eine Sonnenfinsternis (463) dieselben Befürchtungen ein wie dem gemeinen Mann (Pai. 9 = Fr. 52 k). Er ist ein frommer Anhänger der Religion der Väter, und mehr als die Hälfte seiner Lieder war an Götter gerichtet. Er stiftet sogar selbst Heiligtümer: so der Göttermutter und dem Pan eines neben seinem Hause (P. 3, 78; Fr. 95—100; Paus. I X 25, 3) und dem Zeus Ammon eines auf der Burg nebst dem von Kaiamis gefertigten Kultbild (Paus. IX 16, 1; Fr. 36). Einen Hymnus des Dichters auf diesen Gott ließ noch Ptolemaios I. inschriftlich verewigen. Schon früh von starkem Selbstbewußtsein erfüllt, fühlt sich Pindar als „Prophet der Musen" (Pai. 6, 6), als Diener Apollons und Lehrer seines Volkes. Als solcher strebt er nach einer sittlichen Läuterung der Religion, indem er anstößige Züge der von den alten Dichtern überlieferten und dem Volk geläufigen Mythen teils unterdrückt, teils bewußt abändert. Er will von den Göttern nur Gutes reden (O. 1, 35), weshalb es ihm widerstrebt, Götterkämpfe zu erzählen (O. 9, 35 ff.). Eine so grausige Geschichte wie die Zerstückelung des Pelops verwandelt er in dessen Entführung durch Zeus (O. 1, 28 ff.). Die Vorstellung des Zeus erweitert sich ihm zuweilen fast zu der einer Allgottheit (I. 5, 53; Fr. 140 d), ja zum Weltgesetz (Fr. 169, vgl. Pai. 6, 94). Apollons All-
Die C h o r l y r i k
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wissenheit bedarf keinerlei irdischer Vermittlung (P. 3, 2 7 f f . ; 9, 42ff.). Pindars Dichtung hat also einen stark religiösen Einschlag. Das Prooem. von I. 5, das Theia, die Sonnenmutter, als Urgrund alles Guten und Schönen preist, zeigt uns, daß ihm das Göttliche der Quell aller Werte ist. Seine religiösen Ansichten entstammen im wesentlichen dem delphischen Bereich. In einigen Gedichten (O. 2; Fr. 1 2 9 — 1 3 1 b ; 133) begegnen uns allerdings orphisch - pythagoreische Lehren, und in einem Fragment (137) werden die eleusinischen Mysterien gepriesen. Pindar hat in diesen Gedichten den Auftraggebern mit Gedanken, die ihren eigenen religiösen Uberzeugungen entsprachen, Trost gespendet. Wenn Götter und Menschen auch eines Ursprunges sind (N. 6, 1), so müssen sich die Menschen doch, gewarnt durch Beispiele der Vergangenheit, vor Uberhebung und Frevel hüten (O. 1 , 5 5 f f . Tantalos; P. 2, 21 ff. Ixion; 4, 90ff. T i tyos; I. 7, 43 ff. Bellerophon). Denn „Sterblichen ziemt Sterbliches" (I. 5, 16). Der Mensch ist ein flüchtiges Gebilde, „eines Schattens Traum" (P. 8, 95), in dessen armem Leben auf ein Gut zwei Übel kommen (P. 3, 81) und für den ein früher Tod das Beste ist (Fr. 2. 3). Er kann aber, falls er von edler Art ist, nach Hohem trachtet und ihm die Gnade der Götter den Erfolg zuteil werden läßt, manchmal den Unsterblichen ähnlich werden (N. 6, 4 f.). Dieses Ereignis vollzieht sich immer dann, wenn jemand bei den großen Spielen als Sieger seine arete beweist und ein Dichter durch das Lied seinem Ruhm Dauer schenkt. Das ist die pindarische Wertewelt, in der die Dichtung Pindars, die oft durch harte Übergänge Entferntes miteinander verbindet, eine transzendierende Einheit findet 1 5 ). V o n P i n d a r s Dichtungen, die 17 Bücher u m f a ß t e n und unter denen alle Gattungen der C h o r l y r i k vertreten waren, sind uns außer zahlreichen Bruchstücken nur die 4 nach den panhellenischen Festen der Olympien, Pythien, Nemeen und Isthmien geordneten Bücher der Siegesgesänge (Epinikien) erhalten, zu denen die Funde v o n O x y r h y n c h o s noch 15) H . F r a n k e l , a a. O . , 622 ff.
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Reste des Buchs der Paiane gefügt haben. Jene sind teils aus eigenem Antrieb, teils auf Bestellung zur A u f f ü h r u n g durch einen Chor bei der Heimkehr des Siegers in seine Vaterstadt v e r f a ß t und komponiert, wobei entweder der Dichter selbst oder ein einheimischer Chormeister den V o r t r a g dirigierte. W u r d e er d a f ü r auch in der Regel honoriert, so weist es P i n d a r doch weit von sich, ein Lohnschreiber zu sein, der sich seine Gedankenrichtung vorschreiben ließe (P. 11, 41 f.). Diese ganze Dichtungsgattung ist Gesellschafts- und Gelegenheitspoesie und trägt durchaus persönlichen C h a r a k t e r : D e r C h o r ist das Sprachrohr des Dichters. Einige der Lieder scheint P i n d a r selbst in der Hofgesellschaft Hierons zur Kithara vorgetragen zu haben (O. 1, 16 ff.) oder im Familienkreis Therons in Agrigent (O. 2); andere sind eine Art poetischer Briefe, wie die 2. und 3. Pythische Ode an Hieron, von denen man die erstere wegen ihres freundschaftlich mahnenden Tones mit Goethes an K a r l August gerichtetes Gedicht Ilmenau verglichen hat, und die 2. Isthmisdie an Thrasybulos, den N e f f e n Therons. Unecht ist ein Prozessionslied (O. 5). Versmaß und Melodie wiederholen sich nie. Die meisten Lieder sind in Triaden (Strophe, Gegenstrophe und Abgesang), nur wenige monostrophisch komponiert. Das Hauptstück eines jeden Gedichts bildet ein Mythus, der bald an den heroischen Ahnherrn des Siegers, bald an den Heros von dessen Vaterstadt, bald an den S t i f t e r des Festes a n k n ü p f t . Außerdem weiß P i n d a r zahlreiche tiefsinnige Sentenzen einzuflechten. Die Krone der erhaltenen Lieder bildet die erste Pythische O d e mit ihrer wundervollen Ausmalung der W i r k u n g der Musik, der selbst der Adler auf dem Szepter des Zeus erliegt, und der gewaltigen Schilderung des schneebedeckten Ätna. U n t e r den Paianen verdient besonders der sechste Beachtung, in dem der gewaltsame To.d des Neoptolemos in Delphi mit der T ö t u n g des Priamos am Altar seines Hauses motiviert w i r d : Eine Neuerung, wegen der sich P i n d a r später (N. 7, 48 ff.) den grollenden Ägineten gegenüber entschuldigt. Ein anderer (2) erbittet d e n Sdiutz Apollos f ü r A b d e r a gegen die v o n den T h r a k e r n d r o h e n d e G e f a h r , ein d r i t ter (9) wendet sich in Sorge an den Gott, weil eine Sonnenfinsternis Unheil zu verkünden scheint. Eine Heroenballade scheint der Dithyrambos Kerberos gewesen zu sein, von dem sich auch Reste in Oxyrhynchos fanden. Pindars Sprache ist der dorisierende Kunstdialekt der chorischen Lyrik mit äolisdiem Einschlag. D e r Ausdruck schließt sich vielfach an das Epos an. Die Sätze sind mächtige, o f t schwer überschaubare Gebilde. Der Stil ist prunkvoll, erhaben u n d feierlidi. Pindars Dichtung gehört
Das D r a m a
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nach F o r m u n d I n h a l t z u s a m m e n mit d e m archaischen K u n s t s t i l der M ü n c h e n e r Ä g i n e t e n v o m T e m p e l der A p h a i a , f ü r den er das E i n w e i h u n g s l i e d gedichtet h a t (Paus. I I 3 0 , 3), u n d des v o n H i e r o n s B r u d e r P o l y z a l o s gestifteten delphischen W a g e n l e n k e r s , die ihre v o n den A l t e n g e r ü h m t e herbe Schönheit teilen. P i n d a r genoß auch bei d e r N a c h w e l t das höchste A n s e h e n . In D e l p h i l u d m a n noch lange bei den G ö t t e r f e s t e n den f r o m m e n S ä n g e r durch H e r o l d s r u f z u Tische. A l s A l e x a n d e r T h e b e n z e r störte, h u l d i g t e e r dem griechischen Genius, i n d e m er des Dichters H a u s schonte. I m 3. J a h r h u n d e r t v e r f a ß t e n C h a m a i l e o n u n d Istros B i o g r a p h i e n v o n ihm. D a s schönste D e n k m a l aber setzte i h m H o r a z in seiner O d e auf den dirkäischen S c h w a n ( I V 2), dessen G e s ä n g e er m i t Recht f ü r unnachahmlich e r k l ä r t e . D i e alexandrinischen G r a m m a t i k e r reihten P i n d a r neben A l k a i o s , S a p p h o , A n a k r e o n , A l k m a n , Stesichoros, I b y k o s , S i m o n i d e s u n d B a k c h y l i d e s als l e t z t e n u n d g r ö ß t e n u n t e r die 9 klassischen L y r i k e r ein.
3. Das Drama Audi die Anfänge der dramatischen Dichtung fallen noch in das 6. Jahrhundert. Die Keime dazu lagen in den Kulten der Bauerngottheiten, vor allem dem des Dionysos. Sie erlangten unter der Herrschaft der Tyrannen, die sich gegen den aristokratischen Großgrundbesitz auf die Kleinbauern zu stützen pflegten, allmählich staatliche Geltung. In den ekstatischen Dionysoskult gehören die im Peloponnes beheimateten Chöre der ursprünglich bocksgestaltigen Satyrn, nach denen die Tragödie ihren sehr wahrscheinlich als „Gesang der Böcke" zu deutenden Namen trägt. Die Satyrn sind Vegetations- und Fruchtbarkeitsdämonen, deshalb ist der aufgerichtete Phallos ihr Requisit. Die kultische Keimzelle der griechischen Tragödie waren also Maskentänze, aus denen ihr mimetisches Element stammt 1 ). Außerdem war es an den alten Dionysosfesten, besonders an den ländlichen Dionysien, Sitte, sich zu verkleiden und zu- Fuß und zu Wagen unter allerlei Possen und Spöttereien umherzuziehen. Solche Bräuche bildeten die kultische Keimzelle der Komödie. Aus der Verbindung dieser kultischen Vgl. K. Ziegler, Tragoedia, RE, 2, 6, 1937, 1948 f.
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V o n d e n A n f ä n g e n bis z u d e n
Perserkriegen
Elemente mit den bisher geschaffenen Gattungen der Poesie entstanden die neuen Kunstformen der dramatischen Dichtung: die Tragödie, das Satyrspiel, die Komödie und der Mimus. D i e A n f ä n g e d e r T r a g ö d i e . Die Kunstform der Tragödie erwuchs aus dem Dithyrambos, dem Kultlied für Dionysos. Bereits A R I O N hat als Choreuten bei der Aufführung der von ihm geschaffenen Form des Dithyrambos (vgl. S. 59f.) Satyrn eingeführt 2 ). Schon ehe der Dithyrambos die Wandlung zur Tragödie durchmachte, sind nichtdionysische Stoffe in ihm vorherrschend geworden. Herodot berichtet (5, 67), daß Kleisthenes von Sikyon, der im ersten Drittel des 6. Jahrhunderts herrschte, Kultreformen durchgeführt und dabei die Aufführung tragischer Chöre, die die Schicksale des Lokalheros Adrastos beklagten, in den Dionysoskult überführt hätte 3 ). Dieses Zeugnis zeigt uns, wie das Heroenlied in die dionysische Feier eingedrungen ist. Bereits in Sikyon müssen die tragischen Chöre, sofern sie überhaupt noch Bocksgestalt hatten, alles Burleske abgelegt und ein ernstes Spiel aufgeführt haben. Der nächste bedeutsame Schritt in der Ausbildung der Tragödie wurde dann in Attika getan. T H E S P I S aus dem Gau Ikaria stellte dem Chor einen Schauspieler gegenüber und verstärkte dadurch das dramatische Element. In Athen hatte unter Peisistratos der bisher in Eleutherai verehrte Dionysos am Südostabhang der Burg einen heiligen Bezirk mit einem Tempel und dazu ein neues Fest, die großen oder städtischen Dionysien, erhalten, die im Monat Elaphebolion (März-April) unter der Leitung des Archon Eponymos gefeiert wurden, während die im Gamelion (Januar-Februar) stattfindenden Lenäen dem Archon Basileus unterstanden. Damit, daß nun dem Dichter Thespis an den großen Dionysien der 61. Olympiade (536/35—533/32) zum erstenmal von Staats wegen ein Chor zugewiesen und ein Sdiauspieler gestellt wurde, war die Tragödie aus der Wiege gehoben. Sie blieb von da an gleich den sog. „Misterien" des 2 ) Vgl. A. Lesky, Die tragische Dichtung der Hellenen. 1956, 29 ff. *) Vgl. A. Lesky, a. a. O . 33 ff.
Das D r a m a : Anfänge der Tragödie
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deutschen Mittelalters, den Weihnachts-, Passions- und Osterspielen, ein Bestandteil des Kultus. Wer an dem festlichen Wettkampf sich beteiligen wollte, hatte bei dem Archon drei Tragödien und ein Satyrspiel (s. S. 72 f.) einzureichen. N u r drei Dichter wurden zugelassen, von denen einer am Ende der Aufführungen nach der Entscheidung eines Kollegiums von fünf Richtern mit dem Preise gekrönt wurde. Offizieller Sieger war übrigens der Chorege, d. h. der Bürger der höchstbesteuerten Vermögensklasse, der auf seine Kosten den Chor ausgestattet hatte. Er durfte auch ein Denkmal seines Sieges errichten. Über die Preisverteilung wurde eine U r k u n d e (8iSaat