Geschichte der Ethik vom Altertum bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts: Nachdruck der 1931 erschienenen Beiträge im Handbuch der Philosophie 9783486820249, 9783486484229


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German Pages 402 [392] Year 1981

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Table of contents :
A. Vorwort
B. Ethik des Altertums
I. Einleitung
II. Die Prähistorie
III. Die Vorsokratiker
IV. Sokrates
V. Platon
VI. Aristoteles
VII. Die Stoa
VIII. Epikur
IX. Der Ausklang
C. Ethik des Mittelalters
Einführung
I. Die Grundlagen der mittelalterlichen Ethik
1. Die Ethik des Evangeliums
2. Die intellektualistischen Systemversuche
3. Die kirchlichen Systeme der Ethik
4. Die asketischen und mystischen Systeme
II. Das eigentliche Mittelalter
1. Die objektive Lebensordnung des Mittelalters
2. Die symbolisch-kirchlichen Systeme
3. Die teleologischen Systeme
III. Die Auflösung des Mittelalters und die Anfänge der Neuzeit
Meister Eckhart (1260-1327)
D. Ethik der Neuzeit
I. Die Lage am Ausgang des Mittelalters
II. Die Ansätze der Renaissance
1. Die Erneuerung der „natürlichen“ Ethik
2. Montaigne I
3. Bacon
4. Machiavelli
5. Grotius
III. Die englische Moralphilosophie
1. Hobbes
2. Die Cambridger und ihre Gesinnungsgenossen
3. Die psychologische Wendung
4. Locke
5. Shaftesbury
6. Die schottische Schule
7. Hume
8. Smith
IV. Die Niederlande und Frankreich bis zur Revolution
1. Die geistige Lage
2. Spinoza
3. Die französische Aufklärung
4. Rousseau
V. Leibniz und seine Nachfolger
1. Die deutsche Lage
2. Leibniz
3. Die deutsche Aufklärung
4. Sturm und Drang
VI. Kant und Herder
1. Herder
2. Kant
VII. Der deutsche Idealismus
1. Jacobi und Schiller
2. Fichte
3. Die Romantik. Schleiermacher
4. Hegel
5. Herbart
6. Schopenhauer
VIII. Positivismus und Evolutionismus
1. Comte
2. Bentham, Mill
3. Darwin. Spencer
4. Feuerbach, Marx
IX. Die philosophische Erneuerung
1. Lotze I
2. Wundt I
3. Die Neukantianer
4. Nietzsche und die Philosophie des „Lebens“
5. Die Kulturphilsophie
6. Die Phänomenologie
Namenregister
Sachregister
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Geschichte der Ethik vom Altertum bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts: Nachdruck der 1931 erschienenen Beiträge im Handbuch der Philosophie
 9783486820249, 9783486484229

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Oldenbourg

Geschichte der Ethik vom Altertum bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts Von Ernst Howald, Alois Dempf und Theodor Litt Mit einem Vorwort von Otfried Höffe

R. Oldenbourg Verlag München Wien 1981

Unveränderter reprographischer Nachdruck der Ausgabe München und Berlin 1931 (aus dem Handbuch der Philosophie. Abteilung III, Beiträge B, C , D), erweitert durch ein Vorwort von Otfried Höffe

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Geschichte der Ethik vom Altertum bis zum Beginn des 20. [zwanzigsten] Jahrhunderts/

von Ernst Howald; Alois D e m p f u. Theodor Litt. Mit e. Vorw. von Otfried Höffe. - 2. Aufl., Unveränd. reprograph. Nachdr. d. Ausg. München u. Berlin 1931 (aus d. Handbuch der Philosophie; Abt. 3, Beitr. B, C, D). - M ü n c h e n ; Wien: Oldenbourg, 1981. Enth. u. a.: Ethik des Altertums/Ernst Howald. Ethik des Mittelalters/Alois D e m p f I S B N 3-486-48422-2 NE: Howald, Ernst [Mitverf.]; Dempf, Alois [Mitverf.]; Litt, Theodor [Mitverf.]; Howald, Ernst: Ethik des Altertums; Dempf, Alois: Ethik des Mittelalters

© 1978 R. Oldenbourg Verlag G m b H , München Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege sowie der Speicherung und Auswertung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Werden mit schriftlicher Einwilligung des Verlages einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an den Verlag die nach § 54 Abs. 2 Urh.G zu zahlende Vergütung zu entrichten, über deren Höhe der Verlag Auskunft gibt. Gesamtherstellung: Weber-Offset G m b H .

ISBN 3 - 4 8 6 - 4 8 4 2 2 - 2

INHALT D i e Reihenfolge der Beiträge dieses Bandes ist durch die Ordnungsbuchstaben A - G gekennzeichnet Jeder Beitrag ist in sich paginiert, die Seitenzahlen stehen am äußeren Buchrand, die Ordnungsbuchstaben gegenüber am inneren Buchrand.

A.

Vorwort. Von Otfried Höffe

B.

Ethik des Altertums. Von Ernst Howald

I. Einleitung II. Die Prähistorie III. Die Vorsokratiker IV. Sokrates V.Plato n VI. Aristoteles VII. Die Stoa VIII. Epikur IX. Der Ausklang C.

3 7 12 26 34 42 49 56 62

Ethik des Mittelalters. Von Alois Dempf

Einfuhrung I. Die Grundlagen der mittelalterlichen Ethik 1. Die Ethik des Evangeliums A. Die Ethik der synoptischen Evangelien B. Die Ethik des Johannesevangeliums C. Die Ethik der Paulusbriefe 2. Die intellektualistischen Systemversuche 3. Die kirchlichen Systeme der Ethik Augustinus (353-430) 4. Die asketischen und mystischen Systeme II. Das eigentliche Mittelalter 1. Die objektive Lebensordnung des Mittelalters 2. Die symbolisch-kirchlichen Systeme 3. Die teleologischen Systeme Thomas von Aquin III. Die Auflösung des Mittelalters und die Anfange der Neuzeit Meister Eckhart (1260-1327) D.

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3 12 12 12 18 21 26 33 44 59 66 66 70 89 91 101 105

Ethik der Neuzeit. Von Theodor Litt I. Die Lage am Ausgang des Mittelalters II. Die Ansätze der Renaissance 1. Die Erneuerung der „natürlichen" Ethik 2. Montaigne 3. Bacon 4. Machiavelli 5. Grotius

3 9 9 13 16 18 21

III. Die englische Moralphilosophie 1. Hobbes 2. Die Cambridger und ihre Gesinnungsgenossen 3. Die psychologische Wendung 4. Locke 5. Shaftesbury 6. Die schottische Schule 7. Hume 8. Smith IV. Die Niederlande und Frankreich bis zur Revolution 1. Die geistige Lage 2. Spinoza 3. Die französische Aufklärung 4. Rousseau V. Leibniz und seine Nachfolger 1. Die deutsche Lage 2. Leibniz 3. Die deutsche Aufklärung 4. Sturm und Drang VI. Kant und Herder 1. Herder 2. Kant VII. Der deutsche Idealismus 1. Jacobi und Schiller 2. Fichte 3. Die Romantik. Schleiermacher 4. Hegel 5. Herbart 6. Schopenhauer VIII. Positivismus und Evolutionismus 1. Comte 2. Bentham, Mill 3. Darwin. Spencer 4. Feuerbach, Marx IX. Die philosophische Erneuerung 1. Lotze 2. Wundt 3. Die Neukantianer 4. Nietzsche und die Philosophie des „Lebens" 5. Die Kulturphilsophie 6. Die Phänomenologie

25 25 33 38 40 43 49 51 55 60 60 62 67 69 74 74 76 82 85 88 89 96 108 109 114 123 132 138 141 144 144 147 150 154 157 157 159 161 167 172 177

Namenregister

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Sachregister

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VORWORT

Fragen der Ethik haben in den letzten Jahren nicht bloß in der philosophischen, sondern auch in der öffentlichen Diskussion eine neue Bedeutung gewonnen. Dabei spielt mehr als in Logik, Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie auch die Geschichte der Ethik eine große Rolle. Die zeitgenössischen Versuche zur Begründung eines Moralprinzips (Hare, Singer, die konstruktive Ethik, Apel, Habermas u. a.) sind z. B. ohne Kant und seine Lehre vom kategorischen Imperativ nicht denkbar; die Utilitarismus-Diskussion geht auf J. Bentham, J. S. Mill und H. Sidgwick zurück; die Metaethik kann sich beim sog. naturalistischen Fehlschluß vor allem auf H u m e und G. E. Moore, dann auch auf Kant berufen; die Lehre vom praktischen Syllogismus und die Handlungstheorie überhaupt verdanken wesentliche Impulse ihrem kritischen Rückgang zu Aristoteles. Allerdings ist der Bezug auf die Geschichte der Ethik häufig recht selektiv. Nur wenige Autoren aus der Geschichte finden noch Beachtung (die mittelalterliche Ethik bleibt z. B. fast vollständig unberücksichtigt); und die Autoren, auf die Bezug genommen wird, finden sich oft um zentrale Gedanken verkürzt, wodurch ihre Theorien eine empfindliche Verkürzung und Verzerrung erfahren. Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, daß keine erst in den letzten Jahren geschriebene Geschichte der philosophischen Ethik existiert, ist es zu begrüßen, daß die drei in den Jahren 1926-1929 verfaßten Ethik-Teile des von A. Bäumler und M. Schröter herausgegebenen „Handbuchs der Philosophie" neu gedruckt und zusammen vorgelegt werden. Ein philosophiegeschichtliches Werk kann und soll das Studium der behandelten Autoren, Richtungen und Epochen nicht ersetzen. Es kann jedoch eine erste Einführung in das Werk der Klassiker, in ihre Gedankenwelt sowie den Zusammenhang mit ihren Zeitgenossen, Vorgängern und Nachfolgern bieten und zusammen mit Literaturangaben - vor allem an die klassischen Texte selbst, dann auch an deren wissenschaftliche Erforschung heranführen. In diesem Sinn ist es sinnvoll, auch in Bezug auf die Ethik umfassendere geschichtliche Darstellungen zu benutzen. Die Ethik des Altertums stammt von einem Altphilologen. Ernst Howald (1887-1967) lehrte 1918-52 in Zürich und ist u. a. durch Publikationen zum Phytagoräer Philolaos, zu Piatons Leben, zum Timaios und zur platonischen Akademie bekannt geworden. Sein Teil der Ethikgeschichte ist sehr knapp gehalten, vergleicht man ihn mit den beiden anderen Teilen sowie mit der Bedeutung, die die Ethik von Plato und Aristoteles, der Stoa, Epikurs und des Neuplatonismus für die weitere Entwicklung: für die vielfältigen Fortbildungen, Erneuerungen und Transformationen der Ethik erlangt hat." Indem Howald einen relativ breiten Raum der (sich vielfach nur in Fragmenten doku-

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VORWORT

mentierenden) Zeit vor Sokrates widmet, kann er den Leser auf die Quellen und Hintergründe der großen Gestalten Sokrates, Piaton und Aristoteles aufmerksam machen. Allerdings bleibt dadurch für das (in vollständigen und ausgereiften Schriften enthaltene) ethische Denken der Hauptautoren und -richtungen dieser Zeit wenig Platz. Howald schreibt mehr als Historiker und Philologe, zudem als jemand, der biographischpsychologische Erörtungen eher liebt als nähere Analysen der Grundbegriffe und Argumentationsweisen. Überdies ist er von Beurteilungsmaßstäben geleitet, die nicht immer unbedenklich sind: etwa vom Gegensatzpaar soziale Ethik - Triebethik und der These, die Griechen hätten keine soziale Ethik gehabt. So ist eine informative Darbietung des Materials gelegentlich von nicht so glücklichen Interpretationsbegriffen überlagert. Im übrigen hat die philosophische Forschung seit den zwanziger Jahren gerade in Bezug auf die antike Ethik bedeutsame Fortschritte gemacht. 1 ) Die Ethik des Mittelalters hat der bedeutende Erforscher der mittelalterlichen Kultur und Philosophie, Alois Dempf (geb. 1891, Lehrtätigkeit in Bonn, Wien und München) geschrieben. In seiner umfangreichen Publikationsliste findet man so wichtige Werke wie: Die H a u p t f o r m e n der mittelalterlichen Weltanschauung, 1925; Sacrum Imperium, 1929; Metaphysik des Mittelalters, 1930; Meister Eckart, 1935; Geistesgeschichte der altchristlichen Kultur, 1964. U m den Grundzug der mittelalterlichen Ethik verständlich zu machen, arbeitet Dempf ganz zu Recht erst ihre geistesgeschichtlichen Grundlagen heraus: die Ethik des Evangeliums sowie die ersten Systemversuche im 2. und S.Jahrhundert. Dann folgt eine sehr informative und treffende Darstellung mittelalterlicher Ethik: ihres größeren religiös-christlich-kirchlichen Zusammenhanges, ihrer (gleichwohl unterschiedlichen) theonomen Begründung, des Zusammenhangs ethischer Reflexion mit den jeweils vorherrschenden Lebensidealen usf. Vor allem in Bezug auf das Mittelalter ist eine philosophiegeschichtliche Besinnung sinnvoll, um - im Gegensatz zu mancherlei Verkürzungen und Vorurteilen - einen Eindruck von der Vielfalt und gedanklichen Kraft mittelalterlicher Ethik zu gewinnen. Nicht bloß die beiden großen Gestalten Augustinus und Thomas, sondern auch die Mönchsorden, auch Anselm und Hugo, Bernard und Bonaventura, Duns Scotus, Ockham und Meister Eckart sind für die Entwicklung der mittelalterlichen Ethik von großem Gewicht und erfahren bei Dempf eine differenzierte Darstellung ihrer Gedanken, verbunden mit erhellenden Vergleichen, mit Vor- und Rückblenden sowie mit dem Benennen und Ausräumen von Mißverständnissen. Den dritten und umfangreichsten Teil, die Ethik der Neuzeit, hat der besonders durch Hegel und Dilthey inspirierte Philosoph und Pädagoge Theodor Litt (1880-1962) ver') U m nur f ü r die aristotelische Ethik einige Beiträge zu nennen: G. E. M. Anscombe, Intention, 1957; P. Aubenque, La prudence chez Aristote, 1963; R. A. Gauthier - J.Y. Jolif, Aristote. L' Ethique ä Nicomaque, 1958-59; W.F.R. Hardie, Aristotle's Ethical Theory 1968; H . H . Joachim, Aristotle. The Nicomachean Ethics, 3 1962; H. J. Krämer, Arete bei Piaton und Aristoteles, 1959; J. Ritter, Metaphysik und Politik. Studien zu Aristoteles und Hegel, 1969; vgl. auch O . Höffe, Praktische Philosophie - Das Modell des Aristoteles, 1971.

VORWORT

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faßt. Durch seine Lehr- und Forschungstätigkeit zur neueren Geistes- und Kulturgeschichte, zur Sozialphilosophie, Pädagogik u n d zur Methodik der Geisteswissenschaften hat Litt einen großen Einfluß auf die Vor- und Nachkriegsdiskussion in Deutschland ausgeübt (vgl. Individuum und Gemeinschaft, 3 1926; Kant und Herder, 2 1949; Naturwissenschaft und Menschbildung, 5 1965; Mensch und Welt, 2 1961 u.a.). Am Leitfaden der Hauptfiguren und -Strömungen seit der Renaissance gibt Litt einen beeindruckenden Durchblick durch die mannigfachen Denkansätze, Theorien und ihre kritischen Fortbildungen im Verlauf dieser Epoche. Dabei erfahren auch jene Autoren und Richtungen eine möglichst unvoreingenommene Behandlung, die im deutschen Sprachraum häufig nur in karikierender Polemik bekannt geworden sind: etwa Hobbes, Bentham und Mill, Darwin und Spencer. Bei der Lektüre erkennt man in Litt bald den vielseitig gebildeten Philosophiehistoriker, der sich einerseits nicht auf die Ethik im engsten Sinne beschränkt, sondern auch auf methodische Prämissen oder auf Zusammenhänge mit der Rechts- und Staatsphilosophie aufmerksam macht, andererseits aber mehr geistesgeschichtliche als analytische Interessen hat, so daß differenziertere begrifflich-argumentative Erörterungen zurücktreten. Naturgemäß fehlt bei Litt die Weiterentwicklung der philosophischen Ethik seit den 20er Jahren. Diese Aufgabe der Fortsetzung kann ein Vorwort nicht übernehmen. Es kann jedoch auf einige Diskussionslinien der gegenwärtigen Ethik hinweisen. Dabei sollen die Strömungen ganz übergangen werden, deren systematischer Einfluß heute nur noch gering ist: die phänomenologische Ethik und Wertethik, deren Anfänge noch bei Litt behandelt sind; die existentialistische Ethik, um die es - nach ihrem Vorherrschen in der Nachkriegszeit des deutschen und besonders romanischen Sprachraums - in den vergangenen Jahren still geworden ist; auch der Strukturalismus, der allenfalls indirekte Bedeutung für die Ethik gewonnen hat. Unter dem Einfluß des logischen Positivismus entwickelte sich die Ethik im angloamerikanischen Sprachraum seit der Jahrhundertwende insbesondere als Metaethik. Diese Form der sprachanalytischen Ethik, die inzwischen auch im deutschen Sprachraum nicht mehr bloß rezipiert oder schlicht verworfen, sondern kritisch aufgegriffen wird, spricht der normativen Ethik jede Wissenschaftlichkeit ab. Im bewußten Verzicht auf inhaltliche Aussagen über das sittlich Gute (sog. Neutralitätsthese) von einzelnen Handlungen, Handlungsregeln oder deren Kriterien untersucht sie normative Aussagen (Objektebene) auf ihre sprachliche und logische Form (Metaebene). Dabei lassen sich verschiedene Richtungen unterscheiden: Nach dem „Naturalismus" (Lewis, Perry) erweisen sich sittliche Prädikate bei näherer Analyse als gleichbedeutend mit gewissen empirischen Prädikaten, etwa „gut" mit „nützlich" oder „lustvoll". Dagegen haben nach dem „Emotivismus" (A. J. Ayer, C. L. Stevenson) sittliche Urteile die Bedeutung, unsere eigenen rein subjektiven Gefühle oder Einstellungen zu bekräftigen und appellativ die anderer zu beeinflussen. R. M. Hare wiederum hält sittliche Urteile für Empfehlungen (Präskriptivismus), bei denen man bereit ist, streng allgemeine Gründe anzugeben (gemäß der Goldenen Regel bzw. gemäß dem - mit Kants kategorischem Imperativ verwandten - Prinzip der Universalisierung, vgl. M. G. Singer). Die zur Metaethik im

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VORWORT

weiteren Sinn gehörende Logik der normativen Modalitäten „geboten", „verboten" u n d „freigestellt", die vor allem durch die Arbeiten v o n G. H . v. Wright geförderte deontische Logik, bildet inzwischen eine eigene Forschungsrichtung. W ä h r e n d in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts der im englischen Sprachraum lange vorherrschende Utilitarismus zunächst heftig kritisiert u n d dann weitgehend verworfen wurde, belebte sich in den vergangenen drei J a h r z e h n t e n die Utilitarismus-Diskussion neu u n d erreichte bald einen neuen H ö h e p u n k t . Bei dem Versuch einer E r n e u e r u n g auf d e m Weg einer i m m a n e n t e n Verbesserung treten zwei Problemkreise des klassischen Utilitarismus von J. B e n t h a m und J. S. Mill zurück: sowohl die Probleme eines hedonistischen (Lust - ) Kalküls als auch die der werttheoretischen K o m p o n e n t e , nach der das höchste, allein in sich wertvolle Ziel in einer maximalen Befriedigung der Bedürfnisse u n d Interessen der Betroffenen zu sehen sei. Im Mittelpunkt der gegenwärtigen Diskussion steht die Frage, ob der Utilitätstest auf einzelne H a n d l u n g e n anz u w e n d e n sei (Handlungsutilitarismus: J. J. C . Smart), oder aber - was die meiste Zus t i m m u n g findet - auf Arten, Klassen oder Regeln v o n H a n d l u n g e n (Regelutilitarismus: J. O . U r m s o n , R. B. Brandt). Vor allem unter dem Aspekt der Gerechtigkeit findet aber auch die neuere Form des Utilitarismus scharfe Kritik (J. Rawls). Die deutsche Forschung u n t e r n i m m t seit etwa zwei J a h r z e h n t e n in kritischer Auseinandersetzung vor allem mit Aristoteles, H o b b e s , Kant, Hegel u n d Marx eine Rehabilitierung der praktischen Philosophie. Diese neuerliche W e n d u n g zu Ethik u n d politischer Philosophie war in einer ersten Phase noch m e h r philosophiegeschichtlich orientiert (J. Ritter u. a.). Im A n s c h l u ß an Aristoteles wurde z. B. der Verkürzung von praktischer Philosophie auf bloße Moralphilosophie u n d dem als naiv ahistorisch gebrandmarkten transzendentalen oder analytischen Philosophieren einerseits der S a c h z u s a m m e n h a n g v o n Ethik u n d Politik u n d andererseits die hermeneutisch-hypoleptische M e t h o d e entgegengestellt. In einer zweiten Phase folgten stärker systematisch orientierte Arbeiten; ein Schwerpunkt dieser Diskussion ist der (nicht unumstrittene) Versuch, aus einem unter idealen Bedingungen stattfindenden Diskurs allgemein verbindliche N o r m e n des H a n d e l n s zu begründen (konstruktive Ethik, Apel, H a b e r m a s u. a.).

LITERATURHINWEISE ZUR NEUEREN ETHIKDISKUSSION ZUR METAETHIK H . Albert, Ethik u n d Metaethik, in: ders., K o n s t r u k t i o n und Kritik, H a m b u r g 1972 A.J. Ayer, Sprache, Wahrheit u n d Logik, Stuttgart 1970 (orig. 1936), Kap. 6 G. Grewendorf, G. Meggle (Hrsg.), Seminar: Sprache u n d Ethik. Z u r Entwicklung der Metaethik, Frankfurt 1974 R. M . Hare, Die Sprache der Moral, Frankfurt 1972 (orig. 1952) - : Freiheit u n d Vernunft, Düsseldorf 1973 (orig. 1963) H . Lenk (Hrsg.), N o r m e n l o g i k , Pullach b. M ü n c h e n 1974 A. Pieper, Analytische Ethik. Ein Überblick über die seit 1900 in England u n d Amerika erschienene Ethik-Literatur, in: Philosophisches J a h r b u c h 78 (1971) M. G. Singer, Verallgemeinerung in der Ethik, Frankfurt 1975 (orig. 1961)

VORWORT

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G. H. v. Wright, Handlung, Norm und Intention. Untersuchungen zur deontischen Logik, Berlin - New York 1977 ZUR UTILITARISMUS-DISKUSSION D. W. Brock, Recent Work in Utilitarianism, in: American Philosophical Quarterly 10 (1973) O. Höffe, (Hrsg.), Einführung in die utilitaristische Ethik. Klassische und zeitgenössische Texte (Bentham, Mill, Sidgwick, Urmson, Smart, Brandt u.a.), München 1975 Die Theorie des Glücks im klassischen Utilitarismus, in: G. Bien (Hrsg.), Glück, Stuttgart 1978 N. Hoerster, Utilitaristische Ethik und Verallgemeinerung, Freiburg-München 2 1977 D. Lyons, Forms and Limits of Utilitarianism, Oxford 1965 G. Patzig, Ein Plädoyer für utilitaristische Grundsätze in der Ethik, in: Neue Sammlung 13 (1973) J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1975, bes. §§ 5 - 6 , 2 7 - 3 0 ZUR REHABILITIERUNG DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE G. Bien, Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles, Freiburg-München 1973 R. Bubner, Handlung, Sprache und Vernunft, Frankfurt 1976 H. Fahrenbach, Existenzphilosophie und Ethik, Frankfurt 1970 G.-G. Grau (Hrsg.), Probleme der Ethik - Zur Diskussion gestellt Freiburg-München 1972 (mit Beiträgen von I. Fetcher, K. H. Ilting, O. Pöggeler) J. Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 2 1973 O . Höffe, Strategien der Humanität. Zur Ethik öffentlicher Entscheidungsprozesse, Freiburg-München 1975 H. Lübbe, Theorie und Entscheidung, Freiburg 1971 M. Riedel, Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, 1969 - (Hrsg.), Rehabilitierung der praktischen Philosophie, 2 Bde., Freiburg-München 1972,1974 J. Ritter, vgl. Anm. 1 Vgl. auch: O. H ö f f e (Hrsg.), Lexikon der Ethik, München 1977 ZUR DISKURSIVEN N O R M E N B E G R Ü N D U N G K. O. Apel, Das Apriori der Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik, in: ders., Transformation der Philosophie, 1973, II 358-435 J. Habermas, Wahrheitstheorien, in: Wirklichkeit und Reflexion. Festschrift für W . Schulz, Pfullingen 1973 F. Kambartel (Hrsg.), Praktische Philosophie und konstruktive Wissenschaftstheorie, Frankfurt 1974 (mit Beiträgen von F. Kambartel, P. Lorenzen, O. Schwemmer u. a.) kritisch dazu: R. Spaemann, Die Utopie der Herrschaftsfreiheit, in: ders. Zur Kritik der politischen Utopie, Stuttgart 1977 W. Wieland, Praxis und Urteilskraft in: Zeitschrift für philosophische Forschung 28 (1974) Otfried H ö f f e

ERNST HOWALD

ETHIK DES ALTERTUMS

LEINLEITUNG

W

as gemeinhin von einer Geschichte der Ethik erwartet wird, eine

Darstellung der sich wandelnden Anschauungen über die Pflichten der Menschen untereinander und gegen ihre Gemeinschaft, ist in seiner Hauptsache ein Kapitel der Kulturgeschichte; freilich ist es anderseits doch auch von einer völkerpsychologischen Gesetzmäßigkeit bestimmt und gehört darum zu einem kleinern Teil mit andern soziologischen Disziplinen in die Geschichte der Philosophie. Trotzdem 6oll von diesen Dingen im folgenden höchstens nebenbei die Rede sein. Vielmehr verstehen wir unter Ethik die Auseinandersetzung des Menschen mit der in seinem Wesen begründeten inneren Disharmonie oder, anders ausgedrückt, seine Versuche, die nie zu erreichende dauernde Glückseligkeit m i t geistigen Mitteln zu erreichen oder eventuell ihre Unerreichbarkeit zu motivieren. I m Gegensatz zu jener zuerst genannten ä u ß e r e n E t h i k können wir diese die i n n e r e E t h i k n e n n e n ; wir können mit gleichem Recht einer s o z i a l e n E t h i k in der von uns zu behandelnden eine T r i e b e t h i k gegenüberstellen, da die seelische Unstimmigkeit ja ausschließlich auf dem Konflikt zwischen den auf Dauer rechnenden Glückseligkeitsansprüchen des Individuums und den dem Augenblicke überantworteten Trieben der G a t t u n g beruht, jenen Trieben, die mit ihren groben und das Nachher ignorierenden Methoden sich rücksichtslos über die Bedürfnisse des menschlichen Individuums hinwegsetzen. Die beiden Arten der E t h i k durchkreuzen sich oft u n d in mannigfaltigen Erscheinungsformen, sie sind aber in ihrem geschichtlichen Bilde aufs stärkste verschieden. Die äußere oder soziale E t h i k ist in ihrer historischen Erscheinung eng mit der allgemeinen Kulturlage v e r k n ü p f t . Sie ist anfangslos wie die K u l t u r , d. h. ihre E n t s t e h u n g geht in die Zeiten der E n t s t e h u n g des Menschengeschlechtes zurück. Sie zeigt eine E n t wicklung zu höheren Anschauungen, sie macht Fortschritte, die zwar von Rückschlägen unterbrochen werden können, aber deren Richtung u n d große Linie niemandem verborgen bleiben k a n n : Immer feiner wird das Gefühl der Menschen f ü r die Pflichten gegeneinander, immer ausgesprochener ihr Solidaritätsbewusstsein. Abschaffung der Menschenfresserei, der Sklaverei, der sozialen Ungleichheiten sind ihre S t u f e n ; zwei davon sind erreicht, u m die dritte t o b t der K a m p f . K a u m läßt sich d a r a n

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ETHIK

DES

ALTERTUMS

B

zweifeln, daß auch in Zukunft diese Verfeinerung ihren langsamen und unaufhaltsamen Weg weiter gehen wird, solange wenigstens nicht äußere Umstände die normale Kulturentwicklung stören. Denn von dieser sind die ethischen Anschauungen, wie gesagt, abhängig. Völker, die auf gleicher Kulturstufe stehen, pflegen sich auch in ihrer Sittlichkeit zu gleichen. Mit der Kulturentwicklung Hand in Hand geht überall der sittliche Fortschritt durchaus in derselben Richtung. Die individuelle T a t kann diese Entwicklung zwar beschleunigen, aber ihre Bahn ist ihr von den allgemeinen soziologischen Gesetzen gewiesen. Ganz anders verhält sich die Triebethik oder innere Ethik. Ihre Voraussetzungen sind immer die gleichen, da d i e K o n s t a n z d e r p s y c h i s c h e n E i g e n s c h a f t e n ein kaum zu bekämpfendes Axiom ist. Eine Entwicklung im Sinne eines Vorwärtsschreitens kann es also nicht geben, sondern nur immer wieder erneute Versuche, deren ganze Wesenheit und wahre Existenz in ihrer Einmaligkeit, in ihrem individuellen Gepräge liegen. Ihre „Geschichte" ist darum ähnlich der Geschichte künstlerischer oder literarischer Schöpfungen. Der Unterschied ist nur, daß die künstlerische Gestaltung dauernder und unvergänglicher, also offenbar in ihrem Grundwesen vollkommener ist und mit vollkommeneren Mitteln arbeitet als die ethisch-philosophische. Gemeinsam ist dafür beiden, daß die formale Gebundenheit für jede von ihnen doch eine Art von innerer Geschichte, eine Entwicklung schafft, indem die einmal gefundene denkerische oder künstlerische Lösung in hohem Maße für die nachfolgenden Geschlechter bindend und verpflichtend ist, so daß die Abfolge der Möglichkeiten fast naturgesetzlich determiniert erscheinen könnte. Doch muß man sich ganz klar darüber sein, daß diese Entwicklung zeitlich begrenzt und außerdem doch mehr technischer Natur, nicht wesentlich ist, wie bei der sozialen Ethik. Dieser zwangsmäßige Ablauf der geistigen Prozesse tritt besonders dann ein, wenn das ethische Suchen den S y m b o l w e g beschreitet. Zwei verschiedene Wege stehen nämlich der Triebethik offen. Entweder der direkte — in seiner Verwirklichung freilich durchwegs spätere — Weg unmittelbarer Darstellung der seelischen Tatsachen mit dem Versuche, diese entweder im Sinne und mit der Tendenz irgendeiner Einheit und Harmonie zu d e u t e n oder dann diese Einheit und Harmonie durch Erziehung oder Diätetik h e r b e i z u f ü h r e n , zum mindesten aber deren Störungen auf ein Minimum zu reduzieren. Ein zweiter W e g , ein indirekter, führt außerhalb der psychischen Sphäre zu irgendeiner Harmonie, z . B . Gottheit, Makrokosmos, transzendenten Ideen; durch Versenkung in diese Einheit, durch eine Art Hypostase, indem diese als vorhanden angesehene Harmonie an Stelle der Seele tritt, durch einen Glaubensakt also wird das gleiche Ziel erreicht, auf das der direkte Weg zuführt. Dieser zweite Weg ist unzweifelhaft gangbarer, namentlich für geistig noch weniger entwickelte Zeiten, weil der Glaube an ein Symbol geringere

B

EINLEITUNG

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Anforderungen an die Glaubenskraft der Menschen stellt als die Hoffnung auf eine unsichtbare Harmonie der fühlbar disharmonischen Seelen. Der direkte Versuch ist also viel aussichtsloser, da er sich einem unbezwingbaren Tatsachenmaterial gegenüber befindet. Er wird deshalb nur dann, und zwar automatisch, unternommen, wenn der aussichtsreichere, der Symbolweg, erschöpft und irgendwie erledigt ist. Aber immer drängt der Mensch wieder nach einem Symbolweg; erschwert wird ihm der Zugang zu einem neuen durch die ausgefahrenen Gleise des verlassenen alten; aber alle diese Schwierigkeiten überwindet das Bedürfnis. Die Sehnsucht nach dem Symbol ist ja so groß, daß jede konzentrierte geistige Tätigkeit, z. B. und vor allem die wissenschaftliche, etwas von ihr annehmen kann. Überhaupt sind der Übergänge bis zum wahren und einzigen Symbol gar viele, wie wir es besonders an der nachplatonischen Philosophie studieren können. Paradigmatisch und vorbildlich rein ist eigentlich nur der kosmologische Symbolweg der Vorsokratiker; wie dies ohne weiteres einleuchten wird, ist er primitivem Denken und vor allem noch spärlicher Erkenntnis leichter zu begehen als einer raffiniert kritischen Epoche. Man wird dem eben Gesagten vielleicht die Vagheit der Begriffe, die fehlenden Definitionen zum Vorwurfe machen. Ich glaube, zu Unrecht. Die T i e f e n p s y c h o l o g i e — um mich tapfer zu diesem verpönten Worte zu bekennen —, die Tiefenpsychologie, die uns in den letzten Dezennien in der Erkenntnis der seelischen Vorgänge in einer vorher auch nicht einmal zu erträumenden Weise vorwärts gebracht hat, sie verträgt, ohne daß sie deshalb außerhalb der Wissenschaft rückte, nicht zu präzise Definitionen und Formulierungen. Versucht sie es mit solchen, legt sie sich auf e i n e Deutung fest, so läuft sie nur allzu leicht Gefahr, zur einseitigen Marotte zu werden; ein Musterbeispiel für dies Schicksal ist die Psychanalyse. Es soll hier das überlegene Wort des Aristoteles, das er in der Einleitung seiner Altersethik gebraucht, als maßgebend für diese Wissens c h a f t angesehen w e r d e n : nenaidsvfiivov ¿m^rjTtlv

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„Zeichen wissenschaftlicher Gesinnung ist es, nur so weit in einer bestimmten Disziplin Genauigkeit zu erstreben, als es die vorliegende Materie erlaubt" (Nik. Eth. 1094b 23). Es soll uns an der Klarheit darüber genügen, daß diejenigen Kräfte, die unser Glücksgefühl bedingen, nicht so ohne weiteres an der Oberfläche liegen, daß dieses vielmehr von unterirdischen Mächten abhängt, von denen wir nur die Wirkungen und den Widerschein zu Gesicht bekommen. Auch einen zweiten Vorwurf, nämlich den, daß die Beschränkung auf die Triebethik eine unerlaubte Stellungnahme zu den Forderungen sei, die man einer Geschichte der Ethik gegenüber zu erheben berechtigt wäre — auch diesen muß ich zurückweisen. Diese Einschränkung ergibt sich aus dem Stoffe: D i e G r i e c h e n h a b e n nur eine i n n e r e E t h i k , sie

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h a b e n k e i n e s o z i a l e E t h i k g e h a b t . Dieser Satz hat selbstverständlich zur Voraussetzung, daß nicht die populären Anschauungen, oder doch nur ausnahmsweise, z. B. als Vorstufen und Ausgangsebenen, zum Worte kommen, sondern 'allein die Denker; nur durch sie wird die Ethik wirklich ein Teil der Philosophie, so daß auch mit den letzten großen Philosophen, mit den Gründern der Stoa und mit Epikur, unsere Behandlung des Themas eigentlich zu Ende geht. Diese Philosophen aber hatten, sobald sie den vorsokratischen Symbolweg verließen, als Selbstverständlichkeit das Glück zum Ziel des Lebens erhoben, was seit dem Altertum und außerhalb der europäischen Antike keineswegs selbstverständlich ist. D a ß dem so ist und daß es eine soziale Ethik für einen griechischen Philosophen nicht gibt (abgesehen vom Mitteilhaben an Populargedanken), das werden die folgenden Ausführungen beweisen müssen. Damit hat nichts zu tun, daß aus gewissen innerethischen Aufstellungen und Forderungen der Stoa z u f ä l l i g sozialethische Fortschritte erwachsen sind, die nicht nur an und für sich Großes bedeuten, sondern durch ihren Einfluss auf christliche Anschauungen für die Weiterentwicklung der Sozialethik in Mittelalter und Neuzeit Keimzellen sind. Wenn aber diese triebethische Beschränkung für die antike Philosophie wirklich zutrifft, so ist es selbstverständlich, daß sich die Betrachtung im folgenden mit Recht auf sie beschränken durfte. Trotz dieser Begrenzung stellt' sich eine so aufgefaßte Ethik anderseits ins Zentrum der Philosophie; ihre Geschichte wird identisch mit der Geschichte der Philosophie, da durch den Symbolbegriff sozusagen deren sämtliche andere Teile zu Symbolmetastasen der Ethik werden. Doch wird die folgende Darstellung diese allzu weite Tendenz dadurch leicht vermeiden können, daß sie darauf verzichtet, die durchaus eigengesetzliche Entwicklung der Symbollösungen zu verfolgen. Infolge ihrer Eigengesetzlichkeit können sie eine eigene Teildisziplin, die M e t a p h y s i k , bilden. Damit fällt zugleich auch die als Teil des Wissenschaftsgebäudes sich fühlende Fachphilosophie weg, da sie die erstarrte Weiterbildung einer Symbollösung ist, nämlich der von Piaton inaugurierten logischerkenntnistheoretischen. Die eben skizzierte Auffassung der Zusammenhänge innerhalb der Philosophie ist von mir näher ausgeführt in meinen „Anfängen der europäischen Philosophie", Beck (München), 1925. Meine Deutung des Symbols geht zwar ihre eigenen Wege, hängt aber natürlich mit den Verwendungen dieses Begriffes bei Cassirer u. a. zusammen. Die von der gewöhnlichen abweichende Betrachtungsweise bringt es mit sich, daß die bisherigen Darstellungen der Ethik nur zum kleinsten Teil den Stoff behandeln, der hier zur Sprache kommt. Vgl. die Gesamtdarstellungen der antiken Ethik von L . Schmidt (1880), Th. Ziegler (1881—86), M. Wundt (1908 ff.) u. a. m. bei Ü(berweg) 11 , S. 32*. Alle diese Werke fassen, ohne sich darüber auszusprechen, die Geschichte der Ethik als ein Stück Kulturgeschichte.

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II. DIE PRÄHISTORIE Die tiefgehenden Unterschiede zwischen sozialer Ethik und Triebethik, die die beiden fast nicht zur Führung des gleichen Namens berechtigen, zeigen sich auch aufs eindrucksvollste in ihrem geschichtlichen Bilde. Unbeschadet des Axioms von der Konstanz der psychischen Eigenschaften hat die Triebethik, im Gegensatz zu der oben geschilderten in die Ewigkeit zurückdatierenden Sozialethik, einen historisch greifbaren Anfang. Solange das unentwickelte Denken des Menschen, ähnlich demjenigen des Kindes, sein „Glück" ausschließlich von fremden Einflüssen herleitet, es nur von äußeren Faktoren bestimmt wähnt — wobei, wie ich wiederholen möchte, der seelische Bau kein anderer, nicht „primitiver" ist als später, sondern nur die Bewußtheit, die Erkenntnis der bestimmenden Faktoren fehlt — solange also der Mensch sich s e i n e r n i c h t b e w u ß t geworden ist, und damit die Entdeckung des Individuums noch nicht stattgefunden hat, in dieser Zeit ist eine Ethik im Sinne der Triebethik noch nicht möglich. So ist, was vorausgeht, für unsere Betrachtung P r ä h i s t o r i e . Diese Periode ist ausschließlich von sozialethischen Anschauungen beherrscht. Trotzdem werden wir sie an unserm Auge vorüberziehen lassen, nicht nur, um ihre Gleichartigkeit, die nur Nuancen zuläßt, klarzulegen, sondern auch um das Fehlen alles dessen eindrücklich zu machen, was an eine innere Ethik gemahnen könnte. Diese Gleichartigkeit, die übrigens nicht auf die griechische Welt beschränkt wäre, sondern sich uns unter gleichen Kulturverhältnissen allüberall zeigen würde, ist wahrhaft auffallend. So verschieden vom Standpunkt der äußeren Situation die verschiedenen Zentren der griechischen Welt vor der Mitte des 6. Jahrhunderts, beurteilt nach ihren literarischen Niederschlägen, sein mögen, so ähnlich ist die ethische Haltung; selbst die in vielerlei Hinsicht so fremdartig anmutenden homerischen Anschauungen sind nur differenzierter und verfeinerter als die andern, im Wesen aber gleich. Die sozialen Gebilde, deren Erhaltung die ethischen Forderungen gelten, sind unter sich denkbar verschieden und prägen so ganz verschiedene Sittenkodizes resp. stellen sie andere Pflichten in den Vordergrund und fühlen deren Wert in anderer Reihenfolge; aber immer ist es eine überindividuelle Einheit, der diese gelten. Man begreift, wie diese übereinstimmende Anerkennung von Organisationen und Gemeinschaften und diese stetige Bekämpfung der verschiedenen Sorten von Eigennutz und Eigenwillen (Kerntugend ist die dtxaioavvrj: iv d£ dtxaioavvij mXh'jßdtjv Tiäa' äqeriJ *acw „in der Gerechtigkeit ist jede Tugend mitenthalten" [Phokylides 10 = Theognis 147], xiiXhatov ro dixai&razov „das Gerechteste ist zugleich das Schönste" [Theognis 255]; diese Vorherrschaft der Gerechtigkeit unter den Tugenden hat sich infolgedessen auch später noch behauptet) den Gedanken an einen contrat social aufkommen lassen konnten. An Fortschritten (speziell in den religiösen Anschau-

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ungen), aber auch an Rückschritten (Stellung der Frau bei Homer und nachher) fehlt es nicht, so wenig wie an bewußter Zersetzung und Opposition (Archilochos, der, in gewollter Auflehnung gegen die Standesethik, den Verlust seines Schildes zugibt; Hervorhebung des Lebensgenusses als einzigen Zieles [z. B. zic di ßio$, z( öi reqnvbv &rsq %qvaijq irtl I'q/op eyeiger „die auch einen Faulen zur Arbeit treibt" (Erga 20); auch der homerische &v(idi (Sxiara nvkag 'Aldao mgr/acti xal xi7o!kai nokktjv yqv ¿7ia/njaa/j.evov „von allen Dingen ist es das beste, nicht geboren zu sein und nicht zu erblicken die Strahlen der helleuchtenden Sonne, wenn man aber geboren ist, dann möglichst rasch die Tore des Hades zu durchschreiten und dazuliegen, nachdem m a n ein tüchtiges Stück E r d e über sich h a t schütten lassen." Das ist uralte Weisheit, sagt es doch der gefangene Silen zu König Midas.)

Der Gedanke, daß innere Dinge zum Glücke mitbestimmend sein könnten, taucht nie auf. Den Trieben wird freie Bahn gelassen. Der H a ß findet ebensosehr ungehemmten Ausdruck und wird nur bekämpft, soweit er der Gemeinschaft schädlich ist, wie die Erotik in allen Variationen sich so ungezügelt entfaltet, wie später nie mehr, wo aus der Triebethik auch Gesetze der äußern Ethik abstrahiert werden. Das Erreichen seiner Wünsche gilt als das Höchste, darum betet man zu den Göttern. HßQii ist zwar etwas Gefährliches bei den Unklugen, u m der Götter willen, aber der Traum eines jeden Griechen ist doch, Tyrann zu sein. Tyrann

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sein heißt g o t t ä h n l i c h , d . h . glücklich sein, uneingeschränkt irgendwelchen ä u ß e r n u n d moralischen Zwang.

B durch

Haß: Archilochos 66 (Diehl); Solon 1, 5; Theognis 363 u. a. m. Erotik: Sappho, Anakreon, Theognis. Erreichen der Wünsche: noitypn de itonvÖTctTov, ov ng io{aot$ 11r] voog tcoTtog /; „Sattheit gebiert Übermut, wenn Erfolg Menschen zuteil wird, die keinen geraden Sinn in sich haben" (Solon 5, 9). Tyrannis: Herodot öfters, Nachklänge in der Polemik Piatons.

Die einzige Z u f l u c h t dieser nicht so sehr durch äußere Schicksale unglücklichen Menschen, wie man, ihrer Klage glaubend, a n z u n e h m e n p f l e g t , als durch U n k e n n t n i s ihrer psychischen Bedürfnisse, w a r die R e l i g i o n , a n deren A u s b a u natürlich v o n j e h e r , neben einfacheren Trieben u n d primitiven Vorstellungen, Unlustgefühle, resultierend aus seelischen Unstimmigkeiten, m i t w i r k t e n . Das ständige Neuschaffen ist in ihr aber, d a m i t sie ihre Zwecke der Beruhigung erfüllen k a n n , gerade so nötig, wie wir es später in der so v e r w a n d t e n S y m b o l s c h ö p f u n g als n o t w e n d i g wieder f i n d e n werden. N u n t r ä g t jedoch die Religion, i m W i d e r s p r u c h zu diesem ihrem E x i s t e n z b e d ü r f n i s , gleichzeitig etwas Konservatives u n d E r s t a r r u n g Bewirkendes in sich. D a r u m h a b e n religiöse N e u s c h ö p f u n g e n in der Regel etwas Gewaltsames, E r u p t i v e s an sich; sie sind r e v o l u t i o n ä r ; o f t zeigt sich dies in einer orgiastischen Ausprägung. Die auf lange hinaus letzte solcher Wellen lernen wir in dem im 7. J a h r h u n d e r t den ganzen griechischen K u l t u r k r e i s durchziehenden Dionysosdienst k e n n e n . Es ist dies ein grandioser Versuch, das seelische E l e n d kollektiv zu lösen durch Vernichtung des I n d i v i d u u m s . U m die W e n d e des 7. z u m 6. J a h r h u n d e r t b e g a n n die f ü r die Triebethik Voraussetzung bildende E n t d e c k u n g des I n d i v i d u u m s . E s ist selbstverständlich, d a ß sie i h r e n ersten A u s d r u c k auf religiösem Boden f a n d . Ein sicheres Erfassen dieser sehr subtilen psychischen W a n d l u n g e n (im Sinne neuer Erkenntnisse) ist aber ungeheuer schwierig, d a wir eigentlich sogar die äußeren K o n t u r e n des damaligen religiösen Lebens n u r m i t Mühe erfassen k ö n n e n . Sicher handelt es sich nicht u m eine Verbesserung der Gottesvorstellung wie bei X e n o p h a n e s — was eine sozialethische Angelegenheit ist —, sondern u m eine Höherstellung u n d u m höhere Ansprüche des die G o t t h e i t aufsuchenden Menschen. N i c h t m e h r ein dumpfes, orgiastisches Suchen ist es, sondern b e w u ß t gewordenes, rational ausgedrücktes Bedürfnis, E r k e n n t n i s der eigenen Schwäche. Zwei Erscheinungen werden von dieser wichtigen Bewußtseinsänder u n g des Menschen Zeugnis ablegen, die Ausgestaltung der A p o l l o r e l i g i o n v o n Delphi u n d die O r p h i k . Beide „legalisieren", wie m a n dies j e t z t n e n n t , den Dionysoskult, d. h. sie brechen seine orgiastische N a t u r . Delphi t u t es, wie sich dies in allen seinen B e t ä t i g u n g e n b e o b a c h t e n l ä ß t , m e h r äußerlich, die Orphik d u r c h U m g e s t a l t u n g des Dionysosm y t h o s zu einer heiligen Geschichte, einem Symbol des menschlichen

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Leidens. Aber auch Delphi, das mit den sieben Weisen in Zusammenhang gebracht ist, unter denen gewisse historische Figuren einen neuen Seelentypus repräsentieren, hat eine ethische Haltung, die neuartig ist. Über die religiöse Situation vor dem 6. Jahrhundert vgl. Nilsson bei Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte I I 4 (Mohr, Tübingen 1925). Für Delphi fehlt eine Darstellung der ethischen Haltung so gut wie die seiner Priesterpolitik; vgl. die Bemerkungen von Wilamowitz, Orestie (Griechische Tragödien Bd. 2) S. 20; Th. Plüß, Phidyle, Neue Jahrb. klass. Altert. Bd. 3 (1899). Die von Delphi beeinflußten Sagen zeigen ein Hervortreten der individuellen Verantwortung gegenüber 10 der rein sozial gebundenen. Die Hybris führt zu einem nicht nur von außen herbeigeführten Zusammenbruch (Oidipus); der unschuldig Schuldige wird erlöst (Orestes). Allein aus dieser Betonung der gedanklichen Verantwortung, der Reinheit des Individuums erklärt sich das sonst kaum verständliche: ynö!>i im im'»' ,,erkenne dich selbst" am Apollotempel an markantester Stelle. Ob das berühmte R, das als f2 „du bist" mit Plutarch und den älteren unter den modernen Erklärern zu deuten verlockend sein möchte, auch in diesen Zusammenhang gehört ? Auf alle Fälle ist weder eine andere sprachliche Deutung noch eine solche als Schlüssel oder Zierstück bewiesen (vgl. zuletzt Fr. Dornseiff, Das Alphabet in Mystik und Magie, Teubner 19242, S. 23; für f l allerdings in anderer Bedeutung, tritt ein W. H . Roscher, Hermes 1901, S. 470). Auch das 20 utij[ifi£?.ic Iii' fi'ij „ d a s H ö c h s t e u n d S c h ö n s t e d e m

Zufall zu überlassen, das möchte doch wohl nicht zulässig sein" (1199 b 24; womöglich noch ausgesprochener 1114b 1 ff.). In diesem Geiste einer möglichst vernunftgemäßen, nicht allzu extremen Entscheidung sind alle leitenden Gedanken des Aristoteles gehalten. Sie sind im großen und ganzen isoliert und einzelstehend; sie werden für sich in logischer Entwicklung durchgearbeitet, stehen aber nur in losem Zusammenhang untereinander. E s gibt zwar übergeordnete und untergeordnete, aber ohne daß dadurch die Verbindung intimer würde; diese Erscheinung ist häufig in allen Schriften des Aristoteles. Der Hauptgedanke der Ethik ist, wie überall, der ¿vre?.-f%etc(, der Erbin der Ideenlehre, nahestehend. Wie jedes Tier sein rfhoc, wie selbst die Tragödie ihr rfloc hat (Poetik 1149a 15), so auch der Mensch.

üantQ yciQ cci'Xi^rij xal äycc/.ficcronoim xccl navit i f / j ' i D j , xal UXwc xrji Ivfoyticc

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xcct' ccQtr/ji' „ d a s h ö c h s t e G u t f ü r d e n M e n -

schen ist die im Sinne wertvoller Beschaffenheit getane geistige Tätigk e i t . " Daß diese Idee wirklich zentral ist, zeigt sich darin, daß sie in der Zusammenfassung am Schluß der nikomachischen Ethik wieder auftaucht. E s ist ein schöner und bestrickender Gedanke; er hat auch schöne Folgerungen. So wird in echter Entwicklung desselben das ethische Verhalten nicht zu einem nccO-oc und nicht zu einer dvva/.ng, sondern zu

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einer e'S/g (1106a 11); auch zieht daraus Aristoteles die Erkenntnis, wie sehr sich Charakter und Handlung g e g e n s e i t i g bedingen und wie sie in einem Wechselverhältnis zueinander stehen. Da die Entelechie ein Erbe der Idee ist, so steckt in all diesen Teilen viel Platonisches. Weil also das Erkennen dessen, was das Ziel des Men-

schen ist — in der endgültigen Definition heißt e s : /) doerrj i"Sic ngoaiQsrtxri, wQta/i/vq ).6yu> xal c&c äv 6 ygovi/jog ÖQiaeier „ d i e Sittlichkeit i s t eine

auf Selbstentscheidung gestellte Gesinnung, die gedankenmäßig bestimmt ist und zwar so wie der vollendete Philosoph sie bestimmen würde" (1106b 36) — dem yqövifioc, dem philosophischen Schauer zukommt, so treten in den Kreis der Tugenden neben die ethischen auch die dianoetischen, was einer Erkenntnistheorie als Teil der Ethik die Tore öffnet — nicht viel anders als der platonische Politiker ( = Ethiker) mit dem Dialektiker (d. h. dem (pgövqvog des Aristoteles) identisch ist. Neben diesen gehen ganz andere Gedankenreihen einher. In der einen spielt die $öovfj eine große Rolle, z. B. in dem wichtigen Abschnitt über Selbstbeherrschung, freilich eine negative; in den platonisierenden Kapiteln kommt sie etwa im Sinne von Zufriedenheit vor, so daß er geradezu sagen k a n n fj äqerfi

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dreht sich um Zufriedenheit und Unzufriedenheit''; diese Zufriedenheit soll aber gegenüber den rechten Dingen nach einem löyuc herrschen. Ein weiterer davon ganz unabhängiger Gedanke ist derjenige von den H-ta&r-tiTfz „den Mittelwerten", d. h. der Gedanke, daß alle Tugenden eine Mitte darstellten zwischen zwei Extremen, die tvöeia (ein zu wenig) und -bneQßoh) (ein zu viel) bedeuten. Dies mag irgendwo aus ursprünglich pythagoreischen Ideen herstammen, in denen dieses Mittelmaß einen viel realeren Sinn hat. Tapferkeit z. B. ist die rechte Mitte zwischen Feigheit und Tollkühnheit — dieser Gedanke beherrscht sogar den eigentlich systematischen Teil eine Zeitlang, wird sogar in die oben angeführte Definition der ägtr^ aufgenommen, indem zwischen Tt()oaiQ£tixfj u n d woianivij:

iv / leaortjTi oiaa

zi] nooc /¡/täc

„in dem uns an-

gemessenen Mittelzustand sich befindend" eingeschoben wird; in andern Partien ist davon nicht mehr die Rede. Dies alles macht mehr den Eindruck konzilianter Vereinigung von an und für sich diskrepanten Dingen, gedanklichen Angleichens von Positionen, die selbständig und ohne Beziehungen zueinander sich ergeben hatten. Es herrscht eine gewisse milde und vermittelnde Gesinnung, die, so scheint es wenigstens, nicht so sehr den ethischen Anschauungen des Aristoteles entspricht als seinen methodischen Grundsätzen. Auch das große und verständnisvolle Entgegenkommen, das er den äußern Gütern gegenüber an den Tag legt, denen er durchaus einen Einfluß auf das menschliche Glück zubilligt (schönste Stelle 1100b 22 ff.), ist wohl weniger vernünftiges Eingehen auf die menschliche Schwäche als vermittelnde Haltung gegenüber verschiedenen Standpunkten vielleicht so-

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gar ganz populärer Herkunft, die mit den äußern Dingen rechnen und ihnen eine Bedeutung beimessen. In diesen prinzipiellen und theoretischen Erörterungen ist Aristoteles in gar keiner Hinsicht irgendwie schöpferisch gewesen. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, daß seine ethischen Anschauungen dankbar von einer schwächlichen Zeit wieder aufgenommen wurden, nämlich von der sog. jüngern Akademie der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts, die in ihm einen Synkretismus schon vorgebildet fand, wie sie ihn selber erstrebte. Wahrscheinlich ist auch, dass der wiederholt auftauchende Hinweis auf die Ungenauigkeit der Methode (1094b 13, 1198a 26), ein Hinweis, der sich übrigens auch zu Beginn der Metaphysik findet, die ähnliche methodische Erscheinungen aufweist wie die Ethik — daß auch er weniger gegen Piatons Überschätzung der ethischen Beweisführung gerichtet ist als zur Motivierung dieses versuchsweisen und tastenden, verschiedene Lösungen anschneidenden Verfahrens gebraucht ist. Das eigentlich Große, Einmalige und Vorbildliche, das eigentlich Wissenschaftliche der aristotelischen Ethik liegt anderswo, nämlich in der psychologischen Einzelbeobachtung. Während er als Theoretiker und Systematiker ständig zu seinen Ungunsten den Vergleich mit Piaton herausfordert, ja sogar den Systemen der Stoa und des Epikur in ihrer Konsequenz nicht gewachsen sein kann, ist seine beobachtende und sammelnde Tätigkeit etwas völlig Zwingendes und Überwältigendes. Es möchte auch historisch als ein Erstmaliges erscheinen, wenn wir nur oberflächlich von unseren unvollkommenen Kenntnissen aus urteilen wollten. Als Geistesverwandte in der Ruhe und Sicherheit der Beobachtung kommen einem eigentlich nur die Mediziner des 5. Jahrhunderts in den Sinn, Hippokrates und seine Mitforscher. Natürlich darf man Aristoteles in dieser seiner wertvollsten Seite nicht direkt an jene anschließen, sondern man muß sich bewußt sein, daß es neben dieser medizinischen Fachliteratur, die mehr oder weniger ein Zufall erhalten hat, eine große Fülle sonstiger Fachliteratur, Erbin der ionischen Naturphilosophie, gab, die uns verloren ist. Wie auf den Naturforscher Aristoteles viele Gelehrte gewirkt haben, von denen uns nur Demokrit greifbar ist, so ist der politische Schriftsteller Beobachtern und Sammlern verpflichtet, wie sie uns seit der Sophistenzeit dem Namen nach bekannt sind, die zu allen möglichen Zwecken historisches Material aufspeicherten und deren eigentlicher und direkter Erfüller Aristoteles selber mit seinem Politienwerk wurde. Diesen Einfluß auf sein systematisches Werk empfindet er, wie wir sahen, ja selber als wichtig. Was abersteht hinter der E t h i k ? Vorarbeiten unter den Werken des Aristoteles selber kennen wir nicht, wohl aber aus seiner Schule: Die Charaktere des T h e o p h r a s t stehen zur Ethik wie die Politien zur Politik. An beiden Orten wird das der Empirie verdankte Material eingefügt in die theoretischen Grundrisse, die Piaton hinterlassen. Für uns aber ist dieses Material die Hauptsache; mit Entzücken

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finden wir diese zarten psychologischen Beobachtungen in mehreren aristotelischen Schriften, vor allem aber in der E t h i k . Es ist dies objektive wissenschaftliche Forschung, übertragen auf die Wissenschaft vom Menschen; vorsichtig und unvoreingenommen, nicht von vornherein wertend u n d kombinierend, sieht sie ihre eigentliche Aufgabe in der Erfassung der Einzeltatsache und in der Erweiterung des Beobachtungsmaterials. Hier ist die Vorstufe nicht eigentlich wissenschaftliche Liter a t u r , die es nicht gab, sondern die volkstümliche Anschauung. Auf sie b e r u f t sich Aristoteles gern, gegen sie polemisiert er auch hier u n d d a ; mit feinem Ohr weiß er die öffentliche Meinung u n d ihre ethischen Anschauungen zu erlauschen, so daß es sich manchmal mehr u m eine Bestandesaufnahme der Communis opinio handelt. Eine größere Probe wird das a m ehesten illustrieren: „Ferner gibt es eine Kategorie von Menschen, die stets bei ihrer Meinung bleiben; man nennt sie starrköpfig, weil sie schwer zu belehren und umzustimmen sind. Sie haben eine gewisse Verwandtschaft mit dem Willensstarken, in gleicher Weise wie der Verschwender mit dem Generösen und der Tollkühne mit dem T a p f e r n ; sie unterscheiden sich aber doch in vieler Hinsicht. Der Willensstarke will nämlich n u r von solchen Gesinnungsänderungen nichts wissen, die durch Leidenschaften oder Begierden hervorgerufen sind, während er, unter gewöhnlichen Umständen, leicht umzustimmen sein wird. Der Starrkopf aber wird sich von Gründen nicht überzeugen lassen, da die Leute eben den Trieben preisgegeben sind und fast alle sich von den Lustgefühlen leiten lassen. Starrköpfig sind die Eigenbrötler, die Dummen und Ungebildeten, und zwar die Eigenbrötler unter dem Einfluß von Lust- und Unlustempfindungen; denn sie freuen sich ihres Triumphes, falls sie sich nicht überreden lassen, und sind betrübt, wenn ihr Standpunkt gleichsam wie bei einer Abstimmung durchfällt. Darum haben sie eigentlich mehr von einem, der sich nicht zu beherrschen weiß als von einem Selbstbeherrschten . . . ." (1151b 14 ff.).

VII. DIE STOA Aristoteles h a t das Mißgeschick, daß seine verhängnisvollen systematischen Seiten unendlich viel zäher u n d lebenskräftiger sind als seine exakt-wissenschaftlichen auf allen Gebieten. So ist auch auf dem Boden der E t h i k seine zentrale Neuerung, das Bestreben, durch Beobachtung, Sammlung, Aufhorchen auf die E r f a h r u n g der Generationen, wie sie sich in der Übung des Volkes niederschlägt, die Gesetzmäßigkeit des sittlichen Lebens zu erfassen, als Wissenschaftler, nicht als Gesetzgeber, k a u m mehr fortgesetzt worden. Die „ C h a r a k t e r e " des Theophrast sind Probe einer einstmals umfangreicheren L i t e r a t u r ; aber auf alle Fälle wurde doch die E t h i k inkl. Physiognomik viel weniger ausgebaut als die Politik. Diese Handb. d. Phil. III.

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wissenschaftliche und psychologische E t h i k verschwand schon, bevor der so f r ü h e allgemeine Niedergang der griechischen Wissenschaft einsetzte. Hingegen der systematische Bau des Aristoteles wurde maßgebend f ü r alle späteren Philosophien. Er füllte sich mit neuem Inhalt, weil die E t h i k sofort wieder Zentrum der Philosophie wurde, schon dies ein Zeichen, d a ß es keine wissenschaftliche E t h i k ist. Sie überwuchert von n u n an alle andern Teile der Philosophie, weil das von Piaton geschaffene Symbol kein rechtes Leben fristet u n d von Piaton ja selber im Alter aufgegeben worden war. Verschwunden sind die erkenntniskritischlogischen Probleme nicht, aber sie treten zurück hinter den ethischen. Wieder werden die seelischen Konflikte des Menschen auf ihrem eigentlichen Kampfgebiet ausgekämpft. Die Entscheidung erfolgt durchaus im formellen R a h m e n , den ihm Aristoteles gespannt h a t t e , auch er ja n u r als Fortsetzer Piatons. Somit ist gegeben, daß bei aller Gegensätzlichkeit, j a Unvergleichbarkeit der einzelnen Systeme, diese doch alle eine gemeinsame Note, ein ausgesprochenes Zeitkolorit haben. Nicht n u r sind selbstverständlich überhaupt bloß innenethische Probleme behandelt (die Sozialethik höchstens in einem Anhang ntgi yiliac gebracht, der auch nur die Mithilfe der Mitmenschen zur innenethischen Entwicklung zum Inhalt hat), sondern auch im Bau ist alles gerichtet auf die Frage nach dem t("koc, dem Summum bonum, das, wie bei Aristoteles, als eödaifiovfa bezeichnet wird, worauf dann aber erst die Interpretation dieses Begriffs die strittige Alternative aufzeigt. Dieses Summum bonum ist nicht mehr transzendent, wenn es auch durchaus als Wunsch, als Postulat, betrachtet werden muß. Von ihm aus werden dann alle Unterfragen in der Reihenfolge, wie Aristoteles sie aufgestellt, durchbehandelt. Aber im Gegensatz zu dem Wissenschaftler Aristoteles müssen diese jüngern Systeme, da sie alle eine Anweisung zum glücklichen Leben sein u n d d a r u m Lösungen geben wollen, da sie nicht nur feststellen, sondern helfen und trösten wollen, müssen sie eine wirkliche oder zum mindesten scheinbare Geschlossenheit und Konsequenz in sich tragen. Nicht mehr dürfen die verschiedenen Fragestellungen zusammenhanglos nebeneinanderstehen, sondern von dem Zentrum des Summum bonum aus müssen alle Einzelantworten wie Strahlen ausgehen. Darum k a n n von vornherein angenommen werden, daß die konsequentesten Lösungen, diejenigen, die die extremste und kompromißfreieste Durcharbeitung aufweisen, die keine oder möglichst wenige Konzessionen machen, diejenigen sind, denen der größte Erfolg beschieden sein wird. Zugleich ist d a m i t aber auch die Erwartung gegeben, daß, solange die Voraussetzungen so eingeschränkt bleiben (und eine Änderung ist an einem solchen P u n k t e , wo die geistige Trägheit der Menschheit mitspielt, n u r nach einem langen Zeitraum zu erwarten), und solange nicht wieder ein Symbol geschaffen wurde, wie es dann das christliche war — es ist die Erwartung gegeben, d a ß diese extremen Lösungen als die entscheidenden anerkannt würden,

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bis die Kultur von innen heraus sich wandelte. Die kleinen Nebenlösungen, die Kompromißversuche und alles andere, was, ohne an der Suprematie der beiden konsequentesten Systeme etwas zu ändern, in den nächsten Jahrhunderten geschaffen wurde, zeigen die Richtigkeit dieser Einstellung. Die beiden Extreme werden repräsentiert durch die Schulen der S t o a und des E p i k u r e i s m u s . Das sind nicht zufällige gleichzeitige Erscheinungen, sondern es sind die beiden Richtungen, die ohne Zögern die äußersten Punkte der von den Früheren gewiesenen Möglichkeiten besetzten. Sie leben von den beiden Schlagwörtern ägerrj „Tugend'" und fjöovij „ L u s t " ; beide haben bereits ihre bestimmte Richtung aus der aristotelischen und voraristotelischen Ethik erhalten. Im Grunde genommen ist aber der Gegensatz tiefer; er bedeutet vielmehr ein neues Aufflackern der alten Antithese, die wir schon bei den Yorsokratikern zwischen den Denkern klaffen sahen. Es fällt nämlich bald auf, daß der Begriff äoer-fj ziemlich eindeutig und wenig diskutierbar ist, während sein feindlicher Partner, die rjdovfi, nur mit großer Mühe auf ihren jeweiligen Gehalt hin erfaßt werden kann. Das bedeutet nichts anderes, als daß äqsTtj einem rein denkerischen Prozeß entspringt und sich deshalb leicht tadellos und einwandfrei darbieten kann, während fjdovtf eine Wirklichkeit widergeben will. Tatsächlich sieht die dger^ auch ihre Hauptschwierigkeit darin, zu beweisen, daß sie existiere, daß sie einer Realität entspreche, während die fjdovrj unsägliche Mühe darauf verwenden muß, glaubwürdig zu machen, daß sie ein Summum bonum sittlichen Strebens, ein überragendes menschliches Ziel sein dürfe. Die stoische Doktrin will den Seinscharakter eines erdachten und erträumten Idealprogrammes verkünden, der Epikureismus hingegen will ein als unlösbar und unharmonisch erkanntes Diesseits durch eine sorgfältig gehandhabte Technik zwar nicht heilen — denn das ist unerreichbar —, aber möglichst harmlos und schmerzlos gestalten. Die Ethik Epikurs ist damit etwas wesentlich anderes als diejenige des Piaton oder des Aristoteles; darum wird ihr das Zwangskleid der aristotelischen Systematik schmerzhafter sein als dies bei der stoischen Lehre der Fall ist. Ganz erfaßt kann sie nur werden, wenn sie daraus befreit wird. Damit haben wir von neuem, der späten Zeit entsprechend, nicht mehr unmittelbar und selbständig, den alten Gegensatz der parmenideischen Richtung, repräsentiert durch die Stoa, nur losgelöst von der Transzendenz und auf das Diesseits konzentriert (auf dem Wege über die Entelechie des Aristoteles), und auf der andern Seite, in der Lehre des Epikur, den ionischen Wirklichkeitssinn, von den Pythagoreern auf die Ethik übertragen, vermittelt, wie alle übrigen Teile der Philosophie, durch Demokrit. Von vornherein hatte die Stoa die größere Chance, denn der griechische Geist war nun einmal in die parmenideischen Bahnen gelenkt worden. So hat die Stoa denn auch weitaus den größten Einfluß und den größten Anhängerkreis geB 4•

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habt; diese Wirkung stieg noch durch den Eindruck, den sie auf Rom machte. Ihre zwängerischen, der Rhetorik, die in Rom einen wohlvorbereiteten Boden fand, nahestehenden Behauptungen wurden im Laufe der Zeit zur völligen Modephilosophie Roms, nachdem in der früheren Zeit der Epikureismus sich daneben in hohem Ansehen hatte halten können. Vor allem die politische Opposition der Kaiserzeit, sich rekrutierend aus den intellektuellen Kreisen, bewegte sich in ihren Gedankengängen. Im Grunde stehen wir, jetzt freilich auf dem Mutterboden symbolloser Innenethik, bei der Stoa dem gleichen Kampf gegenüber, den vormals Heraklit geführt hat — nicht ohne Grund stand ihr unter den Vorsokratikern dieser besonders nahe. Das Verbindende ist, daß ein Postulat durch einfache Behauptung zur Realität gestempelt wird. Das Vorgehen ist sehr raffiniert. Es wird nicht direkt behauptet, daß die Tugend, to xar' ¿Qerijv ^ijv das Summum bonum, also = evöaifinvCa sei, sondern, da die notwendige Voraussetzung dazu (in weiterer Entwicklung des Entelechiegedankens) die Naturgegründetheit der Tugend ist, setzen sie in Identifizierung der beiden Dinge — was aber erst zu beweisen wäre — als tfXoc, ein 6fioXoyov/ifva>g r t j yivau „in Übereinstimmung mit der Natur leben". Wir können vielleicht noch verfolgen, wie diese täuschende Behauptung erst allmählich ihre klassische Form erhalten hat. Zeno, der Schulgründer, sagte wahrscheinlich einfach /)fioXoyoi>fifvwg ^•¡¡v, was offenbar heißt: „konsequent, charaktervoll leben" (vgl. den Ausdruck ä g s r i j did&eGtg öfioXoyoVfifp^ „die Tugend ist eine konsequente Lebenshaltung" Stoic. vet. fragm. collegit Joannes ab Arnim III, 197; zum Ganzen siehe die Stelle III, 12, doch beachte auch I, 179); schon Kleanthes fügte das Wort r f j ipvaei bei, und das wird von den Späteren in mancherlei Varianten beibehalten, z. B. Chrysippos variiert es so: to xuz' IfinsiQiav r&v yvaei crvfißaivovTuiv t,rjv „das Leben in Kenntnis der natürlichen Ereignisse" (III, 4); erst Ariston von Chios, der einen besonderen Sinn für die letzten denkerischen Überbietungen und Frivolitäten mit sich bringt, erklärt: homines nasci ad virtutem capessendam „die Menschen werden geboren, um die Tugend zu erwerben" (III, 357 a). Der Vorgang ist ein ähnlicher wie bei Parmenides, wo die Existenzbetonung der Postulatswelt, der Seinsbegriff, das Sv, die ursprünglich allein wichtigen Harmonievorstellungen verdrängt, die nur noch zu scheinbar selbstverständlichen Praedikaten des Seins werden. Aus der Gleichung rfkot; = e-bdai(iov(« (besser, nach stoischer Terminologie, eßgoiu ßt'ov [z. B. Zenon I, 164 ) = ä g e r r j fließen nun ohne Ausnahme alle weiteren Aussagen über das Wesen des Glückes, den Weg zu ihm und die Eigenschaften des Glücklichen, indem mit einfachen Schlüssen diesen beiden Begriffen die ihnen mehr oder weniger zuverlässig innewohnenden Konsequenzen entlockt werden, um dann nebeneinandergestellt zu werden. Aus dem Wesen des t£\oc, od yaqiv xäXkct, ccdro d'oi'ötvbq evtxa „das Ziel, um dessen willen alles andere

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existiert, während es um keines andern Zieles willen ist" (Stobaeus ecl. II, 46 W.) folgt, daß die Tugend aiiTyv dt' rcbr^v ccfy£Ti)v elvai „nur um

ihretwillen ausgeübt w i r d " (I, 187; I I I , 3 9 ) ; daß sie air&Qxtj

elvat. nQÖg

eddat/iovCav „sich selber genüge zur Erreichung des Glückes" (III, 49);

ferner, a u f die Menschen übertragen, n&vtwc, stidaifiovstv äst tovg äyaü-ovg, tovc, di yavlovc xaxo6aifiwt.lv „ d a ß die Guten stets ganz glück-

lich, die schlechten aber stets unglücklich seien" (III, 54); daß das Glück nicht vergrößert oder verkleinert werden könne (III, 61), daß Gottesglück und Menschenglück dasselbe sei (III, 245). Der Mensch ist gleich Zeus, wenn er tugendhaft ist, wenn er aber nur eine Elle unter die Oberfläche der Tugend fällt, ist er sogleich absolut schlecht, wie ja auch der Schwimmer, der nur eine Elle weit unter die Oberfläche des Wassers gerät, nicht weniger ertrinkt, als wenn er sich auf dem Grunde des Meeres befände (III, 526): Der tcqoxötizmv, d. h. derjenige, der der Tugend nur nahekommt, ist so verworfen wie der ganz Schlechte (III, 539). Unter den Menschen gibt es keine Unterschiede weder des Geschlechtes (III, 245) noch des Standes; alle Menschen sind unter sich gleich (III, 336). Alle Gesetze dieser Welt treten zurück hinter dem Sittengesetz (III, 314). Aus dem Wesen der etidaifioricc sind die herrlichen Eigenschaften abgeleitet, die dem Tugendhaften und Vollkommenen eignen — mit forcierter, absichtlich provozierender Schärfe werden alle Glückseligkeiten, die eine gierige Phantasie sich ausmalen kann, zusammengetragen. Der „Weise" ist unberührbar für alles Leid und Unglück (III, 567 ff.); er läßt sich nicht täuschen, so wenig wie er selber andere täuscht (III, 548); er vollbringt alles, was er unternimmt, aufs vorzüglichste (III, 557 ff.); er ist reich, schön, frei (III, 589 ff.); er versteht sich auf die göttlichen Dinge so gut wie auf Politik und Staatsverwaltung ((i6voi; . . . ßaaiXmx;, (5ijrtag, nXovtiiot;, vüfio^ fnjq „ e r allein . . . ist König, Redner, K a p i t a l i s t ,

Gesetzgeber" I, 222, 223; III, 622); nicht minder ist er Kenner von Kunst und Wissenschaft (III, 645). Der Begriff der Tugend liefert seinerseits wenigstens die ganze Weite vorzüglicher Eigenschaften; der Weise ist tapfer, demütig, echt, er schiebt nichts unnötig hinaus, ist ein Kenner der Erotik und der Trinkregeln (III, 717), ja selbst Bohnen wird er am besten zubereiten können (1,217), während der Tor alle gegenteiligen Eigenschaften in sich trägt, nicht nur, wie natürlich, gottlos ist und unglücklich und ungebildet und vieles andere, sondern auch verbannt (III, 657 ff.). Alle diese Bravourstücke sind, ähnlich wie dies bei Heraklit der Fall ist, nicht ganz wörtlich gemeint; sie sind mehr Gleichnisse, mehr Ausdrucksformen für die eine Wahrheit, die Wahrheit, daß die ¿gertf Summum bonum sei; trotzdem besteht in ihnen die stoische Lehre. Sie sind derart auf die Spitze getrieben, weil sie den Zweifel nicht überzeugen, sondern überschreien wollen; in ihnen und ihrer Pflege stimmen auch alle Stoiker, Frühe und Späte, bis hinunter zu Seneca und Epiktet überein. Diese Pointierung der einzelnen Thesen ist aber nur darum möglich,

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weil sie einer unanfechtbaren gedanklichen Konsequenz aus Axiomen entspricht. Nie wird eine Kontrolle an der Wirklichkeit auch nur angestrebt. Dieser rein gedankliche und intellektualistische Zug beherrscht aber nicht nur die Zentralfrage nach dem S u m m u m bonum, sondern alle Gebiete der E t h i k , vor allem die Tugend- und Affektenlehre; das Irrationale wird, wie immer in der parmenideischen Philosophenreihe, ausgeschaltet. Unwissen und Schlechtigkeit fallen mehr oder weniger zusammen ( I I I , 256). Vor allem die Lehre von den Affekten ist ein Gebiet, das die S t o a sorgfältig ausbaute und weit über die aristotelischen Anregungen hinaus förderte, über Aristoteles hinaus, aber doch ganz in den von ihm gewiesenen B a h n e n . Das zeigt sich besonders befremdend darin, daß die S t o a auch die Aristoteles j a von ganz fremder Seite her zugekommene Lehre von den fieauTijrec, die in ihrem Relativismus der Stoa innerlichst fremd sein mußte, weiterverfolgte. Diese kreuzt sich nun, ohne eine überzeugende Verbindung eingehen zu können, mit den absoluten, logisch erschlossenen echtstoischen Ideen. Von diesen ausgehend, ist die ÖQfir/, der Trieb, eine y.o(aig yaaxql xaQi&aü-ai „in richtiger Weise dem Bauche zu Willen zu sein" (Usener, Frgm. 409; Körte, Metrodori Fragmenta Nr. 42); j a , dieser wagt es sogar zu sagen: oi>öiv

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xovg "EX).rtvaq

. . . . ä l l ' ia&Ceiv

xal

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olvov

„es

lohnt sich nicht, die Griechen zu retten . . . . sondern essen soll man und Wein trinken" (Körte Nr. 41). Dementsprechend überschüttet Epikur die Anhänger der Tugend mit Hohn und Spott: ¿y]oii, des Lebens des reinen Geistes und mystischer Teilhabe und Berührung mit Gott, einer objektiven /inovoin und cvvayet'a, bis ein an sich fremdes Gesetz, das neue Gesetz der Freiheit des Evangeliums, im Innersten der menschlichen ('.