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German Pages 459 [460] Year 2019
Georg Sabinus Fabularum Ovidii interpretatio – Auslegung der Metamorphosen Ovids
Frühe Neuzeit
Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt
Band 226
Georg Sabinus
Fabularum Ovidii interpretatio – Auslegung der Metamorphosen Ovids Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Lothar Mundt
Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung Pegasus Ltd. for the Promotion of Neo-Latin Studies
ISBN 978-3-11-062006-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-062028-3 ISSN 0934-5531 Library of Congress Control Number: 2018961735 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Vorwort
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Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg IX Fabularum Ovidii interpretatio – Auslegung der Metamorphosen Ovids Illustrissimo Principi ac Domino, Domino Alberto – Widmungsbrief an Herzog Albrecht 2 In primum librum Metamorphoseon – Zum ersten Buch der Metamorphosen 10 In secundum librum Metamorphoseon – Zum zweiten Buch der Metamorphosen 50 In librum tertium – Zum dritten Buch 74 In librum quartum – Zum vierten Buch 88 In librum quintum – Zum fünften Buch 116 In librum sextum – Zum sechsten Buch 136 In librum septimum – Zum siebenten Buch 158 In librum octavum – Zum achten Buch 186 In librum nonum – Zum neunten Buch 208 In librum decimum – Zum zehnten Buch 234 In librum undecimum – Zum elften Buch 250 In librum duodecimum – Zum zwölften Buch 268 In librum decimumtertium – Zum dreizehnten Buch 280 In librum decimumquartum – Zum vierzehnten Buch 324 In librum decimumquintum – Zum fünfzehnten Buch 344 359 Editionsbericht 1 Überlieferung 359 2 Textkonstituierung 361 3 Grundsätze der Textredaktion 367 Textkritischer Apparat 1 Eingriffe 367 2 Varianten 372 Kommentar
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365
1
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Inhalt
Literaturverzeichnis 395 1 Quellen 395 2 Forschungsliteratur 405 Index nominum
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Vorwort In mythologica Georgii Sabini Qualia Thebanae Sphingis paradoxa fuerunt, Quae dubiam verbis continuere fidem, Talia sunt veterum perplexa poëmata vatum, Quae tegit ambiguo fabula mixta sono. Oedipe, iam dudum clamavit docta iuventus, Huc ades, ingenium res cupit ista tuum. Hactenus at nemo, tenebrarum nube soluta Qui faceret sensu lucidiora, fuit, Donec Pieridum clarissima fama Sabinus, Oedipus ut nostri temporis alter, adest, Qui pariter causas, pariter primordia rerum Indicat et quid nam fabula quaeque velit. Plenum laudis opus. Quid non mens alta Sabini Perspicit? Huic aliam vix reor esse parem. IOAN. SCHOSSERUS: Carminum libellus (1558).1
Mit vorliegender kritischer Edition der allegorischen Mythen-Auslegungen des bekannten deutschen Humanisten Georg Sabinus auf der Basis der Metamorphosen Ovids wird die erste und bisher einzige wissenschaftliche Ausgabe dieses Werkes, eigentlich nur ein kritisch durchgesehener schlichter Nachdruck, erschienen 1853 als Band 19 des Corpus Reformatorum2, mit irriger Zuweisung der Autorschaft an Philipp Melanchthon, nunmehr ersetzt, unter Hinzufügung einer Übersetzung und eines knapp gefaßten Kommentars. Den Anstoß zu meinem Editionsvorhaben gab eine der Geschichte der Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit gewidmete substanzreiche Tagung im Juni 2006 in Engi (Kanton Glarus, Schweiz), veranstaltet von der dortigen Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen unter der Leitung von Hanspeter Marti und Karin Marti-Weissenbach. An dieser Tagung hatte ich mich mit einem Referat über die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg (mit breiter Berücksichtigung seiner Metamorphosen-Auslegung) beteiligt, das zusammen mit anderen Tagungsbeiträgen in einem von Hanspeter Marti und Manfred Komorowski herausgegebenen Sammelband 2008 im Böhlau Verlag
1 S. u., S. XII, Anm. 8. 2 S. u., S. X, Anm. 2 u. 5. DOI 10.1515/9783110620283-001
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Vorwort
Köln, Weimar, Wien3 erschienen ist. Da zu dem von mir seinerzeit behandelten Thema keine neueren Forschungsergebnisse vorliegen, habe ich mich entschlossen, jenen Tagungsbeitrag in leicht bearbeiteter, hier und da ergänzter und bibliographisch aktualisierter Gestalt meiner Edition als Einleitung voranzustellen. Wie vor mir schon viele andere mit der frühneuzeitlichen neulateinischen Literatur befaßte und auf diesem Gebiet als Autoren oder Herausgeber tätige Philologen konnte auch ich mich für diese Publikation eines Druckkostenzuschusses durch die Stiftung Pegasus Limited for the Promotion of Neolatin Studies erfreuen. Der Leiterin dieser Stiftung, Frau Rhoda Schnur (St. Gallen), danke ich sehr herzlich für ihre schnelle und großzügige Entscheidung in dieser Angelegenheit. – Danken möchte ich auch den Herausgebern der Reihe ‚Frühe Neuzeit‘, insbesondere den Herren Prof. Dr. Wilhelm Kühlmann (Heidelberg) und Prof. Dr. Jan-Dirk Müller (München), für ihre Bereitschaft, auch diese meine jüngste Arbeit in ihr laufendes Programm aufzunehmen. – Meinem Sohn, Felix Mundt, habe ich für seine Unterstützung bei der textkritischen Bearbeitung und Übersetzung der griechischen Zitate zu danken. Berlin-Marienfelde, im Dezember 2018
3 S. u., S. IX.
Lothar Mundt
Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg I Zur Quellenlage Georg Sabinus, eigentlich Georg Schuler (1508–1560),1 einer der berühmtesten neulateinischen deutschen Dichter des 16. Jahrhunderts und dank der nachdrücklichen Empfehlungen von Seiten seines Förderers Joachim Camerarius und seines Wittenberger Lehrers und Schwiegervaters Philipp Melanchthon seit 1544 erster Rektor der neugegründeten Universität Königsberg, daneben Inhaber der Professur für Poesie und Redekunst, hat neben seinem poetischen Werk auch eine Reihe von Prosatexten veröffentlicht: historische Abhandlungen, Reden und zwei Lehrschriften, die, ebenso wie eine Edition von Ciceros ‚Orator‘, unmitAnmerkung: Dies ist eine überarbeitete und bibliographisch aktualisierte Fassung meines ebenso betitelten Beitrags in: Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit. Hg. von Hanspeter Marti u. Manfred Komorowski unter Mitarbeit von Karin Marti-Weissenbach. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2008 (Publikation der Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen, Engi), S. 77–115. 1 Immer noch grundlegend für seine Biographie: Max Töppen: Die Gründung der Universität zu Königsberg und das Leben ihres ersten Rectors Georg Sabinus. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen dargestellt. Königsberg 1844 (mit Abdruck von Quellentexten). – Unter den neueren biographischen Darstellungen für unseren Zusammenhang von zentraler Bedeutung: Heinz Scheible: Georg Sabinus (1508–1560). Ein Poet als Gründungsrektor. In: Die Albertus-Universität zu Königsberg und ihre Professoren. Aus Anlaß der Gründung der Albertus-Universität vor 450 Jahren hg. von Dietrich Rauschning und Donata von Nerée. Berlin 1995 (Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. 29 [1994]), S. 17–31; Wilhelm Kühlmann u. Hermann Wiegand: Georg Sabinus. In: VL 1520–1620, Bd. 5 (2016), Sp. 397–407. – Übersicht über sein dichterisches Gesamtwerk bei Georg Ellinger: Geschichte der neulateinischen Literatur Deutschlands im 16. Jahrhundert. Bd. 2. Berlin, Leipzig 1929, Reprint Berlin 1969, S. 67–75. – Ergänzend hierzu noch zu erwähnen: John L. Flood: Poets laureate in the Holy Roman Empire. A bio-bibliographical handbook. Vol. 4. Berlin, New York 2006, S. 1778–1787; Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts. Lateinisch und deutsch. Ausgew., übers., erläut. u. hg. von Wilhelm Kühlmann u. a. Frankfurt a. M. 1997 (Bibliothek deutscher Klassiker 146 = Bibliothek der Frühen Neuzeit 5), S. 1240–1243; Wilhelm Kühlmann u. Werner Straube: Zur Historie und Pragmatik humanistischer Lyrik im alten Preußen. Von Konrad Celtis über Eobanus Hessus zu Georg Sabinus. In: Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit. Akten des interdisziplinären Kolloquiums in Rauschen/Swetlogorsk vom 18.–25. September 1994. Hg. von Klaus Garber, Manfred Komorowski u. Axel E. Walter. Tübingen 2000, S. 657–736; Jerzy Starnawski: Die Beziehungen des Humanisten Georg Sabinus (1508–1560) zu Polen. In: Germania latina. Latinitas teutonica. Politik, Wissenschaft, humanistische Kultur vom späten Mittelalter bis in unsere Zeit. Hg. von Eckhard Keßler u. Heinrich C. Kuhn. Bd. 1. München 2003, S. 469–481. DOI 10.1515/9783110620283-002
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telbar mit seiner elfjährigen Königsberger Professur bis zu seinem Weggang im Jahre 1555 in Zusammenhang stehen. Die Authentizität nahezu aller dieser Prosa schriften wurde von den beiden Herausgebern der Opera omnia Melanchthons innerhalb des Corpus Reformatorum2 in Zweifel gezogen; nach ihrer Auffassung war vielfach nicht Sabinus, unter dessen Namen sie im Druck erschienen sind, sondern Melanchthon der eigentliche Verfasser – weshalb sie auch in dessen Opera omnia aufgenommen wurden.3 Ausgenommen von solchen Vorbehalten blieb, soweit ich sehe, nur eine der beiden Königsberger Lehrschriften, die 1551 zuerst erschienenen und später innerhalb der erweiterten Ausgabe der ‚Poemata‘ (zuerst 1563) und auch sonst häufig nachgedruckten ‚De carminibus ad veterum imitationem artificiose componendis praecepta‘. Für die zweite, wesentlich gewichtigere Königsberger Lehrschrift, die 1555 in Wittenberg erschienene ‚Fabularum Ovidii interpretatio tradita in Academia Regiomontana‘, die im Zentrum dieser Darstellung stehen soll, hatte schon Georg Theodor Strobel in der 1781 erschienenen 5. Sammlung seiner ‚Miscellaneen literarischen Inhalts‘ die Verfasserschaft Melanchthons postuliert, unter Berufung auf eine Rede des Laurentius Ludovicus über Melanchthon.4 Heinrich Ernst Bindseil ist Strobel darin gefolgt und hat das Werk unter der Überschrift ‚Phil. Mel. Enarratio Metamorphoseon Ovidii‘ in Band 19 des Corpus Reformatorum abgedruckt.5 An der Stelle der Rede des Laurentius Ludovicus, auf die sich Strobel und Bindseil stützen, ist davon die Rede, daß Melanchthon vielen Männern aus seinem Bekanntenkreis, dar-
2 Philipp Melanchthon: Opera quae supersunt omnia. Ed. Carolus Gottlieb Bretschneider (vol. 16 sqq.: ed. Henricus Ernestus Bindseil). 28 vol. Halle a. d. S. (vol. 19 sqq.: Braunschweig) 1834–1860 (Corpus Reformatorum 1–28), Reprint New York, Frankfurt a. M. 1963. Im folgenden wie üblich zitiert mit dem Sigel CR. 3 Dies gilt für die folgenden, hier nach der Chronologie der Erstdrucke aufgeführten Schriften des Sabinus: De utilitate studiorum eloquentiae (1538). In: CR 11 (1843), Sp. 364–373; De electione et coronatione Caroli V. Caesaris historia (1544). In: CR 20 (1854), Sp. 473–514; Oratio habita […] in funere nobilissimae Dominae Dorotheae, coniugis illustrissimi Principis Alberti (1547). In: CR 11 (1843), Sp. 763–775; Narratio deliberationis Maximiliani Imperatoris Romanorum de bello Turcico (1551). In: CR 20 (1854), Sp. 453–472 (unter dem Titel ‚Exhortatio Maximiliani Caesaris ad bellum Turcis inferendum‘); Fabularum Ovidii interpretatio (1555). In: CR 19 (1853), Sp. 497–654 (unter dem Titel ‚Enarratio Metamorphoseon Ovidii‘). 4 Georg Theodor Strobel: Litterarische Nachricht von Melanchthons Declamationen. In: ders.: Miscellaneen literarischen Inhalts gröstentheils aus ungedruckten Quellen herausgegeben. 5. Sammlung. Nürnberg 1781, S. 131–180, hier S. 143 f. 5 CR 19 (1853), Sp. 497–654. Der Widmungsbrief an Herzog Albrecht wurde weggelassen. Die Abwandlung der Überschrift erfolgte im Sinne der im Corpus Reformatorum für Melanchthons Scripta philologica getroffenen Sprachregelung, nach der der Begriff interpretatio Übersetzungen vorbehalten bleibt, Scholien bzw. Kommentare hingegen durchweg unter dem Begriff enarratio erfaßt werden.
Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg
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unter auch schätzbaren Gelehrten, mit der Abfassung von akademischen Reden und diversen anderen Schriften, die dann unter deren Namen im Druck erschienen, behilflich gewesen sei. Zu der Zahl derer, die sich solcher Dienste erfreuen konnten, habe auch Sabinus gehört, der seinem alten Lehrer die „mythologias in metamorphosin Ovidii“ zu verdanken habe. Die Stelle bei Ludovicus lautet im Zusammenhang: Publice recitanda, proponenda, disputanda solus ille [Melanchthon] scripsit. Collegis multa praescripsit, neque id docti et ipsi viri turpe sibi putarunt. Vir nobilissimus D. Zieglerus, nobilis linguae hebr. Professor, Lipsia saepe veniens Witebergam petivit sibi lectiones et orationes praescribi, et musei foribus assedit, ne quis scribentem interpellaret. D. Crucigero praescripsit commentarium in Iohannem in lectione ipsius Lutheri, Froschelio, Diacono in Matthaeum; D. Milichio, viro praestantissimo, in secundum Plinii; Chytraeo regulas vitae; Sabino mythologias in metamorphosin Ovidii; D. Klingio ICto iuris methodum; Confessionem Augustanam graecam Dolscio; Orationes multis in Academia Lipsica, Francofurtana, Rostochiana, Gryphiswaldiana; aliis alia innumerabilia.6 [Öffentliche Vorträge, Bekanntmachungen und Disputationsthesen schrieb jener Mann (Melanchthon) allein. Für seine Kollegen hat er viele schriftliche Ausarbeitungen gemacht, und die Gelehrten, selbst (ausgewachsene) Männer, haben dies für keine Schande gehalten. Der hochberühmte Dr. Ziegler, berühmter Professor der hebräischen Sprache, kam oft von Leipzig nach Wittenberg, erbat sich schriftliche Ausarbeitungen für Vorlesungen und Reden und ließ sich vor der Tür der Studierstube nieder, damit niemand den Schreibenden unterbräche. Für Dr. Cruciger entwarf er, innerhalb einer Vorlesung von Luther selbst, einen Johannes-Kommentar, für den Diakon Fröschel einen Matthäus-Kommentar, für den herausragenden Dr. Milichius einen Kommentar zum zweiten Buch des Plinius; für Chytraeus verfaßte er die ‚Regulae vitae‘, für Sabinus mythologische Erläuterungen zu den Metamorphosen Ovids, für den Rechtsgelehrten Dr. Kling eine Methodik des Rechts, für Dolscius fertigte er eine griechische Übersetzung des Augsburgischen Bekenntnisses, für viele Dozenten an den Universitäten Leipzig, Frankfurt, Rostock und Greifswald schrieb er Reden, und Sonstiges ohne Zahl schrieb er für andere Personen.]
Mir scheint dieser Passus wenigstens im Falle des Sabinus (die anderen entziehen sich meiner Beurteilung) eine so weitgehende Auslegung nicht zu erlauben. Das Verb ‚praescribere‘, das Ludovicus hier benutzt, erlaubt auch eine eingeschränktere Deutung, etwa in dem Sinne, daß Melanchthon Sabinus Hinweise oder Materialien zum Verständnis einzelner Partien von Ovids Metamorphosen geliefert hat. Zudem sprechen auch die Angaben über die Drucklegung der ‚Fabularum Ovidii interpretatio‘, die Sabinus in dem von Bindseil weggelassenen Widmungsbrief an Herzog Albrecht von Preußen macht, gegen eine Verfasserschaft Melanchthons im strikteren Sinne. Ein nicht unwichtiges Zeugnis für die Verfas6 Zitiert nach ebd., Sp. 497 f.
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serschaft des Sabinus liefert sein Schüler Johannes Schosser (1530–1585)7 mit seinem drei Jahre nach der ‚Fabularum Ovidii interpretatio‘ erschienenen Gedicht ‚In mythologica Georgii Sabini‘,8 in dem er Sabinus rühmt, der erste zu sein, der in der Lage gewesen sei, Licht in die Dunkelheit der Sagenwelt der alten Dichter zu bringen. Ebenso wie Ann Moss, der wir zwei sehr sachkundige Analysen des Werkes im Rahmen der Geschichte der Ovid-Kommentierung seit dem späten Mittelalter zu verdanken haben,9 sehe also auch ich keine reale Grundlage für eine Zuschreibung an Melanchthon10 und gehe (wie übrigens auch schon der immer noch maßgebliche Sabinus-Biograph Max Töppen11) davon aus, daß wir es hier in der Tat mit einer Schrift des Sabinus selbst zu tun haben, mag auch das eine oder andere Element darin von Melanchthon beigesteuert worden sein. Nur nebenher sei bemerkt, daß die Argumente der Herausgeber des Corpus Reformatorum für die Zuschreibung anderer Schriften von Sabinus an Melanchthon nicht von besserer Überzeugungskraft sind; sie sind noch oberflächlicher und vermutlich nicht unbeeinflußt von gewissen Vorurteilen gegenüber der Persönlichkeitsstruktur des Sabinus, die als fest verankerte Gemeinplätze die Sabinus-Forschung von altersher geprägt haben.12
7 Über ihn siehe meinen Artikel in: VL 1520–1620, Bd. 5. (2016), Sp. 552–564. 8 Ioannes Schosserus: Carminum libellus. Wittenberg: Haeredes Georgii Rhaw 1558, Bl. B5r– B5v; Nachdruck in: ders.: Poëmatum libri XI. Frankfurt a.O.: Andreas Eichorn 1585, Bl. Q3v (mit leicht veränderter Überschrift; „In mythologiam Georgii Sabini“). – Text s. o., Vorwort, S. VII. 9 Ann Moss: Ovid in Renaissance France. A survey of the Latin editions of Ovid and commentaries printed in France before 1600. London 1982 (Warburg Institute Surveys 8), S. 48–53; Latin commentaries on Ovid from the Renaissance. Selected, introduced and translated by Ann Moss. Signal Mountain, Tenn. 1998 (Library of Renaissance humanism), S. 143–158. 10 Der auf die Herausgeber des Corpus Reformatorum zielenden Bemerkung von Moss (Ovid in Renaissance France [Anm. 9], S. 85, Anm. 72) kann ich daher nur zustimmen: „Sabinus’ interpretation of the Metamorphoses has been attributed to Melanchthon; […]; there seems no real ground for this.“ 11 Töppen: Die Gründung (Anm. 1), S. 263–279 (ausführliche, in der Tendenz positive Besprechung von Sabinus’ Metamorphosen-Interpretation, mit stillschweigender Voraussetzung seiner Verfasserschaft). 12 Typisch für die Art der Beurteilung der Persönlichkeit des Sabinus ist z. B. die folgende Stelle bei Töppen: Die Gründung (Anm. 1), S. 143: „Melanchthon gefiel sich in der Zurückgezogenheit des scholastischen Lebens; Sabinus suchte Glanz, Ruhm und Ehre im Vordergrunde der Bühne des Lebens. Feierlicher Ernst breitete sich über alles, was Melanchthon angriff; Sabinus erfasste in allem mehr die heitere und fröhliche Seite.“ Dieser Tenor beherrscht auch noch die Darstellung Scheibles: Georg Sabinus (Anm. 1) (s. hier z. B. besonders S. 17 u. 22). Zu dem eher negativen Persönlichkeitsbild, das von Sabinus in der Forschungsliteratur gezeichnet wird, hat in starkem Maße der unglückliche Verlauf seiner Ehe mit Melanchthons Tochter Anna beigetragen.
Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg
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Kein Zweifel kann jedenfalls daran bestehen, daß sowohl die MetamorphosenInterpretationen als auch ‚De carminibus […] artificiose componendis praecepta‘ aussagekräftige Dokumente der Lehrtätigkeit des Sabinus sind. Von dieser finden sich auch Spuren in seinen ‚Poemata‘, und zwar in Gestalt von vier versifizierten Vorlesungsankündigungen. Mit deren einer, einem Epigramm von fünf Distichen, kündigt Sabinus für das bevorstehende Semester Vorlesungen über Ciceros Philippische Reden und Ovids Metamorphosen an.13 Obwohl das Gedicht nicht datiert ist, gehört es zweifellos in die Königsberger Zeit: Hinsichtlich Ovids dürfte dies eine der Vorlesungen sein, aus denen die ‚Fabularum Ovidii interpretatio‘ hervorgegangen ist, und was Cicero angeht, so wissen wir aus einer Mitteilung Töppens, daß es zu seiner Zeit, also um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in Königsberg noch ein Autograph mit Notizen des Sabinus zu seinen Erläuterungen der 1. Philippischen Rede gegeben hat.14 Ebenfalls in die Königsberger Zeit scheint ein Gedicht von 24 Hendekasyllaben zu gehören, mit dem Sabinus eine Vorlesung über Ciceros ‚Orator‘ ankündigt,15 denn 1546 ließ er in Königsberg eine mit einer „Praefatio de argumento huius libri et utilitate“ versehene Ausgabe dieses Textes als Grundlage für seine Vorlesung erscheinen.16 Eine dritte Vorlesungsankündigung in Gedichtform, Ovids Heroides betreffend,17 gehört eindeutig in die Zeit vor oder nach dem Wirken des Sabinus in Königsberg, also nach Frankfurt an der Oder, da ganz am Anfang auf eine am Ufer der Oder gelegene Akademie als Ort der Lehrveranstaltung hingewiesen wird. Ob die vierte versifizierte Vorlesungsankündigung in des Sabinus ‚Poemata‘, zu Ciceros ‚De legibus‘ und seinen Catilinarischen Reden,18 in die Frankfurter oder in die Königsberger Zeit gehört, ist nach gegenwärtigem Informationsstand nicht zu entscheiden.
13 Georgius Sabinus: Poëmata […] et numero librorum et aliis additis aucta et emendatius denuo edita [Hg.: Eusebius Menius]. [Leipzig]: in officina Voegeliana [1563], S. 286 („In Philippicas Ciceronis er Ovidii libros Metamorphoseôn“). 14 Töppen: Die Gründung (Anm. 1), S. 279. 15 Sabinus: Poëmata (Anm. 13), S. 321 („In Oratorem Ciceronis“). 16 M. T. Cicero: Ad Brutum orator. G. Sabini praefatio de argumento huius libri et utilitate. Anno 1546 mense Maio. [Kolophon:] In Academia Regiimontis excudebat Iohannes Weinreich. – Titel angabe nach Töppen: Die Gründung (Anm. 1), S. 5, Nr. 17. Einen Standortnachweis für eine deutsche oder ausländische Bibliothek vermag ich nicht zu geben. Töppen muß aber ein Exemplar in der Hand gehabt haben, denn er schreibt (ebd., S. 279): „Die Ausgabe des Redners von Cicero ist nur ein Textesabdruck, den Sabinus hier in Königsberg für seine Vorlesungen veranstaltete.“ 17 Sabinus: Poëmata (Anm. 13), S. 319–321 („In Heroidas Ovidii“). 18 Ebd., S. 337–339 („In libros de legibus et orationes Catilinarias Marci Tullii Ciceronis“).
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Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg
II Die Metamorphosen-Interpretation 1 Erläuterung der Zielsetzung in Widmung und Vorwort Sabinus gab das Manuskript seiner Metamorphosen-Interpretation 1554 in Wittenberg in Druck.19 Ungefähr ein Jahr später verließ er die Universität Königsberg aufgrund religiöser Differenzen mit seinem Landesherrn, Herzog Albrecht von Preußen, im Gefolge des Osiandrischen Streits und kehrte an seine frühere Wirkungsstätte, die Universität Frankfurt an der Oder, zurück. Die auf den 13. Juni 1554 datierte Widmung an Herzog Albrecht könnte, wie Töppen vermutete, ein Versuch gewesen sein, diesen „günstiger zu stimmen und gleichsam zu einiger Nachsicht zu zwingen“.20 Wie der abschließende Passus, mit dem Sabinus die Dedikation an den Herzog explizit begründet, deutlich erkennen läßt, ging es ihm mit der Publikation seiner Ovid-Interpretation offenbar hauptsächlich darum, Vorwürfen entgegenzutreten, die auf die Qualität seiner Lehrtätigkeit zielten. Er schreibt nämlich:21 Ideò verò, Illustrissime Princeps, in hac editione ad Celsi T scripsi, ut specimen ostendam, unde iudicari posset de meo consilio in docendo et de diligentia mea, quam et Celsitudini tuae et omnibus prudentibus et honestis semper probari volui, ac me et haec nostra studia Tuae Celsitudini reverenter commendo.22 [Ich habe aber, durchlauchtigster Fürst, in vorliegender Publikation Deiner Hoheit deshalb geschrieben, um ein Musterbeispiel vorzuführen, von dem her die Grundtendenz meiner Lehrtätigkeit beurteilt werden kann, auch meine Gewissenhaftigkeit, an deren positiver Beurteilung durch Deine Hoheit und alle einsichtigen und ehrenwerten Persönlichkeiten mir allzeit gelegen war. Und so empfehle ich mich und diese meine Studien Deiner Hoheit mit Ehrerbietung.]
Unmittelbar davor erläutert er die äußeren Umstände und eher praktischen Erwägungen, die zur Publikation seines Werkes geführt hätten:
19 Dies geht aus dem Datum der Widmung an Herzog Albrecht (13. Juni 1554) hervor. Das Werk erschien dann 1555 bei Georg Rhaus Erben. In älteren Bibliographien wird 1554 als Erscheinungsjahr der Editio princeps angegeben (Näheres hierzu s. Editionsbericht, S. 359, Anm. 1). 20 Töppen: Die Gründung (Anm. 1), S. 222. 21 Verweise auf die Metamorphosen-Auslegung erfolgen mit Angabe des Buches (in römischen Ziffern), gefolgt von Kapitel- und ggf. Zeilenzahl unserer Ausgabe (in arabischen Ziffern). Auf den Widmungsbrief wird mit dem Kürzel D und der Zeilenzahl verwiesen. 22 D 83–87.
Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg
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Quanquàm autem hae nostrae interpretationes non sunt omnes à me accuratè scriptae, pleraeque etiam obiter in schola tantum commemoratae et ab auditoribus avidè exceptae sunt, tamen, quia iam in multorum manibus circumferebantur, ne qui aliena assuerent, edi eas passus sum.23 [Obwohl aber diese unsere Auslegungen von mir nicht durchweg in sorgfältig ausgearbeiteter Form geschrieben worden sind, sehr vieles in der Schule auch nur beiläufig erwähnt und von den Hörern begierig nachgeschrieben wurde, habe ich dennoch, weil sie schon in den Händen vieler herumgegangen waren, ihre Veröffentlichung zugelassen, damit nicht irgend jemand nicht Dazugehöriges anflickte.]
D. h. also, daß dem Manuskript der Satzvorlage eine von Sabinus allenfalls einer letzten Durchsicht unterzogene Vorlesungsnachschrift zugrunde gelegen haben muß. Die Formulierung „hae nostrae interpretationes non sunt omnes à me accuratè scriptae“ ist zweideutig. Sie kann besagen, daß Sabinus in seinen Vorlesungen nicht alle Sagen mit der gleichen Ausführlichkeit behandelt habe und sich dies auch in der verwendeten Nachschrift bemerkbar mache. Ich halte diese Deutung für wahrscheinlicher als die andere, die der Wortlaut ebenso zuließe: daß nämlich Sabinus einige Auslegungen von Verwandlungsgeschichten in seinen Vorlesungen nur beiläufig erwähnt habe und deren ausführlichere Ausarbeitungen, wie sie jetzt in der Publikation vorlägen, von fremder Hand, also wohl von der eines seiner Hörer, stammten. Der Hauptteil der Widmung besteht aus einer ausführlichen Begründung der Wahl des Stoffes und der Darlegung der Methodik der Interpretation und ihres didaktischen Nutzwertes. Sabinus beginnt mit dem Hinweis auf eine Stelle in den Argonautica von Apollonius Rhodius, der man entnehmen könne, „daß die Poesie in alter Zeit die Lehre von dem Ablauf aller Zeitalter, die Darstellung der Geschichte der Welt und der bedeutendsten Veränderungen innerhalb der wichtigsten Königreiche gewesen sei und daß in die Geschichtsdarstellung eingewoben gewesen sei die Lehre von Gott, von der Gerechtigkeit und den Bestrafungen des Unrechts“ („veterem poëticam fuisse doctrinam de serie omnium temporum et historiam mundi et maximarum mutationum in praecipuis regnis, et historiae intextam fuisse doctrinam de Deo, de iusticia et de poenis iniusticiae“).24 Da die Kenntnis des Geschichtsverlaufs, soweit man ihn kennen könne, von Nutzen sei, habe Ovid mit den Metamorphosen die Absicht verfolgt, die Darstellung der Weltgeschichte bis zu seiner eigenen Zeit fortzuführen; das Werk sei daher
23 D 80–83. 24 D 9–11.
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Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg
gewissermaßen ein „chronicon“.25 Obwohl er, Sabinus, den jungen Leuten dieses Werk „wegen der lateinischen Sprache und der Art der Verse“ („propter linguam Latinam et genus versuum“)26 vorlege, gestalte sich doch die Lektüre angenehmer, wenn man dabei auch seine Gedanken den Absichten des Dichters, den behandelten Sachgegenständen und dem Geschichtsverlauf zuwende. Die historische Perspektive sei auch deshalb von besonderem Nutzen, weil man aus dem Vergleich der Geschichtsschreibung der alten Griechen mit der Lehre der Kirche über den Gang der Geschichte die Wahrheit letzterer erkenne und sie so um so mehr lieben lerne. Die hier gelieferten Interpretationen der Geschichten Ovids seien teils historisch, teils moralisch ausgerichtet, weil das Altertum beides auf vielerlei Gebieten miteinander vermischt habe. Die Möglichkeit, an einzelnen Sagenkomplexen historische mit moralischer Interpretation zu verbinden, exemplifiziert Sabinus an den Kyklopen, an Bellerophontes und an Orion. Mögen solche Interpretationen, so fährt Sabinus fort, auch nicht gleichermaßen stimmig sein, so sind sie doch für die jungen Leute nützlich, vorausgesetzt, daß man klug und differenziert zu Werke geht, daß man keine ungereimten, naturwidrigen oder weithergeholten Auslegungen ersinnt und nicht Heiliges mit Profanem vermengt, sondern die Absichten der Autoren im Auge behält, die spezifischen Quellen der einzelnen Stoffe in Betracht zieht und ihrer Nutzanwendung bestimmte Grenzen setzt. Solche Sorgfalt bei der Suche nach gut passenden und der Vermeidung naturwidriger Bezugnahmen und bei der Einhaltung des rechten Maßes kann für die Schulung der Urteilsfähigkeit der jungen Leute großen Nutzen bringen. Wenn sie sich nämlich an eine solche Schulung gewöhnt haben, werden sie später um so mehr Umsicht walten lassen bei der Auslegung der Lehre der Kirche und keine Spielereien mit unangemessenen, abgeschmackten und absurden Allegorien betreiben, wie es einst Origenes und die Mönche getan hätten, die unterschiedslos alle Stoffe in ganz beliebige Figuren gekleidet hätten. So gefährlich aber eine derartige Willkür sei, so könnten doch kunstgerechte Allegorien, am rechten Ort angewandt, einen wichtigen und angenehmen Zierat bilden und auch als Gedächtnisstützen dienen. Eine weitere, ausführlichere und differenziertere Erläuterung der Grundsätze seiner Ovid-Interpretation bietet Sabinus in der Einführung, die den Interpretationen zum 1. Buch der Metamorphosen vorangestellt ist. Diese beginnt mit der Feststellung einer grundsätzlichen Identität von Dichtung und Philosophie:
25 D 29. 26 D 20.
Einleitung: Die Lehrtätigkeit des Georg Sabinus an der Universität Königsberg
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Poetica nihil aliud est nisi philosophia numeris et fabulis concinna, qua honestarum artium doctrina et praecepta de moribus illustrata regnorum exemplis continentur.27 [Die Poesie ist nichts anderes als eine durch Versmaße und dichterische Erfindungen gefällig gestaltete Philosophie, in der die Lehre ehrbarer Künste und Moralvorschriften, erhellt durch Beispiele von Königreichen, enthalten sind.]
Wie nämlich Cicero in den Tusculanen bezeuge, waren in der Frühzeit des griechischen Altertums die Dichter die ersten Gelehrten. Diese hätten, um die Menschen ihren Belehrungen zugänglich zu machen, zwei Lockmittel benutzt: die Süßigkeit der Verse und die Erfindung von Geschichten. Dies meine Horaz, wenn er sage (Ars poet. 333): „Et prodesse volunt et delectare poetae.“ Da also die Dichtung dieselbe Lehre verkünde wie die Philosophie, steckten die Geschichten der Dichter zweifellos voller Weisheit und Gelehrsamkeit – seien sie doch von Menschen ersonnen, die ihr ganzes Streben auf Wissenserwerb und Weisheit ausgerichtet hätten. Wie nämlich an Weinstöcken die schönsten und süßesten Trauben unter dem Weinlaub verborgen seien, so seien in der Poesie die nützlichsten Dinge mit den Hüllen von Erdichtungen bedeckt, und es gebe so gut wie keine alte poetische Erfindung, die nicht etwas enthalte, was aus der Geschichte, der Naturkunde oder der Moralphilosophie entlehnt sei. Deshalb habe Erasmus zu Recht gesagt, die Poesie sei ein Kuchen, angefüllt mit Köstlichkeiten aus Wissenschaften jeder Art („poëticam esse placentam deliciis conditam ex omni disciplinarum genere“).28 Ovids Metamorphosen-Werk enthalte gleichsam gebündelt eine hervorragende Auswahl von Erfindungen aller Dichter, in denen anschauliche Beispiele göttlichen Wohlwollens und Zorns und anschauliche Bilder des ganzen Menschenlebens und seiner Beschaffenheit vorgeführt würden. Der Autor verfolge dabei den Verlauf der Geschichte vom Anfang der Welt bis zu seiner eigenen Zeit und lehre damit, daß nichts im Menschenleben zufällig geschehe, sondern daß alles von Gott gelenkt werde. Die göttliche Lenkung der Welt begünstige fromme und ehrbare Handlungen, bestrafe aber Verbrechen mit verschiedenen Lebenskatastrophen, ganz besonders aber die Verachtung der Religion, die oft die Vernichtung ganzer Völker, Städte und Geschlechter durch Krieg, Pestilenz und andere
27 I,1, 3–5. 28 I,1, 21–22. – Das Erasmus-Zitat ist aus Buch 2 des Werkes ‚Ecclesiastes, sive De ratione concionandi‘; es lautet in wörtlicher Wiedergabe: „Siquidem vera poesis nihil aliud est quam ex omnium disciplinarum delitiis ac medullis condita placenta aut, ut melius dicam, ex electissimis quibusque flosculis compositum mellificium.“ (Desiderius Erasmus Roterodamus: Opera omnia V-4. Amsterdam 1991, S. 258, Z. 260–263).
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schwerste Übel zur Folge hätte. Außer solchen der Geschichte entnommenen Lebensexempeln enthielten Ovids Metamorphosen eine solche Fülle von astronomischem und naturkundlichem Wissen, so viele Namen und Beschreibungen von Regionen, Ortschaften, Städten, Bergen und Flüssen, daß man an ihm zu einem großen Teil Geographie, Astronomie und Naturlehre studieren könne.29 Ovids Dichtung sei somit nicht nur zu oberflächlicher Unterhaltung bestimmt, sondern stelle einen Schatz der Gelehrsamkeit dar, dessen Lektüre erstens zur rechten Lebensführung anleite, indem uns seine Exempla zur Tugend einlüden und von der Schlechtigkeit abrieten, und uns zweitens in eine Vielzahl von Wissensgebieten einführe. Darüber hinaus biete das Werk noch anderweitigen Nutzen, vor allem aber den, daß es die Studenten der Beredsamkeit in das vollständige System der Redekunst einführe. Es sei ein vollkommenes Muster einer kunstgerechten Disposition auch der disparatesten Ergebnisse der Inventio in verschiedenen Themenfeldern und Stoffgebieten; es demonstriere, wie Gegenstände durchsichtig, wortreich und gefällig dargestellt werden könnten. Bewundernswert sei seine Mannigfaltigkeit an Figuren, Affektdarstellungen und Sentenzen.
2 Inhalte und Aspekte der Metamorphosen-Interpretation Sabinus bietet in seiner Interpretatio keine Vers-zu-Vers-Kommentierung, son dern bespricht nach und nach, in der Reihenfolge der einzelnen Bücher der Metamorphosen, die darin enthaltenen Episoden, aber auch spezifische Einzelaussagen bestimmter Versgruppen oder Einzelverse unter Aspekten, die ihm von Fall zu Fall vorrangig erscheinen. Intensität und Ausführlichkeit der Einzelbesprechungen können sehr unterschiedlich sein. Manche Sagenstoffe werden auf mehreren Druckseiten abgehandelt (z. B. die Geschichte Phaethons: II,1), manche auch nur eines einzigen Satzes gewürdigt (z. B. die Verwandlung der Aglauros in einen Stein: II,17). Der Originaltext selbst wird nicht mitabgedruckt, die parallele Benutzung einer Textausgabe also vorausgesetzt. Oft wird aber ein expliziter Textbezug hergestellt durch Zitation eines oder zweier Verse am Anfang einer Einzelinterpretation, in die zuweilen zur Illustration bestimmter Auslegungen auch hin und wieder längere Textpassagen eingebaut werden.
29 Ähnlich wurde auch das Studium der Werke Vergils begründet. Siehe dazu meinen Aufsatz über die Vorlesungsankündigungen zu Vergils „Aeneis“ von dem Sabinus-Schüler Johannes Bocer: Lothar Mundt: Johannes Bocers Ankündigungen von Aeneis-Vorlesungen an der Universität Rostock 1560–1563. Ein Beitrag zur akademischen Vergil-Rezeption im 16. Jahrhundert. In: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 25 (2001), S. 103–121.
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Sehr oft beruft sich Sabinus für einzelne Auslegungen auf Autoritäten und Gewährsleute, neben antiken Autoren und Kirchenvätern vor allem – was im Hinblick auf seinen Bildungsgang nicht verwunderlich ist – auf italienische Humanisten. Von diesen nennt er besonders häufig Iovianus Pontanus, des weiteren, in der Reihenfolge ihrer ersten Nennung und in verschiedenen Zusammenhängen, Iacobus Sadoletus, Angelus Polizianus, Petrus Gravina, Laurentius Valla, Caelius Calcagninus, Petrus Bembus, Hieronymus Cardanus, Lazarus Bonamicus (bei ihm hat Sabinus, wie er in X,8 mitteilt, in Italien Vorlesungen gehört), Giovanni Boccaccio, Baptista Mantuanus, Claudius Marius Aretius, Marcellus Palingenius. Oft wird auf Erasmus von Rotterdam Bezug genommen. Von deutschen Gelehrten des 16. Jahrhunderts werden nur wenige und diese meist auch nur vereinzelt angeführt. Alle gehören dem engeren Umfeld des Autors an; es sind, ebenfalls in der Reihenfolge ihrer ersten Nennung: Joachim Camerarius, Johannes Dantiscus, Vitus Winshemius, Philipp Melanchthon und Martin Luther. Die einzelnen Sagenkomplexe werden, wie in der Einführung angekündigt, moralisch, historisch und naturkundlich gedeutet, wobei manchmal nur einer dieser drei Deutungsaspekte zur Geltung kommt, oft aber zwei oder auch alle drei, wie es sich von den Deutungstraditionen jeder Sagenepisode gerade anbot, miteinander kombiniert werden. In Sabinus’ Darstellung dominiert eindeutig die für das Literaturverständnis des 16. Jahrhunderts ohnehin wesentliche, zudem von seinen Vorläufern in der Metamorphosen-Interpretation bereits intensiv ausgearbeitete moralische Auslegung. Für sie möchte ich aus der großen Fülle einige markante Beispiele anführen. Daß Pallas bewaffnet sei, bedeute, daß Weisheit ohne Macht nichts wert sei – und vice versa (II,15). Das schlimme Ende der Beziehung von Jason und Medea beweise, daß auf einer Ehe, die gegen den Willen der Eltern geschlossen werde, kein Segen ruhe (VII,13), ebenso wie auch der Tod von Pyramus und Thisbe eine Strafe für den Ungehorsam gegenüber ihren Eltern sei (IV,6). Jupiters Erfolg als Goldregen bei Danae belege, daß sich mit Gold jeder Widerstand überwinden lasse (IV,24). Pygmalions Geschichte lehre, daß eine züchtige Frau von Gott gegeben werde und von ihm zu erbitten sei (X,11). Die Gorgonen seien zu deuten als Wollüste und Reize, durch die dumme Menschen gleichsam in Steine verwandelt würden; sie seien zu besiegen mit dem Schild der Pallas und dem Schwert Merkurs, d. h. mit Klugheit (IV,29). Historisch von größerem Interesse sind hier die zahlreichen aktualisierenden Parallelen, die in zeitkritischer Absicht gezogen werden. So könne man in der Aussaat der Drachenzähne durch Cadmus ein Bild für die Zwietracht heutiger Fürsten und die Gefahren von Bürgerkriegen sehen (III,1). Actaeons Verwandlung in einen Hirsch zeige, daß Fürsten, die ständig der Jagdleidenschaft frönten, ihre menschliche Natur verlören (III,3). Die meisten Fürsten und Könige seien
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so ungebildet wie Midas; auf sie sei dessen Geschichte eigentlich gemünzt. Es gebe aber auch Ausnahmen wie König Salomo und Ubaldus Feretrius, Herzog von Urbino, der bereit gewesen sei, all seinen Reichtum für die Weisheit hinzugeben (XI,4). In dem Schilfrohr, das durch sein Flüstern des Midas Eselsohren verriet, könne man ein Sinnbild für die Schriftsteller sehen, die die Verfehlungen von Fürsten der Nachwelt überlieferten (XI,5). Die Auseinandersetzung zwischen Ajax und Odysseus versinnbildliche den Widerstreit von militärischen und zivilen Tugenden (arma und toga: XIII,1), der sich in neuerer Zeit fortsetze in der Verachtung der Gelehrten von Seiten des Ritterstandes, zu der Sabinus einen diesen Stand ironisierenden Ausspruch Luthers anführt (XIII,2,352–356). Die Mahnung Apollos an Paris (Met. 12,601–603), er solle im Kampf um Troja seine Pfeile nicht auf unbedeutende Griechen, Kämpfer aus dem einfachen Volk, verschwenden, sondern sich Achilles zum Ziel nehmen, könne man heutzutage als eine Mahnung an die Fürsten lesen, ihren Ruhm nicht im Hinmetzeln armer Bürger zu suchen, sondern im Kampf gegen die Türken, zum Ruhme Gottes und zur Verteidigung des Glaubens (XII,11). Die inzestuöse Liebe der Byblis zu ihrem Bruder habe eine moderne Parallele in der Liebe Papst Alexanders VI. Borgia zu seiner Tochter Lucretia (IX,22). Wie einst vor dem Tyrannen Pyreneus seien die Musen im Schmalkaldischen Krieg auf Flügeln, d. h. mit göttlicher Hilfe, aus Wittenberg und Leipzig geflohen, hätten so überlebt und später ihre alten Sitze dort wieder eingenommen (V,3). Bei derlei Aktualisierungen, in denen Fürsten- und Adelskritik besonders deutlich hervortritt,30 begibt sich Sabinus zuweilen auch auf das Feld der Literaturkritik. So habe man unter den Elstern, in die die Töchter des Pierus verwandelt wurden, einfältige und arrogante Verseschmiede und Poetaster zu verstehen wie z. B. Doletus (Etienne Dolet),31 der den um die Literatur hochverdienten Erasmus mit läppischen und schmutzigen Versen heimgesucht habe (V,2). In Phaethon könne man ebenso einen seine Kräfte überschätzenden Fürsten sehen (wie z. B. Ludovico Sforza, der in dem Krieg, den er aus Macht30 Vgl. hierzu vor allem die Kapitel XII,10 u. 11. In XII,10 verweist Sabinus bei der Besprechung des Gastmahls der Lapithen und Kentauren, mit dem Trunkenheit und daraus entspringende Gewalttätigkeit angeprangert würden, auf einen ihm bekannten zeitgenössischen Vorfall im Gebiet von Thüringen und Franken: Ritter, die zu einer Hochzeit geladen gewesen seien, hätten im Zustand der Trunkenheit zu den Waffen gegriffen und den Bräutigam mitsamt seinen Verwandten und Gevattern erschlagen. ‚Centaurus‘ war in der Frühen Neuzeit ohnehin ein gern gebrauchter Spottname für ungebildete Angehörige des Adels. Gleich im nächsten Kapitel (XII,11) wirft er gar den Fürsten vor, daß sie dazu neigten, Bürgerkriege anzuzetteln und in deren Verlauf unschuldige Bürger und Bauern niederzumetzeln (die Bezugnahme auf die Ereignisse des deutschen Bauernkriegs ist unverkennbar). 31 Vgl. die gegen Doletus als Dichter gerichteten polemischen Epigramme in Sabinus’ Poëmata (Anm. 13), S. 286 f.
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streben mit Hilfe der Franzosen in Italien entfacht habe, untergegangen sei) wie einen übermäßig ehrgeizigen Gelehrten, der sich an Projekte mache, die seine Kräfte überstiegen; in diesem Sinne sei Angelus Polizianus von einem Kardinal aus Pavia zurechtgewiesen worden, als er sich anheischig gemacht habe, Homer ins Lateinische zu übersetzen (II,2). Soweit der Aspekt der moralischen Auslegung. Das Prinzip der historischen Auslegung besteht darin, daß ein Sagenstoff auf eine sehr rationalistische Weise, etwa so, wie man es noch von den Artikeln des mythologischen Lexikons von Benjamin Hederich32 kennt, auf einen aus verschiedenen Gründen sachlich verzerrt überlieferten oder auch allegorisch oder sinnbildlich verkleideten realhistorischen Gehalt zurückgeführt wird. Auch hierfür einige Beispiele: Europa wurde eigentlich nicht von dem in einen Stier verwandelten Gott Jupiter geraubt, sondern von den Kretern auf einem Schiff, auf das ein Stier gemalt war, nach Kreta, zu dessen König, der Jupiter hieß, verschleppt (II,18). – Das Goldene Vlies, das die Argonauten raubten, war eigentlich nur ein Goldschatz, denn die Gegend um Kolchis war reich an Gold. Das Motiv der Argonauten war das gleiche wie das der Spanier, die in neuerer Zeit Gold aus (West-)Indien holten (VII,5). – Ähnlich verhält es sich mit den goldenen Äpfeln im Garten des Atlas. Diese versinnbildlichen den Goldreichtum Mauretaniens, dessen König der historische Atlas war, und nichts anderes als Gier nach Gold hat tatsächlich den Besuch des Perseus bei Atlas motiviert – so wie Kaiser Karl V. durch die Spanier (west-)indisches Gold hat rauben lassen (IV,26). – Der Stier, mit dem die kretische Königin Pasiphae Unzucht getrieben haben soll, war eigentlich, wie Plutarch und Servius bezeugen, ein Liebhaber, der Taurus hieß (VIII,2). – Daß die Stadtmauern Trojas von Apollo und Neptun gebaut worden sind, ist laut Boccaccio nur eine bildliche Umschreibung dafür, daß Laomedon zu ihrer Finanzierung Gold aus den Tempeln dieser beiden Götter verwendet hat. Man kann damit auch den Brauch deutscher Städte vergleichen, beim Bau von Stadtmauern Steine von Grabmälern zerstörter Friedhöfe zu verwenden (XI,6). – Die Kyklopen waren eigentlich sizilische Räuber. Die Mär von dem einen Auge, das sie auf der Stirn trugen, wurde wahrscheinlich veranlaßt durch die Helme dieser Räuber: solche nämlich, die das Gesicht bedeckten und in Augenhöhe ein Loch zum Durchsehen hatten (XIII,11). – Virbius war nicht wirklich der wiederauferstandene Hippolytus, sondern ein Betrüger, der im Auftrag von Diana-Priestern handelte, die damit ihre Kultstätte interessant und attraktiv machen wollten. Ähnliche Betrüger gab es auch in jüngster Zeit. So wurde im Jahre 1547 in einer verfallenen Burg ein ganz verwahrloster Mann auf-
32 Benjamin Hederich: Gründliches mythologisches Lexicon […]. Leipzig 1770, Reprint Darmstadt 1996.
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gefunden, der behauptete, er sei Kaiser Friedrich II. und werde das Reich reformieren (XV,9). Solcherlei gewissermaßen aufklärerische historische Auslegungen nehmen aber gegenüber den moralischen eher eine Randposition ein und werden oft mit diesen verknüpft oder ihnen an die Seite gestellt, wie z. B. bei der Sage von der Errichtung der trojanischen Stadtmauer durch Neptun und Apollo, die man nicht nur als Metapher für die Finanzierung des Baus durch Tempelraub lesen müsse, sondern auch als Mahnung verstehen könne, daß sich ein mächtiges Staatswesen nur durch göttliches Wohlwollen entwickeln könne (XI,6). Eine untergeordnete Rolle spielen ihrer Zahl nach auch die naturkundlichen Erläuterungen, von denen ich ebenfalls ein paar Beispiele anführen möchte: Die Erlegung des nach der Sintflut von der Erde hervorgebrachten Python-Drachens durch Apollo ist ein Bild für die Kraft der Sonne bei der Austrocknung des Sumpfes, den die Flut hinterlassen hatte (I,19). – Daß die Behausung der Invidia als öde und kalt dargestellt wird, geht zurück auf die Lehre der Mediziner, daß Kälte des Blutes eine physiologische Voraussetzung für die Entstehung des NeidAffektes sei (II,16). – Der mit Augen übersäte Argus ist ein Bild für den gestirnten Himmel, seine Tötung durch Merkur ein Sinnbild für das Verblassen der Sterne bei Aufgang der Sonne (I,25). Die Geschichte von Argus bietet ein schönes Beispiel für die Kombination des naturkundlichen mit dem moralischen Deutungsaspekt. Wendet man letzteren an, so vermittelt die Tötung des Argus durch Apollo die Lehre, daß auch ein sehr umsichtiger Mensch durch verschlagene Beredsamkeit übertölpelt werden könne. Diese Art von Beredsamkeit verkörpere Merkur, dessen Flügelschuhe zudem ein Sinnbild der Beweglichkeit (‚volubilitas‘) der Zunge eines guten Redners seien, während sein Zauberstab die Gewalt der Beredsamkeit repräsentiere, die die Geister der Menschen anlocke und antreibe (I,25,489–493). Der hiermit angesprochene rhetorisch-sprachliche Deutungsaspekt der Ankündigung, in Sabinus’ Einführung der vierte nach den drei bereits besprochenen, bildet innerhalb der großen Masse der Interpretationen nur einen kleinen Teil. An einzelnen Stellen wird er allerdings relativ breit abgehandelt: mit Paraphrasen und rhetorischen Analysen der Streitreden von Ajax und Odysseus (XIII,1/2), der Klagen Hecubas (XIII,7) und der Argumente, mit denen sich Medea in ihren Überlegungen für Jason entscheidet (VII,4). Im allgemeinen aber erschöpft sich die Behandlung dieser Thematik in gelegentlichen Nebenbemerkungen wie den folgenden: Bei der Beschreibung der Sintflut im ersten Buch der Metamorphosen habe Ovid Techniken der „amplificationes, prosopopoeiae, et hypotyposes poeticae“ (I,12,331–332) angewandt. – Die Schilderung, die Ovid von dem abstoßenden Äußeren der Invidia gebe, leite sich her „ab effectu“ (II,16,265). – In dem gegenüber Merkur treubrüchigen Hirten Battus habe Ovid einen schlech-
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ten Dichter bloßstellen wollen, indem er ihm Verse mit lästigen Wortwiederholungen in den Mund gelegt habe (Met. 2,702–705). Hintergrund dieser Deutung ist die Verbindung des Hirtennnamens Battus mit dem griechischen Begriff der βαττολογία, d. h. ‚Geplapper‘ (II,14). – Die beiden Schwestern Progne und Philomela, die in eine Schwalbe und eine Nachtigall verwandelt wurden, könne man mit Laurentius Valla als Sinnbilder der miteinander verschwisterten Disziplinen Rhetorik und Poesie verstehen. Da die Schwalbe (Progne) eher in Häusern und Städten heimisch sei, könne man sie mit der urbanen Beredsamkeit, z. B. mit der Gerichtsrede, vergleichen, wohingegen die Nachtigall (Philomela), die ebenso wie die Dichter eine Vorliebe für einsame Waldgegenden habe, die ländliche Rede und die Poesie repräsentiere. Wie aber die Nachtigall schöner singe als die Schwalbe, so sei auch die Poesie der Redekunst überlegen (VI,13,260–262). – Mit Gregor von Nazianz könne man in der drei Tieren, vorn einem Löwen, hinten einer Schlange, in der Mitte einer Ziege gleichenden Chimaera eine Allegorie auf die drei Redegenera sehen (IX,23,321–325). Damit sind alle wesentlichen Elemente des Metamorphosen-Buches von Sabinus beschrieben. Es soll aber noch auf eine Eigenheit hingewiesen werden, die Sabinus mit seinem Lehrer Melanchthon teilt: die Gepflogenheit, in den Vorlesungstext diverse Anekdoten einzustreuen, die ein kulturhistorisch nicht uninteressantes Element der Ovid-Interpretationen darstellen.33 So erzählt Sabinus anläßlich der Schilderung des Werwolfs (Met. 7,270 f.) von einem verwildert aussehenden Mann, den preußische Bauern gefangen und zu Herzog Albrecht gebracht hätten. Dieser Mann habe von sich behauptet, daß er sich zweimal im Jahr, zu Weihnachten und am Tage Johannes des Täufers, in einen Wolf verwandle. Als man ihn daraufhin für längere Zeit gefangen hielt, erwies sich diese Behauptung als nichtig; es trat keine Verwandlung ein. Dieser Vorfall beweise, daß umlaufende Geschichten von Werwölfen bloße Hirngespinste seien (VII,7). – Ähnlich sei die Erzählung von dem Jungbrunnen zu bewerten, die kürzlich in Nürnberg in deutschen Versen („rythmis Germanicis“) herausgegeben worden sei,34 nämlich als völlig unglaubwürdig. Es habe auch einmal einen Betrüger gegeben, der sich anhei-
33 Eine große Sammlung von Anekdoten aus Melanchthons Vorlesungen, betitelt ‚Historiae quaedam recitatae a Philippo Melanthone inter publicas lectiones‘, ist nach der Handschrift seines Schülers Wericus Vendenhaimerus abgedruckt in: CR 20 (1854), Sp. 519–608. 34 Es handelt sich gewiß um den 1548 entstandenen Schwank ‚Der jünckprünen‘ von Hans Sachs, in: Hans Sachs: Sämtliche Fabeln und Schwänke. In chronologischer Ordnung nach den Originalen hg. von Edmund Goetze. 2. Aufl. besorgt von Hans Lothar Markschies. Bd. 1. Halle a. d. S. 1953 (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. u. XVII. Jahrhunderts 110–117), S. 321– 323.
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schig gemacht habe, Herzog Karl von Geldern, der schon ein hinfälliger Greis war, durch trinkbares Gold so zu verjüngen, daß er wie ein Vierzigjähriger ausgesehen hätte. Die Geschichte von der Verjüngung des Aeson durch Medea, die Sabinus auf dieses Thema gebracht hat, müsse deshalb aber nicht ganz falsch sein. Man könne sie für eine poetische Übertreibung eines glaubwürdigen Geschehens halten: daß nämlich die arzneikundige Medea mit einem Medikament das Leben von Jasons Vater verlängert habe (VII,8). – Wie die Thebaner von einem nicht dingfest zu machenden Feind behelligt worden seien, der von Ovid (Met. 7,757– 793) bildlich als der teumessische Fuchs eingeführt werde, so sei Sachsen sieben Jahre lang von einem märkischen Straßenräuber namens Lepus (Hase) heim gesucht worden (VII,18). Gemeint ist der 1540 in Berlin hingerichtete Hans Kohlhase, das historische Vorbild von Kleists ‚Michael Kohlhaas‘. – Zu einem Passus in Ovids Schilderung der Pest auf Aegina, in dem berichtet wird, daß pestkranke Stiere, die am Altar des Jupiter-Tempels geopfert worden waren, kaum Blut in sich gehabt hätten (Met. 7,599), merkt Sabinus an, daß er im Jahre 1549, als in Preußen eine entsetzliche Pest grassierte, der Enthauptung einer Frau beigewohnt habe, aus deren Körper gerade soviel Blut geflossen sei, wie in eine hohle Hand gehe. Dies sei eine Bestätigung der auch von Vergil in den Georgica erwähnten Beobachtung, daß Pestkranke nur wenig Blut in sich hätten (VII,15,301–305). – So wie Herkules den oft Überschwemmungen verursachenden Fluß Achelous mit dem Bau von Dämmen bändigte (dies sei der eigentliche Sinn der Sage von dem Sieg des Herkules im Ringkampf mit dem Flußgott), so hätten die Einwohner des preußischen Marienburg die Überschwemmungen der Weichsel beendet, indem sie ihr eine zweite Mündung anlegten und an ihren Ufern Dämme aufschütteten (IX,2). – Im Zusammenhang der Geschichte von dem Ursprung der Feindschaft zwischen Pygmäen und Kranichen (Met. 6,90–92) berichtet Sabinus von einem nur eine Elle großen Mann, den man kürzlich in Italien in einem Papageienkäfig herumgetragen habe; Hieronymus Cardanus erwähne ihn in seinen Schriften (VI,4).
3 Des Sabinus Standort in der Tradition der Metamorphosen-Kommentierung Eine Beschreibung der Position, die des Sabinus Werk – Bestandteil einer schon zur Zeit seines Erscheinens regen humanistischen Mythographie35 – innerhalb
35 Siehe hierzu die wichtige, stoff- und aspektreiche Übersichtsdarstellung von Jörg Jochen Berns: Mythographie und Mythenkritik in der Frühen Neuzeit. Unter besonderer Berücksichtigung des deutschsprachigen Raumes. In: Herbert Jaumann (Hg.): Diskurse der Gelehrtenkultur
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der Ovid-Interpretation seit dem Ausgang des Mittelalters einnimmt, ist in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Ann Moss in zwei die Zusammenhänge gründlich analysierenden Arbeiten36 bereits geliefert worden, so daß ich mich, auf diese gestützt, mit einigen knapp zusammenfassenden Bemerkungen begnügen kann. Mit der Auffächerung seiner Interpretation in die
in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch. Berlin, New York 2011, S. 85–154; dazu auch: ders.: Mythos / Mythologie. In: Renaissance-Humanismus. Lexikon zur Antike-Rezeption. Hg. von Man fred Landfester. Stuttgart, Weimar 2014 (Der Neue Pauly. Supplemente 9), Sp. 657–670; Bernhard Kreuz, Petra Aigner u. Christine Harrauer: Bibliographie zum Nachleben des antiken Mythos. Version 26. 07. 2012: https://de.scribd.com/document/259323557/Bibliographie-zumNachleben-[…]. – Ein Kernwerk dieses Stoffgebietes der Literatur der Frühen Neuzeit ist des italienischen Humanisten Natalis Comes, eigtl. Natale Conti (1520–1582), erstmals Venedig 1551, also wenige Jahre vor der Metamorphosen-Auslegung des Sabinus, erschienene und oft nachgedruckte ‚Mythologia‘. Neuausgabe als Reprint eines Nachdrucks von 1616: Natale Conti: Mythologiae; M. Antonio Tritonio: Mythologia. Padua 1616. Introductory notes by Stephen Orgel. New York, London 1979 (The Philosophy of Images 13). 36 S. o., Anm. 9. Zur wissenschaftlichen und literarischen Rezeption von Ovids Metamorphosen in der Frühen Neuzeit siehe aber auch: Maria Moog-Grünewald: Metamorphosen der Metamorphosen. Rezeptionsarten der ovidischen Verwandlungsgeschichten in Italien und Frankreich im XVI. und XVII. Jahrhundert. Heidelberg 1979 (Studien zum Fortwirken der Antike 10); Peter E. Knox: Commenting on Ovid. In: A companion to Ovid. Ed. by Peter E. Knox. Chichester 2009, S. 327–340, hier S. 333–338; J. Engels: Les commentaires dʼOvide au XVIe siècle. In: Vivarium 12 (1974), Heft 1, S. 3–13; Bodo Guthmüller: Lateinische und volkssprachliche Kommentare zu Ovids „Metamorphosen“. In: Der Kommentar in der Renaissance. Hg. von August Buck und Otto Herding. Boppard 1975 (Kommission für Humanismusforschung. Mitteilung 1), S. 119–139; ders.: Picta Poesis Ovidiana. In: Renatae litterae. Studien zum Nachleben der Antike und zur euro päischen Renaissance. August Buck zum 60. Geburtstag […]. Hg. von Klaus Heitmann und Eckhart Schroeder. Frankfurt a. M. 1971, S. 171–192; ders.: Ovidio Metamorpheseos Vulgare. Formen und Funktionen der volkssprachlichen Wiedergabe klassischer Dichtung in der italienischen Renaissance. Boppard 1981 (Veröffentlichungen zur Humanismusforschung 3); Die Rezeption der Metamorphosen des Ovid in der Neuzeit. Der antike Mythos in Text und Bild. Internationales Symposion der Werner-Reimers-Stiftung (22. bis 25. April 1991). Hg. von Hermann Walter u. Hans-Jürgen Horn. Berlin 1995 (Ikonographische Repertorien zur Rezeption des antiken Mythos in Europa. Beihefte 1); Ovidian transformations. Essays on Ovid’s Metamorphoses and its reception. Ed. by Philip Hardie [u. a.]. Cambridge 1999; Raphael Lyne: Ovid’s changing worlds. English Metamorphoses, 1567–1632. Oxford 2001 (zu englischen Übersetzungen der Metamorphosen in diesem Zeitraum); H. David Brumble: Classical myths and legends in the middle ages and the renaissance. A dictionary of allegorical meanings. London, Chicago 1998; Gerlinde HuberRebenich: Ovids Göttersagen in illustrierten Ausgaben des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Bd. 2: Kulturelle Konkretionen (Literatur, Mythographie, Wissenschaft und Kunst). Hg. von Ludger Grenzmann u. a. Berlin, Boston 2012 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, N.F. 4), S. 185–207.
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genannten drei Deutungsaspekte, deren Wurzeln in die Antike zurückreichen,37 steht Sabinus, rein formal gesehen, immer noch in einer Tradition der Metamorphosen-Kommentierung, die im 14. Jahrhundert von dem französischen Benediktiner Petrus Berchorius (eigentlich Pierre Bersuire, 1290[?]–1362) begründet worden war. Berchorius wendet in seinem 1340 geschriebenen und erstmals 1509 in Paris unter falschem Namen (dem des englischen Dominikaners Thomas Walleys) gedruckten ‚Ovidius moralizatus‘,38 eigentlich Kapitel 2–15 von Buch 15 des enzyklopädischen ‚Reductorium morale‘, den aus der Bibelexegese bekannten vierfachen Schriftsinn auf die Auslegung der Metamorphosen an, indem er hier ebenfalls vier Arten der Textauslegung ansetzt: eine naturkundliche, eine historische, eine moralische oder tropologische und eine allegorische oder geistliche. Das bei seiner Drucklegung wegen seiner noch ganz dem Mittelalter verhafteten Methodik der verchristlichenden Allegorisierung heidnischer Mythen schon anachronistische Werk wurde in dem sechs Jahre später (1515) erschienenen ersten Teil der Dunkelmännerbriefe (Brief 28, von Conradus Dollenkopffius an Ortvinus Gratius)39 aus der Sicht des Renaissance-Humanismus heftig verspottet. Den Beginn einer Auslegung von Ovids Metamorphosen aus humanistischem Geist markiert der 1493 in Venedig erschienene Kommentar des italienischen Philologen Raphael Regius (eigtl. Raffaelo Reggio, ca. 1440–1520).40 Dieser ver-
37 Die schon klassische Untersuchung hierzu bietet das erstmals London 1940 in französischer Sprache erschienene Werk von Jean Seznec: Das Fortleben der antiken Götter. Die mythologische Tradition im Humanismus und in der Kunst der Renaissance. Aus dem Französischen von Heinz Jatho. München 1990. Hiernach ist die historische Deutungstradition auf Euhemeros (4./3. Jh. v. Chr.) zurückzuführen, der in den antiken Göttern überhöhende Darstellungen von bedeutenden Herrschern sah (ebd., S. 13–15), die naturwissenschaftliche auf die antike Astronomie und Astrologie mit ihrer Gleichsetzung von Sternen und Sternbildern mit Göttergestalten (ebd., S. 31–35), die moralische schließlich auf die Stoiker (ebd., S. 65–67). 38 Wissenschaftliche Ausgabe: Petrus Berchorius: Reductorium morale, liber XV: De formis figurisque deorum / Ovidius moralizatus. Naar de Parijse druk van 1509. […]. [Ed. Jean Engels]. Utrecht 1960–1962 (Werkmateriaal [1]–2). – Beschreibung und Analyse des Kommentars von Berchorius bei Moss: Ovid in Renaissance France (Anm. 9), S. 23–26; dies. (Hg.): Latin commentaries on Ovid from the Renaissance (Anm. 9), S. 61–101; Paul Michel: Vel dic quod Phebus significat dyabolum. Zur Ovid-Auslegung des Petrus Berchorius. In: ders., Hans Weder (Hgg.): Sinnvermittlung. Studien zur Geschichte von Exegese und Hermeneutik I. Zürich 2000, S. 293–353; siehe auch Robert Levine: Exploiting Ovid. Medieval allegorizations of the Metamorphoses. In: Medioevo Romanzo 14 (1989), S. 197–213. 39 Epistolae obscurorum virorum. Hg. von Aloys Bömer. Bd. 2: Text. Heidelberg 1924, Reprint Aalen 1978, S. 49–51. 40 Ich benutzte die folgende, von Jakob Micyllus ergänzte Ausgabe: P. Ovidii Nasonis Metamorphoseωs libri quindecim, cum commentariis Raphaelis Regii. Adiectis etiam annotationibus Iacobi Micylli nunc primum in lucem editis, cum locupletissimo praeterea in haec omnia
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zichtete gänzlich auf eine geistliche Auslegung. Der Schwerpunkt liegt bei ihm, abgesehen von der großen Zahl philologischer Erläuterungen, auf dem Aspekt der moralischen Belehrung, für die die von Ovid erzählten Geschichten nicht als Allegorien, sondern als bloße Exempla herangezogen werden, die ihrerseits, im Sinne des historischen Deutungsaspekts, eine Würdigung als Zeugnisse ihrer eigenen Zeit erfahren. Der naturkundliche Deutungsaspekt spielt bei Regius wie später bei Sabinus nur eine untergeordnete Rolle. Jenseits der Möglichkeiten, die sich durch die Anwendung der verschiedenen Auslegungsaspekte ergeben, sah Regius das Werk Ovids als eine Art Enzyklopädie, aus der eine Fülle von Wissen unterschiedlichster Art über antike Geschichte, Kultur und Philosophie zu gewinnen war. Von großer Bedeutung war für Regius auch die Würdigung der stilistischen und rhetorischen Leistungen seines Autors. Es liegt auf der Hand, daß sich Sabinus, läßt man den von ihm ignorierten Sektor der philologischen Erläuterungen beiseite, insoweit innerhalb der von Regius vorgezeichneten Bahnen bewegt. Als eine bemerkenswerte Besonderheit des Interpretationswerkes von Sabinus ist allerdings seine als Programm formulierte und faktisch weithin auch vollzogene Wiederbelebung des vom Humanismus eigentlich als mittelalterliche Verirrung abgelehnten Verfahrens der Allegorese unter veränderten Vorzeichen hervorzuheben. Er begründet dessen Anwendung im Widmungsbrief an Herzog Albrecht, wie schon erwähnt, vor allem mit didaktischen Argumenten: mit der dadurch bewirkten Schulung des Urteilsvermögens und dem Nutzwert solcher Schulung bei der Auslegung der Glaubensinhalte der Kirche, d. h. vor allem der Heiligen Schrift. Voraussetzung ist für Sabinus stets die Wahrung eines strengen Textbezugs, die Respektierung der Aussageabsichten des Autors und die strikte Trennung weltlicher und geistlicher Aspekte.41 Sabinus spricht hier als Schüler Melanchthons, indem er dessen Ausführungen über die Allegorie in dem der Kritik des vierfachen Schriftsinns gewidmeten Abschnitt der ‚Elementa rhetorices‘42 von der Heiligen Schrift sinngemäß auf weltliche Texte überträgt. Melanchthon beharrt bekanntlich darauf, daß der grammatische Sinn bzw. der Literalsinn des Textes der Heiligen Schrift stets als Grundlage jeder Interpretation festgehalten werden müsse und Allegorien nur insoweit zulässig seien, als sie auf den durch den Literalsinn vorgegebenen Strukturen aufbau-
indice. Basel: per Ioan. Hervagium 1543. – Zu dem Kommentar von Regius siehe Guthmüller: Lateinische und volkssprachliche Kommentare (Anm. 36), S. 125–133; Moss: Ovid in Renaissance France (Anm. 9), S. 28–31; dies. (Hg.): Latin commentaries on Ovid from the Renaissance (Anm. 9), S. 29–60. 41 D 64–74. 42 Philipp Melanchthon: Elementa rhetorices. Grundbegriffe der Rhetorik. […]. Hg., übers. u. komment. von Volkhard Wels. Berlin 2001, S. 192–211.
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ten und nicht als Beweismittel, sondern nur als verdeutlichende Bilder ohnehin zweifelsfrei feststehender Interpretationen verstanden würden. Mit seiner Ablehnung einer geistlich-allegorischen Auslegung Ovids unterscheidet sich Sabinus klar von dem Dominikaner-Humanisten Petrus Lavinius, der mit seinen seit 1510 als Beigabe zu dem Werk von Raphael Regius erscheinenden Auslegungen zum 1. Buch der Metamorphosen die Tradition auch der geistlichen Ovid-Interpretation auf der Basis der Theorie des vierfachen Schriftsinns fortsetzte.43 Das Interpretationskonzept des Sabinus scheint die 1563 in Frankfurt am Main erschienenen lateinisch-deutschen ‚Tetrasticha in Ovidii Metamorphoseon libros XV‘ des Arztes und neulateinischen Dichters Johannes Posthius (1537–1597)44 beeinflußt zu haben.45 Den alten Spuren von Berchorius und Lavinius folgte hingegen der Meistersinger Johannes Spreng (1524–1601) mit seinen im selben Verlag und im selben Jahr wie des Posthius Werk (in lateinischer Sprache, ein Jahr später, 1564, in deutscher Ausgabe)46 erschienenen Metamorphosen-Auslegungen.47 Ob die Erläuterungen des Theologen Gerhard Lorichius (1485–1549[?]) zu der 1545 in 1. Auflage erschienenen Metamorphosen-Verdeutschung Georg Wickrams48
43 Zu Lavinius siehe Moss: Ovid in Renaissance France (Anm. 9), S. 31–36; dies. (Hg.): Latin commentaries on Ovid from the Renaissance (Anm. 9), S. 103–123. 44 Johannes Posthius: Tetrasticha in Ovidii Metamor. lib. XV., quibus accesserunt Vergilii Solis figurae elegantiss. et iam primum in lucem editae. […]. Frankfurt a. M.: Georgius Corvinus, Sigismundus Feyerabent et haeredes Wygandi Galli 1563. 45 Zu Posthius’ Werk siehe Guthmüller: Picta poesis Ovidiana (Anm. 36), S. 176–181; Hans-Jürgen Horn: Die Tetrasticha des Johannes Posthius zu Ovids Metamorphosen und ihre Stellung in der Überlieferungsgeschichte. In: Die Rezeption der Metamorphosen des Ovid in der Neuzeit (Anm. 36), S. 214–224; Regina Toepfer: Veranschaulichungspoetik in der frühneuhochdeutschen Ovid-Rezeption. Philomelas Metamorphosen bei Wickram, Spreng und Posthius. In: dies. u. a. (Hgg.): Humanistische Antikenübersetzung und frühneuzeitliche Poetik in Deutschland (1450– 1620). Berlin, Boston 2017 (Frühe Neuzeit 211), S. 383–407. 46 Ich benutzte die deutsche Ausgabe: Johannes Spreng: P. Ovidii Nasonis […] Metamorphoses oder Verwandlung, mit schönen Figuren gezieret, auch kurtzen Argumenten und Auslegungen erkläret und in Teutsche Reymen gebracht […]. Frankfurt a. M.: Georg Rabe, Sigmund Feyrabend u. Erben des Weigand Han. 1564. 47 Hierzu siehe Moss: Ovid in Renaissance France (Anm. 9), S. 44–48; Guthmüller: Picta poesis Ovidiana (Anm. 36), S. 181–185; Toepfer: Veranschaulichungspoetik in der frühneuhochdeutschen Ovid-Rezeption (Anm. 45). 48 Erstmals zusammen mit Wickrams Text wissenschaftlich herausgegeben in: Georg Wickram: Sämtliche Werke. Hg. von Hans-Gert Roloff. Bd. 13, 1. u. 2. Tl.: Ovids Metamorphosen. Textredaktion: Lothar Mundt. Berlin, New York 1990. – Wichtige Hinweise zu Lorichius und seinen Auslegungen in der älteren Ausgabe von Johannes Bolte: Georg Wickram: Werke. Bd. 8 (Ovids Metamorphosen, Buch 9–15). Tübingen 1906, Reprint Hildesheim, New York 1974, S. XXXVIII–XLV. – Untersuchungen: Karl Stackmann: Die Auslegung des Gerhard Lorichius zur „Metamorphosen“-Nachdichtung Jörg Wickrams. Beschreibung eines deutschen Ovid-Kommen-
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Sabinus bekannt waren und von ihm vielleicht sogar benutzt worden sind, steht dahin. Man mag zwischen beiden Interpretationen mancherlei Parallelen finden, z. B. die Auffassung, daß Ovids Werk ebenso als ein historisches und kosmographisches Lehrbuch wie als Unterweisung in der „Philosophie und Edele Künst“49 gelesen werden könne, wie vor allem anderen das Interesse an einer moralischen Auslegung der einzelnen Episoden. Die Perspektive des Lorichius ist jedoch weniger auf das Werk selbst gerichtet als vielmehr auf die Nutzanwendung für den gemeinen Mann, für den die Bearbeitung Wickrams gedacht war und der durch die beigegebenen Auslegungen davor bewahrt werden sollte, bestimmte Inhalte des Ovidschen Werkes als Anreiz zu unmoralischem Verhalten mißzuverstehen. Die persönlich engagierte, oft eifernde Tonlage in den Auslegungen des Lorichius ist eher die eines Seelsorgers und Kanzelredners als die eines humanistischen Literaten wie Sabinus.
4 Nachleben Den Metamorphosen-Interpretationen von Sabinus war ein nicht unbeachtliches publizistisches Nachleben beschieden. Bis zum Jahr 1718 wurden sie als Standardwerk zum Thema, setzt man das Erscheinungsjahr der Editio princeps mit 1555 an,50 mindestens einundzwanzigmal nachgedruckt,51 und zwar nicht nur in Deutschland,52 sondern auch in Frankreich53 und England,54 meist als in sich geschlossener Text wie in der Erstausgabe (teils für sich allein, teils als Beigabe zu einer Ovid-Ausgabe), zuweilen aber auch, in Einzelannotationen zerlegt, als fortlaufender Kommentar zu Editionen des Ovid-Textes.55
tars aus der Reformationszeit. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 86 (1967), Sonderheft ‚Spätes Mittelalter‘, S. 120–160; Brigitte Rücker: Die Bearbeitung von Ovids Metamorphosen durch Albrecht von Halberstadt und Jörg Wickram und ihre Kommentierung durch Gerhard Lorichius. Göppingen 1997 (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 641); Toepfer: Veranschaulichungspoetik in der frühneuhochdeutschen Ovid-Rezeption (Anm. 45). 49 Zitiert aus Lorichs Dedikation für Eberhard Rüde von Collenbergk: Wickram: Sämtliche Werke, Bd. 13, 1. Tl. (Anm. 48), S. 23. 50 S. o., Anm. 19. 51 S. u. die Liste im Editionsbericht, S. 359 f. 52 Druckorte waren neben Wittenberg, wo die ersten fünf Ausgaben erschienen sind: Frankfurt a. M., Leipzig und Heidelberg. 53 Drei Ausgaben: Paris 1575, 1579 und 1580. 54 Eine Ausgabe: Cambridge 1584. 55 So z. B. in der folgenden Ausgabe: P. Ovidius: Metamorphosis, seu fabulae poeticae earumque interpretatio ethica, physica et historica Georgii Sabini, poetae nostri seculi fere principis.
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III De carminibus ad veterum imitationem artificiose componendis praecepta Wie schon erwähnt, teilt Sabinus im Widmungsbrief zu seiner Interpretation von Ovids Metamorphosen mit, daß er seinen Studenten dieses Werk eigentlich nur „wegen der lateinischen Sprache und der Art der Verse“ („propter linguam Latinam et genus versuum“56) vorlege, und begründet die Beschäftigung mit den Dingen, die den eigentlichen Inhalt seines Ovid-Buches bilden, nämlich die historischen und moralischen Auslegungen der einzelnen Sagenstoffe, damit, daß sie die Lektüre angenehmer und interessanter machten – womit sie genau genommen wenigstens teilweise auf den Wert einer nur unterrichtsmethodisch motivierten Zugabe herabgestuft werden. Im Hinblick auf diese Ausführungen scheint das kleine Werk ‚De carminibus ad veterum imitationem artificiose componendis praecepta bona et utilia‘,57 das ebenfalls auf eine Königsberger Vorlesung zurückgeht, viel eher in den Kernbereich dessen zu gehören, was Sabinus als Aufgabe des universitären Literaturunterrichts ansah. Die näheren Umstände der Entstehung und Publikation dieser Schrift sind einem kurzen Brief des Sabinus an seinen Förderer Joachim Camerarius zu entnehmen, der dem Text der Druckausgabe in der Art eines Widmungsbriefes vorangeht. Dieser aus Königsberg auf den 14. März, ohne Jahresangabe, datierte Brief hat folgenden Wortlaut: Obsignatis literis, quas ad te daturus eram, forte libellum, quem his adiunxi, reperi inter meas chartas, in quo perscripta vel designata potius essent quaedam, quae ante biennium hîc dictavi auditoribus meis, rudia quidem illa et minuta, sed neutiquam tamen, ut opinor, inutilia et contemnenda. Nam de quibus olim me admonuerunt praeceptores mei inter emendandum, ea complexus sum libello isto. Hic si videbitur, curabis, ut edatur istic apud vos. Titulum facies quem volueris: tuo enim hoc arbitrio permitto. Si non probabitur, ne edas velim, sed remittas mihi. Vale, ex monte Regio Prussiae. Pridie Idus Martii.58 [Nachdem ich einen Brief versiegelt hatte, den ich gerade an dich senden wollte, fand ich zufällig unter meinen Papieren ein kleines Schriftstück, das ich vorliegendem Brief beige-
Opus omnibus poetices studiosis necessarium. Accessit etiam ex Natalis Comitis mythologiis de fabularum utilitate, varietate, partibus et scriptoribus deque apologorum, fabularum aenorumque differentia tractatio. Cum indice verborum et rerum praecipuarum in Ovidio et Sabino comprehensarum. Frankfurt a. M.: ex officina typographica Ioannis Wecheli 1589. – Ein Reprint dieser Ausgabe erschien unter dem Namen des Sabinus: Georgius Sabinus: Metamorphosis seu Fabulae poeticae (Frankfurt 1589). New York, London 1976 (The Renaissance and the Gods). 56 D 20. 57 Ich benutzte den Nachdruck in des Sabinus ‚Poëmata‘ (Anm. 13), S. 489–517. 58 Ebd., S. 489.
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fügt habe. Darin ist einiges schriftlich niedergelegt oder vielmehr skizziert, was ich hier vor zwei Jahren meinen Schülern diktiert habe, unausgearbeitet zwar und von geringem Umfang, aber doch, wie ich meine, keineswegs unnütz und unbeachtlich. Ich habe nämlich in dieser kleinen Schrift alles das zusammenfassend dargestellt, worauf mich dereinst meine Lehrer bei ihren Korrekturen hingewiesen haben. Wenn es dir gut scheint, sorge bitte dafür, daß sie bei euch publiziert wird. Den Titel magst du so formulieren, wie du willst; dies überlasse ich nämlich deinem Gutdünken. Wenn sie nicht deinen Beifall finden wird, möchte ich, daß du sie nicht publizierst, sondern mir zurückschickst. Lebe wohl! Aus Königsberg in Preußen, am 14. März.]
Überbringer dieses Schreibens nebst beigefügtem Manuskript war des Camerarius Sohn Johannes, der in Königsberg studierte. Dies geht aus einem Brief vom 22. Juli 155159 hervor, in dem Sabinus Camerarius an die noch ausstehende Stellungnahme zu dem übersandten Manuskript erinnerte: „Misi tibi libellum per filium tuum Iohannem de componendis versibus, de quo iudicium tuum expecto.“60 [„Ich habe dir durch deinen Sohn Johannes eine kleine Schrift über das Abfassen von Versen geschickt, zu der ich dein Urteil erwarte.“] Das Werklein erschien dann noch im selben Jahr zusammen mit einer Schrift von Camerarius selbst bei dem Leipziger Drucker Pabst.61 Der von Camerarius gewählte Titel gibt seinen Inhalt sehr genau wieder: Es geht um die sprachlich-stilistische Ausgestaltung von Versen, nicht etwa um Verslehre im Sinne der Metrik. Dieses Thema wird nur im letzten der sieben kurzen Kapitel berührt, in dem es um die Vermeidung von Fehlern beim Schreiben von Pentametern geht, hier aber auch nur insoweit, als darauf aufmerksam gemacht wird, daß die beim Pentameter vorgeschriebene Zäsur einzuhalten sei und nicht überspielt werden dürfe, wie es bei dem auch sonst nicht immer zur Nachahmung zu empfehlenden Catull manchmal vorkomme. Sonst werden in diesem Kapitel nur negative Anweisungen zur Wortwahl am Pentameter-Ende gegeben: Die Wörter, mit denen er schließt, sollen keine Participia praesentis sein, nicht mehr als zwei Silben haben, aber auch nicht einsilbig sein. Sabinus beginnt seine Anweisungen mit einem „De versibus non fundendis ex tempore“ überschriebenen Kapitel, einer Warnung vor einer zu schnellen, plötzlicher Eingebung folgenden Versproduktion. Der ‚poeta’ unterscheide sich dadurch vom ‚versificator’, daß er mit Besonnenheit und Kunstverstand dafür 59 Ebd., S. 525 f. 60 Ebd., S. 526. 61 Georgius Sabinus: De carminibus ad veterum imitationem artificiose componendis praecepta bona et utilia collecta à Georgio Sabino. Enumeratio eorum, quae in docendo praecipuè sequenda esse videantur. Graecè et Latinè exposita à Ioachimo Camerario Pabebergensi. Leipzig: Valentinus Papa 1551.
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sorge, daß alle Elemente eines Verses harmonisch so aufeinander abgestimmt sind, daß sie den Ohren angenehm klingen und die Geister für sich einnehmen. Zwar dürfe man den Schwung schöpferischer Eingebung nicht durch Sorglichkeit im Hinblick auf Stil und Komposition allzusehr aufhalten, doch sei auf jeden Fall Übereilung zu meiden, da sie nur kraft- und geistlose Verse hervorbringe und nicht die empfehlenswerte ‚facilitas‘ der Verse bewirke, sondern nur eine in jeder sprachlichen Hervorbringung abstoßende ‚futilitas‘. Das zweite Kapitel ist dem ‚delectus verborum‘, der Wortwahl im Vers zur Erzielung rednerischer Eleganz (‚elegantia sermonis‘), gewidmet. Man dürfe nur Wörter benutzen, die sich durch ‚gratia‘ und ‚venustas‘, also Gefälligkeit und Anmut, für den Gebrauch innerhalb der Poesie auszeichneten, müsse folglich auch innerhalb der besten Autoren eine Auswahl treffen, denn z. B. seien nicht alle Wörter und Wendungen, die sich innerhalb der Redekunst eingebürgert hätten, auch für den Dichter geeignet. Für die Aufnahme eines Wortes in einen Vers sei vor allem der Wohlklang entscheidend. Abzulehnen sei die von Vives vertretene Ansicht, daß in der Poesie im Unterschied zur ungebundenen Rede alle Wort- und Ausdrucksarten erlaubt seien, da das Metrum alle Unebenheiten zudecke. Unbedingt zu meiden seien alle schmutzigen und einer niederen Sphäre angehörenden Wörter, soweit die Thematik ihren Gebrauch nicht geradezu erzwinge, denn sie verunstalteten den Vers so wie Flecken ein kostbares Gewand. Mißgriffe auf diesem Gebiet seien auch bei anerkannten Autoren zu finden, so z. B. bei Martial oder Baptista Mantuanus. Zu warnen sei vor einer übertriebenen Einmengung latinisierter griechischer Wörter, wodurch ein lächerlicher Sprachmischmasch entstehe, wie er in der makkaronischen Poesie üblich sei. Zu meiden seien auch obszöne Wörter. Sollte es aber einmal unvermeidlich sein, anstößige Sachverhalte oder Gegenstände zu benennen, so müsse man sich gewisser Umschreibungen bedienen, wie man sie z. B. bei Pietro Bembo oder Jacopo Sannazaro finden könne. Die auserlesensten Ausdrücke, die dem Dichter zu Gebote stünden, seien metaphorische. Diese dürften aber auch nicht im Übermaß verwendet werden. Wie der Maler Plastizität der dargestellten Gegenstände erzeuge, indem er dem Licht an der rechten Stelle Schatten beigebe, so müsse der Dichter auch da, wo es geboten sei, dem übertragenen Ausdruck den eigentlichen beimischen und dürfe nicht immer denselben rednerischen Zierat verwenden. Nachdem hiermit der Aspekt der ‚elegantia sermonis‘ abgehandelt ist, sind die folgenden drei Kapitel drei Voraussetzungen für die Erzielung der ‚suavitas compositionis‘ gewidmet. Es sind dies: (1) die gefällige Anordnung der Wörter (structura verborum), (2) die Beigabe von Epitheta, (3) das harmonische Zusammenspiel (concinnitas) von Versfüßen, Versformen, Satzgliedern und Figuren. Hinsichtlich der ‚structura verborum‘ müsse man auf möglichst weiche und fließende Übergänge, ohne Hiatus und klangliche Härte, achten, wenn auch
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zuweilen (wie ein Beispiel bei Vergil zeige) ein Hiatus zweckmäßig sein könne zur Erzeugung größerer Klangfülle und die Häufung rauher Konsonanten ihren guten Sinn habe, wenn sie zur Wiedergabe entsprechender Sachverhalte eingesetzt werde. Die Wiederholung ähnlich klingender Buchstaben und Silben müsse auch nicht immer gemieden werden. Es könnten sich daraus durchaus Verse ergeben, die den Ohren angenehm klingen, wie Sabinus an einem von ihm selbst in Anlehnung an einen Dialog des Erasmus von Rotterdam verfaßten EchoGedicht demonstriert. Die Beigabe von Epitheta zu Substantiven sei nötig, damit die Rede im Vers nicht nackt und schmucklos daherkomme. Das Epitheton stehe am besten vor dem Substantiv, könne aber von diesem durch dazwischengeschaltete Redeteile auf eine sehr gefällige Weise getrennt werden. Die zahlreichen Ratschläge zur Erzielung einer ‚concinnitas pedum, membrorum et numerorum‘, die Sabinus nun folgen läßt, können hier nicht im einzelnen referiert werden. Ihr Grundprinzip wird am Schluß des diesem Thema gewidmeten Kapitels wie folgt angegeben: His itaque et similibus vocum, pedum, circuitionum membrorumque commutationibus facile effici potest, ne versus sint uniformes, sed ut induant diversum quasi habitum, rebus accommodatum, utque affectibus exprimendis satisfaciant.62 [Durch diese und ähnliche Variationen bei Wörtern, Versfüßen, in der Umschreibung und bei den Satzgliedern kann daher leicht bewirkt werden, daß die Verse nicht einförmig sind, sondern gleichsam eine unterschiedliche, den Gegenständen angemessene Kleidung anlegen und daß sie den Affekten, die zum Ausdruck gebracht werden sollen, Genüge tun.]
Thema des folgenden, vorletzten Kapitels ist die Erzeugung einer gefälligen ‚variatio‘ durch Anwendung von Figuren. Die Figur, mit der dieses Ziel vornehmlich erreicht werden könne, sei die Iteratio, die nun nebst den ihr verwandten Figuren Epanalepsis, Complexio, Epanodos bzw. Recessio, Traductio, Articulus und Polysyndeton anhand vieler Beispiele aus antiken lateinischen Dichtern und aus zwei berühmten modernen Autoren, Baptista Mantuanus und Janus Pannonius, vorgeführt wird. Den Schluß von Sabinus’ Anleitungen zum Versemachen bildet, wie schon gesagt, ein Kapitel mit einer sehr speziellen Thematik: der Vermeidung bestimmter Fehler beim Bau des Pentameters. Dieses klingt aus mit einem kurzen Abschnitt, in dem der Autor die Unvollständigkeit seiner Darstellung rechtfertigt bzw. sich für sie entschuldigt. Unter anderem hätte man nämlich noch eingehen
62 Sabinus: Poëmata (Anm. 13), S. 506.
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müssen auf das Verfahren der Ausschmückung von Versdichtungen durch aus erlesene Sentenzen. Doch nicht alles könne durch Regeln gelehrt werden. Was hier noch fehle an dichterischer Kunstlehre, müsse durch Lektüre, Anwendung und Übung gelernt werden. Des Sabinus kleines poetisches Lehrbuch hatte kein geringeres publizistisches Nachleben als seine Ovid-Interpretation. Seit dem ersten Erscheinen der erweiterten Ausgabe seiner ‚Poemata‘ (Leipzig 1563)63 ist es in allen Drucken dieser Sammlung (nach der Sabinus-Bibliographie von Marga Heyne64 insgesamt sieben bis 1612) enthalten. Parallel dazu wurde es seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts als Beigabe zu dem bis weit ins 17. Jahrhundert hinein in zahlreichen Ausgaben erschienenen Epitheta-Lexikon des französischen Philologen Joannes Ravisius Textor (ca. 1480–1522/24) immer wieder nachgedruckt.65 1569 erschien es als Beigabe zu der ‚Ratio examinandorum componendorumque versuum methodica‘ von Jakob Micyllus (1503–1558).66 1577 ließ des Sabinus Schüler und Nachfolger auf dem Poetik-Lehrstuhl in Frankfurt a. O., Johannes Schosser (1530–1585),67 eine mit Scholien versehene Ausgabe der ‚Praecepta‘ erscheinen, der noch zwei Zugaben angehängt waren: ‚Prolegomena in interpretationem Aeneidos Virgilianae‘, 1568 vorgetragen an der Universität Frankfurt a. O. (eingeleitet mit einer Rede an die Studenten), und Thesen zu einer im folgenden Jahr, 1569, ebendort abgehaltenen Disputation über die Tragödientheorie des Aristoteles.68 Der Kontext dieser zwei Academica legt die Vermutung nahe, daß 63 S. o., Anm. 13. 64 Marga Heyne: Das dichterische Schrifttum der Mark Brandenburg bis 1700. Eine Bücherkunde. Potsdam, Berlin 1939 (Brandenburgische Jahrbücher 13), S. 23–29, hier S. 26, Nr. 176–182. 65 Das ziemlich umfangreiche Lexikon von Ravisius Textor, offenbar gedacht als Hilfsmittel für neulateinische Dichter, verzeichnet lateinische Substantive und Eigennamen in alphabetischer Folge, denen jeweils eine Liste mit Epitheta zugeordnet ist: jedes Epitheton auf einer eigenen Zeile stehend, gefolgt von einem Beleg aus der lateinischen (antiken und neuzeitlich-humanistischen) Poesie. Ich habe die folgende Ausgabe eingesehen: Ioannes Ravisius Textor: Epithetorum opus absolutissimum. Post varias editiones ipsiusque auctoris recognitionem et doctissimorum virorum emendationes locupletatum et innumeris mendis repurgatum. Accesserunt de prosodia lib. IIII. Quos Epithetorum praeposuimus operi. Item, de carminibus ad veterum imitationem artificiosè componendis praecepta, collecta à Georgio Sabino. Venedig: apud Petrum Ricciardum 1605, Bl. 37v–42r (der Text von Sabinus, hier, mit Marginalien versehen, als Abschluß von Buch III der den ‚Epitheta‘ vorgeschalteten ‚Prosodia‘). 66 Iacobus Micyllus: Ratio examinandorum componendorumque versuum methodica […]. [Frankfurt a. M.: Christian Egenolff d. Ä. Erben] 1569. 67 S. o., Anm. 7. 68 Iohannes Schosserus: Libellus Cl. V. Georgii Sabini Brandeburgensis De carminibus ad veterum imitationem artificiosè componendis. Et in eum Scholia Iohannis Schosseri Aemiliani. Ac-
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Schosser die ‚Praecepta‘ des Sabinus als Grundlage einer Vorlesung verwendet hat und die in der Ausgabe abgedruckten Scholien aus einer solchen Lehrveranstaltung hervorgegangen sind. Letztmalig wurden die ‚Praecepta‘ gedruckt innerhalb einer von dem Rudolstädter Gymnasialrektor Johann Heinrich Acker d.J. (1680–1756) 1711 herausgegebenen kleinen Sammlung ‚Selecta poetica‘,69 die u. a. auch die ‚Ars versificatoria‘ von Ulrich von Hutten enthält. Des Sabinus Text ist hier erweitert um ‚Observationes‘ des Herausgebers. Der Frage, inwieweit das rege publizistische Interesse an den beiden Königsberger Lehrschriften des Sabinus mit einer Rezeption seiner Gedanken innerhalb der Geschichte der Ovid-Kommentierung bzw. -Auslegung und der Geschichte der Poetik verknüpft war, müßte in anderem Zusammenhang weiter nachgegangen werden. Kein Zweifel scheint mir aber daran zu bestehen, daß zentrale Auffassungen des Sabinus über das Wesen der Poesie noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts an der Universität Königsberg als weiterhin gültige Lehrinhalte vermittelt wurden. Einen Beleg dafür liefert der folgende Satz aus Simon Dachs Einladung zu seiner Königsberger Antrittsvorlesung im Jahre 1639:70 Poesis est Philosophia […], tempore quidem vetusta, compositio autem numeris concinna, atque sententia fabularum involucris tecta.71 [Die Poesie ist Philosophie, und zwar die in früher Zeit; ihre Darstellung aber ist dank der Versmaße von gefälliger Form, und ihr Sinn ist unter der Umhüllung von Erdichtungen verborgen.]
cesserunt eiusdem Schosseri in Aeneidos Virgilianae interpretationem προλεγόμενα. Disputatio item de tragoedia, ex primo libro Aristotelis περὶ ποιητικῆς, publicè olim proposita in Academia Francofordiana. Frankfurt a.O.: excudebat Iohannes Eichorn 1577. – Der Text von Sabinus mit den Scholien Schossers hier Bl. A6v–E5r. 69 Selecta poetica. Quibus continentur Ge. Sabini Praecepta observationibus aucta, Ulrici de Hutten Equitis Franci Ars versificatoria eiusque Nemo; Claudii Espencaei Elegiae selectiores. Samuelis Rachelii Classes Imperatorum metricae. Collegit suaque adiecit carmina Jo. Henr. Acker. Rudolstadt 1711. 70 Siehe hierzu Hanspeter Marti u. Lothar Mundt: Zwei akademische Schriften von Simon Dach aus den Jahren 1639 und 1640. Analyse und Dokumentation. In: Simon Dach (1605–1659). Werk und Nachwirken. Hg. von Axel E. Walter. Tübingen 2008 (Frühe Neuzeit 126), S. 67–114. 71 Simon Dachius: Ad inauguralem orationem lectionibus publicis in professione poëtica praemittendam Moecenates, patres ac cives academicos officiosissimè invitat. Königsberg: typis haeredum Segebadii 1639 (Warschau, Bibl. Narodowa), Bl. 2r.
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Als Quelle für diesen Satz, den er sich gänzlich zu eigen macht, nennt Dach einen „Platonicus“.72 Welcher Gewährsmann damit gemeint ist (ein antiker Autor ist auszuschließen), konnte bislang nicht ermittelt werden. Statt auf diesen ominösen Platoniker hätte Dach sich aber auch auf Georg Sabinus, den ersten Inhaber des Lehrstuhls, den er nun selbst innehatte, berufen können, denn der von mir schon zitierte erste Satz von dessen Metamorphosen-Interpretation lautet sehr ähnlich: Poetica nihil aliud est nisi Philosophia numeris et fabulis concinna, qua honestarum artium doctrina et praecepta de moribus illustrata regnorum exemplis continentur.73 [Die Poesie ist nichts anderes als eine durch Versmaße und dichterische Erfindungen gefällig gestaltete Philosophie, in der die Lehre ehrbarer Künste und Moralvorschriften, erhellt durch Beispiele von Königreichen, enthalten sind.]
Auch der Gedanke, daß die Poesie, abgesehen von ihren moralphilosophischen Inhalten und Funktionen, eine geradezu universale Schatzkammer menschlichen Wissens sei, den Sabinus in aller Breite an Ovids Metamorphosen demonstriert, für den aber ebensogut auch Vergil oder andere Epiker hätten angeführt werden können, ist zur Zeit Dachs noch ungebrochen. Auch hierfür mag ein Zitat aus Dachs Einladungsschrift als Zeugnis dienen: Deum rerum omnium conditorem credit pietas. Poetam conditarum imitatorem dicit sapientum consensus. Quacunque vult liberrimè vagatur poesis, suaeque sedem divinitatis constituit. In coelo cum aeternis mentibus moratur, et admirandae corporum coelestium consensionis speciem sibi imprimit. Maris et tempestatum violentiam inconcussa sustinet, ventorumque fremitus suum putat concentum. Inferorum loca aequè liberè ac Maiae filius accedit, Elisiorum felices campos lustrat, exilia sontum imperterrita spectat, et à Tantalo Sisyphoque quàm diu vult iudice Aeaco aut Rhadamanto poenas exigit. Cum Euclide terrarum spatia metitur, cum Tityro pastorem agit, cum Varrone rusticatur, cum Solone aut Lycurgo leges sancit, cum Aesculapio morbis medetur, cum Scipione aciem instruit, cum Tiphy aut Palinuro navem gubernat, cum Platone Rempublicam format, cum Demiphone indignatur, cum Romulo urbem dominam condit, ut difficile sit, quicquam moliri, cuius illa partem sibi non vindicet. Omnia penetrat, notat, digerit […]. 74 [Die Frömmigkeit glaubt, daß Gott der Schöpfer aller Dinge sei. Die übereinstimmende Meinung der Weisen sagt, daß der Dichter der Nachahmer der geschaffenen Dinge sei. Wo immer sie will, streift die Poesie umher und errichtet sie den Thron ihrer Göttlichkeit. Im Himmel weilt sie mit den ewigen Geistern und prägt sich den Glanz bewundernswerter
72 Ebd. 73 I,1,3–5. 74 Dachius: Ad inauguralem orationem (Anm. 71), Bl. 3r.
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Übereinstimmung mit himmlischen Leibern auf. Dem Ungestüm des Meeres und der Stürme hält sie unerschütterlich stand, und in dem Brausen der Winde sieht sie ihren eigenen harmonischen Gesang. Die Orte der Unterwelt betritt sie ebenso furchtlos wie der Sohn der Maja,75 die seligen Gefilde der Elysier durchwandert sie, unerschrocken beschaut sie die Verbannungsorte der Missetäter, und unter dem Richter Aeacus oder Rhadamanthus76 bestraft sie Tantalus und Sisyphus, solange sie will. Mit Euklid mißt sie die Ausdehnungen der Länder, mit Tityrus77 spielt sie die Rolle des Hirten, mit Varro78 treibt sie Landwirtschaft, mit Solon oder Lykurg gibt sie Gesetze, mit Äskulap heilt sie Krankheiten, mit Scipio79 stellt sie eine Schlachtreihe auf, mit Tiphys80 oder Palinurus81 lenkt sie ein Schiff, mit Plato ge staltet sie den Staat, […] mit Romulus gründet sie die Herrscherin Rom, so daß es schwierig ist, irgend etwas ins Werk zu setzen, an dem sie nicht Teilhabe für sich beanspruchen kann. Alles durchdringt, kennzeichnet und ordnet sie […].]
75 Merkur, hier in seiner Funktion als Todesbote, der die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt geleitete. 76 Zwei der drei Richter in der Unterwelt. 77 Hirtenname bei Theokrit und Vergil. 78 Der römische Gelehrte und Dichter M. Terentius Varro (116–27 v. Chr.) schrieb ein Buch über die Landwirtschaft (‚De re rustica‘); es ist das einzige unter seinen zahlreichen Werken, das sich vollständig erhalten hat. 79 Scipio Africanus d. Ä., der 202 v. Chr. Hannibal in der Schlacht bei Zama besiegte. Ebensogut könnte aber auch dessen Enkel, Scipio Africanus d.J., gemeint sein, der 146 v. Chr. Karthago eroberte und zerstörte. 80 Der Steuermann der Argonauten bei ihrer Fahrt nach Kolchis zur Erlangung des Goldenen Vlieses. 81 Steuermann des Aeneas in Vergils Aeneis.
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Illustrissimo Principi ac Domino, Domino Alberto, Marchioni Brandeburgensi, Prussiae, Stetinensi, Pomeraniae, Cassubiorum Vandalorumque Duci, Burggravio Norinbergensi ac Rugiae Principi, Domino suo clementissimo, Georgius Sabinus.
In Argonautica historia cum inter duos principes rixa orta esset, Orpheus eam cantu sedavit, et narrat Apollonius cecinisse eum ad citharam initia et fabricationem mundi et Solis et Lunae circuitus ac Iovis victoriam adversus Titanas.1 Qua ex narratione adparet veterem poëticam fuisse doctrinam de serie omnium tem10 porum et historiam mundi et maximarum mutationum in praecipuis regnis, et historiae intextam fuisse doctrinam de Deo, de iusticia et de poenis iniusticiae. Nam in Orphei fragmentis et hic versus adhuc legitur: Εὐσεβέεσσιν ἀεὶ τὸ τέλος γλυκερώτερόν ἐστι.2
Postea verò cùm maiores gentium dissipationes sunt factae, in bellis simul et
15 studia veteris sapientiae extincta sunt et monumenta multa deleta. Exiguae reli-
quiae historiarum utcunque in Ionia et parte Graeciae servatae sunt, quas tamen involutas prodigiosis figuris posteritas non satis intelligere potuit. Cùm verò prosit nosse temporum seriem, quantum sciri potest, Ovidii consilium fuit contexere mundi historiam usque ad sua tempora. Etsi autem hoc Ovidii 20 opus propter linguam Latinam et genus versuum adolescentibus proponimus, tamen fit lectio dulcior, cùm aliquid de consilio poëtae et de rebus ipsis ac historiarum serie cogitatur. Eò etiam prodest veteres Graecas historias omnes considerare, ut collatio cum Ecclesiae historia nos accendat, ut magis amemus Ecclesiae doctrinam, in qua sola videmus continuam seriem annorum certò tra25 ditam esse et de successione imperiorum talia testimonia eventuum recitari, ut de veritate dubitari non possit. Vestigia etiam multa in poëmatibus et historiis Graecis ostendunt Ecclesiae monumenta et antiquiora et vera esse. Cum igitur in Academia tua, Illustrissime Princeps, iunioribus interpretarer Ovidii (ut ita
1 Apollonius Rhodius: Argonautica 1,494–518. 2 Orphei Hymni (ed. Quandt) 86,12. DOI 10.1515/9783110620283-003
An den durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Albrecht, Markgrafen von Brandenburg, Herzog von Preußen, Stettin, Pommern, der Kaschuben und Wenden, Burggrafen von Nürnberg und Fürsten von Rügen, seinen allergnädigsten Herrn, Georg Sabinus. Als in der Geschichte der Argonauten zwischen zwei Fürsten ein Streit ausgebrochen war, hat Orpheus ihn mit einem Gesang beigelegt, und Apollonius (Rhodius) erzählt, Orpheus habe zur Kithara gesungen von den Anfängen und der Erschaffung der Welt, den Umläufen von Sonne und Mond und dem Sieg Jupiters über die Titanen. Aus dieser Erzählung erhellt, daß die Poesie in alter Zeit die Lehre von dem Ablauf aller Zeitalter, die Darstellung der Geschichte der Welt und der bedeutendsten Veränderungen innerhalb der wichtigsten Königreiche war und daß in die Geschichtsdarstellung eingewoben war die Lehre von Gott, von der Gerechtigkeit und den Bestrafungen des Unrechts. In den Fragmenten des Orpheus ist nämlich heute noch dieser Vers zu lesen: Den Frommen wird stets ein süßerer Ausgang zuteil.
Später aber, als sich die Völker in starkem Maße aufsplitterten, wurden in Kriegen zugleich die literarischen Werke der alten Weisheit ausgelöscht und viele Denkmäler zerstört. Bescheidene Überreste der Geschichtserzählungen haben sich, wie auch immer, in Ionien und einem Teil Griechenlands erhalten; da sie aber in sonderbare Bilder eingehüllt waren, konnte die Nachwelt sie nicht hinreichend verstehen. Da es aber von Nutzen ist, den Ablauf der Zeitalter zu kennen, soweit er überhaupt dem Wissen zugänglich ist, war es die Absicht Ovids, die Geschichte der Welt bis zu seiner eigenen Zeit zusammenhängend darzustellen. Obgleich wir nun aber dieses Werk Ovids den jungen Leuten wegen der lateinischen Sprache und der Art der Verse vorlegen, wird die Lektüre doch angenehmer, wenn man der Absicht des Dichters, den Gegenständen selbst und dem Ablauf der Geschichte einiges Nachdenken widmet. Die Betrachtung der gesamten griechischen Geschichte ist auch dadurch von Nutzen, daß der Vergleich mit der Geschichte der Kirche uns dazu treibt, die Lehre der Kirche stärker zu lieben, in der allein wir den ununterbrochenen Ablauf der Jahre zuverlässig überliefert sehen und die Abfolge der Reiche derart nach den Ereignissen bezeugt finden, daß an der Wahrheit nicht gezweifelt werden kann. Viele Spuren in griechischen Dichtungen und Geschichtsdarstellungen lassen auch erkennen, daß die Denkmäler der Kirche altertümlicher und wahr sind. Als ich also an Deiner Universität, durchlauchtigster Fürst, den jungen Leuten Ovids Chronicon (um diesen Ausdruck zu
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dicam) chronicon et me rerum series moneret, ut saepe de collatione Graecae historiae et propheticae cogitarem, addidi breves interpretationes fabularum, partim historicas, partim ethicas. In multis enim antiquitas utrunque miscuit, historiam et commonefactiones de moribus, ut, cum pinguntur Cyclopes, credibile est in illo Siciliae littore fuisse homines feros et latrociniis in terra et in mari grassantes. Quod autem uno oculo pinguntur, manifestè significatur galeae figura. Exitus autem ostendit puniri à Deo iniustos et quidem vinci potentiam et vires consilio, quod Deus gubernat. Bellerophontes cùm esset Lyciorum dominus, bella gessit in Cilicia, ubi Chimeram domuit, quae in fabulis pingitur ut bellua referens leonem prima parte corporis, postrema draconem, media confusam speciem ex multis. Tales sunt omnes seditiones, initio terribiles, et quaeritur honestus praetextus privatae cupiditatis. Honesta oratio erat Marii, consulendum esse egentibus civibus, quorum sanguine Italia contra Cimbros defensa esset, et ad Padum dividendos esse agros, sed sibi dominationem quaerebat. Exitus igitur postea draconi similis fuit, cum interfectis praestantissimis civibus tandem et ipse Italia pulsus est. Medio tempore caligo erat; multi dubitabant, utra causa iusta esset. Vicit autem Bellerophontes donatus Pegaso et aureo freno à Pallade, id est, dato exercitu et fortitudine, quam Deus consilio rexit. Ac idem Bellerophontes postea in rebus secundis factus insolens cum Pegaso intra coelum ad Iovem vehi conaretur, excussus est et afflictus humi, postea moerore periit. Manifestum est autem plurimos homines in rebus secundis sibi ipsis blandiri ac magis laxare frenos cupiditatibus, quia minus impediri eas arbitrantur. Postea immoderatos impetus graves poenae comitantur. Nomen etiam Chimerae sumptum est à monte in Cilicia, quem sic nominasse incolas et Strabo narrat.3 Ita variae sunt occasiones figmentorum: aliâs ab eventibus, aliâs à physicis causis, aliâs ab admonitionibus moralibus sumptae. Orion fuit princeps Boeotiae, qui doctrinam de astris ab Atlante acceptam civibus tradidit et annum ordinavit. Huius ut memoria transmitteretur ad poste-
3 Strabo 14,3,5.
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verwenden) auslegte und die Reihenfolge der Gegenstände mich veranlaßte, oft über einen Vergleich der griechischen Geschichtsdarstellung mit der der Propheten nachzudenken, habe ich kurze Auslegungen der (einzelnen) Sagen hinzugefügt, teils historische, teils moralische. In vielen Sagen hat das Altertum nämlich beides, Geschichte und moralische Ermahnungen, vermischt, so daß es, wenn Cyclopen geschildert werden, glaublich ist, daß es sich an jenem Gestade Siziliens um wilde und zu Lande und zu Wasser auf Raubzügen herumstreunende Menschen handelte. Daß sie aber als einäugig geschildert werden, deutet offenbar auf die Form des Helms hin. Der Ausgang aber macht deutlich, daß Übeltäter von Gott bestraft werden und Macht und Gewalt zweifellos besiegt werden durch Klugheit, die von Gott gelenkt ist. Als Bellerophontes Herr über die Lykier war, führte er Kriege in Kilikien. Dort bezwang er die Chimaera, die in den Sagen als ein Ungeheuer geschildert wird, das vorn die Gestalt eines Löwen, hinten die einer Schlange hat und in der Mitte das Erscheinungsbild einer Mischung aus vielerlei (Tieren) darbietet. Gerade so sind alle Aufstände: am Anfang schreckenerregend, und es wird ein ehrenwerter Vorwand für persönlichen Ehrgeiz gesucht. Ehrenwert war die Rede des Marius, in der er darlegte, daß man sich um die notleidenden Bürger kümmern müsse, mit deren Blut Italien gegen die Kimbern verteidigt worden sei, und daß die Äcker am Po aufgeteilt werden müßten – doch er strebte für sich die Herrschaft an. Der spätere Ausgang war also einer Schlange ähnlich, als er schließlich, nachdem ganz herausragende Bürger umgebracht worden waren, selbst aus Italien vertrieben wurde. In der Zwischenzeit hatte Dunkelheit geherrscht; viele waren unsicher darüber, ob es sich um eine gerechte Sache handelte. Bellerophontes trug aber dadurch den Sieg davon, daß er von Pallas mit Pegasus und einem goldenen Zügel beschenkt worden war, d. h. ausgestattet worden war mit einem Heer und mit Tapferkeit, die Gott mit Weisheit lenkte. Als aber derselbe Bellerophontes später in glücklichen Lebensumständen maßlos wurde und mit Pegasus innerhalb des Himmels zu Jupiter zu fliegen versuchte, wurde er herabgestürzt, schlug auf den Erdboden auf und ging später vor Betrübnis zugrunde. Es liegt nun aber auf der Hand, daß sehr viele Menschen, wenn es ihnen gut geht, sich selbst etwas vormachen und ihren Begierden die Zügel lockerer lassen, weil sie glauben, daß diese (so) weniger behindert werden. Später haben maßlose Ausbrüche [von Begierden] schwere Strafen im Gefolge. Auch der Name der Chimaera leitet sich von einem Berg in Kilikien her, von dem auch Strabo berichtet, daß die Einwohner ihn so benannt hätten. So gibt es vielfältige Anlässe für Erdichtungen: Die einen leiten sich von Ereignissen, andere von physischen Ursachen, wieder andere von moralischen Ermahnungen her. Orion war ein Fürst von Böotien, der die Lehre von den Sternen, die er von Atlas empfangen hatte, an die Bürger weitergab und das Jahr in eine Ordnung
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ros, nomen eius pulcherrimo sideri attributum est. Et scribitur interfectum esse Orionem à Scorpio. Id vel à natura sumptum est, quia oriente Scorpio Orion occidit, vel ab eventu, quia mala ingenia oderunt excellentem doctrinam, propter60 ea quòd sua regna impediri ab eruditis existimant et tollere doctiores conantur. Nomen Orion Graeci finxerunt esse ab οὐρῆν, quia ortus et occasus eius sideris tempestates ciet, ut res ostendit, et Aristoteles inquit, χαλεπὸς ὁ ὠρίων ἀνατέλλων καὶ δύνων.4 Fortassis autem nomen factum est ab ὥρα, quia anni tempora, aestatis et hyemis initia distinguit. Etsi autem interpretationes aliae magis, aliae 65 minus concinnae sunt, tamen iunioribus utiles sunt, si tamen prudentia et delectus adhibeatur et non absurdae ac monstrosae aut procul petitae enarrationes fingantur nec misceantur sacra profanis, sed consilia autorum aspiciantur et fontes proprii in singulis materiis considerentur et accommodatio sit inclusa certis metis. Sit etiam modus, ne ludus aut propter ineptias aut propterea, quòd 70 nimius est, fiat ingratus. Et hanc ipsam curam quaerendi concinnas allusiones et vitandi monstrosas et servandi modum prodesse iunioribus ad formanda iudicia non dubium est. Et rectè assuefacti in his puerilibus exercitiis postea circumspectiores erunt in enarratione doctrinae Ecclesiae nec ludent intempestivis, insulsis et absurdis allegoriis ut Origenes et monachi, qui, ut Proteus 75
Omnia transformat sese in miracula rerum, Ignemque horribilemque feram fluviumque liquentem,5
ita isti omnibus materiis sine discrimine quaslibet figuras induerunt. Ut autem haec licentia perniciosa est, ita concinnae allegoriae in loco adhibitae magna et dulcia sunt ornamenta et memoriam adiuvant. Quanquàm autem hae nostrae interpretationes non sunt omnes à me accu80 ratè scriptae, pleraeque etiam obiter in schola tantum commemoratae et ab auditoribus avidè exceptae sunt, tamen, quia iam in multorum manibus circumferebantur, ne qui aliena assuerent, edi eas passus sum. Ideò verò, Illustrissime Princeps, in hac editione ad Celsi T scripsi, ut specimen osten-
4 Aristoteles: Problemata 941b30; ähnlich auch Meteorologica 361b32. 5 Vergilius: Georgica 4,441–442.
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brachte. Damit die Erinnerung an ihn den Nachlebenden übermittelt wurde, ist sein Name einem sehr schönen Sternbild beigelegt worden. Man schreibt auch, Orion sei vom Skorpion getötet worden. Dies ist teils von der Natur hergeleitet, weil Orion beim Aufgang des Skorpions untergeht, teils vom Ergebnis her, weil schlechte Geister eine ausgezeichnete Gelehrsamkeit hassen, und zwar deshalb, weil sie glauben, daß ihre Herrschaft von Gebildeten behindert werde, und sie suchen Menschen von bedeutendem Wissen aus dem Wege zu räumen. Die Griechen haben angenommen, daß der Name Orion von ‚urinieren’ komme, weil der Auf- und Untergang dieses Gestirns Unwetter erregt, wie es die Tatsachen bezeugen und Aristoteles ausführt: „Beschwerlich ist der Orion, wenn er auf- und wenn er untergeht.“ Vielleicht aber ist der Name aus ὥρα (‚Jahreszeit’) entstanden, weil er die Jahreszeiten, die Anfänge von Sommer und Winter, abteilt. Wenn aber auch die einen Deutungen besser, die anderen weniger passen, sind sie doch für die jungen Leute von Nutzen, vorausgesetzt, daß eine kluge Auswahl getroffen wird und keine unsinnigen, widernatürlichen oder weithergeholten Ausdeutungen konstruiert werden und nicht Heiliges mit Profanem vermischt wird, sondern die Absichten der Verfasser beachtet, die spezifischen Ursprünge bei den einzelnen Stoffen in Betracht gezogen werden und die Nutzanwendung in feste Grenzen eingeschlossen wird. Es werde auch maßgehalten, damit das Spiel nicht entweder durch Albernheiten oder durch ungebührliche Ausweitung Verdruß erregt. Ganz ohne Zweifel ist gerade diese Sorgfalt bei der Suche nach gut passenden Anspielungen, bei der Vermeidung widernatürlicher und bei der Einhaltung des rechten Maßes den jungen Leuten zur Ausbildung der Urteilsfähigkeit von Nutzen. Und wenn sie an diese knabenhaften Übungen auf rechte Art gewöhnt worden sind, werden sie später bei der Auslegung der Lehre der Kirche umsichtiger sein und keine Spielereien mit unpassenden, abgeschmackten und unsinnigen Allegorien treiben wie Origenes und die Mönche. Wie Proteus sich zu allen wundersamen Gestaltungen formt: zum Feuer, zu einem entsetzlich wilden Tier und zu einem flüssigen Strom,
so haben diese Leute alle Materien ohne Unterschied in beliebige Figuren gekleidet. So gefährlich aber diese Willkür ist, so sind kunstgerechte, am rechten Ort angewandte Allegorien große und gefällige Zierden und unterstützen das Gedächtnis. Obwohl aber diese unsere Auslegungen von mir nicht durchweg in sorgfältig ausgearbeiteter Form geschrieben worden sind, sehr vieles in der Schule auch nur beiläufig erwähnt und von den Hörern begierig nachgeschrieben wurde, habe ich dennoch, weil sie schon in den Händen vieler herumgegangen waren, ihre Veröffentlichung zugelassen, damit nicht irgend jemand nicht Dazugehöriges anflickte. Ich habe aber, durchlauchtigster Fürst, in vorliegender Publikation
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85 dam, unde iudicari posset de meo consilio in docendo et de diligentia mea, quam
et Celsitudini tuae et omnibus prudentibus et honestis semper probari volui, ac me et haec nostra studia Tuae Celsitudini reverenter commendo. Datae Idibus Iunii. Anno M.D.LIIII. in Academia Regiimontis.
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Deiner Hoheit deshalb geschrieben, um ein Musterbeispiel vorzuführen, von dem her die Grundtendenz meiner Lehrtätigkeit beurteilt werden kann, auch meine Gewissenhaftigkeit, an deren positiver Beurteilung durch Deine Hoheit und alle einsichtigen und ehrenwerten Persönlichkeiten mir allzeit gelegen war. Und so empfehle ich mich und diese meine Studien Deiner Hoheit mit Ehrerbietung. Gegeben am 13. Juni 1554 an der Universität zu Königsberg.
In primum librum Metamorphoseon. 1 De utilitate fabularum, argumento ac titulo operis. Poetica nihil aliud est nisi philosophia numeris et fabulis concinna, qua honestarum artium doctrina et praecepta de moribus illustrata regnorum exemplis 5 continentur. Nam apud Graecos multò antè, quàm extiterunt philosophi, studia sapientiae à poëtis celebrata sunt, ut Cicero in Tusculanis1 testatur, ubi scribit antiquissimum è doctis esse genus poëtarum. Hi verò ut lenociniis quibusdam allicerent homines ad discendum, consectati sunt duas res, quae plurimum delectationis afferunt: nempe suavitatem numerorum et commenta fabularum. 10 Id quod significat Horatius, cum inquit: Et prodesse volunt et delectare poëtae.2
Intelligebant enim delectationem esse illecebram discendi, et carmine magis excitari animos quàm soluta oratione, resque veras plus admirationis habere, si ingenioso figmento, tanquàm gemmae auro, includerentur. Quare 15 cùm poëtica eandem doctrinam quam philosophia profiteatur, non dubium est fabulas poëtarum esse plenas sapientiae et eruditionis, utpote confictas ab hominibus, qui omne studium in doctrina sapientiaque collocarunt. Sicut enim in vitibus pulcherrimae et dulcissimae uvae sub pampinis latent, ita in poëmatis utilissimae res fabularum involucris teguntur, neque ullum ferè vetus figmentum 20 est poëticum, quo non aliquid contineatur vel ex historiis vel ex physicis vel ex ethicis depromptum. Unde non inscitè dictum est ab Erasmo Roterodamo, poëticam esse placentam deliciis conditam ex omni disciplinarum genere.3 Caeterum Ovidii poëma, quod inscribitur Metamorphosis, selectissimas fabulas omnium poëtarum uno velut fasce comprehendit, in quibus illustria 25 proponuntur exempla benevolentiae et irae divinae illustresque imagines totius vitae et conditionis humanae. Nam in describendis fabulis autor persequitur quandam historiae seriem ab initio mundi ad sua tempora deductam, qua docet res humanas non casu aut fortuitò ferri, sed gubernari divinitus, comme-
1 Cicero: Tuscul. disputat.1,3. 2 Horatius: Ars poet. 333. 3 Erasmus Roterodamus: Ecclesiastes, sive De ratione concionandi, lib. 2: Opera omnia (Amsterdam) V-4, S. 258, Z. 260–263. DOI 10.1515/9783110620283-004
Zum ersten Buch der Metamorphosen 1 Von der Nützlichkeit der dichterischen Erfindungen, dem Inhalt und dem Titel des Werkes Die Poesie ist nichts anderes als eine durch Versmaße und dichterische Erfindungen gefällig gestaltete Philosophie, in der die Lehre ehrbarer Künste sowie Moralvorschriften, erhellt durch Beispiele von Königreichen, enthalten sind. Bei den Griechen wurde nämlich, lange bevor es Philosophen gab, das Studium der Weisheit von den Dichtern verbreitet, wie Cicero in den Tusculanen bezeugt, wo er schreibt, daß die Dichter die älteste Zunft unter den Gelehrten seien. Diese aber haben, um die Menschen mit bestimmten Anreizen zum Lernen zu verlocken, zwei Dinge verfolgt, die ein Höchstmaß an Vergnügen bereiten: nämlich die Süßigkeit der Verse und die Erfindung von Geschichten. Hierauf weist Horaz hin, wenn er sagt: Die Dichter wollen sowohl nützen als auch unterhalten.
Man bemerkte nämlich, daß die Unterhaltung ein Lockmittel zum Lernen ist und die Geister stärker durch eine Dichtung erregt werden als durch ungebundene Rede und daß Wahrheiten mehr Bewunderung finden, wenn sie in eine kunstreiche dichterische Fiktion, ebenso wie Edelsteine in Gold, eingeschlossen sind. Da also die Poesie dieselbe Lehre verkündet wie die Philosophie, besteht kein Zweifel, daß die Geschichten der Dichter voller Weisheit und Gelehrsamkeit sind – wurden sie doch erfunden von Menschen, die ihr ganzes Streben auf Bildung und Weisheit ausgerichtet haben. So wie nämlich bei den Weinstöcken die schönsten und süßesten Trauben unter dem Weinlaub verborgen sind, so sind in Dichtungen die nützlichsten Dinge von den Umhüllungen der Geschichten bedeckt, und es gibt so gut wie keine alte poetische Erfindung, in der nicht irgend etwas aus der Geschichte, der Naturkunde oder der Moral entlehnt ist. Daher hat sich Erasmus sehr treffend ausgedrückt, indem er sagte, die Dichtung sei ein Kuchen, der angefüllt sei mit Köstlichkeiten aus Wissenschaften jeder Art. Im übrigen umfaßt die Dichtung Ovids, die den Titel ‚Metamorphosis’ trägt, die auserlesensten Geschichten aller Dichter gleichsam in einem einzigen Bündel. In ihnen werden anschauliche Beispiele göttlichen Wohlwollens und Zorns und anschauliche Bilder des ganzen menschlichen Lebens und seiner Befindlichkeit vorgeführt. Denn bei der Abfassung seiner Geschichten verfolgt der Autor einen bestimmten historischen Ablauf, der vom Beginn der Welt bis an sein eigenes Zeitalter fortgeführt wird und mit dem er darüber belehrt, daß die Geschichte der
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morans esse numen, à quo omnia facta et constituta sint omniaque providentissimè regantur, id favere piis et honestis actionibus, scelera verò punire variis vitae calamitatibus, ac in primis contemptum religionis. Propter hunc totas gentes, urbes, familias saepe deletas esse bello, pestilentia aliisque gravissimis malis. Praeter haec autem vitae exempla, quae ex historiis sumuntur, continet idem poëma tot astronomica, tot physica passim inserta, tot denique regionum, locorum, urbium, montium, fluviorum nomina et descriptiones, ut (si quis eruditum habuerit interpretem) addiscere hinc queat magna ex parte geographiam, sphaeram et naturae expositionem. Non est igitur ociosum et nugatorium hoc poëma ac tantum ad delectationem confictum, ut ab imperitis quibusdam existimatur, sed est thesaurus eruditionis. Cuius quidem lectio conducit primum ad formandos vitae mores (invitant enim nos exempla ad virtutem et à turpitudine dehortantur), deinde ad multiplicem doctrinam (continet enim vestigia omnium ferè artium, quibus liberalis doctrina continetur). Postremò alias quoque utilitates adfert, quarum haec non minima est, quòd instruit eloquentiae studiosos omni apparatu oratorio verborum et figurarum ac docet, quomodo rerum diversarum inventio distribuenda, res verò perspicuè, copiose iucundeque explicandae sint. Mira est enim varietas figurarum, affectuum et sententiarum in narratione harum fabularum, mira quoque et artificiosa earundem dispositio seu continuatio, qua ita connectuntur, ut, cum diversissimae sint, tamen aptè una ex alia necti et omnes inter se colligatae esse videantur. Propter quas utilitates hoc opus meritò omnibus commendatum esse debet. Apud Graecos multi poëtae idem argumentum tractarunt, ut Callisthenes, Parthenius et quidam Theodorus, sed Ovidium facilitate et iucunditate carminis omnes superasse ex eo manifestum est, quod hi ipsius libri in Graecam linguam conversi sunt. Titulus inscribitur Metamorphosis, hoc est, transformatio. Finguntur enim hîc converti ex hominibus in belluas, qui in hominis figura belluae immanitatem gerunt, quales sunt ebriosi, libidinosi, violenti et similes, quorum appetitus rectae rationi minimè obtemperat.
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Menschheit nicht zufällig oder von ungefähr verläuft, sondern durch göttliche Einwirkung gelenkt wird – so die Tatsache ins Bewußtsein hebend, daß es eine göttliche Macht gibt, von der alles geschaffen und eingerichtet wurde und alles mit größter Voraussicht geleitet wird, daß diese Macht frommen und ehrbaren Handlungen gewogen ist, Verbrechen aber mit vielfältigen Lebenskatastrophen bestraft, vor allem die Verachtung der Religion. Derentwegen seien ganze Völker, Städte, Familien häufig durch Krieg, Pestilenz und andere schwerste Übelstände zerstört worden. Außer diesen Beispielen für Lebensereignisse aber, die aus der Geschichte genommen werden, enthält dasselbe Dichtwerk durchweg so viele astronomische, so viele naturkundliche Einfügungen, schließlich so viele Namen und Beschreibungen von Regionen, Orten, Städten, Bergen und Flüssen, daß man daraus, wenn man einen geschulten Interpreten hat, zum großen Teil ganz nebenbei Geographie, die Kreisbahnen der Himmelskörper und Naturkunde lernen kann. Diese Dichtung ist also kein müßiges, gehaltloses und nur zur Unterhaltung ersonnenes Werk, wie manche Unerfahrenen glauben, sondern ein Schatz der Gelehrsamkeit. Dessen Lektüre trägt in der Tat erstens bei zur Ausbildung einer moralischen Lebensführung (die Beispiele ermuntern uns nämlich zur Tugend und raten uns von Unsittlichem ab), zweitens zu einer Vielfalt von Kenntnissen (es enthält nämlich Spuren nahezu aller Künste, aus denen die edle Wissenschaft besteht). Schließlich hat es auch noch andere Vorzüge, von denen besonders wichtig derjenige ist, daß es die Studenten der Beredsamkeit mit dem ganzen Rüstzeug der Redekunst an Wörtern und Figuren ausstattet und sie lehrt, wie die Inventio voneinander differierender Gegenstände gehörig zu ordnen ist, die Gegenstände aber durchsichtig, wortreich und gefällig darzustellen sind. Erstaunlich ist nämlich die Mannigfaltigkeit der Figuren, Affekte und Sentenzen im Vortrag dieser Geschichten, erstaunlich auch und kunstvoll deren Anordnung oder Fortführung, durch die sie so miteinander verbunden werden, daß sie, obwohl gänzlich verschieden, doch von einer zur anderen genau passend miteinander verknüpft und allesamt untereinander verbunden erscheinen. Wegen dieser Vorzüge soll dieses Werk füglich jedermann empfohlen sein. Bei den Griechen haben viele Dichter den gleichen Stoff bearbeitet, so z. B. Kallisthenes, Parthenius und ein gewisser Theodorus; doch daß Ovid alle an dichterischer Leichtigkeit und Gefälligkeit übertroffen hat, geht ganz klar daraus hervor, daß diese seine Bücher ins Griechische übersetzt worden sind. Der Titel lautet ‚Metamorphose’, d. h. Umbildung. Hier wird nämlich in erfundenen Geschichten erzählt, wie Personen, die in Menschengestalt die Inhumanität eines Tieres aufweisen, wie z. B. Säufer, Wollüstlinge, Gewalttäter und Personen ähnlichen Schlages, deren Triebe der rechten Vernunft in keiner Weise gehorchen, aus Menschen in Tiere verwandelt werden.
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2 Chaos. Ante mare et terras et quod tegit omnia coelum. [I,5] 60 Prima et maximè admiranda metamorphosis est rerum creatio. Quid enim admi-
rabilius, quàm informe chaos in pulcherrimum hoc mundi opificium ac tenebras in lucem converti? Nec verò dubium est poëtarum narrationes de mundi fabricatione sumptas esse ex veteri patrum doctrina, quam alii simplicius recitarunt, alii magis involverunt fabulis, ut Orpheus et deinde Musaeus ac Linus. Versus 65 est Orphei recitatus à Iustino Martyre4 et à Clemente Alexandrino5 de unitate Dei: Εἷς ἔστʼ, αὐτογενής, ἑνὸς ἔκγονα πάντα τέτυκται.6
Fuit enim consentiens veterum sapientum vox, unum esse infinitae potentiae Deum fabricatorem totius machinae mundi, sapientem, veracem, bonum, iustum, beneficum, castum, qui sic ordinavit mundi corpora, ut hominibus victum gigne70 rent et alia vitae praesidia, et indidit mentibus multas noticias et discrimen honestarum et turpium actionum, et horribilibus exemplis punit atrocia scelera etiam in hac mortali vita, ut agnoscamus et esse Deum et iustum, veracem et castum esse. At verò quòd docent poëtae chaos, unde mundus fabrefactus est, extitisse ab aeterno, in hoc minimè conveniunt cum sacris literis, quia Moses tradit mate75 riam illam à Deo esse creatam per verbum ex nihilo. Quare eorum doctrina, etsi non per omnia sacris literis consentanea est, tamen accedit propius ad veritatem quàm opinio Aristotelis et aliorum, qui negant mundum habuisse initium. Statuerunt autem poëtae duo principia, Deum et chaos, secuti Hermetem Trismegistum Aegyptium, ex cuius doctrina Stoici finxerunt duo aeterna: alterum, Deum 80 seu mentem, alterum, naturam seu materiam. Sic enim Hermes docet: ἀρχὴ τῶν ὄντων ὁ θεός καὶ νoῦς καὶ φύσις καὶ ὕλη.7 Quibus etiam verbis hoc consentaneum est, quod Ovidius in hac fabula Deum et naturam coniunctim nominat, utrique tanquàm aeterno ascribens rerum primordia, cum ait: Hanc Deus et melior litem natura. diremit. [I,21]
4 Ps.-Iustinus (ed. Pouderon): Cohortatio ad Graecos 15,1; De monarchia 2,4. 5 Clemens Alexandrinus: Protrepticus 7,74,5. 6 Orphicorum fragmenta (ed. Kern) 245,8. 7 Corpus Hermeticum (ed. Nock), Tractatus 3 (Hieros logos),1.
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2 Chaos Bevor es das Meer und das Land gab und den Himmel, der alles bedeckt. [I,5]
Die erste und bewunderungswürdigste Metamorphose ist die Erschaffung der Welt. Denn was ist bewundernswerter, als daß das gestaltlose Chaos in dieses überaus schöne Werk der Welt und die Finsternis in Licht verwandelt wird? Es ist aber nicht zweifelhaft, daß die Erzählungen der Dichter von der Errichtung der Welt aus der alten Lehre der Väter entlehnt wurden, welche die einen ganz einfach vorgetragen, die anderen eher in Erdichtungen eingehüllt haben, wie Orpheus und danach Musaeus und Linus. Der Vers des Orpheus über die Einheit Gottes wurde von Iustinus Martyr und Clemens Alexandrinus zitiert: Er ist einer, aus sich selbst erschaffen, und alles ist des einen Nachkommenschaft.
Die alten Weisen äußerten nämlich einhellig die Meinung, daß ein einziger Gott von unendlicher Macht der Werkmeister des ganzen Weltenbaus sei: ein weiser, wahrhaftiger, guter, gerechter, wohltätiger, makelloser Gott, der die Gesamtheit der Welt so angelegt hat, daß sie für die Menschen Nahrung und andere lebensnotwendige Hilfsmittel erzeugte, ihrem Geist viele Kenntnisse und die Fähigkeit zur Unterscheidung ehrenwerter und schändlicher Handlungen eingab und furchtbare Verbrechen auch in diesem todgeweihten Leben mit entsetzlichen Strafen ahndete, damit wir erkennen, daß es einen Gott gebe und daß er gerecht, wahrhaftig und makellos sei. Wenn aber die Dichter lehren, daß das Chaos, aus dem die Welt erbaut wurde, von Ewigkeit her bestanden habe, so stimmen sie hierin überhaupt nicht mit der Heiligen Schrift überein, denn Moses lehrt, daß jene Materie von Gott durch das Wort aus dem Nichts erschaffen worden sei. Deshalb kommt deren Lehre, wenn sie auch nicht in jeder Hinsicht mit der Heiligen Schrift übereinstimmt, doch der Wahrheit näher als die Meinung des Aristoteles und anderer, die bestreiten, daß die Welt einen Anfang gehabt habe. Die Dichter haben aber zwei Ursprünge festgesetzt: Gott und Chaos, womit sie dem Ägypter Hermes Trismegistus gefolgt sind. Ausgehend von dessen Lehre haben die Stoiker zwei ewig überdauernde Gegebenheiten angesetzt: als die eine Gott oder den Geist, als die andere die Natur oder die Materie. So lehrt es nämlich Hermes: „Gott ist der Anfang alles Seienden und Geist und Natur und Materie.“ Mit diesen Worten stimmt auch überein, daß Ovid in dieser Dichtung Gott und Natur gemeinsam anführt, beiden als gleichsam ewigen Gegebenheiten die Anfänge der Welt zuschreibend, wenn er sagt: Diesen Streit hat Gott und die bessere Natur geschlichtet. [I,21]
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Fabularum Ovidii interpretatio I
85 De mente quoque idem sentire mihi videtur, licet non apertè. Nam cùm inquit: Sic ubi dispositam, quisquis fuit ille deorum, Congeriem secuit sectamque in membra redegit, [I,32 sq.]
dubitat, opinor, num debeat creationem attribuere menti, quemadmodum Plato. Is enim in Phaedone scribit mentem esse architectatricem mundi8: in qua sen90 tentia et Anaxagoram9 aliosque multos fuisse constat.
3 Prometheus, Iapeti filius, cur hominum plastes. Quam satus Iapeto mixtam fluvialibus undis. [I,82]
Iapetus fuit Iaphet, Noae filius maior natu. Hunc ut virum sanctum antiquitas non mortalium, sed coelestium numero habuit, eiusque liberos, quos poëtae 95 Titanas vocant, antiquiores genere hu
mano celebravit. Ex filiis autem ipsius, quorum septem numerantur, unus, quisquis ille fuit, dictus est à Graecis Prometheus, ἀπὸ τῆς προμηθείας, hoc est, à providentia. Fuit enim praeter caeteros prudens ac providus, ut testatur Hesiodi versus: Ἰαπετιονίδη πάντων πέρι μήδεα εἰδώς.10 100 Atque is Prometheus celebratur hominum plastes, vel quia hominis propria est
prudentia, vel quòd collatione caeterorum animalium homo singulari consilio et providentia Dei creatus est, vel etiam eò, quòd ex sermonibus ipsius Promethei affluxit ad gentes doctrina de creatione humani generis, nempe quòd Deus ad imaginem sui crearit hominem. Lactantius Firmianus putat Promethea fuisse 105 primum, qui statuas seu simulacra fìnxerit, ac scribit illum vixisse temporibus Iovis, quibus templa constitui et idola coli coeperunt.11 Divus tamen Augustinus fabulam exponit eodem ferè modo, quo nos, videlicet de sapientia et doctrina, qua ille hominum animos excoluit. Ita enim scribit de civitate Dei: „Regnanti-
8 Plato: Phaedon 97c. 9 Ibid. 10 Hesiodus: Theogonia 559. 11 Lactantius Firmianus: Divinae institutiones 2,10,12.
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Auch von dem Geist denkt er, so scheint mir, dasselbe, wenn auch nicht in aller Offenheit. Denn wenn er sagt: Als nun einer der Götter, welcher auch immer, die verworrene Masse ordnend geschieden und die geschiedene gegliedert hatte [I,32 f.],
ist er meiner Meinung nach im Zweifel, ob er die Schöpfung wie Plato dem Geist zuschreiben soll. Dieser schreibt nämlich im Phaedon, daß der Geist der Baumeister der Welt sei – welche Meinung bekanntlich auch Anaxagoras und viele andere vertreten haben.
3 Prometheus, der Sohn des Iapetus: Warum er Bildner der Menschen ist Welche, vermengt mit Flußwasser, der Sohn des Iapetus […] [I,82]
Iapetus war Japhet, der ältere Sohn Noahs. Diesen zählte das Altertum als einen heiligen Mann nicht unter die Sterblichen, sondern unter die Himmlischen, und seine Kinder, die die Dichter Titanen nennen, pries es als Wesen, die über dem Menschengeschlecht standen. Von seinen Söhnen, sieben an der Zahl, wurde einer, welcher auch immer es war, von den Griechen Prometheus genannt, von ‚prometheia‘, d. h. ‚Voraussicht‘. Er war nämlich im Vergleich zu den übrigen Söhnen ausnehmend klug und vorausschauend, wie es dieser Vers Hesiods bezeugt: Sohn des Iapetus, der du allen überlegen bist an gutem Rat!
Dieser Prometheus nun wird als Bildner der Menschen gepriesen, teils, weil der Verstand eine Besonderheit des Menschen ist, teils, weil der Mensch im Vergleich zu den übrigen Lebewesen von Gott mit einzigartiger Besonnenheit und Voraussicht geschaffen worden ist, teils auch deshalb, weil aus den Reden des Prometheus selbst die Lehre von der Erschaffung des Menschengeschlechts, daß nämlich Gott den Menschen nach seinem Bilde erschaffen hat, den Heiden zugeflossen ist. Lactantius Firmiamus glaubt, daß Prometheus der erste gewesen sei, der Statuen oder Bildwerke gestaltet habe, und schreibt, er habe in den Zeiten Jupiters gelebt, in denen man anfing, Tempel zu errichten und Götzenbilder zu verehren. Der heilige Augustinus aber legt die Sage so ziemlich auf dieselbe Weise aus wie wir, nämlich im Hinblick auf Weisheit und Wissenschaft, mit der jener die Geister der Menschen veredelt hat. In seinem Werk ‚Über den Gottesstaat‘ schreibt er nämlich wie folgt: „Zur Zeit der Herrschaft der erwähnten Könige
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Fabularum Ovidii interpretatio I
bus memoratis regibus fuisse à quibusdam creditur Prometheus, quem prop 110 terea ferunt de luto formasse homines, quia optimus sapientiae doctor fuisse perhibetur.“12 Qua vero providentia Dei homo sit creatus, indicat aptissima corporis figura et facultas rationis, qua ipse à brutis differt, eamque differentiam Ovidius in hac fabula explicat perquàm eruditè his verbis: 115
Sanctius his animal mentisque capacius altae Deerat adhuc et quod dominari in caetera possit. [I,76 sq.]
Dicitur enim animal sanctum et capax altae mentis, animal rationale, habens agnitionem Dei, estque solus homo particeps rationis, cuius caetera animalia omnia sunt expertia. Neque aliud significat hoc loco mens alta, nisi rationem notitia Dei et legis naturae, quae est radius sapientiae Dei, illustratam. Ac omnia 120 huius mentis imperio subiecta sunt. Nam etsi multa animantium genera et mole et robore corporis praestant (quae enim hominis comparatio vel ad balenam? vel ad elephantum?), tamen ipse omnium dominus existit propter rationem. Hac nimirum in profundo aquae pisces capit, hac in terra feras et beluas domat, hac è sublimi aëre volucres ·in suam potestatem redigit. Figura item corporis humani, 125 non prona, sed erecta, documentum est finis, ad quem homo creatus est: nempe ad agnitionem Dei et contemplationem rerum coelestium, quarum spectaculum ad nullum aliud genus animalium pertinet quàm ad genus humanum: id quod etiam poëta noster significat verbis admodum illustribus, cum inquit: 130
Pronaque cum spectent animalia caetera terram, Os homini sublime dedit, coelumque tueri Iussit et erectos ad sidera tollere vultus. [I,84–86]
Ac videtur Ovidius praeclaram hanc sententiam mutuatus à M. Tullio Cicerone, qui primo de Legibus ita scribit: „Figuram corporis habilem et aptam ingenio humano dedit. Nam cum caeteros animantes abiecisset ad pastum, solum 135 hominem erexit et ad coeli quasi cognationis domiciliique pristini conspectum
12 Augustinus: De civitate dei 18,8.
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lebte, wie einige glauben, Prometheus, von dem man deshalb sagt, er habe die Menschen aus Lehm geschaffen, weil man meint, er sei ein ausgezeichneter Lehrer der Weisheit gewesen.“ Mit welcher Voraussicht Gottes aber der Mensch erschaffen worden ist, offenbart seine äußerst zweckmäßige Gestalt und sein intellektuelles Vermögen, durch das er sich von den Tieren unterscheidet. Und diesen Unterschied erläutert Ovid in dieser Dichtung äußerst sachkundig mit folgenden Worten: Es fehlte noch ein Lebewesen, das heiliger war als diese, das aufnahmefähiger war für seinen hohen Geist und imstande, die übrigen zu beherrschen. [I,76 f.]
Der Mensch wird nämlich bezeichnet als heiliges und über einen hohen Geist verfügendes Lebewesen, als Vernunftwesen, das von Gott weiß; und allein er hat teil an der Vernunft, deren alle übrigen Lebewesen entraten. Und der Begriff ‚hoher Geist‘ bezeichnet an dieser Stelle nichts anderes als die Vernunft, welche erleuchtet ist durch die Kenntnis Gottes und des Gesetzes der Natur, das der Strahl Gottes ist. Und so sind alle Lebewesen der Oberherrschaft dieses Geistes unterworfen. Denn obwohl viele Tiergattungen durch Körpergröße und -kraft den Menschen übertreffen (wie könnte er sich denn auch mit dem Walfisch oder dem Elefanten vergleichen!), so tritt er doch auf als ihrer aller Herr – wegen seiner Geisteskraft. Mit dieser nämlich fängt er die Fische in der Tiefe des Wassers, mit dieser bezwingt er auf dem Land wilde und ungeheuer große Tiere; mit dieser bringt er die Vögel aus der Höhe der Luft in seine Gewalt. Die Gestalt des menschlichen Körpers ist auch nicht zur Erde geneigt, sondern aufgerichtet, als Zeugnis des Zweckes, zu dem der Mensch geschaffen wurde: nämlich zur Erkenntnis Gottes und zur Betrachtung der himmlischen Dinge, deren Anblick keinem anderen Geschlecht von Lebewesen zusteht als dem Menschengeschlecht – was unser Dichter ebenfalls mit schlechthin glanzvollen Worten zum Ausdruck bringt, wenn er sagt: Während die übrigen Lebewesen nach vorn geneigt die Erde anblicken, gab er dem Menschen ein emporgerichtetes Gesicht, hieß ihn den Himmel anschauen und das Antlitz emporrichten und zu den Sternen erheben. [I,84–86]
Ovid scheint sogar diesen berühmten Ausspruch von M. Tullius Cicero entlehnt zu haben, der im ersten Buch seines Werkes ‚Über die Gesetze‘ folgendes schreibt: „Sie (die Natur) gab ihm eine gewandte und dem menschlichen Geist angemessene Körpergestalt. Denn während sie die übrigen Geschöpfe zur Futteraufnahme niedergebeugt hatte, gab sie allein dem Menschen eine aufrechte Gestalt und regte ihn dazu an, den Blick zum Himmel, gleichsam zu seinem Verwandten und seinem ehemaligen Wohnsitz, zu richten.“ Den gleichen Ausspruch hat aber
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excitavit.“13 Eandem vero sententiam Silius ltalicus imitatus reddidit his versibus, bonis quidem, sed longe dissimilibus:
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Nonne vides, hominum ut celsos ad sidera vultus Sustulerit Deus ac sublimia finxerit ora, Cum pecudes volucrumque genus formasque ferarum Segnem atque obscoenam passim stravisset in alvum?14
Porrò quod Prometheus fingitur auxilio Minervae in coelum ascendisse et ignem facula sustulisse de rota solis, quo igne homines animati sint, eo significatum arbitror, eum doctrinam de Deo et vitae leges et anni ordinationem multis populis 145 tradidisse, ut lutea eorum corpora, hoc est, rudes animi, honestis artibus excolerentur. Fuit enim astronomus suo tempore omnium peritissimus, teste Servio15, ac quoniam fertur in Caucaso monte Aquilae signi coelestis causam, naturam et situm indagasse, ob hanc curam et sollicitudinem fingitur alligatus Caucaso, ubi aquila cor ipsius exedat. Adhaec Plinius refert16, flammam à Prometheo 150 excussam è silice, cuius usus antea erat ignotus: quod etiam existimo allegoricè dictum esse.
4 De quatuor mundi aetatibus. Aurea prima sata est aetas, etc. [I,89]
Propagato genere humano mundus paulatim degeneravit ac subinde factus
155 est deterior. Haec est enim rerum humanarum conditio, ut successu temporum
omnia in peius ruant, ac quemadmodum semina et plantae paulatim degenerant, ita quoque homines singulis aetatibus deteriores nasci manifestum est. Quod ut significarent poëtae, confinxerunt metamorphosin aetatum ac fabulati sunt, primam ex aurea factam esse argenteam, deinde ex argentea factam esse aeneam 160 ac postremò ferream. Dicitur autem prima aetas aurea tùm propter naturam et bonitatem hominum, tùm propter facilitatem victus ac tranquillitatem vitae. Primi enim homines et natura erant praestantiores atque vivaciores, quàm nunc sunt, et sapientia excellebant, id quod indicant variae artes ab illis inventae, et piè, iustè temperanterque vivebant. Cumque initio et aër salubrior esset et
13 Cicero: De legibus 1,26. 14 Silius Italicus: Punica 15,84–87. 15 Servius: Comment. in Vergil. Bucol. 6,42. 16 Plinius: Nat. hist. 7,198.
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Silius Italicus nachgeahmt und in diesen zwar guten, aber doch stark abweichenden Versen wiedergegeben: Siehst du nicht, daß Gott die Gesichter der Menschen hoch zum Himmel erhoben hat, während er das Vieh, die Gattung der Vögel und die Wildtiere durchweg auf den trägen und garstigen Bauch niedergebeugt hat?
Daß von Prometheus ferner erdichtet wird, er sei mit Hilfe Minervas in den Himmel aufgestiegen und habe mit einem Span Feuer von der Sonnenscheibe entnommen – Feuer, mit dem die Menschen beseelt worden seien: damit wird, wie ich glaube, angezeigt, daß er die Lehre von Gott, die Gesetze des Lebens und die Einrichtung des Jahreslaufs bei vielen Völkern eingeführt hat, damit deren aus Lehm gebildete Leiber, d. h. ihre noch rohen Geister, durch ehrbare Künste kultiviert wurden. Er war nämlich zu seiner Zeit, wie Servius bezeugt, der erfahrenste Astronom von allen, und deshalb, weil berichtet wird, er habe auf dem Berg Kaukasus Ursprung, Natur und Lage des Sternbildes des Adlers erforscht, wurde er der Sage nach wegen dieser Betätigung und Besorgung an den Kaukasus gefesselt, wo ein Adler sein Herz abfresse. Darüber hinaus berichtet Plinius, von Prometheus sei Feuer aus einem Feuerstein geschlagen worden, dessen Gebrauch zuvor unbekannt war; auch dies war meiner Meinung nach allegorisch gesprochen.
4 Von den vier Zeitaltern der Welt Als erstes Zeitalter entstand das goldene usw. [I,89]
Nach der Ausbreitung des Menschengeschlechts entartete die Welt allmählich und wurde nach und nach schlechter. Dies ist nämlich die Bestimmung der menschlichen Dinge: daß im Fortgang der Zeit alles zum Schlechteren hin abfällt; und ebenso wie Samen und Pflänzlinge allmählich entarten, werden offensichtlich in den einzelnen Zeitaltern auch immer schlechtere Menschen geboren. Um diese Tatsache aufzuzeigen, haben die Dichter eine Verwandlung der Zeitalter ersonnen und fabuliert, als erstes nach dem goldenen sei das silberne entstanden, aus dem silbernen sodann das eherne und zuletzt das eiserne. Golden wird aber das erste Zeitalter genannt zum einen wegen der gutartigen Natur des Menschen, zum anderen wegen der Leichtigkeit seines Nahrungserwerbs und seines Lebens in Ruhe und Frieden. Die ersten Menschen waren nämlich von Natur aus vortrefflicher und lebhafter als die heutigen und zeichneten sich durch Weisheit aus (was die verschiedenen von ihnen erfundenen Künste anzeigen) und lebten fromm, gerecht und maßvoll. Und da anfangs die Luft gesünder und die Erde fruchtba-
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165 terra foecundior, non solum quia natura propior erat origini, sed etiam quia minus
erat scelerum, victus facile parabatur, qui nunc multa cultura et magno labore quaeritur, omnesque ut erant liberi, ita nemo laborum sollicitudine, nemo opum cupiditate angebatur. Hinc boni homines apud Theocritum χρύσειοι ἄνδρες17, aurei viri, dicuntur. Et Socrates apud Platonem in Cratylo „Si quis“, inquit, „nunc 170 ex nostris bonus sit, anne putes hunc aurei generis ab Hesiodo aestimari?“18 Ac videtur haec fabula de quatuor aetatibus nata ex Danielis historia de illa statua in somno à rege visa19, in qua prima monarchia pingitur aurea, secunda argentea, tertia aenea, quarta ferrea, estque verisimile, hanc ipsam historiam Graecis fuisse non ignotam, utpote qui multum commercii olim cum Aegyptiis 175 habuerunt.
5 Saturnus missus in Tartara. Postquàm Saturno tenebrosa in Tartara misso. [I,113]
Occasio fabulae de Saturno misso in Tartara sumpta est ex profunditate aëris. Saturnus enim movetur omnium planetarum extremus estque longissime sub180 motus à terra. Et ingens coeli altitudo appellatur Tartarus. Nec facile animadvertitur illius motus, cum ipse in conficiendo cursu ita segnis sit ac tardus, ut quasi stare videatur. Unde etiam fingitur esse in compedibus, ut refert Lucianus in libello de astrologia.20
6 De Gigantibus. 185
Affectasse ferunt regnum coeleste Gigantes. [I,152]
Gigantomachia potest accommodari ad conspirationem hominum in republica praepotentum, quales olim fuerunt Sylla, Marius, Catilina, Antonius et si qui alii, viribus suis freti, iniusta et nefaria bella moverunt adversus rempublicam. Perhibentur enim Gigantes tantis tamque praevalidis fuisse viribus, ut ad oppug190 nandum coelum altissimos montes humeris suis comportarint. Ac quanquam alii quoque infimae sortis homines, qui vel in republica adversus leges sedi-
17 Theocritus 12,16. 18 Plato: Cratylus 397e-398b; Hesiodus: Opera et dies 109–126. 19 Dan 2,31–33. 20 Lucianus: De astrologia 21.
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rer war, nicht nur weil die Natur ihrem Ursprung näher war, sondern auch weil es weniger Verbrechen gab, ließ sich der Lebensunterhalt leicht beschaffen, der heute mit vielem Landbau und großem Arbeitsaufwand erworben wird. Und wie alle frei waren, so wurde niemand durch Arbeitsdruck, niemand durch Gier nach Reichtum gequält. Deshalb werden gute Menschen bei Theokrit χρύσειοι ἄνδρες, ‚goldene Männer‘, genannt. Und Sokrates sagt bei Plato, im Cratylus: „Wenn jemand von den Unsrigen heutzutage gut ist, glaubst du dann nicht, daß dieser von Hesiod als einem goldenen Geschlecht zugehörig eingeschätzt werden würde?“ Es scheint auch so, als sei diese Sage von den vier Zeitaltern hervorgegangen aus des [Propheten] Daniel Geschichte von jener berühmten Statue, die von dem Könige im Traum gesehen wurde, in der die erste Monarchie golden dargestellt wird, die zweite silbern, die dritte ehern, die vierte eisern. Und es ist wahrscheinlich, daß eben diese Geschichte den Griechen nicht unbekannt war, die ja einst regen Handelsverkehr mit den Ägyptern unterhielten.
5 Saturn in den Tartarus gestürzt Als Saturn in den finsteren Tartarus geworfen worden war. [I,113]
Die Veranlassung zu der Sage von dem in den Tartarus gestürzten Saturn wurde bezogen aus der Tiefe der Luft. Der Saturn zieht nämlich seine Bahn als äußerster von allen Planeten und ist am weistesten von der Erde entfernt. Und die ungeheure Höhe des Himmels wird Tartarus genannt. Man kann auch seine Bewegung nicht leicht wahrnehmen, da er bei der Ausführung seines Laufes so träge und langsam ist, daß er gleichsam zu stehen scheint. Deshalb hat man sich auch von ihm vorgestellt, daß er in Fesseln stecke, wie Lukian in seinem Buch von der Astrologie berichtet.
6 Von den Giganten Man sagt, die Giganten hätten heftig nach der Herrschaft im Himmel getrachtet. [I,152]
Der Gigantenkampf läßt sich beziehen auf die Verschwörung von Menschen, die im Staat über sehr große Macht verfügen, so wie einst Sulla, Marius, Catilina, Antonius und andere sonst, die, auf eigene Kräfte gestützt, unrechtmäßige und frevelhafte Kriege gegen den Staat anstifteten. Man sagt nämlich, daß die Giganten so große und so gewaltige Kräfte besessen hätten, daß sie zur Erstürmung des Himmels die höchsten Berge auf ihren Schultern herbeitrugen. Obgleich nun auch andere Menschen niedersten Standes, die entweder im Staat im Wider-
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tiose tumultuantur vel impuro ore convicia in principes evomunt, in Gigantum numero habendi sunt, tamen quia non habent vires gestandis montibus pares, vix Gigantum fraterculi dici possunt. Non dubium est autem fabulam in istos confictam esse, quicunque adversus leges ac magistratum arma sumunt. Nam cùm divinitus constituantur respublicae, quid est aliud adversari legibus et magistratui quàm ipsi Deo? Potest etiam accommodari ad hostes Ecclesiae, qui aut falsa doctrina aut vi conantur labefactare veram religionem. Sacrae literae enim testantur Gigantes fuisse homines à vero Dei cultu et à iusticia alienos. Est igitur in hac fabula coelum vel respublica vel Ecclesia, Iupiter supremus magistratus, Gigantes vel cives sediciosi vel haeretici vel tyranni, qui manus inferunt piis et iniusta sanciunt, montes ad oppugnandum coelum congesti conatus temerarii et opiniones impiae, fulmen Iovis divina ultio. Nam omnes puniuntur divinitus ac perinde ut Gigantes habent tristes exitus, quicunque contra legitima imperia, quibus subiecti esse debent, arma capiunt aut qui delere Ecclesiam conantur, sicut exempla Catilinae, Bruti, Cassii, Diocletiani et aliorum ostendunt. Ut verò poëtae tales tamque nefarios homines detestarentur tanquàm monstra, affinxerunt Gigantibus pedes anguinos. Nihìl est enim tàm immane, tàm monstrosum, quàm adversus Deum, adversus pietatem, adversus magistratum, leges, ius et aequum aliquid moliri. Ioachimus Camerarius, vir omni doctrina eruditus, anguinos Gigantum pedes exponit de improbis consiliariis, quorum turpi sustentatione tyranni tanquàm pedibus nituntur.21 Extat Iacobi Sadoleti liber de laudibus philosophiae, qui inscribitur Phaedrus, ubi facetè cum Gigantibus etiam conferuntur philosophi, qui ingeniis suis nimium confidunt sibique omnem sapientiae laudem arrogant. In eo libro Phaedri verba sunt haec: Atqui mihi videntur veteres illi haud illepidè de Gigantibus fabulati, quo horum insolentiam temeritatemque arguerent. Quod ea re firmius adducor, ut credam, quod illi montibus tribus tanquam gradibus, sic philosophi trinis, antea à nobis memoratis philosophiae partibus, in altissima loca moliuntur ascensum:
21 Ioachimus Camerarius: Elementa rhetoricae (Basel 1545), S. 314–316.
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spruch zu den Gesetzen aufrührerisch Krawall machen oder aus ihrem unreinen Mund Lästerungen gegen Fürsten ausspeien, unter die Giganten zu rechnen sind, können sie doch, da ihre Kräfte nicht hinreichen, Berge herbeizuschleppen, kaum als der Giganten kleine Brüder bezeichnet werden. Die Sage ist zweifellos gegen alle diejenigen ersonnen worden, die gegen die Gesetze und die Obrigkeit zu den Waffen greifen. Denn da Staaten durch göttlichen Ratschluß errichtet werden, was bedeutet es da anderes, den Gesetzen und der Obrigkeit zu widerstreben, als Gott selbst? Die Sage kann auch auf die Feinde der Kirche angewandt werden, die mit einer Irrlehre oder mit Gewalt die wahre Religion ins Wanken zu bringen suchen. Die Heilige Schrift bezeugt nämlich, daß die Giganten Menschen waren, die der wahren Verehrung Gottes und dem Recht feindlich gegenüberstanden. In dieser Sage ist also der Himmel der Staat oder die Kirche, Jupiter die höchste Obrigkeit, und die Giganten sind aufrührerische Bürger oder Ketzer oder auch Tyrannen, die den Frommen Gewalt antun und Unrecht gesetzlich festschreiben; die zur Erstürmung des Himmels aufgestapelten Berge sind waghalsige Unternehmungen und ruchlose Meinungen; der Blitz Jupiters ist die göttliche Rache. Denn alle diejenigen, die gegen rechtmäßige Herrschaften, denen sie untertan sein sollen, zu den Waffen greifen, oder diejenigen, welche die Kirche zu zerstören suchen, werden von Gott bestraft und nehmen ebenso wie die Giganten ein trauriges Ende, wie es die Beispiele des Catilina, des Brutus, des Cassius, des Diokletian und anderer zeigen. Da aber die Dichter Menschen von derartiger Ruchlosigkeit verabscheuten, als seien es Ungeheuer, dichteten sie den Giganten Schlangenfüße an. Nichts ist nämlich so ungeheuerlich, so widernatürlich, wie gegen Gott, gegen die Frömmigkeit, gegen Obrigkeit, Gesetze, Recht und Billigkeit irgend etwas ins Werk zu setzen. Joachim Camerarius, ein in jeder Wissenschaft beschlagener Mann, deutet die Schlangenfüße der Giganten auf verbrecherische Ratgeber, auf deren schändliche Unterstützung die Tyrannen sich gleichsam mit ihren Füßen aufstemmen. Es gibt ein Buch von Iacobus Sadoletus über das Lob der Philosophie, betitelt ‚Phaedrus‘, wo auf witzige Art mit den Giganten auch Philosophen verglichen werden, die ihren geistigen Fähigkeiten allzu sehr vertrauen und sich allen Ruhm der Weisheit anmaßen. In diesem Buch ist so des Phaedrus Rede: Jedoch scheinen mir jene berühmten alten Autoren durchaus nicht geistlos von den Giganten fabuliert zu haben, um damit die Überheblichkeit und Unüberlegtheit dieser Philosophen zu rügen. Denn hierdurch lasse ich mich mit festerer Überzeugung zu dem Glauben bringen, daß jene mit drei Bergen, gleichsam Stufen, den Aufstieg zu den höchsten Regionen erstrebt haben, so auch die Philosophen mit den drei vorhin von mir angeführten drei Teilen der Philosophie:
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Ter sunt conati imponere Pelio Ossan, Scilicet atque Ossae frondosum involvere Olympum. Ter pater extructos disiecit fulmine montes.
Scripsit divine, ut omnia, poëta omnium maximus, nec tam ille ut Gigantum, qui certe nulli id egerunt, quàm ut hominum suis ingeniis nimium confidentium arrogantiam refelleret. Quanquàm non ingenii est, sed dementiae, quae nullo intelligi pacto queunt, in ea nihilominus mentis aciem ad intelligendum intendere.22
7 Iuppiter cur fulminator. 230
Tum pater omnipotens misso perfregit Olympum Fulmine. [I,154 sq.]
Plinius scribit hanc ob causam Iovi fulmen assignari, quòd inter Saturnum et Martem Iuppiter sit medius quodque contrariae qualitates maximè in Iove coëant, ex superiore videlicet Saturni circulo qualitas nimii frigoris et ex Marte qualitas nimii caloris.23 Harum conflictu fulmen cum tonitru emitti veluti ex fla235 grante ligno carbo exilit cum crepitu propter earundem qualitatum pugnam.
8 Concilium deorum. Ingentes animo et dignas Iove concipit iras Conciliumque vocat. [I,166 sq.]
Deorum concilia apud poëtas docent res humanas non ferri casu, sed gubernari
240 certo Dei consilio. Itidem admonent nihil temere, nihil inconsultò agendum in
republica. Nam si Iuppiter, cui attribuitur summa potestas omnium rerum, adhibet superos in consilium, quoties ei statuendum est aliquid gravius, quantò magis id fieri debet ab hominibus, cum humana sapientia, ad divinam collata, sit nulla. Hinc ergò discant, quicunque in summo sunt magistratu, ne quid agant 245 sine consilio, sed ut convocent concilium, audiant multorum sententias, placita
22 Iacobus Sadoletus: De laudibus philosophiae (Basel 1541), lib. 1: Phaedrus, S. 62 f. – Zitat darin: Vergilius: Georg. 1,281–283. 23 Plinius: Nat. hist. 2,82.
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Dreimal haben sie nämlich versucht, den Ossa auf den Pelion zu setzen und den bewaldeten Olymp daraufzuwälzen. Dreimal zertrümmerte der Vater mit seinem Blitz die aufgetürmten Berge. Herrlich wie alles andere hat dies der größte aller Dichter in Worte gefaßt: nicht so sehr, um die Anmaßung der Giganten, die bestimmt nichts dergleichen getan haben, sondern um die der allzu sehr auf ihre geistigen Fähigkeiten vertrauenden Menschen zu tadeln. Allerdings zeugt es nicht von Geisteskraft, sondern von Narrheit, auf Dinge, die sich auf keinerlei Art begreifen lassen, nichtsdestoweniger seine Verstandesschärfe zu richten, um sie zu begreifen.
7 Warum Jupiter der Blitzeschleuderer ist Damals hat der allmächtige Vater mit dem geschleuderten Blitz den Olymp zerschmettert. [I,154 f.]
Plinius schreibt, daß der Blitz Jupiter deshalb zugewiesen werde, weil der [Planet] Jupiter in der Mitte zwischen Saturn und Mars stehe und weil im Jupiter zwei gegensätzliche Eigenschaften im Höchstmaße zusammenträfen: von der höhergelegenen Kreisbahn, nämlich der des Saturn, her die Eigenschaft extremer Kälte und vom Mars her die Eigenschaft extremer Hitze. Das Aufeinanderstoßen dieser Eigenschaften bewirke, daß ein Blitz zusammen mit Donner abgeschleudert werde: so wie aus dem brennenden Holz knackend die Kohle entweicht, wegen des Widerstreits derselben Eigenschaften.
8 Der Rat der Götter Da faßt er in seinem Herzen einen gewaltigen, eines Jupiters würdigen Zorn und beruft eine Ratsversammlung ein. [I,166 f.]
Die Ratsversammlungen der Götter bei den Dichtern lehren uns, daß alles, was in der Welt der Menschen geschieht, nicht zufällig sei, sondern durch einen feststehenden Ratschluß Gottes gelenkt werde. Ebenso ermahnen sie uns, daß im Staat nichts auf gut Glück, nichts unüberlegt betrieben werden dürfe. Denn wenn Jupiter, dem die höchste Gewalt über alle Dinge zugeschrieben wird, die oberen Götter immer dann zur Beratung hinzuzieht, wenn er etwas Gewichtigeres zu entscheiden hat, um wieviel mehr muß dies von den Menschen so getan werden, da die menschliche Weisheit im Vergleich zur göttlichen ein Nichts ist. Hieraus sollen also alle die, welche an der Spitze der Obrigkeit stehen, die Lehre ziehen, nichts ohne Beratung zu betreiben, sondern eine Ratsversammlung einzuberu-
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temperent et cogitent, ubi magni momenti negocium agitur, ne Iovi quidem suum satis esse consilium. Describitur autem egregiè officium boni principis et ratio puniendorum delictorum hoc loco, ubi Iuppiter in coetu deorum sic inquit: 250
Perdendum est mortale genus: per flumina iuro Infera, sub terras Stygio labentia luco! Cuncta prius tentanda, sed immedicabile vulnus Ense recidendum est, ne pars sincera trahatur. [I,188–191]
Hic enim principes ac magistratus docentur, non aliter agendum cum civibus, qui delinquunt, atque cum membris languentibus. Semper quidem anteferen255 dam lenitatem severitati, sed ut in diffìcilibus morbis curandis, sic in gravibus delictis puniendis interdum acrioribus utendum remediis. Quod ut sapientissimus poëta significet, fingit ipsum Iovem affirmare iureiurando se invitum persequi poenas atrociores, eundemque ferre hanc sententiam in homines perditos, videlicet partem corporis, quae remedium non admittit, esse recidendam. Hac 260 etiam de causa olim Romanis consulibus praeferebantur fasces, hoc est, virgae securibus alligatae, quibus idem significabatur: nempe corrigendam esse maliciam, quae sanari possit, quae vero emendari nequeat, abscindendam esse. Virgae enim corrigunt, secures autem abscindunt. Constantinus Imperator cum aliquando consultaret de coërcenda morum petulantia, fertur usurpasse Ovidia265 nam hanc sententiam atque ita exclamasse: „Immedicabile vulnus ense recidendum est!“, significans animadvertendum esse summa severitate in homines improbos, qui emendari nequeunt, eosque nullo modo in republica ferendos esse. M. Cicero eadem sententia utitur libro Officiorum tertio, ubi sic inquit: 270
Etenim ut membra quaedam amputantur, si et ipsa sanguine et tanquàm spiritu carere coeperint et noceant reliquis, sic ista in figura hominis feritas et immanitas belluae à communi tanquàm humanitate corporis segreganda est.24
Item Claudia in Eutropium:
24 Cicero: De officiis 3,32.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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fen, die Ansichten vieler Menschen anzuhören, die Meinungsäußerungen recht zu wägen und zu bedenken, daß da, wo es um eine Angelegenheit von großem Gewicht geht, nicht einmal Jupiter seine eigene Auffassung für hinreichend hält. Die Pflicht eines guten Fürsten und der Grundsatz der Bestrafung von Vergehen aber werden vortrefflich beschrieben an der Stelle, wo Jupiter bei der Zusammenkunft der Götter dieses sagt: Vernichtet werden muß das sterbliche Geschlecht, das schwöre ich bei dem Fluß der Unterwelt, der unter der Erde im stygischen Hain dahingleitet! Zuvor muß alles versucht werden. Doch ein unheilbares Übel muß mit dem Stahl abgeschnitten werden, damit der gesunde Teil nicht mit hineingezogen wird. [I,188–191]
Hier werden nämlich Fürsten und Obrigkeiten unterwiesen, mit Bürgern, die sich vergehen, nicht anders zu verfahren als mit kranken Gliedern. Zwar sei stets Milde der Strenge vorzuziehen; doch ebenso wie bei der Heilung schwieriger Krankheiten müßten auch bei der Bestrafung schwerer Vergehen zuweilen schärfere Heilmittel angewandt werden. Um dies zu verstehen zu geben, erfindet der überaus weise Dichter, daß Jupiter selbst durch Eid bekräftige, nur ungern schärfere Strafen zu vollziehen, und daß ebenderselbe dieses Urteil über hoffnungslos verdorbene Menschen fälle: nämlich daß ein Körperteil, der keine Heilung zulasse, abgeschnitten werden müsse. Aus diesem Grunde wurden auch den römischen Konsuln einst die Fasces vorangetragen, d. h. Ruten, die an Beile angebunden waren. Hiermit wurde dasselbe angezeigt: d. h., daß Schlechtigkeit, die heilbar sei, zurechtgewiesen, eine aber, die sich nicht verbessern lasse, abgetrennt werden müsse. Ruten nämlich weisen zurecht, Beile aber trennen ab. Man sagt, daß Kaiser Konstantin, als er einmal Rat hielt darüber, wie freche Sittenlosigkeit zu zügeln sei, diesen ovidischen Gedanken sich zu eigen gemacht und laut ausgerufen habe: „Ein unheilbares Übel muß mit dem Stahl ausgeschnitten werden!“ Womit er zu verstehen gab, daß ruchlose Menschen, die sich nicht bessern lassen, mit größter Strenge bestraft werden müßten und auf keinen Fall im Staat zu dulden seien. Cicero verwendet denselben Gedanken im dritten Buch seines Werkes ‚Über die Pflichten‘, wo er folgendes sagt: Wie nämlich bestimmte Glieder amputiert werden, wenn sie angefangen haben, selbst des Blutes und gleichsam des Lebensatems zu ermangeln und den übrigen Gliedern Schaden zufügen, so muß diese tierische Wildheit in Menschengestalt und diese Ungeheuerlichkeit einer Bestie gewissermaßen von der allen gemeinsamen Menschennatur des Körpers abgetrennt werden.
Ebenso Claudian in ‚Gegen Eutropius‘:
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Fabularum Ovidii interpretatio I
Ulcera possessis alte suffusa medullis Non leviore manu, ferro sanantur et igni.25
Haec igitur divina sententia omnibus reipublicae gubernatoribus observanda est, utpote ab ipso Iove lata et in augusto senatu deorum comprobata. Caeterum et illud observatione dignum est, quòd in hoc concilio superi fìnguntur esse solliciti de conservando cultu divino ac vereri, ne is intereat toto 280 genere humano extincto. Nam etsi
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Dicta Iovis pars voce probat stimulosque frementi Adiiciunt, alii partes assensibus implent, Est tamen humani generis iactura dolori Omnibus, et, quae sit terrae mortalibus orbae Forma futura, rogant, quis sit laturus in aras Thura? ferisne paret populandas tradere terras. [I,244–249]
At videtur hic locus esse sumptus ex Platone, qui scribit omnia esse condita hominum causa, homines verò deorum causa.26 Deus enim vult agnosci, coli, invocari, idque significat ista sollicitudo, quam Ovidius tribuit superis.
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9 Deorum iusiurandum. per flumina iuro Infera sub terras Stygio labentia luco. [I,188 sq.]
Aristoteles in Metaphysicis scribit hanc esse causam, cur poëtae fingant deos iurare per aquam, ut, cum ea sit omnium prima et antiquissima, significent nihil 295 ducendum prius, nihil antiquius et sanctius religione iurisiurandi.27
25 Claudianus: In Eutropium 2,13–14. 26 Nicht bei Plato, sondern sinngemäß bei Lactantius: Epitome divinarum institutionum (ed. Brandt) 64,3–4. 27 Aristoteles: Met. 1,3,983b.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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Geschwüre, die, tief eingedrungen, das Innerste ergriffen haben, werden nicht mit sanfter Hand, sondern mit Eisen und Feuer geheilt.
Dieser denkwürdige göttliche Gedanke ist also von allen Staatslenkern zu beachten: als ein Gedanke nämlich, der von Jupiter selbst verkündet und im erhabenen Rat der Götter gutgeheißen wurde. Im übrigen ist auch dies der Beachtung wert: daß die oberen Götter in dieser Ratsversammlung, wie der Dichter sie darstellt, besorgt gewesen seien im Hinblick auf die Beachtung der Gottesverehrung und befürchtet hätten, daß diese untergehen werde, wenn das Menschengeschlecht ausgelöscht sei. Denn obwohl ein Teil die Worte Jupiters ausdrücklich gutheißt und den Wutschnaubenden noch anstachelt, andere mit Zeichen des Beifalls ihren Teil erfüllen, schmerzt doch alle der Verlust des Menschengeschlechts, und sie fragen, welches die Gestalt einer der Sterblichen beraubten Erde sein werde, wer den Altären Weihrauch spenden werde, ob er die Absicht habe, die Erde den wilden Tieren zur Verwüstung zu überlassen. [I,244–249]
Doch es scheint, daß diese Stelle aus Plato entlehnt wurde, der schreibt, daß alles der Menschen wegen erschaffen sei, die Menschen aber Gottes wegen. Gott will nämlich erkannt, verehrt und angerufen werden – und hierauf wird mit dieser Besorgnis verwiesen, die Ovid den oberen Göttern zuschreibt.
9 Der Eidschwur der Götter Ich schwöre bei dem Fluß der Unterwelt, der unter der Erde im stygischen Hain dahingleitet. [I,188 f.]
Aristoteles schreibt in der ‚Metaphysik‘, der Grund, weshalb die Dichter die Götter beim Wasser schwören ließen, liege darin, daß sie damit, weil das Wasser das erste und altertümlichste aller Dinge sei, darauf hinwiesen, daß nichts als vorrangiger, nichts als altehrwürdiger und heiliger einzuschätzen sei als die Verpflichtung durch einen Eid.
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Fabularum Ovidii interpretatio I
10 De Satyris et Faunis. Sunt mihi semidei, sunt rustica numina Fauni Et Nymphae Satyrique etc. [I,192 sq.]
Satyri et Fauni traduntur esse homunculi bicornes, naribus aduncis, corpore
300 piloso et pedibus caprinis. Qui utrum sint animalia, an daemones, nihil, quod
affirmem, habeo. Plutarchus in vita Syllae28 scribit Satyrum fuisse captum non longe ab Apollonia civitate Epiri, qualem poëtae et pictores effingunt, productumque ad Syllam et per multos interpretes interrogatum, quisnam esset, edidisse quidem vocem, sed à nemine intellectam, utpote equi hinnitum caprae 305 balatu permixtum; postea iubente Sylla fuisse dimissum, datis comitibus, à quibus reduceretur in sylvas. Divus Hieronymus quoque scribit in vita Pauli Eremitae, idem animal tempore Constantini Caesaris captum ac perductum Alexandriam praebuisse magnum populo spectaculum, ac postea eius cadaver sale perfusum, ne putresceret, missum fuisse Antiochiam Caesari videndum.29 Adhaec scribit 310 ipsum Paulum in eremo Aegypti conspicatum et allocutum esse talem homunculum capripedem et cornutum atque ab eo accepisse hoc responsum: „Mortalis ego sum et unus ex incolis eremi, quos gentilitas colit vario errore delusa Faunosque et Satyros appellat. Legatione fungor gregis mei. Precamur, ut pro nobis communem Deum depreceris, quem pro salute mundi venisse cognovimus.“30
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11 Lycaon in lupum.
Lycaon rex Arcadiae primus inducias belli violasse fertur immolato Iovi obside, quem à Molossis acceperat, cumque hac perfidia redegisset in potestatem ac ditionem suam homines simplices, quibuscum inducias fecerat, et eos tanquàm oves devorasset, poëtae ad nomen alludentes finxerunt ipsum in lupum esse 320 mutatum à Iove, cui humanas carnes apposuisset. λύκος enim lupum significat. Haec igitur fabula detestatur impietatem, perfidiam et inhospitalitatem, qua nil est immanius. Quàm arctum vero et sanctum olim fuerit vinculum hospicii, ex
28 Plutarchus: Vitae: Sulla 27,2. 29 Hieronymus: Vita S. Pauli primi eremitae 8: Migne PL 23, 23 f. 30 Hieronymus ibid.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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10 Von den Satyrn und Faunen Ich habe Halbgötter, ländliche Gottheiten: Faune, Nymphen und Satyrn usw. [I,192 f.]
Von den Satyrn und Faunen wird überliefert, daß sie Menschlein mit zwei Hörnern seien, mit Hakennase, behaartem Körper und Ziegenfüßen. Ob sie nun Lebewesen sind oder Dämonen, dies zu entscheiden, bin ich nicht in der Lage. Plutarch schreibt in seiner Vita Sullas, nicht weit von der Stadt Apollonia in Epirus sei ein Satyr gefangen worden, wie ihn die Dichter und Maler darstellen. Er sei Sulla vorgeführt worden, und von vielen Dolmetschern befragt, wer er denn sei, habe er zwar etwas verlauten lassen, was aber niemand verstanden habe; es sei nämlich eine Mischung von Pferdewiehern und Ziegengemecker gewesen. Später sei der Satyr auf Befehl Sullas freigelassen worden; man habe ihm Begleiter beigegeben, von denen er in die Wälder zurückgebracht werden sollte. Auch der heilige Hieronymus schreibt in seinem Leben des Paulus Eremita, ein gleiches Wesen sei zur Zeit des Kaisers Konstantin gefangen und nach Alexandria gebracht worden; es habe sich dem Volk als große Sehenswürdigkeit dargeboten. Später dann sei sein Leichnam, ganz mit Salz bedeckt, um seine Verwesung zu verhindern, nach Antiochia geschickt worden, damit ihn der Kaiser zu Gesicht bekäme. Darüber hinaus schreibt Hieronymus, Paulus selbst habe in der Wüste Ägyptens ein solches ziegenfüßiges und gehörntes Menschlein erblickt und angesprochen und von ihm diese Antwort erhalten: „Ich bin ein Sterblicher und einer von den Bewohnern der Wüste, die das Heidentum, genarrt von mannigfachem Wahn, Faune und Satyrn nennt. Ich bin beauftragter Gesandter meines Volkes. Wir bitten dich, für uns bei dem uns gemeinsamen Gott, von dem wir wissen, daß er für das Heil der Welt gekommen ist, Fürbitte einzulegen.“
11 Lycaon in einen Wolf verwandelt Lycaon, der König von Arkadien, war, so sagt man, der erste, der einen Waffenstillstand im Krieg gebrochen hat, indem er Jupiter eine Geisel opferte, die er von den Molossern erhalten hatte. Da er nun mit diesem Wortbruch arglose Menschen, mit denen er Waffenstillstand geschlossen hatte, unter seine Macht und Botmäßigkeit gebracht und sie wie Schafe verschlungen hatte, haben die Dichter, auf seinen Namen anspielend, die Mär ersonnen, daß er von Jupiter, dem er Menschenfleisch vorgesetzt habe, in einen Wolf verwandelt worden sei. [Das griechische Wort] ‚lykos‘ bedeutet nämlich ‚Wolf‘. Diese Sage verflucht also Ruchlosigkeit, Wortbruch und die Ungastlichkeit, die alles, was es sonst noch an unmenschlichem Verhalten gibt, übertrifft. Wie fest und heilig aber einst das
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Fabularum Ovidii interpretatio I
eo apparet, quòd antiquitas Iovem vocavit hospitalem. Apparet item ex historia Livii de Badio, cive Campano31, qui in conspectu duorum exercituum Q. Crispino 325 Romano hospitium solenniter renunciat, ut cum eo congredi possit hostili more. Tanti enim fiebat olim ius hospitii, ut ne ab hostibus quidem violaretur.
12 Diluvium Deucalionis. Poena placet diversa, genus mortale sub undis Perdere etc. [I,260 sq.] 330 Sequitur descriptio diluvii, quo extinctum est genus humanum propter impie-
tatem, iniusticiam et crudelitatem. In qua descriptione observandae sunt amplifìcationes, prosopopoeiae et hypotyposes poëticae. Nam Ovidius non tantum dicit aquas inundasse terram universam, sed addit causas et rationes, unde tanta vis aquarum extiterit, nempe ex magnis et assiduis imbribus terraeque motibus. Ad 335 has vero naturales causas variè et iucundè explicandas fingit primò Aquilonem ventum à Iove includi in carcerem, ne quid impedimenti diluvio inferat. Est enim Aquilo siccus, quo flante nubes et imbres dissipari solent. Econtra Austrum immitti ad inducendas nubes et pluvias. Is enim ventus est humidus, ideoque nubila fronte, humida barba, madidis capillis et rorantibus pennis depingitur. 340 Deinde Irim Iunonis nunciam colorata veste indutam afferre alimenta nubibus ac pluviis, quia imbres augentur roscida illa nube, in qua arcus coelestis apparet in aquam condensata. Adhaec fingit Neptunum Iovis fratrem convocare et hortari flumina ad effundendam omnem vim aquarum suoque sceptro concutere et movere terram. Postremò, decrescentibus undis, Aquilonem rursus emitti ad 345 inducendam serenitatem, ac Tritonem Neptuni tubicinem canere receptui et revocare flumina ad fontes. Hae prosopopoeiae et hypotyposes docent, quomodo res in poëmate illustrandae atque amplificandae sint. Porrò reparatio hominum ascribitur Deucalioni fìlio Promethei, eadem, ut arbitror, ratione, qua creatio hominis ascribitur ipsi Prometheo: nempe quòd
31 Livius 25,18,4–12.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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Band der Gastfreundschaft war, erhellt daraus, daß das Altertum Jupiter den ‚Schützer der Gastfreundschaft‘ nannte. Es erhellt auch aus der Geschichte des Badius, eines Bürgers von Capua, bei Livius, der beim Anblick zweier Heere dem Römer Q. Crispinus feierlich die Gastfreundschaft aufkündigt, um mit ihm als Feind in den Kampf eintreten zu können. So hoch nämlich schätzte man das Recht der Gastfreundschaft, daß es nicht einmal von Feinden verletzt wurde.
12 Die Sintflut Deucalions Er beschließt die entgegengesetzte Strafe: das sterbliche Geschlecht unter Wasserfluten zu vernichten usw. [I,260 f.]
Es folgt die Beschreibung der Sintflut, mit der das Menschengeschlecht ausgelöscht worden ist wegen seiner Ruchlosigkeit, Ungerechtigkeit und Grausamkeit. In dieser Beschreibung ist auf Amplifikationen, Prosopopöien und poetische Bilder zu achten. Denn Ovid sagt nicht bloß, daß die Fluten die gesamte Erde überschwemmt hätten, sondern fügt die Ursachen und Gründe hinzu, aus denen eine so große Wassermenge entstanden ist: nämlich aus starken und andauernden Regengüssen und Erdbeben. Diesen vielseitig und angenehm lesbar darzulegenden natürlichen Ursachen schließt er nun aber zunächst die Erfindung an, daß der Nordwind von Jupiter in einen Kerker eingeschlossen wird, damit er der Sintflut kein Hindernis in den Weg legt. Der Nordwind ist nämlich ein trockener Wind, durch dessen Wehen Regenwolken zerstreut zu werden pflegen. Hingegen wird nach Ovids Erfindung der Südwind losgeschickt, um Wolken und Regengüsse herbeizubringen. Dieser Wind ist nämlich feucht und wird deshalb bildhaft dargestellt mit umwölkter Stirn, feuchtem Bart, nassen Haaren und triefenden Flügeln. Darauf folgt die Erfindung, daß Iris, die Botin Junos, in ein farbiges Gewand gekleidet, den Regenwolken Nahrung bringt, weil die Regenschauer verstärkt werden durch jene betaute Wolke, in der der zu Wasser verdichtete Regenbogen erscheint. Darüber hinaus erdichtet er, daß Neptun, Jupiters Bruder, die Flüsse zusammenruft und sie auffordert, ihre ganzen Wassermassen zu ergießen, und mit seinem Zepter die Erde erschüttert und erbeben läßt. Zuletzt [stellt er dar], daß bei abschwellenden Wassern der Nordwind wiederum ausgesandt werde, um heiteres Wetter herbeizuführen, und daß Triton, Neptuns Tubabläser, zum Rückzug blase und die Flüsse zu ihren Quellen zurückrufe. Diese Prosopopöien und bildhaften Darstellungen demonstrieren, wie Gegenstände in einer Dichtung lichtvoll und in starker Hervorhebung dargestellt werden müssen. Im weiteren Verlauf wird die Erneuerung der Menschheit Deucalion, einem Sohn des Prometheus, zugeschrieben, aus demselben Grund, wie ich glaube,
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Fabularum Ovidii interpretatio I
350 gentes ab eo edoctae retinuerint memoriam diluvii. Apud Lucianum in libello de
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Syria dea extat locus32, ex quo manifestum est, per diluvium Deucalionis intelligi non, ut quidam volunt, inundationem illam, qua olim Graecia et Italia vastata atque Atlanta insula absorpta est, sed diluvium universale, quod fuit Nohae temporibus. Sic enim ibi scribit Lucianus: tradi à Graecis hanc hominum generationem, quae nunc est, ab initio haudquaquam fuisse, sed eam, quae tunc fuit, totam interiisse; hos autem homines, qui nunc sunt, secundi generis esse, eius, quod rursus à Deucalione in tantam multitudinem excrevit. De illis autem hominibus huiusmodi quaedam narrari: cum efferi admodum essent, nefaria opera eos perpetrasse, neque enim iusiurandum servasse neque hospites recepisse neque supplicum misertos esse. Ob quam rem ipsos maximam quoque calamitatem subiisse. Statim enim et tellus multam aquam effudit, et imbres magni fuerunt, et flumina solito maiora decurrerunt, et mare eò usque ascendit, dum omnia aquis involverentur atque omnes perirent. Deucalion autem solus hominum relictus fuit, in secundam videlicet generationem, prudentiae simul et pietatis gratia. Servatus autem fuit hoc pacto: arcam quandam magnam, quam ipse habebat, impositis in eam et liberis et uxore sua, conscendit. Caeterum cum ipse ingrederetur, venerunt eodem et apri et equi et leonum genera et serpentes aliaque, quaecunque tellure pascuntur, bina ex uno quoque genere, cuncta. Ille autem recepit ad se omnia, atque ea ipsum haud quaquam laedebant, sed magna inter eos, Iove ita dispensante, concordia erat, unaque in arca omnes navigabant, quàm diu aqua superabat. Haec Lucianus. Quin etiam Plutarchus de industria animalium scribit, columbam ex arca Deucalionis emissam attulisse indicium recedentis diluvii.33 Ex his igitur manifestum est, quod dixi: per diluvium Deucalionis intelligi diluvium Noae, quia in sacris literis34 similia traduntur de animalibus à Noa in arcam receptis et de columba ab eodem emissa.
32 Lucianus: De Syria dea 12. 33 Plutarchus: Moralia: De sollertia animalium 698F. 34 Gen 7,2–3.14–16; 8,8–12.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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aus dem die Erschaffung des Menschen Prometheus selbst zugeschrieben wird: weil nämlich die von ihm unterwiesenen Völker die Erinnerung an die Sintflut bewahrt haben. Bei Lukian, in seinem Buch über die syrische Göttin, gibt es eine Stelle, aus der klar hervorgeht, daß unter der Sintflut Deucalions nicht, wie einige annehmen, jene Überschwemmung verstanden wird, durch die einst Griechenland und Italien verwüstet und die Insel Atlanta verschlungen wurde, sondern die die gesamte Welt erfassende Sintflut, die sich zu Zeiten Noahs abspielte. Lukian schreibt nämlich folgendes: Durch die Griechen werde überliefert, daß dieses Menschengeschlecht, das heute lebe, keineswegs von Anfang an dagewesen sei, sondern daß dasjenige, das damals bestand, gänzlich untergegangen sei; daß aber die Menschen, die jetzt existierten, von dem zweiten Menschenschlag herstammten, und zwar von dem, der von Deucalion her aufs neue sich zu einer so großen Menge entwickelt habe. Von jenen Menschen aber würden bestimmte Dinge von dieser Art erzählt: Da sie ganz roh gewesen seien, hätten sie ruchlose Taten begangen; sie hätten nämlich keinen Eid gehalten, keine Gäste aufgenommen und sich nicht über demütig Bittende erbarmt. Ebendeshalb hätten sie auch ihrerseits großes Unheil erlitten. Sogleich ließ nämlich das Erdreich viel Wasser sich ergießen, es gab starke Regenschauer, die Flüsse strömten breiter als gewöhnlich dahin, und das Meer stieg so weit an, bis alles von Fluten überschwemmt war und alle Menschen zugrunde gingen. Deucalion aber war als einziger von allen Menschen übrig geblieben, für das zweite Menschengeschlecht nämlich, dank seiner Klugheit und zugleich Frömmigkeit. Gerettet aber wurde er auf diese Weise: Er bestieg eine bestimmte große Arche, die er selbst besaß, und schiffte sich auf ihr zusammen mit seinen Kindern und seiner Frau ein. Im übrigen kamen, als er selbst einstieg, mit hinein Wildschweine und Pferde, die verschiedenen Arten von Löwen, Schlangen und sämtliche anderen Lebewesen, die die Erde nährt, immer ein Pärchen von jeder Art. Jener (Deucalion) aber nahm sie alle bei sich auf, und sie taten ihm nicht das Geringste zuleide, sondern unter ihnen herrschte, so wie Jupiter es eingerichtet hatte, große Eintracht, und in dieser einen Arche fuhren sie, solange das Wasser noch da war. Soweit Lukian. Ja Plutarch schreibt auch in seiner Abhandlung von der Rührigkeit der Tiere, von der Arche Deucalions sei eine Taube ausgesandt worden, die die Nachricht von dem Rückzug der Sintflut überbracht habe. Aus diesen Nachrichten geht klar und deutlich hervor, was ich schon gesagt habe: daß unter der Sintflut Deucalions die Sintflut Noahs verstanden werde, denn in der Heiligen Schrift wird Ähnliches überliefert von den Tieren, die von Noah in die Arche aufgenommen wurden, und von der Taube, die von selbigem ausgesandt wurde.
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Fabularum Ovidii interpretatio I
13 Iris cur nuncia Iunonis. Nuncia Iunonis varios induta colores Concipit Iris aquas etc. [I,270 sq.]
Arcus coelestis dicitur Iris ἀπὸ τοῦ εἴρειν, quod est loqui. Sic enim Socrates apud
380 Platonem exponit etymologiam huius vocabuli.35 Ac fingitur nuncia Iunonis,
eò quòd praedicit et nunciat pluvias. Nam aër, in quo coguntur imbres, Iunonis nomine consecratur, teste Lucilio Balbo apud Ciceronem.36
14 Tridens Neptuni. Ipse tridente suo terram percussit. [I,283] 385 Neptuno attribuitur tridens propter tres orbis terrarum partes, quas ambit
Oceanus. Ac quoniam in locis maritimis saepe fìunt terraemotus et cum terraemotu inundationes, ideò fingitur Neptunus concutere terram suo tridente, unde et appellatur ἐννοσίγαιος, quòd terram quatiat.
15 Triton. 390
Coeruleum Tritona vocat etc. [I,333]
Tiberio Caesari, ut scribit Plinius37, nunciatum fuit legatione ab Ulysiponensibus Tritonem illic visum et auditum in specu concha canentem, ea, qua noscitur, forma. Est autem monstrum marinum, superiore parte corporis referens effigiem viri, inferiore autem piscem, colore est coeruleo, et testaceo conchyliorum operi395 mento horret: id quod indicat Ovidius, cum inquit: humeros innato murice tectum Coeruleum Tritona vocat. [I,332 sq.]
Fingitur tubicen Neptuni, qui tanquàm signo dato sedet fluctus, quia et concha canit et, quando auditur vel apparet, tunc portendit tranquillitatem maris. Hinc 400 Dido in epistola ad Aeneam:
35 Plato: Cratylus 408a. 36 Cicero: De nat. deor. 2,66. 37 Plinius: Nat. hist. 9,9.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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13 Warum Iris die Botin Junos ist Iris, die Botin Junos, in vielerlei Farben gewandet, zieht Wasser an sich usw. [I,270 f.]
Der Regenbogen heißt Iris nach dem [griechischen] Wort ‚eirein‘, d. h. ‚reden‘: so nämlich erklärt Sokrates bei Plato die Etymologie dieses Namens. Und Iris wird deshalb als Botin Junos ausgegeben, weil sie Regenfälle vorhersagt und verkündet, denn die Luft, in der der Regen sich zusammenzieht, wird unter dem Namen Junos verehrt, wie Lucilius Balbus bei Cicero bezeugt.
14 Der Dreizack Neptuns Er selbst erschütterte mit seinem Dreizack die Erde. [I,283]
Neptun wird der Dreizack zugewiesen wegen der drei Teile des Erdkreises, die der Ozean umgibt. Und weil in Küstenregionen oft Erdbeben entstehen und zusammen mit dem Erdbeben Überschwemmungen, deshalb stellt man sich vor, daß Neptun mit seinem Dreizack die Erde erschüttere, weshalb er auch ‚Erderschütterer‘ genannt wird, weil er die Erde erbeben läßt.
15 Triton Den schwarzblauen Triton ruft er usw. [I,333]
Dem Kaiser Tiberius wurde, wie Plinius schreibt, von einer Gesandtschaft aus Olisipo [= Lissabon] gemeldet, daß man dort Triton gesehen und gehört habe, wie er in einer Grotte auf einer Muschel blies, in der Gestalt, in der man ihn kennt. Es ist aber ein Meerungeheuer, das im oberen Teil seines Körpers wie ein Mann, im unteren aber wie ein Fisch aussieht; es ist von schwarzblauer Färbung und starrt von Muschelschalen, die es bedecken. Hierauf weist Ovid hin, wenn er sagt: Den an den Schultern mit angewachsenen Muscheln bedeckten schwarzblauen Triton ruft er. [I,332 f.]
Er wird als Tubabläser Neptuns ausgegeben, der gleichsam, nachdem das Zeichen dazu gegeben wurde, die Wogen beruhigt, weil er auf der Muschel bläst und, wenn er gehört wird oder erscheint, Meeresstille ankündigt. Deshalb schreibt Dido in ihrem Brief an Aeneas:
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Fabularum Ovidii interpretatio I
Iam venti ponent, strataque aequaliter unda Coeruleis Triton per mare curret equis.38
16 Terra omnium parens. Magna parens terra est etc. [I,393] 405 Terra omnium parens dicitur, quòd seminibus omnia pariat et fundat ex sese,
stirpes amplexa alat et augeat; item quòd omnes animantes educet, educatos rebus omnibus sustentet ac foveat recipiatque in se morientes omnes ac tanquàm gremio abscondat.
17 Homines e lapidum iactu. 410
Inde genus durum sumus experiensque laborum Et documenta damus, qua simus origine nati. [I,414 sq.]
Ad significandam animi corporisque duriciem, quam habemus, poëtae finxe runt homines de lapidibus esse ortos. Fabulae praebuit occasionem similitudo nominis. λᾶς enim apud Graecos lapidem signifìcat. Potest etiam referri fabula 415 ad historiam. Verisimile est enim homines diu post diluvium habitasse sparsim in montibus et saxeis speluncis. Deucalionem verò rursus instituisse coetus ad condendas urbes atque ita reparasse homines lapidibus retrò iactis, hoc est, speluncis relictis, idque Themidis suasu. Est autem Themis lex seu ius naturae, cuius instinctu civilis vitae institutio est inventa.
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18 Themis cur oraculorum praeses. Themis fingitur oraculorum, hoc est, religionis praeses. Nam ratio in natura insita statuit esse Deum et pietatem erga eum colendam; hancque sententiam animo quasi insculptam tuetur omnium gentium consensio, quae, ut inquit Cicero39, lex naturae putanda est.
38 Ovidius: Her. 7 (Dido Aeneae), 49–50. 39 Cicero: Tuscul. disputat. 1,30.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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Schon werden sich die Winde legen, die Wogen sich glätten, und Triton wird mit den schwarzblauen Pferden durch das Meer eilen.
16 Die Erde als die Mutter aller Die große Mutter ist die Erde usw. [I,393]
Von der Erde sagt man, daß sie aller Mutter sei, weil sie aus Samen alles gebäre und aus sich selbst hervorbringe, Pflanzen umfaßt halte und sie so ernähre und größer werden lasse. Desgleichen weil sie alle Lebewesen großziehe und die Großgezogenen mit allen Dingen unterhalte und erquicke und alle Sterbenden in sich aufnehme und gleichsam in ihrem Schoß berge.
17 Menschen aus dem Wurf von Steinen entstanden Daher sind wir ein hartes Geschlecht und erfahren in Strapazen und bezeugen so, woraus wir entstanden sind. [I,414 f.]
Um die geistige und körperliche Härte, über die wir verfügen, anzuzeigen, haben sich die Dichter ausgedacht, daß die Menschen aus Steinen entstanden seien. Anlaß für die Sage bot die Namensähnlichkeit. ‚lâs‘ bedeutet bei den Griechen nämlich ‚Stein‘. Die Sage kann auch auf die Geschichte bezogen werden. Es ist nämlich wahrscheinlich, daß die Menschen nach der Sintflut lange Zeit verstreut in Gebirgen und Steinhöhlen gewohnt haben, daß Deucalion aber wieder Gemeinschaften organisiert hat, um Städte zu gründen und so die Menschheit durch nach hinten geworfene Steine, d. h. zurückgelassene Höhlen, wiederhergestellt hat, und dies auf Anraten der Themis. Themis aber ist das Gesetz oder das Naturrecht, durch dessen Eingebung die Einrichtung des bürgerlichen Lebens erfunden wurde.
18 Warum Themis Vorsteherin der Orakel ist Von Themis geht die Sage, daß sie Vorsteherin der Orakel, d. h. der Religion, sei. Denn die in der Natur eingewurzelte Vernunft hat festgesetzt, daß es Gott gebe und daß ihm Verehrung zu zollen sei. Und diesen dem Geist gleichsam eingemeißelten Gedanken sichert die Übereinstimmung aller Völker, welche, wie Cicero sagt, als Naturgesetz anzusehen ist.
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Fabularum Ovidii interpretatio I
19 Python. Sed te quoque, maxime Python. [I,438]
Python draco, post diluvium ex humida terra natus, significat immensam exhalationis vim, quae extitit post inundationem, donec à sole consumeretur. In hanc sententiam Iovianus Pontanus exponit hanc fabulam in sua Urania, ubi sic inquit: 430
Tum tellus gravis imbre et adhuc stagnantibus undis Humida, anhela, vagos tollebat ad aethera tortus, Involvens coelum nube et caligine opaca. Hic ille immanis Python.40
Dicitur autem Python à putredine seu putrefactione, nam πυθώ significat putre 435 factionem. Et quia sol consumit omnem putredinem terrae eiusque è circulo emicant radii in modum sagittarum, ideò Apollo fingitur interficere sagittis Pythona.
20 De telis, quibus Cupido armatur. Quidque tibi, lascive puer, cum fortibus armis? etc. [I,456] 440 Ad exprimendam amoris vim attribuuntur Cupidini sagittae et faces; nam ut nihil
igne et ferro, ita nec amore quicquam acrius magisque penetrabile. Quanquàm amor etiam igne ardentior est, siquidem ignis adurit tangentes et proxima tantum cremat, amor è longinquo urit. Non uno autem modo omnes in amore affecti sunt: alius alio amat vehementius, nec rarò accidit, ut vel puellae aversentur procos vel 445 proci puellas, à quibus amantur ardentissime, id quod Apollini ipsi accidisse hac fabula traditur. Ea de causa etiam Cupido armatur sagittis disparibus, videlicet acutis et obtusis, auratis et plumbeis. Nam, ut inquit Horatius:
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Sic visum Veneri, cui placet impares Formas atque animos sub iuga ahenea Saevo mittere cum ioco.41
40 Ioannes Iovianus Pontanus: Urania (Venedig 1533), lib. 1, Cur Apollo dicatur Pythonem occidisse, Bl. 7v; ed. Soldati 1,381–384. 41 Horatius: Carm. 1,33,10–12.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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19 Python Doch auch dich, riesiger Python. [I,438]
Der Drache Python, nach der Sintflut aus der feuchten Erde entstanden, versinnbildlicht die unermeßliche Gewalt der Ausdünstung, die nach der Überschwemmung bestand, bis sie von der Sonne aufgezehrt wurde. Auf diesen Sinn hin legt Iovianus Pontanus diese Sage in seiner ‚Urania‘ aus, wo er sagt: Damals war die Erde schwer von Regen und keuchte, naß von den noch das Land überschwemmenden Fluten, und sandte herumziehende Schwaden empor in die Lüfte, den Himmel in Wolken und dichte Finsternis hüllend. Hier [entstand] jener ungeheuer große Python.
Der Name Python aber leitet sich her von ‚putredo‘ (‚Fäulnis‘) oder ‚putrefactio‘ (‚Verfaulung‘), denn griechisch ‚pytho‘ bedeutet Verfaulung. Und weil die Sonne alle Fäulnis der Erde aufzehrt und ihre Strahlen von ihrem Kreisrund aus hervorschießen wie Pfeile, deshalb dichtet man von Apollo, daß er Python mit Pfeilen erlegt habe.
20 Von den Geschossen, mit denen Cupido bewaffnet wird Und was hast du, ausgelassener, Knabe, mit starken Waffen zu schaffen usw. [I,456]
Um die Gewalt der Liebe auszudrücken, werden Cupido Pfeile und Fackeln zugeteilt. Denn wie nichts schärfer und durchdringender ist als Feuer und Stahl, so gibt es auch nichts, was die Liebe hierin überträfe. Allerdings brennt die Liebe sogar noch heißer als Feuer. Während das Feuer nämlich die versengt, die es berühren, und nur das in unmittelbarer Nähe Befindliche in Brand setzt, entflammt die Liebe [auch] aus der Ferne. Aber nicht alle sind in der Liebe auf die gleiche Weise ausgestattet. Der eine liebt heftiger als der andere, und nicht selten geschieht es, daß Mädchen Freier verschmähen oder Freier die Mädchen, von denen sie mit heißester Glut geliebt werden. Daß ebendies selbst Apollo zugestoßen ist, wird in dieser Geschichte berichtet. Aus diesem Grund wird auch Cupido mit unterschiedlichen Pfeilen bewaffnet, nämlich mit scharf gespitzten und mit goldenen und bleiernen, die stumpf sind. Denn wie Horaz sagt: So will es Venus, der es gefällt, ungleiche Gestalten und Geister unter ein ehernes Joch zu zwingen in grausamem Scherz.
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Fabularum Ovidii interpretatio I
21 Apollo cur inventor medicinae et musices. Apollo fìngitur inventor medicinae propter vim solis, qua herbae vegetantur, quarum in medicina usus est maximus ad salubritatem corporum humanorum. Fingitur et inventor musices ad commendandam dignitatem artis; 455 nam veteres, ut significarent musicam divinitus inventam esse, non homini, sed Deo inventionem eius ascribendam existimarunt. Hinc igitur Apollo se ita iactat: Per me concordant carmina nervis. [I,518]
Item: 460
Inventum medicina meum est, opifexque per orbem Dicor, et herbarum subiecta potentia nobis. [I,521 sq.]
22 Daphne in laurum. Daphne laurum significat, ac fingitur tùm filia Penei fluminis, eò quòd ripae eius abundant lauro, tùm amata ab Apolline, quia haec arbor praebet medicinae magnum usum estque spectatissima, ut scribit Plinius42, apud Delphos, ubi 465 Apollo colebatur. Ipsius verò Daphnes in arborem semper virentem mutatio docet immortalem gloriam esse paratam virginibus pudiciciam conservantibus.
23 Laurus et quercus cur ante Imperatorum aedes positae. Mediamque tuebere quercum. [I,563]
Romae ante Imperatorum aedes erat posita quercus inter duas lauros, quae 470 signifìcabat salutem reipublicae tuendam esse virtute et foelicitate Imperatorum. Laurus verò erat signum victoriae ac triumphi. Quercus verò erat signum conservati civis: unde confecto bello et Imperatores, qui insignem victoriam
42 Plinius: Nat. hist. 15,134.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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21 Warum Apollo Erfinder der Medizin und der Musenkunst ist Apollo wird als Erfinder der Medizin ausgegeben wegen der Kraft der Sonne, durch die Kräuter zum Wachstum angeregt werden, die in der Medizin äußerst nutzbringend angewandt werden zur Gesunderhaltung der menschlichen Leiber. Er wird auch als Erfinder der Musenkunst ausgegeben, zum Lobpreis der Würde der Kunst, denn die Alten meinten, um anzuzeigen, daß die Musenkunst durch göttliche Eingebung erfunden worden sei, ihre Erfindung nicht dem Menschen, sondern Gott zuschreiben zu müssen. Daher rühmt sich Apollo wie folgt: Durch mich harmonieren die Lieder mit den Saiten. [I,518]
Ebenso: Die Heilkunst ist meine Erfindung, über den ganzen Erdkreis hin nennt man mich auch einen Werkmeister, und die Macht der Kräuter ist meiner Gewalt unterworfen. [I,521 f.]
22 Daphne in einen Lorbeer verwandelt ‚Daphne‘ bedeutet ‚Lorbeerbaum‘, und man gibt sie bald als Tochter des Flusses Peneus aus, weil dessen Ufer in überreicher Fülle mit Lorbeerbäumen bewachsen sind, bald als ein von Apollo geliebtes Mädchen, weil dieser Baum der Medizin großen Nutzen spendet und, wie Plinius schreibt, in der Nähe von Delphi, wo Apollo verehrt wurde, ganz besonders ansehnlich ist. Die Verwandlung Daphnes aber in einen immergrünen Baum lehrt, daß Jungfrauen, die ihre Keuschheit bewahren, unsterblicher Ruhm erwartet.
23 Warum Lorbeer und Eichenkranz vor dem Palast der Kaiser aufgestellt wurden Und wirst den in der Mitte aufgehängten Eichenkranz beschützen. [I,563]
In Rom war vor dem Palast der Kaiser ein Eichenkranz zwischen zwei Lorbeer bäumen aufgehängt, der anzeigte, daß das Wohl des Staates geschützt werden müsse durch Tüchtigkeit und glückliches Regiment der Kaiser. Der Lorbeer aber war das Sinnbild des Sieges und des Triumphs. Das Eichenlaub aber war das Sinnbild für die Errettung eines Bürgers. Daher fuhren nach Beendigung eines Krieges die Feldherren, die einen bedeutenden Sieg errungen hatten, mit einem Lorbeer-
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Fabularum Ovidii interpretatio I
essent consecuti, in Capitolium cum laurea invehebantur, et qui civem ab hoste conservasset, querna corona donabatur.
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24 Io in Vaccam.
Aegyptii propter agriculturam divinis honoribus coluerunt bovem. Apud hos cùm Io filia Inachi, regis Argivorum, divinos quoque honores consecuta et mutato nomine Isis dicta esset, occasionem dedit fabulae, ut diceretur mutata in bovem, hoc est, in Aegyptiorum numen. Fuit autem à Phoenicibus rapta et in Aegyptum 480 abducta. Phoenices enim cum more usitato, quemadmodum refert Herodotus43, navigassent Argos in Graeciam et exposuissent ibi merces, atque ad eas emendas accessissent foeminae Argivae, inter quas erat Io regis fìlia, rapuerunt omnes et raptas detulerunt in Aegyptum. Fuit etiam tradita et in matrimonium collocata Osiri, Aegyptiorum regi, cui cognomen erat Ammoni seu Iovi, teste Diodoro 485 Siculo44. Hinc fìngitur à Iove amata.
25 De Argo et Mercurio. Centum luminibus cinctum caput Argus habebat. [I,625]
Argi fabula, si referatur ad mores, docet neminem esse tàm oculatum, cui à Mercurio, hoc est, ab homine versuto et eloquente, imponi nequeat. Mercurius enim 490 olim habebatur pro deo eloquentiae et versutiae, cuius alata talaria significant et velocem ipsius motum, quia omnium planetarum velocissimè movetur, et volu bilitatem linguae, quae in oratore commendatur. Virga item significat vim eloquentiae, qua alliciuntur et impelluntur hominum mentes, tegumen capitis simulationem, quam fronte ac vultu sustinent homines versuti ad tegendas orationis 495 fallatias. Oportet enim fallacem in dicendo tectum et cautum esse. Si verò fabula referatur ad physiologiam, exponi poterit in hanc sententiam, ut per Argum intelligamus coelum stellatum, cui inesse quaedam species coelestium oculorum videtur, per Mercurium solem, nam et Mercurius, cùm sit ferè sub radiis sola-
43 Herodotus 1,1–2. 44 Diodorus Siculus 1,24,8; 1,15,3; 1,25,2.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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kranz ins Kapitol; und wer einen Bürger vor dem Feinde gerettet hatte, wurde mit einem Kranz aus Eichenlaub beschenkt.
24 Io in eine Kuh verwandelt Die Ägypter widmeten wegen der Landwirtschaft dem Rind göttliche Ehrungen. Da bei ihnen Io, die Tochter des Inachus, Königs der Argiver, ebenfalls göttliche Ehrungen erlangt hatte und nach Änderung ihres Namens Isis genannt wurde, gab sie Anlaß zu der Legende, daß sie in ein Rind, d. h. in eine Gottheit der Ägypter, verwandelt worden sei. Sie war aber von den Phöniziern geraubt und nach Ägypten entführt worden. Die Phönizier nämlich seien, so berichtet Herodot, altem Brauch entsprechend, nach Argos in Griechenland gesegelt und hätten dort Waren ausgestellt, und Frauen aus Argos seien herbeigekommen, um diese zu kaufen. Unter denen befand sich Io, die Tochter des Königs. [Die Phönizier] raubten alle Frauen und brachten die Geraubten nach Ägypten. [Io bzw. Isis] wurde auch Osiris, dem König der Ägypter, übergeben und mit ihm verheiratet. Dieser hatte den Beinamen Ammon bzw. Jupiter, wie Diodorus Siculus bezeugt. Daher die Erfindung, [Io] sei von Jupiter geliebt worden.
25 Von Argus und Merkur Argus hatte einen Kopf, den hundert Augen umkränzten. [I,625]
Die Sage von Argus lehrt, wenn sie auf die Moral bezogen wird, daß niemand so gut mit Augen bestückt sei, daß er von Merkur, d. h. von einem verschlagenen und redegewandten Menschen, nicht hintergangen werden könnte. Merkur galt nämlich einst als Gott der Beredsamkeit und Verschlagenheit, dessen Flügelschuhe sinnbildlich sind sowohl für seine rasche Fortbewegung (denn unter allen Planeten hat er die größte Geschwindigkeit) als auch für die Beweglichkeit der Zunge, die bei einem Redner gepriesen wird. Sein Zauberstab verweist ebenfalls auf die Gewalt der Beredsamkeit, mit der die Geister der Menschen gewonnen und in Bewegung gesetzt werden, seine Kopfbedeckung auf die Verstellung, welche verschlagene Menschen mit ihrer Stirn und ihrem Gesichtsausdruck an den Tag legen, um die trügerischen Inhalte ihrer Rede zu verschleiern. Jemand, der betrügen will, muß nämlich beim Reden versteckt und vorsichtig sein. Bei naturkundlicher Deutung aber wird die Sage in der Richtung ausgelegt werden können, daß wir unter Argus den gestirnten Himmel verstehen, dem eine bestimmte Art himmlischer Augen eingepflanzt zu sein scheint, unter Merkur die
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Fabularum Ovidii interpretatio I
ribus, interdum pro ipso sole accipitur. Oriente autem sole evanescunt et quasi 500 extinguuntur stellae, per quas intelliguntur Argi lumina. In hanc sententiam exponit fabulam Iovianus Pontanus his versibus:
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Quin et Mercurium mutato nomine dicunt Argum somnifero victum stravisse caduceo Insomnem centumque oculos ac lumina centum Pandentem et niveae servantem pascua vaccae. Argus enim coelum est, vigilantia lumina flammae Aetheriae et vario labentia sidera mundo, Quae passim multa sublustris noctis in umbra Collucent, sed mox Phoebo exoriente perempta Torpent luce nova et candenti lampade victa Emoriuntur et obscuro conduntur Olympo.45
26 Syrinx in fistulam. Fabula de Syringe et Pane ad historiam pertinet estque conficta ex allusione nominis. Pan enim fistulam primus invenit, et σύριγξ significat fistulam.
45 Ioannes Iovianus Pontanus: Urania (Venedig 1533), lib. 1, De Mercurio et Argo, Bl. 9r; ed. Soldati 1,464–473.
Auslegung der Metamorphosen Ovids I
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Sonne, denn Merkur wird auch, da er sich beinahe unter den Sonnenstrahlen befindet, zuweilen als die Sonne selbst angesehen. Beim Aufgang der Sonne aber verschwinden und verlöschen gleichsam die Sterne, unter denen die Augen des Argus verstanden werden. In diesem Sinne legt Iovianus Pontanus die Sage mit diesen Versen aus: Ja man sagt auch, daß Merkur unter verändertem Namen Argus mit seinem schlummerbringenden Heroldsstab besiegt und niedergestreckt habe: Argus, den Schlaflosen, der hundert Augen und hundert Lichter offen hält und die Weide der weißen Kuh bewacht. Argus ist nämlich der Himmel, seine wachenden Augen sind die himmlischen Flammen und die am gesprenkelten Himmelszelt dahingleitenden Sterne, die überall im ausgebreiteten Schatten der halbdunklen Nacht leuchten, jedoch bei Sonnenaufgang alsbald vergehen, bei Tagesanbruch erstarren, von der hell glühenden Leuchte besiegt in den Tod gehen und im dunklen Himmel begraben werden.
26 Syrinx in eine Hirtenflöte verwandelt Die Sage von Syrinx und Pan gehört der Geschichte an und wurde ersonnen von einem Wortspiel her. Pan hat nämlich als erster die Hirtenflöte erfunden, und ‚syrinx‘ bedeutet ‚Hirtenflöte‘.
In secundum librum Metamorphoseon. 1 De Phaethonte. Phaethon, teste Luciano1, fingitur Solis filius decidisse è curru paterno, eò quòd investigavit cursum solis praeventusque morte artem reliquit imperfectam. 5 Eius verò tempore de coelo delapsae sunt flammae, quibus (ut Aristoteles meminit in libro de mundo2) multae regiones ad occidentem exustae sunt. Hanc ob causam fingitur orbis terrarum eo currum agente inflammatus. Fabula ad mores relata exprimit imaginem ambitiosi et temerarii principis, qui gloria et cupiditate regni incensus cogitat sublimia et concipit aethera mente 10 [I,777]. In describenda hac fabula Ovidius mirè servat decorum. Narrat Phaëthontem esse adhuc puerum, cui propter aetatem nihil minus conveniat quàm rerum administratio; utque ostendat pueros, hoc est, homines ambitiosos, qui nullam rerum experientiam habent, potius repellendos à gubernaculis reipublicae quàm admittendos esse, fingit Solem his verbis dehortari Phaëthontem: Magna petis, Phaëthon, et quae non viribus istis Munera conveniunt nec tàm puerilibus annis. [II,54 sq.]
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Ac quoniam constat administrationem esse rem divinam nec evenire omnibus foeliciter, subdit: Sors tua mortalis; non est mortale, quod optas. [II,56] 20 Adhaec quàm difficilis et periculosa sit reipublicae gubernatio, significat, cum
ait:
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Ardua prima via est et qua vix mane recentes Enituntur equi; medio est altissima coelo, Unde mare et terras ipsi mihi saepe videre Sit timor et pavida trepidat formidine pectus; Ultima prona via est et eget moderamine certo. [II,63–67]
Etenim quicunque accedunt ad rempublicam, initio in magnas difficultates incurrunt. Deinde quò sublimiorem gradum obtinent quoque diutius gubernant,
1 Lucianus: De astrologia 17–19. 2 Aristoteles: De mundo 400a31. DOI 10.1515/9783110620283-005
Zum zweiten Buch der Metamorphosen 1 Von Phaethon Wie Lukian bezeugt, wird von Phaethon fabuliert, daß er Sohn des Sonnengottes gewesen und aus dem väterlichen Wagen abgestürzt sei, weil er den Lauf der Sonne erforscht und der Tod ihn daran gehindert habe, seine Theorie in vollendeter Gestalt zu hinterlassen. Zu seiner Zeit aber sind Flammen vom Himmel herabgeglitten, durch die, wie Aristoteles in seinem Buch ‚Über die Welt‘ erwähnt, viele Landstriche zum Abendland hin abgebrannt sind. Aus diesem Grund wird fabuliert, der Erdkreis sei, als jener den Wagen lenkte, in Flammen gesetzt worden. Bei moralischer Deutung stellt die Geschichte das Abbild eines ehrgeizigen und unbesonnenen Fürsten vor Augen, der, entflammt von Ruhmsucht und Begierde nach Herrschaft, auf hohe Ziele sinnt und „sich gedanklich schon im Aether sieht“ [I,777]. Bei der Schilderung dieser Sage hält Ovid auf staunenswerte Weise das Prinzip der Angemessenheit der Darstellung ein. Er erzählt, daß Phaethon noch ein Knabe sei, dem wegen seines Alters nichts weniger zustehe als die Lenkung des Staates, und um aufzuzeigen, daß Knaben, d. h. ehrgeizige Menschen, die keinerlei Erfahrung besitzen, eher von dem Steuerruder des Staates ferngehalten als zu ihm zugelassen werden dürften, läßt er den Sonnengott mit diesen Worten Phaethon ermahnen: Großes verlangst du, Phaethon, ein Geschenk, das deinen Kräften, wie sie jetzt sind, und so jugendlichen Jahren nicht entspricht. [II,54 f.]
Und da feststeht, daß die Regierung eine göttliche Aufgabe ist und nicht bei allen glücklich ausgeht, fügt er hinzu: Dein Los ist das eines Sterblichen. Nicht Sache eines Sterblichen ist, was du verlangst. [II,56]
Darüber hinaus weist er darauf hin, wie schwierig und gefahrvoll die Leitung eines Staates sei, wenn er sagt: Am Anfang ist der Weg steil, und kaum erklimmen ihn am Morgen die frischen Pferde. In der Mitte des Himmels ist er am höchsten. Von dort auf Meer und Land niederzusehen, erregt selbst mir oft Furcht, und vor angstvollem Grausen klopft mir das Herz. Der letzte Teil des Weges ist abschüssig und bedarf einer sicheren Lenkung. [II,63–67]
Alle nämlich, die Staatsgeschäfte übernehmen, geraten zu Anfang in große Schwierigkeiten. Je höher dann der Rang ist, den sie innehaben, und je länger
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Fabularum Ovidii interpretatio II
eò maiora sustinent pericula atque experiuntur nihil omnium rerum humanarum 30 esse difficilius, quàm gerere magistratum. Quantum verò invidiae, metus, calumniae ac discriminis expectandum sit omnibus reipublicae gubernatoribus, etiam optimis et prudentissimis, admonet, cùm ait:
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Forsitan et lucos illic urbesque deorum Concipies animo delubraque ditia donis Esse. Per insidias iter est formasque ferarum; Utque viam teneas nulloque errore traharis, Per tamen adversi gradieris cornua Tauri Aemoniosque arcus violentique ora Leonis Saevaque circuitu curvantem brachia longo Scorpion atque aliter curvantem brachia Cancrum. [II,76–83]
Multae enim existunt belluae in republica: Tauri, Centauri, Leones, Scorpii et Cancri, hoc est, homines invidi et factiosi, qui omnia consilia quamvis recta et salutaria calumniantur, omnia reprehendunt ad evertendam illorum dignitatem, qui praecipuè serviunt communi utilitati. Quinetiam vulgus non facile regitur, 45 cuius tanta petulantia tantaque ferocia est, ut in neminem magis insurgat quàm in illos, quorum imperio parere debet, ideoque sic ait: Nec tibi quadrupedes animosos ignibus illis, Quos in pectore habent, quos ore et naribus efflant, In promptu regere est, cervixque repugnat habenis. [II,84–86] 50 Verum haec magnitudo difficultatis ac periculorum nihil movet homines imperi-
tos, qui honores appetunt vel infinitam potentiam affectant. Ut enim temerarii, ita pertinaces sunt, nec sanis consiliis obtemperant. Propterea haec subdit: Finierat monitus, dictis tamen ille repugnat Propositumque premit. [II,103 sq.]
55 Porrò currus, quem agendum suscipit, summam rerum potentiam significat. In
quo curru
Aureus axis erat, temo aureus, aurea summae Curvatura rotae, radiorum argenteus ordo; Per iuga chrysolithi positaeque ex ordine gemmae. [II,107–109]
Auslegung der Metamorphosen Ovids II
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sie regieren, um so größeren Gefahren sind sie ausgesetzt, und sie machen die Erfahrung, daß von allen menschlichen Dingen nichts schwieriger ist, als ein obrigkeitliches Amt zu verwalten. Auf das große Maß an Mißgunst, Besorgnis, Verleumdung und Gefährdung, das alle Staatenlenker, auch die besten und klügsten, zu gewärtigen haben, weist er mahnend hin, wenn er sagt: Vielleicht stellst du dir vor, dort seien Haine, Städte der Götter und Heiligtümer, reich an Gaben? Anders: durch Hinterhalte mit wilden Tieren führt der Weg, und wenn du auch den Weg einhältst, dich nicht in die Irre führen läßt, so wirst du doch fahren durch die Hörner des sich dir entgegenstellenden Stiers, vorbei am Bogen des Thessaliers, am Maul des unbändigen Löwen, am Skorpion, der seine grimmigen Scheren in weitem Bogen krümmt, und an dem seine Scheren in eine andere Richtung krümmenden Krebs. [II,76–83]
Im Staat gibt es nämlich viele Tiere: Stiere, Kentauren, Löwen, Skorpione und Krebse, d. h. mißgünstige und heimtückische Menschen, die alle Ratschlüsse, obwohl sachgerecht und zuträglich, schlecht machen, die alles tadeln, um das Ansehen jener zu vernichten, die vor allen anderen dem gemeinen Nutzen dienen. Ja sogar das einfache Volk ist nicht leicht zu regieren. Seine Frechheit und seine Wildheit sind von so großem Ausmaß, daß es sich gegen niemand mehr empört als gegen jene, deren Gebot es gehorchen soll. Und deshalb sagt er folgendes: Es ist für dich auch nicht leicht, die Pferde zu lenken, die von hitzigem Mut sind durch das Feuer, das sie aus Maul und Nüstern schnauben; und ihr Nacken widersetzt sich den Zügeln. [II,84–86]
Doch diese große Fülle an Schwierigkeiten und Gefahren beeindruckt nicht im geringsten unerfahrene Menschen, die nach Ehrenstellen trachten oder unbegrenzte Macht anstreben. So unbesonnen sie nämlich sind, so hartnäckig sind sie auch und hören auf keine vernünftigen Ratschläge. Deshalb fügt er [Ovid] dies hinzu: Er hatte seine Warnungen beendet. Doch jener widersetzt sich den Worten und hält an seinem Vorhaben fest. [II,103 f.]
Des weiteren bedeutet der Wagen, den er [Phaethon] empfängt, um ihn zu lenken, die höchste Staatsmacht. An diesem Wagen war golden die Achse, golden die Deichsel, golden das äußerste Rund der Räder [d. h. der Felgen], silbern die Ordnung der Speichen. Über das Joch hin waren Chrysolithe und der Reihe nach [andere] Edelsteine gesetzt. [II,107–109]
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Fabularum Ovidii interpretatio II
60 Haec verò nihil aliud sunt nisi ornamenta reipublicae, quae magnanimus
Phaëthon miratur, opusque perspicit, hoc est, splendorem ac speciem regni intuetur, sollicitudinem autem et difficultatem imperandi non videt. Deinde per equos ipsum vulgus, per frena gubernatio et habenae imperii intelliguntur. Est enim similis equorum vulgi ferocia. Iam verò qua arte regendum sit vulgus, docet, 65 cum inquit: Parce, puer, stimulis et fortius utere loris. [II,127]
ostendens optimam gubernandi rationem esse continere vulgus in officio non tàm saevicia quàm moderata quadam severitate. Stimuli enim indicant imperia dura et crudelia, lora verò disciplinam gravem et constantem, ubi vincula legum 70 neque severitate nimium contrahuntur neque lenitate nimium laxantur. Postea et subiungit: Nec tibi directos placeat via quinque per arcus: Sectus in obliquum est lato curvamine limes. Hac sit iter. [II,129–130.133] 75 significans non vi et impetu obnitendum esse populo, ut illius voluntati neque
contumaciter adversari neque omnino obsequi videare. Nam in administranda republica convenit imitari ipsum solem, quem mathematici tradunt niti quidem contra supremi orbis impetum, sed obliquè molliterque ex transverso. Et exempla utriusque generis testantur, quàm perniciosa sit tùm dura nimium et populari 80 voluntati semper adversa severitas, qualis fuit in Catone, tùm blanda nimium et ad vulgi libidinem accommodata facilitas. Pari enim calamitate rempub afficit gubernatio aut durior, quàm humanitatis postulat ratio, aut lenior, quàm officii dignitas permittit. Quare et illud addit: Medio tutissimus ibis. [II,137]
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Diese Dinge aber sind nichts anderes als die Zierden des Staates, die der hochgemute Phaethon bewundert; und er nimmt das Kunstwerk in Augenschein, d. h., er betrachtet den Glanz und die Pracht der Herrschaft. Die mit dem Herrschen verbundene Sorge und seine Schwierigkeit aber sieht er nicht. Sodann versteht man unter den Pferden das Volk selbst, unter den Zügeln die Regierung und Leitung des Reiches. Die Wildheit des gemeinen Volkes ähnelt nämlich der der Pferde. Er [der Sonnengott] lehrt sogar, auf welche Art und Weise man das Volk lenken müsse, wenn er sagt: Gebrauche den Stachelstock, Knabe, nur sparsam, und benutze stärker die Zügel. [II,127]
Damit macht er deutlich, daß die beste Regierungsmethode darin bestehe, das Volk nicht so sehr mit Grausamkeit als vielmehr mit einer gewissen maßvollen Strenge in Gehorsam zu halten. Die Stachelstöcke bedeuten nämlich eine harte und grausame Herrschaft, die Zügel aber eine ernste und entschiedene Zucht, wobei die Fesseln der Gesetze weder durch Strenge allzu fest zusammengezogen noch durch Milde allzu sehr gelockert werden. Später fügt er noch hinzu: Wähle nicht den Weg, der in gerader Strecke durch die fünf Zonen führt! Die Bahn verläuft stark gekrümmt in schräger Richtung. Hier verlaufe dein Weg! [II, 129–130. 133]
Hiermit zeigt er an, daß man sich dem Volk nicht mit Gewalt und Ungestüm entgegenstemmen dürfe, um so den Eindruck zu erwecken, daß man sich dessen Willen weder unbeugsam widersetze noch ihm gänzlich nachgebe. Denn bei der Führung eines Staates ist es zweckmäßig, die Sonne selbst nachzuahmen, von der die Astronomen lehren, daß sie sich zwar dem Ungestüm des obersten Himmelskreises entgegenstemme, dies aber in schräger Richtung und geschmeidig in die Quere. Und Beispiele für Verfahrenweisen der einen wie der anderen Art bezeugen auch, wie schädlich beide sind: sowohl eine allzu harte und dem Volkswillen sich stets widersetzende Strenge, wie sie Cato zu eigen war, als auch eine allzu entgegenkommende, dem Gelüst des gemeinen Volkes sich anbequemende Leutseligkeit. Beide Arten der Führung wirken sich nämlich für den Staat gleichermaßen verderblich aus: eine Führung, die härter ist, als es der Grundsatz der Menschlichkeit erfordert, und eine, die gelinder ist, als es die Würde des obrigkeitlichen Amtes erlaubt. Deshalb fügt er auch das berühmte Wort hinzu: In der Mitte wirst du am sichersten fahren. [II,137]
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Fabularum Ovidii interpretatio II
85 Nam qui severitatem cum mansuetudine et comitate coniungunt, hi sapientis-
simè gubernandi viam incedunt; qui verò id non faciunt, illi non diu vulgus in officio continent: id quod indicat, cùm ait:
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Sed leve pondus erat, nec quod cognoscere possent Solis equi, solitaque iugum gravitate carebat. Succutiturque altè similisque est currus inani. Quod simulac sensere, ruunt tritumque relinquunt Quadriiuges spacium nec, quo prius, ordine currunt. Ipse pavet, nec qua commissas flectat habenas, Nec scit, qua sit iter, nec, si sciat, imperet illis. [II, 161–162.166–170]
95 Ad extremum igitur ingenti totius orbis malo Phaëthontis currus, hoc est, impe-
rium, evertitur. Qui enim nulla adiutus sapientia habenas tractat, omnia temeritate sua subvertit. Praeter haec, duo sunt in hac fabula loci morales observatione digni. Alter admonet pueros, ne parentum iussa et praecepta contemnant. Alter docet non 100 esse servanda illa promissa, quae non sunt his ipsis utilia, quibus promittuntur. Cuius loci et Cicero meminit lib. 3. Officiorum his verbis: „Sol Phaëthonti se facturum esse dixit, quicquid optasset. Optavit, ut in currum patris tolleretur. Sublatus est, atque insanus antequàm constitit, ictu fulminis conflagravit. Quantò melius fuerat in hoc promissum patris non esse servatum.“3
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2 Epitaphium Phaethontis. Hîc situs est Phaëthon, currus auriga paterni. Quem si non tenuit, magnis tamen excidit ausis. [II,327 sq.]
Aptum et conveniens epitaphium, quod inscribatur sepulchro audacis ac temerarii principis. Haec est enim illa insignis fama, quam posteritati relinquit, nempe 110 quòd magnarum rerum molitione oppressus interierit. Talem apud posteros famam consecutus est Ludovicus Sphortia, qui Gallorum auxilio ac potentia fretus, cùm totius Italiae imperium animo concepisset, alter quasi Phaëthon excitavit belli incendium adductis Gallis in Italiam; quod belli incendium ipsius ruina extinctum est.
3 Cicero: De officiis 3,94.
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Denn wer Strenge mit Sanftmut und Freundlichkeit verbindet, der beschreitet den Weg der Staatslenkung mit größter Weisheit. Wer dies aber nicht tut, der wird das gemeine Volk nicht lange in seiner Botmäßigkeit halten – was er [Ovid] mit folgenden Worten verdeutlicht: Doch das Gewicht war leicht, so daß die Sonnenpferde es nicht wahrzunehmen vermochten, und das Joch hatte nicht die gewohnte Schwere, und der Wagen wird hoch emporgeschnellt, ganz so, als ob er leer sei. Sobald die Pferde des Viergespanns dies merken, stürzen sie los und verlassen die oft befahrene Bahn und laufen nicht mehr so geordnet wie sonst. Er selbst ist verängstigt und weiß nicht, wohin er die ihm anvertrauten Zügel lenken soll und wo der Weg ist, und wenn er es wüßte, wäre er nicht Herr über die Pferde. [II,161–162.166–170]
Am Ende wird also unter gewaltigem Schaden für den ganzen Erdkreis der Wagen Phaethons, d. h. die Herrschaft, vernichtet. Wer nämlich ganz ohne unterstützende Weisheit die Zügel führt, richtet mit seiner Unbesonnenheit alles zugrunde. Darüber hinaus stecken in dieser Geschichte noch zwei weitere beachtenswerte moralische Lehrsätze. Der eine ermahnt die Knaben, Weisungen und Gebote der Eltern nicht in den Wind zu schlagen. Der andere lehrt, daß man Versprechungen nicht einhalten dürfe, die gerade für die, denen sie gemacht werden, nicht ersprießlich sind. Diesen Lehrsatz erwähnt auch Cicero im dritten Buch der ‚Pflichten‘ mit diesen Worten: „Der Sonnengott sagte zu Phaethon, er werde tun, was immer er sich wünsche. Der wünschte, den Wagen des Vaters zu besteigen. Er bestieg ihn, und bevor der Narr anhielt, verbrannte er durch den geschleuderten Blitz. Wieviel besser wäre es gewesen, wenn in diesem Falle das Versprechen des Vaters nicht eingehalten worden wäre!“
2 Die Grabschrift Phaethons Hier ruht Phaethon, der Lenker des väterlichen Wagens. Wenn er ihn auch nicht beherrscht hat, so war es doch ein großes Wagnis, mit dem er scheiterte. [II,327 f.]
Eine passende und angemessene Grabschrift, die auf das Grabmal eines kühnen und unbesonnenen Fürsten gesetzt werden könnte! Dies ist ja der spezifische Ruhm, den er der Nachwelt hinterläßt: daß er nämlich zugrunde gegangen ist unter der erdrückenden Last der großen Unternehmungen, die er ins Werk gesetzt hat. Einen derartigen Ruhm hat bei den Nachgeborenen Ludovico Sforza erlangt, der, fest auf die Hilfe und die Macht der Franzosen vertrauend, da er sich in den Kopf gesetzt hatte, ganz Italien zu beherrschen, gleichsam als zweiter Phaethon den Brand eines Krieges entfachte, nachdem er die Franzosen nach Italien geholt hatte. Der Brand dieses Krieges wurde gelöscht durch seinen eigenen Untergang.
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Accommodari etiam potest ad studiosos literarum, qui maiora suis viribus aggrediuntur. Angelus Policianus adolescens iactaverat se reddere Latino carmine Homerum. Quo labore et studio suo cùm passim gloriaretur et iudicia doctorum exquireret arrogantius, Cardinalis Papiensis, vir facetus, ei rescripsisse fertur his verbis: „Censeo operam inchoatam non esse deserendam. Si non assequeris id, 120 quod affectas, aequalis tamen tui Phaëthontis laudem invenies, ut idem de suscepto à te Homero, quod de suscepto ab illo curru solari, dicatur: Quem si non tenuit, magnis tamen excidit ausis.“4 115
3 Heliades in arbores electriferas. Sorores Phaëthontis suo casu et exemplo docent moderationem in luctu adhiben125 dam esse. Dum enim assiduè lugent, amissa hominis figura ipsae in arbores et earum lacrymae in succinum seu electrum convertuntur. In Liguria verò ad Eridanum nasci arbores electriferas omnino fabulosum est. Nasci tamen illic electrum et multis locis effodi, incolae affirmant.
4 Cygnus Ligurum rex in avem sui nominis. 130 Veteres, quo celebrarent Eridani amoenitatem, finxerunt illic esse cygnos mirè
canoros, quorum concentus ex utraque ripa, inter arbores electriferas audiretur. Lucianus hos putat insignes fuisse musicos, qui propter studium canendi tanquàm in aves mutati cantibus indulgerent.5 Itaque Ovidius venustè historiam accommodat ad fabulam. Cum enim fingit Cygnum regem Ligurum in avem 135 sui nominis mutatum esse, significat eum fuisse musicae studiosum, allusione sumpta ex nomine.
4 Jacopo Ammannati Piccolomini: Lettere (ed. Cherubini), Bd. 3 (1997), S. 1924 (in einem an Nicolaus Michelotius und Angelus Politianus gemeinsam gerichteten Brief vom 1. 1. 1475). 5 Lucianus: De electro seu cycnis 4.
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Der Spruch kann auch angewandt werden auf Jünger der Wissenschaft, die etwas in Angriff nehmen, was ihre Kräfte übersteigt. Angelo Poliziano hatte sich als junger Mann gerühmt, Homer in lateinische Verse zu übersetzen. Als er mit dieser Arbeit und wissenschaftlichen Bestrebung überall prahlte und auf ziemlich dünkelhafte Art Gutachten von Gelehrten erbat, soll der Kardinal von Pavia, ein witziger Mann, ihm wie folgt zurückgeschrieben haben: „Ich meine, daß man ein angefangenes Werk nicht aufgeben darf. Falls du nicht erreichen solltest, was du anstrebst, wirst du doch den Ruhm des dir gleichgearteten Phaethon finden, so daß von deinem Griff nach Homer dasselbe gesagt wird wie von dem Griff jenes nach dem Sonnenwagen: ‚Wenn er ihn auch nicht beherrscht hat, so war es doch ein großes Wagnis, mit dem er scheiterte.‘“
3 Die Töchter des Sonnengottes in bernsteintragende Bäume verwandelt Die Schwestern Phaethons lehren mit dem Beispiel ihres Untergangs, daß man in der Trauer Maß halten muß. Während sie nämlich unausgesetzt trauern, verlieren sie ihre Menschengestalt, werden selbst in Bäume und ihre Tränen in Bernstein bzw. Agstein verwandelt. Daß aber in Ligurien, am Po, bernsteintragende Bäume aufwüchsen, ist nichts als Fabelei. Allerdings beteuern die Einwohner, daß dort Bernstein entstehe und ausgegraben werde.
4 Cygnus, König der Ligurer, in den seinen Namen tragenden Vogel verwandelt Um so die landschaftliche Anmut des Po zu verherrlichen, haben die Alten erdichtet, daß es dort wundersam wohltönende Schwäne gebe, deren harmonischer Gesang von beiden Ufern her, zwischen den bernsteintragenden Bäumen, zu hören sei. Lukian glaubt, daß diese Schwäne hervorragende Musiker gewesen seien, die sich, wegen ihrer Neigung zum Singen gleichsam in Vögel verwandelt, dem Gesang hingaben. Daher paßt Ovid auf feine Art den historischen Vorgang der Sage an. Indem er nämlich vorgibt, Cygnus, der König der Ligurer, sei in den seinen Namen tragenden Vogel verwandelt worden, deutet er an, daß er ein Liebhaber der Musik gewesen sei, mit einem Wortspiel von seinem Namen her.
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Fabularum Ovidii interpretatio II
5 Calisto Lycaonis filia in ursam. Puellae et foeminae amissa pudicicia deformatae assimilantur turpissimis bestiis, id quod et Salomon in Proverbiis testatur6, cùm inquit mulierem formosam, quae 140 immodesta est, non dissimilem esse porco aureum torquem gerenti. Hac de causa fingitur Calisto, Iunonis pellex, mutata in ursam. Nec caret ratione, pulcherrimam (Calisto enim apud Graecos à pulchritudine nominatur) mutari in bestiam turpissimam, nam quò pulchrior est foemina, eò conspectior fit eius turpitudo et deformitas. Nonnulli verò tradunt illam fuisse ab ursa dilaniatam in vena145 tione. Est itaque verisimile, fabulam esse confictam partim ex historia, partim ex moribus. Porrò Ovidius eruditè et astronomicè describit situm stellarum, quibus Ursae sidus constituitur, cum inquit: ubi circulus axem Ultimus extremum spacioque brevissimus ambit. [II,516 sq.] 150 Est enim Ursa arctico circulo, qui ad septentrionem extremus et brevissimus est,
inclusa, nec unquàm descendit sub horizontem, sed propter elevationem semper extat. Itaque et fingitur arceri ab Oceano, ne subeat aquas, hoc est, ne occidat. Dicuntur enim sidera subire aequor, cum occidunt.
6 De cornice, corvo et noctua. 155 Tres fabulae simul connexae sunt. Una de cornice, quae docet garrulitatem ple-
risque odiosam esse, praesertim sapientibus, nam ideò fingitur cornix Minervae invisa. Altera de corvo, quae docet consilium bene monentis non esse repudian dum. Corvus enim, dum spernit consilium cornicis, ipse accersit sibi magnum malum. Tertia de Nyctimene in noctuam conversa continet detestationem impie160 tatis atque incestae libidinis ac docet honestè vivendum, ut benè audiamus et in conspectum venire non erubescamus. Qui enim turpitudinem subeunt, omnibus honestis invisi, perinde ac noctuae lucem atque conspectum fugiunt. Policianus
6 Prov 11,22.
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5 Callisto, Tochter Lycaons, in eine Bärin verwandelt Mädchen und Frauen, die entehrt sind durch den Verlust ihrer Keuschheit, werden garstigen Tieren ähnlich. Dies bezeugt Salomo in den Sprüchen, wenn er sagt, eine schöne Frau, die zuchtlos sei, sei nicht unähnlich einem Schwein, das eine goldene Halskette trage. Deshalb die Sage, daß Callisto, Junos Nebenfrau, in eine Bärin verwandelt worden sei. Es hat auch seinen guten Grund, daß die Schönste (Callisto heißt bei den Griechen nämlich so wegen ihrer Schönheit) in das garstigste Tier verwandelt wird. Denn je schöner eine Frau ist, um so augenfälliger wird ihre Garstigkeit und Ehrlosigkeit. Einige Autoren überliefern jedoch, sie sei auf der Jagd von einer Bärin zerrissen worden. Es besteht also die Wahrscheinlichkeit, daß die Sage teils von der Geschichte, teils von dem Moralaspekt her ersonnen wurde. Fernerhin beschreibt Ovid mit guter astronomischer Sachkenntnis die Lage der Sterne, aus denen sich das Sternbild der Bärin zusammensetzt, wenn er sagt: wo der letzte und engste Kreis den obersten Pol der Himmelsachse umrundet. [II,516 f.]
Die Bärin ist nämlich im nördlichen Kreis, der zum Nordpol hin der letzte und engste ist, eingeschlossen. Sie geht auch nie unter den Horizont, sondern ist wegen ihrer Erhöhung ständig sichtbar. Dies ist der Hintergrund für die Erdichtung, daß die Bärin von [dem Meergott] Oceanus gehindert werde, in die Flut einzutauchen, d. h., daß sie nicht untergeht. Man sagt von den Sternen nämlich, daß sie ins Meer eintauchen, wenn sie untergehen.
6 Von der Krähe, dem Raben und der Nachteule Drei Geschichten sind hier zugleich miteinander verflochten: Die eine von der Krähe lehrt, daß Schwatzhaftigkeit den meisten zuwider sei, und zwar besonders den Weisen, denn eben darum geht die Sage, daß die Krähe der Minerva verhaßt sei. Die zweite Geschichte ist die vom Raben, die lehrt, daß der Rat des wohlmeinend Mahnenden nicht von der Hand gewiesen werden dürfe. Indem der Rabe nämlich den Rat der Krähe mißachtet, zieht er großes Unheil auf sich. Die dritte Geschichte von der Verwandlung der Nyctimene in eine Nachteule enthält eine Verfluchung der Ruchlosigkeit und blutschänderischen Wollust und lehrt, daß man ein ehrbares Leben führen müsse, damit wir in gutem Rufe stehen und uns nicht schämen, uns in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wer nämlich Schande auf sich lädt, ist allen Ehrbaren verhaßt und scheut ebenso wie die Nachteulen das Tageslicht und das Erscheinen in der Öffentlichkeit. Poliziano erfindet einen anderen
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aliam fingit causam quàm Ovidius, cur aves circumvolitent noctuam, videlicet non, quòd eam exosam habeant, sed quòd ita venerentur. Ait aviculas olim ab 165 illa admonitas, ne insiderent arboribus neve inter frondes ita lascivirent, subsultarent, colluderent et cantarent. Sed hanc admonitionem cum aviculae con tempsissent, eas visco implicitas serò poenituisse, quòd salubre illud consilium sprevissent. Atque hoc ait esse, cur aves, sicubi noctuam viderint, frequentes eam quasi salutent, deducant, sectentur, circumsidant, circumvolitent, tanquàm 170 admirantes eius sapientiam.7 Haec quidem festiva sunt; sed illud est festivius habetque plus gravitatis, quod poëta hîc fingit: videlicet noctuam fugere conspectum atque lucem propter admissum dedecus, quod patrio cubili se implicuerit eamque ob id esse tàm invisam avibus, ut omnes eam odio habeant. Caeterum ut ad cornicis fabulam redeamus, Plinius scribit nullam cornicem Athenis 175 conspici.8 Id arbitror etiam Ovidium transferre ad fabulam, dum fingit cornicem esse invisam Minervae, quam Graeci Ἀθήναν appellant.
7 Erichthonius. Pallas Erichthonium, prolem sine matre creatam. [II,553]
Poëtae voluerunt Palladem florere perpetua virginitate. Quod ut crederetur, fin-
180 xerunt Vulcanum deum ignis, id est, fervorem concupiscentiae, diu cum Pallade
luctatum atque superatum. Ex ea verò lucta Vulcani et Palladis natum esse Erichthonium, quasi de terra et lite procreatum, quod Vulcanus superatus effectum libidinis in terram proiecisset.
8 Cecrops geminus seu bicorpor. 185
Virginibusque tribus gemino de Cecrope natis. [II,555]
Iustinus scribit9 Cecropem regem Atheniensium revocasse suos à vagis libidinibus ad matrimonium, ac ideò fingi geminum propter foeminae et maris coniunctionem. Gregorius verò Nazianzenus in vita Basilii Magni scribit Cecro-
7 Angelus Politianus: Lamia (ed. Celenza) 80–81; (ed. Wesseling), S. 18 f. 8 Plinius: Nat. hist. 10,30. 9 Iustinus: Epitoma 2,6,7.
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Grund als Ovid, weshalb die Vögel die Nachteule umflattern: nämlich nicht, weil sie ihnen gänzlich verhaßt sei, sondern weil sie so ihre Verehrung kundtäten. Er sagt, die Vögelchen seien einstmals von ihr ermahnt worden, nicht auf Bäumen zu sitzen und nicht im Laub so ausgelassen herumzuhopsen, hochzuspringen, zu spielen und zu singen. Doch da die Vögelchen diese Mahnung in den Wind geschlagen hätten, habe es sie, als sie im Vogelleim festsaßen, zu spät gereut, jenen heilsamen Rat mißachtet zu haben. Und dies sei, so sagt Poliziano, der Grund, weshalb die Vögel, sobald sie eine Nachteule sähen, sie in Scharen gleichsam begrüßten, sie geleiteten, ihr folgten, sie umlagerten und umflatterten, so als bewunderten sie ihre Weisheit. Dies ist zwar hübsch, hübscher aber und von größerem Gewicht ist, was der Dichter hier ersinnt: nämlich daß die Nachteule den öffentlichen Anblick und das Tageslicht scheue wegen der begangenen Schandtat, das Bett des Vaters aufzusuchen, und daß sie deshalb den Vögeln so verhaßt sei, daß alle ihr feind seien. Im übrigen, um auf die Geschichte von der Krähe zurückzukommen, schreibt Plinius, daß in Athen keine Krähe zu sehen sei. Auch dies hat Ovid, wie ich glaube, auf seine Geschichte angewandt, indem er vorgibt, daß die Krähe der Minerva, welche die Griechen Athene nennnen, verhaßt sei.
7 Erichthonius Pallas [schloß in einen Kasten ein] Erichthonius, den ohne Mutter erzeugten Sprößling. [II,553]
Die Dichter waren der Meinung, daß Pallas in fortdauernder Jungfräulichkeit blühe. Um dies glaubhaft zu machen, erfanden sie die Geschichte, daß Vulkan, der Gott des Feuers, d. h. die Gluthitze der Liebeslust, lange mit Pallas gerungen habe und besiegt worden sei. Aus diesem Ringkampf von Vulkan und Pallas aber sei Erichthonius hervorgegangen, als Geschöpf gleichsam von Erde [chthon] und Streit [eris], weil der besiegte Vulkan das Ergebnis seiner Lust auf die Erde habe fließen lassen.
8 Der zwiegestaltige oder doppelleibige Cecrops […] drei Mädchen, Töchtern des zwiegestaltigen Cecrops. [II,555]
Iustinus schreibt, Cecrops, der König der Athener, habe seine Landsleute von wahllos ausschweifender Lustbefriedigung abgehalten und bei ihnen die Ehe eingeführt; und darum hätten ihn die Dichter als zwiegestaltig dargestellt, im Hinblick auf die Verbindung von Frau und Mann. Gregor von Nazianz aber schreibt in seinem Leben Basiliusʼ des Großen, Cecrops habe zwei Sprachen, die griechi
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pem duas tenuisse linguas, Graecam et Aegyptiacam, atque hanc esse causam, 190 cur fingatur geminus.10 Traditur etiam Cecrops initio regni fuisse asper et durus ac postea lenis atque humanus; qua ex re confictam esse fabulam Plutarchus arbitratur.11
9 Coronis ab Apolline interempta. Poenitet heu serò poenae crudelis amantem. [II,612] 195 Coronis Aesculapii mater interiit pestilentia. Hinc fingitur telo interempta ab Apol-
line. Solis enim radii assimilantur sagittis, et nimio eius fervore interdum aër fit pestilens. Quapropter Homerus quoque fingit interfici ab Apolline, qui peste moriuntur.12 Apollinis autem exemplo hoc loco monemur, ne statim habeamus fidem delatoribus neu quid ex impotentia animi faciamus, cuius postea nos poeniteat.
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10 De Aesculapio. sed natum flammis uteroque parentis Eripuit. [II,629 sq.]
Deorum filii à poëtis nominantur homines ingenio et virtute praestantes, eò quòd omnes excellentes artes et virtutes in hominibus fiant divino adflatu. Hac 205 de causa Aesculapius dicitur filius Apollinis: quia, cum fuerit excellens medicus, dictum est eum divino motu adiuvari, et quidem vi solis, qui plantas fovet.
11 Ocyroë in equam. Per Ocyroën, quae à veloci fluxu nomen habet ac fingitur mutata in equam, arbitror intelligi fluvium, eumque appellari Graecè ἵππον. Νon est enim inusitatum 210 hoc nomen fluvii, nam autore Strabone13 apud Colchos influit in Phasin amnis nomine Hippos.
10 Gregorius Nazianzenus: Monodia in Basilii Magni vitam per Raphaëlem Volaterranum conversa. In: Basilius Magnus Caesariensis: Eruditissima opera (Köln 1531), S. 2. 11 Plutarchus: Moralia: De sera numinis vindicta 551F. 12 Homerus: Il. 1,43–53 13 Strabo 11,2,17.
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sche und die ägyptische, beherrscht, und dies sei der Grund, weshalb er als zwiegestaltig dargestellt werde. Es gibt auch die Überlieferung, daß Cecrops zu Beginn seiner Herrschaft rauh und hart gewesen sei, später aber sanft und menschenfreundlich, und aufgrund dessen, so glaubt Plutarch, sei die Sage erdichtet worden.
9 Coronis von Apollo getötet Ach, zu spät reut den Liebenden die grausame Strafe! [II,612]
Coronis, die Mutter Aesculaps, ging an der Pest zugrunde. Daher wird in der Sage erzählt, sie sei von Apollo mit einem Pfeilschuß getötet worden. Die Sonnenstrahlen werden nämlich mit Pfeilen verglichen, und zuweilen entsteht aus ihrer allzu großen Hitze pestbringende Luft. Deshalb dichtet auch Homer, daß von Apollo getötet werde, wer an der Pest stirbt. Durch das Beispiel Apollos werden wir aber an dieser Stelle ermahnt, Denunzianten nicht sogleich Glauben zu schenken oder aus Unbeherrschtheit nicht etwas zu tun, was uns später reuen könnte.
10 Von Aesculap […] sondern entriß seinen Sohn den Flammen und dem Leib der Mutter. [II,629 f.]
Als Göttersöhne werden von den Dichtern Menschen bezeichnet, die durch Geisteskraft und Tüchtigkeit herausragen, und zwar deshalb, weil alle vorzüglichen Künste und Fähigkeiten bei den Menschen durch göttlichen Anhauch zustande kommen. Aus diesem Grund heißt es, daß Aesculap ein Sohn Apollos sei: denn weil er ein vorzüglicher Arzt war, sagte man, er werde durch göttliches Wirken unterstützt, und zwar durch die Kraft der Sonne, die die Setzlinge nährt.
11 Ocyrhoë in eine Stute verwandelt Unter Ocyrhoë, die ihren Namen von schnellem Fließen hat und von der gefabelt wird, sie sei in eine Stute verwandelt worden, wird, glaube ich, ein Fluß verstanden, der von den Griechen Hippos genannt wird. Dieser Flußname ist nämlich nicht ungebräuchlich. Denn wie Strabo mitteilt, fließt bei den Kolchiern ein Bach mit Namen Hippos in den Phasis.
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12 Tres Parcae. Triplicesque deae tua fila resolvent. [II,654]
Extat apud Platonem, in dialogo de republica vel de iusto, pulcherrimum fìgmen-
215 tum de Parcis14, quomodo in throno Necessitatis, cuius filiae fìnguntur, sedeant
aequali inter se spacio collocatae, vestimentis albis, capite coronato, digitisque torqueant fusum et pensum Necessitatis ex adamante factum; quomodo item ad harmoniam coeli canant praeterita, praesentia et futura. Animae verò nascentium ascendant ad thronum Necessitatis, ibique sortiantur fata ex 220 genibus Lachesis sumpta. Sed nos, omissis labyrinthis disputationum de Necessitate, dicimus fatum signifìcare providentiam divinam, quae bona conservat, gubernat et adiuvat, mala reprimit ac tollit et alio modo agit in motibus coeli et elementorum, alio modo in hominum gubernatione, quibus non eripitur libertas voluntatis, sed 225 iusto iudicio adiuvat Deus iustos et deserit sontes, ut eos puniat. Nomina tria signifìcant ordinem actionum. Κλωθὼ est à volvendo, id est, Deus offert primùm occasiones, ut Pompeio offertur occasio movendi belli et moderatione sua retinendae pacis. Λάχεσις est ipse eventus: Cum movit bellum Pompeius, iam periculo se implicuit. Ἄτροπος est immutabilis, id est, factum infectum fieri non 230 potest: Postquàm periculum accersitum est, iam haeret implicitus.
13 Apollo in pastorem. Illud erat tempus, quo te pastoria pellis Texit onusque fuit baculus sylvestris olivae. [II,680 sq.]
Apollo sive Sol fingitur pastor, ut inquit Iovianus Pontanus, 235
Quod pascat, quicquid sub coeli nascitur oris.15
14 Plato: De re publ. 10,617b-d. 15 Ioannes Iovianus Pontanus: Urania (Venedig 1533), lib. 1, Cur pastores Ianus, Phoebus, Apollo, Bl. 8v; ed. Soldati 1,435.
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12 Die drei Parzen Die Dreiheit der Parzen wird deinen Faden lösen. [II,654]
In Platons Dialog ‚Über den Staat oder Über das Gerechte‘ gibt es ein sehr hübsches Bild von den Parzen: wie sie auf dem Thron der Notwendigkeit, deren Töchter sie sein sollen, säßen, in gleicher Entfernung voneinander plaziert, in weißen Gewändern, mit bekröntem Haupt, und wie sie mit ihren Fingern die Spindel und das Wolltagewerk der Notwendigkeit – beides aus Stahl gefertigt – drehten; auch wie sie zur Himmelsharmonie das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige sängen. Die Seelen derer aber, die geboren werden, streben zum Thron der Notwendigkeit empor, und dort werden die Schicksale zugeteilt durch Lose aus dem Schoß der Lachesis. Wir aber ersparen uns die Labyrinthe der Erörterungen über die Notwendigkeit und sagen, daß das Lebenslos die göttliche Vorsehung bedeute, die das Gute erhält, lenkt und unterstützt, das Böse niederhält und beseitigt und einerseits in den Bewegungen des Himmels und der Elemente wirkt, andererseits in der Lenkung der Menschen. Den Menschen wird [damit] die Freiheit des Willens nicht entzogen, sondern mit gerechtem Urteil unterstützt Gott die Gerechten und läßt die Missetäter im Stich, um sie zu bestrafen. Die drei Namen [der Parzen] bedeuten die Abfolge von Handlungen. Klotho kommt von ‚verhängen‘, d. h. Gott bietet zunächst Gelegenheiten an: so wie Pompeius die Gelegenheit geboten wird, einen Krieg zu beginnen und durch eigene Mäßigung den Frieden zu erhalten. Lachesis ist die eintretende Folge selbst: als Pompeius den Krieg begonnen hat, hat er sich schon der Gefahr ausgesetzt. Atropos bedeutet ‚unwandelbar‘, d. h. Geschehenes kann nicht ungeschehen gemacht werden: Nachdem die Gefahr heraufbeschworen wurde, steckt er in ihr fest.
13 Apollo in einen Hirten verwandelt Es war die Zeit, als das Fellkleid eines Hirten dich bedeckte und du einen Stock von einem wildwachsenden Ölbaum trugst. [II,680 f.]
Apollo oder der Sonnengott wird als Hirte dargestellt. Den Grund dafür nennt Iovianus Pontanus: Weil er alles nährt, was unter dem Himmelsrund entsteht.
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14 Battus in saxum. Batti fabula docet fraude sermonis ac periurio abstinendum. Fuit autem Battus ineptus poëta, cuius odiosam loquacitatem hîc notat. Nam in eius versibus eadem verba saepe iterabantur. Itaque ad exprimendam battologiam usus est his 240 repetitionibus: „sub illis Montibus“, inquit, „erant, et erant sub montibus illis“. [II,702 sq.]
Item: 245
et „me mihi, perfide, prodis? Me mihi prodis?“ ait. [II,704 sq.]
15 Pallas cur armata. Vertit ad hanc torvi dea bellica luminis orbes. [II,752]
Pallas fìngitur simul et sapientiae et belli dea, ut significetur, nec sapientiam à potentia nec potentiam à sapientia seiunctam esse debere, siquidem potentia 250 sine sapientia obest plurimum et sapientia sine potentia nihil aut parum prodest.
16 De Invidia. Protinus Invidiae nigro squalentia tabo Tecta petit. [II,760 sq.]
Elegans est Invidiae prosopopoeia, qua invidorum natura, affectus et mores
255 describuntur. Prima Invidiae ipsius domus in vallibus imis significat huic
morbo obnoxios esse homines non excelso, sed humili animo praeditos. Nemo enim, ut dici solet, alterius virtuti invidet, qui suae confidit. Docent autem physici hos plerunque humili ac deiecto animo esse, quibus sanguis inest frigidior. Ideò et Invidiae domus est
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14 Battus in einen Stein verwandelt Die Geschichte von Battus lehrt, daß man sich trügerischer Rede und falschen Eides zu enthalten hat. Battus war aber ein unfähiger Dichter, dessen abstoßende Schwatzhaftigkeit sie hier kenntlich macht. Denn in ihren Versen werden dieselben Worte oft wiederholt. Daher benutzt sie zur Kennzeichnung der Plapperhaftigkeit diese Wiederholungen: „Am Fuße jenes Berges waren sie“, sagt er. „Und sie waren am Fuß jenes Berges.“ [II,702 f.]
Ebenso: Und er sagt: „Mir selbst, Treuloser, verrätst du mich? Mich verrätst du mir selbst?“ [II,704 f.]
15 Warum Pallas bewaffnet ist Auf sie [= Aglauros] wandte die kriegerische Göttin das Rund ihres finster blickenden Auges. [II,752]
Pallas wird als Göttin zugleich der Weisheit und des Krieges dargestellt, damit deutlich wird, daß die Weisheit nicht von der Macht und die Macht nicht von der Weisheit gesondert sein darf, da ja Macht ohne Weisheit größten Schaden anrichtet und Weisheit ohne Macht überhaupt keinen oder nur geringen Nutzen bringt.
16 Von der Mißgunst Sogleich eilt sie zum Haus der Mißgunst, das von schwarzer Verwesungsjauche bedeckt ist. [II,760 f.]
Fein ist Darstellung der Person der Mißgunst, in der die Wesensart, die Gemütsregungen und die Verhaltensweisen der Mißgünstigen beschrieben werden. Erstlich deutet das in einem tiefen Talgrund stehende Haus der Mißgunst an, daß für diese krankhafte Gemütsverfassung Menschen empfänglich sind, die nicht mit einem hochgemuten, sondern mit einem niedergeschlagenen Geist ausgestattet sind. Niemand nämlich, wie man zu sagen pflegt, beneidet eines anderen Tüchtigkeit, der auf seine eigene vertraut. Die Ärzte lehren nun aber, daß meist die jenigen niedergeschlagenen und verzagten Geistes sind, in denen ziemlich kaltes Blut ist. Deshalb ist das Haus der Mißgunst auch
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Tristis et ignavi plenissima frigoris, et quae Igne vacet semper, caligine semper abundet. [II,763 sq.]
Deinde quia virtuti ac sapientiae cum invidia nihil est commercii, hanc ob causam Pallas non intrat ipsius limen, sed postes extrema cuspide pulsat [II,767], hoc est, ipsam commovet invidiam. His enim rebus, virtute ac sapientia, solet invidia con265 citari. Postremo eleganter describitur ipsius forma ab effectu: Pallor in ore sedet, macies in corpore toto. [II,775]
Item: Pectora felle virent, lingua est suffusa veneno. [II,777]
Hoc est, obtrectatores pleni sunt acerbitatis, nihilque est illis virulentius. Unde
270 natum est proverbium, sycophantae morsum esse incurabilem.
17 Aglauros in saxum. Aglauros mutata in saxum significat invidos ac malevolos fieri saxeos, hoc est, asperos et ab omni humanitate alienos. Nihil est enim asperius, nihil inhumanius, quàm invidere alterius rebus secundis, quae nihil nocent invidenti.
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18 Iuppiter in taurum. Accommodari potest ad principes libidinosos et puellarum raptu infames, qui amatoriis levitatibus dediti obliviscuntur personae, quam sustinent, fiuntque similes taurorum. Eiusmodi enim principem videtur Ovidius hîc depingere, cum inquit:
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Non bene conveniunt nec in una sede morantur Maiestas et amor. Sceptri gravitate relicta Ille pater rectorque deûm, cui dextra trisulcis Ignibus armata est, qui nutu concutit orbem, Induitur faciem tauri, mixtusque iuvencis Mugit et in teneris formosus obambulat herbis. [II,846–851]
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düster und ganz erfüllt von lähmender Kälte, ist ständig ohne Feuer und hat ständig Nebel im Überfluß. [II,763 f.]
Da ferner Tüchtigkeit und Weisheit mit der Mißgunst nichts zu schaffen haben, ebendeshalb tritt Pallas nicht über deren Schwelle, sondern „pocht mit dem Ende der Lanze an die Tür“ [II,767], d. h., sie erregt die Mißgunst selbst. Durch diese Dinge nämlich, Tüchtigkeit und Weisheit, pflegt die Mißgunst aufgereizt zu werden. Zuletzt wird deren Gestalt treffend von der Wirkung her beschrieben: Blässe lagert auf ihrem Gesicht, Dürre auf ihrem ganzen Körper. [II,775]
Ebenso: Die Brust ist grün von Galle, die Zunge von Gift unterlaufen. [II,777]
D. h., Neider sind voller Bitterkeit, und nichts ist giftiger als sie – woraus das Sprichwort entstanden ist, daß der Biß eines Verleumders unheilbar sei.
17 Aglauros in einen Stein verwandelt Die Verwandlung der Aglauros in einen Stein besagt, daß Mißgünstige und Übelgesinnte steinern werden, d. h. rauh und bar jeder Menschlichkeit. Nichts ist nämlich rauher, nichts unmenschlicher, als eines anderen Glück zu beneiden, das dem Neider überhaupt keinen Schaden bringt.
18 Jupiter in einen Stier verwandelt [Diese Verwandlung] kann angewandt werden auf lüsterne und durch Entführung von Mädchen verrufene Fürsten, die, windigen Liebesabenteuern ergeben, die Rolle außer acht lassen, die sie innehaben, und Stieren ähnlich werden. Einen Fürsten dieses Schlages scheint Ovid nämlich hier abzumalen, wenn er sagt: Nicht gut passen zusammen und wohnen beieinander herrscherliche Hoheit und Liebe. Es kehrt dem majestätischen Zepter den Rücken der Vater und Führer der Götter, dessen Rechte mit dreizackigen Blitzen bewehrt ist, der mit einem Nicken den Erdkreis erschüttert, nimmt die Gestalt eines Stieres an, und den Jungstieren beigesellt brüllt er und wandelt schöngestaltet auf zartem Gras umher. [II,846–851]
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Fabularum Ovidii interpretatio II
Caeterum quod ad historiam attinet, Europa Agenoris filia à Cretensibus rapta et in Cretam abducta est navi, in qua taurus erat pictus. Iuppiter verò, qui eo tempore regnabat in Creta, liberos ex ea genuit, Minoa et Rhadamantum. Inde nata est fabula de Europa à tauro rapta.
Auslegung der Metamorphosen Ovids II
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Was im übrigen die Realgeschichte betrifft, so wurde Europa, des Agenor Tochter, von Kretern geraubt und auf einem Schiff, auf das ein Stier gemalt war, nach Kreta entführt. Jupiter aber, der zu dieser Zeit in Kreta herrschte, zeugte mit ihr Kinder: Minos und Rhadamanthus. Hieraus ist die Sage der von einem Stier geraubten Europa entstanden.
In librum tertium. v
1 Draconis dentes sati à Cadmo. Cadmus Agenoris filius occiso rege, cui erat nomen Draconi, fertur occupasse regnum Boeotiae. Adversus quem cùm amici et filii Draconis bellum coniunctis 5 viribus suscepissent, ipse iecit inter eos semina discordiae, qua tandem distracti atque consumpti sunt. Hinc nata est fabula de serpente eiusque dentibus in terram seminatis, ex quibus subitò extiterint duae acies galeis et hastis armatae, quae mutuis vulneribus sese confecerint. Fingitur autem Cadmus illam sementem fecisse iussu Palladis, hoc est, divino consilio. Est enim singularis prudentiae, 10 ita divellere hostium consensum. Ac videre mihi videor in hac fabula quandam imaginem horum temporum, ubi aliquoties foederati principes simili arte sunt distracti et postea inter sese dimicantes perierunt. Porrò nihil est stultius ac perniciosius, quàm implicari bellis civilibus. Nulla enim societas foederum est diuturna, multa siquidem incidunt, quibus illa dirimitur et convertitur in hostiles 15 inimicitias. Docet igitur fabula, συμμαχίαν esse vitandam, ideoque unus de terrigenis fratribus Cadmum admonens ita exclamat: Ne te civilibus insere bellis. [III,117]
Erasmus Roterodamus non invenustè transfert Cadmeam sementem ad literatos. Scribit enim serpentinos dentes in Boeotia seminatos significare literas, quas 20 Cadmus ex Phoenicia primus in Graeciam attulit ibique sparsit ac seminavit. Per sediciosos verò fratres, ex serpentinis istis dentibus ortos, significari literatos. „Id si non credis“, inquit, „considera, qua strage se mutuò conficiant, qui hodie literas profitentur.“1 Potest etiam transferri et accommodari ad alios: ut qui rempub sine ordine et gradu capessunt. Hi enim subitò existunt hono25 rati, tanquàm illi, quos Cadmus seminavit, armati. Sic Gregorius Nazianzenus in vita Basilii Magni hanc ipsam accommodat sementem ad eos, qui nullo doctrinae gradu ornati, nec virtute nec eloquentia muniti, nihil denique pro Ecclesia passi
1 Erasmus Roterodamus: De recta Latini Graecique sermonis pronuntiatione: Opera omnia (Amsterdam) I-4, S. 38, Z. 826–827. DOI 10.1515/9783110620283-006
Zum dritten Buch 1 Drachenzähne von Cadmus ausgesät Es heißt, daß Cadmus, Sohn des Argenor, nach Tötung des Königs, der Draco [‚Drache‘] hieß, sich der Herrschaft über Boeotien bemächtigt habe. Da die Freunde und Söhne Dracos mit vereinten Kräften einen Krieg gegen ihn begonnen hatten, warf er Samen der Zwietracht unter sie, durch die sie schließlich entzweit und aufgerieben wurden. Hieraus ist die Mär von der Schlange und deren in die Erde gesäten Zähnen entstanden, aus denen sogleich zwei mit Helmen und Speeren bewehrte Schlachtreihen emporwuchsen, die sich durch gegenseitig zugefügte Verwundungen selbst den Garaus machten. Der Sage nach hat aber Cadmus jene Aussaat auf Geheiß der Pallas, d. h. aufgrund göttlichen Ratschlusses, vorgenommen. Es gehört nämlich einzigartige Klugheit dazu, auf solche Art das Einverständnis unter den Feinden aufzusprengen. Und ich glaube in dieser Sage ein bestimmtes Abbild jener Zeiten sehen zu können, in denen des öfteren miteinander verbündete Fürsten mit einem ähnlichen Kunstgriff entzweit wurden und später in Kämpfen untereinander zugrunde gingen. Des weiteren ist nichts törichter und verderblicher, als in Bürgerkriege verwickelt zu werden. Keine Bundesgenossenschaft nämlich ist von Dauer, da sich ja vieles ereignet, wodurch sie auseinandergebracht und in feindselige Gegnerschaft verkehrt wird. Die Sage lehrt also, daß Kampfgenossenschaft zu meiden sei, und deshalb ermahnt einer der erdgeborenen Brüder Cadmus mit folgendem Ausruf: Mische dich nicht in Bürgerkriege! [III,117]
Erasmus von Rotterdam wendet die cadmeische Aussaat sehr hübsch auf die Gelehrten an. Er schreibt nämlich, mit den in Boeotien ausgesäten Drachenzähnen seien die Buchstaben gemeint, die Cadmus als erster aus Phönizien nach Griechenland gebracht und dort ausgestreut und gesät hat. Mit den aus besagten Drachenzähnen entstandenen aufrührerischen Brüdern aber seien die Gelehrten gemeint. „Wenn du das nicht glaubst“, sagt er, „schau dir an, mit welchem Gemetzel die sich gegenseitig aufreiben, die heute Wissenschaft lehren.“ Die Sage kann auch auf andere Personen bezogen werden, z. B. die ohne Rang und Namen im höheren Staatsdienst tätig werden. Diese nämlich wachsen sogleich mit Ehre und Ansehen hervor wie jene, die Cadmus gesät hat, mit Wehr und Waffen. So hat Gregor von Nazianz im Leben Basiliusʼ des Großen eben diese Aussaat auf diejenigen angewandt, die ohne Ausstattung mit einem wissenschaftlichen Rang, gerüstet weder mit Tüchtigkeit noch mit Beredsamkeit, schließlich ohne
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Fabularum Ovidii interpretatio III
fiunt corrogatis suffragiis episcopi.2 Apud Ammianum Marcellinum extat allegoria eiusdem sementis accommodata ad improvisam hostium multitudinem, quae 30 ex occultis insidiis, tanquàm ex terra emergens, subitò irrumpit.3
2 Ultima semper … Expectanda dies homini, dicique beatus Ante obitum nemo supremaque funera debet. [III,135–137]
Ut athletae non ferunt coronam nisi peracto certamine, ita nemo consequitur
35 laudem foelicitatis nisi peracta vita, propter vicissitudinem rerum huma-
narum et incertos vitae casus. Haec verò sententia ascribitur Soloni, nempe fìnem vitae spectandum esse ac neminem ante obitum dici beatum debere. Qua sententia apud Herodotum4 admonetur Croesus à Solone, ne immensis opibus et nimia foelicitate fretus efferat animum seque putet beatum esse, cùm adhuc 40 ante obitum ei multa tristia evenire possint. Id quod etiam accidit: Croesus enim postea à Cyro captus et regno exutus est, cumque impositus rogo et iam igne cremandus esset, tunc demum coepit recordari huius sententiae et clamare „ô Solon, Solon!“5 Meminit huius sententiae et Iuvenalis, cùm inquit: 45
quem vox facunda Solonis Respicere extremae iussit spacia ultima vitae.6
3 Actaeon in cervum. Actaeon in cervum conversus docet, principes quodammodo exuere animum humanum ac degenerare in naturam ferinam, dum assiduè in sylvis agunt ibique cum feris luctantur et assuefiunt caedibus. Dicuntur autem vulgò dilaniari 50 venatores à canibus, cùm exhausto sumptu in alendis canibus facto rediguntur ad inopiam. Meminit huius fabulae Euripides, sed aliam causam adfert quàm
2 Gregorius Nazianzenus: Monodia in Basilii Magni vitam per Raphaëlem Volaterranum conversa. In: Basilius Magnus Caesariensis: Eruditissima opera (Köln 1531), S. 9. 3 Ammianus Marcellinus: Res gestae 19,8,11. 4 Herodotus 1,32. 5 Ibid. 1,86. 6 Iuvenalis 10,274–275.
Auslegung der Metamorphosen Ovids III
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für die Kirche irgend etwas erlitten zu haben, durch zusammengebettelte Abstimmungsvoten Bischöfe werden. Bei Ammianus Marcellinus gibt es eine Allegorie auf dieselbe Aussaat, angewandt auf eine unvermutete Menge von Feinden, die aus verstecktem Hinterhalt, gleichsam aus der Erde auftauchend, plötzlich einen Überfall macht.
2 Stets seinen letzten … Stets seinen letzten Tag muß der Mensch abwarten, und niemand darf glücklich genannt werden vor seinem Tode und vor dem Leichenbegängnis. [III,135–137]
Wie die Athleten den Kranz erst erhalten, wenn der Wettkampf vollbracht ist, so erlangt niemand den Lobpreis eines glücklichen Geschicks, bevor sein Leben vollbracht ist, wegen der Wechselhaftigkeit der menschlichen Dinge und der Unsicherheit der Lebensumstände. Dieser Spruch aber wird Solon zugeschrieben: nämlich daß man auf das Ende des Lebens sehen müsse und niemand vor seinem Tode glücklich genannt werden dürfe. Mit diesem Spruch wird bei Herodot Croesus von Solon ermahnt, sich im Vertrauen auf seinen unermeßlichen Reichtum und seine überaus großen Erfolge nicht zu überheben und sich nicht für glücklich zu halten, da ihm vor seinem Tode noch viel Schlimmes zustoßen könne. Dies geschah auch: Croesus wurde nämlich später von Cyrus gefangengenommen und der Herrschaft beraubt, und als er auf den Scheiterhaufen gestellt worden war und schon im Feuer verbrannt werden sollte, da erst begann er sich auf diesen Spruch zu besinnen und zu rufen: „O Solon, Solon!“ Dieses Spruches gedenkt auch Juvenal, wenn er sagt: […] den die gefällige Rede Solons hieß, auf den letzten Zeitabschnitt am Ende des Lebens zu sehen.
3 Actaeon in einen Hirsch verwandelt Die Verwandlung Actaeons in einen Hirsch lehrt uns, daß Fürsten gewissermaßen ihren menschlichen Geist ablegen und in die Natur eines wilden Tieres entarten, indem sie fortdauernd in den Wäldern zugange sind und dort mit wilden Tieren kämpfen und sich ans Töten gewöhnen. Der Volksmund sagt auch, daß Jäger von ihren Hunden zerrissen würden, wenn sie nach Erschöpfung der Mittel, die sie auf den Unterhalt der Hunde verwendet haben, in Armut geraten. Diese Sage erwähnt Euripides; doch führt er einen anderen Grund als Ovid dafür an,
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Fabularum Ovidii interpretatio III
Ovidius, quare Actaeon sit mutatus in cervum. Ait enim eum impiè locutum de diis, cum gloriaretur se praestantiorem esse venatorem ipsa Diana. Extat locus apud Euripidem in Bacchis, ubi Cadmus exemplo Actaeonis admonens Penthea, 55 ne quid arroganter aut impiè dicat de diis, ita inquit: Ὁρᾷς τὸν Ἀκταίωνος ἄθλιον μόρον, Ὃν ὠμόσιτοι σκύλακες ἃς ἐθρέψατο Διεσπάσαντο, κρείσσον’ ἐν κυνηγίαις Ἀρτέμιδος εἶναι κομπάσαντ’, ἐν ὀργάσιν.7 60 Ioannes Dantiscus, episcopus Varmiensis, solebat comparare Actaeonis canes
parasitis ac dicebat, idem accidere principibus à parasitis, quod Actaeoni à canibus, nempe ut devorentur ab iis, quos alunt. Itaque in principem adulatoribus et parasitis circumfusum immodicisque largitionibus perditum competunt hi versus:
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Undique circumstant, mersisque in corpore rostris Dilacerant dominum falsi sub imagine cervi. [III,249 sq.]
4 Semele. Etsi magna pars narrationum de Cadmo et eius posteris commonefactiones de moribus etiam continet, tamen historiae multae involutae sunt, et mixtae sunt 70 admonitiones physicae, ut in multis aliis narrationibus concurrunt historica, physica et ethica. Vocabulum Cadmus certò significat orientalem, quia hic dux ex Phoenicia advenit et inde literas et doctrinas in Boeotiam attulit. Semele significat simulacrum, et haud dubié ritus novi à Cadmo allati sunt. Ideò fingitur Semele amata esse à Iove, id est, novos et speciosos ritus tunc receptos esse. 75 Vocabulum Ino prorsus significat idem, quod Fortuna Latinis. Et fortassis etiam nomen fuit novae statuae et novorum rituum. Aut significavit imperia constitui non humanis consiliis, sed arcanis et fatalibus causis, quarum eventus nominatur fortuna.
7 Euripides: Bacchae 337–340.
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daß Actaeon in einen Hirsch verwandelt würde. Er sagt nämlich, er habe frevelhaft über Götter geredet, weil er sich rühmte, ein vorzüglicherer Jäger zu sein als selbst Diana. Die Stelle steht bei Euripides in den Bakchen, wo Cadmus, den Pentheus am Beispiel Actaeons davor warnend, irgend etwas Anmaßendes oder Frevelhaftes über die Götter zu reden, folgendes sagt: Du siehst Actaeons trauriges Schicksal, den die wilden Hunde, die er aufgezogen hatte, in den Wäldern zerfleischten, weil er prahlte, er sei bei der Jagd stärker als Artemis.
Johannes Dantiscus, Bischof von Ermland, pflegte die Hunde Actaeons mit Schmarotzern zu vergleichen und sagte, den Fürsten geschehe das Gleiche von Schmarotzern, was Actaeon von Hunden geschehen sei: daß sie nämlich von denen verschlungen würden, die sie ernährten. Deshalb treffen auf einen von Schmeichlern und Schmarotzern umringten und durch maßlose Schenkungen ruinierten Fürsten diese Verse zu: Von allen Seiten umringen sie ihn, schlagen ihre Mäuler tief in seinen Leib und zerfleischen ihren Herrn in dem Trugbild eines Hirsches. [III,249 f.]
4 Semele Obwohl ein großer Teil der Erzählungen von Cadmus und seinen Nachkommen auch moralische Ermahnungen enthält, gehören doch viele der Geschichte an. Untergemischt sind auch naturkundliche Hinweise, so wie in vielen anderen Erzählungen Historisches, Naturkundliches und Ethisches zusammentrifft. Der Name Cadmus bedeutet mit Sicherheit ‚Mann aus dem Morgenland‘, weil dieser Fürst aus Phönizien herbeikam und von dort die Schrift und die Wissenschaft nach Boeotien brachte. Semele bedeutet ‚Abbild‘, und ohne Zweifel sind von Cadmus neue Riten eingeführt worden. Daraus erklärt sich die Erfindung, Semele sei von Jupiter geliebt worden, d. h., damals seien neue und spektakuläre Riten angenommen worden. Der Name Ino bedeutet schlechthin dasselbe wie Fortuna bei den Lateinern. Und vielleicht war es auch der Name für ein neues Standbild und neue Riten. Oder er zeigte an, daß Reiche nicht aufgrund menschlicher Ratschlüsse errichtet werden, sondern von geheimen und schicksalhaften Ursachen her, deren Ergebnis als ‚fortuna‘ (‚Fügung‘) bezeichnet wird.
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Fabularum Ovidii interpretatio III
5 Bacchus in foemore Iovis. 80 Consentaneum est Cadmum monstrasse rationem plantandi vites et artem
putandi et uvas exprimendi. Et quia beneficium Dei esse iudicabatur, dicitur Bacchus ex Semele, id est, cultu Dei, natus esse. Aut physica sunt involucra: Semele est terra, ex cuius humore et pinguedine vitis fit foecunda. Ut autem crescant uvae et percoquantur, aëreo et suavi calore fovendae sunt. Talis est Iovis 85 calor; ac res ostendit, quando temperatus et suavis calor, postquàm ex vitibus gemmae exortae sunt, accessit, melius coqui uvas et gigni vina meliora.
6 Tiresias in foeminam. Livius scribit Spoleti virum ex muliere factum esse.8 Et pauca alia similia exempla recitantur. Haec si quando accidunt, dira prodigia sunt et prorsus aliena ab ordine 90 naturae. Multa autem tetra acciderunt in idolorum cultibus, quare et Tiresiae aliquid monstrosum accidere potuit. Minus alienum est à naturae exemplis nasci androgynos. Et fortassis talis fuit Tiresias, aut prorsus allegoricè significatum est, virum praestantem Tiresiam perterritum recepisse fanaticos ritus.
7 Echo et Narcissus. 95
Ergò ubi Narcissum per devia rura vagantem Vidit et incaluit. [III,370 sq.]
Echo allegoricè significat iactantiam. Haec spreta mutatur in sonum, hoc est, in rem inanem. Talis est enim iactantia: Omnibus auditur; sonus est, qui vivit in illa. [III,401]
8 Livius 24,10,10.
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5 Bacchus im Schenkel Jupiters [Mit Vorangehendem] steht im Einklang, daß Cadmus das Verfahren zum Pflanzen von Weinstöcken und die Kunst des Beschneidens und des Traubenpressens aufgezeigt habe. Und weil dies als Wohltat Gottes beurteilt wurde, heißt es, Bacchus sei aus Semele, d. h. aus der Verehrung Gottes, entstanden. Oder es ist Verkleidung für Naturkundliches: Semele ist die Erde, von deren Feuchtigkeit und Fettigkeit der Weinstock ergiebig wird. Damit aber die Trauben wachsen und reif werden, müssen sie von luftiger und angenehmer Wärme erquickt werden. Eine solche Wärme ist die Jupiters. Und die Begebenheit veranschaulicht, daß, wenn maßvolle und angenehme Wärme hinzutritt, nachdem auf den Weinstöcken Knospen entsprungen sind, die Trauben besser reifen und bessere Weine erzeugt werden.
6 Tiresias in eine Frau verwandelt Livius schreibt, daß in Spoleto aus einer Frau ein Mann geworden sei. Es werden auch einige wenige andere Beispiele von ähnlicher Art zum besten gegeben. Wenn dergleichen einmal passiert, handelt es sich um unheilvolle und von der Ordnung der Natur vollkommen abweichende Wunderzeichen. Viele garstige Dinge aber haben sich beim Götzendienst ereignet – weshalb auch Tiresias etwas Widernatürliches zustoßen konnte. Weniger widerspricht es der Weise der Natur, wenn Zwitter entstehen. Und vielleicht war Tiresias ein solcher – oder es wurde auf schlechthin allegorische Art angezeigt, daß Tiresias, ein herausragender Mann, in größten Schrecken versetzt worden sei und sich daraufhin Riten von Rasenden zueigen gemacht habe.
7 Echo und Narcissus Sobald sie also Narcissus erblickte, wie er durch abgelegene Gefilde strich, entbrannte sie in Liebe. [III,370 f.]
Echo bedeutet in allegorischer Auslegung die Großsprecherei. Diese wird verschmäht und in einen Schall verwandelt, d. h. in eine leere Sache. So verhält es sich nämlich mit der Großsprecherei: Von allen wird sie gehört: Der Schall ist es, der in ihr lebt. [III,401]
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100 Narcissus verò significat hominem sibi vehementer placentem ac supra modum
sui amantem: quod ex ipsius verbis intelligi potest. Sic enim de se ipse loquitur: Iste ego sum: sensi, nec me mea fallit imago, Uror amore mei. [III,463 sq.]
Rectè igitur Echo amat Narcissum, hoc est, iactantia φιλαυτίαν. Adhaec sapien-
105 ter fingitur Nemesis, insolentiae et arrogantiae vindex, repetere poenas à Nar-
cisso se ita amante, ut suam ipsius umbram admiretur. Divinitus enim puniuntur φίλαυτοι hac dementia, ut etiam inscitiam suam esse sapientiam arbitrentur. Eruditè exposuit hanc fabulam Vitus Winshemius in quadam declamatione, ubi sic inquit:
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Narcissus in fabulis poëtarum, dum nimium sese amat, contabescit peritque et ipse et illa falsa imago, quam tantopere deperibat. Et nunc mutatus in florem monet nos serò florescens, ne nimis maturè et ante tempus sapere incipiamus neve nos aut nostra nimis amemus atque admiremur. Quod cùm in omni aetate odiosum est, tùm verò in adolescentia prorsus intolerabile. Nam ut ab usu rerum solidaque et perfecta doctrina et sapientia haec aetas adhuc longissimè abest, ita has res non potest sibi arrogare sine summa turpitudine ac vanitate. Ut enim uvae et poma non in vere nec in aestate maturescunt, sed in autumno, paulò ante hyemem, ita doctrinae fructus ingravescente senectute primùm solent maturescere.9
8 De Pentheo. 120
Liber adest, festisque fremunt ululatibus agri. [III,528]
Nihil in speciem fallacius est nihilque ad populum plausibilius nova sive superstitione sive doctrina. Ad hanc fiunt hominum concursus, quales describuntur hîc: 125
Turba ruunt, mixtaeque viris matresque nurusque Vulgusque et proceres ignota ad sacra feruntur. [III,529 sq.]
9 Vitus Winshemius: De studiis adolescentum. In: CR 11,186.
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Narcissus aber bedeutet einen Menschen, der sich selbst heftig gefällt und sich selbst über die Maßen liebt – was man seinen eigenen Worten entnehmen kann. So nämlich redet er von sich selbst: Das da bin ich selbst, ich habe es erkannt, und mein Bild täuscht mich nicht. Ich brenne von Liebe zu mir selbst. [III,463 f.]
Zu Recht also liebt Echo den Narziß, d. h. die Großsprecherei die Selbstliebe. Hierzu gibt es die kluge Erfindung, daß Nemesis, als Bestraferin von Überhebung und Anmaßung, dem sich auf solche Weise selbst liebenden Narcissus als Strafe auferlege, seinen eigenen Schatten zu bewundern. Durch göttliches Walten werden nämlich die Selbstverliebten so mit Verrücktheit bestraft, daß sie auch ihren Unverstand für Weisheit halten. Kenntnisreich hat Vitus Winshemius diese Geschichte in einer akademischen Rede ausgelegt, in der er folgendes sagt: Indem Narcissus in den Geschichten der Dichter sich allzu sehr liebt, verzehrt er sich und geht zugrunde, sowohl er selbst als auch jenes trügerische Bild, das er so überaus heftig liebte. Und nunmehr in eine Blume verwandelt, ermahnt er uns mit seinem späten Aufblühen, daß wir nicht allzu früh und vor der Zeit anfangen sollen, weise zu sein, oder uns und das Unsere nicht allzu sehr lieben und bewundern sollen. Wenn dies auch in jedem Alter abstoßend ist, so ist es doch in der Jugend völlig unausstehlich. Denn ebenso wie dieses Alter von praktischer Erfahrung und gediegener und abgerundeter Gelehrsamkeit und Weisheit noch sehr weit entfernt ist, so kann man sich diese Dinge nicht anmaßen ohne schmählichste Windbeutelei. Wie nämlich Trauben und Äpfel nicht im Frühling und auch nicht im Sommer reifen, sondern im Herbst, kurz vor Wintereinbruch, so pflegen auch die Früchte der Gelehrsamkeit erst bei drückender werdendem Greisenalter zur Reife zu gelangen.
8 Von Pentheus Bacchus ist da, und die Felder erschallen von festlichem Geschrei. [III,528]
Nichts ist dem Scheine nach trügerischer, nichts für das Volk einleuchtender als ein neuer Aberglaube oder eine neue Lehre. Sie veranlassen das Zusammenströmen von Menschen, wie es hier beschrieben wird: Die Menge stürzt los, unter die Männer mischen sich Mütter und Schwiegertöchter, das Volk und Adlige eilen zu den fremdartigen Mysterien. [III,529 f.]
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Sic olim, sicubi novus divorum cultus à monachis vel à sacrificulis erat institutus, eô viri ac foeminae accurrebant turmatim. Sic nostris hisce temporibus, si quis à ministris Ecclesiae dissentit fingendis novis opinionibus, ad hunc concurrit maxima multitudo. Pentheus verò (si exemplum ritè accommodetur) est εἰκών seu imago tyranni 130 immanem saevitiam exercentis in ministros Ecclesiae, odio religionis, quam arbitratur offuturam suis commodis. Hic summa contentione dehortatur cives, ne amplectantur novos sacrorum ritus; iubet comprehendi sacerdotem et abripi ad supplicium, nec flectitur ullius admonitione, nec movetur ullis miraculis, quo 135 minus saeviat, donec amittat vitam, ab ipsa matre et matertera sua discerptus, istoque miserabili interitu probet impios ne à suis quidem tutos esse posse. Talis nimirum est pertinacia ac talis exitus tyrannorum, praesertim qui adversantur religioni. Quod verò Ovidius de Pentheo ac Tiresia hîc refert, cum ait: 140
Spernit Echionides tamen hunc ex omnibus unus, Contemptor superûm Pentheus, praesagaque ridet Verba senis, tenebrasque et cladem lucis ademptae Obiicit. Ille movens albentia tempora canis „Quàm foelix esses, si tu quoque luminis huius Orbus“, ait, „fieres nec Bacchica sacra videres!“ [III,513–518]
145 Idem ferè de Imperatore Iuliano fertur, qui cum insultaret seni sacerdoti, cui ob
confessionem fidei Christianae oculi erant effossi, obiiceretque ei caecitatem, sacerdos simili libertate respondit, se agere gratias Deo, quod careret oculis, ne ipsum conspiceret, tàm nefarium religionis Christianae hostem.10 Caeterum, quàm obstinatus et praefractus sit animus tyrannorum, aptè exprimitur his ver150 sibus:
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Hunc avus, hunc Athamas, hunc caetera turba suorum Corripiunt dictis frustraque inhibere laborant. Acrior admonitu est irritaturque retentus Et crescit rabies moderaminaque ipsa nocebant. Sic ego torrentem, qua nil obstabat eunti, Lenius et modico strepitu decurrere vidi. At quacunque trabes obstructaque saxa tenebant, Spumeus et fervens et ab obice saevior ibat. [III,564–571]
10 Iacobus a Voragine: Legenda aurea (ed. Graesse), cap. CXXV, S. 571.
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So liefen einstmals, kaum daß von Mönchen oder Priestern ein neuer Heiligenkult eingerichtet worden war, Männer und Frauen in hellen Scharen herzu. So auch in diesen unseren Zeiten: Wenn jemand zu den Dienern der Kirche im Widerspruch steht und sich neuartige Auffassungen ausdenkt, läuft bei ihm eine sehr große Menschenmenge zusammen. Pentheus aber (wenn sein Beispiel gehörig angewandt werden sollte) ist εἰκών oder Bild eines Tyrannen, der aus Haß auf den Glauben, von dem er meint, daß er seinen Interessen zuwiderlaufe, gegen die Diener der Kirche mit furchtbarer Grausamkeit verfährt. Dieser fordert die Bürger mit größter Eindringlichkeit auf, keine neuen Riten von Mysterien anzunehmen; er befiehlt, den Priester zu ergreifen und zur Hinrichtung fortzuschleppen und läßt sich durch niemandes Warnung erweichen. Er läßt sich auch durch keine Wunder dazu bewegen, sein Wüten abzumildern, bis er schließlich das Leben verliert, zerrissen von seiner Mutter selbst und von der Schwester seiner Mutter, und durch ebendiesen kläglichen Untergang bestätigt, daß Gottlose nicht einmal vor ihren Verwandten sicher sein können. Von solcher Art ist nämlich die Hartnäckigkeit, von solcher Art das Ende von Tyrannen, besonders solchen, die den Glauben bekämpfen. Dies aber legt Ovid hier im Hinblick auf Pentheus und Tiresias dar, wenn er sagt: Doch als einziger von allen verachtet Echions Sohn Pentheus, der Verächter der Götter, diesen Mann [= den Seher Tiresias]. Er verlacht die prophetischen Worte des Alten und wirft ihm seine Blindheit und den unglücklichen Verlust seines Augenlichts vor. Jener schüttelt seine grauen Schläfen und sagt: „Wie glücklich wärest du, wenn auch du dieses Augenlichts beraubt wärest und die Mysterien des Bacchus nicht sehen könntest!“ [III,513–518]
Fast dasselbe wird von Kaiser Julian berichtet. Als dieser einen greisen Priester, dem wegen seines Bekenntnisses zum christlichen Glauben die Augen herausgerissen worden waren, verspottete und ihm seine Blindheit vorwarf, antwortete der Priester mit ähnlichem Freimut: Er sei Gott dankbar dafür, daß er keine Augen habe und so einen derart ruchlosen Feind der christlichen Religion nicht sehen könne. Im übrigen wird mit diesen Versen treffend zum Ausdruck gebracht, wie unnachgiebig und unbeugsam die Gesinnung von Tyrannen ist: Ihn schelten der Großvater, ihn Athamas, ihn die übrige Schar der Seinen mit deutlichen Worten und bemühen sich vergebens, ihn zurückzuhalten. Wilder noch wird er durch die Ermahnung; daß man ihn zurückhält, reizt ihn erst recht, und seine Wut wächst, und Maßnahmen, ihn zu lenken, schadeten nur. So sah ich einen Sturzbach dort, wo seinem Lauf nichts entgegenstand, sanfter und mit maßvollem Rauschen hinabfließen. Dort aber, wo Balken und aufgetürmte Steine ihn behinderten, floß er schäumend und aufwallend und durch das Hemmnis wilder noch. [III,564–571]
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Fabularum Ovidii interpretatio III
9 Bacchus in puerum. 160
Virginea puerum ducit per littora forma. [III,607]
Bacchus, ebrietatis ac temulentiae deus, fingitur puer, eò quòd ebrii induunt habitum animi, qui est in pueris: revelant omnia, balbutiunt ac vacillant pedibus. Immodicus enim potus extinguit sensus adeò, ut ipsi senes, quando inebriantur, fiant bis pueri, quemadmodum Plato scribit primo de legibus11, ubi ebrietatem 165 prohibet.
10 Cur tigres, lynces et pantherae circa Bacchum. Quem circa tigres simulacraque inania lyncum Pictarumque iacent fera corpora pantherarum. [III,668 sq.]
Tigres, lynces et pantherae finguntur comitari Bacchum propterea, quòd sunt
170 aut appetentes vini aut ferae supra modum immanes. Ebrietatis enim comes est
feritas et immanitas.
11 Nautae in delphinos. Per mare fallaces perque omnia numina iurant. [III,638]
Fabula de nautis in delphinos mutatis detestatur periurium ac docet violatam
175 iurisiurandi religionem à Deo gravissimè puniri. Delphini autem adeò gaudent
hominum consuetudine, ut navigiis obviam veniant et exultantes alludant. Hac de causa finguntur fuisse olim nautae.
11 Plato: De legibus 1,646a.
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9 Bacchus in einen Knaben verwandelt Einen Knaben von mädchenhafter Schönheit führt er am Gestade entlang. [III,607]
Bacchus, den Gott des Rausches und der Trunkenheit, stellt man sich deshalb als Knaben vor, weil Betrunkene die Geistesverfassung von Kindern annehmen: Sie offenbaren alles, lallen und sind unsicher auf den Füßen. Unmäßiges Trinken löscht nämlich die Sinne derart aus, daß selbst Greise, wenn sie betrunken sind, zum zweitenmal zu Kindern werden, wie Plato im ersten Buch der ‚Gesetze‘ schreibt, wo er die Trunkenheit verbietet.
10 Warum Tiger, Luchse und Panther Bacchus umringen Rings um ihn lagern Tiger, Spukgestalten von Luchsen und die wilden Leiber von buntgefleckten Panthern. [III,668 f.]
Tiger, Luchse und Panther stellt man sich als Begleiter des Bacchus deshalb vor, weil sie entweder nach Wein begierig oder über die Maßen bestialisch sind. Begleiter der Trunkenheit sind nämlich Wildheit und Bestialität.
11 Seeleute in Delphine verwandelt Trugvoll schwören sie beim Meer und bei allen Göttern. [III,638]
Die Sage von der Verwandlung der Seeleute in Delphine verflucht den Meineid und lehrt, daß die Verletzung der Eidesverpflichtung von Gott schwerstens bestraft werde. Delphine aber haben so große Freude am Umgang mit Menschen, daß sie Schiffen entgegenschwimmen und emporspringend ihr Spiel treiben. Aus diesem Grund stellt man sich vor, daß sie früher einmal Seeleute gewesen seien.
In librum quartum. 1 Bacchi cornua. tibi, cum sine cornibus astas, Virgineum caput est. [IV,19 sq.] 5 Plato constituit ebrietatis quasi quosdam gradus: „Qui bibit vinum“, inquit,
„primò alacrior fit, quàm prius erat. Deinde quò plus biberit, eò maiore spe est et fortius de se sentit. Tandem quasi sapiens ea confidentia, libertate et audacia repletur, ut intrepidè dicat ac faciat, quicquid velit.“1 Propter hos gradus poëtae attribuunt Baccho caput virgineum et cornua. Primum enim vino moderatè 10 sumpto homines efficiuntur quasi virgines, hoc est, hilares et mansueti; immodicè deinde sumpto efficiuntur bestiae: sumunt cornua, hoc est, ferociunt, iuxtà versiculum: „Tunc pauper cornua sumit.“2
2 Lycurgus Bacchi hostis. 15
bipenniferumque Lycurgum Tu mactas. [IV,22 sq.]
Lycurgus rex Thraciae, ut suos populos ab immani consuetudine perpotandi reduceret ad sobrietatem, interdixit eis usum vini, excisis etiam et extirpatis vineis, sicut non multis abhinc annis Basilius Moscorum princeps fecit, interdicto usu cerevisiae propter eandem causam. Ideoque fingitur Lycurgus, teste Plutar20 cho3, contemptor et hostis Bacchi.
3 Bacchi comitatus ex Satyris et vesanis mulieribus. Bacchae Satyrique sequuntur. [IV,25]
Ebrietatem comitatur quoque libido et insania. Hac de causa Satyri et Bacchae finguntur esse comites ipsius Bacchi, non aliter atque lynces, tigres et pantherae.
1 Plato: De legibus 1,649a/b. 2 Ovidius: Ars amat. 1,239. 3 Plutarchus: Moralia: Quomodo adolescens poetas audire debeat 15E. DOI 10.1515/9783110620283-007
Zum vierten Buch 1 Des Bacchus Hörner Wenn du ohne Hörner dastehst, hast du einen Mädchenkopf. [IV,19 f.]
Plato setzte gleichsam bestimmte Abstufungen der Trunkenheit an. „Wer Wein trinkt“, sagt er, „wird zuerst lebhafter, als er vorher war. Je mehr er dann getrunken hat, von um so größerer Hoffnung ist er und um so stärker fühlt er sich. Schließlich hält er sich für weise und ist dermaßen von Selbstvertrauen, Freimut und Kühnheit erfüllt, daß er unerschrocken alles sagt und tut, was er nur will.“ Wegen dieser Abstufungen schreiben die Dichter Bacchus einen Mädchenkopf und Hörner zu. Zuerst nämlich, wenn sie den Wein mit Maßen zu sich genommen haben, werden die Menschen gleichsam zu Mädchen, d. h. heiter und umgänglich. Sodann, wenn sie ihn maßlos zu sich genommen haben, werden sie zu Tieren: sie bekommen Hörner, d. h., sie gebärden sich außer Rand und Band, entsprechend dem Vers: „Dann wachsen dem Armen Hörner.“
2 Lycurgus des Bacchus Feind Den eine Doppelaxt führenden Lycurgus schlachtest du ab. [IV,22 f.]
Lycurgus, der König von Thrakien, untersagte seinen Völkern den Genuß des Weins, um sie von der bestialischen Angewohnheit fortgesetzten Saufens zur Nüchternheit zurückzubringen, wobei er auch die Weinstöcke abhaute und ausriß, so wie es auch vor noch nicht vielen Jahren Basilius, der Fürst von Moskau, tat, der den Genuß des Bieres aus demselben Grund untersagte. Deshalb heißt es, daß Lycurgus, wie Plutarch bezeugt, ein Verächter und Feind des Bacchus gewesen sei.
3 Des Bacchus Gefolge von Satyrn und rasenden Frauen Bacchantinnen und Satyrn folgen. [IV,25]
Begleiter der Trunkenheit sind auch Geschlechtslust und Raserei. Aus diesem Grund stellt man sich vor, daß Satyrn und Bacchantinnen Begleiter des Bacchus selbst seien, nicht anders als die Luchse, Tiger und Panther. Die Satyrn nämlich gelten als dermaßen geil, daß man geschlechtliche Erregung und Geilheit gemein-
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
25 Satyri enim perhibentur esse adeò salaces, ut motus seu pruritus libidinis vulgò
satyrismus dicatur; et constat Bacchas fuisse mulieres furore correptas.
4 Dercetis in piscem. Cogitat et dubia est, de te, Babylonia, narret Derceti etc. [IV,44 sq.] 30 De hac fabula Diodorus Siculus scribit in hanc sententiam4: esse iuxta Ascalo-
nem civitatem Syriae stagnum piscibus plenum, ac prope stagnum insigne templum deae Dercetidis, eiusque simulacrum sic effictum esse, ut referat facie mulierem, reliqua parte corporis piscem. Huius verò causae hanc narrari fabulam: nempe Venerem aliquando obviam deae factam accendisse eam amore formosi 35 adolescentis sibi sacrificantis, atque ex eorum concubitu filiam natam esse. Deam sui erroris pudore ductam amovisse adolescentem et exposuisse filiam in loco deserto et saxoso, se verò pudore et dolore compulsam abiecisse in stagnum atque ibi in piscem esse conversam. Hanc ob causam et Syrios abstinere piscibus illius stagni, ut qui pro diis habeantur. Haec Diodorus. Ex quibus manifestum est, 40 esse illam Ascalonitarum deam, quae in sacris literis5 Dagon appellatur. Nam et divus Hieronymus asserit, Dagon dici piscem moeroris.6 Eadem dicta est Atergatis lingua Syriaca, quasi sine piscibus, ut Athenaeus autor est7, propterea quòd abstinentia piscium colebatur.
5 Semiramis in columbam. 45
An magis, ut sumptis illius filia pennis. [IV,47]
Semiramis Assyriorum regina fertur nutrita à columbis, unde et Syriaca lingua nomen Semiramidis, hoc est, columbae, ei inditum fuit. Nam cùm esset à matre exposita in loco deserto, ut idem Diodorus scribit8, columbae infantem alis confoverunt et coagulato lacte ex pastorum mapalibus surrepto nutriverunt. In 50 cuius rei memoriam Babylonii columba, ut Romani aquila, usi sunt. Hac igitur occasione conficta est fabula de Semiramidis transformatione in columbam. 4 Diodorus Siculus 2,4,2–3. 5 Jdc 16,23; I Sam 5,2–7; I Chr 10,10. 6 Hieronymus: Graeca fragmenta libri nominum Hebraeorum: Migne PL 23,1276. 7 Athenaeus: Deipnosophistae 8,346d/e. 8 Diodorus Siculus 2,4,2–6.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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hin Satyrismus nennt. Es ist auch bekannt, daß die Bacchantinnen von Raserei ergriffene Frauen waren.
4 Dercetis in einen Fisch verwandelt Sie überlegt und ist noch unschlüssig, ob sie von dir, babylonische Dercetis, erzählen soll, usw. [IV,44 f.]
Über diese Sage schreibt Diodorus Siculus in diesem Sinne: Bei der Stadt Askalon in Syrien gebe es einen Teich voll mit Fischen und nahe dem Teich einen auffallenden Tempel der Göttin Dercetis, und ihr Bildnis sei so gestaltet, daß sie mit ihrem Gesicht eine Frau, mit dem übrigen Teil des Körpers einen Fisch darstelle. Als Ursache hierfür aber werde die folgende Sage erzählt: Venus sei der Göttin nämlich einmal begegnet und habe sie von Liebe zu einem schönen jungen Mann entflammt, der ihr opferte, und aus ihrem Beischlaf sei eine Tochter hervorgegangen. Aus Scham über ihren Fehltritt habe die Göttin den jungen Mann beiseite geschafft und ihre Tochter an einem verlassenen und steinigen Ort ausgesetzt, sich selbst aber, getrieben von Scham und Schmerz, in den Teich gestürzt und sei dort in einen Fisch verwandelt worden. Aus diesem Grund enthielten sich die Syrer der Fische aus jenem Teich, denn diese galten ja als Götter. Soweit Diodor. Hieraus erhellt, daß sie diejenige Göttin der Askalonier ist, die in der Heiligen Schrift Dagon genannt wird. Denn auch der heilige Hieronymus versichert, Dagon bedeute ‚Fisch der Betrübnis‘. Dieselbe Göttin heißt in der syrischen Sprache Atergatis, soviel wie ‚ohne Fische‘, laut Athenaeus deshalb, weil die Enthaltung von Fischen als heiliges Gebot beachtet wurde.
5 Semiramis in eine Taube verwandelt Oder eher, wie deren [= Dercetis] Tochter Flügel bekam. [IV,47]
Semiramis, Königin der Assyrer, wurde, so sagt man, von Tauben ernährt, weshalb ihr auch in syrischer Sprache der Name Semiramis, d. h. ‚Taube‘, gegeben wurde. Denn als sie von ihrer Mutter in einer Einöde ausgesetzt worden war, haben die Tauben, wie derselbe Diodor schreibt, das Kleinkind mit ihren Flügeln eifrig gewärmt und mit geronnener Milch, die sie aus den Hütten von Hirten entwendet hatten, gefüttert. Zum Gedenken an dieses Ereignis haben die Babylonier die Taube so benutzt wie die Römer den Adler. Dies hat Anlaß gegeben zur Erfindung der Sage von der Verwandlung der Semiramis in eine Taube. Daß aber die Taube das Wappentier der Babylonier gewesen ist, erhellt aus dem Propheten Jeremias,
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
Fuisse autem columbam insigne Babyloniorum patet ex Hieremia propheta, qui, ubi praedicit Babylonios vastaturos Iudaeam, „Fugite“, inquit, „à facie gladii columbae.“9
55
6 Pyramus et Thysbe. Pyramus et Thysbe, iuvenum pulcherrimus alter. [IV,55]
Exemplum Pyrami ac Thysbes docet, qualem vitae exitum sortiantur, nempe tristem et infoelicem, qui illicitos suos amores caritati parentum anteferunt. Idque exemplum quo sit illustrius ac iuvenum animis inculcetur, poëta fabulam 60 exornat tanta affectuum et figurarum suavitate, vix ut possit quicquam excogitari suavius. Inserit miserabiles querelas infoelicium amantium et crebras sermonis conversiones: nunc ad parietem, cum quo, perinde quasi intelligat, expostulant; nunc ad feras, à quibus alter optat afferri sibi interitum propter magnitudinem doloris ex alterius nece accepti; nunc ad parentes, à quibus officium sepeliendi 65 flagitatur; nunc ad arborem, quam Thysbe alloquitur iam iam moritura et precatur, ut perpetuò servet gemini monimenta doloris [IV,161]. Eiusmodi siquidem conversiones, praesertim ad res inanimes, sunt haud mediocre condimentum suavitatis ac mirificè afficiunt animum lectoris.
7 Martis et Veneris adulterium. 70 Allegoriam huius fabulae exponit Plutarchus in libello de audienda poëtica
eamque refert ad causas astrologicas.10 Scribit enim eos naturali quadam inclinatione ad adulteria propensos esse, in quorum nativitate existat Venus cum Marte coniuncta, eorumque adulteria minimè occulta fore, si Sol accesserit. Potest etiam accommodari allegoria ad mores. Sunt enim bellatores plerunque adul75 teri et scortatores. Nec illud caret ratione physica, quòd Venus et Mars finguntur se mutuò amare. Mars enim, cuius stella ignea est, significat calorem et Venus humorem temperatum, è quibus duobus constat generatio. Neptunus autem ligatos solvit; nam aqua contrarium igni elementum extinguit calorem.
9 Jer 46,16. 10 Plutarchus: Moralia: Quomodo adolescens poetas audire debeat 19F.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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der an der Stelle, wo er voraussagt, daß die Babylonier Judaea verwüsten würden, sagt: „Flieht vor dem Anblick des Schwertes der Taube!“
6 Pyramus und Thisbe Pyramus und Thisbe – der eine der schönste der Jünglinge. [IV,55]
Das warnende Beispiel von Pyramus und Thisbe lehrt, welch ein Ausgang des Lebens, nämlich ein trauriger und unglückseliger, denen bestimmt ist, die ihren unerlaubten Liebschaften den Vorrang geben vor der Liebe zu ihren Eltern. Und damit dieses Beispiel anschaulicher ist und sich dem Geist der jungen Leute fest einprägt, stattet der Dichter die Geschichte mit so überaus reizvollen Darstellungen von Liebesregungen und Gestalten aus, daß kaum etwas Reizvolleres ersonnen werden könnte. Er flicht jammervolle Klagen der unglücklichen Liebenden ein und häufige Richtungsänderungen ihrer Rede: Bald reden sie zu der Wand, bei der sie sich beklagen, so, als ob sie es verstünde, bald zu wilden Tieren, wobei der eine [= Pyramus] sich den Tod wünscht wegen des großen Schmerzes, den die Tötung der anderen [= Thisbe] ihm bereitet hat, bald zu den Eltern, von denen der Dienst der Bestattung erfleht wird, bald zu einem Baum, den Thisbe, schon dem Tode geweiht, anredet und darum bittet, für immer als „Denkmal ihres beiderseitigen Schmerzes“ [IV,161] zu dienen. Derartige [rednerische] Richtungsänderungen, vor allem gegenüber unbelebten Objekten, bilden eine nicht unerhebliche Würze reizvoller Darstellung und beeindrucken den Geist des Lesers außerordentlich.
7 Der Ehebruch von Mars und Venus Den allegorischen Gehalt dieser Sage legt Plutarch in seinem Buch ‚Vom Hören der Dichtung‘ dar und bezieht ihn auf astrologische Ursachen. Er schreibt nämlich, daß diejenigen durch eine bestimmte natürliche Veranlagung zu Ehebrüchen neigen, bei deren Geburt eine Konjunktion von Venus und Mars besteht, und daß deren Ehebrüche keineswegs geheim sein werden, wenn die Sonne dazu getreten ist. Die Allegorie kann auch moralisch angewandt werden. Krieger sind nämlich meistens Ehebrecher und Hurer. Die Erfindung, daß Venus und Mars einander lieben, entbehrt auch nicht einer naturkundlichen Begründung. Mars nämlich, dessen Planet feurig ist, bedeutet Hitze, Venus gemäßigte Feuchtigkeit: aus diesen beiden besteht die Zeugung. Neptun aber bindet die Gefesselten los; denn als ein dem Feuer entgegengesetztes Element löscht Wasser die Hitze.
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
8 Rhodos amata à Sole. 80
Nec te Clymeneque Rhodosque. [IV,204]
In Rhodo insula ferunt esse tantam serenitatem coeli, ut nunquàm non aliqua parte diei sol conspiciatur. Hinc fingitur Rhodos amata à Sole, perinde ac si quis fingat Prussiam à Borea amari, eò quòd Boreas ferè perpetuò in hac regione spirat.
9 Leucothoe in virgam thuream. 85
Virgaque per glebas sensim radicibus actis. [IV,254]
Arbor thurifera eadem ratione fingitur amata ab Apolline seu Sole qua laurus, videlicet quòd gaudeat locis maximè apricis et ferat fructus ad salutaria remedia utiles.
10 Clytie in heliotropium. 90 Describit hac metamorphosi naturam heliotropii, in qua herba tantus est amor
solis, ut cum ipso circumagatur et, quocunque se verterit sol, eodem flectat cacumen, noctu etiam tanquàm desiderio solis contrahat florem. Huius herbae similes sunt aulici Gnatones, qui se in omnibus rebus accommodant ad voluntatem regum, nihil nisi ad gratiam loquentes, et quocunque illorum inclinat 95 animus, eodem ipsorum quoque mentes inclinant ac propendent.
11 Daphnis Idaeus in saxum. „Vulgatos taceo“, dixit, „pastoris amores Daphnidis Idaei.“ [IV,276 sq.]
Hic videtur in saxum mutatus, eò quòd hausto poculo amatorio fuerit oppressus
100 stupore, idque indicari his verbis:
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8 Rhodos vom Sonnengott geliebt Weder Clymene noch Rhodos [fesselt] dich. [IV,204]
Auf der Insel Rhodos, sagt man, gebe es eine so unerhört heitere Witterung, daß zu keiner Tageszeit die Sonne nicht zu sehen sei. Deshalb stellt man sich vor, daß Rhodos eine Geliebte des Sonnengottes sei, ebenso wie wenn jemand sich ausdächte, daß Preußen vom Nordwind geliebt werde, weil in dieser Gegend fast immer der Nordwind weht.
9 Leucothoe in ein Weihrauchreis verwandelt Und allmählich trieb ein [Weihrauch-]Reis seine Wurzeln durch die Erdscholle. [IV,254]
Der Baum, der Weihrauch hervorbringt, gilt der Sage nach als Geliebte Apolls oder des Sonnengottes, aus demselben Grund wie [auch] der Lorbeer: weil er nämlich sonnige Plätze ganz besonders gern hat und Früchte hervorbringt, die nützlich sind zur Herstellung heilsamer Arzneien.
10 Clytie in Heliotrop verwandelt Mit dieser Verwandlung beschreibt [Ovid] das Wesen des Heliotrop, einer Pflanze, der so große Liebe zur Sonne innewohnt, daß sie sich mit ihr herumdreht und, wohin die Sonne auch immer sich gewendet hat, ihre Spitze in dieselbe Richtung biegt, ja bei Nacht auch, gleichsam aus Sehnsucht nach der Sonne, ihre Blüte schließt. Dieser Pflanze ähneln die Schmarotzer bei Hofe, die sich in allen Dingen dem Willen der Könige anpassen, nur sagen, womit sie sich beliebt machen; und worauf auch immer die Neigung jener Könige sich richtet, eben hierauf richten und erstrecken sich ihre eigenen Einstellungen.
11 Der Daphnis aus dem Idagebirge in einen Stein verwandelt Sie sagte: „Ich schweige von der allgemein bekannten Liebesgeschichte des Hirten Daphnis vom Idagebirge.“ [IV,276 f.]
Es hat den Anschein, als sei dieser Hirte insofern in einen Stein verwandelt worden, als er nach dem Trinken eines Liebestranks in Stumpfsinn verfallen ist, und als werde dies mit den folgenden Worten angezeigt:
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
Quem Nymphae pellicis ira Contulit in saxum: tantus dolor urit amantes. [IV,277 sq.]
Solent enim amantes iratae hoc modo ulcisci desertores amoris, ut reddant eiusmodi poculo eos stupidos et quasi saxeos.
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12 Scython ambiguus. Nec loquar, ut quondam naturae iure novato Ambiguus fuerit modo vir, modo foemina Scython. [IV,279 sq.]
Interdum ita mutari sexum, ut vir ex muliere et mulier ex viro fiat, supra dictum est in fabula Tiresiae.
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13 De Celmo. Te quoque, nunc adamas, quondam fidissime parvo, Celme, Iovi. [IV,281 sq.]
Celmus in adamantem conversus fingitur: forte propter animi duriciem aut fortitudinem. Est enim adamas lapis omnium durissimus, qui neque igne neque ferro 115 molliatur.
14 De Curetibus. largoque satos Curetas ab imbri. [IV,282]
Curetes, qui et Corybantes dicti sunt, finguntur nati ab imbribus propter gentem histrionibus, scurris et morionibus affluentem. Nam vulgò dicimus, illic pluisse 120 fatuis, ubi stultorum magnus est numerus. Fuisse autem illos homines stolidos et scurriles, indicant ipsorum nomina. Dicti sunt enim Curetes, teste Strabone11, ἀπὸ τῆς κουρᾶς, à tonsura capillorum, quòd essent more fatuorum detonsi. Item Corybantes, à κορύπτειν, quod est caput saltando iactare; saltantes enim movebant tintinnabula et iactabant caput, sicut histriones et fatui solent. Horum
11 Strabo 10,3,6.
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den die Wut einer Nymphe über eine Nebenbuhlerin in Stein verwandelt hat: so großer Schmerz verzehrt Liebende! [IV,277 f.]
Wütende verliebte Frauen pflegen sich nämlich auf diese Art an abtrünnigen Liebhabern zu rächen: indem sie sie mit einem derartigen Trank stumpfsinnig und gleichsam zu Stein machen.
12 Der zwiegestaltige Scython Ich möchte auch nicht davon reden, wie einst gegen die Ordnung der Natur Scython wandelbar bald Mann, bald Frau war. [IV,279 f.]
Daß zuweilen das Geschlecht so umgewandelt wird, daß aus einer Frau ein Mann und aus einem Mann eine Frau wird, wurde oben schon gesagt bei der Geschichte von Tiresias.
13 Von Celmus Auch dich, Celmus, jetzt Diamant, einst für den kleinen Jupiter der Treueste. [IV,281 f.]
Daß Celmus in Diamant verwandelt worden sei, hat man sich vielleicht wegen der Härte oder Stärke seines Charakters ausgedacht. Der Diamant ist nämlich von allen Steinen der härteste und kann weder mit Feuer noch mit Stahl weich gemacht werden.
14 Von den Cureten […] auch die aus reichlichem Regen entstandenen Cureten. [IV,282]
Die Cureten, die auch Korybanten genannt wurden, sind der Sage nach aus Regengüssen entstanden: wegen des Volkes, das einen Überfluß hat an Possenreißern, Spaßmachern und Narren. Denn gemeinhin sagen wir, dort habe es Narren geregnet, wo es eine große Zahl von Toren gibt. Daß jene Cureten aber närrische und possenreißerische Menschen waren, zeigen ihre Namen an. Sie wurden nämlich, wie Strabo bezeugt, Cureten genannt ἀπὸ τῆς κουρᾶς, vom Abscheren der Haare, weil sie nach Art der Schwachsinnigen kahlgeschoren waren. Ebenso die Korybanten von κορύπτειν, d. h. ‚beim Tanzen den Kopf werfen‘. Beim Tanzen schwangen sie nämlich Glocken und warfen den Kopf, wie Possenreißer und Schwachsin-
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
125 opera Iuppiter fertur educatus. Qua de causa etiam histriones, scurrae et morio-
nes in tanta sunt gratia apud reges ac principes, ut saepe habeantur intimi caeterisque omnibus praeferantur.
15 De Croco et Smilace. Et Crocon in parvos versum cum Smilace flores. [IV,283] 130 Sicut Lycaonis, Daphnes, Cygni et Nyctimenes, ita Croci et Smilacis fabula ex
similitudine nominum conficta est. Fingitur autem Crocus fuisse adolescens, cuius amore cùm Smilax puella esset incensa neque frui posset, ipsa in florem sui nominis conversa est, id quod etiam Croco accidit.
16 Salmacis fons. 135
Unde sit infamis, quare male fortibus undis Salmacis enervet. [IV,285 sq.]
Hermaphroditum fìngunt Mercurii et Veneris filium, eò quòd stella Mercurii ob qualitates, quibus praeest, mediae naturae putatur. Nam cum aliae stellae ab astrologis dicantur masculinae propter maius robur, quo calorem excitant, aliae 140 verò foemineae propter debiliores vires et naturam humidi, cui dominantur, Mercurii stella nunc humidum abunde excitat, pro situ et motu suo, sicut Iovianus Pontanus docet de rebus coelestibus.12 Porrò Sal macidis Nymphae fabula non tàm ad vicium aquae quàm ad inertiam et desidiosum ocium, quo vires hominum enervantur, referenda est. Erant enim Cares, qui 145 eo loco habitabant, homines desidiae et luxuriae pleni ac foedis dediti libidinibus, unde et Hermaphroditi vulgò appellabantur. Nam Hermaphroditus dicitur non solum, qui utrunque habet membrum, tàm virile quàm muliebre, sed etiam qui utranque Venerem exercet. In eam ferè sententiam et Strabo exponit hanc fabulam libro 14., ubi sic inquit: „Salmacis fons nescio quam ob causam infamis,
12 Ioannes Iovianus Pontanus: De rebus coelestibus (Venedig 1519), lib. 3, Bl. 151r.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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nige zu tun pflegen. Es heißt, daß Jupiter durch deren Mühewaltung aufgezogen wurde. Aus diesem Grund stehen auch Possenreißer, Spaßmacher und Narren bei Königen und Fürsten in so hoher Gunst, daß sie oft als enge Vertraute gehalten und allen übrigen Menschen vorgezogen werden.
15 Von Crocus und Smilax Und Crocus und Smilax, die in kleine Blumen verwandelt wurden. [IV,283]
Wie die Sagen von Lycaon, Daphne, Cygnus und Nyctimene, so ist auch die Sage von Crocus und Smilax von der Ähnlichkeit der Namen her ersonnen worden. Crocus soll aber ein junger Mann gewesen sein, zu dem das Mädchen Smilax in Liebe entbrannte. Da sie aber seiner Liebe nicht teilhaftig werden konnte, wurde sie in die Blume, die ihren Namen trägt, verwandelt. Dasselbe widerfuhr auch Crocus.
16 Die Quelle Salmacis Weshalb die Quelle Salmacis verrufen ist, warum sie mit ihren schwächlichen Wellen entkräftend wirkt. [IV,285 f.]
Die Erfindung, daß Hermaphroditus der Sohn von Merkur und Venus sei, rührt daher, daß man von dem Planeten Merkur wegen der Eigenschaften, denen er vorsteht, glaubt, daß er von mittlerer Wesensart sei. Denn obgleich die einen Planeten von den Astronomen als männlich bezeichnet werden wegen der größeren Kraft, mit der sie Hitze erregen, die anderen aber als weiblich wegen ihrer schwächeren Kräfte und der Natur des Feuchten, über die sie gebieten, ruft der Planet Merkur bald Feuchtigkeit im Übermaß hervor, bald wirkt er heftig austrocknend, je nach seinem Stand und seiner Bewegung, wie Iovianus Pontanus in seinem Werk ‚Über die Dinge des Himmels‘ lehrt. Die Sage von der Nymphe Salmacis nun aber ist nicht so sehr auf die schädliche Wirkung des Wassers als vielmehr auf Arbeitsscheu und trägen Müßiggang zu beziehen, durch den die Kräfte der Menschen geschwächt werden. Die Carer, die an diesem Ort lebten, waren nämlich Menschen voller Faulheit und Genußsucht und greulichen Wollüsten ergeben, weshalb sie auch gemeinhin Hermaphroditen genannt wurden. Denn Hermaphrodit wird nicht nur genannt, wer sowohl ein männliches wie ein weibliches Glied hat, sondern auch einer, der Geschlechtsverkehr von beiderlei Art ausübt. So ziemlich in diesem Sinne legt Strabo die Sage im 14. Buch aus, wo er so sagt: „Die Quelle Salmacis ist, ich weiß nicht, aus welchem Grund, verru-
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
150 tanquàm molliens eos, qui inde biberint. Hominum enim mollicies videtur non
ab aëre vel ab aqua causam trahere, cum ea minimè sit causa molliciei, sed divitiae et victus et incontinentia.“13 Atque haec Strabonis descriptio omninò conveniens et accommodata est descriptioni Ovidianae. Describitur enim primum ab Ovidio locus deliciarum ac voluptatis, nempe:
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stagnum lucentis ad imum Usque solum lymphae. Non illic canna palustris Nec steriles ulvae nec acuta cuspide iunci. Perspicuus liquor est: stagni tamen ultima vivo Cespite cinguntur semperque virentibus herbis. [IV,297–301]
160 Deinde describitur Nympha inertissimo ocio et amoribus dedita:
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Nympha colit, sed nec venatibus apta nec arcus Flectere quae soleat nec quae contendere cursu, Solaque Naiadum celeri non nota Dianae. Saepe suas illi fama est dixisse sorores: „Salmaci, vel iaculum vel pictas sume pharetras Et tua cum duris venatibus ocia misce!“ Nec iaculum sumit nec pictas illa pharetras, Nec sua cum duris venatibus ocia miscet, Sed modo fonte suo formosos perluit artus, Saepe Cythoriaco deducit pectine crines Et, quid se deceat, spectatas consulit undas. Nunc perlucenti circumdata corpus amictu Mollibus aut foliis aut mollibus incubat herbis; Saepe legit flores. Et tunc quoque forte legebat, Cùm puerum vidit visumque optavit habere. Nec tamen ante adiit, et si properabat adire, Quàm se composuit, quàm circumspexit amictus Et finxit vultum et meruit formosa videri. [IV,302–319]
Etenim haec omnia mollium et luxuriosorum hominum propria sunt: sequi ocium,
180 pectere capillos, sese ad speculum intueri et illo docente vultum componere.
Amor siquidem ociosa res est et, quemadmodum ait Menander, amat specula et flavas comae tincturas, fugit labores:
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Ἔρως γὰρ ἀργὸν κἀπὶ τοῖς ἔργοις ἔφυ· φιλεῖ κάτοπτρα, καὶ κόμης ξανθίσματα, φεύγει δὲ μόχθους.14 13 Strabo 14,2,16. 14 Nicht Menander, sondern Euripides: Fragm. 322, V. 1–3, nach Stobaeus: Anthologium 4,20(2),40,1–3 (hierauf unmittelbar folgend ein Menander-Zitat).
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fen, weil sie gleichsam diejenigen verweichliche, die aus ihr getrunken haben. Die Verweichlichung von Menschen scheint nämlich nicht ihre Ursache aus der Luft oder aus dem Wasser zu beziehen, da keineswegs dies die Ursache von Verweichlichung ist, sondern Reichtum, Lebensweise und Ungenügsamkeit.“ Diese Beschreibung Strabos ist der ovidischen Beschreibung völlig entsprechend und angepaßt. Zunächst wird nämlich von Ovid ein Ort von Wonne und Lustbarkeit beschrieben, nämlich: ein Teich, dessen Wasser klar ist bis zum tiefsten Grund. Dort gibt es kein Sumpfrohr, kein unfruchtbares Kolbenschilf und keine Binsen mit scharfen Spitzen. Durchsichtig ist das Wasser. Die Ufer des Teiches sind umgürtet mit saftigem Rasen und stets grünenden Pflanzen. [IV,297–301]
Sodann wird die Nymphe beschrieben, die sich untätigstem Müßiggang und Liebesabenteuern hingibt: Eine Nymphe wohnt dort; doch ist das Jagen nicht ihre Sache, nicht pflegt sie den Bogen zu spannen und um die Wette zu laufen. Als einzige von den Naiaden ist sie der geschwinden Diana unbekannt. Es geht das Gerücht, daß ihre Schwestern oft zu ihr gesagt haben: „Salmacis, nimm einen Wurfspieß oder einen bunten Köcher und laß deine Muße abwechseln mit anstrengender Jagd!“ Doch sie nimmt keinen Wurfspieß, keinen bunten Köcher und läßt ihre Muße nicht abwechseln mit anstrengender Jagd. Vielmehr badet sie bald ihre schönen Glieder in der Quelle, bald kämmt sie ihre Haare mit einem Kamm aus Buchsbaumholz, blickt ins Wasser und fragt es um Rat, was ihr gut stehe; bald hüllt sie ihren Leib in ein durchscheinendes Gewand und bettet sich auf weiches Laub oder weiches Gras; bald pflückt sie Blumen. Auch damals pflückte sie gerade Blumen, als sie den Knaben sah und ihn, sowie sie ihn sah, zu besitzen wünschte. Doch sie nahte ihm nicht, obgleich es ihr damit eilig war, bevor sie sich zurechtgemacht, bevor sie ihr Gewand prüfend betrachtet, eine liebenswürdige Miene aufgesetzt hatte und mit Recht als Schönheit gelten konnte. [IV,302–319]
Alle diese Dinge sind nämlich Eigenheiten verweichlichter und genußsüchtiger Menschen: Müßiggang treiben, die Haare kämmen, sich vor dem Spiegel betrachten und sich nach dessen Auskunft das Gesicht zurechtmachen. Zumal die Liebe eine müßige Angelegenheit ist und, wie Menander [vielmehr Euripides] sagt, Spiegel und blondgefärbtes Haar liebt. Sie scheut die Arbeit: Denn Eros ist träge und von entsprechender Natur: Er liebt Spiegel und blondgefärbte Haare und geht Mühen und Arbeit aus dem Wege. (Übers. von Gustav Adolf Seeck)
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
17 Mineides in vespertiliones. Omnibus gentibus, etiam à vera religione alienis, semper persuasum fuit diebus festis esse vacandum rebus non profanis, sed divinis. Dies enim festi destinati sunt divino cultui. Hoc igitur exemplo, quamvis fìcto, pueri deterrendi et admo190 nendi sunt, ne festis diebus negligant rem divinam: ne lusionibus dent operam, sed ut ingrediantur templum et intersint sacris concionibus suasque preces coniungant cum precibus Ecclesiae. Ipsae enim Mineides, dum rem divinam contemnunt, dum recitant domi fabulas, convertuntur in vespertiliones. Rectè autem assimulantur vespertilionibus contemptores religionis. Nam ut vespertiliones in 195 tenebris volitant, ita impii etiam caecitate et impetu feruntur.
18 Cerberus. tria Cerberus extulit ora Et tres latratus simul edidit. [IV,450 sq.]
Per Cerberum tricipitem intelligunt terram, quae et secundum veteres geogra-
200 phos trifariam divisa est et defunctorum corpora tanquàm canis devorat.
19 De poenis inferorum. Viscera praebebat Tityus lanianda novemque Iugeribus distractus erat. [IV,457 sq.]
Hae fabulae de inferorum poenis admonent piè ac honestè hîc vivendum esse.
205 Post mortem enim restare et bonis praemia et sceleratis poenas gravissimas.
Genera verò suppliciorum, quae hîc describuntur, etiam allegoricè ad perturbationes animorum referri possunt: Titii iecur à vulture exesum et renascens ad odium, quod nunquam tolli potest; Tantali fames ad avariciam; Ixionis rota ad homines in republica irrequietos; Sisyphi saxum ad laboriosam et miseram ambi-
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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17 Die Töchter des Minyas in Fledermäuse verwandelt Alle Völker, auch solche, die außerhalb der wahren Religion standen, waren stets vollkommen davon überzeugt, daß man sich an Feiertagen nicht weltlichen, sondern göttlichen Dingen zu widmen habe. Feiertage sind nämlich zur Verehrung Gottes bestimmt. Mit vorliegendem warnendem, wenn auch erfundenem Beispiel also sind Knaben streng zu ermahnen und dazu anzuhalten, an Feiertagen die Sache Gottes nicht hintanzusetzen: sich nicht mit Spielen zu beschäftigen, sondern in die Kirche zu gehen, heiligen Predigten beizuwohnen und ihre Gebete mit den Gebeten der Kirche zu verbinden. Während nämlich die Minyastöchter die Sache des Gottes mißachten, während sie zu Hause Geschichten erzählen, werden sie in Fledermäuse verwandelt. Zu Recht aber werden die Verächter der Religion mit Fledermäusen verglichen. Denn wie Fledermäuse im Finstern herumflattern, so lassen sich auch die Gottlosen von blindem Trieb hinreißen.
18 Cerberus Cerberus streckte seine drei Köpfe hervor und stieß ein dreifaches Gebell gleichzeitig aus. [IV,450 f.]
Unter dem dreiköpfigen Cerberus versteht man die Erde, die den alten Geographen gemäß ebenfalls dreiteilig ist und die Leiber der Verstorbenen gleichsam wie ein Hund verschlingt.
19 Von den Strafen in der Unterwelt Tityus bot seine Eingeweide zum Zerfleischen an und lag ausgestreckt über neun Morgen Landes hin. [IV,457 f.]
Diese Sagen von den Strafen in der Unterwelt sind eine Mahnung, daß man hier auf Erden fromm und ehrbar zu leben habe. Daß nämlich nach dem Tode die Guten Belohnungen und die Frevler schwerste Strafen zu gewärtigen hätten. Die Arten der Martern aber, die hier beschrieben werden, können auch allegorisch auf seelische Affekte bezogen werden. So des Tityus Leber, die von einem Geier ausgefressen wird und immer wieder nachwächst, auf einen Haß, der niemals abgetötet werden kann. Des Tantalus Hunger auf die Habgier. Das Rad des Ixion auf Menschen, die im Staat ein Unruheherd sind. Des Sisyphus Felsblock auf sich abmühenden und beklagenswerten Ehrgeiz. Das entfließende Wasser der Beliden
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
210 tionem; Belidum effluentes aquae ad inexplebilem animi cupiditatem. Sic
Lucretius exponit poenam, quam Sisyphus et Belides sustinent:
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Sisyphus in vita quoque nobis ante oculos est, Qui petere à populo fasces saevasque secures Imbibit et semper victus tristisque recedit. Nam petere imperium, quod inane est nec datur unquàm, Atque in eo semper durum sufferre laborem, Hoc est adverso nixantem trudere monte Saxum, quod tandem summo iam vertice rursum Volvitur et plani raptim petit aequora campi. Deinde animi ingratam naturam pascere semper Atque explere bonis rebus saciareque nunquàm, Quod faciunt nobis annorum tempora, circum Cum redeunt foetusque ferunt variosque lepores, Nec tamen explemur vitai fructibus unquàm, Hoc, ut opinor, id est, aevo florente puellas Quod memorant laticem pertusum congerere in vas, Quod tamen expleri nulla ratione potestur.15
20 De Furiis. 230
Nec mora, Tisiphone madefactam sanguine sumit Importuna facem. [IV,481 sq.]
Multa quidem scitè excogitata sunt à poëtis, sed haud scio, an quicquam hoc figmento aptius, nempe quomodo Furiae commota ira Dei evocentur ab inferis; quomodo secum trahant luctum, timorem, insaniam; quomodo item agant homines praecipites in scelus, iniecto illis serpente et infuso veneno; denique 235 quomodo flagellis insectentur facinorosos et ardentibus facibus eos agitent. Haec enim omnia aptissimè et gravissimè excogitata sunt ab hominibus sapientissimis, qui magnitudinem irae divinae et causas humanarum calamitatum diligenter considerarunt. Sunt autem Furiae nihil aliud nisi pravae cupiditates seu commotiones animorum à recta ratione aversae, quibus impelluntur hi ad 240 odium, invidiam, ambitionem, caedem, illi ad stupra, adulteria, incestus, alii ad alia atrocia et nefaria flagitia, incitati à diabolo: id quod ipsa nomina declarant, quae ab effectu Furiis indita sunt. Μέγαιρα enim significat invidiam et aemulationem: haec odia incitat. Τισιφόνη ultionem caedis seu cupiditatem vindictae: haec efficit homicidas et parricidas. Ἀληκτὼ irrequieta dicitur: haec concitat seditio-
15 Lucretius: De rer. nat. 3,995–1010.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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auf unersättliche Begierde des Herzens. So legt Lukrez die Strafe aus, die Sisyphus und die Beliden ertragen haben: Auch Sisyphus steht uns im Leben vor Augen, der sich vornimmt, vom Volk die Rutenbündel und grausamen Beile zu verlangen, und ständig besiegt und traurig zurückweicht. Denn eine Herrschaft zu erstreben, die nichtig ist und niemals wirklich verliehen wird, und dabei noch harte Mühsal zu ertragen, das bedeutet, eifrig bemüht zu sein, einen Felsen einen Berg hinaufzustoßen, der schließlich immer wieder vom höchsten Gipfel herabrollt und schnell der Ebene des flachen Landes zustrebt. Des weiteren die undankbare Natur unseres Geistes ständig zu füttern und mit guten Dingen zu füllen und niemals zu sättigen, so wie es die Jahreszeiten mit uns machen, wenn sie im Kreislauf immer wiederkehren und Früchte bringen und allerlei Annehmlichkeiten, ohne daß wir jemals ausgefüllt werden von den Früchten des Lebens: das, meine ich, ist eben das, was man von den Mädchen in blühender Jugend berichtet, die Wasser in ein löchriges Gefäß schütten, das doch auf keine Weise gefüllt werden kann.
20 Von den Furien Unverzüglich ergreift die unheilvolle Tisiphone die in Blut getauchte Fackel. [IV,481 f.]
Zwar ist hierzu vieles schon sehr fein von den Dichtern ersonnen worden, doch ich weiß nicht, ob es etwas Sinnvolleres gibt als vorliegende Erdichtung: nämlich wie die Furien, nachdem Gottes Zorn erregt worden war, aus der Unterwelt herauszitiert werden, wie sie Trauer, Angst, Wahnsinn in ihrem Gefolge haben, auch wie sie die Menschen dazu antreiben, sich kopfüber ins Verbrechen zu stürzen, nachdem sie eine Schlange auf sie geworfen und ihnen Gift eingeflößt haben. Wie sie schließlich die Übeltäter mit Geißeln verfolgen und mit brennenden Fackeln vor sich hertreiben. Dies alles nämlich wurde höchst sinnreich und bedeutungsschwer erdacht von sehr weisen Menschen, die die Größe des göttlichen Zorns und die Ursachen menschlichen Unheils sorgfältig in Betracht gezogen hatten. Die Furien sind aber nichts anderes als böse Begierden oder der gesunden Vernunft zuwiderlaufende Seelenregungen, durch welche diese zu Haß, Neid, Ehrgeiz, Mord, jene zu Unzucht, Ehebruch, Blutschande, andere zu anderen schrecklichen und verruchten Missetaten, vom Teufel angestachelt, getrieben werden. Dies tun schon die Namen selbst kund, die den Furien von ihrer Wirkung her beigelegt wurden. Megaera nämlich bedeutet ‚Neid‘ und ‚Mißgunst‘: diese [Furie] erregt Haß. Tisiphone bedeutet ‚Bestrafung des Mordes‘ oder ‚Rachsucht‘: diese erzeugt Totschläger und Verwandtenmörder. Alekto wird ‚die Ruhelose‘
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
245 nes et discordias. Tales verò impetus seu commotiones animorum adducunt
luctum, pavorem, terrorem, insaniam. Coniiciunt enim homines in miserias et calamitates luctuosas, incutiunt animi horrorem et metum, adigunt ad insaniam. Deinde serpentes, flagella et faces Furiarum sunt anxietates et cruciatus conscientiae. Ideò enim Ovidius de morsu istorum serpentum ita inquit:
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Inspirantque graves animos nec vulnera membris Ulla ferunt; mens est, quae diros sentiat ictus. [IV,498 sq.]
His conscientiae tormentis Furiae tanquàm quaesitores et carnifices scelera scrutantur. Nam etiamsi leges et iura in facinorosos non animadvertant, nemo illorum scelera viderit, nemo audierit, adest tamen ipsa conscientia, quae illos 255 urget, insectatur, accusat et in iudicium rapit, sicuti testatur Iuvenalis, cum inquit:
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Exemplo quodcunque malo committitur, ipsi Displicet autori. Prima est haec ultio, quod se Iudice nemo nocens absolvitur, improba quamvis Gratia fallacis praetoris vicerit urnam.16
Extant apud Plutarchum de sera numinis vindicta memorabilia exempla, quo modo facinorosi affligantur conscientia, quomodo spectris et somniis terreantur.17 Porrò in hac descriptione Ovidiana consideranda est mirifica illa venenorum permixtio à Furiis apud inferos cocta, qua animi perfunduntur, nempe ex spuma 265 Cerberi, ex vagis erroribus, ex oblivione mentis, scelere, lacrymis, rabie et cupiditate caedis. Haec enim sunt venena, quibus infecti de sanitate et mente deturbantur.
21 Iris Thaumantis filia. 270
quam coelum intrare parantem Roratis lustravit aquis Thaumantias Iris. [IV,479 sq.]
Iris dicitur Thaumantis, hoc est admirationis, filia. Nullum est enim meteoron admirabilius. Id sancti patres ita admirati sunt, ut dixerint esse signum iudicii divini et praeteriti et futuri. Color ceruleus significat mundum semel aquis peri-
16 Iuvenalis 13,1–4. 17 Plutarchus: Moralia: De sera numinis vindicta 555A-D.
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genannt: diese erregt Aufruhr und Aufsässigkeit. Derlei Antriebe oder Seelenregungen aber führen Trauer, Angst, Schrecken und Wahnsinn herbei. Sie stoßen die Menschen nämlich in jammervolles Elend und Unheil; sie erregen in der Seele Entsetzen und Furcht, treiben zum Wahnsinn. Des weiteren sind die Schlangen, Geißeln und Fackeln der Furien Ängste und Qualen des Gewissens. Daher sagt Ovid nämlich vom Biß besagter Schlangen folgendes: Sie hauchen Beschwernis des Gemütes ein. Und sie fügen den Gliedern keine Wunden zu; der Geist ist es, der ihre entsetzlichen Bisse zu spüren bekommt. [IV,498 f.]
Mit diesen Gewissensfoltern forschen die Furien ebenso wie Untersuchungsrichter und Henkersknechte nach den Verbrechen. Denn auch wenn Gesetz und Recht die Missetäter nicht bestrafen, niemand ihre Verbrechen gesehen, niemand sie gehört hat, ist doch das Gewissen selbst zur Stelle, das ihnen zusetzt, sie verfolgt, anklagt und vor Gericht zieht – wie Juvenal bezeugt, wenn er sagt: Jede Tat, die ein schlechtes Beispiel gibt, mißfällt ihrem Urheber selbst. Die erste Strafe besteht darin, daß kein Schuldbeladener vor seinem eigenen Gericht einen Freispruch erlangt, auch wenn unehrenhafte Einflußnahme über die Urne eines korrupten Richters obsiegt hat.
Es gibt bei Plutarch, in der Schrift ‚Über die späte Rache der Gottheit‘, denkwürdige Beispiele dafür, wie Missetäter von ihrem Gewissen gepeinigt, wie sie von Erscheinungen und Träumen erschreckt werden. Ferner ist in dieser ovidischen Beschreibung beachtenswert jene von den Furien in der Unterwelt gekochte wundersame Giftmischung, mit der die Geister angefüllt werden, bestehend nämlich aus Schaum des Cerberus, aus schweifendem Irren, Vergessen, Verbrechen, Tränen, Wut, Mordlust. Dies nämlich sind die Gifte, durch die Menschen, die von ihnen angesteckt sind, des gesunden Verstandes beraubt werden.
21 Iris, Tochter des Thaumas Iris, die Tochter des Thaumas, entsühnte sie [= Juno], indem sie sie mit Wasser besprengte, als sie sich anschickte, in den Himmel einzutreten. [IV,479 f.]
Iris wird als Tochter des Thaumas, d. h. der Bewunderung, bezeichnet. Keine Himmelserscheinung ist nämlich bewundernswerter. Die heiligen Väter haben diese so bewundert, daß sie sagten, sie sei ein Zeichen des göttlichen Gerichts, sowohl des vergangenen als auch des künftigen. Die blaue Farbe zeigt an, daß
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
isse; purpureus verò significat venturam esse aliam mundi destructionem, scili275 cet per ignem. Et docti viri in philosophia fatentur non posse sufficientes causas in materia ostendi, cur talis fiat arcus. Quare sciamus singulare opus Dei esse conditum, ut sit commonefactio de diluvio et de ventura mundi conflagratione.
22 Venus mari orta. Si tamen in medio quondam concreta profundo. [IV,537] 280 Venus à poëtis Graecis nominatur Ἀφροδίτη ac fingitur orta è spuma maris, teste
Aristotele18 propter naturam seminis ἀφρώδη, spumosam.
23 Cadmus in serpentem. Cadmus ad extremum, post infinitas suorum calamitates, regno eiectus, una cum Harmonia uxore in Illyricum profugit, ubi, cum in exilio lateret ac tanquàm 285 serpens in latebris absconditus inopem vitam ageret et homo politicus se accommodaret ad leges et mores barbarorum, quibuscum versabatur, praebuit occasionem fabulae de se mutato in serpentem, propter hanc vitae mutationem et Illyricae gentis naturam. Dicuntur enim veteres Illyrici habuisse binas singulis oculis pupillas et acerrimam oculorum aciem instar draconum, qua irati, ut Gellius 290 testis est19, interimebant, si quem diu intuebantur.
24 Danaë. Persea, quem pluvio Danae conceperat auro. [IV,611]
Imber aureus, quo Iuppiter Danaën turre ahenea inclusam elusit, docet nihil esse tàm firmum, tàm communitum nihilque tàm diligenter custodiri, quod non possit 295 expugnari auro.
18 Aristoteles: De generatione animalium 2,2,673a20. 19 Gellius: Noctes Atticae 9,4,8.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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die Welt einst in Wasser untergegangen sei. Die purpurne aber zeigt an, daß eine andere Zerstörung der Welt eintreten werde, nämlich durch Feuer. Auch Männer, die in der Philosophie bewandert sind, gestehen ein, daß sich in der Materie keine hinreichenden Ursachen namhaft machen ließen, weshalb ein solcher Bogen zustande kommt. Deshalb soll uns bewußt sein, daß [damit] ein einzigartiges Werk Gottes geschaffen wurde, damit es eine Mahnung sei an die Sintflut und das bevorstehende Verbrennen der Welt.
22 Venus aus dem Meer entstanden Bin ich doch mitten in der Meerestiefe verdichteter [Schaum] gewesen. [IV,537]
Venus wird von den griechischen Dichtern Aphrodite genannt. Und die Sage, sie sei aus dem Schaum des Meeres entstanden, erklärt sich, wie Aristoteles bezeugt, aus der schaumigen Natur des Samens.
23 Cadmus in eine Schlange verwandelt Cadmus flieht zum Schluß, nach unendlichen Leiden der Seinigen, von der Herrschaft vertrieben, zusammen mit seiner Frau Harmonia nach Illyrien. Da er sich dort, in der Verbannung, verborgen hielt und, gleichsam wie eine Schlange in Schlupfwinkeln versteckt, ein Leben in Armut führte und als Staatsmann sich den Gesetzen und Gepflogenheiten der Barbaren, mit denen er Umgang hatte, anpaßte, bot er den Anlaß für die sagenhafte Erfindung, daß er sich in eine Schlange verwandelt habe: nämlich wegen dieses Wandels seiner Lebensverhältnisse und der Natur des illyrischen Volkes. Es heißt nämlich, die alten Illyrer hätten in jedem einzelnen Auge zwei Pupillen und eine den Drachen vergleichbare äußerst durchdringende Schärfe ihrer Augen gehabt, mit der sie, wenn sie erzürnt waren, wie Gellius bezeugt, einen Menschen töten konnten, wenn sie ihn lange ansahen.
24 Danaë Perseus, den Danaë im goldenen Regen empfangen hatte. [IV,611]
Der goldene Regen, mit dem Jupiter die in einen ehernen Turm eingeschlossene Danaë genarrt hat, lehrt, daß nichts so widerstandsfähig, so gesichert ist, nichts so sorgfältig bewacht werden kann, daß es nicht mit Gold erobert werden könnte.
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
25 De Perseo, Iovis et Danaës filio. generis mihi Iuppiter autor. [IV,640]
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Perseus habitus est Iovis filius propter raram foelicitatem. Gessit enim multas res memorabiles: suscepit expeditionem adversus Gorgonum gentem, cuius regina erat Medusa; intulit inde bellum Mauritaniae; decertavit armis cum Aethiopibus, apud quos et nuptias celebravit cum Andromeda, Cephei regis filia. Postea reversus in Graeciam occupavit regnum Argivorum devicto Proeto, suo patruo, et Polydecte, insulae Seriphi regulo, à quibus multis iniuriis erat affectus. Ad extremum constituit in Helicone ludum literarium, quo beneficio tantam consecutus est celebritatem, ut à poëtis et mathematicis usque in coelum evectus et inter sidera collocatus sit. Tantas autem res confecit incredibili celeritate et versutia ingenii, ideoque fingitur talaribus et gladio Mercurii, galea Orci et clypeo Palladis fuisse instructus. Nam talaria celeritatem, gladius Mercurii calliditatem, galea Orci consilium tectum et clypeus Palladis raram foelicitatem signifìcat. Per caput verò Medusae, cuius aspectu omnes convertebantur in saxa, significantur immensae Gorgonum opes, quibus Perseus potitus omnes, quos bello adortus est, subegit. Nam in insulis occidentalibus, ubi Gorgonum gens habitabat, olim fuerunt maximae opes totius orbis terrarum teste Platone.20 Nonnulli referunt fabulam saxifici capitis ad admirandam Medusae pulchritudinem, cuius aspectu omnes in stuporem sint versi. Pegasus equus alatus ex sanguine Medusae natus, à quo fons Musarum in Helicone fingitur apertus, fuit insigne ipsius Persei, quo illustris et pervagata fama significatur, quam consecutus est occisa Gorgonum regina.
20 Plato: Timaeus 24e-25b.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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25 Von Perseus, dem Sohn Jupiters und Danaës Jupiter ist mein Stammvater. [IV,640]
Perseus galt als Sohn Jupiters wegen seines ungewöhnlichen Glücks. Er vollbrachte nämlich viele denkwürdige Taten. Er unternahm einen Feldzug gegen das Volk der Gorgonen, dessen Königin Medusa war. Danach überzog er Mauretanien mit Krieg. Er focht einen bewaffneten Kampf auf Leben und Tod mit den Aethiopiern aus, bei denen er auch seine Hochzeit mit Andromeda, der Tochter des Königs Cepheus, feierte. Später nach Griechenland zurückgekehrt, nahm er das Reich der Argiver in Besitz, nachdem er über Proetus, seinen Großonkel, und Polydectes, König der kleinen Insel Seriphus, von denen ihm viel Ungemach zugefügt worden war, einen vollständigen Sieg errungen hatte. Zum Schluß errichtete er auf dem Helikon eine Schule. Durch diese Wohltat erlangte er eine so große Berühmtheit, daß er von Dichtern und Astronomen bis in den Himmel erhoben und unter die Sterne versetzt wurde. So große Taten aber vollbrachte er mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und geistigen Gewandtheit, und deshalb stellt man sich vor, daß er mit den Flügelschuhen und dem Schwert Merkurs, dem Helm Plutos und dem Schild der Pallas ausgerüstet gewesen sei. Denn Merkurs Flügelschuhe bedeuten Geschwindigkeit, sein Schwert Schläue, der Helm Plutos bedeutet verdeckten Anschlag und der Schild der Pallas ungewöhnliches Glück. Mit dem Haupt der Medusa jedoch, bei dessen Anblick alle in Stein verwandelt wurden, wird der unermeßliche Reichtum der Gorgonen angezeigt, dessen sich Perseus bemächtigt und mit dem er alle, gegen die er einen Krieg unternahm, niedergeworfen hat. Denn auf den westlichen Inseln, wo das Volk der Gorgonen seine Wohnsitze hatte, gab es dereinst den größten Reichtum der ganzen Welt, wie Plato bezeugt. Manche beziehen die Sage von dem versteinernden Haupt auf die bewundernswerte Schönheit der Medusa, bei deren Anblick alle in gebanntes Staunen verfallen seien. Das aus dem Blut der Medusa entstandene Flügelroß Pegasus, von dem der Sage nach der Musenquell am Helikon eröffnet wurde, war das Abzeichen von Perseus selbst, mit dem auf den glanzvollen und weitverbreiteten Ruhm verwiesen wird, den er mit der Tötung der Königin der Gorgonen erlangt hat.
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
26 Atlas in montem. 320
Id metuens solidis pomaria clauserat Atlas Montibus. [IV,646 sq.]
Atlantis pomarium, in quo arboreae frondes auro radiante nitentes [IV,637], significat copiam auri, quo Mauritania abundat circa Atlantem montem, unde effoditur. Ad spoliandum hoc pomarium, hoc est, rapiendum aurum, Perseus illuc 325 navigavit, sicut Carolus Imperator hoc tempore Indiam spoliavit per Hispanos, magna copia auri ex Chryseis insulis ablata. Atlantem verò, Mauritaniae regem, tradunt poëtae in montem illum altissimum esse conversum, propterea quòd fuit à Perseo istuc depulsus. Ferunt eundem fuisse mathematum peritissimum et inventorem sphaerae. Quare etiam fingitur coelum humeris sustinere, cùm 330 propter inventionem sphaerae, tùm propter altitudinem montis, quem incolae vocant columnam coeli.
27 Andromede ceto exposita. Credibile est Andromeden ex ingenti aliqua calamitate ereptam et marinam belluam à Perseo interfectam esse; nam et Pomponius Mela in descriptione Syriae 335 meminit huius belluae.21
28 De coralio. Nunc quoque coralii eadem natura remansit. [IV,750]
Coralium teste Plinio22 nascitur magna copia in Orcadibus insulis. Hae autem olim inhabitabantur à Gorgonum gente, ideoque ex virgultis Medusae capiti sup340 positis coralium esse natum poëtae fabulantur. Et dicitur coralium κόρη ἁλὸς, id est pupilla maris.
21 Pomponius Mela: De chorographia 1,64. 22 Plinius: Nat. hist. 32,21.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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26 Atlas in einen Berg verwandelt Dies fürchtend hatte Atlas seinen Obstgarten mit einer dichten Reihe von Bergen umschlossen. [IV,646 f.]
Des Atlas Obstgarten, in dem „das Laub an den Bäumen von gleißendem Gold blinkte“ [IV,637], bedeutet die Fülle von Gold, von dem Mauretanien in der Gegend des Atlasgebirges, wo es ausgegraben wird, reich im Übermaß ist. Um diesen Obstgarten zu plündern, d. h. das Gold zu rauben, ist Perseus dorthin gesegelt, so wie Kaiser Karl zu unserer Zeit Indien durch die Spanier ausplünderte, indem eine große Menge Goldes von den Goldinseln weggeschafft wurde. Von Atlas, dem König von Mauretanien, aber überliefern die Dichter, daß er in das berühmte, sehr hohe Gebirge verwandelt worden sei, und zwar deshalb, weil er von Perseus dorthin vertrieben wurde. Man sagt auch, derselbe [= Atlas] sei der kundigste aller Astronomen und Entdecker der Himmelskugel gewesen. Deshalb geht die Sage, er trage den Himmel auf seinen Schultern: sowohl wegen der Entdeckung der Himmelskugel als auch wegen der Höhe des Gebirges, das die Einwohner ‚Säule des Himmels‘ nennen.
27 Andromeda einem Meeresungeheuer ausgesetzt Es ist glaubhaft, daß Andromeda aus irgendeinem gewaltigen Unheil errettet und von Perseus ein Meeresuntier getötet wurde, denn auch Pomponius Mela erwähnt in seiner Beschreibung Syriens dieses Untier.
28 Von der Koralle Auch heute noch hat sich dieselbe Natur die Koralle erhalten. [IV,750]
Die Koralle entsteht, wie Plinius bezeugt, in großer Fülle bei den Orkney-Inseln. Diese aber wurden einst bewohnt vom Volk der Gorgonen, und deshalb erzählen die Dichter, daß aus dem Strauchwerk, das dem Haupt der Medusa untergelegt worden war, die Koralle entstanden sei. Das Wort Koralle kommt auch von κόρη ἁλὸς, d. h. ‚Mädchen des Meeres‘.
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Fabularum Ovidii interpretatio IV
29 Gorgones. Gorgoneas tetigisse domos, passimque per agros. [IV,779]
Ad mores ita accommodari potest allegoria, si per Gorgonas intelligantur volupta-
345 tes et illecebrae, quibus stulti quasi in saxa convertuntur. Illas verò facile interi-
munt, qui aegide Palladis et gladio Mercurii sunt instructi, hoc est, prudentes. Sic Erasmus Roterodamus, ni fallor, allegoriam hanc alicubi accommodat.23
30 Medusae capilli in serpentes. Hanc pelagi rector templo viciasse Minervae. [IV,798] 350 Crines mutati in serpentes significant infamiam, qua illustres foeminae defor-
mantur amissa pudicicia.
23 Bei Erasmus nicht nachweisbar.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IV
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29 Die Gorgonen […] sei er zum Haus der Gorgonen gelangt, und überall auf den Feldern […] [IV,779]
Die Allegorie kann unter der Vorausetzung auf die Moral bezogen werden, daß unter den Gorgonen Anreizungen zur Wollust verstanden werden können, durch die Toren gleichsam in Steine verwandelt werden. Jene Anreizungen können jedoch leicht von denen aus dem Wege geräumt werden, die mit dem Schild der Pallas und dem Schwert Merkurs gerüstet sind, d. h. von allen Klugen. So wendet Erasmus von Rotterdam, wenn ich nicht irre, diese Allegorie irgendwo an.
30 Die Haare der Medusa in Schlangen verwandelt Der Beherrscher des Meeres habe sie im Tempel der Minerva geschändet. [IV,798]
Die in Schlangen verwandelten Haare zeigen die Schande an, durch die angesehene Frauen herabgewürdigt werden, wenn sie ihre Keuschheit verloren haben.
In librum quintum. 1 Cepheni Perseum oppugnantes. Inque repentinos convivia versa tumultus. [V,5]
Tumultus et pugna Cephenorum docet convivia et perpotationes saepe in bello5 rum tragoedias verti, motisque armis in partes abstrahi Expertes frustra belli et neutra arma secutos [V,91],
sicut exemplum Idae in hac pugna testatur. Item docet, quantus sit furor tumultuantium, quàm indignae caedes fiant, ubi indomitas ardescit vulgus in iras. [V,41] 10 Quippe omni discrimine sacri et prophani remoto trucidantur innocentissimi
quique, etiam qui armis abstinent, sacerdotes, musici, senes:
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Alphitus albenti velatus tempora vitta, Tu quoque, Iapetide, non hos adhibendus ad usus, Sed qui, pacis opus, cytharam cum voce moveres, Iussus eras celebrare dapes festumque canendo. Quem procul astantem plectrumque imbelle tenentem Pettalus irridens „Stygiis cane caetera“, dixit, „Manibus“ et laevo mucronem tempore fixit. [V,110–116]
In periculis autem heroës proteguntur divinitus. Quod ut poëta significaret, finxit
20 Persea confligentem contra tantam hostium multitudinem protegi divino clypeo: Bellica Pallas adest et protegit aegide fratrem Datque animos. [V,46 sq.]
Adhaec, qualis plerunque sit exitus belli iniustè suscepti eiusque autores ad quam necessitatem adigantur, declarat ipse Phineus, belli temerarius autor [V,8], 25 cum inquit: Non cessisse piget; nihil, ô fortissime, praeter Hanc animam concede mihi, tua caetera sunto. [V,221 sq.]
DOI 10.1515/9783110620283-008
Zum fünften Buch 1 Der Kampf der Cephener gegen Perseus und das Gastmahl, das plötzlich in einen Aufruhr umgeschlagen ist. [V,5]
Der Aufruhr und der Kampf der Cephener lehren, daß Gastmähler und Trinkgelage oft in Trauerspiele von Kriegen umschlagen, daß, wenn der Waffengang begonnen hat, zur Parteinahme gezwungen werden diejenigen, die sich vergebens vom Krieg ferngehalten und sich keiner Partei angeschlossen haben [V,91],
wie es das Beispiel des Idas in diesem Kampf bezeugt. Sie lehren ebenfalls, wie groß das Wüten der Aufrührer ist, was für ein abscheuliches Gemetzel entsteht, sobald das Volk zu ungebändigtem Zorn entbrennt. [V,41]
Allerdings werden ohne jede Unterscheidung von Heiligem und Weltlichem gerade die Unschuldigsten hingemetzelt, auch diejenigen, die sich von Waffen fernhalten: Priester, Musiker, Greise: Alphitus, dessen Schläfen eine weiße Binde umhüllte, auch du, Abkömmling des Iapetus, der du für solche Aufgaben nicht geeignet warst, sondern, als Werk des Friedens, zum Spiel der Kithara sangest – man hatte dich geheißen, das Festmahl mit Gesang zu verherrlichen. Ihn, der weit entfernt stand und das unkriegerische Plectrum in der Hand hielt, verspottete Pettalus mit den Worten: „Singe alles Weitere für die Schatten der Toten am Styx“, und stieß ihm das Schwert in die linke Schläfe. [V,110–116]
In Gefahren aber werden Helden durch göttliches Walten beschützt. Um hierauf hinzuweisen, hat der Dichter ersonnen, daß Perseus im Kampf gegen eine so große Menge von Feinden von einem göttlichen Schild geschützt werde: Die kriegerische Pallas ist zur Stelle und schützt mit der Aegis ihren Bruder und verleiht ihm Mut. [V,46 f.]
Zudem tut „Phineus, der unbesonnene Urheber des Krieges“ [V,8], selbst kund, welches Ende zumeist ein ungerecht unternommener Krieg nimmt und in welche Bedrängnisse seine Urheber getrieben werden, wenn er sagt: Es reut mich, daß ich nicht nachgegeben habe. Gestehe mir, o du Tapferster, nichts zu außer diesem Leben. Das übrige sei dein. [V,221 f.]
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Fabularum Ovidii interpretatio V
2 Pieri novem filiae in picas. Picae aves sunt garrulae quidem, sed minimè canorae. Per has intelliguntur versi-
30 ficatores vel literatores inepti et arrogantes, qui sese iactant ostentatione ingenii
atque odiosè obstrepunt doctioribus, quemadmodurn Pieri et Euippes fìliae hic faciunt. Tales olim fuerunt Zoilus, Cercops, Amphimanes, Thymocreon et Bavius, qui Homero, Hesiodo, Pindaro, Simonidi et Virgilio obstrepuerunt. Talis etiam fuit Doletus nostro tempore, qui ineptis et spurcis versibus exagitavit 35 Erasmum Roterodamum, virum de literis optimè meritum. Plutarchus in libro de musica refert Pierum condidisse poëmata de Musis.1 Haec poëmata, opinor, per illius filias intelligit, quas aiunt fuisse adeò arrogantes, ut non dubitarint provocare Musas. Credibile est enim illa ipsa poëmata fuisse non ignobilia quidem, sed parum religiosa. Id quod non obscurè indicare videtur poëta, cum inquit: 40
Bella canit superûm falsoque in honore Gigantes Ponit et extenuat magnorum facta deorum. [V,319 sq.]
Verum hac fabula admonentur adolescentes, qui dant operam literis, ac praesertim poëticae, ut omnem ingenii vim, omnem scribendi facultatem conferant ad religionem, pietatem, honestatem, virtutem, non ad scurrilitatem, obtrecta45 tionem, blasphemias. Nam spiritus poëticus, quoniam divinus vocatur et à Deo est, circa res Deo gratas versari debet; alioqui non sacer, sed profanus est motus, nec aethereis (ut Ovidius inquit), sed inferni sedibus ille venit. Et eam ob causam Musae finguntur deae Iovisque filiae et celebrare laudes divinas, quòd harum studia, divinitus inventa, debent coli potissimum causa religionis, ut coelestis 50 doctrina conservetur atque propagetur.
1 (Ps.-)Plutarchus: Moralia: De musica 1132A.
Auslegung der Metamorphosen Ovids V
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2 Die neun Töchter des Pierus in Elstern verwandelt Elstern sind zwar geschwätzige, aber gar keine wohltönenden Vögel. Unter ihnen versteht man abgeschmackte und anmaßende Versemacher und Schriftsteller, die mit vorgespiegelter Genialität prahlen und Gebildeteren auf lästige Weise beschwerlich fallen: so wie es die Töchter des Pierus und der Euippe hier tun. Von solcher Art waren dereinst Zoilus, Cercops, Amphimanes, Thymocreon und Bavius, die Homer, Hesiod, Pindar, Simonides und Vergil beschwerlich gefallen sind. Von dieser Art war zu unserer Zeit Doletus, der mit abgeschmackten und unflätigen Versen Erasmus von Rotterdam, einen um die Literatur wohlverdienten Mann, herabsetzte. Plutarch berichtet in seinem Buch ‚Über die Musik‘, Pierus habe Gedichte über die Musen verfaßt. Unter diesen Gedichten versteht er, meine ich, dessen Töchter, die, wie man sagt, so anmaßend waren, daß sie nicht zögerten, die Musen herauszufordern. Es ist nämlich glaubhaft, daß jene Gedichte selbst zwar nicht primitiv, aber doch wenig gottesfürchtig waren. Dies scheint der Dichter ganz deutlich anzuzeigen, wenn er sagt: Sie singt vom Krieg der Himmlischen, legt den Giganten unverdienten Ruhm bei und schmälert die Taten der großen Götter. [V,319 f.]
Mit dieser Sage werden aber die jungen Männer, die sich der Literatur und besonders der Poesie widmen, dazu ermahnt, alle Kraft ihres Geistes, all ihre schriftstellerische Begabung auf Glauben, Frömmigkeit, Ehrbarkeit und Tugend zu richten und nicht auf Possenreißerei, Herabsetzung und Lästerung. Denn der Geist der Poesie soll, da er göttlich genannt wird und von Gott kommt, um Gegenstände kreisen, die Gott willkommen sind. Andernfalls ist sein Antrieb nicht heilig, sondern gottlos, und entspringt nicht den himmlischen Wohnsitzen, wie Ovid sagt, sondern denen der Hölle. Und daß die Musen der Sage nach Göttinnen und Töchter Jupiters sind und das Lob Gottes verherrlichen, erklärt sich daraus, daß die Beschäftigung mit ihnen und ihren auf göttlicher Eingebung beruhenden Erfindungen hauptsächlich um des Glaubens willen betrieben werden soll, damit die himmlische Lehre bewahrt und verbreitet wird.
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Fabularum Ovidii interpretatio V
3 Musae alis sumptis Pyrenei vim effugiunt. Virgineumque Helicona petit etc. [V,254]
Musae παρὰ τὸ μῶσθαι, ab inquirendo, dictae sunt. Artes enim literarum inqui runt, bona, utilia et quae ab indoctis ignorantur. Eae perhibentur et virgines, eò 55 quòd studiosi literarum debent esse modesti et ab omni obscoenitate alieni. Ut autem virgines obnoxiae sunt iniuriae, ita et artes literarum, praesertim belli temporibus. Musae itaque expetunt inprimis pacem: Et gratam sortem, tutae modo simus, habemus. [V,272]
Porro fabula docet, literarum studia esse Deo curae; nam alae, quibus Musae
60 effugiunt, divinum significant praesidium, quo literarum studia mirabiliter con-
servantur. Sic nostro tempore, bellis in Saxonia exortis, Musae alas adeptae Viteberga et Lipsia avolabant; nec tamen interierunt, sed beneficio Dei conservatae sunt suasque sedes recuperarunt.
4 Pyrenei scelus. 65 Devastata Phocensium regione Pyreneus rex Thraciae vim Musis attulit, hoc est,
domicilia literarum evertit; dumque illas fugientes è sublimi loco persequeretur, decidit praeceps et discusso capite interiit. Detestatur fabula tyrannos honestis artibus infensos, iisque minatur similem exitum.
Auslegung der Metamorphosen Ovids V
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3 Die Musen entfliehen durch Anlegen von Flügeln der Gewalt des Pyreneus und eilt zu dem jungfräulichen Helicon usw. [V,254]
Die Musen haben ihren Namen παρὰ τὸ μῶσθαι, d. h. vom Nachforschen. Die Künste und Wissenschaften forschen nämlich: nach dem Guten und Nützlichen und nach allem, was die Ungelehrten nicht wissen. Der Sage nach sind sie auch Jungfrauen, und zwar deshalb, weil die Jünger von Kunst und Wissenschaft sittenstreng sein und aller Unzüchtigkeit fernstehen sollen. Wie aber Jungfrauen Opfer gewaltsamer Übergriffe werden können, so auch die Künste und Wissenschaften, insbesondere in Zeiten des Krieges. Die Musen verlangen daher vor allem nach Frieden: Und wir haben ein angenehmes Los, wenn wir nur in Sicherheit leben. [V,272]
Ferner lehrt die Sage, daß Gott das wissenschaftliche Studium am Herzen liege, denn die Flügel, mit denen die Musen entfliehen, bedeuten den göttlichen Beistand, durch den die wissenschaftlichen Studien wunderbarlich erhalten werden. So auch zu unserer Zeit: als in Sachsen Kriege ausbrachen, legten die Musen Flügel an und flogen fort aus Wittenberg und Leipzig. Sie sind aber nicht untergegangen, sondern durch wohltätiges Eingreifen Gottes blieben sie erhalten und nahmen ihre Wohnsitze wieder in Besitz.
4 Des Pyreneus Ruchlosigkeit Nachdem Pyreneus, der König von Thrakien, das Gebiet der Phocier gänzlich verwüstet hatte, tat er den Musen Gewalt an, d. h., er zerstörte die Heimstätten der Künste und Wissenschaften; und als er sie, die auf der Flucht waren, von einem hochgelegenen Ort aus verfolgen wollte, stürzte er kopfüber ab und starb mit zerschmettertem Kopf. Die Sage verflucht Tyrannen, die den ehrbaren Künsten feind sind und droht ihnen ein ähnliches Ende an.
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Fabularum Ovidii interpretatio V
5 Dii in Aegypto conversi in varias animalium figuras. 70
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„Duxque gregis“, dixit, „fit Iuppiter, unde recurvis Nunc quoque formatus Libys est cum cornibus Hammon.“ [V,327 sq.]
Homines graves, quò maiore ingenio, eruditione et eloquentia praediti sunt, eò magis pie sentiunt et loquuntur de Deo: nimirum à quo omnis sapientia et ingenii vis proficiscitur. At contra homines leves et garruli plerunque sunt alieni à religione: delectantur contumeliis in Deum, quales hic facit loquacula Pieri filia, dum incesto ore canit, Gigantes terruisse superos et coëgisse ad tantam necessitatem, ut prae formidine induerint, alius arietem, alius vaccam, alius Ibin. Haec verò contumeliosa in deos conficta sunt ex superstitione Aegyptiorum, apud quos animalia, propter eam, quam hominibus afferunt, utilitatem, divinis honoribus colebantur. Graeci enim, quibus haec ipsa superstitio in cultu animalium ridicula videbatur, fabulati sunt, deos, cùm adhuc numero pauci essent, impietate et crudelitate hominum territos, confugisse in Aegyptum ibique similes se quibusdam animalibus finxisse, quò tutiores essent ab iniuria. Estque credibile ipsum Pierum apud Graecos fuisse autorem huius fabulae. Verum ipse Hammon est Ham, Noae filius, à quo traxit originem idolatria. Hunc ferunt usum esse ornamento capitis referente cornua arietis; atque inde ipsius idolum fuisse ita effictum, id quod etiam à veritate non abhorret. Siquidem Ammianus historicus narrat regem Persarum, qui cum Imperatore Constantino bellum gessit, gestasse diadema instar capitis arietini, contextum gemmis.2 Omnes has fabulas Diodorus refert ad insignia regum ac principum, qui apud Aegyptios promeruerunt honores divinos.3
2 Ammianus Marcellinus: Res gestae 19,1,3. 3 Diodorus Siculus 1,26,6–8.
Auslegung der Metamorphosen Ovids V
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5 Die Götter verwandeln sich in Ägypten in verschiedene Tiergestalten „Zum Schafbock“, sagte sie, „wird Jupiter. Deshalb wird auch heute noch der libysche Hammon mit gewundenen Hörnern dargestellt.“ [V,327 f.]
Je größer die geistige Begabung, Gelehrsamkeit und Sprachgewalt ist, über die Menschen mit gefestigter Persönlichkeit verfügen, um so hingebungsvoller denken und reden sie von Gott, von dem ja alle Weisheit und Geisteskraft ausgeht. Leichtfertige und schwatzhafte Menschen stehen dagegen der Religion meistens fern. Sie haben Freude an Schmähreden gegen Gott, wie sie hier die geschwätzige Tochter des Pierus führt, indem sie mit ihrem gottlosen Mund singt, die Giganten hätten die Himmlischen in Schrecken versetzt und sie in eine so große Notlage gebracht, daß vor Angst der eine die Gestalt eines Widders, ein anderer die einer Kuh, wieder ein anderer die eines Ibis annahm. Diese die Götter herabwürdigenden Erfindungen haben aber ihren Ursprung im Aberglauben der Ägypter, bei denen die Tiere wegen des Nutzens, den sie den Menschen bringen, als göttliche Wesen verehrt wurden. Die Griechen, denen dieser Aberglaube hinsichtlich der Verehrung von Tieren lächerlich vorkam, haben nämlich die Sage erzählt, daß die Götter, als sie noch wenige an der Zahl gewesen seien, erschreckt von der Ruchlosigkeit und Grausamkeit der Menschen, nach Ägypten geflohen seien und dort die Gestalt bestimmter Tiere angenommen hätten, um so vor Gewalttätigkeit sicherer zu sein. Und es ist glaublich, daß bei den Griechen Pierus selbst der Urheber dieser Sage gewesesen ist. Hammon selbst aber ist Ham, des Noah Sohn, bei dem der Götzendienst seinen Ursprung nahm. Von ihm sagt man, er habe einen Kopfschmuck verwendet, der den Hörnern eines Widders glich, und daraufhin sei dessen Götzenbild so dargestellt worden – was auch der Wahrheit nicht zuwiderläuft. Der Historiker Ammianus erzählt ja, daß der Perserkönig, der mit Kaiser Konstantin Krieg führte, eine aus Edelsteinen gefertigte Krone in der Gestalt eines Widderkopfes getragen habe. Alle diese Sagen bezieht Diodor auf die Abzeichen von Königen und Fürsten, die bei den Ägyptern den Anspruch auf göttliche Ehrungen erworben haben.
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Fabularum Ovidii interpretatio V
6 Musarum cantilena. Calliope querulas pertentat pollice chordas, Atque percussis subiungit carmina nervis. [V,339 sq.] 95 Calliope nomen habet à canora voce, ἀπὸ τοῦ κάλλους τῆς ὀπός. Huic datur à
Musis summa certaminis, ut quae canendi suavitate praestet caeteris; estque suavissima eius cantilena ac longè dissimilis superiori. Nam ratione decori superior est horridior et insuavior. Celebrantur autem hac cantilena laudes divinae, quas Pieri filia imminuit. In quibus ornandis duo potissimum praedicantur: 100 alterum, quòd divino beneficio civilis hominum vita exculta sit victu et legibus: Prima Ceres unco glebam dimovit aratro, Prima dedit fruges alimentaque mitia terris, Prima dedit leges. [V,341–343]
alterum, quòd hostes nominis divini aeterno supplicio constringantur: 105
Vasta Giganteis ingesta est insula membris Trinacris, et magnis subiectum molibus urget Aetherias ausum sperare Typhoëa sedes. [V,346–348]
7 Typhoeus sub Aetna iacens. Per Typhoëa intelliguntur halitus ardentes, qui sunt causa incendii in Aetna et
110 aliis Siciliae montibus. Dictus est enim Typhoëus à τύφωμα, quod est fumo. Ac
quoniam illi halitus, si quando nimium densantur ac sine exitu volvuntur, sua vi spiritum intendunt, spiritu autem luctante et quaerente exitum terra concutitur, hinc et Sicilia crebris obnoxia est terrae motibus, et poëtae fingunt Gigantem Typhoëa reluctantem et conantem dimovere montes esse causam terrae motus. 115
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6 Das Lied der Musen Calliope prüft mit dem Daumen die klagenden Saiten und fügt dieses Lied hinzu, das sie mit Saitenspiel begleitet. [V,339 f.]
Calliope hat ihren Namen von ihrer wohltönenden Stimme: ἀπὸ τοῦ κάλλους τῆς ὀπός („von der Schönheit der Stimme“). Ihr wird von den Musen der erste Rang im Wettstreit zugewiesen, da sie ja in der Lieblichkeit des Singens alle übrigen übertrifft. Und ihr Lied ist überaus lieblich, ganz unähnlich dem vorangehenden. Denn nach Maßgabe des Geziemenden ist das vorangehende abstoßender und unerquicklicher. Gepriesen aber wird in diesem Lied der göttliche Ruhm, den die Tochter des Pierus verkleinert hat. Bei dessen Hervorhebung werden hauptsächlich zwei Dinge verkündet: erstens, daß das bürgerliche Leben der Menschen durch göttliche Wohltat reichlich versehen werde mit Nahrung und Gesetzen: Als erste hat Ceres die Erdscholle mit krummem Pfluge zerteilt, als erste hat sie den Ländern Getreide und milde Nahrung, als erste hat sie Gesetze gegeben. [V,341–343]
zweitens, daß die Feinde des Namens Gottes durch ewige Strafe in Banden gehalten würden: Die riesige Insel Trinacris wurde auf Gigantenglieder geworfen und bedrängt mit ihrer gewaltigen Last den unter ihr liegenden Typhoeus, der es gewagt hat, auf einen Sitz im Himmel zu hoffen. [V,346–348]
7 Typhoeus unter dem Aetna liegend Unter Typhoeus sind die glutheißen Ausdünstungen zu verstehen, die die Ursache sind für das Feuer im Aetna und in anderen Bergen Siziliens. Der Name Typhoeus kommt nämlich von τύφωμα, d. h. ‚Rauch‘. Und da jene Ausdünstungen, wenn sie einmal allzu sehr verdichtet und ohne Ausgang umhergewälzt werden, mit ihrer Kraft zuweilen den Luftdruck erhöhen, von der Luftmasse aber, die Druck macht und nach einem Ausgang sucht, die Erde erschüttert wird, deshalb wird auch Sizilien von häufigen Erdbeben heimgesucht; und die Poeten erdichten, daß der Gigant Typhoeus, indem er Widerstand leistet und die Berge beiseite zu schieben sucht, die Ursache des Erdbebens sei.
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Fabularum Ovidii interpretatio V
8 Plutonis regnum terraneum. Cui triplicis cessit fortuna novissima mundi. [V,368]
Cum filii Saturni paterna bona divisissent tripartito, Plutoni sorte obtigerunt fodinae metallicae, quod poëtae respicientes fìngunt ipsius regnum esse subter120 raneum.
9 Raptus Proserpinae. Proserpina foecunditatem seminum signifìcat. Haec cum aliquando defuisset ac terra sterilitate quasi moereret, poëtae fabulati sunt fìliam Cereris, id est, foecunditatem, quae à proserpendo Proserpina esset dicta, raptam apud inferos deti125 neri: id quod indicat Ovidius, cum loquitur de Cerere filiam quaerente et inquit:
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Nescit adhuc, ubi sit, terras tamen increpat omnes Ingratasque vocat nec frugum munere dignas, Trinacriam ante alias, in qua vestigia damni Repperit. Ergò illic saeva vertentia glebas Fregit aratra manu, parilique irata colonos Ruricolasque boves leto dedit, arvaque iussit Fallere depositum, viciataque semina fecit. Fertilitas terrae latum vulgata per orbem Sparsa iacet, primis segetes moriuntur in herbis. Et modo sol nimius, nimius modo corripit imber, Sideraque ventique nocent, avidaeque volucres Semina iacta legunt; lolium tribulique fatigant Triticeas messes et inexpugnabile gramen. [V,474–486]
Fingitur autem Proserpina apud Siculos nata propter insulae fertilitatem. Est
140 enim Sicilia frumento adeò foecunda, teste Plinio4, ut multis in locis semen in
centuplum reddat. Traditur item, postquam rapta est, sex menses apud Plutonem ac totidem apud superos manere, eò quòd semen terrae cultae iniectum hyemis tempore sub terra est, aestatis verò tempore rursus proserpit et excrescit. In hanc fermè sententiam apud Ciceronem de natura deorum fabulam exponit, 145 ubi sic inquit: „Proserpinam, quae Persephone Graecè nominatur, semen frugum esse volunt, matrem autem esse terram, quae à gerendis frugibus Ceres quasi Geres nominatur.“5 Rapta item fingitur Proserpina ex Ennensium nemore 4 Plinius: Nat. hist. 18,95. 5 Cicero: De nat. deor. 2,66–67.
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8 Plutos unterirdisches Reich […] dem bei der Dreiteilung der Welt das letzte Los zugefallen ist. [V,368]
Als die Söhne Saturns die väterlichen Güter in drei Teile geteilt hatten, fielen Pluto durch das Los die Erzbergwerke zu. Im Hinblick darauf stellen sich die Dichter vor, daß sein Reich unterirdisch sei.
9 Der Raub der Proserpina Proserpina bedeutet die Fruchtbarkeit der Samen. Als es an dieser irgendwann einmal ermangelte und das Land seine Unfruchtbarkeit gleichsam betrauerte, haben die Dichter sich ausgedacht, daß die Tochter der Ceres, d. h. die Fruchtbarkeit, die von dem Verb ‚proserpere‘ [= ‚hervorkriechen‘] her den Namen Proserpina erhalten habe, geraubt worden sei und in der Unterwelt festgehalten werde. Hierauf weist Ovid hin, als er von der ihre Tochter beklagenden Ceres spricht und sagt: Noch weiß sie nicht, wo sie ist. Doch schilt sie alle Länder, nennt sie undankbar und nicht würdig ihrer Gabe, der Feldfrüchte, vor allen anderen Sizilien, wo sie Spuren ihres Verlustes gefunden hat. Also zerbrach sie dort mit wütender Hand die Pflüge, die die Erdschollen umwenden, schickte im Zorn gleichermaßen die Bauern und die das Feld bestellenden Rinder in den Tod, hieß die Äcker, das [ihnen] anvertraute Gut zu hinterziehen, verdarb die Samen. Die weltweit berühmte Fruchtbarkeit des Landes liegt vertan darnieder. Im ersten Aufkeimen sterben die Saaten, und bald rafft sie zu starke Sonne, bald zu starker Regen hin. Gestirne und Winde richten Schaden an, und gierig picken Vögel den ausgeworfenen Samen auf. Schwindelhafer und Burzeldorn und das unausrottbare Gras suchen die Getreideernte heim. [V,474–486]
Der Ursprung der Sage, daß Proserpina in Sizilien geboren sei, liegt in der Fruchtbarkeit der Insel. Sizilien ist nämlich, wie Plinius bezeugt, dermaßen reich an Getreide, daß an vielen Orten der Ertrag das Hundertfache der Einsaat ausmacht. Man sagt auch, daß sie, nachdem sie geraubt worden sei, sechs Monate lang bei Pluto und ebenso viele bei den Himmlischen verbleibe, und zwar deshalb, weil der dem bestellten Land eingesäte Samen zur Winterszeit unter der Erde ist, zur Sommerszeit aber wieder hervorkriecht und emporwächst. So ziemlich in diesem Sinne legt Balbus in Ciceros Schrift ‚Vom Wesen der Götter‘ die Sage aus, wo er folgendes sagt: „In Proserpina, die auf griechisch Persephone heißt, will man den Samen der Feldfrüchte sehen; ihre Mutter aber sei das Land und werde nach dem Bringen [= ‚gerere‘] der Feldfrüchte Ceres, gleichsam ‚Geres‘, genannt.“ Es geht ebenso die Sage, daß Proserpina aus dem Hain der Hennenser geraubt worden sei, auch wegen der einzigartigen Lieblichkeit und Fruchtbarkeit der Gegend und
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Fabularum Ovidii interpretatio V
et propter singularem amoenitatem fertilitatemque loci et propter speluncam infinita altitudine, quae non procul abest, unde Pluto dicitur repente extitisse 150 ac rursus penetrasse sub terras non longè à Syracusis, ubi stagnum Palicorum aliique lacus assiduè ferventes magno impetu emergunt et mox absorbentur vasto hiatu.
10 Cyane Anapo nupta. Fontes finguntur iuncti matrimonio, qui aut confluunt aut sunt contigui. Cyanen
155 hodie Siculi appellant Cirini Pismam, cuius fontis aquae commiscentur in agro
Syracusano cum Anapo vix duobus miliaribus ab ipsius ostio.
11 Puer in stellionem. Invidus et maledicus puer fingitur à Cerere mutatus in stellionem propter naturam animalis, quo nullum invidet homini fraudulentius. Nam cum exuit membranam 160 hybernam, devorat eam, invidens nobis optimum remedium contra morbum comitialem, ut Plinius tradit.6 Est autem stellio minor parvo lacerto, hoc est, brachio, non minor lacerta. Est enim tribus ferè lacertis, quas Italia alit, maior. Legendum igitur: Contrahitur, parvoque minor mensura lacerto est. [V,458]
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12 Ascalaphus in bubonem.
Ascalaphi sicut et corvi exemplo monemur, ne quid temere indicemus, quo subeamus aut odium aut poenam. Nec sine causa Ascalaphus, importunissimus index, fingitur mutatus in bubonem. Est enim bubo index maximè abominatus, qui, cùm domibus insidet, feralis existit. Tales Ascalaphi sunt delatores, qui in 170 aulis principum existunt indices multis exiciales.
6 Plinius: Nat. hist. 30,89–90.
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wegen einer Höhle von unermeßlicher Tiefe, die nicht weit entfernt ist – weshalb man sagt, daß Pluto plötzlich aufgetaucht und wieder in die Erde eingedrungen sei, nicht weit von Syrakus, wo der See der Palicer und andere Gewässer, die ständig vor Hitze brodeln, mit großer Gewalt hochschießen und alsbald von einem riesigen Schlund verschluckt werden.
10 Cyane mit Anapus verheiratet Von Quellen, die zusammenfließen oder die benachbart sind, stellt man sich vor, sie seien ehelich verbunden. [Die Quelle] Cyane nennen die Sizilianer heute Pisma Cirini; die Wasser dieser Quelle vermischen sich auf dem Gebiet von Syrakus mit dem [Fluß] Anapus, kaum zwei Meilen vor dessen Mündung.
11 Ein Knabe in eine Sterneidechse verwandelt Der Sage nach wurde ein mißgünstiger und freche Reden führender Knabe von Ceres in eine Sterneidechse verwandelt, wegen der Wesensart dieses Tieres, das auf betrügerischere Weise als jedes andere dem Menschen mißgünstig gesinnt ist. Denn wenn es seine Winterhaut ablegt, verschlingt es sie, uns damit das beste Heilmittel gegen die Epilepsie mißgönnend, wie Plinius lehrt. Die Sterneidechse aber ist kürzer als ein kleiner ‚lacertus‘, d. h. Arm, aber nicht kleiner als eine ‚lacerta‘ [= ‚Eidechse‘]. Sie ist nämlich größer als die ungefähr drei Eidechsenarten, die in Italien vorkommen. Man muß also lesen: Er schrumpft, und seine Größe ist kleiner als ein kleiner Arm. [V,458]
12 Ascalaphus in einen Uhu verwandelt Mit des Ascalaphus wie auch des Raben Beispiel werden wir ermahnt, nichts unbedacht zu verraten und uns dadurch Haß oder Bestrafung zuzuziehen. Ascalaphus wird auch nicht ohne Grund als äußerst rücksichtsloser Denunziant der Sage nach in einen Uhu verwandelt. Der Uhu ist nämlich ein sehr verhaßter Zeichengeber, der, wenn er sich auf Häusern niedergelassen hat, als Bringer des Todes in Erscheinung tritt. Solcherlei Ascalaphi sind die Denunzianten, die an Fürstenhöfen als Zwischenträger auftreten und viele Menschen ins Verderben stürzen.
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Fabularum Ovidii interpretatio V
13 Sirenes in monstra. vobis, Acheloides, unde Pluma pedesque avium, cum virginis ora geratis? [V,552 sq.]
Sirenes fuerunt reginae insularum, quae Paestano et Salernitano sinui adiacent,
175 tenueruntque loca Campaniae, in quibus Neapolis, Surrentum cum promonto-
rio Minervae; unde et ea loca ‚Sirenum scopuli‘ nominantur. His regnantibus excitata sunt literarum studia in promontorio Minervae extructo illic Athenaeo, hoc est, gymnasio, à quo promontorium illud: Minervae dicitur. Erat enim Athenaeum locus Minervae dicatus, ubi publicè docebantur artes liberales, quibus 180 praeesse illa putabatur. Id verò gymnasium fuit adeò celebre, ut eloquentiae et literarum studia, quae ibi floruerunt, dederint locum fabulae de suavitate vocis et cantu Sirenum, quod etiam Homerus declarat, cum illa ipsa Sirenibus attribuit, quae sunt Musarum, videlicet et peritiam canendi, hoc est, eloquentiam, et historiarum rerumque naturalium cognitionem. Sic enim de se gloriantur apud 185 Homerum Sirenes, duodecimo Odysseae, profitentes scientiam omnium, quae in terra fiunt, geruntur et gignuntur:
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Οὐ γάρ πώ τις τῇδε παρήλασε νηὶ μελαίνῃ, πρίν γ’ ἡμέων μελίγηρυν ἀπὸ στομάτων ὄπ’ ἀκοῦσαι, ἀλλ’ ὅ γε τερψάμενος νεῖται καὶ πλείονα εἰδώς. ἴδμεν γάρ τοι πάνθ’, ὅσ’ ἐνὶ Τροίῃ εὐρείῃ Ἀργεῖοι Τρῶές τε θεῶν ἰότητι μόγησαν, ἴδμεν δ’ ὅσσα γένηται ἐπὶ χθονὶ πουλυβοτείρη.7
Ac finguntur Sirenes filiae Calliopes et Acheloi, propter professores literarum accersitos ex Aetolia et Acarnania, quam Achelous, celeberrimus Graeciae 195 fluvius, separat: perinde ut si quis fingat Musas Regiomontanas esse filias Calliopes et Albis, propter lectores huc vocatos ex Academia Vitebergensi ad Albim sita. At postquàm bonae artes illic excitatae sunt et summa cum admiratione hominum effloruerunt, posteritas (ut fìt) illis abusa est ad iniuriam, contumeliam et pernitiem reipub. Adhaec adolescentes causa studiorum eò missi
7 Homerus: Od. 12,186–191.
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13 Die Sirenen in Ungeheuer verwandelt Woher habt ihr, Töchter des Achelous, Gefieder und Vogelfüße, obwohl ihr Mädchengesichter habt? [V,552 f.]
Die Sirenen waren Königinnen der Inseln, die bei der Bucht von Paestum und Salernum liegen. Sie beherrschten die Orte Kampaniens, zu denen Neapel und Surrentum mit dem Vorgebirge der Minerva gehören. Daher heißen diese Orte auch ‚Sirenenfelsen‘. Unter ihrer Herrschaft wurden auf dem Vorgebirge der Minerva Studien der Wissenschaften und Künste ins Leben gerufen, nachdem dort ein Athenaeum, d. h. ein Gymnasium, errichtet worden war, nach dem jenes Vorgebirge ‚Vorgebirge der Minerva‘ heißt. Das Athenaeum war nämlich ein der Minerva geweihter Ort, wo öffentlich die Freien Künste gelehrt wurden, für deren Vorsteherin jene Göttin gehalten wurde. Dieses Gymnasium aber war so berühmt, daß die Studien der Beredsamkeit und der Wissenschaft, die dort in Blüte standen, Anlaß gaben zur Entstehung der Sage von der Lieblichkeit der Stimme und dem Gesang der Sirenen. Dies tut auch Homer kund, indem er den Sirenen eben dasjenige zugeschrieben hat, was den Musen zukommt, nämlich praktische Erfahrung im Singen, d. h. Beredsamkeit und Kenntnis der Geschichte und der Naturlehre. Folgendermaßen rühmen sich die Sirenen nämlich bei Homer im zwölften Gesang der Odyssee, indem sie sich anheischig machen, alles zu wissen, was auf der Erde geschieht, vor sich geht und hervorgebracht wird: Keiner noch fuhr hier vorbei auf dunklen Schiffen, bevor er Stimmen aus unserem Munde vernommen, die süß sind wie Honig. So einer kehrt dann mit tieferem Wissen beglückt in die Heimat. Alles wissen wir dir, was im breiten Troja die Troer, was die Argeier dort litten nach göttlicher Fügung. Und allzeit wissen wir, was auf der Erde geschieht, die so vieles hervorbringt. (Übers. von Anton Weiher)
Der Sage nach sind die Sirenen Töchter der Calliope und des Achelous, wegen der Lehrer der Wissenschaft, die aus Aetolien und Acarnanien, die der hochberühmte griechische Fluß Achelous trennt, herbeigeholt wurden: gerade so, wie wenn jemand die Sage aufbrächte, daß die Musen von Königsberg die Töchter der Calliope und der Elbe seien, wegen der von der an der Elbe gelegenen Universität Wittenberg hierher berufenen Dozenten. Doch nachdem die guten Künste dort ins Leben gerufen waren und unter höchster Bewunderung der Leute in Blüte gestanden hatten, mißbrauchte sie, wie es so geht, die Nachwelt: zur Ungerechtigkeit, zur Schmähung und zum Verderben des Staates. Darüber hinaus hängten sich die jungen Männer, die zu Studienzwecken dorthin geschickt worden waren, an
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Fabularum Ovidii interpretatio V
200 fecerunt iacturam patrimonii, scortis addicti: unde apud exteros Athenaeum
illud coepit male audire, emanavitque fabula de Sirenibus in monstra mutatis, à quibus accedentes in naufragia, hoc est, egestatem vel pernitiem attraherentur. Hanc ob causam ipsae Sirenes nunc accipiuntur pro illecebris voluptatum, quae antea pro Musis habebantur, earumque musica accipitur pro eloquentia 205 non ad permulcendos, sed perdendos homines comparata, qualem Aeschinis eloquentiam Demosthenes esse dixit.8 Porrò sicut Ulyssis socii Sirenas praetervecti sunt obstructis auribus, ne blandis et dolosis cantibus illicerentur in naufragium, ita nos decet aversari et fugere voluptates nec praebere illis aures, qui dulcedine orationis corruptelaque 210 depravant doctrinam religionis.
14 De Alpheo et Arethusa. Opinio est Alpheum fluvium, qui in Peloponnesiaco littore absorbetur, sub mari penetrare in Siciliam et ante os Arethusae fontis emergere iuxta Syracusas. Cuius rei sive coniecturam sive veritatem poëtae ut celebrarent, fabulati sunt Alpheum 215 amore ipsius Arethusae tàm longo tractu sub mari cursum agere. Est enim Arethusa fons totius Siciliae celeberrimus et amplissimus, ad cuius os ipse Alpheus quasi voluptate gestiens et exultans è fluctibus maris emergit tanto impetu, vix ut cymbis adiri possit. Qui verò opinantur illum ex Helide eò usque penetrare, hac coniectura ducti sunt, nempe quòd stato tempore, cum Olympia celebra220 bantur et victimarum sordes in amnem proiiciebantur, Alpheus in littore Siculo solebat fieri turbidus et Arethusae fons redolere fimum. Sed Strabo negat haec esse vera9, quamvis Timaeo philosopho10 et Senecae in naturalibus quaestionibus11 omnino vera esse videantur.
8 Aeschines: Oratio in Ctesiphontem 228 (Aeschines zitiert hier den besagten Vorwurf, der von Demosthenes gegen seine Reden erhoben wurde). 9 Strabo 6,2,4. 10 Timaeus von Tauromenion, zit. bei Polybius: Historiae 12,4d,5–8. 11 Seneca: Nat. quaest. 3,26,5–6.
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Huren und erlitten den Verlust ihres väterlichen Erbes. Daher begann jenes Athenaeum bei den Auswärtigen in üblem Ruf zu stehen, und es entstand die Sage von den in Ungeheuer verwandelten Sirenen, von denen diejenigen, die sich ihnen nähern, angezogen würden, um Schiffbruch zu erleiden, d. h. in bittere Armut oder ins Verderben zu geraten. Aus diesem Grund werden die Sirenen selbst, die früher als die Musen galten, heute als Verlockungen zu sinnlichen Genüssen angesehen, und ihre Musik wird verstanden als eine Art von Beredsamkeit, die nicht dazu bestimmt ist, die Menschen zu erfreuen, sondern sie zu verderben – so wie es nach der Aussage des Demosthenes die Beredsamkeit des Aeschines war. So wie nun aber die Gefährten des Odysseus mit verstopften Ohren an den Sirenen vorbeigefahren sind, um nicht durch deren schmeichelnde und trügerische Gesänge in einen Schiffbruch hineingelockt zu werden, ebenso ist es an uns, sinnlichen Genüssen zu widerstehen und sie zu fliehen und denen kein Gehör zu schenken, die mit lieblicher, zum Schlechten verführender Rede die Lehre des Glaubens verderben.
14 Von Alpheus und Arethusa Es herrscht die Meinung, daß der Fluß Alpheus, der an der Küste der Peloponnes mündet, unter dem Meer hindurch nach Sizilien fließe und vor der Mündung der Quelle Arethusa bei Syrakus [wieder] hervorkomme. Um diesen Vorgang, beruhe er nun auf Vermutung oder auf Wahrheit, zu verherrlichen, haben die Dichter fabuliert, daß Alpheus aus Liebe zu selbiger Arethusa einen so ausgedehnten Zug unter dem Meer hindurch unternehme. Arethusa ist nämlich die berühmteste und ansehnlichste Quelle von ganz Sizilien, bei deren Mündung Alpheus selbst, gleichsam vor Vergnügen frohlockend und ganz außer sich, aus den Fluten des Meeres emporkommt, und dies mit so großem Nachdruck, daß man kaum mit Kähnen heranfahren kann. Diejenigen aber, die der Meinung sind, daß jener Fluß von Elis aus bis dorthin durchfließe, haben sich hierzu durch eine Vermutung leiten lassen: weil nämlich zu bestimmter Zeit, wenn die Olympiade gefeiert und der Unrat von den Opfertieren in den Fluß geworfen wurde, Alpheus an der sizilischen Küste unruhig zu werden und die Quelle Arethusa nach Mist zu riechen pflegte. Doch Strabo bestreitet, daß dies wahr sei, obwohl es dem Philosophen Timaeus und Seneca in seinen ‚Naturwissenschaftlichen Untersuchungen‘ in jeder Hinsicht wahr zu sein scheint.
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Fabularum Ovidii interpretatio V
15 Triptolemus. 225
Dona fero Cereris, latos quae sparsa per agros Frugiferas messes alimentaque mitia reddant. [V,655 sq.]
Triptolemus fertur primus apud Eleusina instituisse sationem frumenti. Id quia fuit è Sicilia allatum, ideò à Cerere illi missum fingitur. Ex Eleusine deinde ad finitimas gentes satio frumenti propagata est. Scythica autem regio sterilis est et frugibus minimè idonea. Ea de causa erga 230 Triptolelum, agriculturae inventorem, extitisse perhibetur omnium ingratissima. Erasmus Roterodamus vocat ‚Triptolemos doctrinae‘ theologos, qui spar gunt nova dogmata.12 Sed hi omnino sunt digni, quibus ea referatur gratia, quam Scythicus ille Lyncus erat relaturus Triptolemo, Celei et Menalittae filio.
12 Bei Erasmus nicht nachweisbar.
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15 Triptolemus Ich bringe Gaben der Ceres, die, wenn man sie auf die weiten Äcker verstreut, dies mit fruchtreichen Ernten und milder Nahrung vergelten. [V,655 f.]
Man sagt, daß Triptolemus als erster bei Eleusis die Aussaat von Getreide vorgenommen habe. Weil dies aus Sizilien eingeführt wurde, geht die Sage, daß es ihm von Ceres geschickt worden sei. Von Eleusis aus hat sich dann die Aussaat von Getreide zu den benachbarten Völkern ausgebreitet. Das skythische Land aber ist unfruchtbar und für Getreideanbau völlig ungeeignet. Man sagt, daß es sich eben darum gegenüber Triptolemus, dem Erfinder der Landwirtschaft, als ganz besonders undankbar erzeigt habe. Als ‚Triptolemi der Lehre‘ bezeichnet Erasmus von Rotterdam Theologen, die neue Glaubenssätze ausstreuen. Diese jedoch haben es voll und ganz verdient, daß ihnen genau die Art von Dank abgestattet wird, die jener berüchtigte Skythe Lyncus dem Triptolemus, Sohn des Celeus und der Menalitta, abstatten sollte.
In librum sextum. 1 Certamen Palladis et Arachnes. Artifìcium texendi in primis admirabile et ingeniosum est. Ideo non sine causa sapientissimae deae Palladi ascribitur. Et haud dubie inventum est occasione à 5 textis aranearum sumpta. Nam omnia, quae ab artificibus texendi fiunt, ab ipsis quoque araneis fieri videmus: subtegmina annectunt, stamina tereti et aequabili filo deducunt certisque intervallis indissolubili nodo implicant. Hinc poëtae finxerunt, inter Palladem et Arachnen, hoc est, inter humanam industriam et araneam ipsam, fuisse certamen de laude illius artificii, et Arachnen, quanquàm 10 texendi arte praestantem, tamen à Pallade superatam esse. Maior est enim industria hominis quàm araneae in texendo: id quod varia hominum opera in hoc genere declarant. Fabula continet duos locos communes, quorum alter docet non contemnenda esse senum consilia:
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Pallas anum simulat falsosque in tempore canos Addit et infirmos baculo quoque sustinet artus. Tunc sic orsa loqui: „Non omnia grandior aetas, Quae fugiamus, habet: seris venit usus ab annis.“ [VI,26–29]
Estque sumptus hic locus ex Euripide, apud quem in Phenissis Iocasta anus Eteo20 clem adolescentem alloquitur his verbis: Ὦ τέκνον, οὐχ ἅπαντα τῷ γήρᾳ κακὰ, , πρόσεστιν· ἀλλ’ ἡ ἐμπειρία Ἔχει τι λέξαι τῶν νέων σοφώτερον.1
Alter verò locus docet, ne excellentes artifices ingenii dotibus sese efferant inso-
25 lentius, neve contendant adversus Deum:
Consilium ne sperne meum. Tibi fama petatur Inter mortales faciendae maxima lanae. Cede deae veniamque tuis, temeraria, dictis Supplice voce roga: veniam dabit illa roganti. [VI,30–33]
1 Euripides: Phoenissae 528–530. DOI 10.1515/9783110620283-009
Zum sechsten Buch 1 Der Wettstreit von Pallas und Arachne Die Handwerkskunst des Webens ist vor allen anderen bewundernswert und kunstvoll. Deshalb wird sie nicht ohne Grund der Pallas, als der klügsten Göttin, zugeschrieben. Und zweifellos ist sie erfunden worden, indem man sich die Anregung dazu von den Geweben der Spinnen holte; denn alles, was von den Meistern der Webkunst verfertigt wird, sehen wir auch von den Spinnen selbst verfertigt. Sie heften das Gewobene an, sie führen das Gewebe fort mit einem glatten und gleichförmigen Faden, und sie schlingen es in festgelegten Abständen mit einem unauflöslichen Knoten ineinander. Deshalb haben die Dichter die Geschichte ersonnen, daß zwischen Pallas und Arachne, d. h. zwischen menschlichem Unternehmungsgeist und der Spinne selbst, ein Wettkampf um den Ruhm in jener Handwerkskunst stattgefunden habe und daß Arachne, obwohl hervorragend in der Webkunst, doch von Pallas übertroffen worden sei. Größer ist nämlich im Weben der Unternehmungsgeist des Menschen als der der Spinne – was die vielfältigen Werke der Menschen in diesem Zweig der Handwerkskunst unter Beweis stellen. Die Sage enthält zwei Gemeinplätze. Deren einer lehrt, daß man Ratschläge alter Leute nicht geringschätzen dürfe: Pallas nimmt die Gestalt eines alten Mütterchens an, legt trügerisches graues Haar an die Schläfen und stützt auch ihre schwachen Glieder auf einen Stock. Dann beginnt sie mit folgender Rede: „Nicht alles, was das höhere Alter mit sich bringt, sollten wir verschmähen. Mit dem Greisenalter kommt die Erfahrung.“ [VI,26–29]
Dieser Gemeinplatz ist aus Euripides entlehnt, in dessen ‚Phönikierinnen‘ die alte Iocaste zu dem Jüngling Eteocles folgendes sagt: Mein Sohn Eteocles, am Alter ist nicht alles Schwäche, sondern die Erfahrung hat etwas Weiseres zu sagen als die jungen Leute.
Der zweite Gemeinplatz aber lehrt, daß auch ausgezeichnete Künstler sich wegen ihrer Geistesgaben nicht allzu überheblich großtun und nicht mit Gott messen sollen: Verschmähe nicht meinen Rat! Strebe nach dem größten Ruhm in Wollarbeiten unter den Sterblichen, weiche aber der Göttin! Bitte mit demütiger Rede um Verzeihung für deine Worte. Verzeihung wird sie gewähren, wenn du sie bittest. [VI,30–33]
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Fabularum Ovidii interpretatio VI
30 Nam ut inquit Homerus: Ἀργαλέος γάρ τ’ ἐστὶ θεὸς βροτῷ ἀνδρὶ δαμῆναι.2
Non invenustè transferri etiam potest allegoria fabulae ad sophistarum argutias: nimirum ideò invisam esse Palladi araneam, quòd sophistarum argutiae sapientibus odiosae sint. Nam dicere solebat3, sophisticas argutias similes 35 esse aranearum telis, ut quae haberent plurimum artificii, sed minimum utilitatis.
2 Certamen inter Neptunum et Minervam de appellatione Athenarum. Cecropia Pallas scopulum Mavortis in arce. [VI,70] 40 Ex Strabone4 constat urbem Atheniensium nuncupatam fuisse initio Posido-
nium, à Posidone sive Neptuno, postea Athenas, ab Athena sive Minerva. Ex hac nominis mutatione nata est haec fabula de certamine, quod inter illos extitit propter appellationem urbis. Continet autem fabula commendationem pacis et publicae tranquillitatis, quae per oleam Minervae intelligitur, sicut et rerum per45 turbatio per Neptuni aquas. Nihil est enim oleo tranquillius, contra nihil mari asperius ac turbulentius. Extat allegoria eius fabulae in quadam praefatione clarissimi viri Domini Philippi Melanthonis, quae his verbis explicatur:
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Athenienses ingeniosi homines finxerunt Neptunum et Palladem inter se certasse, ab utro numine civitas appellaretur; cumque deorum iudicio Pallas omnibus calculis vicisset, urbem ab ea nominatam esse. Qua fabula significarunt, civitatem non imperii laude, quod classibus paraverat, et opum magnitudine praestantiorem esse, quàm civilibus artibus. Illud autem inprimis sapienter excogitatum est, quòd eius iudicii deos autores fecerunt, ut, cum plerique homines summam esse imperii gloriam existiment, admonerent deorum iudicio longè maius esse decus civitatum leges, iudicia, honestam disciplinam et similes pacis artes.5
2 Homerus: Od. 4,397. 3 Nach Diogenes Laërtius 7,161. 4 Strabo 9,1,18. 5 Ph. Melanchthon: An den Rat von Nürnberg im August 1537 (Vorrede zu: Alfraganus, Rudimenta astronomica): Melanchthons Briefwechsel, Bd. T 7 (2006), S. 487, Z. 27–36.
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Denn wie Homer sagt: Schmerzlich empfindet ein Gott, einem sterblichen Mann zu erliegen. (Übers. von Anton Weiher)
Sehr hübsch kann die Allegorie der Sage auch auf die Spitzfindigkeiten der Sophisten übertragen werden. Ohne Zweifel sei der Pallas die Spinne deshalb verhaßt, weil die Spitzfindigkeiten der Sophisten den Weisen zuwider sind. Denn Aristo Chius pflegte zu sagen, sophistische Spitzfindigkeiten seien Spinnengeweben ähnlich, da diese sehr viel Kunstfertigkeit, aber nur sehr geringe Brauchbarkeit aufwiesen.
2 Der Wettstreit zwischen Neptun und Minerva um die Benennung Athens Pallas [bildet ab] den Marshügel auf der Burg des Cecrops. [VI,70]
Aus Strabo ist allgemein bekannt, daß die Stadt der Athener anfangs Posidonium genannt wurde, von Poseidon bzw. Neptun, späterhin Athenae, von Athene bzw. Minerva. Aus dieser Namensveränderung ist diese Sage von dem Wettstreit entstanden, der zwischen jenen Göttern wegen der Benennung der Stadt stattfand. Die Sage enthält aber eine Empfehlung des Friedens und der Ruhe im Staate, die ersichtlich ist aus dem Ölbaum der Minerva, so wie staatliche Unruhe aus den Wassern Neptuns. Nichts ist nämlich stiller als Öl, dagegen nichts rauher und stürmischer als das Meer. Es gibt eine Allegorie dieser Sage in einem Vorwort des hochansehnlichen Herrn Philipp Melanchthon, die mit folgenden Worten dargelegt wird: Geistreiche Athener haben erdichtet, daß Neptun und Pallas miteinander einen Wettstreit gehabt hätten, nach wem von beiden Göttern die Stadt genannt werden solle, und da nach dem einstimmigen Urteil der Götter Pallas gewonnen habe, sei die Stadt nach ihr benannt worden. Mit dieser Sage haben sie zum Ausdruck gebracht, daß ihre Stadt nicht so sehr durch die ruhmvolle Machtstellung, die sie durch Heer und Flotte errungen hatte, auch nicht durch die Größe ihres Reichtums ihre herausragende Stellung innehabe wie vielmehr durch bürgerliche Künste. Daran ist vor allem dieses weise erdacht, daß sie die Götter zu den Urhebern dieses Urteils gemacht haben, um so, da die meisten Menschen eine ruhmvolle Machtstellung für das Allerwichtigste halten, darauf aufmerksam zu machen, daß nach dem Urteil der Götter Gesetze, (Gerichts-)Urteile, eine ehrbare Lebensweise und ähnliche Künste des Friedens eine weitaus bedeutendere Auszeichnung für Städte seien.
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Fabularum Ovidii interpretatio VI
3 Haemus et Rhodope in montes. Nunc gelidos montes, mortalia corpora quondam, Nomina summorum sibi qui tribuere deorum. [VI,88 sq.]
Quo brevius ab autore explicantur hae fabulae, eò sunt obscuriores. Ex libello
60 tamen de piscibus , qui vulgò ascribitur Plutarcho, constat Haemum sibi
assumpsisse nomen Iovis ac suam sororem Rhodopen à se turpiter amatam nominasse Iunonem.6 Quod si poëta non loqueretur de duobus simul in montes conversis, arbitrarer hîc intelligi Rhodopen illam meretricem, quam Charaxus frater Sapphus amavit. Ea enim, teste Herodoto7, fuit Threitia; nec absurdè fingeretur 65 in rupem seu montem transformata propter pyramidem, quae ei post obitum, ut testatur Strabo8, ab amatoribus erecta est in Aegypto.
4 Pygmaea mater in gruem. Videtur haec, quaecunque fuit, pusilla et fastuosa fuisse (tales enim plerunque sunt superbiores caeteris, praesertim foeminae) ac propter brevitatem cor70 poris fuisse dicta Pygmaeorum mater. Sunt enim Pygmaei, quos Graeci à cubito sic vocant, adeo breves, ut ternos dodrantes non excedant. Nec fabulosum videri debet, homines nasci tàm pusillos. Vidit Italia nuper virum iusta aetate, non maiorem cubito, circumferri in cavea psytaci; cuius viri meminit in suis scriptis Hieronymus Cardanus.9 Figmentum verò de transformatione Pygmaeae matris in 75 gruem arbitror referendum ad insigne illius, cui fuit in matrimonium collocata. Infestantur et Pygmaei à gruibus, de quibus Iuvenalis haec scribit:
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Ad subitas Thracum volucres nubemque sonoram Pygmaeus parvis currit bellator in armis; Mox impar hosti raptusque per aëra curvis Unguibus à saeva fertur grue.10
6 Ps.-Plutarchus: De fluviis 11,3. 7 Herodotus 2,134–135. 8 Strabo 17,1,33. 9 Hieronymus Cardanus: De subtilitate (Paris 1550), Bl. 216r. 10 Iuvenalis 13,167–170.
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3 Haemus und Rhodope in Berge verwandelt Jetzt eisige Berge, einst Menschen, die sich die Namen der höchsten Götter beigelegt haben. [VI,88 f.]
Je knapper diese Sagen vom Verfasser abgehandelt werden, desto dunkler sind sie. Aus dem Buch über die Fische [!] aber, das gemeinhin Plutarch zugeschrieben wird, ist bekannt, daß Haemus sich den Namen Jupiters beigelegt und seine Schwester Rhodope, mit der ihn ein schändliches Liebesverhältnis verband, Juno genannt habe. Wenn daher der Dichter nicht davon spräche, daß die beiden gleichzeitig in Berge verwandelt worden seien, würde ich glauben, daß hier jene berüchtigte Hure Rhodope gemeint sei, die Charaxus, ein Bruder Sapphos, geliebt hat. Diese war nämlich, nach dem Zeugnis Herodots, Thrakerin. Die Sage, sie sei in einen Felsen oder einen Berg verwandelt worden, wäre auch gar nicht abseitig, im Hinblick auf die Pyramide, die ihr nach ihrem Tode, wie Strabo bezeugt, von Liebhabern in Ägypten errichtet worden ist.
4 Die pygmäische Mutter in einen Kranich verwandelt Es scheint, daß diese winzige Frau, wer auch immer sie war, auch ebenso hochfahrend gewesen ist. Solche Menschen sind nämlich meist überheblicher als alle anderen, besonders Frauen. Und so sei sie wegen der Kleinheit ihres Leibes ‚Mutter der Pygmäen‘ genannt worden. Die Pygmäen, welche die Griechen nach ihrem Wort für ‚Elle‘ (πυγμή) so benennen, sind nämlich dermaßen klein, daß sie über drei Spannen nicht hinauskommen. Es muß auch nicht märchenhaft erscheinen, daß so winzige Menschen geboren werden. Italien hat kürzlich erlebt, daß ein ausgewachsener Mann, der nicht größer war als eine Elle, in einem Papageienkäfig herumgetragen wurde. Diesen Mann erwähnt Hieronymus Cardanus in seinen Schriften. Die Mär aber von der Verwandlung der pygmäischen Mutter in einen Kranich ist, glaube ich, zu beziehen auf das Wappen jenes Mannes, mit dem sie verheiratet wurde. Die Pygmäen werden auch von den Kranichen angefeindet, von denen Juvenal folgendes schreibt: Beim plötzlichen Erscheinen der thrakischen Vögel und ihrer lärmenden Wolke eilt der pygmäische Krieger herbei, ausgestattet mit kleinen Waffen. Dem Feind unterlegen wird er alsbald durch die Lüfte entführt mit scharfen Krallen und von dem grausamen Kranich fortgetragen.
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Fabularum Ovidii interpretatio VI
Huc igitur alludit Ovidius, cum inquit: hanc Iuno victam certamine iussit Esse gruem populisque suis indicere bellum. [VI,91 sq.]
5 Antigone in ciconiam. 85 Simili ratione videtur Antigone fingi mutata in ciconiam, qua Pygmaea in gruem:
nempe propter insigne sui coniugis. Estque conveniens metamorphosis superbae et arrogantis foeminae in ciconiam. Haec enim avis, cum ab omni musica sit aliena, tamen ita superbit, ita placet sibi illo crepitu, quem rostro edit, ut applaudat alis. Versiculus hic quadrat in hominem de se arrogantius sentientem:
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Ipsa sibi plaudit crepitante ciconia rostro. [VI,97]
6 Iovis, Neptuni, Apollinis et Bacchi variae metamorphoses. Moeonis illusam designat imagine tauri Europam. [VI,103 sq.]
Supra expositae sunt aliquot in his fabulae, ut de Europa à tauro decepta
95 et de aureo imbre, quo Iuppiter Danaën elusit. Caeterae, quas Arachne intexit,
videntur partim referendae ad historiam, ut de Iove in Amphitryonem et Satyrum. Non est enim inusitatum, scortatores et adulteros mutato habitu ingredi absentium maritorum aedes; nec raro accidit, ut magni domini sumant personam Satyri, hoc est, rustici alicuius, ne agnoscantur in adulterio deprehensi. Partim 100 videntur referendae ad insignia principum, à quibus stupra puellis illata sunt, nam aquilae, olores, equi, leones, iuvenci, arietes et similia animalia sunt gentilicia principum et nobilium insignia, sicut omnibus notum est, partim etiam ad physiologiam pertinent, ut fabula de Iove,
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Hierauf spielt Ovid also an, wenn er sagt: Diese besiegte Juno im Wettstreit, hieß sie, ein Kranich zu sein und ihrem Volk den Krieg zu erklären. [VI,91 f.]
5 Antigone in einen Storch verwandelt Die Sage von der Verwandlung der Antigone in einen Storch scheint einen ähnlichen Anlaß gehabt zu haben wie die von der Verwandlung der Pygmäin in einen Kranich: nämlich das Wappen ihres Ehemannes. Die Verwandlung einer überheblichen und anmaßenden Frau in einen Storch ist auch angemessen. Obgleich dieser Vogel nämlich völlig unmusikalisch ist, brüstet er sich doch so, gefällt sich doch so mit jenem Klappern, das er mit dem Schnabel erzeugt, daß er sich mit den Flügeln Beifall spendet. Dieser Vers paßt zu Menschen mit einem anmaßenden Selbstbild: Der Storch spendet sich selbst Beifall beim Klappern seines Schnabels. [VI,97]
6 Die verschiedenen Verwandlungen von Jupiter, Neptun, Apollo und Bacchus Die Maeonerin bildet Europa ab, wie sie von dem Trugbild eines Stieres getäuscht wurde. [VI,103 f.]
Darüber hinaus werden in diesen Webarbeiten noch etliche Sagen dargestellt, z. B. die von Europa, die sich von einem Stier betören ließ, und die von dem Goldregen, mit dem Jupiter Danaë getäuscht hat. Das übrige, was Arachne gewebt hat, scheint zum Teil einen historischen Bezug zu haben, wie z. B. die Sage von der Verwandlung Jupiters in Amphitryon und in einen Satyr. Es ist nämlich nicht ungewöhnlich, daß Hurer und Ehebrecher verkleidet die Häuser abwesender Ehemänner betreten, und nicht selten kommt es vor, daß große Herren die Maske eines Satyrs, d. h. irgendeines Bauern, annehmen, um nicht erkannt zu werden, wenn sie beim Ehebruch ertappt wurden. Zum Teil scheint man [die Darstellungen Arachnes] auf die Wappen der Fürsten beziehen zu müssen, von denen die Mädchen geschändet wurden, denn Adler, Schwäne, Pferde, Löwen, Stiere, Widder und ähnliche Tiere sind Familienwappen von Fürsten und Adligen, wie jedermann bekannt ist. Zum Teil erstrecken sie sich auch auf die Naturkunde. So erzählt die Sage von Jupiter,
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ut Asopida luserit ignis, Mnemosynen pastor, varius Deoida serpens. [VI,113 sq.]
Nam videtur his subesse aliqua ratio physica, ac Iuppiter in ignem, pastorem et serpentem forte significat vim illam superiorum elementorum in haec inferiora agentem, qua omnia procreantur. Sed haec obscuriora transeamus, in quibus explicandis non oportet nos nimium esse supersticiosos, quia, ut inquit Martialis: 110
Turpe est difficiles habere nugas, Et stultus labor est ineptiarum.11
7 Mnemosyne mater Musarum. Μνημοσὺνη fingitur mater Musarum, quia memoria peperit artes. Ad hanc fabulam pertinent veteres illi versiculi: 115
Sophiam vocant me Graii, vos sapientiam, Usus me genuit, mater peperit memoria.12
8 Niobe in saxum. Memorabile exemplum fastus et superbiae. Niobe filia Tantali, uxor Amphionis, cum filios habeat sex, totidem filias, iis fortunae bonis insolens, arrogat sibi 120 honores divinos contemnitque Latonam, quae non nisi duorum mater sit, Apollinis ac Dianae. Ob hanc verò insolentiam maximis et acerbissimis malis punitur. Nam Deus, qui resistit elatis, totam ipsius familiam evertit: liberi subita morte intereunt, cuniunx mortem sibi consciscit, ipsa prae dolore in saxum convertitur. Hoc illustri exemplo admonemur, ut in omni fortuna meminerimus nos esse 125 homines neque ita divitiis, honoribus ac potentia inflemur, ut securi premamus alios. Sumus enim revera nihil aliud, ut inquit Sophocles13, nisi simulacra et umbrae quaedam. Quibus consideratis nemo fastuosum verbum emittat ausitque sic dicere:
11 Martialis 2,86,9–10. 12 L. Afranius, zit. bei Gellius: Noctes Atticae 13,8,3. 13 Sophocles: Aiax 125–126.
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wie er die Asopustochter als Feuer täuschte, Mnemosyne als Hirte, die Tochter der Deo als buntgescheckte Schlange. [VI,113 f.]
Denn es scheint so, als liege diesen Sagen irgendwie eine naturkundliche Lehre zugrunde. Demgemäß verweist die Verwandlung Jupiters in Feuer, in einen Hirten und in eine Schlange vielleicht auf jene Kraft, mit der die höheren Elemente auf diese niederen einwirken und durch die alles erschaffen wird. Doch wir wollen diese ziemlich dunklen Zusammenhänge, bei deren Darlegung wir für unseren Teil nicht allzu abergläubisch sein sollten, übergehen, denn wie Martial sagt: Geschmacklos ist es, läppische Inhalte stilistisch extravagant darzustellen, und töricht, auf Spielereien Mühe zu verwenden.
7 Mnemosyne Mutter der Musen Die Sage macht Mnemosyne zur Mutter der Musen, weil das Gedächtnis die Künste geboren hat. Auf diese Sage beziehen sich jene bekannten alten Verse: Die Griechen nennen mich ‚sophia‘, ihr ‚sapientia‘. Die Erfahrung hat mich gezeugt. Das Gedächtnis, meine Mutter, hat mich geboren.
8 Niobe in Stein verwandelt. Dies ist ein denkwürdiges Beispiel von Hochmut und Überheblichkeit. Niobe, Tochter des Tantalus und Ehefrau des Amphion, beansprucht, da sie sechs Söhne und ebenso viele Töchter hat, übermütig ob dieser Güter des Glücks, für sich Ehrungen, wie sie Göttern zukommen, und verachtet Latona, die Mutter von nur zwei Kindern sei, Apollos und Dianas. Wegen dieses Dünkels aber wird sie mit den größten und bittersten Leiden bestraft. Denn Gott, der sich denen widersetzt, die sich überheben, vernichtet ihre ganze Familie. Ihre Kinder sterben eines plötzlichen Todes, ihr Mann gibt sich selbst den Tod, und sie selbst verwandelt sich vor Schmerz in Stein. Mit diesem sinnfälligen Beispiel werden wir ermahnt, uns bei jedem Zustand des Glückes bewußt zu sein, daß wir Menschen sind, und uns aufgrund von Reichtum, Ehrentiteln und Macht nicht so aufzublasen, daß wir andere unbekümmert herabsetzen. Wir sind nämlich in Wahrheit, wie Sophokles sagt, nichts anderes als gewisse Traumbilder und Schatten. In Anbetracht dessen sollte niemand eine hochmütige Äußerung verlauten lassen und sich erkühnen, so zu reden:
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Maior sum, quàm cui possit Fortuna nocere. [VI,195] 130 In narratione huius fabulae observandi sunt tres loci, quorum primus docet iram
Dei placandam esse precibus, non augendam maledictis. Secundus, impios fieri obstinatiores, cum affliguntur. Tertius, non exaudiri illorum preces, qui et obstinatione quadam Deo adversantur. Sagittae Apollinis et Dianae, quibus liberi Niobes interficiuntur, celerem 135 mortem significant. Omnes enim morbo pestilentiali interierunt, ut Ioannes Tzetza scribit:
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Αὐθημερόν τε θνήσκουσι πάντα λοιμῷ τὰ τέκνα, Ἀπόλλωνα καὶ Ἄρτεμιν ἔφαν δὲ τούτους κτεῖναι. Ἡλίῳ γὰρ ἀνάκεινται ταῦτα καὶ τῇ σελήνῃ. Ἐκ τοῦ θερμοῦ γὰρ καὶ ὑγροῦ γίνεται τὰ λοιμώδη.14
Per saxum, in quod Niobe mutata, intelligitur vel immodicus dolor, quo ipsa diriguit, vel lapidea statua, quam orba liberis sibi erexit. Nam Palephatus refert statuam marmoream ab illa erectam fuisse ad monumentum defunctorum libe rorum.15 Pausanias16 verò et Scholiastes Homeri17 tradunt conspici in Sypilo 145 Phrygiae saxum prae se ferens lugentis formam et emanare inde fontem aquarum instar humanarum lacrymarum, idque saxum dedisse occasionem fabulae: quod etiam non est absonum fidei. Constat enim similem esse fontem in Samnitibus, humanas lacrymas repraesentantem, quem celebravit poëta Petrus Gravina elegantissimis his versibus: 150
155
Ubertim lacrymas stillat de rupe cadentes Fonticulus vitreis conspiciendus aquis, Quem bibit in Pentris Samnitibus incola vallis Tapinae, et sedat blandula lympha sitim. Tres olim hîc, fama est, viduae flevere puellae, Haec patrem, haec natum, tristior illa virum, Qui cum Romanis ducibus tunc fortibus armis Congressi pulchra morte obiere diem. O fons nate piis lacrymis et fletibus aucte, Testis et antiquae fons pietatis amor.18
14 Ioannes Tzetzes: Historiae (ed. Leone), Chil. 4. Hist. 141, V. 448–451. 15 Palaephatus: De incredibilibus (ed. Festa) 8(9). 16 Pausanias 1,21,3. 17 Vielmehr Scholion zu Sophocles, Electra 151, zit. in der Ausgabe von Otto Jahn (21872), S. 46 f. 18 Petrus Gravina: Poematum libri (Neapel 1532), Bl. 26v.
Auslegung der Metamorphosen Ovids VI
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Ich bin zu groß, als daß mir Fortuna noch schaden könnte. [VI,195]
In der Erzählung dieser Sage sind drei Gemeinplätze zu beachten. Deren erster lehrt, daß man den Zorn Gottes mit Gebeten zu besänftigen, nicht aber mit Lästerungen zu vergrößern habe. Der zweite, daß Frevler hartnäckiger werden, wenn sie Nackenschläge erfahren. Der dritte, daß die Gebete derer nicht erhört werden, die sich auch aus einem bestimmten Starrsinn Gott widersetzen. Die Pfeile Apollos und Dianas, von denen die Kinder der Niobe getötet werden, bedeuten einen schnellen Tod. Alle sind nämlich an der Pest zugrunde gegangen, wie Ioannes Tzetzes schreibt: Am selben Tag sterben alle Kinder an der Pest. Man sagte, Apollo und Diana hätten sie getötet. Man schreibt dies nämlich der Sonne und dem Mond zu. Aus dem Warmen und dem Kalten entstehen nämlich die Seuchen der Pest.
Unter dem Stein, in den Niobe verwandelt wurde, versteht man entweder den maßlosen Schmerz, durch den sie selbst erstarrte, oder ein steinernes Standbild, das die ihrer Kinder Beraubte sich errichtet hat. Palaephatus berichtet nämlich, daß von ihr bei dem Grabmal ihrer verstorbenen Kinder ein marmornes Standbild errichtet worden sei. Pausanias aber und der Ausleger Homers überliefern, daß in [dem Gebirge] Sipylus in Phrygien ein Fels zu sehen sei von der Gestalt eines Trauernden und daß ein Quell von Wasser, ganz wie menschliche Tränen, daraus hervorströme, und dieser Fels habe den Anlaß für die Sage geliefert. Auch dies ist nicht unglaubwürdig. Es ist nämlich bekannt, daß es einen ähnlichen Quell im Gebiet der Samniter gibt, der menschliche Tränen versinnbildlicht und den der Dichter Petrus Gravina mit diesen sehr geschmackvollen Versen verherrlicht hat: In reicher Fülle läßt Tränen von einer Felswand tropfen ein wegen seines glasklaren Wassers bemerkenswerter Quell, aus dem der Einwohner des Tapina-Tals bei den pentrischen Samnitern trinkt und mit dem schmeichlerischen Naß seinen Durst löscht. Es geht die Sage, daß hier einst drei verwaiste junge Frauen geweint hätten: eine um ihren Vater, eine um ihren Sohn und eine, besonders trauervoll, um ihren Mann. Diese hatten sich mit damals stark bewaffneten römischen Anführern auf einen Kampf eingelassen und waren eines rühmlichen Todes gestorben. O Quell, entstanden aus liebevollen Tränen und vergrößert durch Weinen, Quell, geliebter Zeuge zärtlicher Liebe zu Angehörigen im Altertum!
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Fabularum Ovidii interpretatio VI
9 Lycii in ranas.
Depinguntur hîc ingenia et mores rusticorum, qui in multis regionibus, ut in Anglia et Vasconia, adeò improbi sunt et maliciosi, ut nemini ullum humanitatis officium praestent, ne ipsi quidem Deo, si advenerit. Ea est autem natura rusticorum, ut, quò magis rogentur, eò insolentius et contumacius se gerant. Servat 165 igitur decorum poëta in eo, quòd fingit Lycios nulla obtestatione flecti eosque converti in ranas. Ut enim ranae in paludibus et limo, ita rustici in tabernis humore, saltu, altercatione et vociferatione gaudent ac sibi videntur perire siti, nisi in ipsis quasi doliis habitent.
10 Marsias excoriatus. 170 Marsias fuit poëta lyricus, quem Ovidius propterea, ut arbitror, appellat Satyrum,
quòd vel inconditos vel obscoenos versus scripserit. Hunc poëtae fabulantur cum Apolline tibiarum cantu certasse. Fuit enim insignis quoque musicus atque omnium primus tibiam modulatè inflavit. Cum vero ars tibiarum ab illo excitata haberi apud Graecos, praesertim Thebanos, in tanto honore ac precio coepisset, ut 175 à multitudine omnibus ferè liberalibus artibus anteferretur essetque propè honorificentius nomen tibicinis quàm aut poëtae aut oratoris, Athenienses, apud quos eloquentiae et sapientiae studia erant in admiratione, ad evellendam hanc opinionem finxerunt fabulam de Minerva tibiam abiiciente et de Apolline excoriante Marsiam, ut significarent artem canendi tibia esse illiberalem, nempe quae 180 homini deformitatem afferat osque et buccas inflet. Qua fabula motus Alcibiades, ut refert Plutarchus19, tibiae cantum aversatus est, tanquàm ingenuo homine indignum, dixitque: „Canant Thebanorum liberi; loqui enim nesciunt. Nobis autem Atheniensibus sinant absque invidia adesse et Minervam, quae tibiam abiecit, et Apollinem, qui tibicinem excoriavit.“ Quos Alcibiadis sermones partim ioco partim 185 seriò habitos ubi fama inter adolescentes dissipavit, cunctis sententiam eius probantibus, tantopere contempti sunt tibicines, ut communi consensu ex omni in-
19 Plutarchus: Vitae: Alcibiades 2,5.
Auslegung der Metamorphosen Ovids VI
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9 Die Lykier in Frösche verwandelt Hier werden die Geisteshaltungen und Gepflogenheiten von Bauern beschrieben, die in vielen Gegenden, z. B. in England und im Baskenland, derart niederträchtig und boshaft sind, daß sie niemandem irgendeinen Dienst der Menschlichkeit erweisen, nicht einmal Gott selbst, wenn er zu ihnen käme. Es ist aber die Wesensart der Bauern, daß sie, je mehr sie gebeten werden, sich um so unverschämter und störrischer aufführen. Der Dichter hält sich also an den Grundsatz der Angemessenheit mit seiner Erfindung, daß die Lykier sich durch kein Flehen erweichen lassen und in Frösche verwandelt werden. Wie nämlich die Frösche in Teichen und im Schlamm, so erfreuen sich die Bauern in Wirtshäusern am Naß, am Herumspringen, an Gezänk und Geschrei und meinen vor Durst zu vergehen, wenn sie nicht geradezu in Fässern hausen können.
10 Der abgehäutete Marsyas Marsyas war ein lyrischer Dichter, den Ovid darum, wie ich glaube, einen Satyr nennt, weil er entweder ungeschlachte oder unzüchtige Verse geschrieben hat. Von ihm fabeln die Dichter, daß er mit Apollo in einem Wettstreit im Spiel auf der Flöte gestanden habe. Er war nämlich auch ein ausgezeichneter Musiker und blies als allererster melodisch die Flöte. Als aber die von ihm aufgebrachte Kunst des Fötenspiels bei den Griechen, insbesondere bei den Thebanern, in so hoher Geltung und Wertschätzung zu stehen begonnen hatte, daß sie von einer Vielzahl von Menschen beinahe allen Freien Künsten vorgezogen wurde und das Renommee von Flötenspielern nahezu ehrenvoller war als das eines Dichters oder Redners, ersannen die Athener, bei denen die Fachrichtungen der Beredsamkeit und der Philosophie hohes Ansehen besaßen, zur Ausrottung jenes Vorurteils die Sage von der die Flöte wegwerfenden Minerva und dem den Marsyas abhäutenden Apollo, um damit deutlich zu machen, daß die Kunst des Fötenspiels eine unedle sei, nämlich eine, die den Menschen häßlich macht und Mund und Backen aufbläht. Aufgrund dieser Sage hegte Alkibiades, wie Plutarch berichtet, gegen das Flötenspiel, als eine eines freigeborenen Menschen unwürdige Kunst, einen Widerwillen und sagte: „Sollen die Freien der Thebaner es spielen, reden können sie ja nicht! Uns Athenern aber sollen sie neidlos zugestehen, daß uns zur Seite stehen Minerva, die die Flöte weggeworfen, und Apollo, der einen Flötenspieler abgehäutet hat.“ Sobald die Kunde von diesen teils im Scherz, teils im Ernst gesprochenen Worten des Alkibiades sich unter den jungen Männern verbreitet hatte, stimmten alle seiner Auffassung zu, und die Flötenspieler fielen so sehr der Verachtung anheim, daß mit allgemeiner Zustimmung Flöten aus jeder Versamm-
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Fabularum Ovidii interpretatio VI
genuorum coetu amoverentur tibiae. Meminit huius quoque fabulae Aristoteles 7. Politicorum20, ubi ait arte tibiarum impediri usum rationis. Itaque priscos in adolescentibus et liberis hominibus improbasse eius usum et finxisse Minervam, 190 cùm tibiam invenisset, eam abiecisse, et quanqàm oris deformitate offensam id fecisse illam non sit alienum dicere, tamen probabilius esse ob eam causam, quòd ad cognitionem animi ars tibiarum nihil pertineat, cum praesertim Minervae scientiam artemque attribuamus. Significatur etiam inerudita poëtica per fistulam à Pallade abiectam, qua Satyrus sese ostentat. Hanc enim à sapientibus spretam 195 Satyri, hoc est, versificatores leves et petulantes, amplectuntur. Porrò Q. Curtius scribit Marsiam, Phrygiae amnem, ex summo montis cacumine in subiectam petram cadere magno strepitu aquarum et inde diffusum placido labi cursu, eamque esse causam, cur poëtae fingant Marsiam fuisse tibicinem et excoriatum delicuisse in aquas.21 Nam ille strepitus est quasi concentus, 200 et subita aquae mutatio efficit, ut amnis fracto impetu tanquàm detracta cute induat alium colorem fiatque nitidissimus.
11 Pelopis humerus in eburneum. ebur ostendisse sinistro. [VI,405]
Pelopem Tantali filium arbitror insigni atque atroci aliqua iniuria afflictum et
205 laceratum fuisse à patre, eamque esse causam, cur poëtae fingant illum patriis
manibus dissectum et appositum fuisse diis epulandum. Multis verò ingentibus beneficiis Deum levasse iniuriam innocenti factam, videlicet magnitudine opum, celebritate nominis ac potentia. Ebur enim divitias et humerus vires seu potentiam significat. Hinc apud Homerum omnia magni precii fìnguntur 210 vel eburnea vel aurea. Et fuisse Pelopem opibus affluentem indicat proverbium ‚Pelopis talenta‘, quod de immensis opibus dici solet. Adhaec eundem magni nominis et praepotentem fuisse testatur Peloponnesus ab eo subacta et cognominata, ubi ipse aurifodinas reperit, quibus ita ditatus est.
20 Aristoteles: Politica 8,6,8, 1341b5–10. 21 Curtius: Historiae Alexandri Magni 3,1,2–4.
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lung von Freigeborenen verbannt wurden. Diese Sage erwähnt auch Aristoteles im siebenten Buch der ‚Politik‘, wo er sagt, daß durch die Flötenkunst der Gebrauch der Vernunft behindert werde. Deshalb hätten die Altvorderen ihre Ausübung bei Jünglingen und freien Menschen getadelt und die Sage aufgebracht, daß Minerva die Flöte, als sie sie erfunden hatte, weggeworfen habe. Und wenn es auch nicht abwegig sei, zu sagen, sie habe dies getan, weil sie abgestoßen gewesen sei von der Entstellung des Gesichtsausdrucks, sei ein wahrscheinlicherer Grund hierfür doch der, daß die Kunst des Flötenspiels zur Schulung des Geistes nichts beiträgt, da wir Wissenschaft und Kunst besonders der Minerva zuschreiben. Die von Pallas weggeworfene Flöte, mit der der Satyr sich brüstet, bedeutet auch ungebildetes Dichten. Für jene von den Weisen verachtete Flöte haben nämlich die Satyrn, d. h. windige und leichtfertige Verseschmiede, eine Vorliebe. Ferner schreibt Q. Curtius, der Fluß Marsyas in Phrygien stürze vom höchsten Gipfel eines Berges auf einen darunter gelegenen Fels, mit großem Getöse der Wassermassen, ergieße sich von dort und gleite in sanftem Lauf dahin, und dies sei der Grund, weshalb die Dichter erdacht hätten, Marsyas sei ein Flötenspieler gewesen und habe sich, als er abgehäutet worden sei, in Wasser aufgelöst. Denn jenes Getöse ist gleichsam eine Musik, und die plötzliche Verwandlung in Wasser bewirkt, daß der Fluß, nachdem seine Gewalt gebrochen ist, gleichsam nach Abziehen seiner Haut eine andere Farbe annimmt und ganz hell und klar wird.
11 Des Pelops Schulter in eine elfenbeinerne verwandelt […] habe das Elfenbein an seiner linken Schulter gezeigt. [VI,405]
Ich glaube, daß Pelops, des Tantalus Sohn, von seinem Vater durch irgendeine unerhörte und schreckliche Gewalttat mißhandelt und verstümmelt wurde und dies der Grund ist, weshalb die Dichter vorgeben, er sei von den Händen seines Vaters zerlegt und den Göttern zum Essen vorgelegt worden. Gott aber habe die dem Unschuldigen angetane Gewalttat mit einer Vielzahl ungeheurer Wohltaten ausgeglichen, nämlich durch großen Reichtum, durch einen berühmten Namen und durch Macht. Das Elfenbein bedeutet nämlich Wohlstand, die Schulter Kraft oder Macht. Deshalb ist in Homers Geschichten alles, was großen Wert hat, entweder aus Elfenbein oder aus Gold. Und daß Pelops Reichtum im Überfluß besaß, zeigt das Sprichwort ‚Talente des Pelops‘ an, das bei unermeßlichem Reichtum angeführt zu werden pflegt. Zudem bezeugt der von ihm unterworfene und mit seinem Namen belegte Peloponnes, daß er von großer Berühmtheit und sehr mächtig war; dort machte er selbst die Goldvorkommen ausfindig, durch die er so reich wurde.
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Fabularum Ovidii interpretatio VI
12 Tereus rex Thracum in upupam. 215 Terei et Prognes fabula docet cohibendos esse effrenatos animi affectus, quibus
homines ad immanitatem compelluntur. Impetus autem Venereus et ulciscendi cupiditas reddunt homines insigniter immanes. Quid enim tam immane, quàm uxoris sorori linguam praecidere, illato prius stupro, aut matrem suos liberos discerpere et apponere epulandos? Ac tyrannus libidinum sordibus inquinatus rectè fìngitur in upupam commu220 tatus. Nihil est enim hac ave foedius, nihil inquinatius, quae nusquàm libentius commoratur quàm in stercoribus. Adhaec longo et acuto rostro upupa tanquàm cuspide armata exercet tyrannidem in aviculas habetque cristam plicabilem, quae, cùm erigitur per longitudinem capitis, refert similitudinem diadematis 225 regii. Extat Ioannis Antonii Campani epigramma de upupa non inelegans, quod est eiusmodi: Rex fueram: sic crista probat; sed sordida vita Immundam è tanto culmine fecit avem.22
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13 Progne in hirundinem et Philomela in lusciniam. Non satis liquet ex fabula, in quasnam aves hae sorores mutatae fuerint. Servius interpres Virgilianus scribit Prognen in aëdona, hoc est, in lusciniam, et Philomelam in chelidona sive hirundinem fuisse mutatam23, cuius opinioni suffragatur Ovidius in epistola Sapphus, ubi inquit:
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Sola virum non ulta piè moestissima mater Concinit Ismarium Daulias ales Ityn.24
Hîc enim loquitur de Progne, neque hirundine, quae non gaudet sylvis, sed tectis. Virgilius tamen quarto Georg. refert Prognen in hirundinem esse conversam: Et manibus Progne pectus signata cruentis.25
22 Ioannes Antonius Campanus: Opera omnia. Rom 1495, Epigrammatum lib. 5, Bl. D4v (Uppupa). 23 Servius: Comment. in Vergil. Georg. 4,15. 24 Ovidius: Her. 15 (Sappho Phaoni),153–154. 25 Vergilius, Georg. 4,15
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12 Tereus, der König der Thraker, in einen Wiedehopf verwandelt Die Sage von Tereus und Progne lehrt, daß zügellosen Leidenschaften, von denen Menschen zur Bestialität getrieben werden, Einhalt geboten werden muß. Der Geschlechtstrieb aber und Rachbegierde machen Menschen ganz besonders bestialisch. Was nämlich könnte so bestialisch sein, wie der Schwester seiner Frau die Zunge herauszuschneiden, nachdem man sie vergewaltigt hat, oder wie eine Mutter, die ihre Kinder zerstückelt und sie als Speise vorsetzt? Der vom Unflat seiner Lüste beschmutzte Tyrann nun wird der Sage nach zu Recht in einen Wiedehopf verwandelt. Nichts ist nämlich garstiger, nichts schmutziger als dieser Vogel, der sich nirgendwo lieber aufhält als im Mist. Zudem verübt der mit einem langen und spitzen Schnabel wie mit einer Schwertspitze bewehrte Wiedehopf eine Tyrannei gegen kleine Vögel und hat einen zusammenfaltbaren Kamm, der, wenn er sich über die Länge des Kopfes hin aufrichtet, der Krone eines Königs ähnlich sieht. Von Johann Antonius Campanus gibt es ein sehr geschmackvolles Epigramm über den Wiedehopf, das folgendermaßen lautet: Ich war ein König: so beweist es der Kamm. Doch ein unflätiges Leben hat aus einem so hohen Rang an der Spitze einen unreinen Vogel gemacht.
13 Progne in eine Schwalbe und Philomela in eine Nachtigall verwandelt Aus der Sage geht nicht hinreichend klar hervor, in welche Vögel denn diese Schwestern verwandelt wurden. Servius, der Vergil-Ausleger, schreibt, Progne sei in eine ‚aëdon‘ (‚Sängerin‘), d. h. in eine Nachtigall, und Philomela in eine ‚chelidon‘ bzw. Schwalbe verwandelt worden. Dessen Meinung stimmt Ovid im Brief der Sappho bei, wo er sagt: Allein die tiefbetrübte Mutter, die sich frevelhaft an ihrem Mann gerächt hat, besiegt als daulischer Vogel den Thraker Itys.
Hier spricht er nämlich von Progne, und zwar nicht von einer Schwalbe, die sich nicht an Wäldern, sondern an Dächern erfreut. Vergil aber berichtet im vierten Buch der Georgica, daß Progne in eine Schwalbe verwandelt worden sei: […] und Progne, die Brust von blutigen Händen gezeichnet.
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240 Estque verisimilius Philomelam in lusciniam fuisse mutatam. Luscinia enim inter
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canendum crebrò edit has voces: Τηρεὺς γλῶτταν, quibus vocibus videtur quasi conqueri de Tereo, quòd amputarit linguam. Adhaec nomen quoque ipsum convenit. Philomela enim significat amabilem, neque ullius aviculae musica est amabilior quàm lusciniae. Eius sonus (ut inquit Plinius26) perfecta musicae scientia modulatus nunc continuo spiritu trahitur in longum, nunc variatur inflexo, nunc distinguitur conciso, copulatur intorto, revocatur et infuscatur inopinato, interdum et secum murmurat, plenus, gravis, acutus, creber, extentus, ubi visum est, vibrans, summus, medius, imus; breviterque in tàm parvulis faucibus omnia sunt, quae tot instrumentis ars hominum excogitavit. Porrò hoc loco observandum est, quod Laurentius Valla de voluptate lib. 3. refert27: Poëtas finxisse has duas aves sorores fuisse, Pandionis regis filias, quòd viderentur cantus praestantia penè germanae, et has duas intellexisse oratoriam et poëticam, quae propè sorores sint; atque ut hanc similitudinem cantus, ita illam discrepantiam autores fabulae secutos esse, quòd in altera sit mira libido tecta et urbes incolendi, in altera arbusta et sylvas, significantes hirundinem similem esse urbanae eloquentiae et illis, qui in domibus, in senatu, in foro suam facundiam exercent, Philomelam verò similem eloquentiae nemorali et poëtarum, qui sylvas et solitudines et loca non ab hominibus, sed à Musis et à diis celebrata, amant et materias à forensibus controversiis remotissimas tractant. Itaque quantum Philomela in cantando vocalitate, vi, motu, scientia, varietate, suavitate hirundini praestat, tantum poëticam vocem oratoriae praestare.
26 Plinius: Nat. hist. 10,81–82. 27 Laurentius Valla: De voluptate (ed. Schenkel) 3,27,3–4 (S. 378–380).
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Es ist auch wahrscheinlicher, daß Philomela in eine Nachtigall verwandelt wurde. Die Nachtigall stößt nämlich bei ihrem Singen häufig die Wörter Τηρεὺς γλῶτταν aus, mit denen sie sich gleichsam über Tereus zu beklagen scheint, weil er ihr die Zunge abgeschnitten habe. Zudem paßt auch der Name selbst. Philomela bedeutet nämlich ‚liebenswert‘, und keines Vögelchens Musik ist liebenswerter als die der Nachtigall. Ihr, wie Plinius sagt, von vollendeter Kenntnis der Musik zeugender melodischer Gesang zieht sich bald in einem fortlaufenden Atemzug in die Länge, bald wird er durch Modulation abgewandelt, bald durch Unterbrechungen gegliedert, bald durch Rouladen verbunden, durch Zurückhalten des Atems gedehnt, unvermutet gedämpft; zuweilen zwitschert sie mit sich selbst, die Stimme voll, tief, scharf, überstürzt, gedehnt, nach Belieben in hoher, mittlerer und tiefer Tonlage trillernd. Kurz, in einer so kleinen Kehle steckt alles, was die Kunst der Menschen mit so vielen Instrumenten erdacht hat. Des weiteren ist an dieser Stelle zu beachten, was Laurentius Valla in Buch 3 von ‚De voluptate‘ (‚Über die Wollust‘) mitteilt: Die Dichter hätten sich ausgedacht, daß diese beiden Vögel Schwestern gewesen seien, Töchter des Königs Pandion, weil sie wegen der Vortrefflichkeit ihres Gesangs schlechthin blutsverwandt schienen, und unter diesen beiden hätten sie die Redekunst und die Poesie verstanden, die nahezu Schwestern seien. Und ebenso wie von dieser Ähnlichkeit des Gesangs hätten die Urheber der Sage sich von jenem Kontrast leiten lassen, insofern der einen ein auffallendes Verlangen nach dem Bewohnen von Häusern und Städten zu eigen ist, der anderen aber eines nach dem Bewohnen von Baumgärten und Wäldern. Hiermit deuten sie an, daß die Schwalbe Ähnlichkeit hat mit der städtischen Beredsamkeit und denjenigen, die in Häusern, im Rat, vor Gericht ihre Redegewandtheit zur Geltung bringen, die Nachtigall aber mit der Beredsamkeit der Haine und der Dichter, die Wälder und Einöden und solche Orte lieben, welche nicht von Menschen, sondern von den Musen und von Göttern häufig aufgesucht würden, und die Stoffe lieben, die von gerichtlichen Streitigkeiten sehr weit entfernt liegen. In dem Maße also, in dem die Nachtigall die Schwalbe übertreffe durch den Wohlklang, die Kraft, die Leidenschaft, die Kunstfertigkeit, die Vielseitigkeit und die Lieblichkeit ihres Gesangs, in demselben Maße übertreffe die Dichtersprache die Sprache des Redners.
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14 Orithyia à Borea rapta. Dilectaque diu caruit deus Orythyïa. [VI,683] 265 Socrates apud Platonem in Phaedro refert28 Orithyïam, Erechtei fìliam, è quadam
petra ad Ilissum amnem vento deiectam atque ita mortuam essse; hinc et fingi à Borea, Strymonis filio, raptam esse, et poëtas hominis raptum transtulisse ad ventum propter similitudinem nominis. Horum opinioni subscribit Ovidius in epistola Paridis ad Helenam, cum inquit:
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Nomine ceperunt Aquilonis Erechtida Thraces.29
28 Plato: Phaedrus 229c/d. 29 Ovidius: Her. 16 (Paris Helenae),345.
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14 Orithyia von Boreas geraubt Lange entbehrte der Gott seine geliebte Orithyia. [VI,683]
Sokrates erzählt bei Plato im Phaedrus, Orithyia, die Tochter des Erechtheus, sei von einem bestimmten Felsen beim Fluß Ilissus durch den Wind herabgeworfen worden und so zu Tode gekommen. Deshalb werde erdichtet, sie sei von Boreas, des Strymon Sohn, geraubt worden und die Dichter hätten den von einem Menschen ausgeführten Raub auf den Wind übertragen wegen der Ähnlichkeit des Namens. Deren Meinung pflichtet Ovid bei in dem Brief des Paris an Helena, wenn er sagt: Im Namen des Aquilo [= Boreas] raubten die Thraker die Tochter des Erechtheus.
In librum septimum. v
1 Allegoria Harpyiarum. Triplex est genus hominum, à quibus reges ac principes miserè vexantur. Primi generis sunt adulatores seu assentatores, qui blandiendo et mentiendo illorum 5 animos occupant et quasi excaecant. Secundi sunt delatores seu calumniatores, quorum tanta est improbitas, ut fidissimos quosque et de repub optimè merentes illis invisos reddant. Tertii verò generis sunt foeneratores, qui oppida, vectigalia et portoria illorum tenent oppignorata. Hoc triplex hominum genus per tres illas Harpyias intelligitur, quas poëtae fingunt insidere mensae Phinei oculis 10 capti et inquinare omnia ipsasque dapes praeripere misero et calamitoso regi. Tales enim homines inquinant reges ac principes oculis animi captos eorumque facultates et alimenta ad se rapiunt. Alphonsus rex Neapolitanus facta Harpyiarum mentione fertur ioco dixisse, illas non amplius habitare in insulis Strophadibus, sed illinc commigrasse in 15 curiam Romanam ibique domicilium iam constituisse: quo ioco sapientissimus rex taxavit inexplebilem avariciam et rapacitatem Romanorum sacerdotum.
2 Calais et Zetes pennati. iuvenesque Aquilone creati. [VII,3]
Vestes manicatae, quibus Thessali per luxum usi sunt, proverbiali ioco Thessa-
20 lorum alae dicebantur. Erant et olim in usu vestes, quas plumarias seu plumati-
les vocabant propter diversitatem colorum, qualis in collo columbarum apparet. Propter eiusmodi igitur vestes vel manicatas vel plumarias arbitror Calain et Zeten fingi alatos seu pennatos, quanquàm mihi etiam non displicet expositio
DOI 10.1515/9783110620283-010
Zum siebenten Buch 1 Allegorie der Harpyien Drei Gruppen von Menschen sind es, von denen Könige und Fürsten elendiglich heimgesucht werden. Die erste Gruppe bilden die Speichellecker oder Jasager, die mit Schmeicheln und Lügen deren Geist in Besitz nehmen und und gleichsam blenden. Die zweite Gruppe sind die Denunzianten oder Verleumder, deren Verruchtheit von so großem Ausmaß ist, daß sie gerade die loyalsten und um den Staat besonders verdienten Menschen bei jenen verhaßt machen. Die dritte Gruppe aber bilden die Wucherer, die die Städte, die Steuereinnahmen und Zölle jener Herrscher als Pfänder in der Hand halten. Diese drei Menschengruppen sind unter jenen drei Harpyien zu verstehen, die den Erfindungen der Dichter zufolge am Tisch des seiner Augen beraubten Phineus sitzen und alles beschmutzen, ja dem elenden und von größtem Unglück heimgesuchten Könige selbst die Speisen vor dem Mund entreißen. Solche Menschen beschmutzen nämlich die der Augen ihres Geistes beraubten Könige und Fürsten und raffen deren Vermögen und Subsistenzmittel an sich. König Alfons von Neapel soll, als einmal die Rede auf die Harpyien kam, im Scherz gesagt haben, daß diese nicht länger auf der Inselgruppe der Strophaden zu Hause seien, sondern von dort eingewandert seien in die römische Kurie und hier schon ihren Wohnsitz aufgeschlagen hätten – mit welchem Scherz der überaus weise König die unbeschreibliche Habsucht und Raffgier der römischen Priester einer scharfen Kritik unterzog.
2 Calaïs und Zetes, die geflügelten Jünglinge […] und die vom Nordwind gezeugten Jünglinge. [VII,3]
Die langärmligen Gewänder, welche die Thessalier üppig in Gebrauch hatten, wurden in einer scherzhaften Redensart ‚die Flügel der Thessalier‘ genannt. Einstmals waren auch Gewänder in Gebrauch, die man als flaumartige oder nach dem Muster von Flaumfedern gewirkte bezeichnete, wegen der schillernden Färbung, wie sie am Hals von Tauben auftritt. Ich glaube, daß demnach wegen derartiger Gewänder, seien es langärmlige oder flaumartige, Calaïs und Zetes von der Sage als geflügelt oder gefiedert ausgegeben werden, obgleich mir auch die Auslegung
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Fabularum Ovidii interpretatio VII
Tzetzae Graeci, qui putat illos ideò fingi alatos, quòd insigniter comati fuerint, 25 adeò ut humeri capillis quasi alis tegerentur:
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Βορέας Θρᾷξ ἐξ Ἀθηνῶν Ὠρείθυιαν ἁρπάξας, Ζήτην γεννᾷ καὶ Κάλαϊν, εἰσάγαν ἁβροκόμας, Καὶ τὸν Ἀβεσαλὼμ αὐτὸν εἰς τρίχωσιν νικῶντας, Οὕσπερ καὶ πέτεσθαι θριξὶν ἔφασαν μυθογράφοι, Ὡς ἐπῃρμένους ταῖς θριξὶν αὐτῶν καὶ γαυρουμένους.1
3 Expeditio in Colchos. Contigerant rapidas limosi Phasidis undas. [VII,6]
Argonautarum expeditio in Colchos admonet generosos animos, ut ad gloriam excitentur eamque magnis et illustribus rebus gerendis quaerant. Hinc 35 Valerius Flaccus eleganter in suis Argonauticis fingit ipsam gloriam Phasidis in ripa stantem iuvenesque vocantem.2
Ferunt Carolum Ducem Burgundiae mirificè delectatum fuisse Iasonis fabula, eiusque exemplo incensum flagrasse cupiditate maximarum rerum gerendarum, ideoque instituisse societatem, cuius symbolum esset aureum vellus. Quae socie40 tas inter Carolum V. Imperatorem et principes heroica virtute praestantes adhuc servatur.
4 Medeae amores. Inter figuras sententiarum apud Ciceronem3 numeratur disputatio, qualis est haec, qua Medea incensa amore Iasonis hîc deliberat et secum quasi colloqui45 tur, disputans, quid amor, quid ratio suadeat. In qua disputatione illud inprimis observandum est, quòd inquit: video meliora proboque; Deteriora sequor. [VII,20 sq.]
1 Ioannes Tzetzes: Historiae (ed. Leone), Chil. 1. Hist. 7, V. 212–216; der Hinweis auf Absalon nach II Sam 14,26. 2 Valerius Flaccus: Argonautica 1,78. 3 Wohl eher bei Quintilianus: Instit. orat. 9,2. Vgl. auch Auctor ad Herennium 4,11–14.
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des Griechen Tzetzes nicht mißfällt, der meint, jene würden deshalb als geflügelt ausgegeben, weil sie einen auffallend vollen Haarwuchs hatten, derart, daß ihre Schultern von den Haaren, gleichsam Flügeln, bedeckt waren: Als Boreas, der Thraker, Orithya aus Athen geraubt hatte, zeugte er Zetes und Calaïs, die sich durch einen prachtvollen Haarschopf auszeichneten und mit der Dichte ihrer Haare selbst Absalon übertrafen. Die Schreiber von Sagen erzählten, daß sie durch ihre Haare flögen, gewissermaßen erhoben durch ihre Haare und sich mit ihnen hervortuend.
3 Der Zug nach Kolchis […] waren sie gelangt zu den reißenden Wellen des schlammigen Phasis. [VII,6]
Der Zug der Argonauten nach Kolchis ermahnt hochgesinnte Geister, daß sie zu einer ruhmvollen Stellung aufgerufen sind und diese bei großen und glanzvollen Unternehmungen zu erlangen suchen sollen. Deshalb verwendet Valerius Flaccus in seinen Argonautica das fein ersonnene Bild, daß der Ruhm selbst am Ufer des Phasis steht und die Jünglinge ruft.
Man berichtet, daß Herzog Karl von Burgund an der Sage von Jason ganz ungewöhnliches Gefallen gefunden habe und, durch dessen Beispiel entflammt, von glühender Begierde nach größten Unternehmungen erfüllt gewesen sei; und deshalb habe er eine Gemeinschaft gegründet, deren Kennzeichen ein goldenes Vlies war. Diese Gemeinschaft besteht zwischen Kaiser Karl V. und Fürsten, die durch heldenhafte Tüchtigkeit herausragen, bis heute fort.
4 Die Liebe Medeas Unter den Gedankenfiguren bei Cicero wird eine Erörterung aufgeführt, wie die ist, in der Medea, entbrannt in Liebe zu Jason, hier hin und her überlegt und sich gleichsam mit sich selbst unterredet und erörtert, was die Liebe und was die Vernunft anrät. In dieser Erörterung ist vor allem zu beachten, daß sie sagt: Ich sehe das Bessere und heiße es gut, dem Schlechteren folge ich. [VII,20 f.]
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Sic enim plerunque solet accidere, ut indulgentes affectibus consilium deterius sequamur. Magna autem vis est affectuum, praesertim amoris; nullus enim affectus rationi minus obtemperat. Itaque fingitur animus Medeae tàm variis cogitationibus distrahi. Primum quidem disputat ac fatetur non esse honestum, ut ipsa sit magis propensa erga exterum quàm erga parentem. Sed huic argumento opponit contrarium, videlicet se non posse non favere Iasoni propter egregias ipsius dotes, propter aetatem, genus, virtutem et formam, seque vocat immaniorem omni bellua, si his dotibus nihil moveatur. Deinde argumentatur à necessario: illum miserè periturum, nisi adiuvetur. Quod argumentum ratio refutat ab honesto: etiamsi ille amari mereatur, tamen propterea nihil sceleratè faciendum contra patriam; item ab eventu: esse incertum, qualem ille gratiam sit relaturus ei pro tanto beneficio; et ab itineris periculo: esse difficilem ac periculosam navigationem ex Colchis in Graeciam. Quae argumenta refelluntur hoc modo: sed non apparere eum fore ingratum; item amplexum eius amoturum esse omnem periculi metum. Haec est summa disputationis, quae periphrasi explicari possit vel hoc modo: ‚Nescio, quis motus rationi non obtemperans verset animum meum. Certè, quantum intelligo, amor est. Cur enim parentis iussa mihi displicent? cur Iasoni metuo? Atqui castae mentis est resistere amori. Fateor; sed qui possum? Equidem luctor mecum atque invita huic perturbationi animi succumbo. Aliud enim amor, aliud ratio suadet. Ac quanquàm non ignoro affectum amoris esse pessimum consultorem, tamen illi obtemperare cogor. Verum si obtemperandum est amori, cur regis fìlia exterum atque ignotum amo? siquidem haec quoque terra habet praestantes viros, coniugio meo non indignos. Quid ergò de illo sollicita sum? quidve mea refert, sive vivat, sive intereat? Nihil quidem, sed tamen, quia iuvenis est nobilitate generis, virtute et forma praestans, malim eum vivere quàm interire. Illud quidem licet, vel absque infamia amoris. At non votis tantum, sed factis conservanda est illius vita, alioqui miserè interibit. Ergò cùm praeter me nemo illi subvenire possit, ero immanior omni bellua, ero omni saxo
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So pflegt es nämlich meistens zu geschehen: daß Menschen, die ihren Affekten nachgeben, dem schlechteren Ratschluß folgen. Groß ist aber die Gewalt der Affekte, besonders der Liebe. Kein Affekt nämlich gehorcht weniger der Vernunft. Daher die Erfindung, daß Medeas Denken von so verschiedenen Überlegungen zerrissen wird. Zuerst erwägt sie zwar und gesteht ein, daß es für sie selbst nicht ehrbar sei, einem Ausländer stärker zugetan zu sein als dem Vater. Doch diesem Argument stellt sie ein entgegengesetztes gegenüber: nämlich sie könne gar nicht anders, als Jason gewogen zu sein wegen seiner vortrefflichen Gaben, wegen seiner Jugend, seiner Abstammung, seines Heldentums und seiner Schönheit, und sie nennt sich grausamer als jedes Untier für den Fall, daß sie von diesen Gaben überhaupt nicht gerührt werden würde. Sodann argumentiert sie vom Notwendigen her: jener werde elend zugrunde gehen, wenn ihm nicht geholfen würde. Dieses Argument weist die Vernunft vom Ehrbaren her zurück: auch wenn jener es verdiene, geliebt zu werden, dürfe man deshalb doch nichts Frevelhaftes gegen das Vaterland tun; ebenso vom Ergebnis her: es sei unsicher, wie er ihr so große Wohltat danken werde; von der Gefahr der Reise her: die Schiffsreise von Kolchis nach Griechenland sei schwierig und gefährlich. Diese Argumente werden folgendermaßen widerlegt: Es habe aber nicht den Anschein, daß er undankbar sein werde; desgleichen so: seine Umarmung werde alle Furcht vor einer Gefaht beseitigen. Dies ist der wesentliche Inhalt der Erörterung, die in einer Umschreibung z. B. so dargelegt werden könnte: ‚Ich weiß nicht, welche der Vernunft nicht gehorchende Gemütsbewegung es ist, die mein Herz in Unruhe versetzt. Soweit ich es verstehe, ist es gewiß Liebe. Denn warum mißfallen mir die Weisungen meines Vaters? Warum fürchte ich für Jason? Allerdings geziemt es sich für einen keuschen Sinn, der Liebe zu widerstehen. Das gebe ich zu. Doch wie könnte ich es? Wohl kämpfe ich mit mir und ergebe mich gegen meinen Willen in diese Störung meiner Gemütsruhe. Denn eines rät die Liebe an, ein anderes die Vernunft. Und obwohl ich sehr wohl weiß, daß die Leidenschaft der Liebe ein sehr schlechter Ratgeber ist, bin ich doch gezwungen, ihm zu gehorchen. Wenn aber der Liebe gehorcht werden muß, warum liebe ich, des Königs Tochter, einen Fremden und Unbekannten? Zumal ja auch dieses Land herausragende, einer ehelichen Verbindung mit mir nicht unwürdige Männer hat! Weshalb also bin ich jenes Mannes wegen in Unruhe? Oder was geht es mich an, ob er lebt, ob er zugrunde geht? Zwar überhaupt nichts – aber dennoch: weil er ein junger Mann von edler Abkunft ist, herausragend durch sein Heldentum, seine Schönheit, möchte ich lieber, daß er lebt, als daß er zugrunde geht. Dies ist allerdings statthaft und frei von dem Makel einer Liebschaft. Doch sein Leben kann nicht allein durch Wünsche, sondern muß durch Taten erhalten werden; sonst wird er elendiglich zugrunde gehen. Da also außer mir niemand ihm zu Hilfe kommen könnte, werde ich grau-
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et ferro durior, nisi innocentis vitam conservavero. Sed dum illi consulo, patriam prodo. Egone admittam hoc nefarium scelus? Quid? quod incertum est, qualem gratiam ipse mihi relaturus sit pro beneficio. Fortè salvus et incolumis discedet me relicta aliamque ducet uxorem. Id si ita eventurum esset, tum mallem profecto illum iamiam interire. Sed ingenuus vultus, generosus animus et excellens illius forma mihi persuadent ac pollicentur, illum fore nihil minus quàm ingratum. Quin etiam obligabitur iureiurando, priusquàm à me iuvetur, quamvis alioqui servaturus sit fidem, utpote summo beneficio devinctus. Sed quid mecum diu disputo? Metuo, quae non sunt metuenda. Ille me legitimo matrimonio sibi iunctam adducturus est in Graeciam, ubi ero celebris et honorata. Ergò discedens deseram ego patriam et parentem? Quid tum? Pater enim est asper, durus et immanis, et patria est barbara. Hanc mutabo meliore et cultiore terra, magnam nominis celebritatem consequutura apud humanissimas gentes, hac nimirum laude, quòd ipsa Graecorum salutem patriae et parenti anteferre non dubitarim. Quodque adhuc pluris facio: habitura sum talem maritum, quem cum omnibus opibus et regnis non commutarim. Sed navigatio subeunda deterret me. Audio enim in mari esse monstra nescio quae. Ego verò nihil moror pericula, quaecunque mihi subeunda sunt. Ero enim in complexu et gremio ipsius Iasonis secura etc.‘ Porrò in fine huius disputationis apud Ovidium duo adhuc observanda sunt: Alterum, quòd ait: speciosaque nomina culpae Imponis, Medea, tuae? [VII,69 sq.]
Nam plerunque fìt, ut sceleratè factis honesti et speciosi tituli praetendantur. Alterum, quòd fingitur ratio quidem vincere affectus, sed oculorum sensus dare rursus vires affectibus:
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samer sein als jedes Untier, härter als jeder Stein und Stahl, wenn ich das Leben des Unschuldigen nicht erhalten werde. Doch indem ich ihm Rat schaffe, verrate ich das Vaterland. Kann ich meinerseits diesen gottlosen Frevel begehen? Ja mehr noch: es ist unsicher, wie er mir meine Wohltat danken wird! Vielleicht wird er heil und unversehrt abreisen und mich zurücklassen und eine andere Frau heiraten. Falls dies eines Tages so geschehen sollte, wäre mir wahrlich lieber, wenn er jetzt gleich zugrunde ginge. Doch seine aufrichtige Miene, sein edler Sinn und seine glänzende Schönheit lassen mich glauben und verheißen mir, daß er nichts weniger als undankbar sein werde. Ja er wird sogar durch einen Eid verpflichtet werden, bevor er von mir Hilfe bekommt, obwohl er auch ohne dies seine Zusage einhalten wird, verpflichtet nämlich durch höchste Wohltat. Doch wozu stelle ich mit mir selbst lange Erörterungen an? Ich befürchte, was nicht zu befürchten steht. Er wird sich mit mir in rechtmäßiger Heirat verbinden und mich nach Griechenland mitnehmen, wo ich berühmt und geehrt sein werde. Also werde ich abreisen und Vaterland und Vater im Stich lassen? Ja und? Mein Vater ist ja rauh, hart und grausam, mein Vaterland barbarisch. Dies werde ich eintauschen gegen ein besseres und kultivierteres Land, werde den Ruhm eines großen Namens erlangen bei Völkern von feinster Bildung, und dies zweifellos mit derartiger Anerkennung, daß ich für meinen Teil nicht zögern möchte, das Heil der Griechen über das meines Vaterlandes und meines Vaters zu stellen. Und was für mich von noch höherem Wert ist: Ich werde einen solchen Ehemann haben, den ich gegen alle Schätze und Reiche der Welt nicht eintauschen möchte. Aber die Schiffsreise, die ich auf mich nehmen muß, läßt mich zurückschrecken. Ich höre nämlich, daß es im Meer mir unbekannte Ungeheuer gibt. Doch ich mache mir nichts aus den Gefahren, welche auch immer ich auf mich nehmen muß. Ich werde nämlich in den Armen und auf dem Schoß von Jason selbst sicher sein. Usw.‘ Des weiteren sind am Schluß dieser Erörterung bei Ovid noch zwei Dinge zu beachten. Zum einen, daß er sagt: Gibst du deiner Schuld einen glänzenden Namen, Medea? [VII,69 f.]
Denn häufig kommt es vor, daß frevelhafte Taten mit ehrbaren und glänzenden Bezeichnungen bemäntelt werden. Zum zweiten ist beachtenswert, daß der Erfindung nach zwar die Vernunft die Affekte besiegt, aber der Gesichtssinn den Affekten wieder Kräfte verleiht:
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ante oculos rectum pietasque pudorque Constiterant, et victa dabat iam terga Cupido. Et iam fractus erat pulsusque resederat ardor, Cùm videt Aesoniden, extinctaque flamma reluxit, Et rubuere genae, totoque recanduit ore. Ut solet à ventis alimenta resumere, quaeque Parva sub inducta latuit scintilla favilla, Crescere et in veteres agitata resurgere vires, Sic iam lenis amor, iam quem languere putares, Ut vidit iuvenem, specie praesentis inarsit. [VII, 72–73.76–83]
5 Aureum vellus. 115
Dumque adeunt regem Phryxeaque vellera poscunt. [VII,7]
Aurei velleris allegoriam Suidas exponit de arte, quam Graeci χημείαν vocant.4 Ait enim Iasonem abstulisse Colchorum regi librum in pellicea membrana scriptum de auro conficiendo per χημείαν. Verum, ut mihi quidem videtur, poëtae per aureum vellus intelligunt magnam auri vim apud Colchos, aut à Phryxo, Atha120 mantis regis filio, relictam, aut ab Aeëta rege congestam. Nam et verisimile est Phryxum ex Graecia secum abstulisse patrios thesauros, cum insidias novercae timens ad Aeëtam confugeret. Et regio Colchorum propter vicinitatem Caucasi montis abundat auro, teste Strabone5, qui scribit multos fontes ex Caucaso manare scaturientes aurea arena tàm tenui, vix ut videri possit, eamque ab accolis colligi 125 lanosis pellibus in aquam positis. Atque hanc opinor esse occasionem fabulae. Pelles enim subsidente in iis arena prae se ferunt speciem aurei velleris. Quare non dubium est Iasonem aut bello repetivisse thesauros, quorum ipse erat haeres, vel auri gratia intulisse bellum Colchis, quemadmodum nostro tempore Hispani, qui eadem de causa in Indiam navigarunt, ut videlicet aurum inde au130 ferrent.
4 Suidas (ed. Adler) χ 280. 5 Strabo 11,2,19.
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Vor ihren Augen hatten sich das sittlich Rechte, kindliche Pflicht und Züchtigkeit aufgestellt, und besiegt wandte sich Cupido schon zur Flucht. Und schon war die Liebesglut gebrochen, war vertrieben und hatte sich gelegt – da sieht sie den Sohn Aesons, und die erloschene Flamme lebte wieder auf, die Wangen erröteten, und ihr ganzes Gesicht erglühte von neuem. Und wie ein kleiner Funke, der unter einer Schicht von Asche verborgen war, gewöhnlich von Winden Nahrung erhält, daraufhin wächst und solchermaßen erregt zu alter Kraft wieder auflebt, so entbrannte die Liebe, die schon abgeflaut war und die man schon für ermattet hätte halten können, als sie den jungen Mann sah, durch den Anblick seiner Gegenwart. [VII,72–73.76–83]
5 Das Goldene Vlies Und während sie vor den König treten und das Goldene Vlies des Phrixus fordern […] [VII,7]
Die Allegorie des Goldenen Vlieses legt Suidas von der Kunst her aus, die die Griechen χημεία [= Chemie] nennen. Er sagt nämlich, Jason habe dem König der Kolcher ein auf Fellpergament geschriebenes Buch über die Herstellung von Gold mittels der Chemie entwendet. Tatsächlich aber, wie mir wenigstens scheint, verstehen die Dichter unter dem Goldenen Vlies eine Menge Gold bei den Kolchern, die entweder von Phrixus, dem Sohn des Königs Athamas, zurückgelassen oder von König Aeëtes aufgehäuft worden ist. Denn es ist wahrscheinlich, daß Phrixus die väterlichen Schätze aus Griechenland mit sich genommen hat, als er aus Furcht vor den Anschlägen seiner Stiefmutter zu Aeëtes floh. Die Gegend der Kolcher hat auch wegen der Nähe des Kaukasus-Gebirges Gold im Überfluß, wie Strabo bezeugt, der schreibt, daß viele Quellen, die im Kaukasus entspringen, voll von Goldsand seien, einem, der so fein ist, daß man ihn kaum sehen kann, und daß dieser von den Anwohnern mit ins Wasser gehängten zottigen Fellen aufgefangen werde. Dies nun ist meiner Meinung nach der Ursprung der Sage. Die Felle, denen sich der [Gold-]Sand angelagert hat, sehen nämlich aus wie ein goldenes Vlies. Daher besteht kein Zweifel, daß Jason entweder durch Krieg Schätze, deren Erbe er war, sich zurückgeholt oder des Goldes wegen die Kolcher mit Krieg überzogen hat: so wie heuzutage die Spanier, die aus demselben Grunde nach Indien gesegelt sind, nämlich um von dort Gold mit sich zu nehmen.
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6 Tauri et draco aurei velleris custodes. Ecce adamanteis Vulcanum naribus efflant. [VII,104]
Tauros ignem efflantes Diodorus Siculus scribit Aeëtae regis custodes fuisse, quos ex Taurica adductos ob immane corporis robur et animi ferociam Colchi 135 nomine taurorum appellarint.6 Unde non dubium est et draconem fuisse primarium quempiam virum et principem apud Colchos, cuius nomen poëtae simili modo ad animantis fabulam traduxerunt. Per sementem intelligenda sunt intestina Colchorum dissidia, quae Argonautis bono et commodo fuerunt.
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7 Ambiguus lupus. Ein Berwolff. Inque virum soliti vultus mutare ferinos Ambigui prosecta lupi. [VII,270 sq.]
Certos homines effici quotannis lupos et rursus ad pristinum habitum redire vulgò persuasum est. Tales refert Herodotus esse apud Neurios, Scythiae popu145 los.7 Et hîc quoque apud Borussos fama est tales inveniri, è quibus nuper unus fuit captus et Duci Prussiae adductus à rusticis, quorum iumenta dilaniasse credebatur. Erat homo deformis nec multum absimilis ferae habebatque vulnera in facie, quae dicebatur accepisse morsus à canibus, ubi fuisset mutatus in lupum. Is à quibusdam, quibus Princeps id negocii dederat, interrogatus aiebat se quot 150 annis bis ita mutari solitum: primò circa natalem Christi, deinde circa festum Ioannis Baptistae; illisque temporibus se efferari et cogi impetu quodam naturae versari in sylvis inter lupos. Maximo autem horrore et languore corporis se affici, antequam pili erumperent et forma mutaretur. Haec affirmanti credita sunt; sed cum ad explorandam rei veritatem diu captus in arce detineretur ac diligen155 ter observaretur à custodibus carceris, an aliquando efficeretur lupus, retinuit semper eandem formam, quam habuit. Is fuit exitus fabulae. Unde constat ea, quae de ambiguis lupis narrantur, esse falsa, utpote quae homines mente capti sibi imaginantur.
6 Diodorus Siculus 4,48,1–4. 7 Herodotus 4,105.
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6 Die Stiere und der Drache als Wächter des Goldenen Vlieses Siehe, da blasen sie Feuer aus stählernen Nüstern! [VII,104]
Diodorus Siculus schreibt, daß die Feuer ausblasenden Stiere des Königs Aeëtes Wächter gewesen seien, die aus der Krim herbeigeholt worden waren und die die Kolcher wegen ihrer ungeheuren Körperkraft und ihres wilden Temperaments als Stiere bezeichnet hatten. Daher besteht kein Zweifel, daß auch der ‚Drache‘ bei den Kolchern irgendein vornehmer Mann und Fürst war, dessen Namen die Dichter auf ähnliche Weise auf eine Tiersage übertragen haben. Unter der Saat [der Drachenzähne] sind interne Zwistigkeiten unter den Kolchern zu verstehen, die den Argonauten zugute und zupaß kamen.
7 Der Werwolf […] und die Eingeweide des Werwolfs, der seine Tiergestalt in die eines Mannes zu verwandeln pflegt. [VII,270 f.]
Gemeinhin gilt es als ausgemacht, daß bestimmte Menschen alljährlich zu Wölfen werden und wieder zu ihrer früheren Gestalt zurückkehren. Herodot berichtet, daß es solche bei den Neurern, Völkern in Skythien, gebe. Und auch hier, bei den Preußen, sagt die Überlieferung, daß solche aufgefunden würden. Einer von denen wurde kürzlich gefangen und vor den Herzog von Preußen gebracht, von Bauern, deren Zugtiere er, wie man glaubte, zerfleischt hatte. Er war ein mißgestalteter Mensch, einem wilden Tier nicht gerade unähnlich, und hatte Wunden im Gesicht, die er sich, wie man sagte, durch Bisse von Hunden zugezogen hatte, als er in einen Wolf verwandelt worden war. Als dieser Mann von Beauftragten des Herzogs befragt wurde, sagte er, daß er sich jedes Jahr zweimal auf diese Art zu verwandeln pflege, zuerst um den Weihnachtstag, sodann um das Fest Johannes des Täufers herum, und zu diesen Zeitpunkten nehme er die Gestalt eines Tieres an und werde gewissermaßen durch einen Trieb der Natur dazu gezwungen, sich in den Wäldern unter Wölfen herumzutreiben. Größter Schauder und körperliche Mattigkeit aber überkämen ihn, bevor die Behaarung hervorbreche und seine Gestalt sich verändere. Diesen seinen Versicherungen schenkte man Glauben. Doch als er zwecks Erforschung des Wahrheitsgehalts der Sache im Schloß lange in Gefangenschaft festgehalten und von den Gefängniswärtern aufmerksam beobachtet wurde, ob aus ihm irgendwann ein Wolf werden würde, behielt er ständig seine gewohnte Gestalt bei. Dies war der Ausgang der Geschichte. Daher steht fest, daß alles, was von Werwölfen erzählt wird, falsch ist: daß es sich hier nämlich nur um Phantastereien von Schwachköpfen handelt.
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8 Aeson ex sene in iuvenem. 160 Non est absimile figmentum, quod extat rhythmis Germanicis nuper Noribergae
editum de quodam balneo, ubi senes et vetulae lavantes iuvenescant; item quod in historia orbis nuper inventi legitur, nempe in Boiuca insula esse fontem, qui homines effoetos restituat, nec tamen canos mutet nec tollat rugas iam contractas. Cuius tamen fontis meminit, ut rei nequaquàm fictae, in suis decadibus Petrus 165 Martyr Anglerius Mediolanensis, scriptor historicus.8 Quin etiam novi quendam impostorem, qui accepta ingenti pecunia olim persuaserat Carolo, Geldriae Duci, senio confecto, se praeparaturum ei aurum potabile, quo ita recrearetur, vix ut quadragenarius videretur. Haec sunt similia et cognata huic fabulae de Aesone cocto et in iuvenem restituto. Ferunt autem Medeam instituisse quaedam exer170 citia, quibus mollia et effoeminata corpora redderentur vegeta et robusta. Hinc fama est, effoetis corporibus aetatem florentem restituisse. Quanquàm et credibile est Medeam salubri medicamento prorogasse vitam Aesoni in perdita valetudine affectaque aetate. Fuit enim ipsa herbarum et artis medicae perita.
9 Caedes Peliae. 175
Spes est virginibus Pelia genitore creatis Arte suum parili revirescere posse parentem. [VII,304 sq.]
Haec fabula, quemadmodum docet Erasmus Roterodamus9, non intempestivè narrari potest, ubi quis falsa spe ductus non solum inanem sumit operam, sed etiam maximum damnum facit, perinde ac si quis artem, quam vocant alchi180 micam, exerceat. Nam veluti Peliae regis filiae à Medea persuasae patrem, dum student ad iuventam revocare, lebeti ferventi impositum necant ac perdunt, ita ille ab impostoribus persuasus et arte fretus, dum sibi promittit futurum, ut è stanno fiat argentum et ex aere aurum, perdit omnem operam et opes, quas impendit.
8 Petrus Martyr Anglerius: De rebus oceanicis (Basel 1533), Bl. 42r. 9 Erasmus Roterodamus: Adagia 1956: Opera omnia (Amsterdam) II-4, S. 312.
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8 Aeson von einem Greis in einen jungen Mann verwandelt Es gibt eine ganz ähnliche Erdichtung in deutschen Versen, die kürzlich in Nürnberg auf den Markt gekommen ist, handelnd von einem Bad, in dem Greise und alte Frauen, wenn sie sich darin abspülen, wieder jung werden können. Es ist dasselbe, was in der Geschichte des kürzlich entdeckten Erdteils zu lesen ist, nämlich daß es auf der Insel Boiuca eine Quelle gebe, die entkräftete Menschen wiederherstelle, nicht aber graue Haare vertausche und auch nicht bereits entstandene Runzeln beseitige. Auf diese Quelle, als eine keineswegs erfundene Sache, kommt der Mailänder Petrus Martyr Anglerius, ein Geschichtsschreiber, in seinen Dekaden zu sprechen. Ja ich weiß sogar von einem gewissen Betrüger, der nach Entgegennahme eines riesigen Geldbetrages den Herzog Karl von Geldern, einen verbrauchten Greis, davon überzeugt hatte, daß er ihm Trinkgold bereiten werde, durch das er so aufgefrischt werden könne, daß er wie ein kaum vierzig Jahre alter Mann aussähe. Dies alles sind Dinge, die ähnlich und vergleichbar sind dieser Sage von dem gekochten und wieder zu einem Jüngling gemachten Aeson. Man sagt aber, daß Medea bestimmte Übungen eingeführt habe, durch die verzärtelte und verweichlichte Körper aufgefrischt und gekräftigt wurden. Daher rührt die Überlieferung, sie habe ausgemergelten Körpern ein blühendes Alter wiedergegeben. Allerdings ist auch glaubhaft, daß Medea dem Aeson mit einer heilsamen Arznei das Leben verlängert habe bei einem hoffnungslosen Gesundheitszustand und einem sich dem Ende zuneigenden Alter. Sie war nämlich selbst erfahren in der Kräuterkunde und der Arzneikunst.
9 Die Tötung des Pelias Die Töchter des Pelias hegen die Hoffnung, daß ihr Vater durch Anwendung der gleichen Kunst wieder jung werden könne. [VII,304 f.]
Wie Erasmus von Rotterdam lehrt, kann diese Sage sehr passend angeführt werden in Fällen, wo jemand, von trügerischer Hoffnung geleitet, nicht nur nutzlos Arbeit aufwendet, sondern auch noch größten Schaden erleidet: ganz so, wie wenn jemand die Kunst, die man Alchemie nennt, praktizierte. Denn so wie die Töchter des Königs Pelias, von Medea überredet, bemüht sind, ihren Vater wieder in jugendliches Alter zu versetzen, und ihn töten und vernichten, indem sie ihn in einen Kessel mit kochendem Wasser setzen, so vertut jener von Betrügern überredete und fest auf seine Kunst bauende [Alchemist], während er sich vorhersagt, daß aus Werkblei Silber und aus Bronze Gold werde, alle Arbeit und die hohen Kosten, die er aufgewandt hat.
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10 Cerambus in scarabeum. Hic ope Nympharum sublatus in aëra pennis Deucaleoneas effugit inobrutus undas. [VII,354.356]
Quisquis hic fuit Cerambus, fingitur (ut opinor) transformatus propter similitudinem nominis in scarabeum, quem Graeci per ὀνοματοποιΐαν vocant κέραμβον, 190 quasi κέρατα ἔχοντα, cornua habentem. Habet enim scarabeus longa et ramosa cornua. Cur verò fingatur tempore diluvii pennis tanquàm alter Pegasus in altum sublatus et conservatus à Nymphis, id relinquo ociosis ingeniis inquirendum. Est enim obscura et ignobilis fabula, quales sunt et caeterae ferè omnes, quas Ovidius hîc obiter attingit in describenda Medeae fuga ad Aegeum neque explicat.
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11 Telchines à Iove submersi. Phoebeamque Rhodon et Ialysios Telchinas. [VII,365]
Ialysii propter insignem improbitatem à Graecis cognominati sunt Telchines, sicut olim in littore Italico dicti sunt à latrociniis Lestrygones. Vocantur enim Telchines apud Graecos mali genii, qui homines illectos circumveniunt, παρὰ τὸ 200 θέλγειν, quod est demulcere. Erant autem Ialysii, ut Diodorus scribit10, fascinatores et malefici, qui nubes, imbres, grandinem et nivem inducebant ad afferendam vicinis calamitatem, propter quam improbitatem iusto Dei iudicio tandem puniti sunt. Nam Ialysus, insulae Rhodi urbs, in qua habitabant, submersa est inundatione maris.
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12 Corinthii ex fungis nati. Corpora vulgarunt pluvialibus edita fungis. [VII,393]
Apud Corinthum antiquitus homines feruntur ex fungis nati, ob primaevos incolas illius loci stultos et fatuos. Nam fungi proverbio dicuntur stolidi et stulti.
10 Diodorus Siculus 5,55,3.
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10 Cerambus in einen Hirschkäfer verwandelt Dieser schwang sich mit Hilfe der Nymphen auf Flügeln in die Lüfte und entkam so der deucalionischen Flut, ohne in ihr zu ertrinken. [VII,354.356]
Die Sage von der Verwandlung dieses Cerambus, wer immer er auch war, in einen Hirschkäfer beruht, wie ich glaube, auf der Ähnlichkeit des Namens dieses Hirschkäfers, den die Griechen mittels Wortmalerei κέραμβος, gleichsam κέρατα ἔχοντα, ‚den Hörner Habenden‘, nennen. Der Hirschkäfer hat nämlich lange und viel verzweigte Hörner. Warum er aber der Sage nach zur Zeit der Sintflut mit Flügeln wie ein zweiter Pegasus sich in die Lüfte erhoben hat und von Nymphen gerettet wurde, dies überlasse ich müßigen Geistern zu näherer Nachforschung. Es ist nämlich eine dunkle und unberühmte Sage, wie es auch so gut wie alle übrigen sind, die Ovid hier bei der Beschreibung der Flucht Medeas zu Aegeus im Vorbeigehen berührt und nicht im Zusammenhang ausführt.
11 Die Telchinen von Jupiter versenkt […] das dem Phoebus heilige Rhodos und die jalysischen Telchinen. [VII,365]
Die Jalysier wurden wegen ihrer unerhörten Schlechtigkeit von den Griechen mit dem Beinamen ‚Telchinen‘ belegt, so wie früher an der italischen Küste die Laestrygonen so genannt wurden wegen ihrer Räubereien [= ‚latrocinia‘]. Als ‚Telchinen‘ werden bei den Griechen nämlich böse Geister bezeichnet, die Menschen anlocken und umgarnen, nach dem Verb θέλχειν, das ‚umschmeicheln‘ bedeutet. Die Jalysier waren aber, wie Diodor schreibt, Behexer und Zauberer, die Wolken, Regengüsse, Hagelschlag und Schnee heraufbeschworen, um Menschen in ihrer Nachbarschaft Unheil zuzufügen. Wegen dieser Schlechtigkeit sind sie nach gerechtem Urteil Gottes schließlich bestraft worden, denn Jalysus, die Stadt auf der Insel Rhodos, in der sie wohnten, ging durch Überschwemmung des Meeres unter.
12 Die Korinther aus Pilzen entstanden [Die Alten] verbreiteten die Sage, daß Leiber aus Pilzen hervorgegangen seien, die der Regen erzeugt habe. [VII,393]
Nach einer alten Sage sollen auf Korinth die Menschen aus Pilzen entstanden sein: wegen der dummen und blödsinnigen Ureinwohner dieser Region, denn als ‚Pilze‘ bezeichnet man redensartlich tölpelhafte und dumme Menschen.
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13 Iasonis et Medeae divortium. 210
Flagrantemque domum regis male vidit, utroque Sanguine natorum perfunditur impius ensis. [VII,395 sq.]
Iasonis et Medeae divortium eorumque liberorum tristis ac miserabilis interitus ostendit connubia, quae invitis vel desertis parentibus ineuntur, non esse firma et foelicia. Postquàm enim aestus amoris deferbuit, amor in odium et iram con215 vertitur, unde postea magnae calamitates existunt. Facto autem divortio Iason Creontis filiam duxit, quam iniuriam Medea crudeliter ulta non solum fìliam Creontis incendio perdidit, sed etiam suos ipsamet liberos iugulavit. Adeò ira, amor et crudelitas in ea exarserant.
14 Taurus Marathonius et Cromyonia sus. 220
Te, maxime Theseu, Mirata est Marathon Cretaei sanguine tauri, Quodque suam securus arat Cromyona colonus. [VII,433–435]
Thesei temporibus tota ferè Graecia fuit infesta latrociniis. In Marathone, qui est campus Atticae, latrocinabatur quidam Cretensis, cui nomen Tauro. In Cromy225 one, vico non procul à Corintho, quaedam pugnax mulier nomine Phaea, quam propter feritatem ac turpissimos mores vulgus suem appellabat. Alii item diversis in locis, ut Peripheta, Procrustes, Cercyon et Sinis, quos omnes persecutus Theseus morte mulctavit, eaque virtute ac singulari in rempublicam beneficio immortalem gloriam consecutus est. Dignum profectò exemplum, quod nostri 230 principes gloriae cupidi imitarentur.
15 Pestilentia in Aegina Aeaco rege. Dira lues populis Iunonis iniquae Incidit exosae dictas à pellice terras. [VII,523 sq.]
Poëtae statuunt pestilentiam esse poenam divinam eamque infligi mortalibus
235 propter duo potissimum peccata: videlicet propter contemptum religionis et libi-
dinem. Hinc apud Homerum fingitur Apollo iratus propter contumeliam sacer-
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13 Die Scheidung von Jason und Medea [Doch nachdem …] sie den Königspalast ruinös brennen sah, wird das ruchlose Schwert benetzt vom Blut ihrer beiden Söhne. [VII,395 f.]
Die Scheidung Jasons und Medeas und der traurige und bejammernswerte Untergang ihrer Kinder macht offenbar, daß eheliche Verbindungen, die gegen den Willen und ohne Hinzuziehung der Eltern eingegangen werden, nicht dauerhaft und glücklich sind. Nachdem nämlich die Liebesglut verraucht ist, verwandelt sich die Liebe in Haß und Zorn, woraus später großes Unheil hervorgeht. Nach Vollzug der Scheidung aber heiratet Jason die Tochter Kreons. Für diese Kränkung nahm Medea grausam Rache, indem sie nicht allein die Tochter Kreons durch einen Brand umbrachte, sondern sogar ihre eigenen Kinder selbst ermordete. Derart waren Zorn, Liebe und Grausamkeit in ihr entbrannt.
14 Der Stier von Marathon und die Sau von Cromyon Dich, größter Theseus, hat Marathon bewundert, weil du den kretischen Stier erschlagen hast. Und daß der Landmann in Sicherheit sein Cromyon beackert, […] [VII,433–435]
Zu Zeiten des Theseus war fast ganz Griechenland von Straßenräuberei heimgesucht. In Marathon, das ein Flecken in Attica ist, räuberte ein gewisser Kreter, der Taurus hieß, in Cromyon, einem Dorf nicht weit von Korinth, eine gewisse streitbare Frau mit Namen Phaea, die das Volk wegen ihrer Wildheit und ihres äußerst unsittlichen Gebarens Sau nannte. Andere taten desgleichen an verschiedenen Orten, wie z. B. Peripheta, Procrustes, Cercyon und Sinis. Diese alle verfolgte Theseus und bestrafte sie mit dem Tode, und durch diesen Heldenmut und diese einzigartige Wohltat gegenüber dem Staat erlangte er unsterblichen Ruhm. Ein wahrhaft würdiges Beispiel, das unsere ruhmbegierigen Fürsten hätten nachahmen sollen!
15 Die Pest auf Aegina zur Zeit des Königs Aeacus Eine entsetzliche Seuche suchte meine Völker heim, veranlaßt durch den Zorn der feindseligen Juno, die voller Haß war gegen das nach ihrer Nebenbuhlerin benannte Land. [VII,523 f.]
Die Dichter halten dafür, daß die Pest eine göttliche Strafe sei und diese den Sterblichen auferlegt werde hauptsächlich wegen zweier Sünden: nämlich wegen Mißachtung der Religion und wegen der Wollust. Deshalb stellt Homer dichte-
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Fabularum Ovidii interpretatio VII
doti factam immittere Graecis pestilentiam.11 Itidem Ovidius hîc fingit Oenopios simili poena adfectos esse ob adulterium Aeginae. Ideoque sic inquit: 240
Dira lues populis ira Iunonis iniquae Incidit exosae dictas à pellice terras. Dum visum est mortale malum tantaeque latebat Causa nocens cladis, pugnatum est arte medendi. Exitium superabat opem, quae victa iacebat. [VII,523–527]
significans eiusmodi poenam divinitus constitutam neque averti neque mitigari 245 posse ulla humana ope. Vocat enim mortale malum, quod hominum arte mutari potest. Illud autem non caret ratione, quòd Iuno fingitur inducere pestilitatem. Nam per Iunonem intelligitur aër, et physici tradunt vicium seu corruptionem aëris esse causam pestilentiae ipsumque aëra corrumpi et venenato terrae vapore et multorum cadaverum foetore. Interdum etiam ex vicio aquarum gigni pesti250 lentem morbum. Quas physicas causas omnes Ovidius eruditè complectitur, cùm inquit:
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Principio coelum spissa caligine terras Pressit et ignavos inclusit nubibus aestus. Constat et in fontes vicium venisse lacusque, Milliaque incultos serpentum multa per agros Errasse atque suis fluvios temerasse venenis. Corpora foeda iacent, viciantur odoribus aurae. [VII,528–529.533–535.548]
Porrò similis descriptio pestilentiae extat apud Thucydidem lib. 2. belli Peloponnesiaci12, quam Ovidius videtur hoc loco imitatus. Pleraque enim inde transtulit, 260 sicut ex collatione utriusque descriptionis apparet. Thucydides scribit oculos aegrotorum fuisse suffusos rubore et linguam cum faucibus visam esse sanguinolentam et meatus spirandi coarctatos. Adhaec interiora corporis membra adeò vehementer arsisse, ut aegroti ne vestimenta quidem tenuia ex sindone ferre potuerint, neque ullum medicinae locum fuisse ipsosque medicos interiisse. Item 265 aegrotos inexhausta siti adactos sese in gelidam aquam coniecisse vel in puteos. Haec Ovidius his verbis reddit:
11 Homerus: Il. 1,9–11. 12 Thucydides 2,47–54.
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risch dar, wie Apollo, erzürnt über die einem Priester angetane Schmach, den Griechen die Pest auf den Hals schickt. Ebenso dichtet Ovid hier, daß die Oeno pier mit einer ähnlichen Strafe belegt worden seien wegen des Ehebruchs der Aegina, und deshalb sagt er folgendes: Eine entsetzliche Seuche suchte meine Völker heim, veranlaßt durch den Zorn der feindseligen Juno, die voller Haß war gegen das nach ihrer Nebenbuhlerin benannte Land. Solange das Übel natürlich erschien und die verderbliche Ursache des so großen Unheils verborgen war, bekämpfte man es mit der Heilkunst. Doch das Verderben übertraf jede Hilfe; diese lag besiegt am Boden. [VII,523–527]
Womit er darauf hinweist, daß eine Strafe von solcher Art durch göttlichen Ratschluß festgesetzt sei und durch keinerlei menschliche Hilfe abgewendet oder gemildert werden könne. Als natürlich bezeichnet er nämlich ein Übel, das durch menschliche Kunst beeinflußbar sei. Der Umstand aber, daß Juno der Sage nach die Pest herbeigeführt habe, hat einen guten Sinn, denn unter Juno wird die Luft verstanden, und die Naturforscher lehren, daß mangelhafte oder verdorbene Luft die Ursache der Pest sei und die Luft selbst verdorben werde durch giftige Ausdünstung der Erde und den Gestank vieler Kadaver. Zuweilen entstehe die Krankheit der Pest auch aus verunreinigtem Wasser. Alle diese naturkundlichen Begründungen faßt Ovid kenntnisreich zusammen, wenn er sagt: Zu Anfang drückte der Himmel mit dichtem Nebel auf die Erde und schloß erschlaffende Sonnenglut in Wolken ein. Es steht fest, daß die Seuche auch in Quellen und Seen eindrang und daß viele Tausende Schlangen sich auf den unbebauten Feldern ausbreiteten und die Flüsse mit ihrem Gift verdarben. Gräßliche Kadaver liegen da, und die Luft wird verpestet von Gestank. [VII,528–529.533–535.548]
Ferner gibt es eine ähnliche Beschreibung einer Pestepidemie im zweiten Buch von Thukydidesʼ ‚Peloponnesischem Krieg‘, die Ovid an dieser Stelle nachgeahmt zu haben scheint. Das meiste hat er nämlich von dort übernommen, wie aus dem Vergleich beider Beschreibungen offenbar wird. Thukydides schreibt, daß die Augen der Kranken rot unterlaufen gewesen seien, die Zunge gemeinsam mit dem Schlund blutrot ausgesehen habe und die Atemwege verengt gewesen seien. Darüber hinaus seien die inneren Organe des Körpers von so heftiger Hitze erfüllt gewesen, daß die Kranken nicht einmal Kleidungsstücke von feinster Baumwolle hätten ertragen können, daß jede Anwendung von Arznei zwecklos gewesen sei und die Ärzte selbst zugrunde gegangen seien. Desgleichen, daß die Kranken sich, von unstillbarem Durst getrieben, in eiskaltes Wasser oder in Brunnen gestürzt hätten. Dies gibt Ovid mit diesen Worten wieder:
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Fabularum Ovidii interpretatio VII
Viscera torrentur primò, flammaeque latentis Indicium rubor est et ductus anhelitus, igni Aspera lingua tumet, tepidisque arentia ventis Ora patent, auraeque graves captantur hiatu. Non stratum, non ulla pati velamina possunt, Dura sed in terra ponunt praecordia, nec fit Corpus humo gelidum, sed humus de corpore fervet. Nec moderator adest, inque ipsos saeva medentes Erumpit clades, absuntque autoribus artes. [VII,554–562]
Et paulo post: passim positoque pudore Fontibus et fluviis puteisque capacibus haerent, Nec sitis est extincta prius quàm vita bibendo. [VII,567–569] 280 Deinde Thucydides refert, ipsa quoque templa, in quibus homines sibi taber-
nacula fecerant, magnitudine mali ita perturbati, ut ignorarent, quid agerent, fuisse repleta cadaveribus. Funerum quoque ritus à nemine servatos, cadavera aut foedis et inusitatis locis illata aut per vim alienis rogis imposita. Idem Ovidius refert, dum ait:
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Ante sacros vidi proiecta cadavera postes, Ante ipsas, quò mors foret invidiosior, aras. Corpora missa neci nullis de more feruntur Funeribus: neque enim capiebant funera portae. Aut inhumata premunt terras aut dantur in altos Indotata rogos, et iam reverentia nulla est, Deque rogis pugnant alienisque ignibus ardent. [VII,602–603.606–610]
Praeterea inserti sunt duo loci, quos Ovidius à Virgilio mutuatus est. Alter de equo bellatore ignava morte vitam amittente13: 295
Acer equus quondam magnaeque in pulvere famae Degenerat, palmae veterumque oblitus honorum, Ad praesepe gemit morbo interiturus inerti. [VII,542–544]
Alter de hostia exangui et ad aras concidente sine ictu14:
13 Vergilius: Georg. 3,498–514. 14 Ibid. 3,486–493.
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Am Anfang werden die Eingeweide ausgedörrt, und Anzeichen der verborgenen Flamme sind Röte und Atemnot; von der Hitze ist die Zunge rauh und geschwollen; der Mund ist trocken und steht den lauen Winden offen, und der Rachen zieht die ungesunde Luft ein. Sie können kein Lager und keine Umhüllungen ertragen, sondern betten die Brust hart auf die Erde, und ihr Leib wird nicht kühl vom Boden, sondern der Boden heiß von dem Leib. Es ist kein Helfer zur Stelle, und das grausame Unheil erfaßt auch die Ärzte selbst, und den Heilkünstlern fehlt die Kunst. [VII,554–562]
Und wenig später: Überall hängen sie, frei von Scham, an Quellen, Flüssen und großen Brunnen, und ihr Durst ist vom Trinken nicht eher gelöscht als ihr Lebenslicht. [VII,567–569]
Darauf berichtet Thukydides, daß selbst die Tempel, in denen die Menschen sich Hütten gebaut hatten, von der Größe des Übels so außer Fassung gebracht, daß sie nicht wußten, was sie machen sollten, von Leichen angefüllt waren. Da auch niemand die Bestattungsbräuche einhielt, wurden die Leichen an abscheuliche und ungewöhnliche Orte gebracht oder mit Gewalt auf fremde Scheiterhaufen gelegt. Das gleiche berichtet Ovid, indem er sagt: Vor den Türen heiliger Gebäude sah ich Leichen hingestreckt, selbst vor den Altären, damit so der Tod zu einem noch größeren Vorwurf wurde. Die Leiber der Toten wurden nicht dem Brauch gemäß bestattet – die Stadttore waren nämlich den Leichenzügen nicht mehr gewachsen. Entweder liegen sie unbestattet auf der Erde, oder man legt sie ohne Totengaben auf hohe Scheiterhaufen. Es gibt keine Ehrfurcht mehr, man kämpft um die Scheiterhaufen, und man verbrennt in fremdem Feuer. [VII,602–603.606–610]
Außerdem wurden zwei Stellen eingefügt, die Ovid von Vergil entlehnt hat. Die eine ist die von dem Streitroß, das sein Leben in einem schlaff machenden Tode verliert: Ein einstmals feuriges Pferd erweist sich seines großen Ruhmes im Sand des Zirkusses als unwürdig, vergißt die Siegespalme und die alten Ehrungen, stöhnt an der Krippe und ist dem Tode durch lähmende Krankheit geweiht. [VII,542–544]
Die andere ist die von dem blutarmen Opfertier, das am Altar zusammenbricht, ohne einen Schlag erhalten zu haben.
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mugitus victima diros Edidit et subitò collapsa sine ictibus ullis Exiguo tinxit subiectos sanguine cultros. [VII,597–599]
Huius enim rei, nempe de exiguo sanguine, meminit Virgilius et in Georgicis, ubi pestilentiam describit.15 Et ego vidi anno M.D.XLIX., cùm horribilis pestilentia hîc in Borussia grassaretur, decollari mulierculam in pago, cui nomen Laptae, ex cuius mulierculae toto corpore tàm modicus sanguis effluebat, ut vola contineri 305 potuisset.
16 Myrmidones ex formicis. Quae Latinis formicae, Graecis μύρμηκες dicuntur. Hinc propter agnationem nominis et naturam gentis poëta fingit Myrmidonas ex formicis natos, idque significat, cùm ait: 310
Myrmidonasque voco, nec origine nomina fraudo. Corpora vidisti; mores, quos ante gerebant, Nunc quoque habent: parcum genus est paciensque laborum, Quaesitique tenax et quod quaesita reservet. [VII,654–657]
Erant enim homines laboriosi et frugales, adeò etiam ut nullos in extruendis
315 aedificiis sumptus facerent, sed in cavernis subterraneis habitarent more formi-
carum, teste Strabone.16
17 Cephalus ab Aurora raptus. Lutea mane videt pulsis Aurora tenebris Invitumque rapit. [VII,703 sq.] 320 Cephalus fingitur ab Aurora raptus in venatione, quia venatores soliti sunt
surgere ante lucem, quasi Aurora ipsos rapiente.
15 Ibid. 3,492–493. 16 Strabo 8,6,16.
Auslegung der Metamorphosen Ovids VII
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Das Opfertier stieß ein schreckliches Brüllen aus, brach plötzlich, ohne von einem Schlag getroffen worden zu sein, zusammen und färbte mit nur wenig Blut das an die Kehle gesetzte Messer. [VII,597–599]
Diesen Sachverhalt, nämlich die geringe Blutmenge, erwähnt Vergil auch in den Georgica dort, wo er die Pest beschreibt. Auch ich habe im Jahre 1549, als hier in Preußen eine entsetzliche Pest tobte, gesehen, wie in einem Dorf, das Laptau heißt, eine Dirne enthauptet wurde. Dem ganzen Leib dieser Dirne entfloß nur eine so bescheidene Menge Blutes, daß es in einer hohlen Hand hätte aufgefangen werden können.
16 Die Myrmidonen, aus Ameisen entstanden Die Ameisen, bei den Römern ‚formicae‘ genannt, heißen bei den Griechen μύρμηκες. Deshalb fabuliert der Dichter wegen der Namensverwandtschaft und der Wesensart des Volkes, die Myrmidonen seien aus Ameisen entstanden, und das ist gemeint, wenn er sagt: Ich nenne sie Myrmidonen und tue mit diesem Namen ihren Ursprung kund. Du hast ihre Leiber gesehen; das Verhalten, das sie vorher an den Tag legten, ist ihnen auch jetzt zu eigen. Sie sind ein sparsames Geschlecht, belastbar durch Arbeit, am Erworbenen eisern festhaltend und das Erworbene bewahrend. [VII,654–657]
Es waren nämlich arbeitsame und sparsame Menschen, sogar in dem Maße, daß sie keine Kosten für die Errichtung von Gebäuden aufwandten, sondern in unterirdischen Höhlen wohnten, nach der Art der Ameisen, wie Strabo bezeugt.
17 Cephalus von Aurora geraubt Am frühen Morgen, nachdem die Finsternis vertrieben ist, sieht mich die goldgelbe Aurora und raubt mich gegen meinen Willen. [VII,703 f.]
Von Cephalus geht die Sage, er sei von Aurora auf der Jagd geraubt worden, weil Jäger gewohnt waren, vor Sonnenaufgang aufzustehen, gleichsam als ‚Raub der Morgenröte (Aurora)‘.
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Fabularum Ovidii interpretatio VII
18 Oraculum Themidis contemptum. Carmina Naiades non intellecta priorum Solvunt ingeniis. [VII,759 sq.] 325 Themidis oracula significant pia et sana consilia. Est enim Themis dea consi-
liorum, quae iustum et honestum suadet. Naiadum verò oracula significant stulta consilia, quae dum Thebani sequuntur et sanioribus consiliis anteferunt, in calamitatem publicam incidunt. Themis enim irata immittit vulpem, à qua illorum agri divexantur. Exemplum usurpari potest, si quando vel in republica homines 330 nullius consilii anteferuntur prudentioribus, vel in Ecclesia fanaticae opiniones pro oraculis habentur. Nam ubi sapientes à consilio removentur aut sincera doctrina religionis fastiditur, illic verè Naiades pro Themide coluntur imminetque publica calamitas. Vulpes autem, cuius hîc fit mentio, dicta est Teumessia à Teumesso colle, ubi versari solita est; fuitque, ut Palephatus testatur17, astutus et 335 vafer Thebanorum hostis, qui nulla neque vi neque fraude capi potuit; qualis nuper Marchiacus fuit latro cognomento Lepus, à quo Saxonia toto ferè septennio vexata est.
19 Cephali iaculum et canis. Poscor et ipse meum consensu Laelapa magno. [VII,771] 340 Sicut Attila rex, quia acerrimus fuit bellator, dicitur habuisse gladium Martis,
ita etiam Cephalus, quia insignis fuit venator, fingitur habuisse iaculum et canem Dianae. Meminit Cephali Xenophon in lib. de venatione eumque inter celeberrimos venatores numerat.18 Iaculum igitur nihil aliud significat nisi usum ac peritiam venandi. Per canem verò intelligitur, ut arbitror, comes et minister 345 quispiam venationis, cui nomen Canis. Nam Ioannes Tzetza scribit19 hunc ipsum à Minoë missum fuisse Cephalo eique reduxisse Procrin reconciliatam, ac postea congressum cum Vulpe, Thebanorum hoste, simul cum illo periisse, utrunque navigio ad scopulos maris fracto. Hinc et natam esse fabulam de ambobus in marmora seu petras conversis.
17 Palaephatus: De incredibilibus (ed. Festa) 5(8). 18 Xenophon: De venatione 1,2. 19 Ioannes Tzetzes: Historiae (ed. Leone), Chil. 1. Hist. 20, V. 543–575.
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18 Mißachtung des Orakels der Themis Die Naiaden erklären die Orakelsprüche, die der Scharfsinn der früheren Menschen nicht verstanden hatte. [VII,759 f.]
Die Orakel der Themis sind ein Sinnbild für zuverlässige und vernünftige Ratschläge. Themis ist nämlich die Göttin der Ratschläge und rät Gerechtes und Ehrbares an. Die Orakel der Naiaden hingegen sind ein Sinnbild dummer Ratschläge. Indem die Thebaner diesen Folge leisten und sie vernünftigen Ratschlägen vorziehen, geraten sie in öffentliches Unheil. Die erzürnte Themis schickt ihnen nämlich einen Fuchs auf den Hals, von dem ihre Äcker übel zugerichtet werden. Das Beispiel kann angewandt werden, wenn einmal entweder im Staat inkompetenten Menschen der Vorzug vor klügeren eingeräumt wird oder wenn in der Kirche die Meinungen von Schwärmern als Orakel gelten. Denn dort, wo Weise aus einer Volksversammlung entfernt werden oder wo die reine Glaubenslehre verschmäht wird, dort werden wahrlich Naiaden anstelle der Themis verehrt, und dort droht öffentliches Unheil. Der Fuchs aber, von dem hier die Rede ist, heißt ‚der teumessische‘ nach dem Berg Teumessis, bei dem er sich herumzutreiben pflegte; er war aber, wie Palaephatus bezeugt, ein verschlagener und gewitzter Feind der Thebaner, der sich auf keine Weise, weder mit Gewalt noch mit List, fassen ließ: so wie kürzlich der märkische Straßenräuber namens Hase, von dem Sachsen fast volle sieben Jahre lang heimgesucht worden ist.
19 Des Cephalus Wurfspieß und Hund Einstimmig verlangt man auch von mir meinen Laelaps. [VII,771]
Wie man von König Attila, weil er ein höchst energischer Kriegsmann war, sagte, er habe das Schwert des Mars besessen, so geht auch von Cephalus, weil er ein ausgezeichneter Jäger war, die Sage, daß er Wurfspieß und Hund der Diana besessen habe. Xenophon erwähnt Cephalus in seinem Buch über die Jagd und zählt ihn unter die berühmtesten Jäger. Der Wurfspieß bedeutet also nichts anderes als Praxis und Erfahrung im Jagen. Unter dem Hund aber wird, wie ich glaube, ein gewisser Jagdbegleiter und -gehilfe verstanden, der ‚Hund‘ hieß. Denn Ioannes Tzetzes schreibt, daß eben dieser dem Cephalus von Minos geschickt worden sei; er habe ihm die wieder versöhnte Procris zurückgebracht, sei später in einen Kampf mit [jenem] Fuchs, dem Feind der Thebaner, eingetreten und zusammen mit diesem zu Tode gekommen: beide in einem Schiff, das an Meeresklippen zerschellt sei. Daraus sei die Sage von der Verwandlung beider in Marmorbilder oder Felssteine entstanden.
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Fabularum Ovidii interpretatio VII
20 Procris suspicax telo interficitur. Credula res amor est. [VII,826]
Suspiciones in matrimonio saepe afferunt magnam calamitatem. Quare hoc exemplo admonemur, ne suspicionibus materiam aut locum demus. Ita Ovidius ipsemet hanc fabulam accommodat, de arte amandi, ubi inquit: 355
Ne citò credideris. Quantum citò credere laedat, Exemplum vobis non leve Procris erit.20
20 Ovidius: Ars amat. 3,685–686.
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20 Die argwöhnische Procris wird durch einen Speer getötet Ein leichtgläubig Ding ist die Liebe. [VII,826]
Mißtrauen in der Ehe bringt oft großes Unheil. Deshalb werden wir durch dieses Beispiel ermahnt, dem Mißtrauen keinen Stoff oder Raum zu geben. So wendet Ovid selbst diese Sage an in der ‚Liebeskunst‘, wo er sagt: Glaube auch nicht schnell! Wie überaus schädlich schnelles Glauben sein kann, wird uns das gewichtige Beispiel der Procris lehren.
In librum octavum. 1 De Scylla, Nisi filia, et Minoë. Dissimilia exempla hîc observanda sunt: alterum sceleris, alterum virtutis. In Scylla vituperatur scelus, quod ipsa in patriam et patrem commisit; in Minoë 5 commendatur virtus, impiam et nefariam puellam detestante: Di te submoveant, ô nostri infamia secli, Orbe suo, tellusque tibi pontusque negetur! [VIII,97 sq.]
Observandae sunt item exornationes sententiarum, quibus exprimuntur fluctuantis animi affectus. Et consideranda sunt argumenta, quibus Scylla utitur ad 10 extenuandum proditionis scelus: saepe utile vinci Victoris placidi fecit clementia multis. Iusta gerit certè pro nato bella perempto, Et causaque valet causamque tuentibus armis. [VIII,56–59] 15 Sic enim plerunque argumentantur proditores et parricidae patriae, praetenden-
tes bonitatem, clementiam, iusticiam et potentiam hostis. Praeterea hic etiam locus consideratione dignus est, ubi Scylla sic exclamat:
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exige poenas, Nise pater! Gaudete malis, modo prodita, nostris, Moenia! [VIII,125–127]
Hoc nimirum solet esse praemium, haec merces proditorum, ut tandem, omnibus invisi et conscientiae stimulo agitati, ipsimet imprecentur sibi poenas. Crinis autem fatalis signifìcat secretum Nisi consilium, quo hostibus enunciato urbs Megarensium prodita et capta est. Similis historia narratur de Romilda Foroiuliensi, quae, cum in obsidione 25 Fori Iulii oppido conspicata esset regem barbarum aetate iuvenili florentem, à quo oppidum obsidebatur, significavit ei per nuncium se cives tradituram, si ab eo in matrimonium duceretur. Quod cùm barbarus se facturum recepisset, illa noctu reseravit portam arcis, inscioque populo hostem intromisit. Is verò ingres-
DOI 10.1515/9783110620283-011
Zum achten Buch 1 Von Scylla, der Tochter des Nisus, und von Minos Hier sind zwei einander sehr unähnliche Beispiele zu beachten: das eine für ein Verbrechen, das andere für Tugend. In Scylla wird das Verbrechen getadelt, das sie selbst gegenüber ihrem Vaterland und ihrem Vater begangen hat; in Minos, der das pflichtvergessene und ruchlose Mädchen verabscheut, wird die Tugend empfohlen: Die Götter mögen dich von ihrem Erdkreis entfernen, o du Schande unseres Jahrhunderts! Und mögen Land und Wasser dir versagt sein! [VIII,97 f.]
Zu beachten sind ebenfalls die Ausschmückungen mit Sentenzen, mit denen die Affekte eines unschlüssigen Geistes zum Ausdruck gebracht werden. In Betracht zu ziehen sind auch die Argumente, deren sich Scylla bedient, um ihr Verbrechen des Verrats abzuschwächen: Vielen hat oft eine Niederlage dank der Milde eines sanftmütigen Siegers Nutzen gebracht. Sicher führt er einen gerechten Krieg für seinen erschlagenen Sohn. Seine Sache verficht er mit gutem Recht, und mit Recht führt er die Waffen, die seine Sache verteidigen. [VIII,56–59]
So argumentieren nämlich meistens die Verräter und Hochverräter des Vaterlandes, indem sie Güte, Milde, Gerechtigkeit und Macht des Feindes vorschützen. Außerdem ist auch diese Stelle betrachtenswert, an der Scylla folgendes ausruft: Vollziehe die Strafe, Nisus, mein Vater! Erfreut euch an meinem Unglück, ihr Mauern, die ich gerade verrraten habe! [VIII,125–127]
Dies ist allerdings gewöhnlich der Lohn, dies die Ausbeute der Verräter, daß sie schließlich, allen verhaßt und von Gewissensbissen getrieben, sich selbst Strafen anwünschen. Das verhängnisvolle Haar aber bedeutet des Nisus geheimen Ratschluß, durch dessen Kundgabe an die Feinde die Stadt der Megarenser verraten und eingenommen wurde. Eine ähnliche Geschichte wird von Romilda von Friaul erzählt. Als diese bei der Belagerung der Stadt Friaul den in blühender Jugend stehenden Barbarenkönig, von dem die Stadt belagert wurde, zu Gesicht bekommen hatte, bedeutete sie ihm durch einen Boten, daß sie die Bürger verraten werde, wenn sie von ihm geehelicht werden würde. Als der Barbar zugesagt hatte, daß er dies tun werde, entriegelte jene Frau in der Nacht das Tor der Burg und ließ den Feind ohne
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Fabularum Ovidii interpretatio VIII
30 sus iussit urbem diripi et omnes trucidari praeter Romildam, quam propter reli-
gionem iurisiurandi illa nocte quasi in matrimonio habuit, postridie tradidit duodecim lixis per vices stuprandam. Stupratam palo suffixit.
2 Pasiphaë, Minois uxor, tauri amore capta. Taurum, quem Pasiphaë amavit, Servius1 scribam, Plutarchus2 ducem seu
35 praefectum fuisse tradit. Unde intelligi potest, ex nomine aequivoco natam esse
fabulam. Exemplum verò Pasiphaës docet, nobilissimas mulieres magnis ac praestantibus viris nuptas saepe libidinoso amore ita flagrare, ut pudiciciam suam prostituant hominibus turpissimis, brutorum animalium non dissimilibus.
3 Minotaurus. 40
Creverat opprobrium generis, foedumque patebat Matris adulterium monstri novitate biformis. [VIII,155 sq.]
Dissipata fama adulterii poëtae commenti sunt fabulas, quibus Minos in Atticis theatris contumeliose exagitatus est. Finxerunt enim uxorem eius inclusam intra vaccam ligneam et corio iuvencae tectam admisisse taurum atque ex eo conce45 pisse monstrum biforme, cui nomen Minotauro. Vocant autem poëtae Minotaurum non modo puerum adulterio conceptum, quasi Minois et Tauri filium, sed etiam illum ipsum adulterum, quasi Minois taurum proletarium. Fuit enim Minotaurus, qui à Theseo victus et occisus est, ipse moechus, teste Plutarcho.3
4 Labyrinthus. 50 Labyrinthus fuit carcer in Creta, quem nihil incommodi habuisse testatur idem
Plutarchus4, nisi quòd nemo illinc evadere poterat. Erat enim aedificium per-
1 Servius: Comment. in Vergil. Aen. 6,14. 2 Plutarchus: Vitae: Theseus 16,1; 19,2. 3 Ibid. 19,2. 4 Ibid. 16,1.
Auslegung der Metamorphosen Ovids VIII
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Wissen des Volkes hinein. Als dieser aber eingezogen war, befahl er, die Stadt zu zerstören und alle Bewohner niederzumetzeln, ausgenommen Romilda, mit der er wegen seiner eidlichen Verpflichtung in jener Nacht eine Scheinehe einging und die er am nächsten Tag zwölf Marketendern übergab, die sie abwechselnd zu schänden hatten. Die Geschändete spießte er auf einen Pfahl.
2 Pasiphaë, die Frau des Minos, verliebt sich in einen Stier Der ‚Stier‘ (‚Taurus‘), den Pasiphaë liebte, war, wie Servius angibt, ein Schreiber, wie Plutarch angibt, ein Feldherr oder Befehlshaber. Hieraus wird verständlich, daß aus dem Doppelsinn des Namens die Sage entstanden ist. Das Beispiel Pasiphaës aber lehrt, daß Frauen aus hohem Adel, die mit großen und herausragenden Männern verheiratet sind, oft in dem Maße von wollüstiger Liebe entflammt sind, daß sie ihre Keuschheit den unsittlichsten, unvernünftigen Tieren nicht unähnlichen Menschen preisgeben.
3 Minotaurus Die Schande seines Geschlechts war herangewachsen, und zutage lag der greuliche Ehebruch der Mutter durch die neuartige Zwiegestalt des Ungeheuers. [VIII,155 f.]
Nachdem sich die Kunde von dem Ehebruch verbreitet hatte, ersannen die Dichter Schauspiele, mit denen Minos in athenischen Theatern schmählich verspottet wurde. Sie dachten sich nämlich aus, daß dessen Frau, eingeschlossen in eine hölzerne und mit dem Fell einer Färse bedeckte Kuh, einen Stier zu sich gelassen und von diesem ein zwiegestaltiges Ungeheuer mit Namen Minotaurus empfangen habe. Die Dichter nennen aber Minotaurus nicht nur den im Ehebruch empfangenen Knaben, gleichsam ‚Sohn von Minos und Taurus‘, sondern auch den Ehebrecher selbst, gleichsam ‚des Minos Zuchtbulle‘. Minotaurus, der von Theseus besiegt und getötet wurde, war nämlich, nach dem Zeugnis Plutarchs, selbst ein Ehebrecher.
4 Das Labyrinth Das Labyrinth war, wie derselbe Plutarch bezeugt, ein Gefängnis auf Kreta, in dem es keine Unbequemlichkeit gab außer der, daß man von dort nicht ent kommen konnte. Es war nämlich ein mit verschlungenen Wänden errichtetes
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plexis parietibus extructum. In huius custodia cùm liberi Atheniensium servati tractarentur indignius, fabulis celebratum est illos in labyrintho aut devorari à Minotauro aut palantes errantesque necari.
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5 Daedali et Icari fabula. Daedali alae significant vela navium. Haec enim ab illo inventa dicuntur, estque usitata significatio alarum pro velis, ut apud Virgilium: Velorum pandimus alas.5
Icari verò lapsus admonet, ne efferamur altius quàm pro nostra sorte utque tenea-
60 mus in omni re mediocritatem. Id enim vult poëta, cum inquit: Instruit et natum, „medio“que „ut limine curras, Icare“, ait, „moneo, ne, si demissior ibis, Unda gravet pennas, si celsior, ignis adurat. Inter utrunque vola.“ [VIII,203–206]
65 Lucianus in libello de astrologia scribit Daedalum fuisse mathematicum et filium
Icarum docu isse astrologiam, sed eum iuvenili fervore et persuasione doctrinae elatum aberrasse à vero et decidisse in mare rerum immensae profunditatis.6 Caeterum in hac fabula duo sunt, quibus inest multum gratiae et suavitatis. Alterum, ubi consuetudo et mos puerilis depingitur his verbis:
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puer Icarus unà Stabat et ignarus sua se tractare pericla Ore renidenti modo, quas vaga moverat aura, Captabat plumas, flavam modo pollice ceram Mollibat lusuque suo mirabile patris Impediebat opus. [VIII,195–200]
Ita enim solent pueri: accurrunt ad parentes, si quid novi prae manibus habere vident; interrogant, quid agatur; attrectant omnia impediuntque ipsos parentes labori intentos. Quae tamen impedimenta non tàm molesta sunt parentibus quàm iucunda, sicut illi norunt, qui haec sunt experti. Alterum, ubi consuetudo 80 senilis et paterna sollicitudo exprimitur his verbis:
5 Vergilius: Aen. 3,520. 6 Lucianus: De astrologia 14–15.
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Gebäude. Als in dessen Gewahrsam Kinder von Athenern sehr unwürdig behandelt worden waren, wurde in Sagen verbreitet, daß diese in dem Labyrinth entweder von Minotaurus verschlungen oder darin umherschweifend und -irrend getötet wurden.
5 Die Sage von Daedalus und Icarus Die Flügel des Daedalus bedeuten Segel von Schiffen. Die wurden nämlich, so sagt man, von ihm erfunden, und es ist gebräuchlich, Segel als Flügel zu bezeichnen, wie bei Vergil: Wir entfalten die Flügel der Segel.
Der Absturz des Icarus aber gemahnt daran, daß wir uns nicht höher erheben sollen, als unserem Los gemäß ist, und daß wir in jeder Sache den Mittelweg einhalten sollen. Dies meint nämlich der Dichter, wenn er sagt: Er unterweist auch seinen Sohn und sagt: „Ich ermahne dich, dich auf mittlerer Bahn zu bewegen, Icarus, damit nicht, wenn deine Bahn zu tief verläuft, die Flut die Federn schwer macht oder, wenn zu hoch, das Feuer sie anbrennt. Fliege zwischen beiden!“ [VIII,203–206]
Lukian schreibt in seinem Buch über die Astrologie, daß Daedalus ein Astronom gewesen sei und seinen Sohn Icarus die Sternkunde gelehrt habe. Doch übermütig aus jugendlicher Hitzköpfigkeit und eingebildeter Sachkenntnis sei dieser von der Wahrheit abgeirrt und abgestürzt in das Meer der Dinge von bodenloser Unergründlichkeit. Im übrigen stecken in dieser Sage zwei Dinge von großer Anmut und Lieblichkeit. Zum einen die Stelle, an der er das übliche Verhalten eines Knaben mit diesen Worten beschreibt: Der Knabe Icarus stand daneben, und ohne zu wissen, daß er mit seiner eigenen Gefahr spielte, griff er bald, vor Freude strahlend, nach den Federn, die ein flüchtiger Luftzug bewegt hatte, bald weichte er mit dem Daumen das gelbe Wachs und behinderte mit seinem Spiel das bewundernswerte Werk seines Vaters. [VIII,195–200]
So machen es nämlich Knaben gewöhnlich: Sie laufen zu ihren Eltern, wenn sie sehen, daß diese etwas Neues bei der Hand haben, fragen, was gemacht wird, fassen alles an und behindern ihre Eltern selbst, die auf ihre Arbeit bedacht sind. Diese Behinderungen sind für die Eltern aber weniger lästig als angenehm, wie all jene wissen, die hiermit Erfahrung haben. – Die andere Stelle ist die, an der die Gepflogenheit eines alten Mannes und väterliche Besorgnis mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht werden:
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Inter opus monitusque genae maduere seniles, Et patriae tremuere manus. Dedit oscula nato. [VIII,210 sq.]
Haec enim ἠθικὰ sunt et ad naturam senum et ad vim paterni amoris erga natos accommodata, quae bene tractata sive à poëtis, sive ab oratoribus admirabilem, 85 ut inquit Cicero7, eloquentiam faciunt.
6 Inventor serrae et circini in perdicem avem. Propter humum volitat ponitque in sepibus ova Antiquique memor metuit sublimia casus. [VIII,258 sq.]
Puer, cui ascribitur inventio serrae et circini, idem invenit quoque tornum et
90 rotam, qua figuli utuntur, fuitque Daedali ex sorore nepos. Eum alii Perdicem alii
Talum vocant. Daedalus de eius nece suspectus et accusatus Athenis profugit in Cretam. Haec omnia sunt historica; metamorphosis verò est conficta ex similitudine nominis et accommodata ad naturam avis perdicis.
7 Venatio apri Calydonii. 95
Misit aprum, quanto maiores herbida tauros Non habet Epirus. [VIII,282 sq.]
Aper Calydonius, à quo Aetolia est vastata tempore Meleagri, fuit latro, Pheae mulieris fìlius, quam poëtae suem Cromyoniam vocant. Nam, ut Strabo refert8, ex Cromyonia sue Calydonius aper procreatus est. Huius meminit Phoenix apud 100 Homerum in oratione ad Achillem lib. 9. Iliad.9, unde et sumpta est fabula. Non mirum autem videri debet tot principes Graeciae, quot hîc numerantur, convenisse et sumpsisse arma adversus hunc latronem, cum constet senatum populumque Romanum totis viribus consurrexisse adversus Spartacum gladiatorem, qui Campaniam latrocinio depopulatus est. Huic apro Calydonio assimilari 105 possunt haeretici, à quibus vinea Domini hodie vastatur. Utinam verò inter monarchas orbis existat Meleager, qui accensus non cupiditate gloriae, sed amore veritatis congreget synodum adversus eiusmodi apros Ecclesiam vastantes! Porrò
7 Cicero: Orator 128. 8 Strabo 8,6,22. 9 Homerus: Il. 9,533–546.
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Bei der Arbeit und den Ermahnungen wurden die Greisenwangen feucht, und die Vaterhände zitterten. Er gab seinem Sohn einen Kuß. [VIII,210 f.]
Dies nämlich sind der Wesensart von alten Männern und der Vaterliebe gegenüber Söhnen angepaßte Charakterzüge, die bei guter Ausführung, sei es durch Dichter, sei es durch Redner, wie Cicero sagt, Bewunderung für die Redekunst erregen.
6 Der Erfinder von Säge und Zirkel in ein Rebhuhn verwandelt Er fliegt dicht am Boden und legt seine Eier in Hecken. In Erinnerung an den einstigen Sturz fürchtet er die Höhe. [VIII,258 f.]
Derselbe Knabe, dem die Erfindung der Säge und des Zirkels zugeschrieben wird, erfand auch den Meißel und die Scheibe, die die Töpfer benutzen, und er war ein Neffe des Daedalus von dessen Schwester her. Die einen nennen ihn Perdix, andere Talus. Daedalus, verdächtigt und angeklagt, ihn ermordet zu haben, floh von Athen nach Kreta. Dies alles sind historische Sachverhalte. Die Verwandlung aber wurde erdichtet aufgrund der Namensähnlichkeit und bezogen auf die Wesensart des Vogels Rebhuhn.
7 Die Jagd auf den calydonischen Eber Sie [= Diana] schickte einen Eber – Stiere, die größer waren als er, besitzt auch das grasreiche Epirus nicht. [VIII,282 f.]
Der calydonische Eber, von dem Aetolien zur Zeit des Meleager verwüstet wurde, war ein Straßenräuber, Sohn der Phaea, einer Frau, die die Dichter ‚die Sau von Cromyon‘ nennen. Denn wie Strabo berichtet, wurde von der Sau von Cromyon der calydonische Eber geboren. Ihn erwähnt Phoenix bei Homer, in seiner Rede an Achilles im 9. Buch der Ilias, woher die Sage entlehnt wurde. Es darf aber nicht verwunderlich erscheinen, daß so viele Fürsten Griechenlands, wie hier aufgezählt werden, zusammengekommen sind und gegen diesen Räuber zu den Waffen gegriffen haben, da bekannt ist, daß Senat und Volk von Rom sich mit allen Kräften gegen den Gladiator Spartacus erhoben haben, der Kampanien mit Räuberei ausgeplündert hat. Mit diesem calydonischen Eber können die Ketzer verglichen werden, von denen heute der Weinberg des Herrn verwüstet wird. Möge aber unter den Monarchen des Erdkreises ein Meleager hervortreten, der, entflammt nicht von Ruhmbegierde, sondern von der Liebe zur Wahrheit, eine
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haec fabula continet pulcherrimas hypotyposes, quibus describuntur primum personae et officia venatorum et loca cincta indagine, deinde impetus apri exciti 110 gestusque eorum, qui illum ruentem iaculis venabulisque excipiunt. Describuntur item varii casus, quales incidunt in venatione, cùm alii tela improvidè dirigunt et sauciantur à feris, alii metu perculsi deserunt stationem, in qua collocati sunt. Inter hos verò casus duo notabiles sunt: Alter Nestoris, viri prudentis quidem, sed parum strenui, qui territus conscendit in arborem, ita tamen, ut strenuus appa115 reat. Nam hoc illius factum poeta commodis verbis honestat, cùm inquit: sumpto posita conamine ab hasta Arboris insiluit, quae stabat proxima, ramis. [VIII,366 sq.]
Alter Ancaei, hominis temerarii et iactabundi, qui omnes prae se contemnens ita se iactat: 120
„Discite, foemineis quid tela virilia praestent, O iuvenes, operique meo concedite“, dixit. „Ipsa suis licet hunc Latonia protegat armis, Invita tamen hunc perimet mea dextra Diana.“ [VIII,392–395]
Sed iactantia et nimia audacia qualem habet exitum? 125
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Talia magniloquo tumidus memoraverat ore Ancipitemque manu tollens utraque securim Institerat digitis primos suspensus in artus. Occupat audentem, quaque est via proxima leto, Summa ferus geminos direxit in inguina dentes. Concidit Ancaeus, glomerataque sanguine multo Viscera lapsa fluunt, madefactaque terra cruore est. [VIII,396–402]
Itaque prudenter Theseus, ut ostendat illam iactantiam ac nimiam audaciam non esse viri fortis, 135
„ô me mihi carior“, inquit, „Pars animae subsiste meae! Licet eminus esse Fortibus. Ancaeo nocuit temeraria virtus.“ [VIII,405–407]
Ac potest hoc ipsum, LICET EMINUS ESSE FORTIBUS, usurpari vice proverbii, vel ioco, cùm aliquis audaculus irridetur, cominus ab hoste pulsatus, vel seriò, cùm
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Synode gegen derartige die Kirche verwüstende Eber versammeln kann! Des weiteren enthält diese Sage sehr schöne Schilderungen, in denen zunächst die Persönlichkeiten und Aufgaben der Jäger und die von den Jagdnetzen umschlossenen Örtlichkeiten beschrieben werden, sodann die Angriffe des gereizten Ebers und die Handlungen derer, die seinen Ansturm mit Wurfgeschossen und Jagdspießen parieren. Es werden auch verschiedene Zwischenfälle beschrieben, wie sie bei der Jagd vorkommen, wenn die einen ihre Wurfgeschosse unbedacht ausrichten und von Wildtieren verwundet werden und andere, von Furcht getrieben, den Posten verlassen, auf den sie gestellt wurden. Von diesen Zwischenfällen aber sind zwei besonders bemerkenswert. Der eine betrifft Nestor, einen zwar klugen, aber wenig kampftüchtigen Mann, der, in Schrecken versetzt, auf einen Baum steigt, jedoch so, daß er kampftüchtig erscheint. Denn diese Tat jenes Mannes ehrt der Dichter mit taktvollen Worten, wenn er sagt: Er stützte sich auf die aufgesetzte Lanze und sprang auf die Zweige eines Baumes, der am nächsten stand. [VIII,366 f.]
Der zweite Zwischenfall betrifft Ancaeus, einen verwegenen und prahlsüchtigen Menschen, der sich, alle seine Vorgänger verachtend, folgendermaßen rühmt: Erfahrt, wie sehr männliche Waffen weiblichen überlegen sind, o junge Männer, und laßt mich ans Werk! Mag diesen Eber auch Latonas Tochter selbst mit ihren Waffen beschützen: meine Rechte wird ihn dennoch auch gegen Dianas Willen erlegen! [VIII,392–395]
Doch welches Ende nehmen Prahlerei und übertriebener Wagemut? Solches hatte der Aufgeblasene großsprecherisch kundgetan, und mit beiden Händen sein zweischneidiges Beil hochhebend stand er ganz auf den Zehenspitzen, sich in der Schwebe haltend. Den Waghalsigen überkommt das Tier und rammt ihm – was der nächste Weg zum Tode ist – beide Hauer ganz oben in die Weichen. Ancaeus bricht zusammen, zusammengeknäult gleiten die Gedärme mit viel Blut hervor, und die Erde ist feucht von Blut. [VIII,396–402]
Deshalb sagt Theseus mit Klugheit, um aufzuzeigen, daß jene Prahlerei und übertriebener Wagemut nicht Sache eines tapferen Mannes sind: „Bleib stehen“, sagt er, „du, der mir teurer ist als ich mir selbst, du Teil meiner Seele! Man kann auch aus der Entfernung tapfer kämpfen. Ancaeus ist sein unbesonnener Mut zum Verhängnis geworden.“ [VIII,405–407]
Eben diese Aussage, „Man kann auch aus der Entfernung tapfer kämpfen“ [VIII,406 f.], kann auch sprichwörtlich oder zum Scherz angewandt werden, wenn irgendein ganz besonders draufgängerischer Mensch verspottet wird, weil er im
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amicus à nobis admonetur, ne velit esse propior periculo, praesertim alieno. Illi 140 quoque versiculi in hac venatione observandi sunt: Immanemque feram multa tellure iacentem Mirantes spectant neque adhuc contingere tutum Esse putant, sed tela tamen sua quisque cruentat. [VIII,422–424]
Est enim exemplum simile apud Homerum, ubi occiso Hectore ab Achille 145 omnes inferunt cadaveri vulnera, quorum nemo ausus fuisset aggredi illum viventem.10 Estque verum, quod dici solet: Leonem mortuum etiam mordent catuli.
8 Contentio de exuviis apri. Invidere alii, totoque erat agmine murmur. [VIII,431]
Interfecto apro Calydonio oritur altercatio inter heroës de victoria et postea ex
150 altercatione caedes. Nam Plexippus et Toxeus Meleagro invidentes movent con-
tentionem de exuviis apri. Ita autem fieri solet, ut saepissimè inter amicissimos, laborum et periculorum socios, de exuviis apri, hoc est, de levissimis rebus moveantur contentiones, quae afferunt reipublicae magnam calamitatem.
9 Meleagri fatum. 155
Stipes erat, quem, cum partus enixa iaceret Thestias, in flammam triplices posuere sorores. [VIII,451 sq.]
Quae de fatali stipite referuntur in ignem posito, intelligenda sunt haud dubiè de magicis execrationibus, quibus Althaea Meleagro imprecata est mortem. Nam Homerus testatur eam orasse Plutonem et Proserpinam, ut fìlio mortem affer160 rent11, ex quo sanè manifestum est, eam magicis ministeriis usam esse. At verò, quantus dicendi artifex sit Ovidius, nusquàm apparet melius quàm ex rebus tragicis, in quibus describendis ac tractandis ita mirifìcus est, ita regnat, ut omnes cogitationes, affectus et motus animorum in potestate et quasi in manu
10 Homerus: Il. 22,369–375. 11 Ibid. 9,569–575.
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Handgemenge vom Feind überwältigt wurde, oder im Ernst, wenn ein Freund von uns ermahnt wird, er möchte sich nicht zu dicht an die Gefahr heranwagen, besonders eine ihm nicht vertraute. – Auch die folgenden Verse in dieser Jagd[Schilderung] sind bemerkenswert: Staunend betrachten sie das eine große Fläche des Erdreichs bedeckende Wildtier. Auch jetzt noch halten sie seine Berührung für gefährlich, doch gleichwohl benetzt jeder seine Waffe mit Blut. [VIII,422–424]
Es gibt nämlich ein ähnliches Beispiel bei Homer, wo, nachdem Hektor von Achilles getötet worden ist, all jene dem Leichnam Wunden zufügen, von denen keiner zu Lebzeiten jenes Helden gewagt hätte, ihn anzugreifen. Zutreffend ist der Gemeinspruch: ‚Einen toten Löwen beißen auch kleine Hündchen.‘
8 Der Streit um das Fell des Ebers Die anderen empfanden Neid, in der ganzen Schar verbreitete sich Murren. [VIII,431]
Als der calydonische Eber getötet ist, entsteht unter den Helden ein Wortwechsel über den Sieg und später aus dem Wortwechsel Totschlag. Denn Plexippus und Toxeus sind neidisch auf Meleager und brechen über das Fell des Ebers einen Streit vom Zaun. So pflegt es aber zuzugehen, daß sehr oft unter den besten Freunden, Gefährten in Arbeit und Gefahr, über das Fell des Ebers, d. h. über die nichtigsten Dinge, Streitigkeiten in Gang kommen, die dem Gemeinwesen großes Unheil bereiten.
9 Der Tod Meleagers Es gab ein Scheit, das die drei Schwestern ins Feuer gelegt hatten, als die Tochter des Thestius gerade ihren Sohn geboren hatte. [VIII,451 f.]
Unter dem, was von dem ins Feuer gelegten verhängnisvollen Scheit erzählt wird, sind zweifellos zauberische Verfluchungen zu verstehen, mit denen Althaea Meleager den Tod angewünscht hat. Denn Homer bezeugt, daß sie Pluto und Proserpina gebeten habe, ihren Sohn zu töten – woraus vollkommen eindeutig hervorgeht, daß sie sich zauberischer Hilfsmittel bedient hat. Was für ein großer Redekünstler nun aber Ovid ist, wird nirgendwo besser deutlich als bei tragischen Themen, in deren Beschreibung und Behandlung er von so außerordentlichem Format, von so souveräner Meisterschaft ist, daß er alle Überlegungen, Affekte
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sua habere videatur, sicut apparet ex fabula Thysbes, Medeae, Prognes, Scyllae 165 et in primis ex hac fabula de Althaea flagrante cupiditate vindictae. Non est enim cuiusvis artificis depingere et exprimere verbis talem hominis imaginem, in qua contrarii affectus, ira, metus, indignatio et misericordia, simul exprimantur, qualem ipse effingit, cùm de Althaea ait: 170
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Saepe metu sceleris pallebant ora futuri, Saepe suum fervens oculis dabat ira ruborem, Et modo nescio quid similis crudele minanti Vultus erat, modo quem misereri credere posses. Cumque ferus lacrymas animi siccaverat ardor, Inveniebantur lacrymae tamen, utque carina, Quam ventus ventoque rapit contrarius aestus, Vim geminam sentit paretque incerta duobus, Thestias haud aliter dubiis affectibus errat Inque vices ponit positamque resuscitat iram. [VIII,465–474]
Magna autem vis eloquentiae est, ut saepe admonui, in illis contentionibus seu
180 luctis animorum, quales necesse est existere in hominibus facinora machinanti-
bus. Nemo est enim tàm sceleratus, cuius animus non saepius reluctetur et reprehendat suum furorem, antequàm obsequitur affectibus. Adhaec quàm illa sunt tragica! quae ab Althaea dicuntur:
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Eumenides, sacris vultus advertite vestris! Ulciscor facioque nefas, mors morte pianda est. In scelus addendum scelus est, in funera funus. Per coacervatos pereat domus impia luctus! [VIII,482–485]
Est itaque inter praecipua eloquentiae exempla haec quoque Althaeae disputatio seu deliberatio observanda, qua vix potest quicquam cogitari artificiosius.
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10 Meleagri sorores in aves Meleagrides.
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Sicut peregrinae quaedam aves nono quoque anno in Prussiam advolant, quae vulgò Parisiae aves dicuntur, ita certis temporibus aves ex Africa in Boeotiam advolant, quas poëtae fingunt sorores fuisse Meleagri, quia locum, ubi Meleager tumulatus est, maximè frequentant. Videntur autem Meleagrides esse eaedem aves, aut non dissimiles iis, quae ex India nuper allatae sunt ac vocantur gallinae
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und Gemütsbewegungen in seiner Gewalt und gleichsam in seiner Hand zu haben scheint, wie es erkennbar wird in der Sage von Thisbe, Medea, Progne, Scylla und besonders in dieser Sage von der von Rachgier entflammten Althaea. Nicht jeder Künstler verfügt nämlich über die Fähigkeit, mit Worten ein solches Bild eines Menschen zu zeichnen und abzuschildern, in dem gegenläufige Affekte, Zorn, Furcht, Entrüstung und Mitleid, gleichzeitig zum Ausdruck gebracht werden, wie Ovid selbst es gestaltet, wenn er von Althaea sagt: Oft wurde ihr Gesicht blaß aus Furcht vor der bevorstehenden Missetat, oft ließ siedender Zorn ihre Augen rot werden, und bald ähnelte ihr Antlitz demjenigen eines Menschen, der irgend etwas Grausames androht, bald hätte man es für das eines sich Erbarmenden halten können. Und obwohl die wilde Hitze ihrer Seelenlage die Tränen getrocknet hatte, fanden sich dennoch Tränen. Und wie ein Schiff, das der Wind und die ihm entgegengesetzte Strömung fortreißen, zweierlei Kräfte spürt und unsicher beiden gehorcht, gerade so irrt die Tochter des Thestius zwischen zwei Affekten umher, und abwechselnd dämpft sie ihren Zorn und erweckt ihn, wenn er gedämpft ist, aufs neue. [VIII,465–474]
Es herrscht aber, worauf ich schon oft hingewiesen habe, eine große Redegewalt in jenen seelischen Auseinandersetzungen oder Kämpfen, wie sie notwendigerweise auftreten müssen in Menschen, die Untaten im Schilde führen. Niemand ist nämlich so verrucht, daß sein Herz sich nicht des öfteren sträubte und seine Raserei tadelte, bevor es den Affekten Folge leistet. Zudem: wie tragisch erhaben sind jene Worte, die von Althaea gesprochen werden: Eumeniden, wendet euer Antlitz dem euch geweihten Rache-Opfer zu! Ich räche und begehe zugleich ein Verbrechen. Tod ist mit Tod zu sühnen. Einem Verbrechen soll ein Verbrechen, einer Bestattung eine Bestattung hinzugefügt werden! Durch Anhäufung von Trauer soll das gottlose Haus zugrunde gehen. [VIII,482–485]
Unter den herausragenden Beispielen von Beredsamkeit verdient daher auch diese Erörterung oder Überlegung der Althaea Beachtung; etwas Kunstvolleres als sie läßt sich kaum denken.
10 Die Schwestern Meleagers in Perlhühner verwandelt So wie bestimmte fremdländische Vögel, die gemeinhin Parisvögel genannt werden, alle neun Jahre in Preußen einfliegen, so fliegen zu bestimmten Zeiten Vögel aus Afrika in Boeotien ein, von denen die Dichter fabulieren, sie seien die Schwestern Meleagers, weil sie vorwiegend den Ort, an dem Meleager bestattet worden ist, aufsuchen. Die Meleagriden [= Perlhühner] scheinen aber dieselben Vögel oder wenigstens denen nicht unähnlich zu sein, die kürzlich aus Indien ein-
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Indicae. Nam Plinius refert esse gallinarum genus gibberum ac variis sparsum plumis, novissimumque peregrinarum avium admissum in mensas, propter ingratum virus.12
11 Perimele, Hippodamantis filia, in insulam. 200
In totidem mediis quot cernis Echinadas undis. [VIII,589]
Echinades insulae, quas inundatio et alluvio effecit, poëticè fìnguntur ab Acheloo et Neptuno effectae, quia vi aquarum vel interrumpente vel aggerente terram insulae nascuntur. Emergunt etiam in mari insulae, quando aut aqua recedit aut spiritus terrae inclusus potens atque acris ipsam terram sibi luctanti resistentem 205 attollit et magno impetu protrudit. Hoc igitur modo Ovidius indicat et Perimelen extitisse, cùm ait illam fuisse servatam beneficio Neptuni, ne mergeretur. Ita ad fabulas transfertur, quod rerum natura fecit.
12 Baucis et Philemon. Baucidis et Philemonis fabula docet hospitalitatem ac frugalitatem Deo gratam
210 esse. Idem docent sacrae literae, quae testantur angelos sub specie humana saepe
nobiscum versari ideoque hospites libenter accipiendos et humaniter tractandos esse. Verisimile est autem hunc Philemonem fuisse villicum ipsius Ovidii. Nam ita solent poëtae interdum suos celebrare occasione data. Ac videtur Ovidius hilari amimo fuisse, cùm scriberet hanc fabulam. Descripta est enim admodum 215 lepidè et festivè habetque multas hypotyposes aptas et iucundas, quibus decorè effingitur gestus Baucidis ignem excitantis et Philemonis bicorni furca levantis Sordida terga suis nigro pendentia tigno. [VIII,648]
12 Plinius: Nat. hist. 10,74.
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geführt worden sind und als ‚Indische Hühner‘ bezeichnet werden. Denn Plinius berichtet, es gebe eine Art von Hühnern, die mit einem Höcker ausgestattet und mit gesprenkelten Federn bedeckt seien. Diese Art fremdländischer Vögel sei erst in jüngster Zeit als Speise akzeptiert worden, wegen des unangenehmen Geruchs.
11 Perimele, die Tochter des Hippodamas, in eine Insel verwandelt […] in so viele [Teile], wie du Echinaden mitten in den Wogen siehst. [VIII,589]
Von den Echinaden, Inseln, die durch Überschwemmung und Anschwemmung hervorgerufen wurden, sagt dichterische Erfindung, sie seien von Achelous und Neptun erschaffen worden. Denn durch die Gewalt des Wassers, die Land entweder abtrennt oder aufschüttet, entstehen Inseln. Es steigen im Meer auch Inseln auf, wenn das Wasser zurückweicht oder wenn der in die Erde eingeschlossene mächtige und wilde Geist die seinem Widerstreben entgegenwirkende Erde selbst emporhebt und mit großer Gewalt fortschleudert. Ovid zeigt also an, daß auch Perimele auf diese Art ans Tageslicht getreten sei, wenn er sagt, sie sei durch die Gunst Neptuns vor dem Untergehen gerettet worden. So wird auf Erdichtungen übertragen, was die Natur der Dinge bewirkt hat.
12 Baucis und Philemon Die Sage von Baucis und Philemon lehrt, daß Gastfreundschaft und Mäßigkeit Gott willkommen seien. Das gleiche lehrt die Heilige Schrift, die bezeugt, daß oft Engel in Menschengestalt unter uns weilen und daß deshalb Gäste gern aufge nommen und freundlich behandelt werden sollen. Es ist aber wahrscheinlich, daß dieser Philemon Gutsverwalter von Ovid selbst war, denn auf diese Weise pflegen Dichter zuweilen bei sich bietender Gelegenheit die Ihrigen zu preisen. Es scheint auch, daß Ovid in heiterer Stimmung war, als er diese Geschichte schrieb. Die Darstellung ist nämlich ungemein hübsch und anmutig und weist viele wohlgefügte und ansprechende Schilderungen auf, mit denen treffend veranschaulicht wird, wie Baucis Feuer macht und Philemon mit der zweizinkigen Gabel herabholt den rauchgeschwärzten Schweinsrücken, der am schwarzen Balken hängt. [VIII,648]
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Item cura collocandae mensae, cui erat pes tertius impar, testa parem fecit [VIII,661 sq.]. Adhaec apparatus rusticus et frugalis, humanitas erga hospites. Et 220 hypotyposis illa anseris velocitate sua fatigantis senes: Ille celer penna tardos aetate fatigat Eluditque diu. [VIII,686 sq.]
13 Proteus. Metamorphosis Protei non minus varias allegorias quàm ipse formas recipit. Hanc
225 Diodorus Siculus exponit de varietate insignium, quibus Proteus, Aegypti rex,
more veterum regum sese ornabat.13 Nam priscis Aegyptiorum regibus morem fuisse scribit, ut insigne aut leonis aut tauri aut ignis aut arboris in capite gestarent. Philippus Melanthon in declamatione de artibus liberalibus refert ad intelligentiam, quae se in omnes quasi species transformat14, motus, ut mihi videtur, 230 autoritate Virgilii, qui de Proteo cecinit hunc in modum: novit namque omnia vates, Quae sint, quae fuerint, quae mox ventura trahantur.15
Plato in Euthydemo exponit de fallaciis, quibus sophistae in disputando quasi praestigiis utuntur. Scribit enim ipsum Protea fuisse sophistam Aegyptium.16 Alii 235 exponunt de natura rerum, quae gignit varias species, alii de diversis vestimentorum formis, quibus Pallenei cives olim utebantur. Est enim Pallene, vetusta Achaiae civitas, Protei patria, in qua diversae vestimentorum formae olim fiebant, teste Suida.17 Est et erudita Protei allegoria, quae extat apud Caelium Calcagninum. Is per 240 Protea intelligit veritatem18, quae in abdito latens non facile potest deprehendi; atque ait, illum hac de causa fingi in antro obdormiscere et comprehensum vera dicere; in varias autem transire formas, quia, dum ingenium ad veritatem inda gandam ratione ducitur, variae oriuntur formae, quae veritatis speciem habent,
13 Diodorus Siculus 1,62,1–5. 14 Ph. Melanchthon: De artibus liberalibus declamatio: CR 11,9. 15 Vergilius: Georg. 4,392–393. 16 Plato: Euthydemus 288b. 17 Suidas (ed. Adler) π 943. 18 Siehe Kommentar.
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Desgleichen die Sorgfalt bei der Aufstellung des Tisches, dessen drittes Bein zu kurz war: eine Scherbe machte es passend [VIII,661 f.]. Dazu die ländliche, einfache Zurüstung, die Zuvorkommenheit gegenüber den Gästen. Und auch die berühmte Schilderung der Gans, die mit ihrer Schnelligkeit die alten Leute ermüdet: Jene Gans, flink durch ihren Flügelschlag, ermüdet die durch ihr Alter langsam Gewordenen und hält sie lange zum besten. [VIII,686 f.]
13 Proteus Die Verwandlung des Proteus erlaubt nicht weniger unterschiedliche Allegorien, als er selber Gestalten annimmt. Diodorus Siculus legt sie aus von der Verschiedenheit der Abzeichen her, mit denen Proteus, der König von Ägypten, sich nach Art der alten Könige schmückte. Denn bei den ägyptischen Königen der Frühzeit sei es, so schreibt er, Brauch gewesen, daß sie das Abzeichen eines Löwen, eines Stiers, eines Feuerbrandes oder auch eines Baumes auf dem Kopf trugen. Philipp Melanchthon bezieht sie in seiner Rede über die Freien Künste auf das Erkenntnisvermögen, das sich gleichsam in alle Gestalten umbildet, angeregt, wie mir scheint, durch die Autorität Vergils, der von Proteus folgendermaßen gesungen hat: […] denn er, der Seher, weiß alles: was ist, was war, was in Bälde erfolgen wird.
Plato legt sie im Euthydemos aus von den Trugschlüssen her, deren sich die Sophisten bei Erörterungen gleichsam als Blendwerk bedienen. Er schreibt nämlich, Proteus selbst sei ein ägyptischer Sophist gewesen. Andere erklären sie von der überall waltenden Natur her, die unterschiedliche Gestaltungen erzeugt, wieder andere von den verschiedenen Formen von Gewändern her, die die Bürger von Pallene einstmals in Gebrauch hatten. Pallene, eine alte achäische Stadt, ist nämlich die Heimat des Proteus; dort wurden früher verschiedene Formen von Gewändern hergestellt, wie Suidas bezeugt. Es gibt auch eine gelehrte Allegorie des Proteus, die sich bei Caelius Calcagninus findet. Dieser versteht unter Proteus die Wahrheit, die, an entlegenem Ort verborgen, nicht leicht dingfest gemacht werden kann. Er sagt auch, daß man von Proteus eben aus diesem Grund fabuliere, daß er in einer Grotte schlafe und, wenn man ihn zu fassen bekommen habe, die Wahrheit spreche. Er gehe aber darum in unterschiedliche Gestalten über, weil, während der Geist zwecks Aufspürung der Wahrheit vom Verstand geleitet wird, mannigfache Formen entstehen, die
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hoc est, falsae opiniones, quibus deludimur. Multa enim putamus esse vera, quae 245 non sunt. Quò plura verò simulacra seu commenta opinionum nobis obiiciuntur, eò instandum acrius, donec Proteus redeat in suam formam, hoc est, veritas illucescat. Sumpta est autem fabula ex Odyssea, ubi Homerus fìngit Protea in varias formas se mutantem à Menelao capi.19 Quem locum et Virgilius in Georg. imitatus ad fabulam Aristaei transfert.20
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14 Ingens quercus. mensuraque roboris ulnas Quinque ter implebat. [VIII,748 sq.]
Videtur quidem hyperbolica haec descriptio arboris, cuius mensura quindecim ulnas impleat. Sed Petrus Bembus in historia Veneta scribit, arbores reperiri sub 255 polo antarctico tantae magnitudinis, ut eas capere nequeat complexus viginti hominum extremis manibus sese contingentium.21 Idem testatur Hieronymus Cardanus, cuius verba sunt haec lib. 8. de subtilitate:
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Pingui alimento arbores crescunt non salso, ob id pinguissimum et minimè salsum Indiae solum existimandum est, quòd in immensum ibi crescant arbores. Referunt enim ibi quandam inventam è genere (nam hoc est arboris genus omnium maximae) trifìdam inter caeteras, cuius singuli trunci viginti pedum ambitu cingebantur. Spacia verò ipsa inter truncos iuxta terram totidem pedibus . Per ipsa verò spacia currus onustus pulchrè duci poterat. At ubi trunci in unum coibant, hoc autem à terra procul pedibus quindecim, erat crassitudo arboris pedum quadraginta quinque. Ab ima parte crassioris trunci ad locum, ubi primo prodibant rami, pedes 80. Superior pars, ex qua rami pendebant, absque mensurae modo.22
15 Erisichtonis filia in varias formas. Erisichton absumptis per luxum facultatibus cum ad extremam egestatem redactus esset, filiam nomine Metram prostituisse fertur, idque significare videtur 270 Ovidius, cùm inquit:
19 Homerus: Od. 4,384–463. 20 Vergilius: Georg. 4,387–446. 21 Petrus Bembus: Historia Veneta 6,8 (ed. Ulery, vol. 2 [2008], S. 96). 22 Hieronymus Cardanus: De subtilitate (Paris 1550), Bl. 178r–178v.
Auslegung der Metamorphosen Ovids VIII
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das Aussehen der Wahrheit haben, d. h. falsche Meinungen, von denen wir zum Narren gehalten werden. Vieles halten wir nämlich für wahr, was es nicht ist. Je mehr Trugbilder und Phantome von Meinungen uns aber begegnen, um so energischer heißt es auf der Spur zu bleiben, bis Proteus in seine eigentliche Gestalt zurückkehrt, d. h. bis die Wahrheit erstrahlt. – Der Ursprung der Sage aber liegt in der Odyssee, wo Homer die Geschichte erzählt, wie der sich in mannigfache Gestalten verwandelnde Proteus von Menelaus gefangen wird. Diese Stelle ahmt auch Vergil in den Georgica nach und überträgt sie auf die Sage von Aristaeus.
14 Die riesige Eiche […] und der Umfang des Stammes betrug fünfzehn Ellen. [VIII,748 f.]
Zwar erscheint diese Beschreibung eines Baumes, dessen Umfang fünfzehn Ellen betragen soll, übertrieben, doch Petrus Bembus schreibt in seiner Venezianischen Geschichte, daß unter dem südlichen Himmel Bäume von so gewaltiger Größe gefunden würden, daß selbst eine Reihe von zwanzig Männern, die sich mit den Fingerspitzen berühren, sie nicht vollständig zu umfassen vermöchte. Das gleiche bezeugt Hieronymus Cardanus, dessen Worte in Buch 8 seiner Schrift ‚Über die Subtilität‘ wie folgt lauten: Die Bäume wachsen durch eine fette, nicht salzige Nahrung, und diesem sehr fetten und überhaupt nicht salzigen Boden Indiens ist es zuzuschreiben, daß hier die Bäume unmäßig wachsen. Man berichtet nämlich, daß hier ein Baum aus der Art der Kapokbäume gefunden wurde (denn diese Baumart ist von allen die größte), unter den übrigen [seiner Art] dreimal gespalten, dessen einzelne Stämme einen Umfang von 20 Fuß hatten. Die Zwischenräume aber zwischen den Stämmen und dem Erdboden betrugen ebenso viele Fuß; durch diese Zwischenräume aber konnte ein schwer beladener Wagen bequem durchfahren. Dort jedoch, wo die Stämme zu einem zusammenliefen – diese Stelle aber lag fast 15 Fuß über dem Erdboden –, betrug die Dicke des Baumes 45 Fuß. Vom untersten Teil des dickeren Stammes bis zu der Stelle, an der zuerst Zweige herauswuchsen, waren es 80 Fuß. Die Länge des oberen Teils, von dem die Zweige herabhingen, ließ sich auf keine Art messen.
15 Des Erysichthon Tochter in unterschiedliche Gestalten verwandelt Es heißt, daß Erysichthon, als er durch seine Prasserei sein Vermögen aufgebraucht hatte und in äußerste Armut geraten war, seine Tochter namens Metra öffentlich feilgeboten habe, und hierauf scheint Ovid hinzuweisen, wenn er sagt:
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Fabularum Ovidii interpretatio VIII
Saepe pater dominis Triopeïda tradit. [VIII,872]
At quoniam eo tempore nondum argenti et auri erat usus, varia munera illi afferebantur ab amatoribus filiae, aut aves aut equi aut boves aut ferae. Hinc per iocum dicta est Metra Erisichtonis verti in omnia, quae ab amatoribus donabantur. Sic 275 exponit Erasmus hanc fabulam in chiliadibus adagiorum.23 Fieri autem potest, ut Erisichton non solum luxu absumpserit facultates, sed etiam inexplebili voracitate. Historiae tradunt quendam fuisse apud Aurelianum Imperatorem, qui uno die comederit aprum integrum, centum panes, vervecem et porcellum. Tali famelico certè mediocres facultates non sufficiunt. Ac quoniam nullum est peccatum 280 gravius impietate, non immeritò impius Erisichton ea afficitur poena, qua nihil est etiam durius; nam fame mori est durissimum et miserrimum genus mortis. Eusebius in historia ecclesiastica scribit Herodem regem Iudaeorum simili aviditate vorandi à Deo punitum fuisse, nec tàm phthiriasi quàm fame extinctum esse.24
23 Erasmus Roterodamus: Adagia 2270: Opera omnia (Amsterdam) II-5, S. 224. 24 Eusebius Caesariensis: Historia ecclesiastica 1,8,6.14.
Auslegung der Metamorphosen Ovids VIII
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Oft verkauft der Vater die Enkelin des Triopas an Herren. [VIII,872]
Doch da man zu jener Zeit noch nicht Silber und Gold in Gebrauch hatte, wurden ihm von den Liebhabern seiner Tochter unterschiedliche Gaben ausgeliefert: Vögel, Pferde, Rinder oder Wildtiere. Deshalb wurde im Scherz gesagt, daß des Erysichthon Tochter Metra in all das verwandelt werde, was von ihren Liebhabern beigebracht wurde. So legt Erasmus diese Sage in den Tausendergruppen seiner Adagia aus. Es kann aber sein, daß Erysichthon sein Vermögen nicht nur durch Prasserei aufgebraucht hat, sondern auch durch seine unersättliche Gefräßigkeit. Die Geschichtschreibung überliefert, daß es am Hofe des Kaisers Aurelian jemand gegeben habe, der an einem einzigen Tage ein ganzes Wildschwein, hundert Brote, einen Hammel und ein Ferkel verspeist habe. Für einen dermaßen vom Hunger Geplagten reicht ein Vermögen von mittlerer Größe gewiß nicht aus. Da nun keine Sünde schlimmer ist als die Gottlosigkeit, wurde der gottlose Erysichthon zu Recht mit der Strafe belegt, die auch härter ist als jede sonst: denn an Hunger zu sterben, ist die härteste und elendeste Todesart. Eusebius schreibt in seiner Kirchengeschichte, daß Herodes, der König der Juden, von Gott mit einer ähnlichen Freßgier bestraft worden und nicht so sehr durch Läusesucht wie durch Verhungern zu Tode gekommen sei.
In librum nonum. 1 Hercules cur Iovis filius. Iuppiter aut falsus pater est aut crimine verus. [IX,24]
Hercules, quòd omnia animi sui viribus inferiora duceret, habitus est Iovis 5 filius. Nam veteres clarorum virorum originem, propter virtutem excellentem, referebant ad deos. Neque enim humanum, sed divinum est subire pericula pro salute reipublicae, adversis rebus non terreri, non consternari, sicut Hercules in pacando orbe fecit.
2 Acheloi et Herculis lucta. 10 Acheloum extra ripas saepe diffluentem et efficientem agri vastitatem Hercu-
les coërcuit aggeribus et aquarum ductibus, sicut apud nos in Prussia Teutonici Mariani olim coërcuerunt inundationes Istulae altero ostio eius patefacto et aggeribus ad utranque ripam congestis. Hoc Herculis opus comparatur luctationi. Ipse enim cum Acheloo, dum eius vim et inundationem coërcet, quasi luctatus 15 est. Sunt in hac fabula versus ad usum et rationem proverbii accommodati: Nec tàm Turpe fuit vinci quam contendisse decorum, Magnaque dat nobis tantus solatia victor. [IX,5–7]
His siquidem versibus uti poterit, qui insigni aliquo certamine vel à doctiore
20 vel à potentiore superatus est. In hanc sententiam Hannibal apud Livium allo-
cutus Scipionem „Si hoc“, inquit, „ita fato datum erat, ut, qui primus bellum intuli populo Romano quique toties prope in manibus victoriam habui, is ultro ad petendam pacem venirem, laetor te mihi potissimum datum, à quo peterem. Tibi quoque inter multa egregia non in ultimis laudum fuerit, Anniba-
DOI 10.1515/9783110620283-012
Zum neunten Buch 1 Warum Herkules Jupiters Sohn ist Entweder ist dir Jupiter nur ein erdichteter Vater oder er ist es, durch ein Vergehen, in Wahrheit. [IX,24]
Herkules wurde für den Sohn Jupiters gehalten, weil er mit allen Kräften seiner Seele die untere Welt führte. Denn die Alten führten den Ursprung berühmter Männer wegen ihrer ausgezeichneten Tüchtigkeit auf die Götter zurück. Es ist nämlich keine menschliche, sondern eine göttliche Eigenschaft, zum Wohle des Staates Gefahren auf sich zu nehmen, durch widrige Umstände nicht erschreckt zu werden, nicht außer Fassung zu geraten – gerade so wie es Herkules bei der Befriedung des Erdkreises durch die Tat bewiesen hat.
2 Der Ringkampf von Achelous und Herkules Den [Fluß] Achelous, der oft über die Ufer trat und die Äcker verwüstete, bändigte Herkules mit Dämmen und mit der Ableitung seiner Wasser: so wie einst bei uns in Preußen die deutschen Einwohner von Marienburg die Überschwemmungen der Weichsel in Schranken hielten, indem sie ihr eine zweite Mündung öffneten und auf beiden Seiten des Ufers Dämme aufschütteten. Dieses Werk des Herkules wird mit einem Ringkampf verglichen. Er selbst hat nämlich mit dem Achelous, indem er seine Gewalt und die Überschwemmung bändigte, gleichsam gerungen. Es gibt in dieser Geschichte Verse, die geeignet sind, als Sprichwort genutzt und angewandt zu werden: Es war nicht so schimpflich, besiegt worden zu sein, wie es eine Auszeichnung war, überhaupt gekämpft zu haben, und großen Trost bietet mir der hohe Rang dessen, der mich besiegt hat. [IX,5–7]
Dieser Verse wird sich ja jemand bedienen können, der in einem bedeutenden Wettstreit, sei es von einem gelehrteren, sei es von einem mächtigeren Gegner besiegt worden ist. In diesem Sinne hat Hannibal bei Livius zu Scipio gesprochen. Er sagte: „Wenn dies vom Fatum so verhängt worden ist, daß ich, der ich als erster die Römer mit Krieg überzogen habe und so oft den Sieg beinahe in Händen hatte, aus freien Stücken komme, um Frieden zu erbitten, so freut es mich, daß mir vom Schicksal gerade du gegeben wurdest, den ich darum bitten kann. Unter den vielen Vorzügen, die du besitzt, wird nicht an letzter Stelle der rühmliche
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Fabularum Ovidii interpretatio IX
25 lem, cui de tot Romanis ducibus victoriam dii dedissent, tibi cessisse.“1 Similiter
usurpari possunt loco proverbii etiam hi versus:
Melior mihi dextera lingua. Dummodo pugnando superem, tu vince loquendo. [IX,29 sq.]
Alphonsus rex Neapolitanus bellum illaturus Florentinis dicitur his versibus
30 respondisse oratori Florentino minas iactanti.
3 Achelous in serpentem et taurum. Inferior virtute meas divertor ad artes, Elaborque viro, longum formatus in anguem. [IX,62 sq.]
Assimilatur Achelous tùm serpenti propter obliquam longitudinem, tum tauro
35 propter alveorum flexus, qui cornua vocantur, et propter raucum strepitum,
quem edit similem taurino sono, teste Strabone.2
4 Cornu copiae. Naiades hoc pomis et odoro flore repletum Sacrarunt, divesque meo Bona Copia cornu est. [IX,87 sq.] 40 Per cornu copiae significatur ubertas agrorum et abundantia omnium fructuum.
Eo enim loco, ubi Achelous antea stagnabat, agri Calydoniorum facti sunt fructuosissimi, postquàm exsiccati fuerunt.
5 Angues ab Hercule infante strangulati. Cunarum labor est angues superare mearum. [IX,67] 45 Ab ipsis incunabilis natura dat indicia excellentis animi futuraeque magnitudinis
et virtutis. Quod ut significarent poëtae, finxerunt Herculem, exemplum viri fortis ac magnanimi, infantem pusillis manibus strangulasse angues. Nemo enim fit, ut
1 Livius 30,30,3–4. 2 Strabo 10,2,19.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IX
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Umstand stehen, daß ein Hannibal, dem die Götter den Sieg über so viele römische Heerführer gewährt haben, vor dir das Feld geräumt hat.“ Ähnlich können auch diese Verse sprichwörtlich verwendet werden: Meine Rechte ist besser als meine Zunge. Solange ich nur im Kampf überlegen bin, siege du nur im Reden! [IX, 29 f.]
König Alphons von Neapel soll, als er sich anschickte, einen Krieg gegen die Florentiner zu beginnen, dem Florentinischen Gesandten, der Drohungen ausstieß, mit diesen Versen geantwortet haben.
3 Achelous in eine Schlange und einen Stier verwandelt Da ich ihm an Stärke unterlegen bin, nehme ich Zuflucht zu meinen Künsten und entgleite dem Mann, indem ich die Gestalt einer langen Schlange annehme. [IX,62 f.]
Der Achelous wird bald als Schlange dargestellt (wegen seiner gekrümmten Länge), bald als Stier (wegen der Windungen seines Flußbettes, die als Hörner bezeichnet werden), und wegen seines dumpfen Rauschens, das dem Brüllen eines Stiers ähnelt, wie Strabo bezeugt.
4 Das Füllhorn Die Naiaden füllten es mit Früchten und duftenden Blumen und weihten es. Und die Göttin der Fülle ist reich durch mein Horn. [IX,87 f.]
Unter dem Füllhorn versteht man den reichen Ertrag der Äcker und den Überfluß an allen Früchten. In der Gegend nämlich, wo der Achelous zuvor über die Ufer getreten war, sind die nach ihrer Trockenlegung äußerst fruchtbaren Äcker der Calydonier entstanden.
5 Die von Herkules als Kleinkind erwürgten Schlangen Schlangen zu bezwingen, war schon in der Wiege mein Werk. [IX,67]
Sogar schon von der Wiege an liefert die Natur Anzeichen für einen herausragenden Geist, für künftige Größe und Tüchtigkeit. Um hierauf hinzuweisen, ersannen die Dichter, daß Herkules, Musterbild eines starken und hochgesinnten Mannes, als Kleinkind mit seinen winzigen Händen Schlangen erwürgt habe.
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Fabularum Ovidii interpretatio IX
dici solet, excellens, nisi cui natura quasi suffragatur nascenti. Sic maior ille Africanus Scipio, quali indole esset, adolescentulus in pugna ad Ticinum declaravit, 50 ubi patrem ab hostibus recepit, cumque Hispaniense bellum sibi depoposcit obstupefactis aliis et contradicentibus. Sic et Octavius Caesar, qualis esset futurus, prae se tulit, cum puer adversus Antonium se belli ducem professus est. Huc alludens Ovidius libro primo de arte inquit: 55
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Parcite natales timidi numerare deorum: Caesaribus virtus contigit ante diem. Ingenium coeleste suis velocius annis Surgit, et ignavae fert male damna morae. Parvus erat, manibusque suis Tirynthius angues Pressit, et in cunis iam Iove dignus erat.3
6 Lernaea Hydra. Vulneribus foecunda suis erat illa, nec ullum De centum numero caput est impune recisum, Quin gemino cervix haerede valentior esset. [IX,70–72]
Hydra, ut Plato scribit in Euthydemo4, fuit sophista ex Lernaeo oppido, qui Her65 culem maledictis insectatus est. Cuius sophistae uno capite, hoc est argumento sermonis, amputato plura renascebantur. Nihil est enim sophistica foecundius. Haec, una ratione confutata, plures statim suggerit. Tzetza per Hydram intelligit plurimos fratres seu adversarios ὁμοψυχοῦντας, quorum uno ab Hercule occiso subinde alii atque alii prodierunt in certa70 men, donec omnes obtruncati sint.5 Horatius lepidè transfert allegoriam Hydrae ad invidiam: diram qui contudit Hydram, Comperit invidiam supremo fine domandam.6
Est enim invidia monstrum innumeris armatum capitibus, quorum uno reciso
75 protinus duo suppullulant in eius locum.
3 Ovidius: Ars amat. 1,183–188. 4 Plato: Euthydemus 297c. 5 Ioannes Tzetzes: Historiae (ed. Leone), Chil. 2. Hist. 36, V. 240–248. 6 Horatius: Epist. 2,1,10.12.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IX
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Niemand wird nämlich, wie man zu sagen pflegt, ein herausragender Mensch, wenn die Natur nicht schon bei seiner Geburt hierbei gleichsam Unterstützung leistet. So gab der berühmte Scipio Africanus der Ältere schon als ganz junger Mann zu erkennen, von welchem Schlage er war: in der Schlacht am Ticino, wo er seinen Vater von den Feinden entgegennahm, und als er die Führung des Krieges in Spanien für sich verlangte, zur Verblüffung und unter dem Widerspruch der anderen. So offenbarte auch Octavius Caesar, welch eine Persönlichkeit einmal aus ihm werden würde, als er sich als junger Mann im Kampf gegen Antonius zum Feldherrn erklärte. Hierauf anspielend sagt Ovid im ersten Buch seiner ‚Liebeskunst‘: Hütet euch davor, das Alter der Götter ängstlich nach den Geburtstagen zu zählen! Männern wie Caesar wird ihre Tüchtigkeit vor der Zeit zuteil. Das göttergleiche Genie erhebt sich schneller, als es seinen Jahren entspricht, und erträgt schlecht den Schaden trägen Verzugs. Klein war der Tyrinthier (Herkules) noch und erdrückte doch mit seinen Händen Schlangen, und schon in der Wiege war er Jupiters würdig.
6 Die Lernaeische Schlange Sie erzeugte sich neu aus ihren Wunden, und keinen ihrer hundert Köpfe schlug man ungestraft ab, ohne daß der Hals durch zwei Nachfolger an Stärke gewann. [IX,70–72]
Die Hydra war, wie Plato im Euthydemus schreibt, ein Sophist aus der Stadt Lerna, der Herkules mit Schmähungen verunglimpft hat. Hatte man einen Kopf dieses Sophisten, d. h. ein Argument seiner Rede, abgeschnitten, wuchsen mehrere nach. Nichts ist nämlich fruchtbarer als die Sophistik: Hat man eine ihrer Begründungen widerlegt, läßt sie sogleich mehrere folgen. Tzetzes versteht unter der Hydra eine große Zahl von Brüdern oder einträchtigen Gegnern. Als einer von denen von Herkules getötet worden war, traten wiederholt immer wieder andere zum Kampf vor, bis alle niedergehauen waren. Horaz überträgt die Allegorie der Hydra sehr schön auf den Neid: Er, der die entsetzliche Hydra vernichtet hat, hat erfahren, daß der Neid erst am letzten Lebenstag gebrochen wird.
Der Neid ist nämlich ein mit unzähligen Köpfen ausgerüstetes Ungeheuer. Hat man einen von ihnen abgehauen, wachsen sofort zwei an dessen Stelle nach.
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Fabularum Ovidii interpretatio IX
7 Herculis leonina pellis. Mox, ut erat, pharetraque gravis spolioque leonis. [IX,113]
Herculis leonina pellis significat virum fortem oportere non fallaciis, sed virtute tectum esse, neque insidiis, sed aperto Marte pugnare. Hinc Plutarchus in vita 80 Lysandri refert, Lysandrum, virum versutum, irrisisse eos, qui iudicabant hoc dignum progenie Herculis, ut sine fallaciis belligerarent, aitque solitum dicere, quò leonina pellis non attingeret, assuendam esse vulpinam.7
8 Nessi Centauri dolus. Dat munus raptae velut irritamen amoris. [IX,133] 85 Exemplum Nessi monet, ut caveamus, ne decipiamur simulata et ficta hostium
benevolentia, ac reprehendit stulticiam eorum, qui credunt venena habere vim et illecebram amoris. Simili ferè dolo et benevolentiae simulatione usa est Medea, cum Creontis filiae misit dono coronam naphta illitam, qua illam perdidit.
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9 Querela Herculis continens enumerationem rerum ab ipso gestarum. Ergò ego foedantem peregrino sanguine templa Busirim domui? [IX,182 sq.]
Haec querela sumpta est ex Sophocle, apud quem in Thrachiniis Hercules magnitudine dolorum eiulans eodem modo, quo hîc, enumerat suas res gestas.8 Quae 95 verò de monstris ab Hercule domitis traduntur, intelligenda sunt partim de tyrannis, partim de latronibus, cum quibus ille belligeravit. Busiris et Antaeus fuerunt reges potentes et crudeles, quorum alter in Aegypto, alter in Libya tyrannidem exercuit, ob quam uterque etiam ab Hercule debellatus et occisus est. Bella enim, quae Hercules gessit, fuerunt pro communi
7 Plutarchus: Vitae: Lysander 7,4. 8 Sophocles: Trachiniae 1046–1111.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IX
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7 Des Herkules Löwenhaut Alsbald [sagte Herkules], so wie er war, beschwert von Köcher unnd Löwenhaut […]. [IX,113]
Des Herkules Löwenhaut zeigt an, daß ein tapferer Mann nicht mit trügerischen Ränken, sondern mit männlicher Kraft gerüstet sein, daß er nicht mit Hinterlist, sondern in offener Feldschlacht kämpfen soll. Deshalb berichtet Plutarch im Leben Lysanders, Lysander, ein weltgewandter Mann, habe sich über diejenigen lustig gemacht, die der Meinung waren, es sei der Nachkommenschaft des Herkules würdig, einen Krieg ohne Lug und Trug zu führen. Und nach Plutarchs Worten pflegte Lysander zu sagen, daß, wenn die Löwenhaut nicht zum Ziel führe, eine Fuchshaut angeflickt werden müsse.
8 Des Kentauren Nessus Arglist Er macht der Geraubten [ein mit seinem Blut getränktes Gewand] zum Geschenk: als vermeintliches Mittel, Liebe zu erwecken. [IX,133]
Das Beispiel des Nessus ist eine Mahnung, uns in acht zu nehmen, daß wir uns nicht hintergehen lassen von dem vorgetäuschten und fingierten Wohlwollen von Feinden; und es tadelt auch die Torheit derer, die glauben, daß Gift die Kraft habe, Liebe hervorzulocken. Einer einigermaßen ähnlichen Arglist und Vortäuschung von Wohlwollen hat sich Medea bedient, als sie der Tochter Kreons als Geschenk eine mit Naphtha bestrichene Krone schickte, mit der sie sie zugrunde richtete.
9 Die Klage des Herkules, enthaltend eine Aufzählung der von ihm vollbrachten Taten Habe ich also Busiris bezwungen, der den Tempel mit dem Blut von Fremden schändete? [IX,182 f.]
Diese Klage ist aus Sophokles entnommen, bei dem, in den Trachinierinnen, Herkules, aufheulend unter der Gewalt seiner Schmerzen, auf dieselbe Art wie hier seine Taten aufzählt. Was aber hinsichtlich der von Herkules bezwungenen Ungeheuer überliefert wird, ist zu deuten teils auf die Tyrannen, teils auf die Straßenräuber, mit denen er Kämpfe ausgefochten hat. Busiris und Antaeus waren mächtige und grausame Könige, von denen der eine in Ägypten, der andere in Libyen eine Tyrannenherrschaft ausübte. Derentwegen sind beide auch von Herkules bezwungen und getötet worden. Die
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Fabularum Ovidii interpretatio IX
100 hominum salute suscepta, ad liberandum orbem à tyrannide et latrocinio. Antaei
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meminit Plutarchus in vita Sertorii ac tradit eius cadaver à Sertorio effossum sexaginta cubitorum fuisse.9 Geriones regnavit in insulis Hispaniae, ubi fama est tantam pabuli laeticiam esse, ut, nisi abstinentia impediatur sagina, pecora rumpantur. Unde etiam armenta eius fuerunt tantae famae, ut Herculem ex Graecia praedae magnitudine illexerint. Is fingitur tricorpor habuisse tres animas, propter tres insulas, videlicet Balearicam maiorem, minorem et Ebusam, quas cum fratribus concors tenuit. Erant enim, ut Iustinus scribit10, tres fratres tanta inter se concordia, ut esset una et eadem eorum voluntas. Iovinianus Pontanus in prooemio libri septimi de rebus coelestibus fabulam Gerionis physicè ita exponit: „Poëtae“, inquit, „qui primi de natura rerum per fabulationes quasi quasdam scripsere, Petre Bembe, tradunt Gerionem quendam regnantem ad Hispanicum Oceanum tres animas, tria etiam corpora habuisse, hisque tribus fuisse usum. Nimirum triplex corporis genus, triplex etiam animae genus mirifìcis his dictis innuere voluerunt. Siquidem genus unum est corporis, arborum herbarumque proprium, idque à vegetatione solaque corporis ipsius alimonia atque enutritione vegetabile dictum est; animaeque huius aliud offìcium est nullum praeterquàm educatio. Ipsa sola soli etiam inhaeret corpori, neque extra se quicquàm movet, nisi quantum succos ipsos, è quibus vegetatur, ad se trahit, ac trahendo corpori insinuat, in proceritatemque convertit. Secundum corporis atque animae genus est, quod à sentiendo nomen duxit. Nam et corpus ipsum movetur per loca et victum hîc atque illic quaeritando alitur; et anima ipsa videndo, audiendo, olfaciendo, gustando sic afficitur, ut corpus ipsum moveat impellatque ad ea exterius quaerenda, quae profutura sentiat, contraque ad ea fugienda, quae videantur nocitura. Neque enim sine motu esse ipsius opera potest ulla, aut motus aliquis per loca corporeus ac suus absque sensu. Haec ipsa anima viribus his suis usa, per visum, per auditum, per olfactum extra
9 Plutarchus: Vitae: Sertorius 9,3. 10 Iustinus: Epitoma 44,4,16.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IX
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Kriege nämlich, die Herkules geführt hat, sind zum allgemeinen Wohl der Menschen unternommen worden, um den Erdkreis von Tyrannei und Straßenraub zu befreien. Den Antaeus erwähnt Plutarch in der Vita des Sertorius, und er teilt mit, daß sein von Sertorius ausgegrabener Leichnam sechzig Ellen groß gewesen sei. Geryones herrschte auf den Inseln Spaniens, von denen die Sage kündet, es gebe dort einen dermaßen üppigen Wuchs an Futterkräutern, daß das Vieh platzen würde, wenn es nicht am Fressen durch Fernhalten gehindert würde. Deshalb waren auch seine Rinderherden so berühmt, daß sie Herkules wegen der Größe der [zu erwartenden] Beute aus Griechenland anlockten. Von diesem Geryones erzählt die Sage, daß er, mit drei Leibern, drei Seelen besessen habe, im Hinblick auf die drei Inseln, nämlich die größere [Mallorca] und kleinere [Menorca] der Balearen und Ibiza, die er zusammen mit seinen Brüdern einträchtig beherrschte. Die drei Brüder waren nämlich, wie Iustinus schreibt, untereinander von so großer Eintracht, daß sie von ein- und demselben Willen beseelt waren. Iovianus Pontanus legt die Sage von Geryones im Vorwort zum 7. Buch seines Werkes ‚Von den Himmelserscheinungen‘ folgendermaßen naturkundlich aus: „Die Dichter“, sagt er, „die als erste über die Natur der Dinge gleichsam in Gestalt bestimmter Fabeleien geschrieben haben, lieber Petrus Bembus, berichten, daß ein gewisser Geryones, der auf dem spanischen Ozean herrschte, drei Seelen und auch drei Leiber besessen und von diesen dreien Gebrauch gemacht habe. Zweifellos wollten sie mit diesen sonderbaren Aussagen andeuten, daß von dreierlei Art der Körper, von dreierlei Art auch die Seele sei. Die eine Art ist ja dem Leib, den Bäumen und den Kräutern eigentümlich, und von ihr ist die Rede, wenn man von der Belebung und allein von dem Unterhalt und der lebenserhaltenden Ernährung des Leibes spricht. Und zu dieser Art des Leibes gehört eine Seele, die keine andere Aufgabe hat außer der Auferziehung. Allein sie wohnt allein dem Körper inne, und sie wirkt auf nichts außerhalb ihrer selbst Liegendes ein, abgesehen davon, daß sie dem Leib das Maß an Säften, die sie an sich zieht und von denen sie am Leben erhalten wird, durch deren Anziehen mitteilt und in Wachstum umsetzt. Die zweite Art des Leibes und der Seele ist die, die ihren Namen von der sinnlichen Wahrnehmung hergeleitet hat. Denn der Leib selbst bewegt sich durch den Raum und ernährt sich, indem er sich hier und dort eifrig nach Speise umsieht, und die Seele ihrerseits wird durch Sehen, Hören, Riechen und Schmecken so beeinflußt, daß sie den Leib selbst in Bewegung setzt und ihn dazu antreibt, in der Außenwelt dasjenige aufzusuchen, von dem sie spürt, daß es ihm nützlich sein werde, hingegen aber das zu fliehen, was anscheinend Schaden bringen würde. Keine Tätigkeit kann nämlich sein ohne den Antrieb ihrer sinnlichen Wahrnehmung, und keinerlei Bewegung durch den Raum – die leibliche und ihre eigene –ohne sinnliche Wahrnehmung. Indem diese Seele ihrerseits von diesen ihren Kräften Gebrauch macht, durch das Sehen, das Hören, das Riechen,
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Fabularum Ovidii interpretatio IX
corpus ipsum penè egressa, ea, quae extrinsecus posita sunt, videtur sentire, atque ita quidem sentire, ut diiudicet, quid ex illis profuturum obfuturum naturae sit suae, indeque sentiens anima vocatur. Atque haec quidem corporis et animae duo genera naturaliter servilia sunt, tertioque illi, quod rationale genus est animae, obediunt. Hoc autem ipsum rationalis animae genus quantum à vegetante atque sentiente recedit anima, tantum superiori illi naturae aut potius (ut nunc loquuntur) essentiae, quae divina dicitur, sese adiungit atque inhaerescit. Quocirca aliud quoddam corpus huic rationalis animae generi attribuitur, tùm figura, tùm temperatione diversum, ut si et vegetetur et sentientibus utatur viribus, veluti ea corpora, quae tùm vegetabilia, tùm sensibilia dicta sunt, tamen alio quodam modo et figuratione et membrorum dispositione et humorum praecipuè temperatione affectum est“11 etc. Similiter Hesiodi interpres allegoriam eiusdem fabulae ad physiologiam refert12, intelligens nomine Herculis solem, propterea quòd is verè sit Iunonis, hoc est, aëris coelique decus et gloria, et Gerionis nomine hyemem à verbo γηρύω, quod est ‚clamo‘, propter hyberni temporis quasi clamorem seu tumultum, quem sol vincit et perimit à brumali tropico conversus ad aequinoctium vernum. Per boves autem Gerioni ereptos intelligit tonitrua ob similitudinem soni, propterea quòd ea fiant occiso Gerione, hoc est, finita hyeme. Sed haec allegoria videtur petita longius. Cerberus, quem Hercules fingitur ab inferis traxisse, fuit regis Molossorum canis. Nam apud Molossos, teste Plutarcho13, erat Herculis temporibus rex, qui habebat uxorem nomine Cererem, filiam Proserpinam et canem Cerberum. Ad hunc cum Pirithous et Theseus accessissent, ut fìliam eius Proserpinam raperent, Pirithous cani Cerbero obiectus et ab eo devoratus est. Theseus verò in vinculis detentus est, donec ab Hercule liberaretur. Hinc conficta est fabula de Theseo per Herculem ab inferis liberato deque inferorum cane simul abducto. Nicolaus Leonicus tamen de varia historia scribit, Hecateum Milesium autorem Graecum tradere, in Tenaro Laconiae promontorio fuisse serpentem horribili magnitudine et forma, quem Hercules iussu Euristhei interfecerit, eumque ab incolis
11 Ioannes Iovianus Pontanus: De rebus coelestibus (Venedig 1519), lib. 7, Bl. 209r. 12 Ioannes Diaconus Galenus: Scholion zu Hesiodus, Theogonia 292 (ed. Flach, S. 316 f.). 13 Plutarchus: Vitae: Theseus 31,4.
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scheint sie, aus dem Leibe nahezu herausgetreten, das, was in der Außenwelt angesiedelt ist, zu empfinden, und zwar so zu empfinden, daß sie auch entscheiden kann, was davon ihrer Natur nützen oder schaden wird. Und deshalb wird sie die sensitive (empfindende) Seele genannt. Nun haben aber diese beiden Arten des Leibes und der Seele von Natur aus unstreitig eine dienende Funktion und gehorchen jener dritten Art: der rationalen Art der Seele. In dem Maße aber, in dem diese Art der rationalen Seele selbst von der vegetativen und von der sensitiven abweicht, in eben dem Maße schließt und heftet sie sich jener höheren Natur oder vielmehr (wie man heute sagt) Wesensart an, die die göttliche genannt wird. Deshalb wird dieser Art der rationalen Seele auch ein bestimmter anderer Leib zugeteilt, der bald in der Gestalt, bald im Organismus abweicht, so daß er, auch wenn er ebenso vegetativ lebt und die Kräfte seiner Sinne benutzt wie die Leiber, die einerseits als vegetative, andererseits als sensitive bezeichnet worden sind, so doch mit einer bestimmten anderen Qualität, Gestalt und Einrichtung seiner Glieder und vornehmlich im Verhältnis der Säfte untereinander ausgestattet ist.“ Usw. Auf ähnliche Art bezieht der Erklärer Hesiods die Allegorie derselben Sage auf die Naturkunde, indem er unter dem Namen des Herkules die Sonne versteht, und zwar deshalb, weil diese wahrhaft Zierde und Ruhm der Juno, d. h. der Luft und des Himmels, ist, und unter dem Namen des Geryones den Winter, von dem Wort γηρύω, d. h. ‚ich rufe laut‘, da es zur Winterszeit gewissermaßen Lärmen und Getöse gibt, das die Sonne besiegt und aus dem Wege räumt, indem sie sich vom winterlichen Wendekreis zur Tagundnachtgleiche des Frühlings hinwendet. Unter den dem Geryones geraubten Rindern aber versteht er den Donner, wegen der Ähnlichkeit des Klanges [d. h. des Rindergebrülls], und zwar deshalb, weil dieser erst auftritt nach der Tötung des Geryones, d. h. nach dem Ende des Winters. Diese Allegorie scheint aber etwas weit hergeholt. Cerberus, den Herkules der Sage nach aus der Unterwelt gezogen haben soll, war ein Hund des Königs der Molosser. Denn bei den Molossern gab es, wie Plutarch bezeugt, zu Zeiten des Herkules einen König, der eine Frau namens Ceres, eine Tochter Proserpina und einen Hund Cerberus hatte. Als Pirithous und Theseus zu diesem König kamen, um dessen Tochter Proserpina zu rauben, wurde Pirithous dem Hund Cerberus vorgeworfen und von ihm gefressen. Theseus aber wurde gefangengehalten, bis er von Herkules befreit wurde. Dies war der Hintergrund der Sage von der Befreiung des Theseus aus der Unterwelt durch Herkules und die gleichzeitige Entführung des Hundes der Unterwelt. Nicolaus Leonicus schreibt jedoch in seinem Werk ‚Historisches Mancherlei‘, Hecateus von Milet, ein griechischer Autor, berichte, daß es in dem Vorgebirge Taenarus in Lakonien eine Schlange von schrecklicher Größe und Gestalt gegeben habe, die Herkules auf Geheiß des Euristheus tötete. Und diese Schlange sei von den Einwohnern
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illius loci dictum fuisse canem inferorum, propterea quòd erat solitus obvios quosque venenato morsu et afflatu necare.14 160 Augiae stabulum, congesto ter mille boum fimo repletum, fuit ipsius Augiae regis aula, luxu perdita ac plurimis viciis inquinata, quam occiso tyranno Hercules expurgavit. Diomedes sanguine et visceribus hominum equos pavisse fingitur, eò quòd magnum in aula equitatum partim latrociniis, partim intolerabilibus tributis et 165 exactionibus aluit. Erasmus Roterodamus in adagio ‚Diomedea necessitas‘ refert ex Aristophanis interprete15 Diomedem solitum hospites suos compellere ad stuprum faciendum cum filiabus suis deformissimis et stupro facto illos inter emisse; et eam ob causam Diomedis fìlias à viris agitatas dictas esse equas, quae pabuli vice humana carne vescerentur. Stymphalides aves erant praedones, qui circa Stymphalum oppidum et 170 lacum Arcadiae latrocinabantur, id quod coniicere licet ex his versibus Claudiani: Audieram, memorande, tuas, Stymphale, volucres Spicula vulnifico quondam sparsisse volatu.16
Nam cùm ait sparsisse tela seu spicula, non obscurè indicat fuisse praedones
175 armis instructos. Hae verò aves in primis infestae sunt mercatoribus, et relicta
Arcadia commigrarunt in multas Germaniae regiones. Taurus, cerva, leo inter praepotentes et nobiles latrones numerandi sunt, qui horum animalium vel insignia vel nomina gesserunt, quanquàm fieri etiam potest, ut Hercules, quemadmodum Samson, inciderit fortè in leonem eumque 180 memorabili casu interfecerit. Draco, pomarii custos, fuit, ut Plinius refert17, meatus maris flexuosus, qui procul spectantibus praebebat effigiem longi ac tortuosi draconis. Eo meatu erant cincti Hesperidum horti, quos Hercules depopulatus est. Centauri fuerunt populi Thessaliae, qui primi equites fuisse perhibentur, ac 185 ideò fìnguntur bimembres, quoniam in equitibus procul apparet mixta species equi et viri. Cum his populis Hercules quoque pugnavit.
14 Nicolaus Leonicus Thomaeus: De varia historia (Basel 1531), S. 42 f. 15 Erasmus Roterodamus: Adagia 804: Opera omnia (Amsterdam) II-2, S. 326. Erasmus bezieht sich hier auf ein Scholion zu Aristophanes, Eccles. 1029 (Fr. Dübner: Scholia Graeca in Aristophanem. Paris 1842, S. 321b). 16 Claudianus: Carmina minora 9 (Hystrix), 1–2. 17 Plinius: Nat. hist. 5,3.
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jener Gegend deshalb ‚Hund der Unterwelt‘ genannt worden, weil sie jeden, der vorbeikam, mit giftigem Biß und Anhauch zu töten pflegte. Der Stall des Augias, angefüllt mit dem aufgehäuften Mist von 3000 Rindern, war der von Prasserei verdorbene, von einer Vielzahl von Lastern besudelte Hof eben dieses Königs Augias, den Herkules nach Tötung des Tyrannen gereinigt hat. Diomedes soll der Sage nach mit dem Blut und den Eingeweiden von Menschen Pferde gefüttert haben, und zwar deshalb, weil er die große Reiterei an seinem Hofe teils mit Räubereien, teils mit unerträglichen Steuern und Abgaben unterhielt. Erasmus von Rotterdam berichtet in seinem Adagium ‚Des Diomedes Zwangslage‘ nach dem Ausleger des Aristophanes, Diomedes habe seine Gäste gewöhnlich genötigt, mit seinen überaus garstigen Töchtern Geschlechtsverkehr auszuführen, und sie nach Ausführung des Verkehrs getötet. Aus diesem Grund seien die von den Männern heimgesuchten Töchter als Stuten bezeichnet worden, die sich statt mit Futter mit Menschenfleisch ernährten. Die Stymphalischen Vögel waren Räuber, die rund um die Stadt und den See Stymphalus in Arkadien Straßenraub betrieben. Dies läßt sich nach diesen Versen Claudians mutmaßen: Ich hatte gehört, denkwürdiges Stymphalus, daß einstmals deine Vögel Pfeile ausgestreut haben bei ihrem Wunden erzeugenden Flug.
Denn wenn er sagt, sie hätten Geschosse oder Pfeile ausgestreut, zeigt er damit in aller Deutlichkeit an, daß sie bewaffnete Räuber gewesen seien. Diese Vögel aber sind vornehmlich Kaufleuten feind, und nachdem sie Arkadien verlassen haben, sind sie in viele Gegenden Deutschlands eingewandert. Stier, Hirschkuh, Löwe sind unter die sehr mächtigen adligen Straßenräuber zu zählen, die Wappen oder Namen dieser Tiere geführt haben, obgleich es auch sein kann, daß Herkules ebenso wie Samson zufällig einem Löwen begegnet ist und ihn während eines denkwürdigen Zwischenfalls getötet hat. Der Drache, der den Obstgarten bewachte, war, wie Plinius berichtet, eine krümmungsreiche Meeresströmung, die Betrachtern aus der Ferne das Erscheinungsbild eines langen und gewundenen Drachens bot. Von dieser Strömung waren die Gärten der Hesperiden umgürtet, die Herkules geplündert hat. Die Kentauren waren Völkerschaften Thessaliens, die, wie man sagt, die ersten Reiter gewesen sein sollen. Und deshalb stellt man sie sich auch zwiegestaltig vor, da bei Reitern in der Ferne sich das Erscheinungsbild einer Mischung von Pferd und Mann einstellt. Mit diesen Völkerschaften hat auch Herkules gekämpft.
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Cacus fuit princeps Campaniae, qui, cùm esset Euandro infestus, duce Hercule ab Arcadibus oppressus et fumo necatus est, igne in spelunca succenso, ubi sese abdiderat. Is fìngitur expuisse ignem, propterea quòd incendiis omnia 190 devastabat. Magnam quoque gloriam Hercules consecutus est astrorum sphaera in Graeciam allata, quam Atlas Mauritaniae rex paulò ante invenerat. Et hac de causa dictus est alter post Atlantem sustinuisse coelum humeris.
10 Indignatio Herculis adversus Deum. 195
At valet Eurystheus, et sunt, qui credere possunt Esse deos. [IX,203 sq.]
Illud quidem minimè est heroicum, sed tamen à mortali homine non alienum, quòd Hercules indignatur et irascitur, ut incuset Deum, quasi res humanas nihil curet. Nam cum boni in hac vita affligantur calamitatibus et improbi bene 200 habeant, certè humanus animus nisi doctrina Christiana confirmatus non potest aliter statuere, nisi aut nullum esse Deum aut res humanas non esse Deo curae: quam humanae mentis cogitationem poëta Claudianus eruditè complexus est his versibus: 205
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Saepe mihi dubiam traxit sententia mentem, Curarent Superi terras, an nullus inesset Rector et incerto fluerent mortalia casu. Nam cum dispositi quaesissem foedera mundi Praescriptosque maris fines annique meatus Et lucis noctisque vices, tunc omnia rebar Consilio firmata Dei, qui lege moveri Sidera, qui fruges diverso tempore nasci, Qui variam Phoeben alieno iusserit igne Compleri, solemque suo, porrexerit undis Littora, tellurem medio libraverit axe. Sed cùm res hominum tanta caligine volvi Aspicerem laetosque diu florere nocentes Vexarique pios, rursus labefacta cadebat Relligio, causaeque viam non sponte sequebar Alterius, vacuo qui currere semina motu Affirmat magnumque novas per inane figuras Fortuna, non arte regi.18
18 Claudianus: In Rufinum, lib. 1,1–18.
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Cacus war ein Fürst von Kampanien, der, weil er ein Feind des Euander war, von den Arkadiern unter der Führung des Herkules in die Enge getrieben wurde und durch den Rauch von dem in der Höhle, in der er sich versteckt hatte, angezündeten Feuer zu Tode kam. Von ihm wurde gefabelt, daß er Feuer gespien habe, und zwar deshalb, weil er alles mit Sengen und Brennen verwüstete. Großen Ruhm hat Herkules auch erlangt durch den nach Griechenland gebrachten Himmelsglobus, den Atlas, der König von Mauretanien, kurz zuvor erfunden hatte. Und aus diesem Grunde sagte man auch, er habe als zweiter nach Atlas den Himmel auf den Schultern getragen.
10 Die Empörung des Herkules gegenüber Gott Eurystheus aber ist gesund! Und es gibt welche, die glauben können, es gebe Götter! [IX,203 f.]
Dies allerdings ist alles andere als heroisch, aber doch einem sterblichen Menschen nicht wesensfremd, daß Herkules empört ist und zürnt, so daß er Gott bezichtigt, sich gleichsam um die Belange der Menschen nicht zu kümmern. Denn da die Guten in diesem Leben von Unheil heimgesucht werden und die Schurken es sich wohl sein lassen, kann der menschliche Geist, wenn er nicht durch die Lehre des Christentums gestählt ist, gewiß nur zu der Feststellung gelangen, daß es entweder keinen Gott gebe oder die menschlichen Belange Gott gleichgültig seien. Diese Überlegung des menschlichen Verstandes hat der Dichter Claudian mit Sachkenntnis in diese Verse gefaßt: Oft haben meinen zweifelnden Geist zwei Ansichten beschäftigt: ob die Himmlischen sich um die Welt kümmern oder ob es in ihr keinen Lenker gibt und die Schicksale der Menschen nur ablaufen nach unberechenbarem Zufall. Denn als ich erforscht hatte die Gesetzmäßigkeiten des wohlgeordneten Weltalls, die dem Meer gesetzen Grenzen, den Gang des Jahres und den Wechsel von Tag und Nacht, da glaubte ich, daß alles bestimmt worden sei durch den Ratschluß Gottes, der die Sterne sich gesetzmäßig bewegen, die Früchte zu verschiedenen Jahreszeiten wachsen, den wechselhaften Mond mit fremdem, die Sonne mit eigenem Licht ihren Lauf erfüllen hieß, der den Wellen das Gestade entgegengesetzt und die Erde in der Mitte des Himmels im Gleichgewicht gehalten hat. Doch als ich sah, daß die Angelegenheiten der Menschen von dichtem Nebel umgeben sind, die Bösewichter heiter und in lang andauernder Blüte und die Rechtschaffenen mißhandelt sah, da wurde mein Glaube erschüttert und erstarb, und gegen meinen Willen folgte ich dem Weg der anderen Partei, die versichert, daß die Keime [= Atome] sich in freiem Lauf dahinbewegen und neue Gestaltungen im großen Nichts vom Glück bestimmt werden, nicht von planvoller Kunst.
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11 Lychas in scopulum. Lychae exemplum docet ministeria, praesertim in aulis, esse periculosa. Saepe enim famulis ac ministris iniunguntur, quae comparant ipsis exicium.
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12 Hercules in deum. Quadriiugo curru radiantibus intulit astris. [IX,272]
Qui Herculem et caeteros heroas ex hominibus deos consecrarunt, indicare voluerunt (ut inquit Cicero de legibus19) omnium quidem animos inmortales esse, sed fortium ac bonorum divinos.
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13 Urnae Belidum. urnisque vacarunt Belides. [X,43 sq.]
Belides, Danai regis filiae, hoc genus poenae apud inferos pendunt, ut assiduè aquam in dolium pertusum, urnis similiter pertusis inferant. His urnis et huic 235 dolio Plato in Gorgia assimilat animum incontinentem, qui effusis in omni intemperantia libidinibus agitatur.20 Eisdem persimiles sunt homines futiles, qui, ut ille Terentianus, pleni sunt rimarum et undique effluunt.21 Potest etiam allegoria lepidè exponi de fisco principis, quem omnes omnium civium fortunae explere nequeant. De Sisyphi saxo et Titii iecore semper renascente prius dictum est libro 4. 240
14 Galanthis in mustelam. Ore parit nostrasque domos, ut et ante, frequentat. [IX,323]
Idem fertur de ave Aegyptiaca, quam Ibin vocant: nempe quod foetus per rostrum edat. Mustela tamen (ut scribit Aristoteles de natura animalium22) non quidem ore
19 Cicero: De legibus 2,19. 20 Plato: Gorgias 493d-494b. 21 Terentius: Eun. 105. 22 Aristoteles: De generatione animalium 3,6,756b15–20.
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11 Lichas in eine Klippe verwandelt Des Lichas Beispiel lehrt, daß dienstbare Tätigkeiten, insbesondere an Höfen, gefährlich sind. Oft nämlich werden Gehilfen und Dienern Verrichtungen aufgetragen, die ihnen den Untergang bereiten.
12 Herkules in einen Gott verwandelt In einem vierspännigen Wagen trug er [= Jupiter] ihn zu den strahlenden Sternen empor. [IX,272]
Diejenigen, welche Herkules und die übrigen Heroen von Menschen zu Göttern weihten, wollten damit anzeigen, wie Cicero in seinem Werk ‚Von den Gesetzen‘ sagt, daß zwar aller Menschen Geister unsterblich seien, die der starken und guten aber göttlich.
13 Die Krüge der Beliden Die Beliden machten Pause bei ihren Krügen. [X,43 f.]
Die Beliden, Töchter des Königs Danaus, erleiden die Art von Strafe in der Unterwelt, daß sie ständig Wasser in ein durchlöchertes Faß, ebenso in durchlöcherte Krüge schöpfen. Mit diesen Krügen und diesem Faß vergleicht Plato im Gorgias eines Geist, der nicht an sich halten kann und sich von Lüsten, die sich in jeder Art von Ausschweifung ergossen haben, treiben läßt. Sehr große Ähnlichkeit mit diesen haben zerstreute Menschen, die wie der bekannte Sklave bei Terenz „voller Ritzen sind und auf allen Seiten auslaufen“. Die Allegorie läßt sich auch ganz gut passend auf die Staatskasse eines Fürsten beziehen, die auch alles Hab und Gut aller Bürger nicht voll machen könnte. Über den Stein des Sisyphus und die ständig nachwachsende Leber des Tityus wurde schon in Buch IV gesprochen.
14 Galanthis in ein Wiesel verwandelt Sie gebiert mit dem Mund und geht wie zuvor häufig in unserem Hause aus und ein. [IX,323]
Dasselbe wird erzählt von dem ägyptischen Vogel, den man Ibis nennt, nämlich daß er sein Junges durch den Schnabel zur Welt bringe. Das Wiesel aber, wie Ari-
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245 parit (quo enim pacto foetus ad os perveniret?), sed quia parit catulos admodum
parvos ac saepe ore susceptos transfert, ideò vulgò ita persuasum est illam ore parere. Monet autem Galanthidos fabula, se ipsos fallere, qui insidiis et praetextu Deum fallere conantur. Illa enim dum deceptam Lucinam irridet, ab ea in bestiolam mutatur.
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15 Dryope in lotum arborem. Corpore mutato rami caluere recentes. [IX,393]
Dryope, cuius nomen à quercu et voce factum est, fìngitur in lotum conversa, ob hanc fortè causam, quòd inter utranque arborem, quercum et lotum, aliqua sit convenientia. Aiunt enim loton non sentire cariem eiusque lignum esse solidum 255 perinde ut quercum. Est autem iucunda fabula haec et plena suavissimis affectibus, praesertim in fine, ubi Dryope ex arbore loquitur, iurans se esse innocentem et mandans adduci saepius fìliolum ad suam arborem, ut sub ea ludens matris recordetur. Item, ubi suis valedicens petit se defendi à morsu pecorum et à falce, qua frondes amputantur. Haec admodum sunt suavia et iucunda, praesertim in 260 tali argumento.
16 Hebe uxor Herculis. Hoc illi dederat Iunonia muneris Hebe. [IX,400]
Ἥβη fingitur uxor Herculis, eò quòd pubertas seu florens aetas coniuncta est cum robore, quod per Herculem intelligitur, propter fortia ipsius facta.
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stoteles in ‚Vom Wesen der Tiere‘ schreibt, gebiert zwar nicht mit dem Maul (denn wie wäre dann die Leibesfrucht in das Maul gekommen?), aber weil es sehr kleine Junge gebiert und sie oft mit dem Maul faßt und von einem Ort zum anderen trägt, deshalb hat sich gemeinhin die Überzeugung festgesetzt, daß jenes Tier mit dem Maul gebäre. Die Sage von Galanthis aber führt uns vor Augen, daß nur sich selbst täuscht, wer mit Hinterlist und Vorspiegelung Gott zu täuschen versucht. Während jene nämlich die betrogene Lucina verlacht, wird sie von dieser in ein kleines Tier verwandelt.
15 Dryope in einen Lotosbaum verwandelt [Und noch lange] nach der Verwandlung des Leibes blieben die frischen Zweige warm. [IX,393]
Dryope, deren Name aus der Eiche (δρῦς) und der Stimme (ὄψ) gebildet ist, wird der Sage nach in einen Lotos verwandelt, vielleicht aus dem Grund, weil es zwischen beiden Bäumen, der Eiche und dem Lotos, irgendeine Übereinstimmung gibt. Man sagt nämlich, der Lotos kenne keine Fäulnis, und sein Holz sei ebenso fest wie das der Eiche. Es ist dies aber eine ansprechende Sage und voll von lieblichsten Affekten, besonders am Schluß, wo Dryope aus dem Baum spricht und schwört, daß sie unschuldig sei, und den Auftrag erteilt, daß ihr Söhnchen möglichst oft zu ihrem Baum geführt werden solle, um, während es darunter spielt, an seine Mutter zurückzudenken. Desgleichen, wo sie, von den Ihrigen Abschied nehmend, darum bittet, vor den Bissen des Viehs geschützt zu werden und vor dem Gartenmesser, mit dem das Laub abgeschnitten wird. Dies ist höchst lieblich und anziehend, gerade bei solch einem Stoff.
16 Hebe als Ehefrau des Herkules Dieses Geschenk hatte ihm Hebe, Junos Tochter, gegeben. [IX,400]
Hebe denkt man sich deshalb als Frau des Herkules, weil die Zeit der Geschlechtsreife oder der Jugendblüte verbunden ist mit Körperkraft, die unter Herkules verstanden wird, wegen seiner kraftvollen Taten.
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17 Iolaus. Ora reformatus primos Iolaus in annos. [IX,399]
Iolaus vixit ad summam senectutem integris propè viribus, et in senili aetate multas praeclaras res gessit. Ideò fìngitur denuò pubertatem adeptus. Simili ratione finguntur Alcmeonis et Calirrhoes filii beneficio Hebes transformati ex 270 infantibus statim in adolescentes: nempe propter res virili aetate dignas, quas in tenera aetate gesserunt.
18 Tithonus. queritur veteres Pallantias annos Coniugis esse sui. [IX,421 sq.] 275 Tithonus fingitur adamatus ab Aurora, eadem, opinor, ratione, qua Cephalus,
nempe quod ante solis ortum surgere et matutina tempora non somno, sed agendis rebus tribuere solitus fuerit. Fingitur item ad summam pervenisse senectutem, eiusdem Aurorae succo perfusus. Ad tuendam enim valetudinem prodest perfundi Aurorae succo, hoc est, simul cum sole expergefieri.
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19 Iasion. queritur canescere mitem Iasiona Ceres. [IX,422 sq.]
Iasion fuit studiosus agriculturae. Ideò in fabulis traditur à Cerere adamatus.
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20 Erichtonius. repetitum Mulciber aevum Poscit Erichtonio. [IX,423 sq.]
Erichtonius fingitur Vulcani et Minervae filius, quia inter infantes vulgò quaesitus inventus est in templo Vulcani et Minervae expositus, quod ambobus commune 290 Athenis habebatur.
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17 Iolaus Iolaus, dessen Antlitz wieder jugendliche Züge angenommen hat. [IX,399]
Iolaus lebte bis ins höchste Greisenalter mit nahezu ungeschmälerten Kräften, und als alter Mann vollbrachte er viele glanzvolle Taten. Deshalb erzählt die Sage von ihm, er habe aufs neue das Jünglingsalter erlangt. Aus einem ähnlichen Grund erzählt man, daß die Söhne des Alcmaeon und der Calirrhoe durch eine Guttat der Hebe von Kindern sogleich in Jünglinge umgestaltet worden seien: nämlich wegen der eines männlichen Alters würdigen Taten, die sie schon in zartem Alter vollbracht haben.
18 Tithonus Die Nachfahrin des Pallas [= Aurora] beklagt das hohe Alter ihre Mannes. [IX,421 f.]
Die Sage berichtet, daß Tithonus von Aurora geliebt worden sei, meiner Meinung nach aus demselben Grund wie Cephalus: nämlich weil er gewohnt war, vor Sonnenaufgang aufzustehen und die Zeit der Morgenfrühe nicht dem Schlaf, sondern nutzbringendem Tun zu widmen. Er soll auch, so die Sage, ein sehr hohes Alter erreicht haben, benetzt von einem Saft derselben Aurora. Zur Sicherung der Gesundheit ist es nämlich von Nutzen, mit dem Saft der Morgenröte benetzt zu werden, d. h. gleichzeitig mit der Sonne zu erwachen.
19 Iasion Ceres klagt, der milde Iasion werde grau. [IX,422 f.]
Iasion gab sich mit Eifer der Landwirtschaft hin. Deshalb wird in der Sage überliefert, er sei von Ceres geliebt worden.
20 Erichthonius Mulciber verlangt, daß für Erichthonius das Leben neu beginnen solle. [IX,423 f.]
Von Erichthonius wird fabuliert, er sei ein Sohn von Vulcanus und Minerva gewesen, weil er, als man ihn allgemein unter den kleinen Kindern suchte, ausgesetzt vorfand im Tempel von Vulcanus und Minerva, der in Athen für diese beiden Götter unterhalten wurde.
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Fabularum Ovidii interpretatio IX
21 Anchises. Venerem quoque cura futuri Tangit, et Anchisae renovare paciscitur annos. [IX,424 sq.]
A Venere adamari finguntur, qui aut formosas habent uxores aut ipsi praestante
295 sunt forma, qualem Anchisen et uxorem eius fuisse non dubium est. Neque aliam
ob causam Aeneas dicitur Veneris filius, nisi quòd matrem habebat formosissimam.
22 Byblis. Byblis Apollinei correpta cupidine fratris. [IX,455] 300 Talia exempla proponuntur, non ut inde discamus vicia aut turpitudinem, sed ut
illis admoniti caveamus, ne illicito aut inhonesto amore capiamur: id quod autor etiam ipse indicat, cùm inquit: Byblis in exemplo est, ut ament concessa puellae. [IX,454]
Tantas autem vires sumit Venereus impetus, ut nullum neque sanguinis neque
305 cognationis discrimen haberi sinat: id quod exempla declarant. Ptolomeus
Ceraunus duxit uxorem sororem suam Arsinoem. Papa Alexander VI. incestè amavit filiam suam Lucretiam, de qua extat hoc epigramma: Conditur hoc tumulo Lucretia nomine, sed re Thais, Alexandri filia, sponsa, nurus.23
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23 Chimera. Quoque Chimera iugo mediis in partibus ignem, Pectus et ora leae, caudam serpentis habebat. [IX,647 sq.]
Chimeram, quae à poëtis fìngitur monstrum ignivomum, capite leonino et cauda anguina, Plutarchus scribit fuisse navim praedatoriam, cuius prora ignivomo
23 Dieses satirische Epitaph eines Anonymus auf Lucretia Borgia, im 16. Jh. viel zitiert, findet sich auch in Luthers Tischreden: Martin Luther: Werke. Kritische Gesamtausgabe: Tischreden. Bd. 2. Weimar 1913, S. 151, Nr. 1611.
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21 Anchises Auch Venus wird von Sorge um die Zukunft erfaßt und bedingt sich aus, daß Anchises verjüngt werde. [IX,424 f.]
Als von Venus geliebte Männer stellt man sich die vor, die entweder schöne Frauen haben oder selbst von herausragender Schönheit sind – wie es bei Anchises und seiner Frau ganz ohne Zweifel der Fall war. Und aus keinem anderen Grund sagt man von Aeneas, er sei ein Sohn der Venus, als weil er eine Mutter von großer Schönheit hatte.
22 Byblis Byblis war erfaßt von Begierde nach ihrem Bruder, dem Enkel Apollos. [IX,455]
Solcherlei Beispiele werden vorgeführt, nicht damit wir daraus Laster oder Unsittlichkeit lernen, sondern damit wir, durch sie gemahnt, uns davor hüten, uns unerlaubter oder unehrenhafter Liebe hinzugeben – was der Verfasser selbst kundtut, wenn er sagt: Byblis ist ein warnendes Beispiel dafür, daß Mädchen sich nur einer erlaubten Liebe hingeben sollen. [IX,454]
Der Trieb sinnlicher Liebe gewinnt aber so große Kraft, daß er keine Barriere gegenüber Blutsverwandten und Familienangehörigen duldet – was die Beispiele deutlich kundtun. Ptolemaeus Ceraunus nahm seine Schwester Arsinoë zur Frau. Papst Alexander VI. liebte blutschänderisch seine Tochter Lucretia, zu der es dieses Epigramm gibt: In diesem Grab ist beigesetzt Lucretia, dem Namen nach, tatsächlich jedoch Thais, Alexanders Tochter, Gattin und Schwiegertochter.
23 Chimaera […] und den Bergrücken, Wohnsitz der Chimaera, die in der Mitte aus Feuer bestand, Brust und Gesicht einer Löwin und den Schwanz einer Schlange hatte. [IX,647 f.]
Von Chimaera, die von den Dichtern als ein feuerspeiendes Ungeheuer, mit Löwenkopf und Schlangenschwanz, dargestellt wird, schreibt Plutarch, sie sei ein Seeräuberschiff gewesen, dessen Bug mit einem feuerspeienden Löwen und
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Fabularum Ovidii interpretatio IX
315 leone et puppis dracone insignita erat, eamque à Bellerophonte sublatam fuisse,
interfectis piratis, à quibus maritima Lyciae ora infestabantur.24 Servius tradit Chimeram esse montem Lyciae olim incendio et feris infestum, sed postea cultum et habitabilem à Bellerophonte factum. Sic enim ipse ait: „Chimera est revera mons Lyciae, cuius hodie ardet cacumen, iuxta quod sunt 320 leones, in medio autem pascua sunt et ima montis serpentibus plena. Hunc Bellerophon habitabilem fecit, unde Chimeram dicitur occidisse.“25 Gregorius Nazianzenus in vita Basilii Magni allegorico sensu Chimeram exponit de tribus rhetoricae partibus. „Chimera“, inquit, „monstrum ex tribus compositum, anteriore parte leo est, posteriore draco, media capra. Sic item rhetorice in tria divisa 325 est genera: iudiciale, deliberativum et demonstrativum.“26 Videtur autem Nazianzenus iudiciale genus, quia sit acre, comparare leoni et deliberativum draconi, quia sit varium et multarum conversionum, caprae verò demonstrativum, quia lasciviat.
24 Harpocrates. 330
Quique premit vocem digitoque silentia suadet. [IX,692]
Harpocrates Aegyptiorum deus pingebatur clauso ore, digito labris admoto, quo significabatur linguam diligenter custodiendam atque cohibendam esse, nihilque silentio ac taciturnitate tutius. Nam ut dici solet: Nulli tacuisse nocet; nocet esse locutum.27
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25 Iphis in marem. „Fer, precor“, inquit, „opem nostroque medere dolori!“ [IX,775]
Insigne exemplum, licet fabulosum, quo monemur in summis etiam difficultatibus non desperandum esse, sed precibus confugiendum ad auxilium divinum.
24 Plutarchus: Moralia: De claris mulieribus sive Mulierum virtutes 247F-248A. 25 Servius: Comment. in Vergil. Aen. 6,288. 26 Gregorius Nazianzenus: Monodia in Basilii Magni vitam per Raphaëlem Volaterranum conversa. In: Basilius Magnus Caesariensis: Eruditissima opera (Köln 1531), S. 7. 27 Disticha Catonis 1,12,2.
Auslegung der Metamorphosen Ovids IX
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dessen Heck mit einem Drachen gekennzeichnet war, und dieses Schiff sei von Bellerophon zerstört worden, nach Tötung der Piraten, von denen die Seeküsten Lykiens unsicher gemacht wurden. Servius teilt mit, Chimaera sei ein Berg in Lykien, der einst durch Feuer und wilde Tiere ein [den Menschen] feindliches Gelände gewesen, später aber von Bellerophon kultiviert und bewohnbar gemacht worden sei. So sagt er nämlich selbst: „Chimaera ist in Wahrheit ein Berg in Lykien, dessen Gipfel heute brennt und in dessen Nähe sich Löwen aufhalten; in seiner Mitte aber sind Weideflächen, und der Fuß des Berges wimmelt von Schlangen. Diesen Berg hat Bellerophon bewohnbar gemacht, weshalb von ihm gesagt wird, er habe Chimaera getötet.“ Gregor von Nazianz deutet in seiner Vita Basiliusʼ des Großen Chimaera allegorisch, nach den drei Teilen der Rhetorik. „Chimaera“, sagt er, „ist ein aus drei Bestandteilen zusammengesetztes Ungeheuer: im vorderen Teil ist sie ein Löwe, im hinteren eine Schlange und im mittleren eine Ziege. So ist auch die Rhetorik in drei Genera geteilt: genus iudiciale, deliberativum und demonstrativum.“ Der Nazianzener scheint aber das genus iudiciale, weil es Schärfe besitzt, mit dem Löwen zu vergleichen, das genus deliberativum mit der Schlange, weil es bunt und von vielseitiger Wandlungsfähigkeit ist, das genus demonstrativum jedoch mit der Ziege, weil es sich mutwillig freien Lauf läßt.
24 Harpocrates […] und der Gott, der die Stimme unterdrückt und mit dem Finger zum Schweigen mahnt. [IX,692]
Harpocrates, ein Gott der Ägypter, wurde gemalt mit geschlossenem Mund und einem zu den Lippen geführten Finger – womit zum Ausdruck gebracht wurde, daß die Zunge sorgfältig zu hüten und im Zaum zu halten sei und daß nichts sicherer sei als Stillesein und Verschwiegenheit. Denn wie man zu sagen pflegt: Niemandem schadet es, geschwiegen zu haben; geredet zu haben, schadet.
25 Iphis in einen Mann verwandelt „Bringe“, sagt sie, „Hilfe und heile uns von unserem Schmerz!“ [IX,775]
Ein ausgezeichnetes, wenn auch sagenhaftes Beispiel, mit dem wir ermahnt werden, auch in höchsten Nöten nicht zu verzweifeln, sondern mit Gebeten unsere Zuflucht zu göttlicher Hilfe zu nehmen.
In librum decimum. 1 Orphei descensus ad inferos. Hanc simul et legem Rhodopeius accipit Orpheus, Ne flectat retrò sua lumina. [X,50 sq.] 5 Audivi fabulam Orpheae similem, si modo dicenda est fabula, quam multorum
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testimonia affirmant esse historiam. Ferunt in Bavaria virum nobili familia natum extincta uxore tantum animo dolorem cepisse, ut nullam admitteret consolationem ac vitam ageret in solitudine. Tandem ubi nullum finem lugendi faceret, uxorem eius comparuisse excitatam à mortuis ac dixisse se quidem semel confecisse circulum vitae à natura datum, sed importunitate ipsius revocatam esse nunc in vitam atque à Deo iussam uti eius consuetudine adhuc diutius, hac tamen conditione ac lege, ut matrimonium morte solutum denuò per sacerdotem solenni ritu iungeretur utque deinceps ipse abstineret blasphemis conviciandi verbis, quibus uti consueverat. Se enim horum causa ei ademptam fuisse atque iterum excessuram è vita, cùm primum eiusmodi aliquod verbum edidisset. His actis illam curasse rem domesticam ut antea et aliquot etiam peperisse liberos; semper tamen fuisse tristem ac pallidam. Post multos verò annos maritum vesperi potum et ancillae iratum edidisse verba, quae non debebat. Interea illam disparuisse è cubiculo, unde allatura erat marito poma, ac reliquisse muliebrem vestitum sine corpore stantem, quasi phantasma, ad cistam, ubi poma servabantur. Haec audivi ex multis viris fide dignis, qui affìrmabant Ducem Bavariae eadem retulisse Duci Saxoniae pro veris. Sed Orphei fabulam exponamus. Pausanias scribit Orphea magicis artibus ac praestigiis evocasse umbram suae uxoris, quae postea statim evanuerit.1 Hinc equidem opinor confìctam esse fabulam de illius uxore reducta ab inferis. Commendat autem fabula amorem coniugalem et simul admonet, ne conficiamur luctu et desiderio mortuorum.
1 Pausanias 9,30,6. DOI 10.1515/9783110620283-013
Zum zehnten Buch 1 Des Orpheus Abstieg in die Unterwelt Der aus dem Rhodopegebirge stammende Orpheus nimmt sie entgegen – und zugleich die Bedingung, daß er seine Blicke nicht zurückwenden dürfe. [X,50 f.]
Ich habe von einer Sage gehört, die der von Orpheus ähnlich ist – wenn denn als eine Sage bezeichnet werden darf, wovon Zeugnisse vieler Menschen bestätigen, daß es sich um eine historische Tatsache handle. Es heißt, daß in Bayern ein aus einer Adelsfamilie entsprossener Mann über das Hinscheiden seiner Frau einen so großen Schmerz empfunden habe, daß er keinem Trost zugänglich war und sein Leben in der Einsamkeit verbrachte. Als er mit seinem Trauern kein Ende finden konnte, sei ihm schließlich seine von den Toten erweckte Frau erschienen und habe ihm gesagt, sie habe zwar den von der Natur vorgegebenen Kreis des Lebens einmal durchlaufen, sei aber wegen seiner unglücklichen Verfassung jetzt ins Leben zurückgerufen und von Gott geheißen worden, mit ihm noch länger in ehelicher Gemeinschaft zusammenzuleben, jedoch unter der Bedingung und Maßgabe, daß die durch den Tod aufgelöste eheliche Verbindung durch einen Priester in feierlichem Ritus aufs neue wiederhergestellt werde und daß er sich fernerhin der lästerlichen Schimpfworte enthalte, deren er sich gewohnheitsmäßig bedient hatte. Wegen dieser Schimpfworte nämlich sei sie ihm entzogen worden, und sie werde wiederum aus dem Leben scheiden, sobald er irgendein Wort von dieser Art ausgesprochen haben würde. Hiernach habe sie ihren Haushalt besorgt wie früher und auch etliche Kinder geboren, sei aber immer traurig und bleich gewesen. Nach vielen Jahren aber habe ihr Mann eines Abends, angetrunken und wütend über eine Magd, Worte ausgesprochen, die ihm untersagt waren. Währenddessen sei jene Frau aus dem Schlafgemach, von dem aus sie ihrem Mann gerade Äpfel bringen wollte, verschwunden und habe ihr ohne den Leib dastehendes Frauengewand zurückgelassen, als ein Gespenst gleichsam, neben der Kiste, in der die Äpfel aufbewahrt wurden. Dies habe ich von vielen vertrauenswürdigen Männern gehört, die versicherten, daß der Herzog von Bayern ebendies dem Herzog von Sachsen als die reine Wahrheit berichtet habe. – Doch wir wollen die Sage von Orpheus auslegen. Pausanias schreibt, daß Orpheus mit magischen Künsten und Gaukeleien den Schatten seiner Frau herbeizitiert habe und dieser sofort danach in Luft aufgegangen sei. Meiner Meinung nach ist in der Tat hiernach die Sage von dessen aus der Unterwelt zurückgebrachter Frau erdichtet worden. Die Sage ist aber eine Empfehlung für die eheliche Liebe und zugleich eine Mahnung, daß wir uns nicht wegen der Trauer um Verstorbene und der Sehnsucht nach ihnen verzehren sollen.
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Fabularum Ovidii interpretatio X
2 Prospiciens e specu in saxum. Est quoddam saxum specie viri è specu prospicientis, de quo finxerunt eiusmodi fabulam: Fuisse hominem natura timidum, qui audita Herculis fama se abdiderat 30 in specum. Unde cùm aliquando prospiceret et forte Herculem adducto Cerbero praetereuntem conspicaretur, exanimatum immodico metu diriguisse in saxum. Meminit huius fabulae Erasmus in proverbio ‚Timidior prospiciente‘.2
3 Olenus et Lethea in lapides. Cum Lethea dotibus formae superbiens sese praetulisset diis eaque impie-
35 tate concivisset divinam iram et ultionem, Olenus maritus culpam uxoris in se
transferens unà cum illa punitus est. Haec fabula idem docet, quod regula iuris: culpam esse, immiscere se rei ad se non pertinenti.
4 Orphei cantus. Umbra loco venit, non Chaonis abfuit arbor. [X,90] 40 Sapientissimi homines, ut mitiores artes, nempe poëticam et musicam, pueris
commendarent, finxerunt arbores, feras, volucres Orpheum admiratas et canentem secutas esse. Fuit enim Orpheus insignis poëta et musicus, qui agrestes et feros Thraciae populos cantu et suavitate carminum permulcens ab inhumanitate traduxit ad mansuetudinem. Id quod testatur Horatius, cum inquit:
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Sylvestres homines sacer interpresque deorum Caedibus et foedo victu deterruit Orpheus, Dictus ob id lenire tigres rabidosque leones.3
Constat autem poëticam et musicam habere summam vim ad ciendos et permulcendos hominum animos. Nulla enim res ita penetrat in animos ut harmonia
2 Erasmus Roterodamus: Adagia 802: Opera omnia (Amsterdam) II-2, S. 324 f. 3 Horatius: Ars poet. 391–393.
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2 Ein aus einer Höhle herausschauender Mann in einen Fels verwandelt Es gibt einen Fels, der aussieht wie ein Mann, der aus einer Höhle herausschaut, zu dem man die folgende Sage ersonnen hat. Es sei einmal ein von Natur aus furchtsamer Mann gewesen, der, als er von dem Ruhm des Herkules gehört hätte, sich in eine Höhle zurückgezogen habe. Als er irgendwann einmal aus ihr herausschaute und zufällig Herkules vorbeikommen sah, der den Cerberus mit sich schleppte, sei er, aus maßloser Furcht entseelt, zu einem Felsen geworden. Erasmus erwähnt diese Sage in dem Adagium ‚Furchtsamer als der Herausschauende‘.
3 Olenus und Lethea in Steine verwandelt Als Lethea, in hochmütiger Sebstüberhebung ob der Gaben ihrer Schönheit, sich über die Götter gesetzt und durch diesen Frevel die Götter zu Zorn und Rache gereizt hatte, nahm ihr Ehemann Olenus die Schuld seiner Frau auf sich und wurde zusammen mit ihr bestraft. Diese Sage lehrt dasselbe wie der Rechtsgrundsatz, daß es schuldhaft sei, sich in eine Sache einzumischen, die einen nichts angehe.
4 Der Gesang des Orpheus […] kam der Schatten herbei; die chaonische Eiche fehlte nicht. [X,90]
Menschen von größter Weisheit haben sich, um die sanfteren Künste, nämlich Poesie und Musik, den Knaben sympathisch zu machen, ausgedacht, daß Bäume, wilde Tiere, Vögel Orpheus bewundert hätten und ihm, wenn er sang, gefolgt seien. Orpheus war nämlich ein ausgezeichneter Dichter und Musiker, der die ungeschlachten und wilden Völkerschaften Thrakiens durch seinen Gesang und die Lieblichkeit seiner Lieder besänftigt und von der Unmenschlichkeit zu ziviler Freundlichkeit überführt hat – was Horaz bezeugt, wenn er sagt: Die Menschen, die noch in der Wildnis lebten, brachte der heilige Orpheus, der Deuter der Götter, von Mord und garstigem Lebensunterhalt ab. Darum sagte man von ihm, er besänftige Tiger und reißende Löwen.
Es steht aber fest, daß Poesie und Musik über größte Kraft verfügen, die Geister der Menschen zu erregen und zu besänftigen. Nichts dringt nämlich derart in die Geister ein wie die Harmonie der Verse und der Stimmen; Menschen, die
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Fabularum Ovidii interpretatio X
50 numerorum et vocum, qua qui non moventur, nae illi rigidiores sunt feris et arbo-
ribus. Monachi, ut commendarent eloquentiam Antonii Patavini, hanc fabulam imitati finxerunt pisces exertis è mari capitibus audivisse illum in littore Adriatico concionantem. Erasmus Roterodamus ioco scribit, ex earum arborum genere, quae Orphea secutae sunt, fuisse quercus et fagos, quibus divus Bernardus usus 55 est pro magistris (sic enim monachi de illo quoque fabulantur) aitque optandum esse, ut haberemus aliquos ex sapientissimis illis arboribus surculos, quos insereremus.4 Nam ita haberemus (ut comicus ait5), unde disceremus.
5 Atys in pinum. Exuit hac hominem truncoque induruit illo. [X,105] 60 Atys fingitur excisis genitalibus in pinum mutatus propter fructus arboris inuti-
les. Nam Porphyrius philosophus de ratione naturali deorum scribit per Atym et Adonim inutiles fructus significari et flores, qui decidunt, antequam ferant fructus.6
6 Cyparissus in cupressum. 65
In viridem verti coeperunt membra rigorem. [X,137]
Graeci κυπάρισσον vocant cupressum. Hinc Cyparissus puer in cupressum mutatus et ab Apolline dilectus fìngitur eò, quòd et poëtices fuit studiosus et poëtarum scriptis celebratus est. Tales enim Apollini aut Musis chari habentur. Ac quoniam cupressus succisa nunquam regerminat, ideò in exequiis olim adhi70 bita et ante mortuorum domus funeris signo posita est, quo ritu significabatur, hanc vitam esse mortalem et semel amissam non recuperari. Alludit ad eundem ritum Ovidius his versibus: Ingemuit tristisque deus „Lugebere nobis Lugebisque alios, aderisque dolentibus“, inquit. [X,141 sq.]
4 Erasmus Roterodamus: Antibarbari: Opera omnia (Amsterdam) I-1, S. 135, Z. 15–23. 5 Terentius: Adelph. 413. 6 Diese Deutung des Attis nach einer verlorenen Schrift des Porphyrius zit. bei Augustinus: De civitate dei 7,25.
Auslegung der Metamorphosen Ovids X
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von dieser nicht bewegt werden, sind wahrhaftig unzugänglicher als wilde Tiere und Bäume. Die Mönche haben, um die Beredsamkeit des heiligen Antonius von Padua anzupreisen, die Legende ersonnen, daß die Fische ihre Köpfe aus dem Meer gestreckt und ihm zugehört hätten, als er an der Küste der Adria predigte. Erasmus von Rotterdam schreibt im Scherz, daß aus der Gruppe der Bäume, die Orpheus gefolgt seien, auch die Eichen und Buchen herstammten, deren sich der heilige Bernhard als Lehrer bedient habe (dies fabulieren nämlich die Mönche auch von ihm), und sagt, es sei zu wünschen, daß wir etwelche Schößlinge von diesen überaus weisen Bäumen besäßen, um sie aufzupfropfen. Auf diese Weise hätten wir etwas, wie der Lustspieldichter sagt, wovon wir lernen könnten.
5 Attis in eine Pinie verwandelt Attis hat in dieser [= der Pinie] seine Menschengestalt abgelegt und sich zu jenem Stamm gehärtet. [X,105]
Von Attis geht die Sage, daß er sich nach seiner Entmannung in eine Pinie verwandelt habe: wegen der unnützen Früchte dieses Baumes. Denn der Philosoph Porphyrius schreibt in seinem Werk ‚Über den natürlichen Wesensgrund der Götter‘, daß unter Attis und Adonis unnütze Früchte verstanden würden und Blüten, die abfallen, bevor sie Früchte bringen.
6 Cyparissus in eine Zypresse verwandelt Die Glieder begannen sich in grüne Starrheit zu verwandeln. [X,137]
Die Griechen nennen die Zypresse κυπάρισσος; darum wurde der Knabe Cyparissus in eine Zypresse verwandelt. Und von Apollo geliebt worden sein soll er der Sage nach deshalb, weil er der Dichtung zugetan war und von den Schriften der Dichter verherrlicht wurde. Von solchen Personen sagt man nämlich, sie seien dem Apollo oder den Musen lieb und wert. Da nun aber eine abgehauene Zypresse niemals wieder ausschlägt, deshalb wurde sie früher bei Leichenbegängnissen verwendet und vor dem Haus der Verstorbenen zum Zeichen der Beisetzung aufgestellt. Mit diesem Brauch wurde angezeigt, daß dieses Leben dem Tode unterworfen sei und, einmal verloren, nicht wieder erlangt werde. Auf diesen Brauch spielt Ovid mit diesen Versen an: Da seufzte der Gott und sprach traurig: „Du wirst von mir betrauert werden, wirst andere betrauern und denen, die Trauerschmerz tragen, beistehen.“ [X,141 f.]
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Fabularum Ovidii interpretatio X
7 Ganymedis raptus. percusso mendacibus aëre pennis Arripit Iliaden. [X,159 sq.]
Herodianus historicus scribit Ganymedem, Trois regis filium, in quodam Phrygiae agro, cui nomen Pessinunti, interemptum à fratre atque amatore sublatum80 que è medio. Deinde pro calamitatis solatio fuisse divinis honoribus affectum, relata ad Iovem raptorem fabula.7 Eusebius verò tradit eundem à Tantalo raptum et in Cretam Iovi missum et postea bellum inde ortum inter Troem et Tantalum.8 Erat autem aquila insigne Cretensium. Inde sumpta occasione finxerunt Iovem in aquilam conversum rapuisse Ganymedem.
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8 Hyacinthus in florem sui nominis. Tyrioque nitentior ostro Flos oritur. [X,211 sq.]
Lazarus Bonamicus, cuius in Italia auditor fui, cùm enarraret Georgica Virgilii, referebat de hyacintho varias opiniones medicorum, inter quos aiebat esse 90 quosdam, qui ita persuasum habeant, nusquam terrarum eiusmodi florem nasci, in cuius foliis notae literarum reperirentur, se tamen Venetiis semel vidisse florem Alexandria allatum tali forma, qua poëtae suum hyacinthum describunt. Porrò quod ad fabulam attinet, flores amari ab Apolline finguntur, quòd calore ac virtute solis evocantur ac vegetantur, sicuti aliquoties iam dictum est.
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9 Cyprii in Cerastas. unde etiam nomen traxere Cerastae. [X,223]
Cyprus à promontoriis olim Cerastis dicta est, hoc est, cornuta. Nam promontoria quoque vocantur cornua, ut apud Ovidium in epistola Phyllidis: 100
Est sinus, adductos modicè falcatus in arcus; Ultima praerupta cornua mole rigent.9
7 Herodianus: Ab excessu divi Marci 1,11,2. 8 Eusebius Caesariensis: Werke, Bd. 7: Die Chronik, hrsg. von R. Helm (31984), S. 51b. 9 Ovidius: Her. 2 (Phyllis Demophoonti),131–132.
Auslegung der Metamorphosen Ovids X
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7 Der Raub des Ganymed Mit trügerischen Flügeln schlägt er die Luft und packt den Knaben von Ilion. [X,159 f.]
Der Historiker Herodian schreibt, Ganymed, der Sohn des Königs Tros, sei auf einem Gefilde Phrygiens, das Pessinus heißt, von seinem Bruder und seinem Liebhaber umgebracht und beiseitegeschafft worden. Danach sei er zum Trost für seinen Untergang mit göttlichen Ehren bedacht worden, indem die Sage auf den Raub durch Jupiter bezogen wurde. Eusebius überliefert jedoch, daß Ganymed von Tantalus geraubt und nach Kreta zu Jupiter geschickt worden sei und später daraus ein Krieg zwischen Tros und Tantalus entstanden sei. Der Adler war aber das Wappentier der Kreter. Daher ergriffen sie die Gelegenheit und erdachten die Sage, daß der in einen Adler verwandelte Jupiter Ganymed geraubt habe.
8 Hyacinthus in die Blume mit seinem Namen verwandelt […] und leuchtender als tyrischer Purpur sprießt eine Blume auf. [X,211 f.]
Als Lazarus Bonamicus, desen Hörer ich in Italien war, die Georgica des Vergil erklärte, teilte er unterschiedliche Meinungen von Ärzten zur Hyazinthe mit. Unter diesen, so sagte er, seien gewisse Ärzte, die überzeugt seien, daß nirgendwo auf der Welt eine derartige Blume wachse, in deren Blütenblättern sich Buchstaben aufgezeichnet fänden. Er habe aber in Venedig einmal eine aus Alexandria eingeführte Blume von der Gestalt gesehen, in der die Dichter ihre Hyazinthe beschreiben. Was ferner die Sage betrifft, so stellt man sich deshalb vor, daß Blumen von Apollo geliebt würden, weil sie durch die Wärme und die Kraft der Sonne hervorgelockt und belebt werden, wie schon einige Male gesagt worden ist.
9 Die Zyprer in Gehörnte (Cerasten) verwandelt Daher hatten sie auch ihren Namen ‚Cerasten‘. [X,223]
Zypern wurde dereinst von seinen Vorgebirgen her Cerastis d. h. ‚die Gehörnte‘ genannt, denn Vorgebirge werden auch als Hörner bezeichnet, wie z. B. bei Ovid in dem Brief der Phyllis: Es gibt eine Bucht, in Maßen sichelförmig gekrümmt zu engen Bögen. Die äußersten Hörner stehen starr da in ihrer steil abfallenden Felsmasse.
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Fabularum Ovidii interpretatio X
Hinc barbari et agrestes populi in promontoriis habitantes cornuti finguntur, tùm propter situm loci, tùm propter inhospitalitatem.
10 Propoetides in saxa. In rigidum parvo silicem discrimine versae. [X,242] 105 Iustinus refert10 morem fuisse Cypriis, prostituere virgines ante nuptias, statis
diebus ad dotalem pecuniam quaerendam. Ex qua turpitudine fortassis nata est haec fabula. Propter extinctum vero pudorem Propoetides finguntur exhausto rubore fuisse, ore ita duro, ut parvo discrimine in silicem verterentur. Nam oris vocabulum saepe usurpatur pro impudentia, ut apud Ciceronem pro Quintio: 110 „Mihi videtur ore durissimo, qui praesente Roscio gestum agere conetur.“11 Qua in significatione etiam os ferreum dicitur.
11 Pygmalionis coniunx eburnea. Sculpsit ebur formamque dedit, qua foemina nasci Nulla potest etc. [X,248 sq.] 115 Similis fabula narratur de divo Francisco, qui, cùm esset coelebs et à foeminarum
consuetudine abhorreret, tamen, ut desiderium, quo tenebatur, leniret, fertur sibi finxisse uxorem et liberos ex nive, quemadmodum Pygmalion Ovidianus ex ebore. Uxor verò Pygmalionis fingitur eburnea fuisse vel propter corporis candorem (nihil enim est ebore candidius) vel propter nominis similitudinem, quia 120 fortassis dicta fuit Ebur vel Eburnea. Fabula autem docet castam et pudicam uxorem à Deo dari et petendam esse.
10 Iustinus: Epitoma 18,5,4. 11 Cicero: Pro Quinctio 77.
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Daher stellt man sich vor, daß die barbarischen und ungeschlachten Völkerschaften, die auf den Vorgebirgen wohnen, gehörnt sind, bald wegen der Lage des Ortes, bald wegen ihrer Ungastlichkeit.
10 Die Propoetiden in Steine verwandelt […] wurden sie – wozu es nur geringer Veränderung bedurfte – in harten Kiesel verwandelt. [X,242]
Iustinus berichtet, daß es bei den Zyprern Sitte war, Jungfrauen vor ihrer Hochzeit an festgesetzten Tagen öffentlich zur Unzucht preiszugeben, damit sie sich so ihre Mitgift verdienten. Aus dieser Schändlichkeit ist diese Sage vielleicht entstanden. Die Propoetiden sollen aber der Sage nach wegen des Erlöschens ihrer Keuschheit völlig frei von Schamröte und so harten Antlitzes gewesen sein, daß es zu der Verwandlung in einen Kiesel nur einer geringen Veränderung bedurfte. Denn das Wort ‚os‘ [in der Bedeutung ‚Gesicht‘, ‚Antlitz‘] wird oft für ‚impudentia‘ [‚Unverschämtheit‘, ‚Schamlosigkeit‘] verwendet, wie z. B. bei Cicero in der Rede für Quinctius: „Mir scheint jemand, der in Anwesenheit des Roscius Theater zu spielen versucht, von größter Unverschämtheit [wörtlich: ‚von härtestem Antlitz‘] zu sein.“ In dieser Bedeutung spricht man auch von einem ‚os ferreum‘ [‚eisernen Mund‘].
11 Pygmalions elfenbeinerne Frau Er schnitzte Elfenbein und gab ihm eine Gestalt, wie sie keine Frau haben wird, die je geboren wird, usw. [X,248 f.]
Eine ähnliche Legende wird von dem heiligen Franciscus erzählt, der, obgleich er ehelos war und den Umgang mit Frauen scheute, sich dennoch, um das Verlangen, das ihn beherrschte, zu besänftigen, eine Frau und Kinder aus Schnee geformt haben soll, so wie der Ovidsche Pygmalion aus Elfenbein. Von der Frau Pygmalions stellt man sich aber in der Sage vor, sie sei aus Elfenbein gewesen entweder wegen der Weiße ihres Leibes (nichts ist nämlich weißer als Elfenbein) oder wegen der Namensähnlichkeit, weil sie vielleicht Ebur oder Eburnea hieß. Die Sage lehrt aber, daß eine keusche und züchtige Frau von Gott gegeben werde und erbeten werden müsse.
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Fabularum Ovidii interpretatio X
12 Myrrhae amor. Editus hinc ille est, qui, si sine prole fuisset. [X,298]
Myrrha nefando patris amore capta, nutricis opera cum eo inscio concubuit. Ad
125 exaggerandam huius sceleris magnitudinem, initio poëta lectorem tùm attentum
reddit, tùm praemonet, ne eiusmodi scelus in exemplum rapiat, sed detestari ac vitare discat. Sic enim inquit:
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Dira canam: procul hinc, natae, procul ite, parentes! Aut, mea si vestras mulcebunt carmina mentes, Desit in hac mihi parte fides, nec credite factum; Vel, si credetis, facti quoque credite poenam. [X,300–303]
Deinde quo ostendat non libidinem, sed diabolum eiusmodi amoris autorem esse, excusat Cupidinem ac transfert culpam in ipsas Furias, cum ait: 135
Ipse negat nocuisse tibi sua tela Cupido, Myrrha, facesque suas à crimine vindicat isto: Stipite te Stygio tumidisque afflavit echidnis E tribus una soror etc. [X,311–314]
Praeterea duo insignes loci sunt in hac fabula: Alter de stellis ita perhorrescentibus incestum, ut sese abscondant, qua quidem prosopopoeia significatur nihil 140 in rerum natura esse hoc nefario scelere detestabilius. Alter de improbitate vetularum, quae plerunque sunt scelerum et flagiciorum administrae ac inprimis ingeniosae in illis perficiendis, iuxta tritos sermone versiculos Aeneae Sylvii12: Non audet Stygius Pluto tentare, quod audent Effrenis monachus plenaque fraudis anus. 145 Narratur fabula, hoc loco non aliena, de vetula, cui diabolus erat pollicitus par
calceorum, si discordiam concitaret inter coniuges, quorum ipse animos distrahere frustra tentaverat. Id cum illa perfecisset iamque ex pacto mercedem
12 Siehe Kommentar.
Auslegung der Metamorphosen Ovids X
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12 Die Liebe der Myrrha Geboren wurde danach jener Mann, der, wäre er ohne Nachkommenschaft gewesen, […]. [X,298]
Myrrha, von unerlaubter Liebe zu ihrem Vater ergriffen, schlief durch Zutun ihrer Amme mit ihm, ohne daß er von ihr wußte. Um die Größe dieses Verbrechens stark hervorzuheben, erregt der Dichter zu Anfang bald die Aufmerksamkeit des Lesers, bald ermahnt er ihn, sich ein Verbrechen dieser Art nicht zum Vorbild zu nehmen, sondern sich bewußt zu machen, daß er es verabscheuen und meiden müsse. So nämlich sind seine Worte: Schreckliches will ich singen! Geht weit weg von hier, ihr Töchter, weit weg, ihr Väter! Oder, falls meine Lieder eure Herzen bezaubern: sprecht mir hierin Vertrauenswürdigkeit ab, glaubt nicht, daß so etwas tatsächlich geschehen sei! Oder, falls ihr es glauben werdet, dann glaubt auch an die Strafe für die Tat! [X,300–303]
Um sodann aufzuzeigen, daß nicht der Liebestrieb, sondern der Teufel der Urheber derartiger Liebe sei, nimmt er Cupido in Schutz und verlagert die Schuld auf die Furien selbst, wenn er sagt: Cupido selbst, Myrrha, bestreitet, daß seine Geschosse dir geschadet hätten, und hält seine Fackeln von diesem Verbrechen fern. Mit stygischem Feuerbrand und mit aufgeschwollenen Vipern hat dich eine der drei Schwestern angehaucht. Usw. [X,311–314]
Außerdem gibt es zwei ausgezeichnete loci [communes] in dieser Geschichte. Der eine ist der von den Sternen, die sich vor der Blutschande so entsetzen, daß sie sich unsichtbar machen. Mit dieser Personifikation wird unstreitig deutlich gemacht, daß es im natürlichen Weltlauf nichts gibt, was verabscheuenswerter wäre als dieses ruchlose Verbrechen. Der andere locus communis betrifft die Unmoral alter Frauen, die meist Helfershelfer bei Verbrechen und Schandtaten sind und über besonders erfinderische Schläue bei deren Ausführung verfügen, entsprechend den in der Predigt viel benutzten Versen von Aeneas Sylvius: Der stygische Pluto wird nichts zu unternehmen wagen, was der zügellose Mönch wagt und die trugreiche Alte.
Man erzählt eine hier sehr gut herpassende Geschichte von einer Alten, der der Teufel ein Paar Schuhe versprochen hatte, wenn sie Zwietracht erregen würde zwischen Eheleuten, deren Herzen zu entzweien er selbst schon vergeblich versucht hatte. Als jene Alte dies vollbracht hatte und nun den Lohn aus ihrem Vertrag forderte, hielt der Teufel ihr die Schuhe, aufgehängt an einer langen
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Fabularum Ovidii interpretatio X
postularet, daemon ei calceos ultra fluvium porrexit suspensos longae hastae, tanquàm ipse eam metueret ac daemonibus peiorem iudicaret.
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13 Atalanta aureis pomis superata. Praeterita est virgo, duxit sua praemia victor. [X,680]
Atalantae pernicitas aureis malis elusa et superata facetè referri poterit ad mobilitatem seu inconstantiam animi. Ad hanc enim vincendam nihil est auro efficacius. Magnus est autem istorum pomorum usus hodie in negociis non solum ama155 toriis, sed etiam bellicis. Omnis enim spes victoriae in illis praecipuè consistit, neque ulla est belli celeritas tanta, quae non possit illis proiectis vinci. Proinde reges ac principes inter se bello certantes illis potius quàm ferreis globis nunc contendunt. Exemplum verò Hippomenis docet, ne simus ingrati pro beneficiis, praesertim divinis. Deus enim maximè offenditur ingratitudine ac punit suorum 160 beneficiorum immemores. Deinde et verissimum est, quod Xenophon ait: ingratitudinem sequi impudentiam, et impudentiam esse ducem ad omnem turpitudinem.13 Ergò et Hippomenes, cùm esset ingratissimus, tandem factus est adeò impudens et impudicus, ut ne in locis quidem sacris effrenatam libidinem suam cohibere posset. Postremò, quia homines Venereo impetu fiunt immanes, rectè 165 etiam finguntur Hippomenes et Atalanta transire in leones, quibus nullum genus ferarum est truculentius.
14 Adonis in anemonen florem. flos de sanguine concolor ortus. [X,735]
Adonidis casus docet venationem esse studium seu exercitium virorum fortium, 170 non mollium ac delicatorum, quales plerunque sunt amatores. Nec sine causa fìngitur puer formosissimus mutari in anemonen florem maximè caducum: nempe ut admoneamur, nihil esse minus diuturnum pulchritudine ac forma, iuxta illud:
13 Xenophon: Memorabilia 2,2,3.
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Stange, von der anderen Seite des Flusses aus hin, so als habe er selbst Angst vor ihr und hielte sie für schlimmer als alle Teufel.
13 Atalanta, durch die goldenen Äpfel überwunden Zurückgeblieben ist die Jungfrau, der Sieger führte heim seinen Lohn. [X,680]
Die mit Hilfe der goldenen Äpfel vereitelte und besiegte Schnelligkeit der Atalanta wird sich auf witzige Art auf den Wankelmut und die Unbeständigkeit der Sinnesart anwenden lassen: Diese nämlich zu besiegen, ist nichts wirkamer als das Gold. Bedeutend aber ist heutzutage die Anwendung ebendieser Äpfel nicht nur in Liebes-, sondern auch in Kriegsangelegenheiten. Alle Hoffnung auf Sieg beruht nämlich hauptsächlich auf ihnen, und keine Schnelligkeit des Krieges ist so groß, daß sie nicht besiegt werden könnte, wenn jene vor die Füße geworfen wurden. Demgemäß kämpfen Könige und Fürsten, die miteinander im Krieg liegen, heutzutage lieber mit jenen als mit eisernen Kugeln. Das Beispiel jedoch des Hippomenes lehrt, daß wir nicht undankbar sein sollen gegenüber Wohltaten, besonders göttlichen. Gott wird nämlich durch Undankbarkeit höchlich gekränkt und bestraft diejenigen, die seiner Wohltaten nicht gedenken. Ferner ist es die reinste Wahrheit, was Xenophon sagt: Der Undankbarkeit folge die Schamlosigkeit, und Schamlosigkeit sei die Anführerin zu jeder Schändlichkeit. Also wurde auch aus Hippomenes, da er äußerst undankbar war, ein so schamloser und unzüchtiger Mensch, daß er nicht einmal an heiligen Orten seine unbändige Lust zu bezwingen vermochte. Schließlich trifft auch, weil die Menschen unter dem Antrieb geschlechtlicher Lust zu animalischen Wilden werden, die sagenhafte Erfindung das Rechte, daß Hippomenes und Atalanta sich in Löwen verwandeln, die alle Arten von wilden Tieren an Bestialität übertreffen.
14 Adonis in die Blume Anemone verwandelt […] eine aus dem Blut enstprossene einfarbige Blume. [X,735]
Der Tod des Adonis lehrt, daß die Jagd eine Leidenschaft oder Beschäftigung von tapferen Männern ist, nicht von verzärtelten und lustergebenen, wie es meistens die Liebhaber sind. Auch nicht ohne Grund läßt die Sage den schönsten Knaben sich in die Anemone, eine äußerst hinfällige Blume, verwandeln: nämlich um uns zu ermahnen, daß nichts weniger dauerhaft sei als Schönheit und Wohlgestalt, gemäß dem bekannten Spruch:
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Fabularum Ovidii interpretatio X
Forma bonum fragile est, quantumque accedit ad annos, Fit minor et spacio carpitur ipsa suo.14 175 Pontanus ad physiologiam transfert fabulam, per Adonim intelligens solem, quo
nihil formosius, per virilia radios solares, quibus omnia humi nascentia generantur, per aprum signum zodiaci Capricornum (is enim radios solares amputat, ubi dies in bruma fiunt contractiores), per Venerem ipsam tellurem, quae solem amat eoque carens squalet. Sic autem ait Pontanus primo de stellis:
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Terra etenim solem queritur deserta cadentem, Invidit quem tristis hyems, cui saevior apri Horret cana gelu facies, cui plurimus imber Crine madet, geminos et cum male contudit armos Diglomeratque nives et grandine verberat auras. Nam cum sol rebus praesit pater ipse creandis, Ut sese ad manes brumae sub frigora transfert, Tum tellus vidua sulcos oblimat in alvo, Ac veluti virgo absenti cum sola marito Suspirat sterilem lecto traducere vitam, Illius expectans complexus anxia caros.
Tum gravidos aperitque sinus, et coeca relaxat Spiramenta, novas veniat qua succus in herbas, Et tandem complexa suum laetatur Adonim.15
195 Porrò id hemistichion: Coelo praefertur Adonis [X,532], usurpari poterit loco pro-
verbii, ubi significabimus voluptatem anteferri pietati.
14 Ovidius: Ars amat. 2,113–114. 15 Ioannes Iovianus Pontanus: Urania (Venedig 1533), lib. 1, De Adonide et Venere, Bl. 9v; ed. Soldati 1,492–506.
Auslegung der Metamorphosen Ovids X
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Schönheit ist ein zerbrechliches Gut, und je mehr sie in die Jahre kommt, um so geringer wird sie, und durch die eigene Dauer zehrt sie sich auf.
Pontanus überträgt die Sage auf die Naturkunde und versteht unter Adonis die Sonne, deren Schönheit unübertrefflich ist, unter dem männlichen Glied die Sonnenstrahlen, durch die alles, was auf dem Erdboden wächst, erzeugt wird, unter dem Wildschwein das Tierkreiszeichen des Steinbocks (dieser schneidet nämlich die Sonnenstrahlen ab, sobald die Tage im Winter kürzer werden), unter Venus die Erde selbst, die die Sonne liebt und wüst daliegt, wenn sie ihrer entbehrt. So aber spricht Pontanus im ersten Buch seines Werkes ‚Von den Sternen‘: Die im Stich gelassene Erde klagt über den Untergang der Sonne, auf die der trübe Winter eifersüchtig war, dessen schreckliches graues Gesicht – das eines Wildschweins – von Eis starrt, dessen Haar von Regenmassen trieft, wenn er beide Arme mit üblen Folgen zusammenschlägt, Schnee aufhäuft und die Lüfte mit Hagel peitscht. Denn da Sol (die Sonne) selbst als Vater der Herr über alles ist, was geschaffen wird, so verschlämmt die Erde, sobald er sich zu den Schattengeistern des Winters, in die Welt des Frostes, begibt, gattenlos die Furchen auf ihrem Leib, und in der Abwesenheit ihres Mannes seufzt sie – wie eine Jungfrau, wenn sie allein ist – darüber, daß sie ihr Leben liebelos zubringen müsse, unruhig dessen Umarmungen entgegenharrend. Sobald also Sol (die Sonne) siegreich vom tiefsten Süden heimkehrt, öffnet sie ihren schwangeren Schoß und macht die dunklen Gänge frei, so daß Saft in die jungen Pflanzen dringt und sie sich endlich in der Umarmung an ihrem Adonis erfreut.
Des weiteren wird dieser Halbvers: dem Himmel wird Adonis vorgezogen [X,532], sprichwörtlich angewandt werden können, wenn wir einmal darauf hinweisen, daß der Wollust Vorrang vor der Frömmigkeit eingeräumt werde.
In librum undecimum. 1 Orphei caedes. Orphei à mulieribus trucidati ac discerpti exemplum docet nullas feras tàm implacabiles se praestare quàm mulieres ira et odio incensas. Hae nulla sermonis 5 suavitate leniuntur, neminem audiunt, nullis precibus exorantur; estque ita, quemadmodum apud Euripidem dicitur de malis mulieribus: Δεινὴ μὲν ὀργὴ κυμάτων θαλασσία, δεινοὶ δὲ ποταμοί, καὶ πυρὸς θερμαὶ πνοαί, ἀλλʼ oὐδὲν οὕτω δεινὸν, ὡς γυνὴ κακή.1
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2 Lyra Orphei delata in Lesbum. Orphea lyra signifìcat studium poëtices. Id apud Lesbios floruit, Orpheo in Thracia extincto, atque ideò fingitur ea pervenisse ex Thracia in Lesbum insulam, sicuti testis est Phanocles vetus poëta, qui ait:
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ʼΕκ κείνου μολπαί τε καὶ ἱμερτὴ κιθαριστὺς νῆσον ἔχει, πασέων δʼ ἐστὶν ἀοιδοτάτη.2
Loquitur enim de Lesbo insula et de lyra Orphei istuc delata. Lucianus narrat de eadem lyra rem memorabilem et risu dignam.3 Scribit Neanthum Pyttaci tyranni filium in Lesbo affectasse gloriam Orpheae similem et furtim abstulisse divinam illam lyram in templo Apollinis suspensam, qua 20 in permulcendis feris Orpheum imitaretur. Sed hanc imitationem ei infoeliciter evenisse. Noctu enim eum obambulantem in suburbio et imperitè canentem lyra excivisse omnes canes, iisque coëuntibus fuisse dilaceratum.
1 Euripides: Incertarum fabularum fragmenta 1059,1–2.4. 2 Phanocles: Elegiarum fragmenta 1,21–22. 3 Lucianus: Adversus indoctum et libros multos ementem 11–12. DOI 10.1515/9783110620283-014
Zum elften Buch 1 Die Tötung des Orpheus Das Beispiel des von den Frauen umgebrachten und zerstückelten Orpheus lehrt, daß kein wildes Tier sich so unversöhnlich zeigt wie von Zorn und Haß entflammte Frauen. Diese lassen sich von keiner liebenswürdigen Rede besänftigen, hören auf niemand, lassen sich von keinen Bitten erweichen, und es verhält sich so, wie es bei Euripides heißt, als von bösen Frauen die Rede ist: Schrecklich ist der Meereszorn der Wellen, schrecklich sind die Flüsse, schrecklich die heißen Lüfte des Feuers, aber nichts ist so schrecklich wie eine böse Frau.
2 Die nach Lesbos geschwommene Leier des Orpheus Die Leier des Orpheus bedeutet Beschäftigung mit der Poesie. Diese blühte bei den Lesbiern, nachdem Orpheus in Thrakien getötet worden war. Und dies ist der Hintergrund der Sage, daß seine Leier von Thrakien zur Insel Lesbos gelangt sei, wie der alte Dichter Phanokles bezeugt, welcher sagt: Seinetwegen beherrschen Gesänge und liebliches Kitharaspiel die Insel, und sie ist von allen die musikalischste.
Er spricht nämlich von der Insel Lesbos und der dorthin geschwommenen Leier des Orpheus. Lukian erzählt von derselben Leier eine denkwürdige und belachenswerte Geschichte. Er schreibt, Neanthus, der Sohn des Tyrannen Pittacus, habe auf Lesbos nach ähnlichem Ruhm gestrebt, wie ihn Orpheus besessen habe, und er habe heimlich jene im Apollontempel aufgehängte göttliche Leier entwendet, mit der er wilde Tiere besänftigen und so Orpheus nachahmen wollte. Doch diese Nachahmung habe einen für ihn unglücklichen Verlauf genommen. Als er nämlich des Nachts in der Vorstadt herumspaziert sei und stümperhaft auf der Leier gespielt habe, habe er alle Hunde aufgeweckt, und diese seien zusammengekommen und hätten ihn zerrissen.
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Fabularum Ovidii interpretatio XI
3 Anguis caput Orphei mordens. 25
peregrinis anguis arenis Os petit. [XI,56 sq.]
Anguis in silicem mutatus, qui Orphei caput laceravit morsu, fuit Lesbius, ut opinor, obtrectator, qui mortuum insectatus est. Tales enim sunt et angue crudeliores et duriores silice, qui famam bonorum hominum, praesertim mortuorum, lacerant.
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4 Midae contactu omnia versa in aurum. Midae fabula docet infinitam cupiditatem auri longè deteriorem esse paupertate, idque significat poëta, cum inquit: Copia nulla famem relevat, sitis arida guttur Urit, et inviso meritò torquetur ab auro. [XI,129 sq.]
35 Apud Plutarchum extat historia huic fabulae prope similis, de Pythio principe
avaro4, qui inventis aurifodinis cum omnes cives eruendo et conflando auro ita fatigaret, ut aliud nihil agere possent multique ob laboris magnitudinem perirent, uxor eius prudentia et probitate insignis, clam adhibitis aurifabris, auream mensam, aureos panes et varia ciborum fercula ex auro fabrefieri curavit. Quibus 40 diligenter studioseque confectis Pythio, qui dies aliquot ab urbe abfuerat, domum revertenti et parari coenam postulanti mulier auream mensam afferri iussit, in qua nihil quidem, quod edi posset, appositum erat, sed omnia ex auro fabrefacta. Ac primo quidem aspectu gavisus est Pythius mira arte conspiciens singula elaborata, inde auri contemplatione iam abundè saciatus sibi cibum 45 afferri pracepit. Verum uxor cuncta, quae postulasset, ex auro confecta iubebat apponi; cumque ille iracundia percitus esurire se vociferaretur neque se aurum id temporis amplius exposcere, ibi illa „Tu verò“, inquit, „nullius rei praeter hanc habendae facultatem praebes. Omnis enim civium cura omnisque ars tuo iussu in parando auro versatur, ut nemo iam agros colat, nemo hortos conserat, dum in 50 his fodiendis ac perquirendis, quae minimè usui esse possunt, tuo iussu omnes sunt occupati nec pauci etiam eiusdem rei causa moriantur.“ Hac oratione non
4 Plutarchus: Moralia: De claris mulieribus sive Mulierum virtutes 262D-263A.
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3 Die in das Haupt des Orpheus beißende Schlange Eine Schlange bedroht das am fremden Strand liegende Haupt. [XI,56 f.]
Die in einen Kieselstein verwandelte Schlange, die des Orpheus Haupt mit ihrem Biß verletzt hat, war, wie ich meine, ein lesbischer Neider, der den Toten verhöhnt hat. Grausamer als eine Schlange und härter als ein Kiesel sind nämlich solche Menschen, die den Ruf tadelfreier Menschen, besonders verstorbener, verletzen.
4 Alles, was Midas berührte, wurde in Gold verwandelt Die Sage von Midas lehrt, daß grenzenlose Gier nach Gold weitaus schlimmer ist als Armut, und hierauf verweist der Dichter, wenn er sagt: Keine Menge stillt seinen Hunger, brennender Durst dörrt ihm die Kehle aus, und verdientermaßen wird er von dem verhaßten Gold gepeinigt. [XI,129 f.]
Bei Plutarch gibt es eine dieser Sage sehr ähnliche Geschichte von einem habgierigen Fürsten Pythius. Als dieser, nachdem Goldgruben entdeckt worden waren, alle Bürger mit dem Herausgraben und Einschmelzen des Goldes so in Anspruch nahm, daß sie nichts anderes mehr tun konnten und viele wegen der Schwere der Arbeit zugrunde gingen, ließ seine Frau, die wegen ihrer Klugheit und Rechtschaffenheit in einem ausgezeichneten Rufe stand, unter heimlicher Beiziehung von Goldschmieden einen goldenen Tisch, goldene Brote und verschiedene Gänge von Speisen aus Gold anfertigen. Als dies mit Sorgfalt und Eifer vollbracht war und Pythius, der sich einige Tage aus der Stadt entfernt hatte, nach Hause zurückkehrte und verlangte, daß ihm ein Mahl bereitet werde, gab seine Frau Anweisung, den goldenen Tisch herbeizubringen, auf dem allerdings nichts serviert war, was man essen konnte, sondern nur aus Gold Gefertigtes. Nun war Pythius beim ersten Anschauen allerdings erfreut und nahm die einzelnen mit wundersamer Kunst gearbeiteten Gegenstände in Augenschein. Darauf, schon bis zum Überdruß gesättigt von der Betrachtung des Goldes, befahl er, daß man ihm die Speise bringe. Doch die Frau gab Weisung, alles, was er verlangt hatte, in Gold gefertigt aufzutischen, und als jener zornentbrannt brüllte, daß er hungrig sei und im Augenblick kein Gold mehr haben wolle, da sagte sie: „Du bietest doch keine Gelegenheit, etwas anderes in Besitz zu nehmen als dies! Alle Sorge, alle Kunstfertigkeit der Bürger gilt auf dein Geheiß nur der Beschaffung von Gold, so daß niemand mehr die Äcker bebaut, niemand die Gärten bepflanzt, während alle auf dein Geheiß damit beschäftigt sind, diese Dinge, die kaum von Nutzen sein können, auszugraben und nach ihnen zu forschen, und viele auch deswe-
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mediocriter commotus Pythius avarum suum animum commutavit et quintam duntaxat civium partem in opere continuit; caeteros tùm agriculturae, tùm aliis artibus operam dare iussit. Haec Plutarchus in lib de claris mulieribus. Caeterum Midae dissimilimus fuit rex Salomon, qui delata sibi optione non immensas opes nec totius orbis imperium, sed sapientiam elegit. Dissimilimus item fuit Ubaldus Feretrius, Urbini dux, qui se sapientia commutaturum (si fieri posset) omnes suas fortunas testatus est, cùm dixit se ad paupertatem deventurum, si sapientia veneat. Ut igitur huius principis et Salomonis votum ab omnibus laudatur, ita econtra vituperatur cupiditas auri, quam Midas habuit. Ac quoniam plerique regum ac principum sunt aut prorsus illiterati aut indoctiores, quàm ut de musica, hoc est, de literis et honestis artibus rectè iudicare possint (nam in aulis, ut videmus, plerunque semiliterati doctissimis praeferuntur), ideò poëtae finxerunt Midam quoque admirari agrestiorem musicam nec favere Apollini. Tales enim Midae rarò favent studiis, quibus ipsi non sunt exculti, ac melius diiudicare possunt, ut clangat tuba, quàm ut numerus in oratione vel in versu aptè cadat. Antaeus Scytharum rex fertur dictitasse se magis delectari hinnitu equorum quàm cantu et symphonia. Huius aures à Musis tàm alienas et abhorrentes quis non asininas dixerit? Ergo non dubium est hanc fabulam esse confictam in principes avaros et indoctos, quibus pluris est aurum quàm sapientia, infantia quàm eloquentia, barbaries quàm eruditio. Neque aliud sunt aures asininae, quae Midae affìnguntur, nisi aures ineruditae, tametsi earundem allegoria possit etiam ad alia referri. refert ad delatores et exploratores, quorum sunt multi in aulis regum. Sic enim scribit: Sunt, quibus placet hac allegoria significatum Midam utpote tyrannum coryceos et subauscultatores dimittere solitum, per quos, quaecunque per omnem regionem vel fierent vel dicerentur, cognosceret, nimirum illis utens aurium vice. Proinde cum vulgus admiraretur ab illo resciri etiam ea, quae clam ac procul fierent, occasionem fabulae dederunt, ut Midas diceretur auriculas asini habere, vel quòd nullum animal excepto mure acutius audiat quam asinus.5
5 Erasmus Roterodamus: Adagia 267: Opera omnia (Amsterdam) II-1, S. 378, Z. 812–818.
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gen den Tod finden.“ Durch diese Rede nicht wenig beeindruckt, änderte Pythius sein habgieriges Herz und hielt nicht mehr als den fünften Teil der Bürger in der Arbeit. Den übrigen befahl er, sich bald mit der Landwirtschaft, bald mit anderen Künsten zu beschäftigen. So Plutarch in seinem Buch über berühmte Frauen. Im übrigen war dem Midas sehr unähnlich der König Salomon, der, als er frei zu entscheiden hatte, nicht unermeßlichen Reichtum und auch nicht die Herrschaft über die ganze Welt, sondern die Weisheit erwählte. Sehr unähnlich war ebenfalls Ubaldus Feretrius, der Herzog von Urbino, der bezeugte, daß er, wenn das möglich wäre, seine gesamten Glücksgüter gegen die Weisheit eintauschen würde, indem er sagte, daß er in Armut geraten würde, wenn die Weisheit zum Verkauf stünde. Wie also dieses Fürsten und des Salomon Entscheidung von allen gelobt wird, so wird hingegen die Gier nach Gold, die Midas zu eigen war, getadelt. Da nun aber die meisten Könige und Fürsten entweder völlig ungebildet sind oder wenigstens zu geringe wissenschaftliche Schulung besitzen, um über die Musenkunst, d. h. über Gelehrsamkeit und ehrbare Künste gehörig urteilen zu können (denn an den Höfen werden, wie wir sehen, meistens Halbgebildete den gelehrtesten Männern vorgezogen), ebendeshalb haben sich die Dichter ausgedacht, daß auch Midas eine sehr bäurische Musik bewundere und dem Apollo nicht wohlgesinnt sei. Solche Menschen wie Midas sind nämlich nur selten Künsten wohlgesinnt, in denen sie selbst nicht ausgebildet sind, und vermögen besser zu beurteilen, wie eine Trompete erschallen soll, als wie der Rhythmus in einer Rede oder in einem Vers passend verlaufen soll. Antaeus [recte Ateas], König der Skythen, soll gesagt haben, er erfreue sich am Wiehern der Pferde mehr als an Gesang und Konzert. Wer wollte dessen den Musen dermaßen fernstehende und abgeneigte Ohren nicht als Eselsohren bezeichnen? Also besteht kein Zweifel, daß diese Sage ersonnen wurde gegen habgierige und ungebildete Fürsten, denen das Gold mehr gilt als die Weisheit, Unfähigkeit in der Rede mehr als Redekunst, Barbarei mehr als Bildung. Und die Eselsohren, die Midas angedichtet werden, sind nichts anderes als ungeschulte Ohren, obwohl deren Allegorie auch auf anderes bezogen werden könnte. Erasmus bezieht sie auf Denunzianten und Spitzel, von denen es viele gibt an den Höfen der Könige. Er schreibt nämlich dies: Es gibt Autoren, die der Meinung sind, daß mit dieser Allegorie auf einen Midas verwiesen wird, der als Tyrann Denunzianten und Lauscher auszusenden pflegte, um durch sie alles zu wissen, was in jeder Gegend geschah oder gesagt wurde: indem er sich dieser allerdings anstelle seiner Ohren bediente. Da sich deswegen das gemeine Volk verwunderte, daß von ihm auch das in Erfahrung gebracht wurde, was heimlich und in weiter Ferne geschah, gab dies Anlaß zu der Sage, daß Midas Eselsohren habe, zumal kein Tier mit Ausnahme der Maus ein schärferes Gehör hat als der Esel.
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Fabularum Ovidii interpretatio XI
Alii fabulam exponunt de loco et aiunt Midam habuisse oppidulum, cui nomen ὄνου ὦτα, et ideò incidisse in fabulam, quòd haberet asini aures.
5 Midae famuli vox in arundinem. 85 Regum ac principum vicia teguntur tiara, hoc est, dignitate, qua ipsi sunt ornati.
Eo enim tegmine reges ac principes suam deformitatem occultant, neve manifesta fiant eorum vicia, obruuntur illa quidem scrobibus, sed ad tempus, donec è scrobibus enascantur cannae seu arundines vocales, hoc est, donec ipsis sepultis existant scriptores, qui posteris prodant turpia illorum facta. Vocales enim arun90 dines nihil aliud signifìcant nisi scriptorum calamos, qui literarum monimenta conficiunt. Hi enim calami vocem edunt, hi loquuntur, hi efferunt arcana scrobibus obruta.
6 De muris Troianis. „Non impunè ferat“, rector maris inquit. [XI,207] 95 Magna respublica non tàm hominum opera et industria quàm numine divino
constituitur. In republ verò benè constituta inprimis contractuum et rerum pactarum fides praestanda est, quorum utrunque ut poëtae significarent, fìnxe runt deos ad aedificandam urbem Troianorum accessisse ut architectos. Deinde eosdem propter neglectam fìdem iurisque iurandi religionem Troianis maximam 100 calamitatem attulisse. Nam perfìdiosi ac periuri nunquàm manent impuniti. Extat etiam apud Bocatium non invenusta huius fabulae expositio ad historiam accommodata.6 Refert enim Bocatius Laomedonta in aedificandis muris adiutum esse auro è templo Apollinis et Neptuni ablato. Deinde secuta inundatione causam publicae calamitatis in illum collatam esse. Similis fabula posset confingi de 105 quibusdam Germaniae civitatibus, quòd videlicet in extruendis moenibus opera mortuorum sint adiuti, quia in multis locis Germaniae hoc tempore muri construuntur monimentis sepulcrorum è coemiteriis ablatis.
6 Giovanni Boccaccio: Genealogia deorum (Paris 1511), lib. 6, cap. 6, Bl. 48v.
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Andere legen die Sage nach dem Ort aus und sagen, daß Midas ein Städtchen besessen habe, das ὄνου ὦτα [= Eselsohren] hieß, und deshalb sei in die Sage hineingekommen, daß er Eselsohren habe.
5 Die Stimme des Dieners von Midas in Schilf verwandelt Die Gebrechen der Könige und Fürsten werden mit der Tiara zugedeckt, d. h. mit der Würde, mit der sie selbst ausgestattet sind. Mit dieser Bedeckung verbergen nämlich Könige und Fürsten ihre Mißgestalt, und damit ihre Gebrechen nicht offenbar werden, werden sie zwar in Gruben versenkt, aber nur auf Zeit, bis aus den Gruben tönendes Rohr und Schilf hervorwächst, d. h. bis den beigesetzten [Königen und Fürsten] selbst Schriftsteller erstehen, die den Nachfahren ihre schändlichen Taten vermelden. Tönendes Schilfrohr bedeutet nämlich nichts anderes als die Schreibrohre der Schriftsteller, die Literaturdenkmäler herstellen. Diese Schreibrohre nämlich lassen eine Stimme erschallen, diese sprechen, diese bringen die zugeschütteten geheimen Taten ans Licht.
6 Von den trojanischen Mauern „Er soll nicht ungestraft bleiben“, sagt der Herr des Meeres. [XI,207]
Ein großer Staat wird weniger durch Arbeit und Fleiß der Menschen als durch göttliches Walten errichtet. In einem gut verfaßten Staat muß aber besonders die zuverlässige Einhaltung von Verträgen und Übereinkünften gewährleistet sein. Um beides zum Ausdruck zu bringen, haben die Dichter ersonnen, daß Götter darangegangen seien, als Baumeister die Stadt der Trojaner zu errichten. Darauf hätten ebendiese Götter den Trojanern wegen Verletzung von Treu und Glauben und der Eidespflicht größtes Unheil zugefügt. Denn Treulose und Eidbrüchige bleiben niemals unbestraft. Es gibt auch bei Boccaccio eine reizvolle Erklärung dieser Sage, die sich an der Historie orientiert. Boccaccio berichtet nämlich, Laomedon sei bei der Errichtung der Mauern unterstützt worden durch Gold, das aus dem Tempel von Apollo und Neptun entfernt worden sei. Als danach eine Überschwemmung erfolgt sei, habe man die Ursache für dieses öffentliche Unheil jenem [= Laomedon] angelastet. Eine ähnliche Sage könnte auch für bestimmte Städte Deutschlands konstruiert werden: insofern nämlich, als sie bei der Errichtung von Mauern durch eine Dienstleistung der Toten unterstützt worden seien, da ja in vielen Orten Deutschlands heutzutage Mauern errichtet werden aus Grabmälern, die man von Friedhöfen entfernt hat.
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Fabularum Ovidii interpretatio XI
7 Thetis nympha in varias formas. Certum est matrem Achillis fuisse praestantem foeminam et maritimarum urbium
110 vel insularum dominam hancque ob causam fingi deam marinam. Quantum
verò ex fabula intelligitur, non facile persuaderi potuit, ut Peleo regi Thessaliae nuberet. Itaque formae, in quas se mutavit, significant quandam animi varietatem, qua nuptias illius recusavit. Euripides in Iphigenia scribit insignia Achillis fuisse aureas Nereidas7, ac fieri potest, ut propterea eius mater dicta et habita 115 sit una ex Nereidibus.
8 De Autolyco et Philammone. Nascitur Autolycus, furtum ingeniosus ad omne. [XI,313]
Autolycus homo dolosus et furax ideò fingitur Mercurii filius, quia Mercurius in genitura infoeliciter positus plerunque tales format mores. Eadem ratio est de 120 Philammone poëta, Apollinis fìlio. Nam Sol ad honesta et liberalia studia excitat natos, in quorum genitura bono loco constitutus est. Multi autem reperiuntur hoc tempore similes illius Autolyci, Qui facere assuerat, patriae non degener artis, Candida de nigris, et de candentibus atra. [XI,315.314] 125 Eo siquidem artificio nihil est usitatius, praesertim in aulis et in iudiciis foren-
sibus, quique id artifìcium optimè norunt, illi maximo in honore et precio habentur.
9 Daedalion in accipitrem. Cùm se Daedalion saxo misisset ab alto. [XI,340] 130 Daedalionis in accipitrem fabula detestatur ferociam principum, qui pacis et
quietis inimici tanquàm accipitres bello et caede grassantur.
7 Euripides: Iphigenia Aulid. 239–241.
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7 Die Nymphe Thetis in unterschiedliche Gestalten verwandelt Es steht fest, daß die Mutter des Achilles eine herausragende Frau und die Herrin von Küstenstädten und Meeresinseln war und daher zu einer Meergöttin erklärt wurde. Soweit aber aus der Sage ersichtlich ist, konnte sie nicht leicht davon überzeugt werden, Peleus, den König von Thessalien, zu heiraten. Daher künden die Gestalten, in die sie sich verwandelt hat, von einem gewissen gefühlsmäßigen Schwanken, aus dem heraus sie die Hochzeit mit ihm verweigert hat. Euripides schreibt in der Iphigenie, das Wappen des Achilles seien goldene Nereiden gewesen, und es ist denkbar, daß seine Mutter deshalb als eine der Nereiden bezeichnet und angesehen wurde.
8 Von Autolycus und Philammon Autolycus wird geboren, erfindungsreich bei jedem Betrug. [XI,313]
Autolycus, ein listenreicher und diebischer Mensch, wird deshalb als Merkurs Sohn ausgegeben, weil [der Planet] Merkur, wenn er bei der Zeugung unglücklich steht, meist solcherlei Veranlagungen hervorruft. Dasselbe Prinzip gilt für den Dichter Philammon, den Sohn Apollos. Denn die Sonne regt Söhne, bei deren Zeugung sie in guter Konstellation stand, zu ehrbaren und edlen Bestrebungen an. Heutzutage finden sich aber viele, die jenem Autolycus ähnlich sind, der, nicht aus der Art geschlagen, was die väterliche Kunst der Überlistung betrifft, gewohnt war, aus Schwarz Weiß und aus Weiß Schwarz zu machen. [XI, 315.314]
Nichts ist ja mehr im Gebrauch als diese Kunstfertigkeit, besonders an Höfen und in Gerichtsverhandlungen, und wer sich in dieser Kunstfertigkeit am besten auskennt, der genießt höchste Ehre und Wertschätzung.
9 Daedalion in einen Habicht verwandelt Als Daedalion sich vom hohen Felsen herabgestürzt hatte […] [XI,340]
Die Sage von der Verwandlung Daedalions in einen Habicht bedeutet eine Verfluchung der Wildheit von Fürsten, die, dem Frieden und der Ruhe feind, gleichsam wie Habichte mit Krieg und Mord zu Werke gehen.
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Fabularum Ovidii interpretatio XI
10 Lupus in saxum. Bellua vasta, lupus, sylvisque palustribus exit. [XI,366]
Lupus hic fuit Pelei hostis, qui ad ulciscendam Phoci necem incubuit et illum
135 exulem persecutus est multisque damnis affecit. Strages verò divinitus per hunc
facta docet Deum et esse humani sanguinis vindicem et homicidis irasci eosque odisse ac graviter punire, id quod agnoscit ipse, cùm tendens manus
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in aperti littora ponti Caeruleam Peleus Psamathen, ut finiat iram, Orat, opemque ferat. [XI,397–399]
11 Peleus a caede expiatus. Sumit ab Haemonio purgamina caedis Acasto. [XI,409]
Homicidae olim erant cunctis invisi, adeò, ut, si quis vel imprudens aliquem interfecisset, exilio mulctaretur atque à civili excommunicaretur consorcio. Erat 145 tamen caedes per imprudentiam facta expiabilis. Quibus verò ritibus et caeremoniis expiatio fieri solita sit, intelligi potest ex libro Herodoti, ubi Adrastus à Croeso expiatur.8 Servantur et hodie in Ecclesia certae expiationis ceremoniae.
12 Alcyone in avem. In hac fabula primùm observanda est descriptio tempestatis ac naufragii, qua
150 vix extat alia illustrior. Initium descriptionis sumptum est à prognostico futurae
tempestatis, videlicet à praecedente motu aquarum. Id enim certum est signum surgentis venti, quando aquae incipiunt albescere ac moveri. Hinc omnia, quae in tempestate accidunt, graphicè depinguntur: impetus ventorum, clamor et trepidatio virorum, stridor rudentium, fremitus maris assurgentis et dehiscentis, 155 fragor navis quassatae et fatiscentis. Adhaec assimilantur fluctus et venti hosti-
8 Herodotus 1,35.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XI
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10 Der Wolf in Stein verwandelt Ein gewaltiges Tier, ein Wolf, und er tritt aus den sumpfigen Wäldern heraus. [XI,366]
Dieser Wolf war des Peleus Feind, der es darauf abgesehen hatte, den Mord an Phocus zu rächen, ihn verfolgte, als er in der Verbannung war, und ihm viele Schäden zufügte. Das von diesem durch göttliche Fügung angerichtete Gemetzel jedoch lehrt, daß Gott ein Rächer menschlichen Blutes ist, über Mörder erzürnt und sie haßt und schwer bestraft – was Peleus selbst erkennt, als er, die Hände ausstreckend zum Gestade des offenen Meeres, die blauschwarze Psamathe bittet, sie möchte ihren Zorn beenden und Hilfe leisten. [XI,397–399]
11 Peleus von Mord entsühnt Er erhält von dem Haemonier Acastus die Sühnemittel für den Mord. [XI,409]
Mörder waren einst allen verhaßt, in dem Maße, daß jemand sogar dann, wenn er irgendwen unabsichtlich getötet hatte, mit Verbannung bestraft und aus der Gemeinschaft der Bürger ausgeschlossen wurde. Eine unabsichtlich begangene Tötung war aber entsühnbar. Mit welchen Riten und Zeremonien aber die Entsühnung zu geschehen pflegte, kann dem ersten Buch des Herodot entnommen werden, wo Adrastus von Croesus entsühnt wird. Auch heute noch sind in der Kirche bestimmte Entsühnungszeremonien in Gebrauch.
12 Alcyone in einen Vogel verwandelt In dieser Sage ist erstlich zu beachten die Beschreibung des Unwetters und des Schiffbruchs; es gibt schwerlich eine andere, die glanzvoller wäre als diese. Der Anfang der Beschreibung ist hergenommen von den Vorzeichen eines kommenden Unwetters, nämlich von der vorausgehenden Unruhe der Meeresflut. Es ist nämlich ein sicheres Anzeichen für den sich erhebenden Wind, wenn die Meeresflut beginnt, weißen Schaum zu entwickeln und unruhig zu werden. Darauf wird alles, was bei einem Unwetter geschieht, mit großer Feinheit dargestellt: die Gewalt der Winde, das Geschrei und das besorgte Hin- und Herlaufen der Männer, das Knarren der Taue, das Brüllen des emporsteigenden und sich öffnenden Meeres, das Krachen des zerschmetterten und auseinanderbrechenden Schiffes. Zudem werden die Wogen und die Winde mit Feinden und Kriegsma-
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Fabularum Ovidii interpretatio XI
bus machinisque bellicis, navis verò urbi obsessae et decumanus fluctus militi, qui
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numero praestantior omni, Spe potitur tandem laudisque accensus amore Inter mille viros murum tamen occupat unus. [XI,525.527–528]
Ad extremum depingitur naufragium, quomodo nimirum fractis malo et gubernaculo navis sit oppressa, quomodo ex hominibus alii statim in imum demersi, alii arreptis tabulis inter fluctus natarint, donec omnes simul perirent. Deinde observandum est exemplum amoris coniugalis. Nam Alcyone quàm charum 165 habeat maritum, quàm difficile ferat desiderium absentis, declarat gemitu, lacrymis aliisque evidentibus signis. Dissuadet navigationem, cumque impedire hanc nequeat, collabitur prae dolore exanimis. Diu item prospectat navim è portu discedentem. Quae quidem omnia habent mirifìcam declarationem amoris. Similiter et Ceyx, quàm charam habeat uxorem, testatur in extremo vitae periculo: 170
Dum natat, absentem, quoties sinit hiscere fluctus, Nominat Alcyonen ipsisque immurmurat undis. [XI,566 sq.]
Caeterum tota fabula aptissimè accommodata est ad naturam aviculae, in quam Alcyone fìngitur propter similitudinem nominis mutata. Est enim Alcyon avis ita amans coniugis, ut nullo anni tempore à suo compare discedat, nisi quando 175 excludit ova, sed, quemadmodum nuptam decet, eum semper comitetur eundemque senem et aegrè volantem humeris ferat ac foveat. Adhaec ova excludit in mari, ac tanquàm naufragii memor construit nidum instar navis, ea forma, ut neque mergi neque everti fluctibus queat. Componit enim spinas aciculae piscis, ac rectis aliis ceu stamini transversas alias veluti subtegmen implicat. Mox 180 consertum recurvat et in orbem reducit et sic denique coaptat, ut opus navigii specie fiat turbinatum. Perfectum littori, quo fluctus extremi pertingunt, applicat. Hîc unda molliter feriens nondum firma satis hiantiaque procellarum verbere deprehensa sarcire docet. Solida verò et iam cohaerentia constringit figitque
Auslegung der Metamorphosen Ovids XI
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schinen verglichen, das Schiff aber mit einer belagerten Stadt und der ungeheure Wogenanprall mit einem Soldaten, der, sich auszeichnend in der ganzen Truppe, schließlich den Gegenstand seines Hoffens erlangt und, entflammt von der Liebe nach Ruhm, als einziger unter tausend Männern endlich die Mauer besetzt. [XI,525.527–528]
Zuletzt wird der Schiffbruch geschildert: wie das Schiff allerdings, nachdem Mastbaum und Ruder zerbrochen sind, kentert, wie von den Menschen die einen sofort in die Tiefe gezogen werden, die anderen nach Brettern greifen und in den Meeresfluten schwimmen, bis sie alle zugleich untergehen. – Zweitens ist das Beispiel ehelicher Liebe zu beachten. Denn wie sehr Alcyone ihren Ehemann liebt, wie schwer sie an der Sehnsucht nach dem Abwesenden trägt, offenbart sie mit Seufzern und Tränen und anderen unmißverständlichen Zeichen. Sie rät von der Schiffsreise ab, und da sie diese nicht verhindern kann, sinkt sie vor Schmerz bewußtlos zusammen. Lange auch sieht sie dem aus dem Hafen entschwindenden Schiff nach: all dies bedeutet allerdings eine außerordentliche Kundgabe von Liebe. Auf ähnliche Weise bezeugt auch Ceyx, wie lieb er seine Frau hat, in äußerster Lebensgefahr: Während er schwimmt, nennt er, so oft die Flut ihm erlaubt, den Mund zu öffnen, den Namen der abwesenden Alcyone und murmelt ihn sogar den Wellen vor. [XI,566 f.]
Im übrigen ist diese Sage auf das genaueste der Natur des Vögelchens angepaßt, in das Alcyone verwandelt worden sein soll – eine Erdichtung, die auf der Namens ähnlichkeit beruht. Das Weibchen des Alcyon ist nämlich so von ehelicher Liebe erfüllt, daß es zu keiner Jahreszeit (außer dann, wenn es Eier ausbrütet) seinem Gefährten von der Seite weicht, sondern, wie es einer Ehefrau geziemt, ihn stets begleitet und ihn, wenn er alt ist und nur noch mit Mühe fliegen kann, mit seinen Schultern trägt und stützt. Zudem brütet es seine Eier auf dem Meer aus, und gleichsam in Erinnerung an den Schiffbruch baut es sein Nest wie ein Schiff, so konstruiert, daß es weder versinken noch von den Fluten umgeworfen werden kann. Es fügt nämlich die Stacheln des Nadelfisches zusammen, wobei es in die einen, die, der Kette des Webstuhls vergleichbar, geradeaus gerichtet sind, die anderen, gleichsam als den Einschlag, in die Quere einflicht. Alsbald biegt es das Gewebe nach oben und bringt es in Kreisform und richtet es schließlich so her, daß das Werk, dem Aussehen eines Schiffes entsprechend, kegelförmig zugespitzt ist. Das fertiggestellte Werk befestigt es am Gestade, da, wo es die letzten Ausläufer der Meeresflut besprühen. Die hier [nur noch] sanft anschlagende Welle lehrt es, alles, was noch nicht fest genug und dem Aufprall der Stürme ausgesetzt war, wieder in Ordnung zu bringen. Was aber fest gefügt ist und schon gut zusammen-
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Fabularum Ovidii interpretatio XI
adeò, ut nec saxo nec ferro dissolvi queant. Qua quidem in re magna cum primis 185 admiratione dignum ostiolum est, ita factum, ut hanc unam subeuntem recipiat, caecum caeteris et abditum nec aliud quicquam admittens, ne undam quidem, ut Plutarchus tradit in libro de industria animalium.9
13 Cimmerii. Est prope Cimmerios longo spelunca recessu. [XI,592] 190 Cimmerios, quorum meminit Homerus10, constat temporibus belli Troiani habi-
tasse in Italia propè Neapolim, Cumas et Puteolos. Apud hos perpetuam esse caliginem ac noctem ideò poëtae finxerunt, quia specus magis quam domos incolebant deductisque cuniculis sub terra diversabantur homines furtis ac latrociniis assueti. Orpheus in Argonauticis etiam meminit Cimmeriorum11, sed eos ad 195 septentrionem collocat, in locis ad Bosphorum sitis, inter Riphaeum et Calphium, altissimos montes umbris et nebulis tectos. Constat autem verè Cimmerias tenebras esse in Islandia et Pilappia, ubi brumales dies adeò sunt contracti, vix ut lux compareat. Nam in Livonia dies circa brumam est non multò longior tribus horis. Sunt alii quoque Cimmerii, qui nullam unquàm lucem conspiciunt: nempe 200 homines ebriosi, quorum hîc ad septentrionem infinitus est numerus. Hi noctu in cellis vinariis perpotant et interdiu dormiunt. Rectè igitur Ovidius somni domicilium aedificat apud eiusmodi homines crapulae et somno deditos.
14 Somniorum genera. 205
Excitat artificem simulatoremque figurae Morphea. [XI,634 sq.]
Somnia sunt imagines, quae fiunt in somno per spiritus variè discurrentes in cerebro. Sunt enim spiritus instrumenta cogitationum, ac plerunque somnia de iis offeruntur, quae vigilantes saepe cogitamus. Fingit autem Ovidius triplex somniorum genus: unum, quod rationis gestus imitatur, ut sermonem ac vultum: 210 huic nomen Morpheo. Aliud, quod repraesentat animata quidem, sed ratione carentia: huic nomen Icelos, quia simulet formam animantis. Tertium genus
9 Plutarchus: Moralia: De sollertia animalium 983C-E. 10 Homerus: Od. 11,14–19. 11 Orphica Argonautica (ed. Vian) 1121–1124.
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hält, das verschnürt und befestigt es dermaßen, daß es auch von Steinen und Eisen nicht aufgetrennt werden kann. In diesem Zusammenhang verdient ganz besondere Bewunderung der kleine Eingang, der so angelegt ist, daß er einzig es selbst (das Weibchen) durchläßt und für alle anderen [Tiere] unsichtbar und verborgen ist und nichts anderes hineinläßt, nicht einmal eine Welle, wie Plutarch in seiner Schrift über die Tüchtigkeit der Tiere berichtet.
13 Die Kimmerier Nahe beim Land der Kimmerier liegt eine tiefe Grotte. [XI,592]
Bekanntlich haben die Kimmerier, die Homer erwähnt, zu den Zeiten des Trojanischen Krieges in Italien, in der Nähe von Neapel, Cumae und Pozzuoli, gewohnt. Daß bei diesen ewige Finsternis und Nacht herrsche, haben die Dichter deshalb ersonnen, weil sie mehr in Höhlen als in Häusern wohnten und sich als Menschen, die gewohnheitsmäßig Diebstahl und Straßenraub betrieben, in Gängen aufhielten, die unter der Erde angelegt waren. Orpheus erwähnt in seinen Argonautica ebenfalls die Kimmerier, lokalisiert sie aber nach Norden zu, in Gegenden am Bosporus, zwischen dem Riphaeischen und Calphischen Gebirge, sehr hohen Bergen, die von Nebel und Dunkelheit bedeckt sind. Es steht aber fest, daß eine wahrhaft ‚kimmerische‘ Finsternis in Island und Lappland besteht, wo die Wintertage so kurz sind, daß es kaum hell wird. Denn in Livland dauert der Tag im Winter nicht viel länger als drei Stunden. Es gibt auch noch andere Kimmerier, die niemals irgendein Licht erblicken: betrunkene Menschen nämlich, deren Zahl hier im Norden unendlich groß ist. Diese saufen nachts in Weinstuben in einem fort und schlafen am Tage. Zu Recht also errichtet Ovid den Wohnsitz des Schlafes bei Menschen solchen Schlages, die dem Rausch und dem Schlaf ergeben sind.
14 Die Arten der Träume Er erweckt einen kunstreichen Nachahmer von Gestalten: Morpheus. [XI,634 f.]
Träume sind Abbilder, die im Schlaf entstehen durch Geister, die im Gehirn auf mannigfache Art hin- und herlaufen. Die Geister sind nämlich Werkzeuge der Gedanken, und meistens treten Träume zu Gegenständen auf, an die wir im Zustand des Wachseins oft denken. Ovid erdichtet aber drei Arten von Träumen: Eine, die verstandesmäßige Vorgänge nachahmt, z. B. Rede und Mimik; deren Name ist Morpheus. Eine andere, die zwar beseelte, aber vernunftlose Wesen darstellt; deren Name ist Icelos, weil sie die Gestalt eines Lebewesens nachahmt.
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Fabularum Ovidii interpretatio XI
est planè phantasticum, quo inanimata repraesentantur. Verum quia cogitationes magnorum hominum aliis in rebus versantur quàm cogitationes vulgi, diversis quoque somniis et non vulgaribus ipsi reges ac principes luduntur.
215
15 Aesacus in mergum. Aequor amat, nomenque tenet, quia mergitur illo. [XI,795]
De mergo, cur subinde se demittat in fundum, etiam alia narratur causa, quàm Ovidius hîc fingit. Nam in apologis traditur fuisse negociator et naufragio amisisse merces, ideoque nunc obsidere littora ac se mergere in fundum, sicubi inve220 niat merces suas vel in littus eiectas vel in fundo haerentes.
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Die dritte Art ist die schlechthin auf Phantasie beruhende, von der unbeseelte Gegenstände dargestellt werden. Weil jedoch die Gedanken großer Menschen um andere Gegenstände kreisen als die Gedanken des gemeinen Volkes, werden die Könige und Fürsten selbst auch von ganz anderen und nicht alltäglichen Träumen genarrt.
15 Aesacus in den Tauchervogel verwandelt Er liebt das Meer und hat seinen Namen daher, daß er in es eintaucht. [XI,795]
Dafür, daß sich der Tauchervogel immer wieder in den Meeresgrund stürzt, wird auch noch ein anderer Grund erzählt, als Ovid hier erfindet. Denn in Fabelbüchern wird überliefert, daß er ein Handelsmann gewesen sei und durch einen Schiffbruch seine Waren verloren habe. Und darum halte er sich heute am Gestade auf und tauche zum Meeregrund, um, wenn möglich, seine Waren zu finden, die entweder an den Strand gespült wurden oder am Meeresboden feststecken.
In librum duodecimum. 1 Serpens in saxum. Fit lapis et servat serpentis imagine saxum. [XII,23]
Per occasionem narrantur transformationes et conversiones rerum tempore belli
5 Troiani factae, quae, quoniam ex Homero pleraeque ad verbum translatae
sunt, id quoque utilitatis adferunt, quòd docent rationem transferendi Graeca in Latinum. At fabula de serpente in Aulide passeres devorante narratur ab Agamemnone apud Homerum secundo Iliados.1 Extat etiam Latinis versibus elegantissimè translata à M. T. Cicerone de divinatione.2
10
2 Iphigenia in cervam.
Iphigenia pro exercitu Graecorum à patre mactata docet rempublicam ita caram esse regibus debere, ut, si necessitas postulet, ipsi communem populi salutem suae suorumque vitae anteponant. Extat fabula apud Euripidem, quae inscribitur Iphigenia in Aulide. Ipsa verò Iphigenia in cervam mutata fingitur eò, quòd 15 cerva in locum illius supposita fuit Dianae immolata.
3 Famae domus. De expeditione in Troianos haud dubiè magna fuit fama, tàm in Phrygia et in omnibus finitimis regionibus quàm in Graecia. Nullum enim bellum tàm occultè parari potest, quin praecedat fama. In bellis autem multae sunt suspiciones, 20 multa accidunt πανικά. Quod ut significet Ovidius, fingit domicilium famae inter coelum et terram, ubi omnia audiantur, omnia divulgentur, alluditque ad proverbium: πολλὰ κενὰ τοῦ πολέμου – ‚Multa belli inania‘, cum ait: Illic Credulitas, illic temerarius Error Vanaque Laeticia est consternatique Timores. [XII,59 sq.]
1 Homerus: Il. 2,303–319. 2 Cicero: De divinatione 2,63–64. DOI 10.1515/9783110620283-015
Zum zwölften Buch 1 Eine Schlange in einen Stein verwandelt Sie wird versteinert, und von ihr bleibt ein Stein in Gestalt einer Schlange übrig. [XII,23]
Bei Gelegenheit werden Umbildungen und Umwandlungen von Dingen erzählt, die zur Zeit des Trojanischen Krieges geschehen sind. Da sie meistenteils Wort für Wort aus Homer übertragen worden sind, bringen sie auch den Nutzen, daß sie die Methodik der Übertragung vom Griechischen ins Lateinische lehren. Die Sage aber von der in Aulis Sperlinge verschlingenden Schlange wird von Agamemnon erzählt bei Homer im zweiten Buch der Ilias. Es gibt sie auch in lateinischen Versen, sehr geschmackvoll übersetzt von Cicero in ‚Von der Weissagung‘.
2 Iphigenie in eine Hirschkuh verwandelt Die von ihrem Vater für das Heer der Griechen geopferte Iphigenie lehrt, daß der Staat den Königen so teuer sein müsse, daß sie, wenn die Not der Umstände es verlangt, das gemeinschaftliche Wohl des Volkes ihrem eigenen Leben und dem der Ihren voranstellen. Bei Euripides gibt es ein Schauspiel, das betitelt ist ‚Iphigenie in Aulis‘. Die Erdichtung, daß Iphigenie selbst in eine Hirschkuh verwandelt wird, ist darin begründet, daß der Diana eine an ihrer Stelle untergeschobene Hirschkuh geopfert wurde.
3 Das Haus der Fama Von dem Feldzug gegen die Trojaner verbreitete sich ohne Zweifel große Kunde, ebenso in Phrygien und allen benachbarten Gebieten wie in Griechenland. Kein Krieg kann nämlich so geheim vorbereitet werden, daß ihm keine Kunde vorausginge. Im Krieg aber gibt es viele Mutmaßungen, geschieht viel panisches Erschrecken. Um hierauf hinzuweisen, erfindet Ovid einen Wohnsitz der Fama zwischen Himmel und Erde, wo alles gehört, alles verbreitet wird, und er spielt an auf das Sprichwort: Πολλὰ κενὰ του πολέμου – ‚Der Krieg bringt viel Nichtiges hervor‘, wenn er sagt: Dort wohnen die Leichtgläubigkeit, dort der unbesonnene Irrtum, die eitle Freude und die in Bestürzung geratenen Ängste. [XII,59 f.]
270 25
Fabularum Ovidii interpretatio XII
4 Cygnus invulnerabilis. Congreditur Cygno (decimum dilatus in annum Hector erat). [XII,76 sq.]
Cygnus cum interfuisset multis praeliis nec ullum unquàm vulnus accepisset, denique et in bello Troiano citra vulnus esset extinctus, fabulis poëtarum cele30 bratus est non modò ut fortis ac strenuus, sed etiam ut in omni vita invulnerabilis.
5 Telephus ab Achille vulneratus et sanatus. opusque meae bis sentit Telephus hastae. [XII,112]
Telephus Achillis hasta vulneratus et sanatus est, ut Ovidius alibi testatur his versibus: 35
Vulnus Achilleo quae quondam fecerat hosti, Vulneris auxilium Pelias hasta tulit.3
Hanc ob causam ita gloriatur hîc Achilles de sua hasta, quòd eam Telephus bis senserit. Plinius scribit4 Achillem à Chirone doctum curasse Telephi vulnus per decussionem ferri. Naturam enim ferri stipticam esse ideoque eius limatu40 ram emplastris plagarum adhiberi.
6 Qualia heroum colloquia. virtusque loquendi Materia est. [XII,159 sq.]
Magnorum principum ac fortium virorum colloquia debent esse de rebus hone-
45 stis et gravibus. Sunt autem honestissima colloquia de virtute. Itaque finguntur
heroës apud Achillem in convivio non habere alios sermones nisi de memorabilibus factis:
3 Ovidius: Remedia amoris 47–48. 4 Plinius: Nat. hist. 25,42.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XII
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4 Der unverwundbare Cygnus Er trifft mit Cygnus zusammen – Hektor sollte erst in zehn Jahren sterben. [XII,76 f.]
Da Cygnus an vielen Schlachten teilgenommen und niemals irgendeine Verwundung erlitten hatte und schließlich auch im Trojanischen Krieg getötet wurde, ohne eine Wunde davongetragen zu haben, wurde er in den Erzählungen der Dichter nicht nur als ein tapferer und zupackender, sondern auch als ein in seinem ganzen Leben unverwundbarer Mann gepriesen.
5 Telephus von Achilles verwundet und geheilt […] als Telephus zweimal die Kraft meines Speeres verspürte. [XII,112]
Telephus wurde von dem Speer des Achilles verwundet und geheilt, wie Ovid an anderer Stelle durch diese Verse bezeugt: Der Speer vom Pelion, der einst dem Feind des Achilles eine Wunde beigebracht hatte, schuf der Wunde Heilung.
Aus diesem Grund rühmt sich Achilles hier derart seines Speeres: daß Telephus ihn zweimal verspürt habe. Plinius schreibt, Achilles habe, unterwiesen von Chiron, die Wunde des Telephus durch Abschaben von Eisen geheilt. Die Natur des Eisens wirke nämlich verstopfend, und deshalb werde dessen Feilstaub für Wundpflaster verwendet.
6 Welcherart die Gespräche von Helden sind […] und Heldentaten sind der Stoff ihrer Rede. [XII,159 f.]
Die Gespräche von Fürsten und tapferen Männern sollen ehrenhafte und gewichtige Themen zum Inhalt haben. Höchst ehrenhaft aber sind Gespräche über Heldentaten. Deshalb haben der dichterischen Fiktion nach die Helden während ihres Gastmahls bei Achilles keine anderen Gesprächsthemen als denkwürdige Taten:
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Fabularum Ovidii interpretatio XII
Non illos cytharae, non illos carmina vocum Longaque multifori delectat tibia buxi, Sed noctem sermone trahunt, virtusque loquendi Materia est. Pugnam referunt hostisque suamque, Inque vices adita atque exhausta pericula saepe Commemorare iuvat. Quid enim loqueretur Achilles? Aut quid apud magnum potius loquerentur Achillem? [XII,157–163]
55 Nostri verò proceres, quando ineunt convivia, plerunque colloquuntur de hellua-
tione, scortatione, morbo Gallico aliisque rebus turpissimis. Hi sunt enim sermones, quibus hodie in conviviis potissimum sese exhilarant.
7 Nestoris longaevitas. 60
vixi Annos bis centum, nunc tertia vivitur aetas. [XII,187 sq.]
De longaevitate Nestoris variae sunt opiniones. Quidam putant illum fuisse tantum nonagenarium, definientes aetatem spacium triginta annorum. Ego verò arbitror Nestorem revera tàm longaevum fuisse idque celebratum esse à poëtis ut rem inprimis memorabilem. Non est enim rarum fieri nonagenarium, cùm adhuc 65 non pauci reperiantur, qui prospera valetudine usque ad centum viginti annos vitam producant. Neque est incredibile, illis temporibus hominem temperantem, qualis fuit Nestor, pervenire ad tantam vitae longitudinem potuisse, cum ex annalibus constet Ioannem, Caroli Magni armigerum, Nestori parem vixisse annos trecentos. Cuius longaevi hominis meminit Baptista Mantuanus libro 70 secundo de pacientia5; meminerunt et multi annalium scriptores, qui eum nominant Ioannem de temporibus.
8 Caeneus ex foemina in marem. Cum ex molli et ignavo adolescente Caeneus acer et bellicosus vir extitisset, dedit occasionem fabulae, quòd ex foemina conversus esset in marem. Est enim usita75 tum vulgò appellare eos foeminas, qui sunt viris opprobrio. Sic Numanus ille Virgilianus Troianos vocat foeminas:
5 Baptista Mantuanus: De patientia (Straßburg [1510]), lib. 2, cap. 39, Bl. 64r.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XII
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Kein Spiel auf der Leier, kein Liedergesang und keine lange Flöte aus Buchsbaumholz mit vielen Löchern erfreut sie, sondern sie bringen die Nacht mit Gesprächen hin, und Heldentaten sind der Stoff ihrer Rede. Sie erzählen, wie der Feind und wie sie selbst kämpfen, und es bereitet ihnen Freude, abwechselnd sich oft Gefahren ins Gedächtnis zu rufen, die sie eingegangen sind und die sie überstanden haben. Worüber hätte denn Achilles und worüber hätte man bei dem großen Achilles sonst reden sollen? [XII,157–163]
Unsere Edelleute jedoch unterhalten sich, wenn sie Gastmähler abhalten, meistens über Schlemmereien, Hurerei, die Franzosenkrankheit und andere höchst anstößige Gegenstände. Dies sind nämlich die Gespräche, an denen man sich heutzutage bei Gastmählern hauptsächlich erheitert.
7 Das lange Leben Nestors […] zweihundert Jahre habe ich gelebt; jetzt lebe ich im dritten Jahrhundert. [XII,187 f.]
Zu der langen Lebensdauer Nestors bestehen unterschiedliche Meinungen. Manche meinen, er sei nur ein Neunzigjähriger gewesen, indem sie ‚aetas‘ als einen Zeitraum von dreißig Jahren definieren. Ich aber glaube, daß Nestor tatsächlich ein so hohes Alter hatte und dies von den Dichtern als eine ganz besonders denkwürdige Tatsache gepriesen worden ist. Es ist nämlich keine Seltenheit, neunzig Jahre alt zu werden, da sich auch heute noch nicht wenige finden lassen, die es bei guter Gesundheit bis auf 120 Lebensjahre bringen. Es ist auch nicht unglaubwürdig, daß in jenen Zeiten ein Maß haltender Mensch, wie es Nestor war, eine so große Lebensdauer erreichen konnte, da aus Geschichtsbüchern bekannt ist, daß Johannes, der Waffenträger Karls des Großen, ebenso wie Nestor dreihundert Jahre gelebt hat. Diesen langlebigen Menschen erwähnt Baptista Mantuanus im zweiten Buch seines Werkes ‚Von der Geduld‘. Auch viele Geschichtsschreiber haben ihn erwähnt, die ihn Johannes de Temporibus (Johannes von Zeiten) nennen.
8 Caeneus, von einer Frau in einen Mann verwandelt Als aus dem weichlichen und laschen Jüngling Caeneus ein schneidiger und streitbarer Mann geworden war, gab er Anlaß zu der Sage, daß er von einer Frau in einen Mann verwandelt worden sei. Es ist nämlich gemeinhin Usus, diejenigen Weiber zu nennen, die den Männern zum Schimpf gereichen. So nennt der bekannte Numanus bei Vergil die Trojaner Weiber:
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Fabularum Ovidii interpretatio XII
O verè Phrygiae, neque enim Phryges, ite per alta Dindyma, ubi assuetis biforem dat tibia cantum. Tympana vos buxusque vocat Berecynthia matris Ideae. Sinite arma viris et cedite ferro.6
Neque alia ratione nisi per opprobrium Caeneus vocatur foemina, id quod patet ex his verbis, quibus Latreus Centaurus eum ita compellat: Et te, Caeni, feram? Nam tu mihi foemina semper, Tu mihi Caenis eris. [XII,470 sq.] 85 Item: columque, I, cape cum calathis et stamina pollice torque; Bella relinque viris. [XII,474–476]
Invulnerabilis verò eadem de causa fingitur qua Cygnus. Nam aiunt Caeneum
90 fuisse rei bellicae peritum, adeò ut, cum plurima praelia fecisset, nunquàm
tamen vulneratus sit.
9 Centauri cur nubigenae. Nubigenasque feros positis ex ordine mensis Arboribus tecto discumbere iusserat antro. [XII,211 sq.] 95 Thessaliae equites finguntur nubigenae propter arces in altissimis montibus
sitas, ubi fuerunt geniti. Est enim Thessalia regio montosa. Eodem modo nubigenae fingi possunt apud Germanos equites Franci et Tirolenses; nam hi quoque in altissimis montium iugis gignuntur.
10 Convivium Lapitharum et Centaurorum. 100 Convivium Lapitharum et Centaurorum detestatur ebrietatem et caedes, quae ex
ebrietate proveniunt. Nam ebrietas impellit homines ad quodvis facinus, ut ait Horatius:
6 Vergilius: Aen. 9,617–620.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XII
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O ihr, die ihr wahrlich Phrygierweiber seid, nämlich keine Männer, geht über den hohen Dindymos, wo die Flöte euch, wie ihr’s gewohnt seid, aus zwei Löchern ertönt! Das Tamburin und die berekyntische Buchsbaumflöte der Mutter vom Ida rufen euch. Überlaßt die Waffen den Männern und geht dem Schwert aus dem Wege!
Und auch nur, um ihn zu beschimpfen, wird Caeneus Weib genannt – was aus diesen Worten hervorgeht, mit denen der Kentaur Latreus ihn so schmäht: Soll ich dich, Caenis, auch noch ertragen? Denn du wirst für mich immer ein Weib, wirst für mich Caenis sein! [XII,470 f.]
Ebenso: Geh, nimm den Spinnrocken mit dem Arbeitskörbchen und dreh mit dem Daumen den Faden! Den Krieg überlaß den Männern! [XII,474–476]
Als unverwundbar aber wird er von der Sage aus demselben Grund wie Cygnus ausgegeben. Denn es heißt, Caeneus sei in Kriegssachen erfahren gewesen, und zwar in dem Grade, daß er, obwohl er viele Kämpfe ausgefochten habe, doch niemals verwundet worden sei.
9 Warum die Kentauren Wolkensöhne sind Und er hatte die wilden Wolkensöhne an der Reihe nach aufgestellten Tischen in einer von Bäumen geschützten Grotte sich niederzulegen geheißen. [XII, 211 f.]
Die Ritter Thessaliens sind der Sage nach ‚Wolkensöhne‘ wegen der auf hohen Bergen gelegenen Burgen, wo sie geboren wurden. Das thessalische Gebiet ist nämlich gebirgig. Auf die gleiche Art könnten bei den Deutschen die fränkischen und Tiroler Ritter als Wolkensöhne ausgegeben werden, denn auch sie werden auf sehr hohen Gebirgskämmen geboren.
10 Das Gastmahl der Lapithen und Kentauren Das Gastmahl der Lapithen und Kentauren ist eine Verfluchung der Trunkenheit und der Mordtaten, die aus der Trunkenheit entspringen. Denn die Trunkenheit treibt die Menschen zu jeder Schandtat; wie Horaz sagt:
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Fabularum Ovidii interpretatio XII
In praelia trudit inermem.7
Allegatur huius fabulae exemplum ab eodem Horatio in odis contra ebrietatem
105 his versibus:
At ne quis modici transiliat munera Liberi, Centaurea monet cum Lapithis rixa super mero Debellata.8
Non dissimile conivium meo tempore actum est in finibus Turingiae et Franciae, 110 ubi equites ad nuptias invitati Centauricè à poculis descenderunt ad arma ipsumque sponsum cum praecipuis affinibus et cognatis trucidarunt. Lucianus describit simile convivium, in quo philosophi diversarum professionum ad nuptias invitati non syllogismis, sed pugnis more Centaurorum et Lapitharum inter se contenderunt.9
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11 Quid spicula perdis … Sanguine plebeio? Si qua est tibi cura tuorum, Vertere in Aeaciden! [XII,601–603]
Haec carmina usurpari possunt vice proverbii in admonitione ad principes, qui bellicam gloriam expetunt, ut intermissis bellis civilibus et plebeiis acquirant 120 victoriam non ex caede miserorum civium et rusticorum, sed ex bello adversus Turcam pro gloria Dei et defensione Ecclesiae suscepto. Hoc nimirum est verti in Aeaciden.
12 Achillis interitus. 125
Ille igitur tantorum victor, Achille, Victus es à timido Graiae raptore maritae. [XII,608 sq.]
Locus communis de usitato heroum interitu. Saepissimè enim accidit, ut fortissimi quique ab ignavissimis fraude interficiantur. Sic Scipio Africanus, sic Pompeius magnus, sic Iulius Caesar multique alii perempti sunt. Fertur autem
7 Horatius: Epist. 1,5,17. 8 Horatius: Carm. 1,18,7–9. 9 Lucianus: Symposium seu Convivium seu Lapithae 33.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XII
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Sie drängt den Unkriegerischen ins Gefecht.
Das Beispiel dieser Sage wird beigezogen von demselben Horaz in den Oden gegen die Trunkenheit mit diesen Versen: Daß aber jemand über die Stränge schlägt bei der Gabe des maßvollen Liber, davor warnt der über dem Wein ausgetragene Kentaurenkampf mit den Lapithen.
Ein sehr ähnliches Gastmahl wurde zu meiner Zeit gehalten im Gebiet von Thüringen und Franken, wo Ritter, die zu einer Hochzeit geladen waren, kentaurenmäßig von den Bechern zur Waffengewalt schritten und den Bräutigam selbst zusammen mit seinen nächsten Gevattern und Verwandten totschlugen. Lukian beschreibt ein ähnliches Gastmahl, bei dem Philosophen verschiedener Fachrichtungen, die zu einer Hochzeit geladen waren, nicht mit Syllogismen, sondern mit Fäusten in der Art der Kentauren und Lapithen miteinander stritten.
11 Was verschwendest du Pfeile … Was verschwendest du Pfeile an das Blut des einfachen Volkes? Wenn dir am Wohl der Deinen etwas liegt, wende dich gegen den Aeacusenkel! [XII,601–603]
Diese Verse können sprichwörtlich angewandt werden bei der Ermahnung an Fürsten, die nach Kriegsruhm streben, daß sie Bürger- und Volkskriege einstellen und sich Siegerruhm nicht verschaffen mit dem Niedermetzeln bejammernswerter Bürger und Bauern, sondern mit einem zum Ruhme Gottes und zur Verteidigung der Kirche unternommenen Krieg gegen die Türken. Dies ist ohne Zweifel ein guter Sinn der Aufforderung, ‚sich gegen den Aeacusenkel zu wenden‘.
12 Der Untergang des Achilles Achilles, du Sieger über so große Männer, bist besiegt worden von dem furchtsamen Entführer einer griechischen Ehefrau! [XII,608 f.]
Ein gebräuchlicher Gemeinplatz über den Untergang von Helden! Sehr oft geschieht es nämlich, daß gerade die tapfersten Männer durch Hinterlist von den größten Feiglingen getötet werden. So ist Scipio Africanus, so der große Pompeius, so Iulius Caesar und viele andere umgebracht worden. Es heißt aber, daß
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Fabularum Ovidii interpretatio XII
Achilles insidiose occisus à Paride in templo Apollinis. Nam cum illuc venisset 130 in colloquium cum Andromache, Hectoris uxore, de Polyxena in matrimonium ducenda, ex insidiis interfectus est telo Paridis, qui se in templo occultaverat. Et hinc confìcta est fabula de Apolline exhortante Paridem ac telum dirigente in Achillem.
13 At vivit totum quae gloria compleat orbem. [XII,617] 135 Alius locus communis de gloria, praeter quam omnia in hoc mundo sunt caduca.
Haec enim sola est immortalis, caetera verò omnia, quantumvis magna, inter eunt. Sunt igitur digni observatione hi versus:
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Iam cinis est, et de tàm magno restat Achille Nescio quid, parvam quod non bene compleat urnam. At vivit totum quae gloria compleat orbem. Haec illi mensura viro respondet, et haec est Par tibi, Pelide, nec inania Tartara sentit. [XII,615–619]
14 Arbitrium litis traiecit in omnes. [XII,628] Exemplum, quo admonentur principes, quomodo in gravibus et odiosis contro-
145 versiis se gerere debeant, ut invidiam et offensiones declinent: nempe ita, ut legi-
timo iudicio controversias diiudicandas permittant nec arbitrium litis sibi vendicent.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XII
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Achilles von Paris heimtückisch im Tempel des Apollo getötet worden sei. Denn als er dorthin gekommen war, um sich mit Andromache, der Frau Hektors, über die Heirat mit Polyxena zu unterreden, wurde er aus dem Hinterhalt durch einen Pfeil des Paris getötet, der sich in dem Tempel versteckt hatte. Und hieraus wurde die Sage ersonnen, daß Apollo Paris ermuntert und seinen Pfeil auf Achilles gelenkt habe.
13 Doch es lebt der Ruhm, der den ganzen Erdkreis erfüllen soll [XII,617] Ein anderer Gemeinplatz über den Ruhm, verglichen mit dem alles auf dieser Welt hinfällig ist. Allein er nämlich ist unsterblich, alles andere aber, wie groß es auch sein mag, geht zugrunde. Beachtenswert sind also diese Verse: Schon ist er Asche, und von dem so großen Achilles ist nicht einmal soviel übrig, um eine kleine Urne zu füllen. Doch es lebt sein Ruhm, der den ganzen Erdkreis erfüllen soll. Dieses Maß entspricht jenem Mann, und dieses kommt dir gleich, Pelide, und bekommt den wesenlosen Tartarus nicht zu spüren. [XII,615–619]
14 Die schiedsrichterliche Entscheidung übertrug er an alle [XII,628]
Ein Beispiel, mit dem die Fürsten darauf hingewiesen werden, wie sie sich in gewichtigen und verdrießlichen Streitfällen verhalten sollen, um Neid und feindselige Stimmungen abzuwenden: nämlich so, daß sie die Entscheidung über Streitfälle einem gesetzmäßigen Gerichtsspruch überlassen und die Entscheidung über eine Streitigkeit nicht an sich ziehen sollen.
In librum decimumtertium. v
1 Contentio Aiacis et Ulyssis. Consedere duces et vulgi stante corona. [XIII,1]
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Aiacis et Ulyssis contentio de armis sumpta est ex Euripidis Helena.1 Ibi enim fit eius mentio à Teucro commemorante casum sui fratris. Ac videtur conficta ad imminuendam eorum opinionem, qui arbitrantur nullam esse virtutem admiratione et honore dignam nisi fortitudinem decertandi. Multi enim sic habent persuasum, bellatores antecellere omnibus hominum ordinibus magisque necessarios esse reipub quàm viros eloquentia, consilio et eruditione praestantes. Nec dubium est plurimos olim fuisse et Athenis et Romae hac opinione inflatos, qui occasionem huic fìgmento praebuerint. Tractatur igitur hac contentione locus communis, quem Cicero tractat in 1. Officiorum, ubi disputat res urbanas praestantiores esse bellicis, cùm inquit: „Cedant arma togae, concedat laurea linguae.“2 Sed Ovidius longè illustrius quàm Cicero hunc locum explicat, proponens ob oculos duorum principum contentionem, quorum alter animi et corporis viribus, alter eloquentia et consilio excellit; quodque mirificam habet gratiam: utrique personae affingit pro decoro orationem aptam et moribus convenientem. Aiacis oratio est militaris, incitata, plena iactantiae, plena indignationis. Econtra Ulyssis oratio est urbana et oratoria et quodammodo etiam veteratoria. Ille enim iactatorem, hic simulatorem refert, et quàm ille insolenter tàm modestè hic causam suam agit. Ambae verò orationes pertinent ad statum iuridicialem. Est enim disputatio, utri iure debeantur arma. Sed utrinque sumuntur argumenta à persona, cuius dignitas ducitur ex genere demonstrativo, à nobilitate parentum et magnitudine rerum gestarum. Aiax pro decoro militari utitur exordio acri et abrupto. Orditur autem à re praesenti. Nam cum eo in loco causa ageretur, unde conspici posset classis Graecorum, quam paulò ante sua virtute servaverat, arripit hinc exordium, conquerens
1 Euripides: Helena 94–101. 2 Cicero: De officiis 1,77. DOI 10.1515/9783110620283-016
Zum dreizehnten Buch 1 Der Wettstreit von Aiax und Odysseus Die Fürsten haben sich gesetzt, und das Volk steht in ihrem Umkreis. [XIII,1]
Der Streit von Aiax und Odysseus um die Waffen ist entlehnt aus der Helena des Euripides. Dort wird er nämlich von Teucris erwähnt, als er auf den Tod seines Bruders zu sprechen kommt. Es scheint so, als sei dieser Wettstreit erdichtet worden, um die Meinung derer zu entkräften, die glauben, daß es keine andere der Bewunderung und Verehrung würdige Tugend gebe als die Tapferkeit im Kampf um Leben und Tod. Viele sind nämlich überzeugt davon, daß die Kriegsleute allen Ständen der Menschen überlegen und für den Staat notwendiger seien als Männer, die durch Beredsamkeit, Klugheit und Gelehrsamkeit herausragten. Es besteht auch kein Zweifel, daß es in Athen und Rom sehr viele Menschen gegeben hat, die durch diese Meinung von Stolz erfüllt waren und zu dieser Erdichtung Anlaß gegeben haben. In diesem Wettstreit wird also der Gemeinplatz abgehandelt, den Cicero im ersten Buch seines Werkes ‚Von den Pflichten‘ abhandelt, wo er die Ansicht vorträgt, daß die zivilen Belange Vorrang vor den mili tärischen hätten, wenn er sagt: „Weichen sollen die Waffen der Toga, es weiche der Lorbeer der Rede!“ Doch Ovid erläutert diesen Gemeinplatz bei weitem lichtvoller als Cicero, indem er den Wettstreit zweier Fürsten vor Augen führt, von denen der eine sich durch Charakterstärke und Körperkraft auszeichnet, der andere durch Beredsamkeit und Klugheit, und indem er, was von außerordentlichem Reiz ist, jeder der beiden Personen der rechten Proportionen wegen eine zu ihr passende und ihren Verhaltensweisen entsprechende Redeweise andichtet. Die Rede des Aiax ist soldatisch, aufgeregt, voller Ruhmredigkeit, voller Unmut. Hingegen ist des Odysseus Rede zivil, rednerisch kultiviert und auf eine bestimmte Art auch durchtrieben. Jener stellt nämlich einen Großsprecher, dieser einen Heuchler dar, und so rücksichtslos jener seine Sache verficht, so maßvoll dieser. Beide Reden aber gehören zum Status der Rechtsklärung; es handelt sich nämlich um eine Erörterung der Frage, wem von beiden die Waffen zu Recht zustehen. Doch auf beiden Seiten werden die Beweisgründe von der Person her gewonnen, deren Würdigkeit hergeleitet wird aus dem Genus demonstrativum: von dem Adel der Eltern und der Größe der Taten her. Aiax bedient sich, wie es einem Soldaten gemäß ist, eines harten und schroffen Exordiums. Er beginnt nämlich mit Ort und Stelle. Denn da die Sache an einem Ort ausgefochten wird, von dem aus die Flotte der Griechen zu sehen ist,
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
nihil esse indignius, quàm eo loco, ubi non ita pridem ipse omnium fortissimè pugnasset ac classem ab impetu et incendio hostili defendisset, nunc in dubium vocari suam virtutem seque conferri cum Ulysse, homine loquaci et imbelli, qui, cùm defendendi essent socii, defendenda essent castra, eo ipso loco aciem deseruisset. Deinde argumentatur in hunc modum: Achillis arma iure deberi vel haeredi vel praestantiori. Se verò Achillis esse patruelem et Ulysse praestantiorem tùm nobilitate tùm virtute. Ergò sibi iure deberi. Minorem probat primùm serie maiorum, deinde narratione et enumeratione rerum à se gestarum, rationemque sumptam à propinquitate et splendore natalium amplificat collatione familiae Ulysseae. Prius verò, quàm exponat sua merita, commemorat Ulyssis turpiter facta: nempe Philocteten per scelus ab illo relictum in itinere, Palamedem virum praestantissimum eiusdem criminatione, dolo et invidia circumventum, Nestorem in acie desertum. Postea iactat sua facinora: videlicet se protexisse suo clypeo Ulyssem hostibus cinctum, se prohibuisse incendium à classe, opposuisse se Hectori igni et ferro grassanti. His factis è regione confert res Ulyssis, quas odiose extenuat. Postremo argumentatur à clypei magnitudine et splendore, quòd Ulyssi, viro ad insidias nato, talis clypeus minimè conveniat. Ac quemadmodum in exordio per indignationem se vultu et manibus iactat, ita et in fine orationis ostendit signum animi acris et indignantis, ubi pro decoro fìngitur uti hoc colore rhetorico seu potius militari, ex consequentibus:
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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die er kurz zuvor durch seine kriegerische Tüchtigkeit gerettet hatte, greift er hier sein Exordium auf und ergeht sich in Klagen darüber, daß nichts ungerechter sei, als daß an diesem Orte, wo er selbst vor nicht allzu langer Zeit am tapfersten von allen gekämpft und die Flotte vor dem Ansturm und dem Feuerbrand der Feinde verteidigt habe, jetzt seine kriegerische Tüchtigkeit in Zweifel gezogen und er verglichen werde mit Odysseus, einem geschwätzigen und unkriegerischen Menschen, der, als die Kameraden hätten verteidigt werden müssen, als hätte verteidigt werden müssen das Lager, an eben diesem Ort die kämpfende Truppe verlassen habe. Darauf argumentiert er folgendermaßen: Die Waffen Achills stünden von Rechts wegen entweder dem Erben oder dem vorzüglicheren Manne zu. Er aber sei ein Sohn von Achills Vaterbruder und vorzüglicher als Odysseus sowohl seinem Adel wie seiner kriegerischen Tüchtigkeit nach. Also stünden die Waffen von Rechts wegen ihm zu. Die Propositio minor (den Untersatz) beweist er zuerst mit der Reihe seiner Vorfahren, darauf mit dem Bericht und der Aufzählung seiner Taten, und die von seiner Verwandtschaft und dem Glanz seiner Abkunft hergenommene Begründung steigert er durch einen Vergleich mit der Familie des Odysseus. Bevor er aber seine Verdienste darlegt, erinnert er an Schandtaten des Odysseus: natürlich an Philoktet, der von jenem auf der Fahrt rücksichtslos zurückgelassen worden war, an Palamedes, einen ganz hervorragenden Mann, der der fälschlichen Anschuldigung, Heimtücke und Mißgunst ebenjenes Mannes zum Opfer fiel, und an Nestor, den er in der Schlacht im Stich ließ. Sodann prahlt er mit seinen eigenen Taten: Er habe nämlich den von Feinden umzingelten Odysseus mit seinem Schild geschützt, habe einen Brand der Flotte verhindert, habe sich dem mit Feuer und Schwert wütenden Hektor entgegengestellt. Mit diesen Taten vergleicht er umgekehrt die Handlungen des Odysseus, die er auf hassenswerte Weise herabsetzt. Zum Schluß argumentiert er von der Größe und dem Glanz des Schildes her: daß dem Odysseus, als einem Mann, der zur Heimtücke geboren sei, ein solcher Schild keineswegs gemäß sei. Und wie er sich im Exordium mittels seines Unmuts seiner Statur und Tatkraft rühmt, so gibt er am Schluß seiner Rede das Anzeichen einer energischen und unwilligen Geisteshaltung zu erkennen, wo ihm der rechten Proportion gemäß angedichtet wird, daß er dieses rhetorische oder vielmehr soldatische Kolorit anwende, und zwar mit den folgenden Versen:
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Denique (quid verbis opus est?) spectemur agendo. Arma viri fortis medios mittantur in hostes: Inde iubete peti. [XIII,120–122]
Haec est summa prioris orationis, quae, etsi est diserta, tamen ad posteriorem collata videtur quodammodo horrida et inculta. Nam Ulyssea oratio est adeò oratoria, ut nesciam, an Demosthenes vel Cicero in hac causa disertiorem habere 55 potuisset. Seneca scribit Ovidium contendisse cum eloquentissimis declamatoribus sui temporis tractando hoc ipso argumento de iudicio armorum.3 Unde non dubium est has orationes summo studio et iudicio elaboratas esse. Porrò initio dicendi non properandum oratori, sed paululum commorandum esse, quemadmodum Cicero4 et Quintilianus5 docent. Mora enim et expectatio60 nem auditorum excitat et verecundiae speciem habet. Itaque in Ulysse, ut in oratore, depingitur alius gestus et habitus quàm in Aiace. Fingitur enim Ulysses, antequàm initium dicendi faciat, stare cogitabundus, oculis in terram defixis:
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Astitit, atque oculos paulùm tellure moratos Sustulit ad proceres expectatoque resolvit Ora sono. [XIII,125–127]
Estque hic locus de Ulysse terram intuente sumptus ex tertio Iliados: ʼΑλλʼ ὅτε δὴ πολύμητις ἀναΐξειεν ʼΟδυσσεύς, στάσκεν, ὑπαὶ δὲ ἴδεσκε κατὰ χθονὸς ὄμματα πήξας.6
2 Dispositio et paraphrasis orationis Ulysseae. 70
Si mea cum vestris valuissent vota, Pelasgi. [XIII,128]
Exordium ex ipsa causa, ab affectu, quo captat principum benevolentiam à persona Achillis, quem ostendit esse causam huius contentionis.
3 Seneca: Controversiae 2,2,8–9. 4 Cicero: De oratore 2,327–328. 5 Quintilianus: Instit. orat. 11,3,157. 6 Homerus: Il. 3,216–217.
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Schließlich (wozu bedarf es der Worte?) sollten wir uns durch die Tat erproben! Die Waffen des Helden sollen mitten unter die Feinde geworfen werden. Heißt uns, sie von dort zu holen! [XIII,120–122]
Dies ist der wesentliche Inhalt der ersten Rede, die, obgleich sie wohlgesetzt ist, doch im Vergleich zu der nachfolgenden auf eine bestimmte Art ungehobelt und ungeschlacht scheint. Denn die Rede des Odysseus ist derart rednerisch kultiviert, daß ich bezweifeln möchte, daß Demosthenes oder Cicero in dieser Sache eine wohlgesetztere hätten halten können. Seneca schreibt, Ovid habe durch die Behandlung ebendieses Stoffes des Waffenurteils mit den redegewandtesten Deklamatoren seiner Zeit im Wettstreit gestanden. Daher besteht kein Zweifel, daß diese Reden mit größter Konzentration und Überlegung ausgearbeitet worden sind. Fernerhin darf der Redner am Beginn seiner Ansprache nicht eilig sein, sondern muß ein wenig verweilen, wie es Cicero und Quintilian lehren. Die Verzögerung erregt nämlich die Erwartung der Hörer und erweckt den Anschein von Zurückhaltung. Daher wird bei Odysseus, wie bei einem Redner, ein anderes Gebaren und persönliches Gepräge dargestellt als bei Aiax. Es wird nämlich vorgegeben, daß Odysseus, bevor er mit dem Reden beginne, sinnend dastehe, die Augen auf die Erde geheftet: Er trat hervor und heftete seine Augen ein Weilchen auf den Boden, erhob sie dann zu den Fürsten und öffnete den Mund zur erwarteten Rede. [XIII,125–127]
Diese Stelle von dem auf den Erdboden schauenden Odysseus ist entlehnt aus dem dritten Buch der Ilias: Aber sobald sich der listenreiche Odysseus erhoben, stand er und schaute zur Erde hinab mit gehefteten Augen. (Übers. von Hans Rupé)
2 Dispositio und Paraphrase der Rede des Odysseus Wenn meine Wünsche gemeinsam mit den euren zum Zuge gekommen wären, Pelasger […]. [XIII,128]
Das Exordium setzt bei der Ursache selbst an und geht von einem Affekt aus, mit dem er das Wohlwollen der Fürsten zu gewinnen sucht von der Person des Achilles her, den er als die Ursache dieses ganzen Streits hinstellt.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
„Si quid meae preces vestris coniunctae apud deos immortales, Graeci, valuissent, nihil hac controversia nunc opus esset. Nam et Achilles adhuc vivus suis 75 armis potiretur et nos egregia eius virtute frueremur. At iniquitate fati (id quod sine lacrymis effari nequeo) ille mihi pariter et vobis ademptus est, ecquis in possessione armorum tanto viro haeres succedet iustius quàm is, cuius ipse opera ad societatem huius belli accessit?“ Huic modo ne prosit, quod, ut est, hebes esse videtur. [XIII,135] 80 Inversio ironiae, qua Aiax initio orationis suae contumeliose de eloquentia loqui-
tur, cùm ait:
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Tutius est igitur fictis contendere verbis Quam pugnare manu. Sed nec mihi dicere promptum Nec facere est isti, quantumque ego Marte feroci Inque acie valeo, tantum valet iste loquendo. [XIII,9–12]
„Cùm verò eloquentia ut probrum mihi obiiciatur, initio orationis meae peto, ne huic, qui ad arma tantum promptus, alioqui hebes est nihilque utilitatis vel oratìone vel consilio vobis unquam attulit, ipsa stupiditas prosit neve mihi obsit haec (si quae est) facultas dicendi, qua nunc meam causam ago et semper 90 communi commodo atque utilitati vestrae servivi.“ Nam genus et proavos et quae non fecimus ipsi. [XIII,140]
Refutatio argumenti de nobilitate generis, in qua Ulysses callidè et prudenter dissimulat ea, quae sibi ab Aiace obiecta sunt de Anticlea matre à Sisypho stuprata. Vicissim autem obiicit ei patruum propter fraternam caedem exilio mulctatam. 95 Qua in re observat praecepta, quibus rhetores docent obiecta crimina, si palàm negari aut commodè refutari nequeant, esse dissimulanda silentio, confutationis tamen loco similiter aliquid probri adversario obiiciendum, quod eum rursus pungat et apud auditores in contemptum adducat.
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„Wenn meine Bitten, verbunden mit den euren, bei den unsterblichen Göttern, ihr Griechen, zum Zuge gekommen wären, dann wäre dieser Streit jetzt vollkommen unnötig. Denn dann wäre Achilles noch am Leben, hätte seine Waffen noch in seinem Besitz, und wir würden uns an seiner außerordentlichen Kampfkraft erfreuen. Da aber dieser Mann infolge der Ungerechtigkeit des Schicksals (etwas, was ich ohne Tränen nicht auszusprechen vermag) gleichermaßen mir und euch entrissen wurde: könnte da wohl jemand hinsichtlich des Waffenbesitzes die Nachfolge eines so großen Mannes als Erbe mit größerem Recht antreten als der, durch dessen Bemühung er selbst diesem Kriegsbündnis beigetreten ist?“ Diesem da möge es nur nicht Nutzen bringen, daß er stumpfsinnig aussieht – was er ja auch ist. [XIII,135]
Eine Umkehrung der Ironie, mit der Aiax zu Beginn seiner Rede abfällig über die Beredsamkeit spricht, wenn er sagt: Sicherer ist es also, mit erfundenen Worten zu streiten, als mit der Hand zu kämpfen. Doch mir fällt das Reden nicht leicht und ihm nicht das Handeln. Und so stark ich im wilden Kampfgetümmel und in der Feldschlacht bin, so stark ist der da im Sprechen. [XIII,9–12]
„Da mir aber die Beredsamkeit – als etwas Schimpfliches – zum Vorwurf gemacht wird, bitte ich zu Beginn meiner Rede, daß diesem Mann, der mit den Waffen so schnell bei der Hand, sonst aber stumpfsinnig ist und euch weder durch Rede noch durch guten Rat jemals irgendeinen Nutzen gestiftet hat, nicht seine Dummheit selbst zupaß kommen und mir dieses Redetalent (falls ich es habe), mit dem ich jetzt meine Sache betreibe und stets dem Gemeinwohl und eurem Nutzen gedient habe, nicht zum Schaden gereichen soll.“ Denn die Abkunft und die Vorfahren und alles, was wir nicht selbst getan haben […]. [XIII,140]
Widerlegung des Arguments hinsichtlich des Adels der Abkunft, in der Odysseus geschickt und klug das verschleiert, was ihm von Aiax mit Bezug auf seine von Sisyphus geschändete Mutter Anticlea vorgeworfen wurde. Umgekehrt aber hält er ihm seinen Vaterbruder vor: wegen des mit Verbannung bestraften Brudermordes. In dieser Sache beachtet er die Regeln, nach denen man, wie die Rhetoren lehren, vorgeworfene Verbrechen, wenn sie öffentlich weder bestritten noch auf gehörige Weise zurückgewiesen werden können, mit Schweigen zu übergehen habe. Anstelle einer Widerlegung aber müsse man auf ähnliche Art dem Gegner etwas Schimpfliches vorhalten, was wiederum ihn empfindlich treffen und bei den Zuhörern in Mißkredit bringen könnte.
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„Liceat igitur mihi, quod necessitas postulat, commemorare, quibus rebus alter 100 alteri praestet, et absque invidia gloriari bonis, quae propriè nostra dicuntur. Nam Aiax dum natalibus et maiorum imaginibus gloriatur, non suis, sed fortunae bonis se iactat. Si quid tamen nobilitate generis, unde nihil solidae et verae laudis nobis accedit, gloriandum est, ego quoque gloriari possum me Iovis pronepotem esse. Laërtem enim patrem habeo, Laërtes Arcesium, hic Iovem. Neque 105 ullus scelere contaminatus et in exilium eiectus reperitur in mea familia paterna ut in Aiacis. Auget quoque nobilitatem meam ipsa mater, quam Mercurii neptem esse constat. Atque ita utrunque parentem diis genitum habeo. Sed quoniam, ut dixi, haec bona fortunae potius quàm nostra sunt, nihil in hac causa valeat, quòd materno genere sum nobilior, quòd in mea familia paterna nullus fratricida 110 habetur. Quare omni nobilitate generis exclusa solis in rempublicam meritis causam expendite.“ Dummodo, quod fratres Telamon Peleusque fuerunt. [XIII,151]
Refutatio argumenti de cognatione et iure haereditario. „Deinde si in hoc negocio, ubi non de natalibus, sed de meritis contentio est,
115 tanquàm in adeunda haereditate propinquitas valeret, haec arma non Aiaci, sed
Pyrrho, fìlio Achillis, iure deberentur. Si verò is non relictus esset haeres, Peleo, Achillis patri, qui adhuc vivit, haereditas obveniret. Videte ergò, quàm impudenter faciat Aiax, qui, cum non sit gradu proximus, tamen haereditario iure audet arma postulare. Quid dicam de Teucro, ipsius fratre germano? Cur eandem haere120 ditatem non petit? Est enim Achilli non minus cognatione patruelis quàm ipse Aiax. Sed ideò non petit, quia intelligit ea sibi nullo propinquitatis iure deberi.“
Ergò operum quoniam nudum certamen habetur. [XIII,159]
Conclusio, qua praeparat aditum ad narrationem suorum meritorum in rempu-
125 blicam.
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„Es sei mir also erlaubt, weil die Notwendigkeit es erfordert, anzuführen, in welchen Punkten der eine vor dem anderen Vorrang hat, und mich ohne Mißgunst der Güter zu rühmen, die im eigentlichen Sinne als die unseren bezeichnet werden. Denn indem Aiax sich seiner Familie und der Bilder seiner Ahnen rühmt, prahlt er nicht mit seinen eigenen Gütern, sondern mit denen des Glücks. Wenn aber dennoch in dem Adel der Abkunft, von der her kein Ruhm, der gediegen und echt wäre, auf uns überfließt, etwas liegt, dessen man sich rühmen darf, so kann auch ich mich rühmen, daß ich Jupiters Urenkel bin. Ich habe nämlich Laërtes zum Vater, Laërtes Arcesius und dieser Jupiter. In der Familie meines Vaters findet sich auch niemand, der sich, wie in der von Aiax, mit einem Verbrechen besudelt hätte und in die Verbannung geschickt worden wäre. Meinen Adel verstärkt auch noch selbst meine Mutter, die bekanntlich eine Enkelin Merkurs ist. Und so habe ich Eltern, die beide von Göttern abstammen. Da dies aber, wie ich schon sagte, eher Güter des Glücks als von uns erworbene sind, ist es in dieser Angelegenheit ohne Wert, daß ich von meiner Mutter her von höherem Adel bin und es in der Familie meines Vaters keinen Brudermörder gibt. Schließt also jeden Adel der Abstammung aus und prüft den Fall allein anhand der Verdienste gegenüber dem Staat!“ […], sofern nur die Tatsache, daß Telamon und Peleus Brüder waren, […]. [XIII,151]
Widerlegung des Arguments hinsichtlich der Verwandtschaft und des Erbrechts. „Wenn ferner in dieser Angelegenheit, bei der der Streit nicht um die Familie, sondern um Verdienste geht, das Verwandtschaftsverhältnis ebenso große Geltung besäße wie beim Antritt einer Erbschaft, stünden diese Waffen von Rechts wegen nicht Aiax, sondern Pyrrhus, dem Sohn des Achilles, zu. Wenn dieser Erbe jedoch nicht mehr am Leben wäre, fiele die Erbschaft an Peleus, Achills Vater, der noch lebt. Seht also, wie unverschämt Aiax vorgeht, der, obwohl er nach dem Verwandtschaftsgrad nicht der nächste Angehörige ist, sich dennoch erdreistet, die Waffen nach dem Erbrecht zu fordern. Wie verhält es sich nun aber mit Teucer, seinem Halbbruder? Warum verlangt der nicht ebendiese Erbschaft? Er ist nämlich für Achilles der Verwandtschaft nach nicht weniger ein Sohn des Vaterbruders als Aiax selbst. Aber er verlangt sie deshalb nicht, weil er einsieht, daß sie ihm nach keinem Recht der Verwandtschaft zusteht.“ Da also die Auseinandersetzung allein um Taten geführt wird, […]. [XIII,159]
Schlußfolgerung, mit der er den Übergang zu dem Bericht über seine Verdienste gegenüber dem Staat vorbereitet.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
„Itaque cùm in hac causa neque nobilitas neque cognatio, sed sola utriusque virtus et merita spectanda sint, ego paucis attingam nec singula, sed praecipua, quae pro communi exercitus salute in hoc bello peregi.“ Praescia venturi genitrix Nereïa lethi. [XIII,162] 130 Inchoat narrationem ab Achille adducto, colligens omnia eius facta sibi ascri-
benda esse: se enim horum fuisse causam.
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„Ac primùm (ut ordinem rerum in narrando sequar) scitis, quanta cura et sollicitudine Thetis mater Achillem filium custodierit, ne in expeditionem hanc proficisceretur, quam ex oraculo praenoverat ei fatalem esse. Abdidit eum in gynaecium regis Lycomedis, ubi inter puellas vestitu muliebri lateret. Cùm verò à vobis desideraretur essetque obscurum, ubinam delitesceret quave ratione posset inveniri, ego dedi operam, ut investigarem, ubi versaretur. Cumque explorassem eum occultari in Scyro insula, clàm illuc profectus sum, allatis mecum variis mercibus, quibus et puellae et iuvenes delectantur. His expositis ad gynaecium regis cùm accedentes puellae contemplarentur et cuperent, quae ipsis placebant, Achilles adhuc muliebri veste indutus arripit parmam et hastam: unde coniecturam feci, hunc ipsum esse Achillem. Itaque eum allocutus et hortatus sum, ne subterfugeret miliciam neve dubitaret nobiscum oppugnare Troiam, ad cuius interitum ipse natus esset. Effeci denique, ut mecum huc proficisceretur et in bello egregiam vobis operam navaret. Ergò quicquid ab eo praeclarè, quicquid utiliter hîc gestum, mihi sanè debetur. Ego Telephum domui, ego insulas et urbes Troiae vicinas expugnavi, ego denique praestiti, ut esset, qui saevum et omnibus formidabilem Hectorem compesceret atque prosterneret. Quare his armis, quibus ego Achillem tunc indui, me pro tanto in rempublicam merito nunc donari atque ornari non iniquum esse censeo.“ Ut dolor unius Danaos pervenit ad omnes. [XIII,181]
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„Da also in diesem Fall weder Adel noch Verwandtschaft, sondern allein Tüchtigkeit und Verdienste beider Seiten Beachtung finden dürfen, will ich meinerseits mit wenigen Worten anführen, was ich für das allgemeine Wohl des Heeres in diesem Krieg vollbracht habe: keine Einzelheiten, sondern nur das Wichtigste.“ Seine Mutter, die Nereide, die den ihm bevorstehenden Tod im voraus wußte. [XIII,162]
Er beginnt seinen Bericht mit der Entführung des Achilles und schlußfolgert daraus, daß dessen sämtliche Taten ihm selbst zuzuschreiben seien: Er sei nämlich deren Ursache gewesen. „Erfahrt nun zuerst, damit ich dem Ablauf der Dinge in meinem Bericht folge, mit welcher Liebe und ängstlichen Sorglichkeit die Mutter Thetis ihren Sohn Achilles bewacht hat, damit er nicht zu diesem Feldzug aufbräche, von dem sie aufgrund eines Orakels im voraus wußte, daß er für ihn tödlich sein würde. Sie versteckte ihn in der Frauenwohnung des Königs Lycomedes, wo er unter den Mädchen in Frauenkleidung verborgen sein sollte. Als er aber von euch vermißt wurde und es unklar war, wo er sich versteckt hielt und auf welche Weise er gefunden werden könnte, bemühte ich für meine Person mich darum, auszukundschaften, wo er sich aufhielt. Und als ich ermittelt hatte, daß er auf der Insel Scyrus verborgen gehalten wurde, brach ich heimlich dorthin auf und führte verschiedene Waren mit mir, mit denen man Mädchen und junge Männer erfreuen kann. Als diese bei der Frauenwohnung des Königs ausgestellt waren und die Mädchen herbeikamen und sie sich anschauten und nach denen verlangten, die ihnen selbst gefielen, griff Achilles, noch in ein Frauengewand gekleidet, nach einem Schild und einem Speer, woraus ich den Schluß zog, daß dies Achilles selbst sei. Also redete ich ihn an und ermahnte ihn, sich nicht dem Kriegsdienst zu entziehen und nicht zu zögern, mit uns gemeinsam gegen Troja zu kämpfen, zu dessen Vernichtung er selbst bestimmt sei. Ich erreichte schließlich, daß er mit mir hierher aufbrach und uns im Kriege vorzügliche Hilfe leistete. Was immer also von ihm an Vortrefflichem, an Nutzbringendem hier geleistet worden ist, ist voll und ganz mir zu verdanken. Ich habe Telephus bezwungen, ich habe die Troja benachbarten Inseln und Städte erobert, ich habe schließlich dafür gesorgt, daß jemand da war, der den gewaltigen und allen Furcht einjagenden Hektor bezwingen und niederwerfen konnte. Deshalb halte ich es nicht für unbillig, wenn ich mit diesen Waffen, mit denen ich damals Achilles ausgestattet habe, zum Lohn für ein so großes Verdienst gegenüber dem Staat jetzt beschenkt und ausgezeichnet werde.“ Als der Schmerz eines einzigen Mannes sich auf alle Danaer übetrug […] [XIII,181]
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
Quòd rem difficilimam, sed utilissimam confecerit persuaso Agamemnone, ut filiam pro salute Graecorum immolaret ad placandam Dianam. „Alterum hoc beneficium mihi quoque acceptum ferri debet, quòd, cum universus
155 exercitus noster iam convenisset, in Phrygiam classe transmissurus, nec idoneam
tempestatem haberet ac propterea in Aulide diu haereret ociosus, ego tandem perfeci, ut classis inde solveret. Persuasi enim Agamemnoni, ut Iphigeniam, fìliam suam, pro salute exercitus immolaret Dianae, quae irata adversis ventis nos remorabatur et illam ad sacrificium sibi hostiam dari poscebat. Quanta 160 verò difficultate hoc à patre impetraverim, ipse mihi testis est. Fateor equidem (fatenti autem Agamemnon ignoscat, oro) me in hac causa adhibuisse omnes ingenii vires, omnes eloquentiae machinas, quibus eum impuli in hanc mentem, ut statueret sibi quoquo modo tolerandum et concedendum esse, quod publicè prodesset, utque amorem erga fratrem et quam in exercitu summam potestatem 165 habet, paternae caritati anteferret. Iam accedente patris voluntate matrem arte circumveni, quia sciebam hanc nullis rationibus in eandem voluntatem adduci posse. Ad hanc si Aiax fuisset missus, nostra classis etiam nunc impedita illic haereret in portu.“ Mittor et Iliacas audax orator ad arces. [XIII,196] 170 Quod periculosam obierit legationem, cùm Paris accusandus esset apud Troia-
nos.
„Quid? quod etiam periculosissima legatione functus sum, cùm mitterer Troiam legatus ad reposcendam Helenam. Ubi cùm Paridis scelus et ipsum acriter accusassem et permovissem Priamum et Antenorem, vix effugi violentiam Paridis 175 et aliorum, qui mihi nefarias manus inferre conabantur, sicuti tu nosti, Menelae, qui eiusdem legationis et periculi socius fuisti.“ Longa referre mora est, quae consilioque manuque. [XIII,205]
Congeries multarum rerum, quibus se profuisse reipublicae commemorat.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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Er habe eine sehr schwierige, jedoch auch sehr nutzbringende Sache zuwege gebracht, indem er Agamemnon dazu überredete, seine Tochter zum Wohle der Griechen zu opfern, um Diana zu versöhnen. „Auch der Empfang dieser zweiten Wohltat muß mir zugeschrieben werden: daß, als unser gesamtes Heer schon zusammengekommen war, um mit der Flotte nach Phrygien überzusetzen, keine geeignete Witterung hatte und deshalb lange untätig in Aulis festsaß – daß ich es endlich zuwege brachte, daß die Flotte von dort absegelte. Ich habe nämlich Agamemnon überredet, seine Tochter Iphigenie zum Wohle des Heeres der Diana zu opfern, die erzürnt war, uns mit widrigen Winden zurückhielt und forderte, daß ihr jenes Mädchen als Sühnopfer dargebracht werde. Wie unerhört schwierig es aber für mich war, dies bei dem Vater durchzusetzen, dafür steht er selbst mir als Zeuge. Ich gestehe allerdings (möge aber Agamemnon dieses Geständnis bitte verzeihen!), daß ich in dieser Sache all meine geistigen Kräfte, alle Kunstgriffe der Beredsamkeit angewandt habe, mit denen ich ihn zu dieser Einstellung getrieben habe: daß er sich davon überzeugte, daß er auf irgendeine Weise hinnehmen und zugestehen müsse, was dem Staat zum Nutzen gereichte, und daß er die Liebe zu seinem Bruder und die oberste Befehlsgewalt, über die er im Heer verfügte, der Vaterliebe voranstellte. Als schon die Willensentscheidung des Vaters zustimmend ausgefallen war, umgarnte ich die Mutter mit einer List, weil ich wußte, daß diese mit keinerlei Gründen zu derselben Willensentscheidung gebracht werden konnte. Wäre Aiax zu ihr geschickt worden, säße unsere Flotte auch heute noch blockiert im Hafen fest.“ Ich werde auch als beherzter Unterhändler in die Burg von Troja gesandt. [XIII,196]
Er habe eine gefährliche Gesandtschaft angetreten, als gegen Paris bei den Trojanern Anklage zu erheben war. „Des weiteren: Ich habe auch eine sehr gefährliche Gesandtschaft absolviert, als ich als Gesandter nach Troja geschickt wurde, um Helena zurückzufordern. Als ich dort das Verbrechen des Paris und ihn selbst scharf angegriffen und Priamus und Antenor gerührt hatte, entkam ich nur mit Not der Gewalttätigkeit des Paris und anderer, die ihre gottlosen Hände an mich zu legen versuchten, wie du weißt, Menelaus, der du mein Gefährte bei derselben gefahrvollen Gesandtschaft warst.“ Es würde zu lange aufhalten, alles zu berichten, was ich mit Rat und Tat […] [XIII,205]
Anhäufung vieler Dinge, mit denen er, wie er darlegt, dem Staat Nutzen gebracht habe.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
„Longum est commemorare omnia, quae toto illo tempore, cum Troianos in obsi180 dione habuimus, utiliter consului ac manu mea feci. Hostes initio belli aliquot praeliis repressi diu moenibus se continuerunt nec postea nobiscum aperto Marte conflixerunt, nisi decimo demum anno. Quid tu interea, qui manu tantum strenuus es, quid fecisti? Quis tui fuit usus tàm diuturno tempore? Si verò requiris, quid ipse fecerim: ego interea hostibus insidias tetendi, castra et navalia 185 fossis propugnaculisque communivi, socios consolatus sum, ne frangerentur mora belli. Curavi, ut exercitus noster abundaret commeatu. De armandis quoque militibus multa utiliter monui. Nusquàm non missus sum, ubi necessitas postulavit.“ Ecce Iovis monitu deceptus imagine somni. [XIII,216] 190 Quod seditionem in castris sedaverit ac prohibuerit, ne exercitus dilaberetur.
„Adhaec, cùm Agamemnon divino somnio deceptus fingeret se infectis rebus dimissurum esse exercitum, meministis, ut plerique ruerint in naves. Non incuso hîc Agamemnonem, cuius factum autore Iove defendi potest, sed Aiacem incuso, qui Graecos fugam molientes non modo non revocavit à turpi proposito, id quod 195 talem bellatorem in primis decebat, sed etiam ipsemet tum meditatus est fugam. Vidi enim ac puduit me tui, Aiax, cùm tu instrueres navem et inhonestam abitionem parares. Ibi ego praecipuè retinui in officio militem, revocavi fugientes, compescui acribus verbis contumaces et dixi, ne post tanti temporis moram relinquerent obsidionem proque victoria ex hostibus sempiternum dedecus 200 reportarent. Dolor enim tunc suggerebat mihi orationem pro republica laboranti, ne quid fieret tanto exercitu indignum, quod ad posteritatem nobis omnibus afferret ignominiam. Cùmque Agamemnon convocaret principes ad sedandum multitudinis motum, ne tum quidem Aiax habuit, quod in medium consuleret vel
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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„Es würde zu lange dauern, alles anzuführen, was ich in jener ganzen Zeit, als wir die Trojaner belagerten, an Nutzbringendem angeraten und mit eigener Hand getan habe. Die Feinde, die zu Beginn des Krieges durch einige Schlachten in Bedrängnis geraten waren, hielten sich lange Zeit hinter ihren Mauern verschanzt, und auch später traten sie mit uns nicht in einen offenen Kampf ein. Dies geschah erst im zehnten Jahr. Was hast du, der du nur mit der Hand tüchtig bist, was hast du in der Zwischenzeit getan? Womit hast du dich in einem so langen Zeitraum nützlich gemacht? Wenn du aber fragst, was ich selbst getan habe: Ich meinerseits habe inzwischen hinterlistige Anschläge auf die Feinde unternommen, habe das Lager und den Schiffslandeplatz mit Gräben und Schutzwehren gesichert, habe den Bundesgenossen gut zugeredet, damit sie nicht durch die lange Dauer des Krieges zermürbt würden. Ich habe dafür gesorgt, daß unser Heer Proviant im Überfluß hatte. Auch hinsichtlich der Bewaffnung der Soldaten habe ich viele nützliche Hinweise gegeben. An jeden Ort wurde ich gesandt, wo die Notwendigkeit es erheischte.“ Siehe, auf Jupiters Weisung, getäuscht durch ein Traumbild […] [XIII,216]
Er habe den Aufruhr im Lager besänftigt und verhindert, daß das Heer sich auflöste. „Und überdies: Ihr erinnert euch, daß, als Agamemnon, getäuscht von einem gottgesandten Traum, sich der Vorstellung hingab, daß er das Heer unverrichteter Dinge nach Hause schicken wolle, die meisten zu den Schiffen stürzten. Ich klage hier nicht Agamemnon an, dessen Handeln sich mit der Autorität Jupiters rechtfertigen läßt. Doch klage ich Aiax an, der die Griechen, die zu fliehen suchten, von ihrem schimpflichen Vorhaben nicht nur nicht zurückrief, wie es sich für einen solchen Kriegsmann zu allererst geziemt hätte, sondern damals auch selbst auf Flucht sann. Ich war nämlich Augenzeuge und habe mich deinetwegen geschämt, Aiax, als du dein Schiff bemanntest und einen unehrenhaften Abgang vorbereitetest. Damals war vornehmlich ich es, der die Soldaten bei der Fahne hielt. Ich habe die Flüchtenden zurückgerufen, habe die Widerspenstigen mit scharfen Worten im Zaum gehalten und zu ihnen gesprochen, damit sie nach so langer Zeitdauer nicht die Belagerung aufgäben und und statt des Sieges aus dem Kampf mit den Feinden ewige Schande nach Haus brächten. Der Schmerz gab mir nämlich damals die Rede ein, mir, der ich für den Staat tätig war, damit nicht etwas eines so großen Heeres Unwürdiges geschähe, das uns allen bei der Nachwelt Schimpf und Schande einbrächte. Und nicht einmal zu dem Zeitpunkt, als Agamemnon die Fürsten zusammenrief, um die Erregung der Menge zu dämpfen, hatte Aiax etwas, was er dem Gemeinwohl zuliebe hätte raten oder
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
solummodo hisceret. Ego verò non solum in consilio dixi, quae prodessent, sed et 205 clamosissimum quenque ex plebe compescui nec passus sum Thersiten impunè regi caeterisque principibus facere convicia. Exhortatus sum socios ad tolerandos ac perferendos belli labores; acui ad pristinam virtutem eorumque animos iam deiectos iterum erexi. Quare si quid ex eo tempore etiam iste utiliter magnoque animo gessit, mihi inde aliqua gratia debetur, qui eum ex fuga retraxi.“ 210
Denique de Danais quis te laudatve petitve? [XIII,238]
Inversio argumenti, quod Aiax obiicit Ulyssi, cùm inquit: Luce nihil, gestum nihil est Diomede remoto. [XIII,100]
Atque haec inversio amplificatur ex signis consequentibus, quibus Ulysses probat se pugnasse acrius ipso Aiace, quia exceperit vulnera non clypeo, sed adverso 215 corpore, Aiacem verò semper sibi cavisse, ne vulneraretur. „Illud autem in magna laude pono, quòd Diomedem, virum fortissimum, sine quo iste ait nihil à me gestum esse, socium habeo consiliorum et laborum, cùm ipse tàm parvi fìat, ut nemo ex Graecis omnibus eum sibi socium expetat. Me verò Diomedes ex tanto numero solum elegit, quo socio maxima obiret pericula. Scitis 220 enim me non sorte illi adiunctum, sed ab ipso fuisse iudicio electum, ut speculatores ingrederemur castra hostium. Qua in re quantum periculi susceperim pro utilitate publica, vobis constat. Neque sine fructu nostra fuit diligentia. Nam Dolonem eadem ausum, quae nos, interemi, non ante tamen quàm ex ipso omnia explorassem, quae hostes machinabantur. Confectum erat negocium, cuius causa 225 exieram, iamque poteram redire cum laude rebus hostium praeclarè exploratis et cognitis per Dolonem. Sed ut amplius de patria mererer, accessi etiam ad ipsa castra hostium ibique Rhesum, potentem illum regem, cum multis primoribus Thraciae in tentoriis suis interemi et capto regio curru similis triumphanti reversus sum. Nunc igitur, si diis placet, mihi denegate illius arma, cuius equos Dolon,
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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wozu er auch nur den Mund hätte aufmachen können. Ich aber habe nicht nur in der Ratsversammlung gesagt, was von Nutzen wäre, sondern gerade auch den größten Schreihals im Volk zur Räson gebracht und nicht geduldet, daß Thersites ungestraft den König und die übrigen Fürsten ausschalt. Ich habe die Gefährten dazu ermutigt, die Strapazen des Krieges zu ertragen und durchzustehen, habe sie angespornt, ihr früheres Heldentum wieder aufzunehmen, und habe ihren Mut, der ihnen schon gesunken war, wieder aufgerichtet. Wenn also dieser da seitdem auch etwas Nützliches und Hochherziges vollbracht hat, gebührt einiger Dank hierfür mir, der ihn von der Flucht abgehalten hat.“ Schließlich: wer von den Danaern lobt dich oder will Gemeinschaft mit dir? [XIII,238]
Umkehrung des Arguments, das Aiax Odysseus entgegenhält, wenn er sagt: Nichts geschah bei Tage, nichts ohne Diomedes. [XIII,100]
Und diese Umkehrung wird gesteigert von den sich anschließenden Beweismitteln her, mit denen Odysseus bestätigt, daß er rückhaltloser gekämpft habe als Aiax selbst, weil er Hiebe nicht mit dem Schild, sondern mit der offen zugewandten Brust empfangen habe. Aiax aber habe sich stets in acht genomen, um nicht verwundet zu werden. „Dies aber rechne ich mir als großes Lob an, daß ich Diomedes, einen sehr tapferen Mann, ohne den ich, wie der da sagt, nichts vollbracht hätte, als Gefährten bei Rat und Tat an meiner Seite hatte, obwohl er [Aiax] selbst es für unerheblich hält, daß niemand von allen Griechen sich ihn zum Gefährten wünscht. Aus einer so großen Zahl aber hat Diomedes allein mich erwählt, um sich in der Gemeinschaft mit mir den größten Gefahren zu stellen. Ihr wißt ja, daß ich ihm nicht aufgrund von Losentscheid beigesellt wurde, sondern daß ich von ihm bewußt erwählt worden war, mit ihm als Spion in das Lager der Feinde einzudringen. Eine wie große Gefahr ich in dieser Angelegenheit zum Wohle des Staates auf mich genommen habe, ist euch bekannt. Und unser umsichtiges Vorgehen blieb auch nicht ohne Erfolg, denn ich habe Dolon, der dasselbe gewagt hatte wie wir, getötet, jedoch nicht, bevor ich ihn über alles ausgeforscht hatte, was die Feinde im Schilde führten. Der Auftrag, dessentwegen ich ausgezogen war, war abgeschlossen, und ich hätte jetzt heimkehren können mit dem Ruhm, über Dolon die Lage der Feinde vortrefflich ausgeforscht und in Erfahrung gebracht zu haben. Um mich aber in noch größerem Umfang um das Vaterland verdient zu machen, ging ich an das Lager der Feinde selbst heran, tötete dort jenen mächtigen König Rhesus zusammen mit vielen Vornehmsten Thrakiens in ihren Zelten und kehrte auf dem erbeuteten königlichen Wagen gleich einem Triumphator zurück. Versagt
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
230 Troianorum speculator, ausus erat petere pro nocturna sua opera, sitque melius
de vobis meritus Aiax quàm ego. Ac ne putetis me insidiis tantum et lingua cum hostibus bellare: vobis notum est, quomodo me gesserim in acie, cum incidissem in copias Lyciorum, quamque multos praestantes viros ex illis mea manu interfecerim. Nec desunt mihi cicatrices adverso corpore exceptae, quas, si verbis 235 meis fidem non habetis, en aspicite! Libet enim eas exhibere ac proferre tanquàm testes meae virtutis, id quod Aiax non potest. Si quod enim vulnus accepit per tot annos, ipse ostendat.“ Quid tamen hoc refert, si se pro classe Pelasga. [XIII,268]
Concedit esse quidem vera, sed non uni arroganda, quae Aiax retulit de classe et 240 de monomachia. „Iam verò concedo ei hanc laudem (nolo enim quicquam ei detrahere), quod pro tuenda classe et reprimendo hostium impetu strenuè arma ceperit, sed ita tamen concedo, ut aliis quoque communem. Non solus enim propugnavit classem, nec solus propulsavit hostes, sed socium habuit Patroclum, qui propter arma 245 Achillis, quibus tunc erat indutus, intulit hostibus tantum terroris, ut in fugam converterentur. Quia etiam nimis arroganter iactas te solum singulari certamine ausum congredi cum Hectore, oblitus Agamemnonis, Menelai, mei et aliorum, qui idem facturi erant, si per sortem, qua praelatus es, licuisset. Quanquàm in eo certamine nihil laude dignum effecisti, cum Hector abierit sine vulnere.“ 250
Me miserum, quanto cogor meminisse dolore. [XIII,280]
Refutatio argumenti de inutili armorum usu per inversionem. „Nunc autem non sine acerbissimo dolore mihi in mentem venit, ut Achillis interfecti corpus, adhuc armis indutum, sustulerim in meos humeros ac reportaverim in castra. Quod cùm fecerim luctu et dolore propè exanimatus, an 255 veremini, ne sim par solis armis gestandis? Ac mihi, principes, non modo sunt
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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mir also jetzt, falls es den Göttern gefällt, die Waffen des Mannes, dessen Pferde Dolon, der Spion der Trojaner, zu fordern gewagt hatte für sein nächtliches Unternehmen, und gesteht Aiax bessere Verdienste um euch zu als mir! Damit ihr nun nicht glaubt, daß ich nur mit Hinterlist und der Zunge die Feinde bekriege: euch ist bekannt, wie ich mich in der Schlacht verhalten habe, als ich auf die Scharen der Lykier losgestürzt bin, und wie viele hervorragende Männer von ihnen ich eigenhändig getötet habe. Auch fehlt es mir nicht an Narben, die ich mir vorn auf der Brust zugezogen habe. Wenn ihr meinen Worten nicht traut: hier, seht sie euch an! Ich will sie nämlich darbieten und vorzeigen als Zeugen meiner kämpferischen Tapferkeit – etwas, wozu Aiax nicht imstande ist. Wenn er nämlich in so vielen Jahren eine Wunde empfangen hat, möge er sie selbst zeigen!“ Doch was bedeutet es schon, wenn er vorbringt, er habe für die Pelasgerflotte […] [XIII,268]
Er gesteht zwar zu, daß es wahr sei, was Aiax hinsichtlich der Flotte und des Zweikampfes vorgetragen habe, doch sei dies nicht einem Einzelnen zuzuschreiben. „Und ich gestehe ihm sogar diesen Ruhm zu (ich will ihm ja nicht irgend etwas entziehen), daß er zur Verteidigung der Flotte und Abwehr des Angriffs der Feinde rührig zu den Waffen gegriffen hat, doch ich gestehe ihm diesen Ruhm nur so zu, daß auch andere daran Anteil haben. Er hat nämlich nicht allein die Flotte beschirmt, nicht allein die Feinde zurückgeschlagen, sondern er hatte Patroclus an seiner Seite, der wegen der Rüstung Achills, die er damals angelegt hatte, den Feinden so großen Schrecken einjagte, daß sie die Flucht ergriffen. Du brüstest dich ja auch allzu anmaßend damit, daß allein du gewagt hättest, dich Hektor im Einzelkampf zu stellen, wobei du Agamemnon, Menelaus, mich und andere übergehst, die bereit waren, dasselbe zu tun, wenn es ihnen das Los, dank dessen du den Vorzug hattest, erlaubt hätte. Allerdings hast du in diesem Kampf nichts Lobwürdiges bewirkt, da Hektor unverletzt abgegangen ist.“ Weh mir, mit welch großem Schmerz bin ich gezwungen, mich zu erinnern. [XIII,280]
Widerlegung des Arguments, daß für ihn die Waffen nutzlos seien, vermittels Umkehrung. „Jetzt aber tritt mir nicht ohne bittersten Schmerz jenes Bild vor die Seele, wie ich den Leib des getöteten Achilles, noch mit Wehr und Waffen ausgestattet, auf meine Schultern hob und ins Lager zurücktrug. Befürchtet ihr etwa, ich sei der Handhabung der bloßen Waffen nicht gewachsen, weil ich, als ich dies tat, vor Trauer und Schmerz nahezu besinnungslos war? Doch ich besitze, ihr Fürsten,
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
vires ad gestanda arma, sed etiam mens est, quae eorum dignitatem ac precium intelligit. Ideone putatis Thetin, Achillis matrem, voluisse tanta cura fabricari haec arma, ut imperitus et stolidus miles ea circumferat? Quid enim iste intelligit Pleiades, Hyadas et alia ornamenta in clypeo insculpta?“ 260
Quid? quod me duri fugientem munera belli Arguit etc. [XIII,296 sq.]
Inter turpia facta obiectum est Ulyssi, quòd simulatione miliciam subterfugere voluerit. Ad hanc criminationem ipse nunc respondet, eamque ita diluit à simili: „Porrò cùm ait me simulatione subterfugisse miliciam ac serius venisse ad exerci265 tum, non tàm me quàm Achillem arguit. Si quid enim criminis habuit simulatio, qua usus sum, ipse etiam Achilles non caret crimine, qui eadem usus est. Si verò mora culpari debet, ego minus sum culpandus, qui veni maturius quàm Achilles. Alioqui uterque nostrum iustas habuit causas, cur eiusmodi simulatione uteretur. Illum pietas matris, me pietas uxoris detinuit. Primum illis, postea 270 vobis satisfecimus, et (ut spero) cumulatissimè. Quod si tamen hae causae fortassis me non excusant, ego non recuso in eo accusari et reprehendi, quod mihi commune est cum tanto viro. Verum utut est, interim glorior simulationem illius meo ingenio, et meam non ingenio Aiacis deprehensam esse.“ Neve in me stolidae convicia fundere linguae. [XIII,306] 275 Translatio criminis de Palamede et Philoctete. Nam ipse culpam utriusque facti
transfert in principes, ostendens communi eorum suffragio alterum condemnatum, alterum in Lemno relictum esse. Translationi verò criminis de Philoctete additur in fine ironia et ἀδύνατον ad amplificandam confutationem criminis et ad exagitandam Aiacis stoliditatem.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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nicht nur die Kraft, diese Waffen zu führen, sondern auch die geistige Fähigkeit, ihren Rang und Wert zu erkennen. Glaubt ihr denn, Thetis, Achills Mutter, habe die Waffen deshalb mit so großer Liebe hergestellt wissen wollen, damit ein kenntnisloser und dümmlicher Soldat sie herumträgt? Was versteht denn der da von den Pleiaden, den Hyaden und anderem Zierat, der in den Schild eingraviert ist?“ Was soll man dazu sagen, daß er mir vorwirft, ich hätte vor den Aufgaben des harten Krieges die Flucht ergriffen usw. [XIII,296 f.]
Odysseus wurde neben [anderen] schändlichen Handlungen vorgeworfen, daß er sich durch Verstellung dem Kriegsdienst habe entziehen wollen. Auf diese Beschuldigung antwortet er jetzt selbst und entkräftet sie folgendermaßen vom Ähnlichen her: „Wenn er ferner sagt, ich hätte mich durch Verstellung dem Kriegsdienst entzogen und sei zu spät zum Heer gestoßen, tadelt er weniger mich als Achilles. Falls nämlich die Verstellung, deren ich mich bediente, etwas Verwerfliches an sich hatte, so trifft diese Anschuldigung auch Achilles selbst, der sich der gleichen Verstellung bedient hat. Falls aber die Verspätung Mißbilligung verdient hat, trifft sie mich in geringerem Maße, denn ich bin früher eingetroffen als Achilles. Im übrigen hatte jeder von uns beiden triftige Gründe dafür, sich einer derartigen Verstellung zu bedienen. Jenen hielt die Liebe zu seiner Mutter, mich die Liebe zu meiner Frau zurück. Zuerst haben wir jenen, danach euch (und, wie ich hoffe, in überreichem Maße!) Genüge getan. Falls mich aber diese Gründe vielleicht nicht entschuldigen, so habe ich nichts dagegen, in einer Sache angeklagt und gerügt zu werden, die ich mit einem so gewaltigen Manne gemeinsam habe. Aber wie dem auch sei: Ich rühme mich einstweilen, daß dessen Verstellung durch meinen Scharfsinn und die meinige nicht durch den Scharfsinn des Aiax aufgedeckt worden ist.“ Und damit [wir uns nicht wundern], daß er Schmähungen seiner törichten Zunge gegen mich ausstößt […] [XIII,306]
Die Abwehr der Anschuldigung bezüglich des Palamedes und des Philoktet. Denn er schiebt selbst die Schuld an beiden Taten auf die Fürsten, indem er aufzeigt, daß durch deren gemeinschaftlichen Urteilsspruch der eine schuldig gesprochen, der andere auf Lemnos zurückgelassen worden sei. Der Abwehr der Anschuldigung Philoktets wegen wird am Schluß Ironie und etwas Unmögliches hinzugefügt, um die Widerlegung der Anschuldigung zu verstärken und die Dummheit des Aiax zu verspotten.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
280 „At non mirum est eum in me contumeliosum esse: vobis etiam contumeliosa
obiicit. Si enim facta est Palamedi iniuria, magis ad vos, qui eum condemnastis, crimen pertinet quàm ad me, qui eum accusavi, siquidem gravius est damnare innocentem quàm accusare. Sed non est facta illi iniuria. Nam causa manifestis rebus tenebatur: convictus est proditionis, auro et literis hostium repertis in ipsius 285 tentorio. Nec video, quo iure me accuset de Philoctete, cum illum vestro consensu reliquerim in Lemno. Suasi equidem, ut se abduceret à molestia belli et itineris et ut in loco tranquillo suae valetudini serviret: quod et fecit. Sed cùm hac ratione vitam retineat, eventus testatur me fidele consilium ei dedisse. Ac quia vates indicant eo quoque viro opus esse ad capiendam Troiam praecipiuntque ipsum 290 adduci, ne mihi, sed Aiaci iniungite, ut suo eloquio et ingenio eum vobis placatum adducat, qui magnitudine dolorum furens irascitur omnibus. Sed prius tota rerum natura mutabitur, quàm Aiax sine me adducet Philocteten. Qui quantumvis sit iratus et Agamemnoni et mihi meque execretur, accedam eum et mecum reducam. Nec minus potiar, Deo volente, ipsius sagittis, quàm aliis rebus potitus 295 sum, quibus studui vobis prodesse, ut cum Helenum vatem coëgi aperire Troianorum fata eiusque oratione edoctus Palladium sustuli.“ Nempe capi Troiam prohibebant fata sine illo. [XIII,339]
Amplificatio ablati Palladii: quantum videlicet momenti in eo fuerit et quanta cum difficultate quantoque cum periculo ipse id abstulerit. Hoc autem factum 300 propterea sic amplificatur, quia Aiax in sua oratione id extenuat. „Quae cum omnia reipublicae salutaria à me gesta sint, et quidem summo cum periculo meo, tamen Aiax non erubescit se mecum conferre. Nempe erat in fatis, ne Troia caperetur sine isto signo. Ubi tunc Aiax ille magniloquus? qui cum unus omnium fortissimus velit haberi, cur non audebat tum, quemadmodum ego, 305 contemnere vitam pro salute vestra et noctu per excubias totque armatos hostes
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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„Es ist aber nicht verwunderlich, daß er mich mit Schmähungen bedenkt: Auch gegen euch stößt er Schmähungen aus. Falls Palamedes nämlich Unrecht geschehen ist, trifft die Schuld daran eher euch, die ihr ihn verurteilt habt, als mich, der ihn angeklagt hat, da es ja doch schlimmer ist, einen Unschuldigen schuldig zu sprechen, als ihn anzuklagen. Aber ihm ist kein Unrecht geschehen! Denn die Schuld stand aufgrund offenkundiger Sachverhalte fest: Er wurde des Verrats überführt anhand von Gold und Briefen der Feinde, die in seinem Zelt gefunden wurden. Ich sehe auch nicht, mit welchem Recht er mich Philoktets wegen anklagt, da ich ihn mit eurem Einverständnis auf Lemnos zurückgelassen habe. Zwar habe ich ihn dazu überredet, sich von den Strapazen des Krieges und der Reise fernzuhalten und an einem friedlichen Ort für seine Gesundung zu sorgen – was er auch getan hat. Da er aber auf diese Weise am Leben geblieben ist, bezeugt der Ausgang der Sache, daß ich ihm treulich geraten habe. Weil nun die Seher kundtun, daß man diesen Mann brauche, um Troja einzunehmen, und anordnen, ihn herbeizubringen, so tragt nicht mir, sondern Aiax auf, daß er mit seiner Beredsamkeit und Geistesschärfe euch den Mann versöhnt zurückbringt, der, rasend vor furchtbaren Schmerzen, allen zürnt. Doch eher werden alle Dinge der Welt ihre Natur verändern, als daß Aiax Philoktet ohne mich herbeibringen wird. Wie sehr er auch über Agamemnon und mich erzürnt ist und mich verflucht: ich werde zu ihm gehen und ihn mit mir zurückbringen. Seine Pfeile werde ich, wenn Gott es so gefällt, ebenso erlangen, wie ich auch schon andere Dinge erlangt habe, mit denen ich mich bemüht habe, euch nützlich zu sein: als ich z. B. den Seher Helenus gezwungen habe, das Schicksal Trojas zu offenbaren, und, informiert durch dessen Rede, das Palladium raubte.“ Das Schicksal verwehrte es ja, daß Troja ohne es eingenommen würde. [XIII,339]
Amplificatio der Entwendung des Palladiums: Von welch großer Bedeutung es nämlich war und unter wie großen Schwierigkeiten und wie großer Gefahr er selbst es entwendet hat. Diese Handlung wird aber deshalb so breit ausgeführt, weil Aiax sie in seiner Rede verkleinert. „Obwohl alles, was ich vollbracht habe, und zwar unter größter Gefahr für meine Person, dem Wohl des Staates zuträglich war, schämt sich Aiax doch nicht, sich mit mir zu vergleichen. Es stand nämlich im Buche des Schicksals geschrieben, daß Troja ohne dieses Bild nicht eingenommen werde. Wo war damals der berühmte großsprecherische Aiax? Warum wagte er, obwohl er allein als der Tapferste von allen gelten wollte, es damals nicht, so wie ich, euch zum Heile sein Leben geringzuschätzen und des Nachts an den Wachtposten und so vielen bewaffneten Feinden vorbei nicht allein in die Stadt, sondern in die Burg der Tro-
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
ingredi non modo urbem, sed arcem Troianorum atque inde ex ipsis penetralibus templi auferre signum illud fatale? Quod nisi ego praestitissem, Aiax iam frustra se ostentaret ista mole septemplicis clypei. Illa siquidem nocte peperi vobis victoriam, patefeci hostium moenia, tradidi urbem quasi captam, cum transtuli ad 310 vos Palladium.“ Desine Tydiden vultuque et murmure nobis. [XIII,350]
Repetitio superioris argumenti: gestum nihil est Diomede relicto. Id argumentum nunc amplificat collatione: quod quidem uterque adiutus sit alieno praesidio, sed ipse unius tantum, Aiax verò multorum. 315 „Non est, cur Diomedem oculis et murmure ita designes: ego candidè impertior ei
suam laudem. Nec tu solus defendisti classem, quamvis eius rei gloriam tibi soli arroges. Ego verò ab uno tantum adiutus sum, qui, nisi statueret virum sapientem bellatori anteferendum esse, haud dubiè etiam sibi arma dari postularet.“ Qui nisi pugnacem sciret sapiente minorem. [XIII,354]
320 Collatio sapientiae et virtutis bellicae.
„Quid dicam de aliis principibus virtute bellica praestantibus, de Aiace Oileo, Eurypylo, Thoante, Idomeneo, Merione et Menelao? qui cùm magnitudine animi sint nequaquàm te inferiores, si manu decertandum sit, tamen nemo eorum, ut tu, mecum hîc in iudicio contendit de rerum gestarum gloria, sed nimirum 325 hi omnes intelligunt, quantò plus praesidii sit in prudentium consiliis quàm pugnantium viribus. Tu quidem ad arma promptus, sed temerarius, tu robustus, sed nullius consilii es. Ego in rebus gerendis provideo, quid futurum sit. Tu miles dimicando; de tempore dimicandi Agamemnon mecum deliberat. Tu tantum prodes corpore, ego animo. Et si dicere licet: quantum gubernator navis 330 remigi, quantum dux militi, quantum denique pectus, in quo omnis nostri corporis vis est, manui praestat, tantum ego tibi antecello.“
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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janer einzudringen und von dort, gerade aus den innersten Räumen des Tempels, jenes schicksalhafte Bild zu entwenden? Wenn ich dies nicht geleistet hätte, würde Aiax sich jetzt vergeblich großtun mit diesem Riesending eines siebenhäutigen Schildes. Denn in jener Nacht habe ich euch den Sieg verschafft, habe die Mauern der Feinde geöffnet, euch die Stadt als eine gleichsam schon eingenommene übergeben: als ich das Palladium zu euch herüberschaffte.“ Höre auf, mit Blick und Gemurmel uns auf den Tydiden […] [XIII,350]
Wiederholung des obigen Arguments: daß er nichts ohne Diomedes vollbracht habe. Dieses Argument erweitert er jetzt durch einen Vergleich: daß zwar sie beide fremde Hilfe in Anspruch genommen hätten, er selbst aber nur Hilfe von einem, Aiax aber von vielen. „Es gibt gar keinen Grund dafür, daß du derartig mit Blicken und Gemurmel auf Diomedes hindeutest. Ich meinerseits zolle ihm aufrichtig das ihm gebührende Lob. Du deinerseits hast auch nicht allein die Flotte verteidigt, obwohl du dir den damit verbundenen Ruhm allein zuschreibst. Ich aber wurde nur von einem einzigen unterstützt, der, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, daß ein weiser Mann einem Krieger vorzuziehen sei, zweifellos ebenfalls die Waffen für sich gefordert hätte.“ Wüßte dieser nicht, daß ein Kämpfer weniger wert ist als ein Weiser […] [XIII,354]
Vergleich der Weisheit mit kriegerischer Tüchtigkeit. „Was soll ich von den anderen durch kriegerische Tüchtigkeit herausragenden Fürsten sagen, von Aiax Oileus, Eurypylus, Thoas, Idomeneus, Meriones und Menelaus? Obgleich sie an Seelengröße keineswegs tiefer stehen als du, wenn ein Entscheidungskampf mit bewaffneter Hand ansteht, streitet doch keiner von ihnen so wie du mit mir hier vor Gericht um den Ruhm der vollbrachten Taten. Vielmehr sind sich alle diese klar darüber, um wieviel hilfreicher der Rat der Klugen ist als die Kräfte der Kämpfer. Du bist zwar schnell entschlossen zum bewaffneten Kampf, doch unbesonnen; du bist stark, aber ohne Überlegung. Ich aber sehe bei meinen Handlungen voraus, was geschehen kann. Du bist ein Soldat für den Kampf; über die rechte Zeit zum Kämpfen berät Agamemnon mit mir. Du nützt nur mit dem Körper, ich mit dem Geist. Und mit Verlaub: So hoch der Kapitän eines Schiffes über dem Ruderknecht, so hoch der Feldherr über dem Soldaten, so hoch schließlich der Verstand, in dem die ganze Kraft unseres Körpers steckt, über der Hand steht, um soviel bin ich dir überlegen.“
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
At vos, ô proceres, vigili date praemia vestro. [XIII,370]
Conclusio per obtestationem. „Quae cùm ita sint, principes, facile statuetis, utri nunc arma iure tribuatis. Me 335 quidem, ut spero, non fraudabitis isto praemio, quod peto pro vigiliis et laboribus susceptis publicae salutis causa. Victoriam habetis in manibus. Mea enim opera effeci, ut nihil iam obstet, quo minus Troia capi possit. Quare per communem spem, per optatum Troiae interitum, per deos, quos hostibus eripui, vos oro, si quid sapienter et periculosum agendum superest, in quo industria et 340 fides mea vobis usui esse possit, ut mei rationem habeatis; aut, si omninò censetis arma mihi deneganda esse, tunc Palladi, cuius fatale signum en videtis, ea consecrate.“ Mota manus procerum est, et, quid facundia possit, Re patuit. [XIII,382 sq.] 345 „Effectus eloquentiae“, ut inquit Cicero, „est audientium approbatio.“7 Itaque
Ulysses ut homo eloquens magno applausu locutus fingitur. Est autem haec contentio hominis eloquentis cum homine bellatore confìcta (ut supra diximus) ad minuendam Thrasonum arrogantiam, qui, à studiis literarum alieni, de nulla re bene existimant nisi de re militari: id quod poëta in fine, quasi insultans con350 temptoribus eloquentiae, indicat, cùm ait: fortisque viri tulit arma disertus. [XIII,383]
Lutherus solebat dicere, equites licet contemnerent prae se literatos, tamen agnoscere, studium equestre esse inferius studio literarum, ideoque abiectis caudis equinis, quas olim gestassent, nunc imposuisse sibi pennas et habere eas 355 in vertice capitis tanquàm tropheum à literatis positum.8 Nam ipse pennas artificium scribendi ioco interpretatur.
7 Cicero: Tuscul. disputat. 2,3. 8 Ein diesem Dictum sehr nahekommender Passus findet sich in Luthers ‚Predigt, daß man Kinder zur Schule halten solle‘: Martin Luther: Werke (Weimarer Ausgabe). Bd. 30/II. Weimar 1909, S. 570 f.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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Ihr aber, o ihr Edlen, gebt die Belohnung eurem Wächter! [XIII,370]
Abschluß der Rede mit inständigem Bitten. „Da dem so ist, ihr Fürsten, werdet ihr leicht darüber befinden können, wem von uns beiden ihr jetzt die Waffen mit Fug und Recht zuweisen könnt. Ihr werdet mir gewiß, wie ich hoffe, diese Belohnung nicht vorenthalten, die ich erbitte für das unermüdliche Sorgen und Mühen, das ich zum besten des Staates auf mich genommen habe. Ihr habt den Sieg in den Händen. Mit meiner Leistung habe ich nämlich bewirkt, daß jetzt der Einnahme Trojas nichts mehr entgegensteht. Bei unserer gemeinsamen Hoffnung, bei dem erwünschten Untergang Trojas, bei den Göttern, die ich den Feinden entrissen habe, bitte ich euch also, daß ihr, falls noch etwas mit Klugheit und unter Gefahr zu tun übrig ist, wobei meine Rührigkeit und Zuverlässigkeit von Nutzen sein könnten, an mich denkt. Andernfalls, wenn ihr entschieden der Auffassung seid, daß man die Waffen mir verweigern müsse, dann weiht sie der Pallas, deren schicksalhaftes Bild – da ist es! – ihr seht.“ Die Schar der Edlen war gerührt, und was Beredsamkeit vermag, wurde durch den Erfolg offenbar. [XIII,382 f.]
„Der Erfolg der Beredsamkeit ist“, wie Cicero sagt, „die Billigung der Hörer.“ Daher läßt die Dichtung Odysseus, als einen beredten Menschen, seine Rede unter großem Beifall beenden. Dieser Wettstreit eines beredten Mannes mit mit einem Kriegsmann wurde aber, wie wir oben schon sagten, ersonnen, um die Anmaßung ruhmrediger Soldaten in die Schranken zu weisen, welche, den gelehrten Studien völlig fernstehend, von nichts eine gute Meinung haben als vom Militär. Dies zeigt der Dichter am Schluß, die Verächter der Beredsamkeit gleichsam verhöhnend an, wenn er sagt: […] und die Waffen des Tapferen tug der Beredte davon. [XIII,383]
Luther pflegte zu sagen, daß die Ritter, obwohl sie die Gelehrten im Vergleich mit sich selbst geringschätzten, dennoch anerkennten, daß das Ritterhandwerk dem gelehrten Handwerk unterlegen sei, und deshalb hätten sie die Pferdeschwänze, die sie früher getragen hätten, abgeschafft und sich jetzt Federn aufgesetzt und betrachteten diese als eine ihrem Scheitel von den Gelehrten aufgesetzte Trophäe. Denn er selbst deutete die Federn im Scherz auf die Kunst des Schreibens.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
3 Clypeus Achillis. Achillis summi bellatoris clypeus non ociosis, sed eruditis picturis ornatus admonet honestas literarum artes principibus et praesidio et ornamento esse 360 earumque tuendarum curam ne inter arma quidem esse deponendam. Homerus, unde haec pictura clypei sumpta est9, fìngit Vulcanum in eo fabricasse astrorum cursus, nuptias, iudicia forensia, item praelia et obsidionem urbis. Quae quidem sapientissimus poëta ideò in clypeo fortissimi principis depingenda duxit, ut doceret utranque curam, et pacis et belli, ad principes pertinere. Eos rebus 365 pacatis debere curam adhibere, ut honestarum artium studia floreant, ut ius matrimonii castum et legitimum teneatur utque rectè constituantur et exerceantur iudicia, quibus controversiae et lites civium diiudicari et dirimi possint. Belli verò tempore ipsis principibus necessariam esse rei militaris scientiam, ut defendere cives et propulsare hostes queant. Ad hanc Achillei clypei picturam referen370 dum est illud Iustiniani Imperatoris dictum: imperatoriam maiestatem non solum armis decoratam, verum etiam legibus armatam esse debere.10
4 De Palladio. Phrygiae signum penetrale Minervae. [XIII,337]
Troia fingitur eversa, postquàm Palladium fuit illinc ablatum. Eo fìgmento
375 signifìcatur, tum demum everti respublicas, cùm sapientia ex urbibus sublata
est. Pallas enim, cuius id erat simulacrum, dea sapientiae et consilii olim habebatur. Fieri autem potest, ut Troianum regnum habuerit aliquas signifìcationes, quàmdiu duraturum esset, atque extitisse vaticinium de ilio ipso simulacro Palladis, tanquàm de signo fatali. Nam imperia et regna plerunque habent signa 380 quaedam fatalia de incremento et inclinatione fortunae. Procopius de bello Gothorum libro secundo tradit Palladium fuisse redditum Aeneae in Italiam venienti.11 Nam Diomedem, qui Ulysse iuvante illud ex arce Troiana sustulerat, esse admonitum oraculo, cum graviter ac periculose aegro-
9 Homerus: Il. 18,483–540. 10 Corpus iuris civilis: Institutiones, prooemium, 1. Satz. 11 Procopius: De bellis 5,15,9.
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3 Der Schild des Achilles Der Schild des größten Kriegsmannes, verziert nicht mit unnützen, sondern mit anspruchsvollen bildlichen Darstellungen, erinnert daran, daß ehrbare gelehrte Künste den Fürsten zu Schutz und Zierde gereichen und daß die Sorge um deren Erhaltung nicht einmal in Kriegszeiten unterbleiben darf. Homer, von dem diese bildliche Gestaltung des Schildes entlehnt ist, erdichtet, daß Vulkan auf ihm die Läufe der Sterne, Hochzeiten, Gerichtsurteile, auch Schlachten und die Belagerung einer Stadt dargestellt habe. Dies auf dem Schild des stärksten Fürsten abzubilden, hat der überaus weise Dichter deshalb für richtig gehalten, weil er damit lehren wollte, daß die Sorge für beides, für den Frieden und für den Krieg, Sache der Fürsten sei. Diese hätten in Zeiten von Ruhe und Frieden dafür zu sorgen, daß die Beschäftigung mit den ehrbaren Künsten in Blüte steht, daß das Recht auf eine keusche und gesetzeskonforme Ehe erhalten bleibt und daß auf gehörige Weise Gerichte eingesetzt und betrieben werden, auf denen Fälle von Streit und Zwist unter den Bürgern entschieden und beigelegt werden können. Zur Zeit des Krieges aber sei für die Fürsten selbst die Wissenschaft des Militärwesens vonnöten, damit sie die Bürger verteidigen und die Feinde zurückschlagen können. Auf diese bildliche Darstellung auf dem Schild des Achilles ist jener berühmte Ausspruch des Kaisers Iustinian zu beziehen, daß die kaiserliche Majestät nicht allein mit Waffen geschmückt, sondern auch mit Gesetzen bewaffnet sein müsse.
4 Von dem Palladium Das im Innersten des Tempels verwahrte Bild der phrygischen Minerva. [XIII,337]
Der Sage nach wurde Troja zerstört, nachdem das Palladium von dort weggeholt worden war. Mit dieser Erdichtung wird darauf hingewiesen, daß Staaten erst dann zugrunde gerichtet werden, wenn aus den Städten die Weisheit entfernt worden ist. Pallas, der dieses Bildnis zugehörte, galt nämlich einst als die Göttin der Weisheit und des klugen Rates. Es kann aber sein, daß das trojanische Königreich irgendwelche Vorzeichen dafür besaß, wie lange es überdauern würde, und daß es eine Weissagung hinsichtlich ebenjenes Bildnisses der Pallas, als eines schicksalhaften Zeichens, gegeben hat. Denn Kaiser- und Königreiche haben meist bestimmte schicksalhafte Zeichen für Wachstum und Niedergang ihres Glücks. Prokop überliefert im zweiten Buch des ‚Gotenkrieges‘, daß das Palladium Aeneas, als er nach Italien kam, wiedergegeben worden sei. Denn Diomedes, der es mit der Hilfe des Odysseus aus der Burg von Troja fortgeschafft hatte, sei
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taret, si vitam retinere vellet, ut Palladium restitueret viro Troiano. Scribit autem 385 (si rectè memini) fuisse simulacrum instar praeliantis et vibrantis hastam, nec Graecae, sed Aegyptiae imagini simile, diuque conservatum fuisse Romae in Fortunae fano; postea translatum esse Constantinopolim ibique defossum in foro Constantini.12 Arbitror Imperatorem Constantinum ita persuasum habuisse, ibi fore imperium orbis terrarum, ubi simulacrum illud custodiretur.
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5 De sagittis Herculis per Ulyssem allatis. Vela dat, ut referat Tirynthia tela, sagittas. [XIII,401]
Graecis datum erat oraculum, Troiam capi non posse sine sagittis Herculis.
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Quae postquam ad Graios domino comitante revexit Imposita estque fero tandem manus ultima bello, Troia simul Priamusque cadunt. [XIII,402–404]
Hoc oraculo significatum est magnas res confici non posse sine heroum auxilio.
6 Interitus Aiacis. Quam infirma et fragilis sit humana virtus, admonet exemplum Aiacis consciscentis sibi mortem propter acceptam levem iniuriam. Antea nunquam erat armis 400 victus; nunc ira vincitur et succumbit stulto dolori. Hanc fragilitatem humanae virtutis diligenter considerat poëta et pulchrè depingit, cùm ait:
Hectora qui solus, qui ferrum ignemque Iovemque Sustinuit toties, unam non sustinet iram, Invictumque virum vicit dolor. [XIII,384–386]
12 Ibid. 5,15,12–14.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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durch ein Orakel darauf hingewiesen worden, daß er, falls er bei schwerer und gefährlicher Erkrankung sein Leben erhalten wolle, das Palladium einem Manne aus Troja zurückgeben solle. Er schreibt aber, wenn ich mich recht erinnere, das Bildnis habe einem Kämpfer geglichen, der einen Speer schwang, und habe nicht einem griechischen, sonder einem ägyptischen Bildwerk ähnlich gesehen und sei lange zu Rom im Tempel der Fortuna aufbewahrt worden. Später sei es nach Konstantinopel überführt und dort auf dem Forum Constantini eingegraben worden. Ich glaube, daß Kaiser Konstantin vollkommen davon überzeugt war, daß die Herrschaftsgewalt über den Erdkreis dort sein werde, wo jenes Bildnis gehütet werde.
5 Von den durch Odysseus herbeigebrachten Pfeilen des Herkules Er segelt ab, um die Geschosse, die Pfeile des Tirynthers, zurückzuholen. [XIII,401]
Den Griechen wurde durch Orakelspruch bedeutet, daß Troja nicht eingenommen werden könne ohne die Pfeile des Herkules. Nachdem er diese in Begleitung ihres Eigentümers zu den Griechen zurückgebracht hat, findet der grausame Krieg endlich einen Abschluß. Troja und zugleich Priamus fallen. [XIII,402–404]
Mit diesem Orakel wurde angezeigt, daß große Dinge nicht vollendet werden können ohne die Hilfe von Heroen.
6 Der Untergang des Aiax Wie schwach und zerbrechlich die menschliche Widerstandskraft ist, daran gemahnt das Beispiel des Aiax, der sich den Tod gibt wegen eines empfangenen unbedeutenden Unrechts. Vorher war er niemals mit Waffen besiegt worden; jetzt wird er vom Zorn besiegt und fällt einem törichten Schmerz zum Opfer. Diese Zerbrechlichkeit der menschlichen Widerstandskraft unterzieht der Dichter einer eingehenden Betrachtung und stellt sie vortrefflich dar, wenn er sagt: Er, der allein Hektor, der Eisen und Feuer und Jupiter so oft standgehalten hat, hält allein dem Zorn nicht stand, und den unbesiegten Mann hat der Schmerz besiegt! [XIII,384–386]
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405 Verissimum est igitur, quod scribit Plato: vincere se ipsum esse omnium victori-
arum primam et optimam.13 Est enim maius vincere animum et cohibere iracundiam quàm superare hostem. Huc pertinet ille versiculus Briseïdis ad Achillem: Vince animos iramque tuam, qui caetera vincis!14
7 Hecubae calamitas, lamentatio et transformatio. 410 Graviter et prudenter deplorat poëta insignem Hecubae calamitatem, ad commo-
nefaciendos lectores de instabilitate ac vicissitudine rerum humanarum, ne quis videlicet rebus secundis se efferat, sed quilibet cogitet se ex summa foelicitate in similem calamitatem et miseriam incidere posse. Sic enim converso ad illam sermone ait:
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Teque gemunt, virgo, teque, ô modo regia coniunx, Regia dicta parens, Asiae florentis imago, Nunc etiam praedae mala sors; quam victor Ulysses Esse suam nollet, nisi quod tamen Hectora partu Ediderat: dominum matri vix repperit Hector. [XIII,483–487]
420 Magna est autem calamitas uxorem potentissimi regis et clarissimi principis
matrem adeò vilem et abiectam fieri, ut omnes captivam aspernentur nec quisquam ancillae loco eam habere dignetur. Eiusmodi triste ac miserabile spectaculum rerum humanarum diligenter considerandum est, ac in primis observandum hoc loco quod inquit poëta:
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Dominum matri vix repperit Hector. [XIII,487]
Nihil enim potest hoc ipso loco ad deplorandam Hecubae calamitatem dici miserabilius. Attribuitur verò ei lamentatio plena affectibus, qua filiam deplorat, quam è complexu ipsius raptam Graeci ad tumulum Achillis immolaverant. Est enim in 430 singulis penè verbis πάθος, ut cùm ait illam esse ultimam, quam tot orbata liberis iam lugere possit. Item illam, quamvis foeminam, tamen interiisse cruenta morte, nec illi profuisse sexum, qui foeminas à caede tueri solet iure belli. Denique illam ab uno et eodem hoste perditam esse, à quo caeteri ipsius liberi sint perditi, id
13 Plato: De legibus 1,626e. 14 Ovidius: Her. 3 (Briseis Achilli), 85.
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Es ist also die reine Wahrheit, was Plato schreibt: Sich selbst besiegen, sei von allen Siegen der wichtigste und beste. Es ist nämlich eine größere Leistung, seine Unbeherrschtheit zu besiegen und den Jähzorn im Zaum zu halten, als einen Feind zu überwinden. Hierher gehört auch jener berühmte Vers der Briseis an Achilles: Besiege deinen Unmut und Zorn, der du auch alles Übrige besiegst!
7 Hecubas Leid, Klage und Verwandlung Eindringlich und klug beweint der Dichter das unerhörte Leid Hecubas, um seine Leser an die Unbeständigkeit und Wechselhaftigkeit der menschlichen Dinge zu erinnern: damit nämlich niemand sich in glücklichen Zeiten groß tut, sondern jedermann bedenkt, daß er aus höchstem Glück in ähnliches Leid und Elend hineingeraten kann. So nämlich spricht er, die Rede an jene gewandt: Sie beseufzen dich, Jungfrau, und dich, [Hecuba], die man eben noch Gattin des Königs, Mutter von Königen nannte, Abbild der Blüte Asiens, jetzt sogar ein schlechter Teil der Beute, den der siegreiche Odysseus nicht als sein eigen hätte haben wollen, wenn sie nicht wenigstens Hektor zur Welt gebracht hätte: Nur mit Mühe fand Hektor für seine Mutter einen Eigentümer! [XIII,483–487]
Großes Leid aber bedeutet es für die Gattin eines sehr mächtigen Königs und Mutter eines hochangesehenen Fürsten, eine so minderwertige und mißachtete Person zu werden, daß alle die Gefangene verschmähen und nicht ein einziger sich herabläßt, sie als Magd zu beschäftigen. Ein solches trauriges und jammervolles Schauspiel menschlicher Dinge ist sorgfältiger Betrachtung zu unterziehen, und besonders zu beachten sind die Worte des Dichters an dieser Stelle: Nur mit Mühe fand Hektor für seine Mutter einen Eigentümer! [XIII,487]
An ebendieser Stelle ließ sich nämlich zu dem beweinenswerten Leid Hecubas nichts sagen, was größeres Mitleid erwecken könnte. Ihr wird aber eine Klage voller Gemütsbewegungen zugewiesen, in der sie ihre Tochter beweint, die die Griechen aus ihren Armen gerissen und am Grab des Achilles geopfert hatten. In fast jedem einzelnen Wort steckt ein Affekt, so z. B., wenn sie sagt, jene Tochter sei das letzte Kind, das sie, so vieler Kinder beraubt, noch betrauern könne. Ebenso: jene sei, obgleich eine Frau, eines blutigen Todes gestorben. Und jener Tochter habe ihr Geschlecht nichts genützt, das die Frauen nach dem Kriegsrecht davor bewahrt, erschlagen zu werden. Schließlich: jene Tochter sei von ein und demselben Feind vernichtet worden, von dem schon ihre
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quod in primis erat miserandum. Adhaec collatione aliorum vocat se omnium miserrimam, suamque privatam calamitatem dicit publica calamitate graviorem esse. Nam eversa urbe publicam calamitatem esse finitam, se verò nondum calamitatibus suis defunctam esse. Se olim potentem ac foelicem, nunc omnium infoelicissimam ac miserrimam, avelli suorum tumulis, trahi procul à patria in servitutem, haberi ludibrio ac praebere tristissimum spectaculum rerum humanarum. Postremò duo sunt ad movendam in fine commiserationem valde pathetica. Alterum, ubi queritur de sua vivacitate, quòd frangi doloribus et extingui nequeat, sed reservetur pluribus malis, praedicans à contrario foelicitatem mariti, qui morte ereptus sit omnibus his malis. Alterum, ubi deplorat sortem filiae, quod ei non contigerit eadem fortuna, quae caeteris Priami liberis tamen contigit: nempe ut in patria honestè sepelirentur. Caeterum Hecuba fìngitur conversa in canem, vel propter quandam animi acerbitatem et rabiem (solent enim ira efferati vulgò appellari canes), vel propter insignem contemptum, in quo fuit apud insolentissimos hostes adeò despicata, ut ne hominis quidem, sed canis loco haberetur. Quemadmodum nunc apud Turcas Christiani habentur captivi nec aliter appellantur quàm canes. Locus verò, ubi Hecuba lapidibus interfecta ac tumulata est, ideò ex re, ut inquit Ovidius, nomen habet, quia κυνόσημα, canis sepulchrum, dicitur. Meminit huius loci Pomponius Mela in descriptione Cheronesi Thraciae, suntque haec ipsius verba: „Est ibi Cynossema, tumulus Hecubae, sive ex figura canis, in quam conversa traditur, sive ex fortuna, in quam deciderat, humili nomine accepto.“15
8 Ovidius a Seneca nullo iudicio reprehensus. Hoc loco revellenda est iniuria, quam Seneca Ovidio facit, cùm ait eum nescire desinere et saepe corrumpere sententias, dum studet unam rem aliis atque aliis verbis eloqui16, idque probat (si diis placet) exemplo horum versuum:
15 Pomponius Mela: De chorographia 2,26. 16 Seneca: Controversiae 9,5,17.
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übrigen Kinder vernichtet worden seien: etwas, was vor allem anderen bejammernswert war. Darüber hinaus nennt sie sich, im Vergleich mit anderen Menschen, die elendeste von allen und sagt, daß ihr persönliches Leid durch das öffentliche Leid noch drückender sei. Denn mit der Zerstörung der Stadt habe das öffentliche Leid ein Ende; sie aber habe durch ihr Leid noch nicht den Tod gefunden. Einst mächtig und glücklich, sei sie jetzt die unglücklichste und elendeste aller Frauen: Sie werde den Gräbern der Ihren entrissen, in Sklaverei fern der Heimat verbracht, sei Gegenstand von Hohn und Spott und biete das traurigste Schauspiel menschlichen Schicksals. Am Schluß stehen zum Zweck der Mitleidserregung zwei stark affektgesättigte Teile. Der eine ist der, in dem sie ihre Vitalität beklagt: daß sie durch ihren Schmerz nicht gebrochen und ausgelöscht werden könne, sondern für noch mehr Leid aufgespart werde, wobei sie vom Gegensatz her das Glück ihres Ehemannes preist, der durch seinen Tod all diesem Leid entzogen sei. Der zweite ist der, in dem sie das Geschick ihrer Tochter beweint: daß ihr nicht das gleiche Geschick zuteil wurde wie es doch den übrigen Kindern des Priamus zuteil geworden ist: daß sie nämlich in der Heimat ehrenvoll bestattet wurden. Im übrigen wurde Hecuba der Sage nach in einen Hund verwandelt, entweder wegen einer gewissen Bitterkeit und Raserei (vor Zorn wild gewordene Menschen pflegt man ja allgemein Hunde zu nennen) oder auch wegen der unerhörten Verachtung, mit der sie bei ihren äußerst hochmütigen Feinden derart schmählich behandelt wurde, daß sie nicht einmal als Mensch, sondern nur noch als Hund galt. Auf die gleiche Art werden heutzutage bei den Türken die gefangengenommenen Christen behandelt und geradezu als Hunde bezeichnet. Der Ort aber, an dem Hecuba mit Steinen getötet und beigesetzt wurde, hat deshalb, wie Ovid sagt, seinen von diesem Sachverhalt abgeleiteten Namen, denn er heißt κυνόσημα, ‚Hundegrab‘. Pomponius Mela erwähnt diesen Ort in der Beschreibung des Chersonnes in Thrakien, und dies sind seine Worte: „Hier ist Kynos Sema, der Grabhügel der Hecuba, der seinen unedlen Namen entweder von der Gestalt des Hundes her hat, in den sie verwandelt worden sein soll, oder von dem Unglück her, in das sie gestürzt war.“
8 Senecas unbegründeter Tadel Ovids An dieser Stelle ist das Unrecht aus der Welt zu schaffen, das Seneca Ovid antut, wenn er sagt, dieser könne kein Ende finden und verderbe häufig Aussagen dadurch, daß er es darauf anlege, ein und dieselbe Sache immer wieder mit anderen Worten auszudrücken, und dies beweist er, so die Götter wollen, mit dem Beispiel der folgenden Verse:
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Totque tuos idem fratres, te perdidit idem, Exitium Troiae nostrique orbator, Achilles. At postquàm cecidit Paridis Phoebique sagittis, Nunc certè, dixi, non est metuendus Achilles. Nunc quoque mi metuendus erat. Cinis ipse sepulti In genus hoc saevit; tumulo quoque sensimus hostem: Aeacidae foecunda fui! [XIII,499–505]
Hos enim versus ita reprehendit: „Cum Polyxena“, inquit, „esset adducta tumulo Achillis, Hecuba dicit: ‚cinis ipse sepulti in genus hoc saevit‘. Poterat esse contentus; adiecit: ‚tumulo quoque sensimus hostem‘. Neque hoc contentus adiecit: 470 ‚Aeacidae foecunda fui‘.“ Ego verò miror Senecam in Ovidio id reprehendere, quod et Virgilio et Ciceroni usitatum est atque in primis laudi datur. Anne eiusdem generis est illud Virgilianum: Quid puer Ascanius? superatne? et vescitur aura Aetherea? nec adhuc crudelibus occubat umbris?17 475 Nam ibi cum nihil aliud quaeratur, nisi an adhuc vivat Ascanius, tamen eadem res
ter variatur. Erat quidem satis „superatne“, sed addit: „vescitur aura aethaerea“; nec hoc contentus adiicit: „nec adhuc crudelibus occubat umbris?“ Cicero in oratione pro Ligario quot verbis idem significantibus eandem rem versat! cùm inquit: „Erravi, temere feci, poenitet; ad clementiam tuam confugio, delicti veniam 480 peto, ut ignoscas, oro.“18 Item: „Quid tuus ille, Tubero, districtus in acie gladius agebat? cuius latus petebat? qui sensus erat armorum tuorum? quae tua mens, oculi, manus, ardor animi? quid cupiebas? quid optabas?“19 Quanta hîc multiplicatio verborum et sententiarum: gladius, mucro, arma; sensus, mens, animus; cupiebas, optabas; stringere in acie gladium, petere latus! Quae quidem 485 et voces idem significant et sententiae eôdem spectant. Ex his igitur manifestum est Ovidium nullo iudicio reprehendi, hoc praesertim loco, ubi res affectum poscit, qui sine multiplicatione verborum et sententiarum unam rem velut inculcantium augeri nequit.
17 Vergilius: Aen. 3,339; 1,547 – siehe Kommentar. 18 Cicero: Pro Ligario 30. 19 Ibid. 9.
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Und derselbe Mann hat deine vielen Brüder, derselbe hat dich vernichtet, er, Achilles, der Untergang Trojas und Räuber meiner Kinder. Nachdem er aber durch den Pfeil des Paris und des Phoebus gefallen war, sagte ich: „Jetzt ist doch wenigstens Achilles nicht mehr zu fürchten.“ Aber auch jetzt hatte ich ihn zu fürchten! Selbst die Asche des Beigesetzten wütet gegen dieses Geschlecht. Auch aus dem Grabhügel haben wir seine Feindschaft zu spüren bekommen. Für den Enkel des Aeacus habe ich Kinder geboren!“ [XIII,499–505]
Diese Verse tadelt er nämlich wie folgt: „Als Polyxena“, sagt er, „zum Grabhügel des Achilles weggeführt worden war, sagt Hecuba: ‚Selbst die Asche des Beigesetzten wütet gegen dieses Geschlecht.‘ Damit hätte er sich begnügen können. Doch er fügte hinzu: ‚Auch aus dem Grabhügel haben wir seine Feindschaft zu spüren bekommen.‘ Doch auch damit noch nicht zufrieden, fügte er hinzu: ‚Für den Enkel des Aeacus habe ich Kinder geboren!‘“ Ich meinerseits wundere mich aber, daß Seneca das tadelt, was sowohl bei Vergil wie bei Cicero gebräuchlich und ihnen hauptsächlich als lobenswert angerechnet wird. Ist denn etwa nicht jene bekannte Stelle bei Vergil von der gleichen Art? Was ist mit dem Knaben Ascanius? Ist er noch am Leben und atmet Himmelsluft und ruht noch nicht im grausamen Schattenreich?
Denn obwohl hier nur gefragt wird, ob Ascanius noch am Leben sei, wird doch dieselbe Sache dreimal abgewandelt. „Ist er noch am Leben?“ hätte allerdings gereicht. Doch er fügt hinzu: „Atmet er Himmelsluft?“ Und hiermit nicht zufrieden, fügt er hinzu: „Ruht er noch nicht im grausamen Schattenreich?“ Mit wie vielen dasselbe bedeutenden Worten wendet nicht Cicero in der Rede für Ligarius dieselbe Sache hin und her, wenn er sagt: „Ich habe geirrt, habe unbedacht gehandelt, es tut mir leid; ich nehme Zuflucht zu deiner Milde, ersuche dich um Gnade für mein Vergehen, bitte dich um Verzeihung.“ Ebenso: „Was war die Absicht deines Schwertes, Tubero, das du in der Schlacht zogst? Auf wessen Brust war jene Schwertspitze gerichtet? Was war der Sinn deiner Waffen? Was beschäftigte dein Denken, deine Augen, deine Hände, deinen feurigen Geist? Was wolltest du, was wünschtest du?“ Wie groß ist hier die Vermehrung von Wörtern und Aussagen: Schwert, Schwertspitze, Waffen; Sinn, Denken, Geist; du wolltest, du wünschtest; in der Schlacht das Schwert ziehen, auf die Brust richten! Diese Wörter bedeuten allerdings dasselbe, und ebenso gehen die Aussagen in dieselbe Richtung. Aufgrund dessen ist also offenkundig, daß Ovid grundlos getadelt wird, besonders an dieser Stelle, wo die Sache einen Affekt erfordert, der sich ohne eine Vermehrung von Wörtern und Aussagen, die eine einzige Sache gleichsam einbleuen, nicht steigern läßt.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
9 Memnonis cineres in aves Memnonidas. 490 Memnon fingitur Aurorae filius propter patriam in oriente sitam. Fuit enim ori-
entalis Aethiopiae rex. Aves verò ex Aethiopia quotannis advolant in Phrygiam, teste Plinio20, eoque in loco tantum, ubi Memnon sepultus est, conspiciuntur. Hinc et de avibus haec fabula. Oratio pro Memnone ad Iovem est brevis quidem, sed apta ad permo495 vendum. Ipsa enim Aurora primùm orditur sic ab extenuatione sui: „Quanquam infima sum dearum, tamen, quia sum ex numero coelitum, non vereor accedere tuam maiestatem.“ Deinde petit à suis meritis: „At qualiscunque sum, tamen nonnulla sunt mea merita, quibus confisa spero me impetraturam id, cuius causa huc veni.“
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10 Anii filiae in columbas.
Anius rex fuit diligens paterfamilias et filias habuit bonas oeconomas. Hae et ideò fìnguntur convertisse omnia in frumentum, vinum et oleum, quae attrectassent, quia fuerunt in tuenda re familiari diligentes. Graeci verò ad Troiam, cum ex omnibus insulis commeatu prohiberentur et magna agrorum fertilitas eo tempore 505 esset in Delo, coëgerunt Anium insulae regem ad subvehendum inde commeatum, acceptis ab eo obsidibus ipsis filiabus, quae postea dictae sunt, ut arbitror, in columbas mutatae, cum nihil amplius ex Delo mitteretur, omni frumento quasi à columbis iam consumpto. Hae enim aves plurimum frumenti consumunt.
11 Cyclopis amor et cantilena. 510
Hunc ego, me Cyclops nullo cum fine petebat. [XIII,755]
In Sicilia olim fuerunt homines barbari et immanes, ab orbiculato oculo Cyclopes appellati, nam κύκλος circulus et ὤψ aspectus seu oculus dicitur. Orbicularis verò oculus in media fronte significat formam galeae, quae apud veteres ita
20 Plinius: Nat. hist. 10,74.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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9 Des Memnon Asche verwandelt in die Memnonsvögel Memnon gilt in der Sage als Sohn der Aurora wegen seines im Morgenland gelegenen Vaterlandes. Er war nämlich König des morgenländischen Äthiopien. Wie Plinius bezeugt, fliegen aber jedes Jahr Vögel aus Äthiopien nach Phrygien, und sie werden nur an der Stelle beobachtet, wo Memnon bestattet wurde. Das ist auch der Ursprung dieser Sage von den Vögeln. Die Rede für Memnon zu Jupiter ist zwar kurz, aber gut geeignet, Affekte zu erregen. Aurora selbst beginnt nämlich zunächst folgendermaßen mit einer Verkleinerung ihrer selbst: „Obwohl ich die niederste der Göttinnen bin, scheue ich mich doch nicht, da ich aus der Zahl der Himmlischen bin, mich deiner Majestät zu nähern.“ Darauf bittet sie von ihren Verdiensten her: „Aber wie auch immer meine Person beschaffen ist: ich besitze doch einige Verdienste, auf die vertrauend ich das zu erlangen hoffe, dessentwegen ich hierher gekommen bin.“
10 Die Töchter des Anius in Tauben verwandelt Der König Anius war ein gewissenhafter Hausvater und hatte Töchter, die gut zu wirtschaften verstanden. Und von ihnen geht deshalb die Sage, sie hätten alles, was sie berührten, in Getreide, Wein und Öl verwandelt, weil sie sich bei der Sicherung des Hausstandes achtsam verhielten. Als aber alle Inseln den Griechen auf ihrem Zug nach Troja die Versorgung mit Proviant verwehrten und zu dieser Zeit die Äcker auf Delos gerade sehr ergiebig waren, zwangen sie Anius als den König dieser Insel, ihnen von dorther Proviant zu liefern, nachdem sie von ihm seine Töchter als Geiseln in Empfang genommen hatten, von denen es später, wie ich glaube, hieß, sie seien in Tauben verwandelt worden: denn es wurde nichts mehr aus Delos geschickt, weil alles Getreide gleichsam schon von den Tauben verzehrt worden sei. Diese Vögel verzehren nämlich sehr große Mengen an Getreide.
11 Die Liebe und das Lied des Kyklopen Diesen liebte ich, aber mich umwarb der Kyklop unaufhörlich. [XIII,755]
In Sizilien gab es einstmals barbarische und ungeschlachte Menschen, die nach ihrem kreisrunden Auge Kyklopen genannt wurden, denn κύκλος heißt ‚Kreis‘ und ὤψ ‚Sehkraft‘ oder ‚Auge‘. Das kreisrunde Auge mitten auf der Stirn aber verweist auf die Form des Helms, der bei den Alten so gemacht wurde, daß er vorn
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
fìebat, ut rotundum foramen in fronte, tanquàm fenestram, haberet, unde emi515 nebat ea pars faciei, quae à confìnio superciliorum oriens infra nasum porrigitur. Ac verisimile est istos barbaros, quoniam erant praedones, exercuisse latrocinia eiusmodi galeis tectos atque inde nomen consecutos fuisse. Horum princeps fuit Polyphemus, cui monstrosa corporis moles rectè attribuitur. Ea enim barbaris et feris moribus convenit. Cantilena eius sumpta est ex undecimo idyllio Theocriti21, 520 estque generis partim demonstrativi, partim suasorii. Ipse enim studens conciliare sibi amorem Galatheae, primùm commendat ac laudat eam, si obsequens sit. Deinde per antithesin rursus vituperat, si non obsequatur, eaque in re utitur plurimis comparationibus diversarum rerum. Postremò hortatur illam ad se amandum, ab utili et à iucundo, recensens praecipuas agrestium hominum opes 525 ac voluptates, seque etiam commendat à sua ipsius forma, à mole corporis, ab orbiculato oculo atque à nobilitate generis.
12 Acis in fluvium. Acis in amnem Versus, et antiquum tenuerunt flumina nomen. [XIII,896 sq.] 530 Acis, fluvius Siciliae, nunc vulgò appellatur Frigidus, nec longè à Taurominii
amnis ostio influit in mare, sicut Marius Aretius Syracusanus testatur in libello de situ insulae Siciliae.22
13 Glaucus in deum marinum. Erasmus Roterodamus in proverbio ‚Glaucus comesa herba habitat in mari‘23 535 refert ex Graecis autoribus hunc Glaucum fuisse Anthedonium piscatorem, natandi peritissimum, et commentum esse imposturam eiusmodi: Enatasse è portu spectantibus Anthedoniis, donec iam extra prospectum esset. Ibi reversum in terram secessisse in locum aliquem semotum atque in eo dies aliquot commoratum esse. Deinde rediisse nantem in portum spectantibus iis, qui stabant in 540 littore. Mirantibus autem amicis et sciscitantibus, ubinam gentium tàm diu commoratus esset, illum simulasse sese interim fuisse in marinis fluctibus. Tandem
21 Theocritus 11,19–79. 22 Claudius Marius Aretius: De situ insulae Siciliae (Basel 1544), S. 49. 23 Erasmus Roterodamus: Adagia 3063: Opera omnia (Amsterdam) II-7, S. 78.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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ein rundes Loch, gleichsam ein Fenster, hatte, aus der derjenige Teil des Gesichts hervorsah, der sich, bei der Grenzlinie der Augenbrauen beginnend, bis unterhalb der Nase erstreckt. Nun ist es wahrscheinlich, daß diese Barbaren, da sie Räuber waren, ihre Raubzüge unter dem Schutz solcher Helme ausführten und so zu ihrem Namen gekommen sind. Deren Fürst war Polyphem, dem zu Recht eine übernatürliche Körpergröße und -fülle zugeschrieben wird. Diese entsprach nämlich seinen barbarischen und wilden Sitten. Dessen Lied ist entlehnt aus dem elften Idyll Theokrits, und es gehört teils dem genus demonstrativum, teils dem genus suasorium an. In seinem Bemühen nämlich, die Liebe Galatheas zu erringen, lobt und preist er sie zunächst für den Fall, daß sie ihm gefügig ist. Darauf tadelt er sie wiederum umgekehrt für den Fall, daß sie ihm nicht gefügig sein sollte. Und dabei bedient er sich sehr vieler Vergleiche mit ganz unterschiedlichen Gegenständen. Zuletzt ermuntert er sie, ihn zu lieben, vom Nützlichen und Angenehmen her, indem er die hauptsächlichen Reichtümer und Genüsse von bäurischen Menschen aufzählt. Und sich selbst preist er auch an, von seiner Gestalt her, der Massigkeit seines Körpers, von seinem kreisrunden Auge und dem Adel seines Geschlechtes her.
12 Acis in einen Fluß verwandelt Acis war in einen Strom verwandelt, und der Fluß behielt seinen alten Namen. [XIII,896 f.]
Acis, ein Fluß in Sizilien, wird jetzt landläufig ‚Der Kalte‘ genannt. Nicht weit von der Mündung des Stroms Taurominium fließt er ins Meer, wie der Syrakusaner Marius Aretius in seinem Buch über die Lage Siziliens bezeugt.
13 Glaucus in einen Meergott verwandelt Erasmus von Rotterdam erzählt in dem Adagium ‚Als Glaucus das Gras gegessen hat, wohnt er im Meer‘ nach griechischen Schriftstellern, dieser Glaucus sei ein anthedonischer Fischer gewesen, ein sehr erfahrener Schwimmer, und habe sich die folgende Lügengeschichte ausgedacht. Er sei unter den Augen der Bürger von Anthedon aus dem Hafen hinausgeschwommen, bis er gerade außer Sichtweite war. Alsdann sei er wieder ans Land zurückgekehrt, habe sich an irgendeinen entlegenen Ort begeben und dort für einige Tage aufgehalten. Darauf sei er zurückgekehrt und in den Hafen hineingeschwommen unter den Augen derer, die am Ufer standen. Als aber seine Freunde verwundert waren und wissen wollten, wo in aller Welt er sich so lange aufgehalten habe, da habe er vorgegeben, daß er
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Fabularum Ovidii interpretatio XIII
evenisse, ut à belua marina devoraretur, cumque ex more non rediret, iactatum esse populi fama, Glaucum gustata herba factum immortalem et in mari vitam agere. Similem ferè historiam refert Iovianus Pontanus24, qui tradit suis tempori545 bus fuisse hominem cognomento Colam, plus in aquis quàm in terris vivere solitum, nec potuisse spirare, si diu abfuisset ab aquis, haud secus ac beluam marinam. Hunc nando tantum profecisse, ut auderet se committere pelago magnis tempestatibus commoto, ac spacium quingentorum stadiorum confìcere. Talem igitur fuisse Glaucum verisimile est, eumque venisse in hanc opinionem 550 apud vulgus, ut existimaretur deus marinus.
24 Ioannes Iovianus Pontanus: Urania (Venedig 1533), lib. 4, De Cola Pisce, Bl. 78r–80r; ed. Soldati 4,468–581. – Kurz erwähnt auch in einem Prosawerk von Pontanus: De immanitate (ed. Monti Sabia) 1,13.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIII
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in der Zwischenzeit in der Meeresflut gewesen sei. Schließlich sei es geschehen, daß er von einem Meeresungeheuer verschlungen worden sei; und da er nicht nach der üblichen Frist zurückgekehrt sei, habe sich im Volk das Gerücht verbreitet, Glaucus sei, nachdem er vom Gras gekostet habe, unsterblich geworden und lebe im Meer. Eine fast gleichartige Geschichte erzählt Iovianus Pontanus, der berichtet, daß es zu seiner Zeit einen Menschen mit Namen Cola gegeben habe, der mehr im Wasser als an Land zu leben pflegte und nicht habe atmen können, wenn er lange dem Wasser fern war, nicht anders als ein Meeresungeheuer. Dieser habe es im Schwimmen so weit gebracht, daß er es wagte, sich der von schweren Stürmen aufgewühlten See anzuvertrauen und eine Strecke von 500 Stadien zurückzulegen. Es ist wahrscheinlich, daß Glaucus ein solcher Mensch gewesen ist und im Volk ein so hohes Ansehen erlangt hat, daß er für einen Meergott gehalten wurde.
In librum decimumquartum. 1 De Scylla, Phorci filia. subiectaque terga ferarum Inguinibus truncis uteroque extante coërcet. [XIV,66 sq.] 5 Fretum Siciliense, quia scopulosum et angustum est, tanto fervet aestu, ut fluctus
inter se concurrentes scopulisque illisi quendam quasi latratum referant. Hinc fingitur Scylla à pube canibus et lupis succincta, quam in eo freto scopulum esse constat.
2 Cercopes in simias. 10
Colle Pithecusas habitantum nomine dictas. [XIV,90]
Significat Pithecusanos fuisse astutos et fraudulentos. Nam apud Athenienses olim impostores et dolosi dicebantur Cercopes, quasi caudati, metaphora sumpta ab animalibus, quae cauda blandiuntur.
3 De aureo ramo. 15
Fulgentem ramum sylva Iunonis Avernae. [XIV,114]
Aureus ramus, qui ad Elysium campum tendentibus est necessarius, explicatur à Baptista Mantuano, et exponitur allegoricè de fide seu fiducia in Deum, sine qua nemini contingit introire in aeternam vitam.1 Hunc verò ramum ait aureum rectè appellari eò, quòd auri substantia sit praecipua et incorruptibilis et rectè 20 (quemadmodum Sibylla apud Virgilium docet2) occultari in magno nemore. Nam inter diversas sectas et hominum opiniones delitescere fidei sapientiam, quasi arborem in nemore amplissimo, nec inveniri nisi monstrante Sibylla, hoc est, Dei voluntate nobis revelata per prophetas. Invento hoc ramo et servato nos per
1 Baptista Mantuanus: De patientia (Straßburg [1510]), lib. 3, cap. 3, Bl. 72v. 2 Vergilius: Aen. 6,138–139. DOI 10.1515/9783110620283-017
Zum vierzehnten Buch 1 Von Scylla, der Tochter des Phorcus […] und mit ihren verstümmelten Weichen und ihrem noch vorhandenen Unterleib reitet sie auf dem Rücken der wilden Tiere. [XIV,66 f.]
Weil die Meerenge von Sizilien klippenreich und eng ist, herrscht in ihr eine so heftige Brandung, daß die aufeinander zulaufenden und von den Klippen zurückgeworfenen Wogen gleichsam ein Gebell hören lassen. Daher stellt man sich Scylla der Sage nach als eine von ihrem Unterleib an von Hunden und Wölfen umringte Frau vor. Bekanntlich ist sie eine Klippe in jener Meerenge.
2 Die Cercopen in Affen verwandelt […] an der nach ihren Bewohnern benannten Affeninsel mit ihrem […] Hügel. [XIV,90]
Das weist darauf hin, daß die Bewohner der Affeninsel verschlagen und gaunerhaft waren. Denn bei den Athenern wurden Betrüger und Arglistige einstmals Cercopen genannt, gleichsam ‚Geschwänzte‘: eine Metapher, hergenommen von den Tieren, die sich mit dem Schwanz einschmeicheln.
3 Von dem goldenen Zweig […] den [von Gold] glänzenden Zweig im Wald der Juno vom Avernus. [XIV,114]
Der goldene Zweig, der denjenigen vonnöten ist, die in das elysische Gefilde zu gelangen suchen, wird von Baptista Mantuanus erklärt und allegorisch ausgelegt von dem Glauben an Gott her oder dem festen Vertrauen auf ihn, ohne das niemand der Eingang ins ewige Leben zuteil wird. Dieser Zweig aber, so sagt er, werde zu Recht deshalb golden genannt, weil die Substanz des Goldes ganz vorzüglich und unzerstörbar ist, und zu Recht werde er (wie die Sibylle bei Vergil lehrt) in einem großen Hain verborgen. Denn zwischen den einander widerstrebenden Sekten und Meinungen der Menschen verberge sich die Weisheit des Glaubens, gleichsam als ein Baum in einem sehr ausgedehnten Wald, und sie werde nur gefunden, wenn sie von der Sibylle, d. h. dem uns von den Propheten offenbarten Willen Gottes, gewiesen wird. Wenn wir diesen Zweig gefunden und bewahrt haben, gelangen wir auf unserer Wanderung durch die Finsternis
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
tenebras ac diffìcultates humanae vitae ambulantes tandem pervenire ad sedem 25 beatorum. Ab hac theologica allegoria non multum discrepat expositio Marcelli Palingenii, qui per eundem ramum intelligit veritatem atque ita inquit:
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Non cuivis facile est ipsum cognoscere verum. Hic ille est ramus, medium quem maxima sylva Arboribus densis cinctum atque erroribus atris Obductum celat, nec multis aurea virga Conspicitur, nisi cui purae ostendere columbae.3
4 Sibylla in vocem. Sibylla Cumaea fingitur à Phoebo amata propter vaticinia, quae olim Phoebo
35 ascribebantur. Vaticinata est autem de bellis et imperio Romanorum. Hanc ob
causam fingitur hîc praedicere Aeneae futura, tanquàm autori gentis Romanae. Quin etiam fertur carminibus suis complexa esse oracula mille annorum. Huc fortassis alludit Ovidius, cum fìngit illam mille annos victuram et postea superstitem fore perpetua oraculorum fama. Serapion meminit carminum, quibus 40 Sibylla gloriatur se vaticinando consecutam esse immortalitatem nominis prae dicitque suas vaticinationes usque ad fìnem mundi duraturas.4 Videtur igitur Ovidius alludere ad haec ipsius carmina, cùm inquit: nullique videnda, Voce tamen noscar, vocem mihi fata relinquent. [XIV,152 sq.]
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5 Ulysses à Polyphemo et Antiphate vexatus. Ulysses varios habet hostes, à quibus subinde novis afficitur calamitatibus, nempe Scyllam, Charybdim, Polyphemum et Antiphaten. Sic quilibet heros habet suos hostes, à quibus divexatur. Hercules habuit Antaeum, Gerionem, Cacum, Aeneas Turnum, Mezentium, Carolus V. Imperator Turcam, Pontificem et Gallum.
3 Marcellus Palingenius Stellatus: Zodiacus vitae (ed. Chomarat) 6 (Virgo), 167–171. 4 Plutarchus: Moralia: De Pythiae oraculis 6 (Serapion bzw. Sarapion, wie der Name in modernen Editionen lautet, ist ein Sprecher innerhalb dieser in Dialogform abgefaßten Schrift).
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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und die Mißhelligkeiten des menschlichen Lebens endlich zum Wohnsitz der Seligen. Von dieser theologischen Allegorie weicht nur unerheblich die Auslegung des Marcellus Palingenius ab, der unter demselben Zweig die Wahrheit versteht und folgendes sagt: Nicht für jeden Beliebigen ist es leicht, die Wahrheit selbst zu erkennen. Hier ist jener Zweig, den ein sehr großer Wald als seine Mitte, mit dichten Bäumen umgürtet und mit finsteren Irrtümern verschlossen, verbirgt, und nicht von vielen wird das goldene Reis erblickt: nur von dem, dem reine Tauben es offenbart haben.
4 Die Sibylle in ihre Stimme verwandelt Der Sage nach war die Sibylle von Cumae eine Geliebte des Phoebus – wegen der Weissagungen, die einstmals dem Phoebus zugeschrieben wurden. Sie hat aber Weissagungen verkündet zu den Kriegen der Römer und zum Römischen Reich. Aus diesem Grunde wird hier gedichtet, daß sie dem Aeneas, als dem Urheber gleichsam des römischen Volkes, die Zukunft vorhersagt. Ja es heißt sogar, daß sie mit ihren Weissagesprüchen die Orakel von tausend Jahren wiedergegeben habe. Hierauf spielt Ovid vielleicht an, wenn er erdichtet, daß sie tausend Jahre leben und späterhin die Zeiten überdauern werde dank des bleibenden Ruhms der Orakel. Serapion erwähnt die Weissagesprüche, mit denen die Sibylle sich rühmt, daß sie mit den Prophezeiungen für ihren Namen Unsterblichkeit erlangen werde, und voraussagt, daß ihre Prophezeiungen bis zum Ende der Welt überdauern würden. Ovid scheint also auf diese ihre Weissagesprüche anzuspielen, wenn er sagt: Keinem sichtbar, werde ich dennoch an der Stimme erkannt werden. Die Stimme wird das Schicksal mir lassen. [XIV,152 f.]
5 Odysseus von Polyphem und Antiphates heimgesucht Odysseus hat verschiedene Feinde, von denen er nach und nach neues Unheil erfährt, nämlich Scylla, Charybdis, Polyphem und Antiphates. So hat jeder Heros seine Feinde, von denen ihm übel mitgespielt wird. Hercules hatte Antaeus, Geryon und Cacus, Aeneas Turnus und Mezentius, Kaiser Karl V. den Türken, den Papst und den Franzosen.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
6 Venti ab Aeolio utre emissi. Quos bovis inclusos tergo, memorabile munus. [XIV,225]
Fabula de ventis ab utre per imprudentiam emissis accommodari potest ad inconsideratos principes nostri temporis, qui tumultibus et bellis tanquàm ventis ab Aeolio utre emissis turbarunt Germaniam. Nam quemadmodum socii Ulyssis 55 resoluto utre tempestatem inducunt sibi perniciosam, ita et hi revulsis vinculis publicae pacis commoverunt belli tempestatem et sibi et patriae calamitosam.
7 Ulyssis socii in sues. Si considerentur mores hominum intemperanter viventium, non est obscurum, quid sociorum Ulyssis conversio significet. Parum enim differunt à suibus 60 homines crapulae, ebrietati et libidini dediti. Significatum est igitur hac fabula, Ulyssis socios apud Circen vixisse admodum intemperanter, id quod etiam Xenophon innuit libro primo de factis et dictis Socratis, ubi refert Socratem saepe ioco dixisse, se arbitrari homines idcircò sues effectos apud Circen, quoniam illic immodicis escis potationibusque quasi in hara saginati sint; Ulyssem verò partim 65 Mercurii consilio, partim abstinentia sua non fuisse suem factum.5 Ac videtur Ovidius depingere hîc temulentum hominem, ubi ait: et qua modo pocula parte Sumpta mihi fuerant, illa vestigia feci. [XIV,283 sq.]
Temulenti enim imitantur gradiendo quadrupedes, eorumque manus fìunt quasi
70 pedes. Dicta est autem Circe filia Solis vel propter eximiam pulchritudinem vel
propter noticiam herbarum, ob quam Aesculapius etiam dictus est filius Apollinis seu Solis, cunque esset formosa et parum casta, homines amore tanquam veneficiis dementavit.
5 Xenophon: Memorabilia 1,3,7.
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6 Die aus dem Schlauch des Aeolus entlassenen Winde Diese, eingeschlossen in eine Rinderhaut, als denkwürdiges Geschenk, […] [XIV,225]
Die Sage von den aus dem Schlauch aus Unverstand entlassenen Winden kann angewandt werden auf die unbedachten Fürsten unserer Zeit, die Deutschland mit Kriegslärm, vergleichbar den aus dem Schlauch des Aeolus entlassenen Winden, in Unruhe versetzt haben. Denn ebenso wie die Gefährten des Odysseus sich durch die Öffnung des Schlauches ein gefährliches Unwetter auf den Hals ziehen, so haben auch jene durch die Auflösung der Fesseln des öffentlichen Friedens das für sie selbst und das Vaterland unheilvolle Unwetter des Krieges in Gang gesetzt.
7 Die Gefährten des Odysseus in Schweine verwandelt Wenn man die Sitten maßlos lebender Menschen in Betracht zieht, so liegt auf der Hand, was die Verwandlung der Gefährten des Odysseus bedeutet. Wenig nämlich unterscheidet von Schweinen diejenigen Menschen, die dem Rausch, der Trunkenheit und der Wollust ergeben sind. Mit dieser Sage wird also angezeigt, daß die Gefährten des Odysseus bei Circe überaus maßlos gelebt haben. Hierauf weist auch Xenophon im ersten Buch der Taten und Aussprüche des Sokrates hin, wo er berichtet, Sokrates habe oft im Scherz gesagt, er glaube, die Menschen seien bei Circe deshalb zu Schweinen geworden, weil sie dort mit unmäßigen Speisen und Getränken gleichsam in einem Stall gemästet worden seien. Odysseus aber sei teils wegen des Ratschlags Merkurs, teils wegen seiner Enthaltsamkeit nicht zu einem Schwein gemacht worden. Ovid scheint einen berauschten Menschen zu beschreiben, wo er sagt: […] und mit dem Körperteil, der eben noch den Becher gehalten hatte, erzeugte ich nun Fußspuren. [XIV,283 f.]
Berauschte ahmen nämlich beim Gehen Vierbeiner nach, und aus ihren Händen werden gleichsam Füße. Circe wurde aber als Tochter des Sonnengottes bezeichnet entweder wegen ihrer ausnehmenden Schönheit oder wegen ihrer Kräuterkenntnis, derentwegen auch Aesculap als Sohn Apollos oder Sols bezeichnet wurde; und da sie schön und nicht sehr keusch war, brachte sie die Männer mit der Liebe gleichsam wie mit Zaubertränken um den Verstand.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
8 Moly. 75
Moly vocant superi; nigra radice tenetur. [XIV,292]
Hanc herbam Homerus decimo Odysseae scribit valere contra veneficia Circes, sed inventu difficilem esse mortalibus.6 Arbitror Homerum intelligere per eam voluisse temperantiam. Haec enim efficit, ne voluptatum illecebris ab honesto deducamur, estque virtus in homine rara. Apud Platonem Socrates Charmi80 den levaturus morbo indicat radiculam, quam ipse itidem interpretatur temperantiam7, alludens fortassis ad hanc ipsam, quae vocatur Moly. Poëta in Priapeis ioco transfert allegoriam herbae ad sensum obscoenum, cum inquit: Hic legitur radix, de qua flos lacteus exit. Quam cur Moly vocant? Mentula Moly fuit.8
85
9 Ianus cur bifrons. Dicitur ancipiti peperisse Venilia Iano. [XIV,334]
Ianus fuit Ion, Graecae et Ausoniae gentis parens. Is fingitur bifrons propter eam, qua excelluit, prudentiam. Est enim prudentis videre à tergo et à fronte, hoc est, considerare praeterita ac futura et cum iis conferre praesentia.
90
10 Picus in avem sui nominis. Nec quicquam antiquum Pico nisi nomina restant. [XIV,396]
Picus Ausoniae rex periit in venatione, non longè ab insula, in qua Circe regnavit. Hac de causa poëtae fabulantur eum veneficiis Circaeis esse versum in avem sui nominis. Virgilius prolixam hanc fabulam complexus est tribus his versibus:
6 Homerus: Od. 10,302–306. 7 Plato: Charmides 155e-157a. 8 Priapea 68,21–22.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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8 Moly Moly nennen sie [= die Blume] die Götter; von einer schwarzen Wurzel wird sie gehalten. [XIV,292]
Von diesem Kraut schreibt Homer im 10. Gesang der Odyssee, daß es gegen die Zaubertränke Circes wirksam, aber für Menschen schwer aufzufinden sei. Ich glaube, Homer wollte darunter die Mäßigkeit verstanden wissen. Diese bewirkt nämlich, daß wir nicht durch die Lockungen der Wollüste der Sittlichkeit entfremdet werden, und sie ist auch eine beim Menschen selten anzutreffende Tugend. Als Sokrates bei Plato darangeht, Charmides von einer Krankheit zu befreien, nennt er ein Würzelchen, das er selbst ebenfalls als die Mäßigung deutet, anspielend vielleicht auf ebenjenes Würzelchen, das Moly heißt. Der Dichter in den Priapeen überträgt scherzhaft die Allegorie der Pflanze auf einen obszönen Sinn, wenn er sagt: Hier liest man von einer Wurzel, aus der eine goldene Blüte hervorwächst. Weshalb nennt man sie Moly? Unter Moly verstand man den Penis.
9 Weshalb Ianus doppelgesichtig ist […], die Venilia dem doppelgesichtigen Ianus geboren haben soll. [XIV,334]
Ianus war Ion, der Stammvater des griechischen und römischen Volkes. Diesen stellt die Sage als doppelgesichtig vor, wegen der Klugheit, durch die er sich hervortat. Es zeichnet nämlich den Klugen aus, daß er nach hinten und nach vorn sehen, d. h. das Vergangene und das Zukünftige in Betracht zu ziehen und mit ihnen die Gegenwart zu vergleichen vermag.
10 Picus in den Vogel seines Namens verwandelt […] und dem Picus blieb nichts vom Alten außer seinem Namen. [XIV,396]
Picus, ein italienischer König, kam auf der Jagd ums Leben, nicht weit von der Insel, auf der Circe herrschte. Aus diesem Grund fabulieren die Dichter, er sei durch Zaubertränke Circes in den Vogel seines Namens [d. h. in einen Specht] verwandelt worden. Vergil hat die weitschweifige Geschichte in diesen drei Versen zusammengefaßt:
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
Picus, equûm domitor, quem capta cupidine coniunx Aurea percussit virga versumque venenis Fecit avem Circe sparsitque coloribus alas.9
11 Canens, Pici uxor, erepti coniugis dolore absumpta. Tabuit inque leves paulatim evanuit auras. [XIV,432] 100 Canens à canendo nomen adepta est. Fuit enim, ut inquit poëta, Rara quidem facie, sed rarior arte canendi, Unde Canens dicta est. Sylvas et saxa movere Et mulcere feras et flumina longa morari Ore suo volucresque vagas retinere solebat. [XIV,337–340] 105 Haec rectè fìngitur mutari in auras, quia omnis sonus, omnis vox in auras eva-
nescit.
12 Diomedis socii in aves. In plumas abeunt, plumis quoque colla teguntur. [XIV,499]
In insula contra Apuliae oram sunt aves fulicis similes, quae nusquam alibi 110 visuntur. Hae olim, ut autor est Plinius10, aedem Diomedis in ea insula sepulti perluebant quotidie madentibus pennis ac quasi purificabant. Advenas item barbaros plangore infestantes Graecis tantum adulabantur miro discrimine, veluti generi Diomedis hoc tribuentes. Unde origo fabulae, nempe eas aves fuisse Diomedis socios.
9 Vergilius: Aen. 7,189–191. 10 Plinius: Nat. hist. 10,126–127.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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Picus, der Rossebändiger, den die von Liebeslust ergriffene Circe, die seine Frau sein wollte, mit der goldenen Rute schlug und mit Zaubersaft in einen Vogel verwandelte und sein Gefieder mit Farben besprengte.
11 Canens, die Frau des Picus, verzehrt sich aus Schmerz über den ihr entrissenen Gatten Sie verging und verlor sich allmählich in die leichten Lüfte. [XIV,432]
Canens hat ihren Namen vom Singen (‚canere‘) bekommen; sie war nämlich, wie der Dichter sagt, zwar von seltener Schönheit, doch von noch größerer Seltenheit war ihre Kunst des Gesangs. Daher wurde sie Canens genannt. Mit ihrem Gesang pflegte sie Wälder und Steine zu bewegen, wilde Tiere zu besänftigen, lange Flüsse zu hemmen und umherfliegende Vögel zu fesseln. [XIV,337–340]
Von ihr geht zu Recht die Sage, daß sie sich in Lüfte verwandelt habe, denn jeder Klang, jeder Laut entschwindet in die Lüfte.
12 Des Diomedes Gefährten in Vögel verwandelt [und die Haare] werden zu Flaum, mit Flaum auch bedeckt sich der Hals. [XIV,499]
Auf einer Insel gegenüber der Küste Apuliens gibt es Bleßhühnern ähnliche Vögel, die nirgendwo sonst gesehen werden. Diese haben dereinst, wie Plinius mitteilt, das Haus des auf dieser Insel beigesetzten Diomedes jeden Tag mit nassen Flügeln benetzt und gleichsam gereinigt. Desgleichen feindeten sie barbarische Ankömmlinge mit lautem Geschrei an und erwiesen sich nur Griechen gegenüber als zutraulich, hiermit eine wundersame Unterscheidung treffend, so als billigten sie dem Geschlecht des Diomedes dieses zu. Hier liegt der Ursprung der Sage: nämlich daß diese Vögel des Diomedes Gefährten gewesen seien.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
13 Apulus pastor in oleastrum. Improbat has pastor saltuque imitatus agresti. [XIV,521]
Non est inconveniens transformatio maledici conviciatoris in oleastrum. Par est enim acerbitas in oleastri fructu et in petulanti lingua. Quid igitur fabula significet, Ovidius indicat, cum inquit: 120
Nempe notam linguae baccis oleaster amaris Exhibet; asperitas verborum cessit in illas. [XIV,525 sq.]
14 Venti ex Astraeo et Aurora nati. tumidum subitis concursibus aequor Astraei turbant et eunt in praelia fratres. [XIV,544 sq.] 125 Venti dicuntur ex Astraeo Gigante nati, quòd ex halitu terrae velut ex materia
generentur. Nam physici per Gigantes intelligunt spiritus terrae inclusos, sicut antea dictum est. Astraeus autem Gigas, ubi genuit ventos, fertur concubuisse cum Aurora. Sol enim autor et parens est motuum, eoque oriente spiritus et augentur et sternuntur pro commotione vel aëris vel redundantis humoris, sicuti 130 Aristoteles disputat in problemate 35. sectione 25.11
15 Naves Aeneae in nymphas. Lina comae molles, antemnae brachia fiunt. [XIV,554]
Mutatio navium in nymphas significat naves in aquis fuisse mersas, quae ab hostibus erant incensae, atque ita conservatas. Huius fabulae autor est Virgilius 135 in nono Aeneïdos.12
11 Die Stellenangabe ist irrig. Gemeint ist vermutlich: Aristoteles: Problemata physica 26,33. 12 Vergilius: Aen. 9,107–122.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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13 Der apulische Hirte in einen wilden Ölbaum verwandelt Der Hirte mißbilligt diesen [Reigen] und ahmt ihn mit bäurischen Sprüngen nach. [XIV,521]
Nicht unpassend ist die Verwandlung eines schmähenden Lästerers in einen wilden Ölbaum. Die Herbheit der Frucht des wilden Ölbaums entspricht nämlich der einer frechen Zunge. Was also die Sage bedeuten soll, darauf weist Ovid hin, wenn er sagt: Die Eigenschaft seiner Zunge offenbart jetzt der wilde Ölbaum mit seinen bitteren Beeren. Die Herbheit der Worte ist in sie übergegangen. [XIV,525 f.]
14 Die Winde als Söhne des Astraeus und der Aurora Mit ihrem plötzlichen Zusammentreffen bringen die Brüder, Söhne des Astraeus, das angeschwollene Meer in Wallung und ziehen in den Kampf. [XIV,544 f.]
Die Winde werden als Söhne des Giganten Astraeus bezeichnet, weil sie aus der Ausdünstung der Erde, gleichsam ihrem Grundstoff, erzeugt werden. Denn die Naturkundigen verstehen unter den Giganten Geister, die in der Erde eingeschlossen sind, wie früher schon gesagt wurde. Als aber der Gigant Astraeus die Winde zeugte, soll er mit Aurora geschlafen haben. Die Sonne ist nämlich Urheber und Erzeuger der Bewegungen, und wenn sie aufgeht, werden die Geister sowohl gestärkt als auch niedergehalten, je nach der Bewegung der Luft oder der überströmenden Feuchtigkeit, wie Aristoteles erörtert in Problemata 35, Abschnitt 25.
15 Die Schiffe des Aeneas in Nymphen verwandelt Die linnenen Segel werden zu weichem Haar, die Rahen zu Armen. [XIV,554]
Die Verwandlung der Schiffe in Nymphen bedeutet, daß die Schiffe, die von den Feinden in Brand gesteckt worden waren, in den Fluten versunken sind und so erhalten blieben. Urheber dieser Sage ist Vergil im neunten Buch der Aeneis.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
16 Ardea oppidum in avem sui nominis. Congerie è media tum primum cognita praepes. [XIV,576]
Fabula ex allusione nominis conficta. Est enim nomen Ardeae aequivocum, utrunque significans et oppidum et avem. Livius autem testatur Ardeam Rutulo140 rum urbem adhuc fuisse Tarquinii temporibus13, unde constat eam tunc incendio quidem conflagrasse, sed postea fuisse instauratam.
17 Aeneas in deum indigetem. Quicquid in Aenea fuerat mortale, repurgat. [XIV,603]
Quae hîc narrantur de Numicio amne Aeneae mortalitatem abluente, haud
145 dubiè referenda sunt ad historiam. Non obscurè enim indicat Ovidius Aeneam in
Numicio periisse, cùm ait:
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Littus adit Laurens, ubi tectus arundine serpit In freta flumineis vicina Numicius undis. Hunc iubet Aeneae, quaecunque obnoxia morti, Abluere et tacito deferre sub aequora cursu. Corniger exequitur Veneris mandata suisque, Quicquid in Aenea fuerat mortale, repurgat Et respergit aquis. [XIV,598–604]
18 Genealogia regum Albanorum. 155
Inde sub Ascanii ditione binominis Alba. [XIV,609]
In hac genealogia observanda est diversitas nominum. Nonnulli enim reges, quorum hîc fit mentio, diversis nominibus appellantur. Epitus à Livio Atys14, et Capetus ab ipso Ovidio alibi Calpetus vocatur, ut in 4. Fasto: Et tuus est idem, Calpete, factus avus.15
13 Livius 1,57,1. 14 Livius 1,3,8. 15 Ovidius: Fasti 4,46.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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16 Die Stadt Ardea in den Vogel ihres Namens verwandelt [… fliegt] mitten aus den Trümmern ein damals zum erstenmal gesehener Vogel [empor]. [XIV,576]
Die Sage wurde vom Spiel mit dem Namen her ersonnen. Der Name Ardea ist nämlich zweideutig und bezeichnet beides: die Stadt und den Vogel [sc. den Reiher]. Livius aber bezeugt, daß Ardea, die Stadt der Rutuler, noch zu den Zeiten des Tarquinius bestanden habe, woraus mit Sicherheit hervorgeht, daß sie zwar damals durch einen Brand in Flammen aufgegangen ist, später aber wiederhergestellt wurde.
17 Aeneas in einen einheimischen Gott verwandelt Alles, was an Aeneas sterblich war, wäscht er ab. [XIV,603]
Was hier von dem Fluß Numicius erzählt wird, der des Aeneas Sterblichkeit abspült, ist ohne Zweifel auf die Geschichte zu beziehen. Klar und deutlich weist nämlich Ovid darauf hin, daß Aeneas im Numicius zu Tode gekommen sei, wenn er sagt: Sie begibt sich zur laurentinischen Küste, wo der Numicius, bedeckt von Schilf, sich mit den Wellen seines Stroms zum benachbarten Meer hinschlängelt. Ihm befiehlt sie, von Aeneas alles, was dem Tode verfallen ist, abzuspülen und in stillem Lauf unter das Meer zu schaffen. Der gehörnte [Flußgott] führt die Weisungen von Venus aus und wäscht mit seinen Wassern alles ab und besprengt, was an Aeneas sterblich war. [XIV,598–604]
18 Das Geschlechtsregister der Albanerkönige Darauf stand Alba unter der Herrschaft des Ascanius, der zwei Namen hatte. [XIV,609]
In diesem Geschlechtsregister sind die Namensabweichungen zu beachten. Einige von den Königen nämlich, die hier erwähnt werden, werden auch mit abweichenden Namen bezeichnet. Epitus wird von Livius Atys genannt und Capetus von Ovid selbst anderswo Calpetus, so in Buch 4 der Fasti: Und derselbe, Calpetus, wurde zu deinem Großvater.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
160 Nam ibi loquitur de Epito, cuius nepotem ait esse Calpetum. Ac quoniam Epitus
fuit Capeti seu Calpeti avus, ideò hoc loco ita dicit: Sed Capys ante fuit [XIV,614],
hoc est, Capeto prior, utpote ipsius parens. Item Remulus, quem Dionysius Alladium16, Livius Romulum17 vocat. Est autem in numero personarum quoque diver165 sitas. Nam Livius aliquantò plures numerat reges quàm Ovidius; estque regum Albanorum et Romuli genealogia haec secundum Livium: Aeneas, Ascanius, Sylvius, Aeneas Sylvius, Latinus Sylvius, Alba, Atys, , Capetus, Tyberinus, Agrippa, Romulus, Sylvius, Aventinus, Proca, Numitor et Amulius fratres, Rhea Numitoris filia, Romuli et Remi mater.18
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19 Vertumnus in varias formas.
Vertumni metamorphoses in aratorem, messorem et alias hominum formas significant conversiones anni, quibus nunc aratores, nunc messores, nunc vindemiatores, nunc frondatores exequuntur suum munus. Nam annus, ut apud Graecos ἐνιαυτός, ita apud Latinos Vertumnus dicitur, à vertendo, quòd semper 175 convertatur peracto cursu. Unde Horatius: Vivere, Vertumnis, quotquot sunt, natus iniquis.19
Vertumnus autem post varias formas in aniculam conversus significat annum iam senescentem. Sub id enim tempus Pomona Vertumno nubit, hoc est, arborum fructus mitescunt. Eaedem metamorphoses transferri etiam possunt ad incon180 stantiam amoris. Nam amantium animi sibi non constant, sed agitantur variis ac diversis affectionibus.
16 Dionysius Halicarnassensis: Antiquitates Romanae 1,71,3. 17 Livius 1,3,9. 18 Livius 1,2–3. 19 Horatius: Serm. 2,7,14.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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Denn hier spricht er von Epitus, dessen Enkel, wie er sagt, Calpetus sei. Und weil Epitus des Capetus bzw. Calpetus Großvater war, deshalb sagt er an dieser Stelle [der Metamorphosen] so: Doch Capys kam zuerst. [XIV,614]
D. h., früher als Capetus, nämlich als dessen Vater. Dieselbe Namensdifferenz tritt auch bei Remulus auf, den Dionysius [von Halikarnaß] Alladius, Livius Romulus nennt. Aber auch die Zahl der Personen differiert, denn Livius zählt erheblich mehr Könige auf als Ovid, und das Geschlechtsregister der Albanerkönige und des Romulus ist nach Livius dies: Aeneas, Ascanius, Sylvius, Aeneas Sylvius, Latinus Sylvius, Alba, Atys, [Capys], Capetus, Tyberinus, Agrippa, Romulus, Sylvius, Aventinus, Proca, die Brüder Numitor und Amulius sowie Rhea, die Tochter des Numitor und Mutter von Romulus und Remus.
19 Vertumnus in verschiedene Gestalten verwandelt Die Verwandlungen des Vertumnus in einen Pflüger, einen Schnitter und andere menschliche Gestalten zeigen den Wandel der Jahreszeiten an, in denen bald Pflüger, bald Schnitter, bald Winzer, bald Baumscherer ihre Arbeit verrichten. Denn wie das Jahr bei den Griechen ἐνιαυτός heißt, so bei den Latinern Vertumnus, von ‚vertere‘ (‚wenden‘), weil es sich nach Vollendung seines Laufs ständig wandelt. Deshalb sagt Horaz: [… wollte] leben, geboren unter ungnädigen Vertumni, wie viele es deren auch gibt.
Daß Vertumnus sich aber nach verschiedenen anderen Gestalten in eine alte Frau verwandelt, bedeutet das schon alt werdende Jahr. Zu dieser Zeit heiratet nämlich Pomona den Vertumnus, d. h., die Früchte der Bäume werden reif. Dieselben Verwandlungen können auch auf die Unbeständigkeit der Liebe bezogen werden. Denn die Herzen von Liebenden bleiben sich nicht gleich, sondern werden durch unterschiedliche und gegenläufige Gemütsbewegungen in Unruhe versetzt.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
20 Anaxarete puella in saxum. Anaxarete in saxum conversa fingitur propter duriciem animi, id quod poëta non obscurè indicat, cùm ait: 185
paulatimque occupat artus, Quod fuit in duro iam pridem pectore, saxum. [XIV,757 sq.]
21 Sabini, Romanorum hostes, sulphurea aqua in fugam coniecti. Lurida supponunt foecundo sulphura fonti. [XIV,791] 190 Sulphureae et ferventes aquae, quibus Sabini, Romanorum hostes, exusti et in
fugam coniecti finguntur, significant milites sacratos, qui supersticioso ritu iniciabantur ad Vadimonis lacum fervida et sulphurea aqua scatentem. Nam cum hostes noctu per Ianualem portam irrupissent in urbem, ab his militibus repressi et profligati sunt. Militum verò sacratorum meminit Livius libro 9. primae deca195 dis.20
22 De interitu Romuli. Annuit omnipotens et nubibus aëra caecis Occuluit. [XIV,816 sq.]
Romulus ideò fingitur à Marte ablatus praecedente tonitru et fulgure, quia subitò 200 coorta tempestate ictus est fulmine, cum ad exercitum recensendum contionem in campo ad Caprae paludem haberet.
20 Livius 9,40,9.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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20 Das Mädchen Anaxarete in Stein verwandelt Die Sage von der in Stein verwandelten Anaxarete hat ihren Ursprung in der Härte ihres Wesens. Dies gibt der Dichter klar und deutlich zu erkennen, wenn er sagt: […] und allmählich ergreift der Stein von ihren Gliedern Besitz, der schon lange in ihrem harten Herzen war. [XIV,757 f.]
21 Die Sabiner, Feinde der Römer, mit schwefelhaltigem Wasser in die Flucht geschlagen Unter den ergiebigen Quell legen sie blaßgelben Schwefel. [XIV,791]
Die schwefelhaltigen und kochenden Wasser, mit denen die Sabiner, Feinde der Römer, verbrüht und in die Flucht geschlagen wurden, bedeuten die geweihten Soldaten, die in einem abergläubischen Ritual an dem von kochendem und schwefelhaltigem Wasser angefüllten Vadimonischen See geweiht wurden. Denn als die Feinde bei Nacht durch das Tor des Ianus in die Stadt einfielen, wurden sie von diesen Soldaten aufgehalten und überwältigt. Die geweihten Soldaten aber erwähnt Livius in Buch 9 der ersten Dekade.
22 Vom Verschwinden des Romulus Der Allmächtige stimmte zu und verhüllte den Himmel mit dunklen Wolken. [XIV,816 f.]
Die Sage will, daß Romulus nach vorangehendem Donner und Blitz von Mars entführt wurde – und dies deshalb, weil er bei einem plötzlich auftretenden Unwetter vom Blitz erschlagen wurde, als er bei einer Heerschau auf dem [Mars-]Feld am Ziegenpfuhl eine Rede hielt.
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Fabularum Ovidii interpretatio XIV
23 Hersilia, Romuli uxor, in Oram deam. Mutat Oramque vocat, quae nunc dea iuncta Quirino est. [XIV,851]
Mortuis honore deorum consecratis nomina immutabantur, ne crederentur
205 mortales fuisse. Sic Romulus mutato nomine dictus est Quirinus, et Hersilia,
eius uxor, dicta est Ora. Unde introductam arbitror consuetudinem, qua Pontifices Romani tanquam consecrati nomen suum immutant. Erat autem Ora apud Romanos, qualis Hebe apud Graecos, dea iuventae, quae et Horta dicebatur, ut Plutarchus refert in libro problematum21, eò quòd iuvenes ad virtutem et geren210 das res hortaretur. Hanc Romani suo Quirino perinde ut uxorem consecrarunt, significantes imperium non desidia et ocio, sed virtute et rebus gerendis parari atque conservari, virtutem verò bellicam niti flore iuventutis.
21 Plutarchus: Moralia: Quaestiones Romanae 46 (275F).
Auslegung der Metamorphosen Ovids XIV
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23 Hersilia, die Frau des Romulus, in die Göttin Ora verwandelt […] ändert [ihren Namen] und nennt sie Ora, die jetzt als Göttin mit Quirinus verbunden ist. [XIV,851]
Bei Verstorbenen, die zu Göttern geweiht wurden, änderte man die Namen, damit niemand glaubte, sie seien Sterbliche gewesen. So hieß Romulus nach der Namensänderung Quirinus, und seine Frau Hersilia hieß Ora. Ich glaube, daß deshalb der Brauch eingeführt wurde, mit dem die römischen Päpste, gleichsam mit göttlicher Weihe versehen, ihren Namen ändern. Ora aber war bei den Römern, so wie Hebe bei den Griechen, die Göttin der Jugend. Sie wurde auch Horta genannt, wie Plutarch im Buch der Problemata berichtet, und zwar deshalb, weil sie die jungen Männer zur Tugend und zum Kriegführen ermahnte [= hortaretur]. Diese wiesen die Römer ihrem Quirinus als seine ebenso vergöttlichte Ehefrau zu, womit sie darauf hindeuteten, daß ein Reich nicht mit Untätigkeit und Müßiggang, sondern mit Tüchtigkeit und Kriegführen geschaffen und erhalten werde, kriegerische Tüchtigkeit aber auf der Blüte der Jugend beruhe.
In librum decimumquintum. 1 Concio Pythagorae. Parcite, mortales, dapibus temerare nefandis. [XV,75]
Opinio Pythagorae de migratione animarum accepta est ab Aegyptiis. Hi enim 5 primi extiterunt teste Herodoto1, qui dicerent animam hominis è mortuo corpore subinde in aliud atque aliud corpus immigrare atque ubi per omnia se circumtulisset, terrestria, marina, volucria, rursus in aliquod genitum corpus hominis introire, atque hunc ab ea circuitum fieri intra tria millia annorum. Hanc opinionem ut absurdam Lucianus festivè irridet in dialogo Galli et Mycilli.2 Apparet 10 autem ex hac concione, Pythagoram honestis de causis esum carnis improbasse, ut homines partim à luxu ad frugalitatem avocaret, partim ut victu assuefaceret ad iusticiam et mansuetudinem. His enim argumentis utitur: primò, cum necessariis alimentis ex terra natis homines abundent, pertinere usum carnis non ad necessitatem, sed ad luxum. Deinde iniustum ac immane videri, occidere 15 et devorare animal, praesertim innocuum. Et hoc fuisse ipsius consilium testatur Iustinus, cuius haec sunt verba:
20
Crotonem venit Pythagoras, populumque in luxuriam lapsum autoritate sua ad usum frugalitatis revocabat. Laudabat quotidie virtutem et vicia luxuriae contemnebat casusque civitatum hac peste perditarum enumerabat tantumque studium ad frugalitatem multitudinis provocavit, ut aliquos ex his luxuriatos in optimam frugem conversos fuisse credibile videretur. Matronarum quoque separatam à viris doctrinam et puerorum à parentibus frequenter habuit. Docebat nunc has pudicitiam et obsequia in viros, nunc illos modestiam et literarum studium. Inter haec velut genitricem virtutum frugalitatem ingerebat.3
1 Herodotus 2,123. 2 Lucianus: Somnium seu Gallus 4. 3 Iustinus: Epitoma 20,4,5–10. DOI 10.1515/9783110620283-018
Zum fünfzehnten Buch 1 Die Rede des Pythagoras Hütet euch, Sterbliche, [euren Leib] mit verruchten Speisen zu entweihen! [XV,75]
Die Theorie des Pythagoras von der Seelenwanderung kommt von den Ägyptern her. Diese waren nämlich, wie Herodot bezeugt, die ersten, die sagten, daß die Seele des Menschen aus seinem toten Leib sogleich in einen anderen und wieder einen anderen Leib einziehe und, sobald sie sich durch alle hindurchbewegt habe, Leiber von Wesen der Erde, des Meeres und der Vogelwelt, sie wieder in irgendeinen frisch geborenen Leib eines Menschen eintrete, und dieser von ihr vollzogene Kreislauf geschehe innerhalb von 3000 Jahren. Lukian verspottet diese Theorie, als eine widersinnige, auf launige Art in seinem Dialog vom Hahn und Mycillus. Aus vorliegender Rede geht aber hervor, daß Pythagoras aus ehrbaren Gründen das Essen von Fleisch mißbilligt hat: teils, um die Menschen von der Schlemmerei zur Mäßigung aufzurufen, teils, um sie von ihrer Ernährungsweise her an Gerechtigkeit und Sanftmut zu gewöhnen. Er bedient sich nämlich dieser Argumente: Erstens, da die Menschen Überfluß hätten an notwendigen Nahrungsmitteln, die aus der Erde entstanden sind, sei die Verwendung von Fleisch keine Notwendigkeit, sondern ein Luxus. Ferner scheine es ungerecht und unmenschlich, ein Lebewesen zu töten und zu verschlingen, insbesondere ein unschuldiges. Und daß folgendes sein leitender Grundsatz gewesen ist, bezeugt Iustinus, dessen Worte hier folgen: Pythagoras kam nach Croton und rief das in ein Genußleben abgeglittene Volk durch seine Autorität zur Mäßigkeit auf. Er pries täglich die Tüchtigkeit, gab das Laster des Genußlebens der Verachtung preis, zählte die untergegangenen Staaten auf, die sich durch diese Seuche ruiniert hatten, und erzeugte bei der Menge des Volkes einen so großen Eifer für ein mäßiges Leben, daß es glaubhaft schien, daß etliche Schwelger unter ihnen sich zu einem höchst moralischen Wandel bekehrt hatten. Er erteilte auch häufig Ehefrauen getrennt von den Männern Unterricht und Knaben getrennt von ihren Eltern. Bald leitete er die Ehefrauen zu Keuschheit und Gehorsam gegenüber den Männern, bald die Knaben zu Selbstzucht und wissenschaftlicher Beschäftigung an. Mit diesen Lehren legte er allen die Mäßigkeit ans Herz, gleichsam als die Mutter aller Tugenden.
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Fabularum Ovidii interpretatio XV
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Et quoniam magno feror aequore plenaque ventis Vela dedi: nihil est toto, quod perstet, in orbe. [XV,176 sq.]
Altera pars concionis, de vicissitudine omnium rerum ex alterna generatione et corruptione, continens varias similitudines et memorabilia exempla, quibus Pythagoras docet, res natas augeri, auctas vigere, vigentes senescere ac 30 tandem corrumpi, corruptionem verò unius esse alterius generationem. Multa hîc commemorantur, quorum similia nostris temporibus acciderunt. Sicut enim Helice et Buris, ita nuper multae urbes in Belgico mersae sunt. Item quemadmodum ad Troezena urbem collis in planicie enatus est, sic nostra memoria etiam Puteolis in Italia mons erupit è mari, praecedente terraemotu ac tempestate 35 ventorum. Nec mirum videri debet, quod narrat Pythagoras, inveniri aliquando conchas marinas et anchoras in montibus. Nam ex annalium monimentis constat anno 1460. in Alpibus inventam esse navim cum anchoris in cuniculo, per quem metalla effodiuntur. Non sunt igitur fabulosa, sed sunt historica, quae de montibus et insulis è mari subitò enatis deque aliis mirabilibus hic referuntur.
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3 Ciconum flumen vertere in saxum, quae tetigerit. Flumen habent Cicones, quod potum saxea reddit Viscera, quod tactis inducit marmora rebus. [XV,313 sq.]
Francofordiae ad Oderam est similis fons, in quem folia, gramina, ligna et sarmenta et boum cornua coniecta lapidescunt.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XV
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2 [Zweiter Teil der Rede des Pythagoras] Und da ich nun schon auf hoher See fahre und die Segel voll in den Wind gesetzt habe: Es gibt im ganzen Weltkreis nichts, was Bestand hätte. [XV,176 f.]
Der zweite Teil der Rede, von dem Wandel aller Dinge im Wechsel von Zeugung und Verfall, enthält unterschiedliche Gleichnisse und denkwürdige Beispiele, mit denen Pythagoras lehrt, daß die Dinge, die entstanden sind, wachsen, die gewachsenen in voller Blüte stehen, die in voller Blüte stehenden altern und schließlich verfallen, daß der Verfall des einen aber die Zeugung des anderen ist. Vieles wird hier angesprochen, wovon sich ähnliche Fälle zu unseren Zeiten ereignet haben. So wie nämlich Helice und Buris sind kürzlich ebenso viele Städte im Niederländischen versunken. Ebenso wie bei der Stadt Troezen ein Hügel in einer Ebene entstanden ist, ist auch zu unserer Zeit bei Pozzuoli in Italien ein Berg aus dem Meer vorgebrochen, nachdem ein Erdbeben und ein Unwetter mit Stürmen vorangegangen waren. Und gar nicht erstaunlich darf der Bericht des Pythagoras erscheinen, daß zuweilen Meeresmuscheln und Anker auf Bergen gefunden wurden, denn aus Jahrbüchern der Geschichte ist bekannt, daß im Jahre 1460 in den Alpen ein Schiff mit Ankern in einem Stollen gefunden wurde, in dem nach Metallen geschürft wird. Bei dem, was hier über plötzlich aus dem Meer entstandene Berge und Inseln und andere erstaunliche Dinge berichtet wird, handelt es sich also nicht um Fabeleien, sondern um historische Tatsachen.
3 Ein Fluß bei den Ciconen soll in Stein verwandeln, was mit ihm in Berührung gekommen ist Bei den Ciconen gibt es einen Fluß, der, wenn man aus ihm trinkt, die Eingeweide zu Stein werden läßt und Dinge, die mit ihm in Berührung kommen, mit Marmor überzieht. [XV,313 f.]
In Frankfurt an der Oder gibt es eine ähnliche Quelle, in der hineingeworfene Blätter, Grashalme, Holzstücke, dünne Zweige und Rinderhörner versteinern.
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Fabularum Ovidii interpretatio XV
4 Lacus Aethiopum inducere vel furorem vel lethargum. Aethiopesque lacus, quos si quis faucibus hausit, Aut furit aut mira sentit gravitate soporem. [XV,320 sq.]
Ratio naturalis secundum Senecam est haec: „Quia sicut ebrietas, donec exiccetur, dementia, nimia gravitate defertur in somnum, sic aquae huius sulphurea 50 vis habet quoddam acrius ex aëre noxio virus, quod mentem aut furore movet aut sopore opprimit.“4
5 Hyperborei plumati. Esse viros fama est in Hyperborea Pallene, Qui soleant levibus velari corpora plumis. [XV,356 sq.] 55 Per corpora plumata videtur intelligere homines nive conspersos. Nam Herodotus
scribit pennas, quibus ultra Aquilonem aër oppletus fingitur, significare nives.5 Cùm igitur apud Hyperboreos densae et ferè continuae nives cadant, fabula innuit homines illic versantes velari plumis, hoc est, nive conspergi. Horum regio, ut Plinius tradit6, ad Riphaeos montes sita est et à similitudine pennarum 60 πτεροφόρος nuncupatur.
6 Crabrones ex equo putrefacto. Pressus humo bellator equus crabronis origo est. [XV,368]
Crabrones ex equo generati allegoricè significant degeneres equitum liberos, qui à virtute bellica alieni fiunt praedones et itinera reddunt infesta, sicut crabrones 65 solent ex arboribus iuxta viam erumpentes.
4 Seneca: Nat. quaest. 3,20,5. 5 Herodotus 4,31. 6 Plinius: Nat. hist. 4,88.
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4 Seen bei den Äthiopiern sollen entweder Raserei oder Schlafsucht verursachen Wenn jemand aus den äthiopischen Seen trinkt, wird er entweder rasend oder er fällt in einen wundersam bleiernen Schlummer. [XV,320 f.]
Seneca zufolge ist der natürliche Grund dieser: „Wie nämlich Trunkenheit, bis sie verschwindet, Verrücktheit ist und bei zu großer Schwere in Schlaf übergeht, so hat der Schwefelgehalt dieses Wassers ein bestimmtes, besonders wirksames Gift, das aus der schädlichen Luft kommt und den Geist entweder zur Raserei treibt oder mit Schlaf niederdrückt.“
5 Die gefiederten Hyperboreer Es geht das Gerücht, daß es im hyperboreischen Pallene Männer gebe, die ihre Leiber in leichte Flaumfedern zu hüllen pflegen. [XV,356 f.]
Unter den gefiederten Leibern scheint er Menschen zu verstehen, die mit Schnee bestreut sind. Denn Herodot schreibt, daß die Federn, von denen der Sage nach im hohen Norden die Luft angefüllt ist, Schnee bedeuteten. Da also bei den Hyperboreern dichte und nahezu ununterbrochene Schneefälle niedergehen, weist die Sage darauf hin, daß die Menschen, die dort leben, sich in Flaumfedern hüllen, d. h. mit Schnee bestreut sind. Deren Gebiet liegt, wie Plinius lehrt, beim Riphaeischen Gebirge und wird, von der Ähnlichkeit [des Schnees] mit Federn her, Pterophóros [= ‚gefiedert‘] genannt.
6 Hornissen, entstanden aus einem verwesten Pferd Ein vergrabenes Kriegsroß ist der Ursprung der Hornisse. [XV, 368]
Die aus einem Pferd erzeugten Hornissen bedeuten allegorisch die aus der Art geschlagenen Söhne von Rittern, die sich kriegerischer Tüchtigkeit entfremdet haben und zu Räubern werden und die Straßen unsicher machen, so wie es die Hornissen zu tun pflegen, die aus Bäumen am Wegesrand hervorbrechen.
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Fabularum Ovidii interpretatio XV
7 Serpentes ex medulla humana. Sunt, qui, cum clauso putrefacta est spina sepulchro, Mutari credant humanas angue medullas. [XV,389 sq.]
Serpens initio generi humano suum virus infudit. Itaque non mirum est, si ex
70 humana medulla serpentes generentur propter hoc contagium.
8 Hyena. quae modo foemina tergo Passa marem est, nunc esse marem miremur hyenam. [XV,409 sq.]
Tales hyenae sunt theologi, qui de gravissimis Ecclesiae controversiis pronunci-
75 ant ac docent adeò ambiguè, ut nescias, utram sententiam, hanc vel illam, appro-
bent. Hi quasi utrunque sexum, nunc marem, nunc faeminam referunt.
9 Hippolytus in Virbium. Nunc idem Virbius esto etc. [XV,544]
Hippolyti exemplum docet, preces parentum adversus liberos à Deo exaudiri
80 ideoque vitandam esse parentum offensionem. Nam, ut gravissimè inquit
Plato de legibus, nihil est liberis perniciosius execrationibus parentum.7 Virbius autem, qui se iactavit Hippolytum, fuit impostor subornatus, ut videtur, à sacrificulis Dianae Aretinae ad celebrandum lucum, quo maior hominum concursus istuc fìeret. Id enim erat quaestuosum sacrificulis. Ac fuerunt olim usitatae 85 eiusmodi imposturae, ubi idolorum cultus vigebat. Persaepe autem inventi sunt homines, qui per dolum alterius nomen usurparunt. Sic imperante Vitellio alter quasi Virbius extitit in Illyrico servus nomine Geta, qui se Scribonianum Camerinum finxit, senatorem Romanum, quem Nero occiderat. Sic etiam post viginti annos inventus est, qui se Neronem iactitaret tantumque consecutus est favorem 90 apud Parthos, ut summo in honore haberetur, donec tandem detecta fraude
7 Plato: De legibus 11,931c.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XV
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7 Schlangen, entstanden aus menschlichem Mark Es gibt welche, die glauben, daß, wenn ein Rückgrat in einem verschlossenen Grab verwest ist, menschliches Mark sich in eine Schlange verwandle. [XV,389 f.]
Die Schlange hat am Anfang dem Menschengeschlecht ihr Gift eingeflößt. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn, wegen dieser Ansteckung, aus menschlichem Mark Schlangen entstehen.
8 Die Hyäne […], wollen wir uns wundern, daß die Hyäne, die gerade erst als Weibchen ein Männchen auf ihrem Rücken getragen hat, nun selbst ein Männchen ist. [XV,409 f.]
Derartige Hyänen sind die Theologen, die über die schwerwiegendsten Streitfälle der Kirche so zweideutige Urteile und Lehren verkünden, daß man nicht weiß, welche von beiden Meinungen, diese oder jene, sie gutheißen. Diese repräsentieren gleichsam beide Geschlechter, bald als Mann, bald als Frau.
9 Hippolytus in Virbius verwandelt […] du sollst, als derselbe, jetzt Virbius sein. [XV,544]
Das Beispiel des Hippolytus lehrt, daß die Gebete von Eltern, die gegen ihre Kinder gerichtet sind, von Gott erhört würden und deshalb eine Kränkung der Eltern vermieden werden müsse. Denn nichts ist, wie Plato sehr eindringlich in seinem Werk von den Gesetzen sagt, für Kinder verderblicher als die Verfluchungen ihrer Eltern. Der Virbius aber, der sich als Hippolytus ausgab, war ein Betrüger, angestiftet, wie es scheint, von den Opferpriestern der arretinischen Diana zur Verherrlichung ihres heiligen Hains, damit es einen größeren Zulauf von Menschen dorthin gäbe. Dies war nämlich eine Einnahmequelle für die Priester. Und es waren früher dergleichen Betrügereien üblich überall, wo Götzenverehrung im Schwange war. Sehr oft aber fanden sich Menschen, die sich auf betrügerische Weise den Namen eines anderen zulegten. So lebte zur Zeit des Kaisers Vitellius gleichsam ein zweiter Virbius in Illyrien, ein Sklave namens Geta, der vorgab, er sei Scribonius Camerinus, der römische Senator, den Nero getötet hatte. So fand sich auch zwanzig Jahre später einer, der sich als Nero ausgab und bei den Parthern so große Gunst erlangt hatte, daß er in höchsten Ehren gehalten wurde, bis er schließlich nach Aufdeckung des Betrugs von Calpurnius, dem Statthalter
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Fabularum Ovidii interpretatio XV
occisus est à Calphurnio, Galatiae praefecto. Similiter anno 1547. non longè ab Hercynia sylva inventus est in quadam ruinosa et deserta arce vir corpore inculto atque horrido, qui affirmavit se esse Imperatorem Fridericum II. dixitque se reformaturum Imperii statum.
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10 Aegeria in fontem. Non tamen Aegeriae luctus aliena levare. [XV,547]
Numa Pompilius, quo maiore in veneratione esset apud populum, simulabat sibi esse nocturnos congressus cum Aegeriae fontis nympha, veluti cum coniuge. Hinc fingitur Aegeria luctu conversa in fontem, Numa iam extincto. Erat 100 autem Aegeriae fons Romae extra portam Capenam, in luco Camoenarum.
11 Tages ex gleba ortus. Fatalem glebam motis conspexit in arvis. [XV,554]
Tagen ex gleba natum arbitror fuisse hominem obscurum, qui subitò inclaruerit, cum artem divinandi esset professus. Terra enim nati olim dicebantur ignoti et 105 obscuri. Quàm multi hodie quasi ex gleba oriuntur theologi, qui relicta stiva et aratro suscipiunt munus concionandi et professione novarum opinionum subitò innotescunt!
12 Romuli hasta in arborem. Cum subitò vidit frondescere Romulus hastam. [XV,561] 110 Romulus captato augurio cùm hastam ex Aventino monte in Capitolium iecis-
set, hasta solo infixa repentè coepit frondescere: quod prodigium significavit, statum imperii Romani hasta, hoc est, armis, fore florentem. Plutarchus in vita Romuli meminit huius arboris ac tradit eam tàm diu floruisse, dum imperii status maximè floruit, sub initium verò bellorum civilium exaruisse.8 Aedifìcante enim
8 Plutarchus: Vitae: Romulus 20,5–6.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XV
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von Galatien, getötet wurde. Ebenso wurde im Jahre 1547 nicht weit vom Herkynischen Waldgebirge in einer verfallenen und verlassenen Burg ein körperlich ungepflegter und abstoßender Mann aufgefunden, der versicherte, er sei Kaiser Friedrich II., und sagte, er werde den alten Zustand des Reiches wiederherstellen.
10 Egeria in eine Quelle verwandelt Doch kann fremdes [Unheil] Egerias Trauer nicht lindern. [XV,547]
Um die Verehrung, die er beim Volk genoß, zu vergrößern, gab Numa Pompilius vor, daß er nächtliche Zusammenkünfte mit der Quellnymphe Egeria habe, ebenso wie mit einer Gattin. Daraus entstand, als Numa schon verstorben war, die Sage, daß Egeria sich vor Trauer in eine Quelle verwandelt habe. Die Quelle der Egeria befand sich aber in Rom außerhalb des Capenischen Tors, im Hain der Camenen.
11 Tages aus einer Erdscholle entstanden In dem aufgewühlten Feld erblickte er die schicksalhafte Scholle. [XV,554]
Ich glaube, daß der aus einer Erdscholle geborene Tages ein Mann von niederer Herkunft war, der plötzlich berühmt wurde, weil er die Kunst der Weissagung gelehrt hatte. Menschen, die unberühmt und niederen Standes waren, bezeichnete man früher nämlich als Erdgeborene. Wie viele Theologen entstehen heute gleichsam aus einer Erdscholle, die, nachdem sie dem Pflugsterz und dem Pflug den Rücken gekehrt haben, das Predigeramt ergreifen und durch die Verkündigung neuartiger Meinungen plötzlich bekannt werden!
12 Des Romulus Lanze in einen Baum verwandelt […] als Romulus sah, daß seine Lanze sich plötzlich belaubte. [XV,561]
Als Romulus nach Empfang des Wahrzeichens seine Lanze vom aventinischen Hügel auf den capitolinischen geworfen hatte, begann die im Erdboden feststeckende Lanze sich auf einmal zu belauben. Dieses Vorzeichen deutete darauf hin, daß das Römische Reich mittels einer Lanze, d. h. durch Waffengewalt, zu seiner Blüte gelangen werde. Plutarch erwähnt in seiner Vita des Romulus diesen Baum und teilt mit, dieser habe geblüht, solange das Reich in seiner höchsten
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Fabularum Ovidii interpretatio XV
115 Iulio Caesare, fabri cùm propinqua arboris loca temere suffoderent, eius
radices violarunt.
13 Cippo in fronte enata cornua. Aut sua fluminea cum vidit Cippus in unda Cornua. [XV,565 sq.] 120 M. Genutio Cippo, sicuti Mosi, in capite quasi cornua apparuerunt. Huius exem-
plum docet, non esse occupandam patriam, etiamsi occasione aliqua id fieri possit. Multis autem principibus tanta libido dominandi innata est, ut, cum Cippea cornua non habeant, tamen regna et imperia arripiant.
14 Delphi in medio terrarum orbe. 125
mediamque tenentis Orbis humum Delphos adeunt, oracula Phoebi. [XV,630 sq.]
Strabo libro 9. narrat fabulam de duabus aquilis à Iove emissis, unam ab oriente, alteram ab occidente, et convenientibus apud Delphos.9 Cuius fabulae et Claudianus meminit in praefatione de consulatu Manlii Theodori his versibus: 130
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Iuppiter, ut perbibent, spacium cum discere vellet Naturae, regni nescius ipse sui, Armigeros utrinque duos pernicibus alis Misit ab Aeois occiduisque plagis. Parnasus geminos fertur iunxisse volatus; Contulit alternas Pythius axis aves.10
Hac ratione Ovidius vocat hîc Delphos mediam humum orbis seu umbilicum terrae.
9 Strabo 9,3,6. 10 Claudianus: Panegyrici dicti Mallio Theodoro consuli praefatio 11–16.
Auslegung der Metamorphosen Ovids XV
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Blüte stand. Beim Beginn der Bürgerkriege aber sei er verdorrt. Als nämlich Iulius Caesar ein Gebäude errichten ließ, verletzten die Bauarbeiter dessen Wurzeln, als sie unbesonnen das nahe dem Baum befindliche Erdreich aushoben.
13 Dem Cipus wuchsen Hörner an der Stirn […] oder als Cipus in der Welle des Flusses seine Hörner sah […]. [XV,565 f.]
Dem M. Genutius Cipus erschienen wie dem Moses gleichsam Hörner an seinem Kopf. Dessen Beispiel lehrt, daß man sich des Vaterlandes nicht bemächtigen dürfe, auch wenn dies durch irgendeine Gelegenheit möglich wäre. Vielen Fürsten ist aber eine derartige Begierde nach Herrschaft angeboren, daß sie, obgleich sie über die Hörner des Cipus nicht verfügen, sich dennoch Throne und Reiche aneignen.
14 Delphi in der Mitte des Erdkreises […] und man begibt sich nach Delphi, das in der Mitte des Erdkreises liegt, zum Orakel des Phoebus. [XV,630 f.]
Strabo erzählt im neunten Buch die Sage von den zwei Adlern, die Jupiter ausgesandt hatte, den einen von Osten, den anderen von Westen, und die in Delphi zusammentrafen. Diese Sage erwähnt auch Claudian in der Vorrede zu seinem Lobgedicht auf das Konsulat des Manlius Theodorus mit diesen Versen: Wie man sagt, hat Jupiter, selbst in Unkenntnis über das Gebiet seiner Herrschaft, in dem Willen, die Ausdehnung der Welt zu erfahren, aus zwei Richtungen zwei Adler mit hurtigen Schwingen ausgesandt: von der Gegend im Osten und von der im Westen aus. Es heißt, daß der Parnassus die Flüge beider verbunden habe: Der Himmel von Delphi brachte die beiden Vögel zusammen.
Aus diesem Grund nennt Ovid hier Delphi die Mitte des Erdkreises bzw. den Nabel der Welt.
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Fabularum Ovidii interpretatio XV
15 Anima Iulii Caesaris in stellam crinitam. 140
Flammiferumque trahens spacioso limite crinem Stella micat. [XV,849 sq.]
De cometa, cuius hîc meminit, Suetonius in vita Iulii Caesaris sic scribit: „Siquidem ludis, quos primo consecratos ei haeres Augustus edebat, stella crinita per 7 dies continuos fulsit exoriens circa Xl. horam, creditumque est animam esse Caesaris in coelum recepti; et hac de causa simulacro eius in vertice additur stella.“11 FINIS.
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11 Suetonius: Iulius 88.
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15 Die Seele Iulius Caesars in einen Haarstern (Kometen) verwandelt […] und in breiter Bahn einen flammenden Haarschweif hinter sich herziehend funkelt sie als Stern. [XV,849 f.]
Von dem Kometen, den er (Ovid) hier erwähnt, schreibt Sueton im Leben Caesars folgendermaßen: „Denn bei den Spielen, die sein Erbe Augustus erstmals ihm zu Ehren veranstaltete, strahlte sieben Tage lang ein Haarstern, der um die 11. Stunde aufging, und man glaubte, dies sei die Seele des in den Himmel aufgenommenen Caesar. Und aus diesem Grund wird auf Abbildungen von ihm seinem Scheitel ein Stern hinzugefügt.“ ENDE
Editionsbericht 1 Überlieferung Unter Einschluß der vier zu Lebzeiten des Sabinus, also bis 1560, erschienenen Ausgaben seiner Metamorphosen-Auslegung, die für unsere Ausgabe herangezogen wurden und deshalb im folgenden Abschnitt detailliert beschrieben werden, sind bis zum Jahr 1718 insgesamt 22 Drucke des Werkes nachweisbar, die hier in chronologischer Folge unter Angabe von Druckort und Drucker/Verleger und (ggf.) der Nummern, unter denen sie in VD 16 und VD 17 verzeichnet sind, aufgeführt werden. Vier davon sind im Ausland, Frankreich (Nr. 6–8) und England (Nr. 9), erschienen. Diejenigen Drucke, denen der vollständige Ovid-Text beigegeben wurde, sind mit Sternchen markiert: 1. Wittenberg: Georg Rhaw Erben 1555 (VD 16: S 121).1 2. Ebd. 1555 (VD 16: ZV 13490). 3. Ebd. 1556 (VD 16: S 122). 4. Ebd.: Peter Seitz 1559 (VD 16: S 123). 5. Ebd.: Clemens Schleich / Anton Schöne 1572 (VD 16: S 124). 6. Paris: Jérôme de Marnef / veuve Guillaume Cavellat 1575 (Moss, Ovid in Renaissance France, S. 78, Nr. 237). 7. Ebd.: Charles Roger / Jérôme de Marnef / veuve Guillaume Cavellat 1579 (Pet tegree / Walsby, French books III & IV, Nr. 85404). 8. Ebd. 1580 (Pettegree / Walsby, French books III & IV, Nr. 85405). 9. Cambridge: Thomas Thomas 1584. 10. *Frankfurt a. M.: Johann Wechel 1589 (VD 16: O 1661). – Reprint New York, London 1976 (The Renaissance and the Gods) 11. *Ebd. [1601] (VD 17: 23:326645T). 12. *Ebd.: Wolfgang Richter 1601 (VD 17: 1:043829H). 13. [Heidelberg]: Vögelin 1606 (VD 17: 670661X). 14. *[Leipzig]: Vögelin 1607 (British Library, System number: 002734443).
1 In der älteren Literatur wird ein Wittenberger Druck des Jahres 1554 als Editio princeps genannt. Vgl. Max Töppen: Die Gründung der Universität zu Königsberg und das Leben ihres ersten Rectors Georg Sabinus. Nach gedruckten und ungedruckten Quellen dargestellt. Königsberg 1844, S. 8, Nr. 31; CR 19 (1853), Sp. 497 f. (Angabe aus zweiter Hand); Franz Ludwig Anton Schweiger: Bibliographisches Lexicon der gesamten Literatur der Römer. Bd. 2. Leipzig 1834, Reprint Amsterdam 1962, S. 697. Das Vorhandensein eines solchen Druckes ließ sich nicht bibliothekarisch verifizieren, weder im Inland noch im Ausland. DOI 10.1515/9783110620283-019
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Editionsbericht
15. *Frankfurt a. M.: Nikolaus Hoffmann 1608 (einziges bekanntes Expl. in München, BSB: 1711914 A. lat. a. 1191). 16. *Genf: P. de la Rouière 1613 (WorldCat 15504877). 17. [Heidelberg]: [Vögelin] 1614 (VD 17: 23:278585M). 18. *Frankfurt a. M.: Nikolaus Hoffmann 1616 (VD 17: 23:737357Q). 19. *Leipzig: Henning Grosse / Georg Liger 1620–1621 (VD 17: 3:013133W). 20. [Leipzig, Stettin]: [Johann Adam Plener]; [Merseburg]: [Christian Gottschick] 1698 (VD 17: 1:060900A). 21. Ebd. 1699 (VD 17: 1:060893B). 22. Leipzig: Johannes Kunckelius. Bibliop. Stetin. 1718 (WorldCat 800303950; einziges bekanntes Expl. in Straßburg, Bibl. nationale et universitaire: C.140.682). Der heute als irrig anzusehenden Auffassung, daß es sich bei der ‚Fabularum Ovidii interpretatio‘ des Sabinus eigentlich um ein Werk Philipp Melanchthons handle2, verdanken wir die bisher einzige wissenschaftliche Ausgabe des Werkes. Sie erschien in dem 1853 von Heinrich Ernst Bindseil herausgegebenen Band 19 von Melanchthons ‚Opera quae supersunt omnia‘ innerhalb des Corpus Reformatorum.3 Für die Konstituierung seines Textes benutzte Bindseil drei ihm vorliegende Ausgaben4: die beiden Wittenberger Drucke des Jahres 15555 und den Druck Wittenberg 1559; aus diesen wurde die jeweils beste Lesart ausgewählt. Im Endergebnis entspricht die Textgestalt weitgehend dem Zustand des B-Druckes, den ich meiner Ausgabe zugrunde gelegt habe. Der von Bindseil angebotene textkritische Apparat ist sehr lückenhaft. Abweichungen der drei Drucke untereinander und vom Herausgeber vorgenommene Verbesserungen werden nur in Auswahl mitgeteilt. Ebenso unvollständig sind die Nachweise von Zitaten und Literaturhinweisen. In der Regel erfolgt ein Nachweis nur da, wo es sich um römische oder griechische Klassiker handelt und die Stelle leicht zu finden war.6 Zitate aus frühneuzeitlichen Autoren und Kirchenvätern werden gewöhnlich stillschweigend übergangen – was gelegentlich zur Folge hatte, daß Textfehler, die beim Vergleich mit der Vorlage zutage getreten wären, unerkannt stehenblieben.
2 S. Einleitung, S. X–XII. 3 CR 19, Sp. 497–654 (ohne die Widmung an Herzog Albrecht von Preußen): Ovidii Metamorphoseon enarratio Philippi Melanthonis, Georgii Sabini nomine edita. 4 S. ebd. den Schlußsatz der bibliographischen Einführung, Sp. 499 f. 5 In den textkritischen Anmerkungen unterschieden als „1555a“ (bei uns Druck B) und „1555b“ (bei uns Druck A). 6 Z. B. fehlt die Stellenangabe für den Livius-Verweis in III,6,88.
Editionsbericht
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2 Textkonstituierung In unsere Edition wurden nur die vier Drucke einbezogen, die vor dem Tode des Autors erschienen sind: A/B: Wittenberg: Georg Rhaw Erben 1555. Wittenberg: Georg Rhaw Erben 1556. C: Wittenberg: Peter Seitz 1559. D: Editionsvorlage ist die gegenüber A verbesserte zweite Auflage B. Die Tatsache, daß B Verbesserungen von sachlich fehlerhaften Stellen7 in A bietet, ist das entscheidende Kriterium für die Festlegung der zeitlichen Abfolge der beiden im selben Jahr erschienenen Drucke. Demnach kann B auf keinen Fall der Erstdruck gewesen sein. Ein äußerliches Indiz für die damit postulierte zeitliche Abfolge ist der mit B identische Seitenumbruch des Druckes D (C ist nur Titelauflage von B).
A-Druck Für die Editio princeps verwendete ich das über das Münchener Digitalisierungszentrum im Internet frei zugängliche Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek mit der Signatur A. lat. a. 1269 (VD 16: S 121): FABVLARVUM | OVIDII | INTERPRETA= | TIO TRADITA IN ACADE= | MIA REGIOMON= | TANA. | A | GEORGIO SABINO. | VITEBERGAE | EX OFFICINA HAERE= | DVM GEORGII | RHAVV. | | ANNO M. D. LV. 8°. 128 Bll. (A1–Q8).
Der Druck hat weder Blatt- noch Seitenzählung. Der Bogen A hat bei den Signaturen römische, alle anderen haben arabische Zählung; eine der Bogensignaturen ist fehlerhaft: Bij statt Aij. – Der leere Raum am Ende des Widmungsbriefes (Bl. A5v) ist gefüllt mit einem Pflanzenornament, ähnlich dem auf der Titelseite des B-Drucks. Der Druck ist aufgebaut wie folgt:
7 Es handelt sich um zwei: in IV,4, 32 um die Ersetzung von „quam appellent Dercetam” durch „Dercetidis“ (es geht um den Namen einer syrischen Göttin) und in VII,3, 37 die Ersetzung von „Maximilianum Caesarem“ durch „Carolum Ducem Burgundiae“ (es geht hier um den Gründer des Ordens vom Goldenen Vlies).
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Editionsbericht
Air: Titelseite Aiv: leer Aijr–Avv: Epistola dedicatoria Avir–C5v: In primum librum Metamorphoseon C5v–D5v: In secundum librum Metamorphoseon D6r–E3r: In librum tertium E3r–F5v: In librum quartum F5v–G4v: In librum quintum G4v–H4r: In librum sextum H4v–I6r: In librum septimum I6v–K6r: In librum octavum K6v–L7v: In librum nonum L8r–M5v: In librum decimum M5v–N4r: In librum undecimum N4r–N8r: In librum duodecimum N8r–P7v: In librum decimumtertium P7v–Q5r: In librum decimumquartum Q5r–Q8v: In librum decimumquintum
B-Druck FABVLARVUM | OVIDII | INTERPRETA= | TIO TRADITA IN ACADE= | MIA REGIOMON= | TANA. | A | GEORGIO SABINO. | | VVITEBERGAE | EX OFFICINA HAERE= | DVM GEORGII | RHAVV. | | ANNO M. D. LV. –Siehe Abbildung S. 363. 8°. 132 Bll. (A1–R4).
Ich verwendete eine Mikrofilmaufnahme von einem Exemplar der ULB Halle/S. mit der Signatur Pon Vg 3901 (VD 16: ZV 13490); es entstammt der Sammlung Ponickau. Der Druck ist aufgebaut wie folgt: A1r: Titelseite A1v: leer A2r–A5v: Epistola dedicatoria A6r–C5r: In primum librum Metamorphoseon C5r–D5r: In secundum librum Metamorphoseon D5r–E2r: In librum tertium E2v–F4r: In librum quartum F4v–G3r: In librum quintum
Editionsbericht
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Titelseite des B-Drucks nach dem Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek SachsenAnhalt in Halle/Saale (Signatur: Pon Vg 3901)
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Editionsbericht
G3v–H3r: In librum sextum H3r–I5r: In librum septimum I5v–K5r: In librum octavum K5v–L6v: In librum nonum L7r–M4v: In librum decimum M4v–N3r: In librum undecimum N3r–N7r: In librum duodecimum N7r–Q2v: In librum decimumtertium Q2v–Q8v: In librum decimumquartum Q8v–R4v: In librum decimumquintum In B wurden diverse Fehler des Erstdrucks verbessert und in Buch XIII die Paraphrase der Rede des Odysseus typographisch von den erläuternden Textteilen abgesetzt – wodurch der Gesamtumfang um 4 Blätter zunahm.
C-Druck FABVLARVUM | OVIDII | INTERPRETA= | TIO TRADITA IN ACADE= | MIA REGIOMON= | TANA. | A | GEORGIO SABINO. | | VVITEBERGAE | EX OFFICINA HAERE= | DVM GEORGII | RHAVV. | | ANNO M. D. LVI. 8°. 132 Bll. (A1–R4).
Eingesehen habe ich das über das Münchener Digitalisierungszentrum im Internet frei zugängliche Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek mit der Signatur A. lat. b. 708 # Beibd. 3 (VD 16: S 122). Es handelt sich hier eindeutig um eine bloße Titelauflage, d. h. der Restbestand des B-Drucks wurde mit einem neuen Titelblatt versehen.
D-Druck FABVLARVUM | OVIDII | INTERPRETATIO | TRADITA IN ACADEMIA | REGIOMONTA= | NA. | A | GEORGIO SABINO. | . | VVITEBERGAE. | EXCVDEBAT PETRVS | SEITZ. | | ANNO M. D. LIX. 8°. 132 Bll. (A1–R4).
Editionsbericht
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Für diesen Druck verwendete ich das über das Münchener Digitalisierungszentrum im Internet frei zugängliche Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek mit der Signatur A. lat. a. 2381 # Beibd. 2 (VD 16: S 123). Im Aufbau entspricht dieser Druck genau dem Druck B.
3 Grundsätze der Textredaktion Bei der editorischen Darbietung der Texte folge ich den bewährten Verfahrensweisen, die von mir schon bei früheren Editionen neulateinischer Werke angewandt wurden. Die Interpunktion wird grundsätzlich modernisiert, unter weitgehender Beibehaltung allerdings der leserfreundlich kleinteiligen Gliede rung nach syntaktischen Einheiten. Die Graphie der Vorlage hingegen wird beibehalten, mit Ausnahme dieser heute weithin üblichen formalen Glättungen: – Auflösung aller Abbreviaturen und Ligaturen; – durchweg Großschreibung bei Eigennamen und ihren Ableitungen, bei Satzbeginn sowie (dem Originaldruck entsprechend) bei Versbeginn; sonst Kleinschreibung, abgesehen von einigen Fällen, in denen Sabinus ein sonst eigentlich klein zu schreibendes Wort offensichtlich zum Zweck der Hervorhebung bewußt groß geschrieben hat; – j/J durch i/I ersetzt; – u/v-Schreibung differenziert nach der Lautung; – ß durch ss ersetzt. Die Suspensionskürzung „-ib.“ für „-ibus“ wird stillschweigend aufgelöst. – Akzente werden übernommen, soweit sie korrekt sind; bei Streichung Nachweis im Apparat. Direkte Reden und Zitate werden in Anführungszeichen gesetzt, abgesehen von Verstexten und längeren Prosazitaten, die grundsätzlich herausgestellt werden. Zitate aus Ovids Metamorphosen sind stets (ohne Anführungszeichen) kursiv gesetzt und mit einer in eckigen Klammern stehenden, recte gesetzten Stellenangabe versehen. – Alle sonstigen Zitate und Literaturhinweise werden im Interesse einer möglichst ökonomischen Nutzbarkeit der Edition an Ort und Stelle in Fußnoten mit gekürzten Titelangaben nachgewiesen. Die verwendeten Ausgaben sind im Quellenverzeichnis zusammengestellt. Die Abkürzungen für biblische Bücher entsprechen denen, die in der ‚Theologischen Realenzyklopädie (TRE)‘ verwendet werden. Die den einzelnen Sagen innerhalb eines Buches gewidmeten Kapitel werden vom Herausgeber durchgezählt.
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Editionsbericht
Alle sonstigen Hinzufügungen des Herausgebers innerhalb des edierten Textes, z. B. die Verzeichnung der Seitenwenden, stehen in Spitzklammern. In die Textgestalt der von Sabinus zitierten Ovid-Passagen wurde – bei Vergleich zeitgenössischer Editionen – nur dann eingegriffen, wenn die Wahrung des Sinnzusammenhanges eine Korrektur zu erfordern schien. Bei Lesarten, die ganz außerhalb der Textüberlieferung stehen, ist nämlich in der Regel, soweit nicht etwa eine Störung des Sinnzusammenhangs vorliegt, nicht zu entscheiden, ob es sich um Konjekturen des Sabinus oder von ihm übersehene Irrtümer bei der Herstellung der Satzvorlage anhand der Vorlesungsnachschrift handelt. – Entsprechend bin ich auch bei Zitaten aus den Werken anderer Autoren (älterer wie neuerer) verfahren.
Textkritischer Apparat Der Leser, der in den folgenden Listen den C-Druck vermißt, sei daran erinnert, daß dieser nur eine Titelauflage des B-Drucks (Restbestand vom diesem mit neuem Titelblatt) ist (s. Edtionsbericht, S. 364).
1 Eingriffe Epist. ded. S. 6, Z. 80–81 accuratè] accuratae B (im Halleschen Expl. hsl. verb.) accuratè A accurate D S. 6, Z. 84 Celsi T] Celsi. T. B Celſsi. T. AD I, 2 S. 14, Z. 59 tegit] regit ABD S. 14, Z. 73 extitisse] extisse BD extitisse A S. 14, Z. 77–78 Statuerunt] Statuerumt B Statuerunt AD S. 16, Z. 89 Phaedone] Phedone ABD I, 3 S. 16, Z. 97 enim] euim B enim AD S. 16, Z. 99 Ἰαπετιονίδη] Ἰαπετηονίδη ABD S. 16, Z. 106 coeperunt] ceperunt ABD S. 18, Z. 113 perquàm] per quàm ABD I, 6 S. 24, Z. 213 qui inscribitur] quin scribitur BD qui inscribitur A S. 24, Z. 217 illepidè] illepedè BD illepidè A I, 8 S. 28, Z. 254 delinquunt] idelinquunt B delinquunt AD S. 28, Z. 270–271 coeperint] ceperint ABD S. 28, Z. 273 Claudia] Claudia: ABD S. 30, Z. 274 alte] alta ABD I, 10 S. 32, Z. 302 Apollonia] Appollonia BD Apollonia A S. 32, Z. 303 quisnam] quis nam ABD S. 32, Z. 304 nemine] neimine B nemine AD I, 11 S. 32, Z. 318 quibuscum] quibus cum ABD I, 12 S. 34, Z. 335 iucundè] incundè BD iucundè A S. 36, Z. 366 impositis] impositus BD impositis A I, 19 S. 42, Z. 426 te] tu ABD I, 20 S. 42, Z. 445 Apollini] Appollini BD Apollini A I, 22 S. 44, Z. 463 Apolline] Appolline BD Apolline A II, 1 S. 50, Z. 10–11 Phaëthontem] Phaëtontem AB Phaêtontem D S. 50, Z. 14 Phaëthontem] Phaëtontem ABD S. 54, Z. 78 obliquè] obiliquè B obliquè AD S. 54, Z. 81 rempub] Rempub. ABD II, 9 S. 64, Z. 195–196 Apolline] Appolline BD Apolline A II, 14 S. 68, Z. 237 Batti] BATTVS B BATTI AD II, 18 S. 70, Z. 275 Iuppiter] IVPITER BD IVPPITER A S. 70, Z. 284 iuvencis] iuvencae AB Iuvencae D III, 1 S. 74, Z. 5 qua] quia BD qua A S. 74, Z. 24 rempub] Rempub. ABD S. 74, Z. 25 Gregorius] Georgius ABD DOI 10.1515/9783110620283-020
368 III, 2 III, 3 III, 6 III, 7 III, 8 III, 9 IV, 1 IV, 6 IV, 8 IV, 14 IV, 16 IV, 19
IV, 21 IV, 23 IV, 29 V, 2 V, 3 V, 4 V, 5
V, 6 V, 7 V, 8 V, 9 V, 13
V, 15 VI, 1
VI, 2 VI, 3 VI, 4 VI, 6 VI, 8
Textkritischer Apparat
S. 76, Z. 42 coepit] cepit ABD S. 78, Z. 58 κρείσσον’] κρείω ὂν ΑBD S. 80, Z. 89 si quando] siquando ABD S. 80, Z. 92 androgynos] androginos BD androgynos A S. 82, Z. 114–115 haec aetas] hactenus ABD haec aetas Winshemius S. 82, Z. 115 potest] possunt ABD potest Winshemius S. 84, Z. 155 torrentem] terrentem ABD S. 86, Z. 160 ducit] ducunt ABD S. 88, Z. 10–11 immodicè] immodcè B immodicè A immodice D S. 92, Z. 56 iuvenum] quorum ABD S. 94, Z. 81 insula] Iusula B Insula AD S. 96, Z. 118 Corybantes] Coribantes ABD S. 96, Z. 124 tintinnabula] tintinabula ABD S. 98, Z. 141 ] fehlt ABD, erg. nach Pontanus S. 100, Z. 165 vel2] nec BD vel A S. 104, Z. 211 Sisyphus] Sysiphus ABD S. 104, Z. 212 Sisyphus] Sysiphus ABD S. 104, Z. 213 saevasque] saevosque ABD S. 106, Z. 273 ceruleus] cerueleus BD Ceruleus A S. 108, Z. 286 quibuscum] quibus cum AB quib. cum D S. 114, Z. 345 Illas] Illos BD Illas A S. 118, Z. 29 minimè] minimae BD minimè A S. 120, Z. 51 Pyrenei] PIRENEI ABD S. 120, Z. 64 Pyrenei] PIRENEI ABD S. 122, Z. 70 fit] sit ABD S. 122, Z. 84 Graecos] Grecos B Graecos AD S. 122, Z. 88 Ammianus] Ammonius ABD S. 124, Z. 94 ] ita ABD S. 124, Z. 96 certaminis] certamnis B certaminis AD S. 124, Z. 114 terrae motus] terraemotus BD terrae motus A S. 126, Z. 116 terraneum] TERRANEVM BD SVBTERRANEVM A S. 126, Z. 144 ] Velleius ABD S. 130, Z. 182 quod] quòd ABD S. 130, Z. 185 Odysseae] Odisseae ABD S. 130, Z. 188 μελίγηρυν] μελήγηρυν ABD S. 130, Z. 199 reipub] Reipub: ABD S. 132, Z. 201 coepit] cepit ABD S. 134, Z. 234 Lyncus] Lynceus ABD S. 136, Z. 22 ] fehlt ABD S. 138, Z. 31 δαμῆναι] δαμῆνα ABD S. 138, Z. 34 ] Antonius Pius BD Antoninus Pius A S. 138, Z. 46 allegoria] allagoria BD allegoria A S. 140, Z. 64 Sapphus] Saphus BD Sephus A S. 140, Z. 79 raptusque] captusque ABD S. 142, Z. 94 ] fehlt ABD, erg. vom Hrsg. S. 144, Z. 105 Deoida] Deioida ABD S. 146, Z. 137 Αὐθημερόν] Αὐθιμερόν ABD
Eingriffe
VI, 10 VI, 13 VII, 1
VII, 2 VII, 4 VII, 8
VII, 14 VII, 15 VII, 18 VIII, 1 VIII, 5 VIII, 7
VIII, 9 VIII, 11 VIII, 12 VIII, 13
VIII, 14
IX, 2 IX, 3 IX, 5 IX, 6 IX, 9
S. 146, Z. 139 γὰρ] καὶ ABD S. 146, Z. 140 ὑγροῦ] ὑργοῦ ABD S. 146, Z. 144 Scholiastes] Scholastes ABD S. 146, Z. 152 Pentris] petris ABD, Pentris Gravina S. 148, Z. 174 coepisset] cepisset ABD S. 148, Z. 184 ioco] loco BD ioco A S. 152, Z. 237 neque] deque ABD S. 158, Z. 6 repub] Repub. BD Republ. A S. 158, Z. 11 eorumque] earumque ABD S. 158, Z. 14 commigrasse] comigrasse ABD S. 160, Z. 26 Ὠρείθυιαν] Ὠρείθυαν ABD S. 160, Z. 27 εἰσάγαν] εἰγάσαν ABD S. 164, Z. 88 durus] durius BD durus A S. 164, Z. 91 ipsa] ipse B ipsa A ipsae D S. 170, Z. 160 rhythmis] rythmis ABD S. 170, Z. 162 Boiuca] Bonnica ABD S. 170, Z. 165 Anglerius] Angerius ABD S. 174, Z. 221 Cretaei] Cretei ABD S. 174, Z. 227 Procrustes] Procustes ABD S. 174, Z. 232 ] odio ABD S. 182, Z. 331 consilio] concilio BD consilio A S. 186, Z. 26 Fori Iulii] Foriulij ABD S. 186, Z. 27 tradituram] traditurum BD tradituram A S. 190, Z. 76 accurrunt] accurrumt B accurrunt AD S. 190, Z. 80 paterna] parterna B paterna AD S. 192, Z. 98 Cromyoniam] Chromyoniam ABD S. 192, Z. 99 Cromyonia] Chromyonia ABD S. 194, Z. 123 perimet] perimat ABD S. 198, Z. 184 vestris] nostris ABD S. 200, Z. 200 quot] quod ABD S. 200, Z. 217 tigno] ligno ABD S. 202, Z. 230 Proteo] Porteo BD Proteo A S. 202, Z. 236 Pallene] Pallenae ABD S. 202, Z. 237 Achaiae] Achaicae BD Achaiae A S. 202, Z. 239 Protei] Prothei ABD S. 204, Z. 249 Aristaei] Aristei ABD S. 204, Z. 260 ] Zebeli ABD, Ceibae Cardanus S. 204, Z. 262 ] fehlt ABD, erg. nach Cardanus S. 204, Z. 263 ] fehlt ABD, erg. nach Cardanus S. 204, Z. 265 crassioris] craßiores BD craßioris A S. 208, Z. 23 ] fehlt ABD, erg. nach Livius S. 210, Z. 33 longum] longun B longum AD S. 212, Z. 57 male] mala ABD S. 212, Z. 60 Lernaea] LERNEA ABD S. 212, Z. 61 ullum] unquàm ABD S. 214, Z. 98 Libya] Lybia ABD S. 216, Z. 120 ac trahendo] attrahendo ABD ac trahendo Pontanus
369
370
IX, 10 IX, 12 IX, 13
IX, 14 IX, 17 IX, 22 IX, 23 X, 4 X, 5 X, 6 X, 7 X, 9 X, 11 X, 12 X, 14
XI, 2 XI, 4
XI, 6 XI, 11 XI, 12 XI, 14 XI, 15 XII, 3
Textkritischer Apparat
S. 216, Z. 125 ] fehlt ABD, erg. nach Pontanus S. 218, Z. 129 ] fehlt ABD, erg. nach Pontanus ] atque ABD aut Pontanus S. 218, Z. 133 ] fehlt ABD, erg. nach Pontanus S. 218, Z. 137 tùm2] cùm AB cum D tùm Pontanus S. 218, Z. 142 γηρύω] γαρύω ABD S. 218, Z. 143 tumultum] tumltum B tumultum AD S. 218, Z. 155 Leonicus] Leonicenus ABD S. 220, Z. 165 Diomedea] Diomedaea ABD S. 220, Z. 176 commigrarunt] comigrarunt ABD S. 222, Z. 212 Phoeben] Phoebam BD Phoeben A S. 222, Z. 219 motu] mundo ABD, motu Claudianus S. 224, Z. 226 radiantibus] radicibus ABD S. 224, Z. 233 pendunt] pendent ABD S. 224, Z. 235 Gorgia] Georgia AB Georgio D S. 224, Z. 240 Sisyphi] Sysiphi ABD S. 226, Z. 245 os] eos BD os A S. 228, Z. 269 Calirrhoes] callirhoes BD Callirhoes A S. 230, Z. 306 Arsinoem] Antigonen AB Antigonem D S. 230, Z. 308 Conditur] Conditor BD Conditur A S. 232, Z. 316 Lyciae] Liciae BD Lyciae A S. 232, Z. 319 Lyciae] Liciae BD Lyciae A S. 238, Z. 54 Orphea] Orphaea BD Orphea A S. 238, Z. 59 hac] hoc ABD S. 238, Z. 65 coeperunt] ceperunt ABD S. 240, Z. 76 aëre] aëra B aera D aëre A S. 240, Z. 79 Pessinunti] Peßimunti ABD S. 242, Z. 102 situm] fitum B situm AD S. 242, Z. 113 Sculpsit] Sculpit ABD S. 244, Z. 132 quo] quò ABD S. 248, Z. 179 squalet] squallet ABD S. 248, Z. 186 brumae] bruma ABD brumae Pontanus S. 248, Z. 188–193 Diese Verse stehen ABD hinter V. 183; verb. nach Originaltext Pontanus S. 248, Z. 191 ] fehlt ABD, erg. nach Pontanus S. 248, Z. 192 Tum] Cum ABD Tum Pontanus coeca] terra ABD coeca Pontanus S. 248, Z. 193 qua] quo ABD qua Pontanus S. 250, Z. 11 Orphea] ORPHAEA AB ORPHEA D S. 250, Z. 15 δ᾽] τ᾽ ABD S. 252, Z. 33 arida] ardua ABD S. 254, Z. 54 lib] lib. ABD S. 254, Z. 74 ] Iustinus ABD S. 256, Z. 96 republ] Republ. AB Rebub. D S. 260, Z. 146 ] secundo ABD S. 262, Z. 179 aliis] alis ABD alias] aliâs AB alias D S. 264, Z. 211 Icelos] Acelos ABD S. 266, Z. 212 repraesentantur] representantur ABD S. 266, Z. 215 Aesacus] AEACUS ABD S. 268, Z. 22 κενὰ] καινὰ ABD
Eingriffe
XII, 4 XII, 6 XII, 8
XII, 10 XII, 11 XII, 12 XIII, 1 XIII, 2
XIII, 5 XIII, 6 XIII, 7 XIII, 8 XIII, 13 XIV, 3 XIV, 8 XIV, 12 XIV, 13 XIV, 14
XIV, 17 XIV, 18 XIV, 19 XIV, 21 XV, 1 XV, 2 XV, 7 XV, 9 XV, 12 XV, 13
S. 270, Z. 26 Cygno] Cygnus ABD S. 272, Z. 54 loquerentur] loqueretur ABD S. 274, Z. 77 ite] ita ABD S. 274, Z. 78 Dindyma] Dyndima AB Dyndina D S. 274, Z. 80 cedite] caedite ABD S. 276, Z. 107 Centaurea] Centauraea AB Centaurea D S. 276, Z. 107–108 mero | Debellata] Debellata mero ABD S. 276, Z. 119 plebeiis] plebeis ABD S. 276, Z. 126 heroum] herorum BD heroum A S. 280, Z. 9 reipub] Reipub. AB Reipublicae D S. 284, Z. 60 auditorum] anditorum AB auditorum D S. 286, Z. 75 ] fehlt BD quoniam A S. 288, Z. 116 Achillis] Achyllis BD Achillis A S. 294, Z. 179 Troianos] Troianis ABD S. 304, Z. 319 pugnacem] pugnarem ABD S. 310, Z. 391 Tirynthia] Tyrinthia ABD S. 312, Z. 407 Briseϊdis] Briseidis BD Briseϊdis A S. 312, Z. 413 illam] illum ABD S. 316, Z. 468 dicit] dixit ABD S. 316, Z. 481 ] fehlt ABD, erg. nach Cicero S. 320, Z. 534 comesa] correpta ABD comesa Erasmus S. 322, Z. 544 Similem] Sinilem B Similem AD S. 324, Z. 16 tendentibus] tententib. BD tendentib. A S. 326, Z. 31 celat] caelat ABD S. 330, Z. 83 Hic] Hinc ABD S. 332, Z. 108 colla] cola B colla A colo D S. 334, Z. 115 Apulus] APPVLVS ABD S. 334, Z. 116 has] hos ABD S. 334, Z. 122 Astraeo] ASTREO ABD S. 334, Z. 125 Astraeo] Astreo ABD S. 334, Z. 127 Astraeus] Astreus ABD S. 336, Z. 147 tectus] certus ABD S. 336, Z. 149 Hunc] Hinc BD Hunc A S. 336, Z. 158 Fasto] fasto. BD fastorum A S. 338, Z. 167 ] fehlt BD Capys A S. 338, Z. 171–172 significant] significat ABD S. 340, Z. 189 Lurida] Lucida ABD fonti] fumo ABD S. 344, Z. 23 ] fehlt ABD, erg. nach Iustinus S. 346, Z. 24 ] fehlt ABD, erg. vom Hrsg. S. 350, Z. 68 Mutari] Mutare BD Mutari A S. 350, Z. 83 lucum] lucu BD lucum A S. 352, Z. 111 coepit] cepit AB coepit D S. 354, Z. 122 principibus] princibipus B principibus AD
371
372
Textkritischer Apparat
2 Varianten Epist. ded. S. 4, Z. 36 vires] viros D S. 4, Z. 42 esse] esset D S. 4, Z. 48 afflictus] afflicti D S. 8, Z. 86 volui] voluit D I, 1 S. 10, Z. 22 placentam] placentem D S. 12, Z. 39 est] fehlt D S. 12, Z. 39–40 ad formandos] adformandos D S. 14, Z. 69 beneficum] beneficium D I, 2 S. 14, Z. 81 νοῦς] ηοός D S. 16, Z. 86 ille deorum] illeideorum D S. 16, Z. 94 mortalium] morta, ium D I, 3 S. 20, Z. 155 successu] sucessu A I, 4 S. 22, Z. 165 origini] origeni D S. 22, Z. 168 χρύσειοι ἄνδρες] fehlt D S. 22, Z. 171 historia] Historiae A S. 24, Z. 193 quia] qui D I, 6 S. 28, Z. 259 recidendam] recitendam D I, 8 S. 30, Z. 293 causam] causem D poëtae] Poëte D I, 9 S. 34, Z. 324 exercituum] exercitum D I, 11 S. 34, Z. 328 Poena] Paena D I, 12 S. 34, Z. 334 terraeque] terreque D S. 36, Z. 358 efferi] efferri D S. 36, Z. 369 laedebant] ledebant D S. 38, Z. 392 noscitur] nascitur A I, 15 S. 40, Z. 409 e] in A I, 17 S. 42, Z. 434 Python] Pytho D I, 19 S. 48, Z. 503 victum] fictum D I, 25 S. 48, Z. 505 vaccae] vacce D S. 50, Z. 4 morte] fehlt A II, 1 S. 52, Z. 59 positaeque] positeque D S. 54, Z. 63 habenae] habene D S. 54, Z. 67 rationem] rationen D S. 54, Z. 81 libidinem] libidimem A S. 54, Z. 82 lenior] levior A S. 60, Z. 160–161 in conspectum] inconspectum D II, 6 S. 62, Z. 181 verò] verú D II, 7 S. 64, Z. 204 divino] divinno D II, 10 S. 66, Z. 219 nascentium] nascentiam D II, 12 S. 68, Z. 239 battologiam] battologian A II, 14 S. 74, Z. 18 Roterodamus] Roderodamus D III, 1 S. 82, Z. 122 fiunt] fiuut D III, 8 S. 84, Z. 126 monachis] Aonachis D S. 84, Z. 135 saeviat] seviat D S. 84, Z. 144 nec] nnc D S. 84, Z. 153 retentus] retentas A
Varianten
III, 9 IV, 2 IV, 4 IV, 5 IV, 6 IV, 7 IV, 11 IV, 16 IV, 17 IV, 20 IV, 23 IV, 25 IV, 29 V, 1 V, 2 V, 3 V, 4 V, 6 V, 7 V, 9
V, 13 V, 14 V,15 VI, 1
VI, 3 VI, 4 VI, 5 VI, 6
VI, 8 VI, 11 VI, 13
S. 86, Z. 162 pedibus] pedibu D S. 86, Z. 163 inebriantur] inebriebantur D S. 88, Z. 18 Basilius] Basiliis D S. 90, Z. 32 Dercetidis] quam appellent Dercetam A Derceditis D S. 90, Z. 40 esse] Dercetam esse A S. 90, Z. 48 columbae] columbe D S. 92, Z. 56 Pyramus] Byramus D S. 92, Z. 70 exponit] axponet D S. 94, Z. 99 quòd] puòd D S. 100, Z. 184 ξανθίσματα] ξανθοισματα D S. 102, Z. 191 preces] praeces D S. 102, Z. 192 Ipsae] Ipse A S. 106, Z. 254 nemo audierit] fehlt D S. 108, Z. 289 oculorum] oculorem D S. 110, Z. 302 devicto] deficto D S. 114, Z. 347 Roterodamus] Roderodamus D S. 116, Z. 7 sicut] Et sicut A S. 118, Z. 29 intelliguntur] inteiliguntur D S. 118, Z. 36 condidisse] conddisse D S. 120, Z. 54 indoctis] in doctis A ignorantur] imgnorantur D S. 120, Z. 66 è] à D S. 124, Z. 95 Huic] Hiuc D S. 124, Z. 107 Aetherias] Aethereas D S. 124, Z. 112 spiritu] Spirit D S. 124, Z. 113 motibus, et] motibus D S. 126, Z. 124 raptam] raptim D S. 126, Z. 125 quaerente] querente D S. 128, Z. 151 lacus] locus D S. 130, Z. 178 promontorium] promuntorium D S. 130, Z. 198 abusa] abusae D S. 132, Z. 221 turbidus] turpidus D S. 132, Z. 223 videantur] videntur A S. 134, Z. 232 Roterodamus] Roderodamus D S. 136, Z. 6 annectunt] annectum D S. 136, Z. 13 Fabula] Fabulae D S. 136, Z. 16 infirmos] in firmos D S. 136, Z. 29 illa] illi D S. 140, Z. 63 arbitrarer] arbitrare D S. 140, Z. 71 dodrantes] dotrantes D S. 142, Z. 89 applaudat] applaudit D S. 142, Z. 94 aliquot] aliquod D S. 142, Z. 95 Arachne] Arachnae D S. 142, Z. 96 referendae] reverendae D S. 146, Z. 148–149 Gravina elegantissimis] Gravinael, egantissimis D S. 146, Z. 154 flevere] fleverae D S. 150, Z. 207 levasse] lavasse D S. 152, Z. 237 Progne] Prognae D
373
374 VI, 14 VII, 1 VII, 3 VII, 4
VII, 5
VII, 8
VII, 9 VII, 10 VII, 11 VII, 14 VII, 15
VII, 17 VII, 19 VIII, 1
VIII, 2 VIII, 5 VIII, 7 VIII, 9 VIII, 12 VIII, 13 VIII, 14 VIII, 15
IX, 2 IX, 3 IX, 6 IX, 9
Textkritischer Apparat
S. 156, Z. 264 deus] Ceus D S. 156, Z. 268 similitudinem] multitudinem D S. 158, Z. 6 quosque] quoque D S. 160, Z. 37 Carolum … Burgundiae] Maximilianum Caesarem A Carolum] Carolem D S. 162, Z. 54 opponit] exponit A S. 164, Z. 103 affectibus] effectibus D S. 166, Z. 112 putares] putarse D S. 166, Z. 116 velleris] velloris D S. 166, Z. 123 manare] manere D S. 166, Z. 127 bello] belio D ipse] ipsae D S. 170, Z. 161 iuvenescant] invenescant D S. 170, Z. 163 canos] cunos D S. 170, Z. 169 in] im D S. 170, Z. 177 Roterodamus] Roderodamus D S. 172, Z. 187 inobrutus] in obrutus D S. 172, Z. 191 tempore] tempora D S. 172, Z. 201 grandinem] gramdinem D S. 174, Z. 221 Mirata] Mira D S. 178, Z. 267 flammaeque] flammeque D S. 178, Z. 270 auraeque] aureque D captantur] captuntur D S. 178, Z. 290 reverentia] reverenti D S. 178, Z. 294 magnaeque] magneque D S. 180, Z. 304 vola contineri] volo continere D S. 180, Z. 320 soliti] solidi D S. 182, Z. 339 ipse] ipsae D S. 186, Z. 6 submoveant] submoneant A S. 186, Z. 8 Observandae] Observande D S. 186, Z. 16 hic] hîc A S. 188, Z. 33 amore] more D S. 190, Z. 56 inventa] invente D S. 192, Z. 99 sue] suae D S. 192, Z. 101 quot] quod D S. 198, Z. 168 ipse] ipsae D S. 200, Z. 209 Philemonis] Philomonis D S. 202, Z. 224 ipse] ipsae D S. 202, Z. 235–236 vestimentorum] vestimemtorum A S. 204, Z. 256 Hieronymus] Hyeronimus D S. 204, Z. 268 absumptis] aebsumptis D S. 206, Z. 272–273 afferebantur] efferebantur D S. 206, Z. 281 fame] famae D miserrimum] miserrinum D S. 206, Z. 283 vorandi] forandi D S. 210, Z. 29 versibus] virsibus D S. 210, Z. 35 flexus] stexus A S. 212, Z. 62 caput] capud D S. 212, Z. 68 Tzetza] Tzetzta D S. 214, Z. 98 Hercule] Herculae D S. 218, Z. 139 humorum] humorem D
Varianten
IX, 10 IX, 13 IX, 14 IX, 15 IX, 17 IX, 21 IX, 22 IX, 23 IX, 24 X, 1
X, 4 X, 11
X, 12
X, 13 X, 14 XI, 1 XI, 2 XI, 4
XI, 6 XI, 8 XI, 9 XI, 11 XI, 12
XI, 13 XII, 1
S. 218, Z. 140 fabulae] fabula D S. 218, Z. 157 Euristhei] Eritsthei A S. 220, Z. 165 Roterodamus] Roderodamus D S. 222, Z. 214 libraverit] liberaverit A S. 224, Z. 234 dolium] doleum A S. 224, Z. 235 dolio] doleo A assimilat] assimilant D S. 224, Z. 242 ante] arte A S. 226, Z. 245 parit] barit D S. 226, Z. 254 lignum] lingnum D S. 228, Z. 267 senili aetate] senile aetati D S. 228, Z. 268 denuò] tenuò D S. 230, Z. 294 qui] fehlt D S. 230, Z. 300 ut] ui D S. 232, Z. 321 Chimeram] Chimerum D S. 232, Z. 324 rhetorice] Rhetoricae D S. 232, Z. 332 cohibendam] cohibendum D S. 234, Z. 3 simul et] simulet D S. 234, Z. 15 verbum] verbus D S. 234, Z. 22–23 Pausanias] Pausanius D S. 238, Z. 53 Roterodamus] Roderodamus D S. 242, Z. 115 fabula] fabulae D S. 242, Z. 116 tenebatur] tenebratur D S. 242, Z. 118 Pygmalionis] Pygmallonis D S. 244, Z. 134 Ipse] Ipsae D S. 244, Z. 136 afflavit] afflavit in D S. 246, Z. 148 suspensos] suspensas D S. 246, Z. 156 Proinde] Perinde D S. 248, Z. 184 Diglomeratque] Diglomoratque D S. 250, Z. 3 feras] veras D S. 250, Z. 18 Pyttaci] Pyitaci D S. 250, Z. 19 templo] templum D S. 252, Z. 43 Ac] At D S. 254, Z. 69 quis] quia D S. 254, Z. 79 clam] ciam D S. 256, Z. 82 oppidulum] oppidum D S. 256, Z. 105 Germaniae] Germanie D S. 258, Z. 119 infoeliciter] infeliciter D S. 258, Z. 129 Cùm] Dúm D S. 260, Z. 144 exilio] exilia D S. 260, Z. 150 Initium] Initum D S. 262, Z. 170 hiscere] hisce D S. 262, Z. 176 senem] semen D S. 262, Z. 178 piscis] pisces D S. 262, Z. 183 figitque] fugitque D S. 264, Z. 189 Est] Et D S. 264, Z. 197 brumales] prumales D S. 268, Z. 8 etiam] enim D
375
376 XII, 3
XII, 8 XII, 9 XIII, 1
XIII, 2
XIII, 3 XIII, 7 XIII, 8
XIII, 9 XIII, 10 XIII, 11 XIII, 13 XIV, 4 XIV, 5 XIV, 6 XIV, 7 XIV, 8 XIV, 9 XIV, 11 XIV, 12
Textkritischer Apparat
S. 268, Z. 17 tàm] ltàm D S. 268, Z. 18 occultè] occultae D S. 268, Z. 22 inania] nova A S. 274, Z. 78 Dyndima] Dyndina D S. 274, Z. 82 eum] cum D S. 274, Z. 96–97 nubigenae] nubiginae D S. 280, Z. 23 debeantur] debeantor D S. 280, Z. 28 quam] quem D S. 282, Z. 31 imbelli] imbecilli D S. 282, Z. 32 defendendi] defendi D S. 282, Z. 43 igni] igne A S. 284, Z. 60 Ulysse] Ulyssae D S. 286, Z. 92–93 dissimulat] dissimulata D S. 286, Z. 93 quae] que D S. 286, Z. 98 pungat] pugnat D S. 292, Z. 166 circumveni] circumven D S. 292, Z. 170 Paris] Patris D S. 296, Z. 206 convicia] conficia D S. 296, Z. 210 Danais] Danatis D S. 296, Z. 228 similis] similia D S. 298, Z. 233 quamque multos] quanquam mulos A S. 300, Z. 269 detinuit] detinui D S. 302, Z. 286 belli] celli D S. 302, Z. 291 tota] dota D S. 302, Z. 296 sustuli] fustuli D S. 304, Z. 309 tradidi … captam] et urbem quasi captam tradidi A S. 308, Z. 362 obsidionem] obsidionum D S. 312, Z. 425 Dominum] domimum D S. 316, Z. 477 nec1] ne D S. 316, Z. 478 quot] quod D S. 316, Z. 479 poenitet] poenitent D tuam] fehlt D S. 318, Z. 491 Aethiopiae] Aethiope D S. 318, Z. 501 habuit] habet D S. 320, Z. 520–521 conciliare] consiliare D S. 320, Z. 525 voluptates] voluntates D S. 320, Z. 536 natandi] notandi D S. 326, Z. 37 mille] millae D S. 326, Z. 47 Charybdim] Chariadim D S. 326, Z. 49 Mezentium] Mezenzium D S. 328, Z. 52 imprudentiam] inprudentiam D S. 328, Z. 55 tempestatem] tempestate D S. 328, Z. 59 Parum] Parim D suibus] suidem D S. 328, Z. 72 homines] homimes D S. 330, Z. 81 Priapeis] Priapis D S. 330, Z. 87 Graecae] Graece D S. 332, Z. 98 Pici] Pisci D S. 332, Z. 111 quotidie] quotidiae D
Varianten
XIV, 21 S. 340, Z. 190 Sulphureae] Sulphurae D S. 340, Z. 191 supersticioso] superstitiosi D XIV, 23 S. 342, Z. 205 Romulus] Romulis D XV, 1 S. 344, Z. 6 ubi] ibi D XV, 3 S. 346, Z. 42 tactis] dactis D XV, 4 S. 348, Z. 45 furorem] furorum D XV, 5 S. 348, Z. 53 Pallene] Pallenae D S. 348, Z. 59 à] ad D XV, 6 S. 348, Z. 62 humo] humor D XV, 7 S. 350, Z. 69 suum] suam D XV, 9 S. 350, Z. 79 preces] praeces D S. 350, Z. 87 servus] servis D S. 352, Z. 92 quadam] qualam D XV, 12 S. 352, Z. 113 imperii] inperii D
377
Kommentar Der Kommentar beschränkt sich auf knappe Erläuterungen, die zum besseren Verständnis des Kontextes der Auslegungen des Sabinus geboten schienen. Auf Erläuterungen zu historischen Ereignissen und Personen (auch Autoren) der griechischen und römischen Antike, deren Kenntnis bei Lesern, die an Studien zur neulateinischen Literatur des 16. Jahrhunderts interessiert sind, vorausgesetzt werden kann, habe ich verzichtet. Für das Metamorphosen-Werk des Ovid selbst sei auf den Kommentar von Bömer und sonstige einschlägige Forschungsliteratur verwiesen. – Sofern bei einzelnen Kapiteln nicht schon durch Voranstellung der Kernstelle klar ist, auf welche Versgruppe bei Ovid sich die betreffende Auslegung des Sabinus bezieht, wird im Kommentar auf die Bezugsstelle verwiesen. – Abgekürzt zitierte Literaturhinweise finden sich vollständig im Literaturverzeichnis. Bei den Abkürzungen von biblischen Büchern richte ich mich nach der Verfahrensweise in der ‚Theologischen Realenzyklopädie (TRE)‘.
Widmungsbrief S. 2, Z. 1 Domino Alberto] Herzog Albrecht von Preußen (1490–1568), geboren als Markgraf von Ansbach (aus dem fränkischen Hause der Hohenzollern), hatte 1525 das Territorium des Deutschen Ordens, den er als Hochmeister seit 1511 führte, in ein weltliches, unter polnischer Lehenshoheit stehendes Herzogtum umgewandelt und dort die Reformation eingeführt. 1544 gründete er mit tatkräftiger Unterstützung Melanchthons die Universität Königsberg, als deren erster Rektor Sabinus berufen wurde. S. 2, Z. 3 Vandalorumque] Hier sind nicht etwa die Vandalen gemeint, sondern die slawische Volksgruppe der Wenden. In Mittelalter und Früher Neuzeit wurden beide miteinander gleichgesetzt. S. 2, Z. 16 Ionia] Gemeint ist hier das Gebiet der in den Städten an der Westküste Klein asiens (u. a. Milet und Ephesos) und auf den vorgelagerten Inseln Chios und Samos lebenden Ionier, eines der Hauptstämme des alten Griechenlands. S. 2, Z. 23 Ecclesiae historia] Hier im weitesten Sinne zu verstehen, vor allem aber zweifellos im Hinblick auf die historischen Bücher des Alten Testaments. Dahinter steht die vielfach bei Autoren der Frühen Neuzeit anzutreffende Vorstellung, daß die großen antiken Autoren von biblischen Überlieferungen beeinflußt waren. S. 2, Z. 26–27 Vestigia etiam multa … vera esse] Ein Beispiel hierfür liefert Sabinus in I,4,171– 175 mit der Herleitung der Sage von den vier Zeitaltern aus dem Buch David. S. 4, Z. 29 chronicon] Hier wäre natürlich an Werke wie Hartmann Schedels Weltchronik (Liber chronicarum. Opus de temporibus mundi [1493]) oder Sebastian Francks ‚Chronica, Zeytbuch und geschychtbibel‘ (1531) zu denken. S. 4, Z. 30–31 interpretationes partim historicas, partim ethicas] Tatsächlich kommt von Fall zu Fall noch eine dritte, naturkundliche (,physica‘), hinzu. Vgl. I,1,19–21: „[…] neque ullum ferè vetus figmentum est poëticum, quo non aliquid contineatur vel ex historiis vel ex physicis vel ex ethicis depromptum.“ DOI 10.1515/9783110620283-021
Widmungsbrief
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S. 4, Z. 32 cum pinguntur Cyclopes] Vgl. XIII,11. S. 4, Z. 37 Bellerophontes] Dessen Geschichte wird von Sabinus in den Einzelheiten ungenau wiedergegeben (Folge von Mißverständnissen der Studenten, die die Vorlesung mitgeschrieben haben?). Nachdem Bellerophontes im Auftrag des lykischen Königs Jobates das Ungeheuer Chimaera erlegt und noch weitere Heldentaten vollbracht hatte, gab dieser ihm seine Tochter zur Frau und bestimmte ihn zu seinem Nachfolger. Bellerophontes machte sich aber durch seine Selbstüberhebung den Göttern verhaßt, indem er auf dem Flügelroß Pegasus, dessen er sich schon dank der Gunst der Minerva (bzw. Pallas Athene) bei dem Kampf gegen die Chimaera hatte bedienen können, den Olymp zu erreichen suchte. Zur Strafe schickte Jupiter eine Bremse, die den Pegasus stach, was zur Folge hatte, daß Bellerophontes abgeworfen wurde. Dieser fiel aus der Höhe auf den Erdboden und führte danach als Krüppel bis zu seinem Tode ein einsames Wanderleben. S. 4, Z. 41–44 Honesta oratio erat Marii … pulsus est] Ich vermute, daß hier eine sonderbare Vermischung der Biographie des Feldherrn C. Marius (158/157–86 v. Chr.) mit der des Volkstribunen Tiberius Sempronius Gracchus (162–133 v. Chr.) vorliegt, der seinen Versuch, eine Agrargesetzgebung zugunsten der ärmeren Volksschichten durchzusetzen, mit dem Leben bezahlte (den Inhalt seiner Rede zu diesem Thema, in der sich aber nichts von dem findet, was Sabinus hier anführt, überliefert Appian, Bella civilia 1,35–37). Marius hatte im Bund mit dem ihm befreundeten Volkstribunen L. Appuleius Saturnius vergeblich versucht, eine Äckerverteilung zugunsten seiner Veteranen durchzusetzen. Seine Vertreibung aus Rom nach seiner Niederlage gegen Sulla (88 v. Chr.) hatte damit aber nichts zu tun. S. 4, Z. 52–53 quem sic nominasse incolas et Strabo narrat] Strabo berichtet an der hier einzig in Frage kommenden Stelle, Geographica 14,3,5, nur, daß die Geschichte der Chimaera sich in der Gegend des Kragus-Gebirges in Lykien (also nicht in Kilikien!) abgespielt habe und es dort eine gleichnamige Talschlucht (!) gebe. S. 4, Z. 55 Orion] Orion war ein großer Jäger von riesenhaftem Wuchs. Nach einer Sagen version soll die Jagdgöttin Diana dafür gesorgt haben, daß er von einem Skorpion getötet wurde, weil er sie mit der Behauptung erzürnt hatte, er sei imstande, alle Tiere auf der Erde zu töten. Ebenso wie der Skorpion wurde Orion von Jupiter als Sternbild an den Himmel versetzt. Eine Quelle für das von Sabinus mitgeteilte Sagenelement, Orion sei von Atlas über die Sterne belehrt worden, habe diese so erworbenen astronomischen Kenntnisse an die Bürger von Boeotien weitergegeben und die Ordnung des Jahres festgelegt, konnte ich nicht ermitteln. S. 6, Z. 74 Origenes] Der bekannte Kirchenschriftsteller (ca. 185 – ca. 254), der in seinen exegetischen Schriften das Verfahren der Auslegung der Heiligen Schrift nach einem dreifachen Schriftsinn anwandte: nach dem buchstäblichen (historischen), dem moralischen und dem allegorisch-mystischen bzw. geistlichen Sinn. Die theoretische Begründung findet sich in seiner Schrift ‚De principiis‘ (IV,2,4–9); vgl. hierzu Lubac: Exégèse médiévale I,1 (1959), S. 198–207. Es versteht sich, daß sich die ablehnende Haltung des Sabinus gegenüber Origenes im wesentlichen auf die geistlichen Allegorisierungen bezieht. – et monachi] D. h. die monastische Tradition der Schriftauslegung im Mittelalter. – Proteus] Der Meergott, der beliebige Gestalten annehmen konnte.
380
Kommentar
Interpretatio I,1 S. 10, Z. 2 fabularum] Die Übersetzung des viele Bedeutungsnuancen aufweisenden ‚fabula‘ wirft solange keine Probleme auf, wie es um die Bezeichnung einer bestimmten poetischen Gattung geht. Hier kann man, je nachdem, was der Sinnzusammenhang verlangt, mit ‚Sage‘, ‚Märchen‘, ‚Erzählung‘. ‚Schauspiel‘ usw. übersetzen. In diesem einleitenden poetologischen Kapitel ist mit ‚fabula‘ hingegen das allen Dichtungsgattungen inhärente Element des Fiktiven gemeint. Um dies ganz deutlich werden zu lassen, habe ich in der Überschrift und in dem wichtigen ersten Satz dieses Kapitels ‚fabula‘ mit ‚dichterische Erfindung‘ wiedergegeben. Da sich dies aus übersetzungstechnischen wie auch stilistischen Gründen nicht durchhalten ließ, habe ich für den restlichen Teil des Kapitels in Ermangelung eines wirklich treffenden deutschen Äquivalents aushilfsweise den Begriff ‚Geschichte‘ verwendet, der hier also ebenso gattungsübergreifend das fiktive Element aller Dichtung bezeichnen soll. S. 12, Z. 51 Callisthenes] Ein historisch nicht identifizierbarer Autor, der in der unechten, innerhalb der ‚Moralia’ überlieferten Plutarch-Schrift ‚Parallela’ (306F) mit einem Werk ‚Metamorphoses’ zitiert wird. – Parthenius] Ein griechischer Dichter des 1. Jh.s v. Chr., der seit 73 in Rom und Neapel lebte; er hat ein Buch ‚Metamorphoses’ verfaßt, die aber verloren sind. – quidam Theodorus] Ein nicht datierbarer griechischer Dichter, der mit seinen (nicht überlieferten) ‚Metamorphoses’ Ovid vermutlich als Quelle gedient hat. S. 12, Z. 53 in Graecam linguam conversi] Von dem byzantinischen Gelehrten Maximus Planudes (ca. 1260 – ca. 1310). I,2 S. 14, Z. 64 Orpheus] Der bekannte mythische Sänger, der auch als Verfasser der nur fragmentarisch überlieferten Orphischen Dichtungen angesehen wurde. – Musaeus] Mythischer Dichter der griechischen Frühzeit; galt als Sohn der Göttin Selene und Schüler des Orpheus. – Linus] Ebenfalls ein mythischer alter Dichter, Sohn Apollos und der Muse Terpichore, Lehrer von Orpheus und Herkules, der ihn, erzürnt über des Linus Kritik an seinem mangelhaften Spiel, mit der Lyra erschlagen haben soll. S. 14, Z. 77 opinio Aristotelis] Aristoteles: De coelo 1,10 (279b4–280a34). S. 14, Z. 78–79 Hermetem Trismegistum Aegyptium] Hermes Trismegistus ist der mythische Verfasser des Corpus Hermeticum, einer auf den Kult des ägyptischen Gottes Thot zurückgehenden Sammlung von griechischen und lateinischen Schriften magischen oder mystischen Inhalts (hauptsächlich mit neuplatonischer Tendenz). Der Zusatz ‚trismegistus’ zum Namen Hermes (der griechische Gott hier in Analogie zu dem ägyptischen Thot) bedeutet ‚der dreimal größte’. I,3 S. 16, Z. 93 Iapetus fuit Iaphet] Die Gleichsetzung Japhets, des dritten Sohns Noahs (Gen 5,32), mit dem Titanen Iapetus ist uralt, wie die Namensform ʼΙαπετός in der Septuaginta belegt (RE IX,1,721). S. 16, Z. 95 Titanas] Ein Göttergeschlecht, das aus der Verbindung des Uranus mit Gäa hervorging. Zu deren Kindern gehörte Iapetus, der Vater des Prometheus. S. 16, Z. 96 quorum septem numerantur] Vgl. Gen 10,2. S. 20, Z. 143 rota solis] Vgl. Apuleius: Met. 9,28,2; Lucretius 5,564. I,6 S. 22, Z. 187 Sylla] = Sulla. – Antonius] M. Antonius, der Triumvir und Verbündete Octavians, des späteren Augustus, im Kampf gegen die Caesar-Mörder, später, nach seiner Verbindung mit Kleopatra, dessen Gegner, paßt nur dann in diese Reihe von Beispielen für Diktatoren und Umstürzler, wenn man ihn aus der Sicht der Augusteischen Propaganda vor und nach der Schlacht bei Actium (31 v. Chr.) beurteilt, derzufolge er zum Schaden des Römischen Reiches in Ägypten die Errichtung einer orientalischen Despotie angestrebt habe.
Interpretatio
381
S. 24, Z. 198–199 Sacrae literae … à iusticia alienos] Den den Israeliten gegenüber feindselig eingestellten Völkerschaften wird im Alten Testament vielfach riesenhafter Wuchs zugeschrieben, so z. B. den von Josua besiegten Enakitern bzw. Anakitern (Dtn 2,10–11; Jos 11,21–22). Vgl. auch den Kampf Davids gegen den riesenhaften Philister Goliat (I Sam17). S. 24, Z. 206 Catilinae] Catilina, dessen Verschwörung zum Umsturz im Römischen Staat 63 v. Chr. von Cicero aufgedeckt und vereitelt worden war, fiel ein Jahr später (62 v. Chr.) in der Schlacht bei Pistoria. – Bruti, Cassii] Die Caesarmörder, die beide, nach ihrer Niederlage in der Schlacht bei Philippi (42 v. Chr.), Selbstmord begingen. – Diocletiani] In den letzten Jahren der Herrschaft Diokletians (römischer Kaiser 284–305), seit 303, fand die letzte, besonders grausame Christenverfolgung im Römischen Reich statt. Nach seiner Abdankung i.J. 305 zog sich der Kaiser ins Privatleben nach Spalatum (in Dalmatien) zurück, wo er nach einigen Jahren starb. Einigen Quellen zufolge soll er eines elenden Todes oder sogar durch Selbstmord gestorben sein (vgl. z. B. Lactantius: De mortibus persecutorum 42,3; Epitome de Caesaribus 39,7). S. 24, Z. 208 affinxerunt Gigantibus pedes anguinos] Vgl. Met. 1,184. S. 24, Z. 210 Ioachimus Camerarius] Joachim Camerarius d. Ä. (1500–1574), der berühmte deutsche Humanist und Freund Melanchthons. Zur ersten Information s. meinen Artikel in: Killy Literatur Lexikon, 2. Aufl. Bd. 2 (2008), S. 337–341. S. 24, Z. 213 Iacobi Sadoleti] Iacobus Sadoletus (1477–1547), italienischer Humanist, wurde 1513 Sekretär an der römischen Kurie, 1517 Bischof von Carpentras, 1536 Kardinal. Sein ‚Phaedrus‘ ist der erste Teil des aus zwei Dialogen bestehenden Werkes ‚De laudibus philosophiae‘, zuerst im Druck erschienen Lyon 1538. Zur ersten biographischen Information s. HGFN 1(2004), S. 543 f.; knappe Inhaltsangabe des genannten philosophischen Werkes bei Douglas: Jacopo Sadoleto (1959), S. 78–80. I,7 S. 26, Z. 228 fulminator] Vgl Arnobius: Adversus nationes 6,23; Apuleius: De mundo 37. S. 26, Z. 234–235 ex flagrante … crepitu] Hier ist wahrscheinlich an Geräusche im Kohlenmeiler bei der Herstellung von Holzkohle zu denken. I,8 S. 28, Z. 263–266 Constantinus Imperator … recidendum est] Galt späterhin als die Devise des Kaisers. Vgl. KaiserRäume – KaiserTräume. Forschen und Restaurieren in der Bamberger Residenz. Hg. von Johannes Erichsen u. a. München 2007, S. 229 (zu Nr. 9.03). I,11 Bezug: Met. 1,209–239. S. 32, Z. 316–317 Lycaon … acceperat] Erfindung Ovids. S. 34, Z. 323 antiquitas Iovem vocavit hospitalem] Vgl. Cicero: Epistolae ad Quintum fratrem 2,11; De finibus 3,66. I,12 S. 36, Z. 353 Atlanta insula] Der sagenhafte Inselkontinent Atlantis in der Nähe der Säulen des Herkules (heute Straße von Gibraltar), von dem Plato in den Dialogen Timaeus und Kritias berichtet. Er soll in einem Tag und einer Nacht im Meer versunken sein. I,13 S. 38, Z. 379 Iris ἀπὸ τοῦ εἴρειν] Diese auf Plato zurückgehende antike Namensdeutung ist heute ohne wissenschaftliche Relevanz. Die tatsächliche Etymologie des Namens der Göttin ist aber immer noch ungeklärt. S. 38, Z. 382 teste Lucilio Balbo] Lucilius Balbus war ein römischer Stoiker zur Zeit Ciceros. Dieser läßt ihn in seinem Werk ‚De natura deorum‘ als Gesprächspartner auftreten. I,14 S. 38, Z. 388 appellatur ἐννοσίγαιος] Häufig bei Homer. I,17 S. 40, Z. 413–414 similitudo nominis] Nämlich der griechischen Wörter λᾶός (‚Menschenmenge‘) und λᾶας, attisch kontrahiert zu λᾶς (‚Stein‘). I,18 Bezug: Met. 1,321. I,19 S. 42, Z. 429 Iovianus Pontanus in sua Urania] Iovianus Pontanus, eigtl. Giovanni Pontano (1426–1503) war ein neapolitanischer Staatsmann, Dichter und Geschichtsschrei-
382
Kommentar
ber. Zu seiner Biographie s. Kidwell: Pontano (1991); HGFN 1 (2004), S. 530; zu seiner ‚Urania‘, einem astronomisch-astrologischen Lehrgedicht: Roellenbleck: Das epische Lehrgedicht (1975), S. 92–96, 98–105, 110–114. I,22 Bezug: Met. 1,452–567. I,23 Bezug: Met. 1,452–567. I,24 Bezug: Met. 1,583–612. S. 46, Z. 477–478 mutato nomine Isis dicta] Und als diese Göttin verehrt (vgl. Met. 1,747). I,25 S. 48, Z. 501 Iovianus Pontanus] S. o. zu I,19,429. I,26 Bezug: Met. 1,689–712. II,1 S. 54, Z. 80 Catone] Der ältere Cato (Censorius), 234–149 v. Chr. II,2 S. 56, Z. 111 Ludovicus Sphortia] Ludovico Maria Sforza (1452–1508), 1479 vom König von Neapel mit dem Herzogtum Bari, 1495 von Kaiser Maximilian I. mit dem Herzogtum Mailand belehnt und in dieser Funktion in den Kreis der Reichsfürsten aufgenommen. Um seine durch König Alfons von Neapel-Sizilien (aufgrund von Erbansprüchen von dessen Tochter Isabella) bedrohte Herrschaft über Mailand zu sichern, ging er 1494 ein Bündnis mit dem französischen König Karl VIII. ein, der seinerseits Ansprüche auf das Königreich Neapel-Sizilien erhob. Als Karls VIII. Nachfolger Ludwig XII. Erbansprüche auf Mailand geltend machte, geriet Sforza in Gegensatz zu der von ihm selbst nach Italien geholten französischen Übermacht. Nach der Eroberung Mailands durch die Franzosen i.J. 1500 wurde er gefangen genommen und verbrachte den Rest seines Lebens in französischer Haft. – Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 5 (1995), Sp. 1583–1586 (Peter Schmid). S. 58, Z. 116 Angelus Policianus] Eigtl. Angelo Ambrogini Poliziano (1454–1494); der Beiname nach seinem Geburtsort Montepulciano. Der humanistische Philologe und vielseitige Dichter lehrte seit 1480 in Florenz als Professor für Latein, Griechisch und Rhetorik. Ergebnis seiner in jungen Jahren unternommenen Bemühungen um eine Übersetzung Homers ist die 1470–1475 entstandene metrische Übersetzung von vier Büchern der Ilias (Bücher II, III, IV und V) ins Lateinische: Angelus Politianus: Opera omnia, a cura di Ida Maïer. Tomus secundus: Opera ab Isidoro del Lungo edita Florentiae anno MDCCCLXVII. Torino 1970, S. 433–523. – DBI 2 (1960), S. 691–702; HGFN 1 (2004), S. 526 f. S. 58, Z. 118 Cardinalis Papiensis] Jacopo Ammannati deʼ Piccolomini (1422–1479), humanistisch hochgebildeter apostolischer Sekretär, Vertrauter und Adoptivsohn von Papst Pius II. (Aeneas Silvius Piccolomini); seit 1460 Bischof von Pavia, seit 1461 Kardinal. – DBI 2 (1960), S. 802 f.: HGFN 1 (2004), S. 28. II,3 Bezug: Met. 2,340–366. S. 58, Z. 126–127 In Liguria ad Eridanum] Hier geschah die Verwandlung (Met. 2,371 f.). Vgl. Plinius, Nat. hist. 37,31. II,4 Bezug: Met. 2,367–380. II,5 Bezug: Met. 2,401–507. II,6 Bezug: Met. 2,550–632. S. 60, Z. 162 Policianus] S. o. zu II,2,116. Sein Werk ‚Lamia‘, auf das hier Bezug genommen wird, ist eine Einführungsrede zu einer Vorlesung über des Aristoteles Analytica priora. II,11 Bezug: Met. 2,633–675. II,12 S. 66, Z. 227 Pompeio] Cn. Pompeius Magnus (106–48 v. Chr.), der große Gegenspieler Caesars, dem er 48 v. Chr. in der Schlacht bei Pharsalus, auf die er sich wider bessere Einsicht auf das Drängen seiner engsten Berater hin eingelassen hatte (Plutarch, Pompeius 67), endgültig unterlag.
Interpretatio
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II,16 S. 70, Z. 270 proverbium, sycophantae morsum esse incurabilem] Vgl. Erasmus: Adagia 1529 (Non inest remedium adversus sycophantae morsum): Opera omnia (Amsterdam) II-4, S. 40. II,17 Bezug: Met. 2,797–832. II,18 S. 72, Z. 286 quod ad historiam attinet] Zu den folgenden Ausführungen über die hinter der Europa-Sage stehende Realgeschichte s. die bei Hederich: Lexicon (1770), Sp. 1078 f., zusammengestellten Quellenhinweise. III,3 Bezug: Met. 3,138–252. S. 78, Z. 60–62 Ioannes Dantiscus … quos alunt] Johannes Dantiscus, eigtl. von Hoefen (1485– 1548), benannt nach seiner Heimatstadt Danzig, Dr. iur., als Diplomat in Diensten polnischer Könige, deutscher Kaiser (Maximilians I. und Karls V.) und Herzog Albrechts von Preußen, seit 1530 Bischof von Kulm, seit 1537 von Ermland, trat auch als neulateinischer Dichter hervor (1516 Krönung zum Poeta laureatus) und stand mit vielen Persönlichkeiten des politischen und geistigen Lebens seiner Zeit in Verbindung, darunter auch Sabinus selbst (vgl. die Gedichte an und von Dantiscus in: Sabinus: Poëmata [1563], S. 307–314, 316–318 u. 329–332). Eine Quelle für das ihm hier von Sabinus zugeschriebene Aperçu war nicht zu ermitteln. – ADB 4 (1876), S. 746–750 (Th. Hirsch); NDB 3 (1957), S. 512 f. (Anneliese Triller); Flood: Poets laureate 2 (2006), S. 429–431; VL 1520–1620, Bd. 2 (2012), Sp. 98–113 (Reimund Sdzuj). III,4 Bezug: Met. 3,253–309. S. 78, Z. 71 Vocabulum Cadmus … significat orientalem] Diese heute als gegenstandslos anzusehende etymologische Deutung des Namens Cadmus referiert noch Hederich: Lexicon (1770), Sp. 589. S. 78, Z. 72–73 Semele significat simulacrum] Volksetymologie, nahegelegt durch den Namen der mit Semele identifizierten Göttin Simila bei Livius 39,12,4 (in heute umstrittener Lesung). S. 78, Z. 75 Vocabulum Ino … significat idem, quod Fortuna] Diese Deutung des Namens ist nach moderner wissenschaftlicher Auffassung ohne jede Berechtigung; sein tatsächlicher Ursprung ist dunkel (vgl. RE XII,2,2293). Wie Sabinus zu seiner Deutung gelangt ist, war nicht zu ermitteln. III,5 Bezug: Met. 3,310–315. III,6 Bezug: Met. 3,326. III,7 S. 82, Z. 105–106 fingitur Nemesis … admiretur] Met. 3, 405–406. S. 82, Z. 108 Vitus Winshemius] Er hieß eigtl. Veit Oertel (1501–1570) und nannte sich als humanistischer Gelehrter nach seinem Geburtsort Windsheim, auch mit der Namensform Vinsemius. Als Schüler Melanchthons lehrte er an der Universität Wittenberg zunächst Rhetorik, dann Griechisch und schließlich, nach der Promotion zum Dr. med. (1550), Medizin. Publizistisch trat er vor allem als Übersetzer griechischer Autoren hervor. Daneben gibt es von ihm mehrere Orationes und Declamationes, die im Zusammenhang mit seiner Lehrtätigkeit in Wittenberg stehen. – ADB 43 (1898), S. 462 f. (Karl Hartfelder). III,8 S. 84, Z. 145 Imperatore Iuliano] Der vom christlichen Glauben abgefallene Iulianus Apostata, römischer Kaiser 360–363. III,10 S. 86, Z. 169–170 quὸd sunt appetentes vini] Besonders den Panthern bzw. den Leoparden sagte man im Altertum nach, daß sie gern Wein tränken und durch dessen Einsatz als Lockmittel gefangen werden könnten. Die Quellen sind zusammengestellt in RE XVIII,3,763. IV,2 S. 88, Z. 16 Lycurgus rex Thraciae] Sagenhafter Feind des Weingottes Bacchus. S. 88, Z. 18 Basilius Moscorum princeps] Vasilij III., Großfürst von Moskau (1479–1533). Zu dem Bierverbot vgl. Sigismund von Herberstein: Rerum Moscoviticarum commentarii (2007), S. 214. IV,7 Bezug: Met. 4,169–189.
384
Kommentar
S. 92, Z. 77–78 Neptunus … solvit] Homer: Od. 8,344–360. IV,8 S. 94, Z. 81–82 In Rhodo … sol conspiciatur] Vgl. Plinius: Nat. hist. 2,153: Auf Rhodos und in Syrakus sei der Himmel nie so bewölkt, daß nicht wenigstens zu irgendeiner Stunde die Sonne zu sehen sei. IV,9 S. 94, Z. 86 Arbor thurifera] Ein arabischer Baum, aus dessen Harz Weihrauch gewonnen wurde. IV,10 Bezug: Met. 4,256–270. IV,12 S. 96, Z. 105 Scython] Varia lectio. Heute liest man den Namen in der Form Sithon. S. 96, Z. 108–109 supra dictum est in fabula de Tiresia] S. o. III,6. IV,14 S. 96/98, Z. 124–125 Horum opera … educatus] Der kleine Jupiter wurde von den Cureten bzw. Korybanten auf dem Berg Ida großgezogen. IV,17 Bezug: Met. 4,389–415. S. 102, Z. 186 Mineides] Recte Minyeiades: Töchter des Minyas. IV,18 S. 102, Z. 199–200 Per Cerberum … divisa est] Die allegorische Deutung der drei Köpfe des Cerberus auf die drei Erdteile Europa, Asien, Afrika ist mittelalterlichen Ursprungs. Belege finden sich z. B. in: Scriptores rerum mythicarum (ed. Bode): Mythographus III,6,22 (S. 187); Petrus Allegherius (= Pietro Alighieri): Super Dantis ipsius genitoris comoediam commentarium (ed. Nannucci), S. 91. Vgl. hierzu Savage: The medieval tradition of Cerberus (1949–1951); Sandkühler: Die frühen Dantekommentare (1967), S. 191. IV,20 S. 106, Z. 266–267 de sanitate et mente deturbantur] Vgl. Cicero: In Pisonem 20,46. IV,21 S. 106, Z. 271 Thaumantis, hoc est admirationis] Der Name des Meergottes Thaumas, Vaters der Iris, wurde gewöhnlich mit griech. θαῦμα (‚Wunder‘, ‚Bewunderung‘) in Verbindung gebracht. S. 106, Z. 272–273 esse signum iudicii divini] Grundlage für diese Auffassung ist natürlich Gen 9, 12–13. S. 106/S. 108, Z. 273–275 Color ceruleus … per ignem] Vgl. LCI 3 (1971), Sp. 521 f. S. 108, Z. 275–276 Et docti viri … fiat arcus] Auf welche Philosophen diese Feststellung gemünzt ist, konnte ich nicht ermitteln. Tatsächlich haben sich von Aristoteles bis in die Frühe Neuzeit hinein Gelehrte um die Deutung dieses Naturphänomens bemüht. Der erste, der eine zutreffende Theorie für die Entstehung des Regenbogens entwickelte, war Isaac Newton. Vgl. hierzu das Kapitel ‚Über den Regenbogen‘ in: John Freely: Aristoteles in Oxford. Wie das finstere Mittelalter die moderne Wissenschaft begründete. Stuttgart 2014, S. 199–218. IV,23 Bezug: Met. 4,563–589. IV,24 S. 108, Z. 293–295 Imber aureus … expugnari auro] Diese Deutung war schon dem Altertum geläufig; vgl. z. B. Horaz: Carm. 3,16,1–16. Für die Frühe Neuzeit vgl. Boccaccio: De genealogia deorum gentilium, lib. 2, cap. 33 (Boccaccio: Tutte le opere, Bd. 7/8, S. 236). IV,25 S. 110, Z. 313–315 Nonnulli referunt … stuporem sint versi] Vgl. hierzu Heraclitus: Περὶ ἀπίστων (De incredibilibus) 1; Lukian: De domo 19. IV,26 S. 112, Z. 325 Carolus Imperator… spoliavit per Hispanos] Vgl. VII,5, 128–130. S. 112, Z. 325–326 Indiam … Chryseis insulis] ‚Goldinseln‘ (‚Islas de oro‘) nannte der spanische Seefahrer Álvaro de Saavedra die von ihm 1528 entdeckten Schouten-Inseln, eine Inselgruppe im Pazifischen Ozean, vor der Nordküste Neuguineas. Wenn Sabinus sie zu ‚Indien‘ zählt, ist hierunter also die Gesamtheit der ‚ostindischen‘ Inseln zu verstehen. S. 112, Z. 328–329 Ferunt eundem fuisse mathematum … et inventorem sphaerae] Diese Deutung der Figur des Atlas war bereits im Altertum verbreitet. Vgl. u. a. Diodor 3,60; 4,27; Plinius: Nat. hist. 2,31 (weitere Belege s. RE II/2, 2125). Für die Frühe Neuzeit vgl. Boccaccio: De genealogia deorum gentilium, lib. 4, cap. 31 (Boccaccio: Tutte le opere, Bd. 7/8, S. 436).
Interpretatio
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S. 112, Z. 330–331 quem incolae vocant columnam coeli] Vgl. Herodot 4,184. IV,27 Bezug: Met. 4,663–734. IV,28 S. 112, Z. 338 in Orcadibus insulis] Bezugnahme auf eine heute als korrupt geltende Lesart in der angeführten Plinius-Stelle (32,21). ‚Orcades‘ in modernen Editionen ersetzt durch ‚Stocchades‘. V,1 S. 116, Z. 5 in partes abstrahi] Vgl. Met. 5,93. V,2 Bezug: Met. 5,662–678. S. 118, Z. 32 Zoilus] Philosoph und Rhetor des 4. Jh.s v. Chr., der durch seine kleinliche und hämische Kritik an den Epen Homers in die Geschichte eingegangen ist. – Cercops] Er soll (nach Diogenes Laertius 2,46) ein dichtender Rivale Hesiods gewesen sein. – Amphimanes] Von der Insel Kos stammender legendärer Widersacher Pindars (nach Diogenes Laertius 2,46). – Thymocreon] Gemeint ist der Dichter Timokreon von Rhodos (5. Jh. v. Chr.), lt. Diogenes Laertius 2,46 Rivale des Dichters Simonides. S. 118, Z. 33 Bavius] Ein literarischer Gegner von Vergil und Horaz; von Vergil (Ecl. 3,90) als minderwertiger Poetaster verspottet. S. 118, Z. 34–35 Doletus … Erasmum Roterodamum] Der französische Humanist Stephanus Doletus, eigtl. Etienne Dolet (1509–1546), veröffentlichte 1535 unter dem Titel ‚Dialogus de imitatione Ciceroniana, adversus Desiderium Erasmum Roterodamum‘ eine Gegenschrift gegen des Erasmus ‚Ciceronianus‘ (als Reprint mit ausführlicher Einleitung 1974 neu hg. von E. V. Telle). Von schmutzigen Versen des Doletus auf Erasmus ist nichts bekannt. Vgl. aber seine Kritik an Erasmus in einem Epigramm an Iulius Caesar Scaliger, der ebenfalls den ‚Ciceronianus‘ ablehnte: Carmina 2,19 (ed. C. Langlois-Pézeret [2009], S. 414). Sabinus kritisiert ihn in zwei Distichen (In symbolum Stephani Doleti; In poemata eiusdem) als schlechten Dichter (Sabinus: Poëmata [1563], S. 286 f.). S. 118, Z. 47 ut Ovidius inquit] Met. 5,348. V,3 S. 120, Z. 51 Musae alis … effugiunt] Met. 5,287–288. S. 120, Z. 61–62 bellis in Saxonia … avolabant] Während des Schmalkaldischen Krieges (1546/47) wurde die Universität Wittenberg geschlossen, die Universität Leipzig nach Magdeburg verlegt. V,4 Bezug: Met. 5,269–293. V,5 S. 122, Z. 85 Hammon est Ham … originem idololatria] Nicht Ham bzw. Cham selbst, sondern sein erstgeborener Sohn Chus galt als Erfinder des Götzendienstes. So jedenfalls berichtet es Gregor von Tours in seiner Historia Francorum (1,5). V,7 Bezug: Met. 5,346–358. S. 124, Z. 110 τύφωμα] Zu dieser Form s. Theodorus II. Ducas Lascaris: Epist. 9,9; 11,1. V,8 S. 126, Z. 118 bona divisissent tripartito] Vgl. Cicero, Tusc. 5,40. V,9 S. 126, Z. 124 quae à proserpendo Proserpina esset dicta] Volksetymologie antiken Ursprungs (s. die Belege in RE, Suppl. IX,1286). S. 126, Z. 144 ] Der Stoiker Q. Lucilius Balbus (1. Jh. v. Chr.), den Cicero in ‚De natura deorum‘ als Gesprächspartner auftreten läßt. S. 126, Z. 147 Ennensium] = Hennensium, Einwohner der sizilischen Stadt Henna, wo sich ein berühmter Tempel der Ceres befand. S. 128, Z. 150 stagnum Palicorum] See in einem Vulkankrater in der Nähe der sizilischen Stadt Palica, heute Lago Naftia oder Lago dei Palici; aus ihm steigen Gase vulkanischen Ursprungs auf. V,10 Bezug: Met. 5,409–437. S. 128, Z. 155 Cirini Pismam] „Pisma Cirini“ als neuzeitlicher Name für die Quelle Cyane auch noch genannt bei Philippus Ferrarius: Lexicon geographicum (Editio nova, 1657), S. 524a.
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Kommentar
V,11 S. 128, Z. 163 Legendum igitur] Gegen die Überlieferung, die „parvaque […] lacerta“ verlangt. Ob die von Sabinus hier eingebrachte sonderbare Konjektur von ihm selbst stammt oder von anderswoher übernommen oder angeregt wurde, war nicht auszumachen. V,12 Bezug: Met. 5,533–550. V,13 S. 130, Z. 196 lectores … ex Academia Vitebergensi] Über die Person Philipp Melanchthons kam der Universität Wittenberg eine wichtige Funktion bei der Gründung wie bei der Stellenbesetzung der Universität Königsberg (1544), der dritten protestantischen Universität nach Wittenberg selbst und Marburg, zu. V,14 Bezug: Met. 5,572–641. VI,1 S. 138, Z. 34 ] Aus Chios stammender griechischer Philosoph (Stoiker) des 3. Jh.s v. Chr. VI,2 S. 138, Z. 47 Melanthonis] Sabinus verwendet hier (ebenso VIII,13,228) die auch von Melanchthon selbst verwendete vereinfachte und leichter auszusprechende Namensform. VI,4 S. 140, Z. 74 Hieronymus Cardanus] Eigtl. Girolamo Cardano (1501–1576), italienischer Mediziner, Naturforscher und Astrologe. Sabinus verweist hier auf sein naturkundliches Hauptwerk, betitelt ‚De subtilitate‘ (zuerst Nürnberg 1550). – DBI 19 (1976), S. 758–763 (G. Gliozzi); HGFN 1 (2004), S. 166 f.; Ersch-Gruber: Allgem. Encyclopädie, 1. Sektion (A–G), Tl. 15 (1826), S. 172–175. VI,6 S. 142, Z. 94 in his ] Die Ergänzung von „telis“ war sachlich geboten. Es handelt sich in dem von Sabinus angesprochenen Kontext um Sagen, die Pallas und Arachne in ihrem Wettstreit VI,53–128 auf ihren kunstvollen Webereien darstellen. VI,7 Bezug: Met. 6,114 (vgl. 5,268.280). VI,8 S. 146, Z. 135–136 Ioannes Tzetza] Ioannes Tzetzes (1110/12–1180/85), byzantinischer Gelehrter; kaiserlicher Sekretär und Privatlehrer für Rhetorik und Dichterauslegung. S. 146, Z. 148 Petrus Gravina] Italienischer neulateinischer Dichter (1452/54–1528/29). – DBI 58 (2002), S. 770–772 (M. Cerroni). S. 146, Z. 152 Pentris] Völkerschaft bei den Samnitern. VI,9 Bezug: Met. 6,313–381. VI,10 Bezug: Met. 6,382–400. VI,11 S. 150, Z. 210–211 proverbium ‚Pelopis talenta‘] Erasmus: Adagia 523: Opera omnia (Amsterdam) II-2 (1998), S. 46–48. VI,12 Bezug: Met. 6,412–674. S. 152, Z. 226 Ioannis Antonii Campani] Eigtl. Giovanni Antonio Campano (1429–1477), italienischer Humanist: Redner, Historiker, Philosoph und neulateinischer Dichter. – DBI 17 (1974), S. 424–429 (F. R. Hausmann); Lexikon des Mittelalters 2 (1983), Sp. 421 (ders.). VI,13 Bezug: Met. 6,668–670. S. 152, Z. 237 non gaudet sylvis, sed tectis] Vgl. Met. 6,668–669. S. 154, Z. 250 Laurentius Valla de voluptate] Dieses Werk von Laurentius Valla (1405–1457) ist ein philosophischer Dialog über stoische und epikureische Ethik. VI,14 S. 156, Z. 267 Strymonis filio] Dies nicht bei Plato. Vgl. Hederich: Lexicon (1770), Sp. 1807. VII,1 Bezug: Met. 7,3. S. 158, Z. 8 oppignorata] Frühneuzeitl. Nebenform zu ‚oppignerata‘. Vgl. Diefenbach: Glossarium (1857), S. 388c, s. v. ‚obpignorare‘. S. 158, Z. 13–15 Alphonsus rex Neapolitanus … constituisse] Von König Alfons V. von Aragon, Sizilien und Neapel (als König von Neapel Alfons I.; Regierungszeit 1416–1458), einem fähigen Staatsmann und Feldherrn und hochgebildeten Freund der Wissenschaften und Künste, waren
Interpretatio
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viele kluge und witzige Aussprüche in Umlauf, die von Antonio Beccadelli, gen. il Panormita (1394–1471) unter dem Titel ‚De dictis et factis Alphonsi regis‘ gesammelt herausgegeben wurden (Erstdruck Pisa 1485). Der hier mitgeteilte romfeindliche Ausspruch ist darin allerdings nicht enthalten; seine Quelle war nicht zu ermitteln. Er scheint aber ein unter Protestanten verbreiteter Gemeinplatz gewesen zu sein, wie das Epigramm Heinrich Meiboms d. Ä. aus seinem ‚Schediasmatum manipulus‘ (Helmstedt 1596) zu diesem Thema belegt (hier zitiert nach meiner Ausgabe von Meiboms Poemata selecta [2012], S. 234): „Harpyae Strophades quondam tenuere, sed illis Nunc Romae et media nidus in Italia.” VII,2 S. 160, Z. 24 Tzetzae Graeci] S. o. zu VI,8, 135–136. S. 160, Z. 28 Ἀβεσαλὼμ] Absalom, der Sohn König Davids, soll nach der biblischen Schilderung (II Sam 14,26) über einen ungemein üppigen Haarschopf verfügt haben. VII,3 S. 160, Z. 37–39 Ferunt Carolum Ducem Burgundiae … aureum vellus] Der Orden vom Goldenen Vlies wurde nicht von dem Burgunderherzog Karl dem Kühnen, sondern von dessen Vater, Philipp dem Guten, i.J. 1430 gestiftet. VII,5 S. 166, Z. 116 Suidas] Vermeintlicher Verfasser der ‚Suda‘, eines umfangreichen byzantinischen Lexikons aus dem 10. Jh. Der tatsächliche Verfasser ist unbekannt; ungeklärt ist auch der Hintergrund der Titelbezeichnung und des davon abgeleiteten legendären Verfassernamens. S. 166, Z. 129–130 Hispani, qui … aurum inde referrent] Vgl. IV,26, 325. – Indiam] Westindien. VII,7 S. 168 Zur Werwolf-Thematik in der Frühen Neuzeit s. die inhaltreiche Darstellung bei Roling: Physica sacra (2013), S. 246–274, zu vorliegendem Kapitel S. 261 f. S. 168, Z. 150–151 circa festum Ioannis Baptistae] Der Tag Johannes des Täufers (Johannestag) ist der 24. Juni. VII,8 Bezug: Met. 7,159–293. S. 170, Z. 160–161 figmentum … de quodam balneo] Sabinus meint sicher den 1548 entstandenen Schwank ‚Der jünckprünen’ von Hans Sachs, in: H. Sachs: Sämtl. Fabeln u. Schwänke, Bd. 1 (1953), S. 321–323. S. 170, Z. 162 Boiuca insula] Eine kleine Inselgruppe der Bahamas, 80 km östlich von Miami Beach; heutiger Name: Bimini. Vgl. Hopkins: The fountain of youth (1905), S. 23. S. 170, Z. 164–165 Petrus Martyr Anglerius Mediolanensis] Eigtl. Pietro Martire d’Anghiera (1457–1526), nicht aus Mailand, sondern aus Arona / Lago Maggiore gebürtig, italienischer Humanist: Diplomat und Historiograph. – DBI 3 (1961), S. 257–260 (R. Almagià); HGFN 1 (2004), S. 37 f. S. 170, Z. 165–168 novi quendam impostorem … vix ut quadragenarius videretur] Eine Quelle, die diesen Bericht bestätigt, kann ich nicht nachweisen. Bei jenem Betrüger handelt es sich aber offenbar um den Alchemisten Dominicus Blanckenfeld, der am Hof des brandenburgischen Kurfürsten Joachim I. (1484–1535) irgendwann zwischen 1530 und 1535 seine Künste praktiziert hatte und nach dessen Tode diese beim Herzog Albrecht von Preußen fortzusetzen gedachte. Aus einem die Dienste Blanckenfelds empfehlenden Brief seines Vetters Lorenz Waldau an Herzog Albrecht, datiert Berlin, 29. April 1537, geht hervor, daß Blanckenfeld während seines Engagements bei Joachim I. mit dessen Erlaubnis dem Herzog Karl von Egmond, Herzog von Geldern (1467–1538; s. ADB 15 [1882], S. 288–292 [P. L. Müller]), einen Besuch abgestattet hatte und von diesem reich beschenkt wieder zurückgekehrt war. Der Brief ist, mit Regest und Kommentar, abgedruckt bei Anselmino: Medizin u. Pharmazie am Hofe Herzog Albrechts von Preußen (2003), S. 282–285; auszugsweise und sprachlich modernisiert bei Voigt: Deutsches Hofleben (1927), S. 119–121. Biographische Daten zu Blanckenfeld sind zusammengestellt bei Anselmino, a. a. O., S. 149–152.
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Kommentar
S. 170, Z. 167 aurum potabile] Trinkgold, wichtiges Arzneimittel der alchemistischen Medizin. S. die Erläuterung bei Anselmino: Medizin u. Pharmazie am Hofe Herzog Albrechts von Preußen (2003), S. 258 f. VII,14 S. 174, Z. 223–224 In Marathone … cui nomen Tauro] Zu dieser realhistorischen Deutung des kretischen Stiers ließ sich keine Quelle ermitteln. S. 174, Z. 224–226 In Cromyone … vulgus suem appellabat] Diese Deutung der Kromyonischen Sau bei Plutarch: Vitae: Theseus 9. VII,15 S. 180, Z. 303 Laptae] Laptau, ein Dorf in Ostpreußen, nördlich von Königsberg. VII,18 S. 182, Z. 322 Oraculum Themidis] Der Vers 7,762, auf den Sabinus hiermit Bezug nimmt, gilt heute als unecht. S. 182, Z. 336–337 Marchiacus … latro cognomento Lepus, à quo Saxonia … vexata est] Sabinus meint offenbar den durch Kleists Erzählung ‚Michael Kohlhaas‘ berühmt gewordenen Hans Kohlhase (ca. 1500–1540), einen Kaufmann in Cölln, der Schwesterstadt Berlins, der von 1534 an eine Fehde gegen das Kurfürstentum Sachsen ausfocht, weil er sich von dem sächsischen Adligen Günter von Zeschwitz geschädigt sah und nach Einleitung verschiedener vergeblicher Versuche, zu seinem Recht zu kommen, den ordentlichen Rechtsweg als aussichtslos betrachtete. In den folgenden sechs Jahren unternahm er Brandstiftungen und Raubzüge. Nach einem Überfall auf einen Silbertransport für den Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg im Februar 1540 wurde er in Berlin (unter Bruch der kurfürstlichen Zusage auf freies Geleit) festgenommen und am 22. März 1540 hingerichtet. – ADB 16 (1882), S. 448–450 (Rochus von Liliencron); NDB 12 (1979), S. 427 f. (Wolfgang Ribbe). VII,19 S. 182, Z. 340 Attila rex … gladium Martis] Jordanes erzählt in seiner Gotengeschichte (Getica 35), daß der Hunnenkönig Attila (gest. 453) im Besitz des Schwertes des Kriegsgottes Mars (aufgefunden von einem Hirten auf einer Weide) gewesen sei und deshalb in dem Rufe gestanden habe, zum unüberwindlichen Kriegsmann und Herrscher über die Welt bestimmt zu sein. S. 182, Z. 345 Ioannes Tzetza] S. o. zu VI,8, 135–136. S. 182, Z. 347 Vulpe, Thebanorum hoste] S. o. VII,18, 333–335. VII,20 Bezug: Met. 7,796–862. VIII,1 S. 186, Z. 25 historia de Romilda Foroiuliensi] Die Geschichte von Romilda, der Herzogin von Friaul (7. Jh.), die dem Avarenkönig Cacanus unter den genannten Umständen die Tore der von ihm belagerten Stadt Cividale öffnen ließ, wird erzählt bei Paulus Diaconus: Historia Langobardorum 4,37. VIII,3 S. 188, Z. 42–43 poëtae commenti sunt … exagitatus] So Plutarch: Vitae: Theseus 16: Die attischen Trauerspieldichter hätten Minos von der Bühne her in Verruf gebracht. VIII,4 Bezug: Met. 8,155–182. VIII,5 S. 190, Z. 56 Daedali alae … vela navium] Antike Belege für diese rationalistische Deutung der Flügel als Segel sind verzeichnet in RE IV,2,2006, Z. 8–20. VIII,7 S. 192, Z. 97–98 Aper Calydonius … Pheae mulieris filius] S. o. zu VII,14, 224–226: Wenn die Kromyonische Sau in Wahrheit die Straßenräuberin Phaea war, dann liegt es nahe, deren Sprößling, den Kalydonischen Eber, auch als einen Straßenräuber zu sehen. VIII,10 Bezug: Met. 8,526–546. S. 198, Z. 191–192 Sicut peregrinae … aves … Parisiae aves dicuntur] Der Parisvogel, aus der Familie der Finken, ist auch unter mehreren anderen Namen bekannt. Der heute gebräuchliche ist Hakengimpel. Er ist in Ostpreußen unregelmäßiger Wintergast. S. 198/200, Z. 195–196 gallinae Indicae] ‚gallina Indica‘ meint zweifellos dasselbe wie ‚meleagris‘, nämlich das Perlhuhn, das nach dem Untergang des Römischen Reiches aus ganz
Interpretatio
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Europa verschwunden war und erst wieder im 15. Jh. von den Portugiesen aus Angola eingeführt wurde. VIII,11 S. 200, Z. 203–205 Ermergunt etiam in mari insulae … protrudit] Vgl. XV,2, 33–35. VIII,13 Bezug: Met. 8,730–737. S. 202, Z. 228 Melanthon] S. o. zu VI,2, 47. S. 202, Z. 238 Suida] S. o. zu VII,5, 116. S. 202, Z. 239 Caelium Calcagninum] Eigtl. Celio Calcagnini (1479–1541), vielseitiger italienischer Gelehrter und Dichter. – DBI 16 (1973), S. 492–498 (V. Marchetti); Ersch-Gruber, Sektion 1 (A–G), Tl. 14, S. 106. S. 202, Z. 239–240 Is per Protea intelligit veritatem] Die hierzu im folgenden zitierte Stelle war in den mir zugänglichen Schriften Calcagninis (Opera aliquot. Basel 1544; De verborum et rerum significatione. Paris 1547) nicht zu finden. S.s Hinweis scheint aber zuverlässig, denn Friedrich Taubmann schreibt im selben Sinne in seinem Vergil-Kommentar: „Cael. Calcagninus per Protea Veritatem intelligit, quae in abdito latens difficulter deprehenditur.“ (P. Virgilii Maronis Opera omnia […] cum commentario F. Taubmanni. Wittenberg 1618, S. 283). Oder hat Taubmann seine Information vielleicht von Sabinus bezogen? S. 204, Z. 249 Aristaei] Aristaeus ist ein alter griechischer Bauerngott, als solcher segenspendender Wohltäter, besonders bekannt als Erfinder und Meister der Bienenzucht. VIII,14 S. 204, Z. 254 Petrus Bembus] Eigtl. Pietro Bembo (1470–1547), italienischer Humanist (Philologe, neulateinischer Dichter und Historiker), seit 1540 Bischof von Gubbio, seit 1544 von Bergamo. Sabinus traf mit ihm auf seiner Italienreise (1533/34) zusammen. Vgl. IX,9, 112. – DBI 8 (1966), S. 133–151 (C. Dionisotti); HGFN 1 (2004), S. 85 f. S. 204, Z. 256–257 Hieronymus Cardanus] S. o. zu VI,4, 74. VIII,15 S. 206, Z. 277–278 Historiae tradunt … vervecem et porcellum] An diesem ‚Freßkünstler‘ soll der Kaiser Aurelianus (270–275 n. Chr.) seinen Spaß gehabt haben, wie die Historia Augusta berichtet: Scriptores Historiae Augustae 26: Flavius Vopiscus: Aurelianus 50,4. S. 206, Z. 282 Herodem] Herodes der Große (ca. 73–4 v. Chr.), der den im Matthäus-Evangelium berichteten Kindermord befohlen haben soll. IX,2 S. 210, Z. 29–30 Alphonsus rex Neapolitanus … minas iactanti] Zu König Alfons von Neapel s. o. zu VII,1. Eine Quelle für diese Anekdote ließ sich nicht ermitteln. IX,5 S. 212, Z. 48–50 Sic maior ille Africanus … ab hostibus recepit] Der Vater von P. Cornelius Scipio Africanus d. Ä. (ca. 235–183 v. Chr.) war in der Schlacht am Ticino (218 v. Chr.), bei der die Römer Hannibal im Zweiten Punischen Krieg unterlagen, verwundet worden. Sein Sohn, damals im Alter von ca. siebzehn Jahren, rettete ihn (Polybius 10,3). S. 212, Z. 50–51 cumque Hispaniense bellum … contradicentibus] Scipio bewarb sich im Alter von kaum 24 Jahren erfolgreich um den Oberbefehl der römischen Truppen in Spanien. Als gleich nach seiner Wahl Bedenken wegen seines noch jugendlichen Alters aufkamen, wies er diese in einer begeisternden, die Stärke seiner Persönlichkeit offenbarenden und alle Zweifler beruhigenden Rede zurück (Livius 26,18,7–19,4). S. 212, Z. 51–52 Sic et Octavius Caesar … professus est] Sabinus denkt hier an das gegen M. Antonius gerichtete militärische Eingreifen des 18jährigen Octavian (des späteren Augustus) zugunsten des Caesarmörders D. Iunius Brutus in der Schlacht bei Mutina (Gallia cisalpina) am 21. April 44 v. Chr. IX,6 S. 212, Z. 68 Tzetza] S. o. zu VI,8,135–136. IX,7 S. 214, Z. 80 Lysandri] Lysander war ein bedeutender spartanischer Feldherr und Diplomat (gest. 395 v. Chr.). IX,9 S. 216, Z. 110 Iovianus Pontanus] S. o. zu I,19, 429.
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Kommentar
S. 216, Z. 112 Petre Bembe] Das 7. Buch von Pontanusʼ Werk ‚De rebus coelestibus‘, aus dem der hier zitierte Passus stammt, ist Petrus Bembus (s. o. zu VIII,14,254) gewidmet. S. 218, Z. 140 Hesiodi interpres] Ioannes (Diaconus) Galenus (vermutl. 1. Hälfte des 12. Jh.s; s. Tusculum-Lexikon griech. u. lat. Autoren [31982], S. 264), von dem allegorisierende Scholien zu Hesiods Theogonie überliefert sind (ed. Flach, 1876). S. 218, Z. 154–155 Nicolaus Leonicus] Nicolaus Leonicus Thomaeus, eigtl Niccolò Leonico Tomeo (1456–1531), italienischer Gräzist und Philosoph, wirkte als Professor für Latein und Griechisch an der Universität Padua. – DBI 64 (2005), S. 617–621 (E. Russo); HGFN 1 (2004), S. 403. IX,11 Bezug: Met. 9,211–229. IX,13 S. 224 Die Sage von den Krügen der Beliden steht hier verkehrt (offenbar Versehen des Autors). Sie hätte eigentlich an den Anfang von Buch X gehört. S. 224, Z. 240 De Sisyphi saxo … libro 4] S. o. IV,19. IX,15 S. 226, Z. 254–255 Aiunt enim loton … ut quercum] Quelle nicht ermittelt. IX,16 S. 226 Auch hier hat sich Sabinus in der Reihenfolge vertan. Der Hinweis auf die eheliche Verbindung von Hebe und Herkules gehörte eigentlich hinter IX,17. IX,22 S. 230, Z. 305–306 Ptolomeus Ceraunus … Arsinoem] Philipp Keraunos, ältester Sohn des Makedonenkönigs Philipp I. Soter, 281–279 v. Chr. König von Makedonien, heiratete seine Halbschwester Arsinoë und erhob sie zur Königin (Iustinus 24,2; 24,3,2). S. 230, Z. 306–307 Papa Alexander VI. … Lucretiam] Das auf Verleumdungen beruhende und zur Zeit der Reformation von protestantischer Seite gern zur Verunglimpfung des Papsttums benutzte Gerücht, daß Rodrigo de Borgia (1431–1503) als Papst Alexander VI. (1492–1503) Inzest mit seiner Tochter Lucrezia (1480–1519) unterhalten habe, hatte seinen Ursprung in der moralischen Bedenkenlosigkeit, mit der dieser Papst, im Verein mit seinem verbrecherischen Sohn Cesare, in der Art eines italienischen Renaissancefürsten Macht und Einfluß seiner Familie zu mehren suchte. S. 230, Z. 308 Lucretia nomine] Anspielung auf die berühmte sittenstrenge römische Ehefrau dieses Namens, die von dem Sohn des Tarquinius Superbus, des letzten römischen Königs, vergewaltigt wurde und sich, um mit dieser Schmach nicht weiterleben zu müssen, erstach. S. 230, Z. 309 Thais] Eine berühmte Athener Hetäre im 4. Jh. v. Chr. IX,23 S. 232, Z. 322–323 Chimeram … rhetoricae partibus] Diese allegorische Auslegung der Chimaera findet sich auch bei dem italienischen Humanisten Ludovicus Caelius Rhodiginus (1469–1525): in seinen ‚Lectionum antiquarum libri XXX‘ (Basel 1550), lib. 13, cap. 9, S. 478. X,1 S. 234, Z. 5 Audivi fabulam Orpheae similem] Die älteste Quelle für die Sage, die Sabinus im folgenden erzählt, sind Luthers Tischreden, in der Weimarer Ausgabe Bd. 3 (1914), Nr. 3676, S. 517. Unter der Überschrift ‚Johann von Passau‘ findet sie sich nach dieser Quelle in den ‚Deutschen Sagen‘ der Brüder Grimm (ed. Rölleke [1994], S. 148 f.). Die in Kirchhofs ‚Wendunmuth‘ V,256 (ed. Oesterley, Bd. 3 [1869], S. 515 f.) mitgeteilte Version wird auf den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen zurückgeführt, der sie in einer Runde „gelehrter leuthe“ (S. 515) erzählt haben soll. Weitere Bearbeitungen des Stoffes führt Oesterley in Bd. 5 (1869), S. 138, seiner Ausgabe an. X,2 Bezug: Met. 10,65–67. X,3 Bezug: Met. 10,68–71. S. 236, Z. 37 culpam esse … non pertinenti] Wörtlich zitiert nach Digesta 50,17,36. X,4 S. 238, Z. 52–53 pisces exertis … Adriatico concionantem] Es handelt sich um die sicher bekannteste Legende aus dem Leben des hl. Antonius von Padua: Als die Einwohner der an der italienischen Adria gelegenen Stadt Rimini ihn nicht hören wollten, predigte er an der Meeres-
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küste. Dort streckten die Fische ihre Köpfe aus dem Wasser und hörten ihm zu, und durch dieses Wunder bekehrten sich die Bürger von Rimini. S. 238, Z. 55 sic enim monachi … fabulantur] Der Ausspruch des hl. Bernhard, er habe keine anderen Lehrer als Eichen und Buchen gehabt, weil ihm alles, was er von der Hl. Schrift verstanden habe, bei kontemplativen Spaziergängen durch Wald und Feld aufgegangen sei, steht in der Bernhard-Vita seines Ordensbruders Wilhelm von Saint Thierry, Kap. 4, § 23 (in der Ausgabe von Paul Sinz in deutscher Übersetzung [1962], S. 57). X,7 S. 240, Z. 82 in Cretam Iovi missum] ‚Jupiter‘ hier als der Name eines Königs von Kreta. Vgl. II,18, 287–288. X,8 S. 240, Z. 88 Lazarus Bonamicus] Eigtl. Lazzaro Bonamico (1477/78–1552), italienischer Humanist, lehrte als Professor für Latein und Griechisch an der Universität Padua; dort wird Sabinus während seiner Italien-Reise (1533/34) die Vergil-Vorlesung, von der er im folgenden berichtet, gehört haben. Zu Bonamicus s. DBI 11 (1969), S. 533–540 (R. Avesani); HGFN 1 (2004), S. 119 f. S. 240, Z. 94 sicuti aliquoties iam dictum est] Vgl. I,21, 452–453; II,10, 206; III,5, 85–86. X,11 S. 242, Z. 115 Similis fabula narratur de divo Francisco] Die im folgenden erzählte Geschichte steht in Bonaventuras ‚Legenda (maior) S. Francisci‘, cap. 5,4: Bonaventura: Legendae duae de vita S. Francisci Seraphici (1923), S. 47 f. X,12 S. 244, Z. 142 versiculos Aeneae Sylvii] Das im folgenden zitierte Distichon, bei den Zeitgenossen sehr bekannt, wurde allgemein dem italienischen Humanisten Aeneas Sylvius (1405–1464), dem späteren Papst Pius II., zugeschrieben, ist aber unter seinen Werken nicht nachweisbar. S. 244, Z. 145–146 Narratur fabula … par calceorum] Diesen Schwank (‚Der Teufel mit dem alten Weib‘) verarbeitete Hans Sachs 1545 zu einem Fastnachtspiel; Textausgabe: Hans Sachs: Dreizehn Fastnachtspiele aus den Jahren 1539–1550, hg. von E. Goetze (21957), S. 93–104. Er findet sich auch in Kirchhofs ‚Wendunmuth‘ I,366: ‚Von einem weib, das erger und böser war denn der teufel‘ (ed. Oesterley, Bd. 1 [1869], S. 402–404). Hinweise zur Verbreitung des Stoffes gibt Oesterley in Bd. 5 (1869), S. 60, seiner Ausgabe. Vgl. auch Stanislaus Prato: Vergleichende Mitteilungen zu Hans Sachs Fastnachtspiel Der Teufel mit dem alten Weib. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 9 (1899), S. 189–194 u. 311–321. X,14 S. 248, Z. 179 Pontanus primo de stellis] Zu Pontanus und seiner ‚Urania‘, aus der das folgende Zitat stamt, s. o. zu I,19, 429. XI,1 Bezug: Met. 11,1–66. XI,2 Bezug: Met. 11,50–55. XI,4 S. 254, Z. 57–59 Ubaldus Feretrius, Urbini dux … si sapientia veneat] Dieser (Guidus) Ubaldus Feretrius war Guidobaldo I. da Montefeltro (1472–1508), seit 1482 Herzog von Urbino, bekannt als Förderer von Literatur und Kunst. An seinem Hof entstand Baldassare Castigliones Werk ‚Il Cortegiano‘. Auf welche Quelle Sabinus mit seinem Zitat des Ausspruchs des Herzogs über den Wert der Weisheit zurückgegriffen hat, war nicht zu ermitteln. S. 254, Z. 63 semiliterati] Vgl. Hoven: Lexique (22006), S. 504. S. 254, Z. 67–68 Antaeus Scytharum rex … quàm cantu et symphonia] Dieser König der Skythen (um die Mitte des 4. Jh.s v. Chr.) hieß eigtl. Ateas. Seinen Ausspruch, getan anläßlich der Gefangennahme eines ausgezeichneten Flötenspielers, der dem König zur Bewunderung aller Anwesenden vorgespielt hatte, überliefert Plutarch in den Apophthegmata (174 F), ferner auch in zwei anderen Schriften seiner Moralia: De Alexandri Magni fortuna aut virtute (334 B); Non posse suaviter vivi secundum Epicurum (1095 F).
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Kommentar
S. 254, Z. 76 coryceos] Vgl. Hoven: Lexique (22006), S. 137 s. v. corycaeus. S. 256, Z. 82–83 aiunt Midam habuisse oppidulum … haberet asini aures] So bei Suidas: Lexicon (ed. Adler), μ 1036 (pars 3, S. 393). XI,5 Bezug: Met. 11,180–193. XI,7 Bezug: Met. 11,234–246. XI,12 Bezug: Met. 11,410–748. S. 264, Z. 186–187 ut Plutarchus … de industria animalium] Die vorstehende eingehende Schilderung des Nestbaus ist dieser Schrift Plutarchs entnommen (hier 983 C–E). XI,13 S. 264, Z. 190–191 Cimmerios … Puteolos] So bei Strabo 5,4,5 C 244. Vgl. dazu RE XI,1,425 f., § 51. S. 264, Z. 195 Riphaeum] Das Riphaeische Gebirge im äußersten Norden Skythiens. – Calphium] Ein Gebirge dieses Namens ist nicht bekannt. Wohl nicht mehr aufklärbarer Druckfehler oder Irrtum des Autors. XI,15 S. 266, Z. 218–219 in apologis traditur … naufragio amisisse merces] Eine Quelle für diese Deutung war nicht zu ermitteln. XII,2 Bezug: Met. 12,23–38. XII,3 S. 268, Z. 22 πολλὰ κενὰ τοῦ πολέμον] Bekanntes Sprichwort. Vgl. u. a. Diodor 20,30,1; 20,67,4; Polybius 29,16,3; Aristoteles: Eth. Nicom. 1116 b7. – Die Lesart καινὰ in allen drei Drucken, in A in der sich anschließenden lateinischen Version korrekt, aber in den Kontext nicht passend mit ‚nova‘ übersetzt, beruht wahrscheinlich auf einem Hörfehler bei der Entstehung der Vorlesungsnachschrift. XII,7 S. 272, Z. 68–69 Ioannem … annos trecentos] Von diesem legendären Leibknappen Karls des Großen, Ioannes de Temporibus, wurde berichtet, daß er ein Alter von 361 Jahren erreicht habe. Vgl. die Quellenübersicht bei Wesselski: Der Schmied von Jüterbog im Kiffhäuser (1936/37), S. 209–212. S. 272, Z. 69 Baptista Mantuanus] Eigtl. Giovanni Battista Spagnoli (1447–1516), italienischer Theologe, Karmelitermönch; humanistischer Dichter und Prosaschriftsteller (s. HGFN 1, S. 63 f.). S. 272, Z. 70 meminerunt et multi annalium scriptores] Zusätzlich zu den von Wesselski angeführten Zeugnissen vgl. auch: Eulogium historiarum sive temporis (ed. F. Scott Haydon), vol. 1 (1858), S. 386, zum Jahr 1148: „Hoc anno quidam Johannes, qui fuit armiger Karoli Magni, obiit; a quo Karolo fluxerunt anni CCCLXI.“ XII,10 Bezug: Met. 12,210–535. XII,11 S. 276, Z. 120 non ex caede … rusticorum] Eine für die Zeit und einen Vertreter des deutschen Humanismus ungewöhnlich deutliche Kritik an der Rolle der Fürsten im deutschen Bauernkrieg, verglichen z. B. mit der äußerst vorsichtigen Haltung des Joachim Camerarius in seiner vermutlich 1527/28 geschriebenen, aber erst 1568 von seinem Sohn Ludwig innerhalb der Sammlung ‚Libellus continens eclogas et alia quaedam poëmatia‘ herausgegebenen 1. Ekloge, die an sich schon wegen der Behandlung des Themas innerhalb der humanistischen Belletristik hervorsticht; in meiner Ausgabe: J. Camerarius: Eclogae / Die Eklogen (2004), S. 2–5 (Text) u. 218–223 (Kommentar). XIII,2 S. 302, Z. 302–303 erat in fatis] Nach Ovid: Fasti 1,481. XIII,3 Bezug: Met. 13,110. XIII,5 S. 310 Gehörte der Themenfolge der Quelle nach eigtl. hinter XIII,6. XIII,7 Bezug: Met. 13,399–575. XIII,8 S. 316, Z. 473–474 Quid puer Ascanius … occubat umbris] Diese beiden im Originaltext der Aeneis gar nicht aufeinander folgenden Verse (eine sehr sinnvolle Kombination aus Aen.
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3,339 u. 1,547) werden auch von Erasmus als Beispiel für eine Worthäufung benutzt, und zwar im 3. Buch seines ‚Ecclesiastes‘: Opera omnia (Amsterdam) V-5, S. 64. XIII,9 Bezug: Met. 13,576–622. XIII,10 Bezug: Met. 13,643–674. XIII,11 S. 318, Z. 512–513 Orbicularis verò oculus … formam galeae] Eine neuzeitliche rationalistische Deutung, die auch von Hederich: Lexicon (1770), Sp. 835, angeführt wird. XIII,12 S. 320, Z. 531 Marius Aretius Syracusanus] Claudius Marius Aretius, eigtl. Claudio Mario Arezzo, italienischer Humanist, Historiker, stammte aus Syrakus; seine genauen Lebensdaten sind nicht bekannt (geb. ca. 1500, gest, nach 1575). – DBI 4 (1962), S. 106–108 (R. Zapperi). XIII,13 Bezug: Met. 13,898–968. S. 322, Z. 544 Iovianus Pontanus] S. o. zu I,19, 429. S. 322, Z. 548 quingentorum stadiorum] Ein olympisches Stadion beträgt als Längenmaß ca. 1,90 m. XIV,3 S. 324, Z. 17 Baptista Mantuano] S. o. zu XII,7, 69. S. 326, Z. 26–27 Marcelli Palingenii] Marcellus Palingenius Stellatus ist Pseudonym für den italienischen Humanisten Pier Angelo Manzoli (Manzolli), über den kaum etwas bekannt ist (geb. ca. 1500, gest. vor 1551). Das einzige von ihm bekannte Werk, ‚Zodiacus vitae‘ (zuerst Venedig o. J., zwischen 1534 u. 1538, dann Basel 1537), eine Lehrdichtung, eingeteilt nach den zwölf Tierkreiszeichen, wurde auf den Index librorum prohibitorum gesetzt, erfreute sich bei Protestanten aber großer Beliebtheit. – DBI 69 (2007), S. 294–298 (M. Palumbo). XIV,5 Bezug: Met. 14,167–222.233–242. S. 326, Z. 49 Carolus V. Imperator Turcam, Pontificem et Gallum] Anspielung auf die Feldzüge Kaiser Karls V. (Regierungszeit 1519–1556) gegen die Osmanen unter Sultan Süleyman I. (Regierungszeit 1520–1566) und die Kriege mit dem französischen König Franz I. (Regierungszeit 1515– 1547) in Oberitalien, in die auch Papst Clemens VII. (Amtszeit 1523–1534) hineingezogen wurde, als er sich auf die Seite Frankreichs stellte. XIV,7 S. 328, Z. 70 Dicta … Circe filia Solis] Met. 14,346. XIV,8 S. 330, Z. 83 Hic] Bei Homer, Od. 10,302–305. XIV,9 S. 330, Z. 87 Ianus fuit Ion] Die Gleichsetzung Ions, des Sohnes Apollos und der Creusa und Stammvaters der Ionier, mit dem römischen Gott Ianus findet sich bei Pseudo-Aurelius Victor: Origo gentis Romanae 2,4. Ebendieser Quelle zufolge (dort 1,3; 3,1) war Ianus Stammvater der Römer. XIV,14 S. 334, Z. 126–127 sicut antea dictum est] Vgl. V,7. XIV,19 Bezug: Met. 14,622–697. S. 338, Z. 173–174 Nam annus, ut apud Graecos … à vertendo] Es ist nicht ersichtlich, wie das griechische ἐνιαυτός (‚Jahr‘) etymologisch zu dem lateinischen Vertumnus in Beziehung stehen soll. XIV,21 S. 340, Z. 191–192 milites sacratos … ad Vadimonis lacum … scatentem] Der Vadimonis lacus ist ein schwefelhaltiger See ca. 70 km nördlich von Rom (heute Lago di Bassano), erwähnt bei Plinius d. Ä.: Nat. hist. 2,209; beschrieben bei Plinius d.J.: Epist. 8,20. Plinius d.J. schreibt zwar, daß der See geweiht („sacer“) sei – weshalb auf ihm auch keine Schiffe führen –, aber für des Sabinus Meinung, daß in dem See römische Soldaten geweiht worden seien, gibt es weder bei ihm noch sonst in der antiken Literatur irgendwelche Anhaltspunkte. XV,2 S. 346, Z. 32 nuper multae urbes in Belgico mersae sunt] Vermutlich denkt Sabinus an die Sturmfluten der Jahre 1530/31 und 1551, die in den Niederlanden furchtbare Überschwemmungen zur Folge hatten. 1531 wurde u. a. die Stadt Borselen auf der Insel Süd-Beveland vernich-
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Kommentar
tet. Vgl. Historische Übersicht der Überschwemmungen Hollands [Auszug aus Albert Wild: Die Niederlande. Bd. 1. Leipzig 1862]. In: Zeitschrift für allgemeine Erdkunde N.F. 12 (1862), S. 373– 378, hier S. 376. S. 346, Z. 34 Puteolis in Italia mons erupit è mari] Sabinus meint den Monte nuovo, einen 133 m hohen Berg am Golf von Neapel, auf den Phlegräischen Feldern, im Gemeindegebiet der Stadt Pozzuoli gelegen, der 1538 bei einem Vulkanausbruch entstanden ist. Dicht bei dem Berg liegt der Averner See, dessen Zugang zum Meer bei diesem Vulkanausbruch zugeschüttet wurde. Vermutlich ist die frühere Verbindung des Averner Sees zum Meer Hintergrund für die von Sabinus vertretene irrige Auffassung, daß der Berg aus dem Meer aufgestiegen sei. S. 346, Z. 37 anno 1460. in Alpibus … in cuniculo] Quelle für diese Mitteilung ist B. Fulgosius: De dictis factisque memorabilibus, lib. 1, cap. 6 (De mirabilibus), in der von mir eingesehenen Ausgabe Mailand 1509, Bl. f8r: In einem Bergwerk in der Schweiz, nahe Bern, habe man 1460 ein Schiff entdeckt, sehr ähnlich einem solchen, mit dem man Meere befahre, nebst Leichen von 40 Menschen sowie Ankern und zerrissenen Segeln. XV,3 S. 346, Z. 43 Francofordiae ad Oderam est similis fons] Offenbar eine stark mineralhaltige Quelle. Näheres hierzu ließ sich nicht ermitteln. XV,5 S. 348, Z. 59 Riphaeos montes] S. o. zu XI,13, 195. XV,9 S. 350, Z. 86–88 imperante Vitellio … Nero occiderat] Hierüber berichtet Tacitus: Hist. 2,72. S. 350, Z. 88–89 post viginti annos] Absurde Zeitangabe. Tatsächlich ereignete sich die im folgenden berichtete Geschichte von dem falschen Nero unter Kaiser Galba (8. Juni 68 – 15. Januar 69), die davor berichtete vom falschen Scribonianus Camerinus unter Kaiser Vitellius (19. April – 21. Dezember 69). Die beiden Ereignisse liegen also zeitlich dicht beieinander. S. 350/352, Z. 89–91 qui se Neronem iactitaret … Galatiae praefecto] Auch diese Geschichte überliefert Tacitus, Hist. 2,8–9. S. 352, Z. 91–94 anno 1547. … reformaturum Imperii statum] Im Jahre 1546 (nicht 1547!) trieb sich in der verfallenen Burg auf dem Kyffhäuser (in Thüringen) ein irrsinniger armer Schneider aus Langensalza herum, der sich unter großem Volksauflauf als den wiederauferstandenen Stauferkaiser Friedrich II. (1194–1250) ausgab und behauptete, er sei gekommen, der Welt den Frieden zu bringen. Näheres hierzu bei Kampers: Die deutsche Kaiseridee (1896/1969), S. 160 u. 227. XV,12 S. 354, Z. 115 Iulio Caesare] Gemeint ist Kaiser Caligula (C. Iulius Caesar Germanicus). XV,13 S. 354, Z. 120 sicuti Mosi] Die Darstellung des Moses mit Hörnern in älteren Bildwerken geht auf einen Übersetzungsfehler der Vulgata in Ex 34,29 zurück.
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Index nominum Erfaßt sind alle in dem Text von Sabinus, einschließlich sämtlicher Zitate, vorkommenden Eigennamen, ausgenommen den Ovids. Mit der römischen Ziffer wird auf das Buch, mit den beiden arabischen auf Kapitel und Zeile verwiesen. D = Dedikation an Herzog Albrecht Absalon VII,2,28 Acarnania V,13,194 Acastus XI,11,142 Achaia VIII,13,237 Acheloides V,13,172 Achelous V,13,193.194; VIII,11,201; IX,2,9.10.14; 3,31.34; 4,41 Achilles VIII,7,100.144; XI,7,109.113; XII,5 passim; 6,46.53.54; 12 passim; 13,138; XIII,1,33.34; 2 passim; 3,357.358; 6,407; 7,429; 8,461.468 Achilleus clypeus XIII,3,369; – hostis XII,5,35 Acis XIII,12 passim Actaeon III,3 passim Adonis X,5,62; 14 passim Adrastus XI,11,146 Adriaticum littus X,4,52 Aeacides XII,11,117.122; XIII,8,466.470 Aeacus VII,15,231 Aeëtes VII,5,120.122; 6,133 Aegeria (= Egeria) XV,10 passim Aegeriae (= Egeriae) fons XV,10,100 Aegeus VII,10,194 Aegina VII,15,231.238 Aegyptia imago XIII,4,386 Aegyptiaca avis IX,14,243; – lingua II,8,189 Aegyptii I,4,174; 24,476.479.484; V,5,78.91; VIII,13,226; IX,24,331; XV,1,4 Aegyptius I,2,79; – sophista VIII,13,234 Aegyptus I,10,310; 24,479.483; V,5,69.82; VI,3,66; VIII,13,225; IX,9,98 Aemonii arcus II,1,38 Aeneas I,15,400; IX,21,296; XIII,4,382; XIV,4,36; 5,49; 15,131; 17 passim; 18,166 Aeneas Sylvius, Albae rex XIV,18,167 Aeolius uter XIV,6,50.54 Aesacus XI,15,215 DOI 10.1515/9783110620283-023
Aeschines V,13,205 Aesculapius II,9,195; 10,200.205; XIV,7,71 Aeson VII,8,159.168.172 Aesonides VII,4,107 Aethiopes IV,25,300; XV,4,45 Aethiopes lacus XV,4,46 Aethiopia XIII,9,491 Aetna V,7,108.109 Aetolia V,13,194; VIII,7,97 Africa VIII,10,192 Agamemnon XII,1,7–8; XIII,2,152.157.161.191. 193.202.247.293.328 Agenor II,18,286; III,1,3 Aglauros II,17,271.272 Agrippa, Albae rex XIV,18,168 Aiax XIII,1 passim; 2 passim; 6,397.398 Aiax Oileus XIII,2,321 Alba (= Alba Longa) XIV,18,155 Alba, Albae rex XIV,18,167 Albani XIV,18,154.166 Albertus, Marchio Brandeburgensis, Dux Prussiae D 1 Albis V,13,196 Alcibiades VI,10,180.184 Alcmeon (= Alcmaeon) IX,17,269 Alcyone XI,12,148.164.171.173 Alecto IV,20,244 Alexander VI. Papa IX,22,306.309 Alexandria I,10,307; X,8,92 Alladius XIV,18,163–164 Alpes XV,2,37 Alpheus V,14 passim Alphitus V,1,12 Alphonsus, rex Neapolitanus VII,1,13; IX,2,29 Althaea VIII,9 passim Ammianus Marcellinus III,1,28; V,5,88 Ammon I,24,484 Amphimanes V,2,32
Amphion VI,8,118 Amphitryon VI,6,96 Amulius XIV,18,168 Anapus V,10,153.156 Anaxagoras I,2,90 Anaxarete XIV,20.182.183 Ancaeus VIII,7,118.130.136 Anchises IX,21 passim Andromache XII,12,130 Andromeda IV,25,301; 27,332.333 Anglerius, Petrus Martyr VII,8,164–165 Anglia VI,9,162 Anius XIII,10 passim Annibal → Hannibal Antaeus, Gigas IX,9,97.100; XIV,5,48 Antaeus, Scytharum rex XI,4,67 Antenor XIII,2,174 Anthedonii XIII,13,537 Anthedonius piscator XIII,13,535 Anticlea XIII,2,93 Antigone VI,5,84.85 Antiochia I,10,309 Antiphates XIV,5,45.47 Antonius, M. I,6,187; IX,5,52 Antonius Patavinus, Sanctus X,4,51 Aphrodite IV,22,280 Apollineus frater IX,22,299 Apollo I,19,436; 20,445; 21,451.452.456; 22,463.465; II,9 passim; 10,205; 13,231.234; IV,9,86; VI,6,91; 8,120–121.134.138; 10,172.178.184; VII,15,236; X,6,67.68; 8,93; XI,2,19; 4,65; 6,103; 8,120; XII,12,129.132; XIV,7,71 Apollonia, Epirensis civitas I,10,302 Apollonius (Rhodius) D 7 Apulia XIV,12,109 Apulus pastor XIV,13,115 Arachne VI,1,2.8.9; 6,95 Arcades IX,9,188 Arcadia I,11,316; IX,9,171.176 Arcesius XIII,2,104 Ardea XIV,16 passim Arethusa V,14 passim Aretius, Marius XIII,12,531 Argivae foeminae I,24,482 Argivi I,24,477; IV,25,302
Index nominum
411
Argonautae VII,3,33; 6,138 Argonautica historia D 6 Argos, civitas I,24,481 Argus I,25 passim Aristaeus VIII,13,249 Aristo Chius VI,1,34 Aristophanes IX,9 Aristoteles D 62; I,2,77; 9,293; II,1,5; IV,22,281; VI,10,187; IX,14,244; XIV,14,130 Ar(r)etina Diana XV,9,83 Arsinoe IX,22,306 Artemis III,3,59; VI,8,138 Ascalaphus V,12 passim Ascalon IV,4,30–31 Ascalonitae IV,4,40 Ascanius XIII,8,473.475; XIV,18,155.166 Asia XIII,7,416 Asopis VI,6,104 Assyrii IV,5,46 Astraeus XIV,14 passim Atalanta X,13,150.152.165 Atergatis IV,4,41–42 Athamas III,8,151; VII,5,119–120 Athena II,6,176; VI,2,41 Athenae II,6,174; VI,2,38.41; VII,2,26; VIII,6,91; IX,20,290; XIII,1,10 Athenaeum V,13,177.178–179.200 Athenaeus IV,4,42 Athenienses II,8,186; VI,2,40.48; 10,176.183; VIII,4,52; XIV,2,11 Atlanta insula I,12,353 Atlas D 55; IV,26 passim; IX,9,192.193 Atropos II,12,229 Attica VII,14,224 Attica theatra VIII,3,42–43 Attila rex VII,19,340 Atys (= Attis), Phrygius pastor X,5,58.60.61 Atys, Albae rex XIV,18,157.167 Augias IX,9,160 Augustinus I,3,106 Augustus XV,15,142 Aulis XII,1,7; 2,14; XIII,2,156 Aurelianus Imperator VIII,15,277 Aurora VII,17 passim; IX,18,275.278.279; XIII,9,490.495; XIV,14,122.128 Ausonia XIV,10,92
412
Index nominum
Ausonia gens XIV,9,87 Autolycus XI,8 passim Aventinus, Albae rex XIV,18,168 Aventinus mons XV,12,110 Averna Iuno XIV,3,15 Babylonia Dercetis IV,4,28–29 Babylonii IV,5,50.52.53 Bacchae IV,3 passim Bacchica sacra III,8,144 Bacchus III,5,79.82; 9,159.161; 10,166.169; IV,1,2.9; 2,13.20; 3,21.24; VI,6,91 Badius, civis Campanus I,11,324 Balbus, Q. Lucilius I,13,382; V,9,144 Balearica insula maior et minor IX,9,107 Baptista Mantuanus XII,7,69; XIV,3,17 Basilius, Moscorum princeps IV,2,18 Basilius Magnus II,8,188; III,1,26; IX,23,322 Battus II,14,236.237 Baucis VIII,12,208.209.216 Bavaria X,1,6.21 Bavius V,2,33 Belgicum XV,2,32 Belides IV,19,210.211; IX,13,230.232.233 Bellerophon / Bellerophontes D 37,45,47; IX,23,315.318.320–321 Bembus, Petrus VIII,14,254; IX,9,112 Berecynthia buxus XII,8,79 Bernardus, Sanctus X,4,54 Bocatius (= Boccaccio, Giovanni) XI,6,101.102 Boeotia D 55; III,1,4.19; 4,72; VIII,10,192 Boiuca insula VII,8,162 Bonamicus, Lazarus X,8,88 Boreas IV,8,83; VI,14,263.267; VII,2,26 Borussi VII,7,145 Borussia VII,15,303 Bosphorus (= Bosporus) XI,13,195 Briseïs XIII,6,407 Brutus, M. Iunius I,6,206 Buris XV,2,32 Busiris IX,9,92.97 Byblis IX,22,298.299.303 Cacus IX,9,187; XIV,5,48 Cadmea sementis III,1,18 Cadmus III,1 passim; 3,54; 4,68.71.73; 5,80; IV,23,282.283
Caeneus XII,8 passim Caenis XII,8,83.84 Calais VII,2,17.22.27 Calcagninus, Caelius VIII,13,239 Calirrhoë IX,17,269 Calisto II,5,137.141.142 Calliope V,6,95; 13,193.195–196 Callisthenes I,1,51 Calpetus XIV,18,158.160.161 Calphius XI,13,195 Calphurnius XV,9,91 Calydonii IX,2,41 Calydonius aper VIII,7,94.97.99.104; 8,149 Camerarius, Ioachimus I,6,210 Camoenarum lucus XV,10,100 Campania V,13,175; VIII,7,104; IX,9,187 Campanus, Ioannes Antonius VI,12,226 Campanus civis I,11,324 Canens XIV,11 passim Canis VII,19,345 Capena porta XV,10,100 Capetus XIV,18,158.161.163.167 Capitolium I,23,473; XV,12,110 Caprae palus XIV,2,201 Capys XIV,18,162.167 Cardanus, Hieronymus VI,4,74; VIII,14,256–257 Cares IV,16,144 Carolus V. Imperator IV,26,325; VII,3,40; XIV,5,49 Carolus, Dux Burgundiae VII,3,37 Carolus, Dux Geldriae VII,8,166 Carolus Magnus XII,7,68 Cassius, C. I,6,206 Catilina I,6,187.206 Cato II,1,80 Caucasus I,3,147.148; VII,5,122.123 Cecropia arx VI,2,39 Cecrops II,8 passim Celeus V,15,234 Celmus IV,13 passim Centaurea rixa XII,10,107 Centaurus / Centauri IX,9,184; XII,8,82; 9,92; 10 passim Cephalus VII,17,317.320; 19 passim; IX,18,275 Cepheni V,1,2.4 Cepheus IV,25,301
Cerambus VII,10,185.188 Cerastae X,9,96 Cerastis X,9,97 Cerberus IV,18 passim; 20,265; IX,9,148.150.152; X,2,30 Cercopes XIV,2,9.12 Cercops V,2,32 Cercyon VII,14,227 Ceres V,6,101; 9,123.125.146; 11,158; 15,225.228; IX,9,150; 19,282.283 Ceyx XI,12,169 Chaonis arbor X,4,39 Charaxus VI,3,63 Charmides XIV,8,79–80 Charybdis XIV,5,47 Cheronesus XIII,7,452–453 Chimera (= Chimaera) D 37–38,52; IX,23 passim Chiro XII,5,38 Christiani XIII,7,449 Christus VII,7,150 Chryseae insulae IV,26,326 Cicero, M. Tullius I,1,6; 3,132; 8,268; 13,382; 18,423; II,1,101; V,9,144; VII,4,43; VIII,5,85; IX,12,128; X,10,109; XII,1,9; XIII,1,12.15.54.59; 2,345; 8,471.477 Cicones XV,3,40.41 Cilicia D 37,52 Cimbri D 42 Cimmerii XI,13 passim Cippea (= Cipea) cornua XV,13,123 Cippus (= Cipus), M. Genutius XV,13,117.118.120 Circaea veneficia XIV,10,93 Circe XIV,7,61.63.70; 8,76; 10,12.97 Cirini Pisma V,10,155 Claudianus, Claudius I,8,273; IX,9,171; 10,202; XV,14,128–129 Clemens Alexandrinus I,2,65 Clotho II,12,226 Clymene IV,8,80 Clytie IV,10,89 Cola XIII,13,545 Colchi II,11,210; VII,3,31.33; 4,61; 5 passim; 6,134.136.138 Constantinopolis XIII,4,387
Index nominum
413
Constantinus Imperator / Caesar I,8,263; 10,307; V,5,88–89; XIII,4,388 Corinthii VII,12,205 Corinthus VII,12,207; 14,225 Coronis II,9,193.195 Corybantes IV,14,118.123 Creon VII,13,216–217; IX,8,88 Creta II,18,287.288; VIII,4,50; 6,92; X,7,82 Cretaeus taurus VII,14,221 Cretensis / Cretenses II,18,286; VII,14,224; X,7,83 Crispinus, Q. I,11,324 Crocus IV,15 passim Croesus III,2,38.40; XI,11,147 Cromyon VII,14,222.224–225 Cromyonia sus VII,14,219; VIII,7,98.99 Croto XV,1,17 Cumae XI,13,191 Cumaea Sibylla XIV,4,34 Cupido I,20,438.440.446; VII,4,105; X,12,133.134 Curetes IV,14 passim Curtius, Q. VI,10,196 Cyane V,10,153.154 Cyclops / Cyclopes D 32; XIII,11,509.510.511–512 Cygnus II,4,129.134; IV,15,130; XII,4 passim; 8,89 Cynossema XIII,7,453 Cyparissus X,6,64.66 Cyprii X,9,95; 10,105 Cyprus X,9,97 Cyrus III,2,41 Cythoriacus pecten IV,16,170 Daedalion XI,9 passim Daedalus VIII,5,55.56.65; 6,90.91 Dagon IV,4,40.41 Danaë IV,24 passim; 25,296; VI,6,95 Danai XIII,2,151.210 Danaus IX,13,233 Daniel I,4,171 Dantiscus, Ioannes III,3,60 Daphne I,22 passim; IV,15,130 Daphnis IV,11,96.98 Daulias ales VI,13,236 Delphi I,22,464; XV,14 passim
414
Index nominum
Delus XIII,10,505.507 Demosthenes V,13,206; XIII,1,54 Deois VI,6,105 Dercetis IV,4,27.29.32 Deucaleoneae undae VII,10,187 Deucalion I,12 passim; 17,416 Diana III,3,53; IV,16,163; VI,8,121.134; VII,19,342; VIII,7,123; XII,2,15; XIII,2,153.158 Diana Ar(r)etina XV,9,83 Dido I,15,400 Dindyma XII,8,78 Diocletianus I,6,206 Diodorus Siculus I,24,484–485; IV,4,30.39; 5,48; V,5,90; VII,6,133; 11,200;. VIII,13,225 Diomedes IX,9,163.166.168; XIII,2,212.216.219.312.315; 4,382; XIV,12 passim Dionysius Halicarnassensis XIV,18,163 Doletus V,2,34 Dolon XIII,2,223.226.229 Dryope IX,15,250.252.256 Ebusa IX,9,107 Echinades VIII,11,200.201 Echionides III,8,139 Echo III,7,94.104 Egeria → Aegeria Eleusin V,15,227.228 Elysius campus XIV,3,16 Ennenses (= Hennenses) V,9,147 Epirus I,10,302; VIII,7,96 Epitus (= Epytus) XIV,18,157.160 Erasmus Roterodamus I,1,21; III,1,18; IV,29,347; V,2,35; 15,232; VII,9,177; VIII,15,275; IX,9,165; X,2,32; 4,53; XI,4,74; XIII,13,534 Erechteus (= Erechtheus) VI,14,265 Erechtis (= Erechthis) VI,14,270 Ericht(h)onius II,7 passim; IX,20 passim Eridanus II,3,126–127; 4,130 Erisichton (= Erysichthon) VIII,15 passim Eteocles VI,1,19–20.22 Euander IX,9,187 Euippe V,2,31 Eumenides VIII,9,184
Euripides III,3,51.54; VI,1,19; XI,1,6; 7,113; XII,2,13; XIII,1,4 Europa, Agenoris filia II,18,286.289; VI,6,93.94 Eurypylus XIII,2,322 Eurystheus / Euristheus IX,9,157; 10,195 Eusebius VIII,15,282; X,7,81 Fama XII,3,16 Fauni I,10 passim Florentini IX,2,29 Florentinus orator IX,2,30 Foroiuliensis VIII,1,25 Fortuna VI,8,129; XIII,4,386–387 Forum Iulii VIII,1,26 Franci equites XII,9,97 Francia XII,10,109 Franciscus, Sanctus X,11,115 Francofordia ad Oderam XV,3,43 Fridericus II. Imperator XV,9,93 Frigidus XIII,12,530 Furiae IV,20 passim; X,12,133 Galanthis IX,14,241.241 Galathea XIII,11,521 Galatia XV,9,91 Gallicus morbus XII,6,56 Gallus / Galli, Franzose / Franzosen II,2,111.113; XIV,5,49 Ganymedes X,7,75.78.84 Geldria VII,8,166 Gellius, A. IV,23,289 Geres (= Ceres) V,9,147 Geriones (= Geryones) IX,9,103.111.112.142.145.146; XIV,5,48 Germani XII,9,97 Germania IX,9,176; XI,6,105.106; XIV,6,54 Germanici rhythmi VII,8,160 Geta XV,9,87 Gigantea membra V,6,105 Gigas / Gigantes I,6 passim; V,2,40; 5,76; 7,113; XIV,14,125–127 Glaucus XIII,13 passim Gnato IV,10,93 Gorgoneae domus IV,29,343 Gorgones IV,25,299.311.317; 28,339; 29,342.344
Graeca gens XIV,9,87; – historia D 29–30; – imago XIII,4,386; – lingua I,1,53; II,8,189; – verba XII,1,6 Graecae historiae D 22,26–27 Graecè II,11,209; V,9,145 Graeci D 61; I,1,5.50; 3,96; 4,174; 12,354; 17,414; II,5,142; 6,176; V,5,80.84; VI,4,70; 10,174; VII,4,91; 5,116; 10,189; 11,197.199; 15,237; 16,307; X,6,66; XII,2,11; XIII,1,27–28; 2,73.153.194.218; 5,392; 7,429; 10,503; XIV,12,112; 19,174; 23,208 Graecia D 16; I,12,352; 24,481; III,1,20; IV,25,302; V,13,194; VII,4,61.87; 5,121; 14,223; VIII,7,101; IX,9,105.192; XII,3,18 Graecus/Graeci autor/autores IX,9,155; XIII,13,535 Graia marita XII,12,125 Graii VI,7,115; XIII,5,393 Gravina, Petrus VI,8,148 Gregorius Nazianzenus II,8,188; III,1,25; IX,23,321–322.325–326 Haemonius Acastus XI,11,142 Haemus VI,3,56.60 Ham V,5,85 Hammon V,5,71.85 Hannibal (Annibal) IX,2,20.24–25 Harmonia IV,23,284 Harpocrates IX,24,329.331 Harpyiae VII,1,2.9.13 Hebe IX,16 passim; 17,269; XIV,23,208 Hecateus Milesius IX,9,155 Hector VIII,7,144; XII,4,27; 13,130; XIII,1,43; 2,148.247.249; 6,402; 7,418.419.425 Hecuba XIII,7 passim; 8,468 Helena VI,14,269; XIII,2,173 Helenus XIII,2,295 Heliades II,3,123 Helice XV,2,32 Helicon IV,25,304.316; V,3,52 Helis (= Elis) V,14,218 Hercules IX,1,2.4.7; 2,9.10–11.13; 5,43.46; 6,64–65.69; 7,76.78.81; 9 passim; 10,194.198; 12,225.227; 16 passim; X,2,29.30; XIII,5,390.392; XIV,5 ,48 Hercynia sylva XV,9,92
Index nominum
415
Hermaphroditus IV,16,137.146 Hermes Trismegistus I,2,78–79.80 Herodes VIII,15,282 Herodianus X,7,78 Herodotus I,24,480; III,2,38; VI,3,64; VII,7,144; XI,11,146; XV,1,5; 5,55 Hersilia XIV,23,202.205 Hesiodus I,3,98; 4,170; V,2,33; IX,9,140 Hesperides IX,9,183 Hieremia IV,5,52 Hieronymus I,10,306; IV,4,41 Hippodamas VIII,11,199 Hippolytus XV,9,77.79.82 Hippomenes X,13,158.162.165 Hippos II,11,211 Hispani IV,26,325; VII,5,129 Hispania IX,9,103 Hispanicus Oceanus IX,9,113 Hispaniense bellum IX,5,50 Homerus II,2,117.121; 9,197; V,2,33; 13,182.185; VI,1,30; 8,144; 11,209; VII,15,236; VIII,7,100.144; 9,159; 13,247; XI,13,190; XII,1,5.8; XIII,3,360; XIV,8,76.77 Hora → Ora Horatius I,1,10; 20,447; IX,6,70; X,4,44; XII,10,102.104; XIV,19,175 Horta XIV,23,208 Hyacinthus X,8,85 Hyades XIII,2,259 Hyperborea Pallene XV,5,53 Hyperborei XV,5,52.57 Ialysii VII,11,196.197.200 Ialysus VII,11,203 Ianualis porta XIV,21,193 Ianus XIV,9 passim Iapetides V,1,13 Iapetionides I,3,99 Iapetus / Iaphet I,3,91.92.93 Iasion IX,19 passim Iason VII,3,37; 4,44.95; 5,117.127; 13 passim Icarus VIII,5,55.59.66.70 Icelos XI,14,211 Idaea mater XII,8,80 Idaeus IV,11,96.98
416
Index nominum
Idas V,1,7 Idomeneus XIII,2,322 Iliacae arces XIII,2,164 Iliades X,7,77 Ilissus VI,14,266 Illyrica gens IV,23,287–288 Illyrici IV,23,288 Illyricum IV,23,284; XV,9,87 Inachus I,24,477 India IV,26,325; VII,5,129; VIII,10,195 Indicae gallinae VIII,10,195–196 Ino III,4,75 Invidia II,16 passim Io I,24,475.477.482 Ioannes Baptista VII,7,151 Ioannes de temporibus XII,7,71 Ioannes Tzetza (= Tzetzes) → Tzetza, Ioannes Iocasta VI,1,19 Iolaus IX,17,265.266.267 Ion XIV,9,87 Ionia D 16 Iphigenia XII,2,10.11.14; XIII,2,157 Iphis IX,25,335 Iris I,12,340; 13,376.378.379; IV,21,268.270.271 Isis I,24,478 Islandia XI,13,197 Ismarius (= Itys) VI,13,236 Istula IX,2,12 Italia D 42,44; I,12,352; II,2,113; V,11,162; VI,4,72; X,8,88; XI,13,191; XIII,4,382; XV,2,34 Italicum littus VII,11,198 Itys VI,13,236 Iudaea IV,5,53 Iudaei VIII,15,282 Iulianus Imperator III,8,145 Iulius Caesar XII,12,128; XV,12,115; 15 passim Iuno I,12,340; 13 passim; II,5,141; VI,3,62; 4,82; VII,15,232.239.246.247; IX,9,141 Iuno Averna XIV,3,15 Iup(p)iter D 8,48; I,3,106; 6,200; 7,228.232; 8,237.241.257.281; 11,316.320.323; 12,336.342; 24,484.485; II,18,275.287; III,4,74; 5,79.84; IV,13,112; 14,125; 24,293; 25,296.298; V,2,48; 5,70;
VI,3,61; 6 passim; VII,11,195; IX,1,2.3.4; X,7,81.82.84; XIII,2,104.189.193; 6,402; 9,494; XV,14,127.130 Iustinianus Imperator XIII,3,370 Iustinus II,8,186; IX,9,108; X,10,105; XV,1,16 Iustinus Martyr I,2,65 Iuvenalis III,2,43; IV,20,255; VI,4,76 Ixion IV,19,208 Lachesis II,12,220.228 Laconia IX,9,156 Lactantius Firmianus I,3,104 Laelaps VII,19,339 Laërtes XIII,2,104 Laomedon XI,6,102 Lapithae XII,10 passim Lapta VII,15,303 Latina lingua D 20 Latini III,4,75; VII,16,307; XIV,19,174 Latini versus XII,1,8 Latinum XII,1,7 Latinum carmen II,2,116 Latinus Sylvius XIV,18,167 Latona VI,8,120 Latonia VIII,7,122 Latreus XII,8,82 Laurens littus XIV,17,147 Lemnus XIII,2,286 Leonicus, Nicolaus IX,9,154–155 Lepus (= Hans Kohlhase) VII,18,336 Lernaea hydra IX,6,60 Lernaeum oppidum IX,6,64 Lesbii XI,2,11 Lesbius obtrectator XI,3,26–27 Lesbus XI,2 passim Lestrygones VII,11,198 Lethea (= Lethaea) X,3,33.34 Leucothoe IV,9,84 Liber XII,10,106 Libya IX,9,98 Libys Hammon V,5,71 Lichas → Lychas Ligarius XIII,8,478 Ligures II,4,129.134 Liguria II,3,126 Linus I,2,64 Lipsia V,3,62
Livius I,11,324; III,6,88; IX,2,20; XIV,16,139; 18,164–166; 21,194 Livonia XI,13,198 Lucianus I,5,182; 12,350.354.371; II,1,3; 4,132; VIII,5,65; XI,2,17; XII,10,111; XV,1,9 Lucina IX,14,248 Lucretia (Borgia) IX,22,307.308 Lucretius IV,19,211 Lutherus XIII,2,352 Lycaon I,11,315.316; II,5,137; IV,15,130 Lychas (= Lichas) IX,11,222.223 Lycia IX,23,316.317 Lycii D 37; VI,9,160.165; XIII,2,233 Lycomedes XIII,2,135 Lycurgus IV,2 passim Lyncus V,15,234 Lysander IX,7,80 Manlius Theodorus XV,14,129 Marathon VII,14,221.223 Marathonius taurus VII,14,219 Marchiacus latro VII,18,336 Mariani, Bürger von Marienburg/Pr. IX,2,12 Marius D 41; I,6,187 Mars I,7,232.233; IV,7 passim; VII,19,340; IX,7,79; XIII,2,181; XIV,22,199 Marsias (= Marsyas) VI,10 passim Martialis VI,6,109 Mauritania IV,25,300; 26,323.326; IX,9,192 Mavors VI,2,39 Medea VII,4,42.44.51.100; 8,169.172; 9,180; 10,194; 13 passim; VIII,9,164; IX,8,88 Medusa IV,25 passim; 28,339; 30,348 Megaera IV,20,242 Megarenses VIII,1,24 Melanthon (= Melanchthon), Philippus VI,2,47; VIII,13,228 Meleager VIII,7,97.106; 8,150; 9,154.158; 10,190.193 Meleagrides aves VIII,10,190.194 Memnon XIII,9 passim Memnonides XIII,9,489 Menalitta V,15,234 Menander IV,16,181 Menelaus VIII,13,248; XIII,2,175.247.322
Index nominum
417
Mercurius I,25 passim; IV16,137.140–141; 25,307.308; 29,346; XI,8,118; XIII,2,106; XIV,7,65 Meriones XIII,2,322 Metra VIII,15,269.274 Mezentius XIV,5,49 Midas XI,4 passim; 5,84 Milesius IX,9,155 Mineides (= Minyeiades) IV,17,186.192 Minerva I,3,142; II,6,156.176; IV,30,349; V,13,179; VI,2,37.41.44; 10,178.183.189.192; IX,20,288.289; XIII,4,373 Minervae promontorium V,13,175–176.178 Minos II,18,288; VII,19,346; VIII,1,2.4; 2,33; 3,42.46.47 Minotaurus VIII,3 passim; 4,54 Minyeiades → Mineides Mnemosyne VI,6,105; 7,112.113 Moeonis VI,6,92 Molossi I,11,317; IX,9,148.149 Morpheus XI,14,205.210 Mosci IV,2,18 Moses I,2,74; XV,13,120 Mulciber IX,20,286 Musae IV,25,316; V,2,36.38.48; 3 passim; 4,65; 6,92.96; 13,183.204; VI,7,112.113; 13,258; X,6,68; XI,4,68 Musaeus I,2,64 Myrmidones VII,16,306.308.310 Myrrha X,12,122.124.135 Naiades IV,16,163; VII,18,323.326.332; IX,4,38 Narcissus III,7 passim Nazianzenus → Gregorius Nazianzenus Neanthus XI,2,18 Neapolis V,13,175; XI,13,191 Neapolitanus rex IX,2,29 Necessitas, Parcarum mater II,12,215.219 Nemesis III,7,105 Neptunus I,12,342.345; 14 passim; 15,398; IV,7,77; VI,2 passim; 6,91; VIII,11,202.206; XI,6,103 Nereïa genitrix XIII,2,129 Nereides XI,7,114.115 Nero XV,9,88
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Index nominum
Nessus IX,8,83.85 Nestor VIII,7,113; XII,7 passim; XIII,1,41 Neurii VII,7,144 Niobe VI,8 passim Nisus VIII,1,2.23 Noa / Noha I,3,93; 12,354.374.375; V,5,85 Noriberga VII,8,160 Numa Pompilius XV,10,97 Numanus Virgilianus XII,8,75 Numicius XIV,17 passim Numitor XIV,18,168.169 Nyctimene II,6,159; IV,15,130 Oceanus II,5,152 Octavius Caesar IX,5,51 Ocyroë II,11,207.208 Oenopii VII,15,237 Olenus X,3,33.35 Olympus I,6,222; 7,229 Ora (= Hora) XIV,23,202.206.207 Orcades insulae IV,28,338 Orcus IV,25,307.309 Origenes D 74 Orion D 55,58,61 Orithyia VI,14,263.264.265; VII,2,26 Orphea fabula X,1,5 Orpheus D 6,12; I,2,64.65; X,1,2.3.22.23; 4 passim; XI,1,2.3; 2 passim; 3,23.26; XI,13,194 Osiris I,24,484 Ossa I,6,221.222 Padus D 42 Paestanus sinus V,13,174 Paetalus → Pettalus Palamedes XIII,1,40; 2,275.281 Palephatus VI,8,142; VII,18,334 Palicorum stagnum V,9,150 Palingenius, Marcellus XIV,3,26–27 Pallantias IX,18,273 Pallas D 46; II,7 passim; 15,246.248; 16,263; III,1,9; IV,25,307–308.309; 29,346; V,1,21; VI,1 passim; 2,39.48.49; 10,194; XIII,2,341; 4,376.378–379 Pallene VIII,13,236; XV,5,53 Pallenei cives VIII,13,236 Pan I,26,513.514
Pandion VI,13,251 Papiensis Cardinalis (= Jacopo Ammanati Piccolomini) II,2,118 Parcae II,12,212.215 Paris VI,14,269; XII,12,129.131.132; XIII,2,170.173.174; 8,462 Parisiae aves VIII,10,192 Parnasus XV,14,134 Parthenius I,1,51 Parthi XV,9,90 Pasiphaë VIII,2,33.34.36 Patroclus XIII,2,244 Paulus Eremita I,10,306.310 Pausanias VI,8,144; X,1,22–23 Pegasus D 46,48; IV,25,315; VII,10,191 Pelasga classis XIII,2,238 Pelasgi XIII,2,70 Peleus XI,7,111; 10,134.139; 11,141; XIII,2,112.116 Pelias VII,9,174.175.180 Pelias hasta XII,5,36 Pelides XII,13,142 Pelius I,6,221 Peloponnesiacum bellum VII,15,258–259; – littus V,14,212 Peloponnesus VI,11,212 Pelops VI,11,202.204.210 Peneus I,22,462 Pentheus III,3,54; 8 passim Pentri VI,8,152 Perdix VIII,6,90 Perimele VIII,11,199.205 Peripheta VII,14,227 Persae V,5,88 Persephone V,9,145 Perseus IV,24,292; 25 passim; 26,324.328; 27,334; V,1,2.20 Pessinus X,7,79 Pettalus (= Paetalus) V,1,17 Phaea / Phea VII,14,225; VIII,7,97 Phaëthon II,1 passim; 2 passim; 3,124 Phanocles XI,2,13 Phasis II,11,210; VII,3,32.36 Philammon XI,8,116.120 Philemon VIII,12 passim Philoctetes XIII,1,39; 2,275.277.285.292 Philomela VI,13 passim
Phineus V,1,24; VII,1,9 Phocenses V,4,65 Phocus XI,10,134 Phoebe IX,10,212 Phoebea Rhodos VII,11,196 Phoebus I,25,509; XIII,8,462; XIV,4,34; XV,14,126 Phoenices I,24,479.480 Phoenicia III,1,20; 4,72 Phoenix, Achillis praeceptor VIII,7,99 Phorcus XIV,1,2 Phrixea → Phryxea Phrixus → Phryxus Phryges XII,8,77 Phrygia VI,8,145; 10,196; X,7,78–79; XII,3,17; XIII,2,155; 9,491 Phrygia Minerva XIII,4,273 Phrygiae XII,8,77 Phryxea (= Phrixea) vellera VII,5,115 Phryxus (= Phrixus) VII,5,119.121 Phyllis X,9,98 Picus XIV,10 passim; 11,98 Pierus V,2,28.31.36; 5,75.84; 6,99 Pilappia XI,13,197 Pindarus V,2,33 Pirithous IX,9,151.152 Pithecusae XIV,2,10 Pithecusani XIV,2,11 Plato I,2,88; 4,169; 8,287; 13,380; II,12,214; III,9,164; IV,1,5; 25,313; VI,14,265; VIII,13,233; IX,6,64; 13,235; XIII,6,405; XIV,8,79; XV,9,81 Pleiades XIII,2,259 Plexippus VIII,8,150 Plinius I,3,149; 7,231; 15,391; 22,464; II,6,174; IV,28,338; V,9,140; 11,161; VI,13,244; VIII,10,196; IX,9,181; XII,5,38; XIII,9,492; XIV,12,110; XV,5,59 Plutarchus I,10,301; 12,371; II,8,191; IV,2,19–20; 7,70; 20,261; V,2,35; VI,3,60; 10,181; VIII,2,34; 3,48; 4,51; IX,7,79; 9,101.149; 23,314; XI,4,35.54; 12,187; XIV,23,209; XV,12,112 Pluto V,8,116.118; 9,141.149; VIII,9,159; X,12,143 Policianus, Angelus II,2,116; 6,162 Polydectes IV,25,303
Index nominum
419
Polyphemus XIII,11,518; XIV,5,45.47 Polyxena XII,12,130; XIII,8,467 Pomona XIV,19,178 Pompeius II,12,227.228; XII,12,128 Pomponius Mela IV,27,334; XIII,7,452 Pontanus, Iovianus I,19,429; 25,501; II,13,234; IV,16,142; IX,9,110; X,14,175.179; XIII,13,544 Porphyrius X,5,61 Posidon VI,2,41 Posidonium VI,2,40–41 Priamus XIII,2,174; 5,395; 7,444 Proca XIV,18,168 Procopius XIII,4,381 Procris VII,19,346; 20,350.356 Procrustes VII,14,227 Proetus IV,25,302 Progne (= Procne) VI,12,215; 13 passim; VIII,9,164 Prometheus I,3 passim; 12,348.349 Propoetides X,10,103.107 Proserpina V,9 passim; VIII,9,159; IX,9,150.151 Proteus D 74; VIII,13 passim Prussia IV,8,83; VII,7,146; VIII,10,191; IX,2 ,11 Psamathe XI,10,139 Ptolomeus Ceraunus IX,22,305–306 Puteoli XI,13,191; XV,2,34 Pygmaea VI,5,85 Pygmaea mater VI,4,67.74 Pygmaei VI,4,70.76 Pygmaeus bellator VI,4,78 Pygmalion X,11,112.117.118 Pyramus IV,6 passim Pyreneus V,3,51; 4,64.65 Pyrrhus XIII,2,116 Pythagoras XV,1 passim; 2,24.29.35 Pythius XI,4,35.40.43.52 Pythius axis XV,14,135 Python I,19 passim Pyttacus XI,2,18 Quintilianus XIII,1,59 Quirinus XIV,23,205.210 Regiomontanae Musae V,13,195 Remulus XIV,18,163
420
Index nominum
Remus XIV,18,169 Rhadamantus II,18,288 Rhea XIV,18,169 Rhesus XIII,2,227 Rhodope VI,3,56.61.63 Rhodopeius Orpheus X,1,3 Rhodos IV,8 passim; VII,11,196.203 Riphaei montes XV,5,59 Riphaeus XI,13,195 Roma I,23,469; XIII,1,10; 4,386; XV,10,100 Romana curia VII,1,15; – gens XIV,4,36 Romani IV,5,50; XIV,4,35; 21,187.190; 23,208.210 Romani consules I,8,260; – duces VI,8,156; IX,2,25; – pontifices XIV,23,206–207; – sacerdotes VII,1,16 Romanum imperium XV,12,112 Romanus populus VIII,7,103; IX,2,22; – senator XV,9,88 Romilda Foroiuliensis VIII,1,25.30 Romulus XIV,18,164.166.168.169; 22,196.199; 23,202.205; XV,12 passim Roscius X,10,110 Rutuli XIV,16,139–140 Sabini XIV,21,187.190 Sadoletus, Ioachimus I,6,213 Salernitanus sinus V,13,174 Salmacis IV,16 passim Salomon II,5,139; XI,4,55.59 Samnites VI,8,147.152 Samson IX,9,179 Sappho VI,3,64; 13,234 Saturnus I,5,176–179; 7,231.233; V,8,118 Satyrus / Satyri I,10 passim; IV,3 passim; VI,6,96.99; 10,170.194.195 Saxonia V,3,61; VII,18,336; X,1,22 Scipio IX,2,21; – Africanus IX,5,48–49; XII,12,127 Scribonianus Camerinus XV,9,87–88 Scylla VIII,1,2.4.9.17; 9,164; XIV,1,2.7; 5,47 Scyrus XIII,2,138 Scythae XI,4,67 Scythia VII,7,144 Scythica regio V,15,230 Scythicus V,15,234 Scython IV,12,105.107
Semele III,4,67.72.74; 5,82.83 Semiramis IV,5 passim Seneca V,14,222; XIII,1,55; 8,456.457.470; XIV,4,48 Serapion XIV,4,39 Seriphus IV,25,303 Sertorius IX,9,101 Servius I,3,146; VI,13,231; VIII,2,34; IX,23,317 Sforza → Sphortia Sibylla XIV,3,20.22; 4,33.40; – Cumaea XIV,4,34 Sicilia D 33; V,7,110.113; 9,140; 14,213.216; 15,228; XIII,11,511; 12,530.532 Siciliense fretum XIV,1,5 Siculi V,9,139; 10,155 Siculum littus V,14,220 Silius Italicus I,3,136 Simonides V,2,33 Sinis VII,14,227 Sipylus → Sypilus Sirenes V,13 passim Sirenum scopuli V,13,176 Sisyphus IV,19,209.211.212; IX,13,240; XIII,2,93 Smilax IV,15 passim Socrates I,4,169; 13,379; VI,14,265; XIV,7,62; 8,79 Sol II,1,3.101; 13,234; IV,8,79.82; 9,86; XIV,7,70.72 Solon III,2 passim Sophocles VI,8,126; IX,9,93 Spartacus VIII,7,103 Sphortia (= Sforza), Ludovicus II,2,111 Spoletum III,6,88 Strabo D 53; II,11,210; IV,14,121; 16,148.152; V,14,221; VI,2,40; 3,66; VII,5,123; 16,316; VIII,7,98; IX,3,36; XV,14,127 Strophades VII,1,14 Strymon VI,14,267 Stygii manes V,1,17–18 Stygius lucus I,8,250; 9,292; – Pluto X,12,143; – stipes X,12,136 Stymphalides aves IX,9,170 Stymphalus IX,9,170.172 Suetonius XV,15,141 Suidas VII,5,116; VIII,13,238 Sulla → Sylla
Surrentum V,13,175 Sylla (= Sulla) I,6,187; 10,301.303.305 Sylvius XIV,18,167.168 Sylvius, Aeneas X,12,142 Sypilus (= Sipylus) VI,8,144 Syracusae V,9,150; 14,213 Syracusanus XIII,12,531 Syracusanus ager V,10,155–156 Syria IV,4,31; 27,334 Syria dea I,12,351 Syriaca lingua IV,4,42; 5,46 Syrii IV,4,38 Syrinx I,26,512.513 Tages XV,11,101.103 Talus VIII,6,91 Tantalus IV,19,208; VI,8,118; 11,204; X,7,81.82–83 Tapina vallis VI,8,152–153 Tarquinius XIV,16,140 Tartara / Tartarus I,5,176–178.180; XII,13,142 Taurica VII,6,134 Taurominium XIII,12,530 Taurus VII,14,224; VIII,2,34 Telamon XIII,2,112 Telchines VII,11 passim Telephus XII,5 passim; XIII,2,146 Tenarum (= Taenarum) promontorium IX,9,156 Terentianus IX,13,237 Tereus VI,12,214.215; 13,242 Teucer XIII,1,5 Teumessia (= Theumesia) vulpes VII,18,333 Teumessus (= Theumesus) collis VII,18,333–334 Teutonici IX,2,11 Thais IX,22,309 Thaumantias IV,21,270 Thaumas IV,21,268.271 Thebani VI,10,174.182; VII,18,327.335; 19,347 Themis I,17,418; 18,420.421; VII,18 passim Theocritus I,4,168; XIII,11,519 Theodorus quidam I,1,51 Thersites XIII,2,205 Theseus VII,14,220.223.228; VIII,3,48; 7,132; IX,9,151.152.153 Thessali VII,2,19–21
Index nominum
421
Thessalia IX,9,184; XI,7,111; XII,9,95 Thessalia regio XII,9,96 Thestias VIII,9,156.177 Thetis XI,7,108; XIII,2,133.257 Thisbe / Thysbe IV,6 passim; VIII,9,164 Thoas XIII,2,322 Thraces VI,4,77; 12,214; 14,270 Thracia IV,2,16; V,4,65; X,4,43; XI,2,12; XIII,2,228; 7,453 Thrasones XIII,2,348 Thrax VII,2,26 Threitia VI,3,64 Thucydides VII,15,258.260.280 Thuringia → Turingia Thymocreon V,2,32 Tiberius I,15,391 Ticinus IX,5,49 Timaeus V,14,222 Tiresias III,6 passim; 8,138; IV,12,109 Tirolenses equites XII,9,97 Tirynthia tela XIII,5,391 Tirynthius IX,5,58 Tisiphone IV,20,229.243 Titanes D 8; I,3,95 Tithonus IX,18,272.275 Titius (= Tityus) IV,19,202.207; IX,13,240 Toxeus VIII,8,150 Trinacria V,9,128 Trinacris V,6,106 Triopeïs VIII,15,271 Triptolemus V,15 passim Triton I,12,345; 15 passim Troezen XV,2,33 Troia XIII,2,143.173.289.297.303.337.338; 4,374; 5,392.395; 8,461; 10,503 Troiana arx XIII,4,382–383 Troiani XI,6,98.99; XII,3,17; 8,76; XIII,2,170– 171.179.230.295–296 Troiani muri XI,6,93 Troianum bellum XI,13,190; XII,1,4–5; 4,29; – regnum XIII,4,377 Troianus vir XIII,4,384 Tros X,7,78.82 Tubero XIII,8,480 Turca / Turcae XII,11,121; XIII,7,449; XIV,5,49 Turingia XII,10,109 Turnus XIV,5,49
422
Index nominum
Tyberinus XIV,18,167–168 Tydides XIII,2,311 Typhoeus V,6,107; 7 passim Tyrium ostrum X,8,86 Tzetza (= Tzetzes), Ioannes VI,8,135–136; VII,2,24; 19,345; IX,6,68 Ubaldus Feretrius XI,4,57 Ulysiponenses (= Ulisipponenses) I,15,391–392 Ulyssea familia XIII,1,38; – oratio XIII,1,53; 2,69 Ulysses V,13,207; XIII,1 passim; 2 passim; 4,382; 5,390; 7,417; XIV,5,45.46; 6,54; 7 passim Urbinum XI,4,57 Ursa, sidus II,5,147.150 Vadimonis lacus XIV,21,192 Valerius Flaccus VII,3,35 Valla, Laurentius VI,13,250 Varmiensis episcopus III,3,60 Vasconia VI,9,162
Veneta historia VIII,14,254 Venetiae X,8,91 Venilia XIV,9,86 Venus I,20,448; IV,4,34; 7 passim; 16,137; 22,278.280; IX,21 passim; XIV,17,151 Vertumnus / Vertumni XIV,19 passim Virbius XV,9,77.78.81.87 Virgilianus interpres VI,13,232 Virgilius V,2,33; VI,13,238; VII,15,292.301; VIII,5,57; 13,230.248; X,8,88–89; XIII,8,471; XIV,3,20; 10,94; 15,134 Viteberga V,3,61–62 Vitebergensis Academia V,13,196 Vitellius XV,9,86 Vulcanus II,7 passim; IX,20,288.289; XIII,3,361 Winshemius, Vitus III,7,108 Xenophon VII,19,342; X,13,160; XIV,7,62 Zetes VII,2,17.23.27 Zoilus V,2,32