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German Pages 309 [313] Year 2014
Jeannine Wintzer Geographien erzählen
SozialgeographiSche BiBliothek Herausgegeben von Benno Werlen Wissenschaftlicher Beirat: Matthew Hannah / Peter Meusburger / Peter Weichhart Band 18
Jeannine Wintzer
Geographien erzählen Wissenschaftliche Narrationen von Geschlecht und Raum
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: © Jeannine Wintzer / Sandra Horn Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10832-4 (Print) ISBN 978-3-515-10836-2 (E-Book)
Geographien leben – eine Danksagung
Der Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik erhält seine Symbolik im November 1989, als nach monatelangen Demonstrationen Hunderte von Menschen in Berlin die Mauer erklettern und schlussendlich deren Fall herbeiführen. Die Wende steht vordergründig für die Durchsetzung von Meinungs-, Bildungs- und Reisefreiheit und damit für die Möglichkeit zur individuellen Entfaltung. Diese Ereignisse erweitern auch die geringen Möglichkeiten meines Lebens um ein Vielfaches. So verwandelt sich eine Ablehnung für den Besuch des Gymnasiums in eine Zusage, was mir nicht nur mein Studium der Geographie in Jena ermöglicht, sondern mich darüber hinaus nach Bern führt, wo ich die Chance für diese Dissertation erhalte. Auf diesem Weg muss auch ich über einige Mauern klettern und dabei haben mich viele Personen begleitet und unterstützt. Ich möchte ihnen auf diesem Weg dafür danken. Zunächst gebührt ein großer Dank meiner Doktormutter, Prof. Dr. Doris Wastl-Walter, die mit ihrer fachlichen Kreativität und herzlichen Unterstützung den Start, den Prozess sowie den Abschluss dieser Arbeit möglich macht. Liebe Doris, ich kam mit großer Aufregung in Deine Gruppe und es gibt keinen Tag, an dem ich davon nicht profitiere. Für Dein Vertrauen in meine Fähigkeiten, Deine Beharrlichkeit, sodass ich dieses Dissertationsprojekt begonnen habe, Deine Geduld bei den anfänglichen Irrwegen sowie für die emotionale und fachliche Unterstützung während des Forschungsprozesses danke ich Dir von ganzem Herzen. Weiterhin möchte ich Benno Werlen danken, der trotz vieler Verpflichtungen die Aufgabe des Zweitgutachters übernahm. Lieber Herr Werlen, durch Ihre Ausbildung in Jena habe ich eine Geographie kennenlernen dürfen, die sich als wissenschaftliche Disziplin mit ihrer Geschichte und ihren erkenntnistheoretischen Vorannahmen auseinandersetzt und damit wissenschaftliches Arbeiten fernab jeder Totalität ermöglicht. Damit gelingt uns Geographen und Geographinnen ein Zugang zum alltäglichen wie auch wissenschaftlichen Geographie-Machen. Für diese Perspektive sowie Ihre Unterstützung danke ich Ihnen. Während der Studienjahre in Jena durfte ich Menschen kennenlernen, die mich seitdem begleiten und unterstützen. Sie sind das Fundament für meinen Mut und mein Selbstvertrauen. Liebe Jana, liebe Sandra, liebe Heike, ohne Eure Freundschaft wäre ich nur ein halber Mensch. Ich danke Euch für das Vertrauen in mich, die emotionale Unterstützung. Auch in Bern erfahre ich viel Unterstützung; mein Dank
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Danksagung
geht an die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Analysegruppen, vor allem an Franziska Meyer und Franziska Schmid. Danke für die kreativen Diskussionen und die freundschaftlichen Ratschläge. Nicht zuletzt besitze ich das große Glück, einen Mann an meiner Seite zu haben, der sich ebenso wenig von einem Dissertationsprojekt wie von den damit verbundenen zeitlichen Belastungen für eine Beziehung erschrecken ließ. Lieber Robert, seit zwölf Jahren nun stehst Du an meiner Seite und teilst mit mir das vielseitige und spannende Leben in zwei Städten und zwei Ländern. Mit Deiner Besonnenheit hast Du den größten Anteil an der Durchführung und am Abschluss dieses Forschungsprozesses, dessen Hochs und Tiefs Du durch Deine Weitsicht immer wieder ausgeglichen hast. Ich danke Dir für deine unermüdliche Unterstützung und Deine Liebe, die mich trägt.
Inhalt
A Wenn eine eine Reise tut, dann kann sie was erzählen1 Motto der Reise festlegen 1 Alltägliche und wissenschaftliche Geographien
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2 Aktionen planen: Forschungsdesign 2.1 Forschungsinteresse 2.2 Forschungsfragen 2.3 Forschungsziele 2.4 Forschungsbasis
19 19 21 22 24
3 Konklusion I 3.1 Präsentation des Forschungsprojektes 3.2 Aufbau der Arbeit
27 27 30
B Visum beantragen – Zugänge ermöglichen Epistemologischer Support
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4 Erkenntnisgewinn als Erkenntniskonstruktion 4.1 Postpositivistische Wissenschaftsforschung 4.2 Wissen als gerichtete Wahrnehmung 4.3 Wissenschaftsforschung als Praxeologie
35 36 39 42
5 Geographien produzieren, vermitteln und durchsetzen 5.1 Geographisches Wissen in Zeit und Raum 5.2 Geographisches Wissen und Geschlecht 5.3 Geographisches Wissen als materielles Bild
47 47 48 50
6 Analyse von Wissen als Archäologie und Genealogie 6.1 Sprache – Struktur – Gesellschaft 6.2 Episteme und Diskurse der Wissenschaft 6.3 Disziplinierung und Regulierung
55 56 57 60
Original: „Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen“ Matthias Claudius (1740–1815).
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Inhalt
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Narrative der Wissenschaft 7.1 Geographien als Erzählung 7.2 Erzählte Geographien von Geschlecht 7.3 Erzählte Geographien von Raum 7.4 Erzählende: Subjekt als Subjektivierung 7.5 Wortführerinnen von Diskursen
63 65 68 70 73 74
8
Konklusion II 8.1 Abgrenzungen 8.2 Positionieren durch Argumentieren 8.3 Dimensionalisierung Erzählter Geographien
77 78 79 80
C Auf Reise gehen – Sightseeing Methodologischer Support 9
Route 1: Erzählte Geographien als Text 9.1 Der wissenschaftliche Text als Sprechakt 9.2 Erzählanalyse in der Praxis
85 87 88 92
10 Route 2: Erzählte Geographien als Versprachlichung 10.1 Rekonstruktive Methoden der Sozialforschung 10.2 Von der Sprache zur Versprachlichung 10.3 Heuristiken als Zugang zum Text 10.4 Rekonstruktion in der Praxis
95 96 98 99 100
11 Route 3: Erzählte Geographien als Metapher 11.1 In Metaphern denken und sprechen 11.2 Metaphern und metaphorische Konzepte 11.3 Metaphernanalyse in der Praxis
105 105 107 109
12 Route 4: Erzählte Geographien als Argument 12.1 Argumentation als Argumentationspraxis 12.2 Das wissenschaftliche Argument 12.3 Argumentationsanalyse in der Praxis
115 115 119 120
13 Route 5: Erzählte Geographien als Bild 13.1 Was ist ein Bild? 13.2 Mit Bildern erzählen 13.3 Bilddiskursanalyse in der Praxis
121 122 123 128
14 Konklusion III 14.1 Rekonstruktion als Dekonstruktion 14.2 Praktiken reflektieren
129 129 130
9
Inhalt
D Über die Reise erzählen Rekonstruktion wissenschaftlichen Wissens
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15 Reiseerzählung 1: Die Episteme „(…) Grundlage des Beitrages bildet eine geschlechts- und altersspezifisch differenzierte Wanderungsdatenbank (…)“ 15.1 Erfassung der Gesellschaft 15.2 Wiedergabe des Individuums im Durchschnitt 15.3 Die Daten beinhalten Ursachen und Wirkungen 15.4 Geschlecht als homogene Kategorie 15.5 Raum als homogene Fläche 15.6 Abbildung der Gesellschaft
135 136 138 140 142 147 150
16 Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse „(…) Deutschlands Frauen bekommen so wenig Kinder wie fast nirgendwo in der Welt (…)“ 16.1 Diskursproduzentinnen des demographischen Wandels 16.2 Die Bevölkerungsprobleme 16.3 Die Spatial Impacts des demographischen Wandels 16.4 Migration und nationalstaatliche Identität 16.5 Binnenwanderung als …
153 155 158 161 164 165
17
Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk „(…) der Blick auf die Zahlen ermöglicht ein differenziertes Bild (…)“ 17.1 Zählen und Berechnen: Formatierung der Gesellschaft 17.2 Zahlendispositiv regelt soziale Ordnung 17.3 Was zählt, das gilt! Von den Daten zu den Fakten 17.4 Der Osten, die ostdeutschen Frauen und die Kinder
171 172 174 176 177
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Reiseerzählung 4: Die Ökonomie „(…) die einen profitieren, die anderen verlieren (…)“ 18.1 Rationalitätsregime und Ökonomisierung des Sozialen 18.2 Ökonomisierungsdispositiv regelt Leistungsfähigkeit
183 184 186
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Reiseerzählung 5: Die Natur-Wissen-Schafft „(…) die größte Anziehungskraft übt München aus (…)“ 19.1 Das natürliche Bevölkerungswachstum 19.2 Strom und Welle: Naturmetaphern 19.3 Naturalisierung der sozialräumlichen Welt 19.4 Reiz und Reaktion: Verhalten der Ostdeutschen
189 190 192 193 196
20
Reiseerzählung 6: Tatort Ostdeutschland „(…) wird sich Ostdeutschland in den nächsten Jahrzehnten entvölkern (…)“ 20.1 Der tragische Charakter einer Region
199 200
10
Inhalt
20.2 Der Krimi als ordnende Erzählform 20.3 Verbrechen – Ermittlung – Aufklärung 20.4 Dramatisierung sozialräumlicher Phänomene
202 204 207
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Reiseerzählung 7: Erzähltes Geschlecht „(…) das veränderte Fertilitätsverhalten ostdeutscher Mütter (…)“ 21.1 Naturalisiertes Sein = normatives Sollen 21.2 Die ostdeutschen Frauen und Männer 21.3 Dispositive der Heteronormativität
209 210 212 213
22
Reiseerzählung 8: Erzählter Raum „(…) typische Orte in der ostdeutschen Provinz (…)“ 22.1 Schrumpfende und alternde Regionen 22.2 Die Zwangslage 22.3 Das andere Deutschland
217 219 219 222
23
Fotoalbum: Die Nachvoll‚seh‘barkeit „(…) wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist ...“ 23.1 Vom ‚Erkennen in‘ wissenschaftlichen Bildern 23.2 Die Interpretation der Eindeutigkeit 23.3 Zeigen – Bestätigen – Verdeutlichen 23.4 Übersichtlichkeit – Vergleich – Unterhaltung 23.5 Vergangen – augenblicklich – zukünftig
227 228 230 233 235 236
24
Reiseerzählung 9: Popularisierung „(…) Schrumpfungslandschaften und Problemregionen (…)“ 24.1 Wissen populär machen 24.2 Verschlagworten – Vergleichen – Vereinnahmen 24.3 Demographisieren – Problematisieren – Politisieren
239 240 241 244
25
Konklusion IV 25.1 Kontexte der Bevölkerungsforschung 25.2 Geschlecht und Raum in der Bevölkerungsforschung 25.3 Binnenmigration als Spezialdiskurs 25.4 Gesellschaft vergleichbar machen 25.5 Ökonomische Leistungsfähigkeit nicht garantiert 25.6 Durchsetzung
249 249 251 252 254 256 257
Zusammenfassung Wissenschaftliches Wissen über Geschlecht und Raum Erzählte Geographien leisten … Wissenschaftlerinnen als …
261 263 266 269
Nachweise
273
A
Wenn eine eine Reise tut, dann kann sie was erzählen Motto der Reise festlegen
Das Wort „reisen“ leitet sich von althochdeutsch „risan“ ab und meint auferstehen, sich erheben, aufbrechen zu kriegerischer Unternehmung. Die englische Bezeichnung „journey“ geht auf das lateinische „diurnum“ zurück und meint „so viel wie ein Mensch an einem Tag schafft“. Das ebenso englischsprachige „travel“ leitet sich vom französischen „travail“ ab, was „Mühe“ und „Arbeit“ bedeutet und „voyage“ entstammt dem lateinischen „viaticum“, das für den Weg „Notwendige“ steht. Alle Bedeutungen haben mich stets begleitet, sodass ich Verschiedenes zu erzählen habe.
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Alltägliche und wissenschaftliche Geographien
Kremmen – das ist ein Ort in Brandenburg, der dem deutschen Spielfilm „Frauen wollen mehr“ (2009) eigentlich nur als Schauplatz einer romantischen Story dient. Dennoch stellt sich heraus, dass der brandenburgische Ort als Mikrokosmos für ganz Ostdeutschland steht. Denn Kremmen hat ein Problem, das filmisch erzählt wird – es herrscht chronischer Frauenmangel. Nur noch 17 Frauen leben im ganzen Dorf. Von diesen sind einige zu jung zum Heiraten, manche schon zu alt, andere sind wiederum vergeben oder lesbisch. Ben, Steffen, Mario, Ingo und Thorsten sind die Zurückgelassenen, die eine Erklärung suchen, um die stete Abwanderung zu stoppen. Lösungen müssen her, um die potenziellen Partnerinnen in Kremmen zu halten und werden bald gefunden: von Tipps zu Körperpflege und Modebewusstsein über Tanzkurse bis hin zum Erlernen von Tischmanieren tun die Männer alles, um mit den Männern in den neuen Wahlheimatsorten der wegziehenden Frauen, München und Mailand, mithalten zu können. Am Ende gelingt es ihnen. Nicht nur, dass die Frauen bleiben, Weggezogene kommen wieder. Die Zeitungsmedien stimmen in dieses Bild ein. Der Spiegel (04.06.2007) titelt „Geld oder Liebe? Dem Osten laufen die Frauen davon“ und potenzielle Kinder „bekommen Ostfrauen im Westen“, die FAZ (20.10.2006) vermerkt, „erst fehlen die Kinder, dann die Eltern“, beschreibt damit den „langsamen Tod Ostdeutschlands“ und prognostiziert für spätestens „2015 einen zweiten Wendeschock“. Denn die „jungen Frauen kehren den ländlichen Gebieten Ostdeutschlands den Rücken“ (FAZ 06.08.2011). Auch Wolfgang Tiefensee, der von 2005 bis 2009 als Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer zuständig ist, beunruhigen die Abwanderungen und er will mit neuen Förderprogrammen etwas gegen die „alarmierenden Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung bis 2050“ tun (ARD Tagesschau 03.06.2007). Dieses Ziel verfolgt auch der Bürgermeister der sächsischen Kleinstadt Freital, indem er jungen rückkehrenden Frauen einen Mietzuschuss von 2000 Euro anbieten möchte, wenn diese sich in Freital niederlassen (Der Spiegel Online 18.09.2007). Das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig sieht sich ebenfalls zum Handeln berufen und leitet bis 2009 ein Kontaktbüro für Rück- und Zuwanderer im Internet2. Die Universität Leipzig, die Stadt Magdeburg sowie das Nexusinstitut (www.nexusinstitut.de) unterstützen das Projekt Menschen für Ostdeutschland (www.menschen-fuer-ostdeutschland. de) und das Land Mecklenburg-Vorpommern betreut eine Internetseite zur Suche von Fach- und Führungskräften (www.mv4you.de). Zudem will die Stadt Magde2
www.kontakt-ostdeutschland.de (Die Seite ist nicht mehr online.)
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Alltägliche und wissenschaftliche Geographien
burg das Heimweh von Wegziehenden mit einer Heimatschachtel und den darin verborgenen positiven Erinnerungen an die Heimat sowie diversen magdeburgbezogenen Geschenken fördern (TAZ 28.03.2006) und die Stadt Greifswald sieht in einem Aktionstag zum Thema „Standortfaktor – Familie und Universität“ eine Möglichkeit den „Gebärstreit und die Zeugungsunlust Hochqualifizierter“ zu beenden.3 Greifswald will damit eine familienfreundliche Universität aufbauen, denn diese Hochschulen „tragen dazu bei, dass junge qualifizierte Frauen, die die stärkste Abwanderergruppe bilden, im Land gehalten werden“ (uni-protokolle 01.06.2006). Nicht zuletzt bietet der Innovationsverbund Ostdeutschland (www.ostdeutschlandforschung.de) Netzwerke, Projekte, Veranstaltungen und Forschungsinformationen zur Ostdeutschlandforschung, um die konzeptionelle Neuorientierung der sozialund wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zu Ostdeutschland zu bündeln. Mittlerweile sind mehr als 20 Jahre seit der Wiedervereinigung der ehemals beiden deutschen Staaten vergangen, die am 3. Oktober 1990 rechtlich vollzogen wird. Das, was 40 Jahre lang eine unüberwindbare Distanz darstellt, wird mit dem Mauerfall am 09.11.1989 scheinbar mit einem Schlag vereinbar. Schnell wird jedoch deutlich, dass dem nicht so ist, denn mit Demokratie, Freiheit und der Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien sind neue Regionalisierungen entstanden. Zudem tritt ein alltagsweltlicher Diskurs in den Vordergrund, der anscheinend vorhandene kulturelle Unterschiede zwischen den sogenannten „Ossis“ und „Wessis“ sprachlich verankert. Schleichend und selbstverständlich wird die geographische Bezeichnung ‚im Osten‚ zu einer inhaltlichen Beschreibung von Personen. Nicht das zeitliche Moment der Wiedervereinigung und die damit mögliche Historisierung gesellschaftlicher Prozesse, sondern das räumliche Moment bildet den zentralen Ausgangspunkt der neuen Identitätsstiftung. Man ist nicht mehr aus dem Osten, sondern man ist Ossi. Solche raumbezogenen Identitäten, die, wie Christiane Marxhausen (2010) überzeugend zeigt, sich aus einer Vielzahl von Identitätsangeboten durchsetzen konnten, bilden die Grundlage zu Berichten über Unterschiede zwischen Ossis und Wessis. Diese reißen seit 1990 nicht mehr ab; meist wird ökonomisch (vgl. Fritsch et al. 1998, Nuhn & Neiberger 2000, Rosenfeld 2006, Delhey & Böhnke 1999) argumentiert, nicht selten sozial-kulturell (vgl. Schneider & Spellerberg 1999, Scheller 2005, Fischer 2000, Baerwolf & Thelen 2005), aber auch individuelle und emotionale Differenzen fehlen in den Beschreibungen nicht.4 Die Darstellung sichtbarer, spürbarer und somit vorhandener Differenzen, die das zusammengewachsene Volk aufs Neue trennt, sind nach wenigen Jahren ins Alltagbewusstsein eingelassen, sodass auch diejenigen, über die medial erzählt wird, nicht selten ihre zugeschriebene Identität als 3
4
Aus diesem Anlass findet eine Bürgerausstellung „Familien an der Universität – Projekt Zukunft?“ und anschließend eine Podiumsdiskussion statt. Für die Bürgerausstellung werden Mütter und Väter portraitiert, die an der Universität Greifswald studieren oder dort beschäftigt sind. Studierende, forschende und lehrende Mütter und Väter berichten vom Leben mit ihren Kindern – von der Bereicherung durch die Kleinen, vom Aufbruch in einen abenteuerlichen neuen Lebensabschnitt, vom Motivationsschub für die wissenschaftliche Arbeit, den die Geburt eines Kindes bedeuten kann. Mit den Portraits sollen dem tendenziell negativen Image von Familie und Elternschaft unter Akademikerinnen positive Rollenbilder gegenübergestellt werden (www.uni-protokolle.de; 01.06.2006). Liebte der Osten anders? Sex im geteilten Deutschland (2006)
Alltägliche und wissenschaftliche Geographien
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die eigene aktiv verwenden und reproduzieren. Wissenschaftliche Erkenntnisse scheinen zudem zu bestätigen, was jede/r weiß (vgl. Dienel & Legewie 2005, Friedrich & Schultz 2005, Pfaffenbach 2001); der Traum nach einem geeinten Deutschland ist gescheitert und wird durch ein „2Raumdeutschland“ (Schlottmann 2005b) ersetzt. Diese Nacherzählungen stehen stellvertretend für eine Debatte, die in Deutschland seit einigen Jahren verstärkt geführt wird; und das nicht nur in den Print- und Fernsehmedien, sondern auch wissenschaftlich. Auch Geographinnen5, Soziologinnen und Demographinnen nehmen sich der scheinbar dramatischen Probleme Ostdeutschlands an und untersuchen soziale, politische, räumliche vor allem aber wirtschaftliche Ursachen für das Nicht-Schritt-Halten der neuen Bundesländer. In den Untersuchungen stehen hauptsächlich zwei Themen im Vordergrund, die den Aufholprozess Ostdeutschlands zu bremsen scheinen: die geringe Geburtenrate sowie die Abwanderung ehemaliger DDR-Bürgerinnen in Richtung alte Bundesländer. Ein Blick auf die Geschichte der Bevölkerungsforschung zeigt, dass Analysen zur niedrigen Geburtenrate schon seit Beginn der ersten Auseinandersetzungen mit „Bevölkerung“ durch eine starke Fokussierung auf die Personengruppe „Frau“ gekennzeichnet sind. Seit den 1990er-Jahren erfahren nun auch Wanderungs- und Binnenwanderungsanalysen diese Fokussierung, was dazu führt, dass „Frauen“ scheinbar für die regionale Entwicklung und damit insgesamt für den Erfolg respektive Misserfolg der Wiedervereinigung verantwortlich gemacht werden. Die wissenschaftlichen Analysen diskutieren Ursachen des Geburtendefizits und der Frauenabwanderung sowie die daraus für die Region entstehenden Folgen. So ist sich schon die Universität Greifswald sicher, dass Frauen „als Katalysator regionaler Entwicklung [wirken], denn sie halten Hochqualifizierte mit ihrem professionellen und innovativen Potenzial für Wirtschaft und Gesellschaft im Lande bzw. locken sie an“ (www.uni-protokolle.de; 01.06.2006). In diesem Sinne beschreiben wissenschaftliche Arbeiten den durch das Geburtendefizit und die Abwanderung ausgelösten „Erosionsprozess der Wende“, der in nicht zu „stoppenden Wanderungsströmen und Auswanderungswellen“ zwischen Ost- und Westdeutschland (Felderer 1990, Häfner 2005, Kemper 1999, Kröhnert 2009) ende. Sie prognostizieren einen tief greifenden demographischen Wandel, in dessen Folge die Bevölkerung schrumpfe (Dienel & Gerloff 2003, Friedrich 2008) und junge Frauen stellen dabei eine „besonders kritische Gruppe“ dar (Kubis & Schneider 2007). Die regionale Humankapitalausstattung ziehe ein Ungleichgewicht nach sich (Werz 2001), die Schere zwischen Jung und Alt werde immer größer, letztendlich stelle das „Altersheim Ostdeutschland durch Kettenabwanderungen einen Hemmschuh für die Entwicklung ganz Deutschlands dar“ (Gans & Kemper 2003, Pohl 2008, Schneider 2005).
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Um die Kritik an der immer wieder betonten schwierigen Lesbarkeit des feministischen Binnen-I (z. B. der GeographInnen) ernst zu nehmen, werden im Folgenden alle personellen Bezüge durch die Vereinigung männlicher sowie weiblicher Bezeichnungen erfolgen (Beispiel: Bürgerinnen). Auf die Verbindung beider Personenbezeichnungen wird nur dann verzichtet, wenn die historischen Kontexte die Vermutung zulassen, dass überwiegend ein soziales Geschlecht präsent ist (z. B. Scholastiker, Empiristen, Kolonialgeographen).
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Alltägliche und wissenschaftliche Geographien
Den Höhepunkt verdeutlicht „Der Tagesspiegel“ (31.05.2007), der auf die wissenschaftlichen Ergebnisse einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung (www.berlin-institut.org) mit dem Titel „Not am Mann“ zurückgreift und vor einer „neuen männerdominierten Unterschicht im Osten“ warnt. Diese Studie stellt fest, dass Ostdeutschland den größten Frauenmangel Europas aufweise und prognostiziert für die ostdeutsche Zukunft ein düsteres Bild. Die „vorwiegend jungen Männer, die in den wirtschaftsschwachen Landstrichen zurückbleiben, sind auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung und bei der Partnerfindung benachteiligt. Im statistisch gar nicht seltenen Extremfall bedeutet das: keinen Job, keine Ausbildung, keine Partnerin“ (Kröhnert & Klingholz 2007:4). Diese Studie geht noch weiter und beschäftigt sich mit einem ganz spezifischen Problem der vor allem weiblichen Abwanderung, die in Abbildung 1 und 2 den Leserinnen vermittelt wird. Auf der linken Seite sind die Wahlergebnisse der rechtsextremen Partei NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschland) abgetragen. Es gilt, je dunkler die
Abbildung1: Wahlergebnisse der NPD 2005; Quelle: Kröhnert & Klingholz 2001:71
Alltägliche und wissenschaftliche Geographien
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Farbgebung, umso größer der Zulauf der Partei in Prozent. Auf der rechten Seite ist die Anzahl von Frauen je 100 Männer in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen abgebildet. Hier gilt, je dunkler die Farbgebung, umso weniger Frauen wohnen im Verhältnis zu jungen Männern in der Region. Rainer Klingholz und Steffen Kröhnert (2007:5) interpretieren diese Ergebnisse wie folgt: „Der Zusammenhang zwischen den Wahlergebnissen der NPD und dem regionalen Überschuss an jungen Männern ist deutlich zu erkennen. Die Korrelation beträgt 0,73. Rechtsradikal zu wählen, ist kein simples Phänomen der neuen Bundesländer. Die Frustration, die sich im Wahlverhalten ausdrückt, beruht auf hoher Arbeitslosigkeit, niedrigem Einkommen, geringer Bildung, dem Mangel an Frauen – und der Entwertung klassischer Männerrollen“. Dies wird mit den Worten des FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) Herausgebers Frank Schirrmachers ergänzt, der „von jungen, partnerlosen Männern [spricht], die aus Frust über ihre unerfüllten Männerphantasien zum rechten Rand des politischen Spektrums driften“ (FAZ 20.09.2006).
Abbildung 2: Frauenüberhang in Ostdeutschland 2005; Quelle: Kröhnert & Klingholz 2001:71
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Aktionen planen: Forschungsdesign
Was passiert hier? Finden hier wissenschaftliche Erkenntnisse durch Film und Printmedien Einzug in alltägliche Diskussionen, oder sind es alltägliche Diskussionen, die durch wissenschaftliche Bemühungen als sozialräumliches Phänomen erscheinen und dringender Lösungen seitens der Wissenschaft bedürfen? Jedenfalls wird deutlich, dass Berichte über sozialräumliche Phänomene, wie Geburtendefizite und Abwanderungen, einen wesentlichen Anteil daran haben, welches Wissen über Personen und Orte zirkuliert. Wie stark dieses Wissen an die Kategorien Geschlecht und Raum gebunden ist, verdeutlicht eine Einschätzung der Geographin Andrea Schultz (2009:12), nach der Frauen vor allem deshalb abwandern, „weil sie in ihren Heimatregionen keinen Partner mit entsprechendem Bildungsniveau mehr finden könnten“. Und auch hier ergänzt die FAZ (06.08.2011), dass es in einigen Regionen ganz besonders schlimm ist, wie zum Beispiel im Kyffhäuserkreis. Da trinken Männer „gern auch mal weiter (…) bis man ins Koma fällt“, denn die „Wahrscheinlichkeit, dass ein junger Mann an einem Freitagabend alleine nach Hause geht, ist in der Gegend tatsächlich höher als anderswo: Nicht einmal 80 Frauen zwischen 18 und 30 Jahren kommen auf hundert gleichaltrige Männer“. Es gäbe im Kyffhäuserkreis Gemeinden, in denen sich „zwei Männer im heiratsfähigen Alter eine Frau teilen“ müssten. 2.1 Forschungsinteresse Berichte über Personen und Orte beschreiben diese nicht einfach und erweitern somit das Wissen über jemanden und etwas in quantitativer Hinsicht, sondern sie konstruieren diese Personen und Orte narrativ, das heißt im Zuge des Erzählens über sie. Wissen wird hier verstanden als „die Gesamtheit der Kenntnisse, die innerhalb kultureller Systeme auf spezifische Weise formatiert werden, durch Beobachtung, Erfahrungen und Lernprozesse angeeignet werden und die stets neu abrufbare Denk-, Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten bereitstellen“ (Müller 2009:36). Erzählungen sind wiederum sprachliche Akte, die bestimmtes Wissen und dessen Bedeutungsinhalte transportieren und damit wesentliche Elemente alltäglichen und wissenschaftlichen Geographie-Machens sind. Innerhalb der handlungstheoretischen Sozialgeographie Benno Werlens (1997a, 1997b) steht dieses Begriffspaar für einen aktiven Gestaltungsprozess der Welt, der wiederum Auswirkungen auf zukünftige Praktiken
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Aktionen planen: Forschungsdesign
des Geographie-Machens hat. Dabei geht es nicht nur um die Gestaltung der räumlichen Dimensionen des Handelns, wie dies zum Beispiel noch bei Hans Bobek (1948), Wolfgang Hardtke (1962) und auch Paul Videl de la Blache (2011 [1905]) der Fall ist, sondern um die Aneignung von Welt durch die Verbindung ökonomischer, politischer sowie sozialer Dimensionen des Handelns mit Raum, was Benno Werlen als Regionalisierung bezeichnet. Das Begriffspaar „Erzählte Geographien“ wird somit in dieser Arbeit für wissenschaftliche Praktiken benutzt, die spezifische Bedeutungsinhalte im Zuge der Verbindung von Geschlecht und Raum durch Erzählen hervorbringen. Es ist mit Verweis auf die einleitenden Ausführungen zudem festzustellen, dass spezifisches Wissen über Personen und Orte nicht allein die Konsequenz sprachlicher Akte des Erzählens, sondern auch auf die visuelle Praxis der Wirklichkeitskonstruktion zurückzuführen ist. Die Visualisierung sozialräumlicher Phänomene, zum Beispiel in Form von Karten, aber auch im Zuge von Grafiken und Diagrammen, zielt explizit auf die Abbildung dieser ab. Jedoch sind Visualisierungen keine Abbildungen oder Wiederspiegelungen sprachlicher Praxis. Sie sind Konsequenzen von Praktiken, ohne die das Denken und Sprechen und nicht zuletzt das alltägliche und wissenschaft liche Geographie-Machen nicht möglich sind. Als Ikonen (Boehm 1994) und Viskurse (Knorr-Cetina 2001) sind sie autonome Stimuli der Wirklichkeitskonstruktion, da ihr zentrales Element – die Sichtbarkeit – sozialräumlichen Phänomenen einen objektiven Status zuschreibt. Das in sprachlichen und visuellen Erzählungen vermittelte Wissen besitzt außerordentliche Wirkmächtigkeit, die vordergründig an die Wirkmächtigkeit statistischer Zahlen gebunden ist. So bedienen sich alltägliche wie auch wissenschaftliche Erzählungen der zahlenmäßigen und statistischen Darstellung der Gesellschaft, um ihre Ausführungen argumentativ zu unterstützen. Jedoch zeigt sich bei näherer Betrachtung sowohl die Widersprüchlichkeit und Flexibilität als auch die Unterdeterminiertheit des statistischen Datenmaterials. Erstens steht Deutschland von insgesamt 180 gelisteten Staaten auf Platz 16 der bevölkerungsreichsten Länder der Welt. Zweitens zeigt eine quantitative Auseinandersetzung mit dem statistischen Datenmaterial der deutschen Bevölkerungs- und Migrationsforschung dessen interpretative Flexibilität, da die bevorzugte Interpretation der Daten jeweils an die vorkonstruierten Kategorien von Geschlecht (Frau – Mann) und Raum (Ostdeutschland – Westdeutschland) gebunden sind und im Zuge dessen nur einseitige Wanderungsbewegungen (Ost – West) in den Blick genommen werden. Drittens zeigen rein quantitative Gegenrechnungen, wie zum Beispiel West-West-, Ost-Ost-, Nordwest-Südost-, Nord-Süd- und/oder Stadt-Land-Wanderungen keine grundsätzlich ‚normaleren‘ Wanderungsbewegungen gegenüber den als abweichend dargestellten Ost-West-Wanderungen. Ganz im Gegenteil kann quantitativ keine besonders hervorgehobene Stellung im Sinne einer besonders hohen Ost-West-Abwanderung festgestellt werden, denn nicht die Abwanderung, sondern die fehlende Zuwanderung – also ein negativer Wanderungssaldo – bedingt die sogenannte ‚Schrumpfung Ostdeutschlands‘6. Dieses Schicksal teilen die neuen Bundesländer jedoch auch mit den alten Bundesländern Hessen, Niedersachsen und dem Saarland. So liegt der Anteil Abwandernder an der Bevölkerung in Thü6
Nur Brandenburg kann als einziges neues Bundesland einen positiven Wanderungssaldo verzeichnen. Dennoch sind 57 % abwandernde Frauen.
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ringen mit 1,5 % und Sachsen-Anhalt mit 1,6 % deutlich hinter Bremen mit 3,2 % und zumindest gleichauf mit Niedersachsen (1,5 %), Hessen (1,4 %) und dem Saarland (1,8 %) (eigene Berechnungen nach Statistischem Bundesamt 2010). Zudem kann keine hervorgehobene Alters- und Geschlechterspezifik der sogenannten Ost-West-Wanderung festgestellt werden. Überall, wo gewandert wird, wandern junge Menschen in der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen am stärksten und zudem vor allem junge gut ausgebildete Frauen. Da bildet die Binnenmigration in Deutschland keine Ausnahme gegenüber internationalen Migrationstendenzen (Breton le 1998, Kofman et al. 2000, Oso Casas & Garson 2005) oder gegenüber den alten Bundesländern. So sind 2010 unter den Abwandernden aus Hamburg 55 %, aus Hessen 56 % und aus Bremen 57% Frauen in der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen (eigene Berechnungen nach Statistischem Bundesamt 2010). Nicht zuletzt zeigen bundesweite Daten viertens, dass in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1991–2010 insgesamt über 78 Mio. Menschen (eigene Berechnungen nach Statistischem Bundesamt) in eine andere Gemeinde und über Bundesländergrenzen hinweg umgezogen sind.7 Davon entfällt mit 3,2 Mio. Menschen nur ein geringer Teil auf die Ost-West-Migration, die zudem im selben Zeitraum durch 1,8 Mio. Einwanderungen aus den alten Bundesländern weiter verringert wird. Auch zeigen die Jahre 1994–1998, dass die Ost-West-Migration durch die West-Ost-Migration fast ausgeglichen, in einigen Regionen sogar übertroffen wird. Daneben darf fünftens nicht vergessen werden, dass die DDR schon vor 1989 ein stagnierendes Bevölkerungswachstum aufweist und stetiger Arbeitskräftemangel dazu führt, dass spätestens seit den 1970er-Jahren in eine scheinbare emanzipatorische Familienpolitik, vielmehr jedoch in eine Arbeits- und Bevölkerungspolitik der SED, die wirtschaftliche Interessen erfüllen soll, investiert wird (vgl. Hildebrandt 1994). Sechtens erholt sich die Geburtenrate schon ab 1995 wieder und passt sich bis 2006 trotz prognostizierter Abwanderung, Überalterung, steigender Arbeitslosigkeit usw. den alten Bundesländern an (Statistisches Bundesamt 2008), was die Frage erlaubt, ob die sinkende Geburtenziffer in den Jahren 1990–1995 weniger als eine Folge des sogenannten Wendeschocks (vgl. Eberstadt 1994) als vielmehr als eine Folge der Wahrnehmung neuer Möglichkeiten für Frauen und Männer aus der ehemaligen DDR und damit nicht als Bevölkerungsproblem, sondern als emanzipatorischer Prozess verstanden werden kann. 2.2 Forschungsfragen Diese Gegendarstellungen sind ein erster Schritt, auf offene Fragen sowie andere Interpretationsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Dennoch bilden sie nicht das gesamte Spektrum der Sprachmächtigkeit eines sprachlichen und visuellen Aktes ab; ansonsten wäre es möglich, durch Hinweise auf die Flexibilität und Unterdeterminiertheit der Daten das Deutschlandbild einer Veränderung zu unterziehen. Dies ist
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Das Statistische Bundesamt berücksichtigt keine Wanderungen innerhalb einer Gemeinde.
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nicht möglich und somit stellt sich die Frage: Wie entsteht wahres8 Wissen im Zuge alltäglicher und wissenschaftlicher Bemühungen und wie wird Wirkmächtigkeit erzeugt, sodass sich spezifische Bedeutungsinhalte durchsetzen? Die Einleitung deutet darauf hin, dass die Quellen alltäglichen und wissenschaftlichen Geographie-Machens ebenso vielseitig sind wie die damit aufgeworfenen Herausforderungen für Gesellschaft und Wissenschaft. Für ein durchführbares Forschungsprojekt werden daher notwendige Fokussierungen vorgenommen. Aus diesem Grund stellt sich diese Arbeit der Herausforderung, die Erzählten Geographien der Wissenschaft zu rekonstruieren, um danach zu fragen, wie wissenschaftliches Wissen wirklich wird. Auf diese Weise soll den Anforderungen einer (geographischen) Wissenschaftsforschung gerecht werden, die ihr Augenmerk auf die sprachliche und visuelle Praxis von wissenschaftlichen Akteurinnen legt, die im Zuge von Regionalisierungsprozessen sozialräumliche Geographien von Geschlecht und Raum produzieren. Somit ergeben sich folgende Forschungsfragen: • • • • •
Wie entsteht wissenschaftliches Wissen über Geschlecht und Raum im Kontext der deutschen Bevölkerungs- und Migrationsforschung? Wie wird dieses Wissen über Geschlecht und Raum vermittelt, sodass es sich als gültiges Wissen durchsetzen kann? Welches Wissen über Geschlecht und Raum wird konstruiert und vermittelt? Welche Rolle spielen die verwendeten Viskurse bei der Konstruktion und Vermittlung wahren Wissens? Welche Handlungsrelevanzen werden im Zuge der Geographien von Geschlecht und Raum um- respektive in Gang gesetzt? 2.3 Forschungsziele
Die Forschungsfragen machen deutlich, dass die Auffassung traditioneller Forschungspraxis, nach der Wissen von Wissenschaftlerinnen entdeckt wird und daraufhin objektiv beschreibbar ist, aufgegeben wird und die wissenschaftliche Tätigkeit als Erzählung verstanden wird. Die Ablehnung eines „point of origin“ und die Akzeptanz einer wissenschaftlich erzählten Wirklichkeit eröffnet mit Bezug zum Practical Turn in den Kulturwissenschaften9 die Reflexion über das Handeln von Forschenden. Diese legitimieren und reproduzieren nicht nur die Institution Wissenschaft, 8
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Innerhalb realistischer Positionen steht der Begriff „Wahrheit“ für einen subjektunabhängigen und damit objektiven Zugang zur realen Welt. Der Wahrheitsbegriff, wie er in dieser Arbeit Verwendung findet, ist jedoch nicht mit Realität in Verbindung zu setzen. Ganz im Gegenteil ist Wahrheit als gültiges, das heißt Geltung beanspruchendes Wissen über die Welt zu begreifen. „Wahrheit, Diskurs und Wissen sind nicht mit dem Sein, mit dem Objekt, der Realität oder den Dingen in Beziehung zu bringen, sondern mit den Machttechniken, die sie ermöglichen, produzieren, ihnen die Bedingungen ihrer Möglichkeit geben und sie zugleich legitimieren und konsolidieren“ (Ewald 1978:16). Im Zuge des Cultural Turns findet sich in der Literatur statt den Bezeichungen „Sozial- und Geisteswissenschaften“ immer mehr der Begriff „Kulturwissenschaften“, der auf den Paradigmenwechsel hindeutet und auch in dieser Arbeit Anwendung findet.
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sondern üben wiederum Einfluss auf das Verständnis von Welt aus. Auf diese Weise findet nicht nur eine Reflexion des wissenschaftlichen Umgangs mit sozialräumlichen Phänomenen statt, sondern die wissenschaftliche Konstruktion von sozialräumlichen Phänomenen steht im Mittelpunkt. Damit verschiebt sich die klassische wissen(schaft)ssoziologische Fragestellung nach den Bedingungen gesicherten Wissens zu einer Analyse der wissenschaftlichen (Re) produktion, (Re)präsentation und Durchsetzung von Wissen. Das heißt, dass diese Arbeit das Erkenntnisinteresse einer „hermeneutischen Raumwissenschaft“ (Hard 2008:269) mit der Forschungsfrage, „Was geht vor in Ostdeutschland?“ aufgeben wird und für einen engagierten Aufarbeitungsprozess der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Wiedervereinigung von 1990 durch die Frage plädiert, „Wie10 wird seit 1989 über Ostdeutschland sowie über die Ostdeutschen sprachlich und visuell erzählt?“ Das bedeutet auch, dass sich diese Arbeit nicht im Rahmen des Spatial Turns verstanden wissen will. Es erfolgt keine Hinwendung zum Raum, um darin auftretende soziale Phänomene zu untersuchen. Vielmehr erfolgt eine Abkehr von Raum als realistisches Objekt, um die Wissensproduktion von Raum als Folge wissenschaftlicher Regionalisierungsprozesse und die damit verbundenen sozialräumlichen Verortungen – also den Umgang mit sozialräumlichen Informationen – in den Blick nehmen zu können. Um Zugang zu den wissenschaftlichen Tätigkeiten zu erhalten, wendet diese Arbeit ein für postpositivistische Arbeiten typisches und oft kritisiertes Vorgehen an: das der „travelling theories“ (Said 1983). Für den Literaturwissenschaftler Jonathan Culler (1988:8ff) ist dieses Vorgehen eine notwendige Folge der kritischen (Literatur)theorie. Danach ergeben sich (literarische) Interpretationen nicht aus dem (literarischen) Text an sich, sondern sind Produkte übergeordneter kultureller Erzählungen. Auf diese muss sich ein Text einlassen, um verstanden zu werden. Diese Konzentration auf das Wirken und Funktionieren eines Textes im Gegensatz zur Interpretation legitimiert nach Culler den Anschluss an eine Gattung, die bisher noch keinen Namen hat und von ihm als „Theorie“ bezeichnet wird. Dabei ist einzuräumen, dass Cullers Einschätzung, nach der „Studenten der Theorie (…) Freud lesen, ohne zu fragen, ob nicht die spätere psychologische Forschung seine Formulierungen in Frage gestellt haben könnte; [dass] sie Derrida lesen, ohne die philosophische Tradition zu beherrschen; [und dass] sie Marx lesen, ohne alternative Beschreibungen der politischen und ökonomischen Situation zu studieren“, auch innerhalb dieses Forschungsprozesses immer wieder zu Zweifeln im Hinblick auf die Anknüpfungen an die „Theorie“ führt. Denn jede einzelne Anknüpfung wäre ein eigenes, tief greifendes Studium wert. Dennoch ist der Bezug zur Gattung „Theorie“ eine vielversprechende Möglichkeit, den Rahmen der eigenen Disziplin zu überschreiten. Dies erfolgt mit dem Ziel, die vertrauten Kenntnisse der Disziplin zu hinterfragen, um diese aus einer anderen Perspektive betrachten zu können. Insgesamt dienen diese Auseinandersetzungen mit der Bevölkerungs- und Migrationsforschung einer übergeordneten Diskussion über die Entstehung, Vermittlung und Durchsetzung von Wissen durch die Wissenschaft. Das verlangt eine kritische 10
Den Paradigmenwechsel von „Was ist?“ zu „Wie wird?“ vollzieht zunächst Harold Garfinkel (1967), dessen ethnomethodologische Studien darauf hinweisen, dass Bedeutung nicht besteht, sondern erst im Kontext des Handelns entsteht.
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Reflexion der den wissenschaftlichen Erzählungen zugrunde liegenden Konzepte sowie deren Rationalitäten. Dadurch ist es möglich, das historische Werden von Wissenschaft vor allem im Kontext der gesellschaftlichen und wissenschaftsinternen Bedürfnisse und Verhältnisse zu untersuchen. Im Zuge dessen wird auch dem vor allem aus der Ideologiekritik stammenden Anspruch an eine Wissenschaftsforschung gerecht, auch als Gesellschaftsanalyse zu fungieren. Denn wissenschaftliche Erzählungen werden für mehr benutzt als nur zur Bezeichnung sozialräumlicher Phänomene und damit bieten sie einen Zugang zu den Denkstrukturen der Zeit. Die Motivation zur Gesellschaftsanalyse besteht jedoch nicht darin, holistischen Grundgedanken folgend eine allmächtige Ideologie aufzudecken, die Erzählungen „als in Sprache gegossene, verfestigte gesellschaftliche Form versteht“ (Belina & Dzudzek 2009:135). Denn damit besteht die Gefahr, dass das Ergebnis schon vor der Analyse feststeht. Vielmehr geht es um eine Wissenschaftsforschung als Gesellschaftsanalyse, die die wissenschaftliche Konstruktion sozialräumlicher Tatsachen untersucht, um auf die damit in Gang gesetzten Geographien von Geschlecht und Raum hinzuweisen. Dies ist anschlussfähig an eine feministische Kritik, denn wie stark wissenschaftliches Geographie-Machen von der Kategorie Geschlecht geprägt ist, wird nicht nur, aber auch anhand der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsanalysen deutlich. Der stete Verweis auf abwandernde junge ostdeutsche Frauen im Begründungszusammenhang von Arbeitssuche, Verbesserung des Lebensstandards bis hin zur Hoffnung auf einen besseren Heiratsmarkt im Westen zeigt die starke Konnotation des Wendeprozesses mit dem Scheitern ostdeutscher Männlichkeit (vgl. Scholz 2004) und der damit einhergehenden Flucht ostdeutscher Frauen Richtung Westdeutschland. Die somit wissenschaftlich erzählten Männlichkeiten und Weiblichkeiten und deren Verortungen verweisen auf geschlechterspezifische Rollenbilder der Wissenschaft. Infolgedessen leistet diese Arbeit insgesamt einen Beitrag zur geographischen Wissenschaftsforschung durch die Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Geographie-Machen sowie zu den Feministischen Geographien durch die Analyse der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum. Damit ist diese Arbeit ein weiterer Schritt eines engagierten Aufarbeitungsprozesses, der im Zuge der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten im Jahre 1990 beginnt und noch nicht sein Ende erreicht hat. 2.4 Forschungsbasis Um innerhalb einer Scientific Community eine zentrale Position einzunehmen, bedarf es eines aktiven wissenschaftlichen Austausches durch die Teilnahme an (internationalen) Tagungen und Publikationen. Aus forschungspraktischen Gründen erfolgt die Beantwortung der Forschungsfragen über die Analyse wissenschaftlicher Publikationen. Sie nehmen innerhalb der wissenschaftlichen Kommunikation einen bedeutenden Platz bei der Entstehung und Vermittlung wahren Wissens und somit dessen Durchsetzung ein. Im Zuge dessen ist es zunächst ein grundlegendes Ziel dieses Projektes, eine repräsentative Anzahl von Texten zusammenzustellen, die sich mit Themen rund um „Bevölkerung in Deutschland“ befassen. Um hier eine möglichst breite Datenbasis zu erhalten, wird die Datenbankrecherche so um-
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fangreich wie möglich gestaltet und in einem Zeitraum von Juni 2009 bis Januar 2012 in regelmäßigen Abständen von drei Monaten durchgeführt, um Neuerscheinungen immer wieder einbinden zu können. Bei der Recherche wird davon ausgegangen, dass sich Wissenschaftlerinnen innerhalb von Scientific Communities durch Rezeption wissenschaftlicher Referenzen positionieren und dass sie mithilfe eines spezifischen Sprachrepertoires kommunizieren. Für die Zuordnung zu einem Themenbereich oder zu einer Community bedarf es also sprachlicher Markierungen. Die verwendeten Markierungen müssen innerhalb einer spezifischen Fachsprache eindeutig gewählt werden und zudem zentrale Positionen innerhalb des Textes einnehmen (vor allem im Titel). Im Zuge dieser Vorannahmen erfolgt ein erster Rechercheprozess11 mithilfe folgender sprachlicher Markierungen: „Bevölkerung Deutschland“, „Binnenwanderung“, „Wanderung Deutschland“, „Migration Deutschland“, „Demographie Deutschland“, „Bevölkerungsveränderungen Deutschland“ im Rahmen einer zeitlichen Begrenzung von 1989 bis 2012 in den folgenden Datenbanken: GIB-Genios Deutsche Wirtschaftsdatenbank mit umfangreicher deutsch- und englischsprachiger Literatur aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften12 (www.wiso-net.de), geodoc – geographische Literaturdatenbank der Universität Erlangen-Nürnberg (www.geodok.uni-erlangen.de)13, Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek sowie der Bibliothekskataloge der Universitäten Basel, Bern (aleph.unibas.ch) und Zürich (biblio.uzh.ch). Als zulässig beurteilt werden Texte, die in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht sind, auf wissenschaftlichen Konferenzen, Symposien, Tagungen usw. präsentierte Vorträge, die in verschriftlichter Form vorliegen sowie die im Zuge von Tagungen veröffentlichten Berichte, wissenschaftliche Monographien und Sammelbänder von Angehörigen einer universitären Einrichtung, Manuskripte, die im Rahmen von Forschungsprojekten außeruniversitärer Institute entstanden sind sowie Diplom- und Dissertationsarbeiten. Der umfangreiche Themenbereich der Forschungsfragen hat zur Konsequenz, dass sich die empirische Basis insgesamt aus drei unterschiedlichen Materialsammlungen zusammensetzt. Ausgehend von den alltäglichen und wissenschaftlichen Geographien und dem Forschungsinteresse, das zunächst einmal das Erzählen von Geschlecht und Raum im Kontext innerdeutscher Wanderungsanalysen hinterfragt, stehen erstens die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen rund um Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands im Mittelpunkt des Interesses. Hierzu liegen insgesamt 58 Texte aus unterschiedlichen Fachbereichen vor, wobei der Großteil der Arbeiten den Disziplinen Demographie, Geographie und Soziologie zuzurechnen ist. Das umfangreiche Material macht es möglich, dass seit 1989 bis 2011 mindestens zwei Texte pro Jahr vorliegen. 11
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Um die Intersubjektivität des Rechercheprozesses zu gewährleisten, wird die Recherche durch zwei von der Forschungsarbeit unabhängige Personen unterstützt. Somit können zu den sprachlichen Markierungen synonym verwendete Begriffe einbezogen werden (z. B. regionale Wanderungen statt Binnenmigration). Darüber hinaus ermöglicht dies eine Offenheit im Hinblick auf alternative individuelle Suchverläufe und Recherchen. Die Datenbank umfasst 5,8 Mio. Volltexte aus 340 Fachzeitschriften und 105 Mio. Artikel aus der Tages- und Wochenpresse. Die Datenbank für geographische Literatur enthält 150.000 Einträge, wobei 75 % auf Zeitschriftenartikel und 25 % auf Bücher entfallen
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Ein erster Überblick über diese Texte zeigt, dass die wissenschaftlichen Geographien von Geschlecht und Raum an übergeordnete Spezial- und Interdiskurse gekoppelt sind, die als Referenz, Literaturverweise oder Schlagwörter im Text zu finden sind. So befasst sich (fast) kein Text zu Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands nicht auch mit einem Phänomen, das als „demographischer Wandel“ die Literatur durchzieht. Diese übergeordneten Erzählungen spielen für die Konstruktion und Vermittlung wissenschaftlichen Wissens eine herausragende Rolle. Aus diesem Grund wird die Analyse zweitens um den Themenbereich „demographischer Wandel“ erweitert, um die Anknüpfungen spezifischer Erzählungen an übergeordnete Denkstrukturen einfangen zu können. Die empirische Datenbasis besteht hier aus weiteren rund 40 Publikationen, die sich vor allem aus dem Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen, den Publikationen des Demographieforums der Europäischen Union, den Publikationen des Statistischen Bundesamtes, der Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft des Institutes für Bevölkerungsforschung, das zudem in regelmäßigen Abständen Berichte zur „Demographischen Lage in der Bundesrepublik Deutschland“ herausgibt und dem Institut für Wirtschaftsforschung Halle sowie dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung zusammensetzen. Die Recherche erfolgt ohne zeitliche Eingrenzung, um zeigen zu können, dass übergeordnete Erzählungen eine Historie haben. Eigentlich ist auch der Einbezug der Publikationen des Forschungsinstitutes für Ökonomie und demographischer Wandel geplant; da sich jedoch die oben aufgeführte Datenbasis niemals auf eine der Publikationen des Institutes beziehen, wird davon abgesehen.14 Neben der Konstruktion und Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen interessiert sich die Arbeit auch für die sich aus der Konstruktion und Vermittlung ergebenen Handlungsrelevanzen für die Gesellschaft. Das heißt, dass es nach der Analyse der wissenschaftlichen Texte von Interesse ist, danach zu fragen, welche Erzählungen sich nicht nur innerhalb der Wissenschaft, sondern bis in die alltägliche Tages- und Wochenpresse durchsetzen können, und welche sozialpolitischen Forderungen die sozialräumlichen Phänomene nach sich ziehen. Hierbei muss grundsätzlich bedacht werden, dass erfolgreiche wissenschaftliche Erzählungen, Erzählungen also, die sich in der alltäglichen Tages- und Wochenpresse etablieren konnten, nicht unbedingt auch innerhalb der wissenschaftlichen Community anerkannt und damit erfolgreich sein. Dennoch konnten sie sich durchsetzen und es ist hier von besonderem Interesse, nach den Durchsetzungsstrategien zu fragen. Um hierzu Aussagen machen zu können, wird drittens die Forschungsbasis durch eine Datenbankrecherche in den auflagenstärksten deutschen Tages- und Wochenzeitungen von 1989 bis 2012 mithilfe der sprachlichen Marker „Demographie“ und „demographischer Wandel“ sowie „Abwanderung“ ergänzt: „Bild“ (www.bild.de), „Süddeutsche Zeitung“ (www.sueddeutsche.de), „Frankfurter Rundschau“ (www.fr-online.de), „Der Spiegel“ (www.spiegel. de), „Focus“ (www.focus.de)15, „Die Welt“ (www.welt.de), „TAZ“ (www.taz.de) und „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (www.faz.de). 14
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Das bis 2011 in Mannheim angesiedelte Forschungsinstitut für Ökonomie und Demographischer Wandel (MEA – Mannheim Research Institute for the Economics of Aging) ist seit 2011 als MEA – Munich Center for the Economics of Aging – in München angesiedelt ist und ist eine Abteilung des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik und beschäftigt sich mit den ökonomischen Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft. Der Focus wird erst am 18. Januar 1993 gegründet.
3
Konklusion I
Wie ist dies zu verarbeiten? Zunächst läuft die lineare Struktur eines Forschungsberichtes von der Einleitung bis zum Schluss der ungeordneten, zum Teil unübersichtlichen und damit chaotischen Struktur des Denkens entgegen. Wie etwas chronologisch ordnen, was keine Chronologie aufweist? Dann ist eine Dissertation schon zu Beginn ein gescheitertes Experiment – zumindest, wenn sie den Anspruch erhebt das Gesamte einfangen zu wollen. Eine Dissertation muss Präzisierungen vornehmen, die zu Spezifizierungen und zugespitzten Aussagen führen und gleichsam den Ausschluss ebenso wichtiger Punkte bedeuten. Auch stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von Theorie und Empirie gewinnbringend repräsentiert werden kann, ergeben sich im Zuge komplexer Fragestellungen viele theoretische Ansätze, die sich je nach spezifischem Blickwinkel befruchten oder hemmen können. Zugleich ist die Unterscheidung zwischen Theorie und Empirie selbst eine wissenschaftliche Erzählung. Was als relevante Wirklichkeit betrachtet wird, ist die Folge der eingenommenen theoretischen Perspektive, die zudem die Begriffe, Kategorien, Modelle – also das gesamte Wahrnehmungsraster – mitliefert (vgl. Knorr-Cetina 1984). Letztendlich strahlt die ‚beobachtete‘ Wirklichkeit wiederum auf die Theorie zurück und bestätigt das Wahrnehmungsraster. 3.1 Präsentation des Forschungsprojektes Diese Einsichten verlangen eine Reflexivität des Forschungsprojektes und das unter Einbezug der potenziellen Leserinnen. Dies ist durch die Anknüpfungen an die Erzähltheorie möglich. Diese versteht im Zuge des New Criticism16 den Zweck der Literaturwissenschaften nicht mehr in der Interpretation literarischer Werke (Was sagt das Werk aus? Was ist die dem Werk innewohnende Bedeutung?), sondern legt ihre Konzentration auf die Wirkung des Werkes (Wie wirkt das Werk auf die Leserinnen?) (Hickman & McIntyre 2012). Nach Roland Barthes (1977:146ff, zit. in Culler 1988:35) ist „ein Text keine Folge von Worten (…), die einen einzigen theologischen Sinn offenbaren (die Botschaft eines Gott-Autors), sondern ein vieldimensionaler Raum, in dem eine ganze Reihe von Schreibweisen (écritures) (…) sich überschneiden und aufeinandertreffen. (…) [A] ber es gibt einen Ort, an dem diese Vielheit in einem Fokus sich bündelt, und dieser Ort ist der[/die] Leser[in] und nicht, wie man bisher sagte, 16
Die Perspektive des New Criticism ist eine literaturkritische Richtung, die sich vor allem im angloamerikanischen Raum ab den 1920er-Jahren entwickelt (Zapf 1996).
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Konklusion
der[/die] Autor[in]“. Von ihm[/ihr] hängt die „Einheit und die Verstehbarkeit des Textes“ ab [Hervorhebungen im Original] (Culler 1988:35). Der Bezug zum New Criticism führt zu der Erkenntnis, dass Autorinnen nie ein fertiges Produkt abliefern, sondern dass die Leserinnen in den Prozess der Wirkung und des Funktionierens eines Werkes eingebunden werden müssen. Das bedeutet, dass die Interpretation eines Werkes in der Beschreibung dessen besteht, „was dem[/der] Leser[in] widerfährt, wie unterschiedliche Konventionen und Erwartungen ins Spiel kommen, wo bestimmte Verbindungen hergestellt und Hypothesen aufgestellt, wie Erwartungen enttäuscht oder bestätigt werden. Von dem Sinn eines Werks reden heißt dann, die Geschichte einer Lektüre zu erzählen“ (Culler 1988:35). Zudem bedarf es einer Reflexion der Repräsentation des Forschungsprozesses. Das heißt, es muss eine literarische Form gefunden werden, die erst gar nicht den Verdacht aufkommen lässt, hier würde wissenschaftliche und damit universelle Wahrheit zu Papier gebracht. Denn wenn nach differenzphilosophischen Maximen die eindeutige Bestimmung von Sinn ein vergebliches Projekt ist, wie kann dann in einer Arbeit Sinn festgeschrieben werden? Malcom Ashmores (1985) reflexive Radikalisierung mit der Forderung „the hidden hand of the author“ sichtbar zu machen, stellt eine wichtige Maxime dieser Arbeit dar (siehe Abbildung 3)17. Vertreterinnen der Differenzphilosophie helfen sich mit einer Vielzahl von Interpunktionen, die auch hier zur Anwendung kommen. Mithilfe von ergänzenden Satz- und Wortzeichen soll die Performativität der Schrift während des Deutungsprozesses hervortreten und die Performance der Autorin verdeutlichen. Für Zitate sowie Benennungen von Zeitungen, Werken usw. kommen die in Deutschland üblichen Anführungszeichen zur Anwendung. Für Wörter, die im übertragenen Sinn und damit ‚anders‘ zu lesen sind, werden, entgegen der üblichen Typologie, halbe Anführungszeichen benutzt, um diese von Zitaten zu unterscheiden. Der Anspruch an die eigene Reflexion führt weiterhin dazu, dass die Entscheidung gegen die Ich-Form durch die Betonung von „vielversprechenden Ansätzen“ aufgefangen wird. Das heißt, dass die Autorin zwar nicht direkt sichtbar ist, aber dennoch die Präsentation epistemologischer und methodologischer Ansätze als Auswahl aus einem viel größeren Portfolio erscheint. Der Anspruch an eine stete Reflexion bedeutet aber vor allem, die eigene Position zu klären und den Leserinnen transparent zu machen. Also die Ziele und Zwecke, die der wissenschaftlichen Handlung vorausgehen, zu verdeutlichen, um den Kontext der Forschungsarbeit transparent zu machen. Das Interesse an den zu untersuchenden wissenschaftlichen Arbeiten entspringt meiner persönlichen Geschichte. Auch wenn die Selbstidentifikation als Geographin das Interesse an der Wissensaneignung und Reproduktion der eigenen Disziplin weckt, ist das Interesse dieser Arbeit nicht allein in meiner handlungstheoretischen Sozialisation und differenzphilosophischen Perspektive und dem damit verbundenen Willen zum Hinterfragen der selbstverständlichen Verschränkung von räumlichen Argumentationsmustern für soziale Phänomene zu finden. Ich kann mich des Gedankens nicht verwehren, dass meine individuelle, nicht selbstverständliche, doch aber routinierte Selbstidentifika17
Auch wenn Ashmore selbst zu vergessen haben scheint, dass das Spiegelbild des reflektierenden Wissenschaftlers das Stereotyp eines in einem bestimmten Alter befindlichen weißen Mannes reproduziert (Abbildung 3).
Konklusion
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tion als Ostdeutsche eine nicht unwesentliche Rolle für das Forschungsinteresse spielt. Die Wahrnehmung, wie über Ostdeutsche und somit auch über mich erzählt wird, erweckt den Wunsch, nachzufragen, auf welcher Basis dies erfolgt. Im Zuge dieser Analyse nehme ich das Problem der gleichzeitigen Reproduktion eben dieses Dualismus zwischen Ost und West schon durch die Verwendung der Begriffe als Gegensatzpaar wahr. Obwohl sich mir viele Identifikationsmöglichkeiten bieten, sogar als Deutsche im Kontext meiner schweizerischen Wahlheimat, bildet die ostdeutsche Identität den Grundpfeiler dieser Arbeit; auch wenn ich selbst den größten Teil meines Lebens nicht unter sozialistischen, sondern bundesdeutschen Kontexten aufgewachsen bin. Das scheint paradox, jedoch wirken die Herkunft der Eltern und deren Vergangenheitsbewältigung von der Desillusionierung der sozialistischen Utopie bis hin zu den bis heute spürbaren Folgen der Transformation, wie Arbeitslosigkeit und Neuanfang, wesentlich stärker bei der eigenen Identitätskonzeption als der individuelle Weg; vielleicht weil ich selbst Teil des elterlichen Aufarbeitungs- und Bewältigungsprozesses bin. Denn obwohl der Fall der Mauer zum generellen Zusammenbruch sozialer und wirtschaftlicher Sicherheit für meine Eltern führt, bietet sie gleichfalls Möglichkeiten, die mich im Zuge neuer Bildungswege dazu befähigen, das Über-die-Ostdeutschen-erzählen fortzuschreiben. Neben der Selbstidentifikation als Ostdeutsche gesellt sich eine weitere: die Selbstidentifikation als Frau. Judith Butlers Ansatz einer ebenso wie Gender Abbildung 3: Titelbild „The Reflexive Thesis“ konstruierten biologischen Geschlechtlichkeit bedeutet nicht, dass die geschlechterpraktischen Handlungsroutinen als bedeutungslos aufgegeben werden. Ganz im Gegenteil werden die machtvollen geschlechtsspezifischen Konstruktionen ein zentrales Forschungsinteresse dieser Arbeit darstellen, da sie gerade durch ihre soziale Konstruktion die soziale Wirklichkeit bestimmen. Im Zuge dessen werden Geographien von Geschlecht und Raum auch von mir wissenschaftlich (nach)erzählt – auch weil der Wissenschaftsbetrieb dazu verpflichtet, Geographien zu erzählen, ohne die, innerhalb des universitären Feldes, Lehren und Forschen ebenso wenig möglich ist wie der Abschluss von Qualifikationsarbeiten. Um dennoch dem reflektierenden Anspruch gerecht zu werden, soll die Nacherzählung durch indirekte Rede erfolgen, sodass eine Unterscheidung zwischen den Erzählten Geographien der Wissenschaft auf der einen Seite und den Aussagen der Autorin auf der anderen Seite erkennbar ist. Weiterhin muss akzeptiert werden, dass die deutsche Sprache zu Verdinglichung und Essentialisierung
30
Konklusion
neigt. So ist vielfach die Vergegenständlichung sozialräumlicher Phänomene durch die Verbindung eines Artikels mit einem Substantiv nicht zu vermeiden. Infolgedessen wird es auch dieser Arbeit nicht gelingen, völlig Abstand zu nehmen von Begriffspaaren, wie „der Diskurs“, „die Bevölkerung“ und/oder „die Wanderungen“. An bedeutsamen Stellen soll diesem Mangel der Sprache durch kursive Schreibweise des Artikels entgegengewirkt werden. 3.2
Aufbau der Arbeit
Nach dieser Einleitung dient der folgende Teil B den erkenntnistheoretischen Auseinandersetzungen. Dazu werden zentrale Ansätze der sozialwissenschaftlichen sowie geographischen Wissenschaftsforschung vorgestellt. Vor allem Ludwik Flecks Ansatz findet hier eine tief greifende Betrachtung, da seine Erkenntnisse besonders inspirierend für dieses Forschungsprojekt sind. Die daraufhin folgende spezifische Darstellung der foucaultschen Epistemologie als Archäologie und Genealogie ist dem umfassenden Gewinn dieser differenzphilosophischen Forschungsperspektive für diese Arbeit vor allem auch im Hinblick auf den terminologischen Rahmen geschuldet. Beide Anknüpfungen bieten jedoch keinen Zugang zu den konkreten Praktiken der Konstruktion, Vermittlung sowie Durchsetzung wissenschaftlichen Wissens. Daher kommt es zur Anknüpfung an die Erzählforschung, die für die Entstehung, Vermittlung und Durchsetzung sozialräumlicher Phänomene im Zuge von Narrationen sensibilisiert. Im Zuge dessen ist es möglich, die Geographien von Geschlecht und Raum als Erzählung zu verstehen, die im Zuge spezifischer Erzählpraktiken spezifisches Wissen über Menschen und Orte produzieren und damit Wirklichkeit herstellen. Dies ermöglicht der Forschungsarbeit einen Zugang zu Geschlecht und Raum fernab essentialistischer Ansätze und bildet gleichzeitig eine zentrale Bedingung für eine hinreichende Dimensionalisierung18 des Forschungsmaterials. Die daran anschließende Verortung von Wissen ist wiederum eine Konsequenz des Performative und Practical Turns. Wissenschaftliches Erzählen ist damit im erzählenden Subjekt zu verorten, im Zuge dessen die wissenschaftliche Tätigkeit als performative Praxis hervortritt. Die Forderung, neben diskursiven auch visuelle Praktiken einzubinden, resultiert in der Anknüpfung an neue Ansätze der Bildwissenschaft sowie der Kritischen Kartographie, die erkenntnistheoretisch vielversprechende Zugänge zum visuellen Material ermöglichen. Teil C dient der Präsentation einer Methodologie, die, postpositivistischen Maximen folgend, eine Dimensionalisierung ermöglicht, die bloßen Inhaltsangaben eine Ablehnung erteilt. Denn diese würde nicht nur die erarbeiteten Zugänge zur wissenschaftlichen Tätigkeit, zu den Wissenschaftlerinnen und nicht zuletzt zum Wissen über Geschlecht und Raum in Frage stellen, sondern auch einem einfachen Repräsentationsgedanken von Zeichen und Bedeutung unterliegen. Gleichzeitig setzt die Dimensionalisierung die theoretischen Perspektiven der Erzähltheorie me18
Entgegen dem Begriff der Operationalisierung, der innerhalb der qualitativen Methoden für die schrittweise Herangehensweise an das Datenmaterial verstanden wird, soll in dieser Arbeit mit Bezug auf die Rekonstruktiven Methoden der Sozialforschung von Dimensionalisierung gesprochen werden, die nicht die Auseinandersetzung mit Kategorien, sondern mit Deutungsmustern innerhalb eines Deutungsfeldes anstrebt.
Konklusion
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thodologisch um, indem die Erzählformen und Versprachlichungen als zentrale Instrumente der Konstitution, Vermittlung und Durchsetzung wissenschaftlichen Wissens im Zentrum stehen. Teil D präsentiert die Ergebnisse. Dabei verfolgt die Nach- und Neuerzählung drei Stränge. Der erste Strang wird von der Frage geleitet: Wie entsteht wissenschaftliches Wissen? Hierbei interessieren die Episteme und Rationalitäten, auf die sich die Wissensproduktionen stützen. Der zweite Strang konzentriert sich auf die Beantwortung der Frage: Wie wird dieses wissenschaftliche Wissen vermittelt bzw. durchgesetzt? Mit Bezug zur Narratologie sowie zum Pictorial Turn interessieren hier die konkreten narrativen und visuellen Elemente, die Informationen zu Fakten und Tatsachen werden lassen und ihnen Objektivität zuschreiben. Dies führt drittens zu wissenschaftlich erzählten Geographien von Geschlecht und Raum, die wiederum das Denken, Sprechen und Schreiben wissenschaftlicher Arbeiten ebenso beeinflussen wie auch die mediale Berichterstattung. Denn das Geographie-Machen wirkt letztendlich zurück auf die konstruierten Geographien und setzt eine Legitimation und Objektivierung durch Bestätigung der wissenschaftlichen Welt mit der Alltagswelt in Gang, sodass Geographien zirkulieren können. Damit steht der dritte Strang im Rahmen der Frage, „Wie wird über Geschlecht und Raum erzählt?“ Das spezifische Sprechen über Geschlecht und Raum führt innerhalb der alltäglichen Medienberichterstattung zu einer Demographisierung sozialräumlicher Problemsituationen. Hierbei wird deutlich, dass neben der Wissensproduktion, -vermittlung sowie -durchsetzung innerhalb der Scientific Community die Wissenspopularisierung eine wichtige Rolle spielt. Diesem Aspekt soll durch ein weiteres Kapitel Rechnung getragen werden. Der Teil E dieser Arbeit dient erstens dazu, ein Fazit über die wissenschaftliche Wissensproduktion, Wissensvermittlung und Wissensdurchsetzung im Hinblick auf die damit in Gang gesetzten Formierungen und Normierungen von Personen und Räumen zu ziehen. Damit kann zweitens aufgezeigt werden, was Erzählte Geographien fähig sind zu leisten. Ihre Rückbindung an gesellschaftliche Bedingungen als auch an die Institution Wissenschaft ist dabei bedeutend und es zeigt sich, dass diese Rückbindungen sowohl zentral für die Legitimation einer wissenschaftlichen Disziplin als auch für Handlungen innerhalb einer komplexer werdenden Gesellschaft sind. Drittens bietet sich hier eine Auseinandersetzung über die Performanzen und Strategien der Wissenschaftlerinnen im Zuge immer knapper werdender Fördermittel an. Die Gesellschaft, die die immer teurer werdenden Forschungseinrichtungen bezahlen muss, fordert vor allem angewandte Forschung, das heißt Forschungen, die die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts hinreichend verstehen und lösen sollen. Das erhöht den Druck auf die Wissenschaftlerinnen und befördert ihre Strategien Legitimation zu beanspruchen.
B
Visum beantragen – Zugänge ermöglichen Epistemologischer Support
„Man hat die Wissenschaft für ein realistisches Gemälde gehalten und sich eingebildet, man würde exakt die Welt kopieren. Die Wissenschaft tut etwas ganz anderes – die Bilder allerdings auch. Sie verbinden uns über sukzessive Schritte mit der Welt, die ihrerseits ausgerichtet, transformiert und konstruiert ist.“ Bruno Latour in „Die Hoffnung der Pandora“ (2002:94f)
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Erkenntnisgewinn als Erkenntniskonstruktion
Die Forschungsfragen dieses Projektes verweisen auf einen Zugang zur wissenschaftlichen Erkenntnis, der fernab jeglicher Abbildtheorie die Praxis der wissenschaftlichen Tätigkeit in den Vordergrund rückt. Eine solche Perspektive ist zunächst einmal mit Bezug auf das sozialkonstruktivistische Paradigma zu legitimieren. Als Metaperspektive der Sozialwissenschaften definiert der Sozialkonstruktivismus jeden Forschungsstil vor und kann sich auch innerhalb der (geographischen) Wissenschaftsforschung durchsetzen. Als Gründungswerk gilt „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ (1969) vom US-amerikanischen Soziologen Peter L. Berger und dem deutschen Soziologen Thomas Luckmann. Darin verabschieden sich die Autoren von der Klassischen Wissenssoziologie Karl Mannheims, Max Schelers sowie Robert Mertons und plädieren für einen Gegenentwurf zur soziologischen Ursachen- und Wirkungssuche. Soziale Phänomene werden infolgedessen als sozial konstruiert und damit als sozial intendierter Prozess von Handelnden verstanden. Auch erweitert der Sozialkonstruktivismus den klassischen Wissensbegriff und begreift mit Bezug auf Georges Herbert Mead und Émile Durkheim, vor allem aber Alfred Schütz und Max Weber, Wissen als das von jedem Mann/jeder Frau angewandte Ensemble von Weltbezügen. Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit erfolgt nach Berger und Luckmann entsprechend der Zeit vor allem in Vis-à-vis-Situationen, in denen Menschen durch Sprache interagieren und eine intersubjektiv geteilte (Alltags)welt entwerfen. Wahres Wissen ist im Zuge dessen das Wissen, das innerhalb sozialer Aushandlungsprozesse bestehen konnte und somit als gültiges Wissen zirkuliert. In diesem Sinne steht das Begriffspaar „sozial konstruiert“ in dieser Arbeit für einen metatheoretischen Zugang zur Alltags- und Wissenschaftswelt, der den ontologischen Status aller Dinge als durch Akteurinnen und deren Handlungen erzeugt versteht. Wenn Wissenschaftlerinnen Tatsachen nicht entdecken, sondern sozialräumliche Wirklichkeit im Zuge wissenschaftlicher Erzählungen konstruieren, stellt sich die Frage wie innerhalb der Wissenschaft wahres – das heißt gültiges – Wissen entsteht. Diese Frage führt seit der Antike zu einer Vielzahl erkenntnistheoretischer Theorien, die vor allem auf ein hinreichendes Verhältnis von erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt hinarbeiten. Infolge der Institutionalisierung wissenschaftlicher Bemühungen bildet diese Frage seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Grundlage der Wissen(schafts)soziologie, die sich seit spätestens den 1980er-Jahren
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als Wissenschafts- und Technikforschung etabliert. Ihre Strömungen sollen hier in groben Zügen vorgestellt werden, da die erkenntnistheoretischen und methodologischen Perspektiven der Wissenschafts- und Technikforschung bis heute auf viele Disziplinen Einfluss ausgeübt und ein fast unübersichtliches Repertoire empirischer Arbeiten zur Folge haben. Zudem wird eine Fokussierung auf Ludwik Fleck vorgenommen, dessen Arbeiten erkenntnistheoretisch für dieses Forschungsprojekt von großer Bedeutung sind und aktuell wiederentdeckt als Gründungswerke der Wissenschafts- und Technikforschung gelesen werden. Ergänzt werden seine Perspektiven durch die Praxistheorien, die zur Abklärung des Verhältnisses von Wissenschaft und Wissenschaftlerinnen hier vielversprechend sind. 4.1 Postpositivistische Wissenschaftsforschung Die Erkenntnis, dass Wissenschaft nicht „entdeckt“, sondern konstruiert wird, liegt in einem Paradigmenwechsel von der klassischen Erkenntnistheorie zu einer postpositivistischen Wissenschaftsforschung begründet. Erstere stellt die Frage: Wie entsteht in einer Gesellschaft gesichertes Wissen respektive welche Kontrollen müssen erfolgen, um wahres Wissen zu sichern? Mit diesen Fragen ist eine Theorie der Erkenntnis verbunden, die, ausgehend von Platons Unterscheidung zwischen Wissen, Glauben und Meinung sowie der Metaphysik19 von Aristoteles über den Bruch mit der Scholastik 20 durch den Rationalismus (Descartes‚ (1870 [1685], 1986 [posthum 1662]), Empirismus (vgl. Berkeley 2005 [1710]) sowie kritischen Rationalismus Poppers (1934) bis zum Logischen Empirismus des Wiener Kreises (vgl. Carnap 1999 [1928], Reichenbach 1938) und der Wissenssoziologie von Karl Mannheim (1924 [1925]), Max Scheler (1924) und Robert Merton (1942), Bestand haben wird. Gemeinsam ist diesen Arbeiten die Suche nach einer subjektunabhängigen, gültigen Wahrheit, die entweder ursächlich in der Natur, rational im Verstand oder in der kontrollierten Erfahrung des Menschen begründet ist. Wissenschaft bleibt damit eine objektive Tätigkeit der Entdeckung, Beschreibung und Erklärung der sozialräumlichen und damit natürlichen Welt, die Wissen schafft. Demgegenüber zielt eine postpositivistische Wissenschaftsforschung auf die Rekonstruktion des machtvollen wissenschaftlichen Sprach- und Zeichengebrauchs in mündlicher, schriftlicher und bildlicher Form sowie auf die Rolle der Empirie als Instrument der Fakten‚suche‘ (vgl. Fleck 1935a, Latour & Woolgar 1979, Latour 2002, Foucault 1978, 2007 [1970], Bourdieu 1988 [1984], Rheinberger et al. 1997). Forschung wird im Zuge dessen nicht als Entdeckung einer äußeren Realität verstanden, sondern als sozialer Prozess, der die Stabilität von Denkstrukturen sichert und die Durchsetzung bestimmter Erzählungen ermöglicht. Das ist vielversprechend für diese Arbeit, denn auch wenn Bevölkerungs- und Migrationsanalysen 19 20
Metaphysik ist die auf Platon zurückgehende Lehre, die sich mit den ursprünglichen Gründen und Prinzipien, sozusagen mit den letzten Fragen der Welt beschäftigt (Mittelstraß 2004b:870ff). Die Scholastik ist eine von den logischen Schriften Aristoteles ausgehende wissenschaftliche Methode, die mithilfe theoretischer Zugänge zu wissenschaftlichen Erklärungen kommt. Sie entwickelt sich im Mittelalter und befasst sich vor allem (aber nicht ausschließlich) mit theologischen Themen (Mittelstraß 2004c:715ff).
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scheinbar explizit etwas über sozialräumliche Phänomene erzählen, verweisen sie implizit auf das Denken und Erzählen einer Scientific Community über soziale und räumliche Kategorien sowie auf die Bedingungen, unter denen wissenschaftliches Wissen produziert, vermittelt und durchgesetzt wird. Eine postpositivistische Wissenschaftsforschung macht es sich also zur Aufgabe, die wissenschaftlichen Erkenntnisprozesse mit dem Ziel zu reflektieren, die Wissenschaft transparent zu machen. Dabei scheut sie auch die Frage nach der Relevanz und der Funktion von Wissenschaft für eine Gesellschaft nicht. Denn mit Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Wissenschaft im Zuge ökologischer Herausforderungen, globaler Ungleichheiten, der Infragestellung des globalen Kapitalismus sowie der mit neuartigen Technologien geführten Kriege erneut in eine Krise geraten, was der Wissenschafts- und Technikforschung seit den späten 1990er-Jahren einen Aufschwung beschert (vgl. Biagoli 1999, Nowotny et al. 2001, Jasanoff et al. 2001, Jasanoff 2004, Hackett et al. 2007, Wyer et al. 2008, Bamme 2009, Rabinow 2010, Harding 2011, Beck et al. 2012, Felt 2013, Irwin et al. 2013, Hoffmann 2013) und die Klassiker (vgl. Hessen 1931, Ossowska & Ossowski 1936, Bernal [1939] 1986, de Solla 1961, 1963, Kuhn 1962, Barnes 1974, Canguilhem 1979, Bloor 1976, Latour & Woolgar 1979, Kline et al. 1985, Porter 1995) auch in der Geographie (vgl. Livingston & Withers 1999; Withers 2001, Heffernan 1994, Hard 1970, 1987/1988, 1990) wieder gelesen werden. Erste Impulse für einen Zugang zur Wissenschaft als mächtige Konstrukteurin von gültigem Wissen kommen in den späten 1920er-Jahren aus der Naturwissenschaft. Daher sind auch die ersten Studien zur Wissenschaftsforschung noch primär auf die Erkenntnisprozesse naturwissenschaftlichen Wissens ausgerichtet, wie es bis heute mit dem englischen Begriff „science“ zum Teil noch immer assoziiert wird. Mit den Erkenntnissen, dass die Naturgesetze eher mehrheitlich auf statistische Regelmäßigkeiten als auf tatsächliche Beobachtung zurückgehen (vgl. Heisenberg 1927), dass die Begriffssysteme der Einzelwissenschaften eher divergieren als aufeinander zuzulaufen, dass die modernen mathematischen Ordnungsgerüste sich von wirklicher Anschaulichkeit im Zuge höherer Abstraktion eher entfernen als der erwarteten Realität näher zu kommen (vgl. Gödel 1931)21, hauptsächlich aber durch die Infragestellung klassischer Geometrien im Zuge der Relativitätstheorie und des Kausalprinzips durch die Quantentheorie22 kommen erste kritische Auseinandersetzungen mit dem Verständnis von Wirklichkeit auf. Die Paradigmen von Wirklichkeit, Wahrheit und Gültigkeit werden in Frage gestellt, denn „(v)ielleicht ist die Welt gar keine fertige Ordnung, sondern Ordnung mit Unordnung gemischt“ (Riezler 1928:705). Damit wird ein neues „Weltbild möglich (…), welches dynamisch, nicht statisch [ist]. Die 21 22
Kurt Gödel weist mit seinem Unvollständigkeitssatz nach, dass die reale Welt nicht allein durch Beobachtung zu begründen sei (Nagel & Newman 2010). Das Quantenpostulat betont, dass jede Beobachtung atomarer Phänomene eine Wechselwirkung mit dem Messungsmittel erfordert. Überhaupt enthält der Begriff der Beobachtung eine Willkür, dieser wesentlich darauf beruht, welche Gegenstände zu dem zu beobachtenden System gerechnet werden“ (Bohr 1928). Die Erkenntnis, dass die beobachtende Messung das zu Messende verändert, hat die damaligen Quantenphysiker am objektivistischen Wissenschaftsverständnis zweifeln und das subjektive Moment der Messung erkennen lassen. Was immer Wissenschaftlerinnen wahrnehmen, ist eine „Wechselwirkung zwischen Beobachter und Gegenstand, die den Gegenstand verändert“ (Heisenberg 1928:26).
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Welt ist nicht fertig, sondern unfertig. Ihre Ordnung ist keine seiende, sondern eine werdende. (…) Nicht die ewigen Gesetze, sondern die Menschheitsgeschichte“ (Riezler 1928:709) bilden im Zuge dieser Erkenntnis die ordnende Kraft, die als absolute Wirklichkeit respektive Realität erscheint. Der Physiker Erwin Schrödinger (1994 [1932]:295ff) schließt hier an und betont die Milieubedingtheit der Naturwissenschaft, indem er darauf hinweist, dass die „Zahl der ausgeführten Experimente, auf die man sich stützt, (…) zwar enorm [groß ist], aber doch in aller Strenge unendlich klein [ist] im Vergleich mit der Zahl der ausführbaren, aber nicht ausgeführten“. Somit müssen Wissenschaftlerinnen im Zuge ihrer Forschung immer wieder aufs Neue eine Auswahl im unendlich Möglichen treffen; sei es aufgrund finanzieller Einschränkungen, persönlicher Interessen oder dass es einfach nicht umsetzbar ist, alle möglichen Experimente durchzuführen (Schrödinger 1994 [1932]:297). Neben den aus den Naturwissenschaften kommenden Impulsen erhält die Wissenschaftsforschung seit den 1990er-Jahren Impulse aus den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften (vgl. Sammelband von Biagioli 1999). Diese beschreiben zunehmend Phänomene und Praktiken des 20. Jahrhunderts, die im wissenschaftlichen Diskurs seit Jean-François Lyotards Kritik an den modernen Metanarrativen (1993) nicht unkritisch (vgl. Giddens 1995:11)23 unter dem Schlagwort Postmoderne versammelt werden. Das „moderne Wissen“ ist nach Lyotard (1993) dadurch gekennzeichnet, dass einzelne kleine Narrationen einem Metanarrativ untergeordnet sind. Lyotards „postmodernes Wissen“ hingegen bezeichnet die Krise „modernen Wissens“, denn auch große Narrationen bilden nur mehr kleine neben vielen anderen. Denn die Individualisierung und Differenzierung der Gesellschaft stellen die großen Metaerzählungen ebenso in Frage wie die universalistischen Konzepte das eine wahre Lebenskonzept und sie ermöglichen viele passende Wege. Damit weicht auch die Vorstellung von der einen richtigen Welt den individuellen Wahrnehmungen, Beurteilungen und Weltbindungen. Das hat weitreichende Konsequenzen für die Geographie. Denn die zeitliche und räumliche Verankerung der Gesellschaft (Werlen 2000), die durch Traditionen, allgemeingültige Werte und Normen sowie durch eine lokale face-to-face-Kommunikation abgesichert ist, weicht kontextbezogenen Möglichkeiten und individuellen Entscheidungen. Das hat Einfluss auf das wissenschaftliche Engagement mit der Konsequenz, dass die Suche nach einer übergeordneten Metatheorie seitens der Wissenschaftlerinnen ebenso aufgegeben werden muss wie die von der Wissenschaft gebildeten Kategorien, deren homogenisierenden und stereotypisierenden Eigenschaften in einer postmodernen Welt keine Legitimation beanspruchen können, für die Bevölkerungs- und Migrationsforschung aber immer noch grundlegend sind. Kategorien wie Alter, Geschlecht, Herkunft, Beruf usw. bilden die grundlegenden Kategorien zur kausalen Erklärung von Wanderungsgründen oder auch für Kinder- und Ehelosigkeit. Eine Individualisierung und Pluralisierung von aktiv getroffenen Lebensentscheidungen scheinen hier nicht von Bedeutung zu sein. 23
Antony Giddens (1995:11) stellt die Begriffe Postmoderne, Postmodernismus, postindustrielle Gesellschaft, Postkapitalismus, Informationsgesellschaft und Konsumgesellschaft in Frage, da die Gesellschaft nicht in eine neue Periode eintritt, sondern sich die „Konsequenzen der Moderne radikaler auswirken .
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Wissen als gerichtete Wahrnehmung
Ludwik Flecks Arbeiten (1927, 1929, 1935a, 1935b, 1936) zu den Erkenntnisprozessen der Medizin sind eine Folge und eine Radikalisierung der ersten kritischen Auseinandersetzungen mit Wissen und Wissenschaft in den 1920er-Jahren. Seine Analyse zur „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ hat das Potential, ebenso wie Karl Poppers „Logik der Forschung“ (1934), zu einem epochemachenden Werk zu werden, wenn die NS-Politik den polnischen Juden Ludwik Fleck nicht in besonderer Weise treffen würde.24 Neben den politischen Verhältnissen in den Vor- und Kriegsjahren werden die Arbeiten nach 1945 zunächst nur fachspezifisch in medizinischen Fachzeitschriften und Populärzeitschriften wahrgenommen, jedoch nie wissenschaftstheoretisch. Erst nach Flecks Tod im Jahre 1961 bilden seine Anregungen für Thomas Kuhn (1962) und den Begründer der amerikanischen (Wissens)soziologie Robert Merton (1942, 1985) wissenschaftstheoretische Arbeiten fruchtbare Anregungen (vgl. Schäfer & Schnelle 1983). Die Grundlage seiner Denkstandpunkte ist seine Ausbildung als Arzt und der daraus folgenden Auseinandersetzung mit dem Abweichenden, nicht Normalen des kranken Organismus. Er kommt zu der Feststellung, dass das Erkenntnisinteresse der Medizin nicht wie üblich in den Naturwissenschaften auf Verallgemeinerung im Sinn der Induktion oder der Formulierung von Regelmäßigkeiten gerichtet sein darf. Denn Abstrahierungen fördern nicht, sondern behindern die Diagnose von Krankheiten, da „es keine Grenze zwischen dem, was gesund ist, und dem, was krank ist [gibt], und nirgends trifft man wirklich ein zweites Mal auf dasselbe Krankheitsbild“. Weil es nun aber als Aufgabe der Medizin angesehen wird, die Vielfalt von Krankheiten durch Kategorisierung zu ordnen, muss die Frage beantwortet werden: Auf welche Weise ein Gesetz für nicht gesetzmäßige Phänomene zu finden ist? Fleck stellt fest, dass die medizinische Praxis, nach „Typen unter Phänomenen (…) sucht, die ursprünglich gerade atypisch“ (Fleck 1927:37) sind. Somit ist die Krankheit als Gegenstand ärztlichen Denkens nur in ihrer individuellen und temporären Fassung rational, als dauerhaft typischer Zustand jedoch nur eine „ärztliche Fiktion, gestützt auf Statistik und Intuition“ (ebd.:43); und diese will bestätigt werden. Infolge der Typenbestätigung entsteht eine riesige Menge empirischen Materials, welches daraufhin definierten Typen höherer Ordnung zugeschrieben wird. Fleck kritisiert diese Praxis von wissenschaftlicher Normalität, Einheit, Objektivität sowie die Anwendung technischer Mittel im Rahmen der Wissensgewinnung und -vermittlung und setzt sich für eine Ethnologisierung des Erkennens ein. Vor allem aber nimmt Fleck die Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen durch Forschergemeinschaften in den Blick, die in den jeweiligen Arbeitsbereichen durch „Gestaltsehen“ bestimmte Denk- und Analysetraditionen ausführen. In seiner zweiten wissenschaftstheoretischen Arbeit „Zur Krise der Wirklichkeit“ erfährt die Kritik an der erfahrbaren wissenschaftlichen Tatsache eine Radikalisierung. Hier ist „Erkennen“ weder „passive Kontemplation noch Erwerb einzig möglicher 24
1941 werden Fleck und seine Familie ins jüdische Ghetto von Lwów, 1943 ins KZ Auschwitz, 1944 ins KZ Buchenwald verschleppt. Er und seine Familie überleben und gehen nach Kriegsende nach Lublin/Polen, wo er als Immunologe arbeitet (Schnelle 1982).
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Einsicht im fertig Gegebenen. Es ist ein tätiges, lebendiges Beziehungseingehen, ein Umformen und Umgeformtwerden, kurz ein Schaffen“ (Fleck 1929:426). Obwohl Fleck die Autonomie des Subjekts ablehnt, treten Wissenschaftlerinnen als Konstrukteurinnen wissenschaftlichen Wissens hervor. Jedoch nicht in Form des Genies, wie es die Wissenschaft durch ihre Preis- und Lobvergabe feiert, sondern eingebettet in ein Denksystem, das das Wahrnehmen, Erkennen und Interpretieren beeinflusst. Seine Feststellung, dass man „erst lernen [muss], zu schauen, um das wahrnehmen zu können, was die Grundlage der Disziplin bildet“ und dass man eine „gewisse Erfahrung“ bzw. eine „gewisse Geschicklichkeit“ braucht, um sich innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin zu bewegen, führt ihn zu dem Schluss, dass Wissen nicht anhand logischer Kriterien entdeckt, sondern wissenschaftlich konstruiert wird (Fleck 1935b:60). Damit ist Forschen nicht nur immer schon hinsichtlich eines gesellschaftlichen Bedürfnisses orientiert, sondern ist auch nur nach praktisch-theoretischer Einführung in das Gebiet möglich (Fleck 1947). Kenntnisse bestehen daher erstens zu einem überwiegenden Teil nicht aus neu Erkanntem, sondern aus erlerntem Wissen (Gewicht der Erziehung), neues Erkennen ist zweitens immer schon durch das Erkannte vorgeprägt (Last der Tradition) und drittens schränkt einmal Formuliertes die darauf aufbauenden Konzeptionen immer schon ein (Wirkung der Reihenfolge des Erkennens). Es sind also nicht die „Lösungen der Probleme (…), sondern das Begreifen der Herkunft und der Bedeutung der Probleme selbst; nicht die Begriffe, sondern deren Entstehen und Zweckmäßigkeit“ (Fleck 1929:425f), was Forschung ausmachen sollte. In diesem Zusammenhang sind leicht die didaktischen Bemühungen zu erkennen, den geographischen Blick der Studierenden seit Beginn des 1. Semesters zu schulen, um bei ihnen einen disziplinspezifischen Blickwinkel und damit eine Bereitschaft für gerichtetes Wahrnehmen auszubilden. Dies mit dem Ziel, die Geographie einerseits von anderen Disziplinen als eigenes Denkkollektiv abzugrenzen und andererseits der Disziplin spezifisches Wissen zuzutragen; obwohl zu ahnen ist, dass die Notwendigkeit einer standardisierten Ausbildung der Beobachtung und die daraus folgende Fähigkeit gerichteten Wahrnehmens sehr wahrscheinlich nur mit dem Verlust Heterogenes wahrzunehmen, erreicht werden kann. Die Hoffnungen, dass die disziplinspezifischen Forschungsbemühungen am Ende zu einer einheitlichen Metatheorie führen, gehen somit bis heute nicht nur nicht in Erfüllung, sondern zeigen gegenteilige Entwicklungen auf. Immer spezialisierter und abstrakter stellen sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse dar, die nur von disziplininternen Expertinnen nachvollzogen werden können, weil nur sie Denkgewohnheiten aufweisen, die das disziplinspezifische Wissen interpretieren lassen. Diese Denkgewohnheiten nennt Fleck (1935b:68) Denkstil. Er ist das Ergebnis theoretischer und praktischer Ausbildung einer Disziplin. Dabei ist der Denkstil nicht statisch und unveränderbar, sondern unterliegt historischen Entwicklungen, durch die es möglich ist, neue sozialräumliche Phänomene im alten wie im neuen Material wahrzunehmen. In der Wiederentdeckung dieser Erkenntnisse liegt der zentrale Ausgangspunkt der Verschiebung der wissen(schaft)ssoziologischen Fragestellung von Merton nach den Bedingungen gesicherten Wissens in einer Gesellschaft hin zur Frage nach den
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Bedingungen des Auftauchens bestimmter sagbarer Aussagen. Denn es zeigt sich, dass Denkstile eine spezifische Geschichte besitzen. So geht Fleck (1935a:35) davon aus, dass wissenschaftliches Wissen nicht auf der Beobachtung empirischen Materials, sondern auf Präideen beruht, deren Genese sogar bis weit in die vorwissenschaftliche Vergangenheit zurückreicht, jedoch im Zuge der Verwissenschaftlichung übernommen und trotz aller Veränderungen der Denkstile weiter bestehen. Präideen sind „Zusammenhangsvermutungen“, die im Rahmen von Denkstilen bestimmte Wahrnehmungen, Fragen und Antworten bevorzugen und andere ignorieren. Nach Fleck greifen Wissenschaftlerinnen immer wieder auf alltagsweltliche und verwissenschaftlichte Präideen zurück, die als „entwicklungsgeschichtliche Anlagen neuzeitiger Theorien zu betrachten [sind] und ihr Entstehen als denksozial zu begründen“ ist. Im Laufe ihrer Verwendung verlieren die Präideen ihren Entstehungs- und Begründungszusammenhang und werden in jeder Epoche neu interpretiert. Damit besitzen sie eine regulierende und legitimierende Funktion innerhalb einer Disziplin. Die Diskussionen um Raum innerhalb der Geographie sind ein Beispiel dafür, wie Denkstile nicht nur disziplin-stabilisierend, sondern disziplin-konstituierend sind. So schaffen es Hans Bobek und Wolfgang Hardtke ebenso wenig, sich von der Länderkunde zu lösen, wie die Humanistic Geography den Containerraum der quantitativen Geographie nicht überwinden kann. Der Postkolonialismus muss das Spannungsverhältnis zwischen Wissen und Macht aushalten und noch immer gibt es Diskussionen darüber, ob systemtheoretische oder differenzphilosophische Ansätze überhaupt als geographische Forschung bezeichnet werden können. Noch immer scheint sich die Geographie von der Spaltung in Human- und Physische Geographie nach Kiel 1969 nicht erholt zu haben; noch immer wird der revolutionäre Weg der Human-, Kultur- und Sozialgeographinnen als Schwächung der Disziplin empfunden. Als wäre der Erfolg des Forschens jemals abhängig gewesen vom einheitlichen Denken und Handeln (vgl. Feyerabend 2007 [1976]). Flecks Erkenntnistheorie ordnet das Verhältnis zwischen Erkennenden und zu Erkennendem neu, denn dieses Verhältnis ist nicht mehr im Sinne der cartesischen25 Tradition durch das „erkennende Ich“ gegenüber dem zu erkennenden Gegenstand bestimmt. Erkennen erfolgt nach Fleck durch das Mitglied einer Gruppe und ist damit durch diese soziale Gruppe beeinflusst beziehungsweise gerichtet. Diese Idee wird später in Thomas Kuhns (1962) Konzept des Paradigmas radikalisiert, findet sich bei Imre Lakatos‘ (1976) Begriff des Forschungsprogramms wieder und ist zudem anschlussfähig an Bourdieus Habitus- und Feld- sowie an Foucaults Diskursund Dispositivbegriff. Alle diese Ansätze geben der Wissenschaftsforschung neue Impulse und radikalisieren die Ablehnung von Vernunft und Objektivität als Grundprinzipien des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Wie schon betont, aktuell wird Fleck wiederentdeckt: sogar als Vorläufer der Sprachphilosophie sowie der Diskurs- und Dispositivtheorie und damit auch als erster Wissenschaftsforscher (vgl. Graf & Mutter 2005). Und jeder Bezug ist berechtigt, legt Ludwik Fleck in seinen empirischen Studien den Grundstein für eine postpositivistische Wissenschafts25
René Decarte‚ (lateinischer Name: Renatus Cartesius) versteht hinter seinem Schlusssatz, „Ich denke, also bin ich!“ aus seinem Werk „Meditationes de prima philosophia“ (Descartes 1870 [1685]) ein nicht zu kritisierendes Element der eigenen Erkenntnisfähigkeit.
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forschung. Seine wissenschaftshistorischen Studien am Beispiel des Syphilis-Begriffs werden 1935 unter dem Titel „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ veröffentlicht. Trotz des starken Einflusses des Wiener Kreises durch Hans Reichbach und Rudolf Carnap stellt das Werk die Existenz einer wissenschaftlichen Tatsache, die Objektivität von Wissenschaft und die Trennung von Natur- und Sozialwissenschaft per se in Frage. Damit gelingt Fleck nicht nur ein Gegenentwurf zum Logischen Empirismus, wie Popper (1934) es mit seinem Konzept des ‚Kritischen Rationalismus‚ anstrebt. Ganz im Gegenteil entwirft Fleck eine postobjektivistische Perspektive auf die wissenschaftliche Tätigkeit, die er als gerichtete Wahrnehmung bezeichnet und damit einen Paradigmenwechsel von der „Logik der Forschung“ zur „Praxis der Forschung“ (Bamme 2009:25) vollzieht. 4.3 Wissenschaftsforschung als Praxeologie Dieser Perspektivwechsel hat bis heute Einfluss und findet seine bekannteste Anwendung in den Laborstudien von Bruno Latour und Steve Woolgar. Sie nehmen nicht nur das Denken, sondern auch das Experimentieren, Repräsentieren und damit auch die wissenschaftliche Praxis in den Blick. Denn Wissenschaft ist nicht allein ideelle Theorie, sondern (vor allem mit Blick auf die Naturwissenschaften) praktische Ausführung durch das Experiment, das ein Eigenleben hat (Hacking 2007 [1983]:250). Im Zuge dessen gewinnen auch die praxisorientierten Studien von Ludwik Fleck wieder an Bedeutung, sodass es kein Zufall ist, dass die Laborstudien 1979 und damit im gleichen Jahr publiziert werden, als erstmals auch eine englische Übersetzung von Flecks „Die Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ erscheint. „Laboratory Life: The Social Construction of Scientific Facts“ (1979) beleuchtet den bei der Darstellung experimenteller Phänomene ablaufenden Prozess der Inskription. Die Transformation bzw. der Übersetzungsvorgang von den Daten zum Ergebnis beschreiben Latour und Woolgar nicht als Abbildung, sondern als Aushandlungs-, Interpretations- und Zuschreibungsprozess von Wissenschaftlerinnen. Wenige Jahre später spricht Harry M. Collins (1985) mit Blick auf die zunehmende Aufrüstung der Wissenschaft mit technischen Apparaten, analog zum hermeneutischen Zirkel26 der Sozialwissenschaften, vom experimentellen Zirkel der Naturwissenschaften. Die Errungenschaft dieser auf interne Einflüsse27 angelegten Studien besteht darin, dass der Forschungsprozess nicht im Sinne der Logik (vgl. Popper 1934), sondern der Praxis (vgl. Latour 2010 [2002]) von der ersten Skizze bis zur Publikation, in den Mittelpunkt der Untersuchung rückt und in diesem Sinne als praxeologische Wissenschaftsforschung bezeichnet wird. Diese Ar26
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Die Erkenntnis, dass der Sinn jeder Aussage an Bedingungen (Vorwissen, Sozialisation usw.) der Aussagenden gebunden ist, haben schon die Vorsokratiker in ihre Überlegungen eingebunden. Das Begriffspaar „hermeneutischer Zirkel“ weist darauf hin, dass es keinen objektiven Zugang zum Sinn einer Handlung gibt (Mittelstraß 2004b:85ff). Zum Beispiel Rekrutierungsmechanismen (Hahmann 2009), Normen und Kontrollmechanismen für wissenschaftliche Qualität (Ralfs 2010), quantitative Netzwerkanalysen (Steinbrink et al. 2010), Spezialisierung der Fachbereiche (Stichweh 1994), Einfluss von Reputationen innerhalb des Bewertungsprozesses (Weingart & Pansegrau 1998, Hagstrom 1965, Luhmann 1970).
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beiten zielen darauf ab, die interpretative Flexibilität von sogenannten Daten sowie die Transformation von ‚Daten‘ zu ‚Fakten‘, die Inskriptions- und Aushandlungsprozesse als auch die Argumentationsketten bei der Vermittlung von wissenschaftlichem Wissen aufzuzeigen (vgl. Hacking 1983, Knorr-Cetina 1988, Pickering 1992, Lynch 1993, Pickering & Guzik 1995, Rheinberger et al. 1997, Latour 1997, Krauthausen 2010, Rheinberger 2007b, 2012, Hoffmann 2013). Daneben interessiert sich der Soziologe Pierre Bourdieu (1975) für Normen und Regeln innerhalb des Erkenntnisprozesses. Er versteht die Produktion wissenschaftlichen Wissens als ein konfliktgeladenes Feld, in dem strategisch um Macht und Profite beziehungsweise um deren Erhalt gekämpft wird. Damit ist Wissenschaft für Bourdieu nicht mehr wie für Robert Merton und auch Thomas Kuhn ein sportlicher Wettbewerb mit dem Ziel der Wissensvermehrung fern von individuellen Interessen. Es ist ein Kräftefeld, in dem sich einige Personen besser durchsetzen können als andere. Wissenschaftlerinnen sind dann Akteurinnen mit zugesprochenen Fähigkeiten, deren Autoritäten Handlungsoptionen legitimieren. Wissenschaftlerinnen sind nicht allein handelnde Akteurinnen im wissenschaftlichen Feld, sondern sie sind ebenso Teil einer sozialen Welt, in der sie leben und handeln, aus der sie ihre Eindrücke speisen und der sie ihre Theorien und Ergebnisse zurückgeben. Damit vollzieht Bourdieu erstmals einen Perspektivwechsel innerhalb der Wissenschaftsforschung und hebt den Dualismus zwischen Wissenschaft und Gesellschaft auf. Somit stehen wissenschaftliche Interessen für Bourdieu immer im Zusammenhang mit sozialen Interessen, womit die Wahl des Forschungsgebietes, der Methoden oder des Publikationsortes immer schon eine persönliche Strategie darstellen, die Autorität und damit den wissenschaftlichen Profit zu vermehren. Aus diesem Grund unterteilt Bourdieu das wissenschaftliche Feld in zwei Pole. Das autonome Subfeld ist weitgehend selbstreferenziell organisiert und benötigt für eine erfolgreiche Teilnahme die Einverleibung eines feldspezifischen Habitus; das heterogene Subfeld hingegen wird durch ökonomische und politische Interessen gelenkt. Im Zuge dessen schafft Bourdieu sowohl die Betrachtung der Wissenschaft als soziale, das heißt gesellschaftlichen Bedürfnissen unterliegende Institution als auch die Betrachtung der Wissenschaftlerinnen als nutzenorientierte Akteurinnen mit persönlichen Interessen, die im Zuge habitueller Performanzen Glaubwürdigkeit anstreben. Sein 1988 erschienenes Buch „Homo Academicus“ bildet neben seiner Kulturtheorie und den empirischen Studien zur französischen Alltagswelt den Höhepunkt seiner Forschung. Demgegenüber konzentrieren sich Michael Mulkay (1979, 1984) und Harry M. Collins (1981, 2010) in ihren Arbeiten weniger auf die machtvollen Normen und Regeln als vielmehr auf die Repräsentation wissenschaftlichen Wissens im Zuge wissenschaftlicher Kommunikations- und Durchsetzungsprozesse. Obwohl wissenschaftliches Wissen unterdeterminiert ist, gibt es konsolidiertes Wissen, an dessen Gültigkeit nicht gezweifelt wird. Somit ergibt sich die Frage wie es trotz prinzipieller Offenheit des Erkenntnisprozesses zu Schließungen kommen kann. Wie entsteht aus Unsicherheit Gewissheit beziehungsweise wie entsteht Evidenz? Wie entstehen Objekte und vor allem Objektivität? Wie entstehen Fakten und wie wird deren Gültigkeit verteidigt und wie entsteht aus Kontextualität Universalität? Dies sind Forschungsfragen, die Diskurstheoretikerinnen anhand innerwissenschaft-
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licher Kommunikationsprozesse wie Argumentationsverläufe und/oder Konferenzdiskussionen zu beantworten versuchen. Dabei zielen sie auf die Analyse von drei Aspekten: Demonstration der interpretativen Flexibilität empirischer Daten bzw. Darstellung des hermeneutischen/experimentellen Zirkels, Darlegung der Schließungsmechanismen von offenen zu geschlossenen Diskursen und Einbindung der Schließungsmechanismen in einen übergeordneten sozialen und vor allem politischen Diskurs. Als Folge des Paradigmenwechsels von der Bewusstseinsphilosophie28 zur Sprachphilosophie ist es Ziel dieser Ansätze, den Prozess der Objektivierung durch die Versprachlichung nachzuzeichnen (vgl. Collins 1985). Diese Fragen erinnern an die in dieser Arbeit gestellten Forschungsfragen und sie bieten einen ersten Zugang zur Dimensionalisierung der Wissensproduktion. Es zeigt sich zudem, dass mit der Analyse der Kommunikationsprozesse nicht nur die diskursive Wissensproduktion erfasst werden kann, sondern dass ebenso die Denkstrukturen der wissenschaftlichen Community als auch die visuellen Verbündeten der Wissensproduktion empirisch Beachtung finden können. Exkurs: Wissenschaftsforschung in Deutschland, Österreich und der Schweiz Die deutsche „Wissenschaftsforschung“ sowie „Wissenschafts- und Technikforschung“ als auch die englischsprachigen Science and Technology Studies umfassen alle akademischen Disziplinen, die Wissenschaft zum Gegenstand der Untersuchung haben. Im Zentrum steht die Reflexion der wissenschaftlichen Tätigkeit und der scheinbar selbstverständlich verwendeten Begriffe, Kategorien und Theorien sowie die Instrumentarien zur Wissensgewinnung. Dies erfolgt vor dem Hintergrund wissenschaftsinterner und -externer Bedürfnisse, um die kulturelle Bedingtheit wissenschaftlichen Forschens aufzuarbeiten. Weitere Ziele sind die Generierung von Wissen über die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft bzw. über die Veränderungen des alltäglichen Lebens durch wissenschaftliche Erkenntnisse (Technikfolgeabschätzung und Wissenschaftsethik) sowie die Bedingungen wissenschaftlichen Arbeitens (z. B. Bedingungen finanzieller Zusprüche). Trotz unterschiedlicher Strömungen kann behauptet werden, dass die neuen Ansätze der Wissenschaftsforschung die klassische Dreiteilung (Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie) überwinden, denn Wissen ist immer historisch, kontextuell sowie institutionell verortbar. Insgesamt ist die Wissenschafts- und Technikforschung von zwei zentralen Thesen geleitet; von der These der Unterdeterminiertheit29 und der These der Theoriegeladenheit30. Sie bilden die Basis für die Frage, „Wie entstehen allgemeingültige wissenschaftliche Standards?“ respektive, „Wie entsteht wahres Wissen?“.
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Mit seinem Schlusssatz „Ich denke, also bin ich!“ vollzieht Descartes einen Paradigmenwechsel vom Seindenken zur Bewusstseinsphilosophie Es gibt nie nur einen Weg, der von den empirischen Beobachtungen zu den Theorien führt. Das heißt Theorien sind durch die Beobachtungsdaten nicht eindeutig bestimmbar (Bamme 2009) Es gibt keine voraussetzungslose Beobachtung. Beobachtungen stehen immer im Kontext kultureller und sozialer Vorannahmen sowie im Kontext wissenschaftlicher Theorien, deren Begriffssystem, logische Schlüsse usw. die Beobachtung vorstrukturieren (Bamme 2009).
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In Deutschland und Österreich ist die Wissenschaftsforschung sowie die Wissenschafts- und Technikforschung vor allem mit folgenden Namen verbunden. Erstens mit Peter Weingart, der bis 2009 Direktor des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung an der Universität Bielefeld (www.uni-bielefeld.de/iwt/) ist. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf eher makrostrukturellen Studien zur Relevanz der Forschung für eine breite Öffentlichkeit sowie auf Politikberatung unter aktuellen Bedingungen wie Klimawandel oder Gentechnik. Zweitens ist Helga Nowotny zu nennen, die bis zu ihrer Emeritierung im Jahre 2002 an der ETH Zürich klassische Themen der Wissenschaftsforschung wie Selbstorganisation der Wissenschaft und/oder technologische Folgen, aber auch Geschlechterverhältnisse und die wissenschaftliche Suche nach Sicherheit innerhalb einer als unsicher empfundenen Welt, untersucht. Seit 2010 ist sie Vorsitzende des Europäischen Forschungsrates. Drittens ist Hans-Jörg Rheinberger zu nennen, der das 1994 neu gegründete MaxPlanck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (www.mpiwg-berlin.mpg.de) seit 1997 als Direktor führt. Mit ihm konzentriert sich das Institut auf die Entstehung von Wissen im Kontext von Forschungsobjekt, Theorie, Instrumenten sowie disziplinären und institutionellen Dispositiven. Der Anschluss an Foucault ist hierbei deutlich erkennbar und ermöglicht eine Abgrenzung zu ‚bloß‘ konstruktivistischen Ansätzen der 1980er-Jahre, die die Ereignishaftigkeit der Wissensherstellung nicht erkennen. Nicht zuletzt ist Ulrike Felt zu nennen, die seit 1999 Professorin für Wissenschaftsforschung und Vorständin des gleichnamigen Institutes in Wien ist sowie die Mitarbeiterinnen des Institutes für Technik- und Wissenschaftsforschung der Alpen-Adria-Universität mit Standort in Klagenfurt und Graz. Für die Schweiz stellt Bettina Heintz (1995:50) fest, dass sich die Wissenschaftsforschung bis in die 1990er-Jahre wenig bis gar nicht durchsetzen kann, was sie zu einer Studie über die Wissenschaftsforschung in der Schweiz motiviert, um diese Forschungsperspektive stärker zu unterstützen. In einem Sammelband über die Wissenschafts- und Technikforschung in der Schweiz (Heintz & Nievergelt 1998) soll dieser Leben eingehaucht werden, denn es fehlen in der Schweiz Institutionalisierungsformen. Seitdem änderte sich einiges. Mit dem Lehrstuhl für Wissenschaftsforschung und Wissenschaftssoziologie an der Universität Basel (Prof. Dr. Sabine Maasen), der Professur für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich (Prof. Dr. Michael Hagner), dem im Januar 2010 neu entstandenen Lehrstuhl für Wissenschaftsforschung in Luzern (Prof. Dr. Christoph Hoffmann) und dem Ludwik Fleck Zentrum in Zürich (www.ludwikfleck.ethz.ch/) besteht aktuell eine vielversprechende Infrastruktur für die Etablierung der Wissenschafts- und Technikforschung in der Schweiz. Als interdisziplinäre Dachorganisation versteht sich im deutschsprachigen Raum seit 1998 die Gesellschaft für Wissenschafts- und Technikforschung (www. gwtf.de), die neben der interdisziplinären „Bearbeitung von Problemen der Wissenschafts- und Technikentwicklung“ auch die Kommunikation zwischen den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften anstrebt. In diesem Sinne erfolgen jährliche Tagungen zu den breiten Themen der Wissenschafts- und Technikforschung, eine Mailingliste dient als „gwtf-talk“ und gemeinsame Publikationen dienen der Kommunikation von Forschungsergebnissen. Jährliche Tagungen führt auch die fach-
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Erkenntnisgewinn als Erkenntniskonstruktion
übergreifende Gesellschaft für Wissenschaftsforschung (www.wissenschaftsforschung.de) durch, die sich vor allem aber für die Wissenschaftsentwicklung in der Region Berlin-Brandenburg interessiert. Auf der Publikationsebene haben sich die Science and Technology Studies ein breites Repertoire aufgebaut. Von Themen zur Wissenschaftsgeschichte (Osiris), über das Verhältnis zwischen Wissen und Technologie (Science & Technology Studies, Technology and Culture) sowie Wissenschaft und Gesellschaft respektive Öffentlichkeit (Science, Technology & Human Values, Social Studies of Science, Science in Context, Public Understanding of Science) bis hin zu kritischen Perspektiven (Science as Culture) bieten sich eine Reihe von Kommunikationsmöglichkeiten auf dem Gebiet der STS.
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Geographien produzieren, vermitteln und durchsetzen
Die Ansätze der Wissenschafts- und Technikforschung hinterlassen auch innerhalb der Geographie ihren Eindruck und verstärken das Interesse an den Kontexten und Bedingungen der geographischen Wissensproduktion, -vermittlung sowie -durchsetzung. Das folgende Kapitel setzt sich mit diesen Zugängen zu Wissen und dessen Verhältnis zu Raum auseinander. Dabei werden zentrale Ansätze der Historischen Geographie/Historical Geography sowie der Geography of Science vorgestellt, die sowohl aufgrund ihrer Auseinandersetzungen mit der Geschichte der Geographie als wissenschaftliche Disziplin als auch mit Raum als bedeutende Dimension der Wissensproduktion, -vermittlung und -durchsetzung eine weitere Inspiration für dieses Forschungsprojekt sind. 5.1
Geographisches Wissen in Zeit und Raum
Innerhalb der Geographie haben sich im Hinblick auf das Interesse an der geographischen Wissensproduktion, -vermittlung sowie -durchsetzung im Allgemeinen zwei Forschungsrichtungen entwickelt. Zum einen Ansätze zur Reflexion geographischer Tätigkeiten, die im deutschsprachigen Raum seit den 1970er- und 1980er-Jahren als relativ junge Perspektiven vor allem das Verhältnis von politischer Ideologie und wissenschaftlicher Erkenntnis zur Zeit des Kolonialismus und Imperialismus (Schultz 1977, Krone 1986, Allison 1992, Sandner 1994, Sprengel 2000) und des Faschismus (Rössler 1989, Fahlbusch 1999, Gutberger 1999, Mühle 2001) aufarbeiten. Dabei interessieren sich die Autorinnen sowohl für die disziplinhistorischen Kontexte als auch für die disziplinspezifischen Fragestellungen, die die Produktion von bestimmtem Wissen über Menschen und Orte begünstigen. Im wissenschaftlichen Diskurs sehr präsent sind die Arbeiten des Leibnitz Institutes für Länderkunde, die innerhalb der Abteilung Theorie, Methodik und Geschichte der Geographie sowie im Forschungsbereich Geschichte der Geographie unter der Leitung von Ute Wardenga produziert werden. Auch im englischsprachigen Raum gibt es im Rahmen der Historical Geography vielseitige Auseinandersetzungen mit der Bedeutung der Geographie im Hinblick auf die Produktion modernen Wissens, zum Beispiel im Zuge der Aufklärung (vgl. Heffernan 1998, Livingston & Withers 1999, Withers 2001:112–142), im Rahmen der Explorationsgeographie (vgl. Driver 2001, Gambi 1994, Butlin 1995, Hef-
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Geographien produzieren, vermitteln und durchsetzen
fernan 1994), für die Herausbildung eines Nationalverständnisses (vgl. Withers 2001), mit Blick auf unterschiedliche nationalstaatliche Entwicklungen (vgl. Sammelband von Dunbar 2001 mit Beiträgen zu Deutschland, Italien, den Niederlanden, Schweden, Russland, Frankreich, Großbritannien, USA und Kanada), auf die Anfänge der Physischen Geographie (vgl. Gregory 1985, Pitty 1982) oder auch mit Blick auf die konkreten Tätigkeiten einzelner Geographen (vgl. Lorimer & Withers 2007) sowie deren Raumverständnisse (vgl. Crang & Thrift 2000, Peet 1999) und/ oder ihrer verwendeten Kategorien (vgl. Johnston & Cloke 2005). Neben diesen Auseinandersetzungen interessiert sich eine Gruppe mit den (meist geopolitischen) Diskursen der Geographie eine Gruppe deutscher Geographinnen (vgl. Meusburger 2010, Meusburger et al. 2010, Jöns et al. 2010) mit den Räumen der Wissensproduktion und steht damit in der Tradition der englischsprachigen Geographie of Science/Geography of Knowledge. Als Ausgangspunkt dieses Zugangs nennt Withers (2001:4) vor allem die Arbeiten von David N. Livingstone (1984, 1992), die das Verhältnis von Wissen und Geographie untersuchen. Danach ist Wissen geographisch zu verorten, das heißt, dass geographisches Wissen nicht fern des raumzeitlichen Milieus zu betrachten ist. Damit wird Raum als zentrales Element wissenschaftlicher Wissensproduktion in die historische Analyse eingebunden. Diese Interessen sind einerseits die Folge vielseitiger Bezüge zu den Science Studies (z. B. Kuhn, Latour, Pickering, Lynch, Latour & Wolgaar, Knorr-Cetina) und deren Historisierung und Kontextualisierung von Wissen, was zweitens zu der Forderung seitens der Geographie führt, neben den sozialen auch den räumlichen Bedingungen der Wissensproduktion Aufmerksamkeit zu schenken. Denn Raum findet innerhalb der Science Studies bisher kaum Beachtung. Nur wenige erkennen, dass Wissen neben einer Geschichte und neben den sozialen Bedingungen der Wissensproduktion auch eine Geographie hat (vgl. Gieryn 1999, 2000, 2008, Smith & Agar 1998). Die Forderungen der Geography of Science (vgl. Naylor 2005, Powell 2007) zielen auf eine Konfrontation der Science Studies mit der Lokation von Wissen respektive auf die räumliche Einbettung der Wissensproduktion mit Blick auf Museen, Labore, Feldstationen, botanische und zoologische Gärten usw. In diesem Sinne fokussiert die Geography of Science ihr Interesse „on the specific circumstances of scientific practices and on the ways in which the travels of scientists, resources, and ideas shape the production and circulation of scientific knowledge“ (Jöns et al. 2010:ix). Damit wird deutlich, dass Geographie zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten gemacht wird und dass geographische Ideen wie zum Beispiel Norden, Süden, Orient, Okzident usw. – also der Zugriff auf geographische Denkmuster – einen wesentlichen Anteil an der Konstruktion der Wirklichkeit haben (vgl. Jöns 2004, 2006a,b, Meusburger et al. 2008, Meusburger et al. 2009). 5.2
Geographisches Wissen und Geschlecht
Es ist interessant, dass schon seit den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts zum Teil sehr kritisch über den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess nachgedacht wird, dies aber bis in die 1970er-Jahre keinen Einfluss auf die Reflexion der Geschlechter-
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verhältnisse oder die Verwendung von Geschlecht als natürliche Kategorie ausübt. Die feministischen Perspektiven der Wissenschafts- und Technikforschung (vgl. Reskin 1978, Cole 1980, Fox-Keller 1995, Fox-Keller 1998 [1986], Harding 1990, 1994, Zuckermann et al. 1991, McDowell 1993) sowie die politischen Forderungen der zweiten Frauenbewegung üben auch innerhalb der Geographie erst ab den späten 1980er-Jahren Einfluss aus (vgl. Gilbert & Rössler 1983, Bee 1988, Lee 1990, Rössler 1989, Bühler 1994, Massey 1994, Meier 1994, Monk & Momsen 1995, Staeheli 1995, Bäschlin & Meier 1995, Domosh & Seager 2001, Moss 2007). Aber bis heute haben sich unter dem Schlagwort Feministische und Gender Geographien eine Vielzahl gendersensibler Perspektiven in der Geographie etabliert, die grundsätzlich die Analyse der gegenseitigen Konstitution von Raum und Geschlecht zum Ziel haben. Inspiriert durch die 2. Frauenbewegung der späten 1970er-Jahre stehen Ende der 1980er-Jahre zunächst die Kritik am Sexismus und Androzentrismus der Geographie im Mittelpunkt der Analyse. Geographinnen kritisieren den geringen Frauenanteil an den Universitäten – nicht nur in Führungspositionen – und zeigen, dass sich die Geographie als männliches Fach von Abenteuern entwickelt und bis in die 1980er-Jahre in diesem Sinne etabliert (vgl. Wastl-Walter 1985, Bee et al. 1988, Bäschlin 1989, Bock 1989, Lee 1990, Bühler et al. 1993). Die Wurzeln dessen liegen in der Entstehung geographischen Denkens in der Antike, vor allem aber im Zeitgeist der Explorationsgeographie des 17. und 18. Jahrhunderts und in den Zielen, die die Institutionalisierung der Geographie im späten 19. Jahrhundert begleiten. Da ist geographisches Denken vor allem militärisches Denken und im Zuge der Kolonialisierung eng mit den politischen Weltanschauungen verbunden (vgl. Zimmerer 2004:90). Demgegenüber wollen feministische Geographinnen eine Geographie konzipieren, die einerseits die Lebensrealitäten von Frauen einbindet und andererseits, mit Bezug zu Judith Butler, die Kategorie Geschlecht als soziale Anrufung in die Analyse einbindet (vgl. McDowell 1992, 1999, Rose 1993, Pratt 2004, Moss 2007). Diese disziplinspezifischen Auseinandersetzungen mit den Inszenierungen von Geschlecht innerhalb der Geographie können zeigen, wie eng die Legitimierung des Fachs ebenso an wissenschaftliche Erzählungen über Geschlecht gebunden ist wie es die Forschungsergebnisse sind. Der Anschluss der feministischen Geographie an den Feminismus hat jedoch auch zwei wesentliche Probleme. Einerseits unterliegt den wissenschaftlichen Analysen eine Homogenisierung heterogener Bedürfnisse von Personen unter die Gruppe Frauen, was andererseits dazu führt, dass der Feminismus die homogenisierenden Kategorien von Frau und Mann sowie die daran anknüpfenden Handlungserwartungen von Weiblichkeit und Männlichkeit reproduziert – auch um politisch argumentationsstark und schlagkräftigt zu sein. Damit beruht feministisches Denken grundsätzlich auf einem Spannungsverhältnis von „Wissenschaft und Politik und auf der Suggestion von Gemeinsamkeit zwischen Ungleichen“ (Knapp & Wetterer 2003:245). Zudem kann festgestellt werden, dass die ersten feministischen Auseinandersetzungen innerhalb der Geographie zwar eine lebendige Diskussion zum Geschlecht der Wissenschaft ermöglichen und daran anschließend gendersensible Perspektiven mit Blick auf die Alltagswelt hervorbringen, dabei sind jedoch die Inszenierungen von Geschlecht durch die wissenschaftlichen Bemühungen der Geographie selbst völlig aus den Blick geraten. Es benötigt für diese Arbeit daher eine Auseinanderset-
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Geographien produzieren, vermitteln und durchsetzen
zung über die spezifischen Inszenierungen von Geschlecht als Praktiken der Wissenschaft und einen Anschluss an operationalisierbare Perspektiven, was in einem späteren Kapitel (Kapitel 6 – Wissenschaftliche Geographien als Narrative der Wissenschaft) Beachtung finden wird. 5.3
Geographisches Wissen als materielles Bild
Über die gendersensiblen Perspektiven der Geographie hinaus bietet es sich an dieser Stelle an, auf die Arbeiten der Kritischen Kartographie (Schelhaas & Wardenga 2007, Mose 2009, Siegel & Weigel 2011), der Critical Cartography and Critical GIS (vgl. Harley & Woodward 1987a, b, Harley 1989, Pickles 1992, O‚Sullivan 2006, Harris & Harrower 2006) hinzuweisen. Wie zu Beginn der Arbeit aufgezeigt, werden die Geographien von Geschlecht und Raum nicht allein sprachlich, sondern auch visuell im Zuge materieller Bilder vermittelt. Wissenschaftliche Bilder, wie Karten, Grafiken, Tabellen und Diagramme unterstützen die Informationen zur Bevölkerungsstruktur und Tabellen ordnen Länder nach Bevölkerungszahlen, Bruttosozialprodukten, Kindersterblichkeiten, Analphabetenraten uvm. Diese Ordnungen und Verortungen zirkulieren mit Beginn ihrer ‚Darstellung‘ und bilden die Grundlage für die Perspektiven auf die Welt, ihre Bevölkerung, ihren Zustand usw. In diesem Sinne bedarf es einer Reflexion der visuellen Geographien, was anschlussfähig ist an die praxisorientierten Ansätze der Wissenschafts- und Technikforschung. Diese verweisen nicht allein auf den Handlungsvollzug der Wissenschaftlerinnen im Zuge von Sprechen und Schreiben, sondern auch auf die mitgelieferten Bilder der Wissenschaft. Diese verifizieren im Zuge des Zeigens, das Gesprochene und Geschriebene und übertragen die nun ‚sichtbare‘ Wahrheit. Für die geographische Wissenschaftsforschung bedeutet dies, sich, mit Blick auf den Pictorial/Iconic/Visual Turn (vgl. Boehm 2001, Mitchell 1997 [1992], Maar & Burda 2006), mit der Konstruktion von Weltbildern durch Visualisierungstechniken zu beschäftigen. Denn die Geographie verwendet mit ihrer Raumdarstellung, -orientierung und -aneignung Aufschreibe- und Einschreibeinstrumente, die das Wissen von Karten, Daten, Grafiken, Tabellen usw. als real und damit unveränderlich zurücklassen (Schlottmann & Miggelbrink 2009). Arbeiten zu visuellen Geographien (vgl. Harley 1989, Heintz & Huber 2001, Schlottmann & Miggebrink 2009) zeigen, dass Visualisierungen „Produkte eines langwierigen und komplexen Herstellungs-, Aushandlungs- und Selektionsprozesses“ (Schelhaas & Wardenga 2007:145) darstellen und Ergebnisse von Aushandlungsprozessen mithilfe einer komprimierten ‚Darstellung‘sform zum Ausdruck bringen. Das ist nicht unbedingt eine neue Perspektive, wird die realistische Position schon von Arno Peters (1976) mit Blick auf geographische Karten herausgefordert, indem er diese als Resultat ethno-, euro- und nicht zuletzt androzentristischer Machtstrukturen definiert; ebenso weist Tuan (1979, zit. in Miggelbrink & Schlottmann 2009:190) Ende der 1970er-Jahre darauf hin, dass raumorientierte Forschungen im Zuge ihrer Wissensproduktion eine konstitutive Visualität besitzen. Der Schweizer Geograph Claude Raffestin (1985) fordert eine historische Perspektive
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auf die Kartographie und der englische Geograph David Harley (1989:12) hält fest: „a mapless society (…) would now be politically unimaginable“. In diesem Sinne ruft auch die Verwendung der Begriffe Ost- und Westdeutschland unweigerlich eine Variante einer Deutschlandkarte vor Augen, die eben gerade diese räumlich-sprachliche Trennung auch räumlich-visuell abbildet. Harleys (1989) Aufsatz „Deconstructing the map“ ist eine Kritik an bisherigen Vorstellungen, die „Karten als Ausdruck eines kumulativen Wachstums objektiven Wissens“ (Schelhaas & Wardenga 2007:147) verstehen und gibt Impulse für eine Historisierung von Karten. Mit dieser konstruktivistischen Wende innerhalb der Kartographie bleiben Karten keine „objektiv vermittelte Darstellung einer verkleinerten Realwelt“, sondern sie ermöglichen die „soziale, diskursive, ideologische, metaphorische und rhetorische“ Analyse der Kartenproduktion (Schelhaas & Wardenga 2007:147). Denn Kartographie ist keine Wissenschaft, die geographische Beziehungen feststellt und die Ergebnisse durch Karten präsentiert (Bundesamt für Kartographie und Geodäsie 2009) – im Sinne eines Spiegels der Natur. Vielmehr ist sie ein Set von theoretischem und praktischem Wissen, welches gesellschaftliche und disziplinspezifische Rahmenbedingungen widerspiegelt. Diese Rahmenbedingungen werden von Kartographinnen abgerufen, um eine besondere Visualisierung durchführen zu können (Harley 1989:3f), die dann einen Spiegel der Gesellschaft respektive der Wissenschaft darstellt und ein zentrales Instrument für die Formung und Ordnung von Wissen vor dem Hintergrund einer „Black Box“ ist (Wood & Fels 1998[1992], Cosgrove 1999, Cosgrove & Daniels 2002, Gugerli 2004, Bredekamp & Schneider 2006, Bredekamp & Velminski 2010). Die Wissensaneignung- und Wissensselektion bildet hier eine Vorstufe zur Visualisierung auf der einen Seite und zur Standardisierung von Aussagen, Objektivierung durch typologische Mustererkennung und Normalisierung durch Vergleiche von Beobachtungselementen als Folge von Visualisierung auf der anderen Seite. Dadurch werden kulturelle Phänomene zu natürlichen; es kommt also zu einer Naturalisierung von gesellschaftlicher Wirklichkeit. Dass jeder ‚Fakt‘ als Symbol dargestellt wird und somit die Karte als Realitätsabbildung augenscheinlicher Objekte gelesen wird, verstärkt die scheinbare Unabhängigkeit des ‚Dargestellten‘ von den Messtechniken, den Vergleichspunkten und vor allem vom Darstellerinnenstandpunkt. Das Augenscheinliche der Visualisierung unterstützt und bestärkt statistische Datenangaben und es kommt zu einer gegenseitigen Legitimation. Werfen wir dazu einen Blick zurück auf die Abbildungen 1 und 2. Das Kartenbeispiel macht deutlich, wie die Repräsentation des Raumes durch die räumliche Visualisierung sozialer Phänomene erfolgt. Dabei wird deutlich, dass Wirklichkeit und Repräsentation keine zwei verschiedenen Perspektiven sind, sondern dass die Verbindung von Sozialem und Raum sozialräumliche Phänomene überhaupt erst entstehen lässt. Indem Raum in Verbindung mit thematischen Fokussierungen gebracht und bildlich dargestellt wird, wird eine Einheit von Territorium und Thema produziert, die die Prozesse der Verknüpfung letzten Endes verschleiert. So beschreibt schon Karin Knorr-Cetina (2001:250f) wie visuelle ‚Darstellungen‘ die Einheit und Wissenschaftlichkeit eines Feldes dar- und damit herstellen, indem verschiedene Felder zusammengebracht werden und zwischen ihnen eine Ordnung entsteht. Karten konst-
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Geographien produzieren, vermitteln und durchsetzen
ruieren ihren Gegenstand, den es empirisch nicht gibt, sondern der eine Folge der theoretischen Vorannahmen ist.31 Ein zentrales Merkmal dieser Repräsentationen ist die Sinnproduktion, denn nicht sinnvolle Karten würden nicht den Regeln der Wissenschaft entsprechen. Bezug nehmend zu Martina Heßler (2006:20ff) kann in dreierlei Hinsicht von Sinnproduktion gesprochen werden. Erstens erzeugen Karten Sinn, indem sie bestimmte Konventionen bedienen und an Kartentraditionen anschließen. Zweitens wird Sinn durch die Fokussierung auf bestimmte Inhalte erzeugt, die den Abbildcharakter einer Karte bestätigen sollen. Hierbei wird marginalisiert, hervorgehoben, betont und kontrastiert. Drittens sind Karten die Folge der wissenschaftlichen Praxis, Ordnung herzustellen, Muster zu erkennen, Strukturen abzuleiten und Korrelationen nachzuweisen. Dabei werden „Unterschiede diskriminiert [und] Ganzheiten und augenscheinliche Beziehungen hergestellt“ (Latour 1990:42). Diese vorangehenden Auseinandersetzungen machen deutlich, dass sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit den visuellen Praktiken der Geographie größtenteils auf die Produktion von Karten bezieht. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass die Bevölkerungs- und Migrationsforschung neben Karten auch auf Diagramme, Tabellen und Grafiken zurückgreift. Es muss daher bei der Analyse darauf geachtet werden, dass die vielversprechenden Ansätze der Kritischen Kartographie mit Bezug zur allgemeinen Bildanalyse erweitert werden müssen. Dabei fällt auf, dass auch in anderen Disziplinen das Interesse am Bild groß ist (vgl. Mollenhauer 2003, Burri 2001, 2008; Heintz & Huber 2001). Vor allem aber kann die Kunstgeschichte/Kunstwissenschaft auf eine lange Tradition der Bildinterpretation zurückgreifen. Diese Zugänge sind wichtig, um bei der Dimensionalisierung visueller Geographien von Geschlecht und Raum nicht in ein repräsentationales Denken zu verfallen. Dabei ergeben sich folgende Fragen. Erstens: Wie kann eine Bildanalyse als Karten-, Grafiken-, Diagrammanalyse erfolgen, die das repräsentative Paradigma ablehnt und somit auf keinen Fall Aussagen treffen kann wie: „die Karte, die Grafik, das Diagramm zeigt“. Zweitens: Wie können Aussagen über Karten, Grafiken, Diagramme generalisiert werden? Bleibt der Interpretation am Ende nichts anderes übrig, als auf die Erkenntnisse der traditionellen Bildtheorie (vgl. Bertin 1974) zurückzugreifen, was Aussagen nach sich ziehen würde wie, „Die rote Farbe bedeutet Gefahr.“ oder „Die grüne Farbe steht für positive Entwicklungen.“? Drittens: Wie kann es gelingen, den Karten, Grafiken, Diagrammen in ihrer Eigenlogik gerecht zu werden? Wie kann also das sprachlich-narrative Vorwissen ausgeblendet werden? Viertens: Wenn Karten, Graphiken, Diagramme nicht nur eine Zusammenstellung bildlicher Elemente sind, sondern ein Set von theoretischem und praktischem Wissen darstellen, das auf gesellschaftliche und disziplinspezifische Rahmenbedingungen zurückzuführen ist, dann muss diese Arbeit nicht auf eine Bildanalyse oder Bildinterpretation, sondern auf eine Bilddiskursanalyse hinarbeiten. Denn es geht ja zum Beispiel nicht um Deutschland als Kartenelement, sondern „um die Symbolisierung einer Idee, nicht um die Abbil31
Eindrückliche Beispiele für die Repräsentation von Phänomenen aufgrund theoretischer Vorannahmen stellen die ‚Darstellungen‘ des Körpers innerhalb anthropologischer Studien im 18. und 19. Jahrhundert dar, die ihren Höhepunkt in der Rassenideologie des 20. Jahrhunderts finden (vgl. Hanke 2006).
Geographien produzieren, vermitteln und durchsetzen
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dung eines Gegenstandes, sondern um Analogien von Weltbildern und deren Basis in Vergesellschaftungs[- und Verwissenschaftlichungs]prozessen“ (Miggelbrink & Schlottmann 2009:194). Dieser Aspekt macht deutlich, dass die Interpretation von Karten nicht allein auf die Implikationen der Karte selbst zurückzuführen sind, sondern, wie neue Ansätze der Kommunikationsforschung zeigen, vor allem an die Fähigkeiten und das Vorwissen der Leserinnen gebunden ist (Kraus et al. 2011). Fünftens: Wenn die Visualität des Bildes gegenüber dem Text eine eigene Logik besitzt, stellt sich nicht zuletzt vor allem eine Frage: Wie ist die Visualität zu beschreiben, wenn zur Beschreibung selbst nur die Diskursivität zur Verfügung steht? Die im Teil C erfolgenden methodologischen Ausführungen stehen somit auch in dem Kontext, den aufgespannten Dualismus zwischen Text und Bild wiederum aufzulösen. Auch nach Roland Barthes (1970 [1964]), der die Sprachphilosophie Ferdinand de Saussures weiterführt, ist das zu einem Signifikant (Zeichen/Wort) gehörende Signifikat (Bedeutung des Zeichens/Wortes) nicht einfach ein Ding, sondern ebenso ein inneres Bild, das wir uns von dem Signifikant machen. Das zeigt also, dass die Wirklichkeitskonstitution durch Sprache im Hinblick auf die textliche Ebene ganz und gar nicht umfassend erfasst ist, wie die vorgestellte Analyse von Metaphern ebenso deutlich macht. Wenn wissenschaftliche Arbeiten von „Erosionsprozess der Wende“, „nicht zu stoppenden Wanderungsströmen und Auswanderungswellen“, „Rückgang der Bevölkerung ist nicht aufzuhalten“, „das Altersheim Ostdeutschland ist ein Hemmschuh“ usw. schreiben, zeigt diese Metaphernverwendung, dass wissenschaftliches Erzählen keine oberflächliche Diskursivität darstellt. Die Vermittlung von Wissen erfolgt mit Bildern, die vor dem geistigen Auge entstehen und Wirklichkeit produzieren. Ebenso wenn Karten und Diagramme herangezogen werden, um textliche Informationen darzustellen, sind sie eine visuelle Verdichtung von Text und wesentliche Hilfsmittel der diskursiven Sprechhandlung. Damit ist das Verhältnis von Text und Bild kein dualistisches, sondern vielmehr ein immanentes und dies soll (trotz analytischer Trennung) Beachtung finden. Sprache besitzt in diesem Sinn einen Anteil an der Bildlichkeit. Dabei kommt es nicht darauf an, die Methoden der Versprachlichung bloß an die Bildlichkeit wissenschaftlicher Texte anzupassen, sondern vielmehr darum, eine spezifische Analyse der Bildsprache zu entwickeln – also Karten, Grafiken, Diagramme als Kartentext, Grafiktext, Diagrammtext ernst zu nehmen.
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Analyse von Wissen als Archäologie und Genealogie
Die Darstellung der Perspektiven der (geographischen) Wissenschaftsforschung und deren Auseinandersetzungen mit der Frage, „Wie kommen Wissenschaftlerinnen zu ihren Erkenntnissen?“ lässt einen Zugang zum Wissen vermissen, der wie kein anderer die komplexen Prozesse der Wissensaneignung, -vermittlung sowie -transformation in den Blick nimmt und daher eine besondere Beachtung finden soll. Während sich die deutschsprachigen Erkenntnistheorien vor dem Zweiten Weltkrieg größtenteils mit den Arbeiten Robert E. Mertons und Karl Poppers sowie nach dem Zweiten Weltkrieg mit Thomas S. Kuhn beschäftigen, entwickelt sich in Frankreich, mit Bezug zur strukturellen Linguistik von Ferdinand de Saussure, eine Historisierung der Epistemologie, die bisher unbegründet selten als Ansatz der Wissenschafts- und Technikforschung gelesen wird; obwohl es Vorbilder gibt. So konzentriert sich Gaston Bachelard (1928) zum Beispiel auf die Geschichte der Physik und Mathematik und sein Schüler Georges Canguilhem nähert sich der Geschichte der Lebenswissenschaften und der Medizin an. Dabei konzentriert er sich auf die Wissenschaftsgeschichtsschreibung und zielt auf eine Epistemologie wissenschaftlicher Begriffe, dessen Rekonstruktion er Genealogie nennt (Rheinberger 2007:100). Mit Bezug zur strukturalen Linguistik von de Saussure beschäftigen sich Louis Althuser, Michel Pêcheux, Roland Barthes, Jacques Derrida, Jacques Lacan und nicht zuletzt Michel Foucault mit der Bedeutung von Zeichen und Sprache für die Entstehung von Weltbildern und Wissensordnungen. Damit verbindet diese Arbeiten ein Aspekt der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit, auf den auch schon Berger und Luckmann (2004 [1969]) hinweisen und der im Zuge des Linguistic Turns die Sozialwissenschaften revolutioniert: sozialräumliche Phänomene sind vor allem die Folge sprachlicher Praxis. Das heißt, dass Sprache kein zufälliges Ereignis, individuelles Verhalten oder sogar eine objektive Größe ist, sondern eine spezifische Form des Handelns darstellt. Diese unterliegt zudem einer Ordnung des Denk- und Sagbaren und wird durch Differenzierung initiiert. Nach Foucault erscheinen das Wissen und damit die Denkordnungen einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Sprache respektive in den diskursiven Aussagen, die im Zuge der Archäologie rekonstruiert werden können. Vor allem die beiden Schriften Foucaults: „Archäologie des Wissens“ (1981 [1969]) und „Die Ordnung des Diskurses“ (2007 [1970]) verorten sein Anliegen, die Entstehung von Wissensordnungen durch die Analyse ihrer Strukturen und Regelmäßigkeiten zu untersuchen. In diesem Sinne erfolgt die Analyse der wissenschaftlichen Erzählungen als Diskursanalyse.
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Analyse von Wissen als Archäologie und Genealogie
Foucaults spätere Arbeiten wenden sich vom Diskursbegriff nicht ab, aber sie verlagern das Interesse von den Regelmäßigkeiten diskursiver Aussagen auf die Machttechnologien, die das Individuum disziplinieren und die Gesellschaft regulieren. Diese Verschiebung zieht auch eine begriffliche Veränderung nach sich. Mit dem Begriff „Dispositiv“ zielt Foucault auf die Strategien der Normalisierung. Für diese Arbeit heißt das, die Analyse der wissenschaftlichen Erzählungen neben der Diskursanalyse als Dispositivanalyse durchzuführen, die die Durchsetzung konventioneller Kategorien reflektiert. Dieser Zugang ist für diese Arbeit im Hinblick auf die Rekonstruktion der grundlegenden Denkstrukturen und Rationalitäten sehr vielversprechend. Für ein nachvollziehbares Verständnis differenzphilosophischer Ansätze bedarf es eines kurzen Rückblicks über die französische Sprachtheorie von Ferdinand de Saussure, die in den 1960er-Jahren im Strukturalismus ihre Anwendung findet. Daraufhin erfolgt eine Auseinandersetzung mit Foucaults zentralen Begriffen und Konzepten, da diese einen hinreichenden Zugang zur Wissensproduktion und damit einen sprachlichen Rahmen für die Rekonstruktion wissenschaftlichen Wissens in dieser Arbeit bilden. 6.1 Sprache – Struktur – Gesellschaft Ferdinand de Saussure interessiert sich für den Aufbau einer Sprache und zielt auf die Beschreibung allgemeiner sprachlicher Strukturen ab. Die Grundlage seiner Auseinandersetzungen bildet die These, dass Sprache auf einem zeitlich relativ stabilen Regel- und Zeichensystem basiert, wobei die Bedeutung der Zeichen nicht den Zeichen eingeschrieben ist, sondern durch gesellschaftliche Konventionen festgeschrieben wird (de Saussure 1967 [1916]:7). Das heißt, dass die Bedeutung eines Zeichens nicht aus dem Zeichen selbst oder durch sonstige außersprachliche Einflüsse, sondern durch die soziale Praxis des Daraufbeziehens (z. B. Sprechen) entsteht. Das Sprachsystem ist damit nach de Saussure nicht durch die einzelnen Elemente, sondern durch deren Beziehung und deren Differenz untereinander zu verstehen. Zu kommunizieren heißt, ein Zeichen sinnvoll – also verständlich – zu benutzen und verständlich wird die Kommunikation, wenn sie entlang des konventionellen Regelsystems erfolgt. Im Zuge dessen kann aber auch festgestellt werden, dass de Saussures Hinweis auf die Praxis des Sprechens die Dezentralisierung des Subjektes – wie es der Diskurstheorie oft vorgeworfen wird – zumindest in Ansätzen entkräftet und die Zeichenbenutzerinnen wieder einbindet. Denn bei de Saussure findet sich grundsätzlich keine Ablehnung der Idee, dass sprachlichen Referentinnen für eine sinnvolle, also erfolgreiche Kommunikation verschiedene Regelsysteme zur Verfügung stehen, auf die sie je nach Kontext zurückgreifen können. Denn auch wenn die Zeichen wie zum Beispiel M-i-gr-a-n-t-i-n-n-e-n nicht beliebig irgendwelchen Personen zugeordnet werden können, sondern konventionell auf eine bestimmte Personengruppe festgelegt sind, bietet der Kontext der Zeichenverwendung eine große Spanne von „Internationalität“ über „Multikulturalismus“ bis hin zu „das Boot ist voll“. Sprechen ist in diesem Sinne regelgeleitetes Sprechen auf der Basis von Differenzen, aber auch kontextuelles Sprechen, das dem Willen zu Positionierungen Ausdruck verleiht.
Analyse von Wissen als Archäologie und Genealogie
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Mit der Idee, dass alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ebenso wie Sprache strukturiert sind und „alles unter linguistischen Gesichtspunkten noch einmal neu zu durchdenken“ ist (Jameson 1972:VII, zit. in Münker & Roesler 2000:7), kommt es zur Übertragung Saussurescher Sprachtheorie auf Sozial- und Geisteswissenschaften sowie Psychologie und Kulturgeschichte, was seit Richard Rorty unter dem Schlagwort Linguistic Turn erfasst wird. Der Linguistic Turn bedeutet die Hinwendung zur Sprache als das grundlegende Erklärungsmodell der Wirklichkeitsproduktion und gleichzeitig den Siegeszug des Strukturalismus mit der Konsequenz, dass der Sinn ein Effekt von sprachlicher Struktur ist. Insgesamt kann der Linguistik Turn als Paradigmenwechsel von der Philosophie des Bewusstseins zur Philosophie der Sprache innerhalb der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften ab Mitte des 20. Jahrhunderts verstanden werden. Die bekanntesten Anwendungen dieses Paradigmenwechsels erfolgen durch Claude Lévi-Strauss (Ethnologie), Jacques Lacan (Psychoanalyse) und Roland Barthes (Literatur- sowie Gesellschaftstheorie). 6.2
Episteme und Diskurse der Wissenschaft
Die bis heute einflussreichste Anwendung der Sprachtheorie de Saussures erfolgt jedoch durch Michel Foucault. Er überträgt die strukturalistische Linguistik auf die Ideengeschichte der Gesellschaft sowie Wissenschaften. Er entwirft ein umfangreiches Angebot zur Rekonstruktion der Wissensproduktion im Hinblick auf die ihr zugrunde liegenden Bedingungen. Diese nennt Foucault nicht, wie de Saussures oder Lévi-Strauss‚ Strukturen, sondern Episteme. Foucaults Analyse der Episteme bietet vielversprechende Anknüpfungen für den Zugang zur wissenschaftlichen Produktion von Wissen über Geschlecht und Raum, denn für Foucault (1980:197) sind Episteme ein „strategischer Apparat (…), der es erlaubt, aus allen möglichen Ausdrücken diejenigen auszuwählen, die akzeptiert werden innerhalb, ich will nicht sagen wissenschaftlicher Theorie, aber in einem Bereich von Wissenschaftlichkeit, und die als wahr oder falsch bezeichnet werden können“. Episteme bilden damit die Grundlage der Unterscheidung zwischen Sinn und Unsinn, zwischen Wahrheit und Falschheit, zwischen normal und abweichend und damit bedingen sie die Wahrnehmung und Interpretation sozialräumlicher Phänomene. In diesem Sinne sind Bewegungen von Personen von einem Ort zu einem anderen selbstverständlich seitens der Wissenschaft als Migration wahrzunehmen; die Migrierenden sind selbstverständlich entweder Frauen oder Männer, Alte oder Junge; die Bewegungen selbst werden wahrgenommen, da sie bezogen sind auf eine spezifische gesellschaftspolitische Organisation (Einteilung in Kreise, Regionen, Bundesländer). Insgesamt können alle differenzphilosophischen Ansätze als Gegenentwürfe zu jeglicher philosophischer Totalität verstanden werden. Die Forderung nach Gerechtigkeit des Heterogenen (Adorno 1970:285, zit. in Münker & Roesler 2000XIII), um somit dem ‚Anderen‚ gerecht zu werden, lässt differenzphilosophisches Denken als Differenzphilosophie zutage treten und soll im Folgenden auch in diesem Sinne bezeichnet werden. Ein weiteres zentrales Element differenzphilosophischer Analysen ist das Interesse an komplexen Gesellschafts- und Wissenschaftsanalysen, die die
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gesellschaftlichen Sinnbeziehungen vor allem als Machtbeziehungen verstehen. Denn nach Michel Foucault (1978) sind logische und damit geltende Relationen nicht einfach nur beschreibend, sondern befehlend. Wie die Welt sein sollte, was also das Logische vom Unlogischen unterscheidet, wird durch Macht bestimmt. Gesellschafts- und Wissenschaftsforschung dürfen daher nicht auf der Ebene der Beschreibung von Erkenntnisprozessen verharren, sondern müssen sich der „Warum-“ oder vielmehr der „Wozu-Frage“ stellen. Der Einbezug machtvoller Strategien zeigt sich vor allem in dem Begriff „Diskurs“, der mehr als jede andere Konzeption einen generellen Bruch mit bisherigen Ansichten von Sprache als Vehikel der Kommunikation darstellt. Mit Bezug zu Bachelard und Canguilhem verlangt Michel Foucault (1981 [1969]:199) in den späten 1960er-Jahren eine Verschiebung der Wissenschaftsgeschichte auf die diskursive Praxis von Wissenschaft. Die Archäologie des Wissens zielt auf die historisch verankerten Erzeugungsregeln (Episteme) ab, die überindividuell Wissensaussagen organisieren und strukturieren. Damit zielt sie nicht auf das individuelle Genie, das im Sinne der klassischen Wissenschaftshistorie32 Wissen entdeckt. Michel Foucault interessiert sich in seinen Arbeiten einerseits für die Bedingungen der Wissensproduktion in einer Gesellschaft und ihren Institutionen und andererseits für die daraus resultierenden Regulierungen und Disziplinierungen des Selbst, die sich in Form von Norm(ierungen) zeigen. Damit kritisiert er in „Die Ordnung der Dinge“ (1966) vor allem die Konzentration der Historiker auf Personen und/ oder Ereignisse als objektiven Forschungsgegenstand. Mit dem Ziel, nicht nach den wahren Determinanten historischer Kontinuitäten zu suchen, verlangt er die Erforschung der Narrationen selbst, die über die Personen und Ereignisse sprechen. Indem Foucault (1981 [1969]:205) Geschichte nicht als ein Voranschreiten von Unwissenheit hin zu universeller Wahrheit versteht und den humanistischen Prämissen nach Verbesserung und Fortschritt eine Absage erteilt, beginnt er historische Phänomene nicht als Tatsachen, sondern als sprachliche Handlungen zu verstehen. Somit stellt er die geschichtliche Bedeutung von Diskursphänomenen für gesellschaftliche Zusammenhänge in den Mittelpunkt. Zunächst gilt dem viel rezipierten Begriff des Diskurses wenig Aufmerksamkeit, da die Epistemologie im Vordergrund steht. Sie wird von Foucault als wissenschaftshistorisches Programm in Abgrenzung zur klassischen Wissenschaftshistorie konzipiert, um die Ordnung des Wissens zu reflektieren. Als analytische Untersuchungseinheiten dienen Foucault die Epistemai, die als grundlegende Elemente der Struktur das Wissen einer Epoche ordnen, mit einheitlichen Kategorien ausstatten und damit für die Kohärenz des Wissens verantwortlich sind. Hier erkennen wir deutliche Parallelen zu Ludwik Fleck. Episteme fungieren nach Foucault wie Flecks Präideen als Leitraster. Sie bilden die Grundlage für Erfahrungen mit dem Untersuchungs‚gegenstand‘‚ und sind damit Bedingungen des Denkens 32
Nach Foucault (1966) konzentriert sich die klassische Wissenschaftshistorie auf die Nacherzählung von Entdeckungen, Ergebnissen der Forschungen und die wissenschaftliche Auseinandersetzung und damit auf die bewussten Prozesse des wissenschaftlichen Arbeitens. Jedoch vernachlässigt sie die Bedeutung des Unbewussten der wissenschaftlichen Ordnung; diese Aufgabe übernimmt die Epistemologie.
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und Handelns. Auch wenn sich die Wissensbereiche der Gesellschaft (ebenso wie die der Wissenschaft) immer weiter differenzieren, verwendet Foucault (1966) das Konzept der Episteme. Er verdeutlicht damit, dass alle Gesellschafts- und Wissenschaftsbereiche ein gemeinsames Muster teilen, das jeder individuellen Erfahrung vorausgeht und mit denen jedes Individuum konfrontiert ist. Obwohl die „Ordnung der Dinge“ (Foucault 1966) die Freilegung der Episteme durch die Archäologie anstrebt, verliert der Begriff in der „Archäologie des Wissens“ (1981 [1969]) an Bedeutung und tritt hinter den Begriff des Diskurses zurück. Dieser übernimmt zunehmend die Aufgabe, als ordnendes Prinzip zu fungieren und Foucault stellt die Archäologie des Wissens als methodologisches Projekt vor, die Theorie diskursiver Formationen empirisch nachzuvollziehen. Auch wenn der Begriff „Episteme“ in Foucaults späteren Arbeiten an Bedeutung verliert, sind Diskurse nur mit Blick auf die Episteme zu verstehen. Das betonte „Mehr“ des Diskurses als die bloße Sprachstruktur des Satzes oder die individuelle Sprechtätigkeit verweist als Beherrschung der Gegenstände implizit auf das epistemologische Wissen, das den Diskursen vorausgesetzt ist und innerhalb des Diskurses zur Anwendung kommt. Viel stärker als der Epistembegriff führt der Diskursbegriff zu breiten Diskussionen. Die französischen Differenzphilosophien bedienen sich des Diskursbegriffs, indem sie davon ausgehen, dass das Auftreten von Aussagen nicht ein Prozess der Beschreibung alltäglicher Phänomene durch die grammatikalische Zusammenfügung von Bedeutungen darstellt. Ganz im Gegenteil sind Aussagen Prozesse der Herstellung von Sinn durch die Erscheinung und Wiederholung der Aussagen selbst. Foucault interessiert sich infolgedessen nicht für die face-to-face-Interaktionen und will nicht die individuelle Übertragung von Denkweisen und Sinnzuschreibungen nachvollziehen (wie zum Beispiel der Sozialkonstruktivismus). Er interessiert sich für die überindividuelle und dauerhafte Strukturierung von Aussagen, die Sinn über Zeiträume hinweg übertragen. Diskurse sind damit institutionalisierte Aussagepraktiken mit einer gewissen Struktur, die rekonstruierbar ist. Dabei ist die Aussage nicht einfach ein Satz, sondern vielmehr eine Funktion, die wiederholbar ist und somit regelmäßig wiederkehrende Bedeutungsrelationen ermöglicht. Hierin liegt ein erster Vorteil foucaultscher Diskurstheorie. Da die geregelten Aussagen bedeutsam für die Reproduktion von Aussagesystemen sind und die Herstellung und Sicherung von Wahrheit im Sinne geltenden Wissens erfolgt, bietet eine Analyse der Diskurse Zugang zu den Grundlogiken des Erzählens. Zudem wird angenommen, dass die Erscheinung sowie die Quantität und Qualität der Wiederholung einer Aussage kein zufälliges Ereignis oder auf den Willen eines Subjektes zurückzuführen ist. Aussagewiederholungen sind vielmehr die Folge von Machtpraktiken innerhalb des Diskurses, gewisse Aussagen erscheinen bzw. andere nicht erscheinen zu lassen. Damit ergibt sich ein zweiter Vorteil dieser Perspektive. Sie ermöglicht danach zu fragen: Welche Episteme werden bei den Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum aktiviert? Welche Diskurse ordnen welche Aussagen? Unter welchen Bedingungen wird eine wissenschaftliche Aussage gültig? Unter welchen Bedingungen ist eine Karte oder ein Modell nachvollziehbar visualisiert? Wann und warum
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werden Phänomene wie zum Beispiel der „demographische Wandel“ und die „Binnenmigration“ als Erkenntnisobjekt wissenschaftlich interessant? Wann und wozu erfolgt ein Perspektivwechsel auf Frauen, vor allem auf junge gut ausgebildete Frauen? Archäologie heißt in diesem Zusammenhang, das Archiv des Wissens zu rekonstruieren und danach zu fragen, „Welche Aussage wird als wahr/falsch anerkannt/ abgelehnt?“, „Welche Diskurse überstehen die Epochen? und „Welche Akteurinnen haben Zugang zu welchen Diskursen?“ (Foucault 2005a:869ff). 6.3
Disziplinierung und Regulierung
Vor dem Hintergrund der Frage, wie gesellschaftlicher Wandel möglich ist bzw. wie es zur Ablösung der Episteme durch neue einheitliche Muster der Wissensproduktion kommt, verstärkt sich die Kritik am Strukturalismus. Foucault und andere Strukturalisten kommen immer mehr zu der Erkenntnis, dass Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft nicht stabil oder homogen sind, sondern fragile Gebilde darstellen. Die gesellschaftlichen Veränderungen der Renaissance, Aufklärung, Romantik und Moderne und nicht zuletzt die in den 1960er-Jahren präsenten Studentinnenunruhen lassen an der radikalen Unterwerfung des geschichtlichen Verlaufs unter einer überhistorischen und überindividuellen Struktur zweifeln. Zudem müssen sich auch Strukturalistinnen die Frage nach ihren Positionen stellen. Wenn unter strukturalistischen Maximen alles der Struktur unterworfen ist, von welchen Epistemen aus, außerhalb welcher Diskurse, sprechen Strukturalistinnen über die Strukturen, denen sie selbst unterworfen sein müssten. Diese Fragen begründen „das Bedürfnis (…), die Theorie ein wenig auseinanderzuschrauben, den Diskurs (…), der sich wiederholt, verhärtet, etwas zu verschieben“ (Barthes 1984:94f). Diese Fragen beschreiben den Übergang strukturalistischen Denkens hin zu einer philosophischen Perspektive, die im Allgemeinen als Poststrukturalismus bezeichnet wird. Diese neuen Ansätze verbindet vor allem das Interesse an der Genealogie der Macht sowie die Frage nach dem Subjekt (Münker & Roesler 2000:XIII). Auch Foucault (1974 [1971]) verabschiedet sich von der Vorstellung einer kontinuierlichen Gesellschafts- und Wissenschaftsentwicklung im Sinne fortschreitender Wahrheitsfindung und erweitert die strukturalistische Methode, indem er der Genealogie gegenüber der Archäologie Vorrang gewährt. Die Genealogie verzichtet auf eine Ursprungssuche und zielt seit „Überwachen und Strafen“ sowie „Sexualität und Wahrheit“ auf die Strategien der Stabilisierung von Wissenssystemen. Er interessiert sich für Machtpraktiken und im Zuge dessen für die Frage: Wie werden bestimmte Diskurse zu Wissensobjekten mit Handlungsrelevanz? Diese Durchsetzung von Diskursen, die letztendlich eine Normalisierung nach sich ziehen, versteht Foucault als Macht-Wissens-Komplex, den er Dispositiv nennt. Dispositive sind dabei keine ontologischen Strukturen, sondern analytische Konzepte, um die Verbindung von zwei Machttechnologien rekonstruieren zu können; erstens die Machtausübung auf das Individuum durch die Disziplinierung des Individualkörpers (z. B. in Armee, Schule, Familie, Gefängnis), um diese auf wenige Wahrnehmungsformen einzuengen, und zweitens die Machtausübung auf die Bevölkerung
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durch Regulierung und Kontrolle (z. B. Staatsmacht) (Foucault 1983[1977]:166). Damit ist ein Blick auf die Komplexität von diskursiven Aussagen, Herstellungspraktiken, Handlungen, Gegenständen, Strukturen und diesen Regulierungen und Disziplinierungen übergeordneter Machttechnologien möglich. Nach Foucault zeigt sich „Alles“ in Form kulturellen Wissens und damit auch in den Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum. Auch wenn Foucault Dispositive gegenüber Diskursen nicht als wichtiger bewertet, ermöglichen erst sie, dass ein Diskurs sich durchsetzen kann. So kann im Sinne Foucaults behauptet werden, dass sich Diskurse wie Abwanderung, Migrationsströme, arme versus reiche Menschen, Ausbeutungsregime, Klimawandel usw. erst aufgrund übergeordneter Vorstellungen von Welt wie die Einteilung in Orient– Okzident, Industrienationen–Entwicklungsländer, Ostdeutschland–Westdeutschland usw. durchsetzen können. Damit ist Diskurs keine unabhängige Größe, die autonom die Aussagen steuert, sondern nur unter der Beteiligung von Macht zu bestimmen. Foucaults Machtbegriff ist dabei nicht zu verstehen als etwas, das Personen besitzen, um sich Vorteile zu verschaffen (wie z. B. Repressionshypothese marxistischer Ansätze). Ganz im Gegenteil ist Macht allen sozialen Beziehungen inhärent, unterliegt Aushandlungsprozessen und produziert mögliche und einschränkende Verhaltensweisen, wie zum Beispiel die sexuelle Erziehung mit all ihren Vorgaben für normales und abnormales Verhalten (vgl. Foucault 1983 [1977]). Besonders bedeutsam für diese Arbeit ist Foucaults Feststellung, dass auch die Generierung von Wissen, wie zum Beispiel die wissenschaftlichen Unterscheidungen von Normalität und Abnormalität, Wahrheit und Lüge, eine Folge der Machttechnologien sind. Dies hat weitreichende Konsequenzen für den Wahrheitsanspruch der Wissenschaft. Wahrheit ist für Foucault eng an Wissen gekoppelt, das durch Wahrheitsspiele am Leben gehalten wird. Wissenschaftliche Erkenntnis wird unter einer positivistischen Forschungsperspektive immer positivistisch sein, die daraufhinfolgende Suche nach den Ursachen ist eine forschungslogische Konsequenz. Wenn ein Weltbild zum einen zweigeschlechtlich, zum anderen durch politische Grenzziehungen konstruiert ist, beziehen sich auch wissenschaft liche Untersuchungen auf dieses Weltbild und tragen zur Fortführung respektive Unterstützung dieser Machttechnologien bei. Hier zeigt sich der Gewinn der foucaultschen Dispositivforschung gegenüber der Diskursforschung seiner früheren Arbeiten. Geht es um die wissenschaftliche Analyse von Diskursen aus dem wissenschaftlichen Feld, stellt sich erstens die Frage nach den eigenen Subjektpositionierungen innerhalb des wissenschaftlichen Feldes und zweitens nach den Subjektivierungsformierungen durch das Diskursgeschehen. Der Begriff des Dispositivs kann beides leisten und bietet damit die Möglichkeit Wissenschaft als soziales Konstrukt mit umfassender normativer Konstellation zwischen Akteurinnen, Gegenständen und wissenschaftlichem Umfeld zu erfassen. Mit der Dispositionsanalyse ist es zudem möglich, darauf hinzuweisen, dass Dispositive entsprechend historischer Bedürfnisse spezifische Diskurs- und Machttechniken hervorbringen, deren Folge Objektivationen sowie bestimmte Subjektivitätsformen und -typen sind. So ist zum Beispiel die Wissensproduktion über die Welt seit Beginn der Entdeckungsfahrten im 15. Jahrhundert ebenso eng gekoppelt an die Bedürfnisse des aufsteigenden Europas nach Gold und Kolonien wie das an Schulen und Universitä-
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ten unterrichtete und erforschte Wissen eine Folge eurozentristischer/ethnozentristischer Weltansichten darstellt. Beide Beispiele stellen Macht-Wissen-Komplexe dar, die spezifische Subjekte (z. B. Europäer–Nicht-Europäer), Objekte und Tatsachen (Zivilisation–Nicht-Zivilisation) diskursiv und nicht-diskursiv hervorbringen. Damit stellen sich für diese Arbeit die Fragen: Welche Macht-Wissens-Komplexe bedingen die Wissensproduktion rund um die deutsche Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung? Welche Anstrengungen werden unternommen, um ‚andere‘ Diskurse als nicht-wahr auszugrenzen? Welche Episteme ordnen welche Dispositive? Foucault hält Dispositive für eine zentrale strategische Funktion, die „es gestattet, unter all den möglichen Aussagen diejenigen auszusieben, die nicht einer wissenschaftlichen Theorie, sondern eines Feldes von Wissenschaftlichkeit annehmbar sein können, und von denen man wird sagen können: Dieses hier ist wahr oder falsch“ (Foucault 2005b:395). Dispositive können somit auch als eine Art Problemlösungsinstrumente verstanden werden, die Störungen, Irrtümer und Unregelmäßigkeiten dem Diskurs unterwerfen und somit zu dessen Stabilität beitragen. Bilden auch die narrativen Geographien von Geschlecht und Raum zentrale Elemente von Kontinuität im Kontext von Umbruchsphasen, wie Deutschland sie mit dem Fall der Mauer im Jahre 1989 erlebt?
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Narrative der Wissenschaft
Die interpretative Flexibilität und Unterdeterminiertheit des statistischen Materials hebt schnell die Konstruiertheit sozialräumlicher Phänomene hervor. Die (geographische) Wissenschaftsforschung ermöglicht nun einen Zugang zur wissenschaftlichen Tätigkeit als gerichtetes Wahrnehmen und die foucaultsche Diskurs- und Dispositivtheorie die Einbettung dieser Tätigkeiten in gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Für einen hinreichenden analytischen Zugang benötigt es jedoch zudem ein konkretes Verständnis der wissenschaftlichen Tätigkeit; das heißt einen Zugang zu dem „Wie“ der wissenschaftlichen Konstruktion. Aus diesem Grund wird es im folgenden Kapitel zu einer Auseinandersetzung über den ontologischen Status sozialräumlicher Phänomene kommen, die als Erzählung hervortreten. Das ermöglicht in Ergänzung zur Diskurs- und Dispositivtheorie die Überwindung des Dualismus von Realismus und Konstruktivismus und zeigt damit die volle Wirkmächtigkeit erzählter Geographien von Geschlecht und Raum. Damit begibt sich die Arbeit aber auch in ein Spannungsverhältnis, das weder die Feministische Forschung noch die neuen Ansätze in den Kulturwissenschaften im Zuge des Cultural Turns lösen können. Denn diese Arbeit beschäftigt sich am Beispiel der wissenschaftlichen Kategorien von Geschlecht und Raum mit der wissenschaftlichen Konstruktion von Wissen. Geschlecht und Raum bilden damit nicht allein Orientierungs- und Bezugspunkte der Bevölkerungs- und Migrationsforschung, sondern auch für die kritische Auseinandersetzung damit. Im Zuge dessen kommt es zur steten Wiederholung der wissenschaftlichen Kategorien, weshalb dieses Kapitel nicht nur die wissenschaftlichen Geographien als Erzählung darstellen, sondern auch die Verwendung der Kategorien Geschlecht und Raum als eigene Erzählung reflektieren muss. Daneben bedarf es aber ebenso einer Einbindung der Wissenschaftlerinnen, die Kategorien verwenden, Darstellungen etablieren und Schlussfolgerungen ziehen; in ihnen ist die Erzählung letztendlich zu verorten. Schon Foucault weiß, dass der Zugang zur Diskurs- und Dispositiv(re)produktion und -verbreitung nicht für alle Personen gleich ist; auf diesen Aspekt weist jedoch erst Pierre Bourdieu (1981, 1993) konsequent hin. Den Ansätzen der Differenzphilosophie wird vielfach eine Unterbewertung der Textproduzentinnen vorgeworfen, da sie die Existenz des Subjekts auf Agentinnen des Diskurses und damit auf die Aussagen(re)produktion innerhalb eines überindividuellen Diskurses reduzieren. Diese Kritik führt zu Erweiterungen differenzphilosophischer Ansätze mit ethnomethodologischen und praxistheoreti-
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Narrative der Wissenschaft
schen Forschungsperspektiven. Diese postulieren eine Verschiebung auf die sozialen Praktiken der Kulturproduktion und verstehen die Organisation der Wirklichkeit als Handlungsvollzug. Oftmals mit Bezug auf Ludwig Wittgensteins (1965) Sprachspiele entstehen eine Vielzahl von Forschungsprogrammen, die sich unter dem Label der Sprachpragmatik gegen rationale, eindimensionale und einheitlich regelorientierte Zugänge wenden. Diese Arbeit bemüht sich um den Einbezug akteursbezogener Ansätze durch den methodologischen Subjektivismus sowie der Praxistheorie von Pierre Bourdieu (1976). Damit werden Wissenschaftlerinnen innerhalb eines Wissenssystems als subjektivierte Individuen mit Handlungskompetenz verstanden. Denn Messen, Zählen, Vergleichen, Unterscheiden, Auswählen, Verallgemeinern, Zusammenfassen, Visualisieren, Publizieren usw. bilden das gesamte Spektrum von Wissenschaftstechniken ab; und diese werden von Wissenschaftlerinnen angewendet. Obwohl differenzphilosophisch inspirierten Arbeiten immer wieder die Unvereinbarkeit mit praxisorientierten Ansätzen unterstellt wird, zeigen die letzten beiden Abschnitte dieses Kapitels, dass eine Befruchtung beider Gesellschaftstheorien nicht nur vonnöten, sondern auch möglich ist. Denn beide theoretischen Ansätze sind sich in wesentlichen Punkten einig. Sowohl differenzphilosophische als auch praxisorientierte Gesellschaftstheorien verbindet die Grundidee einer stets sozial, sinnhaft sowie regelhaft konstruierten Wirklichkeit. Damit lehnen beide Ansätze bloße Abbildtheorien ab und zielen auf die Rekonstruktion sinnstruktureller Muster als Spuren überindividueller Regelstrukturen. Praxistheoretische Ansätze vollziehen jedoch eine Verortung des Wissens und der Tätigkeiten in den Schreiberinnen-, Vergleicherinnen-, Messerinnen-, Zählerinnen-, Auswählerinnen-, Visualisiererinnen-, Unterscheiderinnen-, Verallgemeinerinnen-, Zusammenfasserinnenpositionen. Damit wird deutlich, dass Sprache ohne Menschen als Medium des Erzählens nicht gedacht werden kann. Das heißt, dass Zeichen und Bedeutungen keinen direkten Zusammenhang besitzen, sondern erst durch die Zeichenbenutzerinnen die Bedeutung eines Zeichens entsteht. Mit dieser Perspektive erweitert Bourdieu die Diskurstheorie um die Perspektive handelnder Akteurinnen. Im Zuge dessen ist es von Bedeutung, das Verhältnis von wissenschaftlichen Akteurinnen zum Diskursfeld zu beleuchten, um einerseits die Macht des Diskurses und andererseits dessen Aus- und Durchführung zu verstehen. Hier zeigt sich ein bedeutender Vorteil der Erzähltheorie. Diese bildet das Scharnier zwischen Diskurstheorie und Praxistheorie, denn sie schließt nicht aus, dass die Bedeutungszuweisungen durch Erzählerinnen mit Rückgriff auf privilegierte Bedeutungen innerhalb eines gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Kontextes erfolgen. Erzählen ist nur durch Bezüge zu schon etablierten Erzählungen möglich, die wiederum die Kohärenz unterstützen und wesentlich zur Nachvollziehbarkeit durch Kausalität beitragen. Das heißt, dass die sozialräumlichen Bezüge, auf die sich Wissenschaftlerinnen innerhalb ihrer Forschungsarbeit beziehen, nichts anderes sind als die Folge sozialräumlicher Einteilungen und (Zu)ordnungen, also Regionalisierungen früherer Handlungen resp. Erzählungen von Wissenschaftlerinnen. Somit sind Handlungen von Wissenschaftlerinnen zwar nicht autonom, aber auch nicht nur als Resultat übergeordneter diskursiver und dispositiver
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Strukturen zu verstehen. Vielmehr spiegeln diese Handlungen Bedürfnisse, Motive und Strategien wider, die durch die Wissenschaftlerinnen aktiv durch Bedeutungsaufladung erzählt werden. 7.1
Geographien als Erzählung
Realistische Positionen betonen die Existenz objektiver Dinge, die zum einen unabhängig von den Beobachterinnen existieren und zum anderen Regelmäßigkeiten und stabile Beziehungen aufweisen. Ein Instrument, um diese Regelmäßigkeiten und Beziehungen aufzuzeigen, bilde im Kontext realistischer Paradigmen zum Beispiel die Statistik. Ihr Ziel sei es, durch die Anwendung spezifischer Verfahren und Messmethoden die Darstellung (und letztendlich auch die Visualisierung) der Realität zu gewährleisten. Darauf aufbauend wäre im Rahmen politischer und administrativer Aktionen die Statistik ein Instrument, das Zusammenhalt herstellen könne. Denn der Staat brauche objektive Dinge, die vor allem Vergleichbarkeit ermöglichen, um Handlungsempfehlungen aussprechen zu können. In diesem Sinne werden die Folgen der Transformationsprozesse nach 1989 durch die Homogenisierung auf räumlicher Basis verarbeitet, auch wenn diese zur Stigmatisierung der Region führe. Die objektiven Dinge wie Arbeitslosigkeit, Rechtsradikalität, Abwanderung und/oder Fertilität wären Handlungskategorien und eine Zementierung dieser müsse in Kauf genommen werden, auch wenn räumliche Identitätszuschreibungen ein- und ausschließenden Charakter besitzen.33 Im Gegensatz dazu ist es aber auch möglich, die sozialen Praktiken zu rekonstruieren, die zur Konstruktion einer statistischen und visuellen Objektivität führen. Das heißt, dass es historische und soziale Prozesse der Konstruktion von Permanentem gibt. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, in diesem Sinne die Prozesse der Konstruktion zu rekonstruieren und zu beschreiben, wie soziale Tatbestände zu objektiven Dingen und darüber hinaus verhandelt werden. Im Zuge konstruktivistischer Paradigmen bedeutet dies, dass Gegensätze entlang politischer (territorialer) Einheiten fokussiert (wissenschaftlich) konstruiert werden. Was eignet sich besser als eine Grenze, die vor 1989 infolge politischer Handlungen wirklich, also real in Form materieller Strukturen existent ist und nun ganz selbstverständlich entlang soziokultureller Unterschiede als mentale Grenze weiterexistiert? Diese Position unterstellt jedoch, dass die Darstellung des konstruktiven Charakters scheinbar objektiver Tatsachen zumindest zu einer Verringerung der Bedeutung dieser Tatsachen für alltägliches und wissenschaftliches Handeln führen sollte. Jedoch wird seit nunmehr 20 Jahren auf diese objektivierten Dinge zurückgegriffen und es wird sich an ihnen in alltäglichen und wissenschaftlichen Handlungsvollzügen orientiert. Damit wird deutlich, dass auch Konstrukte Handlungs33
Derart macht Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt deutlich, in welcher makabren Form am Bild der Ostdeutschen gearbeitet wird, indem er betont, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Baby, umgebracht zu werden, in den neuen Ländern drei- bis viermal so hoch sei, wie im Westen (Spiegel Online 24.02.2008) und damit eine Diskussion über Kindstötungen als Ausdruck ostdeutscher Mentalität lostritt.
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relevanz besitzen. Das Denken über jemanden, der von ‚dort‘ kommt und/oder Etwas, was nicht so ist wie ‚hier‘, hat Gewicht innerhalb von Entscheidungsprozessen, die wiederum das alltägliche und wissenschaftliche Geographie-Machen wirklich werden lassen. Von nur konstruierten Ost-West-Unterschieden zu sprechen, greift zu kurz und unterschätzt die Folgen sozialräumlicher Sprachhandlungen, auf die sich die Unterschiede beziehen (Schlottmann 2005b). Die Geographien der Wissenschaft stellen objektivierte Gegensätze dar, die durch ihren Bezug aufeinander Äquivalenzen und Performanzen aufweisen. Das heißt, dass die Konstruktionen, welche die Objekte definieren, zur Herstellung von real empfundenen Wirklichkeiten führen (vgl. Giddens 1997:48), denen ein bloßer Konstruktivismus nicht gerecht wird. Vielmehr braucht es einen Zugang zu den Geographien der Wissenschaft, der sowohl das Zusammenspiel von Objektiviertem, Vermittlerinnen als auch Empfängerinnen des Objektivierten in Beziehung setzt. Die Narratologie als die Wissenschaft vom Erzählen ermöglicht dies, indem sie erstens das Erzählte nicht als Repräsentation einer außersprachlichen Welt, sondern als narrative Rede über die Welt versteht. Zweitens die Erzählerinnen nicht als bloße Informationsvermittlerinnen, sondern als Rezipientinnen mit Voraussetzungssystem versteht. Und drittens die Leserinnen als dritte Instanz des Erzählens ebenso mit deren Weltwissen wahrnimmt – also das Zuhören, Lesen und/oder Zuschauen als Prozess der Interaktion versteht (Helbig 2001:12ff). Damit entfernen sich die neuen Ansätze der Narratologie im Zuge differenzphilosophischer Paradigmen (vgl. Lamping 2009, Zymner 2010) von den klassischen Gattungsbegriffen, die sich auf die Dreiteilung der literarischen Gattungen durch Goethe beziehen (Lyrik, Dramatik, Epik). Das heißt, dass (wissenschaftliches) Erzählen Ereignisse nicht widerspiegelt, sondern hinsichtlich des diskursiven Kontextes erst entstehen lässt – und dies erfüllt vielseitige Funktionen wie Temporalisierung, Kontextualisierung und unter Umständen auch Dramatisierung der menschlichen Welt, narrative Konstitution von Bedeutung, Kontingenzherstellung, Motivation und persönliche Ziele, Identitätsbildung und Identitätspräsentation, Verkörperung von Deutungsangeboten, soziale Integration, räumliche Verortung, kommunikative sowie sozialinteraktive Funktionen (Straub 2010) – insgesamt also die narrative Herstellung von Geographien durch die Wissenschaft. Damit ist Narrativität nicht bloß die Summe sprachlicher Zeichen, sondern ein „Set an sprachlichen, strukturellen und kontextreferentiellen Ordnungsprinzipien (Strategien), die einem Text zugrunde gelegt werden, um für die ihm inhärente Vergangenheitsdeutung Glaubwürdigkeit [bei Leserinnen] im jeweiligen Diskurs herzustellen“ (Berger & Luckmann 2004 [1969]:124). Nicht nur der Sozialkonstruktivismus, sondern auch die französische Sprachphilosophie weist darauf hin, dass die Wirklichkeit nicht nur sprachlich konstruiert wird, sondern, dass die Welt anhand von Erzählstrukturen und Metaphern narrativ gestaltet und das Erleben im Zuge dessen rückblickend als Ereigniskette beschrieben wird. Diese Ereigniskette ist das Resultat einer narrativen Chronologie von Ereignissequenzen, die rückwirkend entlang eines Ursache-Wirkung-Prinzips erzählt werden (Fludernik 2008:15). Mit Bezug zur Erzähltheorie bedeutet dies, dass die Geographien der Wissenschaft durch Erzählung hervorgebracht werden. Weil sich auf diese Erzählungen von Wissenschaftlerinnen gestützt und dabei Einfluss auf die Interpretationen und
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Handlungen von Akteurinnen genommen wird – die Konstrukte also weiter zirkulieren – können diese Objekte als konstruiert und gleichzeitig wirklich verstanden werden. Damit Texte und Bilder erfolgreich zirkulieren können, müssen sie Kohärenz aufweisen. Üblicherweise unterscheidet die Textlinguistik fünf grundlegende Handlungstypen, die das Ziel haben, Textkohärenz herzustellen und dies soll hier für die sprachlichen und visuellen Praktiken der Wissenschaft fruchtbar gemacht werden: Deskription (Abbilden und Darstellen des Themas in Raum und Zeit), Explikation (Verständnis), Narration (Herstellung von Chronologie), Argumentation (Überzeugen) und Instruktion (Anleiten) (Brinker 2005). Diese Unterscheidung von Routinen der Themenentfaltung erscheint für diese Arbeit jedoch zu starr und es soll hier ein leicht verändertes Modell zur Anwendung kommen. Denn für das Erzählen, also das Herstellen von Identität, Kontingenz, Temporalisierung usw., benötigen die Erzählerinnen (Wissenschaftlerinnen) zunächst Elemente der Beschreibung von Welt wie zum Beispiel Nominalisierung, Verweisung, Bezugsstellen und/oder Spezifizierungen. Damit präsentieren sie eine Welt, die infolge dessen mithilfe der kommentierenden Funktion der Erzählerinnen den ontologischen Status von Beschreibungen erhält. Erklärungen entstehen im Kommentar durch den Bezug auf ein spezifisches Referenzsystem, das die beschriebenen Zusammenhänge auf eine logische Ursache zurückführt. Dies erklärt, „warum Ereignisse eintreten, führt diese auf [gesellschaftliche oder natürliche] Umstände zurück, deutet die Motivation der Charaktere“ an usw. (Fludernik 2008:37). Die Beschreibung und Erklärung bewirkt aber erst im Zuge einer nachvollziehbaren Argumentation Glaubwürdigkeit. Dabei argumentieren wissenschaftliche Texte und Bilder wiederum für eine spezifische Weltsicht, die Hinweise auf das Normensystem der Erzählerinnen gibt. Für die Stützung des Normensystems dienen Exemplifikationen, die einerseits aus der Beschreibung entlehnt sind und andererseits dazu dienen, Prognosen für die Zukunft erstellen zu können. Aufgrund dessen wird hier die Position vertreten, dass der Prozess der Wissensproduktion als Erzählung zu verstehen ist und die vier Textroutinen (und Bildroutinen), Beschreiben, Erklären, Argumentieren und Instruieren, nicht voneinander zu trennen sind, sondern nur in gegenseitiger Unterstützung Kohärenz herstellen können und somit der Erzählung unterzuordnen sind. Mit dieser Perspektive verändert sich der Blick auf die Phänomene der Bevölkerungsveränderung und der Migration. Die Bevölkerungs- und Migrationsanalysen präsentieren mit Sprache und Bild eine Welt, die mit Charakteren (Ostdeutschen, Frauen, jungen Frauen), Schauplätzen (schrumpfende Regionen, Ostdeutschland) und Ereignissen (Aussterben, Schrumpfung, Abwanderung) ausgestattet ist. Diese unterliegen sowohl einer zeitlichen (seit 1989, seit der Wende) und räumlichen Determinierung (neue Bundesländer) als auch einer Verdichtung des Raumes (besonders in den ländlichen Regionen) und einer Fokussierung auf Subjekte (junge gut Ausgebildete). Zudem weisen die Ereignisse eine gewisse chronologische Abfolge auf (seit dem Fall der Mauer bis heute, von 1995–1998). Daneben stellen die Bevölkerungs- und Migrationsanalysen ein Bezugsgeflecht vor (Ost–West, Mann–Frau, Arbeitende–Arbeitslose), das Subjekte und Ereignisse miteinander in Beziehung setzt. Diese Bezugssysteme zeigen dabei nicht allein die grundlegenden Referenz-
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systeme des Sozialen, Zeitlichen und Räumlichen, sondern sind ebenso wichtige Voraussetzungen für die Kausalität der gemachten Aussagen – oder wie Fleck es nennen würde: für die Zusammenhangsvermutungen einer Disziplin. Geographien der Wissenschaft als Erzählungen zu verstehen, bietet einen Ausweg aus dem epistemologischen Dualismus von Realismus und Konstruktivismus. Um Handlungen zu organisieren, Aussagen zu treffen und/oder Orientierung zu finden, greifen Wissenschaftlerinnen auf die objektivierten Dinge früherer Erzählungen zurück, reproduzieren sie und binden sie in den wissenschaftlichen Kontext ihrer Handlungen ein. In diesem Sinne können die Erzählten Geographien als allgemeine Bezugssprache wissenschaftlichen Handelns begriffen werden, die spezifische Geographien von Geschlecht und Raum in Gang setzen. Einmal ausgesprochene Ideen über sozialräumliche Belange prägen nicht nur das Denken über Gesellschaft, sondern prägen auch die Gesellschaft selbst. Es ist „schwierig, sich gleichzeitig vorzustellen, dass die gemessenen Objekte tatsächlich existieren und dass es sich dennoch nur um Konventionen handelt“ (Desrosiéres 2000:4), die eine Geschichte besitzen. Aber die Erzählten Geographien sind nicht einfach Beschreibungen der Welt; sie sind die Welt, denn sie haben auf dem Weg von der Erzählung zur Entität Autonomie erlangt, die sie unabhängig von ihren gesellschaftlichen Bedingungen und wissenschaftlichen Erzählungen werden lässt. Dies ist eine vielversprechende Position, denn sie ermöglicht die Reflexion der Bezugs- und Orientierungspunkte wissenschaftlicher Erkenntnisse, ohne alltäglichen und wissenschaftlichen Bezügen eine grundlegende Inhaltslosigkeit zu unterstellen, die sie niemals besaßen oder besitzen werden. Die Akzeptanz des Gegenstandes als Gegenstand, jedoch nicht naiv als objektiven, sondern kritisch als objektivierten Gegenstand, verarbeitet erkenntnistheoretisch die Überwindung des dualistischen Dilemmas zwischen Realismus und Konstruktivismus. 7.2
Erzählte Geographien von Geschlecht
Die Dekonstruktion der Abbildtheorie stellt die Existenz einer wertfreien Wissenschaft ebenso in Frage wie die verwendeten Kategorien. Damit beginnt eine generelle Diskussion über die Bedeutung der Arbeiten der Väter der modernen Wissenschaft über den Dualismus von Objektivität und Subjektivität, Körper und Geist, Natur und Gesellschaft sowie Wissen und Erfahrung. Mit Bezug auf die Sprachwissenschaftler Rorty und Wittgenstein sowie den Differenzphilosophen Derrida, Foucault und Lacan stehen seit den 1990er-Jahren diskursive und nicht-diskursive Praktiken alltäglicher und wissenschaftlicher Subjekt- sowie Objektbildung im Mittelpunkt des Interesses; immer vor dem Hintergrund, dass eine wert- und meinungsfreie Wissenschaft nicht möglich ist. Ganz im Gegenteil wird Wissenschaft wieder zu einem politischen Projekt mit dem Willen zur Gesellschaftsveränderung (Harding 1990:11ff). Postfeminismus löst sich vom Essentialismus vergangener feministischer Positionen, denn die Vorstellungen von einer homogenen Gruppe „Frau“ zerfallen im Zuge von Individualisierung und Pluralismus. Je nach Herkunft und Klasse ergeben sich jeweils spezifischere Erfahrungen, die spezifische Perspek-
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tiven benötigen. Somit wird nicht die Frauenfrage in Wissenschaft und Gesellschaft behandelt, sondern die Frage nach Subjektkonstruktionen und -konstellationen innerhalb eines raum-zeitlichen Kontextes. Mit der Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit von Judith Butler und der Annahme, dass es eine weibliche Normalbiographie nicht gibt, kommt die Geschlechterforschung aber terminologisch und empirisch in Schwierigkeiten. Dass die Sprachphilosophie davon ausgeht, dass Bedeutungen nicht festgeschrieben sind und erst durch Differenzen entstehen, macht den Weg frei für eine Analyse von Geschlecht als soziales Konstrukt. Die Narratologie bietet darüber hinaus einen Zugang zu den konkreten Praktiken der sozialen Konstruktion durch Erzählpraktiken. Das heißt für die Geographie, dass die Beziehungen zwischen Geschlecht und Raum entnaturalisiert werden können und deutlich wird, dass sie ihre Wirkmächtigkeit erst in den Vorstellungen über geschlechtsspezifische Tätigkeiten und deren räumliche Verortung entfalten, nicht aber durch ihre voraussetzungslose sozialräumliche Realität. Damit muss aber auch die Frage gestellt werden, wie gendersensibel geforscht werden kann, ohne Genderkategorien zu reifizieren? Nina Degele und Dominique Schirmer (2004:107) fordern daher, dass die Forschenden „nach der Erhebung und Ordnung von Daten auf Geschlecht blicken und nicht davor“, ansonsten wird in die Untersuchung hineingetragen, was eigentlich Analysegegenstand ist. Aber auch Degele und Schirmer selbst scheinen in ihrer Forderung aus den Augen zu verlieren, dass die Orientierung des gendersensiblen Blicks nach der Datenerhebung letztendlich auch nichts anderes ist als ein dualer Blick auf Geschlecht, der infolgedessen Praktiken dualistisch geschlechtsspezifisch kategorisiert. In diesem Sinne untersuchen sie, wie sich Menschen in ihrem Alltag in den Geschlechterverhältnissen einrichten und müssen notwendigerweise ein geschlechterspezifisch unterschiedliches Einrichten analysieren/finden. Um der Kritik an der Zweigeschlechtlichkeit zumindest hinreichend gerecht zu werden, bedarf es der Frage, „Wie wird im Zuge von Erzählpraktiken die Kategorie Geschlecht an sich hergestellt und mit Bedeutung gefüllt?“. Geschlecht ist also kein Forschungsgegenstand, sondern kann, wenn überhaupt, nur ein Resultat der Analyse sein. In diesem Sinne ist der Ausruf „Hurra, es ist ein Junge!“ zu verstehen, den Nuklearforscher in den 1940er-Jahren jubeln, wenn eine atomare Zündung gelingt; eine Fehlzündung wird als Mädchen bezeichnet. Dies ist ein Beispiel unter vielen, mit denen Evelyn Fox Keller (1998 [1986]) nachweist, dass Wissenschaft nicht nur oberflächlich eine Geschlechterkategorie besitzt, wie der Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft zeigt. Wissenschaft ist in ihren Ansätzen, Theorien und Schlüssen grundlegend ‚gegendered‘ und produziert gesellschaftliche Geschlechterhierarchien. So steht nicht mehr die Kritik an der Unterbewertung weiblicher Lebenserfahrung im Mittelpunkt, sondern wie Weiblichkeit und Männlichkeit durch die Vielseitigkeit alltäglicher und wissenschaftlicher Sprech- respektive Erzählpraxis hergestellt wird. Für eine Analyse der Erzählten Geographien von Geschlecht bedeutet dies, dass sich die Dimensionalisierung der Forschungsarbeit darauf konzentriert, wann Vorstellungen bzw. Bedeutungen von Geschlecht im Zuge der wissenschaftlichen Wissensproduktion auftauchen, welchen Mustern diese Bedeutungsaufladungen folgen und mithilfe welcher Versprachlichungen sie in welcher Weise inszeniert werden.
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Damit wird Geschlecht als Resultat wissenschaftlicher Praxis deutlich und es wird möglich, die Art und Weise der Geschlechterkonstruktion zu rekonstruieren. Das lässt wiederum einen Blick auf die Genderlogiken der Erzählten Geographien zu und bildet einen Zugang zum Denkstil der deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung. 7.3
Erzählte Geographien von Raum34
Mit der Transformation osteuropäischer Länder, der Globalisierung sowie der weltweiten Verbreitung von Informationen über virtuelle Räume verstärkt sich das wissenschaftliche Interesse an Raumphänomenen, um die Einseitigkeit und Vorherrschaft der Zeit innerhalb der modernen Kulturwissenschaft zu überwinden35. Die Cultural Studies wollen diesem Interesse am Raum durch den Spatial Turn gerecht werden, indem dieser die räumliche Dimension alltäglicher Kulturproduktion in den Mittelpunkt der Analyse rückt. Obwohl sich die Cultural Studies im Zuge der unterschiedlichen Turns einen breiten Zugang zur alltäglichen Konstruktion von Wirklichkeit schaffen, beziehen sich ihre Analysen des Räumlichen noch immer auf ein realistisches Paradigma. Jedoch kann die Bedeutung von Raum ebenso variieren wie Kulturen und ihre Praktiken variieren können. Und so sind nicht nur die alltäglichen, sondern auch die wissenschaftlichen Deskriptionen von Raum selbst nichts anderes als Konstruktionen. Jedoch scheint es der epistemologischen Feststellung, dass Kultur und Raum Folgen sozialer Erzählpraktiken darstellen, oftmals an der methodologischen Konsequenz zu fehlen. Die Kritik am neuen Paradigma des Spatial Turns ist nicht unbegründet, trägt dieser ebenso wie ein bloßer Kulturalismus und Historismus die Gefahr von Naturalisierung, essentialistischer Materialisierung sowie evolutionistischer Entwicklung in sich und dies ist nach Marc Redepenning (2008:362) wissenschaftsstrategischen und Außenwirksamkeitsgründen geschuldet; möchte die Geographie schon längst mit ihren Leistungen im Hinblick auf das Gesellschafts-Raum-Verhältnis anerkannt werden. Nur unter den Vorzeichen einer sozial konstruierten Räumlichkeit und nicht im Sinne einer Analyse des Raumes wird es die neue wissenschaftliche Orientierung am Räumlichen schaffen, aktuelle Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ernst zu nehmen, ohne in eine neue Reifikation von Kultur im Raum zu verfallen. Eine postpositivistische Wissenschaftsforschung innerhalb der Geographie hat somit die Aufgabe, auf Repräsentationen des Raumes zu verzichten, um die narrativen Konstruktionen des Räumlichen untersuchen zu können. Es geht also nicht um die 34
35
Es sei hier auf Sylka Scholz (2004) hingewiesen, die in ihrer Dissertation die Bedeutung des narrativen Interviews als eine soziale Praxis für die Konstruktion von Identität und Geschlecht analysiert sowie auf Katrin Dennerlein (2009:15ff), die im Rahmen ihrer Dissertation einen Überblick über die literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Raum innerhalb der Erzählforschung gibt. Roland Lippuner und Julia Lossau (2008:342) verweisen auf die Unzulänglichkeit dieser Aussage und betonen, dass die Beschäftigung mit zeitlichen Phänomenen immer auch eine Beschäftigung mit räumlichen Phänomenen nach sich zieht, da moderne Gesellschaften immer als territoriale Einheiten begriffen werden.
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Untersuchung von Differenzen (ostdeutsch – westdeutsch), sondern um die Analyse der narrativen Konstruktion von Differenzen und ihrer Repräsentation. Das heißt, es ist vielversprechend auf repräsentationales Denken zu verzichten, gerade weil Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands auch Tendenzen aufweisen, die nicht erzählt, somit nicht sichtbar und somit nicht wirklich werden. Eben nicht spezifisch „ostdeutsch“ ist die höhere Rate gut ausgebildeter Frauen in der Migration, sondern deutschlandweit (und weltweit) besitzen „Frauen“ eine größere Notwendigkeit zur Wanderung als „Männer“. Deutschlandweit (und weltweit) sind es vor allem junge Menschen, die sich zu einer Wanderung entscheiden, und deutschlandweit (und weltweit) sind Regionen mit einem negativen Wanderungssaldo konfrontiert, der besonders in ländlichen Regionen einen Bevölkerungsverlust nach sich zieht. Wissenschaftliche Erkenntnis erfolgt nicht durch die Überprüfung der geographischen Begriffe am Gegenstand, sondern durch eine sprachliche und visuelle Untersuchung der Konstitution des Gegenstandes. Wanderungsbewegungen stellen ebenso wie Geschlecht keinen Forschungsgegenstand, sondern, wenn überhaupt, ein Forschungsergebnis dar. Festzuhalten bleibt, dass soziale Prozesse, verortet über räumliche Kategorien, je nach Bedarf und Sichtweise kombinierbar sind und damit räumliche Geographien produzieren, die sich durch den steten statistischen Bezug eben auf diese Raumkategorien immer wieder aufs Neue zu bestätigen scheinen. Beispiel Ostdeutschland: es ist mehr als prekär, wenn durch die Einheit von ostdeutscher Kultur und ostdeutschem Raum ein homogenes Gebilde Ostdeutschland entsteht, was nicht allein durch eine spezifische lokale Alltagskultur (ostdeutsches Arbeiten, Leben, Lieben usw.) und Personengruppe (Ossi) definiert wird, sondern jegliche Handlungen, wie zum Beispiel Wanderungsbewegungen, tautologisch immer wieder auf die schon konstruierte Einheit und damit lokale Erklärungsgründe zurückgeführt werden. Ist das aktuelle Denken über Ostdeutschland nicht auch ein Ergebnis bundesdeutscher Konstruktionen von vor 1989? Sind „ostdeutsche“ und „westdeutsche“ Identitätskonstruktionen nicht auch ein Ergebnis einer globalen politisch-ideologischen Gegenüberstellung in Ost und West statt lokaler Ideen? Sind deutsch-deutsche Wanderungsbewegungen junger Frauen nicht vielmehr die Folge bzw. eine Strategie zur Überwindung der spürbaren Lücke zwischen dem, was Personen mittlerweile wollen und dem, was realistisch umsetzbar ist, statt bloß ein lokales Symptom des Transformationsprozesses nach 1989 zu sein? Ein regionaler Blick kann diese Fragen nicht beantworten, da er Gefahr läuft, mehr Raum- als Sozialwissenschaft zu sein, wenn kulturelle Differenz wiederum deskriptiv Hauptinteresse der Forschungen ist. Ein alternativer Weg wäre, das Verständnis von Kulturellem als Sozialem voranzutreiben und die Sozialgeographie wieder zu stärken, um erstens das Räumliche am Kulturellen als sozial erkennen zu können, und um zweitens die soziale Praxis in den Vordergrund zu rücken, die zunächst nicht alltäglich, sondern erst einmal wissenschaftlich zu verorten ist und somit Bourdieus Forderung nach einer soziologischen Reflexivität von Wissenschaft(lerinnen) (Bourdieu 1998) einlöst. Benno Werlen vollzieht unter Einbezug sozialwissenschaftlicher Paradigmen mit seinem Konzept der alltäglichen Regionalisierung konsequent die Wende von einer repräsentativen Geographie hin zu einer Sozialgeographie, die Räume und Kulturen als Folge von Alltagshandeln versteht. Damit erfolgen die Ablehnung geo-
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deterministischer Annahmen sowie die Abgrenzung zur Raumbeobachtung sowie Rauminterpretation. Da Sozial-Kulturelles nicht mehr mit zeitlichen und räumlichen Komponenten verknüpft ist, ist auch das Sozial-Kulturelle nicht räumlich darstellbar. Denn obwohl Raum auf Erfahrungen beruht, sind es nicht Erfahrungen mit einem Gegenstand, sondern „Erfahrungen der eigenen Körperlichkeit“ im „Verhältnis zu den übrigen ausgedehnten Gegebenheiten (inklusive der Körperlichkeit der anderen Subjekte) und deren Bedeutung für die eigenen Handlungsmöglichkeiten und -unmöglichkeiten“ (Werlen 2000:21). Im Zuge dessen ist eine Analyse materieller und damit naturräumlich sichtbarer Phänomene für die Gesellschaftsanalyse keineswegs umfassend. Ganz im Gegenteil produzieren die gesellschaftlichen Prozesse sozialräumliche Regionalisierungen, die den sich zu befreienden Individuen im Zuge von Individualisierung und Pluralisierung neue Grenzen setzen. Mit dem Verständnis ist eine Forderung an eine handlungszentrierte Sozialgeographie verknüpft, die den neuen gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung trägt. Sozialgeographie wird nicht als Raumwissenschaft, sondern als handlungsorientierte Wissenschaft verstanden, die sich „für die Bedeutung der räumlichen Aspekte von Handlungskontexten für das Gesellschaftliche interessiert“ (Werlen 1997a:62). Benno Werlens handlungsorientierte Sozialgeographie ermöglicht einen Zugang zu Raum als Resultat alltäglicher Regionalisierung und eröffnet damit der Sozialgeographie ein Forschungsfeld, das die Konstruktionsprozesse alltäglichen Geographie-Machens im Zuge von Handeln in Form von Sprechen und/oder Schreiben in den Blick nimmt. Daran anschließende Arbeiten leisten auf diesem Gebiet viel (vgl. Arber 2007, Schlottmann et al. 2007, Odermatt & van Wezemael 2007). Warum trotz dieser Kenntnisse alltagsweltlich immer noch auf verkürzte Raumsemantiken zurückgegriffen wird, hat ganz alltagspraktische Gründe. Nach Schlottmann (2005b:127) besitzt die räumliche Einteilung nicht nur einschränkenden, sondern auch ermöglichenden Charakter, denn das „Identifizieren, Orientieren und Organisieren von Welt scheint eine sprachliche Voraussetzung dafür zu sein, sich mit der Welt in Beziehung setzen zu können“. Verortungen und Essentialisierungen gehören somit zum alltäglichen und auch wissenschaftlichen Geographie-Machen und sie sind durch Prinzipien der Verortung wie Indexikalität (hier/dort), Toponymen (geographische Eigennamen) und raumbezogene Metaphern und Metonyme abgesichert (ebd. 2005b:147). Alltäglich und wissenschaftlich braucht es also den Zugriff auf räumliche Ortsangaben, ohne zu bemerken, dass aus relationalen Ortsangaben ein absoluter Raum mit Inhalt entsteht. 7.4
Erzählende: Subjekt als Subjektivierung
Foucault (1978:132ff) zweifelt aufgrund der Erkenntnisse der Psychoanalyse der 1960er-Jahre sowie der Erfahrungen mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges und des russischen Kommunismus an der Existenz des autonomen cartesianischen Subjektkonzepts der Moderne. Danach ist das Subjekt vor jeder Erfahrung existent und einmalig und entwickelt sich zudem stetig weiter – im Sinne von höher. Er spricht von „einer Strategie ohne dahinter stehenden Strategen“ und meint damit nicht,
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dass Akteurinnen innerhalb der Wahrheits- und Machtspiele keine Interessen besitzen und diese verfolgen würden. Jedoch können die individuellen Interessen die Verhältnisse und Relationen der Episteme, Diskurse und Dispositive allein nicht hinreichend erklären. Nach Foucault entstehen Tatsachen, Dinge, Subjekte und Objekte erst innerhalb des Diskurses durch Subjektivierung, Objektivierung, Systematisierung, Verdinglichung, Materialisierungen usw. prozesshaft. „Egal, wer spricht, doch was er[/sie] sagt, sagt er[/sie] nicht von irgendwie aus“. Um diese Vorbedingungen zu untersuchen, ist der Verzicht auf das Subjekt (oder Objekt, Tatsache, Ding) unausweichlich (Foucault 1980:59), da nur so die Prozesse zu erkennen sind, die zum Subjekt beziehungsweise zur Subjektivierung führen36. Eine solche Perspektive lehnt Totalitarismen, wie die Ökonomie in marxistischen Theorien, das Patriarchat in feministischen Theorien, die Moderne in Modernisierungstheorien, ab. Dementgegen wird betont, dass instabile Differenzbeziehungen immer wieder stabilisiert werden müssen, was den Subjektivierten auch theoretisch wieder die Möglichkeit einräumt, ins Geschehen eingreifen zu können. Die Machtanalysen der genealogischen Phase, vor allem die Arbeiten zu den „Technologien des Selbst“, verweisen dann auch auf eine Verschiebung des Blicks von den Funktionsweisen der Diskurse hin zu den Praktiken der Selbst- und Fremdkonstitution. Infolgedessen entwirft Foucault das Subjektivierte zum einen als den Dispositiven und Diskursen unterworfenes Produkt von Subjektivierungsprozessen. Zum anderen ist dieses Subjekt(ivierte) dazu angehalten, durch Selbsterkenntnis die eigene Identität stets mitgestalten zu können respektive zu müssen (Foucault 1993 [1986]:246f). Und so zielen auch die durch Foucault inspirierten Analysen immer auf eine Politisierung und somit auf eine notwendige Subjektivierung des Diskursgeschehens ab und bemühen sich um ein Verhältnis von Subjektivierung und diskursiver Praxis. Dies wird von den Kritikern (vgl. Habermas 1993, zit. in Angermüller 2001:12) oft missachtet und bringt Foucault den Ruf nach Unvereinbarkeit mit akteursbezogenen Ansätzen ein. Interessant ist, dass aber gerade differenzphilosophische Ansätze die Diskussionen zur Subjektanalyse – also der Frage nach der „spezifisch kulturellen Form, welche die Einzelnen in einem bestimmten historischen und sozialen Kontext annehmen, um zu einem vollwertigen, kompetenten, vorbildlichen Wesen zu werden“ (Reckwitz 2008:9) – fruchtbar vorantreiben. Da sie die Episteme, Diskurse und Dispositive in den Blick nehmen, die bestimmte Subjektformen bzw. Subjektordnungen reproduzieren, repräsentieren, problematisieren und befehlen, bieten sie ein breites Erkenntnisspektrum der Subjektivierung durch soziale Praktiken, wie Handlungsweisen, Körperbewegungen oder Kommunikationsformen, an. Sie zeigen, dass von einem ‚Tod des Subjektes‘ keinesfalls die Rede sein kann, sondern von einer Dezentrierung gesprochen werden muss. In diesem Sinne ist das Individuum bei Foucault als Subjektivierung/Subjektivation zu denken; als die diskursiv-kulturelle Regulierung seiner/ihrer selbst (Butler 1991) und anderer. Subjektivierte werden demnach nicht von den Diskursen als je 36
Damit erteilt Foucault indirekt auch den klassischen Methoden der qualitativen Sozialforschung eine Ablehnung, da sich sowohl die Bestimmung sozialer Tatsachen dem unmittelbaren Zugriff handelnder Menschen entzieht, als auch eine Rückführung auf einen letztbegründenden resp. letztbegründeten Sinn.
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spezifische Subjekte angerufen, sondern konstituieren sich als Selbst erst im Zuge diskursiver und nicht-diskursiver Praxis. Das heißt, dass die diskursiv und nicht-diskursiv vermittelten Subjektformierungen und -positionierungen Wissen darüber enthalten, wie jede/r im Verhältnis zum/zur anderen zu konstituieren ist. Damit finden auch die umfassenden Subjektivierungsweisen, also die Frage danach, wie Individuen sich selbst sehen, wie sie gesehen werden wollen und welchen Zwängen sie ausgesetzt sind bzw. wie sie sich dagegen zu positionieren versuchen, Beachtung. Für Wissenschaftlerinnen bedeutet dies, dass sie als Individuen mit Beginn der wissenschaftlichen Laufbahn mit einem gültigen Wissen konfrontiert werden, entlang dessen sie sich ‚normal‘ und ‚nützlich‘ orientieren können. Oder sie können sich gegen die etablierten „Positionierungen und normativen Skripts der Normalität und Eingepasstheit wenden, um so ein widerständiges Selbst-Verständnis und Selbst-Verhältnis zu entwickeln“ (Bührmann & Schneider 2009:71). Wissenschaftssubjekt(iviert)e sind damit durch Subjektivierungsformen innerhalb des Wissenschaftsfeldes spezifisch konstituiert und konstituieren sich gleichfalls selbst mit Bezug zum Feld, was ihnen in keiner Weise Handlungsfähigkeit abspricht. 7.5
Wortführerinnen von Diskursen
Mit Bezug auf Foucault ist das Verhältnis von Wissenschaftlerinnen zur Wissenschaft für diese Arbeit geklärt. Jedoch stellt sich die Frage, ob alle Wissenschaftlerinnen die gleichen Handlungsmittel besitzen. Zudem muss mit Blick auf die methodische Umsetzbarkeit eines Forschungsprozesses darüber nachgedacht werden, wie ein Zugang zu Diskurs und Dispositiv gewährleistet werden kann. Mit der Prämisse, dass nur Subjekt(iviert)e handeln können, ohne Kollektive oder gesellschaftliche Ganzheiten wie Institutionen zu verleugnen, ermöglicht der methodologische Subjektivismus37 den Blick auf das Handeln von Gruppen durch die Untersuchung der Handlungen einzelner Gruppenmitglieder. Handlungen sind dabei jedoch nicht allein die Summe einzelner Handlungsintentionen, sondern als ‚mehr‘ zu betrachten. Denn Handlungen stellen erstens Resultate früherer Handlungen dar, zweitens können sie unbeabsichtigte Folgen hervorrufen und drittens sind Handlungsziele Ausdruck eines sozialen Kontextes. Das den Akteurinnen zum Zeitpunkt der Handlung zur Verfügung stehende diskursive Wissen über die Gesellschaft und Wissenschaft sowie über sich selbst, bildet die Grundlage der Interpretation der Handlungssituation und der Formulierung der Handlungsziele. Der methodologische Subjektivismus schließt zudem nicht aus, dass einige Akteurinnen mächtigere Handlungsmittel besitzen als andere. Damit wird der Kritik an den Differenzphilosophien Rechnung getragen, alle Personen hätten die gleichen 37
Der revidierte methodologische Individualismus unterscheidet sich vom traditionellen methodologischen Individualismus durch die Akzeptanz von Kollektiven und Institutionen, auch wenn nur Individuen handeln können. Benno Werlen (1999) schlägt für eine Unterscheidung die Bezeichnung methodologischer Subjektivismus vor. Diese Bezeichnung soll hier übernommen werden, da der Begriff Subjekt zudem viel stärker als der Begriff Individuum den sozialen Kontext assoziieren lässt.
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Möglichkeiten sich an der Diskurs(re)produktion und den damit in Gang gesetzten Machtpolitiken zu beteiligen (vgl. Bourdieu 1975, Pecheux 1982 [1975], 1995). Mit diesen Prämissen sind alle Menschen Akteurinnen, die unter bestimmten – nicht gleichen – Umständen handeln. Diese Erkenntnis löst Bourdieu (1993:115, zit. in Diaz-Bone 2002:54f) mit dem Konzept des Habitus38 ein, das Sprechen in bestimmten Situationen ermöglicht. In solchen Situationen erzielen Sprecherinnen aufgrund ihres sprachlichen Kapitals39 sprachliche Profite, die zudem durch die Sprecherinnenpositionen bestimmt werden. Denn neben der Sprachkompetenz sowie dem Wissen um die sprachliche Performanz betont Bourdieu mit dem Konzept des Feldes, dass Personen Sprecherinnenpositionen einnehmen, die vom Feld autorisiert sind. Als anerkannte und legitime Sprecherinnen eines Feldes (Institution usw.) besitzen sie die Benennungsmacht, die wesentlich die Diskursproduktion bestimmt. So betont Bourdieu (1981:130ff) am Beispiel der Wissenschaft, dass ein Feld durch diejenigen kontrolliert wird, die eine Position innerhalb des Feldes einnehmen. Diese haben ein Interesse daran, die Standards des Feldes zu halten oder zu erhöhen und entscheiden entlang von Kriterien, denen sie selbst genügen müssen. Um eine reelle Chance zu haben, müssen sich die Bewerberinnen den Regeln des Feldes unterwerfen und einen Habitus entwickeln, der den Erwartungen des Feldes entspricht40. Bourdieu interessiert sich hier nicht für die Planungen, Motivationen, Intentionen und/oder das Wissen von Akteurinnen, sondern für das „kollektive Tun, die körperlichen Aktivitäten und Könnensformen, die Spiele und Kämpfe der Ehre, die symbolische Architektur des kabyllischen Hauses, die technischen und rituellen Tätigkeiten“ (Schmidt 2011), insgesamt für die Praktiken, die er als „Bündel mentaler und körperlicher Aktivitäten“ versteht (Bourdieu 1976:195). An dieser Stelle liegt der Vorteil von Bourdieus Praxistheorie, denn sie ermöglicht einerseits die Einbettung von Akteurinnen in ein soziales Feld, die Teilnehmerinnen können andererseits aus diesem Feld jedoch auch austreten, sie sind diesem nicht völlig unterworfen und sie besitzen Handlungsmacht. Wenn sich Akteurinnen innerhalb des (wissenschaftlichen) Feldes positionieren wollen, dann benötigen sie ganz bestimmte mentale und körperliche Fähigkeiten, sie müssen die Spielregeln des Feldes kennen, die Sprache des Feldes sprechen, die Lebensweisen leben, die Verhaltensweisen ausüben – insgesamt also mit Blick auf das wissenschaftliche Feld „wissenschaftlich“ auf38 39
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Der Habitus von Akteurinnen ist das „System der organischen oder mentalen Dispositionen und der unbewussten Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata, das die Erzeugung von Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen“ bedingt (Bourdieu 1991[1970]:40). Bourdieus Leistung seiner Kultur- und Praxistheorie basiert auf der Erweiterung des marxschen Kapitalbegriffs. Bourdieu unterscheidet neben dem ökonomischen Kapital (z. B. monetäre Mittel) zudem symbolisches (z. B. Chancen), kulturelles (z. B. Bildung) sowie soziales (z.B. Prestige) Kapital. Als Beispiel nennt Bourdieu (1981:143) die Geschlechterverteilung. Er zeigt, dass die Zahl der Professorinnen wesentlich weniger ansteigt als die Zahl der Assistierenden. Demnach werden aus geschlechtsspezifischer Hinsicht nur angepasste Habitus gewählt, sodass sich die Regeln des Feldes und der vorherrschende Habitus nicht ändern. Denn die „extreme Homogenität des Lehrkörpers [beruht] auf der Harmonie des Habitus, der aus identischen Selektions- und Ausbildungsbedingungen entstanden ist und zugleich objektiv harmonisierte Praxen und Selektionsverfahren hervorbringt“.
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treten. Im Verlauf der Zeit erfolgen Auslesemechanismen und soziale Ungleichheiten, die sich mit Voranschreiten zum Beispiel der akademischen Karriere verstärken. Michael Schwab-Trapp (2001:274ff) erweitert diese Perspektive und geht mit Bezug auf Pierre Bourdieu davon aus, dass diskursive Gemeinschaften sogenannte Wortführerinnen besitzen. Sie werden als Vertreterinnen des Feldes wahrgenommen, können als vermeintlich individuelle Akteurinnen handeln und können auf der Basis des ihnen zur Verfügung stehenden Kapitals Deutungsangeboten mehr Gewicht verleihen als andere. Demnach können diskursive Eliten Themen forcieren und der Diskussion die Richtung weisen, sie tragen zur Institutionalisierung anerkannter Sichtweisen bei, ihre diskursiven Beiträge sind leitend und bieten Bezugspunkte der Rezeption. Damit aktualisieren sie Konfliktlinien, kanalisieren Themen und üben Einfluss auf den gesellschaftlichen Umgang mit diesen Konflikten aus. In diesem Sinne spielen Autorinnen nicht in ihrer Einmaligkeit, sondern als Denkstilträgerinnen eine Rolle. Die Diskurs(re)produktion durch diskursive Eliten aus der Wissenschaft reagiert damit auf zwei zentrale Kritikpunkte an der Diskursforschung. Zum einen ermöglicht dieser Zugang den Einbezug handelnder Akteurinnen, die im „Kampf um Interpretationen“ Diskursstränge instrumentalisieren, um „Sichtweisen zu institutionalisieren und konkurrierende Deutungsangebote zu entwerten“ (Schwab-Trapp 2001:275). Zum anderen wird implizit jedoch auch deutlich, dass sich diskursive Eliten Durchsetzungsstrategien des diskursiven Feldes aneignen müssen, um erfolgreich zu sein. Im Zuge dessen ist danach zu fragen, welche diskursiven Codes sich die einzelnen Wissenschaftlerinnen einverleiben und performen müssen, um innerhalb der Wissenschaft erfolgreich als Wortführerinnen fungieren zu können?
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Konklusion II
Seit 1989 beschäftigen sich die Geographie, Soziologie und Demographie mit den durch den Mauerfall einsetzenden Transformationsprozessen, die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur ebenso hervorrufen wie Migrationsströme von den neuen in die alten Bundesländer. Diese Betrachtungen erfolgen jedoch nicht im Kontext einer über 40-jährigen Trennungsgeschichte und vor dem Hintergrund soziokultureller und räumlich-materieller Manifestationen als Ordnung von (politischer) Welt, sondern als wahrhaftig ablaufende Prozesse, die aufgrund ihrer Spezifität, Quantität und Qualität der Analyse bedürfen. Ein solches Interesse ist nicht unbedingt unfruchtbar, können die Forschungsinteressen nach einem derartigen Systemumbruch, wie ihn die Deutsche Demokratische Republik erlebt, nachvollzogen werden. Jedoch ist festzuhalten, dass seitens der deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung auf der Basis alltagsweltlicher Vorstellungen und mit Rückgriff auf (neo)klassische Theoriekonzepte oftmals Ad-hoc-Hypothesen präsentiert und dann mithilfe des empirischen Materials verifiziert (oder falsifiziert) werden. Das Problem der Anhäufung empirischen Materials und die gleichzeitige Theorielosigkeit, die immer wieder Kritikpunkt vor allem der Migrationsforschung war und ist (vgl. Albrecht 1972:15, Bukow & Llaryora 1988, Hillmann 2007), kommt auch hier zum Tragen. Zudem scheint der politische Handlungsdruck in Umbruchphasen die schnellen wissenschaftlichen Antworten zu begünstigen und langfristig angelegte Analysen, frei von tagespolitischen Auffassungen, zu behindern (vgl. Bukow & Llayora 1988:5). Somit fehlt es der Bevölkerungs- und Migrationsforschung an Reflexion mit Blick auf ihre eigenen Positionen, ihrer Hypothesen sowie der Sammlung und Interpretation des empirischen Datenmaterials. Dabei legitimieren sich die Auseinandersetzungen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung durch den Bezug auf einen gesellschaftlichen Prozess, der nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und darüber hinaus sehr intensiv diskutiert wird. Der „demographische Wandel“ oder die als demographischer Übergang bezeichnete Veränderung der Bevölkerungsstruktur sind Schlagworte der Bevölkerungswissenschaft, die die Analyse des Bevölkerungskörpers einer Nation zum Ziel hat. Im Zuge dessen unterscheidet die Demographie natürliche und nicht natürliche Bevölkerungsveränderungen, positive und negative Streuungen und Konzentrationen der Bevölkerung, Sexualproportionen, proportionale und/oder unproportionale Wanderungen usw. Diese Ar-
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Konklusion II
beit wird hier nicht anknüpfen, sondern Nationen und Bevölkerungen als erzählte sozialräumliche Konstrukte verstehen, die nicht natürlich oder selbstverständlich einer Analyse bedürfen, sondern infolge bestimmter machtgeladener Interessen einer selektiven Analyse unterworfen werden. 8.1
Abgrenzungen
Das heißt auch, dass die Arbeit nicht die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und das Phänomen „Binnenmigration“ oder „demographischer Wandel“ beleuchten und beschreiben wird. „Ostdeutsche/westdeutsche/deutsche/schrumpfende Bevölkerung“ und „Binnenmigration“ stellen hier nicht die Untersuchungsgegenstände, sondern vielmehr die Turngeräte dar, anhand derer die Entstehung, Vermittlung und Durchsetzung wissenschaftlichen Wissens sowie dessen Implikationen nachvollzogen wird. Dieser Zugang ist vor allem der Kritik an einer (derzeit sehr aktiven) Diskursforschung (auch innerhalb der Geographie) geschuldet, die auf dem besten Weg ist, die positivistische Sozialforschung zu ersetzen, um sich als neue Weltbeschreibungsformel zu etablieren. Im Zuge dessen erhalten Diskurse (und Dispositive) einen essentialistischen Charakter. Dieser suggeriert, dass die soziale Welt gegenstandsähnlich abzubilden sei (z. B. der Klimadiskurs, der Schweinegrippediskurs, der Gendiskurs, das Sexualdispositiv). Es geht dieser Arbeit nicht um die wissenschaftliche Beschreibung und Abbildung eines Diskurses. Daher ist vor allem methodologisch darauf zu achten, dass nicht der Diskurs, sondern die wissenschaftlichen Prozesse rekonstruiert werden, die Wissen als gültiges Wissen etablieren. Damit soll Rainer Diaz-Bone (2006:256) widersprochen werden, der wissenschaftliche Diskurse als die „methodologische Rekonstruktion des sozialen Raums“ versteht und die Diskursanalyse als eine Möglichkeit sieht, das „nicht sichtbare Relationssystem der Gesellschaft“ wissenschaftlich darzustellen. Die so entstehende „Landkarte des Sozialen“ sei für die alltäglichen Akteurinnen nicht sichtbar und werde durch die wissenschaftliche Tätigkeit zugänglich gemacht. Hierin begründet sich auch die Abwendung von Forschungspraktiken im Zuge des Spatial Turns, der als Hinwendung zum Raum neben der zeitlichen Dimension den Einbezug räumlicher Dimensionen des Handelns forciert. Doris Bachmann-Medick (2007:41) führt das neue Interesse der Kulturwissenschaften am Raum als Referenzgröße auf die „Erfahrung globaler Enträumlichung“ und „postkolonialer Impulse“ zurück und sieht im Spatial Turn ein „Re-Mapping der hegemonialen Zentren und der marginalisierten Peripherien“. Der Wunsch nach einer „Verortung von Kultur“ (Bhaba 2000) und damit nach einer neuen Repräsentationsstrategie der ortlosen globalisierten Welt erhält im Spatial Turn seinen Höhepunkt. Bachmann-Medick (2007:42) interpretiert dieses Verlangen nach Erfahrungsnähe als große Chance für die postmoderne Kulturgeographie. Zum ersten Mal könne sie die Fäden in die Hand nehmen, um für die neue Perspektivverschiebung einflussreiche Impulse zu geben. Das verschafft den sich oftmals in Legitimierungsverfahren befindenden Geographinnen Selbstbewusstsein, jedoch wird der Spatial Turn seitens der Geographie nicht nur begrüßt. So diagnostiziert Gerhard Hard (2008:268) eine Polysemie und Homo-
Konklusion II
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nymie der Raumbegriffe41, die in einer unreflektierten und inkompetenten Verwendung von Raum enden. Auch Benno Werlen (2008:369) macht auf die Notwendigkeit einer ontologischen Klärung der verwendeten Raumbegriffe aufmerksam und Roland Lippuner (2008:342f) warnt vor der erneuten unreflektierten Anwendung von Raumkonzepten – wie es innerhalb sozialräumlicher Analysen nicht selten der Fall ist, wenn Nichträumliches durch räumlichen Bezug fixiert und naturalisiert wird. Dabei gibt es neben der handlungstheoretischen Sozialgeographie weitere vielversprechende Ansätze wie Topographical und Topological Turn, die entgegen des Spatial Turns nicht auf die Untersuchung anderer Kulturen im Raum abzielen, sondern Raum als soziale Konstruktion (Topographical) und als Folge von räumlichen Relationsbeziehungen verstehen (Toplogical) (Günzel 2008:222). 8.2
Positionieren durch Argumentieren
Postpositivistisch inspirierten Forschungsarbeiten wird im Zuge konstruktivistischer Perspektiven nicht selten die Relativierung von „Allem“ vorgworfen. Das Relativismusproblem42 der Forschung stellt nur oberflächlich betrachtet ein unausweichliches Problem dar; tiefgründig beleuchtet eröffnet es mehr Möglichkeiten als es der Forschung Möglichkeiten nimmt. Entfernt sich Forschung vom ahistorischen, subjektunabhängigen Wahrheitsbegriff, kommt ein Merkmal gesellschaftlicher Legitimität zum Vorschein, das seit der griechischen Antike ein zentrales Prinzip demokratischer Aushandlungsprozesse darstellt; die Geltung durch überzeugende Argumentation. Stephen Toulmin (1958) kritisiert in seiner „Kritik der kollektiven Vernunft“ die vernunftorientierte moderne Wissenschaft. Damit legt Toulmin eine neue These zur wissenschaftlichen Wahrheitsbildung vor. Wahrheit entsteht im Sinne Toulmins durch überzeugende Argumentation. Dass nicht die Logik, sondern die Überzeugung durch Argumente den Wissenschaften Geltung verschafft, beeinflusst ganze Wissenschaftsgenerationen und bildet für diese Arbeit auch einen ersten methodologischen Zugang zur Rekonstruktion wissenschaftlich Erzählter Geographien von Geschlecht und Raum. Denn die neuen Ansätze der Argumentationstheorie können nicht allein als Analyseinstrument, sondern gleichfalls als eigener Anspruch an die Präsentation der Forschungsarbeit produktiv eingesetzt werden. Durch Argumente werden eigene Standpunkte zentralisiert, um sie in der Auseinandersetzung mit anderen auf eine weniger beschränkte Weltsicht hin zu entwickeln. Somit wird dem radikalen wissenschaftssoziologischen Zugang Michael A. Overingtons (1985:112) stattgegeben, dass „jegliches Wissen, ungeachtet seiner Herkunft, bloße Meinung“ ist und somit nur zu hoffen bleibt, den nunmehr ‚nur‘ normativen Kriterien der wissenschaftlichen Kritik 41 42
Polysemie beschreibt das Vorhandensein mehrerer Bedeutungen für ein Wort. Homonymie beschreibt Wörter, die gleich geschrieben werden, aber einen deutlich anderen Inhalt und damit unterschiedliche Bedeutungen haben. Eine Denkrichtung, die davon ausgeht, dass Aussagen stets bedingt sind. Diese Bedingungen führen dazu, dass Aussagen resp. Wissen niemals universellen Gültigkeitsanspruch aufweisen können, sondern maximal historische und/oder subjektive Festsetzungen darstellen. Da die Wissenschaftsforschung die Interessenbindung allen Wissens behauptet, muss diese Behauptung wiederum selbst als bedingt verstanden werden (Mittelstraß 2004c:564).
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Konklusion II
wiederum durch Argumentation gerecht zu werden. Auf diese Weise soll Richard Rortys Forderung nach gegenseitiger Überzeugung statt Anwendung von Gewalt eingelöst sowie den Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft Rechnung getragen werden. So bleibt auch für Harald Wohlrapp (1995) als Ausweg aus der Krise der Wissenschaften nur die rekonstruktive, rekursive und reflexive Argumentationstheorie, die einen Ausweg aus dem Relativismusproblem durch einen neuen Vernunft- und Geltungsbegriff bieten kann. Vernünftige Geltungsansprüche sind diejenigen, die sich trotz stetiger kritischer Auseinandersetzungen als überzeugungsfähig durchsetzen. Das Ziel der Forschung ist in diesem Sinne die Analyse der Akzeptabilitäts- bzw. Geltungsbedingungen wissenschaftlicher Texte, um eine Deutung über die Entstehung einer wissenschaftlichen und damit gesellschaftlichen Tatsache (z. B. Wanderung) innerhalb eines Denkkollektivs (z. B. Bevölkerungs- und Migrationsforschung) und vor dem Hintergrund disziplinspezifischer Episteme anzubieten. Forschen ist infolgedessen keine Handlung, die Wissen über die soziale oder natürliche Welt liefert, welches dann im Hinblick auf Prognose und Steuerung verwendet werden kann. Vielmehr sind wissenschaftliche Routinehandlungen sowohl als Effekte alltäglicher Diskurse als auch als produzierende diskursive und nicht diskursive Praktiken zu verstehen. Das heißt, dass der Prozess der „gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion (…) nicht nur die Voraussetzung dafür ist, dass sich Wissenschaften herausbilden“, sondern die Wissenschaften selbst bilden wiederum die „Strukturbedingung des damit veränderten Gesamtprozesses der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion“ (Krüger 1986:157). Forschen ist auf diese Weise vor allem ein Feld, das einerseits alltägliches und wissenschaftliches Diskursgeschehen fortführt und andererseits durch normative Handlungsabläufe Wissensordnungen produziert. Wissenschaftlerinnen nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. Denn sie bereiten im Zuge von Durchsetzungsstrategien den Weg des Wissens vom „Faktum der Akzeptiertheit zum System der Akzeptabilität“. Diese Akzeptabilitätsbedingungen entfalten ein Kausalnetz an Argumentationen, das es ermöglicht, die Wanderungen zwischen Ost und West oder das Geburtendefizit als reale Singularitäten in den Blick zu nehmen. 8.3
Dimensionalisierung Erzählter Geographien
Die Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum sind wesentlich unterdeterminiert und so stellt sich die Frage, warum sie dennoch Handlungsrelevanz besitzen. Aus einer foucaultschen Perspektive spielt es keine Rolle, ob es sich bei sozialräumlichen Phänomenen um quantitativ beweisbare Phänomene handelt oder nicht. Interessant ist vielmehr, unter welchen Rahmenbedingungen Phänomene zum Gegenstand der Wissenschaft werden und welche diskursiven Praktiken zum Beispiel den Wanderungsdiskurs zu einem Problemdiskurs werden lassen. Die vorgestellten Ansätze der Wissenschafts- und Technikforschung, Diskurs-, Dispositiv-, Erzähltheorie sowie feministischen und sozialgeographischen Geographie ermöglichen einen erkenntnistheoretischen Zugang zu dieser Frage. Nun bedarf es einer methodologischen Dimensionalisierung, um die Perspektiven auch empirisch umsetzen zu können.
Konklusion II
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Foucault lenkt mit seinen beeindruckenden empirischen Analysen das Verständnis von Diskursen und Dispositiven von der Alltagswelt auf die wissenschaftlichen Disziplinen wie Geisteswissenschaften, Psychologie, Recht, Medizin und Religion als zentrale Orte der Wissensgenerierung, -reproduktion und -transformation. Damit schafft Foucault den Sprung von der Wissenssoziologie zur Wissenschaftssoziologie resp. Wissenschaftsgeschichte und seine Werke können als Projekte der Wissenschaftsforschung gelesen werden – auch wenn dieses Potenzial bisher seitens der Wissenschaftsforschung noch wenig ausgeschöpft wird. So bringt Foucault seinen Diskurs- und Dispositivbegriff im Rahmen der Diskussion zwischen Gregor Mendel und traditionellen Biologen und Botanikern des 19. Jahrhunderts auf den Punkt: „Man hat sich oft gefragt, wie die Botaniker oder die Biologen des 19. Jahrhunderts es fertig gebracht haben, nicht zu sehen, dass das, was Mendel sagte, wahr ist. Das liegt daran, dass Mendel von Gegenständen sprach, dass er Methoden verwendete und sich in einen theoretischen Horizont stellte, welche der Biologie seiner Epoche fremd war […]. Mendel sagte die Wahrheit, aber er war nicht ‚im Wahren‘ des biologischen Diskurses seiner Epoche: biologische Gegenstände und Begriffe wurden nach ganz anderen Regeln gebildet.“ (Foucault 2007 [1970]:24)
Das Zitat bietet einen Einblick, wie eine durch Foucault inspirierte Wissenschaftsforschung die Bedingungen der Entstehung, vor allem aber die Durchsetzung von gültigem Wissen beleuchtet. So erfordert eine erfolgreiche wissenschaftliche Kommunikation – also eine Kommunikation, die auf gültigen Aussagen beruht und damit auf gültige Aussagen abzielt – die Befolgung von Diskurs- und Dispositivregeln. Diese Regeln zeigen sich sowohl in der Art und Weise, einen wissenschaftlichen Artikel zu schreiben, als auch in den innerhalb der Kommunikation verwendeten Begriffen, Konzeptionen und Kategorisierungen bis hin zu den Argumentationsstrategien, die wiederum auf altbekannte Systematisierungen und Regionalisierungen zurückgreifen müssen, um verstanden und als wahr bewertet zu werden. Es wäre ein amüsantes, jedoch sehr wahrscheinlich belächeltes Unterfangen, Wanderungsbewegungen statt nach Geschlecht und Alter entlang neu geschaffener Kategorien wie Haarfarbe und Schuhgröße zu untersuchen. Selbst wenn – wie hier behauptet wird – sicherlich statistische Auffälligkeiten zu finden wären, würde diese Untersuchung nicht als wissenschaftlich relevant innerhalb des aktuellen wissenschaftlichen Wanderungsdiskurses bewertet werden. Die diskursiven und dispositiven Ausschlussmechanismen (wahrer/nicht wahrer Analysen von Wanderungsbewegungen) beginnen somit genau dort, wo die Regeln wirken und andere Betrachtungsweisen nicht in die institutionellen Bedingungen passen. Dies klingt nach ersten Anweisungen einer methodischen Umsetzung foucaultscher Diskurs- und Dispositivtheorie. Wer jedoch nach einer nachvollziehbaren Methode innerhalb der empirischen Arbeiten Foucaults sucht, muss enttäuscht werden. Die methodische Umsetzung der Diskurs- und Dispositivtheorie belebt seit Erscheinen der „Ordnung des Diskurses“ bis heute die sozialwissenschaftlichen Diskussionen. In dieser Arbeit wird sich der Meinung vieler Sozialwissenschaftlerinnen (Parker 2000, Angermüller 2001, Sarasin 2003, Anderson 2003, Gehring 2004) angeschlossen, die Foucaults Arbeit weniger als wiederholbare Methode, sondern eher als philosophische Haltung gegenüber der ‚Gegenstand‘sanalyse interpretieren. Denn trotz des überaus großen literarischen Materials Foucaults kann keine
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Methode erkannt werden, die einen „angebbare[n] Weg zur vergleichenden Wiederholung“ (Sarasin 2003) darstellen würde. Damit muss jedoch auch die Frage offen bleiben, wie ein differenzphilosophischer und damit postpositivistischer Blick organisiert werden kann, welche Reflexionsstrategien zur Anwendung kommen und wie, beziehungsweise welche Systematisierungsstrategien die Grundlogik des Diskurses aufdecken können, wenn die Methode selbst nicht auf eine feststehende Bedeutung rekurrieren kann. Dies wird durch die Erkenntnis erschwert, dass Bedeutung und Sinn nicht wie aus hermeneutischer Perspektive innerhalb eines (ab)geschlossenen Systems behandelt werden können und schon gar nicht einer chronologischen Struktur von Anfang und Ende unterliegen. Da stabile Subjekt- und Objektpositionen von differenzphilosophischen Positionen abgelehnt werden und nicht Subjekte und Bedeutungen, sondern Subjektivierungs- und Sinngebungsprozesse im Mittelpunkt des Interesses stehen, gelten diskurstheoretische Perspektiven als unvereinbar mit hermeneutischen Verfahren der interpretativen Sozialforschung. Nach den Differenzphilosophien entstehen Bedeutungen durch die Abgrenzung zu einem verfügbaren Gegenüber, durch den Verweis auf das Andere, das Gegensätzliche. Die Ablehnung fester Bedeutungskonstellationen stellt die qualitative Sozialforschung vor drei grundsätzliche Probleme: das Problem des Fremdverstehens43, die Indexikalität von Sprache44 und im Zuge dessen die Repräsentationskrise von Bedeutung. Wie kann in diesem Rahmen wissenschaftliches Forschen organisiert werden? Zunächst ist festzuhalten, dass trotz aller Instabilität der Bedeutungen, nicht von einer Beliebigkeit des Sinns ausgegangen werden kann. Jedoch sind Begriffe nicht Repräsentanten eines inskribierten Sinns, sondern als Bausteine eines semantischen Netzwerkes zu verstehen, in dessen Kontext die Bedeutung durch Differenzen im Gebrauch der Sprache und dem Verweis von Zeichen aufeinander erst entsteht (Bublitz 2003:23), aber nicht subjektlos. Das Subjekt(ivierte) erhält innerhalb der Diskursstrukturierung eine besondere Stellung, denn es erzeugt durch den Zugriff auf und die Kombination von einzelnen gesellschaftlichen Elementen Sinn. Da es eine Vielzahl von Kombinations- und Zugriffsmöglichkeiten gibt, müssen sich die Subjekte (Subjektivierten) entscheiden, welche Position sie einnehmen wollen. Aus dem Zwang zur Entscheidung „entsteht die Handlungsfähigkeit der Subjekte, die weder durch die Struktur des Diskurses determiniert wird noch konstituieren sie diese Strukturen“ (Keller et al. 2006:160). Es mag sein, dass Inhaltsanalysen (vgl. Oevermann et al. 1979, Mayring 1990) als etablierte Methoden der interpretativen Verfahren, Kategorien als eine abstrakte Lesart benutzen, die wie eine Matrix über den Text gelegt wird und bestimmten Wörtern oder Phrasen des Textes Bedeutung zuschreibt. Nach Jäger (1999:25ff) vergessen Inhaltsanalytikerinnen, dass Kategorien Konstrukte sind, die an den Text 43
Das Problem des Fremdverstehens deutet darauf hin, dass das Verstehen eines subjektiven Sinns eine Interpretation darstellt, die immer vor dem Hintergrund des eigenen subjektiven Wissens- und Relevanzsystems erfolgt. Somit stellt die Interpretation eines Textes vor allem eine Übersetzung in das eigene Sinnsystem dar. 44 Indexikalität meint im Allgemeinen, dass sich die Bedeutung eines Begriffs nur in seinem konkreten Zeichengebrauch sowie in Relation zu anderen begrifflichen Konzepten konstituiert (Mannheim 1980, Auer 1999:127ff, Nöth 2002, Linke et al. 2004ff, Kruse 2009b)
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herangetragen werden und in erster Linie nicht durch den Text entstehen. Das führe dazu, dass Kategorien die Textarbeit determinieren. Damit sei die qualitative Inhaltsanalyse keine Methode der Erkenntnis, sondern ein Verfahren der Gegenstandsbeschreibung, Materialbeschaffung und Materialaufbereitung und unterliege dem Schluss, Gegenstände hätten einen Sinn und/oder Wahrheit, die durch hermeneutische Verfahren verstanden werden könnten. Auch Michel Pecheux (1995) sieht in der qualitativen Inhaltsanalyse ein Problem, da die Erfassung von bloßen Wörtern nicht die Organisation des Textes nachvollziehen lässt und Kategorien nicht Nähe zum Text, sondern Nähe zum Bedeutungssystem der textbearbeitenden Person herstellen, sodass Verstehen immer Selbstverstehen bedeutet. Schon die Datenerhebung birgt im Zuge dessen die Gefahr, den Verstehens- und Interpretationsprozess zu bestimmen und letztendlich zu tautologischen Ergebnissen führen, wenn Texte alleinig als Beweismaterial für vorgefasste Ergebnisse benutzt werden. Obwohl diese empirische Analyse darauf abzielt, die wissenschaftliche Praxis der Wirklichkeitsproduktion im Zuge der Erzählung zu verstehen, um diese im Hinblick auf die jeweils spezifische Verwendung scheinbar natürlicher Kategorien zu untersuchen, wird sich dennoch für die qualitative Sozialforschung und damit für ein interpretatives Verfahren entschieden. Sogenannte rekonstruierende Verfahren (Bohnsack 2001, 2010) ermöglichen in Abgrenzung zur klassischen Inhalts- und Textanalyse hermeneutische Verfahren der Textrekonstruktion fernab einer bloßen Abbild- und Repräsentationsidee. Sie unterscheiden zwischen der Analyse als der gesamten strukturierenden, segmentierenden, ordnenden Arbeit am Text im dokumentarischen Sinne (vgl. Mannheim 1924[1925]) und der anschließenden Interpretation als der Leistung der Wissenschaftlerinnen. Die Rekonstruktive Sozialforschung arbeitet nicht mit vorgedachten Kategorien und zielt nicht auf die Häufigkeitsverteilung der verwendeten Kategorien ab, sondern rekonstruiert verschiedene bzw. gleiche Konzeptualisierungen des vermeintlichen Untersuchungs‚gegenstandes‘. Das Ziel ist die Rekonstruktion zentraler Motive und zentraler Thematisierungsregeln, die sich im Text wiederholen (müssen), um eine abschließende Interpretation anbieten zu können. Rekonstruktive Methoden der interpretativen Sozialforschung bilden einen vielversprechenden Zugang zum Diskurs und Dispositiv. Sie rekonstruieren soziale Sinnmuster durch die sprachlich-kommunikativen Phänomene, wie zum Beispiel Metaphern und Argumente. Im Zuge einer radikalen Kritik an klassischen Inhaltsanalysen stellen Rekonstruktive Methoden einen Methodenmix aus textanalytischen sowie visuellen Methoden aus der Literatur-, Sprach- und Bildwissenschaft vor, die den Anspruch erheben, durch Heuristiken Sinn aus dem Text herauszuerarbeiten, anstatt durch Kategorien hineinzulegen. Die Rekonstruktiven Methoden bieten damit einen vielversprechenden Anschluss sowohl an die Erzähltheorie als auch an die Diskurs- und Dispositivtheorie und dienen dieser Arbeit der Rekonstruktion der Wissenskonstruktion, Wissensvermittlung und Wissensdurchsetzung.
C
AUF REISE GEHEN – SIGHTSEEING METHODOLOGISCHER SUPPORT
„Was jemand willentlich verbergen will, sei es vor anderen, sei es vor sich selber, auch was er unbewusst in sich trägt: Die Sprache bringt es an den Tag.“ Victor Klemperer in „LTI – Lingua Tertii Imperii. Notizbuch eines Philologen“ (1966:18)
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Route 1: Erzählte Geographien als Text
Konstruktivistischen Ansätzen folgend ist die Wirklichkeit das Resultat intersubjektiv geteilter Konstruktionen. Mit Bezug zur Sprachphilosophie liegt der Zugang zur Wirklichkeit in der Sprache, da Ideen, Normen, Identitäten in erster Linie sprachliche Konstrukte sind. Sie werden durch Sprech- respektive Erzählpraktiken, die wiederum im Diskurs eingebettet sind, reproduziert. Die Wissenschaftsforscher Michael Mulkay (1979) sowie Harry Collins (1981) schlagen hierzu die Analyse der wissenschaftlichen Kommunikationsprozesse vor. Sie stellen damit nicht die Institution Wissenschaft, sondern die diskursive Verbreitung von Wissen respektive Wahrheit ins Zentrum der Untersuchung. Hier hilft es wiederum, die Entstehung, Vermittlung und Durchsetzung wissenschaftlichen Wissens als Erzählung zu verstehen. Das ermöglicht die Orientierung anhand zweier Zentren; zum einen die der Erzählenden und zum anderen die des Erzählten, wobei beide Seiten vor allem in einen Kampf um Glaubwürdigkeit treten. Es geht nicht allein um die Wiedergabe von Ereignissen, sondern vordergründig um die Einbettung in einen zeitlichen und räumlichen Kontext. Dieser verleiht der Erzählung Kontinuität sowie Kausalität und kann damit als soziale Praxis bezeichnet werden. Obwohl Diskurs- und Dispositivanalytikerinnen danach fragen, „wie“ etwas gesagt wird, bleibt die Analyse der Versprachlichung (wie) gegenüber der Analyse der Sprache (was) letztendlich doch eher oberflächlich. Nur selten befassen sich Diskursund Dispositivanalysen mit der Versprachlichung und im Zuge dessen ebenso wenig mit den stilistischen und rhetorischen Mitteln von Sprache (Versprachlichung). Auch innerhalb der Wissenschaftsforschung werden Ansätze zur Rekonstruktion der Versprachlichung für eine Analyse der Diskurse und Dispositive noch nicht ausgeschöpft. Aber es zeigt sich, dass gerade hier zum Beispiel die Analyse von Raummetaphern oder Argumentationsketten, Aufschluss über das wissenschaftliche Denken und Erzählen gibt. Daher wird diese Arbeit auf die Rekonstruktiven Methoden der Sozialforschung (Bohnsack 2010, Kruse 2010) zurückgreifen, die zudem durch die Metaphernanalyse (Lakoff & Johnson 1980) und Argumentationsanalyse (Toulmin 1958, Perelman & Olbrecht-Tyteca 2004 [1958]) ergänzt werden. Alle drei Analyseverfahren bieten ein umfangreiches Repertoire der Phänomene der Versprachlichung an und ermöglichen damit eine Analyse der wissenschaftlichen Wissensproduktion, -vermittlung und -durchsetzung. Auf diese Weise erfolgt eine Rekonstruktion von Kommunikationstexten, die die Entstehung, Vermittlung und Durchsetzung von Wissen durch Phänomene der Versprachlichung vollziehen.
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Route 1: Erzählte Geographien als Text John Searle
Konrad Ehlich
Beispiele
lokutionären Akt
Äußerungsakt
Äußerungsakt
Schriftbild, Lautbild:
illokutionärer Akt
Propositionaler Akt/Referenzakt (Bezug auf Dinge, Personen usw.)
W-a-n-d-e-r-u-n-g-s-b-e-w-eg-u-n-g-e-n, I-m-p-l-o-s-i-o-ne-n Prozeduren symbolische (Benennung eines Sachverhaltes) expeditive (Lenkung mit sprachlichen Mitteln)
Geschlecht, Wanderung, Ostdeutschland
deiktische (Orientierung der Aufmerksamkeit der Wanderungswellen, ImplosioLeserinnen – räumlich, zeitlich, Personen, Objekte, nen, Bombe „wie in der Abbildung zu sehen Aspekte an Objekten, Richtungen) operative (dient Beziehung zw. Wissenselementen) ist“, „in Europa“, „aktuell hat Ostdeutschland“, „in der malende (Kommunikation von Einstellungen, Zukunft wird“, „wo sind die transportiert Werte und Gefühle) Frauen“ weil …, dann …, trotz …, aber ..., „Sag mir, wo die Mädchen sind“, „wer kann, der geht nach drüben“
Prädikationsakt (Zuordnung von Eigenschaften zu den Dingen, Personen, Begriffen)
Prädikationsakt (Zuordnen von Eigenschaften zu den Dingen, Personen, Begriffen)
„junge Frauen“, „Wanderungen von Ost nach West“, „Ostdeutschland schrumpft“
perlokutionärer Akt (Erzielen einer Wirkung)
perlokutionärer Akt (Erzielen einer Wirkung, Überzeugen, Umstimmen, Verärgern, Verunsichern, Kränken, Trösten, etc.)
„wird Deutschland 2050 nur noch 74 Mio. Einwohner haben“ „und deshalb müssen wir“
Tabelle 1: Der Text als performativer Sprechakt; selbst erstellt
Der Bedeutung des wissenschaftlichen Textes wird hier zunächst durch John L. Austin und John R. Searles Rechnung getragen, indem der Text als Sprechakt verstanden wird und somit einer Gesprächsanalyse zugänglich ist. Das heißt, dass wissenschaftliche Texte im Hinblick auf die Frage untersucht werden können: Wie – also mithilfe welcher Praktiken – kommunizieren Wissenschaftlerinnen miteinander? Der Vorteil der Sprechakttheorie liegt darin, dass sie auf die spezifischen mikrosprachlichen Praktiken des Sprechens/Schreibens (Benennung eines Sachverhaltes, Erzielen von Wirkung usw.) zielt. Sie kann jedoch die Makrostrukturen – also die Bedingungen des Sprechens – nicht in den Blick nehmen. Hayden Whites narrative Strategien hingegen sensibilisieren für die dem Erzählen zugrunde liegende Erzählform, die dazu beiträgt, dass das vermittelte Wissen verstanden wird. 9.1
Der wissenschaftliche Text als Sprechakt
Zunächst einmal kann festgehalten werden, dass wissenschaftliche Texte Produkte einer Scientific Community (vgl. Hagstrom 1965) sind, die die grundlegende Wissensvermittlung neuer Erkenntnisse zum Ziel hat. Entgegen der Alltagsliteratur
Route 1: Erzählte Geographien als Text
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Erzählstruktur
Binnenmigrationsanalysen
Beispiele
Struktur (3-teilig: Einleitung, Hauptteil, Schluss)
Problemfeld(er)
„Der Fall der innerdeutschen Grenze im Jahr 1989 und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 haben nicht nur das politische und wirtschaftliche System der ehemaligen DDR schlagartig beendet, sondern auch die sozialen und demografischen Bedingungen im Osten Deutschlands nachhaltig verändert“
Untersuchung/Analyse der Ursachen, Gründe, Motive, Diskussion gegensätzlicher Ansichten
„Der Beitrag analysiert die Abwanderung von Ost- nach Westdeutschland zwischen 1991 und 2004 mit Schwerpunkt auf ihrer Altersselektivität, also ihrer altersspezifisch differenzierten Struktur nach Richtung und Stärke.“, „Die Studie untersucht Migrationen von Ost- nach Westdeutschland.“
Ergebnisse/Lösungen
„Arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Maßnahmen sind vor diesem Hintergrund notwendig, um arbeitsmarktbedingten Abwanderungsmotiven entgegenzuwirken.“, „Gelingt es auf absehbare Zeit nicht, diesen Bevölkerungsgruppen durch geeignete politische Entscheidungen längerfristige Perspektiven vor Ort aufzuzeigen, so ist in Zukunft mit systematischen Abwanderungen aus den neuen Bundesländern zu rechnen.“ „Ersatz der Elterngeneration nur noch zu etwa 75 Prozent gesichert“, „geringe Geburtenraten“, „demographischer Wandel“, „Zukunft einer ganzen Nation gefährdet“; „in Europa“, „Deutschland“, „auf der ganzen Welt“, „in der Vergangenheit bestand ein Gleichgewicht“
übergeordnete Probleme, Umstände, Verstrickungen, Themen usw. übergeordnete raum-zeitliche Zuordnungen
Agency Setting
Handlungsziel
Ostdeutsche, Ostdeutschland Raum-Zeit (Deutschland 1989–2012)
Ursache – Folge – Beziehung, Auflösung von Unklarheiten, Lösung des Problemfeldes, Dramatik
„Ostdeutschland schrumpft“, „Deutschland wird sich nicht entwickeln.“, „Ostdeutsche Peripherie verliert“; „daher ist es die Aufgabe“, „es soll nachvollzogen werden“, „die Prognostiker des Statistischen Bundesamtes sagen“, „die Studie soll verdeutlichen“, „aus regionalpolitischer Perspektive ist der Zusammenhang“ „Ostdeutsche Frauen stellen kritische Gruppe dar.“, „Junge Frauen neigen zu stärkerer Abwanderung.“ „Die Untersuchung umfasst den Zeitraum von 1999 bis 2003. Das Jahr 2003 stellt den datenbedingten Endpunkt dar, aktuellere Werte sind auf Ebene der Mikrodaten nicht verfügbar. Neben den fünf neuen Bundesländern wird – soweit möglich – der Ostteil Berlins zu Ostdeutschland gerechnet, eine Differenzierung der Analyse auf Länder- oder Kreisebene ist aufgrund von Datenrestriktionen nicht möglich.“ „Ein besonders starkes Frauendefizit ist in zahlreichen ostdeutschen Regionen zu beobachten. Dieses Defizit geht einher mit einer deutlichen Tendenz zu erhöhter Frauenabwanderung.“, „Teilzeitmöglichkeiten sollten insbesondere für Frauen von Relevanz sein.“, „... dass ein längerfristiger Trend der Abwanderung junger Frauen aus diesen Regionen das Geschlechterverhältnis bereits zu ungunsten der Männer beeinflusst hat.“
Tabelle 2: Narrative Schemata des Erzählens; selbst erstellt
hängt der Erfolg eines wissenschaftlichen Textes im Wesentlichen davon ab, ob wissenschaftliche Leserinnen den Inhalt kritisch prüfen und für weitere Forschungen berücksichtigen. Zuvor jedoch erfolgt eine Veröffentlichung nur, wenn andere Wissenschaftlerinnen der Scientific Community den Inhalt prüfen und nach eventuellen Korrekturverfahren „zum Druck“ freigeben. Im Zuge der sprachphilosophischen Wende ist das Wissen in wissenschaftlichen Texten nicht objektiv existent, sondern entsteht durch Sprechhandlungen durch den wissenschaftlichen Text in Verbindung mit den Leserinnen. Nach Austin (1979 [1961])
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Route 1: Erzählte Geographien als Text
ist der Sprechakt durch einen lokutionären Akt (Handlung des „Etwas-Sagens“)45, einen illokutionären Akt (Vollzug einer konventionellen Handlung)46 sowie einen perlokutionären Akt (Erzielen einer Wirkung)47 bestimmt. Indem die Schreiberinnen referieren (Referenzakt), beziehen sie sich auf Dinge, Personen, Begriffe, die als Gegenstände der Realität erscheinen (Frau, Statistisches Bundesamt, Wanderung). John Searle (1969) erweitert Austins Sprechakttheorie vor allem hinsichtlich des rhetischen Aktes und betont, dass neben dem Referenzakt (Bezug auf Dinge, Personen, Begriffe) der Prädikationsakt (Zuordnung von Eigenschaften zu den Dingen, Personen, Begriffen) für die Herstellung von Wirklichkeit von Bedeutung ist. Analytisch ist es mit dieser Unterscheidung möglich, den Referenzakt als Anzeichen für das zugrunde liegende Referenzsystem zu verstehen, während die Prädikation Hinweise auf die zugrunde liegenden Bewertungen des Referenzsystems gibt. In diesem Sinne verweist der Referenzakt „Ostdeutschland“ auf ein nationalstaatliches Referenzsystem, das Deutschland als zweigeteilt regionalisiert. Der Prädikationsakt „Ostdeutschland schrumpft“ gibt zudem Hinweise darauf, wie das Referenzsystem bewertet wird. Dabei sind wissenschaftliche Texte aber auf eigentümliche Weise der Sprechsituation im eigentlichen Sinne enthoben. Denn der Sprechakt erfolgt zwischen räumlich und zeitlich getrennten (grundsätzlich unbekannten) wissenschaftlichen Akteurinnen ohne Kopräsenz von Sprecherin und Hörerin. Die Situation der Textproduktion fällt nicht mit der Situation der Rezeption zusammen, Entstehungs- und Äußerungsakt weisen also eine zeitliche und räumliche Verzögerung auf. Das zwingt wissenschaftliche Texte zunächst einmal zur Aufbewahrung von Mitzuteilendem, weshalb sie in erster Linie als Vermittlungsversuch bezeichnet werden können. Das bedeutet für Gabriele Graefen (1997:26ff), wissenschaftliche Texte als selbstständige, subjektunabhängige und kontextunabhängige Handlungen zu lesen und Sprecherpositionen auszublenden. Aber gerade die Herauslösung aus der Sprecherinnensituation ermöglicht den Sprecherinnen eine größere Herstellungs- und Bearbeitungszeit, die durch stetige Reflexionen, Veränderungen und Verbesserungen gekennzeichnet ist, als es innerhalb von face-to-face-Kommunikationen der Fall ist. Das heißt auch, dass sich die Äußerung auf den perlokutionären Akt verlagert, der hinsichtlich der Intention als durchdachter verstanden werden kann. Somit ist die Verantwortung für das Geschriebene der Sprecherinnen höher zu bewerten als innerhalb von Gesprächen, da der Akt der Herstellung viel stärker auf das Gelingen eines Sprechaktes ausgerichtet ist. Damit ein Text verstanden werden kann, muss dieser mit bekannten also erlernten Begriffen und Kategorien sprechen. Während in alltäglichen Gesprächen nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass verschiedene Sprecherinnen auf gleiche Referenzen referieren, kann innerhalb wissenschaftlicher Texte angenommen werden, 45
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saying something: Austin unterscheidet beim lokutionären Akt nochmals zwischen phonetischem Akt (Hervorbringen von sprachlichen Lauten und Lautketten), phatischem Akt (Hervorbringen von Äußerungen, die nach den Regeln der Grammatik erfolgen) und rhetischem Akt (Hervorbringen von Äußerungen, die owohl einen sinnvollen Bezug zu Gegenständen und Ereignissen der Welt (reference) als auch Bedeutung (sense) haben, indem sie Aussagen über die Referenzobjekte machen (Referenzakt). Phonetischer und phatischer Akt werden bei Searle als Äußerungsakt erfasst. Fragen, Bitten, Warnen, Empfehlen, Drohen (doing something in saying something) Überzeugen, Umstimmen, Verärgern (doing something by saying something)
Route 1: Erzählte Geographien als Text
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dass das begriffliche Referenzsystem der wissenschaftlichen Disziplin benutzt wird, um zumindest im Kontext des Diskussions‚gegenstandes‘ verstanden zu werden. Hier kommt ein Aspekt zum Tragen, den Judith Butler in ihrem Konzept der Performativität als „die konstituierende Kraft der Wiederholung“ bezeichnet. Performativität betont die Schaffung von Tatsachen durch sprachliche Äußerungen und damit die „wirklichkeitskonstituierende Funktion des Zeichengebrauchs“ (Dirksmeier 2009:250). Der Begriff „performativ“ entstammt Austins Werk „How to do things with words“ (1962), das sich damit auseinandersetzt, wie über die Vermittlung von Inhalten hinaus ein Sprechakt weitere Funktionen erfüllt. Der Performative Turn hat auch in der Humangeographie einen Eindruck hinterlassen und betont nach Nigel Thrift (2000:577) „the Art of producing the now“ und das „engineering of the moment“, was vor allem die Ereignishaftigkeit von Welt in den Mittelpunkt rückt. Das Konzept der Performativität gewinnt aber vor allem Einfluss, weil diese Perspektive die Analyse der Intentionen von Sprecherinnen, die jedem Sprechakt zugrunde liegen, ermöglicht. Das stellt neben dem methodologischen Subjektivismus eine weitere Möglichkeit dar, Sprecherinnenposition in wissenschaftlichen Akteurinnen zu verorten, um die Diskurs- und Dispositivanalyse zu subjektivieren. Die Tätigkeit der wissenschaftlichen Sprecherinnen erfährt bei Konrad Ehlich (1994:73f) eine Differenzierung als Prozedur, die den propositionalen Akt konstituieren. Zu unterscheiden sind symbolische (Benennung eines Sachverhaltes), expeditive (Lenkung mit sprachlichen Mitteln), deiktische (Orientierung der Aufmerksamkeit – räumlich, zeitlich, Personen, Objekte, Aspekte an Objekten, Richtungen), operative (sprachliche Handlungselemente) und malende (Kommunikation von Einstellungen) Prozedur. Ihre Analyse deutet auf die direkten wissenschaftlichen Praktiken hin, die das Zirkulieren von Diskursen möglich machen. Die Selektion des Textmaterials im Sinne der Sprechakttheorie und mit besonderer Berücksichtigung der Erweiterung durch Ehlich (siehe Tabelle 1) ermöglicht die Strukturierung des Materials und dessen Rekonstruktion – zumindest im Hinblick auf die Entstehung von Kategorien. Denn es wird im Zuge dessen ersichtlich, dass zum Beispiel das Begriffspaar „junge Frauen“ nicht an sich existent ist, sondern dass eine symbolische Prozedur mit einem Prädikationsakt verbunden wird, wodurch die Subjektivierungsform „junge Frauen“ hergestellt wird. Oder der Hinweis auf zukünftige Entwicklungen erscheint im Zuge dieser Aufschlüsselung nicht als zukünftige Tatsache, sondern kann als ein perlokutionärer Akt verstanden werden, der ohne vorangehende symbolische und deiktische Prozedur nicht möglich ist. Darüber hinaus macht die Sprechaktanalyse aber wenig Aussagen über die Denkmoden der Wissenschaft. Es stellt sich also die Frage, inwieweit die Handlungsroutinen, die symbolischen, expeditiven, deiktischen und malenden Prozeduren, Prädikationsakte und perlokutionäre Akte eine spezifische Erzählform der Zeit widerspiegeln und damit die Konsequenz eines Denkstils sind. Die wohl einflussreichste empirische Arbeit zu wissenschaftlichen Denkmoden legt Hayden White (1991 [1973]) für die Geschichtswissenschaften vor. In seinem Werk „Metahistory“ weist er mit Bezug auf Foucault darauf hin, dass die Geschichtswissenschaftler des 19. Jahrhunderts Erzählformen wie die Tragödie, Komödie, Satire oder Romanze benutzen, deren Erzählstrukturen sich für jeweils spezifische historische Themen (Gründungs- und Heldengeschichten, Scheitern, Sieg usw.) anbieten, um zum Beispiel Einbettung, Überbrückung von Widersprüchen, Kausalität ge-
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währleisten zu können. Diese Erzählformen haben den Anschein von Erklärungen und leisten damit Legitimität und Gültigkeit. White betrachtet also das Denken und Schreiben der Historiker nicht als Finden und Beschreiben von realen Ereignissen der Geschichte, sondern als Erfinden durch Erzählungen. Der „Akt der Erzählung präfiguiert das historische Feld und konstituiert den Bereich, wo Ereignisse in einem bestimmten Licht präsentiert und Theorien entworfen werden“ (White 1991 [1973]:11). Das bedeutet auch, dass Erzählungen Folgen von Auswahl, Bedeutungszuschreibungen, Motivationen und Ordnungen seitens der Wissenschaftlerinnen sind, um Ereignisse „als verständlichen Prozess mit erkennbarem Anfang, Mitte und Schluss“ (White 1991 [1973]:21) zu versehen. Dieser poetische Akt ist konstitutiv, da er die darauffolgenden Erklärungen der wiederum vorstrukturierten Ereignisse/Phänomene/Gegenstände usw. hervorbringt und gleichzeitig die begriffliche Strategie für gültige Erklärungen liefert. 9.2
Erzählanalyse in der Praxis
Whites Ansatz ist inspirierend und stark formalistisch zugleich. Er sensibilisiert für die poetischen Strategien der wissenschaftlichen Tätigkeit; für eine Rekonstruktion der Erzählten Geographien ist Whites Ansatz aber zu ungenau umrissen. Zudem muss dessen Übertragbarkeit vom 19. auf das 21. Jahrhundert grundsätzlich infrage gestellt werden. Es erscheint wenig sinnvoll, die wissenschaftlichen Texte der deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung in das Erzählraster Hayden Whites zu pressen. Viel interessanter ist es, mit White Ausschau zu halten nach einer spezifischen Erzählstruktur der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung, die die Erzählungen der Demographie und Migrationsforschung glaubhaft präsentieren. Vor allem auch weil Vertreterinnen differenzphilosophischer Perspektiven in der Literaturwissenschaft die Einteilung von literarischen Werken in Gattungen grundsätzlich ablehnen. Sie kritisieren die Konstrukthaftigkeit von gattungsspezifischer Zuordnung und betonen die Bedeutung des Schemainterpretierens durch die Leserinnen. So können nach Wolfgang Hallet (2007:62) Texte von Leserinnen mehr oder weniger auf Anhieb verstanden werden, „weil sie über die entsprechenden natürlichen, d.h. lebensweltlichen kognitiven Schemata verfügen“, die im Zuge des Lesens eine Aktivierung erfahren. „Am Beginn eines Textes wird hypothetisch ein Schema im Prozess des verstehenden Lesens (re)interpretiert. Erweist sich ein Schema als untauglich, dann wird es entweder modifiziert, das heißt es wird an den neuen Fall und seine besonderen Merkmale angepasst, oder es muss ein neues generisches Schema hypothetisch gebildet werden.“ Diese kognitiven Kompetenzen der Leserinnen werden seitens der Pädagogik als „literacy“ bezeichnet; ein Sammelbegriff für das Text- und Sinnverständnis, die sprachliche Abstraktionsfähigkeit, Vertrautheit mit Büchern, insgesamt für die Lese-, Erzähl- und Schriftfähigkeit innerhalb einer Sprachgemeinschaft. Die OECD betont die Bedeutung von literacy: „Literacy skills have a significant impact on economic success [because] literacy provides access to literate institutions and resources, and it has an impact on cognition because it shapes the way in which we think
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(OECD/UNESCO-Institute for statitics 2003:36). Der Einbezug von „literacy“ führt dazu, dass das Verstehen eines Textes das Ergebnis einer Schemainterpretation ist, die „vom allgemeinen Weltwissen bis hin zu Verfahren narrativer Vermittlung reichen [und] und in das Textverstehen integriert werden (Hallet 2007:59-62). Es stellt sich im Zuge dessen die Frage, welche Erzählstruktur die Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung anwendet, um verstanden zu werden. Dazu wird das Textmaterial mithilfe grundlegender Merkmale (Haupthandlung, Nebenhandlung, Agency, Setting sowie Handlungsziel) charakterisiert. Diese Sensibilisierung bietet die Möglichkeit die untersuchten sprachlichen Phänomene des Erzählens wiederum zurückzuführen auf die mitgelieferte Textstruktur, um zeigen zu können, dass performative Sprechakte auch die Erzählstruktur verändern und eine spezifische Form des Erzählens im Denkstil hinterlassen (siehe Tabelle 2). Erzählen Beschreibung (Abbilden und Darstellen des Themas in Raum und Zeit)
Erklärung (Verständnis)
Argumentation (Überzeugen)
Instruktion (Anleiten)
Charakteristik Spezifizierung und Situierung in Raum und Zeit, historisches Ereignis wird in seinem zeitlichen Ablauf bezeichnet, Vergangenheitstempora, Temporalund Lokalbestimmungen, ein Lebewesen oder ein Gegenstand wird bezeichnet, durchgehende Wiederaufnahmestruktur Einteilung des Textes in ein Explanandum (= das, was erklärt werden soll) – Dominanz von Nominalisierungen und ein Explanans (= die Erklärung) – Dominanz von Konjunktionen, Adverbien und Präpositionen, dient Erklärung eines Sachverhaltes, Einbettung in Ursache-Wirkungs-Prinzip, Erklärung durch Motive, Ursachen, Ursprünge These/Konklusion; Data/ Argument; Schlussregel; Stützung der Schlussregel; Modaloperator; Ausnahmebedingung, Einbettung der These in einen bestimmten Kontext und Wertbasis (die Argumentation beruht darauf), Dominanz von Kausalbeziehungen (Ursache, Grund, Bedingung, Folge) durch weil, denn, deshalb, darum; folglich, wegen
Handlungsaufforderung Dominanz von Handlungsverben
Beispiele „in jüngster Zeit“, „im 21. Jahrhundert“, „ostdeutsche Zentren“, „urbane Zentren“ „2,6 Millionen Wanderungen“, „bisher“, „seit 1989 nehmen die Wanderungen“, „seit der Öffnung der Grenzen“, „aktuelle Erscheinungsformen der Binnenwanderung“ „vor der Wende/vor dem Fall der Mauer“, „in der ehemaligen DDR, wo die Mädchen“ Schrumpfung, Wanderung, Alterung, Aussterben, Entvölkerung, Potentialdefizit Ostdeutschlands „Junge Frauen haben Deutschlands Osten verlassen.“, „Die Frauen des Jahrgangs 1935 sind die letzten, die im Mittel ... .“, „Brain Drain aus Ostdeutschland“, „Die jungen und gut ausgebildeten gehen weg.“, „Ältere sind weniger produktiv und innovativ.“, „besserer Heiratsmarkt im Westen“, „keine Zukunftschancen“
„Wenn Regionen nicht ausreichend in das Bildungsniveau junger Männer investieren und das geringe Niveau nicht durch entsprechenden Arbeitsmarktzuzug angepasst werden kann, ergibt sich ... .“ „Frauen bekommen weniger Kinder, denn das Kinderkriegen hat schlicht und einfach Konkurrenz bekommen. Mehr junge Erwachsene können studieren. Sie haben, wenn sie einen Job finden, auch höhere Einkommenschancen und mehr Möglichkeiten, das verdiente Geld auszugeben. Sie haben mehr Wahlmöglichkeiten.“ „Die Frauen hingegen würden abwandern, schon allein deshalb weil sie in ihren Heimatregionen keinen Partner mit entsprechendem Bildungsniveau mehr finden könnten.“ „Die Zukunftsfähigkeit der betreffenden Regionen abschätzen“ „Die Arbeit veranschaulicht die Erscheinungsformen der Wanderungsbewegung, um potentiellen Handlungskonzepten gerade in regionalpolitischer Hinsicht ein besseres Fundament bieten zu können.“
Tabelle 3: Handlungsroutinen der narrativen Themenentfaltung; selbst erstellt
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Route 1: Erzählte Geographien als Text
Entsprechend der Narratologie wird zudem darauf hingewiesen, dass Texte und Bilder Kohärenz aufweisen müssen, um erfolgreich zirkulieren zu können. Die fünf Handlungstypen der Themenentfaltung werden hier aufgegriffen, um die Analyse der narrativen Schemata um die Analyse der narrativen Themenentfaltung zu erweitern. Die Tabelle 3 gibt mithilfe von Textbeispielen einen Einblick in die sprachliche Umsetzung der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum. Diese Unterscheidung hilft, die Erzählung in ihrer Chronologie, ihrem Aufbau, den zentralen Eigenschaftsbeschreibungen, -erklärungen sowie den Argumentationen und den Zielen der Texte zu verfolgen, die letztendlich Hinweise zu den Denkroutinen der Wissenschaftlerinnen geben.
10 Route 2: Erzählte Geographien als Versprachlichung
Das vorangegangene Kapitel „Erzählte Geographien als Text“ behauptet, dass wissenschaftliche Texte zur Konstruktion und Vermittlung von Wissen spezifische Erzählformen und -strukturen verwenden. Das gibt erste Hinweise auf eine Dimensionalisierung wissenschaftlich Erzählter Geographien. Das folgende Kapitel erweitert diese Perspektive um eine Analyse sprachlicher Phänomene zur Wissensproduktion und -vermittlung. Die wissenschaftliche Literatur bietet hier vor allem aus der Linguistik, aber auch aus anderen Disziplinen ein breites Repertoire zur Analyse räumlicher Repräsentationen sowie deren sprachlichen Vermittlung meist für die politische Sphäre an (vgl. Fairclough 1989, Wodak & Mentz 1990, Hoinle 1999, Burkhardt 2002, Girnth 2002, Mayer 2002, Heer & Wodak 2003, Dijk van 2005, Schlottmann 2007, Felder 1999, 2009, Marxhausen 2010, Spieß 2011). Ziel der folgenden Kapitel ist es, ein umfassendes Methodenrepertoire zu erarbeiten, das die Prozesse der wissenschaftlichen Erkenntnis und Vermittlung rekonstruieren kann, ohne dabei Wissenschaftlerinnen als Akteurinnen zu vernachlässigen, und mit dem von den mikrostrukturellen Sprachpraktiken nachvollziehbar auf makrostrukturelle Bedingungen des Erkenntnis- und Vermittlungsprozesses geschlossen werden kann. Letzteres bedeutet den Weg von einer textlinguistischen Feinanalyse zu einer Diskurs- und Dispositivanalyse zu beschreiten. Rekonstruktive Methoden der Sozialforschung (Bohnsack 2010)48 erfüllen diese Ansprüche, da sie mit Bezug auf pragmatische Ansätzen (Garfinkels 1967, Blumer 1969) und im Rahmen des sozialkonstruktivistischen Paradigmas sowie mit Bezug zur kognitiven Linguistik (Auer 1999) und der Erzähltheorie (Lucius-Hoene & Deppermann 2002) davon ausgehen, dass Menschen ihre Wirklichkeit durch Interaktionen mit anderen Menschen oder Dingen stets sinnhaft konstruieren, um Alltag zu bewältigen. Wirklichkeit ist dabei stets sprachlich-kommunikativ konstruierte Wirklichkeit und, mit Bezug auf Harold Garfinkels Ethnomethodologie, Vollzugswirklichkeit. Im Zuge dessen versteht sich die empirische Tätigkeit Rekonstruktiver Sozialforschung nicht wie im Kritischen Rationalismus als Prüfstein einer Theorie oder Hypothe48
Bohnsack (2010) betont, dass der Dualismus zwischen qualitativ und quantitativ als zentrale Bedingung empirischer Sozialforschung wenig zielführend ist und postuliert eine Gegenüberstellung von rekonstruktiven und standardisierten Verfahren. Rekonstruktive Verfahren zeichnen sich dadurch aus, dass sie erst im Forschungsprozess selbst ausgearbeitet und mit Blick auf die eigenen Vorgehensweise präzisiert werden. Es besteht weiterhin keine deduktive Beziehung zwischen Forscherinnenerfahrung und methodologischer Begrifflichkeit, ebenso ist die Beziehung zum Gegenstand durch kontrolliertes Fremdverstehen und Interpretation gekennzeichnet, nicht durch ein kausales Verständnis von „Verstehen“ und/oder „Erklären“.
96 se, sondern als Grundlage zur Beantwortung der Frage: Wie wird durch die Anwendung sprachlicher Zeichen sozialer Sinn hergestellt? Damit ist die Empirie weder im engeren noch im weiteren Sinne mit dem Terminus „messen“ gleichzusetzen, ebenso wenig wie die empirische Analyse darauf abzielt, quantifizierende Prognosen zu erstellen. Vielmehr zielt sie darauf ab, die wissenschaftliche Praxis im Zuge der Textproduktion verstehend nachzuzeichnen und diese im Hinblick auf die jeweils spezifische Verwendung scheinbar kennzeichnender Kategorien – hier Raum und Geschlecht – hin zu untersuchen resp. zu interpretieren. Dazu wird ein analytisches Basisverfahren angewendet, das eine Sensibilisierung für die vielfältige Versprachlichung von Sinn postuliert und für die Reflexion der Forscherinnentätigkeit steht. Dies ist der Erkenntnis geschuldet, dass die Konzentration der klassischen linguistischen Textanalyse auf Sprache als Mittel des Denkens und Sprechens grundsätzlich zu einer Vernachlässigung der Versprachlichung als Mittel des Handlungsvollzuges führt. Die Praxis der Versprachlichung versteht sich im Zuge rekonstruktiver Methoden als Verkörperung von Wissen in routinierten Handlungsmustern, die dazu dienen, symbolische Ordnungen zu aktualisieren, womit die Rekonstruktiven Methoden den Practical Turn in der Sozialforschung vollziehen. 10.1 Rekonstruktive Methoden der Sozialforschung Die qualitative Sozialforschung erhebt den Anspruch, durch die Analyse erhobener Daten soziale Wirklichkeit verstehend nachzuzeichnen. Damit unterliegt sie zwei grundsätzlichen Herausforderungen, die durch Rekonstruktive Methoden nicht überwunden, sondern akzeptiert und reflektiert werden. Verstehen ist nicht die Wiedergabe des Sinns anderer, sondern der „Vorgang (…), der einer Erfahrung Sinn verleiht“ (Hitzler 1993, zit. in Kruse 2010:19) und damit einen Prozess der Bedeutungsgabe und der Sinnkonstruktion darstellt (Kruse 2010:19). „Sinn verstehen“ ist im Zuge dessen immer Sinnzuschreibung und zwar zunächst einmal die Zuschreibung des eigenen Sinns. Das heißt, dass Sinnzuschreibung also erstens vor dem eigenen Relevanzsystem, zweitens vor dem Hintergrund eigener Verstehensleistungen erfolgt und damit drittens paradoxerweise nur erfolgen kann, wenn schon etwas verstanden wird. Zudem nehmen Forscherinnen im Kontext der Analyse nicht alle sprachlich-kommunikativen Phänomene als gleich wahr, sondern erachten einige als wichtig, andere werden ausgeblendet. Mit dieser Erkenntnis muss sich qualitative Forschung mit der berechtigten Kritik am hermeneutischen Zirkel auseinandersetzen, da das Neu-zu-Verstehende zunächst einmal Verstehen des eigenen Vor-Wissens darstellt. Rekonstruktive Methoden akzeptieren das Problem des Fremdverstehens und beziehen dies konsequent in die Forschungsarbeit mit ein. Einen Ausweg aus dem eigenen Wissens- und Relevanzsystem gibt es nicht, aber es gibt die Sensibilisierung für das eigene am Fremdverstehen und es braucht Methoden, die eine möglichst große Offenheit bei der Analyse des Textmaterials vorsehen. Jan Kruse (2010) lehnt mit Bezug auf Ralf Bohnsacks (2001, 2010) dokumentarischer Methode aus diesem Grund Kategorien der Inhaltsanalyse ab und plädiert für die Suche der Irritation. Denn der Weg zum Fremden ist der Bruch mit dem altbekannten Sinnsystem. Mit dem Ziel zu rekonstruieren, was ein Begriff bzw. ein Konzept für die Sprecherinnen bedeutet, setzt Verstehen zunächst ein-
Route 2: Geographien als Versprachlichung
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mal am Nichtverstehen an. „Wer im Forschungsprozess nicht mannigfaltige Situationen der Irritation verspürt und diese Irritation zum Anlass der Reorganisation des eigenen Relevanzsystems nimmt, forscht tautologisch“ (Kruse 2010:27). Forschungspraktisch bedeutet dies, dass man im Zuge Rekonstruktiver Sozialforschung vor allem etwas über sich selbst als Forscherin erfährt (vgl. Kruse 2009), was im Rahmen einer engagierten Wissenschaftsforschung nicht unbedingt als Nachteil empfunden wird. Neben dem Problem des Fremdverstehens muss qualitative Forschung die Indexikalität der Sprache berücksichtigen. Das heißt, dass Wörter lediglich Indikatoren für Hinweise auf Bedeutungen sind, was eine radikale Abgrenzung zur hermeneutischen Wissenssoziologie bedeutet. Die Bedeutungen sind nicht automatisch mit den Ausdrücken verbunden, sodass die Hörerinnen/Leserinnen eine interpretative Leistung erbringen müssen, um die Äußerungen zu verstehen. Wenn also die Bedeutung eines Begriffs nicht in sich selbst, sondern nur durch den konkreten Zeichengebrauch in Relation zu anderen Begriffen entsteht, hat dies Konsequenzen für das analytische Vorgehen. Da Bedeutungen den Begriffen nicht immanent sind und Begriffe verschiedene Bedeutungen aufweisen (Beispiel Amerikaner – Person, Gruppe, Essen, Krieg), ist Verständigung nur durch die Referenz auf andere Begriffe möglich, zu denen der Begriff in Relation steht. Obwohl trotz aller Vieldeutigkeit eines Begriffs niemand beim Begriff „Amerikaner“ eine Nadelbaumsorte assoziieren würde – es also anscheinend Grenzen der Vieldeutigkeit und somit kollektive Generalisierungen gibt – kann erst mit Betrachtung des semantischen Netzwerkes (Index) und der komplexen Entschlüsselung indexikaler Begriffe der Sinn erschlossen werden. Die dokumentarische Frage, „Wofür steht ein Begriff?“ (vgl. Bohnsack 2001) ist dabei forschungsleitend und bildet das Bindeglied zwischen Analyse und Interpretation. Aufgabe der interpretativen Sozialforschung ist es, Kommunikationssituationen zu eröffnen, um Indexikalität fern vom eigenen Relevanzsystem zu ermöglichen. Hier setzen Rekonstruktive Methoden an Harold Garfinkels ethnomethodologischen Studien an. Sie führen zu einer „Befremdung der eigenen Kultur“ (Amann & Hirschauer 1997, zit. in Kruse 2010:33), setzen Fremdverstehen voraus und knüpfen an die Grounded Theory49 an, die das Prinzip der Offenheit gegenüber dem Datenmaterial einlöst. Dies hat zur Folge, dass keine Hypothesen an den Text herangetragen werden dürfen sowie das eigene Vorwissen zurückgestellt werden muss, um eine Vielzahl von Lesarten des Textes zu ermöglichen. Damit erfüllen Rekonstruktive Methoden den Anspruch an die Kontrolle des methodischen Fremdverstehens durch das Befremden des eigenen Normalitätshorizontes (Amann & Hirschauer 1997), durch Rücknahme von Deutungen und Verzicht auf ergebnisorientierte Forschung. Das führt insgesamt zu einer Verlangsamung des Analyseprozesses, die es braucht, um Deutungsmöglichkeiten entwickeln zu können. Die methodische Umsetzung der Verlangsamung erfolgt durch die sequenzielle Analyse des Erhobenen. Das heißt, dass Wort für Wort, Satz für Satz, Zeile für Zeile bzw. Absatz für Absatz deskriptiv 49
Der Grounded Theory wird vor allem innerhalb ihrer deutsch-sprachigen Rezeption immer wieder unterstellt, ein streng induktives Verfahren zu sein, das ihr das Label der Theorielosigkeit eingebracht hat. Jedoch verweisen auch Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss (1992) auf sensibilisierende Konzepte innerhalb der Sozialforschung, um den Blick zu strukturieren. Wenn Rekonstruktive Methoden also auf die Grounded Theory verweisen, dann nicht mit Wunsch nach theorielosem Forschen, sondern mit Rücksicht auf eine möglichst weite Offenheit der analytischen ‚scanner‘, die an den Text herangetragen werden.
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Route 2: Geographien als Versprachlichung
beschrieben wird. Diese Methode scheint zunächst einer radikalen linguistischen Methode zu folgen, ermöglicht aber durch die mikrosprachliche Feinanalyse eine Zentrierung auf das Erhobene und schließt eine Vorselektierung des Datenmaterials aus50. 10.2 Von der Sprache zur Versprachlichung Ein solches Vorgehen ist nur dann nachvollziehbar, wenn erstens angenommen wird, dass sich Texte durch sprachlich-kommunikative Phänomene zusammensetzen, dass diese zweitens einen Sinn herstellen, dass heißt, dass es einen Zusammenhang zwischen Sprache und Erkennen gibt, und dass damit drittens Sprache ein mächtiges Instrument zur Konstruktion der Wirklichkeit darstellt. Ekkehard Felder (2006:2) zeigt in seinem umfangreichen Sammelband mit Bezug zu unterschiedlichen Disziplinen die Breite der erkenntnisformenden Kraft sprachlicher Zeichen und macht deutlich: „Wer auf die Welt mit Sprache zugreift und damit Sachverhalte schafft, der deutet sie unvermeidlich durch die Auswahl spezifischer sprachlicher Mittel. Der Sprachgebrauch prägt die Sachverhaltskonstitution“. Zudem postulieren Rekonstruktive Methoden, dass die gewählten Versprachlichungen keine Zufälligkeiten, sondern Konsequenzen des performativen Aktes darstellen. Damit basieren Rekonstruktive Methoden auf einer Sinnhaftigkeitsunterstellung, nach der ein Text erstens für die Sprecherinnen Sinn ergibt, diese zweitens aus einem Pool von Versprachlichungsmöglichkeiten die verwendeten textlichen und bildlichen Versprachlichungen auswählen und diese Auswahl drittens nicht willkürlich ist. Diese Annahme hat den Rekonstruktiven Methoden dahingehend Kritik eingebracht, dass diesem Ansatz mit Blick auf Lebensstilgruppen, die voraussichtlich über einen weniger umfangreichen Sprachwortschatz verfügen, Grenzen gesetzt sind. Diese Kritik kann nachvollzogen werden, es kann jedoch hinsichtlich der hier analysierten Wissenschaftscommunity davon ausgegangen werden, dass erstens ein umfangreicher Sprachwortschatz vorliegt und zweitens vor allem der Prozess des wissenschaftlichen Schreibens (gegenüber dem spontanen Sprechen in Interviewsituationen) mit einer tiefgründigen Auseinandersetzung mit Versprachlichung einhergeht. Rekonstruierende Verfahren gehen davon aus, dass Versprachlichungen stets noch einen weitergehenden Sinn als das rein Gesagte mittransportieren, womit das Gesagte und das Gemeinte zwei Ebenen darstellen, die erst innerhalb des Interaktionsprozesses in Verbindung gebracht werden. Im Zuge dessen unterscheiden Rekonstruktive Methoden zwischen der Sprache (langue) als Wörtlichkeit des Zeichens (Was-Ebene – denotativ) und der Versprachlichung (parole) als Umsetzung von Bedeutung (Wie-Ebene – konnotativ), wobei nicht die Sprache an sich, sondern die Versprachlichung die Bedeutung im Kontext mit anderen Versprachlichungen entstehen lässt. Kruse (2010:164) verweist zur Verdeutlichung dieses Aspektes auf die Ironie. Sie ist ein prädestiniertes Beispiel dafür, wie die Bedeutung durch die Rede/den Redestil und nicht durch 50
Auch wenn die Sequenzanalyse keine Vor-Selektierung vollzieht, soll an dieser Stelle der Weg der Datenerhebung reflektiert werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Analyse nicht alle existierenden wissenschaftlichen Texte zum Thema Bevölkerung und Binnenmigration vorliegen und somit eine Selektion bereits vor der Analyse besteht.
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die Zeichen entsteht. In diesem Sinne könnte zum Beispiel die Verwendung unpersönlicher Ausdrücke (z. B. „es heißt, dass“, „es wird davon ausgegangen“) nicht bloß als allgemeiner Bezug, sondern als Neutralisierung des Handlungsvollzugs interpretiert werden; Axiome sind Grundannahmen, die keines Beweises benötigen und damit Grundlogiken des Denkens aufdecken, hingegen Argumentationsketten als Mittel der Überzeugung für Überzeugungsnötiges dienen und Metaphern keine blumigen Redewendungen, sondern versprachlichte Formen des Denkens sind. Ein solcher Zugang der Textanalyse wird der Forderung gerecht, dass Bedeutung durch den Kontext des Sprechens in Bezug zu anderen Begriffen entsteht und erfordert eine hohe Sensibilität der sprachlich-kommunikativen Phänomene und somit vor dem Analyseprozess eine intensive Auseinandersetzung mit linguistischen Phänomenen. 10.3 Heuristiken als Zugang zum Text Das Prinzip der Offenheit verlangt das Zurückstellen des eigenen Hintergrundwissens sowie das Vermeiden von Hypothesenüberprüfung am Text. Sicherlich ist dies ein vielversprechender Zugang zum Erhobenen, jedoch muss betont werden, dass kein Forschungsprozess ohne Vorwissen beginnt. Allein die Fragestellung am Anfang eines Forschungsprozesses und das sich daran anschließende Literaturstudium sind Folgen der eigenen Positionen und damit ein Abbild eigener Interessen, Wünsche und Sichtweisen. Aus diesem Grund kann es nicht genügen, nur theoretisch auf das Vorwissen und die notwendige Reflexion zu verweisen, sondern dies muss auch analytische Konsequenzen nach sich ziehen. Da sich nicht von selbst zeigt, was ein sprachlich-kommunikatives Phänomen ist, stellt sich die Frage, „Wie man sprachliche Phänomene sehen lernt?“. Dies bedarf umfangreicher Kenntnisse der Linguistik und ihrer Kategorisierungen, die letztendlich als analytische Scanner fungieren (siehe Tabelle 4). Da diese Scanner die Gefahr von Leseroutinen beinhalten, müssen sie möglichst offen gestaltet sein, um als grobe Wegweiser zu dienen. Rekonstruktive Methoden schlagen mit Bezug zur Grounded Theory51 und Gabriele Lucius-Hoene & Arnulf Deppermann (2002:55ff) die Verwendung von Interpretationsleitfäden und Heuristiken vor, die gegenüber Kategorien (z. B. Geschlecht, ostdeutsch) einen Raum für vielseitige Deutungsmöglichkeiten bieten und damit Sinn aus dem Text eruieren anstatt hineinzulegen. Der Anspruch an eine Analyse der Diskurse und Dispositive, die nicht allein nach den strukturellen Regeln der Aussage fragt, sondern vor allem auf den Kontext der Aussage sowie auf die machtvollen Bedingungen der Aussage abzielt, lässt die Frage aufkommen, wie Rekonstruktive Methoden der Sozialforschung für eine Diskurs- und Dispositivforschung fruchtbar gemacht werden können. Wie kann von einer textlinguistischen Feinanalyse der Versprachlichung auf die übergeordneten Denkmuster geschlossen wer51
Glaser und Strauss (1978, zit. in Titscher 1998) schlagen Kodierfamilien vor wie C-Familien (causes, constraints), Prozess-Familie (Stadien, Verläufe, Karrieren), Grad-Familien (Ausmaß, Grenzwert, Niveau), Strategie-Familien (Taktik, Techniken, Mechanismen), Interaktions-Familie (Beziehungen, Wechselwirkungen), Typen-Familie (Typen, Klassen, Genres), Identität-Familie (Identität, Selbst- u. Fremdbilder), Kultur-Familie (Normen, Werte), Konsens-Familie (Homogenität, Kompromiss), Mainline-Familie (Übereinstimmung, Sozialisation, soziale Kontrolle) (Kruse 2010:190ff).
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Route 2: Geographien als Versprachlichung
den? In diesem Sinne ist hervorzuheben, dass die vorgeschlagenen mikroanalytischen Zugänge zum Text nicht allein für Einzelfallanalysen dienen, sondern durch eine Längsund Querschnittsauswertung mit Bezug auf häufig(er) auftretende mikrostrukturelle Versprachlichungen innerhalb des Textes auf die Bildung von typischen Motiven, typischen Thematisierungsregeln somit auf den typischen Umgang mit gesellschaftlichen Phänomenen dienen und damit den Anspruch erheben, von mikrostrukturellen Mustern auf makrostrukturelle Motive schließen zu können. Damit bilden Motive und Thematisierungsregeln ein Instrument, um von der wissenssoziologischen zur diskurs- und dispositivanalytischen Forschungsperspektive überzugehen. Denn Motive sind die Regeln des Diskurses sowie der wissenschaftlichen Prozeduren, die dessen Ausübung regeln. Es geht nicht darum, die unermessliche Menge von Aussagen zu untersuchen, sondern um die Regelmäßigkeit bestimmter Aussagen in einem bestimmten Feld, die sich als Motiv zeigen. Die Längs- und Querschnittsanalysen geben erste Hinweise auf überindividuelle Motive und Thematisierungsregeln, die als diskursive und dispositive Organisation gelesen werden können. Dennoch ist es nicht möglich, aufgrund von Längs- und Querschnittsanalysen auf die zugrunde liegenden Raum- und Geschlechterlogiken zu schließen. Hierfür hat sich die Analyse der in wissenschaftlichen Texten verwendeten Argumentationen und Metaphern als fruchtbar erwiesen. Auch innerhalb der Rekonstruktiven Methoden finden Argumente und Metaphern auf semantischer Ebene als Durchsetzungsstrategie und Wiedergabe kognitiver Organisation Beachtung und dies hat das Interesse an Argumenten und Metaphern für diese Arbeit inspiriert, um eine der zentralen Forschungsfragen zu beantworten, „Wie setzen sich Diskurse als wahr durch?“. 10.4 Rekonstruktion in der Praxis Die mikrosprachliche Feinanalyse beginnt zunächst mit einer Segmentierung des Materials entlang von Gliederungspartikeln, Pausen, Absätzen, Themenwechsel und/oder Rahmenschaltelementen (z. B. dann, aber dann, also, deswegen). Dieses Vorgehen rekurriert auf die Annahme, dass die Versprachlichung im Allgemeinen einem Linearisierungsprozess von kognitivem, eher nicht linearem Denken unterliegt. Daraufhin erfolgt die schrittweise Beschreibung der sprachlich-kommunikativen Phänomene, wobei der Eingangspassage besondere Bedeutung zukommt, da sie die verdichtete Kernaussage darstellt. Die Beschreibung der sprachlichen Phänomene erfolgt mit Blick auf drei Aufmerksamkeitsebenen: Semantik, Syntax52 und Pragmatik. Die erste Aufmerksamkeitsebene bezieht sich auf einen verkürzten Semantikbegriff durch die Konzentration auf die Ebene der Lexik bzw. Wortwahl, wie zum Beispiel der Metaphorik, Benutzung von Redewendungen, Allegorien oder Fachsprache. Sie bezieht sich damit auf die kogni52
Zum Teil findet sich in der Literatur eine synonyme Verwendung der Begriffe Syntaktik und Syntax, zum Teil jedoch auch eine Unterscheidung. Andrea Linke, Markus Nussbaumer und Paul R. Portman (2004) weisen darauf hin, dass die Unterscheidung bei Charles W. Morris (1988 [1938]) im Wesentlichen darauf beruht, dass er im Gegensatz zu de Saussure unter Zeichen nur den Signifikanten, nicht aber die Verbindung von Signifikant und Signifikat versteht. Im Zuge dessen hat Morris‘ Syntax-Begriff nichts mit der Bedeutung oder der Funktion von Zeichen zu tun.
Route 2: Geographien als Versprachlichung
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tive Linguistik, die Bedeutungskonstruktionen als nicht nur sprachlich, sondern auch bildlich strukturiert versteht. Die zweite Ebene betrachtet auf der Wortebene (Wortsyntax) die Verwendung von Pronomina, Negationen, Passivkonstruktionen, reflexiven Verbkonstruktionen. Auf der Satzebene (Satzsyntax) liegt das Interesse darin, herauszufinden wie Sprache vertaktet wird, welche grammatikalischen Besonderheiten den Satz gestalten und welche Abhängigkeiten zwischen den Satzgliedern bestehen. Daneben können aber auch auf einer Textebene (Textsyntax) die Kombinationsregeln der Satzzusammenstellung im Mittelpunkt stehen. Die Rekonstruktiven Methoden der Sozialforschung haben wenig Interesse an der Textsyntax; dennoch soll dieser Aspekt mit Blick auf die zuvor erläuterte Route 1 innerhalb dieser Arbeit Beachtung finden. Die dritte Ebene wirft einen Blick auf die Interaktion zwischen Sprecherinnen und Hörerinnen/ Leserinnen im Zuge ihrer Selbst- und Fremdpositionierungen. Das lässt einerseits auf Beziehungsstrukturen und damit auf Ein- und Abgrenzungsprozesse schließen. Andererseits bietet dies einen Blick darauf, wie eine Erzählperson andere narrative Figuren in Szene setzt, um sich gegenüber diesen zu positionieren, womit interaktive Beziehungen definiert werden. Diese drei Aufmerksamkeitsebenen werden durch die Konzentration auf Erzählfiguren (Stilfiguren, Redestil usw.) ergänzt, die durch sprachliche Strategien der Erzähldynamik auf Muster der Performanz Hinweise geben (Kruse 2010:166). Ziel der Beschreibung ist es, zu verfolgen, ob sich sprachliche Phänomene verdichten, wiederholen beziehungsweise Konsistenten und Brüche zum Vorschein kommen. Erst anschließend erfolgen ein erster Analysedurchgang, der den sprachlichen Vollzug von Wirklichkeit mit Blick auf die drei Aufmerksamkeitsebenen nachvollzieht sowie ein zweiter Analysedurchgang, der auf die Verdichtung und Bündelung von Motiven und Thematisierungsregeln abzielt, um im Hinblick auf die Dichte-Beschreibung der sprachlich-kommunikativen Phänomene Interpretationen anbieten zu können. Als zentrales Motiv werden hier konsistente Bündel von verschiedenen sprachlich-kommunikativen Phänomenen verstanden, die nicht im psychologischen Sinne als Handlungsmotiv (Um-zu-Motiv), sondern als wiederholte textliche und visuelle Bilder zu interpretieren sind. Damit entspricht diese Verwendung des Begriffs Motiv eher der Verwendung im fotographischen Sinne als Bildmotiv oder im gestalterischen Sinne als symbolische Figur. Diese (Bild)motive sind „sprachlich-kommunikative Bündel aufeinander verweisender und (…) im [Text] wiederkehrender, besonders sprachlicher Wahlen bzw. Selektionen, die (…) [den Text von anderen Texten] unterscheiden oder gerade auch als analog ausweisen“ (Kruse 2010:170ff). Mit Bezug zur dokumentarischen Methode (Bohnsack 2001) sind sie somit ein Hinweis auf etwas, „das anstelle und im Namen des vorausgesetzten, zugrundeliegenden Musters“ stehen (Garfinkel 1973:199, zit. in Kruse 2010:173) und anzeigen, was thematisiert wird. Neben der Erarbeitung der zentralen Motive geht es im Zuge Rekonstruktiver Methoden auch darum, wie die Erzählperson thematisiert, was sie versprachlicht und wie sie was aufgrund von Thematisierungsgrenzen nicht thematisch versprachlicht. Thematisierungsregeln sind dabei den Erzählfiguren der vier Aufmerksamkeitsebenen ähnlich, gehen jedoch über diese hinaus, denn Thematisierungsregeln können Erzählfiguren umfassen, verweisen jedoch auf eine übergeordnete Struktur der Versprachlichung und sind damit Diskursivierungsregeln (Dualismen, Unterschiedlichkeit, Nominalismen, Individualisierung, Spannung). Die Nicht-Thematisierung (z. B.
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Route 2: Geographien als Versprachlichung
von Weiblichkeit innerhalb eines männlichen Diskurses) verweist auf Tabus, persönliche bzw. diskursive Grenzen der Versprachlichung und ist damit ein Hinweis für Unsagbares und Undenkbares. Diese herausgearbeiteten Motive und Thematisierungsregeln bilden die Basis für eine Interpretation, die gleichzeitig den Abschluss der Analyse des Textes darstellt. Rekonstruktive Methoden haben diesen Prinzipienkatalog und schrittweise angelegten Verfahrensprozess entwickelt, um innerhalb des Forschungsprozesses möglichst spät mit der Interpretation des Erhobenen zu beginnen. Dennoch besteht trotz aller Prinzipien der Offenheit, Verlangsamung und Datenzentrierung die Gefahr, dass Wissenschaftlerinnen die Fülle des Datenmaterials aufgrund der Vorannahmen, Vorerfahrungen oder eines ausgiebigen Literaturstudiums nicht erkennen. Daher sieht die Rekonstruktion für beide Analyseschritte die Arbeit einer Analysegruppe vor, die aus am Forschungsprozess unbeteiligten Personen aus möglichst unterschiedlichen Disziplinen, Praxisfeldern und/oder Wirklichkeitsperspektiven besteht. Dies ermöglicht einen breiteren Zugang zum Text und unterstützt zusätzlich die Reflexivität der Forscherinnen. Die Aufgabe der Analysegruppe ist dabei nicht nur, an der Analyse und Interpretation zur Unterstützung beizutragen, sondern auf andere neue unentdeckte Aspekte und ‚auch mögliche‘ Interpretationen aufmerksam zu machen und vorschnellen Interpretationen der Forscherinnen einen Riegel vorzuschieben (Lucius-Hoene & Deppermann 2002:322). In diesem Projekt wird auf die Arbeit der Analysegruppe sehr großen Wert gelegt und diese nur durch die Segmentierung des Erhobenen sowie durch die Beschreibung der sprachlichen Phänomene vorbereitet. Ein Exposé zum Forschungsvorhaben sowie zu Prinzipien und Verfahren der Rekonstruktiven Methoden ermöglicht der Gruppe einen Einstieg in das Ziel der Arbeitsgruppe, die sich insgesamt dreimal trifft und jeweils aus drei Personen besteht. Die Teilnehmerinnen der Analysegruppe sind versierte sozialgeographische und/oder differenzphilosophische Sozialwissenschaftlerinnen, die jedoch mit den Themen Bevölkerung, Migration, Binnenmigration, Ost- und Westdeutschland nicht vertraut sind. Zudem sind alle Teilnehmerinnen Schweizerinnen und somit wenig konfrontiert mit den Diskursen über Ost- und Westdeutschland, Ossis und Wessis, Schrumpfung und/ oder Alterung. Es sei hier noch erwähnt, dass die Interpretationen in der Analysegruppe durch die Verwendung eines etymologischen Wörterbuches, eines Dudens, eines Fremdwörterbuches sowie mithilfe des Online-Sprachservice canoo.net erfolgen. Besonders canoo.net, das durch die Zusammenarbeit von Mitarbeiterinnen der Universität Basel (Language & Information Lab.), der Vrije Universiteit Amsterdam (Metaphers Lab.), des IDSIA Lugano (www.idsia.ch) und der Canoo Engineering (www.canoo.net) als morphologisches Online-Wörterbuch entsteht und auf verschiedene Wörtersammlungen zurückgreift, stellt sich als vielversprechende Unterstützung zur Interpretation der sprachlichen Phänomene heraus.53
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Ein Lexikographinnenteam prüft alle 250 000 Einträge, die insgesamt über drei Mio. Wortformen entsprechen.
Route 2: Geographien als Versprachlichung
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Bedeutung
sprachlich-kommunikative Phänomenalisierung
Situativer Kontext
Der Bezug zu Zeit und Raum wird anhand semantischer Analysen herausgearbeitet und ist für die subjektive Weltsicht bedeutsam
Tempus: früher, damals, dann, danach, mittlerweile, zukünftig, stets, (linear), erneut, immer wieder (zirkulär), nie (statisch), gleichzeitig (parallel), Verben: Passivverben, Zustandsverben, reflexive Verben, Gegenwartsverben, Passiv-Aktivkonstruktionen, Abstrahierungen, Konkretisierungen, Deixis: hier, jetzt, ich, wir, Leipzig, Europa
Deutung von Welt
Jedes Subjekt ist in einen sozialen Kontext eingebunden und es gibt Einstellungen dazu, wie diese Welt funktioniert
natürlich, klar, halt (naturalistisch, ontologisch); die Gesellschaft, wie man das halt so macht (sozialer Art); Funktionen, Mechanik (technischer Art)
Ordnung von Welt
Wie der ‚richtige‘ Weg der Welt gedeutet wird, gibt Hinweise auf die ‚richtige‘ Ordnung der Welt.
„daher muss man„, „es geht doch nicht, dass“
Brüche/ Inkonsistenzen
Stellen Gegenpol zu Ordnungen dar, z. B. deiktische Wörter
kein, aber, doch, sondern, jedoch, nein
Adversionen
Verweisen auf subjektive und diskursive Ordnungsstrukturen
…, aber …, gleich wie …, ... jedoch
Positionierungen (PositioningAnalyse)
Verweisen auf die sozialstrukturelle und sozialräumliche Verortung von sich selbst und anderen
Kompetenzen, Motive, Ressourcen, Merkmale von Personen und Orten
Agency
Repräsentation der Wirkmächtigkeiten (Wer handelt und trägt zu Ereignissen bei?)
„man macht das so“ (kollektiv); „die anderen sagen immer“ (Aktivierung anderer); „ich denke“ (individualisiert); „wie das so ist“ (konsensual)
Thematisierungsregeln
Wirken des Diskurses im Einzelnen (Individualisierung, Normalisierung, Homogenisierung, Naturalisierung, Realisierung, Hierarchisierung, Theoretisierung, Operationalisierung, Neutralisierung, Exklusionsmechanismen)
„einzelne Personen mögen dies nicht tun“, „aber ansonsten scheinen alle“, „der ostdeutsche Nettoverlust“, „es wird deutlich“, „die Berechnungen des Bundesamtes zeigen“, „die Altersgruppierung“
Kollektivität
Kollektive Bezüge verweisen auf Ein- und Ausschlussmechanismen.
„wir“, „die Deutschen“, „die weiblichen Migraten“,
Argumente
Begründungspflichtiges verweist auf das, was normal und nicht normal ist, was ausgehandelt/ verteidigt werden muss, Selbstverständliches muss nicht begründet werden.
…, weil, …, da
Kulturelle Sinnmuster verweisen auf diskursive Muster.
Wegmetaphorik: alle gehen nach drüben, Sterbemetaphorik: ausbluten, sterben, aussterben, Oben-unten-Metaphern: Aufholprozess, Gefäßmetaphern: Heimholen, Strukturmetapher: Schrumpfung, Wanderungswellen, Romantische Metaphern: wie auf einer Wolke, blühende Landschaften, Funktionale Metaphern: funktionieren wie ein Uhrwerk, Motor der Entwicklung
Argumentationsanalyse)
Metaphern (Metaphernanalyse)
„Das ist so!“, halt, immer, stets, einfach
Tabelle 4: Zentrale Scanner der Textanalyse (nach Lucius-Hoene & Deppermann 2002)
11 Route 3: Erzählte Geographien als Metapher
Bei der Erfassung der sprachlichen Phänomene im Zuge der Rekonstruktiven Methoden der Sozialforschung zeigt sich, dass Metaphern im erhobenen Material stark vertreten sind. So zum Beispiel bringen „Wanderungsschübe“, „Sogwirkungen“ und „Abwanderungswellen“ seit 1990 den „Verjüngungsprozess“ der ostdeutschen Bevölkerung zum „Erliegen“, „Rückholagenturen“ und „Kontaktbörsen“ sollen die abgewanderten „Landeskinder“ wieder „heimholen“, um „Fachkräfte zum Aufbau“ der Regionen zu haben, wo man den „Eindruck hat in einem Land an der Peripherie mit Regen und Wolken zu wohnen“. Vertreterinnen der Metapherntheorie halten fest: „Wer auch immer denkt, strukturiert den Kosmos seines Bedeutungsuniversums durch Metaphern“ (Buchholz 1998:7). Mithilfe von Metaphern und ihren Ausprägungsformen als Metonyme, Synekdochen sowie der Ironie lassen sich Ereignisse/Phänomene/Gegenstände usw. anhand des bildlich-symbolischen Diskurses beschreiben. Das ermöglicht einen Zugang zu den Grundlogiken des Denkens, Schreibens und letztendlich des Forschens. Dieser Zugang zu Metaphern weist auf ein neues Verständnis von Metaphern hin als es die Literaturwissenschaft bis in die 1980er-Jahre bestimmt. Metaphern werden lange Zeit als zusätzliche rhetorische Mittel der Wortsubstitution verstanden. In diesem Sinn dienen sie der „Ersetzung einer primären semantischen Texteinheit durch eine sekundäre, die zu jener in eine Abbild- oder Ähnlichkeitsrelation gesetzt wird“ (Schmitt 1995:66). Neue Ansätze der Metapherntheorie, die sich vor allem auf George Lakoffs und Mark Johnsons Werk „Metaphors we live by“ (1980) beziehen, verstehen hingegen Metaphern nicht mehr als Instrument der Spracherweiterung, sondern als Element des Denkens und damit als Spiegel kognitiver Sinnordnungen. Sie gehen davon aus, dass Menschen ihren Alltag konzeptionell strukturieren und dass dieses Konzept im Wesentlichen metaphorisch ist. 11.1 In Metaphern denken und sprechen Die erste Thematisierung der Metapher als unverzichtbares Phänomen von Denken und Sprechen erfolgt schon in Karl Bühlers Sprachpsychologie (1934, zit. in Schmitt 2010:676). Darin weist Bühler der Metapher vier Funktionen zu und bietet damit Anknüpfungspunkte für eine praxisorientierte Sprachwissenschaft. Danach ermöglichen
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Route 3: Erzählte Geographien als Metapher
Metaphern erstens die Beschreibung neuer Sachverhalte, zweitens die dramatische Charakterisierung, drittens die Darstellung von Unbekanntem durch Bekanntes und viertens die Thematisierung tabuisierter Angelegenheiten. Obwohl sich Jean Piaget in seiner Entwicklungspsychologie auf die Metapher bezieht, kann sich Bühlers Ansatz in den 1930er-Jahren nicht durchsetzen. Die Metapher wird weiterhin nur als sprachliches Mittel der Prosa und als semantische Anomalie (Hörmann 1972) wahrgenommen. Das Interesse an der Metapher wird erst wieder mit den Arbeiten des Linguisten George Lakoff und des Sprachphilosophen Mark Johnson in den 1960er-Jahren geweckt und erfährt bis heute vielseitige Erweiterungen und analytische Anwendungen (vgl. Buchholz 1993, Radman 1996, Gibbs 1997, Wagner 1997, Schmitt 2009). Die neue Metapherntheorie geht davon aus, dass Menschen spezifische Erfahrungen in ihrer Lebenswelt sammeln und diese auf fremde Situationen übertragen. Das heißt, dass das Abstrakte mithilfe des konkret Erlebten verstanden wird (Schäffner 1996:32, zit. in Hülsse 2003:218), indem alltägliche Begriffe und Vorstellungen durch Metaphern auf ein abstraktes Phänomen projiziert werden. Diese werden dabei quasi neu erfunden und dennoch als selbstverständlich empfunden54. Damit ist die Metapher ein Instrument um die bekannten Eigenschaften eines ‚Gegenstandes‘ auf einen anderen unbekannten ‚Gegenstand‘ zu übertragen. Durch die Metapher wird somit „etwas Abstraktes, Unbekanntes bzw. Un-Fassbares, nicht Be-Greifbares (…) übersetzt in konkrete, bekannte Zusammenhänge“ (Kruse et al. 2011:65). Damit wird eine erste zentrale Eigenschaft von Metaphern sichtbar: sie erweitern die Möglichkeiten, über ‚Dinge‘ in der Welt zu sprechen. Gleichzeitig aber schränken sie diese Möglichkeiten wiederum ein, da sie die Eigenschaften des Ziel‚gegenstandes‘ auf die Eigenschaften des bildgebenden ‚Gegenstandes‘ reduzieren. Dies Funktion, Bekanntes auf Unbekanntes zu übertragen, macht die Metapher zu einem interessanten ‚Gegenstand‘ der Wissenschaftsforschung. Erstens sind alle Theorien metaphorisch, um die Komplexität zu reduzieren und um sie im Zuge dessen fassbarer und verständlicher zu machen. Zweitens bedarf es zum Verstehen neuer Konzepte – vor allem für die Kommunikation außerhalb der wissenschaftlichen Community – eines Rekurses auf die Alltagssprache und damit auf bekannte Versprachlichungen. Drittens bestätigt sich im Zuge dessen die Aussage- und Erklärungskraft, was dazu führt, dass Metaphern nicht nur eine erkenntnistheoretische, sondern auch eine programmatische und soziale Funktion bei der Herausbildung von Denkschulen besitzen. „Durch sie wird eine wissenschaftliche Gemeinschaft konstituiert, die sich darauf verständigt, einen Gegenstand in einem bestimmten Licht zu sehen und ihre Analysen entsprechend dieser Konzeptualisierung vorzunehmen“ (Kruse et al. 2011:89). Neben der Übertragung des Bekannten auf Unbekanntes als Gegenentwurf zur Substitution geht die Metapherntheorie zweitens davon aus, dass es sich bei Metaphern nicht um Mittel der Sprache, sondern um Versprachlichungen des Denkens handelt; der Metapherngebrauch also das menschliche Denken wiedergibt. Nach Lakoff und Johnson reden Individuen in Metaphern, weil sie vergleichend denken. Dabei ist jedoch 54
Rainer Hülsse (2003) zeigt eindrucksvoll am Beispiel der Metaphernverwendung innerhalb der EU-Debatte, dass die EU als Familie einerseits Familiarität auf etwas Abstraktes überträgt andererseits aber auch definiert, wer zur Familie gehört und wer nicht.
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drittens zu betonen, dass die Metaphern kein individuelles, sondern ein soziales intersubjektives Element des Sprechdenkens sind, was sie für die Diskurs- und Dispositivanalyse anschlussfähig macht. Denn sicherlich muss jede Metapher einmal ‚erfunden‘ worden sein, jedoch können sich einige Metaphern durchsetzen und andere verblassen nach ihrer Verwendung oder über die Zeit hinweg. Die Metaphern, die sich durchsetzen, durchlaufen eine fortschreitende Habitualisierung und werden von immer mehr Menschen zur Deutung von Phänomenen benutzt, bis diese völlig lexikalisiert sind und der metaphorische Ursprung verblasst ist. Eine solche Metapher hat dann weniger mit Kognition als vielmehr mit dem Diskurs zu tun, in dem sie eingebettet ist und den sie wiedergibt. Die Metaphernverwendung erfolgt also nicht individuell, sondern automatisch, da der Diskurs‚gegenstand‘ nicht anders gedacht werden kann. Und gleichzeitig fungieren Metaphern damit als diskursstabilisierend und stellen die Einheitlichkeit des Diskurses sicher, denn Metaphern sind intertextuell und damit nicht ein Instrument des Diskurses, sondern das Instrument, das den Diskurs zusammenhält (Chilton & Lakoff 1995:37). Nach Jürgen Link und Ursula Link-Heer (1994) verknüpfen Metaphern55 jedoch nicht nur Diskurse innerhalb eines Textes, sondern verbinden auch verschiedene Diskurse miteinander. Die wichtigsten Verkettungsregeln sind Katachresen bzw. Bildbrüche (Motor der Entwicklung, Lokomotive des Fortschritts). Ursprünglich sind Katachresen rhetorische Figuren, die der Benennung neuer Gegenstände dienen (Tisch-Bein, Fluss-Bett) oder eine widersprüchliche Verbindung mehrerer Sprachbilder darstellen (auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn). Nach Link und Link-Heer sind sie zudem ein grundlegendes Prinzip, um Spezialdiskurse56 herzustellen, da sie komplexe Sachverhalte mit einem Sprachbild verknüpfen. Sie funktionieren, indem sie Zusammenhänge herstellen, Plausibilitäten erzeugen, Widersprüche überbrücken und damit den Diskurs am Leben erhalten. Damit gelingt es nach Jürgen Link und Wulf Wülfing (1984:10) einer Gesellschaft, die Spezialisierung ihrer Wissensmengen auf eine gesellschaftliche Totalisierungsebene zu heben. In diesem Sinne bietet eine Metaphernanalyse nicht allein die Beantwortung der Frage, was einen Einzeldiskurs zusammenhält, sondern auch, in welchen größeren Zusammenhang dieser Diskurs eingebettet ist. 11.2 Metaphern und metaphorische Konzepte Lakoff und Johnson (2003) legen eine umfassende Kategorisierung von Metaphern vor, jedoch muss diese den praktischen Bedürfnissen der wissenschaftlichen Analyse angepasst werden. Das liegt vor allem daran, dass Metaphern sozial konstruiert sind und dementsprechend nach Kulturkreis und Zeitgeist sowie mit der Scientific Community variieren. In diesem Sinne dient der folgende Überblick eher dem Ziel, ein grundlegen55 56
Von Jürgen Link als Kollektivsymbole bezeichnet. Der Begriff „Spezialdiskurs“ wird von Link und Link-Heer als Abgrenzung zum Begriff des Interdiskurses benutzt. Ersterer ist in der Diskursanalyse eine Bezeichnung für wissenschaftliche Diskurse, während letzterer alle nicht-wissenschaftlichen Diskurse bezeichnet. Bei dieser Trennung ist jedoch zu beachten, dass der Spezialdiskurs ein Teil des Interdiskurses ist und diese Unterscheidung nur analytisch von Interesse ist.
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Route 3: Erzählte Geographien als Metapher
des Verständnis für Metaphern und metaphorische Konzepte zu gewährleisten, als der strikten Klassifikation. Grundsätzlich unterscheiden Lakoff und Johnson Strukturmetaphern, Orientierungsmetaphern, ontologische Metaphern und tote Metaphern. Erstere bezeichnen Phänomene, bei denen ein Konzept von einem anderen her metaphorisch strukturiert wird (z. B. EU als Familie). Damit stehen Strukturmetaphern besonders für die zentrale Eigenschaft der Übertragung der Bedeutung von etwas Bekanntem auf etwas Unbekanntes. Alle weiteren Metaphern sind nach Lakoff und Johnson eher als metaphorische Konzepte der Orientierung zu verstehen, da sie ein gesamtes System von Denkstrukturen wiedergeben und durch ihre wechselseitige Beziehung zueinander organisiert sind (z. B. Zeit ist Geld, Argumentieren ist Krieg). Hauptsächlich zeigen sich diese Konzepte im Zuge von räumlicher und zeitlicher Orientierung (oben – unten, nah – fern, innen – außen, früher – heute), deren hervorgehobene Bedeutung nach Lakoff und Johnson (2003:26) auf die Grunderfahrung des Menschen zurückgeht, die vor allem räumlich und zeitlich strukturiert ist.57 Orientierungsmetaphern ermöglichen durch die Körperlichkeit des Menschen eine Orientierung im Raum (oben – unten, weit – fern, dort – hier usw.). Die ontologischen Metaphern zeigen sich als Metaphern der Entität und Materie zum einen und als Gefäß- oder Raummetaphern zum anderen. Erstere verleihen dem Zielbereich die Eigenschaft eines physischen Objektes58, letztere schreiben dem Phänomen ein Innen und Außen zu und implizieren somit eine Verortung kognitiven Denkens59. Die Personifikation ist ebenfalls eine Form ontologischer Metaphern durch die die Phänomene der Welt mit menschlichen Kategorien gedeutet werden (ebd.:45). Ontologische Metaphern sind eine materialisierte Konsequenz einer Kategorisierung von ‚Dingen‘, die nicht eindeutig kategorisierbar sind, die aber über die Orientierung im Raum hinaus Tätigkeiten ermöglichen. Bei dem Beispiel „Ostdeutschland schrumpft“ werden effektive Emotionen mit dem Zielbereich verknüpft und abstrakte Phänomene können im Rahmen personeller Erfahrungen erfasst werden. Auch „Arbeitslosigkeit“ ist eine ontologische Metapher, die einen komplexen Sachverhalt als Entität konzipiert und im Zuge dessen quantifizierbar, identifizierbar usw. ist (z. B. die Arbeitslosigkeit steigt/fällt). Während die Metapher eine Übertragungsfunktion auf einen Zielbereich besitzt, betonen Lakoff und Johnson (2003:46), dass es sprachlich-kommunikative Phänomene gibt, die eine Beziehungsfunktion herstellen, die ihre bildspendenden Elemente aus dem bildempfangenden Bereich ableiten. Sogenannte Metonyme60 kenn57
58 59 60
Metaphorisches Konzept: 1. gesund/glücklich/wach sein ist oben: ich fühle mich obenauf, steh auf, das beflügelt meinen Geist, ich bin in Hochstimmung; krank/traurig/müde sein ist unten: ich bin niedergeschlagen, er verfiel in Depression, die Stimmung sank, er fiel ins Koma; 2. mehr/gut/Tugend/Verstand/hoher Status/siegen/wichtig ist oben: steigt stetig, hochwertige Arbeit, auf hohem intellektuellen Niveau, auf dem Gipfel der Karriere, sie ist überlegen, das ist überragend; weniger/schlecht/Laster/Gefühl/niedriger Status/verlieren/unwichtig ist unten: letztes Jahr gesunken, es geht bergab, unter der Würde sein, rutschte auf die Gefühlsebene ab, ihr Ansehen sank, sie ist niedergeschlagen/er ist ein kleines Licht Entität und Materie: Theorien sind Gebäude: Theorie empirisch abstützen, die Theorie ist leicht zugänglich Gefäßmetaphern: in Deutschland wohnen, im Rennen sein, aus dem Beruf aussteigen, aus dem Blickfeld geraten Antje Schlottmann (2005a) untersucht in ihrer Studie „2Raumdeutschland“ unter anderem Metonyme. Anhand einer Sprechaktanalyse zeigt sie überzeugend, wofür „Ostdeutschland“ steht.
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zeichnen sich durch das Konzeptsystem „der Teil steht für das Ganze“, „der Erzeuger steht für das Produkt“, „das Objekt steht für den Benutzer“ und/oder „der Ort steht für die Institution“ aus. Daneben stellt die Synekdoche eine Beziehung zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen her. Wenn Metaphern für die Übertragung einer Bedeutung stehen, stellt sich mit Blick auf die sprachphilosophische Wende die Frage, was keine Metapher ist. Denn alle sprachlichen Zeichen sind Stellvertreter für etwas, was die Gefahr von Überinterpretationen beinhaltet. Schon Lakoff und Johnson (2003:68) betonen, dass es solitäre, unsystematische – tote – Metaphern gibt, die derart habitualisiert sind, dass sie für das Konzeptsystem keine besondere Rolle mehr spielen (z. B. Stuhlbein, am Fuß des Berges) und somit „nicht zu den Metaphern [gehören], in denen wir leben“. Wie erfolgt jedoch die Abgrenzung von systematischen gegenüber unsystematischen Metaphern? Auch Kruse et al. (2011:83f) sind sich dieses Problems bewusst und betonen, dass die Definition, was eine Metapher ist, durch die Forscherinnen und den Erkenntnisgewinn bestimmt wird. Erst Wissenschaftlerinnen überführen ein theoretisches Konzept in eine empirische Methode, was eine Vielzahl forschungspraktischer Entscheidungen mit sich bringt und dem Charakter Rekonstruktiver Methoden nach Entwicklung der Methode am Forschungsgegenstand entspricht. 11.3 Metaphernanalyse in der Praxis Auch wenn Rekonstruktive Methoden grundsätzlich das Prinzip der Offenheit postulieren, bietet es sich für eine zielgerichtete Metaphernanalyse an, spezifische Fragestellungen an den Text zu stellen. In Bezug auf diese Arbeit werden an den Text im Rahmen der Metaphernanalyse zwei Fragen gestellt: Welche Metaphern finden Anwendung für Raum- und Geschlechterbezügen? In welchen Kontext sind diese Metaphern eingebettet? Zudem wird sich in einer weiteren Hinsicht für eine Konzentrierung und damit gegen das Prinzip der Offenheit entschlossen, indem vor der Analyse ein Inventar an möglichen Metaphern zusammengestellt wird (z. B. Raummetaphern, Nationalismusmetaphern). Die Analyse der Metaphern bezieht sich auf Vorschläge von Schmitt (2010) und Kruse et al. (2011:93ff), die Verfahren in vier Schritten vorschlagen: Sammeln, Kategorisieren, Abstrahieren, Interpretieren, wobei deren Anordnung nicht nur linear, sondern vor allem als zirkulär zu verstehen ist (siehe Abbildung 4). Entsprechend der mikrosprachlichen Feinanalyse erfolgt das Sammeln der Metaphern sequenziell Wort für Wort, Satz für Satz und Absatz für Absatz (siehe Tabelle 5). Dabei werden stetig folgende Fragen an den Text gestellt: Was sind die Gegenstände der bildspendenden und bildempfangenden Bereich? Wie wird der Zielbereich durch den Quellbereich verhandelt? Welcher Art ist die Beziehung (Personifizierung, Metonyme, Teil-Ganzes usw.)? Daraufhin folgt die Kategorisierung der Metaphern anhand folgender Fragen, „Worauf bezieht sich die Metapher?“, „Was wird bei der Übertragung vom Quellbereich zum Zielbereich hervorgehoben?“ und „Was wird nicht hervorgehoben?“. Im dritten Schritt erfolgt die Abstrahierung der einzelnen Metaphern zu einem übergeordneten Konzept, „Was sagen
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Route 3: Erzählte Geographien als Metapher
Aufmerksamkeitsebenen Interaktion
(Wort-) Semantik
Syntax
Erzählfiguren
Metaphernanalyse
Schritt 1: Sammeln
Schritt 2: Kategorisieren
Schritt 3: Analysieren
Schritt 4: Interpretieren
Abbildung 4: Vier Schritte der rekonstruktiven Metaphernanalyse; Quelle: Kruse et al. (2011:94)
die Metaphern selbst nicht, was implizieren sie?“ und „Was ist das übergeordnete Motiv der Metapher?“. Abschließend erfolgt die Interpretation:, „Was blendet die Metapher aus?“, „Welche Andeutungen macht die Metapher?“, „Welche Selbstverständlichkeiten gehen von der Metapher aus?“, „Welche Normalitäten vermittelt die Metapher?“ und „Welche Funktion hat die Metapher?“ Um eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten zu ermöglichen, bietet es sich an, die letzten beiden Schritte der Metaphernanalyse, Abstrahieren und Interpretieren, innerhalb einer Analysegruppe durchzuführen (siehe Abbildung 5). Schrumpfung kleiner – älter – nicht frisch – nicht mehr lebendig – zusammenfallen – eingehen – schrumpeln = negative Konnotation Motiv: Schrumpfung – Wachstum Nicht-Entwicklung – Entwicklung passiv – aktiv schwach – stark Thematisierung: Bedrohung: machtlos – einflusslos – hilflos Kontexte: Abwanderung, Geburtendefizit, demographischer Wandel Abbildung 5: Metaphernanalyse von „Schrumpfung“
Route 3: Erzählte Geographien als Metapher
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Ihre ganze Wirkung entfalten Metaphern jedoch nicht, wenn ihnen eine Alleinstellung innerhalb des Textes unterstellt wird. Ganz im Gegenteil zeigt sich die Macht des sprachlichen Bildes vor allem dann, wenn im Kontext des Datenmaterials Termini aufzufinden sind, die den semantischen Hof der Metaphernanalyse stärken und damit bestätigen. Nur so zeigt sich zum Beispiel, dass Schrumpfung in den Kontexten nicht nur als Ersatz für ein quantitatives Kleiner- oder Älter-Werden verwendet wird, sondern dass die Schrumpfungsmetapher eine qualitative Aussage aus der Natur (verschrumpelt) auf die soziale Welt überträgt und damit qualitative Implikationen ermöglicht. So schreibt Hans Joachim Hoffmann-Nowotny (1982:323) in der Zeitschrift für Bevölkerungsforschung: „Die Bevölkerungszahl eines Staates [ist] entscheidend [für] dessen politisches und militärisches Gewicht sowie – wenigstens in einem gewissen Ausmaß – seine Möglichkeiten, wirtschaftlichen Einfluss auszuüben. Je nach der Bevölkerungszahl wird einem Staat international der Status einer Großmacht, Mittelmacht oder eines Kleinstaates mit allen daraus abzuleitenden politischen Folgen zugeschrieben.“
Abgesehen davon, dass Hoffmann-Nowotny dem Kleinstaat schon rein sprachlich keine „Macht“ (Kleinstaat versus Großmacht) mehr zugesteht, entfalten sich im Zuge von „Schrumpfung“ die Implikationen von machtlos, ohnmächtig, einflusslos, hilflos und/oder schwach und sie bereiten damit die Bühne für weitere Diskussionen. Dieses Zitat zeigt, dass Metaphern nicht allein das Denken strukturieren, sondern daneben auch als Argument Verwendung finden können. Michael Pielenz (1993) spitzt dies auf die Formel „metaphors we argue by“ zu. Mit Bezug auf Stephen Toulmin (1958) und George Lakoff und Mark Johnson (1980) legt er eine Erweiterung der Argumentations- und Metapherntheorie vor, indem er Metaphern als Bündel von Schlusspräsuppositionen begreift, die innerhalb der Argumentationspraxis als Rechtfertigungsinstanz fungieren. Er betont dabei, dass sich „jede konzeptuelle Metapher (…) als eine stille Matrix impliziter Schlusspräpositionen quasi-topisch deuten [lässt], die in Rechtfertigungszusammenhängen Argumente zur Befestigung kritischer Geltungsansprüche anbietet“. In diesem Sinne wirken Metaphern argumentationsstabilisierend, da sie als überindividuell zu dem zur Verfügung stehenden Wahrnehmungs- und Verstehensrahmen stetig in die argumentative Redepraxis eingebaut werden. Die Aufgabe der Metaphernanalyse besteht in diesem Sinne darin, auf die Schlusspräsuppositionen abzuzielen, die als „kulturelles Unterfutter“ und als „Matrix argumentierenden Sprechens“ fungieren.
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Route 3: Erzählte Geographien als Metapher
Metapher und Konzept
Textbeispiele
Strukturmetapher
Wanderungswellen, Wanderungsströme, Dtl. ist angefressener Pilz, Erosionsprozess der Wende, Gipfel der Abwanderungswelle, Inseln des Wachstums
(Ziel-Quellbereich)
Abschied vom Wachstum, Schwund, im Schrumpfungsprozess stecken, Minusrekord, Negativwachstum Thema an die Oberfläche bringen, demographische Daten bergen eine Aussage über die Zukunft, Bildungsniveau Kettenwanderung, Wanderungsschübe, Anziehungskraft, Arbeitskraft; demographische Implosion, Innovationsdruck, Sogwirkung; Kräfte, die zu weniger Geburten führen Geschlechterproportionen, demographischer Faktor, tabellarische Aufschlüsselung, Alterslastquote
Ontologische Metapher (Entität und Materie) Ontologische Metapher (Raummetaphern, Gefässmetaphern) Ontologische Metapher (Orientierungsmetapher, Bewegungsmetapher)
Ontologische Metapher (Nationalismusmetapher)
Ontologische Metapher (Bedrohungsmetapher) Ontologische Metapher Personi fikation (Phänomene verbunden mit menschlicher Erfahrung)
Ontologische Metapher (Synekdoche, Metonyme) Katachrese (Brücke für Wiedersprüche), Spezialdiskurse Metaphern als Argument
Demographischer Schockzustand Deutschland ist, das ostdeutsche Volk schrumpft, Ostdeutschland, Schrumpfungslandschaft, Schwundregionen, Problemgebiet, Schwundkreise, Qualität einer Region Zuzug/Abwanderung, Fortzüge, Migrationskanäle, in der ostdeutschen Peripherie, junge Frauen heimholen, die Mitte Deutschlands entleert sich, Umverteilung der Bevölkerung im Raum, keilförmiger Korridor, Gemeinden mit abnehmender Bevölkerung Nach Westdeutschland, aus der Peripherie abwandern, in die Städte ziehen Fachkräfte zum Aufbau der Region Verjüngungsprozess der ostdeutschen Bevölkerung kommt zum Erliegen, Abwärtsspirale, Einwohnerzahl sackt ab, Einbruch der Geburten, Entwicklung gebremst, unterhalb einer bestimmten Geburtenrate, muss die Infrastruktur gefördert werden Frauen hinterlassen 1,2 Kinder Der Boden der ehemaligen DDR, alle Kreise der DDR hatten Verluste, schrumpfende Nation, abgewanderte Landeskinder, es geht bald zu Ende mit dem Volk der Dichter und Denker, aus dem Ausland zu uns einwandern, Schneise der Entvölkerung, Exodus aus der DDR, das ostdeutsche Volk schrumpf, Schwinden des angestammten Staatsvolkes Zwangslage, missliche Lage, Implosion, demographische Zeitbombe Ostdeutschland stirbt aus, Fruchtbarkeitsentwicklung der neuen Bundesländer, strukturschwache Gebiete, in denen ganze Branchen sterben, ländliche Regionen sind kinderfreundlicher, Deutschland zieht um, Deutschland entleert sich, manche Dörfer lösen sich auf, Industrien haben Systemwandel nicht überlebt, Dtl. entleert sich, Schneise der Entvölkerung, ganze Landstriche drohen auszubluten Brain Drain, Rückgang der ostdeutschen Geburtenzahl, Einkommen privater Haushalte, Wettbewerb um die besten Köpfe, Ostdeutschland erlebt einen Umbruch, Deutschland zieht um, es gibt junge Regionen Hemmschuh der Entwicklung, Altersheim Ost, Wo der Mensch geht, kommt der Wolf, Wanderungen als Motor der Bevölkerungsumverteilung und des Siedlungswachstums Schrumpfungslandschaft großflächig, umfangreich; Sogwirkung, Wanderungsgeschehen – Unausweichlichkeit; Minusrekord – Gegenmaßnahmen; Innovationsdruck –Konkurrenz; Zwangslage, Implosion, Zeitbombe – Dramatik, Kontrolle
Tabelle 5: Metaphernanalyse in der Praxis; Quelle: selbst erstellt
Route 3: Erzählte Geographien als Metapher
-
Denkstil / Epistem (Grundmuster des Denkens)
Dispositiv (Macht-Wissens-Komplexe)
Naturalisierung sozialer Phänomene
Naturalisierungsdispositiv Entwicklungsdispositiv
Entwicklung, Fortentwicklung
Heilungsdispositiv
Aktive Rettung, Hilfe, Wissenschaft rettet
Naturalisierungsdispositiv
Determinismus, Gesetze der Physik
Zahlendispositiv, Ökonomiesierungsdispositiv, Heteronormativität
Mathematik Bedrohung der Existenz
Sterbedispositiv
Entzeitlichung (ethnographisches Präsens), Homogenisierung, Verortung, Abgrenzung
Naturalisierungsdispositiv
Innen – Aussen
Homogenisierung
Innen – Aussen
Entwicklungsdispositiv, Ökonomisierungsdispositiv
-
Oben – Unten, Quantität ist Qualität-Maxime, Nutzen, Nützlichkeit, Weiterentwicklung, Vergangenheit – Zukunft
-
Nationalismus
Sterbedispositiv
Dramatik
Bedrohungsdispositiv
Emotionalität mit Bezug auf Lebensphasen
Sterbedispositiv
(Geburt, Kindheit, Erwachsensein Sterben)
-
-
Veränderung
Ökonomisierungsdispositiv
Nicht-Fortschritt, Alterung, Verwilderung
Entwicklungsdispositiv
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12
Route 4: Erzählte Geographien als Argument
Wenn Wissenschaftlerinnen neben den rhetorischen Figuren zur Erklärung von Ereignissen/Phänomenen/Gegenständen usw. auf gültige Argumentationen setzen, dann bilden diese einen wichtigen Zugang zu den Epistemen, Diskursen und Dispositiven der Wissenschaft und es braucht für die Analyse eine umsetzbare Strategie. Stephen Toulmins sowie Chaim Perlemans und Lucie Olbrecht-Tytecas Kritik an den logischen Schließungen der traditionellen Rhetorik führen zur Gründung neuer Argumentationsschemata. Diese zielen darauf ab, die Akzeptabilitätsbedingungen zu erfassen, womit sie einen vielversprechenden Zugang zu wissenschaftlichen Argumentationen bieten. Seit der Antike gelten Argumente überwiegend als rhetorische Mittel. Somit standen sowohl die Beurteilung von Argumentationsverfahren, -prinzipien und -typologien als auch die Ethik und Geltung von Argumenten im Mittelpunkt der klassischen Argumentationstheorie (z. B. Diskussionen um Menschenrechte und Genforschungen) (vgl. Wohlrapp 2000, 2004). Argumente aber sowohl über die rhetorische als auch rein semantische Analyse hinaus zu analysieren, kann vielversprechend sein. Denn hier geht es nicht um eine Beurteilung von Argumenten als richtig oder falsch; ebenso nicht um die deskriptive Analyse von Korrespondenzrelationen im Zuge einer semantischen Perspektive. Beide verkennen, dass Argumente nicht Mengen von Gegenständen sind, sondern dass Argumente sprachliches Handeln darstellen und eine Handlung vollziehen. Damit besitzen Argumente einen zentralen Anteil an der Konstruktion der Wirklichkeit. 12.1
Argumentation als Argumentationspraxis
Platon (427–348 v. Chr.) präsentiert ein Modell argumentierenden Redens, welches auf die „Bewährung und Weiterbildung eines vernünftigen Selbstverständnisses“ zielt und damit die Grundlagen der Dialektik bildet (Wohlrapp 1995:12). Diese Idee eines gesellschaftlichen Konsenses erfährt in der Geschichte verschiedene Weiterentwicklungen, so kritisiert schon Aristoteles (384–322 v. Chr.) Platons Modell als ideologisch und vollzieht in seinem 5. Buch des Organon „Topik“ eine eher pragmatische Ausrichtung mit dem Versuch, richtige von falschen Argumenten zu unterscheiden. Für Aristoteles sind Argumente „formallogisch schlüssige Verfahren, mit denen Sachverhalte bewiesen [und] Wahrheiten begründet werden sollten“ (Wengeler 2003:179).
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Route 4: Erzählte Geographien als Argument
Die Ablösung der griechischen Demokratie durch die Königsherrschaft der Mazedonier entzieht auch der Rhetorik ihre eigentliche Aufgabe. Obwohl das römische Bildungssystem die platonische Dialektik und die aristotelischen Theorien von Syllogistik (Logik), Rhetorik (Meinungsbildung) und Topik (Wahrheitsbeweis) übernimmt und diese vor allem mit Cicero (106–43 v. Chr.) und Quintilian (34–100 n. Chr.) ihren Höhepunkt erreicht, verlieren die öffentliche Rede sowie die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Wahrheiten mit dem Untergang der antiken Welt und dem Aufstieg des Christentums und des Feudalismus in Europa endgültig an Bedeutung. Topik und Rhetorik verkümmern innerhalb der klösterlichen Bildung zur Diskussion über das konkrete und korrekte Denken und Handeln im Zuge der Bibelinterpretationen. Im Zuge kirchlichen Dogmatismus, wird der Argumentation ihr grundlegendes Merkmal entrissen: die Diskussion über zwei oder mehrere mögliche Wahrheiten, deren Geltung durch erfolgreiches Bestehen trotz kritischer Auseinandersetzung entsteht und nicht allein im Gottesbeweis liegt (Trautmann 2001:15). Die eindimensionale Schlüssigkeit solcher Gottesbeweise wird im Kontext der Aufklärung und Säkularisierung durch eine kurze Renaissance der Rhetorik ersetzt, die jedoch im Zuge von Entzauberung und Rationalisierung der Welt sowie der entstehenden Wissenschaften und deren neuen Suche nach Wahrheiten erneut eingedämmt wird (Wohlrapp 1995:9ff). Im Kontext von Technik- und Fortschrittsglaube geht die Bedeutung des Diskutierens durch Argumentieren endgültig verloren und wird durch die Suche nach mathematischen und physikalischen sowie gesellschaftlichen Metatheorien ersetzt. Im Zuge dessen verlieren die Rhetorikerinnen als Meinungsvertreterinnen gegenüber den Expertinnen als Sachvertreterinnen an Bedeutung. Die gesellschaftlichen Bedingungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse des frühen 20. Jahrhunderts lassen jedoch erste kritische Auseinandersetzungen mit dem Tatsachen- und Wahrheitsbegriff aufkommen (vgl. Fleck 1936, Bohr 1928), die vor allem in den Nachkriegsjahren an Bedeutung gewinnen und die 1960er-Jahre gesellschaftstheoretisch und -praktisch revolutionieren. Ideologiekritik und Demokratiebewegungen rücken auch die offene Rede und das Argument wieder in den Mittelpunkt und so gewinnt die Argumentation gerade innerhalb der Multioptionengesellschaft des 21. Jahrhunderts wieder an Legitimation; auch in der Wissenschaft. Logische Schlussfolgerungen können unter aktuellen Bedingungen weder hinreichende Antworten bezüglich gesellschaftlicher Fragestellungen bieten, noch als Basis des eigenen wissenschaftlichen Schlussfolgerns im Zuge einer differenzphilosophischen und praxistheoretischen Forschungsperspektive dienen. Im Zuge dessen entwickeln sich neue Argumentationstheorien in der Literatur-, Sozial-, Rechts-, Sprachwissenschaft und Philosophie und bieten ein breites Analysefeld von Argumentationen (vgl. Wengeler 2003) an. Vor allem aber die Arbeiten von Stephen Toulmin (1958), der eine Neuorientierung der Logik und damit ihre Öffnung für die Argumentation fordert, sowie von Chaïm Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca (1958), deren größter Verdienst in der Differenzierung von Beweis und Argument liegt, dokumentieren einen Neuanfang der Argumentationstheorie Ende der 1950er-Jahre. Bis heute ist das Verständnis von Argument und Argumentation wesentlich durch diese beiden Standardwerke der neuen Argumentationstheorien geprägt, die positivistische Positionen grundsätzlich in Frage stellen und in-
Route 4: Erzählte Geographien als Argument
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nerhalb der analytischen Philosophie den Weg von der formellen Logik zur Sprachphilosophie beschreiten. Besonders Toulmin steht für eine Argumentationstheorie, „die der Argumentationspraxis in Wissenschaft, Juristerei und öffentlichem Diskurs gerecht wird und sich (…) von den Traditionsfesseln einer unpragmatischen Formal-Logik befreit“ (Pielenz 1993:16f). Denn er kritisiert besonders das logische Schließen von Argumentationen und deren Prämisse: wenn A, dann B, wenn B, dann C, ergo: wenn A, dann C, da sich damit nur die formale Struktur, nicht aber die sozialen Funktionen des Argumentierens erklären lassen. Argumentation ist vielmehr eine Praxis, deren Regeln nicht der formalen Logik unterliegt. Zudem weist Toulmin entgegen des Kritischen Rationalismus darauf hin, dass die Äußerung von Argumenten selten logisch erfolgt, sondern größtenteils auf der Bezugnahme von nicht logischen Quellen beruht. Erst mit Bezugnahme zu nicht logischen Quellen sei es jedoch erst möglich, auch den substanziellen Charakter von Argumenten einzubeziehen, um zwar analytisch gültige, substanziell jedoch absurde Argumentationen zu vermeiden. Da seiner Meinung nach die alltägliche Argumentation weniger auf analytische Gültigkeit als auf substanziellen Gehalt ausgelegt ist, geht es nicht darum, gültige und nicht gültige Argumente im Zuge logischen Schließens zu untersuchen. Ihn interessiert die Praxis des Argumentierens als Beziehung zwischen einer Behauptung (claim), Argumenten (data) und „hypothetischen, brückenartigen Aussagen“ (Toulmin 1958:58), sogenannte Schlussregeln (warrant). Die Anwendung von Schlussregeln rekurriert wie oben angedeutet auf Backings (implizites Wissen) und Stützungen (Gesetze, normative Regeln usw.). Im Sinne Toulmins sind diese jedoch nicht logisch, sondern konventionell begründet, was sie für eine differenzphilosophische und praxistheoretische Wissenschaftsforschung interessant macht; besonders in der Erweiterung des Toulminschen Modells durch Günther Öhlschläger. Sein Interesse ist nicht wie bei Toulmin das Attackieren der formellen Logik von Argumenten, sondern eine praktisch-semantische Theorie zur Rekonstruktion argumentativer Strukturen (Öhlschläger 1979, zit. in Pielenz 1993:53). Die Schlusspräsupposition dient dazu, den Schluss des Arguments auf die Konklusion zu rechtfertigen, was vor allem für die Stärke und Durchsetzung des Arguments von zentraler Bedeutung ist (siehe Abbildung 6). Da diese Forschungsarbeit darauf abzielt, die den Argumenten zugrunde liegenden Rationalitäten zu untersuchen, ist eine Konzentration auf die Schlusspräsuppositionen vielversprechend, verweisen diese auf die Selbstverständlichkeiten, die den Argumenten zugrunde liegen. Hingegen betonen Perelman und Olbrechts-Tyteca, dass die verwendeten Termini mehrdeutig sind, die Axiome nicht expliziert werden können, und dass die Schlussfolgerungen sich nicht automatisch aus den Prämissen ergeben. Vielmehr müssen die Schlussfolgerungen einem Auditorium zur Beurteilung vorgelegt werden, denn jedes Argument zielt auf die Zustimmungen der Menschen ab. Damit ist die Argumentation keine Beweisführung, sondern eine soziale Handlung, die darauf abzielt, bestehende Zustände zu bestätigen oder zu verändern. Argumente vorzubringen zielt in diesem Sinn auf den Geltungsanspruch ab. Aufgabe der Argumentationsanalyse muss es daher sein, die Strategien zu erforschen, die es ermöglichen, das Einverständnis der Menschen zu den gemachten Argumenten zu erhalten respektive zu festigen (Eggs 2006:137).
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Route 4: Erzählte Geographien als Argument
Diese Forderung führt dazu, dass Perelman und Olbrechts-Tyteca kein Argumentationsschema, sondern, auf der Basis aristotelischer Topiktradition, eine Typologie von Argumentationen vorlegen (Perelman und Olbrechts-Tyteca 2004 [1958]:271ff). Perleman und Olbrechts-Tyteca unterscheiden erstens quasi-logische Argumente, die in Form einer formellen Beweisführung das Argumentieren zu verschleiern versuchen. Die strikte formelle Beweisführung ist jedoch nur im Zuge einer Komplexreduktion und Unterwerfung der Argumentation unter eine spezifische Logik des Denkens möglich. Diese dient letztendlich als Grundlage dafür, was als logisch und was als logischer Fehler gilt. Strategien für quasi-logische Argumente sind beispielsweise die Vermeidung von Unvereinbarkeit beziehungsweise Präsentation von Vereinbarkeit. Zweitens unterscheiden Perelman und Olbrechts-Tyteca Argumente, Data Konklusion Abwanderung NPD-Wahlerfolg die auf der Struktur des von Frauen Wirklichen beruhen. Diewegen se Argumente beziehen sich auf bereits akzeptierExplizite Schlussregel te Urteile, die zur StütFrauen als Partnerinnen verhindern rechten Wahlerfolg zung neuer Ereignisse Anwendung finden. ZenImplizite Schlussregel trale Strategien sind hier Heteronormativität zum Beispiel Kausalverbindungen. Darauf aufAbbildung 6: Argumentationsanalyse nach Toulmin; Quelle: bauend erfolgen meist eigene Darstellung verändert nach Toulmin (1958:92) mit Erweiterung durch Öhlschläger (1979) pragmatische Argumente, die die Bewertung einer Sache von den positiven und negativen Folgen im Sinne einer Tatsache-Folge-Argumentation ermöglichen. Dieser Durchsetzungsstrategie sehr ähnlich sind Zweck-Mittel-Argumente, die erwünschte Zwecke an ein bestimmtes Mittel kausal knüpfen. Zweckerreichung (Nutzen) und Zwecknichterreichung (Nutzlosigkeit) erfährt damit eine enge kausale Verknüpfung an die ‚richtigen‘ Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels. Von diesen beiden Kategorien sind drittens Verbindungen zur Begründung einer Struktur zu unterscheiden. Dazu gehören Beispielargumentationen, die als Einzelerscheinung als typische Ausprägung oder als anschauliche Darstellung einer Sache herangezogen werden. In diesem Kontext ist auch der Verweis auf positive oder negative Vorbilder zu verstehen, die als Einzelbeispiele nachahmende Handlungen auslösen bzw. verhindern sollen. Daneben sind Analogien und Metaphern zu nennen, die bekannte Zusammenhänge auf unbekannte Situationen übertragen, wodurch die Referenz eines Arguments aus einem Bereich erfolgt, der mit der aktuellen Situation nur durch die Analogie oder die Metapher in Verbindung steht und dennoch Wirkung erzielen kann. Grundsätzlich stellt sich immer die Frage: Welche Regel macht das angeführte Beispiel, die Analogie oder Metapher zum überzeugenden Argument? Sowohl in Toulmins (1958) Argumentationsschema als auch in Perelmans und Olbrechts-Tytecas (1958) Argumentationskategorien wird deutlich, dass die neuen Argumentationstheorien Gültigkeit im Zuge formeller Logik ablehnen. Dennoch
Route 4: Erzählte Geographien als Argument
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wird die Rationalität bei beider Perspektiven nicht grundsätzlich in Frage gestellt und es darf auch hier nicht im Zuge postmoderner Vernunftkritik vorschnell auf Rationalität verzichtet werden, denn jede Argumentation unterliegt einer Rationalität – diese ist jedoch gesellschaftlich festgeschrieben. So basiert das Argument „Wer in Deutschland geboren ist, bekommt die deutsche Staatsbürgerschaft“ auf der Rationalität des Nationalstaates, der Zu- und Nicht-Zugehörigkeiten nach Geburt definiert. Ohne verbindliche, auf (gesellschaftlicher) Rationalität basierende Schlussregeln, bleiben Argumente unbegründet und damit ungültig. Im Zuge dessen ist Argumentieren nicht einfach eine Form kommunikativer Praxis mit dem Ziel, Informationen auszutauschen und abzuwägen, sondern die zentrale Ebene, wo soziale und räumliche Wirklichkeit überhaupt erst hergestellt werden. Toulmins Argumentationsschema und Perelmans und Olbrechts-Tytecas Fokus auf die Zustimmung durch das Publikum verorten das Argumentieren in einem gesellschaftlichen Kontext und ermöglichen sowohl Anknüpfungen an sprachpragmatische als auch diskurs- und dispositivtheoretische Konzeptionen, wie sie für diese Arbeit vielversprechend sind. 12.2 Das wissenschaftliche Argument Innerhalb politischer Diskussionen stützen Argumente oftmals normative Grundwerte der Gesellschaft wie Menschenrechte, Demokratie, Freiheit oder Gerechtigkeit. Innerhalb juristischer Erörterungen werden Argumente hauptsächlich auf der Basis nationalstaatlicher oder sogar internationaler Gesetze vorgetragen. In den Wissenschaften untermauern Argumente den Beweis und /oder die logische Deduktion. Die Paradigmenwechsel der Sprachphilosophie haben zu Zweifeln an der unabhängigen Rolle und/oder der Bedeutung des Wortes im Satz geführt. Als stabiler Gegenstand der Untersuchung bleibt nur der Text als kommunikative Situation einer Sprachhandlung. Dabei wird wissenschaftliches Argumentieren nicht als wissenschaftliche Beweisführung der formalen Logik, sondern als situationsgebundene Praxis verstanden, die Geltung beanspruchen will. Diese Perspektive hat weitreichende Konsequenzen, die sich in mehreren Hinsichten zeigen. Erstens sind wissenschaftliche Texte immer Diskurse, das heißt, sie sind nicht autonom, sondern stellen ein Element eines größeren Zusammenhangs dar. Damit dient das Argumentieren innerhalb wissenschaftlicher Texte dazu, Diskurse zu untermauern und zu stabilisieren. Zweitens werden wissenschaftliche Texte von Subjekten (Subjektivierten) verfasst, was Motive, Bedürfnisse sowie Ziele ins Blickfeld rückt, die in den Schlusspräsuppositionen der Argumentation zu finden sind. Daraus folgt drittens, dass die Textproduzentinnen immer einer Denkschule unterliegen, die durch gemeinsame Denkstile und damit konzeptionelle sowie methodologische Annahmen charakterisiert ist. Dies zeigt sich im Text durch die Verwendung gleicher Fachtermini, Tatsachenbezüge sowie ähnlicher Argumentationsbezüge und -zusammenhänge. Denn Wissenschaftlerinnen nutzen eine bestimmte Kombinatorik sprachlicher Handlungsmuster, um einen bestimmten kommunikativen Zweck zu erreichen. Dies ist anknüpfungsfähig an die Vorstellungen wissenschaftlicher Kommunikation, wo das Argumentieren gegenüber dem Beweisen vor allem in den Sozial- und Kulturwissenschaften an Bedeutung gewonnen hat.
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Route 4: Erzählte Geographien als Argument
12.3
Argumentationsanalyse in der Praxis
Die neuen Argumentationstheorien werden im Folgenden für die Dimensionalisierung wissenschaftlicher Text- resp. Wirklichkeitskonstruktion fruchtbar gemacht. Die Tabelle 6 zeigt anhand von Textbeispielen unterschiedliche Strategien wissenschaftlichen Argumentierens und die den Argumenten zugrunde liegenden impliziten Schlussregeln. Argument
Ziel
Textbeispiele
quasi-logische Argumente
Vermeidung von Unvereinbarkeit, Anwendung der Gerechtigkeitsregel
„Kämen nur 100.000 im Jahr … wären wir 2050 schon um 16 Kulturdispositiv Millionen ärmer.“, „Die Schätzung für Gesamtdeutschland bestätigt die Vermutungen. Demnach wirkt ein hoher Anteil Kleiner sein ist gleich ärmer/schwächer sein an männlichen Abiturienten, aber ebenso ein gutes Angebot an Männern, welche im hoch qualifizierten wissenschaftlich-technischen Bereich tätig sind, positiv auf die Wanderungsbilanz der Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren.“, „Von hundert Deutschen bleiben deshalb 30 Jahre später nur noch etwa 70 übrig. Würde man diese Entwicklung extrapolieren, ginge es bald zu Ende mit dem Volk der Dichter und Denker.“
Reziprozität, Transitivität, Teil im Ganzen, Vergleiche, Wahrscheinlichkeiten
Argumente, die auf der Struktur des Wirklichen beruhen (Kausalverbindungen, Koexistenzverbindungen)
Kausalität, Ursache, Wirkung
Schlussregel
„Eenn Regionen nicht ausreichend in das Bildungsniveau junger Männer investieren und das geringe Niveau nicht durch entsprechenden Arbeitsmarktzuzug angepaßt werden kann, ergibt sich daraus ein Mangel an potenziellen, gut ausgebildeten männlichen Partnern für die untersuchte Altersgruppe“, „Hinzu kommt, daß die verstärkte Frauenabwanderung in einigen Regionen gesellschaftliche Spannungen generieren und zu sozialer Erosion führen kann.“
Innen – Aussen
pragmatische Argumente
„Die Bevölkerungszahl eines Staates [ist] entscheidend …[für] dessen politisches und militärisches Gewicht sowie – wenigstens in einem gewissen Ausmaß – seine Möglichkeiten, wirtschaftlichen Einflusses.“, „Informationen über die Bevölkerungsentwicklung sind in vielen Bereichen der Gesellschaft notwendig, weil die Analyse und darauf basierende Prognose der Bevölkerung die Grundlage für langfristig-konzeptionelle Arbeiten und planerisches Handeln auf Bundes-, Landes-, Kreis- und Kommunalebene darstellen.“
Geburtendefizit gefährdet Überleben und Weitergabe von Kultur; Bedrohung von Kultur; Kulturdispositiv
Zweck-MittelArgumente
„Reproduktion sichert das Überleben unserer Art sowie den Fortbestand unserer Kultur durch die Weitergabe von Wissen und Normen“, „Dort, wo es zu wenig Arbeit gibt, wo die Innenstädte zerfallen, Kneipen und Diskos leer stehen und Freibäder und Theater schließen, werden sich kaum junge Familien ansiedeln. Und wo der Bildungsgrad sinkt und qualifiziertes Personal fehlt, wird kaum ein größeres Industrieunternehmen investieren. All das bedeutet weniger Steuereinnahmen für die betroffenen Kommunen, die gleichzeitig mehr alte Menschen zu versorgen haben. Die Gemeinden müssen dann an anderer Stelle sparen, etwa die Bibliothek dicht machen und die Abgaben erhöhen.“
Tatsache – Folge; Kettenreaktionen, unausweichliche Folgen
„der führende Experte der Demographieforschung“, „wie Wissenschaftlerinnen jetzt nachweisen konnten“, „eine Studie des Berlin-Institutes“
Autoritätsdispositiv
und Tatsache-FolgeArgumentation
Autoritätsargumente
Legitimation von Geburtenförderung, Instrumentalisierung für politische Interessen
Schrumpfung führt zu weniger Macht und Einfluss; Oben-unten-Metapher Wachstum führt zu Einfluss und Macht
Tabelle 6: Zugänge zu wissenschaftlichen Argumenten, Quelle: selbst erstellt
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Route 5: Erzählte Geographien als Bild
Die diskursiv erzählten Geographien von Geschlecht und Raum werden nicht nur – wie das erhobene Material zeigt – von visuell erzählten Geographien begleitet, sondern sie stellen auch ein wesentliches Element der Erklärungs- und Beweisführung dar. Die Verwendung von Bilder im Zuge der wissenschaftlichen Kommunikation ist dabei nichts Ungewöhnliches; besonders aufwendige Bilder verwenden auch Charles Darwin in „Origins of Species“ (1859) und Ernst Häckels „Radiolarien“ (1862); sowie James D. Watsons und Francis Cricks Bilder der DNA-Struktur sind bis heute jede Ausstellung wert, die Bilder des Hubble-Teleskops verzaubern regelrecht ihre Betrachterinnen; die Bilder der Nanowissenschaften sowie der Medizin, Physik, Chemie, Mathematik und Ingenieurswissenschaften (vgl. Sammelband von Heintz & Huber 2001) sind Symbole für den Fortschritt der jeweiligen Disziplin; und alle dienen dazu, wissenschaftliches Wissen zu transportieren. Jedoch wächst das Interesse an (wissenschaftlichen) Bildern seit Ende der 1990er-Jahre, denn nach Hartmut Winkler (1997) leben wir in einer Zeit der Bilderflut. Nach Gottfried Boehm (2004:32f) liegt die Bedeutung des materiellen Bildes (im Gegensatz zu sprachlichen oder mentalen Bildern) in dem Bedürfnis des Menschen, dass ‚Dinge‘ nicht bloß existieren und irgendwie vorkommen, sondern sich „da und dort etwas zeigt“. Jan Assmann et al. (1993; zit. in Felder 2007:358) betonen schon vor Boehm die Bedeutung des Bildes, indem sie deren Funktion in der Konstitution eines kollektiven Gedächtnisses sehen, das „durch vermittelte Inhalte, deren Interpretation und die alltagsweltlichen Rezeptionsbedingungen erzeugt wird“. Als Konsequenz wird auf analytischer Ebene analog zur Analyse des Sprachhandelns die Analyse des Bildhandelns gefordert (vgl. Sachs-Hombach 2001). Andere Arbeiten (vgl. Felder 2007, 2007, Fix & Wellman 2000, Koch 2000, Nöth 2000) zielen im Gegensatz dazu auf eine Auflösung des Dualismus zwischen Bild und Text, indem sie gesellschaftliche Bedeutungen als Folge von Sprach- und Bildzeichen verstehen (Felder 2007) und auf ein Wechselverhältnis von Text und Bild hinarbeiten. Damit ist der Pictorial Turn eine Radikalisierung des Linguistic Turns, denn für jede Begründung von wahren Aussagen muss auf Außersprachliches zurückgegriffen werden; auf etwas, das das Sagen durch das Zeigen bestätigt und somit Evidenz hervorruft.
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Route 5: Erzählte Geographien als Bild
Die Macht des Bildes besteht jedoch nicht allein im Wechselverhältnis zwischen Text und Bild, sondern auch in der Gleichzeitigkeit von Verstehen und Erkennen, indem das Bild „Zugänge zu etwas (…) [er]öffne[t] (…), was anderswo ist“, wie zum Beispiel Nicht-Sichtbares (Gott), Fernes (Machthaberinnen), Fremdes (Orient), Unzugängliches (Weltall), Unübersichtliches (Europa), Komplexes (Globalisierung) oder Unvorstellbares (Quantenphysik). Damit schafft das Bild über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg Kontingenz durch Vorstellung. Das enge Verhältnis von Sehen respektive Erkennen und Verstehen basiert nach Krämer (2001:348) auf der „künstlerischen Rationalisierung der Zentralperspektive“, der „technischen Effektivierung der Sehkraft durch (…) optische Apparate“ sowie der „Stilisierung des Sehens zum Beobachtens im wissenschaftlichen Experiment“. Im Zuge dessen kommt die Vorstellung von der Berechenbarkeit des Sehens auf und führt zu dessen „Disziplinierung und Objektivierung“. Auch innerhalb der Geographie ist diese Macht der Bildlichkeit bekannt; zeigt sie sich schon in den mit Zeichnungen ausgeschmückten Reiseberichten der Geographenpioniere bis hin zu den animierten Modellen der Vulkanausbrüche, Plattenverschiebungen, des Klimawandels usw. Es sind vor allem die Bilder, die ‚hängen‘ bleiben und eine lebendige Imagination von Welt konstruieren. Damit scheinen die Naturwissenschaften einen immer detaillierteren Einblick in die Natur und die Sozial- sowie Kulturwissenschaften in die Gesellschaft zu geben, was wiederum ihre Tätigkeit an sich legitimiert. Knorr-Cetina (2001:309) weist darauf hin, dass wissenschaftliche Visualisierungen einen rhetorischen Charakter dadurch haben, dass es „sich um Inskriptionen (von Maschinen aus der Natur produzierte Signale) handelt und nicht um bloße Deskriptionen“, und es soll im Folgenden darum gehen, diese auch methodologisch erfassbar zu machen. 13.1
Was ist ein Bild?
Die Hinwendung zur Analyse des Bildes als ein weiteres Instrument der Wirklichkeitskonstitution, -vermittlung und -durchsetzung ist eng geknüpft an einen erkenntnistheoretischen Blickwechsel der Kunstwissenschaften; von der Bildbeschreibung hin zur Rekonstruktion der dem Bild zugrunde liegenden diskursiven Strukturen. Damit einher geht ein Wechsel von der erkenntnistheoretischen Fragestellung des „Was ist dargestellt?“ zum „Wie wird etwas dargestellt?“. Der Kunsthistoriker Aby Warburg (2010), der den Begriff der ikonologischen Analyse erstmalig benutzt, unterscheidet erstmals zwischen diesen beiden wissenschaftstheoretischen Zugängen. Erwin Panofsky (1932) betont drei Ebenen der ikonologischen Interpretation (vor-ikonographische Analyse – bildliche Objekte werden grundsätzlich identifiziert, ikonographische Analyse – Elemente werden mit bekannten Narrationen verknüpft, ikonologische Interpretation – Zugriff auf grundlegende Prinzipien). Für Max Imdahl (1994:190) stellt sich jedoch die Frage nach dem Mehrwert der Ikonologie, wenn die Prinzipien einer Epoche auch über die Literatur, Mode usw. herausgearbeitet werden können. Er strebt eine Weiterentwicklung der Ikonologie zur Ikonik an, die auf die Rekonstruktion des Sinns abzielt, der durch nichts anderes als durch das Bild erzeugt wird. Zudem kritisiert Ihmdahl an Panofski die eher
Route 5: Erzählte Geographien als Bild
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spät ansetzende Interpretation des Bildes, durch das Dreistufenmodell der Interpretation. Denn dabei wird die formale Bildkomposition nicht hinterfragt, obwohl auch schon sie ein Teil des Bildes darstellt. Diese als Pictorial Turn bezeichnete Perspektiverweiterung ermöglicht eine Rekonstruktion der Bildermächtigkeit und ihrer performativen Wirkung für die Wissenschaft (Boehm 1978, Imdahl 1994, Mitchel 2008, Bohnsack 2010). Einen überaus ansprechenden Sammelband zur Macht des Bildes im Hinblick auf die Popularisierung wissenschaftlichen Wissens legen Bernd Hüppauf und Peter Weingart (2009) vor. Sie knüpfen an die Bildwissenschaft und die Diskurstheorie an und es ist überraschend, dass das wissenschaftliche Geographie-Machen im Zuge visualisierter Geographien überhaupt keine Beachtung findet. Es bedarf daher der Fruchtbarmachung einer Bilddiskursanalyse für die visuellen Geographien von Geschlecht und Raum, um deren visuelle Wirkmächtigkeit ebenso nachvollziehen zu können. Für eine Interpretation des Bildes bedarf es nach Imdahl (1994) erstens der Befreiung vom textlich-narrativen Vorwissen und zweitens der Fokussierung auf die Gesamtkomposition des Bildes. Denn während die ikonologische Bildinterpretation dazu neigt, „einzelne Elemente des Bildes herauszugreifen, zwingt uns die Rekonstruktion der formalen, insbesondere der planerischen Komposition gewissermaßen dazu, diese Elemente nicht isoliert, sondern grundsätzlich immer im Ensemble der anderen Elemente zu interpretieren“ (Bohnsack 2006:48). Das ist gleichzeitig ein erster Zugang zu der Frage, „Was ist ein Bild?“, mit der Gottfried Boehm (1994b) die Kunstwissenschaft für einen konstruktivistischen Zugang zum Bild öffnet und für die wissenschaftliche Bildproduktion fruchtbar gemacht werden soll. Später betont er mit Bezug auf Frank Stellas Maxime „What you see is what you see!“, dass ein Bild niemals Objekt ist, sondern schon „die einfachsten Sachverhalte etwas zeigen können, die projektive Kraft der Wahrnehmung sich auch an ihnen ikonisch entzündet“ (Boehm 2004:31); obwohl sie etwas darstellen, was sie selbst nicht sind (Brandt 2004:46). 13.2
Mit Bildern erzählen
Nun liegen dieser Arbeit eine Vielzahl von visuellen Geographien vor, die in Form von Tabellen, Grafiken, Diagrammen und Karten zirkulieren. Gottfried Boehm (2007) bezeichnet wissenschaftliche Bilder als schwache Bilder gegenüber starken Kunstbildern, da ihnen die Momente des Anspielungsreichtums, der Metaphorizität, der Autonomie und Selbstreferenz fehlt. Es ist aber doch gerade die Vollzugsorientierung wissenschaftlicher Bilder, die ihnen eine starke Position in der Wirklichkeitsproduktion zukommen lässt. Denn sie zielen entgegen der Anspielung eines Kunstbildes auf Eindeutigkeit der Abbildung ab und ihnen wird die Fähigkeit zugesprochen, Verborgenes sichtbar zu machen, was als Erkenntniserweiterung verstanden wird. Dass die Darstellungen des Natürlichen in der wissenschaftlichen Bildproduktion (vgl. Hanke 2006, Nikolow 2006) auf theoretische Vorannahmen wie zum Beispiel Eugenik, Rassentheorien, Wachstumstheorien, Push- und Pulltheorien bezieht, bleibt unsichtbar. Damit vereint Tabellen, Grafiken, Diagramme sowie
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Route 5: Erzählte Geographien als Bild
Karten mit Bildern das Charakteristikum, dass sie auf die Sichtbarkeit von Dingen verweisen ohne selbst diese Dinge zu sein (vgl. Fellmann 1998). Jedoch unterscheiden sie sich erstens darin, dass sie viel stärker als das Kunst- und/oder Fotobild eine Abstraktion von den Bildproduzentinnen abstreben, sodass die praktische Tätigkeit der Herstellung aus dem Blickfeld gerät. So bleiben die Malerinnen einer Karte, die Zeichnerinnen eines Diagramms, die Nutzerinnen des Computers zur Erstellung einer Tabelle oder Grafik unsichtbar. Zweitens beanspruchen wissenschaftliche Bilder Objektivität, das heißt, dass sie unabhängig von zeitlichen und räumlichen sowie subjektiven Bedingungen ‚richtige‘ Erkenntnisse abbilden. Das macht sie zum Beweismaterial wissenschaftlicher Wahrheitsproduktion und verweist auf die Bedeutung der Bildpraktik. Drittens müssen die Betrachterinnen wissenschaftlicher Visualisierungen über die Kenntnis eines speziellen Codes verfügen, um das Bild lesen und ‚richtig‘ verstehen zu können. Wissenschaftsbilder sind technisch konstruierte Bilder, die eine andere als die alltägliche Darstellungsform aufweisen. Aus diesem Grund nennt sie der tschechische Kommunikationswissenschaftler Vilém Flusser (1998) Technobilder. Für Flusser dienen die Technobilder den Wissenschaften dazu, ihre zunehmende Spezialisierung und sprachliche Abschottung zumindest teilweise auszugleichen, um für gesellschaftliche Auseinandersetzungen wieder Bedeutung erhalten zu können. Mit diesem Ziel ermöglichen Bilder die Wahrnehmung mehrerer Aspekte auf einen Blick, was Imdahl als Konzentration und Zeitverdichtung von Noch, NichtMehr, Schon und Noch-Nicht darstellt. Die Leistung des Bildes besteht darin, „eine das Textlogische übertreffende Sinneinheit“ zu erreichen (Imdahl 1988:53f, zit. in Burri 2008:348). Um bedeutsam sein zu können, müssen Technobilder aber verstanden werden. Da es jedoch nicht möglich ist, jeder wissenschaftlichen Visualisierung eine Reflexion der Entstehung beizulegen (z. B. wie die Messwerte erhoben werden, welche computergestützten Verfahren die Übertragung der Messwerte in Graphen oder Diagramme und nicht zuletzt Karten ermöglicht, wer diese Transformation vollzieht, wann diese Transformation erfolgt usw.), dient bei einem Technobild allein die Bildlegende als Anleitung, wie die Abbildung zu lesen und zu verstehen ist. Der Einbezug dieser kurzen Erklärung ist daher für die Bildinterpretation von großer Bedeutung, schafft sie die Brücke zwischen dem Bild und dem Verstehen des Bildes. Neben der Bildlegende spielt ein weiterer Prozess für die Verstehensleistung des Technobildes außerhalb der hoch spezialisierten und sprachlich eingegrenzten Scientific Community eine entscheidende Rolle. Das Technobild muss den Übergang vom Sprachbild zum Bild schaffen; dabei macht sich das Technobild eine Eigenschaft der Alltagskultur zunutze, die die Gleichsetzung von fotografiertem Objekt und Objekt an sich vollzieht, um die Bestimmtheit des Gegenstandes zu sichern (Wimmer 1979, zit. in Liebert 2011:362). Nur so ist es möglich, zu sagen: „auf dieser Karte sehen sie die Binnenwanderungen zwischen“, oder „wie die Tabelle zeigt, leidet Deutschland unter Geburtenrückgang“. Migration und Geburtenrückgang sind eher abstrakte Phänomene der Gesellschaft, die von jeder einzelnen Person nicht erlebt werden können (ebenso wenig wie der Klimawandel oder das Ozonloch), und gerade hier helfen Technobilder. Denn grundsätzlich hat die individuelle Entschei-
Route 5: Erzählte Geographien als Bild
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dung einer weiblichen Person oder eines Paares, kein oder ein Kind oder zwei Kinder zu bekommen, nichts mit dem deutschen Staat, den Sicherungssystemen usw. zu tun. Erst das Technobild und dessen Erklärung bettet Einzelerzählungen in einen raumzeitlichen Kontext, der durch das Technobild sichtbar und somit realer wird. Darüber hinaus versteht Burkhard Fuchs (2006) das Bild als ein erzählendes Medium, das diskursive Kontexte als eine weitere Form der Wirklichkeitskonstruktion neben der sprachlichen mit dem Ziel verarbeitet, Kontingenz herzustellen. Denn die Bildelemente werden nicht erst in der Visualisierung mit Narrationen verknüpft, sondern sind selbst schon Narrationen, die im Zuge der Visualisierung zirkulieren und manifestiert werden. Um innerhalb des wissenschaftlichen Kontextes verstanden zu werden, müssen diese Bildelemente bestimmte Anforderungen erfüllen und Regeln gehorchen, womit sie bereits die Folge von Klassifizierungen und Institutionalisierungen sind. Das deutet erstens darauf hin, dass die spezifische Visualität vor allem darin besteht, dass „es einen gesellschaftlich [und wissenschaftlich] ausgerichteten Blick auf etwas in Bezug auf das Erkenntnisinteresse gibt“ (Miggelbrink & Schlottmann 2009:191) und damit stellt sich die Frage, welche Elemente der Karte eine erdräumliche Verortung bei den Leserinnen auslöst, welche Elemente der Graphik die Interpretation von positiver/negativer Entwicklung ermöglicht, welche Elemente der Tabelle dazu führen, dass Zahlen richtig interpretiert werden können usw. Zweitens bedeutet dies, dass eine Bildanalyse ohne Bezüge zu gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen gar nicht auskommt. Denn das Bild entfaltet seine Erzählung erst während der Interpretation der Betrachterinnen mit Bezug zu Vorwissen und Kenntnissen dieser. Das spielt beim Technobild, wie schon erwähnt, eine ganz besondere Rolle, kann das Technobild nur von der Scientific Community direkt gelesen werden, da der Denkstil des Denkkollektives die Interpretation schon vorstrukturiert. Bilder erzählen demnach nur, wenn sie in eine bestehende Erzählstruktur gehören, da sie ansonsten nicht zu verstehen sind. In diesem Sinne sind Karten, aber auch Graphiken, Diagramme und Tabellen nicht Neues; man wird mit ihnen schon in der Kindheit und der Schule konfrontiert und ist mit dem Aufbau, der Struktur also insgesamt mit der spezifischen ‚Darstellung‘sstruktur von sozialräumlicher Welt vertraut. Dieser Einbezug der Interpretationsleistung der Betrachterinnen stellt auch für Regula Burri (2008) eine zentrale Voraussetzung der Bildanalyse dar. Sie plädiert mit Bezug zur Praxistheorie Bourdieus (1976) und der Artefakttheorie Latours (2007) für eine Soziologie des Visuellen und bietet einen Zugang zur Praxis des Bildes durch drei Dimensionen der Bildanalyse: visual value, visual performance und visual persuasiveness. Der Eigenwert (visual value) des Bildes zielt auf die nicht diskursive Spezifik des Bildes. Damit wird behauptet, dass Bilder neben Zeichen und Symbolen über weitere nicht sprachliche Elemente verfügen. Diese sind nicht vollständig auf eine diskursive Ebene zurückzuführen, ohne an Komplexität zu verlieren. Auf diese Nicht-Reduzierbarkeit bildlicher Elemente auf eine sprachliche Repräsentation hat schon Boehm (1994a:30, zit. in Burri 2008:348) als „ikonische Differenz“ hingewiesen. Burri (2008:348) radikalisiert diesen Aspekt in ihrem Begriff „visual value“ als eine Bildlichkeit, „die in der Praxis durch kulturelle Praktiken des Sehens und Interpretierens konstituiert wird“.
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Route 5: Erzählte Geographien als Bild
Textlegende: Hoher Überschuss bzw. Defizit entspricht dem oberen bzw. unteren 10-Prozent-Quantil. Überdurchschnittliche Abwanderung im Landkreis Göttingen durch Grenzdurchgangslager Friedland. Rate des Wanderungssaldos in Region i = (Zuzüge - Fortzüge)/Bevölkerung (alle Größen für Frauen, 18 bis 30 Jahre). Quellen: Statistisches Bundesamt 2005; Darstellung des IWH. Abbildung 7: Rate des regionalen Wanderungssaldos; Frauen von 18 bis 30 Jahren, 2005; Quelle: Kubis, Alexander & Lutz Schneider (2007:298)
Route 5: Erzählte Geographien als Bild
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Bildtheorie
Fragestellung für die Analyse
Bild als Objekt
Was zeigt das Bild? Zweidimensionale Darstellung der nationalstaatlichen Vorstellung von Deutschland, Abbildung der außenstaatlichen Grenzen, Bundesländer und Kreisgrenzen, einige Regionen sind gleich/anders schattiert als andere, Farbgebung erfolgt in 4 Abstufungen von weiß (hohes Defizit) bis schwarz (hoher Überschuss), die meisten Flächen sind grau, alte Bundesländer eher weiß, außer Berlin, Brandenburg, Halle, Leipzig, Magdeburg, Potsdam, schwarze Flecken sind hauptsächlich Großstädte; Wie wird Sinn hergestellt? Abgrenzungen der Staats- und Landesgrenzen mit der Farbe Rot, Legende mit 4 Abstufungen von weiß bis schwarz, entsprechend der Legende erfolgt eine unterschiedliche Farb-Darstellung der einzelnen Kreise.
Sinngehalt
Bild als Thema Motiv
Bild als Praxis Nachvoll‚seh‘barkeit (visual value) Organisation der Bildinformationen (visual performance) Überzeugung (visual persuasiveness)
Bild als Erzählung Kontextualisierung Kontingenz
Bild als Technobild Reduktion, Sachlichkeit, Objektivität , Abstraktion
Welcher Sinn wird hergestellt? In Bezug auf ein gesellschaftliches Phänomen (Rate des regionalen Wanderungssaldos) gibt es räumliche Unterschiede in der Ausprägung. Einige Regionen – besonders der Nordosten – weisen eine besonders deutliche, andere Ausprägung auf als der Süden und Südwesten. Deutschland als Nationalstaat, Deutschland als in Kreisen untergliedert, Deutschlands Kreise sind unterschiedliche, Ostdeutschland ist wesentlich zu unterscheiden von Westdeutschland; Wofür steht das Bild (Motiv)? Wanderungsbewegungen in Dtl., in ländlichen Gebieten negativer Wanderungssaldo, Gleichheit/Ungleichheit, Differenz, Abweichung, Unterschied, nicht gleichverteilt, Verschiedenartigkeit; Welches Thema wird thematisiert? Wanderungssaldo, Wanderungsüberschüsse und Wanderungsdefizite nach Kreisen in Deutschland; Was wird nicht thematisiert? Deutschland steht alleine, Europa ausgeblendet, dann würde man vielleicht sehen, dass Deutschland keine Sonderstellung der Wanderungsdaten hat, oder Ostdeutschland keine Sonderstellung hat, Normalität vielleicht Was ist die nicht diskursive Symbolik des Bildes? Aufteilung Deutschlands, aber es gibt Unterschiedlichkeiten innerhalb des Nationalstaates, homogene Flächen, Symbolik ist schwarz-weiß, schwarze und weiße Flächen stechen hervor, graue Flächen werden weniger wahrgenommen; Wie sind die nicht diskursiven Elemente des Bildes organisiert? unterschiedlich schattierte Flächen, nationalstaatliche und regionalpolitische Organisation der Elemente; Wie werden nicht-diskursive Symboliken benutzt? Flächen sind voneinander abgegrenzt und erscheinen als Gegenüberstellung/Vergleich, Kontrast, Diskrepanz, Unterschied, Gegenpol; werden benutzt, um Gleiches und Gegensätze deutlich zu machen, weiß-schwarz ist stärkster Gegensatz; Was wird sichtbar gemacht? Unterschiedlichkeit, Gemeinsamkeit bezüglich der Rate des regionalen Wanderungssaldos, Wanderungssaldo von Frauen im Alter von 18 – 30 in Deutschland, es gibt bevorzugte Wanderrichtungen, es gibt Punkte, die stärker als andere als Herkunfts- und Zielregion dienen; Wie wird Überzeugung angestrebt? Überzeugung erfolgt durch schwarz-weiß-Semantik, schwarz-weiß ist ein Unterschied per se und wird auf ein soziales Phänomen übertragen, Spezifikation auf Geschlecht und Alter, Ausschluss anderer Personen und Altersgruppen, Überzeugung durch Detailgenauigkeit und Wissenschaftlichkeit Was sind die Regeln, um verstanden zu werden? Fachbegriffe der Migration, Kenntnis über nationalstaatliche Organisation, schwarz-weiß muss als Unterschied erlernt sein; Was löst das Bild aus? Unterschiede sind Ungleichgewichte/Abweichungen/Kontraste, Ungleichgewicht ist auf Defizite zurückzuführen, die Begriffe Überschuss und Defizit besitzen eine Bewertung von zu viel, zu wenig und verweisen damit darauf, dass es ein Nicht-zu-Viel und ein Nicht-zu-Wenig gibt – also ein Richtig, Nicht-Unterschiedlich, Nicht-abweichend, Nicht-Kontrastierend; Wie erscheint was als was? Schwarz als Überschuss (viel), weiß als Defizit (wenig bis leer), Grenze erscheint als Rot, Unterschied erscheint als schattierte Abstufungen; Wie werden Bilder wirklich? Durch die Nachvoll‚seh‘barkeit von Unterschiedlichkeit, Ungleichgewichten, durch Schwarz-weiß-Kontrast, der den stärksten Kontrast in der Farbskala darstellt, durch den Verweis auf die Berechnung des Bildmaterials in der Bildlegende, durch die Quellenangabe, die ein Bundesinstitut ist, dieses Bundesinstitut ist bekannt, Bezug zu Nationalstaat, Bezug zu Wissenschaftlichkeit; Was sind die Selbstverständlichkeiten der Bilddarstellung und -betrachtung? Abgrenzung von Nationalstaat und Regionen, Darstellung von regionalen Unterschieden durch farbliche Abstufungen, Zuspitzung der Unterschiedlichkeit auf eine bestimmte Personengruppe, die nach Alter und Geschlecht separiert ist, diese Separierung wird nicht hinterfragt, Thema der Karte (Wanderungsraten) Wie wird Wissenschaftlichkeit angestrebt? Fachsprache, Abstraktion mit Detailtiefe, Datengrundlage geht auf kleinste Flächen zurück, heißt viele Daten, heißt Wissenschaftlichkeit, Titel der Abbildung, Legende betont, was das Bild zeigt, am rechten Rand ist der Hersteller als Kürzel angegeben (Institut für Wirtschaftsforschung Halle), der Begriff „Rate“ verweist auf eine nachvollziehbare Berechnung, Quelle = Bundesinstitut; Wie argumentiert das Bild? Schwarz-Weiß-Semantik, Quellenangaben, Kontrast, Titel; Wie beweist das Bild? Quellenangabe, Begriff „Darstellung“ verweist darauf, dass etwas Reales ‚nur‘ dargestellt wird, nicht aber verändert wird, künstlerische Freiheit wird ausgeschlossen; Wie erfolgen Erklärungen? Fachsprache, Erklärungen unter dem Bild, in der Bildlegende durch Bezug zur Berechnung und dem Hinweis auf die spezifizierte Personengruppe; Wie ist das visuelle Wissen gerichtet? auf eine Personen- und Altersgruppe (Frauen im Alter von 18 – 30), auf eine bestimmte Richtung der Wanderbewegungen
Tabelle 7: Zugänge zu visuellen Geographien am Beispiel der Abbildung 7, Quelle: selbst erstellt
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Route 5: Erzählte Geographien als Bild
Eine Bildanalyse ist oberflächlich, wenn sie nur auf die Bildelemente blickt, ohne die Wahrnehmung und Interpretation dieser Elemente durch die Betrachterinnen in den Blick zu nehmen. Eine zweite Dimension der Visualität des Bildes besteht in der Organisation der visuellen Zeichen, die auf ganz bestimmte Weise wahrgenommen und interpretiert werden können. Die „visual performance“ von wissenschaftlichen Bildern erfolgt so zum Beispiel nach ganz spezifischen Regeln, die Resultate „soziotechnischer Bedingungen und kultureller Sinnstrukturen sind“ (Burri 2008:349). So ist die Transformation von Zahlen in Graphiken und Diagrammen (vgl. Lynch 1990, Lynch & Edgerton 1988, Knorr-Cetina 2001) ein Resultat des Bedürfnisses, Übersichtlichkeit herzustellen und damit eine Konsequenz dessen, was als übersichtlich gilt und/oder wie Übersichtlichkeit bewertet wird. Drittens besitzen wissenschaftliche Bilder eine gewisse Autorität, die sich aus ihrer Objektivität und Evidenz heraus entfaltet. Die als „visual persuasiveness“ bezeichnete Dimension der Visualität verweist auf die Ausstrahlungskraft und die Überzeugungsfähigkeit des Bildes. Es spricht bestimmte Wahrnehmungs-, Seh- und Interpretationstraditionen an und ermöglicht im Zuge der Sichtbarkeit Wahrheit. Aufgrund dieser Überzeugungsfähigkeit des Bildes, von der Vermutung hin zur Bestätigung durch die Sichtbarkeit des eigentlich Nicht-Sichtbaren, bildet das Bild nicht nur für die Wissenschaft ein zentrales Argumentationsmedium, sondern auch für den nicht wissenschaftlichen Bereich. Denn weil das Bild einerseits „auf einen Blick alles zeigt“ und andererseits den Zugang zum Nicht-Sichtbaren ermöglicht, ist es das zentrale Brückenmedium, wissenschaftliche Erkenntnisse der Gesellschaft zeigbar zu präsentieren. 13.3
Bilddiskursanalyse in der Praxis
Die vorangehende Tabelle 7 gibt am Beispiel der Abbildung 7 einen Überblick über die unterschiedlichen Zugänge zum wissenschaftlichen Bild. Alle Perspektiven ermöglichen unterschiedliche Fragestellungen an das wissenschaftliche Bild und damit eine umfassende Rekonstruktion der nicht diskursiven Symboliken.
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Konklusion III
Die vorgestellten Methoden der Rekonstruktion bieten einen vielversprechenden Zugang zu den wissenschaftlichen Strategien der Wissensproduktion, -vermittlung und -durchsetzung. Damit verkörpern sie das Bedürfnis jeder Disziplin, Probleme mithilfe methodisch einwandfreier Instrumente aufzuzeigen und nicht zuletzt lösen zu können. Dies erfolgt mit dem Ziel, einem Thema ein Ende zu setzen, indem es allumfassend erfasst und das letzte Wort darüber verfasst wird. Im Grunde „ist es diese Hoffnung“, wie Jonathan Culler (1988:99ff) schreibt, die „Kritiker[innen] zum Schreiben veranlasst, auch wenn sie gleichzeitig wissen, dass Schreiben dem Schreiben niemals ein Ende setzt“. Denn paradoxerweise „zieht eine Interpretation umso mehr Schriften nach sich, je überzeugender und maßgebender sie ist“. Das Schreiben, das nichts anderes sein soll, als ein Ausdrucksmittel für das Gedachte, neigt also dazu, die Bedeutung zu „affizieren oder sogar [zu] infizieren“. Dieser Phonozentrismus weist schlussendlich auf einen Logozentrismus hin, der Denken, Wahrheit, Vernunft ebenso wie das Wort als an sich existierende Basis versteht. Ganz im Gegenteil zeigt Jacques Derrida in seinen Auseinandersetzungen mit Ferdinand de Saussure, dass die Schrift wie die Sprache aus Differenzen besteht, die jedoch nicht in der Natur der Zeichen liegen, sondern sozial ausgehandelt werden. Das führt ihn zu der Erkenntnis, dass „die ursprüngliche, natürliche usw. Sprache nie existiert hat, dass sie nie unversehrt, nie unberührt von der Schrift war; dass sie selbst schon immer eine Schrift gewesen ist“ (Derrida 1976 [1967]:99). Damit ist Schreiben eben gerade nicht mehr ein Vermittlungssystem, sondern eine „materielle Markierung“ (Culler 1988:100), die in Abwesenheit der Sprecherinnen ihre Funktion erfüllt. 14.1
Rekonstruktion als Dekonstruktion
Bein einem solchen Zugang ist es nötig, der Rekonstruktion der wissenschaftlichen Wissensproduktion, -vermittlung und -durchsetzung eine Dekonstruktion folgen zu lassen, die selbst wiederum die rhetorischen Verfahren nachweist und die Basis der Argumentationen erst erschafft. Denn auch die mikrosprachliche Rekonstruktion der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum reproduziert letztendlich das Rekonstruierte im Zuge des Schreibens. Die Gegenentwürfe zum Essentialismus von Foucault, Derrida, Butler u. a. mit dem Ziel, ‚anders zu lesen‘, das
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Objektive abzulehnen und das subjektiv Interpretierte/Zugeschriebene/Bedeutende herauszuarbeiten, bleiben immer eine Form des kontextgebundenen Lesens und Schreibens. Das bedeutet nichts anderes, als das die im Folgenden präsentierten Ergebnisse nicht voraussetzungslos im Text gefunden werden, sondern erst im Zuge der Methoden der Rekonstruktion und mit Blick auf die Einführungen der einschlägigen Literatur sichtbar werden. Schließlich also – auch mit Blick auf die Erzähltheorie – Produkte der Konstruktionsleistung der Forscherin sind und durch das Schreiben einen ontologischen Status erhalten, der dem Denken und dem Sprechen nicht entspricht, da „die Signifikanten verschwinden, sobald sie geäußert werden“ (Culler 1988:101). Eine dekonstruktive Lesart kann somit neben der rekonstruktiven Lesart zeigen, dass der Gegenstand einer Kritik gegenüber einem Text, in der Kritik meist selbst wiederum vorhanden ist. So wiederholt die Rekonstruktion trotz aller Sensibilisierung gegenüber der Interpretationsleistung der Wissenschaftlerinnen die Vorstellung eines im Text vorhandenen Sinns, ohne dessen die Analyse mittels Heuristiken und den Phänomenen der Versprachlichung nicht nachvollziehbar wäre. Sie entwirft eine Matrix der Analyse, die objektiv nachvollziehbar ist und die Interpretationsleistung soweit wie möglich zurückstellen soll; letztendlich mit dem Ziel gegenüber den Naturwissenschaften Legitimation erhalten und Repräsentation schaffen zu können. Sie behauptet im Zuge von Analysegruppen die Präsenz aller möglichen Interpretationen einfangen zu können und stellt sich damit in den Dienst einer Totalität, die dem Text selbst im Zuge des Anspruchs an allumfassende Untersuchungen, unterliegt. Zudem strebt sie die Kondensationspunkte an, die Argumente und Normen zusammenbringen, ohne zu bemerken, dass die Methoden und ihre Anwenderinnen selbst diese Orte darstellen. Denn jede Lektüre beruht auf Vorannahmen, ohne die ein Text nicht verständlich ist. Damit „enthüllt [die Dekonstruktion] die Unmöglichkeit jeder Literatur- oder Diskurswissenschaft und führt die Kritik wieder zur Aufgabe der Interpretation zurück“ (Culler 1988:245). 14.2
Praktiken reflektieren
Infolgedessen obliegt der Autorin wiederum die Aufgabe, nach eigener wissenschaftlicher Performanz, um Glaubwürdigkeit zu erreichen. An dieser Stelle sei auf die Arbeiten der performativen Sozialforschung hingewiesen, die sich performative Forschungspraktiken aneignet, um alternative Wege der Wissensdarstellung zu praktizieren (Gray & Sinding 2002, Russel 1999). Sie gehen davon aus, dass Wissenschaft nicht repräsentiert, was existiert, sondern konstruiert. Damit erfolgt die praktische Umsetzung der Kritik an den traditionellen Formen wissenschaftlicher Kommunikationsstrategien, die wissenschaftliche Texte ohne ein gewisses Sprachrepertoire schnell als unwissenschaftlich konstruieren, die in Folge dessen von Gatekeepern einer Disziplin missachtet werden. Performative Sozialwissenschaftlerinnen erweitern die ‚Darstellungs‘möglichkeiten der Wissenschaft durch Kunst, Musik, Theater, Fotografie usw. und verabschieden sich damit auch von der realistischen Rhetorik sowie von wertfreien Vorstellungen traditioneller Wissenschaftsre-
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präsentation. Durch alternative Kommunikations- und Darstellungsformen verweisen sie auf den konstruktiven Charakter von Wissenschaft und hinterfragen den Dualismus von Kunst und Wissenschaft respektive von Imagination und Wahrheit und damit gehen sie den wohl radikalsten Weg einer Soziologie des Wissens durch den eigenen Performanzakt. Aufgrund fakultärer und institutsinterner Vorgaben, kann diese Arbeit nur in einem kleinen Rahmen an diese Arbeiten anschließen, was zum Beispiel in der abweichenden Form der Präsentation der Forschungsergebnisse Ausdruck findet. Ansonsten werden in den folgenden Kapiteln in traditioneller Wissenschaftspraxis Geographien von Geschlecht und Raum erzählt, die ein Resultat der Deutung und Interpretation der Autorin sind. Es bleibt nicht mehr als die Hoffnung, als Wissenschaftlerin die naive Erzählung von Geographien durch eine aufgeklärte zu ersetzen, um erstens selbstverständliche Perspektiven der Sinn- und Bedeutungssuche zu verschieben, zweitens eine Rekonstruktion der wissenschaftlichen Wissensaneignung anzustoßen und um drittens zu einer Reflexion der wissenschaftlichen Wissensproduktion beitragen zu können.
D ÜBER DIE REISE ERZÄHLEN REKONSTRUKTION WISSENSCHAFTLICHEN WISSENS
„Wenn ich mehr als kritisch sage, dann meine ich ‚dekonstruktiv‘, ich berufe mich auf das Recht der Dekonstruktion als unbedingtes Recht (…). In Humanities also, warum sollte ich es nicht erneut ohne Umschweife sagen, die den Aufgaben der Dekonstruktion gewachsen wären, angefangen mit der ihrer eigenen Geschichte und ihrer eigenen Axiome.“ Jacques Derrida in seinem Vortrag „Die unbedingte Universität“; gehalten in Frankfurt am Main im April 1998 auf Einladung von Jürgen Habermas über „Die Zukunft der Profession“ (2001:12)
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„(…) Grundlage des Beitrags bildet eine geschlechts- und altersspezifisch differenzierte Wanderungsdatenbank (…)“
„(…) daran anknüpfend werden die beteiligten Akteure nach ausgewählten Merkmalen differenziert, mit dem Ziel einer Identifikation und vorläufigen Typisierung relevanter Teilgruppen… “, „(…) demographische Situationsbeschreibung (…)“, „(…) Fort- und Zuzügler im Zentrum der Analyse (…)“, „(…) die vorgenommene Altersgruppierung von 18 bis 30 Jahren ist durch den gewählten Datensatz vorgegeben (…)“, „(…) im Unterschied zu Kindern, Jugendlichen und erwerbsfähiger Bevölkerung wird die Zahl der Personen im Rentenalter bis 2010 (…)“, „(…) die Geschlechtskategorie (…)“, „(…) einer immer kleiner werdenden Gruppe an Werktätigen (…)“, „(…) die Gruppe der 25- bis 30-Jährigen Berufswanderer ist deutlich höher als die der übrigen Gruppen (…)“, „(…) 45 % der Fortziehenden rekrutieren sich seit 1991 aus den Altersgruppen (…)“, „(…) die Korrelationsmatrizen zeigen des Weiteren, dass vor allem die 18- bis unter 25-Jährigen (…)“, „(…) in einer geschlechtsspezifischen Betrachtung ist ferner zu sehen (…)“, „(…) die Alterslastquote wird auf die gegenwärtigen Prozesse in Ostdeutschland erst nach mehr als 20 Jahren sichtbar (…)“, „(…) die deutlich niedrigeren Geburtenziffern im Osten verstärken den Verlust (…)“
Die Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum sind Konsequenzen wissenschaftlicher Bemühungen, die grundsätzlich auf spezifischen Denktraditionen der Bevölkerungsforschung basieren. Henriette Engelhardts (2011) hält in ihrem Einführungsbuch zur Bevölkerungswissenschaft fest, dass diese anhand der Theorie der Fertilität, der Theorie der Mortalität sowie der Theorie der Migration die Entwicklung der Bevölkerung eines Staates untersuche. Sie sei dem Wortlaut nach eine Wissenschaft zur Volksbeschreibung, die die alters- und zahlenmäßige Gliederung, Reproduktions- und Sterberaten sowie Lebenserwartungen und Wanderungsbewegungen ebenso untersuche wie die geographische Verteilung der Bevölkerung. Resultate der Bevölkerungsforschung seien Beschreibungs- und Erklärungsmodelle, die detaillierte Angaben zu Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten der Struktur und somit des Zustandes der Bevölkerung beinhalten. Obwohl im Folgenden deutlich werden wird, dass die Etablierung der Bevölkerungsforschung eng an die Entstehung des modernen Nationalstaates gebunden ist, ist sie keine Erfindung des Nationalstaates. Eine systematische Sammlung von Bevölkerungsdaten beginnt jedoch erst im Zuge der Nationalstaatsentstehung im 17. Jahrhundert. Da entdeckt der merkantilistische
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Staat den Bürger als Produzenten, Steuerzahler, Verbraucher und Soldat (Cromm 1998, zit. in Michel 2009:5) und somit wird es notwendig, die Zahl der Bürger zu kennen (Conring 1675). In diesem Kontext entwickelt sich der Begriff „Statistik“ vom lateinischen „statisticum“ (den Staat betreffend)61 und wird durch Gottfried Achenwall (1749) als die „Lehre von den Daten über den Staat“ institutionalisiert. Das macht Volk und Bevölkerung Mitte des 18. Jahrhunderts zu Objekten der Wissenschaft und ermöglicht eine systematische Betrachtung des Staates als Volkskörper. Damit ist die Geschichte der systematischen Bevölkerungsforschung zunächst einmal eine Geschichte der Statistik und dieser disziplinhistorische Kontext prägt bis heute die Denkordnungen der Demographie. Die genannten Ziele und Aufgaben machen deutlich, dass die Demographie auf einem realistischen Paradigma basiert, das fünf grundlegende Maximen beinhaltet. Erstens sei die Erfassung der sozialräumlichen Phänomene der Gesellschaft durch die Methoden der Statistik möglich. Zweitens spiegelten die sich daraus ergebenden Daten sowohl die Gesellschaft als Ganzes als auch die Bedürfnisse der Individuen wieder. Drittens bezögen sich die erhobenen Daten ursächlich aufeinander, sodass Erklärungen über den Volkskörper möglich seien. Viertens stelle Geschlecht ebenso wie Alter und Herkunft eine homogene menschliche Kategorie dar. Und fünftens seien Raum und Bevölkerung zweidimensional zu homogenisieren und gegenüber anderen Räumen und deren Bevölkerung eindeutig abgrenzbar. Das bedeute insgesamt, dass die Bevölkerungsstruktur als auch die innerhalb einer Gesellschaft ablaufenden sozialräumlichen Prozesse nicht nur exakt in Form von Zahlen beschrieben, sondern auch durch Abbildungen anschaulich dargestellt werden können. Zudem könnten auf der Basis exakter Erfassung, Beschreibung, Erklärung, Darstellung und Abbildung auch Entwicklungsprognosen über einen Zeitraum von 50 und / oder sogar 100 und mehr Jahren erstellt werden, die als Grundlage für bevölkerungspolitische Instruktionen dienen. Das folgende Kapitel wird diese Denktraditionen der Bevölkerungsforschung aufarbeiten und mit der Repräsentation dieser Narrative zeigen, welche Rahmenbedingungen zur Akzeptanz von Subnarrativen beitragen. 15.1
Erfassung der Gesellschaft
Die erste statistische Vorlesung hält Hermann Conring 1660 in Helmstedt und er fasst seine Gedanken in seinem Werk „Thesaurus totius orbis quadripartitus“ (1675) zusammen. Er betont die Notwendigkeit der Ermittlung von Volkszahl und Stärke als wichtige Aufgabe des Staates und fordert nicht allein die Beschreibung des Volkskörpers, sondern die Diskussion der ursächlichen Zusammenhänge von Raum und Zeit im Hinblick auf die Vermehrung der Bevölkerung. Die wissenschaftliche Institutionalisierung erhält die Statistik jedoch erst mit Gottfried Achenwall, der das Wort „Statistik“ erstmalig als Substantiv und nicht mehr wie bisher als Adjektiv „statisticae“ benutzt. Für Achenwall (1749) ist Statistik das Suchen nach Systematik und idealer Auffassung und ist nötig, um die Ansprüche des neu entstehenden Staatensystems zu erfüllen. Sein Buch „Abriss der neuesten Staatenwissen61
status – lat. Stand, Verfassung, Umstand, stare – lat. stehen
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schaft der heutigen vornehmsten europäischen Reiche und Republiken“ wird in alle europäischen Sprachen übersetzt. Obwohl sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Staatenlehre, das Staats- und Verwaltungsrecht, die Nationalökonomie sowie die Geographie von der Statistik trennen und somit eine Ablösung von der Achenwallschen Statistik vollziehen, dienen bis heute einzelne Elemente der Achenwallschen Definition als Grundlage der Bevölkerungswissenschaft. „Wenn ich einen einzelnen Staat ansehe, dann erblicke ich eine unendliche Menge von Sachen, so darinnen wirklich angetroffen werden. (…) Man kann solche Staatsmerkwürdigkeiten nennen. Der Inbegriff der wirklichen Staatsmerkwürdigkeiten eines Reiches oder einer Republik macht ihre Staatsverfassung im weitesten Sinne aus, und die Lehre von der Staatsverfassung eines oder mehrerer einzelner Staaten ist die Statistik. (…) Das innere Staatsinteresse, die Mitte, den eigenen Wohlstand zu fördern, Einwohner und Überfluß zu mehren, Wissenschaften, Industrie und Handel zu heben, den Gebrechen der Verfassung abzuhelfen, kann bei jedem einzelnen Staaten abgehandelt werden. Das äußere Staateninteresse, ob es fremde Völker bedarf oder entbehren könne, ob es von ihrer Macht viel oder wenig zu befürchten habe, erfordert eine Vergleichung des einen Staates mit allen übrigen und kann füglich ohne vorgängige Kenntnis der übrigen Staaten nicht begriffen werden“ (Achenwall 1749, zit. in Meitzen 1886:9).
Während die Statistik im Merkantilismus eher zur monarchischen Administration dient, wird sie mit Achenwall zum Mittel der Beschreibung von (Un)regelmäßigkeiten der Bevölkerung. Daneben gibt es Bemühungen, statistische Daten zur staatlichen Kontrolle (vgl. Olbrecht 1617) und für privatwirtschaftliche Prognosen zu verwenden, wie z. B zur Berechnung der Höhe der Lebensversicherungsrenten (vgl. Neumann 1689). Im 18. und 19. Jahrhundert beginnt die fortschreitende kontinuierliche Erfassung empirischer Daten und die Institutionalisierung statistischer Aktivitäten. Die territoriale Neuordnung Deutschlands und die zunehmende Industrialisierung machen es nötig, statistische Daten der Topographie, der Seelenzahl, der Agrikultur, des Gewerbefleißes und der Staatsfinanzen festzuhalten. Neben den Bedürfnissen der Verwaltung wird die Statistik unentbehrlich für Privatunternehmen. Neben Lebensversicherungen und Eisenbahngesellschaften interessieren sich auch Kredit- und Aktienanstalten, Stiftungen und Vereine zunehmend für statistische Daten. 1911 wird die Deutsche Statistische Gesellschaft gegründet, die das seit 1890 bestehende „Allgemeine Statistische Archiv“ herausgibt. Dieses begleitet und unterstützt mit Fachzeitschriften und Amtsblättern den Institutionalisierungsprozess der Bevölkerungswissenschaft, wobei vor allem das „Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich“ (seit 1880) und das „Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik“ (seit 1888) zu nennen sind. Robert Lee und Michael C. Schneider (2005:60) weisen auf die bedeutende Rolle der Statistiker bei der Strukturierung bevölkerungsrelevanten Wissens und auf den „normativen, organisatorischen, intellektuellen und materiellen Einfluss auf die zeitgenössischen Debatten zur Bevölkerung und zur Bevölkerungspolitik“ hin. Denn als Experten und verlässliche Autoritäten besitzen sie einen starken Einfluss auf die Hervorhebung bestimmter Phänomene der sozialräumlichen Welt. So geht zum Beispiel die Ausdehnung der Familienstatistik weitgehend auf Friedrich Burgdörfer zurück, der als Beamter des Statistischen Reichamts in den 1920er-Jahren auf die Erhebung der Geburtenrate, Familiengröße, Heirat und Ehescheidung drängt. Er zielt auf eine Erklärung des Fruchtbarkeitsrückgangs besonders innerhalb bürgerlicher Familien.
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Reiseerzählung 1: Die Episteme „Grundlage für die Bevölkerungsprognose der Stadt Leipzig sind die Altersgliederung der Bevölkerung 1988 (Gesamteinwohnerzahl: 54249), alters- und geschlechtsspezifische Fruchtbarkeits-, Überlebens- und Wanderungskoeffizienten, Angaben zur Außen- und Binnenwanderung sowie zum Anteil der Facharbeiter an der arbeitsfähigen Bevölkerung“ (Müller & Thürmer 1991:175).
Die Basis für die deutsche Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung bilden statistische Daten, die in Deutschland vom Statistischen Bundesamt, von den 14 statistischen Ämtern der Länder und den rund 100 selbstständigen statistischen Ämtern in Städten und kommunalen Dienststellen jährlich erhoben werden. Aktuell beschäftigt allein das Bundesamt für Statistik 2780 Mitarbeiterinnen, die nach eigenen Angaben auf der Homepage und im Bundesstatistikgesetz (Statistisches Bundesamt 2009a) ihre Aufgabe darin sehen, wissenschaftlich unabhängige, neutrale und objektive statistische Informationen zu erheben, zu sammeln, aufzubereiten, darzustellen und zu analysieren. Zudem sehen sie ihre Aufgabe in der Information und Beratung von Mitgliedern des deutschen Bundestages, der Bundesregierung, der Botschaften und Bundesbehörden und Wirtschaftsverbänden. Somit dienen statistische Informationen dazu: „(...) Entscheidungen vorzubereiten und durchzuführen. Durch die rasche Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Daten sollen Entscheidungsträgerinnen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung in die Lage versetzt werden, schneller auf Änderungen externer Rahmenbedingungen zu reagieren. Zukünftige Entwicklungen sind beeinflussbar, wenn Informationen über die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhänge zur Verfügung stehen. Entscheidungen gewinnen an Qualität, wenn sie auf der Grundlage qualitativ hochwertiger Informationen getroffen werden. Außerdem sind statistische Informationen eine Grundvoraussetzung für die kritische Beurteilung bereits getroffener Entscheidungen. Statistische Informationen nehmen in einem demokratischen Staat eine – den Medien ähnliche – aufklärende Funktion ein und sind somit unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaftsordnung“ (Statistisches Bundesamt 2007).
15.2
Wiedergabe des Individuums im Durchschnitt
Im 19. Jahrhundert werden statistische Informationen im Zuge von Bevölkerungsund Lebenserwartungsschätzungen immer häufiger dafür benutzt, Prognosen für die Zukunft zu treffen. An dieser Stelle kommt es zur Verbindung von zwei Beschreibungsprozessen; die politisch-administrative Arbeitsweise der Kodierung, Registrierung und Tabellierung zur zahlenmäßigen Beschreibung der sozialräumlichen Welt und der mathematischen Methode der Berechnung des Mittelwertes, der Streuung und der Korrelation. Es ist vor allem Lambert-A.-J. Quetelets (1832) Verdienst, durch seinen Begriff des „Durchschnittsmenschen“ einen Zusammenhang zwischen dem individuellen Verhalten und der Regelmäßigkeit und damit der Vorhersagbarkeit herzustellen. Zum einen werden durch die Wahrscheinlichkeitsmessung sowie durch die Gaußsche Verteilungskurve (Normalverteilung) als auch durch die Reihen der Moralstatistik (Heiraten, Verbrechen, Selbstmord) die Methoden der Naturwissenschaft für die Bevölkerungswissenschaften fruchtbar gemacht. Zum anderen werden Bereiche des gesellschaftlich Normalen und Abweichenden geschaffen (Grant 1665).
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„(...) upon which tables we observe, that every wedding produce four children, and that is consequently the proportion of children which any marriageable man and woman may be presumed shall have.“
Das Zitat zeigt, dass die Statistik nicht den einzelnen Menschen wiedergibt, sondern Durchschnittswerte, die nur im Vergleich zu anderen Durchschnittswerten Sinn machen. Diese sind nicht auf das Individuum zurückzuführen und beinhalten somit auch ganz und gar keine Aussagen über das einzelne Individuum. Bis heute strebt die statistische Tätigkeit mithilfe systematischer und präziser Methoden die Repräsentation der Welt an und zielt auf die Beschreibung gesellschaftlicher ‚Realitäten‘ durch die Übersetzung sozialräumlicher Tatsachen in Form von systematisch berechneten Zahlen ab. Dies basiert auf der Annahme, dass die Statistik etwas zeigen könne, das ohne die Statistik nicht zu sehen wäre. Jedoch sind es nicht Individuen, sondern Durchschnitte, die mit Maßstabsebenen in Verbindung gebracht werden. Jedoch scheint die Notwendigkeit unzweifelhaft vorhanden, benötigt sowohl der öffentliche Sektor wie auch die Wissenschaft quantitative Aussagen zur Beurteilung gesellschaftlicher Prozesse, Probleme und / oder Entwicklungen. Entscheidungen sollen auf tatsächlichen Dingen basieren, die eine stabile Bedeutung haben. Dadurch soll es möglich sein, Vergleiche durchzuführen und Äquivalenzen aufzustellen. Diese Quantifizierungsmaßnahmen und ihre scheinbar beliebige Kombination mit anderen Identitätsfaktoren stellen keine Repräsentation einer komplexen sozialräumlichen Welt dar, sondern sind ein relevantes Artefakt bei der Konstruktion dieser Welt. Denn die Relevanz der statistischen Tätigkeit ergibt sich erst im Umgang mit den Identitätsfaktoren (Erwerbstätigkeit, Wanderung, Umgezogene, Mütter usw.). „Wer als Erwerbstätiger glaubt, in nächster Zeit arbeitslos zu werden, hat eine überdurchschnittlich hohe Abwanderungsbereitschaft. Bereits eingetretene Arbeitslosigkeit beim Ehepartner erhöht die Umzugsbereitschaft ebenfalls“ (Schwarze 1992:60). „Deutschlands Frauen bekommen so wenig Kinder wie fast nirgendwo in der Welt. Die durchschnittliche Zahl von 1,37 reicht bei weitem nicht aus, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Dafür wären 2,1 Kinder nötig. Deutlich sichtbar ist der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern. Im Osten lag die Kinderzahl je Frau 2001 mit 1,20 deutlich unter dem West-Wert von 1,41“ (Kröhnert et al. 2005:12). „Daneben zeigt sich ein weit überdurchschnittlicher Verlust von in Ausbildung befindlichen Personen bzw. von Personen ohne Berufsabschluss. Verantwortlich hierfür sind – wie bereits gezeigt – Wanderungen zu Beginn oder nach Abschluss einer berufsbildenden Ausbildung“ (Schneider 2005:312).
15.3
Die Daten beinhalten Ursachen und Wirkungen
Im 18. Jahrhundert erfolgt mit einem Essay von Thomas Robert Malthus (1798) mit dem Titel „Essay on the principle of population as it affects the future improvement of society“ ein Bruch mit den populationistischen Vorstellungen der Anfänge der Statistik. Unter dem Einfluss der aufstrebenden Naturwissenschaften legt Malthus ein Bevölkerungsgesetz als Naturgesetz vor. Malthus weist darauf hin, dass sich im
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Kontext des starken Anwachsens der Bevölkerung im 19. Jahrhundert62 das Bevölkerungswachstum über den Nahrungsmittelspielraum63 hinaus entwickle und durch natürliche Ereignisse wie Seuchen und Hungersnot oder gesellschaftliche Tugenden wie sexuelle Enthaltsamkeit eingedämmt werden müsse. Damit wird eine Diskussion entfacht, die die Bevölkerungswissenschaft lange beeinflussen wird und noch heute auf das Spannungsverhältnis von Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsschrumpfung ausstrahlt (vgl. Khalatbari 1999). Daneben entwickelt Malthus auf der Basis der Naturwissenschaft eine ökonomische Theorie der Fertilität, um den Geburtenrückgang vor allem bei bürgerlichen Frauen erklären zu können. Diese Perspektive beeinflusst nicht allein Lujo Brentano, sondern auch Max Weber, Gustav Schmoller, Paul Mombert, Werner Sombart und Julius Wolf. Somit ist die Bevölkerungswissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen durch den Einfluss Malthus‘ geprägt. So sah Schmoller den Geburtenrückgang als Folge der hochkapitalistischen und hochliberalen Gesellschaftsform (Schmidt 1976 [1986]), Mombert hingegen betont die Unterwerfung der Fruchtbarkeit unter die Willensentscheidung, Wolf weist auf die Frauenerwerbstätigkeit, Weber auf die Rationalisierung des Lebensstils hin und Lujo Brentanos Wohlstandstheorie betont, dass der Geburtenrückgang Ende des 19. Jahrhunderts auf den sozialen und kulturellen Aufstieg und somit auf die Zunahme des Wohlstandes zurückzuführen sei. Indem er den Fortschritt der Kultur an die Bevölkerungsentwicklung (konkret an die Kinderzahl pro Frau) koppelt und die „Emanzipation von überkommenden Werten von Kirche und Sitte“ postuliert, wird die Übertragung des Malthuschen Bevölkerungsgesetzes auf die Politik und Ökonomie vollendet. Auch die ersten theoretischen Entwürfe zum demographischen Übergang, zum Beispiel in Frankreich (vgl. Landry 1909) und Amerika (vgl. Thompson 1929), sehen die demographischen Veränderungen als eine Folge der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung der europäischen Gesellschaft (zit. in Höhn 1986:312). Trotz aller Unterschiedlichkeit sozialwissenschaftlicher Ansätze im 19. und 20. Jahrhundert verbindet alle die Vorstellung, dass die Normalverteilung auf die Existenz einer gemeinsamen Ursache bzw. auf die Gesamtheit gemeinsamer Ursachen zurückzuführen sei, die konstante Wirkungen zeige. Diese Vorstellung wird ausnahmslos von allen Gründungsvätern der Soziologie geteilt und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die sozialwissenschaftliche Argumentation fruchtbar ge macht, die sich auch hier fortführt. Vor allem Émile Durkheim (1999[1893]) benutzt den statistischen Durchschnittsmenschen, dessen Eigenschaften durch Vererbung weitergegeben werden, um die Existenz eines außerhalb des Individuums stehenden Kollektivtyps zu untermauern und wendet sich erst in „Der Selbstmord“ von Quetelets Durchschnittsmenschen ab (Desrosiéres 2000:89–110). Die Normalverteilung und deren Idee einer vom Menschen unabhängigen Ursache begründen einen Objektivierungsprozess, der die statistische Darstellung der sozialen Welt als gott-, respektive naturgewollte Ordnung erscheinen lässt. 62 63
Innerhalb eines Jahrhunderts steigt die Bevölkerung Deutschlands aufgrund medizinischer Errungenschaften und hygienischer Kenntnisse von 23 Millionen (1816) auf 68 Millionen (1915) an. In Europa verdoppelt sich die Bevölkerung von 203 Millionen auf 408 Millionen. Nach Malthus (1798) lasse sich die Nahrungsmittelproduktion nur in arithmetischer Reihe (1, 2, 3, 4, 5, …) steigern, das Bevölkerungswachstum steige aber in geometrischer Reihe (1, 2, 4, 8, 16, …).
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Bis zum Ersten Weltkrieg bilden sich ausgehend von England in fast allen europäischen Ländern Vereinigungen, denen die Durchsetzung der Geburtenkontrolle wichtig ist. Diese Entwicklungen stehen zunehmend auch im Zusammenhang mit der Einflussnahme naturwissenschaftlicher Theorien, besonders aus der Biologie (vgl. Schallmayer 1905, 1907, 1910, 1917) und Eugenik (vgl. Galton 1909) sowie Rassentheorie (vgl. von Gobineau 1902–1904 [1853–1855], Chamberlain 1905). Diese Einflüsse ‚erweitern‘ die quantitative Perspektive der Malthusschen Bevölkerungswissenschaft mit qualitativen Ideologien und liefern damit die Legitimationen für das Wachstum der eigenen nationalen Bevölkerung, die im Dritten Reich ihren Höhepunkt erreicht. Dieser Teil der Bevölkerungswissenschaft wird bis nach dem 2. Weltkrieg den größten Einfluss haben, auch wenn ab den 1920er- und 1930er-Jahren die Wanderungsforschung im Hinblick auf die nationalen und regionalen Wanderungsprozesse im Rahmen der Soziographie an Bedeutung gewinnt (vgl. Henssler & Schmid 2005:281). Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Disziplin zunächst einmal mit der Kritik an der politisch-ideologischen Instrumentalisierung innerhalb des NS-Regimes konfrontiert und bis heute ist die Aufarbeitung des Beziehungsgeflechtes von Bevölkerungswissenschaft und Drittem Reich noch nicht abgeschlossen (vgl. Aly & Roth 2000, Kaupen-Haas 1986); gerade auch weil – wie Susanne Heim und Ulrike Schaz (1996:12f) betonen – der Mainstream der Demographinnen eine eher unkritische Haltung zur Geschichte ihrer eigenen Disziplin hat und „bis heute (…) weitgehend vermieden [hat], eine fachinterne Kritik zu leisten. Während es in anderen Disziplinen eine Heterogenität der Ansätze gibt, Richtungs- und Meinungsstreite offen ausgetragen werden, dominiert in der Bevölkerungswissenschaft dagegen ein Korpsgeist, der sich nicht zuletzt aus der besonderen Regierungsnähe, aus dem intimen und nie kritisch hinterfragten Verhältnis zur jeweiligen Macht erklärt.“
So schreibt Karl Schwarz (2000) einen Aufsatz mit dem Titel „Anforderung an die Demographie zum Einstieg in die Bevölkerungspolitik“. Dennoch verhindern die Vorwürfe gegen die ideologiebelastete Wissenschaft den schnellen Aufbau statistischer Büros nach 1945 sowie die Fortführung der Bevölkerungswissenschaft, was meist durch Privatinitiativen geleistet wird (z. B. die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft 1952). Die Fortführung der Bevölkerungswissenschaft wird zusätzlich durch die Teilung Deutschlands in vier Verwaltungszonen und nicht zuletzt durch die Teilung in zwei Nationalstaaten infolge des Mauerbaus im Jahre 1961 gehemmt. Eine Folge der Kritik an der Bevölkerungswissenschaft ist die Etablierung der Demographie als eigenständige Fachdisziplin, die bisher Teildisziplin der Bevölkerungsstatistik war (Lehrstuhl für Demographie an der Hochschule für Ökonomie in Berlin 1969, Lehrstuhl für Demographie an der Humboldt Universität Berlin 1972). Dies verleiht der Wissenschaft über die Bevölkerung eine Fokussierung auf die statistische Beschreibung.
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15.4
Geschlecht als homogene Kategorie
Das Paradigma der Normalverteilung führt bei Grant (1665) zur gesellschaftlichen Vorgabe im Hinblick auf die natürliche Produktion von einer bestimmten Anzahl von Kindern innerhalb der Ehe und macht gleichzeitig deutlich, dass der Durchschnittsmensch nicht geschlechtslos ist. Denn die Statistik unterscheidet den Durchschnittsmenschen in seiner / ihrer Vitalstruktur, deren Kenntnis von entscheidender Bedeutung für ein exaktes Bild der demographischen Struktur einer Gesellschaft sei. Dabei wird davon ausgegangen, dass die „Erfassung des Geschlechts praktisch fehlerfrei möglich ist“, da davon abstrahiert wird, dass „sich das biologische Geschlecht nicht immer eindeutig den beiden Kategorien männlich und weiblich zuordnen lässt“ (Engelhardt 2011:165). Abgesehen davon, dass Engelhardt eine Abweichung innerhalb der dualistisch-biologischen Konstellationen für möglich hält, reflektiert ein solcher Zugang in keiner Weise, dass diese besondere Konstellation eben Abweichungen darstellten und dass somit die Geschlechterkategorien männlich – weiblich ausschließlich aufeinander bezogen sind. Das führt in der Demographie zum Ausweisen von Männer- und Frauenquoten, Sexualproportionen, relativer und absoluter Männer / Frauenüberschüsse respektive -defizite, primären, sekundären und tertiärn Geschlechterverhältnissen. Alle Angaben erscheinen in der Form des Mittelwertes, der als zahlenmäßige Repräsentation des Durchschnittsmenschen Verwendung findet. Er erlangt eine derartige Stabilität, dass Politik, Wissenschaft und Verwaltung mit dem neu entstehenden Begriff der Repräsentativität schon die Beherrschung der aktuellen und zukünftigen Unsicherheiten proklamieren. Umso mehr Werte in die Wahrscheinlichkeitsrechnung einbezogen werden, umso objektiver erscheint das sich daraus ergebende Resultat und umso realer erscheinen die gesellschaftlichen Phänomene auch in ihrer Zukunft. Dies ist vor allem deswegen interessant, weil statistischen Wahrscheinlichkeitsmodellen trotz aller Modellparameter eine derartig große Mutmaßlichkeit innewohnt, sodass die Wirkmächtigkeit am Ende doch in der Interpretation liegt (Rosenthal 2004). Zudem besitzen die Mittelwerte Eigenschaften, die sich von den Eigenschaften der Einzelereignisse deutlich unterscheiden. So ist einzusehen, dass eine Frau niemals 1,37 Kinder bekommen kann. Das zeigt, dass der Mittelwert keine Einzelfälle beschreibt, sondern neue Entitäten schafft, die Handlungserwartungen eröffnen. Damit ist die Zweigeschlechtlichkeit der Demographie nicht nur eine quantitative, sondern vor allem auch eine qualitative, die normative Erwartungen an das Geschlecht widerspiegelt (zum Beispiel, wenn kinderlose Frauen und Mütter spezifisch ausgewiesen werden). „Die Arbeitslosigkeit von Ehefrauen vergrößert auf jeden Fall die Abwanderungsbereitschaft. Eine hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen dämpft dagegen nicht nur die Umzugsbereitschaft. Die Erwerbstätigkeit von Müttern und Ehefrauen führt schließlich dazu, dass die Haushaltseinkommen in Ostdeutschland rascher an das Einkommensniveau in Westdeutschland herangeführt werden, wo Frauenerwerbsbeteiligung noch immer eine geringere Rolle spielt“ (Schwarze 1992:61). „Abkürzungen: ASFR (Altersspezifische Fruchtbarkeitsrate), AFR (Allgemeine Fruchtbarkeitsrate), TFR (zusammengefasste Geburtenziffer = durchschnittliche Kinderzahl pro Frau)“ (Münz & Ulrich 1994:3).
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Entgegen der Theorien der Fertilität ist die Bevölkerungsforschung mit Blick auf die Theorien der Migration in spezifischer Weise androzentristisch. Die Theorien der Migration vereinen Motive, Ursachen und / oder Push- und Pullfaktoren für dauerhafte Ortsveränderungen von Individuen. Ziel sei die Erstellung objektiver Daten durch die Berechnung von Wanderungsvolumen, -salden sowie -raten, die Kategorisierung der Wanderungen, die Abschätzung der Migrationsfolgen sowohl für das Herkunfts- als auch das Zielland. Nach Petrus Han (2005:7) wird Migration im Allgemeinen als „solche Bewegungen im Raum verstanden, die einen dauerhaften Wohnortwechsel bedingen“. Die Migration ist nur erfüllt, wenn die Bewegung mit einem tatsächlichen Wohnortwechsel verbunden ist. Das heißt, dass ein Umzug von einer politischen Einheit in eine andere vorgenommen wird. Nicht als Migration werden Bewegungen innerhalb einer Gemeinde oder nicht dauerhafte Bewegungen wie Reisen oder arbeitsbedingte Pendelbewegungen bezeichnet. Neben der internationalen Migration (Wanderungen über Staatengrenzen hinweg) und der Kettenmigration (Nachzug von Familienangehörigen) stellt die Binnenmigration einen weiteren Typus von Wanderungen dar, der die Bewegungen innerhalb eines Staates umfasst. Obwohl sich die Migrationsforschung zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eigene Fachdisziplin an der Universität zu Chicago entwickelt64 und damit weit über die bloße zahlenmäßige Ermittlung von Wanderungsbewegungen hinaus die Handlungsmotive von Bevölkerungsgruppen untersucht, spielen Frauen – wenn überhaupt – nur eine passive Rolle, zum Beispiel als mitreisende Mutter, Ehefrau oder Tochter. Die aktuelle Konzentration auf die Abwanderung junger gut ausgebildeter Frauen innerhalb der deutschen Binnenmigrationsforschung steht im Kontext eines ebenso verstärkten Interesses an weiblicher Migration innerhalb nationaler und internationaler Migrationsforschungen. Denn auch hier zirkuliert seit spätestens den 1980er-Jahren das Begriffspaar der „Feminisierung der Migration“, das auf eine verstärkte Migration im Zuge des Globalisierungszeitalters hinweisen soll. Die Terminologie „Feminisierung der Migration“ spiegelt jedoch eher die verstärkte Konzentration der Wissenschaftlerinnen auf Frauen in der Migration seit den 1980er-Jahren wider, als die sozialräumliche Wirklichkeit. Denn Frauen sind nicht erst seit den 1980er-Jahren als Migrantinnen präsent. So zeigen nicht nur die planmässige Gleichverteilung der Geschlechter bei Sklaventransporten im 18. Jahrhundert Richtung Amerika und die irische Emigration im Zuge der Großen Hungersnot von 1845–1849 (Diner 1986), die vor allem eine weibliche Massenbewegung ist, dass Frauen in der Migration keine marginale Rolle spielen (vgl. Krauss 2001, Aufhauser 2000:118f). Vom 16. bis 18. Jahrhundert und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg sind es vor allem Frauen, die als Hausangestellte oder Bäuerinnen zum Beispiel in Deutschland und der Schweiz ihren Lebensunterhalt verdienen. So zeigt Renate Dürr (2001), dass der Gesindedienst von Frauen nicht immer nur als Vorbereitung für ihre späteren Aufgaben als Mütter und Hausfrauen erfolgt, sondern vor allem für Frauen aus der Unterschicht eine der wenigen Möglichkeiten zur Lohnarbeit bietet. Der Anteil der Frauen bei der Immigration in die USA übertrifft seit 50 Jah64 Nach Han (2005) ist die Entwicklung der Migrationsforschung die Folge der wirtschaftlichen Probleme der Einwanderer, mit denen die USA als größtes Einwanderungsland Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts konfrontiert ist.
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ren konstant jene der männlichen Immigranten (vgl. Houston et al. 1984). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind immerhin 27 % aller ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland weiblich (Potts 1988) und insgesamt liegt seit den 1980er-Jahren der Frauenanteil an der Migration je nach Land gleichbleibend bei 40–60 %. Anfang der 1990er-Jahre ist knapp die Hälfte aller Migrantinnen innerhalb der EU Frauen (Acker 1998). Dennoch ist es zunächst der männlich orientierte Blick sowohl der Chicagoer Schule in Amerika auf die wirtschaftlichen Integrationsprobleme der Immigranten als auch der deutschen Statistiker und Ökonomen auf finanzielle Verluste im Bildungs- und Ausbildungssektor, der zur völligen Ausblendung weiblicher Migrationserfahrungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zur Vorstellung einer männlich dominierten nationalen und internationalen Migration führt. Seit den 1970er-Jahren sind es hingegen Begriffe wie Heimatfamilie und Familiennachzug, die aufs Neue weibliche Migrationserfahrungen verzerren. Denn weibliche Migration wird in diesem Zusammenhang nur als abhängige Migration von Männern wahrgenommen, die eine eigenständige Forschung nicht legitimiert. Bilder von Ehefrauen und Töchtern, die mitgebracht oder nachgeholt werden, verstärken und reproduzieren das schon vorhandene Bild des aktiven männlichen und passiven weiblichen Rollenbildes innerhalb gesellschaftlicher Prozesse und innerhalb der Wissenschaft. Auch in den 1980er-Jahren verändert die Migrationsforschung vor dem Hintergrund neuer Schlagworte wie „Frauenhandel“ und „gehandelte Frauen“ das traditionelle Rollenbild nicht. Zwar versuchen diese Studien, weibliche Lebenserfahrungen innerhalb der Migration in zahlreichen empirischen Studien sichtbar zu machen (vgl. Neumann 1994, Häusser 1992, Adam 1994), jedoch verstärkt diese Form des Einbezugs von Frauen vielmehr das Bild der platzierten passiven Frau, die nun als „Objekt mit Warencharakter“ (Aufhauser 2000:99, Karrer et al. 1996) gekauft werden kann. Migrantinnen selbst wehren sich gegen die zugeschriebene Opferrolle und betonen, dass sie die Migrationsentscheidung im Allgemeinen (selbst)bewusst und aktiv treffen – oftmals gegen den Vater, die Familie oder den Ehemann. Auch wehren sie sich gegen den untergeordneten Status von Frauen innerhalb der feministischen Forschung, wo sie unter dem „Duktus des Besonderen“ (Lutz & Grünert 1996:476) wiederum eine Außenseiterrolle erhalten. Folglich werden Migrantinnen in der Migrations- und Frauenforschung als das jeweils „Andere, Abweichende, in der Hierarchie Untergeordnete“ betrachtet. Forscherinnen erkennen dies und die feministische Migrationsforschung erzielt seit den 1980er-Jahren eine Vielzahl von Ergebnissen im Hinblick auf weibliche Erfahrungen im Migrationskontext (Hillmann 2007, Hillmann & Windzio 2008, Kofman et al. 2000, Kofman & Raghuram 2010). Im Zuge postkolonialer und differenzphilosophischer Ansätze und der damit einhergehenden Infragestellung der Kategorie „Frau“ an sich, stehen seit den 1990er-Jahren weniger die Fragen nach dem besonderen weiblichen Erfahrungskontext als vielmehr die innerhalb der Migration vorhandenen Geschlechterbilder im Zentrum des Forschungsinteresses. Sie zeigen, dass eine erfolgreiche bzw. nicht erfolgreiche Migration seitens der Einwandernden eng an geschlechts-, ethnienund altersspezifische Erwartungen und somit an unterschiedliche, als weiblich oder männlich konstruierte Körperlichkeiten seitens des Einwanderungslandes geknüpft ist. Die Dekonstruktion der Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit ermöglicht
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eine spezifische Auseinandersetzung mit den Macht- und Geschlechterverhältnissen in der Herkunfts- vor allem aber der Zielgesellschaft. Neben der Analyse von Geschlechterbildern, die die individuellen Erfahrungen der Migrantinnen steuern, erweitern Studien zur Konstruktion von Raumbildern als Migrationsmotivation das Forschungsfeld. Diese handlungstheoretisch und konstruktivistisch begründeten Arbeiten zeigen, wie Vorstellungen über bestimmte lokale Schauplätze, Migrationsentscheidungen beeinflussen (Zbinden 2007, Riaño & Baghdadi 2007). Insgesamt zeigt sich aber, dass sich die Migrationsforschung immer in einem Spannungsfeld befindet. Einerseits zielt sie auf Analysen der spezifisch weiblichen Erfahrungskontexte innerhalb der Migration, um der jahrhundertelangen Ausblendung von Frauen in der Migrationsforschung entgegenzuwirken. Andererseits führt dies zur Reproduktion und Zementierung von Geschlechterkategorien. Auch gendersensible Analysen innerhalb der Binnenmigrationsforschung tendieren vor allem im Zuge ihrer Methodologie noch zu oft dazu, Wanderung von Frauen als abweichende Handlung zu definieren und gehen davon aus, dass alle Migrantinnen durch ein (oder mehrere) gemeinsame(s) Merkmal(e) verbunden sind; sozusagen das Typische innerhalb des Abweichenden darstellen. Beide Annahmen basieren jedoch nicht auf erfahrbaren Tatsachen, sondern auf statistischen Vor(be)deutungen. So erfolgt die Wahrnehmung von Wanderungen immer entlang politisch vordefinierter Regionalisierungen und die Wahrnehmung gemeinsamer Merkmale von Wandernden resultiert aus den gesellschaftlich konstruierten Kategorien von Alter und Geschlecht, die durch wissenschaftlichen Bezug – zum Beispiel im Zuge der qualitativen Sozialforschung – reproduziert werden. Judith Butlers (1991) Kritik am System der Zweigeschlechtlichkeit als heteronormativ mündet in der Forderung, die duale Ordnung grundlegend aufzugeben, um Naturalisierungen und Essentialisierungen zu entkommen. Das heißt auch, dass die Migrationsforschung vor der Herausforderung steht, „eine Geschlechterperspektive in empirische Arbeiten einzubringen und gleichzeitig die Vorstellung außer Kraft zu setzen, es gebe zwei Geschlechter“ (Degele & Schirmer 2004:107). Jedoch gelingt dies der (Binnen)migrationsforschung ebenso wenig wie der Demographie, die das Datenmaterial fein säuberlich nach Frau und Mann trennt, um eventuelle Unterschiede feststellen zu können. „Unsere Studie ‚Zukunftschancen junger Frauen in Sachsen-Anhalt‘ geht in einem mehrstufigen Verfahren vor: An erster Stelle steht eine quantitative Untersuchung zum Wanderungsverhalten junger Menschen in Sachsen-Anhalt, insbesondere von Frauen. In einem zweiten Schritt werden die Gründe für das Wanderungsverhalten qualitativ untersucht. Hierzu werden unter anderem Telefoninterviews mit ca. 2.000 aus Sachsen-Anhalt abgewanderten Frauen und Männern unter 35 Jahren geführt. Weiterhin werden ca. 15 Diplomarbeiten im Umfeld der Studie angefertigt, um die Wanderungsneigung bestimmter Gruppen (z. B. Berufsschüler/ innen, Abiturient/innen) zu untersuchen“ (Dienel & Gerloff 2003:47). „The present study compares parity-specific fertility patterns of West and East German women (from birth cohorts 1970 and younger) after German re-unification using panel data from the GSOEP (waves 1990 through 2006). Whereas the transition rate for the birth of the first child tends to be higher in the East German than in the West German sub-sample, the likelihood of second births remains considerably higher among West German women across time. The analyses presented comprise a detailed comparative test of different intervening mecha-
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Reiseerzählung 1: Die Episteme nisms, represented by sociocultural orientations and social inequalities resulting from the societal transformation process“ (Becker et al. 2010:7).
Das ist jedoch nicht allein ein analytisches Problem, sondern auch ein epistemologisches. Denn der methodologisch unreflektierte Dualismus der Geschlechter ist eine Konsequenz dichotomer Ordnungsprinzipien, die wiederum Folgen von Normalitätssetzungen im Hinblick auf Sexualität und andere alltägliche Praktiken sind. So kommt es auch innerhalb der Migrationsforschung und Demographie weder zur Reflexion der empirisch verwendeten Kategorien von Geschlecht und Alter noch der grundlegend angenommenen politischen Regionalisierungen. Im Zuge dessen erscheint Migration als realistischer Prozess, der fernab jeglicher wissenschaftlicher Vorannahmen ‚passiert‘ und wissenschaftlich beschrieben werden kann. Dabei beziehen sich auch die feministischen und / oder gendersensiblen Geographien der Migration sehr stark auf alltagsweltliche Regionalisierungen und die Vergeschlechtlichung von materiellen (vgl. Meier & Kutschinske 2000, Bell 1991, Gorman-Murray 2006, Smith & Winchester 1998) und immateriellen Räumen und lassen das wissenschaftliche Erzählen über Geschlecht außer Acht. In eben diesem Spannungsverhältnis steht auch die deutsche Binnenmigrationsforschung. Eigentlich folgen die Analysen zu den Abwanderungsmotiven ostdeutscher Frauen dem Wunsch vieler Feministinnen, Frauen in die Migrationsanalysen einzubeziehen. Aber die Analyse der Abwanderungsmotive scheint hier nicht von einem ernst gemeinten Interesse an den Lebenswirklichkeiten der Frauen und deren veränderten Möglichkeiten im Zuge der Migration zu rühren. Ganz im Gegensteil liegt das Interesse vorwiegend auf der Fertilität der Frauen und somit wird über Frauen als junge gebärfähige Partnerinnen gesprochen und damit ganz spezifische Erzählungen von Geschlecht hervorgerufen. Die migrierenden ostdeutschen Frauen – so der Tenor der Arbeiten – gehen durch ihren selbstbewussten Entscheid zu migrieren sowohl der Region als potenzielle Mütter als auch den Männern als potenzielle Partnerinnen verloren. „Weibliche Jugendliche, die nicht als Mädel zum Mann aufschauen wollen, sondern gleichgewichtige Beziehungen anstreben, finden möglicherweise in manchen Regionen des Landes wenig Anschluss an Jugendcliquen und letztlich auch keinen für sie attraktiven Partner. Dies kann die Neigung zum Wegzug stark fördern. Der Heirats- bzw. Partnersuche-Markt spielt vermutlich neben dem Arbeitsmarkt – so eine zweite Hypothese – eine weniger leicht erfassbare, aber wichtige Rolle für den vermehrten Wegzug junger Frauen“ (Dienel et al. 2004:22). „Als unmittelbare und mittelbare Folge der Nettoabwanderung jüngerer Menschen – mithin auch potentieller Eltern –, des veränderten Fertilitätsverhaltens ostdeutscher Mütter sowie der gesteigerten Lebenserwartung hat sich der Altersdurchschnitt der ostdeutschen Bevölkerung in den Jahren seit der Grenzöffnung 1989 merklich erhöht“ (Ragnitz & Schneider 2007:195).
In ähnlichem Sinne unterstellen Hans Bertram (1995) und Christiane Dienel und Antje Gerloff (2003), dass die Möglichkeit zur Erschließung eines neuen Heiratsmarktes vor dem Hintergrund eines emanzipatorischen (männlichen) Backslashs in den neuen Bundesländern nach 1989 ein entscheidendes Kriterium zur Migrationsentscheidung junger ostdeutscher Frauen sein kann und nur eine nachhaltige kommunale Familienpolitik dies aufhalten könne (Gerloff 2005). Zudem biete „die dominante rechtsgerichtete Jugendkultur [hier am Beispiel Sachsen-Anhalts
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argumentiert] gerade für besser qualifizierte junge Mädchen keine attraktiven weiblichen Rollenmodelle“. 15.5
Raum als homogene Fläche
Der Durchschnittsmensch hat nicht nur ein Geschlecht, sondern auch eine Herkunft und damit eine räumliche Komponente. Auch diese Kategorie wird dem Individuum als Eigenschaft zugeschrieben und damit essentialisiert. Im Zuge dessen erscheint den Bevölkerungs- und Migrationsforscherinnen das Phänomen der Wanderung als Prozess, der einerseits auf die Streuung und Konzentration von Menschen im Raum wirkt und somit zu hohe / zu niedrige Bevölkerungskonzentrationen zur Folge hat. Andererseits gefährdet eine unproportionale Wanderung im Hinblick auf Geschlecht und Alter die Gleichverteilung der Geschlechter im Raum, die jedoch wiederum Voraussetzung für eine proportionale Reproduktion der Bevölkerung ist. „In den ersten beiden Jahren nach dem Mauerfall zogen noch überwiegend Männer gen Westen. Doch bereits 1991 änderte sich das Migrationsmuster. Seit diesem Jahr ziehen – per Saldo – deutlich mehr Frauen als Männer aus ihrer ostdeutschen Heimat fort. In der Folge ist in den neuen Bundesländern mittlerweile ein erheblicher Überschuss an Männern in der Altersgruppe der 18bis 34-Jährigen entstanden. Besonders betroffen sind periphere, wirtschafts- und strukturschwache Regionen. Dort fehlen bis zu 25 Prozent der jungen Frauen“ (Kröhnert & Klingholz 2007:4). „In Zahlen ausgedrückt heißt das, dass in den betrachteten 16 Jahren über 230.000 Frauen weniger als Männer in den Osten kamen. Saldiert mit den Fortzügen verblieb ein Frauendefizit von 630.000 im besagten Zeitraum, bei den Männern akkumulierte sich ‚nur‘ ein negativer Saldo von 400.000. In der Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen unterscheiden sich die Frauen noch stärker in ihrer Wanderungsintensität. Vor allem für das Jahr 2006 kann insofern ein eklatanter Anstieg der Mobilität ostdeutscher Frauen beobachtet werden (vgl. Tab. 6), als dass 60 % der Abwanderer Frauen sind. Im Jahr 2006 wanderten vor allem junge Frauen unter 18 Jahren nach Westdeutschland ab. Insgesamt bleibt daher festzuhalten, dass die jungen ostdeutschen Frauen eine höhere Wanderungsbeteiligung nach Westen aufweisen als die Männer. Einen entscheidenden Anteil am resultierenden Frauendefizit haben allerdings auch die fehlenden Zuzüge junger westdeutscher Frauen“ (Schultz 2009:56).
An diesen Zitaten wird deutlich, dass Debatten über bevölkerungsrelevante Fragen nicht allein an Identitätsfaktoren, sondern auch an Informationen des Raumes gebunden sind. Die Zusammenhänge zwischen Raum und Statistik sind jedoch tiefer greifender, denn erst die statistische Information konstruiert den Raum, da erst die Statistik die Existenz permanenter und konsistenter Objekte des Raumes ermöglicht. Die Statistik liefert den Bezugsrahmen für die öffentlichen Debatten und schafft mit ihrer Tätigkeit einen Repräsentationsraum und Äquivalenzraum, ohne die Beschreibung und Vergleich nicht möglich wären (siehe Abbildung 8 und 9). Die Karten verweisen auf der Basis spezifischer sozialer Entitäten (Geschlecht) auf spezifische homogene Räume (Deutschland, Europa), deren Vergleich möglich ist. Es handelt sich um einen abstrakten Raum, der im Zuge der statistischen Tätigkeit in ein zweidimensionales Bild transformiert und durch eine Vergleichspopulation bevölkert wird. Genau an dieser Stelle ist aber nicht mehr die individuelle soziale Einheit (Frau, Mann) der Referenzpunkt der Evaluation, sondern das gewählte Ver-
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gleichskriterium (Geschlechterproportionen), die Form der Messung (statistisches Mittel) sowie die Form der Darstellung (räumlich) sind es, die eine neue Beziehung herstellen und zu neuen scheinbar evaluierbaren sozialen Einheiten führen. Form und Ergebnisse der in dieser Weise stimulierten Aushandlungsprozesse folgen „einer argumentativen und [scheinbar] realweltlichen Eigenlogik“, die andererseits eine Folge der zugrunde gelegten Taxonomie und „der Fähigkeit kalkulativer Praktiken, soziale Phänomene in organisierbare, komplexreduzierte und handhabbare Größen zu transformieren“ (Vormbusch 2007:54). Das führt letztendlich dazu, dass ‚Alles‘
Abbildung 8: Unterschiedliche Äquivalenzräume (Geschlechterproportionen der 18- bis 29-Jährigen in Landkreisen und kreisfreien Städten Deutschlands, 1905 und 2004 (Männer und Frauen); Quelle: Kröhnert (2009:70)
messbar und damit grundsätzlich ‚Alles‘ vergleichbar ist und dem „messurement of everything“ keine Grenzen gesetzt sind (Power 2004:767). Neben den Karten kommt es im Zuge des Wunsches nach Vergleichbarkeit der Bundesländer und / oder Kreise zur Etablierung der Kreuztabellen. Diese Darstellung gesellschaftlicher Phänomene innerhalb eines zweidimensionalen Raumes war und ist nicht ohne Schwierigkeiten, da Vergleiche nur vor dem Hintergrund gleicher Bezugsräume und gleicher Kriterien erfolgen können. Es ist demnach die Tabelle, die in der quantitativen Statistik zum Begriff des Äquivalenzraumes führt (Desrosiéres 2000:20ff) und die Konstruktion des nationalen Territoriums stützt, denn unterschiedliche – statistisch erfasste – Entwicklungen laufen der Idee des einheitlichen Nationalstaates entgegen.
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Untersuchungen zum demographischen Wandel und zu Binnenwanderungen zwischen Ost- und Westdeutschland stehen in eben diesem Zusammenhang. Denn nur die Wahrnehmung von (kulturellen) Differenzen zwischen zwei scheinbar klar abzugrenzenden Regionen, Ost- und Westdeutschland, legitimiert überhaupt Untersuchungen, die diese Differenzen und die damit zu prognostizierenden Folgen wie Abwanderung, Überalterung, Schrumpfung ostdeutscher Städte usw. in den Blick nehmen. Die Frage nach einer Konstruktion der deutschen Bevölkerung sowie der Binnenmigrationsprozesse scheint in diesem Zusammenhang übertrieben
Abbildung 9: unterschiedliche Äquivalenzräume (Geschlechterproportionen in europäischen Regionen, 2004 (Frauen und Männer, 20 – 29 Jahre); Quelle: Kröhnert (2009:50)
und läuft der oft geäußerten Kritik am konstruktivistischen Denken nach Beliebigkeit und Unterbewertung der Praxis, die zu theoretischen Spekulationen führt, in die offenen Arme. Nicht konstruiert, sondern wirklich, da in Statistiken sichtbar ablesbar und im Alltag auffindbar, sind Gegenargumente, die auch – oder gerade – im Hinblick auf Migrationsprozesse Legitimation beanspruchen. Und so werden Wanderungen grundsätzlich erklärt, sie werden einem wissenschaftlichen Thema zugeordnet und auf klare soziale Elemente innerhalb eines spezifischen Raumausschnittes übertragen. Damit erzählt der wissenschaftliche Erkenntnisprozess Geographien sozialer und räumlicher Ausprägungen und verfällt einem repräsentationalen Denken, das davon ausgeht, dass sich die „Darstellung der Gesellschaft vom
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Gegenstand der Gesellschaft ableiten lässt“ (Stäheli 2000:13). Wie eine Gesellschaft ist – schrumpfend, frauenlos, rechtsradikal – entsteht aus den verwendeten Medien der Kausalität wie Statistiken zur Abwanderung, Geburtenzahl oder Push-Pull-Faktoren. Der Bezugsraum der Statistik ist damit ein vorstrukturierter Raum, dessen Regionalisierung durch die Statistik hervorgerufen und im Zuge ihrer Bezugnahme weiterhin als Entität erzählt wird. Statistische Informationen sind nicht Abbilder der realistischen Welt, sondern „können als die vorläufige und zerbrechliche Krönung einer Reihe von Äquivalenzkonventionen in Bezug auf Entitäten angesehen werden, wobei eine Vielzahl von ungeordneten Kräften ständig danach trachtet, diese Konventionen zu differenzieren und zu trennen“ (Desrosiéres 2000:361). Die Tabelle ordnet den öffentlichen Raum durch ihren benötigten Bezugsrahmen und fördert die quantitative Betrachtung sozialräumlicher Phänomene. Einzelheiten der Welt erscheinen im Zuge der Abstrahierung in Form einer Zahl als standardisierte Größe, die somit auch auf eine andere Einzelheit übertragen werden kann. Quetelets Ziel der Einbindung aller unter gleichzeitiger Reduzierung von Heterogenitäten ist damit in hohem Maße Rechnung getragen. 15.6
Abbildung der Gesellschaft
Neben Geschlecht und Herkunft wird vor allem das Alter der Individuen systematisch erfasst, da es für die Berechnung und Darstellung der Vitalstruktur das wichtigste Merkmal bilde. Die wohl bekannteste Darstellung der Geschlechter- und Altersverteilung erfolgt durch die Bevölkerungspyramide, die das Alter auf der Y-Achse und das Geschlecht auf der x-Achse abträgt. Diese Form der ‚Abbildung‘ diene dazu, Aussagen über den Zustand der Bevölkerung zu machen. Dafür definiert die Bevölkerungsforschung vier modellhafte Formen der Bevölkerungsdarstellungen: die Pyramide (die Bevölkerung wächst stetig, da es mehr Junge als Alte gibt), die Glocke (die Zahl der Geburten ist stabil, die Bevölkerung bleibt gleich), die Bischofsmütze (die Geburtenzahl verringert sich, was eine Schrumpfung der Bevölkerung nach sich zieht) sowie das Blatt oder die Tropfenform (keine Geburtenzahlen, das Aussterben der Bevölkerung sei unausweichlich) (Engelhardt 2011). Infolgedessen entstehen eine Vielzahl von Abbildungsvarianten, die je nach Interesse die Abbildung der Gesellschaft und ihrer Bevölkerung leisten soll (Alter der Frau w / Mann bei Heirat, Kindersterblichkeit bei älteren Mütter, Alter der Frau bei Geburt des 1. Kindes usw.). Die Bevölkerungsforschung und die Migrationsforschung sind neben der ‚Darstellung‘ der Bevölkerungsstruktur zunehmend von weiteren Abbildungen begleitet, die als wissenschaftliche Bilder Auskunft über soziale Phänomene mit Fokus auf einen spezifischen regionalen Ausschnitt geben. Im Gegensatz zu Kunstbildern, die das Bildhafte der Darstellung hervorheben, unterschlagen wissenschaftliche Bilder diese Visualität und thematisieren somit das Abgebildete als Realität (Boehm 2001). Diese „suggerierte Evidenz des Augenscheins ist umso erstaunlicher, als sie im hohen Grade artifiziell ist, [denn] zwischen dem vermessenen Objekt und seiner bildlichen Darstellung liegt eine Vielzahl von Aufzeichnungen und Bearbeitungsschrit-
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ten“ (Heintz 2007:78). Das wissenschaftliche Bild zeigt jedoch nicht diese einzelnen Schritte, sondern versammelt alle über einen gewissen Zeitraum getroffenen Entscheidungen in einem Bild, das wie ein Foto als Momentaufnahme einer Gesellschaft erscheint.
Abbildung 10: Schematische Bevölkerungsabbildungen; Quelle: Engelhardt (2011:175)
Abbildung 11: Bevölkerungspyramiden für Deutschland für die Jahre 1910, 1950, 1975 und 2005; Quelle: Engelhardt (2011:175, 178)
16 Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse „(…) Deutschlands Frauen bekommen so wenig Kinder wie fast nirgendwo in der Welt (…)“
„(…) der Anteil der europäischen Bevölkerung an der Weltbevölkerung sinkt (…)“, „(…) die Geburtenrate unter der Sterberate (…)“, „(…) kein Bevölkerungswachstum in Europa (…)“, „(…) die durchschnittliche Kinderzahl liegt unter der zum Ersatz der Elterngeneration benötigten (…)“, „(…) die Alterspyramide verliert ihren breiten Jugendsockel, während der Alterskopf breiter wird (…)“, „(…) shrinking [und] aging regions (…)“, „(…) Gemeinden mit abnehmender Bevölkerung (…)“, „Schrumpfungslandschaft“, „(…) Ostdeutschland erlebt gegenwärtig einen demographischen Umbruch (…)“, „(…) der Osten hat (…)“, „(…) der Alterung folgender Rückgang des Bildungs-, Qualifikations- und Kulturniveaus der Residualbevölkerung (…)“, „demographische Zeitenwende“, „demographische Zeitbombe“, „demographische Implosion“
Die Einblicke in die Geschichte der Bevölkerungs- und Migrationsforschung zeigen, wie stark wissenschaftliche Interessen an die Wahrnehmung gesellschaftlicher Problemphänomene einerseits und an die Belange der Scientific Community andererseits gebunden sind. Im Zuge dessen stellt sich die Frage, in welche Kontexte die aktuellen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu Bevölkerung und Binnenwanderung zu setzen bzw. unter welchen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bedingungen die Diskussionen zur geringen Geburtenrate ostdeutscher Frauen und der steten Abwanderung möglich sind. Jürgen Link und Ursula Link-Heer (1994) betonen, dass Spezialdiskurse der Wissenschaft für ihre Durchsetzung Anknüpfungen an übergeordnete Spezialdiskurse ebenso benötigen wie Anknüpfungen an gesellschaftliche Debatten, die Link und Link-Heer als Interdiskurse bezeichnen. Beide haben die Funktion, Zusammenhänge herzustellen, Plausibilitäten zu erzeugen und Widersprüche zu überbrücken, sodass Diskurse zirkulieren können. Schon bei einer ersten Sichtung des Datenmaterials zur Binnenmigration zeigt sich, dass sich alle Analysen in eine Diskussion einreihen, die unter dem Schlagwort „demographischer Wandel“ in anscheinend allen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bereichen verhandelt wird. Alle Analysen zu Bevölkerung und Binnenmigration referieren ganz selbstverständlich explizit oder implizit auf das Phänomen der zunehmenden bevölkerungsrelevanten Veränderungen in der 2. Hälfte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts und verweisen darauf, dass „der Ersatz der Elterngeneration nur noch zu etwa 75 Prozent gesichert“ sei (Kroll 1991:223), dass die Ursachen
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Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse
dafür in der „hohe[n] Überalterung der Bevölkerung sowie [im] verstärkte[n] Wegzug von Personen im reproduktiven Alter“ zu finden seien (Müller & Thürmer 1991), dass die Abwanderungen aufgrund der geringen Geburtenraten gleich doppelt wirken würden (Münz & Ulrich 1994), dass die Bevölkerungsentwicklung in Ostdeutschland negativ ausfalle (Landwehrkamp 1997) und dass die „Zukunft einer ganzen Nation gefährdet“ sei (Kröhnert et al. 2006). Dass die Wahrnehmung der Bevölkerungsfrage als Bevölkerungsproblem kein neues Phänomen darstellt, zeigen die Diskurse zur Überbevölkerung im Zuge der Industrialisierung, Urbanisierung und Säkularisierung des 19. Jahrhunderts sowie die Diskurse der Unterbevölkerung aufgrund des Geburtenrückgangs zu Beginn sowie in der Mitte des 20. Jahrhunderts in Europa wie sie in der Reiseerzählung 1 aufgearbeitet werden. Es wird gezeigt, dass sich beide Diskurse je nach nationalstaatlichen Bedürfnissen abwechseln und mithilfe wissenschaftlicher Theorien und Anwendungen bewiesen, untermauert und legitimiert werden. Bis heute bieten beide Diskurslinien der Unter- sowie der Überbevölkerung immer wieder Anknüpfungspunkte, um auf demographische Problemlagen im Kontext internationaler Entwicklungshilfe (Deutsche Stiftung Weltbevölkerung-DSW 2011) oder im Rahmen regionaler oder nationalstaatlicher Familienpolitik hinweisen zu können. Denn beide – obwohl sie gegenläufige Ziele anstreben – unterliegen der Vorstellung, dass es eine optimale Bevölkerungsgröße sowie ein optimales Bevölkerungswachstum gäbe. Auch die bevölkerungsrelevanten Veränderungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts und frühen 21. Jahrhunderts in Europa und Deutschland werden als „eine massive Abweichung von der traditionellen Altersstruktur der Bevölkerung“ (Paul et al. 2008:5) und als „nicht natürliches“ Bevölkerungswachstum (Höhn et al. 2007) und somit als politisches (Selke 1980) Problem verstanden, das vor allem in Ostdeutschland besonders drastisch sichtbar werde. Die Aufgabe des folgenden Kapitels besteht nun darin, die Spezial- und Interdiskurse der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung und damit die Bedingungen, die das Erzählen über Geschlecht und Raum ermöglichen, zu rekonstruieren. Damit wird das Kapitel von der folgenden Frage geleitet: Wie passen die Erzählten Geographien in den erzählten wissenschaftlichen Kontext der Zeit? Dies ermöglicht einerseits, die Anknüpfungspunkte der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsanalysen ausfindig zu machen, und andererseits auch die mit den großen Erzählungen verbundenen kleinen Erzählungen, die sich als gegenseitig unterstützende Diskurse zeigen, aufgreifen zu können. Damit wird dem Ziel dieser Arbeit Rechnung getragen, die vielen kleinen und großen Argumentationsfäden sichtbar zu machen, die sich insgesamt zu einer Metaerzählung zusammenschließen und sich dann auch in Spezialdiskursen wiederfinden. Dennoch soll auch darauf hingewiesen werden, dass Diskurse Ergebnisse von Diskursproduktionen sind, die einerseits subjektiv und andererseits institutionell zu verorten sind. Damit wird trotz aller Sprachzentrierung darauf hingewiesen, dass Sprache verortet ist und von Sprechenden ausgeht. Aus diesem Grund wird sich dieses Kapitel zunächst mit den Wortführerinnen der großen und kleinen Erzählungen befassen, bevor es Aussagen über die sich unterstützenden Diskurse festhalten wird.
Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse
16.1
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Diskursproduzentinnen des demographischen Wandels
Die deutschsprachige wie auch internationale Literatur zum demographischen Wandel scheint unendlich zu sein, was eine ausführliche Analyse der Verhandlungen über das Phänomen schier unmöglich macht.65 Es ist jedoch festzustellen, dass die überwiegende Anzahl von Arbeiten immer wieder auf einige wenige Quellen zurückgreift, die daher als Diskursproduzentinnen bezeichnet werden können. Sie geben erste Hinweise zu den Denkstilen eines Denkkollektivs, die für eine Fülle politischer Maßnahmen und wissenschaftlicher Bemühungen und somit auch für die Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum handlungsleitend sind. Sie werden stellvertretend für die Fülle an Literatur zum Thema „demographischer Wandel“ in Ergänzung mit einflussreichen Sekundarquellen sichtbar gemacht. Auf internationaler Ebene ist der United Nation Population Fund der Vereinten Nationen (UNFPA) zu nennen, der als Nebenorgan der UN 1967 gegründet wird und den weltweit größten Fond zur Finanzierung von Bevölkerungsprogrammen darstellt. Zur Beurteilung der bevölkerungspolitischen Lage werden seit 1969 jährlich Weltbevölkerungsberichte (UNFPA 2011) erstellt. Die deutsche Veröffentlichung erfolgt durch die „Stiftung Weltbevölkerung“ (www.weltbevölkerung.de), die seit 1991 als deutsche Partnerin der UN vor allem mit dem Ziel antritt, „Armut zu verhindern, bevor sie entsteht“, indem sie allen „Menschen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsfürsorge ermöglichen“ will. Diese Weltbevölkerungsberichte werden für 180 Länder erstellt und dienen den Weltbevölkerungsgipfeln als Beratungs- und Entscheidungsgrundlage. Denn der „Datenreport liefert neueste Daten zu allen wichtigen Indikatoren der Bevölkerungsentwicklung für über 180 Länder und die einzelnen Regionen der Erde: von den aktuellen Bevölkerungszahlen, der Geburtenrate, der Lebenserwartung, der Zahl der HIV-Infizierten bis hin zu Bevölkerungsprojektionen für die Jahre 2025 und 2050“ (www.weltbevölkerung.de). Finanziert wird der Fond durch freiwillige Beiträge der Mitgliedsstaaten der UN. Auf europäischer Ebene publizieren der Europarat jährlich sowie das 2006 gegründete Demographieforum alle zwei Jahre einen Bericht zur demographischen Lage der europäischen Mitgliederstaaten. Das Europäische Demografieforum bietet „politische[n] Entscheidungsträger[n], Interessenvertreter[n] und Sachverständige[n] aus ganz Europa [die Möglichkeit] ihr Wissen aus[zu]tauschen und über Strategien im Bereich demografischer Wandel [zu] diskutieren“. Die Berichte des Forums (2008, 2009, 2010) dienen der Unterstützung der Diskussionen und den Ländern der EU als Strategiepapier zum Umgang mit den demographischen Veränderungen. Eine weitere Folge des Forums ist die Gründung der „Europäischen Allianz für Familien“ im Jahr 2007, die familienfreundliche Maßnahmen fördert und die „EU-Länder beim Austausch von Ideen, Wissen und Erfahrung unterstützt“ (ec.europa.eu). Für Deutschland sind die Publikationen des Statistischen Bundesamtes (www. destatis.de) hervorzuheben (z. B. Bevölkerung Deutschlands 2060 – 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung 2009). Das Statistische Bundesamt erhebt jährlich für Deutschland statistische Informationen zu Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Bevölkerung. Das erhobene Material aller bevölkerungsrelevanten Informationen ist eben65
Eine Google-Recherche zum demographischen Wandel ergibt 2,5 Millionen Treffer.
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Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse
so wie auf der Ebene der UN und der EU nach Alter und Geschlecht sowie nach Bundesländern kategorisiert und dient dem Ziel, Bevölkerungsprognosen für Wirtschaft und Gesellschaft bereitzustellen. Die Unterteilung in Altersgruppen und Geschlecht ist nicht zufällig, sondern orientiert sich an der potenziellen Erwerbsfähigkeit von Frauen und Männern und der potentiellen Fertilität von Frauen. Das heißt, dass die Kategorie Alter dreigeteilt ist in „Unter-20-Jährige“, „Personen im erwerbsfähigen Alter von 20 bis 65“ und „Ältere ab 65“. Im Hinblick auf die Fertilität von Frauen stehen die Altersgruppen von 18 bis 35 im Mittelpunkt des Interesses. Die Kategorisierung der statistischen Angaben nach Bundesländern kann unter Umständen bei den einzelnen statistischen Landesämtern differenzierter bis auf Kreisebene abgefragt werden, was jedoch zeitlich und finanziell aufwendig ist. Grundsätzlich dient dem Statistischen Bundesamt als Interpretationsgrundlage daher die Bundesländerebene. Daneben ist das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und dessen Publikationskanäle zu nennen (www.bib-demographie.de); vor allem die Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, die seit 1975 erscheint (vgl. Rückert 1975). Aber auch die demographischen Analysen aus dem Bundesinstitut verhandeln in regelmäßigen Abständen Themen zum demographischen Wandel in Deutschland und anderer Länder der EU sowie darüber hinaus. Das BiB setzt sich zum Ziel, Auskünfte und Interpretationen zu „bevölkerungswissenschaftlichen Themen für Ressortvertreter, Parlamentsabgeordnete, Regierungsbeamte, den Bildungssektor, die Presse, Unternehmen und für andere Gruppen“ bereitzustellen. Im Mittelpunkt steht die politische Beratung für Entscheidungen der Bundesregierung und ihrer Ministerien, um die „soziale Sicherheit gewährleisten“ zu können. Die Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft veröffentlicht regelmäßig die wichtigsten Erkenntnisse zum Thema „Die demographische Lage in der Bundesrepublik Deutschland“ (1980, 1982, 1990, 1995, 2002, 2006, 2010) und versammelt in Sonderbänden die anerkanntesten Bevölkerungswissenschaftlerinnen Deutschlands, wie zum Beispiel in einer Festschrift zum 80. Geburtstag Hermann Schrubnells im Jahre 1990 oder für Rainer Mackensen 2007. Die Laudatorinnen, wie zum Beispiel Herwig Birg, Charlotte Höhn, Franz-Xaver Kaufmann, Jürgen Flöthmann, Hansjörg Bucher und nicht zuletzt Karl Schwarz, bestreiten seit spätestens den 1980er-Jahren das wissenschaftliche Diskursfeld rund um Bevölkerung und Demographie in Deutschland und sie sind bis heute die zentralen Ansprechpersonen bei Fragen zur deutschen Demographie. Zudem berät das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) als „Ressortforschungseinrichtung die Bundesregierung auf nationaler sowie europäischer Ebene bei Aufgaben der Stadt- und Raumentwicklung sowie des Wohnungs-, Immobilien- und Bauwesens“ (www.bbsr.bund.de). Dabei stützt sich das wissenschaftliche Selbstverständnis des BBSR „auf das 2007 von der Bundesregierung beschlossene Konzept für moderne Ressortforschung“. Das heißt, dass „der Fokus von Forschung und Beratung auf die Schnittstelle von Wissenschaft und Politik ausgerichtet ist“ und somit das BBSR explizit „praxisorientiert [und] interdisziplinär mit dem Ziel konzipiert ist, „kurzfristig abrufbare wissenschaftliche Kompetenz für Ad-hoc-Aufgaben des Ressorts, aber auch der Bundesregierung mit der Fähigkeit [zu generieren], langfristig angelegte Aufgaben kontinuierlich und forschungsbasiert be-
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arbeiten zu können“. Das BBSR veröffentlicht in regelmäßigen Abständen eine Vielzahl von Publikationen unter denen die „Informationen zur Raumentwicklung“ eine der wichtigsten darstellt. Als weitere Institution ist das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) (www.iwh-halle.de) zu nennen, das mit der Zeitschrift „Wirtschaft im Wandel“ „wirtschaftlich relevante Fragestellungen, insbesondere der konjunkturellen, strukturellen, regionalen und kommunalen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland sowie des Transformationsprozesses in den Ländern Mittel- und Osteuropas“ bearbeitet. Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle wird am 1. Januar 1992 gegründet. Als Institut der Leibniz-Gemeinschaft wird der institutionelle Haushalt zu je 50 % von Bund und Ländern finanziell getragen. Entsprechend der Satzung verfolgt das Institut ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, insbesondere wissenschaftliche Zwecke. Das IWH versteht sich als „eines der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute“ und erforscht unter dem Leitthema „Von der Transformation zur europäischen Integration“ ökonomische Fragen, „die sich nach dem erfolgten Übergang ehemals sozialistischer Planwirtschaften in moderne Marktwirtschaften im europäischen Integrationsprozess ergeben und die von hoher gesellschaftlicher Relevanz sind“. Da „Post-Transformationsregionen spezifische Schwächen und Probleme aufweisen, die, ungeachtet der Einführung eines marktwirtschaftlichen Systems, Erbe der sozialistischen Vergangenheit“ seien, folge die Forschungsausrichtung „der Überzeugung, dass die Strukturen und Prozesse in den sogenannten Post-Transformationsländern zentrale Herausforderungen für die gesamte EU darstellen“. Weiterhin vermerkt das IWH, dass Regionen „unterschiedlich mit Produktionsfaktoren ausgestattet und von der demographischen Entwicklung sowie den wirtschaftlichen Internationalisierungsfolgen nicht in gleichem Maße betroffen“ seien. Eine besondere Stellung nehmen die Analysen zur Entwicklung in Ostdeutschland ein, da der Vergleich mit Westdeutschland immer wieder zeige, dass Ostdeutschland Schwierigkeiten mit „seinem Erbe aus der Stadtplanung der DDR, mit Fragen des regional ungleichen Wirtschaftswachstums und [mit den] (…) Besonderheiten des ostdeutschen Innovationssystems“ habe (www.iwh-halle.de). Nicht zuletzt ist das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (www.berlin-institut.org) zu nennen, das seit der Jahrtausendwende immer häufiger mit seinen Arbeiten in den Literaturlisten zum Thema „demographischer Wandel“ vertreten ist. Die Gründung des Institutes erfolgt im Jahr 2000 durch das Startkapitel der Falkund Marlene-Reichenbach-Stiftung und wird von 2003 bis 2005 von der Hewlett Foundation finanziert, die es sich 1967 zur Aufgabe macht, „social and environmental problems at home and around the world“ zu lösen (www.hewlett.org). Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung sieht seine Aufgabe darin, „die öffentliche Wahrnehmung der weltweiten demografischen Veränderungen zu verbessern“ und verfolgt auch das Ziel, „die Folgen dieses Wandels im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen“ (www.berlin-institut.org/ueber-uns.html). Dessen Studie aus dem Jahr 2011 zum Thema „Zur Lage der Nation“ knüpft an vergangene Erfolge wie „Not am Mann. Vom Helden der Arbeit zur neuen Unterschicht?“ (2007) sowie „Die demographische Zukunft Europas. Wie sich die Regionen verändern“ (2008) an, sodass viele journalistische als auch wissenschaftliche Artikel ohne Bezug
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zum Berlin-Institut nicht auszukommen scheinen (vgl. Süddeutsche Zeitung 21.10.2006, 30.05.2007, 21.08.2008, 25.06.2009, vgl. Die Zeit vom 09.08.2010, vgl. Kubis & Schneider 2007, Schultz 2009) und Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Institutes, im National Geographic (www.nationalgeographic.de) als „Deutschlands bekanntester Experte für alle Aspekte der Demografie“ bezeichnet wird. Diese zwei internationalen und die fünf deutschen Institutionen, von denen vier Bundesinstitute/-ämter der Bundesrepublik Deutschland sind, können als Wortführerinnen eines gesellschaftlichen Diskurses betrachtet werden, da ihr erhobenes Material und die darauf folgenden Interpretationen alle Arbeiten zum demographischen Wandel in Deutschland und den Folgen für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft durchziehen und Einfluss auf die wissenschaftlichen Analysen haben. All ihren Darstellungen ist gemein, dass sie die Bevölkerungsfrage als Bevölkerungsproblem mit dringend zu lösenden Herausforderungen für Deutschland und Europa verhandeln, deren Tatsachen keine Zweifel zulassen, denn „In der Demographie gibt es seit langem einen hervorragenden Kanon an computergestützten Methoden und Verfahren, mit denen sich die Ergebnisse aus den Annahmen ableiten lassen. Wer die Annahmen für wahrscheinlich betrachtet, kann die aus ihnen abgeleiteten Ergebnisse nicht ablehnen, so unwahrscheinlich sie auch erscheinen mögen, denn Irrtümer bei der Berechnung lassen sich wegen der vielfältigen logischen Kontrollmöglichkeiten praktisch ausschließen“ (Birg et al. 1998).
16.2
Die Bevölkerungsprobleme
Die Bevölkerungsfrage wird seitens der United Nations völlig anders verhandelt als in der Europäischen Union sowie in Deutschland und unterliegt dennoch der gleichen Logik einer optimalen und damit normalen Bevölkerungsgröße respektive eines optimalen und damit normalen Bevölkerungswachstums. Der United Nation Population Fund der Vereinten Nationen (UNFPA) beschäftigt sich vordergründig mit dem rasanten Wachstum der Weltbevölkerung und mit hinreichenden Strategien das Bevölkerungswachstum zu bremsen. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung seien im Jahr 2011 jünger als 25. Die bevölkerungsreichsten Länder der Welt seien China, Indien und die USA; Deutschland stehe auf dem 16. Platz von insgesamt 180 angeführten Ländern. Als größtes Problem des rasanten Wachstums wird die Nahrungsmittelproduktion verhandelt, da die Bereitstellung von ausreichend Nahrungsmitteln schon lange nicht mehr mit dem Bevölkerungswachstum mithalten könne und somit Armut, Hunger, schlechte Gesundheitsvorsorge, schlechte Bildungschancen usw. vorprogrammiert seien. Die UN schätzt, dass bis zur Jahrhundertwende bis zu 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Aber auch die UN weist auf die weltweiten divergierenden Wachstumsraten hin, denn eigentlich fände das Bevölkerungswachstum nur in den Entwicklungsländern statt (vgl. auch Ulrich 2007); vor allem in Afrika (Datenreport des UNFPA 2011:3ff). Die Festschrift zu Ehren des Bevölkerungswissenschaftlers Karl Schwarz versammelt die wichtigsten Informationen zum demographischen Wandel Europas und Deutschlands (Höhn et al. 2007). Das Problem der Europäischen Bevölkerung
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durchzieht den gesamten Band: „Europe has crossed the threshold into a demographic black hole“ (Chamie 2007), denn die europäische Bevölkerung schrumpft (vgl. Bucher & Mai 2006). Wenn das zukünftige negative Bevölkerungswachstum den derzeitigen Entwicklungen entspreche, dann falle die Bevölkerung Europas am Ende des 21. Jahrhunderts auf den Stand von 1950 und mit Blick auf das rasante Wachstum anderer Regionen werde Europas Anteil an der Weltbevölkerung von 11 auf 7 % im Jahr 2050 fallen (vgl. Ulrich 2007, Sachverständigenrat des Europarates 2008, 2009, 2010, Dorbritz 2000, Wöhlke et al. 2004, Bucher & Mai 2006). Denn „der Anteil der europäischen Bevölkerung an der Weltbevölkerung sinkt wegen niedriger Geburtenraten. In allen europäischen Ländern, mit Ausnahme der Türkei, liegt die Geburtenrate derzeit unter der Sterberate“ (vgl. Dorbritz 2000). Das Statistische Bundesamt, das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle, das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung sowie die daran anschließenden Arbeiten verhandeln den demographischen Wandel unterschiedlich dramatisch von „demographischer Zeitenwende“ (Birg 2003) über „demographische Zeitbombe“ (Kaufmann 2005) und „Altersexplosion“ (Mohl 1993) bis hin zu einem „sanften Völkermord an sich selbst“ (Hepp 1987:20). Wie die Sprache aber auch immer ausfällt, alle sind sich darin einig, dass ein demographischer Wandel in Deutschland vonstatten geht, der durch den Rückgang der Geburtenrate und den Anstieg der Lebenserwartung ausgelöst werde und eine Zunahme der Zahl älterer Menschen nach sich ziehe (vgl. Bomsdorf & Babel 2005, Höhn 1999a, 1999b, Höhn et al. 2007, Mohl 1993, Wehling 1988, Münz & Ulrich 1994, Schultz 1999, Birg 1992, Bucher et al. 1994, Sommer 1992). Der Rückgang der Geburtenrate wird zurückgeführt auf die individuellen Möglichkeiten der Verhütung seit den 1970er-Jahren, die Individualisierung, die individuellen Lebensentwürfe, Erwerbs- und Wanderungsbiographien sowie längere Ausbildungszeiten vor allem von Frauen ermöglicht. Die Lebenserwartung erkläre sich durch den medizinischen Fortschritt sowie verbesserte Arbeitsbedingungen seit der Nachkriegszeit. Beides führe dazu, dass seit 197366 die Zahl der Sterbefälle diejenige der Geburten übertreffe und derzeit die „Gesamtfruchtbarkeit pro Frau“ 1,4 betrage. Da „diese durchschnittliche Kinderzahl unter der zum Ersatz der Elterngeneration“ benötigten Geburtenziffer von mindestens 2,2 liege (Schmid 2001), werde 2030 fast ein Drittel der deutschen Bevölkerung über 65 Jahre alt sein und damit die größte Altersgruppe darstellen (Schmid 2000, Paul et al. 2008, Mammey & Rein 1976, Dorbritz 2004, Mai 2005, Rückert 1975, Sommer 2007, Statistisches Bundesamt 2009a). Geburtenrückgang bedeute auch Rückgang potenzieller Mütter in den kommenden Generationen und wenn auch diese Elterngenerationen ein „generatives Verhalten“ von 1,4 Kindern beibehalte“, werde „die „Elterngeneration abermals nur zu zwei Dritteln ersetzt“ (Schmid 2001, vgl. Überparteiliche Fraueninitiative Berlin – Stadt der Frauen e. V. 2007). Daneben werde die hohe Lebenserwartung ebenso 66
In diesem Jahr wird auch die erste bedeutende Publikation zum Geburtenrückgang in der Bundesrepublik Deutschland von Hermann Schubnell (1973) vorgelegt, der als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates für Familienfragen des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit einen Klassiker schreibt, der bis heute zitiert wird.
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wenig wie die zunehmende Einwanderung von Migrantinnen nach Deutschland die geringe Geburtenrate ausgleichen können, sodass das Statistische Bundesamt (2011) davon ausgeht, dass die Bevölkerung Deutschlands bis 2050 auf 77,3 Mio. schrumpfen werde, was Josef Schmid (2001:23) als „Schwinden des angestammten Staatsvolkes“ und als Hinweis für eine „demographische Implosion“ bezeichnet. Herwig Birg, einer der einflussreichsten Bevölkerungswissenschaftler Deutschlands, betont, dass die Bevölkerungszahl Deutschlands ohne Wanderungen „von 1998 bis 2050 von 82,1 Mio. auf 50,7 Mio. und bis 2100 auf 24,3 Mio.“ zurückgehen werde und selbst bei einem „unterstellten Wanderungssaldo von 250 Tausend Menschen pro Jahr sich bis 2050 ein Rückgang auf 66,1 Mio. und bis 2100 auf 50 Mio. ergäbe (Birg 2003). Dieser Wandel der Bevölkerungsstruktur bedeute weiterhin Probleme für die Finanzierung der Sozialversicherungs- und Alterssicherungssysteme, denn die Alterspyramide verliere ihren breiten „Jugendsockel“, während der „Alterskopf“ breiter werde. Nur eine Alterspyramide mit Glockenform sei der Idealzustand, da „keine Altersklasse […] überrepräsentiert [und] das Verhältnis zwischen Jung zu Alt […] sozialpolitisch problemlos“ wäre. Jedoch bewege sich Deutschland auf ein Durchschnittsalter von 40 bis 50 zu, was mit steigender Lebenserwartung zusätzlich gestützt werde, während die „Völker der Dritten Welt“ ein Durchschnittsalter von 20 Jahren erreichen werden. Dabei könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine alternde Bevölkerung unter „globalem Innovationsdruck“ ihre Kosten für Bildung „entsprechend dem Jugendschwund“ nicht senken könne und zunächst „Potentiale bemühen [müsse] wie Produktivitätssteigerung, Verlängerung der Lebensarbeitszeit, mehr Frauenbeschäftigung, noch intensivere Jugendausbildung und lebenslanges Lernen“, vor allem aber müsse auf die „Kaufkraft der Familien gezielt werden, durch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Flexibilisierung in Arbeitsverhältnissen [und] familienbezogene Infrastrukturen“, bevor „an Zuwanderung zu denken“ sei (Schmid 2001:22ff, vgl. Sommer 2007). Denn die „Gesellschaften Europas“ befinden sich auf „höchstem Technologisierungsniveau mit schwierigen, anspruchsvollen Arbeitsmärkten. An ihnen allein werde demographisch begründete Einwanderung scheitern. Denn die Einwandernden können nur aus Weltregionen kommen, die diese Entwicklungsstufe noch nicht erreicht“ haben und über „qualifizierte Arbeitskräfte gar nicht verfügen“ (Schmid 2007:691). Auch die infrastrukturelle Daseinsfürsorge sei nicht mehr gesichert, da die öffentlichen Einnahmen mit Schrumpfung und Alterung ebenfalls sinken würden. Öffentliche Einnahmen lassen sich in Steuern, Sozialbeiträge, Gebühren, Erwerbseinkünfte des Staates und die Kreditaufnahme unterteilen, wobei die Haupteinnahmen durch Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung erzielt werden. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sind direkte Steuern, deren Aufkommen vom Erwerbspotenzial abhängig sei. Dieses sei wiederum vom Wirtschaftswachstum abhängig, das durch den demographischen Wandel massiv beeinflusst werde. Hier berufen sich die Demographinnen auf die Determinanten des Wirtschaftswachstums wie sie von der neoklassischen Theorie (Solow 1956) (Entwicklung der Erwerbsbevölkerung, der Kapitalstock und der technische Fortschritt) beschrieben und durch die Neuen Wachstumstheorien (vgl. Rebelo 1991, 1992, Arnold 1997, Romer 1990, Lucas 1988) erweitert werden (Arbeit und Humankapital, privater Kapitalstock, Infrastrukturka-
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pital, technischer Fortschritt, Umwelt und natürliche Rohstoffe sowie ordnungspolitische Rahmenbedingungen). Grundsätzlich behaupten diese Ansätze zum wirtschaftlichen Wachstum, dass die sinkende Zahl von Erwerbstätigen zum Rückgang des Arbeitskräftepotenzials und somit wiederum zu einem verminderten Wirtschaftswachstum führe (vgl. Schäfer & Seyda 2005, Ragnitz 2005, Sommer 2007:292). Jedoch erkennen die Neuen Wachstumstheorien an, dass nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Veränderungen des Erwerbspotenzials Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben. Dabei hat vor allem der Begriff des Humankapitals die Wachstumstheorien ‚revolutioniert‘. Gary Becker (1964), der 1992 den Wirtschaftsnobelpreis für seine Ausdehnung der mikroökonomischen Theorie auf einen weiten Bereich menschlichen Verhaltens und menschlicher Zusammenarbeit erhielt, legt eine Arbeit vor, die die Integration von Wachstumstheorie und Bevölkerungstheorie unter dem Schlagwort Humankapital vollzieht. Danach ist wirtschaftliches Wachstum neben dem Arbeitskräftepotenzial wesentlich an die Arbeitsproduktivität und somit an die Qualifikationsstruktur der Erwerbspersonen gebunden und Josef Schmid (2001) hält fest: „je diffiziler der Arbeitsmarkt und je technologisierter die Produktion, umso sorgfältiger muss ausgewählt werden“. Da nach den Neuen Wachstumstheorien mit zunehmendem Alter die Motivation für die Aneignung neuer Kenntnisse jedoch zurückgeht, und damit auch mit einem Rückgang technologischer Entwicklungen zu rechnen sei, könne festgehalten werden, dass die Verringerung des Humankapitalbestandes auch zu einer Verringerung des wirtschaftlichen Wachstums führe. Das bedeute, dass das quantitative Arbeitskräftepotenzial ebenso sinke wie die qualitative Arbeitsproduktivität; das bremse den technologischen Fortschritt, was insgesamt eine Verringerung des wirtschaftlichen Wachstums nach sich ziehe. 16.3
Die Spatial Impacts des demographischen Wandels
Das Diskursfeld „demographischer Wandel“ sowie die damit verbundenen Interund Spezialdiskurse über Schrumpfung und Alterung aufgrund der niedrigen Geburtenrate und dem Anstieg der Lebenserwartung, die Probleme für die Finanzierung der Sozialversicherungs- und Alterssicherungssysteme und der infrastrukturellen Daseinsfürsorge sowie das sinkende Humankapital, was den technologischen Fortschritt bremse und insgesamt eine Verringerung des wirtschaftlichen Wachstums nach sich ziehe, werden einerseits als weltweites, europäisches und deutsches und andererseits als durch regionale Unterschiede gekennzeichnetes Phänomen verhandelt. So betonen die Studien immer wieder, dass der demographische Wandel ganz Deutschland, ganz Europa und die ganze Welt erfasse, dabei aber regionale Besonderheiten aufweise (vgl. Bucher & Schlömer 2006, Bucher & Mai 2006, Swiaczny et al. 2008) und regionale Disparitäten nach sich ziehe. Das habe zur Folge, dass urbane Zentren eher Wanderungs- und Bevölkerungsgewinne verzeichnen würden, „ländliche Räume aber eher von Schrumpfung und Alterung betroffen seien und als „shrinking [and] aging regions“ bezeichnet werden können. Paul et al. (2008:24) verweisen dagegen eher auf ein Ost-West-Gefälle der demographischen Veränderungen (Lipps & Betz 2005), wobei sich
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Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse „nach und nach jedoch ein breiter keilförmiger Korridor vom Ruhrgebiet über Nordhessen, das südöstliche Niedersachsen und Teile Frankens in Richtung Osten abzeichnen“ werde, in dem „vermehrt Gemeinden mit abnehmender Bevölkerung“ liegen.
Für die neuen Bundesländer sei dagegen nur in den großen Städten mit einer Bevölkerungszunahme zu rechnen. Zudem könne festgehalten werden, dass die neuen Bundesländer stärker von Alterung und Schrumpfung betroffen seien, wofür die anhaltenden Binnenwanderungsverluste besonders junger Menschen und vor allem junger Frauen, eine weiterhin geringe Geburtenrate und die geringe Zuwanderungsrate verantwortlich seien. In diesem Kontext hält die Literatur zum demographischen Wandel für Ostdeutschland fest, dass auch eine regional differenzierte Betrachtung der Entwicklungspotenziale Deutschlands nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass „es weiterhin spezifische Probleme der neuen Bundesländer“ (Kakszentis & Hilpert 2005) aufgrund des „demographic shocks“ nach dem Systemumbruch geben werde (vgl. Becker et al. 2010, Eberstadt 1994, Kreyenfeld 2000). Dabei verdiene die demographische Entwicklung in Ostdeutschland besondere Aufmerksamkeit (Busch et al. 2009), da Ostdeutschland als Mikrokosmos und historisch seltenes Setting (Becker et al. 2010) die Folgen einer schrumpfenden Gesellschaft vorwegnimmt und vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (zit. in Busch et al. 2009:43, vgl. auch Busch & Land 2006) daher schon als das „Krisengebiet“ Europas und „Schrumpfungslandschaft“ (Friedrich 2008) bezeichnet wird. Erstens sei Ostdeutschland durch einen Fortzug großer Bevölkerungsteile (bisher 6,2 % der Bevölkerung) gekennzeichnet, zweitens habe die Altersstruktur der Fortziehenden ein Ungleichgewicht gegenüber den Zuziehenden und Zu-hause-Bleibenden, drittens finde sowieso schon eine Alterung wegen geringer Geburtenrate (vgl. Becker et al. 2010) und längerer Lebensdauer statt. Obwohl die Binnenwanderungseinflüsse geringer werden, erweise sich der Rückgang der Fertilitätsrate im Moment als größtes Problem. Aufgrund des starken Geburtenrückgangs und der Abwanderung fehlen nun gebärfähige Frauen für eine erfolgsversprechende demographische Entwicklung. Die Beibehaltung des jetzigen Niveaus habe zur Folge, dass jede Generation um ein Drittel kleiner sei als die vorherige und somit die Bevölkerung massiv schrumpfe (Busch et al. 2009:45). Die Schrumpfung der Bevölkerung zeige aber auch hier ein differenziertes Bild. Während Regionen wie Berlin, Westmecklenburg und das Osterzgebirge keine Bevölkerungsverluste zu erleiden haben und andere wie Potsdam, Oberhavel, Barnim Bevölkerungsgewinne vorweisen können, seien einige Regionen überproportional von Schrumpfung betroffen wie Altmark, Uckermark, Vorpommern, Ost-, West-, Südthüringen, Lausitz und Städte wie Zwickau, Dessau Gera, Chemnitz. Diese Regionen müssen zudem mit weiteren Bevölkerungsverlusten rechnen, was die räumliche Differenzierung noch verstärke (Busch et al. 2009:46ff). Dieser Schrumpfungsprozess dürfe jedoch nicht allein als quantitatives Problem bewertet werden, da er auch qualitative Komponenten aufweise, wie die Verschiebung von Geschlechterproportionen (Männerüberschuss) und der auf die Alterung folgende Rückgang des Bildungs-, Qualifikations- und Kulturniveaus der Residualbevölkerung. Damit eng verbunden seien die zukünftigen Potenziale Ostdeutschland, die mit sinkendem Erwerbspersonenpotenzial ebenso zurückgehen und sich
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bis 2020 um ca. 20 % und bis 2050 um 43,1 % verringern (Busch et al. 2009:49). Denn der demographische Faktor sei für die Wirtschaftsentwicklung eines Landes von großer Bedeutung. Mit der Reduktion und der Alterung der Erwerbsbevölkerung verringere sich das Potenzial an verfügbaren Arbeitskräften. Allein für den Zeitraum von 2005 bis 2020 sei mit einem Rückgang um weitere 14,5 % zu rechnen (IWH Dresden ifo 2006:176), was zu „einer Reduktion des Outputs, zu einer Verlangsamung des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts“ führe. Daneben verschlechtere sich nicht nur das Verhältnis zwischen Konsumenten und Produzenten, sondern es werden Innovativität, das Gründungsgeschehen, die Mobilität und die Akkumulation von Human- und Sozialkapital schwinden. Die Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung werde sukzessive mit Dequalifikation und technischem Rückstand einhergehen sowie auch „zu einer Verringerung der Existenzgründungen“ führen, was wiederum auf die Produktivitätsentwicklung der ganzen Region drücke. Besonders im Hinblick auf Wissenschaft, Technik und Innovation sehen Expertinnen für Ostdeutschland Potenziale, da die globalisierte Wissensgesellschaft einen Bedarf an regenerativen Energiequellen besitze und sich daher ein Druck für Deutschland und Europa in „Richtung Innovation und Erschließung international wettbewerbsfähiger Zukunftsfelder“ herrsche (Busch et al. 2009:61). Solche Berufsfelder seien derzeit in Ostdeutschland gut entwickelt und es bleibe abzuwarten, ob Ostdeutschland für diese Zukunftstechnologien ausreichend Humankapital zur Erhaltung dieser Produktionsorte bereitstellen könne, werden schon jetzt nur 8,9 % aller deutschen Patente in Ostdeutschland angemeldet (Deutsches Patent- und Markenamt 2010; www.dpma.de). Insgesamt steuere Ostdeutschland damit in eine Situation, die erhebliche Nachteile für die „wirtschaftliche, soziale, ökologische und kulturelle Entwicklung“ habe und vor allem „das Wirtschaftswachstum und die ökonomische Reproduktion ebenso wie die Infrastruktur, das Bildungswesen, die Kultur, den Arbeitsmarkt, die Einkommensverhältnisse, die Finanzlage der öffentlichen Haushalte, die privaten Vermögen und die Transferzahlungen, letztlich alles“ (Busch et al. 2009:50) negativ beeinflusse. Der Abstand zu Westdeutschland werde damit auch nach 20 Jahren Einheit nicht geringer, sondern sogar noch größer. Schlussendlich sei festzuhalten, dass die demographische Entwicklung in Ostdeutschland in den nächsten 20 Jahren „am geringsten durch die Sterblichkeit beeinflusst“ werde, da auch die „Minimal- und Maximalvarianten der Sterblichkeitsentwicklung (…) nur marginalen Einfluss auf die Bevölkerungsgröße [habe]. Daher besteh[e] kaum Spielraum für Szenarien. Bei der Fruchtbarkeit und der Migration [sei] dies anders“ (Münz & Ulrich 1994:2).
16.4
Migration und nationalstaatliche Identität
Neben den wissenschaftlichen Studien zur demographischen Lage der Welt, Europas und Deutschlands sowie zu den regionalen Besonderheiten des demographischen Wandels kann festgehalten werden, dass seit den 1990er-Jahren Wanderungsbewegungen im Mittelpunkt bevölkerungsrelevanter Studien stehen. Dabei ist festzustellen, dass Binnenwanderungen innerhalb Deutschlands ebenso wie euro-
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päische Wanderungsbewegungen vor dem Hintergrund des gefallenen Eisernen Vorhangs und im Hinblick auf die damit möglicherweise ausgelösten Probleme für den westdeutschen und westeuropäischen Arbeitsmarkt beleuchtet werden. So weist Sascha Wolff (2007) darauf hin, dass mit dem Fall der Berliner Mauer „Befürchtungen über Massenabwanderungen vom Osten in den Westen“ und Bedenken bezüglich einer „Überschwemmung des westdeutschen Arbeitsmarktes mit ‚billigen‘ [Hervorhebungen im Original] Arbeitskräften aus dem östlichen Landesteil“ relativ schnell zu Tage treten und daraus eine große Anzahl von Studien resultiert, die das Wanderungspotenzial von Ost nach West sowie das Arbeitskräftepotenzial prognostizieren; und dies nicht nur für Deutschland. Die als instabil empfundene Situation Osteuropas im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion sowie der damit ausgelösten Demokratisierungsprozesse in anderen ehemaligen kommunistischen Ländern Osteuropas führt zu internationalen Migrationsstudien, die die Wanderungspotenziale von Ost- nach Westeuropa berechnen (vgl. Layard et al. 1992, Baldwin 1994, Raffelhüschen 1992). Diese Bemühungen erfahren spätestens seit der EU-Osterweiterung 1998 eine Fortführung – wenn nicht sogar Verstärkung (vgl. Bauer & Zimmermann 1998, 1999, Dustmann et al. 2003, Brücker 2001, Brücker & Franzmeyer 1997, Fassmann & Hintermann 1997, Sinn et al. 2001, Herzog 2003, Wallace 1998). Das erinnert an eine Studie Max Webers, die im Zuge der Bevölkerungsbewegungen vom Norden und Nordosten in den rheinischen Süden aufgrund der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts erfolgt. Max Weber (1892) beschäftigt sich in seiner Studie mit den ostpreußischen Landarbeitern und stellt sich die Frage, wie sich die Identität des gerade aufstrebenden Nationalstaates aufrechterhalten und stärken lasse, während die industrielle Revolution das soziale Gleichgewicht zwischen Grundbesitzern, Betriebsarbeitern, Landarbeitern und Fabrikarbeitern gerade ins Wanken bringt. Obwohl über 100 Jahre alt und zunächst nur historisch interessant, zeigt Webers Studie mehrere provokante Aspekte. Denn er befürchtet aufgrund der Abwanderung (nord) ostdeutscher Arbeiter Richtung Süden den Nachzug polnischer und russischer Arbeiter aus dem Osten, die die freigewordenen Arbeitsplätze ausfüllen werden. Nach Weber muss das Ziel nun sein, deutsche Arbeitskräfte in den (nord)östlichen Regionen zu binden, um den Zustrom slawischer Lohnarbeiter zu verhindern. Obwohl sich die Beweisführung in Webers Arbeit auf wirtschaftliche Argumentationen stützt, bilden letztendlich politische Ideologien die Grundlage der zu treffenden Maßnahmen, da nach Weber die Abwanderung deutscher Arbeiter aus den (nord) östlichen Regionen in den rheinischen Süden die gerade im Entstehen begriffene nationale Identität durch ausländische Lohnarbeiter bedrohe. Stehen die oben angeführten bevölkerungs- und besonders migrationsrelevanten Studien im Zuge der deutschen Wiedervereinigung in einem ähnlichen nationalstaatlichen Kontext? Die Texte verweisen nicht explizit auf ein nationalstaatliches Interesse, es kann aber zumindest ein national-wirtschaftliches Interesse vermutet werden, wenn Befürchtungen bezüglich des westdeutschen sowie westeuropäischen Arbeitsmarktes und die damit vermutete potenzielle Schwächung (wegen Erhöhung der Arbeitslosenquoten und der Verringerung der Reallöhne) hervorgehoben werden.
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„It is very difficult to estimate the potenzial migration flow from East to West. Studies attempting to estimate the size of the migration potenzial have arrived at very different conclusions. Newspapers and politicians have speculated that about 20–40 million East Europeans will emigrate. Estimations based on opinion polls in the sending countries suggest that between 13 and 27 million people are planning to move to the West, whereas more modest predictions expect about 5 million people to migrate to Western Europe. (…) Basically, economic theory does not offer any definitive predictions concerning the labour market impacts of immigration. Whether the native population can expect gains or losses from immigration depends, among other things, on the size and the structure of the immigration flow and the labour market institutions in the receiving countries (i.e. wage flexibility)” (Bauer & Zimmermann 1999:I). „Der Wettbewerbsvorteil der Beitrittsländer liegt vor allem in niedrigen Lohnkosten. Deshalb hat die Osterweiterung einen erhöhten Lohnkostenwettbewerb in den bisherigen EU-Ländern zur Folge, der mehr oder weniger alle Branchen betrifft. Die Spezifika der Erweiterung (Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit) sowie die räumliche Nähe der Beitrittsländer zu Westeuropa bewirken, dass die zunehmende Lohnkostenkonkurrenz nicht nur die Verarbeitende Industrie mit handelbaren Gütern erfasst, sondern auch die Bauwirtschaft, das Handwerk und viele Dienstleistungsbereiche. Der erhöhte Lohnkostendruck wirkt über verschiedene Kanäle“ (Lammers 2004:576).
16.5
Binnenwanderung als …
Die Studien zur Binnenwanderung innerhalb Deutschlands knüpfen an die Studien zur europäischen Ost-West-Migration an. „In den 70er-Jahren entwickelt sich die Untersuchung von Wanderungen in der Bundesrepublik Deutschland zu einem bevorzugten Forschungsfeld von Geographen (…). Das Ziel, die Wanderungen als Motor der Bevölkerungsumverteilung und des Siedlungswachstums angemessen zu analysieren, wurde verbunden mit einer Aufarbeitung von überwiegend aus dem angelsächsischen Raum stammenden Forschungsansätzen und Verfahrenstechniken auf einem Gebiet, das von deutschen Geographen lange Zeit vernachlässigt worden war“ (Kemper 1991).
Mit dem Fall der Mauer im Jahr 1989 bietet sich der deutschen Binnenmigrationsforschung die Möglichkeit zur weiteren Entfaltung und sie kann auf der Basis wissenschaftlicher Spezialdiskurse wie demographischer Wandel und EU-Osterweiterung das Phänomen der Binnenmigration von Ost- nach Westdeutschland etablieren, da dieses Denken einerseits den Logiken der Zeit entspricht und somit andererseits scheinbar statistisch nachweisbar ist. Damit knüpft die deutsche Binnenmigrationsforschung an übergeordnete Spezialdiskurse an und kann damit auch auf etablierte Problemdiskurse im Hinblick auf Lohnentwicklung, Arbeitsmarktentwicklung usw. zurückgreifen. … Motor der Umverteilung und des Siedlungswachstums Mit dem Zitat „die Wanderungen [sind] als Motor der Bevölke-rungsumverteilung und des Siedlungswachstums zu analysieren“ umreißt Franz-Josef Kemper im Allgemeinen die Aufgaben der Binnenmigrationsforschung und betont die Notwendigkeit des bisher vernachlässigten Forschungsprozesses. Das ist eine klassische Katachrese (griech. Katáchresis – Missbrauch, Gebrauch über Gebühr), die als rhetorische Figur
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eine sprachliche Lücke schließt und damit eine Verkettung zwischen zwei Bereichen herstellt – hier Technik und Soziales, die grundsätzlich keine Bezüge zueinander haben. Sie dient der Benennung neuartiger Phänomene (Link 1978), die innerhalb von Inter- und/oder Spezialdiskursen noch keine bevorzugte Interpretation implizieren und bildet damit ein wichtiges Instrument, unbekannte Sachverhalte mit einem sprachlichen Bild zu verknüpfen, das aufgrund der Bekanntheit der Einzelteile relativ leicht verständlich und plausibel ist. Dass Kemper 1991 auf dieses sprachliche Bild zurückgreift, ist eine Konsequenz der Wahrnehmung steigender Wanderungsraten innerhalb Deutschlands im Zuge des Mauerfalls sowie der Flexibilisierung und Mobilisierung von Arbeit und Personal. Denn diese übertreffen „in ihrem Volumen (…) die natürlichen Bevölkerungsbewegungen – Geburten und Sterbefälle – um ein Vielfaches“ und haben eine erhebliche „Umverteilung der Bevölkerung im Raum zur Folge“ (Schlömer 2004). Daneben weist Link darauf hin, dass Katachresen wie auch andere sprachliche Phänomene Hinweise auf die ideologische Position der sprachlichen Bildproduzenten geben. Im Falle von „Wanderungen als Motor der Entwicklung“ erfolgt eine Technisierung sozialer Phänomene. Der Motor ist ein technischer Gegenstand, der als Antriebsmaschine eine Grundvoraussetzung für die Betriebsfähigkeit eines technischen Gerätes wie zum Beispiel des Autos ist. Technik ist dabei ein Sammelbegriff für Mittel und Verfahren, um die Kräfte der Natur für den Menschen nutzbar zu machen. Dabei ist vor allem die Funktionstüchtigkeit von großer Bedeutung, die wiederum ein Vorgang ist, der ausgerichtet und als unwillkürlicher Prozess passiert respektive vonstatten geht. Mit „Wanderungen als Motor für (…)“ erfolgt im Zuge dessen nicht nur eine Technisierung sozialer Phänomene und damit eine Reduktion sozialer Phänomene auf die Prinzipien der kausal ausgerichteten Naturwissenschaft, sondern auch die Festschreibung einer Prozesshaftigkeit von Wanderungen, die, einmal angetrieben, nicht zu stoppen ist und somit Folgen (z. B. Bevölkerungsumverteilung und Siedlungswachstum respektive Siedlungsschrumpfung) hervorrufen werde, die sich sozialräumlich manifestieren. … wichtige Rolle für die Bevölkerungsentwicklung In Deutschland sei die Geburtenbilanz bereits seit 1972 negativ. Daher sei das „Bevölkerungswachstum seitdem ausschließlich auf Wanderungsgewinne zurückzuführen“, denn sie entscheiden in der Regel über eine Bevölkerungszunahme oder -abnahme. So bilde „die Migration eine dominierende Größe der demographischen Entwicklung (…) besonders in Ländern, in denen die natürliche Komponente der Bevölkerungsentwicklung aufgrund der niedrigen Geburtenraten nur noch zu einem geringen Bevölkerungswachsturn oder gar zu einer Bevölkerungsabnahme“ führe (Flöthmann 2003). Und Bähr (2003:247) ergänzt: „dass die Rolle von Wanderungen für die Bevölkerungsentwicklung mit zunehmender Verkleinerung der Raumeinheiten zunimmt, gilt ohnehin als ein grundlegendes bevölkerungsgeographisches Prinzip“. Das wertet die Binnenmigrationsforschung auf, leiste sie im Rahmen internationaler Migrationsforschung einen wichtigen Beitrag zu den spezifischen Ursachen und Folgen von Wanderungen in regionaler Hinsicht und sie könne Aussagen über die Entwicklung von Regionen machen.
Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse
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… Flucht, Übersiedlung, Abwanderung Anfang der 1990er-Jahre werden Wanderungen in den Texten zur Binnenmigrationsforschung oftmals mit den Begriffen Flucht, Übersiedlung und deutsch-deutsche Migration synonym verwendet. Das mag den Umständen geschuldet sein, dass in den 1980er-Jahren große Teile des Binnenwanderungsgeschehens innerhalb der DDR zu den wissenschaftlichen Tabuthemen zähle. Denn Wanderungsbewegungen über Staatsgrenzen hinweg sind ein „Anzeichen für die Unzufriedenheit der DDR-Bürgerinnen“ und dies passte ebenso wenig in die gesellschaftliche Erfolgsstrategie wie die sich durch stabile Abwanderungsströme immer weiter zuspitzende Situation in der Bevölkerungsentwicklung einiger ländlicher Gebiete“ (Kemper 1991). Im Kontext von Flucht und Übersiedlung „werde die Binnenwanderung als ein unfreiwilliges Verlassen der Heimat und als Verlust wahrgenommen, denn die meisten Menschen [vermeiden] Wanderungen tendenziell oder [versuchen] zumindest Wanderungen über größere Entfernungen zu umgehen. Sesshaftigkeit, zumindest aber eine ‚relative Sesshaftigkeit‘, ist somit der Normalfall, Wanderungen dagegen eine Ausnahme“ (Mai & Schlömer 2007).
Mit der Herausstellung abweichender Wanderungsbewegungen im Kontext von Flucht und Übersiedlung wird vordergründig aber das Scheitern des kommunistischen Systems und das Scheitern ostdeutscher Männlichkeit verhandelt (siehe Scholz 2004). … deutliche Reaktion Wenn Wanderungen stattfinden, „müssen gute Gründe existieren. Wanderungen sind also Reaktionen und zwar sehr deutliche Reaktionen – auf Eigenschaften der Raumeinheiten“ (Schlömer 2009:7). Entsprechend der Push- und Pulltheorie der Migrationsforschung wirken diese hier angesprochenen Eigenschaften des Raumes wie Anziehungs- respektive Abstoßungskräfte und so erklärt Friedrich (2008:18) in logischer Konsequenz, dass „die größte Anziehungskraft auf die mobile ostdeutsche Bevölkerungsgruppe (…) die Regionen Hamburg vor München, Hannover, Frankfurt a. M. und Stuttgart aus[üben]“. In diesem Kontext erklärt sich auch der vielfach verwendete Begriff des „Wanderungsverhaltens“, der mit Bezug zur Verhaltenstheorie Wanderungen als Reaktionen auf bestimmte vorliegende Stimuli versteht, die vor allem ein Anzeichen dafür seien, dass „Haltefaktoren fehlen“, die die Abwanderung bremsen würden. Diese Haltefaktoren seien jedoch „von großer Bedeutung, da sie die negativen Auswirkungen der Binnenwanderung“, wie zum Beispiel den Brain Drain, reduzieren können. … Brain Drain Nach Schneider (2005) sei für die Frage der regionalökonomischen Konsequenzen der negativen Wanderungsbilanz in Deutschland „freilich nicht so sehr die Höhe des Verlustes entscheidend, sondern vielmehr dessen qualitative Zusammensetzung“. Damit wird deutlich, dass die Binnenmigrationsforschung hinsichtlich ihres For-
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Reiseerzählung 2: Spezial- und Interdiskurse
schungsinteresses eine Auswahl trifft, die sich zunächst auf die Bildungsstruktur der Zu- respektive Abwandernden bezieht. „Denn von primärer Bedeutung – insbesondere für die Humankapitalausstattung der ostdeutschen Länder – ist die Bildungsstruktur der Fort- und Zuziehenden“. Infolge dessen sind nach Alter und Ausbildungsstand differenzierte Studien zu Binnenwanderungen entstanden, mit dem Ziel, die „Humankapitalbilanz der Ost-West-Binnenwanderungen“ festzustellen. Daraus resultiere die Erkenntnis (vgl. Busch & Benjamin 2010), dass Binnenwanderung ebenfalls und vor allem eine Arbeitskräftewanderung sei (vgl. Friedrich & Schultz 2005), und führt dazu, dass das Schlagwort „Brain Drain“ und die damit als problematisch empfundenen Herausforderungen zirkulieren. Brain Drain ist eine starke Synekdoche pars pro toto, die an dieser Stelle eine Teil-Ganzes-Beziehung herstellt, indem Brain einerseits für den ganzen Menschen und andererseits für dessen geistige Leistungsfähigkeit steht. Brain Drain impliziert damit insgesamt den Verlust geistiger Leistungsfähigkeit einer ganzen Region. … bessere Nutzung des Humankapitals Nach Birg (1998, 2003) sei Wanderung im Zuge des Humankapitalansatzes „der durch Erziehung und Ausbildung erreichte Stand der menschlichen Fähigkeiten und eine Wanderung dient dazu diese Fähigkeiten besser einzusetzen“. Die Binnenmigrationsforschung übernimmt diese Perspektive und kommt zu dem Schluss: „Da der Nutzen einer Migration, etwa hinsichtlich des Einkommens, erst längerfristig realisiert werden kann, ist die Wanderung eine Investition in die Zukunft. Im Humankapital-Ansatz geht man davon aus, dass ein potentieller Migrant ökonomische (…) Kosten und Nutzen in einer längerfristigen Perspektive abwägt und sich dann zu einer Wanderung entschließt, wenn die Bilanz positiv ausfällt“ (Kemper 1991).
… Nutzen und Verlust Die Binnenmigrationsforschung erkennt jedoch zunehmend, dass mit Nutzen „keinesfalls nur rein ökonomische oder finanzielle Größen im eigentlichen Sinne“ gemeint sein sollten. Vielmehr sind auch der soziale Nutzen sowie die anfallenden sozialen Kosten miteinzubeziehen (Schlömer 2009). Unter sozialem Nutzen summieren die Binnenmigrationsforscherinnen die mit der Binnenwanderung verbundene Suche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen, was innerhalb der gesamten Migrationsforschung als Hauptgrund für Wanderung genannt wird, obwohl diese These wesentlich unterdeterminiert ist. So hält auch Han (2006) für die nationale und internationale Migration fest, dass es eines der schwierigsten Aufgaben der Migrationsforschung sei, die Motive für die Migration zu erfassen. Als soziale Kosten werden im Allgemeinen der Verlust sozialer Bindungen an die Familie, Freunde und den Heimatort insgesamt sowie Einsamkeit und Isolierung festgehalten.
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… Verbesserung der Heiratschancen Studien zur Binnenmigration, die sich vor allem als gendersensibel positionieren, verweisen auf einen weiteren sozialen Nutzen der Wanderung. Denn neben ausbildungs- und arbeitsmarktbezogenen Erklärungsansätzen spielen vor allem für junge Frauen weitere Faktoren eine wichtige Rolle bei Wegzugsentscheidungen: die Aussicht auf einen besseren Heiratsmarkt. So will Hans Bertram (1995) in seiner Untersuchung herausgefunden haben, dass private Gründe, insbesondere der Zuzug zum Partner, für Mädchen und junge Frauen ein größeres Gewicht haben als für Männer. Und Untersuchungen für Sachsen-Anhalt legen nahe, dass die im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts oft zu findende „dominante rechtsgerichtete Jugendkultur gerade für besser qualifizierte junge Mädchen keine attraktiven weiblichen Rollenmodelle“ biete (Dienel & Gerloff 2003, Dienel et al. 2004, Gerloff 2005). … besorgniserregend Es zeigt sich, dass die Binnenwanderung als besorgniserregend verhandelt wird, denn obwohl nach Schultz (2009) „Mobilität von Arbeitskräften [grundsätzlich] zu begrüßen ist, da sie wesentlich zum Abbau von Ungleichheiten im Arbeitsmarkt beitragen kann“, bestehe die Problematik darin, dass das „Abwanderungsgebiet damit in hohem Maße mobile und anpassungsbereite Arbeitskräfte verliere, was mit Blick auf Ostdeutschland den Aufholprozess erschwere und die gesamte Region destabilisiere. „Angesichts eines in weiten Teilen stagnierenden wirtschaftlichen Aufholprozesses der neuen Länder werden diese Befunde nicht überraschen, sie nähren allerdings die Besorgnis, dass sich mit den andauernden Wanderungsverlusten des Ostens auch dessen künftiges Wachstumspotenzial nachhaltig“ verringere (Schneider 2005:314). Das sprachliche Phänomen „Aufholprozess“ ist hierbei besonders interessant, erschafft dieses Verb-Nomen-Kompositum (aufholen + Prozess) ein neues sozialräumliches Phänomen, das nun bemessen und bewertet werden kann; ähnlich wie Nominalisierungen, ‚die Erde erwärmt sich‘ – Erderwärmung. Das heißt: während die Begriffspaare ‚die Erde erwärmt sich‘ ebenso wie „Ostdeutschland muss aufholen“ grundsätzlich noch die Diskussion darüber ermöglichen, ob sich die Erde erwärmt oder ob Ostdeutschland aufholen muss, lassen die Begriffe „Erderwärmung“ und „Aufholprozess“ keine Diskussion mehr darüber zu, ob es diese Phänomene gibt, sondern nur noch diskutiert werden kann, wie viel oder wie wenig stark das Phänomen ausgeprägt ist. Verb-Nomen-Komposita führen dazu, dass mögliche Dinge der sozialen oder natürlichen Welt Objektstatus erhalten. Zudem ist der Begriff „Aufholprozess“ eine Oben-unten-Metapher, die deutlich macht, dass es keine alternativen Entwicklungsmöglichkeiten gibt, sondern nur eine Entwicklung denkbar ist, die Ostdeutschland unter dem Aspekt des Einholens in Richtung Westdeutschland verhandelt und somit nur die Anpassung ostdeutscher Standards an westdeutsche Ideale zu akzeptieren ist. Diese westdeutschen Ideale stehen höher (aufholen) und eine gebremste Entwicklung würde Ostdeutschland auf einem niedrigeren (auf versus unten) Niveau belassen.
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Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft „(…) der Blick auf die Zahlen ermöglicht ein differenziertes Bild (…)“
„(…) in den neuen Bundesländern gibt es knapp 60 Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern, in denen in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen weniger als 80 Frauen je 100 Männer leben (…)“, „(…) demnach entstammen die Abwandernden der-Jahre 1999 bis 2003 zu ca. 45 % den Kohorten des Alters von 18 bis 30 Jahren (…)“, „(…) 0,7 Prozent der Bevölkerung von Ost nach West gezogen (…)“, „(…) so stieg das Durchschnittsalter von 38,6 Jahren 1991 auf 42,6 Jahre im Jahr 2002 (…)“, „(…) die Alters-Produktivitäts-Kurven lassen ein Maximum bei ca. 45 Jahren erkennen (…)“, „(…) Beschäftigungsquote wird gemessen als erwerbstätige Frauen je Frauen im erwerbsfähigen Alter (…)“, „(…) die Bundesanstalt für Landeskunde und Raumordnung schlug für Ostdeutschland eine Fruchtbarkeitsrate von 1,2 Kindern pro Frau vor (…)“, „(…) die Spanne der Kinderzahl pro Frau reicht von 0,88 in Heidelberg bis 1,92 in Cloppenburg (…)“, „(…) die natürliche Saldorate (…)“, „(…) im Osten lag die Kinderzahl je Frau 2001 mit 1,20 deutlich unter dem West-Wert von 1,41 (…)“, „(…) ein Blick auf die Zahlen gibt ein differenziertes Bild (…)“, „(…) selbst wenn die ersten Jahre herausgerechnet werden (…)“, „(…) negative Korrelation (r = –0,39) zwischen (…)“
Die Bevölkerungsforschung macht es sich zur Aufgabe, die Bevölkerungsstruktur, -veränderung, -bewegung, -wanderung sowie -verteilung erklärend zu untersuchen. Für diese Aufgabe hat die Demographie ein breites Instrumentarium quantitativer Methoden entwickelt, das auf realistischen Prinzipien basiert. Aus erzähltheoretischer Perspektive bilden die Bevölkerungsbeschreibung und Bevölkerungsprognose jedoch keine objektiven Zugänge, sondern sind Konsequenzen früherer Erzählungen, deren Textroutinen Kohärenz und Glaubwürdigkeit durch Beschreibung, Erklärung, Argumentation und Instruktion herstellen. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Rekonstruktion der Herstellung von Kohärenz und Glaubwürdigkeit mit Blick auf das den Wissenschaften mitgelieferte Zahlenwerk. Damit wird erstens behauptet, dass Zählen und Erzählen keine unterschiedlichen Wissens- und Wissenschaftspraktiken sind und zweitens, dass das Zahlenverständnis (numeracy) Grundlage einer Soziokalkulation ist, die weit über die ökonomischen Kontexte hinaus, Einfluss auf alle gesellschaftlichen Handlungsfelder hat. Soziokalkulation ist ein „sozialer Prozess der Aushandlung und Fixierung der relativen Wertigkeit sozialer Objekte mittels der Transformation sozialer Phänomene in numerisch darstellbare Wirklichkeiten“ (Vormbusch 2007:60). Zählen ist somit nicht nur ein wichtiger Bau-
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Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft
stein für ökonomisches Denken, sondern es unterwirft alle gesellschaftlichen Bereiche – und damit auch die Wissenschaft – einer kalkulativen Rationalität. Denn „numeracy“ steht für mehr als „an ability to do basic arithmetics. It involves developing confidence and competence with numbers and measures. It requires understanding of number system, a repertoire of mathematical techniques, and an inclination and ability to solve quantitative or spatial problems in a range of context. Numeracy also demands understanding of the way in which data are gathered by counting and measuring, and presented in graphs, diagrams, charts and tables“ (Homepage des UK Department für Education and Skills, zit. in Vormbusch 2007:44)67. Hinzu kommt jedoch auch, dass für die Interpretation der Zahlen nicht nur „numeracy“ nötig ist, sondern auch die Akzeptanz, dass der Zahlengebrauch „eine adäquate und legitime Darstellungs- bzw. Artikulationsweise gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (Vormbusch 2007:58) ist. Mit dieser Akzeptanz wird die äußere Form der rationalen Repräsentation wirtschaftlichen Handelns auch zu einer inneren Einstellung gegenüber kalkulativer Wirklichkeit, die im Zuge dessen als Realität erscheint. Das heißt, weil die Kalkulation sowohl auf der persönlichen als auch auf der wirtschaftlichen Ebene wirksam wird, ist erstens die Basis für die Veränderung von Handlungsmotiven Richtung ökonomischer Abwägung gelegt und zweitens führt diese Ökonomisierung des Denkens und Handelns zur Entfaltung eines ökonomischen Realitätssystems, das nur das als wahr respektive gültig versteht, das zählbar ist. Daher steht im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen hauptsächlich der Zusammenhang zwischen Zählen und Gelten, dessen argumentativer Bezug die Grundlage für die wissenschaftliche Praxis im Allgemeinen sowie der Demographie und Binnenmigrationsforschung im Besonderen bildet. Somit ist das Kapitel von der zentralen Frage geleitet: Welche Rolle spielen Zahlen und Berechnungen im Kontext von demographischem Wandel und Binnenmigration und welche Bedeutung haben sie für die Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum? Diese Rekonstruktion bedarf einer kurzen wissenschaftshistorischen Betrachtung durch die Zahlenforschung, denn die Soziokalkulation ist nicht allein zurückzuführen auf die enge Verbindung von Statistik und Nationalstaat oder – wie zu zeigen sein wird – auf den „kapitalistischen Geist“ des 19. Jahrhunderts. Hinzu kommt, dass sie innerhalb der Sozial- wie auch Naturwissenschaft im Zuge der seit dem 17. Jahrhundert vorherrschenden deduktiv-hypothetischen respektive experimentellen Wissenschaftspraxis (vgl. Bonß 1982, Bonß & Hartmann 1985) auf fruchtbaren Boden fällt. 17.1
Zählen und Berechnen: Formatierung der Gesellschaft
Die Grundlagen der Bevölkerungsforschung bilden die amtliche Statistik, Volkszählungen sowie Stichproben, die in Bezug auf den Nationalstaat, Gemeinden oder Kreisebene laufend erhoben werden. Die regelmäßig erhobenen Daten haben jedoch nicht allein eine beschreibende, sondern vor allem eine performative Funktion, denn sie sind Anzeichen für ‚etwas‘. Das heißt, dass das Zahlenwerk einerseits quantitative Zusammenhänge behauptet, damit andererseits aber auch qualitative Stan67
Die OECD verwendet für Ihre PISAStudien ein enger verfasstes Konzept der „mathematical literacy“.
Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft
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dards etabliert. Im Sinne John L. Austin (1979[1961], 1969) und John R. Searle (1969) sind sie daher performative Sprechakte, die nicht nur sagen „was ist“, sondern „Dinge tun mit Zahlen“. Die vor allem im angloamerikanischen Sprachraum angesiedelte Accounting-Forschung68 nimmt hierauf Bezug und erarbeitet die „repräsentative, vor allem aber performative, selektive, konstruktive, ordnende, kontrollierende, evaluierende, klassifizierende, imprägnierende, vergleichende, gleichmachende, zurichtende, zurechnende Funktion von Zahlenwerken, ihre Institutionalisierung als calculative agencies in der modernen Gesellschaft, die Ausbildung entsprechender epistemischer Kulturen und eines kalkulierenden Selbst, schließlich das wechselseitige Steigerungsverhältnis von Kalkulation und Organisation“ (Ortmann 2007:8). Das ist ein vielversprechender Ansatz zur Rekonstruktion der Bedeutung von Zahlen und Berechnungen für die Demographie und (Binnen)migrationsforschung, denn an dieser Stelle sei betont, dass die Bevölkerungsforschung nicht einfach einzelne statistische Angaben verwendet oder in Form von Tabellen anordnet, sondern dass sie von Zahlen lebt. Damit ist sie nicht nur eine wissenschaftliche Disziplin, die sich Zahlen und Rechenpraktiken im Kontext einzelner Aspekte zunutze macht; ganz im Gegenteil basiert ihre gesamte wissenschaftliche Praxis auf Zahlen und Berechnungen. Keine Beschreibung, Erklärung, Argumentation sowie Instruktion erfolgt ohne den Beleg von statistisch erhobenen Daten, die gegenübergestellt, miteinander verglichen, und/oder abgewogen und für Vorschläge und Prognosen herangezogen werden. Damit radikalisiert die Bevölkerungsforschung, was in Wirtschaft, Politik, Medien, Erziehung usw. allgegenwärtig ist und Nikolas Rose (1991) ein „Zusammenleben in numerischen Umwelten“ nennt. Zahlen bestimmen nicht nur den Großteil der individuellen Entscheidungen vom täglichen Einkauf bis zur Berufswahl, sie ermöglichen auch Anerkennung oder Ablehnung durch Schulnoten bis hin zum monatlichen Einkommen, sie bestimmen die Macht oder Ohnmacht eines Staates vom Bruttoinlandsprodukt bis hin zu staatlichen Verschuldungen und sie dienen damit insgesamt als Anzeiger für den Zustand einer Gesellschaft und ihrer Individuen von Arbeitslosenquoten über Fertilitätsraten bis hin zu Wachstumsprognosen. Umso mehr ist es überraschend, dass die Macht der Zahlen innerhalb der Sozialwissenschaften stark vernachlässigt wird und es an einer Zusammenarbeit zwischen Soziologie, Betriebswirtschaft sowie organisationstheoretischen Ansätzen mangelt. Dabei interessiert sich schon Max Weber (1921) für die Ursachen des Kalkulativen und Werner Sombart (2012 [1902], zit. in Mennicken & Vollmer 2007:10) betont, dass „ohne doppelte Buchführung kein Kapitalismus“ existieren würde, denn „sie verhalten sich wie Inhalt und Form zueinander“. Die Arbeiten der eher soziologisch orientierten „Critical Accounting Studies“ sowie der „Social Studies of Finance“ gewinnen durch einen stärkeren Einfluss aus den Theorien und Methoden der „Science and Technology Studies“. Sie zielen darauf ab, die Unterbewertung der Zahlen bei der Konstruktion von Wirklichkeit zu beheben. Erstere beschäftigen sich auf Ansätze des Neoinstitutionalismus, der Praxistheorien, der Politischen Ökonomie sowie marxistischer Theorie, mit Ansätzen, die sich an Foucault orientieren, mit 68
Hier sei neben Anthony G. Hopwood und Peter Miller (1994) vor allem auf die 1976 gegründete Zeitschrift „Accounting, Organization and Society“ hingewiesen (www.journals.elsevier. com/accountingorganizations-and-society).
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Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft
Praktiken der Rechnungslegung und des Controlling als Formen organisierten Rechnens. Sie analysieren diese Praktiken sowohl im Hinblick auf gesellschaftliche Zusammenhänge als auch bezüglich der Auswirkungen auf die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft (vgl. Rose & Miller 1990, Hopwood & Miller 1994). Letztere konzentrieren sich stärker auf „lokal situierte Praktiken, die in ökonomisches Handeln eingebettet sind“ (Mennicken & Vollmer 2007:11), und sie weisen den Darstellungen der Zahlenanwendung wie Formeln, Grafiken und Tabellen eine konstitutive Bedeutung zu und interessieren sich somit für die Formatierungen der Welt durch Zahlen und Berechnungen (vgl. MacKenzie, 1981, Callon 1998). 17.2
Zahlendispositiv regelt soziale Ordnung
Beiden Ansätzen der sozialwissenschaftlichen Zahlenforschung ist gemein, dass sie Zahlen und Berechnungen ebenso wenig als „Erfassung von Tatsachen oder als eine neutrale objektive Wiedergabe ökonomischer und gesellschaftlicher Sachverhalte“ verstehen wie die damit verbundenen Repräsentationsmodelle wie Grafiken, Diagramme und/oder Tabellen. Ganz im Gegenteil symbolisieren Zahlen keine Welt, sondern sie konstruieren diese, denn Zahlen und Berechnungen „fungieren als Scharniere“ (Mennicken & Vollmer 2007:10), die wissenschaftliche Praktiken mit individuellen und gesellschaftlichen Handlungsmotiven verknüpfen. Die Ergebnisse dieser Verknüpfung sind „Evaluations- und Vergleichsräume, Kommunikationsmöglichkeiten und Differenzierungsmuster“, die die Leserinnen aufgrund gewohnten Umgangs mit der numerischen Umwelt verstehen und interpretieren können. Zahlengebrauch ist damit kein bloßes arithmetisches Instrument, sondern das Ergebnis einer sozialen Einbettung, die die Transformation von „Messen zu Managen, Rechnen zu Regieren oder Kalkulieren zu Konstruieren ermöglicht und damit die Welt formatiert (vgl. Callon 1998), das heißt soziale Ordnung herstellt (Mennicken & Vollmer 2007:10). Und dies erfolgt in zweierlei Hinsicht: einerseits konstruieren Personen- und Bevölkerungsgruppen, Populationsgrößen, Geburten- ebenso wie Wanderungsraten tautologisch eben diese Kategorien, die schon im Zuge der Konstruktion mit Inhalt gefüllt werden. Damit wird das Denken von Bevölkerungsgruppen, Populationsgrößen, Geburten- und Wanderungsraten als statistisch berechenbare und durch Zahlen darstellbare Teilelemente einer Gesellschaft diszipliniert. Andererseits disziplinieren die Kategorien das Individuum im Zuge des Zwangs, ein Teil der Gesellschaft sein zu wollen und das ist nur möglich, wenn Individuen die vorgegebenen Kategorien akzeptieren und sich in diese entsprechend einordnen. Die Wahrnehmung einer Person als jungen Mann, Facharbeiterin, ledig, Migrantin, arbeits- und/oder kinderlos zeigt die Disziplinierung einer Gesellschaft und ihrer Mitglieder, sodass der Zahlengebrauch hier im Sinne Foucaults als numerischer Macht-Wissen-Komplex respektive als Zahlendispositiv bezeichnet wird. „Im Alter zwischen 30 und 60 Jahren liegt die Wanderungsintensität von Männern stets leicht über jener der Frauen. Dies dürfte mit dem höheren Anteil kinderloser Männer und häufigeren berufsbedingten Umzügen von Männern zu erklären sein. Auffällig ist allerdings die deutlich höhere Wanderungsintensität von Frauen gegenüber den Männern im Alter von 18 bis 25
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Jahren, für welche die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehende hohe Mobilität ostdeutscher Frauen ursächlich sein dürfte. (…) Unstrittig ist, dass zumindest seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Frauenanteil an den internationalen Migrationsströmen wächst und auch die unabhängige Migration von Frauen zunimmt“ (Kröhnert 2009:23ff).
Die Disziplinierung des Individuums erfolgt im Zuge der Zuordnung einer Person zu einer Kategorie und wird durch die die Zuordnung begleitenden Handlungserwartungen stabilisiert. So betont Jürgen Link (1995, 1996) in seiner Theorie des Normalismus, dass Kategorisierungen der Normalisierung beziehungsweise der Abgrenzung zum Nicht-Normalen dienen, da sie Regulative sind, mit denen bestimmten Personengruppen ein bestimmtes Handeln vorgeschrieben wird. Normen sind somit präexistent, da sie bestehen, bevor gehandelt wird. Dem hingegen definiert Link Normativität als eine Folge der statistischen Tätigkeit, die immer postexistent ist und sozusagen im Nachhinein kommuniziert, was normal und unnormal ist. „Hinzu kommen seit der Vereinigung deutliche Ost-West-Disparitäten bezüglich der ohnehin zu niedrigen Reproduktionsziffern. (…) Zu dem gesamtdeutschen Problem der zu niedrigen Kinderzahl je Frau gesellt sich die durch die Nettoabwanderung verringerte Zahl junger Frauen (und Männer) im fertilen Alter“ (Friedrich 2008:14). „Sie beschreiben den ersten Höhepunkt der Wanderung unmittelbar nach der Wende 1989/90 und die anschließende scheinbare Normalisierung – weniger abwandernden Ostdeutschen standen relativ viele zuwandernde Westdeutsche gegenüber. Mittelfristig wurde daher Mitte der 90er-Jahre von der Mehrheit der Forscher und von der Politik eine Angleichung der Wanderungsströme erwartet“ (Dienel et al. 2004:23).
Nach Link entwickelt sich die Normativität im 19. Jahrhundert ausgehend von der Psychologie und Psychiatrie über die industriell-technischen Entwicklungen (Normungen wie zum Beispiel DIN-Normen) bis zu den maßenhaften Verdatungen sozialräumlicher Phänomene, und begründet sich in dem Bedürfnis der modernen und postmodernen Gesellschaft nach Komplexreduzierung im Zuge zunehmender gesellschaftlicher Dynamiken. Das Potenzial der Normativität ist dabei nicht nur ihr modellhafter Charakter, sondern gleichzeitig auch das dynamische Kontinuum der Normalitätsgrenze. Je nach Kontext können Verschiebungen des Normalen/ Nicht-Normalen vorgenommen werden, was die Flexibilität dessen verdeutlicht, was als normal und nicht normal gilt: „Unter dem Eindruck später publizierter Daten des Statistischen Bundesamtes für 1991 setzte die Expertenrunde die Annahme für das Jahr 2000 jedoch auf 1,0 Kinder pro Frau herunter. Für die erwartete Anpassung an das westdeutsche Niveau (TFR = 1,4 Kinder pro Frau) wurde ein Zeitraum von 20 bis 25 Jahren veranschlagt“ (Münz & Ulrich 1994:4).
17.3
Was zählt das gilt! Von den Daten zu den Fakten
Bei der Durchsetzung und Etablierung des Normalen nimmt die Wissenschaft eine zentrale Funktion ein. Durch Daten, Durchschnitts- und Abweichungswerte liefert sie die Voraussetzung für die Bildung von Kategorien und verweist damit auf normales respektive unnormales Aussehen/Verhalten/Wanderungs- und Reproduktionsverhalten, auf normale respektive unnormale Zugehörigkeit und einen normalen respektive unnorma-
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len Krankheitsverlauf usw. Dabei bestimmt die jeweilige Scientific Community die Klassifikation, sodass behauptet werden kann, dass es unendlich viele Aussagen gibt; jedoch kommt es durch die Scientific Community zu einer Verknappung der Aussagen. Damit sind die Kategorien Konstrukte einer realistischen Perspektive auf die Welt, die der Meinung ist, Regeln und Gesetze durch Synthesis über Begriffe in eine Kategorie zu ordnen. Für Foucault (1981 [1969]:289) stellen sie eine Hypostasierung der Bedeutung der wahrgenommenen Welt dar und sind in der heutigen Gesellschaft diskurstragende Instrumente, da sie die Entstehung der Kategorie und das äußere Bezugssystem verbergen und als präexistent erscheinen. Aber nicht allein die Kategorisierung und Hypostasierung, sondern vor allem die Objektivierung der Wissenschaft stellt letztendlich Wahrheit im Sinne von Gültigkeit und Glaubwürdigkeit her und es stellt sich die Frage wie es der wissenschaftlichen Praxis gelingt, Daten mithilfe von Zahlen zu Fakten zu transformieren. Bettina Heintz (2007:67) weist darauf hin, dass die wissenschaftlichen Vorstellung, wie ‚objektive‘ Daten zu garantieren seien, historisch wandelbar sind. Die Gleichsetzung des Begriffs „objektiv“ mit „unabhängig von persönlichen Einschätzungen eines autonomen Subjektes“ und die damit verbundene Gleichsetzung mit „Wahrheit“ beginnt im 16. Jahrhundert als sich das Experiment und die Beobachtung und damit das Auge als grundlegendes Instrument der Erkenntnisgewinnung durchsetzen. Jedoch sind Experimente und Beobachtungen lokale Ereignisse, die durch ein konkretes Individuum erfolgen. Für die glaubwürdige Vermittlung braucht es jedoch eine Transformation vom „view from somewhere“ (Porter 1992) zum „Blick von nirgendwo“ (Nagel 1992). Das erreicht die Wissenschaft erstens durch die Disziplinierung der Beobachtung durch strikte methodische Regeln, zweitens durch technische Aufrüstung des menschlichen Auges durch Teleskop und Mikroskop (vgl. Kutschmann 1986) respektive Berechnung und drittens durch die Trennung von Theorie und Methode sowie viertens durch die Normierung der wissenschaftlichen Kommunikation durch den wissenschaftlichen Artikel. Letzteres ist eine Folge der zunehmenden Abwesenheit und Unkenntnis der Wissenschaftlerinnen untereinander. Denn die frühere Anwesenheit vertrauenswürdiger (wissenschaftlicher) Zeugen im Kontext der wissenschaftlichen Akademien ebenso wie die personalisierte Briefform als Hauptmittel der Kommunikation wurde durch eine schriftliche Form ersetzt, die den Nachvollzug der Gedanken, Beobachtungen und Experimente ebenso wie die Wiederholung an anderen Orten und durch andere Personen gestattet. Somit entsteht eine Kommunikationsform als autonome Sprache, die auf Unpersönlichkeit und Exaktheit der Aussagen über Sachverhalte und nicht auf persönliche Urteile gerichtet ist und in Abgrenzung zu Sprachen der Religion und Politik allgemeine Bezugssysteme der Beschreibung fordert (Latour 2008 [1991]). Die damit einhergehende Selektion der Informationen erfolgt zugunsten der Beschreibung des Erlebten im Zuge der Beobachtung und des Experiments und lässt das individuelle Handeln als durch objektive Messung erhobene Zahl erscheinen. Diese Konzentration auf die Beobachtung und das Experiment benötigt jedoch die Standardisierung der Maßeinheiten, Messinstrumente und Messbedingungen, die durch die Instrumentenentwicklung des 19. Jahrhunderts gewährleistet werden kann. Nun ist es möglich, an jedem Ort und zu jeder Zeit unter gleichen Bedingungen Ergebnisse nachzuvollziehen. Im Falle der Naturwissenschaften erfolgt dies durch Messwerte, das heißt in
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Form von Zahlen, die an der Apparatur abgelesen werden können; und im Falle der Sozialwissenschaften erfolgt die Überprüfung durch statistische Berechnungen. Diese Objektivität wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass Zahlen als Zeichen für Wissen in „hochverdichteter und komprimierter Form“ dienen und somit wesentlich weniger „indexikale Bezüge aufweisen als sprachliche Aussagen. (…) Während ein Satz seine Negationsmöglichkeit immer in sich trägt, sind Zahlen tendenziell affirmativ“ (Heintz 2007:79), was ihren Geltungscharakter wesentlich unterstützt. „Die Zahlen der Tabelle 2, die den Binnenwanderungssaldo der-Jahre 1980–85, auf 1000 Einwohner bezogen, nach Ländergruppen aufteilt, demonstrieren, dass in den 80er-Jahren ein solcher Trend bei Erwerbspersonen wie Nicht-Erwerbspersonen vorhanden ist“ (Kemper 1991:157). „Bis jetzt, so zeigt eine Auswertung des Sozioökonomischen Panels, verzichteten in Ostdeutschland vor allem jene jungen Frauen auf Kinder, die 1990 ihre persönliche Zukunft im vereinigten Deutschland besonders pessimistisch einschätzten. Jene, die die Zukunft 1990 für sich günstig sahen, haben in der Zwischenzeit deutlich häufiger Kinder bekommen. Die Ergebnisse sind trotz relativ kleiner Fallzahlen hoch signifikant“ (Münz & Ulrich 1994:10).
17.4
Der Osten, die ostdeutschen Frauen und die Kinder
Die Soziologie, Demographie und Geographie profitieren vom Zahlengebrauch; stützen die Zahlen nicht nur die Forschungsergebnisse, sondern legitimieren sie neben der Produktion von Wissen auch die Vermittlung dessen für politische Steuerungen und Entscheidungen. Der moderne Staat hat zunehmend Interesse an Kenntnissen über die innerhalb des staatlichen Territoriums lebenden Individuen und die Bevölkerungswissenschaften konstituieren mit den wissenschaftlich abgesicherten Praktiken spätestens seit dem 18. Jahrhundert den neuen Gegenstand der Bevölkerung und bilden damit den Grundstein für das Regieren mit Zahlen. Das Zahlendispositiv beinhaltet neben der Herstellung sozialer Ordnung also noch eine weitere Dimension: es schafft politische Ordnung. Denn die Soziokalkulation – also die numerische Repräsentation des Sozialen – fungiert auch als Steuerungswissen für das politische Regieren, das als Regieren mit Zahlen (Desrosiéres 2000, Porter 1994, Vormbusch 2007) bezeichnet werden kann. Dabei geht es nach Angermüller (2010:175) nicht vordergründig um die „Modernisierung der Gesellschaft, sondern um das Regieren des Sozialen als ein homogenes und durchmachtetes Terrain sozialer Beziehungen“ (Osten, ostdeutsch, ostdeutsche Frauen). Die Steuerung der Bevölkerung spielt hier eine herausragende Rolle, da ihre ‚natürliche‘ Entwicklung die Voraussetzung für den Erfolg und Misserfolg eines Nationalstaates bilde. Innerhalb Deutschlands vereinen Ost- und Westdeutschland als homogenisierte und damit kalkulierbare Räume das Interesse der Bevölkerungsforschung. Diese hergestellte Vergleichbarkeit führt schließlich zu der Erkenntnis, dass innerhalb Deutschlands wesentliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bestehen. „Der Osten Deutschlands ist im Umbruch. Der Wechsel des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems schlägt sich nicht nur in Produktionsziffern, Arbeitslosenraten und Wahlergebnissen nieder. Er hat auch demographische Konsequenzen. Nur die beiden spektakulärsten Entwicklungen der-Jahre 1989–93 sind allgemein bekannt: der Massenexodus von rund 1,3 Millionen
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Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft Ostdeutschen nach Westdeutschland und der spektakuläre Rückgang der Eheschließungen und Geburten um 65 %, der Scheidungen sogar um 80 %“ (Münz & Ulrich 1994:1). „Ostdeutschlands Wanderungsbilanz gegenüber den westlichen Bundesländern weist nach wie vor deutlich negative Werte aus“ (Kubis & Schneider 2008:128).
Neben den Wanderungsbilanzen und den Wohlstandsindikatoren interessiert sich die Bevölkerungsforschung vor allem für die niedrigen Reproduktionsraten, die sich im Kontext von weiblicher Abwanderung zudem verringern. „Vor allem für das Jahr 2006 kann insofern ein eklatanter Anstieg der Mobilität ostdeutscher Frauen beobachtet werden, als das 60 % der Abwanderer Frauen sind“ (Schultz 2009:56). „Als unmittelbare und mittelbare Folge der Nettoabwanderung jüngerer Menschen – mithin auch potentieller Eltern –, des veränderten Fertilitätsverhaltens ostdeutscher Mütter sowie der gesteigerten Lebenserwartung hat sich der Altersdurchschnitt der ostdeutschen Bevölkerung in den Jahren seit der Grenzöffnung 1989 merklich erhöht“ (Ragnitz et al. 2007:195).
Der statistische Blick auf die Kinderzahl pro Frau in Ost und West ermöglicht im Rahmen des Regierens mit Zahlen die Transformation privater Wünsche und Entscheidungen auf eine nationale Ebene. Damit erfolgt eine Darstellung individueller Lebensläufe, als würde das Verhalten von Menschengruppen, denen von Individuen gleichen. Sie werden geboren, heiraten, bekommen Kinder, haben Berufe, sind arbeitslos usw. und sterben. Die Bevölkerung beginnt wie auch das Individuum bei der Geburt und endet beim Sterben, womit die weibliche Fruchtbarkeit als naturgemäße Ursache konzipiert wird. Das bildet gleichzeitig die Legitimation für die Notwendigkeit staatlichen Eingriffs, da die naturgemäße Entwicklung des Staates ansonsten gefährdet sei, was weitreichende Konsequenzen für die Leistung eines Staates und seiner Bürgerinnen habe. „So wird von wirtschaftspolitischer Seite die Sorge geäußert, dass durch die geringe Geburtenrate und die Abwanderung gut ausgebildeter junger Menschen ein Defizit an dieser Personengruppe entsteht und dadurch endogene Potenziale für die wirtschaftliche Entwicklung verloren gehen. Im Wettbewerb um die besten Köpfe könnte der Osten Deutschlands aufgrund seiner wirtschaftlichen Problemlage ins Hintertreffen gelangen. Vor allem wird in diesem Zusammenhang das Problem des Fachkräftemangels thematisiert“ (Schultz 2009:12).
Ein Textausschnitt von Rainer Münz & Ralf Ulrich (1994:4) mit dem Titel „Was wird aus den neuen Bundesländern?“ zeigt die daraufhinfolgende Politikberatung seitens der Bevölkerungsforschung. „Die niedrigste Annahme zur mittelfristigen Entwicklung der Fruchtbarkeit findet sich in einer Analyse der Bundesanstalt für Landeskunde und Raumordnung (BfLR 1993). (…) Bei der Vorbereitung einer Delphi-Runde Ende 1991 schlug das BfLR für Ostdeutschland im Jahr 2000 eine TFR von 1,2 Kindern pro Frau vor, Bucher (u. a. 1992) sogar nur 0,83. Bei den Antworten der Experten ergab sich ein Mittelwert von 1,34 Kindern. Als geringsten Wert gaben die vom BfLR befragten Experten 1,12 an, der höchste lag bei 1,5 Kindern“.
Diese statistische Unterordnung des Individuums und dessen Wünsche unter die Bevölkerung, die als homogenes Ganzes die Interessen des Staates auf sich zieht, muss die Existenz möglicher Abweichungen individueller Wünsche und Bedürfnisse von der Bevölkerung verdrängen, sodass die Statistik als Abbild summierter individueller Handlungen erscheint. Mit der Unterwerfung verlieren die Bedürfnisse
Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft
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der Einzelnen ihre Bedeutung, denn nur als Mitglied der Bevölkerung kommen sie zur Geltung dann aber als Teil von Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel kinderlose Frauen, abwandernde potenzielle Mütter, zurückbleibende schlecht ausgebildete Männer usw. Sybilla Nikolow (2006:263) weist in ihrem Aufsatz „Imaginäre Gemeinschaften. Statistische Bilder der Bevölkerung“ auf Walter Benjamin hin, der Ende der 1920er-Jahre die Statistik ironisch wertschätzt und damit Achenwalls (1749, zit. in Meitzen 1886:9) Einschätzung, nach der die Statistik der „Inbegriff der wirklichen Staatsmerkwürdigkeiten eines Reiches oder einer Republik“ ist, widerspricht: „Wir selber, alles was uns eignet oder fremd ist, können jederzeit uns in ihr [der Statistik] wiederfinden und von unserer verborgensten Seite, (…) von der wir gar nichts wußten, zu Ehren kommen“. Phänomene, die in eine numerische Ordnung gebracht werden, werden dies erstens unter Absehung individueller Unterschiede und zweitens mit dem Ziel, vergleichbar zu sein. Vergleichbarkeit ist den Objekten und Phänomenen aber nicht inhärent, sondern sie wird hergestellt. „Um die Zukunftsfähigkeit vergleichbar zu bewerten, hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 22 Indikatoren ausgewählt: zu den Schwerpunkten Demographie und Wirtschaft ebenso wie zur Ausländerintegration, Bildung, Familienfreundlichkeit und Flächennutzung. Hierfür wurden Rohdaten aus den aktuellsten, auf Kreisebene verfügbaren amtlichen und privatwirtschaftlichen Statistiken ermittelt, beziehungsweise errechnet und einem jeweils vordefinierten Notenschlüssel unterworfen. Die einzelnen Bewertungen werden für die verschiedenen Bereiche (Demographie, Wirtschaft etc.) in Zwischennoten zusammengefaßt. Zusätzlich wurde eine Gesamtnote aus dem Durchschnitt aller Indikatoren gebildet. Die Noten sind in einer Deutschlandkarte dargestellt“ (Kröhnert et al. 2005:6).
Eine weitere Bedingung von Vergleichbarkeit sind Kategorisierungen und diese sind eine Folge von Selektionen. Das heißt, dass nur einige Merkmale (wie zum Beispiel die biologische Veranlagung zur Geburt, das biologische Alter, die Ausbildung, der Beruf) als relevant ausgewählt werden. „Die Grundlage des Beitrags bildet eine geschlechts- und altersspezifisch differenzierte Wanderungsdatenbank für das Jahr 2005, welche es erlaubt, die tatsächlichen Wanderungsströme von Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren unterschieden nach Herkunfts- und Zielregion für Gesamtdeutschland auf Kreisebene zu betrachten“ (Kubis & Schneider 2007:298).
Dieses Vorgehen ist nichts anderes als Abstraktion individueller Phänomene mit dem Ziel einer Komplexitätsreduktion. Das Ergebnis aller Prozesse des Messens, Vergleichens, Kategorisierens, Abstrahierens usw. sind letztendlich Zahlen, die nicht mehr strittig sind (siehe Tabelle 8 und 9 sowie Abbildung 12). Die wohl bekannteste Darstellung der Gesellschaft in Form von Zahlen ist die Bevölkerungspyramide (siehe Abbildung 10 und 11), die auch im Zuge deutscher Bevölkerungs- und Migrationsforschung zum Einsatz kommt. Betrachtet man die Bevölkerungspyramide aus einer sprachwissenschaftlichen Perspektive, kann behauptet werden, dass der Terminus Pyramide das Denken über Bevölkerung vorwegnimmt, da alle abweichenden Darstellungen von der Pyramidenform als Abweichung der ‚Normal‘bevölkerung interpretiert wird. Abweichung ist in diesem Sinne keine Veränderung der ‚natürlichen‘ Bevölkerungsstruktur, sondern in erster Linie einmal eine Veränderung eines durch die Wissenschaft konstruierten Kategoriensystems. Diese semantischen Denkvorgaben führen sich auch in den veränderten Darstellungsfor-
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Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft
men der Bevölkerungsstruktur fort, indem zum Beispiel die Darstellung der Bevölkerungsstruktur mit einem hohen Anteil älterer Personen als Urne bezeichnet wird. Die Bezeichnung der Bevölkerungsdarstellung als „Pyramide“ ist eine Konsequenz der Darstellung der mathematischen Normalverteilung, deren Abweichung als Abweichung der normalen Bevölkerungsstruktur verstanden wird. Die Implikationen der Gaußschen Verteilungskurve erfahren im Zuge der Bevölkerungspyramide eine Übertragung von der Mathematik auf die soziale Welt und dies führt zu der Vorstellung auch das Soziale (wie Geschlecht, Alter) müsse eine mathematische Normalverteilung entsprechend natürlicher Gesetzlichkeit anstreben.
Tabelle 8: Kreise mit den 10 höchsten bzw. niedrigsten Raten des regionalen Wanderungssaldos – Frauen, 18 bis 30 Jahre, 2005; Quelle: Kubis & Schneider (2007:299)
Tabelle 9: Bevölkerungsstruktur im Jahr 2050 in %; Quelle: Steinemann & Tagge (2002:99)
Reiseerzählung 3: Das Zahlenwerk der Wissenschaft
Abbildung 12: Entwicklung der Bevölkerungszahlen in den neuen Bundesländern, 1989 bis 2002; Quelle: Dienel et al. (2004:33)
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18 Reiseerzählung 4: Die Ökonomie „(…) die einen profitieren, die anderen verlieren (…)“
„(…) entwickelte Regionen profitieren eher von diesen Wanderungen (…)“, „(…) Migrationssaldo (…)“, „(…) Verlust an Humankapital (…)“, „(…) erklären Profitabilitätsaspekte das Verhalten (…)“, „(…) die Wanderungsverluste des Ostens haben auch dessen künftiges Wachstumspotenzial nachhaltig verringert (…)“, „(…) damit verlor Ostdeutschland im Saldo (…)“, „(…) aus ökonomischer Perspektive fehlen mit den abgewanderten Frauen dieses Alters – zumindest langfristig – Fachkräfte, die für die regionale Humankapitalausstattung von entscheidender Bedeutung sind (…)“, „(…) Frauendefizit (…)“, „(…) Negativbilanz (…)“, „(…) männliche und weibliche Bevölkerungsanteile (…)“, „(…) die Trends der Wanderung sind deutlich (…)“, „(…) regionale Humanressourcen (…)“, „... Bestand an hochqualifizierten Männern (…)“, „(…) Bilanz der Wanderung (…)“, „(…) der ostdeutsche Nettoverlust seit 1989 (…)“, „Nettomigrationsraten“, „(…) es gibt lediglich Inseln des Wachstums (…)“, „(…) die negative natürliche Bevölkerungsentwicklung wird genährt (…)“, „(…) der Rückgang der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (…)“, „(…) Handbuch zur Messung der Humanressourcen (…)“
Das vorangegangene Kapitel weist darauf hin, dass die Interpretation der Zahlen nicht nur ‚numeracy‘ benötigt, sondern vor allem an die Akzeptanz gebunden ist, dass der Zahlengebrauch „eine adäquate und legitime Darstellungs- bzw. Artikulationsweise gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (Vormbusch 2007:58) ist. Diese Akzeptanz ist wiederum die Konsequenz einer Ökonomisierung der sozialen Welt, die die Prinzipien wirtschaftlichen Handelns auf alle sozialen Bereiche überträgt und damit die Beurteilung alltäglicher und wissenschaftlicher Phänomene im Rahmen ökonomischer Prinzipien als logisch und rational erscheinen lässt. Das folgende Kapitel zeigt, dass auch die wissenschaftlichen Studien zur Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung auf den Prinzipien ökonomischen Denkens basieren. Damit bildet das folgende Kapitel eine Fortführung der Reiseerzählung 3, indem es das Interesse an den wissenschaftlichen Durchsetzungsstrategien fortführt und sich zunehmend stärker auf die Rekonstruktion der Grundlogiken des Denkens und Erzählens konzentriert. Denn nach Foucault (2005) erfolgt keine sprachliche (und nicht sprachliche) Praxis ohne Bezug auf ein bestimmtes Rationalitätsregime, das die Wahrnehmungskriterien und Beurteilungsprinzipien generiert. Das folgende Kapitel wird zeigen, wie stark die Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum an die Rationalität der Ökonomie gebunden sind und wie diese Grundlogiken des Denkens anhand sprachlicher Phänomene vermittelt werden.
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Reiseerzählung 4: Die Ökonomie
18.1 Rationalitätsregime und Ökonomisierung des Sozialen Der Begriff der Rationalität gewinnt vor allem in Foucaults empirischen Studien zur Gouvernementalität an Bedeutung, in denen er sich mit den verschiedenen Formen des Regierens vom Mittelalter bis heute auseinandersetzt. Er kommt zu dem Schluss, dass europäische Regierungen bis zum Ende des Mittelalters weder mit heutigen staatlichen Institutionen noch mit politischen Systemen zu vergleichen sind und als unterschiedliche Formen der Führung von Menschen zu bezeichnen sind. So erhält der Fürst das Fürstentum im Mittelalter durch Erbschaft, durch Erwerb oder Eroberung und die Legitimation erfolgt vordergründig durch die göttliche Ordnung oder das Naturrecht. Die politische Rationalität des Regierens basiert somit auf dem Zusammenwirken von formalen und natürlichen Gesetzen, sodass diese Form des Regierens entsprechend dem (politischen) Rationalitätsprinzip richtig im Sinne von wahr und damit gültig erscheint. Im 16. und 17. Jahrhundert erfolgt eine erste Zäsur, da nicht mehr die theologische Ordnung, sondern die politische Vernunft die Legitimationsgrundlage politischen Regierens bildet. Für Foucault kommt es zu Beginn der Neuzeit somit zum Wechsel von der Souveränität des Fürsten hin zu den Dingen, die der neu entstehende Staat als politische Problematik erklärt und für dessen Lösung er Verantwortung übernehmen muss. Die Lösung dieser Problematiken bedingt jedoch auch die Unterwerfung aller Menschen und ihrer Beziehungen zu den Dingen (Reichtum ebenso wie Bodenschätze, Nahrungsmittel ebenso wie Klima und Trockenheit) und Denkweisen (Sitten und Gebräuche ebenso wie Familie und Reproduktion) unter die Kontrolle und Organisation des Staates. Das Regieren charakterisiert sich somit nicht mehr durch Formen der Menschenführung, sondern durch ein übergeordnetes Prinzip der Verantwortlichkeit (Foucault 1978:45ff), das sich in Europa als Regieren des Sozialen durchsetzt und im Sozialstaat, in der Sozialdemokratie und/oder dem Sozialismus seine Umsetzung findet (Rose 2000:76). Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgt eine zweite Zäsur in Bezug auf die Legitimierung des Regierens, deren Ursprünge sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen lassen (Foucault 1978). Nun speist sich Legitimität und Illegitimität nicht mehr aus der göttlichen Ordnung, dem Naturrecht oder der Vernunft, sondern aus Erfolg und Misserfolg. Das ermöglicht erstens das Regierens aus dem juridischen Rahmen der Souveränität ebenso zu lösen wie aus dem verantwortungsbewussten Staatsprinzip und artikuliert Regieren als ökonomisches Prinzip, das Nützliches vom Unnützen trennt. Die Rationalität des Regieren besteht nun im „richtige[n] Verfügen über die Dinge, deren man sich annimmt, um sie dem angemessenen Zweck zuzuführen“ und in der „Kunst, die Macht in der Form und nach dem Vorbild der Ökonomie auszuüben“ (Foucault 1978:49). Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Sozialem/Kultur und Ökonomischem erfolgt nicht erst bei Foucault, sondern schon bei Karl Marx (1848), Max Horkheimer und Theodor Adorno (1971 [1944]), Erich Fromm (2010), Antonio Gramsci (1980) und bei den Cultural Studies, die, entgegen der Kritischen Theorie und der philosophischen Anthropologie, die Verbindung von Wirtschaft und Kultur wie zum Beispiel in den Cultural Industries teilweise auch begrüßen. Eine Radikalisierung aller Ansätze legen Michael Hardt und Antonio Negri in ihrem Werk „Em-
Reiseerzählung 4: Die Ökonomie
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pire“ (2000) vor. Sie betonen die Ökonomisierung des Sozialen durch die Auflösung der Grenze zwischen Ökonomie und Politik, Ökonomie und Sozialem, Ökonomie und Wissenschaft und damit die Übertragung ökonomischer Prinzipien auf alle weiteren Lebensbereiche des Sozialen und Kulturellen. Sie sehen den Ursprung des ökonomischen Denkens nicht in der Politik des Regierens wie Foucault69 es tut, sondern im aufstrebenden Kapitalismus des 18. und 19. Jahrhunderts. Mit dem Begriff der Ökonomisierung geht es Hardt und Negri aber nicht allein um grenzenlose Verwertungsinteressen, sondern um eine tief greifende kapitalistische Vergesellschaftung, die nicht nur die Arbeitskraft erfasst, sondern auch die Ökonomisierung des Körpers bis hin zu Wünschen und Plänen im eigenen Lebensentwurf. Die Ökonomie hat sich damit vom ursprünglichen Wirtschaftssystem mit der Fokussierung auf Tätigkeiten der wirtschaftlich Handelnden neben anderen Gesellschaftssystemen als allgemeingültiges Rationalitätsprinzip westlicher Gesellschaften durchgesetzt. Somit unterliegen die sozialstaatlichen Sicherungssysteme Europas tief greifenden Veränderungen, wenn öffentliche Versorgungseinrichtungen privatisiert werden, wenn das Gesundheits- ebenso wie das Bildungssystem dem Markt geöffnet wird und wenn Behörden zu Dienstleistungsunternehmen werden. Wenn zudem die soziale Position an die Verantwortung jeder/jedes Einzelnen und die persönlichen Wünsche an die Bedürfnisse des perfekten Lebenslaufes gekoppelt werden, um sich letztendlich selbst ‚gut verkaufen‘ zu können, dann setzt sich eine „Rationalität des Regierens durch, die ohne Gesellschaft“ (Rose 2000:73) auszukommen vermag. Nach Nikolas Rose ist dies auch den Umständen geschuldet, die unter dem Begriff der „Postmoderne“ den bisher zeitlich und räumlich begrenzten Gegenstand ‚Gesellschaft‘ entgrenzt; also die Beziehungen zwischen Individuen und den ethischen, politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Institutionen auflöst. Infolgedessen scheinen auch die gesellschaftlichen Verantwortungssysteme (Sozialversicherungen, Sozialversicherungsleistungen) unnütz zu sein, da sie den individuellen, wettbewerbsbezogenen, also marktorientierten Prinzipien entgegenstehen. Nikolas Rose spricht in diesem Zusammenhang von einer Desozialisierung des Ökonomischen, statt des sonst oft rezipierten Begriffspaars der Ökonomisierung des Sozialen. Denn während die klassische Nationalökonomie im Sinne der Verantwortlichkeit die Ökonomie als Mittel des sozialen nationalstaatlichen Wohlstandes sieht und somit beide Bereiche – Ökonomie und Soziales – nach dem „Prinzip der wechselseitigen Optimierung“ (Rose 2000:90) regiert, proklamieren heutige Staaten Ökonomien als globalisiert, was eine Entkoppelung vom Gesellschaftlichen nach sich zieht und den lokalen Standort nur mehr als Ort flexibler Wirtschaftsbeziehungen versteht. Die Individualisierung passt zu diesem Anspruch auf Flexibilität. Sie bindet die Einzelnen ‚vor Ort‘ als Teile des globalen ökonomischen Erfolges ein und 69
Nach Foucault (1978:60) ist die Herausbildung des ökonomischen Prinzips eng gebunden an die Etablierung der Statistik. Die Statistik produziert Wissen durch Zählen, Quantifizieren und Korrelation aber auch Wissen über ökonomische Effekte, die die Bevölkerung durch ihre Handlungen (Wanderung, Arbeit, Reproduktion) scheinen auszulösen. Die Folge sind Bilanzierungen von Verlusten und Gewinnen für die Bevölkerung im Allgemeinen durch die Handlungen Einzelner. Damit erfolgt eine Übertragung ökonomischer Prinzipien auf die soziale Welt und es entsteht ein neues Verhältnis von Staat und Ökonomie, das sich als Regierungsform respektive Rationalitätsregime des Liberalismus durchsetzt.
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Reiseerzählung 4: Die Ökonomie
das Individuum erweitert durch Selbstmanagement nicht nur das eigene Humankapital, sondern stellt dies der Ökonomie für deren Erfolg zur Verfügung. 18.2
Ökonomisierungsdispositiv regelt Leistungsfähigkeit
Die Analysen zum Zustand der deutschen und hauptsächlich der ostdeutschen Bevölkerung, die Wanderungsanalysen vor allem mit Blick auf ostdeutsche Verluste und westdeutsche Gewinne sind, ebenso wie die Konzepte von Alterung und Schrumpfung Konsequenzen eines ökonomischen Rationalitätsprinzips. „Die demographische Entwicklung wird nur kurzfristig eine Entlastung der angespannten Arbeits- und Wohnungsmärkte bewirken und Einsparungen im Bereich von Schule und Kinderbetreuung gestatten. Ihre negativen Konsequenzen (Entvölkerung, sinkende Kaufkraft der Regionen, weniger wohnnahe Schulstandorte, weniger Mittel aus dem Finanzausgleich) werden über einen längeren Zeitraum spürbar sein und die sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven einiger Regionen zusätzlich belasten“ (Münz 1994:i). „Aus ökonomischer Perspektive fehlen mit den abgewanderten Frauen dieses Alters – zumindest langfristig – Fachkräfte, die in der Regel ein höheres Bildungspotenzial aufweisen als deren männliche Pendants und somit für die regionale Humankapitalausstattung von entscheidender Bedeutung sind“ (Kubis & Schneider 2007:298). „Ausreichend Kindergartenplätze erleichtern vor allem Frauen, Beruf und Kinder miteinander zu vereinbaren. Und das macht sich auch im Staatshaushalt bezahlt: Berufstätige Mütter erhöhen die Steuereinnahmen um mehr als das, was gute Betreuungsangebote kosten“ (Kröhnert 2005:11).
Die Anknüpfung an die neoliberale Rationalität ermöglicht, dass die Reduzierung der Bevölkerung auf quantitativ messbare Eigenschaften als qualitative Reduzierung der Produktivität eines Nationalstaates oder einer Region verhandelt werden kann. Im Zuge dessen werden Themen um (internationalen) Konkurrenzdruck, Wettbewerb und/oder Leistungsfähigkeit auf einzelne Individuen übertragen, sodass die Eigenverantwortung für die eigene Leistungsfähigkeit gestärkt wird. Die neoliberale Rationalität zeigt sich jedoch nicht allein in expliziten Verweisen auf die ökonomischen Nachteile von demographischem Wandel und Abwanderung. Deutlich impliziter durchzieht die ökonomische Logik die wissenschaftlichen Artikel im Zuge von sprachlichen Aufwendungen, die allesamt dem semantischen Hof der Ökonomie zugeordnet werden können. In diesem Sinne gehen durch das „Wanderungskalkül“ der Ostdeutschen „1 Mio. Menschen verloren“, die „Wanderungsbilanz der Regionen“ oder die „natürliche Saldo-Rate gibt einen Verlust an“. Wenn der „der Nutzen einer Migration“ höher ist als der Verlust“, dann „profitieren andere Regionen vom Zuzug junger Frauen“. „Ein besonders starkes Frauendefizit ist in zahlreichen ostdeutschen Regionen zu beobachten“, sodass erkennbar wird, dass „über zwei Drittel der deutschen Kreise per Saldo einen wanderungsbedingten Verlust an Frauen in der untersuchten Altersgruppe aufweisen“, und „Wachstum findet fast nur noch dort statt, wo Menschen hinziehen“. Begriffe wie Kalküle, Bilanzen, Salden, Wachstum, Defizite, Überschüsse, Raten sowie verlieren, gewinnen und beitragen spiegeln die ökonomische Rationalität der wissenschaftlichen Texte wider.
Reiseerzählung 4: Die Ökonomie
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„Während im Zeitraum 1991 bis 1996 in den alten Ländern Außen- wie Binnenwanderungsgewinne in der Mehrzahl der Regionen zum Bevölkerungszuwachs beitrugen, reichten die ostdeutschen Außenwanderungsgewinne in den meisten Regionen nicht aus, um die Binnenwanderungsverluste an andere ost- und/oder westdeutsche Regionen zu kompensieren. Die wenigen ostdeutschen Regionen mit einer positiven Wanderungsbilanz (...) erreichten dieses Ergebnis einzig aufgrund von Außenwanderungsüberschüssen“ (Maretzke 1998:743).
Aber auch scheinbar nicht ökonomische Begriffe und Kontexte lassen Rückschlüsse auf die spezifische Rationalität der Ökonomie zu. So zum Beispiel die Metapher „Schrumpfung“, die als sprachliches Mittel die Übertragung vom Quellbereich „Entzug von Vitalität“ auf den Zielbereich „Lähmung“ und „Stillstand“ ermöglicht. Somit erscheinen die demographischen Veränderungen als ein Ereignis, das den Zustand der Unbeweglichkeit herstellt und als Symbol für Nicht-Fort- bzw. Weiterentwicklung und damit für Nicht-Wachstum und somit nicht für ökonomischen Erfolg steht. Nicht zuletzt findet sich in den Texten nicht selten die Verwendung des Begriffspaars „demographischer Schock“, das den Stillstand und die Unbeweglichkeit untermauert. Die Auseinandersetzungen Foucaults sowie Hardts und Negris bestehen jedoch nicht allein darin, auf die Ökonomisierung des Sozialen respektive die Desozialisierung der Ökonomie hinzuweisen, sondern auch darin auf die Ökonomisierung als Dispositiv aufmerksam zu machen, das das Denken von Individuen im Kontext einer gesellschaftlichen Rationalität logisch gestaltet. Die Ökonomie ist damit ein Macht-Wissen-Komplex, der nicht allein die diskursiven Aussagen, sondern auch das Individuum hinsichtlich seiner Praktiken und die Bevölkerung hinsichtlich ihrer Bewertungskriterien regelt. In diesem Kontext stehen die immer wieder verwendeten Begriffe „Humankapitalausstattung“ und „Brain-Drain“. Mit ersterem wird die Steuerung des Wirtschaftslebens auf das Management des individuellen Lebens übertragen. „Auf individueller Ebene ist der Umfang und Wert des Humankapitals neben der natürlichen Anfangsausstattung, also den Eigenschaften und Talenten eines Menschen, in erster Linie eine Folge von Bildungsinvestitionen“ (Friedrich & Schultz 2005:12)
Damit erfolgt die Einbindung des Individuums in den wirtschaftlichen Arbeitsprozess nicht mehr wie noch im 18. und 19. Jahrhundert durch den Erwerb der körperlichen Arbeitskraft durch Lohnzahlung, sondern durch die Vereinnahmung der intellektuellen Fähigkeiten, was arbeitende Individuen zu Fachkräften in der Ökonomie macht (vgl. Hardt & Negri 2000). „Brain-Drain“ als Synekdoche pars pro toto (siehe 21.5) unterstützt die Unterwerfung des Individuums durch die Reduzierung auf die Humankapitalausstattung. Und sie verdeutlicht, dass die Humankapitalausstattung nicht die Voraussetzung für den sozialen Wohlstand des Individuums oder der Gesellschaft bildet, sondern ein Element des ökonomischen Erfolgs einer Region respektive eines Staates und damit eine Bewertungsgrundlage des ökonomischen Prinzips darstellt. „Eine Untersuchung der Ost-West-Wanderungsströme [kommt] zu dem Ergebnis, dass das ostdeutsche Humankapital durch die Abwanderung entscheidend verringert wird, weil vor allem gut Ausgebildete, aber auch Berufsanfänger in den Westen ziehen (Mai 2006:356).
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Reiseerzählung 4: Die Ökonomie „Eine Betrachtung von Migrationen unter Brain-Drain-Gesichtspunkten unterstellt i. e. S. eine hohe Bedeutung von berufs- oder karrierebezogenen Wanderungsintentionen. Schließlich wird bei einer solchen Bewertung der Humankapitalströme der Migrant als Ressource im volkswirtschaftlichen Produktionsprozess betrachtet. Abwanderung im hoch qualifizierten Bereich wird daher gleichgesetzt mit einem Verlust an Humanressourcen und einer Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ (Friedrich 2008:53).
19 Reiseerzählung 5: Die Natur-Wissen-Schafft „(…) die größte Anziehungskraft übt München aus (…)“
„(…) Sogwirkung (…)“, „(…) die West-Ost-Migration ist eine Wanderung entgegen dieser dominanten Wanderungsrichtung, sie wird als Gegenstrommigration bezeichnet (…)“, „(…) die Folgen zweier Fluchtwellen in den Westen (…)“, „(…) so standen in der ersten Abwanderungswelle seit der Wiedervereinigung bis ca. 1992 massenhaften Fortzügen (…)“, „(…)dieser Zeitraum entspricht etwa dem Gipfel der Auswanderungswelle (…)“, „(…) Deutschland ist ein angefressener Pilz (…)“, „(…) Erosionsprozess der Wende (…)“, „(…) Inseln des Wachstums (…)“, „(…) welche Bedeutung die West-Ost-Wanderung für Stabilitätsinseln hat (…)“, „(…) Wanderungsschübe (…)“, „(…) sinkende Kaufkraft der Regionen (…)“, „(…) manche Regionen erleben bereits eine regelrechte Bevölkerungs-Implosion (…)“, „(…) es herrscht Innovationsdruck (…)“, „(…) Kräfte, die zu weniger Geburten führen (…)“, „(…) aufgrund der weiteren Abwanderung (…)“, „(…) Determinanten der Abwanderung“, „(…) die Ursachen dieser Entwicklungen müssen, neben Anpassungsprozessen (…)“, „(…) im Fokus: Wanderungsverhalten der Ostdeutschen (…)“, „(…) Grundlage des Beitrags bildet (…)“
1964 schreibt Roland Barthes über die französischen „Mythen des Alltags“, mit dem Ziel, seinem „Unbehagen an der ‚Natürlichkeit‘ [Hervorhebungen im Original], die von der Presse, von der Kunst, vom gesunden Menschenverstand ständig einer Wirklichkeit zugesprochen wird“ Ausdruck zu verleihen. So formuliert er im Vorwort: „Ich litt darunter, dass in der Erzählung unserer Gegenwart ständig Natur und Geschichte miteinander vertauscht werden und ich wollte dem ideologischen Missbrauch auf die Spur kommen, der sich nach meinem Gefühl in der dekorativen Darstellung des Selbstverständlichen verbirgt“ (Barthes 2012[1964]:11).
Für Barthes sind die Natürlichkeit der Dinge falsche Evidenzen und er wählt die Mythologie als Forschungsperspektive, um die Bedeutungen zu entmystifizieren, die er im Sinne Ferdinand de Saussures als durch die Sprache vermittelt versteht. Die Bedeutungen müssen bestimmte Bedingungen erfüllen, um Mythos werden zu können. Für Barthes ist der Mythos damit eine von „der Geschichte gewählte Rede“ und nicht ein Objekt, das „aus der Natur der Dinge“ hervorgeht; auch wenn der Mythos so erscheint (Barthes 2012[1964]:251ff). Letzteres ist seinem Erfolg zuzusprechen. Denn der Mythos verfolgt das Ziel, eine „historische Intention in Natur, etwas Zufälliges als Ewiges zu begründen“, um Ideologisches als Natürliches vermitteln zu können. Der damit einhergehende „Verlust von Historizität der Dinge“ lässt ein Bild des gesellschaftlich Realen entstehen, das jeglicher politischer Auseinandersetzung ent-
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hoben ist und ungehindert zirkulieren kann (Barthes 2012 [1964]:294f). Damit entzieht sich der Mythos den offenen Fragen, die im Rahmen von Meinungen, Glauben und sogar Erklärungen noch vorhanden wären, und schreibt den Dingen den Status von Feststellungen zu, die als natürlich und damit selbstverständlich Anwendung finden können. „Mit dem Übergang von Geschichte zur Natur nimmt der Mythos eine Einsparung vor: Er beseitigt die Komplexität der menschlichen Handlungen, verleiht ihnen die Einfachheit der Wesenheiten, unterdrückt jede Dialektik, jeden Rückgang hinter das unmittelbar Sichtbare, er organisiert eine Welt ohne Widersprüche, weil ohne Tiefe, ausgebreitet in der Evidenz; er legt den Grund für eine glückliche Klarheit. Die Dinge tun so, als bedeuten sie von ganz alleine“ (Barthes 2012 [1964]:296).
Die Reiseerzählungen 1 und 2 geben erste Hinweise auf die Naturalisierung von Identitätsindikatoren wie Geschlecht, Alter und Herkunft durch Kategorisierung und Normalisierung. Diese Naturalisierung wird im folgenden Kapitel um die Naturalisierung sozialräumlicher Phänomene erweitert. Dabei wird deutlich, wie sozialräumliche Phänomene im Rahmen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung sprachlich als natürliche und damit wesenhafte Dinge vermittelt werden und dass damit eine erkenntnistheoretische Verkürzung von komplexen sozialräumlichen Phänomenen auf kausale physisch-geographische und biologische Prozesse erfolgt. Im Gegensatz zu Roland Barthes erfolgt jedoch eine sprachliche Abgrenzung im Hinblick auf den Begriff Mythos, der im deutschsprachigen Raum eher als Legende und damit als nicht bewiesene Aussage statt wie im Französischen als Erzählung verstanden wird, die im Zuge rhetorischer Mittel Kontextualisierung ermöglicht und Akzeptanz schafft. Aus diesem Grund wird auch im Folgenden auf Michel Foucaults Begriff der „Rationalität“ zurückgegriffen. Damit wird die These vertreten, dass die Studien zur Bevölkerungs- und Migrationsforschung neben der ökonomischen Rationalität auf die naturwissenschaftliche Rationalität zurückgreifen, um ihr Wissen verständlich zu vermitteln und durchzusetzen. 19.1
Das natürliche Bevölkerungswachstum
Schon die Pioniere der Bevölkerungsforschung gehen davon aus, dass die erhobenen Daten zur Bevölkerung Ursachen und Wirkungen beinhalten. Diese seien in der Normalverteilung ebenso gut sichtbar wie an der Verteilung von Armut und Reichtum. Daneben greift vor allem die Bevölkerungsforschung aber im Hinblick auf die Natur von Bevölkerung auf die naturwissenschaftlichen Prinzipien zurück und etabliert damit Standards von Norm und Abweichung durch den Dualismus von natürlich und nicht natürlich. „Für den gesamten Prognosezeitraum bleibt für alle Varianten der Saldo der natürlichen Bevölkerungsbewegung annähernd gleich negativ. Ursache dafür ist die hohe Überalterung der Bevölkerung sowie der verstärkte Wegzug von Personen im reproduktiven Alter“ (Müller & Thürmer 1991:175). „Andere Effekte, z. B. der Verlust von generativem Potenzial durch Fortzüge von Familien oder die Auswirkungen von Wanderungen auf die Lebenserwartung der Bevölkerung in den
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Zu- und Fortzugsregionen, werden erst langfristig und indirekt deutlich. Bei den Auswirkungen auf die Geburtenbilanz, d. h. auf das natürliche Wachstum, handelt es sich um besonders nachhaltige Migrationseffekte“ (Flöthmann 2003:33).
Die sprachlich vermittelte Natürlichkeit von Bevölkerung sowie die Un-Natürlichkeit der derzeitigen Bevölkerungsentwicklung lässt sozialräumliche Phänomene als Prozesse mit einer Eigendynamik und soziale Einflüsse wie Störungen erscheinen, die natürliche Prozesse unnatürlich werden lassen. In diesem Sinne betont Franz Xaver Kaufmann (2006:343) auf dem 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel die Notwendigkeit der Wiederentdeckung natürlicher Sachverhalte für die Soziologie. Denn diese seien „in neueren Theorierichtungen und wohl auch im dominanten Habitus soziologischen Denkens marginalisiert worden (…). Hierzu gehören Geburt und Tod, die von der Demographie als Fertilität und Mortalität rekonstruiert werden. Während die Familiensoziologie und die Soziologie des Lebenslaufs die naturnahen Kategorien in etwa aufgenommen haben, ist der Makrosoziologie der Bezug zu Bevölkerungsfragen weitgehend abhandengekommen. Allerdings wird in soziologischen Modernisierungs- und erst recht in Evolutionstheorien ein Wachstum der Bevölkerung implizit vorausgesetzt.“
Und Kaufmann (2006a:355) prognostiziert in diesem Kontext, dass „(…) vom Rückgang des Humankapitals (…) nachhaltige Beeinträchtigungen des Wirtschaftswachstums zu erwarten [sind, denn] es sind (…) die nachwachsenden Generationen die wichtigsten Träger technischer und sozialer Innovationen und am ehesten mobilitätsbereit. (…) Ein weiteres kommt hinzu: Der Rückgang des Nachwuchses reduziert die Rekrutierungspotenziale nicht nur der Wirtschaft, sondern aller Gesellschaftsbereiche. (…) Zentral ist die These: Wachsende Anpassungszwänge stoßen im Falle schrumpfender Bevölkerungen auf sinkende Anpassungsfähigkeit. Konflikte tendieren dazu, sich zu verfestigen, anstatt innovative Lösungen zu generieren. Gesellschaftliche Stagnation ist nicht nur aufgrund einer rigidisierenden Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen, zu erwarten, sondern auch aufgrund kultureller oder Mentalitäts-Veränderungen, welche die Legitimität fortgesetzten Wandels in Frage zu stellen.“
Die Ausschnitte aus Franz Xaver Kaufmanns Beitrag zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie sollen einerseits als Beispiel dafür dienen, wie Demographinnen noch immer davon ausgehen, dass „Kulturen sich über die Zahl der Nachkommen, also quantitativ, und nicht qualitativ, über sozio-kulturelle Mechanismen fortpflanzen“ (Hondrich 2006:404). Andererseits jedoch zeigt sich bei Kaufmann die Vorstellung von qualitativ besserer Reproduktion mit Blick auf die Gefahr für das Humankapital einer ganzen Gesellschaft. Bevölkerungsentwicklung unterliegt damit schon lange nicht mehr nur einer quantitativen Beurteilung, sondern auch einer qualitativen, wenn es darum geht, wer Kinder bekommt und wer nicht. Nach Karl Otto Hondrich (2006) schließen die Demographinnen damit an Darwins Evolutionsbiologie an, die den reproduktiven Erfolg und damit das Überleben einer Spezies durch zwei Strategien sichert: entweder in der Quantität oder in der Qualität der Nachkommenschaft. Abgesehen davon, dass die Übertragung der Evolutionstheorie auf die Gesellschaft mit Blick auf die Konsequenzen des Sozialdarwinismus grundsätzlich in Frage gestellt wird, sollen hier die Ziele der Naturalisierung von Bevölkerung und Bevölkerungsentwicklung aufgezeigt werden. Sie ermöglichen in mehrfacher Hinsicht die Verhandlung sozialer und räumlicher Phä-
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nomene wie Emanzipation, Veränderung von Familienstrukturen, Wanderung, Lebenslauf usw. unter scheinbarem Ausschluss ideologischer Perspektiven. Darüber hinaus ist jedoch festzuhalten, dass mit dem Rückgriff auf Darwins Evolutionstheorie, als eine der einflussreichsten Erklärungsansätze für menschliches Verhalten aus den Naturwissenschaften, und dessen Idee einer den natürlichen Bedingungen angepassten Lebensweise, Bevölkerungsentwicklung als natürliche Notwendigkeit erscheint und gegenläufige Entwicklungen entsprechend der Evolutionstheorie zum Aussterben der Spezies führen muss. Im Zuge dessen erscheint die deutsche Gesellschaft wie eine seltene Spezies, die vom Aussterben bedroht ist und das ist wiederum anknüpfbar an die ökologischen Debatten des späten 20. und 21. Jahrhunderts, wo der deutsche Wald stirbt (siehe DFG Projekt „Waldsterben“) oder das gesamte Klima einem Wandel unterliegt. Die Naturalisierung dient damit nicht nur der Darstellung von Abweichung natürlich vorgegebener Pfade der gesellschaftlichen Entwicklung durch ‚un-natürliche‘ Einflüsse, sondern auch der Dramatisierung der sozial-räumlichen Welt, die sich durch abweichendes Verhalten selbst beseitigt. Darüber hinaus lassen die Texte zur deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung die Vermutung zu, dass die Naturalisierung darüber hinaus auch dazu dient, die Komplexität sozialräumlicher Phänomene und damit ihre potenzielle Unbeherrschtheit erfassbar zu machen, was vor allem mithilfe von Metaphern geschieht. 19.2
Strom und Welle: Naturmetaphern
Neben der (Un)natürlichkeit von Bevölkerungsveränderungen kann festgehalten werden, dass die Studien zur Bevölkerungs- und Migrationsforschung durch eine Ansammlung von Substantiven, die speziell von Nomenkomposita gekennzeichnet sind, durch die Verbindung eines Nomens, eines Adjektivs oder eines Verbes mit einem Nomen entstehen. In den für diese Arbeit vorliegenden wissenschaftlichen Texten finden sich vor allem Nominalkomposita (Nomen + Nomen), die zum Teil mithilfe eines Fugenelements (e, en, ens, er, es oder s) neue Substantive hervorbringen wie zum Beispiel Wanderung + (s) + Ströme, Auswanderung + (s) + Welle, Flucht + Wellen, Hauptwanderung + (s) + Strom, Anpassung + (s) + Prozess, Wiedervereinigung + (s) + Prozess, Erosion + (s) + Prozess. Damit machen sich die Studien eine Eigenschaft der deutschen Sprache zunutze, die die Herstellung neuer Substantive durch Nomenkomposita relativ leicht ermöglicht und somit erstens die Benennung von Forschungs‚gegenständen‘ seitens Wissenschaftlerinnen relativ einfach zu bewerkstelligen ist und zweitens neuen ‚Dingen‘ der ontologische Status der Wesenhaftigkeit zugeschrieben wird. Interessant ist bei der Herstellung neuer Substantive im Rahmen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung jedoch nicht allein die Nominalisierung, sondern auch die Verbindung von Substantiven aus eher sozialem Sprachrepertoire mit Naturbegriffen. Ab- oder Auswanderung, Wiedervereinigung sowie Flucht erfahren eine Verbindung mit Strom, Welle, Erosion und/oder Prozess und damit erfolgt eine Anwendung der Metaphernfunktion. Metaphern gelingen die Beschreibung
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neuer Sachverhalte und damit die Darstellung von Unbekanntem durch Bekanntes, indem sie den Vorstellungsraum bekannter Dinge auf unbekannte Dinge übertragen. Dabei ist die Natur ein überaus dankbarer Quellbereich für die Übertragung von Ideen auf einen Zielbereich, da der persönliche Erfahrungshorizont der Autorinnen ebenso wie der von potenziellen Leserinnen zum überwiegenden Teil durch den Kontakt mit der Natur geprägt ist. „Auch wenn die Entwicklung in den letzten Jahren spürbar hinter den Nettoverlusten der Zeit der Grenzöffnung sowie der zweiten Abwanderungswelle um 2001 zurückbleibt, verlassen per Saldo jährlich ca. 50 000 Menschen die östlichen Länder“ (Kubis & Schneider 2008:128). „Die düstere Perspektive ist eine Erosion des Wachstumspotenzials in Ostdeutschland. Und zwar nicht nur direkt durch den Verlust an Humankapital aus der Abwanderung und dem Ausbleiben von Nachwuchs, sondern auch indirekt, da rückläufige Bevölkerung auch Kaufkraftverluste bedeutet und insofern schrumpfende Nachfrage und abnehmende lokale Produktion auslöst“ (Pohl 2008:105).70
19.3
Naturalisierung der sozialräumlichen Welt
Diese Metaphern ermöglichen jedoch nicht nur die sprachliche Darstellung neuer sozialer Phänomene durch physisch-natürliche Phänomene und damit deren Erfassung und Einbettung, sondern sie arrangieren im Kontext mit anderen sprachlichen Phänomenen auch die Naturalisierung der sozialräumlichen Welt. Das Konzept der Naturalisierung des Sozialen und Räumlichen umfasst alle Erklärungen, die die durch handelnde Akteurinnen geschaffenen gesellschaftlichen Ordnungen aus der Natur heraus und damit unabhängig von gesellschaftlichen Kontexten interpretieren. Die Naturalisierung sozialräumlicher Phänomene basiert damit auf der Vorstellung, dass soziale Phänomene ebenso wie natürliche in Quantität und Qualität zu beschreiben seien, und resultiert in der Darstellung sozialräumlicher Dinge als durch kausale Prozesse ausgelöste Tatsachen mit eindeutigen Ursachen und Wirkungen – auch wenn die Wissenschaftlerinnen selbst nicht selten an die Grenzen eindeutiger Zuordnungen im naturwissenschaftlichen Sinne kommen. „Eine komplexe Typologie von Wanderungen, die nicht nur deren sozialen Ursachen sondern auch ihre sozialen Wirkungen integrieren will, hat Petersen (1972) aufgestellt. Dabei erfolgt eine Kreuztabellierung von Ursachen und (inhaltlichen) Wanderungszielen: Ursprüngliche, gewaltsame, zwangsweise bzw. freiwillige Wanderungen können jeweils ein „innovatives“ oder ein „konservatives“ Ziel haben. Konservativ ist danach eine Wanderung, die der Beibehaltung des gewalmten Lebensstils dient – etwa die Auswanderung von Bauern, um anderswo erneut als Bauern zu arbeiten – während als innovativ solche Wanderungen bezeichnet werden, die gesellschaftlichen Wandel mit sich bringen – etwa die Landflucht. Allerdings ist eine 70
Es soll hier darauf hingewiesen werden, dass auch die internationalen Debatten rund um den demographischen Wandel durch die Anwendung von Naturmetaphern geprägt sind. So benutzt zum Beispiel Paul Wallace (1999) in seinem Buch „Altersbeben“ Begriffe wie „demographische Erschütterung“, „seismische Verwerfung“ und betont: „wenn nicht weitere Rentenfonds eingeführt werden, um die Last der unbezahlbar großen staatlichen Altersversorgung zu vermindern, werden viele europäische Länder auf ihrer Titanic volle Kraft voraus gegen den demographischen Eisberg donnern“ (Wallace 1999:205, zit. in Butterwegge 2002:184).
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Reiseerzählung 5: Die Natur-Wissen-Schafft eindeutige Zuordnung realer Wanderungsströme nicht immer möglich und auch die Zuordnung innovativ/konservativ ist in vielen Fällen schwierig“ (Kröhnert 2009:12). „Die von Heiland (2004) angegebenen Zahlenwerte stellen reine Bruttomigrationsströme bzw. Bruttoemigrationsraten aus Ostdeutschland (ohne Ostberlin) dar. Heiland definiert die Bruttoemigrationsrate als das Verhältnis aus der Gesamtzahl an Emigranten von der Herkunfts- in die Zielregion im betrachteten Zeitraum und der Bevölkerungsgröße der Herkunftsregion. Zur Berechnung der Bruttoemigrationsrate verwendet der Autor die Wohnbevölkerung der Herkunftsregion zu Beginn des Kalenderjahres basierend auf den entsprechenden Daten des ZER sowie des Statistischen Bundesamtes“ (Wolff 2006:2). „Schneider (2005, S. 314) kommt in einer Untersuchung der Ost-West-Wanderungsströme zu dem Ergebnis, dass das ostdeutsche Humankapital durch die Abwanderung entscheidend verringert wird, weil vor allem gut Ausgebildete, aber auch Berufsanfänger in den Westen ziehen. Trotz dieser Zusammenhänge stimmen die Wanderungsmuster in der Realität nicht unbedingt mit der Push-Pull-Theorie überein, wonach die stärkste Abwanderung von der schwächsten in die stärkste Region führen müsste. Es lassen sich auch Überlagerungen durch den Faktor der räumlichen Nähe feststellen; die Distanz zwischen den Regionen/Ländern spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Stärke der Wanderungsströme“ (Mai 2006:356).
Erste Ansätze einer Naturalisierungskritik sind schon in Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ (1998 [1783]) zu finden, wenn er darauf hinweist, dass „Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen“ von Wissenschaftlerinnen selbst hineingebebracht werden. Erfolgreich ist diese Perspektive spätestens seit den 1960er-Jahren im Rahmen der Geschlechterforschung sowie der postkolonialen Studien, die jeweils die Rekonstruktion der Naturalisierungsprozesse von Geschlecht und Rasse vorangetrieben haben. Eine breite Darstellung von Forschungsarbeiten über alltägliche Naturalisierungsprozesse erfolgt im Jahre 2006 im Rahmen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (Rehberg 2008). Diese Arbeiten zeigen, dass das Konzept der Naturalisierung breite Anwendung findet und sowohl als politische, rechtliche und/oder moralische Legitimationsstrategie (Nuss 2009, Brockhage 2007, Souza 2008) als auch – wie im Fall des vorliegenden Forschungsprojektes – als wissenschaftliche Legitimations- und Durchsetzungsstrategie dient. Die Legitimation erfolgt durch die Darstellung sozial-räumlicher Phänomene als real ablaufende Prozesse im Zuge der Nominalisierungen, die dringender Analyse und Lösung seitens der Wissenschaft bedürfen. Denn wie die Metaphernanalyse (Abbildung 13) zeigt, sind Wanderungsströme und/oder Abwanderungswellen keine kleinen Ereignisse, die belanglose Folgen nach sich ziehen. Ganz im Gegenteil kommt es über die Naturbegriffe zur Vermittlung von Ereignissen, die beträchtlichen, im Sinne von großflächigem, Einfluss besitzen. Die Durchsetzung wissenschaftlichen Wissens erfolgt über die Naturalisierung sozialräumlicher Phänomene, vor allem aber über die ihr zugrunde liegende Rationalität von Ursache und Wirkung. Ebenso wie Naturereignisse im Zuge naturwissenschaftlicher Bemühungen auf eine Ursache zurückgeführt und im Hinblick auf die Wirkungen bewertet werden, hat auch die Naturalisierung sozialräumlicher Phänomene die Funktion, letztendlich auf Ursachen und Wirkungen schließen zu können. Sprachlich erfolgt dies durch die Begriffe „aufgrund von“, „es gibt Kräfte, die“, „Determinanten der Ost-West-Wanderung“, „die Ursachen dieser Entwicklungen“ usw. Damit wird deutlich, dass die Bevölkerungs- und Migrationsfor-
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schung erkenntnistheoretisch dem naturwissenschaftlichen Paradigma und dessen Rationalitäten nahe steht. Neben der Legitimation wissenschaftlicher Bemühungen sowie der Durchsetzung wissenschaftlichen Wissens sei weiterhin angemerkt, dass die Naturalisierung sozialräumlicher Phänomene die Anschlussfähigkeit wissenschaftlicher Debatten an gesellschaftliche Ordnungen ermöglicht. So finden sich neben Abwanderungswellen, Wanderungsströmen, Erosionsprozessen usw. Begriffe wie „natürliches Wachstum“, „nicht natürliches Geburtendefizit“, „natürliche Bevölkerungsentwicklung“ usw. Hier bietet erst die Naturalisierung sozialräumlicher Phänomene eine scheinbar von individuellen Standpunkten unabhängige Bewertung von natürlich respektive unnatürlich. Das zieht normative Bewertungen über sozialräumliche Phänomene nach sich, denn nicht natürliches Wachstum stellt eine Abweichung von der Normalität dar. „Aus dem Zusammenhang der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsentwicklung ergeben sich weit reichende demographische Konsequenzen besonders für Ostdeutschland: Der viel zitierte demographische Wandel belässt nicht nur bereits seit langem die Sterberaten über den Geburtenraten. Hinzu kommen seit der Vereinigung deutliche Ost-West-Disparitäten bezüglich der ohnehin zu niedrigen Reproduktionsziffern. Aufgrund der Altersselektivität der Fortzüge und entsprechenden Geburtenausfällen beschleunigt sich die demographische Alterung dramatisch“ (Friedrich 2008:14). „Für den gesamten Prognosezeitraum bleibt für alle Varianten der Saldo der natürlichen Bevölkerungsbewegung annähernd gleich negativ. Ursache dafür ist die hohe Überalterung der Bevölkerung sowie der verstärkte Wegzug von Personen im reproduktiven Alter. Bei den erstgenannten Prognosevarianten gehen wir davon aus, dass die Fruchtbarkeit für eine bestimmte Zeit nicht mehr die bisherige Höhe erreichen wird. Ein erneuter Anstieg wird davon abhängen, wie schnell sich die Lebensbedingungen verbessern und inwieweit Bund, Länder und Kommunen in der Lage sind. die entsprechenden sozialen Bedingungen zu schaffen. Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit dürfte auch die künftige gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs haben“ (Müller & Thürmer 1991:175).
19.4
Reiz und Reaktion: Verhalten der Ostdeutschen
Neben der Verwendung von Naturmetaphern sowie der Naturalisierung sozialräumlicher Phänomene erfolgt in den Studien zur deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung eine Naturalisierung menschlicher Tätigkeiten, was sprachlich vor allem durch die Begriffe „Verhalten“, „Reaktionen“ und/oder „Anpassung“ zum Ausdruck kommt. Dadurch wird auch deutlich, dass die Bevölkerungs- und Migrationsforschung an den verhaltenstheoretischen Ansatz des Behaviorismus anknüpft. „Diese Entwicklung impliziert, dass in den betreffenden Kreisen Frauen stärker auf bestimmte regionale Charakteristika reagieren als Männer und damit eher abwandern. Würden die Männer in einem ähnlichen Umfang wandern, bliebe das Geschlechterverhältnis unberührt. Die folgende Analyse konzentriert sich indes nicht auf die Wanderungsmotive der Männer, sondern auf die Bestimmgründe des Wanderungsverhaltens junger Frauen“ (Kubis & Schneider 2007:300). „Eine Wanderungsentscheidung wird demnach durch exogene Faktoren beeinflusst, aber auch durch subjektives Entscheidungsverhalten“ (Mai 2006:356).
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Reiseerzählung 5: Die Natur-Wissen-Schafft „Genau wie die Untersuchung von Büchel/Schwarze (1994), analysiert auch die Studie von Schwarze (1996) das Migrationsverhalten der Ostdeutschen mit einem sequentiellen Entscheidungsmodell unter Kontrolle unbeobachteter Heterogenität der Individuen. Für die Schätzung dieses empirischen Modells, mit dem auf der ersten Stufe die bekundete Migrationsabsicht und auf der zweiten Stufe die tatsächliche Migrationsentscheidung untersuchtwird, werden abermals Daten des SOEP – hier der-Jahre 1991 bis 1994 – verwendet. Im Gegensatz zu Büchel/Schwarze (1994) beschäftigt sich die Untersuchung von Schwarze (1996) im Kern jedoch mit der Frage, ob das Lohngefälle zwischen den neuen und den alten Bundesländern einen Einfluss auf das Migrationsverhalten der Ostdeutschen ausübt. So wird vom Autor argumentiert, dass im Wesentlichen zwei Faktoren die Migrationsentscheidung der Ostdeutschen determinieren würde. Nicht nur das Lohngefälle an sich, sondern auch die Erwartung, dass sich der Lohnabstand zwischen Ost- und Westdeutschland kontinuierlich verringern wird, seien dabei maßgeblich. Jedoch sei dieser Anpassungsprozess bzw. die zukünftige Lohnentwicklung aus individueller Sicht mit großer Unsicherheit verbunden. Um dieser individuellen Unsicherheit im Hinblick auf die Lohnentwicklung Rechnung zu tragen, werden auf Basis erfragter subjektiver Einschätzungen erwartete Löhne gebildet, mit denen das empirische Modell später auch geschätzt wird. Gleichzeitig wird das Modell ebenso mit beobachteten Lohngrößen geschätzt“ (Wolff 2006:10f).
Wanderungsströme Wanderung: Ausflug, Wanderschaft, Migration, Veränderung, Völkerwanderung Ströme: großes Gewässer (nicht Bach oder Fluss) • gerichteter Prozess • Naturbezug • großer Fluß = unbändig, unkontrollierbar, unaufhaltsam • große Mengen, strömen • möglicherweise überschwemmen Begriff in der Nähe: Insel Abwanderungswelle Abwanderung: Auswanderung, Emmigration Welle: Wasserwelle, Naturereignis oder Wellenbereich, Frequenz, Verformen • gerichtet • Naturbezug • aufeinanderfolgend wie Wellen, unaufhaltsam • möglicherweise überschwemmen Begriff in der Nähe: massenhafte Fortzüge
Abbildung 13: Metaphernanalyse der Begriffe „Wanderungsströme“ und „Abwanderungswelle“
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Der Behaviorismus ist eine vor allem im US-amerikanischen Sprachraum sehr erfolgreiche Strömung innerhalb der Psychologie, die das Verhalten von Menschen (und Tieren71) mit naturwissenschaftlichen Methoden untersucht. Als Gründungsaufsatz gilt der von John B. Watson (1913) verfasste Artikel „Psychology as the Behaviorist views it“, indem er die Psychologie als Naturwissenschaft entwirft und das Verhalten von Menschen als Reaktion auf Reize aus der Umwelt versteht. Watson schreibt im Zuge dessen den innerpsychischen Prozessen keine Bedeutung zu und betrachtet das menschliche Gehirn als „Black Box“. Er konzentriert sich ausschließlich auf die Prozesse, die sich zwischen Individuum und Umwelt abspielen. Auch wenn der klassische Behaviorismus durch neobehavioristische Ansätze seit den 1930er-Jahren und durch Burrhus F. Skinners (1957) radikalen Behaviorismus seit den 1950er-Jahren weiterentwickelt wird72, bleibt die erkenntnistheoretische Konzentration auf das Stimulus-Response-Modell überwiegend bestehen. Und obwohl seit den 1960er-Jahren der Behaviorismus aufgrund seiner Unterbewertung subjektiver Entscheidungsmacht immer stärker in Frage gestellt wird (vgl. Chomsky 1959) und sich spätestens seit den 1970er-Jahre die Kognitive Wende als vorherrschendes Forschungsparadigma in der Psychologie durchsetzt, setzt sich der Behaviorismus unter dem Schlagwort „Humanistic Geography“ in den 1970er-Jahren in der englischsprachigen Humangeographie und in den 1980er-Jahren in der deutschsprachigen Sozialgeographie als vielversprechender Ansatz gegenüber den traditionellen Geographien wie Länderkunde und/oder Landschaftsgeographie durch (Johnston et al. 1997:361ff). Bis heute ist der Einfluss innerhalb sozialwissenschaftlicher Forschungsarbeiten nicht zu unterschätzen, wie die Studien zur Bevölkerungs- und Migrationsforschung zeigen. Hier zeigt sich die Anwendung einer behavioristischen Forschungsperspektive vordergründig durch die Anwendung des in der Migrationsforschung sehr erfolgreichen Push- und Pull-Ansatzes73, der eng an die Etablierung der deutschen Migrationsforschung als unabhängige Forschungsrichtung gebunden ist.
71 72 73
Vor allem die konditionierenden Experimente des russischen Tierpsychologen Iwan Petrowitsch Pawlow sind über die Wissenschaft hinaus bekannt. So knüpft Skinner stärker an die Biologie und weniger an die Physik an, wie Watson es tut und schließt die Bedeutung innerpsychologischer Prozesse für die Entscheidungsfindung von Individuen nicht völlig aus. Anwendungen des Push-Pull-Ansatzes finden sich auch innerhalb der internationalen Bevölkerungs- und Migrationsforschung. So formuliert Pierre Krebs (1987:7) schon Ende der 1980er-Jahre, dass „das gealterte, geschwächte Europa (…) eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf riesige Bevölkerungsmassen der Dritten Welt (einem unerschöpflichen Reservoir an Jungvölkern) ausüben wird“. Vor allem bei Josef Schmid (2000:23) finden sich Fortführungen dieser Perspektive, wenn er betont, dass im Zuge der internationalen Migration das „angestammte Staatsvolk“ bedroht ist und damit Ideen aus der Ökologie (angestammt = Volksstamm/Baumstamm = entwurzeln) auf die Gesellschaft übertragen werden. So ist auch sein Hinweis im Hinblick auf den Arbeitsmarkt zu verstehen, wo Zuwanderer ‚passen‘ müssen, damit es nicht zum Zusammenbruch einer funktionierenden Gemeinschaft kommt.
20 Reiseerzählung 6: Tatort Ostdeutschland „(…) wird sich Ostdeutschland in den nächsten Jahrzehnten entvölkern (…)“
„(…) Wanderungsgeschehens zwischen Ost- und Westdeutschland unter der raumzeitlichen Perspektive (…)“, „(…) Binnenwanderungen sind Ereignisse, die (…)“, „(…) auch wenn sich die wirtschaftliche Lage der Ostdeutschen verbessert hat, ist westdeutsches Niveau noch nicht erreicht (…)“, „(…) nach der Krise ist vor der Krise (…)“, „(…) Warum also sollte man sich Sorgen machen um eine schrumpfende Nation? (…)“, „(…) ganze Landstriche drohen auszubluten (…)“, „(…) Industrien den Systemwandel nicht überlebt haben (…)“, „(…) ganze Dörfer drohen auszusterben (…)“, „(…) es geht bald zu Ende mit (…)“, „(…) wird sich Ostdeutschland in den nächsten Jahrzehnten entvölkern? (…)“, „(…) die demographische Entwicklung bewirkt Entvölkerung (…)“, „(…) Bestand der Bevölkerung ist nicht aufrecht zu erhalten (…)“, „(…) insgesamt bleibt in Deutschland heute etwa jede dritte Frau kinderlos (…)“, „(…) Geburtenloch (…)“
Ausgangspunkt dieser Arbeit ist die These, dass Wissenschaftlerinnen nicht nur berichten, sondern sozialräumliche Phänomene erzählen. Das heißt, dass sie für das Beschreiben, Erklären, Argumentieren und Instruieren eine spezifische Form der Strukturierung, Gliederung, Kategorisierung, Präsentation der Ergebnisse usw. benutzen. Mit Bezug auf Jonathan Cullers kritische Literaturtheorie ist die Erzählform auf Seiten der Wissenschaftlerinnen eine zentrale Durchsetzungsstrategie und erfüllt auf Seiten der Leserinnen Verstehen und Nachvollzug, was wiederum eine Notwendigkeit für die Durchsetzung von Ideen darstellt. Das folgende Kapitel arbeitet mit Bezug auf Hayden White auf eine Rekonstruktion der Erzählform der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung hin und ist von der Frage geleitet, “Wie erzählen Wissenschaftlerinnen über ihren Gegenstand?“, vor allem um sich der Frage zu nähern, „Wie ordnet sich die Darstellungsform der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum in die Darstellungsformen der Zeit?“. Damit wird deutlich, dass die spezifische Form der wissenschaftlichen Erzählung weitere Hinweise darauf gibt, wie Wissenschaftlerinnen Themen vermitteln und durchsetzen und Glaubwürdigkeit bei Leserinnen erzeugen. Im Zuge dessen wird deutlich, dass der wissenschaftliche Text als Sprechakt auf der Basis einer bestimmten Erzählform und Textstruktur erfolgt, die die Funktion haben, bei den Leserinnen bekannte Interpretationsschemata (literacy) abzurufen, um Verstehen zu ermöglichen.
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Der tragische Charakter einer Region
White argumentiert, dass Historiker den Verlauf der Ereignisse grundsätzlich anhand von vier narrativen Erzählstrukturen modellieren; entweder als Tragödie, Komödie, Romanze oder als Satire. Je nachdem, welche Erzählstruktur die Historiker für ihre Geschichte verwenden, ergibt sich eine jeweils andere Erklärung für die Ereignisse. So zum Beispiel kommen den Historikern die Tragödie und die Satire als Handlungsformen entgegen, da sie im „Wirrwarr der Ereignisse, welche die Chronik versammelt, eine durchgehende Struktur von Wechselbeziehungen oder die ewige Wiederkehr des Gleichen im Verschiedenen wahrnehmen“ müssen. Dahingegen unterstreichen „Romanze und Komödie (…) den Auftritt neuer Kräfte und Bedingungen in Prozessen, von denen zunächst schien, sie seien entweder in ihrem Wesen stabil oder hätten lediglich ihre äußere Gestalt gewechselt“ (White 1991 [1973]:25). Die Tragödie wiederum bietet die Vorlage für eine Handlungsstruktur, die zumindest die Möglichkeit respektive die Hoffnung auf einen kurzfristigen Triumpf des Helden gegenüber der Welt einräumt. Nach Dieter Lamping (2009) zielt die Tragödie darauf ab, Mitleid und Furcht bei den Leserinnen hervorzurufen. Die Satire hingegen geht davon aus, dass der Mensch mit Lastern und Schwächen ausgestattet und ein Gefangener/eine Gefangene der Welt ist. Auch die Komödie vermag einen Hinweis darauf machen, was als lächerlich und somit ermahnend erachtet wird. Die Komödie benutzt jedoch das Lachen zum Anprangern gesellschaftlicher Normabweichung, sodass die Delinquenz durch das Lachen herabgesetzt und erniedrigt wird. Die Sensibilisierung auf eine spezifische narrative Erzählstruktur durch Hayden Whites verstärkt den Eindruck, dass die Texte zur Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung eine gewisse Tragik in Bezug auf die Wiedervereinigung vermitteln. Mit dem tragischen Prinzip „es fängt gut an und hört schlecht auf“ wird der Fall des Eisernen Vorhangs und der Zusammenbruch der als diktatorisch wahrgenommenen Staaten Osteuropas sowie die damit einsetzende Demokratisierung der ehemaligen DDR einerseits und die zunehmende Desillusionierung über einen schnellen Aufholprozess der neuen Bundesländer an westdeutsches Niveau andererseits verhandelt. So schreiben Titze et al. (2010:252): „Der Aufbau Ost wurde zu Beginn der 1990er-Jahre von einem großen Optimismus bezüglich der schnellen Konvergenz der innerdeutschen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit begleitet. Während die ostdeutsche Wirtschaft diese Erwartungen in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre zu erfüllen schien, verlangsamte sich der Aufholprozess nach 1995 deutlich. Ab dem Jahr 1997 fiel das Wachstum im Osten Deutschlands hinter das westdeutsche Niveau zurück.“
sowie Andrea Schultz (2009:16): „Auch wenn sich die persönliche wirtschaftliche Lage der Ostdeutschen verbessert hat, ist westdeutsches Niveau noch nicht erreicht. Es bestehen nach wie vor Lücken beim verfügbaren Einkommen und bei den Vermögenswerten“.
Das Institut für Wirtschaftsforschung Halle formuliert das tragische Prinzip auf eigene Weise: „Nach der Krise ist vor der Krise“ (Klein & Dietrich 2010).
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Als Konsequenz der hauptsächlich auf wirtschaftliche Differenzen zurückgeführten Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland wird die nicht stoppende Abwanderung junger gut ausgebildeter Personen zugunsten der alten Bundesländer festgehalten, die aufgrund des schon bestehenden Geburtendefizits den Bevölkerungsrückgang Ostdeutschlands noch verstärkt: „Der Fall der innerdeutschen Grenze im Jahr 1989 und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 haben nicht nur das politische und wirtschaftliche System der ehemaligen DDR schlagartig beendet, sondern auch die sozialen und demografischen Bedingungen im Osten Deutschlands nachhaltig verändert“ (Kröhnert & Klingholz 2007:4). „In der aktuellen Debatte über Deutschland als Defacto-Einwanderungsland gerät vielfach in Vergessenheit, dass für Teile der neuen Bundesländer die Abwanderung charakteristisch ist“ (Werz 2001:23).
Die Tragik besteht dabei nicht ‚nur‘ im Scheitern einer unproblematischen Integration der neuen Bundesländer in die bestehende Bundesrepublik, sondern vor allem darin, dass die Folgen der Wiedervereinigung unausweichlich sind. Die vielfach verwendeten Begriffe „Wanderungsgeschehen“ und „Ereignisse“, die „passieren“ und „Ostdeutschland widerfahren“ bringen dies zum Ausdruck. Das Scheitern ist somit eine Konsequenz unausweichlicher Konstellationen, die vor allem auf den Charakter der Zentralfigur – Ostdeutschland – zurückzuführen sind. Dieser Charakter ist eine Folge von Essentialisierungsbestrebungen im Zuge der Fachliteratur, die aktuelle sozialräumliche Phänomene zwar nicht fern historischer Zusammenhänge betrachtet, diese aber als regionaltypisch einschreibt und damit zu Regionalisierungen führt wie „Ostdeutschland ist (…)“. Im Zuge dessen sei Ostdeutschland als Nachfolger der Deutschen Demokratischen Republik zunächst durch Überdimensionierung des produzierenden Gewerbes, Unterentwicklung des Dienstleistungssektors sowie geringe Ausdifferenzierung der Produktpalette gekennzeichnet (Ludwig 2010). Aktuell sei Ostdeutschland durch geringe Produktivität gegenüber den alten Bundesländern charakterisiert (Bellmann & Gerner 2010) und der Bevölkerungsrückgang gefährde die Gründung von innovativen Unternehmen, da langfristig Fachkräfte fehlen (Behr & Ehrlich 2010). Dies bedeute regionalen Kaufkraftentzug und stelle Kommunen vor besondere Herausforderungen, wie zum Beispiel die Unterlastung der leistungsgebundenen Infrastrukturanlagen, wodurch sich die Kommunen in einer „Fixkostenfalle“ befinden (Haug 2010). Dies sind nur wenige Beispiele für die in der Literatur vielseitig beschriebenen Charakterschwächen der Zentralfigur Ostdeutschland. Sie legitimieren einerseits die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Zustand Ostdeutschland im Kontext der Transformationsforschung und andererseits produzieren diese Darstellungen eine Ahnung davon, wie es auch dem Rest Deutschlands ergehen kann, wenn nicht kontinuierlich auf Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum gesetzt wird. „Dabei verdiene die demographische Entwicklung in Ostdeutschland besondere Aufmerksamkeit“ (Busch et al. 2009), da sie als „Mikrokosmos und historisch seltenes Setting“ (Becker et al. 2010) die Folgen einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft vorwegnimmt. Wenn aber nicht nur über die wirtschaftlichen und demographischen Bedingungen Ostdeutschlands erzählt wird und wenn die neuen Bundesländer nicht nur durch Abwanderung charakterisiert sind, sondern wenn „ganze Landstriche dro-
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hen auszubluten“, „Industrien den Systemwandel nicht überlebt haben“ und „ganze Dörfer aussterben“, kommen Personifikationen zum Einsatz, die bestimmte Phänomene der sozialen Welt nicht nur erzählen, sondern mithilfe emotionaler Erfahrungen den Bezug auf die menschliche Lebensphase des Sterbens vermitteln. Sterben ist nach Geburt, Kindheit und Erwachsensein die vierte Phase individuellen Lebens. Übertragen auf die (Ost)deutschen eröffnet das Erzählen über das Sterben die Vorstellung, dass die (Ost)deutschen nicht nur kleiner und älter werden, sondern aussterben. Dieses Sterben wird jedoch innerhalb der wissenschaftlichen Texte nicht als Folge natürlicher Bedingungen verhandelt, sondern als durch soziale Handlungen ausgelöste Problematik, die damit als Lebensberaubung der (ost)deutschen Bevölkerung samt ihrer Güter erscheint. 20.2
Der Krimi als ordnende Erzählform
Dies führt zu der Behauptung, dass die plausible Einbettung der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum nicht allein durch die Erzählform der Tragödie gestützt wird, sondern der Erzählform von Kriminal- bzw. Detektivgeschichten sehr ähnlich ist. Das bietet wissenschaftlichen Artikeln in vieler Hinsicht Vorzüge. Ulrich Suerbaum (1984) zur Folge bildet der Kriminal- und Detektivroman ein Paradebeispiel für eine klare und stringente literarische Gattung, da keine andere literarische Gattung derart stark durch strikte Regeln, strukturierten Aufbau und hochformalisiert im Hinblick auf Problempräsentation, Zweckorientierung und Agency gekennzeichnet ist. Dabei unterscheiden sich Kriminalroman und Detektivgeschichte nicht im Inhalt – beide behandeln ein Verbrechen, das meistens durch die Handlung eines Mordes entsteht, und sie beschäftigen sich mit Fragen, die die Tat, das Motiv, den Tathergang erklären und somit das Verbrechen aufklären lassen. Der Unterschied besteht in der Form der Erzählung. Der Kriminalroman erzählt die Geschichte eines Verbrechens (rückwärtsgerichtet), der Detektivroman die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens (vorwärtsgerichtet). Das Spezifische der Kriminalliteratur zeigt sich also nicht in der Handlung, sondern in der Art und Weise, wie ein Fall vermittelt wird, welche Fragen gestellt und welche Antworten gegeben werden (vgl. auch Nusser 2009). Die Kriminal- und Detektivgeschichte besteht aus drei Strukturteilen, die eng aufeinander bezogen sind: Verbrechen, Ermittlung und Aufklärung. Das Verbrechen erfolgt in einer Ausgangssituation, die gültige Moralvorstellungen widerspiegelt und somit das Verbrechen als Folge eines normabweichenden Verhaltens von Schuldigen erscheint. Diese Störung des Alltagslebens führt zu einem Ungleichgewicht, das Verunsicherung, Verängstigung und somit Emotionalität erzeugt. Letztere ist verbunden mit dem Ruf nach Gerechtigkeit und Wiederherstellung der Ordnung, denn ein Ungleichgewicht ist in der unschuldigen Gesellschaft nicht zu akzeptieren und muss durch die Suche nach den unbekannten Faktoren, die zu dem Verbrechen und damit zum Ungleichgewicht geführt haben, abgeändert werden (Nusser 2009, Suerbaum 1984, Piess 2006/2007, Franceschini & Würmann 2004). Die Aufklärung ist dabei aber nicht nur eine Lösung aller Unbekannten, sondern
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dient auch dazu, moralische Hinweise zu unterbreiten, indem Kontexte des Verbrechens zusammengeführt werden und am Ende ein Bild des Gesellschaftlichen entstehen lassen. Wenn die Aufklärung sowohl Täter als auch Motiv bekannt gibt, dann ist dies nicht nur das Ende einer Geschichte, sondern auch eine Aussage über eine Person/Personengruppe, die unter spezifischen gesellschaftlichen Umständen mehr als andere dazu neigt, normabweichende Handlungen zu vollziehen. Die Kontextualisierung des Verbrechens, die Ermittlung sowie die Aufklärung erfolgt durch die Figur des (meist konservativen) Detektivs (seltener der Detektivin), der alle bekannten Tatsachen zusammenträgt und mit Vernunft und einem ihm innewohnenden Spürsinn auf unbekannte Tatsachen schließt. Seine Rolle ist nicht zu unterschätzen, ist er eben nicht nur „die in den Roman hinein projizierte Personifikation der Frage, die den[/die] Leser[/in] bewegt“ (Alewyn 1968:60, zit. in Piess 2006/2007:7), sondern auch immer „die Inszenierung eines identitätsstiftenden Ideals“ (Proll 1971:507, zit. in Piess 2006/2007:7). Der Detektiv steht für die Wiederherstellung von Ordnung und damit für die moralischen Vorstellungen der Gesellschaft, die ins Wanken geraten sind. Aussagen über die Gesellschaft erfolgen innerhalb der Kriminalliteratur durch Spannung, die wiederum durch das Rätsel ausgelöst wird. Das Rätsel macht den größten Teil der Ermittlung aus und bietet gleichzeitig Raum für die Behandlung von Themen, die mit dem Verbrechen im Zusammenhang stehen. Diese Kontexte werden durch Nebenhandlungen in die Geschichte eingebracht und sind unumgänglich, um die Motive des Verbrechens rekonstruieren zu können. Sie bilden wiederum den Ausgangspunkt für Aussagen über gesellschaftliche Dilemmata, die das Verbrechen in Gang gesetzt haben. Die Geschichte der Kriminalliteratur zeigt, dass es Krimis und Detektivgeschichten aus der „Schmuddelecke der Literatur“ und „aus dem Ghetto der Unterhaltungsmedien“ herausgeschafft haben und heute von einem breiten Publikum gelesen werden. Das Börsenblatt teilt am 03. Juli 2008 mit, dass der Krimimarkt weiter zunimmt, sodass mittlerweile jedes fünfte Buch, das in Deutschland gelesen wird, ein Krimi ist. Nach Angaben des Börsenvereins des deutschen Buchhandels beträgt im Jahr 2008 der Krimianteil in der Warengruppe Belletristik über 25 Prozent. Damit liegt der Krimi an zweiter Stelle hinter den Romanen. Aber auch in den Filmmedien erfreut sich der Krimi wachsender Beliebtheit und ist nach Suerbaum (1984:201) in Deutschland vor allem durch die Allgegenwart der Gesellschaftskritik gekennzeichnet. Der Krimi ist beliebt und so vermutet die NZZ am 04. Februar 2006 unter dem Titel „Was macht den Krimi so beliebt“, dass es „zweifellos etwas Befreiendes [hat], an der Demontage des literarischen Helden in der Moderne vorbei, den Ermittler-Helden durch die Hintertür wieder einzulassen“. Daneben tendiert der Krimi besonders in Deutschland immer stärker zum Lokalkolorit, wodurch Kriminalgeschichten eine erstaunliche Regionalisierung durch Einbezug lokalspezifischer sozialer Begebenheiten aufweisen, die den Fall umrahmen. So schreibt Franziska Gerlach (2011): „Die Deutschen haben offensichtlich Blut geleckt. Weil die Leser vom Krimi nicht genug bekommen, schreiben einheimische Autoren um die Wette an Mordgeschichten, in denen eines nicht fehlen darf: Lokalkolorit!“. Der Regionalkrimi ist gegenüber den Kriminal- und Detektivgeschichten noch stärker auf die Nebenhandlung (zum Beispiel historische Hintergründe) sowie
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auf die mehr oder weniger detaillierte Beschreibung von Vor- und Nachteilen einer Region fokussiert. Der Beginn der regionalen Handlungsbühne beginnt 1989 als Jacques Bernsdorfs mit „Eifel-Blues“ das Genre der Eifel-Krimis etabliert. Mittlerweile haben eine Vielzahl deutscher Provinzen ihren eigenen Kommissar und Gerlach vermutet, dass die „Vorliebe für Verbrechen in der Nachbarschaft“ ebenso eine Rückbesinnung auf das „Eigene“ widerspiegeln, wie die erfolgreichen Landschaftsbeschreibungen und/oder die Einbindung regionaler Eigentümlichkeiten innerhalb der Krimigeschichten die Gebundenheit und Verortung innerhalb einer Region als Abkehr einer komplexer werdenden Welt vollziehen. Damit ist der Kriminal- und Detektivroman nicht nur das Paradebeispiel einer strukturierten, einfach verständlichen Erzählung, die Komplexes linear nachvollziehbar verarbeitet, sondern eine Erzählform, die gesellschaftliche Umbruchphasen ermöglicht zu verarbeiten. In diesen kommen bestehende moralische Vorstellungen ins Wanken, es erfolgt ein Wechsel alter Rollenbilder und/oder es entstehen Unsicherheiten der sozialen Sicherung. Dies erzeugt Emotionalität und Spannung, die die Leserinnen – den übermenschlichen Fähigkeiten des Detektives gewiss – dennoch nicht weiter erschüttern, sondern infolge der Aufklärung aufgelöst werden. Dass „die Aufklärung (als konkreter Vorgang) erzählt [wird], bestätigt das Vertrauen in die Aufklärung (als geschichtliche Errungenschaft). Sogar der Tod hat im Krimi noch etwas Tröstliches, nur hier ist er „logisch, es gibt immer ein Motiv“ (Margaret Atwood)“ (NZZ am 04. Februar 2006). 20.3
Verbrechen – Ermittlung – Aufklärung
Wie die Tabelle 2 zeigt, greift die deutsche Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung im Zuge des wissenschaftlichen Artikels ebenso auf eine dreiteilige Grundstruktur zurück. So erfolgt die Präsentation des Problemfeldes (Verbrechen), die Untersuchung/Analyse der Ursachen, Gründe und Motive, die zum Problemfeld führen (Ermittlung) sowie die Darstellung der Ergebnisse bzw. Lösungen (Aufklärung) chronologisch und linear. Die wissenschaftlichen Artikel beginnen mit der Problemdefinition, die zudem immer im Zuge einer raum-zeitlichen Fokussierung erfolgt. „Am Jahresende 1989 konnte für das Gebiet der ehemaligen DDR folgende demographische Situationsbeschreibung gegeben werden: Die Einwohnerzahl beträgt nur noch 16,4 Millionen“ (Kroll 1991:223). „Der Osten verliert stetig an Bevölkerung! Dieser demografische Schrumpfungsprozess wird in unserer auf Wachstum ausgerichteten Gesellschaft mit Besorgnis aufgenommen (Friedrich & Schultz 2005), „Ostdeutschland ist eine Schrumpfungslandschaft“ (Friedrich 2008). „Der Fall der innerdeutschen Grenze im Jahr 1989 und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1990 haben nicht nur das politische und wirtschaftliche System der ehemaligen DDR schlagartig beendet, sondern auch die sozialen und demografischen Bedingungen im Osten Deutschlands nachhaltig verändert“ (Kröhnert 2009:4). „Die Beibehaltung des jetzigen Niveaus hätte zur Folge, dass jede Generation um ein Drittel kleiner ist als die vorherige und somit die Bevölkerung massiv schrumpft (Busch et al. 2009:45).
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Die Problemdefinitionen beschreiben eine raumzeitliche Situation, die sich in Auftreten und Ausmaß von den bisherigen sozialräumlichen Konstellationen der Bevölkerungsstruktur einer Region und gegenüber einem vergangenen Zeitraum unterscheiden und deshalb als abweichend von vergangenen Bedingungen verstanden werden. Die wesentliche Veränderung bestehe in der Verringerung der Bevölkerung. Dies wird in den Texten unter den Schlagwörtern „Entvölkerung“, „Entleerung“ und „Aussterben“ sowie „Ausbluten“ verhandelbar gemacht und bildet als Vergehen an der Bevölkerung den Auftakt für umfangreiche Ermittlungen respektive Untersuchungen am Tatort Ostdeutschland. Es erfolgt die Analyse der Faktoren, die zum Problemfeld geführt haben. Als Ursachen für die Verringerung der Bevölkerung stellen die Analysen die Abwanderungen von Ost- nach Westdeutschland sowie die anhaltend niedrige Fruchtbarkeitsrate ostdeutscher Frauen fest. „Die Lebendgeborenenzahl des Jahres 1989 weist erstmals seit 12 Jahren wieder weniger als 200000 Lebendgeborene aus. Damit ist der Ersatz der Elterngeneration nur noch zu etwa 75 Prozent gesichert. 1989 bestand Sterbefallüberschuss“ (Kroll 1991:223). „Ostdeutschland erlebt gegenwärtig einen demographischen Umbruch. Es hat zwischen 1989 und 1993 netto mehr als 1 Mio. Menschen durch Abwanderung verloren. Die Zahl von Geburten und Eheschließungen ist um 65 Prozent zurückgegangen. Wird sich Ostdeutschland in den nächsten Jahrzehnten entvölkern?“ (Münz & Ulrich 1994:i).
Schließlich formulieren die wissenschaftlichen Artikel die Ergebnisse der Untersuchung, die als Folge aller zusammengetragenen Tatsachen auch eingebettet sind in einen gesellschaftlichen Kontext. „Die starke Abwanderung von hoch qualifizierten Erwerbspersonen könnte sich längerfristig nachteilig auf den Standort Ostdeutschland auswirken“ (Büchel 1998:50), „Die seit 1989 erfolgte Abwanderung von qualifizierten Facharbeitern könnte sich für einzelne Bundesländer als Hemmschuh beim Wettbewerb um die erfolgreiche Ansiedlung von industriellen Großprojekten erweisen“ (Werz 2001). „Wenn jedoch die Arbeitskräftemobilität anhält, werden neben einem steigenden Niveau der Arbeitslosigkeit auch die Folgen sozialer Selektionsprozesse am Arbeitsmarkt in den betreffenden westdeutschen Regionen größer. Die Folge wäre eine politisch höchst brisante Situation. Die eh schon fragiler werdende Legitimationsgrundlage öffentlicher Transferleistungen des Westens an die neuen Bundesländer, die nicht zuletzt auch arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitisch begründet und orientiert sind, könnte (weiter) erodieren“ (Heinelt 1994:69).
Soviel zunächst zum stringenten Aufbau der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum. Wie sieht es jedoch mit den Wissenschaftlerinnen als Autorinnen aus, die als Detektive nicht nur daran interessiert sind die Geschichte eines Verbrechens zu erzählen, sondern, in die Zukunft gerichtet, die Aufklärung nachvollziehbar beschreiben. Es bleibt festzuhalten, dass Wissenschaftlerinnen zwar nicht als Ich-Person sichtbar werden, aber trotzdem das Handlungsfeld als scheinbar neutrale Person bestimmen. Sie erscheinen zunächst einmal als Autorinnen der wissenschaftlichen Abhandlung und verweisen auf andere Autorinnen im Zuge von Quellenangaben und Literaturverzeichnissen. Damit entsteht letztendlich eine viel stärkere Verbindung zwischen ihnen und der Erzählung als es zwischen dem Detektiv und der Erzählung der Fall ist, da deren Beziehung letztendlich durch eine dritte Person (die Autorin) vermittelt wird.
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Wissenschaftliche Arbeiten sind nicht allein durch die tragische Darstellung von Ereignissen gekennzeichnet. Ganz im Gegenteil wollen wissenschaftliche Autorinnen zur Lösung tragischer Probleme beitragen. Ihre Beschreibungen sind nur der erste Schritt der wissenschaftlichen Tätigkeit, daraufhinfolgen Erklärungen, die Arbeit an Prognosen und oftmals die visuelle Darstellung; insgesamt zielt die wissenschaftliche Aufklärung darauf ab Lösungen anbieten zu können. Das heißt, dass Wissenschaftlerinnen Vorstellungsräume und damit auch Denkräume eröffnen und somit selbst beteiligt sind an den zukünftigen Handlungen. Am deutlichsten wird dies mit der Darstellung des Motivs. Für die Kriminalliteratur ist die Suche nach dem Motiv nicht nur ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Aufklärung, sondern ein zentrales Element, um das ‚Verbrechen‘ verstehen und einordnen zu können. Ebenso in der Wissenschaft; denn erst der Glaube an das Vorhandensein eines Motivs erlaubt überhaupt die Beschäftigung mit sozialen Phänomenen, die mit dem Auffinden des Motivs wiederum selbst als soziale Tatsache bestätigt werden. Ebenso wie das Verbrechen ohne Motiv nicht auskommt, braucht auch die Wissenschaft einen letztgültigen Grund, der einerseits die wissenschaftliche Tätigkeit begründet und andererseits die soziale Tatsache rückwirkend konstruiert. „Wanderungsprozesse beruhen auf dem Entscheidungsverhalten von Individuen, welches schon auf der Mikroebene durch eine komplexe Motivlage gekennzeichnet ist – insbesondere dadurch, dass die mit einer Wanderungsentscheidung verknüpften Nutzenkalküle häufig nicht nur einzelne Personen, sondern Haushalte betreffen, sodass die Motivlagen mehrerer Personen das Migrationsverhalten bestimmen. (…) Die Migrationsbewegungen zwischen verschiedenen Regionen resultieren aus einem vielschichtigen Geflecht von Motiven der einzelnen Fortzügler. Ganz allgemein dürften die zentralen Motivkomplexe der Binnenwanderung in den folgenden drei Dimensionen zu finden sein: 1. Ökonomische Motive, 2. Bildungsmotive, 3. Partnerschafts- und Familienmotive“ (Kubis & Schneider 2007:300) „Aus dem Zusammenhang der natürlichen und räumlichen Bevölkerungsentwicklung ergeben sich weitreichende demographische Konsequenzen besonders für Ostdeutschland: Der viel zitierte demographische Wandel belässt nicht nur bereits seit langem die Sterberaten über den Geburtenraten. Hinzu kommen seit der Vereinigung deutliche Ost-West-Disparitäten bezüglich der ohnehin zu niedrigen Reproduktionsziffern. Aufgrund der Altersselektivität der Fortzüge und entsprechenden Geburtenausfällen beschleunigt sich die demographische Alterung dramatisch. Insgesamt verfestigen sie das Bild von der Schrumpfungslandschaft Ostdeutschland“ (Gans & Kemper 2003). „Als Reaktion entstanden oder vertieften sich erhebliche sozioökonomische und demografische Disparitäten zwischen Ost- und Westdeutschland“ (Mai 2006).
Diese Zitate zeigen, dass die wissenschaftliche Tätigkeit letztendlich das Motiv als Ursache-Wirkungskette beschreibt, damit das dargestellte Motiv kontextualisiert und damit Logik herstellt. Die Herstellung von logischen Zusammenhängen ist eine zentrale Bedingung für das Verstehen und damit eine Voraussetzung für die Akzeptanz bei den Leserinnen.
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Dramatisierung sozialräumlicher Phänomene
Darüber hinaus ermöglicht diese Erzählform aber auch eine Dramatisierung von sozialräumlicher Welt. Es wird in den Erläuterungen zur Route 2, „Geographien als Versprachlichung“, darauf hingewiesen, dass die Analyse mit Blick auf 3 Aufmerksamkeitsebenen erfolgt: Semantik, Syntax und Pragmatik. Die vorangegangenen Kapitel geben anhand verschiedener Metaphern einen Einblick in die Semantik der wissenschaftlichen Texte und dieses Kapitel verdeutlicht die enge Verbindung der Erzählform als Textsyntax mit den zu vermittelnden Bedeutungsinhalten. Mit Pragmatik ist nun im Allgemeinen die Interaktion zwischen Sprecherinnen und Hörerinnen/Leserinnen und damit die Herstellung von Beziehungsebenen zu verstehen. Pragmatik kann aber auch als Inszenierung situativer Kontexte und als Darstellung von Welt seitens einer Erzählperson verstanden werden. Hier steht die Frage im Mittelpunkt wie durch die Erzählung Personen und Dinge in Szene gesetzt werden. Die Pragmatik ermöglicht somit einen Blick auf die Performanz dieser Personen und Dinge durch Erzählung. Die Erzählten Geographien können kaum noch Höhepunkte erreichen. So bestehe die Tragik der Wiedervereinigung vor allem auch darin, dass sich hinter der Wende ein „neues und weitgehend unerforschtes Phänomen [verbirgt]: die überproportionale Abwanderung junger Frauen“. Dies führt dazu, dass „die Frauendefizite der neuen Bundesländer heute europaweit ohne Beispiel [sind]. Selbst Polarkreisregionen im Norden Schwedens und Finnlands, die seit langem unter der Landflucht speziell von jungen Frauen leiden, reichen an ostdeutsche Werte nicht heran“ (Kröhnert 2007:4). In der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte scheinen somit alle Merkmale einer schrumpfenden Gesellschaft eingetreten zu sein und damit sind sogar Prognosen für eine mögliche ‚Entvölkerung‘ legitim. Diese Prognosen für Ostdeutschland stehen, wie der erste Erzählbericht aufarbeitet, im Kontext einer gesamtdeutschen Diskussion zum Thema „demographischer Wandel“, der Barbara Holland-Cunz und Diana Auth (2006) bescheinigen, dass ihr an „Alarmismus und Aktionismus“ nichts fehlt und die im Kontext der (ost)deutschen Bevölkerungsund Migrationsforschung an Radikalität gewinnt. Konzentrieren sich erste Arbeiten zum demographischen Wandel in den 1960er und 1970er-Jahren zunächst ‚nur‘ auf den Alterungsprozess der Bevölkerung, rücken seit den 1990er-Jahren Schlagworte wie „Bevölkerungsrückgang“ und „Schrumpfung“ infolge niedriger Geburtenraten in den Mittelpunkt des Interesses. Schon hier finden sich sprachliche Dramatisierungen durch Begriffe wie „spektakuläre Rückgänge der Bevölkerung“, die zu einem „tiefen Einschnitt“ und „dramatischen Veränderungen“ in der Bevölkerungsentwicklung führen. Dies wird unterstützt durch „gravierende Verluste“ durch Abwanderungen in „erheblicher Größenordnung“, die eine „deutliche Tendenz“ Richtung „Massenexodus“ zeigen. Die Dramatisierungen werden spätestens mit der Wende zum 21. Jahrhundert mit Blick auf spezifische Regionen, wie zum Beispiel Ostdeutschland, mit Sterbemetaphern ergänzt. Dieser Alarmismus fällt auf fruchtbaren Boden und zeigt in der geburtenfördernden Familienpolitik unter Renate Schmidt und Ursula von der Leyen große Erfolge. Dabei kommt es nicht zur Reflexion der Motive für Kinderlosig-
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keit oder für die späte Entscheidung für (ein) Kind(er). Es kommt auch nicht zur Reflexion der potenziellen Annahme, dass jede Frau eine Reproduktionsaufgabe besitzt. Ebenso wird nicht hinterfragt, ob bevölkerungspolitische Prozesse überhaupt steuerbar beziehungsweise wie solche Maßnahmen zu bewerten sind. Im Zuge dessen stellt sich die Frage nach dem Motiv der Dramatisierung durch Wissenschaftlerinnen. Diana Auth und Barbara Holland-Cruz weisen darauf hin, dass die bevölkerungsrelevanten Dramatisierungen und die daraus folgende pronatalistische Familienpolitik ökonomischen und bevölkerungspolitischen Zielen dienen. Für die Wissenschaft stellt sich eine andere Frage. Kommt auf diese Weise der Wunsch der Wissenschaft zum Ausdruck, von der Öffentlichkeit und der Politik als relevant wahrgenommen zu werden? Damit ist eine wesentliche Frage angesprochen, die im Zuge knapper staatlicher Kassen an Bedeutung gewonnen hat: Was ist relevante Forschung? Forscherinnen finden sich immer wieder in Situationen, wo sie die Aufgabe haben, die Aktualität und Bedeutung ihrer Forschungsfragen hinsichtlich des gesellschaftlichen Kontextes zu belegen; besonders dann, wenn es um die Beantragung finanzieller Mittel geht. Allein diese Notwendigkeit würde die Dramatisierung von Forschungsphänomenen schon begründen. Aber es stellt sich eine weitere Frage: Warum muss Forschen (gesellschafts)relevant sein? Weil die Gesellschaft die Forschung durch Steuergelder bezahlt und im Zuge dessen ein Anrecht auf Transparenz und ‚sinnvolle‘ Anwendung hat. Dieser nachvollziehbare Anspruch führt jedoch dazu, dass Finanzierungen nicht gleich verteilt, sondern nach gesellschaftlichen Bedürfnissen ausgeschüttet werden und „Geldströme somit ein indirekter Ausdruck politischer Entscheidungen für Relevanz“ (Weingart 2008:18) sind. Relevanz ist somit kein objektives Kriterium, sondern eine Größe, die sich in Abhängigkeit sozialer Notwendigkeiten ändert. Und Wissenschaftlerinnen produzieren im Zuge größerer Konkurrenz um die benötigten Finanzmittel Dramatisierungen, Relevanzen und Notwendigkeiten.
21 Reiseerzählung 7: Erzähltes Geschlecht „(…) das veränderte Fertilitätsverhalten ostdeutscher Mütter (…)“
„(…) weibliche Jugendliche, die nicht als ‚Mädel‘ zum Mann aufschauen wollen, sondern gleichgewichtige Beziehungen anstreben, finden möglicherweise in manchen Regionen des Landes wenig Anschluss an Jugendcliquen und letztlich auch keinen für sie attraktiven Partner (…)“, „(…) der Heirats- bzw. Partnersuche-Markt spielt vermutlich neben dem Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle für den vermehrten Wegzug junger Frauen (…)“, „(…) die Frauen hingegen würden abwandern, schon allein deshalb, weil sie in ihren Heimatregionen keinen Partner mit entsprechendem Bildungsniveau mehr finden könnten (…)“, „(…) Deutschlands Frauen bekommen so wenig Kinder wie fast nirgendwo in der Welt (…)“, „(…) Ostdeutschland schrumpft und altert (…)“, „(…) die Folgen der Nettoabwanderung jüngerer Menschen – mithin auch potentieller Eltern – und des veränderten Fertilitätsverhaltens ostdeutscher Mütter wirkt sich negativ auf die Entwicklung aus (…)“, „(…) gerade die Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren stellen als potentielle Mütter eine besonders kritische Gruppe im Hinblick auf die langfristige demographische Entwicklung einer Region dar (…)“
Seit 1990 beschäftigen sich die Tagespresse, Fernsehmedien und auch wissenschaftliche Studien nicht mehr nur mit den Unterschieden zwischen „Ossis“ und „Wessis“ hinsichtlich Mentalitäten und Verhaltensweisen74, sondern vor allem auch mit den habituellen Ressourcen, die ostdeutsche und westdeutsche Frauen und Männer als biographisches Gepäck aus der DDR mitbringen (Dölling 2005:27). Dabei treten vor allem ostdeutsche Frauen als eigensinnig in den Vordergrund, da sie mehrheitlich an der Vollzeitbeschäftigung des DDR-Modells festhalten und eine Vereinbarung von Beruf und Familie auch unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen fordern. Damit – so betonen Ina Dietzsch und Irene Dölling (1996) – fordern ostdeutsche Frauen die Weiterführung der Geschlechterarrangements, wie sie im DDR-Geschlechtervertrag festgeschrieben sind, aber infolge des Transformationsprozesses und den damit einhergehenden wirtschaftlichen Konsequenzen des fast völlig zusammengebrochenen Arbeitsmarktes75 unerfüllt bleiben müssen. In diesem Kontext stehen die Analysen zur Bevölkerungsveränderung und Binnenwanderung 74 75
Hartwig (2006), Pohl (2008), Starke (2005) (SOEP) zeigen, dass es nach dem Systemumbruch zu einem massiven Umbruch auf dem Arbeitsmarkt kommt. Ein Drittel der Arbeiterinnen scheiden zwischen 1990 und 1993 aus, ein weiteres Drittel wechselt den Beruf und nur ein Drittel der Beschäftigten ist nach drei Jahren noch auf derselben Stelle beschäftigt wie vor 1989.
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Reiseerzählung 7: Erzähltes Geschlecht
zwischen Ost- und Westdeutschland (vor allem junger gut ausgebildeter Frauen), was in mehrerer Hinsicht als Bedrohung für die Zukunft Ostdeutschlands, besonders aber für dessen langfristige demographische Entwicklung wahrgenommen wird. Denn erstens ziehe die Abwanderung eine Verringerung der Einwohnerzahl nach sich; zweitens wird die Abwanderung junger Menschen als Humankapitalverlust und damit als Hemmnis für die Entwicklung Ostdeutschlands interpretiert; drittens wirke die Abwanderung junger Frauen doppelt, da auch potenzielle Mütter und Kinder der Region verloren gehen. Diese Gründe legitimieren eine umfangreiche Auseinandersetzung mit der Bevölkerungsstruktur sowie den bevölkerungsrelevanten Veränderungen und eine Konzentration auf die Abwanderungsmotive junger gut ausgebildeter Frauen. Das folgende Kapitel setzt sich mit den konkreten Erzählungen von Geschlecht auseinander, um im Zuge dessen die grundlegenden Rationalitäten von Heteronormativität sowie die Folgen eines biologischen Dualismus‚ im Rahmen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung aufzuzeigen. 21.1
Naturalisiertes Sein = normatives Sollen76
Mit Bezug zur strukturalistischen Linguistik kann behauptet werden, dass der Signifikant „Frau“, ebenso wie „ostdeutsch“, keine natürliche und damit unausweichliche Konsequenz irgendwie ausgeprägter Signifikaten darstellt, sondern eine Folge gesellschaftlicher Zuschreibungs- bzw. Benennungsprozesse ist. De Saussure macht deutlich, dass die Bezeichnung und das Bezeichnende arbiträr zueinander sind, womit nicht gesagt sein soll, dass die Bezeichnung „Frau“ und „ostdeutsch“ beliebig entsteht. Ganz im Gegenteil zur eigentümlichen Anrufung eines materiellen oder immateriellen Phänomens, sind Signifikanten die Folge einer scheinbar wahrgenommenen Differenz zu einem anderen Signifikanten. Das heißt, dass eine als ‚Frauen‘ angerufene Gruppe von Menschen oder eine als ‚ostdeutsch‘ bezeichnete räumliche Dimension nur deshalb anrufbar ist, weil eine als dazu different wahrgenommene Gruppe respektive räumliche Dimension bezeichnet werden kann. Diese Differenz(ierung)en sind jedoch nicht eindimensional – wie das Begriffspaar Mann – Frau oder ostdeutsch – westdeutsch – vielleicht suggerieren mögen, sondern können beliebig fortgesetzt werden und sie zeigen ihre Konsequenzen in „junge Frau“– “alte Frau“, „verheiratete Frau“ – “nicht-verheiratete Frau“, „Mutter“ –“kinderlose Frau“ und/oder „ostdeutsche Peripherie“ – “ostdeutsches Zentrum“. Nach Bourdieu (1992:68) ist eine Bezeichnung (z. B. Klasse, Geschlecht, Alter, Raum) immer eine verkürzte Wiedergabe, die eine polemische Vereinnahmung zur Folge hat. Diese Unterwerfung sozialer Phänomene unter einen Begriff verschleiert aber, dass Begriffe nur in der Differenz zu anderen Begriffen gedacht und formuliert werden können. Diese Differenz ist die Folge wissenschaftlicher Episteme und de76
Diese Titelüberschrift bezieht sich auf die Sein-Sollen-Dichotomie des Humeschen Gesetzes. Der schottische Philosoph David Hume weist damit darauf hin, dass alle ihm bekannten ethischen Ansätze in der Philosophie einem Fehlschluss unterliegen, da sie beschreibende Aussagen des Seins (Was ist?) auf Sollaussagen (Was sein soll!) übertragen; obwohl beide Aussagesysteme ganz verschiedenartig sind (und nach Hume auf einer Unterscheidung zwischen Vernunft und Wille basieren) (Hume 1993 [1739–1740]).
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ren Archive, die regeln, was gesagt und gedacht werden kann. So ist die Frauen- und Geschlechterforschung durch Judith Butlers Arbeiten stark beeinflusst und erweitert auch im deutschsprachigen Raum spätestens seit den 1990er-Jahren die feministischen Bemühungen. Sie arbeiten die historischen Bedingungen geschlechtsspezifischer Differenz auf und dekonstruieren im Zuge dessen, die Zweigeschlechtlichkeit als historische Erzählung. So zeigen vor allem die empirischen Studien der historischen Frauen- und Geschlechterforschung (Laqueur 1992, Duden 1987, Honegger 1991, von Braun 1989, Bührmann 1998, Bublitz 1996, Gerhard 1991, Landwehr 1990, Maihofer 1995) seit den späten 1980er und frühen 1990er-Jahren, dass das System der Zweigeschlechtlichkeit, und damit die Bedeutung von zwei unterschiedlich voneinander existierenden Geschlechtern, in den gesellschaftlichen Umbrüchen vom 18. zum 19. Jahrhundert begründet liegt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts ist die gesellschaftliche Geschlechterrealität mit Bezug auf aristotelische und biblische Texte durch das System der Eingeschlechtlichkeit geprägt. Nach der aristotelischen und biblischen Tradition gibt es ein homologes biologisches und zwei soziale Geschlechter, indem der Mann als der vollkommene Mensch auch das vollkommene Geschlecht und die Frau im Zuge medizinischer Unkenntnis77 und biblischen Vorgaben ein unvollkommenes Abbild des Mannes darstellt. Diese durch die Natur und Gott begründete Unvollkommenheit der Frau gegenüber dem Mann erfährt am Ende des 19. Jahrhunderts im Kontext der Krise der Moderne78 sowie der Feminisierung der Kultur79 eine Zäsur durch die Herausbildung des Systems der Zweigeschlechtlichkeit. Im Zuge dessen wird jeder Mensch auf der Basis der Natürlichkeit von Geschlecht zu jeweils einem Geschlecht zugeordnet. Daran sind die Humanwissenschaften (Medizin) in besonderer Weise beteiligt, denn sie haben sich im Zuge der „Pathologien der Industrialisierung zur fortschrittsbewussten Wissenschaft etablieren können“ (Mehlmann 1998:99). Sie konstruieren gegen Descartes Unterscheidung von Verstand und Körper sowie mit Bezug auf die Naturgesetze und dessen Abhängigkeitsverständnis zweier Größen, ein ganzheitliches Erkenntnisinteresse unter dem Leitmotiv „Das Physische bildet das Moralische“ (Mehlmann 1998:103). Damit wird der Körper durch die Gechlechterdichotomie zum „erzeugungsmächtigen Analogienoperator“ (Honegger 1991:8). Die schon zuvor erfolgte Naturalisierung von Geschlecht fällt hier wiederum auf fruchtbaren Boden und 77 78
79
Die Entdeckung der Eizelle und damit die Erkenntnis, dass auch Frauen am Zeugungsakt aktiv beteiligt sind, gelang erst im Jahre 1829 durch den deutschbaltischen Naturforscher Karl Ernst von Baer. Als „Krise der Moderne“ werden die Veränderungen der ethn. Bindungen (Bourdieu) und der Arbeit (Marx) durch Erkennen der menschlichen Endlichkeit (Habermas), Industrialisierung, technologischen Fortschritt sowie Rationalisierung (Beck) und nicht zuletzt durch die Vorstellung einer durch die ökonomische Logik bedrohten europäisch-abendländischen Kultur (Simmel, Tönnies, Weber) verstanden. Die Frauen und Geschlechterforschung hält zudem fest, dass diese Krise auch eine Krise der Männlichkeit ist, da die Naturbeherrschung gesellschaftliche Folgeprobleme unterschlägt und zum Scheitern der Aufklärung und damit zum Scheitern männlichen Vernunftdenkens führt (Bublitz). Unter „Feminisierung der Kultur“ sind mit Bezug aufHannelore Bublitz und Jacques Le Rider die Einflüsse der 1. Frauenbewegung zu Beginn des 19. Jh.s. zu nennen. Im Zuge der aufstrebenden Naturwissenschaft scheint die Natur beherrschbar zu sein, was auch die Vorstellungen der klassischen Geschlechterarrangements in Frage stellt.
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führt dazu, dass es zur „Ideologisierung der Gebärmutter“ (Schultz 1985:14, zit. in Bublitz 1998:38) kommt und Frauen als Repräsentantinnen der Natur und damit als Gattungswesen vergesellschaftet werden. Damit wird die Mutterschaft zum dominanten ethischen Imperativ und als Wesen der weiblichen Natur (Bührmann 1998:90) sind Frauen qualifiziert für die Mutterschaft. Interessant ist hierbei, dass im Wandel des Systems von der Ein- zur Zweigeschlechtlichkeit zunehmend auch der Mann als Geschlechtswesen angesprochen wird, aber nur im Zuge des Zeugungsaktes. Die Zweigeschlechtlichkeit wird jedoch nicht nur als Naturgesetz, sondern im Zuge des evolutionären Fortschritts- und Entwicklungsparadigmas auch als sozialer Prozess zunehmender Zivilisierung verstanden (Bublitz 1998:32), wenn zum Beispiel Wilhelm Heinrich Riehl (1943) darauf hindeutet, dass bei Naturvölkern der Unterschied zwischen den Geschlechtern noch allzu oft verwische. Zweigeschlechtlichkeit ist damit nicht nur naturgegeben, sondern von Natur aus auch die eine ‚richtige‘ Form menschlicher Paarbeziehung, die der Fortpflanzung und damit der Fortentwicklung der Menschen dient. Zudem erfolgt eine Übertragung des naturwissenschaftlichen Entwicklungsparadigmas auf die Ebene gesellschaftlichen Zusammenlebens, was anschlussfähig ist an Entwicklungsdiskurse von Kultur sowie Nation und nicht zuletzt an die ökonomische Debatte von kontinuierlichem Wachstum und Prosperität. 21.2
Die ostdeutschen Frauen und Männer
Betrachtet man das Material mit einer differenzphilosophischen Lesart, können die beschriebenen Phänomene der Abwanderung, Schrumpfung, Alterung usw. nicht nur als Folge wissenschaftlicher Kategorisierung und disziplininterner Anrufung gelesen werden, sondern vor allem als Verweis auf eine spezifische Form der Machtausübung, die sowohl auf das Individuum als auch auf die Gesellschaft wirkt. Diese Machtausübung nennt Foucault Biopolitik und bezeichnet eine Konstellation in den modernen Human- und Naturwissenschaften, die Normalitätskonzepte hervorbringt und das politische Handeln strukturiert. Dies erfolgt nach Foucaults Dispositivkonzept in zweierlei Hinsicht: die Disziplinierung des weiblichen und männlichen Individuums auf der Mikroebene und die Regulierung der zweigeschlechtlichen Bevölkerung auf der Makroebene. „Deutschlands Frauen bekommen so wenig Kinder wie fast nirgendwo in der Welt. Die durchschnittliche Zahl von 1,37 reicht bei weitem nicht aus, um die Bevölkerungszahl stabil zu halten. Dafür wären 2,1 Kinder nötig. Deutlich sichtbar ist der Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern. Im Osten lag die Kinderzahl je Frau 2001 mit 1,20 deutlich unter dem West-Wert von 1,41. Generell sind die Kinderzahlen in Großstädten niedrig. Insgesamt bleibt in Deutschland heute etwa jede dritte Frau kinderlos. Bei Akademikerinnen sind es sogar 40 Prozent“ (Kröhnert et al. 2005:12). „Migrationsmotive finden sich nicht nur auf den Feldern von Arbeitsmarkt und Bildung, Wanderungen sind häufig auch privat motiviert und betreffen die Sphären von Partnerschaft und Familie. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass diese Motive nicht für sich allein stehen, sondern das Erwerbs- und Einkommensmotiv integrieren. Grundsätzlich kann von zwei Partnerschafts- bzw. Familienmodellen ausgegangenen werden: Entweder wird eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf angestrebt, d.h., beide Partner gehen einer Erwerbstätigkeit nach und
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versuchen, wesentliche Teile der Kindererziehung über externe Betreuungsmöglichkeiten zu realisieren. Oder es wird eine erwerbsmäßige Arbeitsteilung vollzogen, was jedoch bedeutet, dass die alleinverdienende Person die nötigen Ressourcen generieren muss“ (Ragnitz 2005:106). „Als unmittelbare und mittelbare Folge der Nettoabwanderung jüngerer Menschen – mithin auch potentieller Eltern –, des veränderten Fertilitätsverhaltens ostdeutscher Mütter sowie der gesteigerten Lebenserwartung hat sich der Altersdurchschnitt der ostdeutschen Bevölkerung in den Jahren seit der Grenzöffnung 1989 merklich erhöht“ (Ragnitz & Schneider 2007:195). „Der Rückgang der Bevölkerung ist in Sachsen-Anhalt stärker als in jedem anderen Bundesland und bedroht die Zukunftsfähigkeit dieses Teils Deutschlands. Abwanderung ist, soweit wir bisher wissen, zum größten Teil arbeitsmarktbedingt. Einer der zentralen Gründe für Abwanderung ist der Mangel an Ausbildungsplätzen und qualifizierten Arbeitsplätzen im Lande. Daneben aber scheint ein vielfältiges Geflecht biographischer, psychologischer und sozialer Faktoren Abwanderung zu begünstigen, und zwar in geschlechtsspezifisch unterschiedlicher Weise. Die Landesregierung Sachsen-Anhalt hat im November 2002 eine zweijährige Studie in Auftrag gegeben, um die Gründe für Abwanderung in einer repräsentativen Untersuchung detailliert zu untersuchen und mögliche Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Die Autorinnen dieses Beitrags führen dieses Forschungsvorhaben an der Hochschule Magdeburg-Stendal in Zusammenarbeit mit der GeFam Gesellschaft für Familienforschung e.V. durch. Im Juni 2003 wurde der Auftrag um die Frage des Geburtenrückgangs und der nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung in Sachsen-Anhalt erweitert“ (Dienel & Gerloff 2003:47).
Das Heteronormativitätsdispositiv (siehe Abbildung 14 und 15) diszipliniert den Individualkörper im Hinblick auf dessen naturalisiertes Potenzial und reguliert die Bevölkerung im Hinblick auf die notwendigen Handlungen für eine funktionierende Gesellschaft. Das kann nur gelingen, wenn ganz genaue Angaben über „das Normale“ und „das Abweichende“ vorhanden und somit genaue Orientierungen möglich sind. So ist es nicht allein die Mutterschaft, sondern die Mutterschaft von mindestens zwei und mehr Kindern, die als normal und somit als natürliches Bevölkerungswachstum interpretiert wird. Ein Kind sei keine für die Bevölkerung ideale Fruchtbarkeitsrate. 21.3
Dispositive der Heteronormativität
Damit zeigt sich, dass das Heteronormativitätsdispositiv ein Fertilitätsdispositiv ist, das den individuellen Kinderwunsch auf die Ebene gesellschaftlicher Reproduktionsraten zum Bestanderhalt der Bevölkerung überträgt. Das schafft sozialräumliche Wirklichkeiten, denn durch die steten Wiederholungen der performativen Sprechakte wie zum Beispiel: „kinderlose Frauen“, „zu wenige Kinder in Ostdeutschland“, „Abwanderungen von potenziellen Müttern“ usw. entstehen Vorstellungsräume über das, was eine Person zu tun hat. Darüber hinaus kann aber vor allem Judith Butler zeigen, dass performative Sprechakte nicht nur Vorstellungen über die Welt produzieren, sondern gleichsam Materialitäten hervorbringen. So entstehen im Zuge der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung weibliche und männliche Körper, denen eindeutige Fähigkeiten (Frauenkörper ist dazu gemacht, um Kinder zu bekommen) zugesprochen werden. Fertilitäts- und Bevölkerungsdispositive laden die homogenisierte Gruppe „Frau“ weiterhin auf, indem alle Personen dieser Gruppe auf einer individuellen Ebene grundsätzlich potenzielle Mütter sind und
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Abbildung 14: Durchschnittliche Kinderzahl pro Frau 2001 der 18- bis 29-Jährigen; Quelle: Kröhnert (2005:12)
auf einer nationalstaatlichen Ebene ihren Beitrag zum Wachstum einer Bevölkerung leisten sollen. Der Begriff „Bevölkerung“ dient in diesem Zusammenhang der Unterwerfung individueller Lebensentwürfe unter die Bedürfnisse des Staates und transportiert über das Wachstum der Bevölkerung den grundlegenden Anspruch des Staates nach Bestandserhaltung. Im Zuge dessen muss – wie in der deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung – ein als ungleich empfundenes Geschlechterverhältnis auffallen: „Hinzu kommt, dass die verstärkte Frauenabwanderung in einigen Regionen ein Ungleichgewicht der Geschlechtsstruktur innerhalb der jüngeren Altersgruppen nach sich gezogen hat, welches gesellschaftliche Spannungen generieren und zu sozialer Erosion führen kann“ (Kröhnert 2009).
Zudem seien es vor allem die jungen Frauen, die „eine besonders kritische Gruppe im Hinblick auf die langfristige demographische Entwicklung einer Region“ (Kubis & Schneider 2007:298) darstellen. Damit wird deutlich, dass Analysen zur Bevölke-
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Abbildung 15: Anzahl Frauen je 100 Männer der 18- bis 29-Jährigen; Quelle: Kröhnert et al. (2005:13)
rung und Binnenmigration ebenso wie die nationalen und internationalen Migrationstheorien Personen in brauchbar und eher weniger brauchbar einteilen; unter bestimmten Umständen sogar als problematisch hierarchisieren. Wenn Ostdeutschland „Millionen Menschen – vor allem junge und qualifizierte – verliert“ (Flöthmann 2003), dann macht das deutlich, dass problematische Umstände dann gegeben sind, wenn vordergründig gut ausgebildete Personen abwandern und Personen zurückbleiben, die ein eher geringeres Bildungsniveau aufweisen. Solche Erzählungen sagen nicht nur direkt etwas über das Bildungsniveau von Frauen aus, sondern sie eröffnen indirekt auch Vorstellungsräume über die zurückbleibenden Männer. So formulieren nicht wenige Texte, dass Frauen vor allem deshalb abwandern, „weil sie in ihren Heimatregionen keinen Partner mit entsprechendem Bildungsniveau mehr finden können“ (Dienel 2005, Steinmann & Tagge 2002, Maretzke et al. 1997). Im Zuge dessen erfolgt nicht allein eine quantitative Einteilung in Alters- und Geschlechtsgruppen, sondern auch eine qualitative Bewertung der Vital- und Bil-
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dungsstruktur einer Bevölkerung, die zunächst einmal jedes Individuum in den Kontext zu anderen Individuen setzt und durch statistische Mittelmaße Brauchbarund Notwendigkeiten definiert. „Humankapital der Fortgezogenen: Die Ergebnisse bestätigen eine überdurchschnittliche Abwanderung von gut Ausgebildeten und beruflich Qualifizierten. Dies gilt sowohl für den allgemeinbildenden Schulabschluss als auch für die berufliche Ausbildung. So ist zu erkennen, dass unter den Fortgezogenen anteilmäßig erheblich mehr Personen die Fachhochschul- oder Hochschulreife besitzen als bei der sächsischen Bevölkerung. Bei Volks- oder Hauptschulabschluss kehrt sich die Gewichtung um. Nach der höchsten beruflichen Ausbildung ergibt sich bei den Abgewanderten ein Anteil von 20 % mit Abschluss einer Hoch- oder Fachhochschule gegenüber 11 % in der Bevölkerung; während die Lehrausbildung oder gleichwertige Abschlüsse der Berufsfachschule mit 53 % und 55 % sehr ähnlich sind. Die Unterschiede zwischen Migration und der Gesamtbevölkerung sind teilweise durch die Altersstruktur bedingt, denn bei den Fortzüglern sind Jüngere zwischen 18 und 30 Jahren im Vergleich zur Wohnbevölkerung stark überdurchschnittlich vertreten, und das formale Qualifikationsniveau ist bei Jüngeren höher als bei älteren Erwachsenen. Bei den 21- bis unter 34-jährigen Abwandernden haben 44 % die Fachhochschul- oder Hochschulreife, unter den Frauen dieses Alters liegt der Anteil sogar bei 52 %. Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse der sächsischen Wanderungsanalyse sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Humankapital. Die fortgezogenen Frauen weisen im Vergleich zu den Männern noch deutlich höhere allgemeinbildende Schulausbildungen auf“ (Gans & Kemper 2003:17).
Diese Hierarchisierung von Personen kann ebenso als Dispositiv bezeichnet werden, da sie den Fokus auf junge, weibliche, gebärfähige, gut ausgebildete Personen lenkt. Damit einher gehen einerseits Erwartungen, wie die Beteiligung an der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung einer Region. Andererseits ermöglicht dies gleichzeitig gesellschaftliche Debatten rund um die alternde deutsche Bevölkerung, die jeden Sozialstaat an seine Grenzen bringt80. Dies ist nur möglich, da die Bevölkerungswissenschaft neben den Theorien der Fertilität und Migration mit den Theorien der Mortalität ein Kategoriensystem vorbereitet, dass „alte Personen“ umfasst, die nicht jung, nicht gebärfähig, nicht mehr innovativ und somit scheinbar weder zum demographischen noch zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen können.
80
Vor allem im Zuge der Einführung der Hartz-IV-Gesetze werden seitens politischer Verantwortlicher (z. B. Gerhard Schröder) die demographischen Entwicklungen als Bedrohung und damit als Argument mit Geltungsanspruch instrumentalisiert.
22 Reiseerzählung 8: Erzählter Raum „(…) typische Orte in der ostdeutschen Provinz (…)“
„(…) jedes Jahr finden in Deutschland etwa 2,6 Millionen Wanderungen über Kreisgrenzen und knapp 4 Millionen Wanderungen über Gemeindegrenzen statt. Sie übertreffen in ihrem Volumen damit die natürlichen Bevölkerungsbewegungen (…)“, „(…) regionale Humankapitalausstattung von entscheidender Bedeutung (…)“, „(…) allein dadurch haben Wanderungen eine erhebliche Umverteilung der Bevölkerung im Raum zur Folge (…)“, „(…) die Rolle von Wanderungen für die Bevölkerungsentwicklung nimmt mit zunehmender Verkleinerung der Raumeinheiten zu (…)“, „(…) besonderer Berücksichtigung ostdeutscher Regionen (…)“, „(…) so ist es nicht möglich den Bestand einer Bevölkerung aufrecht zu erhalten (…)“, „(…) Deutschland ist nach wie vor einer der stärksten Industriestandorte der Welt (…)“, „(…) Abstiegsregionen der neuen Bundesländer (…)“, „(…) im gesamten Bundesgebiet hat die Fruchtbarkeit das Bestandsniveau unterschritten (…)“, „Die negative natürliche Bevölkerungsentwicklung wird zudem durch die hohen Abwanderungszahlen nach Westdeutschland genährt (…)“, „(…) als Raumeinheiten fungieren dabei meist administrative Grenzen (…)“, „(…) regionale Analyse des Wanderungsverhaltens junger Frauen (…)“, „(…) Verstärkung verschiedener regionaler Problemlagen (…)“, „(…) Regionen mit deutlicher Frauenabwanderung (…)“, „(…) einigen Regionen ein Ungleichgewicht der Geschlechtsstruktur innerhalb der jüngeren Altersgruppen (…)“
Es kann festgestellt werden, dass neben Sozialwissenschaftlerinnen auch Geographinnen, die gegenüber sozialräumlichen Festschreibungen kritisch sein müssten, die bevölkerungsrelevanten Veränderungen ebenso akzeptieren wie sie die spezifischen Ost-nach-West-Migrationen durch ihre wissenschaftliche Praxis empirisch verifizieren und reproduzieren. Spätestens mit der Feststellung, dass die statistischen Daten flexibel interpretierbar und unterdeterminiert sind, muss danach gefragt werden, wie innerhalb der Bevölkerungs- und Migrationsforschung über Raum gesprochen und wofür Raum im Zuge dessen als Projektionsfläche benutzt wird. Die in der Reiseerzählung 1 dargelegten Auseinandersetzungen zur demographischen Lage in Deutschland unterliegen einer realistischen Perspektive (Lage – etwas liegt vor), denn die bevölkerungsrelevanten Veränderungen seien ‚offensichtlich‘ und daher nicht zu leugnen. Dieser „vor den Augen liegende“ Gesellschaftsprozess habe quantitative und qualitative Folgen für Deutschland (die Lage der Nation). Die zentralen Begriffe dieses Gesellschaftsprozesses sind „Schrumpfung“ und „Alterung“ durch „Geburtendefizit“, die als soziale Phänomene die „Bevölkerungsimplosion“ und die „demographische Zeitenwende“ auslösen. Innerhalb der Bevölkerungs- und Migrationsforschung erfolgt eine Übertragung dieser sozialen Phänomene auf Regi-
218 onen, was einen Regionalisierungsprozess in Gang setzt, der Schrumpfungslandschaften, Schwundregionen- und kreise entstehen lässt, die eine „Schneise der Entvölkerung“ und „Entleerung der Mitte Deutschlands“ nach sich ziehen. Diese Regionen, wie zum Beispiel „Ostdeutschland“, zeichnen sich dann durch einen „gebremsten Verjüngungsprozess“ ebenso aus wie sie einen „demographische[n] Schockzustand“ aufweisen. Hinzu kommen die Auseinandersetzungen hinsichtlich einer Spezifik der Wanderungsbewegungen von Ost nach West, die fast die gesamte deutsche Binnenmigrationsforschung umfasst. Beide Forschungsgebiete führen zu spezifischen Erzählungen über Raum. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den wissenschaftlichen Regionalisierungen und erarbeitet die Erzählten Geographien von Raum. Dabei wird deutlich, dass die wissenschaftliche Praxis ohne Bedenken auf einen vorstrukturierten Äquivalenzraum zugreifen kann und diesen mit Bedeutungsinhalten füllt. Infolgedessen entstehen Containerräume mit spezifischen Eigenschaften, die zudem Einfluss auf andere Räume und dessen Eigenschaften haben (können). 22.1
Schrumpfende und alternde Regionen
„Schrumpfung“ ist eine klassische Strukturmetapher, die die Bedeutung eines bekannten Quellbereichs aus dem Alltag auf einen unbekannten überaus komplexen und damit unübersichtlichen Zielbereich überträgt und im Zuge dessen Abstraktes oder Unzugängliches verständlich macht. Die Metaphernanalyse (Abbildung 4) gibt Hinweise auf den semantischen Kontext von „Schrumpfung“, der einen natürlichen Welkungsprozess umschreibt. Schrumpfung ist nicht einfach das Gegenteil von Wachstum und beschreibt die Verkleinerung und Reduzierung eines Gegen‚standes‘. Viel mächtiger ist dessen Bedeutung als „schrumpelig“ im Sinne von „alt“, nicht mehr „jung“, nicht mehr „knackig“, nicht mehr „vital“, was sich letztendlich im Text mit Aussagen wie „besonders die lebendigen Kräfte gehen weg“ bestätigt. Damit ist Schrumpfung ein sprachliches Phänomen, das die Vorstellung eines Austrocknungspozesses hervorruft, der wie Wasserentzug die letzten zur Verfügung stehenden Kräfte raubt. Infolgedessen tritt nicht allein Lähmung und Stillstand, sondern Rückzug und Entleerung ein. Der Terminus „Alterung“ fungiert (wie zum Teil auch der Begriff Schrumpfung) in den wissenschaftlichen Texten als Personifikation und damit als eine spezifische Form der Metapher, die die Übertragung menschlicher Eigenschaften und Erfahrungen auf Ideen, Phänomene, Gegen‚stände‘ usw. leistet. Die in der Geschichte stark vertretenen Personifikationen von Freiheit, Gerechtigkeit oder auch des Staates erfüllen die Funktion, Ideen und Dingen eine ‚Stimme‘ zu geben, damit diese wahrgenommen und als Teil der sozialen Welt verstanden werden. Personifikationen sind damit ein erfolgreiches Mittel, abstrakte Dinge zu persönlichen Dingen zu transformieren, wodurch sie einerseits Gestalt erhalten und andererseits emotional besetzt werden. Das Altern ist innerhalb westlicher Industrienationen eher negativ besetzt und steht im Gegensatz zu Jugendlichkeit nicht für Vitalität und Innovationen, sondern für Vergreisung und Rückständigkeit.
Reiseerzählung 8: Erzählter Raum
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Wenn sich Deutschland und besonders Ostdeutschland in der „Altersfalle“ befinden, ist dies aber nicht allein ein Hinweis auf die persönliche menschliche Erfahrung des Alterns im Hinblick auf Gebrechlichkeit und Kraftlosigkeit, sondern auch eine Oben-unten-Metapher, die die Bewertungen „besser“ und „schlechter“ nach sich zieht. „In der Falle sitzen“ ist einerseits eine räumliche Verortung eines eher nicht vielversprechenden Zustandes, andererseits aber auch die Beschreibung eines verhängnisvollen Festsitzens infolge eines Abfallens, wenn nicht sogar Sturzes, bei dem Verletzungen nicht ausbleiben; und dessen Ausgang im doppelten Sinne ungewiss ist. Das Entrinnen, Entkommen und Befreien aus einer Falle ist nur mit großen Mühen und Anstrengungen zu schaffen. Hier zeigt sich die Sprachmächtigkeit von Sprechakten, denn die in Gang gesetzten Vorstellungsräume von Schrumpfung und Alterung ermöglichen erst den Anschluss an politische Maßnahmen wie zum Beispiel HartzVI oder weitere Maßnahmen zum Abbau des Sozialstaates, die im Kontext gemeinsamer Anstrengungen zirkulieren und die Legitimation für dessen Umsetzung bilden. 22.2
Die Zwangslage
Die Übertragung von Schrumpfung und Alterung auf Landschaft und Region, wie am Beispiel Ostdeutschlands, ermöglicht Anknüpfungen an großflächige Auswirkungen, sodass ein soziales Phänomen flächendeckend (Korridore/Schneisen der Entvölkerung) verhandelbar wird. Das immer wieder angeführte Zitat Helmut Kohls der „blühenden Landschaften“81 im Jahre der Wiedervereinigung 1990 steht hier im Gegensatz zur Realitätsbeschreibung. Eben nicht als blühend, lebendig, vielseitig, fortschrittlich, also boomend, sondern als stagnierend und festgefahren – in der Falle steckend – werden einige Regionen Deutschlands regionalisiert. Auf die Besonderheit, dass die Schrumpfungs- und Alterungsmetaphern innerhalb der wissenschaftlichen Texte nicht selten eine Radikalisierung durch Sterbemetaphern erfahren, wird im Reisebericht 6 ebenso hingewiesen wie auf die durch die Personifikation in Gang gesetzte Dramatisierung scheinbarer deutscher- und vor allem ostdeutscher Auflösungsrealität. Das bildet dann nicht mehr nur allein die Grundlage der Auseinandersetzungen mit Schrumpfung und Alterung und den damit in Gang gesetzten Problemen der Infrastrukturversorgung, sondern auch Diskussionen über soziale Sicherungssysteme und über die Herausforderungen bezüglich Stadtumbau, Anpassungsleistungen im Bereich Wohnen und Verkehr, Schaffung kinderfreundlicher und familienfreundlicher Bedingungen usw. Darüber hinaus bieten die Sterbemetaphern aber vor allem einen Anschluss an einen deutschen und sogar europäischen Migrationsdiskurs, der die weitere Verringerung der europäischen Bevölkerung als Bedrohung versteht. Diese Bedrohung weise zwei 81
Original: „Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt“ (Helmut Kohl in der Fernsehansprache vom 1. Juli 1990 anlässlich des Inkrafttretens der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion). Infolgedessen findet sich das Begriffspaar „blühende Landschaften“ auf Wahlplakaten der CDU, steht für Deindustrialisierung und wird später zum Sinnbild des Scheiterns der Wiedervereinigung.
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Reiseerzählung 8: Erzählter Raum
Dimensionen auf. Erstens erfolge eine Bedrohung durch den Geburtenrückgang, der auf eine „demographische Implosion“82, also auf Zusammenbruch nach innen, hinweise und somit bietet diese Metapher die Auseinandersetzung mit einer gewissen ‚Selbstzerstörung‘ einer Gesellschaft. Zweitens steht „Implosion“ aber auch in einem Zusammenhang mit dem Begriffspaar „demographische Zeitbombe“, wobei Zeit als temporale Zuordnung (z. B. aktuell) und Bombe als Waffe auch auf eine wuchtige Zerstörung, jedoch durch einen Angriff von außen, verweist und gleichzeitig eine „Zeitenwende“ einläutet. Thematisch erfolgt mithilfe der Bedrohungsmetaphern eine Übertragung der Sterbemetapher auf das Sterben der europäischen Kultur. Denn schrumpfende bzw. entvölkerte Regionen böten Freiräume für andere Regionen und/oder Länder (bei Josef Schmidt „Peripherie“), die entweder „zu viele Menschen haben“ oder die „ihrer eigenen Bevölkerung“ keine guten Lebensbedingungen bieten können. Nach Meinung der Bevölkerungswissenschaftlerinnen und Migrationsforscherinnen (Höhn et al. 2007, Kaufmann 2005, 2009, Birg 2003, 2005, Schmid 2007) entstehen auf diese Weise „riesige Wanderungspotenziale“. So herrscht zum Beispiel in den osteuropäischen Ländern Bevölkerungsstagnation, aber diese bieten ebenso wie die stark bevölkerungswachsenden Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas ihren starken Jugendjahrgängen keine Perspektive im Land. Und es herrsche ein starkes Wohlstandsgefälle gegenüber Europa, was Europa sehr attraktiv mache. Wanderungspotenziale entstehen nach Susanne Schmid (2007) vor allem durch die Attraktivität des Raumes und die Wert- bzw. Geringschätzung der Herkunftsregion. Gravierende politische Unruhen sowie Naturkatastrophen und ethnische Konflikte können Flüchtlingsströme auslösen. „Es ist nicht möglich, die zukünftigen Migrationspotenziale nach Europa genau zu bestimmen, weil sich die unterschiedlichen Push- und Pull Faktoren nicht prognostizieren lassen“. Allerdings könne davon ausgegangen werden, dass „sich die globale Migrationsproblematik nicht so schnell entschärfen wird“. Solche Einschätzungen finden sich nicht nur in Spezialdiskursen, sondern werden auch auf dem politischen Parkett angeführt. In diesem Sinne schreibt Pierre Krebs (1987:7) in der Zeitschrift „elemente zur Metapolitik“: „Das gealterte, geschwächte Europa wird eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf riesige Bevölkerungsmassen der Dritten Welt (einem unerschöpflichen Reservoir an Jungvölkern, die von Armut und Tatkraft übersprudeln) ausüben“.
Christoph Butterwegge (2002:168) stellt für die deutsche Demographie-Debatte insgesamt fest, dass das Bild „des sterbenden deutschen Volkes“ seit dem Heidelberger Manifest vom 17. Juni 198183 immer wieder innerhalb gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Zusammenhänge bemüht wird. Dieses ist besonders deshalb wirksam, da spätestens seit den 1970er-Jahren das Thema aussterbende Pflanzen- und Tierarten auf der politischen Agenda steht. Die Debatte um das „sterbende deutsche Volk“ erwecke somit den Eindruck, es handle sich ebenso um die Bedrohung einer besonderen Spezies, was Angstgefühle erzeuge. So schreibt Harald Pohl (1985:15): „Das 82 83
Implosion ist ein Prozess, der das Zentrum eines Objektes zerstört und somit dessen Zusammenbruch herbeiführt; bildet den Gegensatz zu Explosion, wobei die Kräfte vom Zentrum wegwirken. Das Heidelberger Manifest ist ein von 15 Hochschullehrern verfasstes Dokument, das die Überfremdung der deutschen Kultur durch Einwanderung beklagt sowie die Erhaltung des deutschen Volkes durch geringe Geburtenraten gefährdet sieht (Burkard 1984).
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deutsche Volk sterbe noch schneller als der deutsche Wald“. Diesen Argumenten liegt ein Kulturdispositiv zugrunde, das die Bedrohungen der Kultur als auch die damit einhergehenden Argumentationen gegen Einwanderung und den Schutz eines homogenen Kulturvolkes umrahmt. So formuliert Josef Schmid (2000:25): „Afrika, Vorder- und Zentralasien (…) sich weiterhin in der Wachstumsphase [befinden], was lokale Abstoßungseffekte hervorruft, denen Anziehungsfaktoren gegenüberstehen. Es herrscht ein unvollkommenes Bild der Einwanderer und man weiß nicht, ob sie die betreffenden Mindestanforderungen erfüllen. Familiennachzügler, werden in der Subkultur der Landsleute verbleiben, die zweite und dritte Generation zeigt Entwurzelung und Arbeitslosigkeit“.
Damit befindet sich Europa in einer „demographischen Zwangslage“ und Paul Demeny (2003) sieht sich genötigt, an das Buch Oswald Spenglers, „Der Untergang des Abendlandes“84, zu erinnern, da der weiterhin drohende Rückgang der Bevölkerung beispiellos ist und Europa in eine „missliche Lage“ bringt. Josef Schmid (2000:489) betrachtet die demographische Entwicklung der Dritten Welt als „unabsehbares“ Risiko, denn in der Dritten Welt „stecken Drohpotenziale gegenüber der modernen Welt: die Abwanderung von Bevölkerungsteilen würde ein Land kaum schwächen, den Westen aber destabilisieren“ und damit werde deutlich, dass „sie“ „uns“ bedrohen. Der hier verhandelte Kontext einer „Zwangslage“ fungiert als Bedrohungsmetapher und Bedrohungsargument, da „Zwangslage“ erstens auf den Druck und die Nötigung durch andere hinweist, zweitens den Ort (das Wo), die Position (den Zustand) und die Situation (Sachverhalt) des Zwangs festschreibt und drittens durch die Oben-unten-Metapher (Lage à liegen) den Eindruck des Ausgeliefertseins und somit die Bedrohung für „das angestammte Stammvolk“ (Schmid 2000) erhöht. Europa sitze „in der Klemme“ und komme arg „in Bedrängnis“, besonders wenn das Bevölkerungswachstum weiterhin derart stagniert, sodass der Anteil der europäischen Bevölkerung gegenüber der Weltbevölkerung weiter sinke. So fragt sich Wolfgang Lutz (2007:183), ob die Geburtenrate in Europa weiter sinken wird und sieht darin eine Bedrohung, denn die „Reproduktion sichert das Überleben unserer Art sowie den Fortbestand unserer Kultur durch die Weitergabe von Wissen und Normen[85]. Solange sich Fertilität und Sterblichkeit ungefähr die Waage hielten und dadurch relativ stabile bzw. geringfügig wachsende Bevölkerungszahlen garantiert waren, gab das Fertilitätsniveau per se kaum Anlass zur Sorge. Das Hauptaugenmerk lag vielmehr auf den Implikationen differentieller Fertilität, d. h. auf dem raschen Wachstum von bestimmten Gesellschaftsgruppen oder Ländern und der daraus resultierenden Verschiebung des Gleichgewichts. Als sich durch die Bevölkerungsexplosion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Weltbevölkerung mehr als verdoppelte, indem sie von 205 Milliarden im Jahr 2050 auf 6,1 Milliarden im Jahr 2000 anstieg und durch die junge Bevölkerungsstruktur ein weiteres signifikantes Wachstum vorprogrammiert war, bekam das hohe Fertilitätsniveau in den Entwicklungsländern politische Brisanz. Das gilt auch heute noch für Teile Afrikas und Asiens, während im Rest der Welt rapide Rückgänge bei der Fertilität verzeichnet werden“.
84 85
Der Untergang des Abendlandes von Oswald Sprenger ist ein zweibändiges Werk (erster Band „Gestalt und Wirklichkeit“ 1918, zweiter Band „Welthistorische Perspektiven“ 1922), in dem er die Geschichte einzelner Kulturen dem Zeitgeist entsprechend vergleichend untersucht. Solche und ähnliche Diskussionen sind dann auch anschlussfähig an populistische Diskussionen wie Thilo Sarrazins Werk „Deutschland schafft sich ab“ (2010) überaus eindrücklich vorzeigt.
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Die dramatisierenden Aussagen zur demographischen Lage einflussreicher Bevölkerungswissenschaftlerinnen wie Herwig Birg, Charlotte Höhn, Franz-Xaver Kaufmann, Karl Schwarz u. a. hat Dieter Oberndörfer (2005:1482f) zu der Interpretation geführt, dass die „unrühmliche Geschichte der deutschen Demographie“ fortgeschrieben wird, indem nicht die „wirtschaftliche, soziale und politische Zukunft der heutigen Bürgerinnen (…) interessiert, sondern (…) die Bewahrung der tausendjährigen Geschichte und Kultur ‚der Deutschen‘ (Hervorhebung im Original)“, die eine „Konstruktion der nationalen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts [darstellt und] die das ideologische Fundament des deutschen Nationalismus bildete“. Die Verhandlungen von Fertilität und Migration im Kontext der Bevölkerungsforschung zeigen, dass diese auf den Denkvoraussetzungen des Nationalstaates basieren und somit impliziert die Einwanderung von ‚Anderen‘, die nicht zum nationalen Volkskörper gehören, nicht zu akzeptieren ist. Hierin wird deutlich, dass sich die Bevölkerungswissenschaft ihrer engen Verbindung zum Nationalstaat nicht entledigt hat und als dessen Basis und gleichzeitig Konsequenz verstanden werden kann. So ist die Entstehung der Bevölkerungsfrage – also die administrative Produktion von Informationen über die Bevölkerung – in ihren Ursprüngen eine Konsequenz staatlicher Bedürfnisse und unterliegt den Normen des rationalen modernen Staates. Zudem wird aber auch deutlich, dass die Erhebung bevölkerungsrelevanter Informationen nicht nur ein Instrument für die Kenntnis über die Bevölkerung eines politischen Verwaltungsgebietes ist, sondern grundlegend für die Konstitution und Erhaltung eines politisch organisierten Raumes darstellt. Die Bevölkerungsfrage ist damit eine Grundvoraussetzung für die nationalstaatliche Organisation und die Herausbildung des Nationalstaates als Territorium für eine spezifische Bevölkerung. 22.3
Das andere Deutschland
In Deutschland besteht eine für Nationalstaaten besondere Situation infolge der Teilung des Territoriums im Jahre 1949 respektive 1961 durch den Mauerbau und der Wiedervereinigung im Jahre 1990. Entsprechend der politischen Ideologien hätten sich beide deutschen Staaten vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht unterschiedlich entwickelt, was einerseits als ein zentraler Grund für die verzögerte Angleichung der Ostdeutschen an die westdeutsche Produktivität und Leistungsfähigkeit gesehen wird und andererseits Wanderungsbewegungen in Gang setze, die mit Blick auf Quantität und Qualität Besonderheiten aufweise. Im Zuge dessen zirkulieren ganz spezifische Erzählungen über Ost- und Westdeutschland, die insgesamt von einer Idee der Unterscheidung/Unterschiedlichkeit beider deutscher Staaten leben. Die Darstellung von Unterschiedlichkeit erfolgt innerhalb der wissenschaftlichen Texte erstens durch die Verwendung von Toponymen (Osten, Ostdeutschland, Berlin, Köln usw.) in Verbindung mit der Anwendung des ethnographischen Präsens, das die Darstellung der Orte als zeitlos ermöglicht; im Sinne von ‚Ostdeutschland ist so‘. Im Zuge dessen entstehen Containerräume mit Inhalt, deren Re-Präsentation an Realität und durch die detaillierte Beschreibung wiederum an Objektivität gewinnt.
Reiseerzählung 8: Erzählter Raum
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Zweitens zeigt eine Analyse der Wortkontexte der Silbe „Ost“, dass die ostdeutsche Wirklichkeit im Zuge des ethnographischen Präsens zum überwiegenden Teil mit Begriffen besetzt ist, die negative Vorstellungsräume eröffnen. So ist „Ost“ sprachlich umgeben von Schrumpfungslandschaft, Abwanderungsverlust, Geburtendefizit, Last, Bevölkerungsabnahme, Bevölkerungsrückgang, Alterung, Arbeitsmarktgefälle, Entleerung, Erosion, Verlusterfahrungen, Transformation, Zerbrechen, Bruch, Problemlagen, Problemsituationen, Befürchtung, Sorge, Notwendigkeiten, Mangel, Negativwachstum, Negativperspektive, Spannungen sowie verlassen, leiden, fallen, wegziehen, fehlen, zurückbleiben, verlieren. Eine ebenso angestrebte Analyse der Silbe „West“ mit dem Ziel, das Gegensätzliche zu „Ost“ herauszuarbeiten, musste jedoch scheitern. Denn zwar beinhalten die Texte hinreichendes Material zur Beschreibung Ostdeutschlands, des Ostens, der ostdeutschen Bevölkerung usw., sie bieten jedoch keinen Zugang zu Westdeutschland, den Westen oder die Westdeutschen. Abgesehen von dem Hinweis auf „Ost-West-Diskrepanzen“, „Ost-West-Disparitäten“ und/oder „große Gegensätze zwischen Ost- und Westdeutschland“ sowie dass Ostdeutschland „westdeutsches Niveau“ nicht erreicht, erfolgt keine Darstellung von „West ist so“ im Zuge einer Verbindung aus Toponymverwendung und ethnographischem Präsens. „Auch 14 Jahre nach dem Mauerfall unterscheiden sich die neuen und die alten Bundesländer in nahezu allen Indikatoren. Der Osten bleibt wirtschaftsschwach und verzeichnet mehr Arbeitslose. Gleichzeitig hält die Abwanderung an und die Kinderzahlen liegen nach wie vor deutlich unter dem Niveau des Westens“ (Kröhnert et al. 2005:9).
Das ist interessant und benötigt einen Zugang zur Konstruktion von Wirklichkeit, die in Grundzügen schon von Edward Said (1978) und in dessen Konzept des Orientalismus umschrieben wird: die Hervorbringung eines „mysteriösen Ortes“. Edward Saids Kritik an der britischen und französischen Orientalistik und deren aufgeworfener Dichotomie zwischen Morgenland und Abendland im Zuge einer an Foucault orientierten Diskursanalyse kann trotz wichtiger kritischer Aspekte (vgl. Do Mar Castro Varela & Dhawan 2005, Gregory 1994, 1995) als Schlüsselwerk des Postkolonialismus gelesen werden und ist bis heute für die Sozial- und Kulturwissenschaften inspirierend (vgl. Karentzos & Göckede 2006, Polaschegg 2005, Sardar 2002, Wisenthal et al. 2006, Kiby 1990, Lemaire 2008, Kontje 2004). Said konzentriert sich in seiner Arbeit erstens auf die diskursive Hervorbringung imaginativer Geographien durch asymmetrische Machtstrukturen zwischen „dem Westen“ und „dem Orient“; zweitens ist aber vor allem Saids Feststellung einflussreich, dass die imaginativen Geographien in Bezug auf ‚andere‘ Orte und/oder Personen eine wichtige Voraussetzung zur Konstruktion ‚eigener‘ Subjektpositionen sind. Damit ermöglicht Said die Einbindung von Machtstrukturen zwischen dem erkennenden Subjekt und dem zu Erkennenden – also den Einbezug der subjektiven Positionen und den damit verbundenen ideologischen Sichtweisen über etwas oder jemanden. Er betont, dass der Blick auf jemanden und etwas immer vor dem Hintergrund des eigenen Kontextes zu beleuchten ist86. Denn dieser unterliegt dem gesellschaftlichen Wissensvorrat, womit Repräsentationen niemals nur das Er86
An dieser Stelle sei angemerkt, dass Edward Said seine eigene Position als Wissenschaftler jedoch nicht reflektiert hat, was ein zentraler Ausgangspunkt von Kritik ist (vgl. Gregory 1994, 1995).
224
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gebnis kognitiver Beobachtungsprozesse sind, sondern vor allem gesellschaftliche Wünsche, Fantasien und Vorurteile widerspiegeln. Das Konzept der Imaginativen Geographien dient Edward Said dazu, den Blick um die individuellen Wahrnehmungsprozesse zu erweitern, ohne einer Perzeptionsgeographie mit verhaltenstheoretischen Annahmen zu verfallen. Denn imaginative Geographien sind niemals nur das Produkt kognitiver Prozesse infolge der Wahrnehmung real vorhandener Wirklichkeiten. Ganz im Gegenteil sind die Bilder über etwas und/oder jemanden die Folge eines Zusammenspiels aus gesellschaftlicher Fantasie, Wunschvorstellungen und/oder auch Abgrenzungsbedürfnissen. In diesem Sinne sind auch Thomas Ahbes (2005) Thesen zu verstehen, der die Dichotomie zwischen Ost- und Westdeutschland entlang zweier Aspekte nachvollzieht. Zum einen müssen sich die Westdeutschen nach der Wende die Frage stellen, warum ein erfolgreiches marktwirtschaftliches und demokratisches Konzept in den neuen Ländern nicht wie erwünscht funktioniert, was mit einem demokratischen und sozial-marktwirtschaftlichen Defizit der Ostdeutschen beantwortet wurde. Zum zweiten erspart die Konzentration auf die Defizite der Ostdeutschen eine kritische Selbstreflexion über das eigene politische und wirtschaftliche System. Zur Konstruktion des eigenen (westdeutschen) dient der Osten als Projektionsfläche für all das, was die Westdeutschen nicht sind: rechtsextrem, ausländerfeindlich und arbeitslos sind Kategorien der Abgrenzung und stärken die Wir-Identität der westdeutschen Gesellschaft. Auch Peter Niedermüller (1997:5) argumentiert, dass der Osten eine politische, soziale und kulturelle Grenze Westeuropas bildet – eine Grenze, die den zivilisierten, entwickelten Westen vom gegenteiligen Osteuropa begrenzt. Diese Grenze ist ebenso wie die Konstruktion von Osteuropa ein symbolisches Mittel „mit dessen Hilfe Westeuropa seine andere Hälfte erfunden hat, um sich selbst zu definieren und identifizieren“. Dass Westdeutschland im Zuge dessen abwesend ist, ist kein Nachteil, sondern gerade eine wichtige Bedingung für erfolgreiche Konstruktionen und Projektionen. Nach Anke Grutschus und Peter Krilles (2010:9) ist Absenz ein „grundlegendes Charakteristikum des menschlichen Weltbezugs“ und kann einerseits als „menschliche Kultur-Aktivität als Absenzbewältigung oder andererseits „als Indiz einer versteckten Seinsfülle, die ihre ontologische Schlagkraft gerade dadurch entfaltet, dass sie sich entzieht“, verstanden werden. Beide Autorinnen weisen darauf hin, dass die Zuschreibung von Bedeutungsinhalten nicht als nachträgliches Füllen einer durch Abwesenheit bestehenden Lücke im Sinne der Reaktion und Repräsentation erfolgt. Ganz im Gegenteil führt die Absenz zur Konstruktion von Wirklichkeit, da sie „den nötigen Entfaltungsspielraum gibt und an diesem Handeln somit ursächlich beteiligt ist“. Die Autorinnen beziehen sich mit ihrer Absenztheorie auf Derrida, der ebenso auf den Umstand hinweist, dass der Zeichengebrauch nicht auf die tatsächliche Gegenwärtigkeit eines Referenten, sondern auf Absenz beruht, so das Sprache als Spiel von An- und Abwesenheit erscheint (Derrida 1976 [1967]). Mit Bezug auf Derrida ermöglicht die Absenz, dass sich ein Diskurs einerseits einer völligen Schließung verwehrt, andererseits aber auch immer wieder zu Ab- und Ausschlussversuchen motiviert. Und so ist festzuhalten, dass die Versuche der völligen Schließung von Ost- und Westdeutschland scheitern müssen, was den Willen zur Schließung noch erhöht. Das würde aber auch bedeuten, dass Diskurse über Ost- und
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Westdeutschland mit zeitlichem Abstand zur Wende von 1989 nicht weniger wichtig, sondern bedeutender für die soziale Konstruktion der deutschen Nach-Wende-Gesellschaft und ihrer Identitätssuche werden. Es soll hier nicht vernachlässigt werden, dass die Absenz westdeutscher Identitätskonstruktionen verstärkt auf diskursiver Ebene verhandelt wird, hingegen auf visueller Ebene „westdeutsche“ Imaginationen sehr stark präsent sind. Im Zuge der Visualisierung von Unterschiedlichkeit findet sich eine Vielzahl von Kartendarstellungen, die die Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland illustrieren. Das ethnographische Präsens wirkt hier durch Anschaulichkeit von Gegensätzen und hinterlässt visuelle Deskriptionen von „So ist (Ost)deutschland“. Westdeutschland ist hierbei zumindest visuell keineswegs abwesend, sondern dient dem Vergleich und gleichzeitig als Orientierung dafür, wie Ostdeutschland nicht ist. Im Zuge dessen erfolgen verschiedene Repräsentationen von Unterschiedlichkeit; Ostdeutschland ist nicht selten eine weiße, relativ homogene Fläche, die damit als leerer Raum erscheint, oder Ostdeutschland ist eine eher dunkle Fläche, wodurch eventuelle Differenzierungen wiederum ‚verschwimmen‘. Westdeutschland hingegen wird in dem überwiegenden Teil der Karten äußerst differenziert wiedergegeben, was sich nicht zuletzt auch sprachlich niederschlägt wie folgende Bilderklärung deutlich macht: „In der Altersklasse der 18- bis 29-Jährigen fehlen vielerorts Frauen. Der Mangel trifft vor allem die neuen Bundesländer. Hier wandern, auf der Suche nach Arbeit oder Partnern, weitaus mehr junge Frauen als Männer ab – und zwar in die wirtschaftlich prosperierenden Ballungsräume. Während in ländlichen Kreisen des Ostens teilweise nur noch 80 junge Frauen je 100 Männer in der gleichen Altersklasse leben, gibt es in Köln, Münster oder Hannover deutlich mehr Frauen als Männer. Abgesehen von der Tatsache, dass in frauenarmen Regionen weniger Familien gegründet werden können, ist bislang ungeklärt, welche Folgen stark männerlastige Bevölkerungsstrukturen für eine Gesellschaft haben. Vor allem wenn die zurückbleibenden, überzähligen Männer häufig arbeitslos, schlecht ausgebildet und sozial unterprivilegiert sind“ (Kröhnert et al. 2005:13). „Die Deutschen verlassen die entlegenen ländlichen Gebiete. Es zieht sie stattdessen in die Ballungsräume (…). Dieses Phänomen ist deutlich sichtbar in der Hauptstadt Berlin, aber auch in Hamburg, Bremen und München. Die Kreise mit den höchsten Zuwanderungsgewinnen liegen ausnahmslos in den Speckgürteln der Städte. Die größten Wanderungsverluste vermelden wirtschaftlich schwache Zonen wie das Ruhrgebiet, das Saarland, Südniedersachsen und Nordbayern. Auch ein Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer verliert der Osten massiv Bevölkerung durch Abwanderung.
23 Fotoalbum: Die Nachvoll‚seh‘barkeit „(…) wie in der folgenden Abbildung zu sehen ist (…)“,
Abbildung 16: Hauptströme der Ost-West-Wanderung 2003; Quelle: Friedrich (2008:207)
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Fotoalbum: Die Nachvollsehbarkeit
Bettina Heintz (2007:65) weist darauf hin, dass Zahlen immer dann zum Einsatz kommen, wenn persönliches Vertrauen innerhalb der Kommunikation nicht mehr gegeben ist und Verstehen nicht mehr über face-to-face-Interaktionen hergestellt werden kann. Damit einher geht der Übergang von der wissenschaftlichen Kommunikation als Austausch von Meinungen zur Vermittlung von Faktizität, die im Wesentlichen durch verschiedene Objektivitätsleistungen hergestellt werden muss. Der Messung und Berechnung erhobener Daten der natürlichen und sozialen Welt kommt hier eine zentrale Bedeutung zu, auch wenn dies grundsätzlich das Problem des „view from somewhere“ nicht löst, sondern nur verschiebt; nämlich von den Wissenschaftlerinnen als Aufzeichnungsgerät auf die Mess- und Beobachtungsverfahren. Das heißt, dass die Überzeugungsfähigkeit der Zahlen eine Folge des Vertrauens in die Zuverlässigkeit der Messverfahren und in die richtige Anwendung der Instrumente und Methoden ist. Dieses Vertrauen erfolgt mit Bezug zum Bundesamt für Statistik, das im Zuge performativen Anrufens als staatliche Institution Vertrauen schafft. Zudem wird Vertrauen in die ‚Richtigkeit‘ der wissenschaftlichen Aussagen durch eine weitere Darstellbarkeit sozialer Phänomene hergestellt, die neben Zahlen hohe Zustimmung hervorruft. Visualisierungen durch Karten, Grafiken, Diagramme und Tabellen sind eine weitere Objektivierungsstrategie der Wissenschaften, die nicht wie Zahlen auf Nachvoll‚zieh‘barkeit, sondern auf Nachvoll‚seh‘barkeit ausgerichtet ist. Das folgende Kapitel zeigt mit Blick auf die deutsche Bevölkerungs- und Migrationsforschung, dass Visualisierungen das Erzählte Geschlecht und den Erzählten Raum ebenso widerspiegeln wie das Heteronormativitäts-, Fertilitäts- und damit Naturalisierungsdispositiv sowie das Zahlen- respektive Ökonomisierungsdispositiv. Das heißt, dass in der Visualisierung sozialräumlicher Phänomene die Rationalitäten der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum zusammenkommen und diese ‚auf einen Blick‘ versinnbildlichen. Damit spielen sie eine wesentliche Rolle bei der Konstruktion sowie Vermittlung von wahrem Wissen und sie sind die zentralen Instrumente dafür, welche Vorstellungen über Personen und Orte im Hinblick auf Bevölkerung und Migration zirkulieren. Zudem bleibt festzuhalten, dass Visualisierungen nicht allein die Welt in spezifischer Weise erzählen, sondern gleichzeitig Argumente für wissenschaftliche Bemühungen bilden, die letztendlich auf die Legitimation der Scientific Community ausgerichtet sind. 23.1
Vom ‚Erkennen in‘ wissenschaftlichen Bildern
Die Bilddiskursanalyse führt vor jeder fachlichen Debatte zu der Erkenntnis, dass keine Tabelle, Grafik, Karte und kein Diagramm aus sich selbst heraus verstanden werden kann. Das heißt, dass das Verstehen von Visualisierungen unabhängig von den mitgelieferten Erklärungen und Erläuterungen in Form von Legenden, Bildinterpretationshilfen usw., eine Folge von Interpretationsschemata ist, die erlernt werden müssen. Das heißt, dass beim Kommunikationsprozess zwischen Produzentinnen und Empfängerinnen eines Bildes es auf die kognitiven Fähigkeiten respektive das Vorwissen der Empfängerinnen ankommt (Meusburger & Schuch 2011). Dass der Aufbau, die Struktur, Beschriftung, Farbgebung, Titel sowie Symbolik von Gra-
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fiken, Diagrammen, Tabellen und Karten interpretiert werden können, ist die Konsequenz habitueller Ressourcen, die sich Leserinnen im Laufe der Sozialisation – vor allem im Rahmen von Schul- und universitärer Ausbildung aneignen. Damit sind die Regeln, die Verständnis ermöglichen, vorgegeben. Um die Visualisierungen der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung verstehen zu können, bedarf es der Kenntnis nationalstaatlicher Rationalität, die sich zum Beispiel in Form der nationalstaatlichen Gliederung Deutschlands und ihrer entsprechenden Regionalisierungen in Bundesländer und Landeskreise sowie in Form von nationalstaatlichen Abgrenzungen gegenüber anderen Nationalstaaten zeigt. Dabei bildet das nationale Territorium einen einheitlichen Bezugsraum, der infolge statistischer Daten vom Statistischen Bundesamt eindeutig repräsentiert wird. Nationalstaatliche Abgrenzungen sind jedoch nur darstellbar, wenn vom Raumkonzept des Containerraumes ausgegangen wird, der das Denken von sozialen Inhalten einer bestimmten Region überhaupt erst ermöglicht und somit sozialräumliche Tatsachen erzählt werden können. Gleichzeitig bedarf es aber politisch-historischer Kenntnisse über die Teilung Deutschlands und deren räumliche Manifestierung durch den Mauerbau von 1961 sowie über die Wiedervereinigung von 1990, denn nur diese Kenntnisse ermöglichen das Verstehen von Verortungen wie Ost- und Westdeutschland, neue und alte Bundesländer sowie ostdeutsche/westdeutsche Frauen usw. Zudem bedarf es der Akzeptanz der Natürlichkeit angewendeter Kategorien wie Geschlecht und Alter, die ebenso wie Herkunft auch in differenzierter Form (junge Frauen, 18- bis 29-Jährige, ostdeutsche Städte, ostdeutsche Frauen usw.) detaillierte Tatsachen der Welt widerspiegeln. Damit einher geht sowohl die Akzeptanz von Heteronormativität als auch natürlicher Fruchtbarkeit. Ersteres bedeutet, dass ein Ungleichgewicht innerhalb heteronormativer Dualismen (junge Frauen – junge Männer) auf eine Abweichung innerhalb natürlicher Bevölkerungsstrukturen hinweist. Letzteres geht von der natürlichen Fertilität von Frauen (und Männern) aus, die selbstverständliche Handlungserwartungen wie Mutterschaft nach sich zieht. Weiterhin bedarf es einem Verständnis, das schon innerhalb der Metaphernanalyse zur Sprache gekommen ist. Metaphorische Konzepte dienen dazu, die Welt zu ordnen und zu strukturieren und sie kommen nicht nur diskursiv, sondern auch visuell zur Anwendung. So werden die Visualisierungen zum überwiegenden Teil durch das metaphorische Konzept oben = gut – unten = schlecht sowie viel = gut – wenig = schlecht organisiert. In diesem Sinne ist es möglich, Frauenmangel als Problem und positiven Wanderungssaldo als Stärke zu verstehen. In engem Zusammenhang mit den metaphorischen Konzepten bedarf es zum Verständnis von Tabellen, Grafiken, Diagrammen aber auch Karten eines Zahlenverständnisses (numeracy) sowie deren kartesische Organisation (z. B. Koordinatensystem, Balkenund Säulendiagramme, Jahreszahlenreihe). Die Soziokalkulation der bevölkerungsrelevanten Differenzierungen knüpft an den gewohnten Umgang mit der numerischen Umwelt an und ermöglicht das Interpretieren der Visualität im Sinne von viel – wenig, mehr – weniger, negativ – positiv. Schließlich – und das ist wohl die wesentliche Voraussetzung zur Interpretation von Visualität (ebenso wie von Diskursivität) – ist die Akzeptanz zu nennen, dass die ‚Abweichung‘ sozialräumlicher Phänomene von der ‚natürlichen Bevölkerungs-
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Abbildung 17: Geschätzter Einfluss des Alters auf die betriebliche Innovationswahrscheinlichkeit getrennt nach Kategorien der Innovationsintensität; Quelle: Ragnitz & Schneider (2007:199)
struktur‘ Auswirkungen auf die Gesellschaft hat und somit dringender Lösungen bedarf. Damit wird die Vorstellung von Kausalität in Gang gesetzt, die überhaupt erst die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit als auch die Lösung von Problemsituationen legitimiert. Es wird an dieser Stelle behauptet, dass das ‚Erkennen‘ von Wirkungs- und Auswirkungszusammenhängen überhaupt nur der Visualität obliegt. Denn die im Bild zusammengebrachten ‚Dinge‘ assoziieren Kausalität wie sie diskursiv – wenn überhaupt – nur im Zuge ausführlicher Beschreibungen nachvollziehbar wäre; im Bild aber „auf einen Blick“ erkennbar wird. Denn nur das Bild kann – entgegen der linearen und damit chronologisch erscheinenden Textstruktur – zwei oder mehr Dinge der sozialräumlichen Welt ebenso wie Ursachen und Wirkungen als gleichzeitig visualisieren (Abbildung 18). 23.2
Die Interpretation der Eindeutigkeit
Jedoch, selbst wenn diese Kenntnisse respektive Rationalitäten vorhanden sind, scheint sich die Interpretation der Bilder nicht von alleine zu ergeben. Die Repräsentation der Welt scheint nicht so eindeutig so sein, wie das Bild vorgibt, denn alle verwendeten Bilder werden von zusätzlichen Erklärungen und Erläuterungen begleitet. Darin zeigt sich einerseits, dass immer nur spezifische Ausschnitte aus der sozialräumlichen Welt dargestellt werden können, die zudem in die wissenschaftlichen Begriffs- und Berechnungssysteme transformiert werden, und aus diesem
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Abbildung 18: Frauenüberhang in Ostdeutschland; Quelle: Kröhnert & Klingholz (2007:71)
Grund einer Erläuterung bedürfen. Andererseits dienen die zusätzlichen Kommentare seitens der Wissenschaftlerinnen zur Anleitung, wie das Bild ‚richtig‘ zu verstehen sei. Damit lenken sie die Interpretation in eine bestimmte Richtung, was den Interpretationsspielraum einengt. Insgesamt werden im Zuge dessen die Erläuterungen als Bindeglied zwischen Deskription und Interpretation erkannt. „Bei der Interpretation der Karten ist zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Teil der dargestellten Nettomigrationsraten nicht durch großräumige Ost-West-Wanderungen, sondern durch die nachholende Suburbanisierung der 90er-Jahre – also durch kleinräumige Stadt-Umland-Wanderungen – verursacht ist“ (Kubis & Schneider 2008a:130). „Zur Charakterisierung dieser vier Phasen sollen zunächst die Variationen der Saldenraten nach den 9 siedlungsstrukturellen Kreistypen des BBR dargestellt werden. Dazu wurden für die Phasen und die Kreistypen Saldenraten ermittelt und zur Vergleichbarkeit auf jeweils ein Jahr umgerechnet. Die Jahre 1984 und 1988 bleiben als Übergangsjahre außer Betracht. Tab. 1 zeigt die Ergebnisse“ (Kemper 1999:112). „In Abbildung 2 sind die Binnenwanderungssalden – relativiert an der Bevölkerungszahl der Kreise – für die beiden Zeiträume dargestellt. Das Diagramm zeigt auch Effekte der interregionalen Wanderungen, die definitionsgemäß eine Teilmenge der Wanderungen über Kreisgrenzen sein müssen. Berücksichtigt man aber, dass kleinräumige Wanderungen häufiger als großräumige auftreten, dann ist hier vor allem die Differenzierung innerhalb der Regionen sichtbar“ (Schlömer 2004:100). „Abbildung 4 zeigt die Zuzüge und Fortzüge der erwähnten Altersgruppe, jeweils relativiert an der Bevölkerung und kumuliert über den gesamten Zeitraum 1991 bis 2000. Die Sonderfälle von
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Fotoalbum: Die Nachvollsehbarkeit Regionen mit Aufnahmelagern sind ausgeklammert. Weiterhin sind die Regionen nach ihrer Zugehörigkeit zu den siedlungsstrukturellen Raumkategorien des BBR unterschieden. Diese Einteilung zeigt aber wenig markante Muster. Immerhin ist die Tendenz zu positiven Salden beiden Agglomerationsräumen, insbesondere in den alten Ländern (und in Berlin) besonders ausgeprägt. (...) Die Agglomerationsräume mit negativen Salden sind dagegen durchweg altindustrialisierte Räume (Saarland, Ruhrgebiet). Diese Konzentration lässt immerhin wirtschaftsstrukturelle Merkmale in den Vordergrund treten und stützt damit die pauschal unterstellten Zusammenhänge mit arbeitsmarktrelevanten Eigenschaften“ (Schlömer 2004:104). „Über die zukünftige Entwicklung der Fruchtbarkeit in Ostdeutschland lassen sich, wie ein Blick in die heute vorliegenden Prognosen aus den letzten Jahren (vgl. Tabelle 2) zeigt, ganz unterschiedliche Annahmen treffen. Die höchsten Annahmen kamen von der UN-Population Division. Sie wurden noch vor der deutschen Vereinigung erstellt, aber erst danach publiziert (UN World Population Prospects 1990, 1991). Die obere UN-Variante, die fast dem einfachen Reproduktionsniveau entspricht (TFR 2.1 Kinder), wäre allerdings selbst bei Weiterbestehen der DDR kaum eingetroffen. Dieser Annahme liegen eher normative Vorstellungen über einen Wiederanstieg der Fruchtbarkeit in entwickelten Industriegesellschaften und über ein langfristiges Gleichgewicht zwischen Geburten und Sterbefällen zugrunde. Seit 1992 publiziert die UN nur noch Prognosen für Gesamtdeutschland“ (Münz & Ulrich 1994:4).
Dabei ist festzuhalten, dass die Kommentare und Erläuterungen nicht nur die Interpretation der Visualisierung lenken, sondern dass erst die Interpretation der aufgeführten, organisierten, strukturierten, differenzierten usw. Zahlen in Form von Reihen, Regionalisierungen in Form von Flächen, Kategorisierungen in Form von Personengruppen und / oder Normierungen in Form von gruppenspezifischen Handlungen das Bild kontextualisiert. Somit entstehen erst aus einer Vielzahl möglicher sozialräumlicher Phänomene eben diese sozialräumlichen Probleme (Abbildung 19 und 20).
Abbildung 19: Europäische Regionen mit dem größten Frauendefizit bei den 25- bis 29-Jahrigen (2001); Quelle: Kröhnert & Klingholz (2007:38)
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23.3
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Zeigen – Bestätigen – Verdeutlichen
Kommen innerhalb wissenschaftlicher Arbeiten Bilder im Sinne von Tabellen, Grafiken, Diagrammen oder Karten zur Anwendung, dann ‚zeigen‘ sie die diskutierten sozialräumlichen Probleme, sie ‚bestätigen‘ die Vermutungen und sie ‚verdeutlichen‘ das Phänomen, die Auswirkungen und/oder Konsequenzen; das wissenschaftliche Bild fungiert also als Beweis und Argument. Die semantischen Höfe der Begriffe „zeigen“87, „bestätigen“88 sowie „verdeutlichen“89 sind überaus breit, was ihre vielseitige Anwendung erkennen lässt. Erstens dienen Bilder der Demonstration, indem sie darauf hinweisen, dass die diskursiv verhandelten sozialräumlichen Phänomene der Welt in ihrer Komplexität zweidimensional abbildbar sind. Die Demonstration leistet damit die Transformation von einem Sprachbild (Wanderungen in Deutschland) zum fotographischen Foto (Abbildung der Wanderungen in Deutschland) – also vom diskursiven Text zum Bild im Sinne von: „(…) auf der Abbildung sind die Hauptströme der Binnenwanderungen Deutschlands zu sehen“. Auf diese Weise erweitert der Demonstrationszweck das geistige Verstehen diskursiver Aussagen um die sinnliche Wahrnehmung, denn „auf der Abbildung“ oder „in der Graphik“ wird „etwas erkennbar“. Damit dienen Bilder zweitens der Versinnbildlichung des Diskursiven. Das heißt, dass sie im Zuge der Demonstration Ideen zu Dingen vergegenständlichen – ihnen also eine Gestalt verleihen, die sie im Diskursiven nicht besitzen. In dieser Sichtbarmachung liegt drittens die Eigenschaft von Bildern begründet, die Transformation von Wissen in Wahrheit zu gewährleisten. Infolgedessen erscheinen Bilder als Fakten und damit als tatsächlicher Ausschnitt aus der alltäglichen Welt, der ihre objektive Verwendung entgegen subjektiver Benutzung arrangiert. Die Konsequenz von Demonstration, Versinnbildlichung und Transformation ist viertens die Möglichkeit Bilder als Objekte für das Beweisen und Argumentieren innerhalb wissenschaftlicher Texte zu verwenden. Denn sie verifizieren eine Aussage und sie sind ein Dokument – also ein Zeuge – für die Existenz eines sozialräumlichen Phänomens mit spezifischen Eigenschaften, Ausprägungen und Auswirkungen. Das macht sie fünftens zu einem wichtigen Argumentationsmittel für die wissenschaftliche Tätigkeit. Denn die Bilder dienen der Wissenschaft als Handlungsmuster des Warnens und Aufrüttelns, womit sie als illokutionärer Akt auf einen perlokutionären Akt hinarbeiten. So zum Beispiel legitimiert die Existenz eines sozialräumlichen Phänomens die wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens. „Abbildung 1 zeigt die Raten des regionalen Wanderungssaldos der Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren für das Jahr 2005 auf Kreisebene. (…) Es wird erkennbar, daß über zwei Drittel der deutschen Kreise per saldo einen wanderungsbedingten Verlust an Frauen in der untersuchten Altersgruppe aufweisen (weiß und hellgrau)“ (Kubis & Schneider 2007:299). „Tabelle 1 verdeutlicht darüber hinaus, daß die Alterung nicht nur die Gesamtbevölkerung betrifft, sondern ebenso das Erwerbspotenzial. Dessen Durchschnittsalter wird sich im betrachteten Zeitraum von 2002 bis 2020 um drei Jahre erhöhen. (…) Abbildung 3 verdeutlicht den Einfluß des Alters auf die Gründungsentscheidung in den ostdeutschen und westdeutschen Bundeslän87 88 89
entfalten, entwickeln, bilden; hinweisen, hinzeigen; signalisieren, demonstrieren, dokumentieren; enthüllen, herausstellen, klar werden, sichtbar werden; vermitteln, nahebringen beglaubigen, anerkennen; beurteilen, verifizieren, bewahrheiten; festigen, erweisen argumentieren, begründen, plädieren
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Fotoalbum: Die Nachvollsehbarkeit dern. Sowohl für Ost- als auch für Westdeutschland zeigen sich erhebliche Unterschiede in der Gründungsneigung verschiedener Altersgruppen“ (Ragnitz & Schneider 2007:197ff). „Viele ostdeutsche Landkreise fallen in Abb. II in Kategorien mit einer relativ geringen (positiven) Differenz zwischen weiblichen und männlichen Zuzugsraten (helle Färbung). Anders stellt sich dies nur für die ostdeutschen Großstädte und Berlin dar, wo die Zuzugsraten der Frauen jene der Männer überwiegen, die Fortzugsraten jedoch nicht in gleicher Deutlichkeit. Nochmals verdeutlicht wird dies in Abb. 12, welche die mittleren Zu- und Fortzugsraten in Ost- und Westdeutschland nach Landkreisen und kreisfreien Städte darstellt“ (Kröhnert 2009:64).
Der Akt des Hinweisens auf ein sozialräumliches Problem und dessen potenziellen Probleminhalten erfolgt in allen wissenschaftlichen Bildern. Vor allem aber in Bilderreihen kommt es zur Demonstration und zur Versinnbildlichung von Problemkumulationen, die ihre Wirkungsmacht durch Wiederholung und gleichzeitiger Veränderung entfalten (siehe Abbildung 20). Zudem dienen die Bilder aber auch als Argument für spezifische Handlungsmöglichkeiten und -empfehlungen. Denn weil Bilder etwas „zeigen“ und „verdeutlichen“, helfen sie dabei, eine Entscheidung zu treffen, die daraufhin nicht mehr als politische, sondern als logische Entscheidung – im Sinne von folgerichtig und vernunftmäßig – erscheint. „Die Abbildung verdeutlicht: je später die Investitionen getätigt werden, desto geringer sind die Erträge; im fortgeschrittenen Erwachsenenalter (45 bis 51 Jahren) ist kaum noch ein Humankapitalzuwachs zu erreichen. Abschließend gehen wir detaillierter darauf ein, welchen Einfluss diese Interventionen für die Humankapitalbildung haben. Sollte die Politik bei gegebenen Ressourcen eher in Kinder investieren, die aufgrund ihres Familienhintergrundes benachteiligt sind, oder eher in begünstigte Kinder? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob die Gesellschaft eher nur die Summe der Wirtschaftsleistungen oder auch eher deren Verteilung beachten möchte (siehe Abb. 4). Wird eine Maximierung der Summe des Humankapitals von der Gesellschaft angestrebt, erscheint es am effektivsten, in bereits von ihrem Familienhintergrund bevorzugte Kinder zu investieren, da sich vorhandene Fähigkeiten und Bildungsinvestitionen im Simulationsmodell in hohem Maße begünstigen. Besteht das gesellschaftliche Ziel in der Maximierung des individuellen Humankapitalzuwachses, ist es jedoch am effektivsten, in benachteiligte Kinder zu investieren, da der Zuwachs bei benachteiligten Kindern am höchsten ist. Besteht das Ziel zudem in der Verringerung von Ungleichheit, sollten ebenfalls benachteiligte Kinder gefördert werden. Mithilfe des Simulationsmodells wurde zweitens versucht herauszufinden, ob man bei gegebenen Ressourcen eher in Kinder investieren sollte, die eine hohe oder geringere Begabung aufweisen. Begabte Kinder haben im Modell mehr Möglichkeiten, aus einem vorhandenen Bildungsimpuls Verbesserungen ihrer Fähigkeiten zu erzielen. Die Antwort auf diese Frage hängt von der gesellschaftlichen Zielsetzung ab“ (Schultz 2008:48f).
23.4
Übersichtlichkeit – Vergleich – Unterhaltung
Kommunikation stellt eine Verbindung zwischen Kommunizierenden her, die der Übermittlung von Informationen im Sinne von Gedanken, Ideen, Wissen, Kenntnissen usw. besteht. Es wird an anderer Stelle schon darauf hingewiesen, dass sich die wissenschaftliche Kommunikation in Form wissenschaftlicher Artikel vor allem dadurch auszeichnet, dass sie Informationen über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg zwischen meist unbekannten Sprecherinnen vermittelt und aufgrund dessen spezifische Formen der Vermittlung von Wissen in Gang setzen muss,
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um Glaubwürdigkeit zu erlangen. Wie der vorangehende Abschnitt betont, spielt das Bild durch dessen Fähigkeit der Demonstration, Versinnbildlichung sowie Transformation bei der Erzeugung von Wahrheit und damit Glaubhaftigkeit eine große Rolle. Es beweist diskursive Aussagen und dient damit der Argumentation und Durchsetzung für wissenschaftliche Positionen und/oder Handlungsempfehlungen. Daneben dient das Bild aber ganz generell als Kommunikationsmittel, das die Ordnung und Gliederung des erhobenen Materials (siehe Tabelle 10) ebenso gewährleistet wie einen Vergleich durch Aufbrechen der linearen Textstruktur. Im Zuge dessen darf nicht vergessen werden, dass das Bild neben der Orientierung der Leserinnen, der Übersicht über ein Thema oder dem Vergleich mehrerer ‚Dinge‘ auch der Unterhaltung, das heißt der emotionalen Einbindung der Leserinnen, dient (Abbildung 21). Denn Bilder verstärken und vergegenständlichen nicht nur scheinbare Tatsachen und Gegenstände, sondern sie besitzen auch die Fähigkeit Emotionales sichtbar zu machen. Diese Eigenschaft der Visualität kommt besonders
Abbildung 20: Prozentualer Anteil der unter 20-Jährigen im Vergleich zu jenem der über 60-Jährigen; Quelle: Kröhnert et al. (2005:15)
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Fotoalbum: Die Nachvollsehbarkeit
dann zur Anwendung, wenn das Diskursive die Scientific Community verlassen und im Rahmen gesellschaftlicher Debatten Aufmerksamkeit erregen soll.
Abbildung 21: Titelbild der Studie des Berlin-Institutes für Bevölkerung und Entwicklung „Not am Mann“; Quelle: Kröhnert & Klingholz (2007)
23.5
Vergangen – augenblicklich – zukünftig
Darüber hinaus besteht das beeindruckende der Visualität aber vor allem darin, dass sie erstens glaubwürdig Dinge der Zukunft präsentieren, zweitens Dinge der Gegenwart und der Zukunft mit der Vergangenheit in Beziehung setzen und drittens, trotz völlig anderer gesellschaftlicher Bedingungen in Vergangenheit und möglicher Zukunft, einen Vergleich herstellen kann. Das Bild dient damit als Mittel der Gleichzeitigkeit, denn es zeigt eine Realität, die es (noch gar) nicht gibt (Abbildung 22) oder sogar noch nie gegeben hat (Abbildung 23). Durch die Sichtbarkeit des Möglichen und Zukünftigen wird das Potenzielle jedoch überaus präsent. Das Mögliche und Zukünftige wird in den momentanen Augenblick gerückt und erscheint damit anwesend und allgegenwärtig und damit nicht mehr als Wahrscheinlichkeit, sondern als Tatsache. Dies wiederum gewährleistet die diskursiven Auseinandersetzungen mit dem Möglichen und Zukünftigen sowie die darauf folgenden Warnungen und Handlungsempfehlungen. Das Bild als Mittel der Gleichzeitigkeit kombiniert die Überzeugungsfähigkeiten quasi-logischer Argumente mit Kausalargumenten sowie Zweck-Mittel-Argumenten und pragmatischen Argumenten und bietet als Kombination von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einen Blick die Kontextualisierung der wissenschaftlichen Bemühungen und deren Legitimation.
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Abbildung 22: Koordinierte Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes bis 2060 mit einer Fruchtbarkeitsrate von 1,6 Kindern je Frau; Quelle: www.destatis.de
Abbildung 23: Mit den jungen Frauen wandern die potenziellen Mütter ab; Quelle: Kröhnert & Klingholz (2007:73)
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24 Reiseerzählung 9: Popularisierung „(…) Schrumpfungslandschaften und Problemregionen (…)“
Vom wissenschaftlichen zum öffentlichen Wissen erfahren die Erkenntnisse der Wissenschaft eine Transformation, die als Popularisierung bezeichnet wird. Das Adjektiv „populär“ hat seinen Ursprung im 18. Jahrhundert und bezeichnet in dieser Zeit das, „was dem Volk angemessen scheint (…) und was das Volk schätzt“ (Kretschmann 2003:8). Es beschreibt damit die Bemühungen um die Volksgunst, andererseits erhält der Begriff durch die Notwendigkeit zur Allgemeinverständlichkeit aber auch die Bedeutung von Vereinfachung. In beiden Fällen darf die Popularisierung jedoch nicht als bloße Übersetzung komplexer wissenschaftlicher Begriffe in die Alltagssprache verstanden werden. Ganz im Gegenteil bedarf sie konkreter Praktiken, die wissenschaftliches Wissen in der Öffentlichkeit bekannt machen und Zustimmung hervorrufen. Wissenschaft bemüht sich spätestens seit dem 20. Jahrhundert um eine hinreichende Popularisierung, da davon sowohl der wissenschaftliche Nachwuchs als auch die öffentliche Finanzierung abhängen. So zeigen eindrückliche Arbeiten wie von Stefanie Samida (2011), Sybilla Nikolow und Lars Bluma (2009) sowie Petra Boden und Dorit Müller (2009) unterschiedliche Popularisierungsstrategien der Wissenschaft vor allem auch im Hinblick auf die veränder-
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Reiseerzählung 9: Popularisierung
ten Popularisierungstechniken des 19. zum 20. und nicht zuletzt 21. Jahrhunderts90. Dabei ist festzuhalten, dass diese Arbeiten grundsätzlich die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem und populärem Wissen ganz im Sinne einer postobjektivistischen Wissenschaftsforschung aufgeben und allein analytisch daran festhalten. Das folgende Kapitel nimmt die Chance wahr, über die wissenschaftlichen Erkenntnisprozesse hinaus die Frage nach den Popularisierungsstrategien der deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung zu stellen. Damit wird einerseits ersichtlich, welche Erzählungen erfolgreich sind, also welche sich durchsetzen können und Einfluss auf öffentliche Debatten haben. Andererseits bietet diese Rekonstruktion einen Blick auf die im Zuge der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum in Gang gesetzten gesellschaftlichen Verhandlungen. 24.1
Wissen populär machen
Carsten Kretschmann (2003:7) erzählt in seinem Buch „Wissenspopularisierung. Konzepte der Wissensverbreitung im Wandel“ einen Streit zwischen den Mitgliedern der Frankfurter Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft91 nach. Während einige das „Bildungsmonopol der besitzenden Klassen“ nicht weiter hinnehmen wollen und eine Erweiterung der Öffnungszeiten des Senckenberg-Museums plädieren, um auch interessierten Arbeitern den Besuch an Sonntagen zu ermöglichen, warnen andere vor der „Popularisierung der Naturwissenschaften“ und der „Arbeiterbildung“. Dieser Streit zeigt erstens, wie wenig die aufstrebenden (Natur)wissenschaften im 19. Jahrhundert an einer Popularisierung ihres Wissens interessiert und zweitens wie wenig sie davon abhängig sind. Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts ändert sich das radikal im Zuge der Infragestellung immer weiteren technischen Fortschritts, der immer neue Probleme schafft. Zudem ermöglicht die Demokratisierung eine Diskussion über die Verteilung staatlicher Mittel und die Forderungen seitens der Gesellschaft nach sinnund wertvoller vor allem aber zweckmäßiger Forschung. Damit sind die Verteilung finanzieller Mittel, aber auch die infrastrukturelle Ausstattung von wissenschaftlichen Disziplinen, Institutionen und Forschungsgruppen und das Prestige der Wissenschaftlerinnen im Wesentlichen abhängig von der öffentlichen Meinung. Infolgedessen müssen die Wissenschaftlerinnen auch den tiefen Graben, den die Institutionalisierung, Professionalisierung und Spezialisierung der Wissenschaft zwischen Alltagswelt und Wissenschaft entstehen lässt, wieder überbrücken; und dazu bedarf es mehr Popularisierungsstrategien als Wissenschaftler im 19. Jahrhundert bereit sind zu bieten. Da gilt Popularisierung als ein hierarchischer Wissenstransfer, der ausgewählte Informationen von einem homogenen Expertenkreis an ein Laienpublikum überträgt und somit 90
91
Die Wissenschaftsforschung beschäftigt sich im Hinblick auf die Popularisierung des Wissens vor allem mit den Popularisierungsstrategien des 19. und 20. Jahrhunderts. Es mangelt jedoch an Arbeiten zum 21. Jahrhundert und damit zu den aktuell angewandten Popularisierungsstrategien. Nach Kretschmann (2003:8) ist das dem Umstand geschuldet, dass Popularisierung vor allem mit Wissenschaftspopularisierung assoziiert wird und im 19. Jahrhundert die ‚Öffentlichmachung‘ der Wissenschaften beginnt. Die Informationen entlehnt Kretschmann dem Sitzungsprotokoll der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft vom 17.03.1894, SNG Archiv Band 8, Seite 50.
Reiseerzählung 9: Popularisierung
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popularisierende Darstellungsformen als „Herabziehen in das Gemeine und das platte Verständlichmachen“ (von Liebig 1844, zit. in Kretschmann 2003:8f) abwürdigt. Wissenschaftler sind hierbei „Vermittler der höheren fortschreitenden Kultur“ und die Laien sind die, wo „der wissenschaftliche Geist und Gang aufhöre“ (Greiling 1805, zit. in Kretschmann 2009:18f). Neue Ansätze der Popularisierung von Wissen ermöglichen seit den 1980er-Jahren die Wahrnehmung von Laien als Teilnehmerinnen der Wissenschaftskommunikation (vgl. Shinns & Whitley 1985). Wissenschaftlerinnen und Öffentlichkeit treten in einen interaktiven Kommunikationsprozess, der Verständnis für das wissenschaftliche Thema herstellen und von der Gemeinnützigkeit des wissenschaftlichen Feldes überzeugen soll. Das heißt auch, dass die Popularisierung von Wissen grundsätzlich die Absicht hat, auf die Bedeutung einer wissenschaftlichen Disziplin respektive eines wissenschaftlichen Feldes für die Gesellschaft hinzuweisen, um damit das Prestige der Forscherinnen sowie der Ergebnisse zu erhöhen. Bevor jedoch die Bedeutung betont werden kann, muss die Öffentlichkeit erstens aufmerksam werden, sie muss zweitens das wissenschaftliche Problemfeld verstehen und dieses drittens ebenfalls als Problem deuten. Zur Popularisierung wissenschaftlichen Wissens werden vielfältige Strategien angewendet wie Spielfilme, Dokumentationen, Wissensaufbereitung in Museen (z. B. Naturkundemuseen), Ausstellungen (z. B. Weltausstellungen), Lexika (z. B. Brockhaus, Wikipedia) und/oder die Darstellungen in Diagrammen, Tabellen, Grafiken und Karten, wie sie in täglichen Nachrichten und den Printmedien Anwendung finden. Das folgende Kapitel konzentriert sich auf die Medialisierung in den auflagenstärksten deutschen Printmedien sowie der Politisierung der Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum. 24.2
Verschlagworten – Vergleichen – Vereinnahmen
Ludwik Fleck (1936:94) weist darauf hin, dass Popularisierung mit Propaganda und Legitimation in Zusammenhang steht und sich für eine erfolgreiche Durchsetzung eines Schlagwortes bedienen muss, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Innerhalb der deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung spielen Schlagwörter nicht nur für die Popularisierung, sondern auch innerhalb der Scientific Community eine große Rolle. Die vorangehenden Kapitel zeigen, dass Nominalisierung eine Strategie der wissenschaftlichen Narration darstellt, die Diskussionen über die Existenz eines sozialräumlichen Phänomens umgehen und das Erzählen über die entsprechenden Auswirkungen ermöglicht. Aus diesem Grund weist die Bevölkerungs- und Migrationsforschung ein großes Repertoire an Nominalkonstruktionen aus, die im Zuge der Popularisierung problemlos als Schlagwörter benutzt werden können. „Demographie-Prognose: Deutschland sieht in 50 Jahren sehr alt aus“ (Spiegel Online 18.11.2009), „Unternehmen befürchten Vergreisung ihrer Belegschaften“ (Spiegel Online 30.12.2010), „Schrumpf-Schulen: Schülerzahl sinkt bis mindestens 2020“ (Spiegel Online 26.02.2007), „(…) in 12 Generationen sind wir Deutschen ausgestorben“ (Bild 14.03.2006), „2030 – Odyssee in eine gealterte Gesellschaft“ (Faz 13.03.2012), „Abgabe für Kinderlose?“ (FAZ 16.02.12), „Geburtenrate: Fruchtbare Politik“ (Faz 04.12.11), „Deutschland wird trotz Familienpolitik schrumpfen“ (Focus 11.10.2012), „Mangelware Kind“ (Focus 13.09.2010), „Bundeswehrreform: Die Demographie setzt eine Grenze bei 180.000 Soldaten“ (Focus 30.08.2010).
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Reiseerzählung 9: Popularisierung
Im Zuge dessen bieten die Headlines der verschiedenen überregionalen Zeitungen eine große Anzahl von Schlagwörtern, die das komplexe Feld der Forschungen zu Bevölkerung und Raum prägnant präsentieren, wie z. B. Schrumpfungslandschaften, Schrumpfungsregionen, Verlierer- und Gewinnerregionen, Bevölkerungsschwund, schrumpfen, Abwanderung, Überalterung, Kinderlosigkeit, Geburtenrate, und die sich dann innerhalb der medialen Repräsentation wiederfinden. „Ein erster Befund: Der Osten verliert, der Westen gewinnt. Unter den 87 untersuchten ostdeutschen Kreisen weisen lediglich drei ein Beschäftigungswachstum auf, unter den 325 westdeutschen Kreisen sind es 191, also fast 60 Prozent. Immerhin, 20 Jahre nach der Einheit tut sich was, es geht nicht mehr überall bergab in Ostdeutschland“ (Die Welt 14.01.2012). „Nach Angaben des Statistischen Bundesamts leben heute eine halbe Million Menschen weniger in Deutschland als noch im Jahr 2003. 14 Millionen weniger sollen es 2050 sein. Zwei Strategien hat die Politik bisher verfolgt, um dem Problem Bevölkerungsschwund zu begegnen: anpassen oder gegensteuern. Entweder wird mit öffentlichen Subventionen versucht, neue Industriebetriebe oder Gewerbe anzusiedeln, was in Regionen wie Dresden, Leipzig oder Erfurt teilweise gelingen mag. Allerdings hat dies zur Folge, dass die Menschen aus dem Umland dieser Städte in die Zentren selbst ziehen. Die andere Strategie setzt auf den Abbau der Infrastruktur in ganzen Regionen. Schulen werden geschlossen, der öffentliche Nahverkehr reduziert, Ämter zusammengelegt. Kurz: Man fügt sich dem Schwund“ (Spiegel 22.06.2009). „Und nicht nur von dort. Über 1,5 Millionen Ostdeutsche haben seit dem Mauerfall ihre Heimat in Richtung Westen verlassen. Das hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung kürzlich durch seine Studie ‚Not am Mann‘ öffentlich gemacht. An manchen Orten ist die Abwanderung größer als in den europäischen Polarregionen, beklagte Institutsleiter Reiner Klingholz“ (Taz 25.06.2007). „Selbst massive Subventionen und beste Familienpolitik könnten Abwanderung und Überalterung in den Problemregionen nicht stoppen. Die Medien berichteten damals über teure, aber wirkungslose Projekte. Auch unter Tiefensee war die Veröffentlichung der Studie umstritten“ (Taz 27.02.2012). „Die Behörde in Wiesbaden sieht im Trend zur Kinderlosigkeit einen der Hauptgründe für die niedrige Geburtenrate in Deutschland. Dass immer weniger Kinder geboren werden, habe weniger damit zu tun, dass Mütter statt zwei oder drei nur ein Kind bekämen, sondern dass einige Frauen sich ganz gegen Nachwuchs entschieden“ (Taz 30.07.2009).
Neben Schlagwörtern sind es vor allem auch Vergleiche, die als Strategien der Popularisierung zu erkennen sind, da sie den Vorstellungsraum wissenschaftlichen Wissens auf eine alltagsweltliche Ebene transportieren, indem sie auf die meist dualistisch strukturierten alltäglichen Kenntnisse und Imaginationen (Skandinavische Ländern = gut; Osteuropa = nicht gut) über Personen und Orte zurückgreifen und damit die bestehenden Vorstellungen reproduzieren. „Von 285 untersuchten Regionen in Europa landete das ostdeutsche Bundesland auf Platz 241. Sonst sind in diesem Bereich eher entlegene Gebiete in Rumänien, Bulgarien, Polen oder Süditalien zu finden. (…) Verglichen hatte das Institut alle 27 EU-Staaten sowie Island, Norwegen und die Schweiz. Auf Platz eins rangiert Island, gefolgt von Stockholm und Oslo. Die beiden letzten Plätze belegen bulgarische Gebiete. Als zukunftsfähigste Regionen Deutschlands folgen nach Oberbayern Freiburg, Tübingen und Stuttgart. Mecklenburg-Vorpommern schneidet nur etwas besser ab als das Schlusslicht Sachsen-Anhalt“ (Spiegel Online 21.08.2008) „Im wöchentlichen Turnus könnte Unterricht in Zwergschulen an verschiedenen Orten abgehalten werden. Lehrer könnten aus einer Zentrale zugeteilt werden. Außerdem empfiehlt das
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Berlin-Institut, die Möglichkeit von Fernunterricht zu nutzen, wie dies etwa in entlegenen Regionen Skandinaviens oder in Australien üblich ist“ (Spiegel 22.06.2009). „In Europas Industrienationen ist diese magische Grenze längst unterschritten. Japan, das Land mit der höchsten Lebenserwartung, hat zugleich mit 1,2 eine der niedrigsten Geburtenraten. Ebenso wie beispielsweise in Russland, Bulgarien und der Ukraine sinkt hier die Bevölkerungszahl bereits. Und auch die Deutschen würden ohne Einwanderung schon heute zur Gruppe der schrumpfenden Völker zählen“ (Spiegel Online 31.10.2011). „Heute wird in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Ein Thema hat den Wahlkampf dominiert: der demographische Wandel. Konkret heißt das: Immer mehr junge Menschen wandern ab, nur die Alten bleiben zurück, Dorfgemeinschaften funktionieren nicht mehr. In manchen Gegenden Mecklenburg-Vorpommerns ist die Bevölkerungsdichte so gering wie in Simbabwe. Die Politiker versuchen gegenzusteuern und den Bevölkerungsschwund offensiv zu gestalten. Nur: Wie?“ (Die Süddeutsche Zeitung 04.09.2011).
Schlagwörter ermöglichen durch ihre Präsenz die Wahrnehmung eines Sachverhaltes und Vergleiche durch die Besser-schlechter-Rhetorik wiederum die Wahrnehmung eines problematischen Sachverhaltes. Die Konsequenz beider Strategien ist die Motivation zur Lösung der Problemsituation, die zudem durch die Strategie der Vereinnahmung erhöht wird, indem zum Beispiel die rhetorische Anrufung eines ‚wir‘ oder ‚Deutschlands‘ und / oder rhetorische Akte des Warnens erfolgen. „Wir müssen jetzt radikal neue Voraussetzungen für einen generellen Wandel schaffen, sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung“ (Spiegel 22.06.2009). „Nur 676 000 Kinder kamen 2005 zur Welt, der niedrigste Stand seit dem 2. Weltkrieg, meldet das Bundesamt für Statistik. Experten warnen: Wir Deutschen sterben aus, in kaum mehr als 12 Generationen! Die Fakten: In den nächsten 44 Jahren (bis 2050) wird die Zahl der Deutschen um 12,5 Mio. sinken – von heute 82 auf knapp 70 Mio. Menschen. ‚Der Trend setzt sich fort, wenn nichts geschieht‘, warnt Deutschlands bekanntester Bevölkerungswissenschaftler Prof. Herwig Birg: ‚2100 wird die Zahl der Deutschen auf 46 Mio. geschrumpft sein, 2300 liegen wir bei 3 Mio., also kurz vorm Aussterben‚ – und das in nur 12 Generationen! Die Deutschen, eine bedrohte Spezies?“ (Bild 15.03.2006). „Das Wissen um solche Zusammenhänge ist alt. Schon Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. hatte erkannt: Die Bevölkerung ist der Reichtum eines Landes. Können immer weniger Menschen überhaupt noch ökonomisches Wachstum erwirtschaften? Wir werden uns davon verabschieden müssen, den Erfolg unseres Landes am Bruttonationaleinkommen zu messen, glaubt Demograf Klingholz“ (Spiegel Online 31.10.2011). „Gesucht sind vor allem Ingenieure, Physiker, IT-Experten, aber auch Pflegekräfte. Wir brauchen also am besten ab sofort viele qualifizierte Arbeitskräfte, die aus allen möglichen Ländern zu uns ziehen. Sonst wird Deutschland auf Dauer zu stark überaltern und schlicht nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Statistiker haben berechnet, dass die Zahl der Erwerbsfähigen in Deutschland bis 2050 wegen des Geburtenrückgangs um 30 Prozent schrumpfen wird, in Ostdeutschland sogar um 50 Prozent. Da müssen wir jetzt reagieren“ (Die Zeit 12.10.2012).
Dabei geht es um die Identifikation einer spezifischen Gruppe mit einer Problemsituation und letztendlich um die Erkenntnis der Leserinnen, dass sie individuell wenig erreichen können und daher die Lösung des Problems an die Wissenschaft übergeben. Damit steigt das Prestige einer wissenschaftlichen Disziplin und vor allem das ihrer Vertreterinnen.
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Reiseerzählung 9: Popularisierung
23.3
Demographisieren – Problematisieren – Politisieren
Die vorangegangenen Kapitel machen deutlich, dass die wissenschaftlichen Bemühungen nicht auf der ‚deskriptiven‘ Ebene verweilen, sondern darüber hinaus soziale Problemsituationen mit Blick auf die bevölkerungsrelevanten Veränderungen erklären. Dies erfährt aber vor allem eine Radikalisierung, wenn es zur Popularisierung wissenschaftlichen Wissens kommt. So erfolgt im Zuge der Transformation von wissenschaftlichem zu öffentlichem Wissen über die Bevölkerung keine bloße Darstellung scheinbarer sozialräumlicher Tatsachen, sondern vordergründig dessen Einfluss auf bestehende sozialräumliche Systeme und damit auf die Stabilität der national organisierten Gesellschaft. Das heißt, dass die wahrgenommenen bevölkerungsrelevanten Veränderungen als Ursache für vielfältige wahrgenommene soziale Problemlagen dienen. Reinhold Sackmann und Walter Bartl (2007) bezeichnen dies als Demographisierung, die als Bewältigungsform für sozialräumliche Konflikte dient, wenn andere Problematisierungen respektive deren Lösungen gescheitert sind. Beide Autoren bescheinigen der Bevölkerungsforschung große Fähigkeiten, die Bevölkerungsstruktur immer wieder als „Huckepackthema“ für sozialräumliche Konflikte innerhalb einer Gesellschaft aktivieren zu können. Im Zuge dessen verzeichnet die Bevölkerungs- und Migrationsforschung große Erfolge bei der Problematisierung und Problemlösungsdefinition, vor allem aber bei der Durchsetzung ihres Wissens in der Öffentlichkeit, da ihre Kausalitäten einen geringen Komplexitätsgrad aufweisen. Die Demographisierung zeigt sich auch im Rahmen der deutschen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsstudien. Eine rein quantitative Analyse der Worthäufigkeiten, wie sie mithilfe von Word Clouds visualisiert werden kann, verweist auf die Verhandlungen sozialräumlicher Problemsituationen im Kontext von Demographie und demographischem Wandel. Im Zuge dessen können drei gesellschaftliche Bereiche unterschieden werden, die als Problemsituation definiert werden: sozial-politisch, ökonomisch sowie raumplanerisch. Die Demographisierung der sozialräumlichen Welt zielt in Abgrenzung zu sozialstaatlichen Debatten erstens auf Verhandlungen sozial-politischer Anpassungen, wie die Beitragserhöhung der Renten- und Pflegeversicherung, die Erhöhung des Rentenalters sowie die Anpassung der Gehälter, die im Rahmen einer alternden Erwerbsbevölkerung nicht mehr nach Jahren der Erwerbsbeteiligung, sondern leistungsbezogen verteilt werden sollen. Zweitens ermöglicht die Demographisierung eine Diskussion über den Mangel an Fachkräften respektive das Humankapital einer Region respektive Deutschlands. Dieser Mangel gestattet abseits von wirtschaftsideologischen Debatten sowohl die Erklärung für sinkendes Wirtschaftswachstum als auch die Abwanderung von Unternehmen ins Ausland und überbrückt darüber hinaus sozialräumliche Ungleichheiten wie zum Beispiel die fehlende Anpassung der ost- an westdeutsche Löhne. Drittens bietet die Erklärung sozialräumlicher Krisen als Folge der Bevölkerungsstruktur fernab von Debatten über die kommunale Finanzausstattung eine Diskussion über die Infrastrukturausstattung respektive über den Rückbau „schrumpfender Städte“. „Die Veränderung des Altersaufbaus der Bevölkerung lässt sich durch steigende Geburtenzahlen oder durch verstärkte Zuwanderung lediglich abmildern, nicht aber stoppen. (…) Die deutsche
Reiseerzählung 9: Popularisierung
245
Wirtschaft und der Arbeitsmarkt werden in erheblichem Maße von den Entwicklungen betroffen sein. Einerseits werden die Deutschen immer länger arbeiten müssen (bereits jetzt wird die Rente mit 67 bis 2029 schrittweise eingeführt), andererseits wird es auf dem Arbeitsmarkt zu einem harten Wettkampf um Talente und Fachkräfte kommen“ (Bild 26.10.2011). „Wenn die Bevölkerung schrumpft und altert, geht tendenziell das Wachstum zurück, das Wohlstandsniveau könnte sinken und es fehlen Erwerbstätige“ (Taz 26.04.2012).
Schlussendlich ermöglicht die Demographisierung der sozialräumlichen Welt die Kompetenzerweiterung der Bevölkerungswissenschaft von den Beschreibungen der Bevölkerungsstruktur auf weitere Bereiche des Staates wie Finanzen, Wirtschaft, Soziales sowie Kulturelles und damit die Politisierung der Demographie. So verweist Herwig Birg bei einer Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht auf die von ihm berechneten Trends. „Um in den nächsten 50 Jahren den Zusam- Abbildung 24: Illustrationen des demographimenbruch der Pflegeversicherung durch Ver- schen Wandels; Quelle: http://diepresse.com/ greisung der Gesellschaft abzuwenden, dürften Männer erst mit 74 in Rente gehen, müssten 188 Millionen jüngere Menschen einwandern oder jede Frau im Schnitt 3,8 Kinder gebären“ (Knaup & Mestmacher 2001).
In einem Gutachten für die bayrische Staatsregierung hebt er weiterhin hervor, dass sich die Probleme Deutschlands nicht durch Zuwanderung lösen lassen, da diese weitere Probleme der Integration mit sich bringt, sondern durch eine nachhaltige Bevölkerungspolitik und es müsse die bessere Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials in Angriff genommen werden zum Beispiel durch Frauen- und Mütterquoten. „Wichtig ist dabei ein Vergleich der Wirksamkeit der miteinander konkurrierenden Strategien: Wie wirkt sich beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt eine Erhöhung der Zuwanderungen oder eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote im Vergleich zu einer Erhöhung der Geburtenrate auf die Verfügbarkeit von Arbeitskräften aus? Da auf jede Geburt auf regionaler und kommunaler Ebene in der Regel fünf bis zehn Zuwanderungen entfallen, hat die Zuwanderungspolitik als Instrument der Arbeitsmarktpolitik gegenüber der Geburtenpolitik den Vorteil des größeren Hebels und der schnelleren Wirksamkeit: Die Zuwanderer stehen gegebenenfalls sofort zur Verfügung, während die Geborenen erst mit einer Zeitverzögerung von 15, 20 oder mehr Jahren auf dem Arbeitsmarkt ankommen. Da aber jeder Zuwanderer geboren werden muss, nimmt das in Zukunft verfügbare Zuzugspotenzial im gleichen Maße ab wie die Geburtenzahl. Die Zuwanderer aus der deutschen Binnenwanderung rekrutieren sich zum großen Teil aus der
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Reiseerzählung 9: Popularisierung Altersgruppe der 20- bis 30-Jährigen. Deren Zahl sinkt nach den Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes von 2010 bis 2020 um rd. 1,2 Mio., bis 2060 um 3,5 Mio. Will man die künftig im Inland nicht zur Verfügung stehenden Fachkräfte nicht durch Einwanderer aus dem Ausland ersetzen, so bleibt – von einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote und einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit abgesehen – nur der Weg einer kontinuierlichen Erhöhung der Geburtenrate“ (Birg et al. 2011:4).
„Parallel zu den Maßnahmen der Anpassungs- und Stabilitätsstrategie müssten die demographischen Auswirkungen aller Gesetze und Verordnungen mit einem Demographie-Check überprüft werden. Dabei sind die demographischen Wirkungen der folgenden Ressorts relevant: Familienpolitik, Sozialpolitik, Bildungspolitik, Gesundheitspolitik, Wirtschaftspolitik mit den Zweigen der Arbeitsmarktpolitik, Zuwanderungs- und IntegrationspoAbbildung 25: Illustrationen des demographischen litik, Regional- und Raumordnungspolitik Wandels; Quelle: Titelseite „Der Spiegel“ am (einschließlich Stadtentwicklungspolitik) 5. Januar 2004 u.a.m. Zieht man statt der formalen Zuständigkeit die tatsächlichen Auswirkungen der Politik auf die Entscheidungen für oder gegen Kinder in Betracht, müsste bei dieser Aufzählung die Wirtschaftspolitik an erster Stelle stehen. Denn indem eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik beispielsweise die Realeinkommen der Menschen erhöht, vergrößert sie das entgangene Lebenseinkommen, das eine Frau hinnehmen müsste, wenn sie für die Erziehung von Kindern auf eine Erwerbsarbeit verzichten würde bzw. müsste, falls die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienarbeit beispielsweise wegen unzureichender Betreuungsmöglichkeiten für Kinder nicht möglich wäre“ (Birg 2011:56).
Ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Politisierung der Bevölkerungs- und Migrationsforschung soll am Beispiel des Lebenslaufes von Rainer Münz kurz präsentiert werden. Rainer Münz ist bis 1992 Direktor des Instituts für Demographie der österreichischen Akademie der Wissenschaften und ist bis 2003 Professor für Bevölkerungswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin sowie Gastprofessor an den Universitäten Bamberg (1986), UC Berkeley (1986, 1989, 1997 – 1998), Frankfurt am Main (1988), Klagenfurt (1995, 1997), Wien (2001 – 2002) und Zürich (1992). Zudem ist er 2000 bis 2001 Mitglied der Süssmuth-Kommission und berät als Experte für Bevölkerung und Migration sowie der demographischen Alterung und deren Auswirkung auf Wirtschaft und soziale Sicherungssysteme die Kommission im Hinblick auf das neu zu gestaltende Einwanderungsrecht. Dabei werden die Mitglieder der Süssmuth-Kommission von Rainer Münz darauf hingewiesen, dass die Bevölkerung in Deutschland unaufhörlich schrumpfen wird und dass der „demographische Aderlass“ auch durch noch so hohe Zuwanderung nicht zu stoppen, bestenfalls abzufedern ist (Knaup & Mestmacher 2001). Daneben ist Münz Senior
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Abbildung 26: Illustrationen des demographischen Wandels; Quelle: „Die Welt Online“ am 23.02.2010 zum Thema „In Ostdeutschland wird es bald sehr einsam sein“
Fellow am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI), Fellow des Instituts für Finanzmathematik der TU Wien (2001 – 02). Er war als Konsulent für die Europäische Kommission, die OECD und die Weltbank tätig. Seit 2008 ist Rainer Münz Mitglied der Reflexionsgruppe „Horizont 2020–2030“ der Europäischen Union (sogenannter EU-Weisenrat) und Mitglied in mehreren Aufsichtsräten und wissenschaftlichen Beiräten; darunter International Organisation for Migration (IOM, Genf), Daimler und Benz-Stiftung (Ladenburg), Center for Migration, Policy and Society (COMPAS) der Oxford University, International Metropolis Project (Ottawa-Amsterdam), SOT-Treuhand (Wien – Graz – Klagenfurt etc.), VBV-Pensionskasse (Wien), STUWO AG (Wien), Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (Wien), Neumann International (siehe Münz, Rainer: Lebenslauf). Auch Franz Xaver Kaufmann ist im Hinblick auf die Demographisierung und Politisierung der Bevölkerungs- und Migrationsforschung sehr erfolgreich. Beim Forum Demographischer Wandel 2006 präsentiert er dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler die demographische Situation Deutschlands. Die Ausschnitte aus dem Vortrag werden an dieser Stelle nochmals wiederholt. „Die Bundesrepublik Deutschland steht vor einem doppelten Nachwuchsproblem; einem quantitativen und vor einem qualitativen. Quantitativ gesehen fehlt seit rund 30 Jahren jährlich etwa ein Drittel der für die Erhaltung des Bestandes der erwerbstätigen Bevölkerung notwendigen Geburten. Qualitativ gesehen weisen nicht nur die Ergebnisse der Pisa-Tests, sondern auch gesundheitswissenschaftliche Studien und Studien zur Kinderarmut darauf hin, dass in Deutschland etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen unter für ihre gesunde und erfolgreiche Entwicklung prekären Verhältnissen aufwachsen. Etwa jedes 4. Kind aus Familien mit Migrationshintergrund erreicht derzeit nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Diese
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Reiseerzählung 9: Popularisierung Kinder machen fast 30 Prozent unseres gesamten Nachwuchses aus. Deutschland leistet sich also nicht nur eine der langfristig niedrigsten Geburtenraten der Welt, sondern bietet auch dem einmal geborenen Nachwuchs sehr ungleiche Entwicklungschancen. (…) Beim internationalen Vergleich westeuropäischer Staaten fällt Deutschland ferner durch einen ausgeprägten Trend zur Ausbreitung der Kinderlosigkeit unter den jüngeren Generation auf“ (Vortrag von Franz Xaver Kaufmann (2006) im Forum Demographischer Wandel).
Und letztlich resultieren aus solchen Politisierungen Wahlkampagnen wie „Kinder statt Inder“, wie die nordrhein-westfälische Landtagskampagne 2000 zeigt. Dort tritt Jürgen Rüttgers von der CDU gegen die Green-Card-Initiative von Bundeskanzler Schröder an. Es kann festgehalten werden, dass für die Popularisierung ebenso wie innerhalb der Wissenschaft visuelle Erzählungen verwendet werden. Diese sind jedoch völlig anderer Art, als innerhalb der Scientific Community. Wesentlich weniger kommt es zur Anwendung von Technobildern, die möglichst objektiv den Sachverhalt sowie die Auswirkungen aufzeigen. Viel häufiger kommen Illustrationen zur Anwendung, die nicht faktisch, sondern eher charakteristisch erzählen. Das heißt, dass sie zwar auf der Basis von statistischen ‚Fakten‘ entstehen, aber eher durch eine Übertragung von Zahlen auf menschliche Akteurinnen (z. B. Kinder, Alte) gekennzeichnet sind. Das verstärkt auf ganz spezifische Weise die (Un)differenziertheit des Nach‚voll‘sehens, denn die Illustration legt keinen Wert auf soziale oder räumliche Differenzierung oder auf die Kontextualität von Narrationen (siehe Abbildung 40, 41 und 42). Die sprachlichen sowie visuellen Erzählungen zeigen, wie fruchtbar die Analysen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung und die daran anschließenden Handlungsempfehlungen für den neoliberalen Um- und Abbau des Sozialstaates sind. So fungiert zum Beispiel die als ungünstig wahrgenommene Altersstruktur als Legitimation für die Kürzungen von Sozialleistungen und die Erhöhung von Versicherungsbeiträgen.
25
25.1
Konklusion IV
Kontexte der Bevölkerungsforschung
Die Einblicke in die Geschichte der Bevölkerungswissenschaft zeigen, dass das Interesse an der quantitativen sowie qualitativen Zusammensetzung der Bevölkerung nicht erst mit der Nationalstaatenentstehung beginnt, durch diese aber organisiert und institutionalisiert wird und bis heute die statistischen Bemühungen dazu dienen, die Vitalstruktur der Bevölkerung zu beeinflussen. Solche Perspektiven finden sich schon bei Hermann Conrings Vorschlägen zur Förderung der Ehe, Auswanderungsverboten sowie steuerlichen Anreizen für Immigranten, was vor allem die Bemühungen um eine wachsende Bevölkerung nach den Bevölkerungsverlusten des 30-jährigen Krieges (1618–1648) widerspiegelt (vgl. Lau 1719, Becher 1688, von Justi 1756, von Sonnenfels 2010 [1801], Crome 1793). Mit der Gründung des Bundesinstitutes für Bevölkerungsforschung im Jahre 1973 bekommt diese Perspektive unter dem Label der Bevölkerungsforschung neue Impulse, die sich auf die Umsetzung ihres Wissens im Rahmen der Politikberatung konzentriert. Trotz ideologisierender Vergangenheit erfährt diese Ausrichtung in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit Blick auf den steten Bevölkerungsrückgang in Deutschland und Europa keine Kritik und führt 1981 zur Gründung von bevölkerungswissenschaftlichen Lehrstühlen in Bielefeld und Bamberg. Beide Ausrichtungen (Bevölkerungswissenschaft und Demographie) sehen ihre Herausforderungen sowohl in der DDR (vgl. Karlsch 2005) als auch in der BRD in der Lösung des Geburtenrückgangs sowie der zunehmenden Internationalisierung der Migration und vor allem in der Politikberatung. Robert Hepp (1987), Leiter der Forschungsstelle für Phänomenologische Soziologie und Bevölkerungswissenschaft an der Universität Osnabrück formuliert, dass „ein ‚sozialistischer Staat‘ [Hervorhebungen im Original] wie die DDR, keine Skrupel [hat] in die Schlafzimmer seiner Bürger hineinzuregieren“. Entgegen der Anwerbepraxis der Migrationspolitik empfiehlt Hepp (1987:24, zit. in Butterwegge 2002:171) eine „pronatalistische Bevölkerungspolitik, denn das generative Verhalten ist eben heute keine private Angelegenheit mehr, in die sich der Staat nicht einmischen darf, denn die Zeiten sind vorbei, da sich die Bevölkerung selbst reproduzierte“.
Seit den 1990er-Jahren setzt sich das qualitative Paradigma der Sozialwissenschaft auch in der Bevölkerungs- und Migrationsforschung durch und es kommt zuneh-
250
Konklusion IV
mend zur qualitativen ‚Erfassung‘ von subjektiven Motiven, die wiederum durch Mittelwerte auf eine übergeordnete gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben werden. Als zentrale Einflussfaktoren werden auf der Mikroebene der Wert von Kindern, Familienformen, Familienplanung, sexuelle Voraussetzungen und Persönlichkeitsmerkmale erfasst, während auf der Mesoebene das Bildungsniveau, die Religiosität, die Frauenerwerbstätigkeit, die Wohnverhältnisse, finanzielle Gründe und Referenzgruppen sowie auf der Makroebene Verstädterung und Kinderfeindlichkeit, Zukunftsangst sowie demographisches Klima von Interesse sind (vgl. Höhn 1986). Die Statistik ermöglicht dabei nicht allein die Ordnung individueller Lebensläufe wie Geburt, Sterben, Wanderung, Eheschließung unter die ‚Kategorie‘ „Motive demographischer Erscheinungen“, sondern bietet die Berechnungsvoraussetzungen sowohl zur ‚Darstellung‘ und ‚Erklärung‘ dessen als auch für Lösungen im Falle ‚abweichender‘ Erscheinungen. In der Einführung zur Bevölkerungswissenschaft schreibt Henriette Engelhardt (2011:357f) zum Thema Bevölkerungs- und Familienpolitik, dass diese „darauf gerichtet sei, die Einwohnerzahl und die Bevölkerungsstruktur der in einem Gebiet lebenden Bevölkerung durch die Manipulation von Fertilität, Mortalität und / oder Migration zu beeinflussen. (…) Die Bevölkerungspolitik [sei] ein Bestandteil der in fast allen Staaten mehr oder weniger ausgeprägten Sozialpolitik. Grenzen zur Familienpolitik, zur Migrationspolitik und zur Gesundheitspolitik sind nur schwer zu ziehen; auch von der Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Bildungspolitik sowie Wohnungsbaupolitik können bevölkerungsrelevante Wirkungen ausgehen. (…) So wird z. B. eine Politik zur Anhebung des Bildungsniveaus von Frauen nicht nur die Lebensqualität der betroffenen Personen in vielerlei Hinsicht verbessern, sondern auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Frauen ihr reproduktives Verhalten kontrollieren und ihre Kinderzahl reduzieren“.
Christiane Dienel (2006) wird auf einer Veranstaltung zum Thema „Demographischer Wandel – Was tun wir in Ostdeutschland?“ im März 2006 nach möglichen bevölkerungspolitischen Strategien gefragt, den demographischen Wandel zugunsten Ostdeutschlands zu gewinnen. Nach Engelhardt (2011:375) liege dieser unzweifelhaft vor, zeigen die demographischen Berechnungen, dass Deutschland (Ost)92 eine tatsächliche Kinderzahl von 1,30 und damit 0,79 Punkte Differenz zu der idealen Kinderzahl von 2,09 aufweise. Dienel (2006) sieht Lösungen in dreierlei Hinsicht. Erstens: umso früher eine Frau ein Kind bekomme, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit für ein zweites Kind. Es müsse also das Ziel sein, die Geburtenrate vorzuziehen. Zweitens zeige sich, dass verheiratete Paare mehr Kinder bekommen und somit das „Problem bei den dauerhaft ledig bleibenden“ liege. Die Ehe zu fördern, bedeute daher auch eine höhere Geburtenrate zu erreichen. Drittens: umso offener eine Gesellschaft sei, umso mehr Pfade stehen für die eigene Biographie zur Verfügung und Dienel schließt an: „Ich denke, das ist fast der wichtigste Grund, warum es der DDR gelungen ist, dass nur ganz wenige kinderlos blieben“.
92
Für Deutschland (West) gibt Engelhardt (2011:375) eine tatsächliche Kinderzahl von 1,34 an; die ideale wird mit 2,21 und die gewünschte mit 2,28 angegeben. Die ideale Kinderzahl diene dazu, den potenziellen Spielraum von politischem Einfluss abschätzen zu können.
Konklusion IV
25.2
251
Geschlecht und Raum in der Bevölkerungsforschung
Die Texte von Henriette Engelhardt und Christiane Dienel zeigen, dass Geschlecht und Raum innerhalb der Bevölkerungs- und Migrationsforschung keine unabhängigen Kategorien darstellen, sondern in einen Zusammenhang gebracht werden. Dabei zeigt sich, dass sich die staatlichen Interventionen im Verlauf der Geschichte immer stärker auf die Steuerung der weiblichen Fertilität konzentrieren (vgl. Bergmanns 1992, Usbornes 1994, Wichterichs 1994a). Gilt die weibliche Fruchtbarkeit in den nationalökonomischen Theorien des 19. Jahrhunderts als Grund für die Verringerung des gesellschaftlichen Wohlstandes, muss im 20. Jahrhundert das rückläufige Gebärverhalten der Frauen für Schlagworte wie „Rassentod“ (vgl. Ballod 1914) und „Untergang des Deutschen Volkes“ (zit. in Bergmann 1992:23) herhalten und wird im Kontext von „Auflösung der Familie“, „Entsittlichung des ehelichen Zusammenlebens“, „Niedergang des Volkscharakters“ sowie „sittlicher wie völkischer Gefährdung des Deutschtums“ und „Staatszersetzung“ interpretiert (zit. in Bergmann 1992). Schon hier zeigt sich, dass die Aussage ‚zu viele‘ Kinder oder ‚zu wenig‘ Kinder nicht allein einer quantitativen, sondern auch einer qualitativen Bewertung unterliegt und dass die Regelung der Bevölkerung im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert(s) rassenideologisch aufgeladen ist (vgl. Gruber 1913). Ab den 1960er-Jahren verschiebt sich das bevölkerungspolitische Interesse auf die internationale Ebene und die Themen Hunger, Armut sowie mangelndes Wirtschaftswachstum rücken in den Mittelpunkt. Die Angst vor einer international unkontrollierbaren Bevölkerungsexplosion führt auf Initiative der Industrieländer 1974 zur Internationalen Bevölkerungskonferenz93 in Bukarest sowie zehn Jahre später – diesmal auf Wunsch der Entwicklungsländer – zur Internationalen Bevölkerungskonferenz in Mexiko City. Aufgrund zunehmender Auslandsverschuldung akzeptieren die Länder die Vorgaben der Geberländer nach rapider Ausweitung von Geburtenkontrollprogrammen. Während in Europa und Nordamerika konservative Kräfte gegen den unsittlichen Eingriff in die weibliche Natur durch den individuellen Gebrauch von Verhütungsmittel, besonders der Pille, kämpfen und den Paragraphen § 218 kriminalisieren, wird mit Blick auf die sogenannten Dritte-Welt-Länder vor allem argumentiert, dass Familienplanung den Status der Frauen erhöht sowie die Mütter- und Kindersterblichkeit senkt (Klingebiel & Shalini 1998). In den 1980er-Jahren verändert sich der thematische Schwerpunkt, diesmal auf ökologische Grenzen und Migration (Heim & Schaz 1996). Bevölkerungskontrolle wird im Zuge dessen eine ökologische Pflicht, bei der die bestehenden Wirtschaftsverhältnisse sowie vorhandene Rohstoffe der Menschenzahl gegenübergestellt werden und praktisch in der Vergabe von Dreimonatsspritzen sowie Zwangssterilisationen94 enden (Spiller 1994:158). Die Fruchtbarkeit der Frau erhält spätestens hier 93 94
Die 1. Weltbevölkerungskonferenz findet 1927 in Genf statt, wo es zur Gründung der Internationalen Union für Bevölkerungswissenschaft kommt. Ab 1954 werden alle 10 Jahre internationale Weltbevölkerungskonferenzen durchgeführt. In Indien werden zwischen 1975 und 1977 vier Millionen Männer zwangssterilisiert. 1994 werden Frauen aus Nepal zur Zwangssterilisation in Massenlager verschleppt, im selben Jahr können Familien im Bundesstaat Andhra erst ihre Ernte einholen, wenn sie einen Nachweis über eine Sterilisation vorlegen (Randeria 1995, zit. in Hummel 1998:204).
252
Konklusion IV
ihren janusköpfigen Charakter, da Frauen einerseits als Hüterinnen der Natur und andererseits als Zerstörerinnen dieser betrachtet werden. Auf der Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung in Kairo 1994 bilden Frauen die stärkste und am besten organisierteste Lobby, was trotz Widerstand seitens der katholischen Kirche dazu führt, dass Schlagwörter wie ‚empowerment‘, ‚reproduktive Rechte‘ und ‚Gesundheit‘ ins Aktionsprogramm einfließen (Hummel 1998, Mertens 1998). Jedoch betonen Sonja Schneider (1999), Christa Wichterich (1994b) und Diana Hummel (1998), dass die Feminisierung der Bevölkerungspolitik auch Probleme mit sich bringt. Denn Bevölkerungspolitik, die auf ein nationales oder internationales Interesse ausgerichtet ist, ist nicht mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen vereinbar. Zudem reduziert eine so verstandene Bevölkerungspolitik Menschen auf eine Zahl und missachtet Machtverhältnisse wie die der Bevölkerungspolitik zugrunde liegende qualitative Logik, die wiederum auf eugenischen und rassistischen Selektionsmechanismen beruht (Declaration of People's Perspectives on „Population“ Symposium 1994). Ganz im Gegenteil dazu stehen die vielzähligen Versuche westeuropäischer Staaten die Reproduktion vor allem gebildeter Frauen anzureizen. Auch das von Ursula von der Leyen, von 2003 bis 2009 Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit im deutschen Bundeskabinett, 2007 eingeführte Elterngeld ist mehr Bevölkerungs- als Familienpolitik. Es steht im Kontrast zur internationalen Bevölkerungspolitik und weist auf den ideologischen Charakter der Bevölkerungspolitik hin, bestimmen zu wollen, wer Kinder bekommen soll und wer nicht. Die Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung basiert auf den Denkstrukturen der Zweigeschlechtlichkeit, die sich im 19. Jahrhundert zunehmend durchsetzt. Die Bevölkerungswissenschaft produziert zur Kontrolle der Bevölkerung Daten zur Alters- und Geschlechterstruktur, Kinderzahl beziehungsweise zu Fertilitäts- und Reproduktionsraten, Wanderungssalden usw. Die erhobenen Daten werden seitens der Bevölkerungswissenschaftlerinnen nicht mit Blick auf die Bedürfnisse des Individuums oder gesamtgesellschaftliche Möglichkeiten, sondern vor dem Hintergrund nationalstaatlicher Interessen beleuchtet und interpretiert. Damit erfolgt über das Heteronormativitäts- und Fertilitätsdispositiv eine spezifische Kontrolle der Bevölkerung bzw. des Individuums, das als Teil eines ganzen Bevölkerungskörpers im Zuge von Alter und Geschlecht hinsichtlich seines/ihres Potenzials zur demographischen Entwicklung beurteilt wird. Dies zeigt sich dann auch in den Repräsentationen der Geschlechterbeziehungen im Rahmen der deutschen Binnenmigrationsforschung. Zunehmend interessieren sich Studien für den Zusammenhang von Migration und Geschlecht, aber nur im Hinblick auf die Natalität einer regionalen Bevölkerung. 25.3
Binnenmigration als Spezialdiskurs
Es kann festgehalten werden, dass der Binnenmigrationsdiskurs ein Spezialdiskurs ist, der an andere Spezialdiskurse wie „demographischer Wandel“ anknüpft und damit demographischen Phänomenen Ostdeutschlands einen Interpretationsspielraum vorgibt. Erst durch die Kontextualisierung erhält der Binnenmigrationsdiskurs einerseits einen Rahmen, auf dessen Basis er sich entfalten kann, und andererseits an
Konklusion IV
253
Wesenshaftigkeit, auf deren Basis er Glaubwürdigkeit gewinnen kann. Im Zuge dessen entpolitisiert die Binnenmigrationsforschung ebenso wie die nationale und internationale Bevölkerungs- und Migrationsforschung einerseits soziale Phänomene, indem sie soziale Fragen als Folge demographischer Probleme versteht und diese somit auf das Wanderungs- und Reproduktionsverhalten von Frauen reduziert. Andererseits ermöglicht die Binnenmigrationsforschung wiederum die Politisierung individueller Angelegenheiten, indem sie sowohl die individuellen Entscheidungen für/ gegen eine Wanderung als auch den individuellen Wunsch für/gegen (ein) Kind(er) auf die politische Agenda einer ganzen Gesellschaft bringt. Grundlegendes Ziel der Bevölkerungsforschung ist die Ursachensuche für abweichendes Verhalten der Bürgerinnen. Diese Einengung auf die Ursachen für Wanderungen und Kinderlosigkeit führt im Hinblick auf Migration zu einer starken Rezeption der Push-Pull-Faktoren-Theorie von Everett Lee (1972) ab den 1970er-Jahren. Die mikrotheoretischen Push- und Pull-Theorien lösen die für viele Jahre sehr einflussreichen makroanalytischen ‚Gesetze‘ Ravensteins (1885) sowie die Gravitationstheorien ab. Auf der Basis mikroökonomischer Mechanismen wie Schulsystem, Klima, Lohnniveaus, Lebensqualität versucht Lee eine Interpretation von Wanderungen zu liefern, denn „in jedem Gebiet gibt es unzählige Faktoren, die dazu dienen, Menschen in diesem Gebiet zu halten oder Menschen anzuziehen, und es gibt andere, die sie abstoßen“ (Lee 1972:118, zit. in Kalter 1997). Dass dieses Modell erstens deterministischen Grundannahmen verfällt – im Sinne von magnetischen Wirkungskräften – und somit Interpretationsleistungen der Akteurinnen vernachlässigt und zweitens einem Kausalmodell unterliegt, welches dualistisch von der Unterscheidung zwischen Ursachen und Wirkungen ausgeht (vgl. Kneer 1996:37f), wird nicht reflektiert. Die Anwendung der Push-Pull-Faktoren-Theorie auf die Wanderungsbewegungen von Ost- nach Westdeutschland bedeutet für die Bevölkerungs- und Migrationsforscherinnen, dass zum Beispiel die abstoßenden Faktoren wie Rechtsradikalität, Arbeitslosigkeit, schlechte Freizeit- und Lebensbedingungen in Ostdeutschland den anziehenden, guten Arbeits- und Freizeitbedingungen sowie einem guten Heiratsmarkt in Westdeutschland gegenüberstehen (Bertram 1995, Köppen 2007, Wendt 1993). In ähnlichem Sinne kommt es zur ursächlichen Erklärung für späte Mutterschaft oder Kinderlosigkeit. Auch hier werden externe Faktoren wie Ausbildung, Berufstätigkeit und/oder finanzielle Unsicherheit herangezogen, um im Rahmen kausaler Argumentationen das Phänomen der Bevölkerungsschrumpfung zu erklären. Das ermöglicht letztendlich eine Diskussion über die Zukunftsfähigkeit einer Region, die nicht mehr von Finanztransferleistungen (wie z. B. dem Solidaritätsbeitrag), sondern von den Wanderungsneigungen und Kinderwünschen der ostdeutschen Bevölkerung abhängt. Damit wird sowohl die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit einer Region als auch die Produktivität und Innovativität der Bevölkerung nicht über die Debatten um politische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen, sondern über die Debatten um eine junge oder alte Bevölkerungsstruktur verhandelt. Im Mittelpunkt dieser Auseinandersetzungen stehen Eigenschaften des Raumes/der Region und spezifische Personengruppen, die für den Erfolg und Misserfolg verantwortlich gemacht werden.
254
Konklusion IV
25.4
Gesellschaft vergleichbar machen
Der Wunsch, die Gesellschaft durch die statistische Tätigkeit für Politik, Verwaltung und Wissenschaft vergleichbar zu machen, lässt die Gesellschaft als durch Zahlen darstellbares Objekt der Statistik einerseits und die Statistik als Repräsentation der Gesellschaft und ihrer Mitglieder andererseits erscheinen. Diese Auffassung setzt sich ab dem 19. Jahrhundert immer stärker durch und verfestigt die Vorstellung, dass die Statistik die Aufgabe hat, die „charakteristischen, der wissenschaftlichen Beobachtung zugänglichen Massenerscheinungen des Menschenlebens nach exakter Methode aufzufassen und zu untersuchen“ (Lexis 1877). Diese Auffassung ist an eine philosophiehistorische Diskussion zwischen Nominalisten und Realisten geknüpft. Die Spannungen zwischen der Idee der Realisten, dass nur Ideen und Konzepte real sind und der Idee der Nominalisten, nach der nur einzelne Individuen real sind, und die Wörter, die zur Beschreibung einer Gesamtheit von Individuen dienen, auf Konventionen beruhen, gehen bis ins 14. Jahrhundert zurück. Nach Desrosiéres (2000:79ff) ist die nominalistische Position sehr bedeutsam für das Ende der Scholastik und damit verantwortlich für die aufkommenden individualistischen und empiristischen Philosophien der folgenden Jahrhunderte. In diesen betont der Nominalismus die Abstraktionskraft des Wortes zur Benennung eines Dings95, was dazu führt, dass gewisse Eigenschaften des Dings nicht mehr erwähnt werden. Die statistische Kodierung ermöglicht durch das Weglassen gewisser Eigenschaften die Diversifizierung der Abstraktionsweisen und dadurch eine Vervielfältigung der Standpunkte des Dings. Und auch die realistische Position nahm empirizistische Elemente an, indem sie mithilfe der Nomenklatur der Naturalisten und der statistischen Mittelwerte beginnt, Dinge miteinander zu verknüpfen, um sie schlussendlich vergleichen zu können. Dadurch erreichen die Begriffe eine höhere Ebene der Realität und können als Substitute für viele Dinge zirkulieren. Zum Beispiel werden Arbeitslose durch die Arbeitslosenquote ersetzt; Abwandernde zirkulieren als Abwanderungsquote und Frauen unter der Geschlechterkategorie. Individuelles wird Allgemeines durch die Abstraktion in einer neuen Realitäts- und Sprachebene. Zusätzlich sind beide – Individuum und Allgemeinheit – eingebettet in einen als realistisch empfundenen sozialen Kontext. In diesem Sinne deutet erst die statistische Tätigkeit zum Beispiel im Hinblick auf die quantitative Berechnung von Geburtendefiziten und Wanderungsbewegungen darauf hin, dass Kinderlosigkeit und Migration respektive Abwanderung eine abweichende Lebensweise (in Bezug zur Normalverteilung) darstellen und damit als zu untersuchendes Phänomen relevant werden. Erst die Statistik und die Standardisierung von Wohn- und Arbeitsformen machen in Form von Zahlen deutlich, dass einige Personen abweichende Handlungen ausführen und somit nicht normal leben.
95
Erderwärmung ist zum Beispiel eine Nominalisierung (die Erde erwärmt sich), ebenso wie Raumentwicklung (der Raum wird entwickelt/entwickelt sich), die im Zuge der Abstraktion für eine gesamtgesellschaftliche Debatte steht.
Konklusion IV
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Nach Shapin & Schaffner (1985) sind die statistischen Zahlen „literarische Technologien“, die wissenschaftliche Behauptungen mit Überzeugungskraft ausstatten. Während außerwissenschaftliche Ressourcen wie Geld und/oder politischer Einfluss im Widerspruch zu den Werten und Prinzipien der Wissenschaft stehen, sind die literarischen Technologien wissenschaftlich erzeugte Messwerte und damit scheinbar objektive Ergebnisse eines kontrollierten Forschungsprozesses. Dieser Gedanke wird radikalisiert, indem statistische Zahlen hier als numerische quasi-logische Argumente bezeichnet werden. Denn Zahlen stützen nicht das Argument, sondern sie sind das Argument: „Die Prognostiker des Statistischen Bundesamtes sagen bis zum Jahr 2050 einen Schwund von zehn Millionen Menschen voraus – und zwar unter der Annahme, dass die Lebenserwartung weiter steigt und jährlich 200.000 Personen aus dem Ausland zu uns einwandern. Kämen nur 100.000 im Jahr, wären wir 2050 schon um 16 Millionen ärmer. Ganz ohne Migranten um 30 Millionen. Im Jahr 2100 würden dann in Deutschland nur noch 24 Millionen Menschen wohnen – so viele wie Anfang des 19. Jahrhunderts“ (Kröhnert et al. 2006:4).
Die numerischen Argumente führen zu folgenden Empfehlungen: „Das Schrumpfen organisieren! In vielen Gebieten ist der Schrumpfungsprozess auf absehbare Zeit unumkehrbar. Die im Grundgesetz verankerten ‚gleichwertigen Lebensverhältnisse‘ für alle deutschen Regionen lassen sich nicht durch eine Förderung strukturschwacher Zonen aufrechterhalten. Deshalb sollten wirksame Rückzugsstrategien entwickelt werden. (...) Aller Erfahrung nach ist es sinnvoll, den Rückbau von den Stadträndern nach innen zu organisieren und kein Geld in die Sanierung von Außenbezirken zu stecken. (…) Investitionen lenken! Die Wirksamkeit von öffentlichen und privaten Investitionen hängt ganz wesentlich von der demographischen Zukunftsfähigkeit der betroffenen Regionen ab. Eine Regionalförderung nach dem Gießkannenprinzip ist eine Verschwendung von Ressourcen. Sie sollte sich vielmehr auf Regionen mit Zukunft konzentrieren. Plattenbauten zuerst mit Millionenbeträgen zu sanieren und dann wegen Bedarfsmangel abzureißen, bedeutet eine Fehlinvestition. Auch bundesweite Investitionen sollten an den demographischen Wandel angepasst werden. Zum Beispiel im Straßenbau: Während Verkehrsexperten mehrheitlich von einem Rückgang der Verkehrsleistung ausgehen, plant das Verkehrsministerium für die Spanne 1997 bis 2015 mit einem 16-prozentigen Wachstum des Verkehrsaufkommens. Doch schon seit 1999 wird auf Deutschlands Straßen weniger gefahren. Wenn von 2015 an die geburtenstarken Jahrgänge das fahrfreudigste Alter verlassen, ist sogar mit einem massiven Rückgang der Kilometerleistung zu rechnen“ (Kröhnert et al. 2005:92).
Numerische Argumente dienen dazu, eine Beziehung zwischen den individuellen Erfahrungen/Erlebnissen und Wünschen und gesellschaftlichen Bedeutungen herzustellen und somit entsteht für das Individuum der Eindruck, dass das „eigene Leben eine gesellschaftliche Bedeutung“ habe und „damit einem höheren Sinn folge, wenn auch nur, um in den Durchschnitt eingehen zu können“ (Nikolow 2006:277). Für die in der Statistik angesprochenen ostdeutschen Frauen ist der Auftrag klar: Reproduktion für die Stabilisierung der ostdeutschen Bevölkerungszahlen sowie Produktion von potenziellen Fachkräften, die die Entwicklung der ostdeutschen Region voranbringen. In diesem Auftrag ist eine politische Vision zu erkennen, die mithilfe der Bevölkerungsforschung nicht auf der Ebene politischer Entscheidungen, sondern auf der Ebene individueller Verpflichtungen geführt wird.
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Konklusion IV
Das Beispiel Wanderung enthält aber noch einen anderen Aspekt der Wirklichkeitskonstruktion. Die Wahrnehmung von Migration hängt nicht alleine mit der Standardisierung der statistischen Information zusammen, sondern ist vor allem in der Bildung eines räumlichen Bezugssystems begründet. Dieses macht die Analyse von Wanderungen erst möglich und entwirft eine systematische Regionalisierung, deren Legitimität sich wiederum in der statistischen Information wiederfindet. Diskursives und visuelles Erzählen sind zentrale Elemente der Konstruktion von Raum-Wirklichkeit, die durch die Verbindung von Toponymen und das ethnographische Präsens erfolgt und zur Verortung sozialer Phänomene und Homogenisierung von Regionen führt. Das von Wissenschaftlerinnen erzeugte Wissen über Bevölkerungsveränderungen und Wanderungsbewegungen innerhalb Deutschlands stützt die zirkulierenden alltäglichen Regionalisierungen wissenschaftlich und erhält die Erzählung eines geteilten Deutschlands entlang der Demarkationslinie von 1961– 1989 weiterhin aufrecht. Diese wissenschaftliche Fokussierung reproduziert die (ehemalige) Grenze zwischen den neuen und alten Bundesländern immer wieder aufs Neue, wodurch zwei Regionen mit spezifischen Eigenschaften erzählt werden. Damit trägt die Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung zur Erzählung von imaginativen Geographien bei, die die wissenschaftlichen Bedingungen der Wissensaneignung über Orte und dessen Repräsentation verschleiern. 25.5
Ökonomische Leistungsfähigkeit nicht garantiert
Neben der Unterwerfung des Individuums unter die Interessen des Staates ermöglichen Heteronormativitäts- und Fertilitätsdispositive die Unterwerfung des Individuums unter die ökonomische Rationalität. So ist es möglich, dass die Fertilität von Frauen als natürliches Element dem ökonomischen Diskurs zur Verfügung steht. Eine ökonomische Biopolitik kann sich im Zuge dessen den Verlust von Menschen mit Potenzialen, Talenten und Ideen nicht leisten, da dies der ökonomischen Matrix von nützlich und unnützlich entgegenläuft. In diesem Sinne ermöglicht Heteronormativität und Fertilität eine Diskussion um ökonomisches Wachstum und Versorgungs(un)sicherheit und lässt die Problemlösungen wiederum in diesem Lichte erscheinen. Ökonomisches Wachstum scheint dann ebenso wie die Entwicklung von Regionen und Nationen nur möglich durch heterosexuelle Paarbeziehungen und Mutterschaft. Dass sich die ökonomische Nützlichkeit niemals nur auf die Individuen oder die Gesellschaft bezieht, wird auch mit Blick auf die Bevölkerungs- und Migrationsanalysen deutlich. Wanderungen werden hier vor dem Hintergrund der Leistungsfähigkeit von Regionen bewertet, die somit entweder gewinnbringende oder verlustreiche sozialräumliche Phänomene darstellen. Für die Analysen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung sind die Bilanzen klar: die Abwanderung von Fachkräften und das Geburtendefizit tragen im Wesentlichen dazu bei, dass sich Ostdeutschland auch in näherer Zukunft nicht an westdeutsches wirtschaftliches Leistungsniveau anpassen wird.
Konklusion IV
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„Für die wirtschaftliche Entwicklung und für den Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Regionen ist die Ausstattung mit Humanressourcen ein wichtiger Faktor (…). Heute spricht man sogar von einer Wissensgesellschaft, denn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden das Wissen und die Qualifikationen der Erwerbstätigen für die Leistungskraft von Regionen zur entscheidenden Komponente. Ostdeutschland büßte durch die enorme Abwanderung seit 1989 nicht nur quantitativ viele Menschen ein, es gingen vor allem die Jungen, die gut Qualifizierten. Damit verloren die neuen Länder Menschen mit Potentialen, Talenten und Ideen. Eine derartige Abwanderung schwächt das Leistungsvermögen und die Wachstumspotenziale der betroffenen Regionen“ (Beck 2004:96).
In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass die wissenschaftlichen Arbeiten jedoch nicht ‚nur‘ ihre wissenschaftlichen Ergebnisse vorstellen, sondern im Zuge dessen deutliche Empfehlungen für die politischen Verantwortlichen zusammentragen. Das mag einerseits wiederum darin begründet sein, die Legitimität und Bedeutung der eigenen Forschung und die der Scientific Community hervorzuheben, gibt andererseits aber auch einen Eindruck in die Bereitschaft der Bevölkerungs- und Migrationspolitik, sich als staatsberatende Institution zu verstehen. Dass dabei die Empfehlungen als Konsequenzen objektiver Forschungen kommuniziert werden, ist selbstverständlich und führt dazu, dass die Praxis der wissenschaftlichen Bemühungen gar nicht unbedingt den politischen Interessen des Staates dient, sondern vielmehr Argumente für die Ökonomie bereitstellen. „Trotz all der beschriebenen Herausforderungen der gesellschaftlichen Alterung ist es keineswegs ausgemacht, dass deren Bewältigung in erster Linie staatliches Handeln erfordert. Vielmehr stehen zahlreiche Maßnahmen zur Anpassung an die veränderten demographischen Rahmenbedingungen in der Verantwortung der Unternehmen und der Arbeitskräfte selbst. Im Übrigen werden marktmäßige Mechanismen dazu beitragen, dass sich das Verhalten der Akteure in die erforderliche Richtung ändert – auch wenn dies seinerseits eine Reform institutioneller Gegebenheiten durch den Staat nötig macht“ (Ragnitz & Schneider 2007:201).
25.6
Durchsetzung
Im Jahr 1992 verfassen Gräfin Marion Dönhoff und sieben weitere Autoritäten aus Politik und Gesellschaft ein Manifest mit dem Titel „Weil das Land sich ändern muss“, in dem sie den Wertewandel der Nachkriegsgesellschaft anprangern, der Tugenden wie Pflichterfüllung und Verantwortungsgefühl vermissen lässt. Neben innenpolitischen Missständen, wie der zunehmenden Verschuldung des Bundes, der Länder sowie der Gemeinden oder weiterhin hohen Arbeitslosenzahlen und außenpolitischen Verpflichtungen wie Entwicklungshilfe oder Militärbündnisse, weisen die Autorinnen auf die niedrige Geburtenrate in ganz Deutschland sowie auf die zusätzlichen Kosten der Wiedervereinigung hin, die die Bundesrepublik auch in Zukunft vor Herausforderungen stellt. Im Zuge dessen kommen die Autorinnen zum Schluss: „Wirtschaftliche und soziale Besitzstände, die auf den demographischen Prämissen der Vergangenheit aufbauen, sind in Frage gestellt. (…) Besonders betroffen sind alle sozialen Besitzstände. Sie stehen vor nachhaltigen Veränderungen, bis hin zum Widerruf. (…) Darum ist ein neues Konzept notwendig. Ein Konzept, in dem der Begriff Verzicht die Hauptrolle spielen
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Konklusion IV muß. Verzicht innerhalb der Industriegesellschaften auch für uns in Deutschland – ist unerläßlich, wenn nicht die nächste Generation unter der Schuldenlast zusammenbrechen soll. (…) Die Konsequenz: Wir müssen alle zurückstecken, der Bund, die Länder, die Kommunen, Unternehmer und Gewerkschaften, jeder einzelne von uns. Wir werden alle mehr Steuern zahlen und sparsamer leben müssen, über den Inflationsausgleich hinaus wird es keine Lohnerhöhungen geben können. Wir müssen unseren Lebensstil ändern. Das wird für alle schmerzhaft sein. Aber es ist nicht einzusehen, warum es uns so schwerfallen sollte, freiwillig zur Erhaltung des inneren Friedens Verzichte zu leisten, die jeder im Falle eines Krieges selbstverständlich auf sich nimmt“ (Gräfin Dönhoff et al. 1992:14ff).
Zumindest im Hinblick auf die sozialen Besitzstände wird spätestens mit Inkrafttreten der Hartz-Gesetze im Januar 2003 (Hartz I und II; Hartz III im Januar 2004; Hartz IV im Januar 2005) die Forderung nach Verzicht seitens der Bevölkerung umgesetzt. Die Vorschläge der Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, die unter der Leitung von Peter Hartz als Hartz-Gesetze bekannt und unter der rot-grünen Regierung Gerhard Schröders umgesetzt werden, führen zu den größten Einschränkungen von Sozialleistungen in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Argumentativer Ausgangspunkt der Harzt-IV-Gesetze sind neben der verstärkten ökonomischen Konkurrenz im Zuge der Globalisierung, die anhaltende niedrige Geburtenrate Deutschlands, die eine soziale Absicherung der Gesellschaft nicht mehr ermögliche. Damit erreicht die Demographisierung sozialräumlicher Problemsituationen ihren Höhepunkt und sie kann bis heute Glaubwürdigkeit beanspruchen. In Bezug auf die neuen Bundesländer ist sie besonders effektiv, wenn zum Beispiel der niedrigere Lohn für ostdeutsche Arbeitnehmerinnen als Wettbewerbsvorteil im Rahmen alternder und weniger produktive Erwerbspersonen verhandelt werden kann und dies letztendlich wieder zu wissenschaftlichen Studien führt, die die Folgen dessen beurteilen. „Hohe Investitionen in den industriellen Kapitalstock und ein Wachsen der Arbeitskosten unterhalb der Produktivitätsentwicklung einschließlich des Abbaus nicht mehr wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze haben schließlich zu einem Sinken der Lohnstückkosten geführt, das den neuen Ländern gegenwärtig Wettbewerbsvorteile sichert. (…) Dieser wirtschaftliche Umbau wurde begleitet durch eine massive Migration zwischen West- und Ostdeutschland. So fehlten für die Erneuerung in Führungsfunktionen der Wirtschaft und des Staates wesentliche Kompetenzen, die von den Alten in die neuen Länder zu importieren waren. Umgekehrt konnten viele Hochqualifizierte in Ostdeutschland infolge der Transformation keine angemessenen Arbeitsplatze finden, wanderten nach Westdeutschland und waren damit, vor allen Dingen ab Anfang dieses Jahrzehnts, eine wesentliche Grundlage der wirtschaftlichen Expansion, hauptsächlich in den süddeutschen Ländern. Per Saldo hat Ostdeutschland damit rund 1,8 Millionen Menschen verloren, seine sehr positive demographische Reserve letztlich in die süddeutschen Flächenländer exportiert und damit deren Bevölkerungs- und Humankapitalstruktur nachhaltig verbessert. Mit der Wende haben sich die Fertilitätsmuster in den neuen Bundesländern erheblich verändert. Was zunächst als ein dramatischer Geburtenrückgang zu interpretieren war, erscheint über einen längeren Zeitraum betrachtet vor allem als ein Verschieben des Kinderwunsches in ein höheres Alter. Trotzdem entstanden damit zunächst Geburtenausfälle, die heute fühlbar sind, vor allem im Bildungssektor. Damit harrt bereits heute die Frage einer Antwort, wie die künftige wirtschaftliche Entwicklung vor dem Hintergrund eines immer stärker werdenden Bedarfs an Hochqualifizierten aus Ostdeutschland heraus ermöglicht werden kann“ (Institut für Wirtschaftsforschung Halle 2010:12).
Konklusion IV
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Für die Durchsetzung sind Bilder ein wesentlicher Teil von Macht-Wissen-Komplexen, die mit Blick auf die deutsche Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung auf die Wahrnehmung eines ganz spezifischen Gesellschafts-Raum-Verhältnisses hinarbeiten. Bilder tragen damit vor allem zur Disziplinierung und Regulierung des Blicks bei und sie verengen mit der Anwendung und Organisation von nicht diskursiven Symboliken sowie zusätzlichen diskursiven Erläuterungen die möglichen Interpretationsmöglichkeiten auf eine tatsächliche Sicht der Dinge; das kann auch die ambitionierte Dekonstruktion nicht ändern, da auch sie trotz Gegenerzählung die klassischen Rationalitäten der Visualität der Bevölkerungs- und Migrationsforschung in Anspruch nehmen muss, um verstanden zu werden. Dennoch ermöglicht die Dekonstruktion die Wahrnehmung von Vielseitigkeit der Erzählten Geographien – auch in Form von Bildern.
Zusammenfassung
„Kritik ist die Kunst nicht dermaßen regiert zu werden, jedes entschiedenen Willens – einer individuellen und zugleich kollektiven Haltung, aus seiner Unmündigkeit herauszutreten, wie Kant sagte.“ Michel Foucault am 27. Mai 1978 in seinem Vortrag zum Thema „Was ist Kritik?“ (1992:41) Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) war ein geschlossenes und durch politische Kontrolle organisiertes Staatsregime. Die politische, wirtschaftliche und soziale Schließung nach innen, manifestierte sich durch den Mauerbau von 1961 auch in räumlicher Hinsicht. Obwohl diese räumliche Manifestation von Staatspraktiken mit der Wende von 1989 fällt, ist diese räumliche Grenze eine mentale geworden und so wird sich alltäglich und auch wissenschaftlich weiterhin auf sie bezogen. So können 20 Jahre Wiedervereinigung zwar die räumlichen Grenzziehungen zum Ziele der Staatenkonstruktion politisch-geographischer Ideen beseitigen, nicht aber die sozialräumlichen; und es zeigt sich bis heute, dass ihre „Realität nur unwesentlich von den politischen Entscheidungen“ abhängt (Sahr & Wardenga 2005:160). Die Debatten über bevölkerungsrelevante Veränderungen sind ein eindrückliches Beispiel, wie die alltäglichen Grenzziehungen auch wissenschaftliche Relevanz besitzen. So prägen die Etablierung zweier deutscher Staaten von 1949–1989 und die damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Konzepte trotz Fall der Mauer im Jahre 1989 bis heute nicht nur die deutsch-deutschen Beziehungen, sondern auch die wissenschaftlichen Analysen. Diese Arbeit zielt auf die Rekonstruktion der wissenschaftlichen Wissensproduktion, Wissensvermittlung und Wissenszirkulation unter der Ablehnung wissenschaftlicher Entdeckungswahrheiten. Dazu bedurfte es erkenntnistheoretischer und methodologischer Zugänge, die einerseits den ontologischen Status wissenschaftlicher Phänomene als konstruiert akzeptieren und andererseits eine Reflexion der Forscherin und ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit selbst zulassen. Der Anschluss an die literaturwissenschaftliche Erzählforschung, an die französischen Differenzphilosophien sowie an die Praxistheorien erweisen sich als erfolgreich, da sie eine Abgrenzung von den etablierten positivistischen Ansätzen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung bieten. Deren Paradigma versteht sozialräumliche Phänomene als natürliche Dinge, was keinen Zugang zu einem metatheoretischen Blick auf die Wissenschaft selbst ermöglicht hat.
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Zusammenfassung
Im Zuge dessen ist es dieser Arbeit möglich, die Leserinnen für die den Studien zugrunde liegenden Rationalitäten und Diskurse ebenso zu sensibilisieren wie für die Dispositive, die es ermöglichen, dass sich das spezifische Wissen über Geschlecht und Raum entfalten kann. Denn wissenschaftliche Texte zur Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung erzählen nur scheinbar explizit etwas über Bevölkerung und Wanderung. Implizit verweisen sie auf das Sprechen über soziale und räumliche Kategorien beziehungsweise auf deren sprachliche und visuelle Verwendung innerhalb eines wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontextes, in dem wissenschaftliche Texte produziert und konsumiert werden. Wendet man also den Blick vom scheinbar objektiven Gegenstand ab und konzentriert man sich auf den Kontext der Sprach- sowie Bildhandlung innerhalb dieser Kontexte, eröffnet sich ein Blick auf die Produktion von Wissen innerhalb einer wissenschaftlichen Scientific Community und damit auf die soziale Konstruiertheit wissenschaftlicher Kategorien, Gegenstände und Tatsachen. Ein solches Vorgehen zeigt, dass wissenschaftliche Erkenntnisprozesse soziale Konstruktionsprozesse darstellen und wissenschaftliches Wissen hier mit Bezug auf die erkenntnistheoretischen Analysen von Ludwik Fleck (1935a, 1983) zu Denkstil und Denkkollektiven, nicht als Entdeckung einer äußeren Realität verstanden werden kann, sondern dass der Begründungs- und Entdeckungszusammenhang, die Durchsetzung, Verfestigung und der Verfall wissenschaftlicher Theorien und Methoden als soziale Prozesse zu deuten und mit bestimmten (Wissenschafts)gemeinschaften zu identifizieren sind. Das heißt, dass das Wissen über Geschlecht und Raum keine voraussetzungslose objektive Erkenntnis darstellt und somit den Status fraglos akzeptierter Fakten aufweist – wie dies religiöses und traditionelles Wissen beansprucht – sondern als wissenschaftliche Praktiken verstanden werden muss. ‚Sachverhalte‘ wie ‚Frau‘, ‚Ostdeutschland‘ und ‚Migration‘ entstehen erst im Zuge der Wissenshervorbringung durch Bedeutungsaufladung und Erzählung innerhalb eines spezifischen raum-zeitlichen Kontextes. Erzählungen sind in diesem Sinne wiederkehrende Muster der Konstruktion und Vermittlung, die bestimmte Dinge hervorbringen, Ordnungen etablieren, Sinn stiften und dem Erzählten Objektivität verleihen. Somit kann gezeigt werden, dass es sich in den vorliegenden Debatten der Bevölkerungs- und Migrationsforschung um diskursive und visuelle wissenschaftliche Praktiken der Bedeutungszuschreibung handelt. Sie liefern eine stabile und im wissenschaftlichen Feld allgemein akzeptierte Sprache und sie entwerfen Visualisierungen, die als Abbildung der Welt erscheinen. Der Sprach- und Bildgebrauch ermöglicht es den Wissenschaftlerinnen, als Wortführerinnen innerhalb eines Diskurses zu agieren und Akzeptanz und Glaubwürdigkeit durch Geltung zu fordern. Hierbei ist der Bezug zu statistischem und kartographischem Material, welches als objektiv wahrgenommen wird, von großer Bedeutung, denn es dient der Bestätigung der verwendeten Sprache und ihrer Zusammenhänge im Zuge der Sichtbarmachung. Damit wird deutlich, dass Wissenschaftlerinnen aktiv an der Diskursproduktion beteiligt sind und entsprechend gesellschaftlicher Rationalitäten sowie wissenschaftlicher Denkstile Wissen schaffen.
Zusammenfassung
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Wissenschaftliches Wissen über Geschlecht und Raum Die wissenschaftlichen Bemühungen können insgesamt als wissenschaftliche Regionalisierungsprozesse bezeichnet werden, die Geschlecht und Raum verorten respektive Handlungserwartungen festlegen. Auf diese Weise macht diese Arbeit Benno Werlens ‚Konzept der alltäglichen Regionalisierung‘ für die wissenschaftliche Praxis fruchtbar. Mit Blick auf Bourdieus „homo academicus“ (1988 [1984]) ist es möglich diese Regionalisierung differenzierter zu betrachten, indem auf die spezifischen Praktiken der Wissenskonstitution hingearbeitet werden kann. Zunächst kann mit Blick auf die Analysen zur Bevölkerung und Binnenmigration behauptet werden, dass den wissenschaftlichen Regionalisierungen eine gewisse Naturalisierung unterliegt. So erscheinen die demographischen Indikatoren Geschlecht und Alter als biologische und natürliche Determinanten, was sie enthistorisiert und unangreifbar macht. Die Naturalisierung wird begleitet durch eine Homogenisierung von Individuen in Alters- und Geschlechtsklassen und somit von einer Reduzierung auf wenige Kriterien, die unhinterfragt übernommen werden und damit die Kenntnis ihrer eigenen Grundlagen ausschließen. Das Individuum wird durch Eigenschaften gespiegelt, die nicht dem Individuum an sich inhärent, sondern für die Bevölkerungs(er) forschung – also für die Bedürfnisse des Staates – interessant sind. Soweit lassen sich nicht unbedingt Unterschiede zu alltäglichen Regionalisierungen feststellen. Neben Naturalisierung, Homogenisierung und Reduzierung werden die Bevölkerungs- und Binnenmigrationsanalysen aber von weiteren Durchsetzungsstrategien begleitet, die als spezifisch wissenschaftliche Praxis verstanden werden können. Vordergründig kann hier die Exemplifizierung und Realisierung durch Beweise genannt werden. Die Naturalisierung, Homogenisierung und Reduzierung durch die Darstellung statistischer Beweise führt einerseits zu einem Realitätseffekt, das heißt zur Übereinstimmung wissenschaftlicher Kategorien mit der sozialen Welt, der die wissenschaftliche Konstruktion wiederum auf die Ebene des Alltagswissen transformiert, der sie einst entrissen wurde. Andererseits ermöglichen die statistischen Beweise einen Wissenschaftseffekt, der die wissenschaftliche Beschäftigung mit einem spezifischen Thema überhaupt erst ermöglicht. Für wissenschaftliche Regionalisierungen ist zudem eine Hierarchisierung der Kategorien üblich, sodass nicht ‚Alles‘ in den wissenschaftlichen Blick gerät, sondern im Rahmen wissenschaftlicher Denkstile nur ‚bedeutsame‘ Aspekte der sozialräumlichen Welt relevant sind. So erscheinen die spezifischen Anrufungen der Kategorie Geschlecht (Frau – Mann) und Alter (jung – alt) durch die Ergänzung weiterer bedeutsamer Determinanten wie zum Beispiel Qualifikation (gut ausgebildet – schlecht ausgebildet) auf der Basis eines gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Perspektivismus. Interessant ist (weiblich, jung, gut ausgebildet, gebärfähig), was für den Erfolg respektive den Misserfolg des Staates von Bedeutung ist. Dem Perspektivismus und der Hierarchisierung muss eine Theoretisierung folgen, die erstens diffuse, chaotische und brüchige Alltagserfahrungen auslöscht und damit eben jene Ausgangspunkte wie Homogenisierung, Reduzierung, Naturalisierung usw. verdeckt. Zweitens ist der Theorie-Effekt eine wichtige Voraussetzung zur Neutralisierung von Ergebnissen, denn die wissenschaftliche Arbeit muss losgelöst von den Autorinnen Realität be-
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Zusammenfassung
schreiben und erklären. Da die Objektivierung durch Abstraktion trügerisch ist, erfolgt eine Trennung des wissenschaftlichen Gegenstandes von den Wissenschaftlerinnen; die Brücke zwischen beiden ist die Operationalisierung. Das heißt, dass die Autorinnen ihre bestimmte Position innerhalb des wissenschaftlichen Feldes durch Verfahren der Operationalisierung zu verschleiern versuchen. Damit ist der Theorie-Effekt drittens eine bedeutsame Voraussetzung zur Operationalisierung – also Messbarmachung – der sozialräumlichen Welt, wobei die nachvollziehbare Methode wiederum Wissenschaft lichkeit beweist und herstellt. Zudem sind Theoretisierung und Operationalisierung von einer Periodisierung begleitet, die sozialräumlichen Phänomenen einen raumzeitlichen Ausschnitt zuordnet, der als Grundlage für die Messung und für die darauf folgenden Aussagen dient. Schließlich können die wissenschaftlichen Regionalisierungen im Hinblick auf die Visualisierung erweitert werden. Visualisiert werden nicht – wie im Sinne alltäglicher Regionalisierungen – bloße Orte und soziale Phänomene; visualisiert werden wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese wissenschaftlichen Tatsachen sind eine Folge der Durchsetzungsstrategien Naturalisierung, Homogenisierung, Reduzierung, Exemplifizierung, Realisierung, Wissenschaftseffekt, Hierarchisierung, Perspektivismus, Theoretisierung, Operationalisierung, Neutralisierung, Periodisierung und sie vereinigen sich in der Karte, Tabelle, Grafik oder dem Diagramm. Damit sind Wissenschaftsbilder Endprodukte der wissenschaftlichen Praxis und bilden gleichzeitig wiederum den Ausgangspunkt für neue wissenschaftliche Regionalisierungen. Denn sind die Tatsachen erstmals sichtbar, sind variierte Analysen und folgende Sichtbarmachungen dieser jederzeit möglich. „Ostdeutschland“, „neue Bundesländer“, „ostdeutsche Frauen/Männer“, „junge gut ausgebildete (ostdeutsche) Frauen“, „kinderlose Frauen“, „frustrierte ostdeutsche Männer“, „westdeutscher Heiratsmarkt“ usw. sind infolgedessen keine realistischen Kategorien, sondern das Resultat wissenschaftlichen Geographie-Machens. Das heißt, dass wissenschaftliches Handeln und dessen jeweils spezifische Bezüge auf die sozialräumlichen Dimensionen des Handelns jeweils spezifische Bedeutungen von Personen und Räumen hervorbringen. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass die wissenschaftlichen Regionalisierungen gegenüber den alltäglichen Regionalisierungen Spezifika aufweisen. Über die Naturalisierungen, Homogenisierungen und Reduzierungen hinaus strebt die wissenschaftliche Tätigkeit Exemplifizierung, Realisierung, Hierarchisierung, Theoretisierung, Neutralisierung, Operationalisierung, Periodisierung und nachvoll‚seh‘bare Visualisierung an, damit sich die wissenschaftlichen Geographien von Geschlecht und Raum durchsetzen können. Die Erfassung der Gesellschaft als Zahl, die Wiedergabe des Individuums im Durchschnitt, die Vorstellung, dass die erhobenen Daten Ursachen und Wirkungen beinhalten, die homogene Kategorisierung von Geschlecht und Raum als auch die Abbildung der Gesellschaft unterliegen der Vorstellung von Wissenschaftlerinnen, dass je mehr man über die Bevölkerung weiß, umso mehr sei diese zu organisieren, zu kontrollieren und / oder auch zu verändern. Wissen über die Bevölkerung ist damit erstens eine Folge gerichteten Wahrnehmens im Zuge der Interessen einer Scientific Community, zweitens von Zählen und Berechnung des Durchschnitts, drittens von Ausweisung spezifischer natürlich erscheinender Kategorien wie Ge-
Zusammenfassung
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schlecht und Raum, viertens von Korrelation unterschiedlicher, scheinbar objektiver Eigenschaften mit den ausgewiesenen Kategorien und fünftens von Prognostizierung mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Präsentation von Menschen und Räumen als Objekte mit jeweils spezifischen Eigenschaften führt aber nicht allein zur Darstellung respektive Beschreibung oder zur Präsentation des zukünftigen Zustandes des Volkskörpers. Ganz im Gegenteil entstehen im Zuge der wissenschaftlichen Tätigkeit Personen oder Räume und deren Eigenschaften erst in einer Art und Weise, wie sie vorher nicht vorhanden sind, sodass Ian Hackings (2006:23) „making up people“ um ein „making up space“ ergänzt werden kann. Der wissenschaftlichen Herstellung sind mit der Verwendung statistischer Methodik grundsätzlich keine Grenzen gesetzt, da letztendlich unendlich viele Handlungen mit Personen sowie mit Räumen in Verbindung gebracht werden können. Da entstehen nicht nur alters- und geschlechtsspezifische Gruppen, sondern auch Fort- und Zuziehende bei Fokussierung auf Handlungen des Wanderns, Fachkräfte und schlecht Ausgebildete bei Fokussierung auf Handlungen des Bildens, Werktätige und Arbeitslose bei Fokussierung auf Handlungen des Arbeitens usw. Als Resultat entstehen Gruppen und Gruppenmitglieder mit spezifischen Eigenschaften, die durch Zahlen und Abbildungen sichtbar gemacht werden und zudem die Grundlage für weitere Differenzierungen und Kategorisierungen bilden. Interessant ist dabei, dass die wissenschaftliche Praxis des Zählens und Quantifizierens Normativität erzeugt, das heißt Grenzen des Normalen und Abweichenden festlegt. Denn mit der Bildung gruppenspezifischer Kategorien, erfolgen Anweisungen, wann Frauen (und Männer) etwas (z. B. Reproduktion) zu tun haben, wann Wanderungen normal sind (z. B. Bildungswanderung im Alter von 16–25) und wann (im Alter von 25–35) oder bei wem (weibliche Fachkräfte) sie abweichend sind. Auch wenn Hacking (2006:24) darauf hinweist, dass auch Georges Canguilhem, der sich in seinem Werk ‚Das Normale und das Pathologische‘ (1947 [1943]) mit der Frage beschäftigte, „Was kommt zuerst, Normalität oder Devianz?“, die Antwort nicht geben kann, betont er die Bedeutung der statistischen Tätigkeit für die Ordnung, Kontrolle sowie Planung der Gesellschaft. Damit bleibt festzuhalten, dass die deutsche Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung homogenisierend im Hinblick auf die räumliche Registrierung sozialer Prozesse, wie zum Beispiel durch die Untersuchung von Ost-West-Wanderungen, stereotypisierend bezüglich der Unterwerfung des Individuums unter den Staats- respektive Volkskörper durch Ausweisen von Fertilitätsraten, essenzialistisch aufgrund der Übertragung potenzieller biologischer Eigenschaften von Frauen und Männern auf die soziale Ebene, naturalisierend durch das Erklären sozialer Phänomene als natürliche respektive unnatürliche Prozesse, die die natürliche Bevölkerungsentwicklung bremsen, und nicht zuletzt komplexreduzierend durch die Anschaulichkeit der Visualisierungen, die notwendigerweise Auslassungen vornehmen muss, um ‚Darstellbarkeit‘ überhaupt umsetzen zu können.
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Zusammenfassung
Erzählte Geographien leisten … Die Fragen, „Wie entsteht wissenschaftliches Wissen?“ und „Wie wird wissenschaftliches Wissen vermittelt?“ scheinen nur auf dem ersten Blick völlig unterschiedlich von der Frage zu sein, „Wann kann sich wissenschaftliches Wissen durchsetzen?“ Nach Bruno Latour (2002:119f) ist die Entstehung und Vermittlung jedoch eine Voraussetzung für die Durchsetzung – also den Erfolg – wissenschaftlichen Wissens und somit sind schon von Beginn an die wissenschaftlichen Bemühungen der Erkenntnisproduktion sowie -vermittlung darauf ausgerichtet. Konkret bedeutet dies, dass Wissenschaftlerinnen folgende Tätigkeiten vollziehen müssen, um erfolgreich zu sein: Forschungsgegenstand feststellen, abgrenzen und Existenz beweisen sowie Prozessverläufe, Auswirkungen respektive das Funktionieren des Forschungs‚gegenstandes‘ darstellen (Mobilisierung der Welt), Kolleginnen überzeugen und Allianzen finden (Autonomisierung) sowie das Interesse der Öffentlichkeit wecken (Repräsentation). … die Mobilisierung der Welt Die Studien der Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung schaffen sich einen Zugang zur Welt durch Datenerhebungen. Im Zuge dessen meinen die Demographinnen und Migrationsforscherinnen, dass sie spezifische ‚Dinge‘ der Welt einsammeln, dass sie sie in eine übersichtliche Ordnung bringen, dass sie also am Ende der Datenerhebung ein bestimmtes Stück der Welt – die Bevölkerung und ihre Eigenschaften – durch ihre Aufschreibegeräte – repräsentativ abbilden können und sozusagen ‚in ihren Händen halten‘. Die Bevölkerung hat im Zuge dessen die Eigenschaft, den Wissenschaftlerinnen als unmittelbar zu erlebendes sozialräumliches Phänomen zu erscheinen. Die Folge sind diskursive Texte, wie Bücher, und visuelle Abbilder, wie Tabellen, Grafiken, Diagramme, Karten, die die Bevölkerung und ihren Zustand gleichzeitig (auf)bewahren und präsentieren. Nicht selten schafft es die Bevölkerung durch Text und Bild in Ausstellungen und Museen oder in die Print- und Fernsehmedien, wo sie als repräsentatives Phänomen der Welt die Gesellschaft repräsentiert. Oder sie erlangt Aufmerksamkeit von Politikerinnen, die die Bevölkerung und ihren Zustand in politische Debatten einbringen. Somit dienen die aufgezeichneten ‚Dinge der Welt‘ wie Schrumpfung, Abwanderung, Arbeitslosigkeit, fehlendes Wachstum, Fertilität der Rechtfertigung wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Ziele. Damit wird deutlich, wie die Bevölkerung durch die wissenschaftlichen Tätigkeiten mobil wird, wie also spezifische Phänomene der Welt aktiviert und in Worte und Bilder gefasst werden, um sie für die Anwendung aufzubereiten; das heißt den Zugriff auf sie zu ermöglichen. Worte und Bilder werden wiederum zu Referenten für weitere Worte und Bilder, womit der wissenschaftliche Text seine eigenen Referenten mobilisiert und sich damit selbst verifiziert. Die Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum sind also die Folge der Mobilisierung der Welt und sie erscheinen durch die spezifischen theoretischen Perspektiven, Instrumente und Verfahren der Scientific Community als spezifischer Ausschnitt aus der Welt. Dieser Teil der Welt, mit seinen Eigenschaften sowie mit seinen Bedeutungen für die Gesellschaft, dient wiederum dazu, die Rationalitäten der Wis-
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senschaft und ihrer Anwendungen zu bestätigen. So wird mit der Mobilisierung der Welt gleichzeitig ein Kreislauf aktiviert, der die Notwendigkeit wissenschaftlicher Tätigkeiten immer wieder aufs Neue hervorhebt. Auf diese Weise entstehen immer detailliertere Forschungsgegenstände von (inter)nationaler Migration über deutsche Binnenwanderungen bis hin zum Wanderungsverhalten junger gut ausgebildeter Frauen von Ost nach West. Damit dienen die Erzählten Geographien von Geschlecht und Raum nicht alleinig der Mobilisierung der Welt, sondern vor allem der Mobilisierung der Wissenschaft, die damit ihre Existenz, Bemühungen sowie Leistungen legitimiert. … einen Autonomisierungsprozess Die Bevölkerungs- und Migrationsforschung benutzt als Aufschreibegeräte zur Mobilisierung von Welt vordergründig die Statistik sowie die Kartographie. Beide Instrumente erscheinen den Wissenschaftlerinnen als Instrumente der Repräsentation von Welt, was eine Konsequenz der Glaubwürdigkeit in die empirische Erhebung sowie die visuelle Abbildung ist. Dass die Erhebungs- sowie Darstellungsinstrumente diese Glaubwürdigkeit besitzen, ist eng an die Ausbildung einer Scientific Community gebunden, die sich „ihre eigenen Bewertungs- und Relevanzkriterien“ (Latour 2002:123) gibt. Damit sind die Statistik und die Kartographie aber zunächst einmal die Folge wissenschaftlicher Aushandlungsprozesse, in deren Rahmen die Wissenschaftlerinnen über die grundlegenden Akzeptabilitätsbedingungen übereinkommen; die Statistik sowie die Kartographie also als Instrumente der Weltmobilisierung aushandeln und akzeptieren. Damit einher gehen klare Regeln, wie die Statistik und die Kartographie als Aufschreibeinstrumente zu verwenden und vor allem zu interpretieren sind, was wiederum Auseinandersetzungen mit der Scientific Community braucht. An genau dieser Stelle beginnt das Referenzieren und Zitieren der Scientific Community, die gleichzeitig als Autoritätsargument zur Herstellung von Objektivität und Glaubwürdigkeit dient. Bezüge zu schon erfolgten Studien der Bevölkerungs- und Migrationsforschung sind im Zuge dessen ebenso vertreten, wie Institutionen (z. B. Statistisches Bundesamt, Berlin-Institut für Bevölkerung). Die eigene Arbeit zu verorten führt dabei nicht nur zu einer Position innerhalb der Scientific Community, sondern vor allem zur Zirkulation des spezifischen Wissens der Scientific Community, das sich im Zuge dessen von der wissenschaftlichen Erkenntnisproduktion abkoppelt und als autonome Erkenntnis zirkuliert. … die Verbindung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit Werben Wissenschaftler in der höfischen Gesellschaft des 17. und 18. Jahrhunderts um die Aufmerksamkeit finanzstarker Fürstenhäuser, setzt sich mit einem aufstrebenden Bildungsbürgertum im 18. wie 19. Jahrhundert die Wissenschaft, vor allem die Naturwissenschaft, als gesellschaftsförderndes Instrument durch. Die folgende Institutionalisierung der Wissenschaft an den Universitäten verändert das Bild des Wissenschaftlers durch das Emporheben des individuellen Tüftlers aus den privaten Kellerräumen zu angesehenen Professoren mit Lehrstühlen. Die zunehmende Demokratisierung im 20. Jahrhundert lässt zudem ein breites Zielpublikum für die Wissenschaft entstehen, das
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– zwar nicht unbedingt bildungs- und aufklärungsorientiert, sondern vielmehr instrumentell-pragmatisch orientiert ist – die Bedeutung und das Ansehen der Wissenschaft als zentrales Instrument zukünftiger Gesellschaftsentwicklung fördert. Diese instrumentell-pragmatische Anforderung des Zielpublikums führt zu einer Durchsetzung wissenschaftlicher (vor allem technischer) Errungenschaften, die das alltägliche Leben zunehmend durchdringen und Abhängigkeit hervorrufen. Bis heute wird ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung neuer Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung gewonnen, wodurch der Stellenwert in Politik und Wirtschaft stetig zunimmt (Gornik 2007:163). In der zweiten Hälfte des 20. und im frühen 21. Jahrhundert(s) ist die Wissenschaft nun hauptsächlich dem Staat und zunehmend der Wirtschaft Rechenschaft schuldig. Dass sich damit die Bewertung von guter und schlechter Wissenschaft zu brauchbarer und unbrauchbarer Wissenschaft verwandelt, wird größtenteils akzeptiert, ja sogar als positive Entwicklung im Rahmen von Effizienzsteigerung und knapper Staatskassen gefördert. Und auch die Wahrnehmung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Öffentlichkeit und die Anforderungen an die Wissenschaft resultieren vor allem aus aktuell als bedrohlich empfundenen Phänomenen. Die zentrale Quelle der Wahrnehmung der Wissenschaft in der Öffentlichkeit sind die Medien und diese sind selektiv strukturiert. So spielen „Aktualität, Kontroversen, Erlebnisnähe durch lokalen Bezug, Alltagserfahrung und Ereignishaftigkeit“ (Weingart 2009:151) vor allem aber Katastrophen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft eine hervorgehobene Rolle (vgl. Stuber 2005). Dies sind Fertigkeiten, die die Bevölkerungs- und Binnenmigrationsforschung hervorragend beherrscht. Darin liegen die Spannungen zwischen seriöser Wissenschaft zum einen und dem Wunsch nach gesellschaftlicher Relevanz und Präsenz der Wissenschaft, die vor allem medial erfolgt, zum anderen begründet. Zudem zeichnet sich im Zuge stetiger Differenzierung der Wissenschaftsdisziplinen sowie zunehmend unverständlicher Wissenschaftssprache(n) die Entstehung universitärer Glashäuser ab, deren Kommunikation meist selbstreferenziell ist und nicht dazu dient eine breite Öffentlichkeit an den Erkenntnissen der Wissenschaft teilhaben zu lassen. Dies wird von staatlichen Geldgebern nicht gerne gesehen und es kommt von politischer Seite zur Forderung nach einem medialen „outreach“, der an einigen Fakultäten schon zum Bewertungskriterium avanciert. Infotainment und Edutainment als Verbindung wissenschaftlicher Informationen mit Unterhaltung scheint einen Ausweg aus diesen Spannungen zu ermöglichen und wird akzeptiert, da „auf diese Weise die Wissenschaft wenigstens einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird“ (Weingart 2009); auch wenn diese Form wissenschaftlicher Information hauptsächlich durch die Inszenierung von Diskursen erfolgt (vgl. Weingart et al. 2007). Diese Medialisierung der Wissenschaft muss nicht unbedingt nachteilig sein, jedoch wird sie es, wenn sich die Themen der Wissensproduktion aus populistischen Themen rekrutieren und/oder diesen scheinbar wissenschaftliche Beweise liefern. Wissenschaftlerinnen müssen sich in einer Wissensgesellschaft bewusst machen, dass sie Wissen nicht erweitern, sondern dass sie mit ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen repektive Erzählungen die Welt erschaffen.
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Wissenschaftlerinnen als … Mit Bezug auf die Praxistheorien verabschiedet sich diese Arbeit von der Vorstellung, wissenschaftliches Wissen wird unabhängig von Wissenschaftlerinnen gewonnen. Das heißt, dass das Forschungsinteresse, die Forschungsfragen, der Forschungsstil und schlussendlich die Forschungsergebnisse eng an die gesellschaftliche sowie wissenschaftliche Positionierung der Wissenschaftlerinnen gebunden ist. Obwohl sich diese Arbeit auf die Praktiken einer Scientific Community konzentriert, sollen an dieser Stelle einige Wissenschaftlerinnen der Community und deren gesellschaftliche sowie wissenschaftliche Positionierungen hervorgehoben werden, um die engen Verbindungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit aufzeigen zu können. Das gestattet einen Blick auf die Anrufungspraktiken der Öffentlichkeit gegenüber Wissenschaftlerinnen; also die Rekonstruktion der von der Öffentlichkeit zugeschriebenen Rollen von Wissenschaftlerinnen. … Expertinnen für die ‚richtige‘ Bevölkerung(sverteilung) Konzentriert man sich im Zuge der Dateninterpretation, vor allem mit Blick auf die alltäglichen und wöchentlichen Zeitungsmedien, nicht allein auf die sprachlichen Marker „Demographie“ respektive „demographischer Wandel“ und/oder „Abwanderung“, sondern auf die benannten Wissenschaftlerinnen, wird deutlich, dass diese als Expertinnen angerufen und damit als Autoritätsargument herangezogen werden. Wie aber werden Individuen zu Expertinnen der Bevölkerungs- und Migrationsforschung? Erstens durch eine spezifische Ausbildung an Universitäten, die durch Titel (z. B. Sozialwissenschaftlerin, Doktorin, Professorin) sichtbar, erfolgreich abgeschlossen wird. Zweitens durch eine berufliche Karriere, die das Individuum im Rahmen von forschenden oder lehrenden Tätigkeiten an verschiedene anerkannte Forschungsinstitute und/oder Bildungseinrichtungen geführt hat. Drittens durch Publikationen und Vorträge, die den Kenntnisstand der Wissenschaftlerinnen widerspiegeln und/ oder die Anwendung auf spezifische Phänomene der sozialräumlichen Welt darstellen. Viertens sind Individuen Expertinnen und damit Autoritäten durch ihre Funktionen in Stiftungen, Instituten, Kommissionen usw. Bei Anrufungen kommt es zur Aufrufung des Expertenstatus, was der Bestätigung angesprochener Problemsituationen ebenso dient wie der Glaubwürdigkeit folgender Einschätzungen für die Zukunft. „Die Bevölkerung altert, die Kosten für die Sozialsysteme steigen – fast jeder hat diese Binsenweisheit schon gehört und rasch wieder verdrängt. Die meisten leiten daraus nur kurzfristige Fragen ab: Wie groß ist das Loch in der Rentenkasse in diesem Jahr? Werden die Krankenkassen im Herbst schon wieder teuer? Der Demograph Herwig Birg, Professor und Institutschef in Bielefeld, nimmt für sich in Anspruch, die längerfristigen Entwicklungen im Blick zu haben“ (Spiegel Online 30.05.2003). „Prof. Herwig Birg studierte zunächst an der Technischen Hochschule Stuttgart und an der Hochschule für Gestaltung Ulm. Ab 1962 nahm er ein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin auf. Im Jahre 1970 erfolgte seine Promotion zum Dr. rer. pol. an der Freien Universität Berlin. Ab Ende der 1960er-Jahre bis zum Anfang der 1980er-Jahre war er sowohl forschend am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin als auch lehrend an Berliner Universitäten und Hochschulen tätig. Im Zeitraum von 1981 bis 2004 hatte er
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Zusammenfassung einen Lehrstuhl für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bielefeld inne und war geschäftsführender Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik (IBS) an der Universität Bielefeld. Seit 2004 ist er für verschiedene Auftraggeber forschend und beratend tätig“ (Verband Kinderreicher Familien Deutschland e. V.; Interview mit Herwig Birg).
Mit dem Status als Expertinnen wird Wissenschaftlerinnen die Fähigkeit zugesprochen, sozialräumliche Tatsachen umfassend erfassen, diese auf Ursachen zurückführen, Aussagen für die Zukunft treffen, um damit insgesamt ein objektives Urteil abgeben zu können. Damit üben Bevölkerung- und Migrationsforscherinnen zum einen starken Einfluss auf die Familienpolitik der Bundesrepublik Deutschland und zum anderen auf die Vorstellungen über die ‚richtige‘ Gesellschaft und damit die ‚richtige‘ Bevölkerung aus. „Die Bundesrepublik Deutschland steht vor einem doppelten Nachwuchsproblem; einem quantitativen und vor einem qualitativen. Quantitativ gesehen fehlt seit rund 30 Jahren jährlich etwa ein Drittel der für die Erhaltung des Bestandes der erwerbstätigen Bevölkerung notwendigen Geburten. Qualitativ gesehen weisen nicht nur die Ergebnisse der Pisa-Tests, sondern auch gesundheitswissenschaftliche Studien und Studien zur Kinderarmut darauf hin, dass in Deutschland etwa ein Drittel der Kinder und Jugendlichen unter für ihre gesunde und erfolgreiche Entwicklung prekären Verhältnissen aufwachsen. Etwa jedes 4. Kind aus Familien mit Migrationshintergrund erreicht derzeit nicht einmal einen Hauptschulabschluss. Diese Kinder machen fast 30 Prozent unseres gesamten Nachwuchses aus. Deutschland leistet sich also nicht nur eine der langfristig niedrigsten Geburtenraten der Welt, sondern bietet auch dem einmal geborenen Nachwuchs sehr ungleiche Entwicklungschancen. (…) Beim internationalen Vergleich westeuropäischer Staaten fällt Deutschland ferner durch einen ausgeprägten Trend zur Ausbreitung der Kinderlosigkeit unter den jüngeren Generationen auf“ (Vortrag von Franz Xaver Kaufmann im Forum Demographischer Wandel 2006).
… Wortführerinnen bei Handlungsempfehlungen Mit diesen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Positionierungen gelten Wissenschaftlerinnen als führende Expertinnen und somit nehmen sie die Position von Wortführerinnen ein. Bei sozialräumlichen Problemen wie zum Beispiel „Geburtendefizit“ besitzen sie die Autorität, Handlungsempfehlungen abgeben zu können, womit sie den Interpretationsspielraum einengen respektive die Interpretation in eine Richtung lenken. „Familienpolitik ist Wirtschaftspolitik! sagt der heute in Berlin lebende Prof. Herwig Birg. Der renommierte Bevölkerungswissenschaftler rückt die kinderreiche Familie und ihre Verdienste für die Gesellschaft in den Fokus seiner Betrachtungen. Denn diese sind es, die für die Sicherung der Sozialsysteme durch den Nachwuchs etwas tun. Konsequent fordert Prof. Birg einen Strategiewechsel in der Politik, die mehr sein sollte als Sozialpolitik“ (Verband Kinderreicher Familien Deutschland e. V.; Interview mit Herwig Birg). „Sterben die Deutschen aus? Laut einer Uno-Studie braucht Deutschland 500.000 Zuwanderer pro Jahr, um den Bevölkerungsschwund zu stoppen. Spiegel Online sprach mit Herwig Birg, Bevölkerungsexperte an der Uni Bielefeld, der erklärt, warum die Deutschen wieder mehr Kinder kriegen müssen“ (Spiegel Online 06.01.2000). „Eine längere Lebensarbeitszeit und eine höhere Beteiligung am Erwerbsleben könnte diesen Effekt abmildern, heißt es in dem Papier. Bereits 2005 hatten die EU-Staaten sich vorgenommen, das reale Rentenalter auf 65 zu steigern. Und die EU-Kommission steht mit ihren Vor-
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schlägen nicht allein da. Deutschlands führender Bevölkerungsforscher, Herwig Birg, legt noch einen drauf: Er forderte erst im März die Rente mit 74! Nur so könne unser solidarisches Rentensystem am Leben und auch in Zukunft das heutige Rentenniveau erhalten werden, sagte Birg“ (Bild 28.05.2010). „Die Bevölkerungswissenschaftlerin Charlotte Höhn über die demographische Entwicklung in Deutschland und die Auswirkungen auf das Sozialsystem. Junge Freiheit: Frau Professor Höhn, die Bevölkerung Deutschlands wird nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bis zum Jahr 2050 von derzeit 82 Millionen auf dann 65 bis 70 Millionen abnehmen. Damit verbunden ist eine drastische Veränderung des Altersaufbaus. (…) Welche Handlungsempfehlungen würden Sie Politikern mit auf den Weg geben? Höhn: (…) Sowohl eine Reform der Rentenversicherung, als auch eine Umgestaltung der Kranken- und Pflegeversicherung. Arbeitsmarkterfordernisse – insbesondere der Abbau der Arbeitslosigkeit – sind zu bedenken, die Frauenerwerbstätigkeit ist zu fördern. Wir müssen früher und länger arbeiten. Auch gezielte Zuwanderung wird nötig sein“ (Junge Freiheit 28.07.2000). „Was als harmlose Studie für den internen Gebrauch seinen Anfang nahm, endet in einem Kommunikations-Desaster für Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD): Vergangenen Montag stellte Tiefensee zusammen mit dem Berlin-Institut eine Studie zum demographischen Wandel in Deutschland vor – mit dem Titel: ‚Demografischer Wandel – Ein Politikvorschlag unter besonderer Berücksichtigung der Neuen Länder‚. (…) Die Autoren des 64 Seiten starken Gutachtens, Andreas Weber und Reiner Klingholz, legen in dem Papier nahe, bestimmte Regionen vor allem in den neuen Ländern nicht länger gesondert zu fördern. Grund: Bisher hätten sich nahezu alle Ansätze als kostenintensiv, aber wirkungslos erwiesen. Freilich ist das keine Nachricht, mit der Sozialdemokrat Tiefensee punkten kann“ (Süddeutsche Zeitung 25.06.2009).
Mit diesem verstärkten Interesse hinsichtlich der Migrationsmotive der Frauen wird jedoch nicht allein die abhängige weibliche Migration von Männern reproduziert, sondern die Analysen werden politisch-strategisch genutzt. Herausfinden, warum Frauen migrieren, oder warum Frauen weniger Kinder bekommen als noch vor 25 Jahren, ist oberstes wissenschaftliches Ziel, um entsprechende Handlungsempfehlungen zur Geburtenförderung oder zur Verhinderung weiblicher Migration darbieten zu können. Dies jedoch nicht, um Frauen ein attraktives Leben ‚zu Hause‘ zu ermöglichen, sondern damit sie den daheim gebliebenen Männern eine gute Ehefrau sein können und Kinder für die Region bekommen. Damit weisen Bevölkerungs- und Binnenmigrationsanalysen einen neuen Androzentrismus auf, der Frauen zwar in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses stellt, jedoch diese nicht als aktive, selbstbewusste Entscheidungsträgerinnen versteht, sondern die Motive von Wanderungsbewegungen unter essenzialistischen und ökonomistischen Perspektiven verarbeitet.
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Wie entsteht wissenschaftliches Wissen? Wie wird wissenschaftliches Wissen vermittelt, so dass es sich als gültiges Wissen durchsetzen kann? Diese zwei Fragen stehen im Mittelpunkt des vorliegenden Buches. Es zielt mit Blick auf die Bevölkerungsforschung auf die Rekonstruktion der wissenschaftlichen Wissensproduktion, -vermittlung und -zirkulation von Geschlecht und Raum – beides derzeit überaus erfolgreiche Konzepte bei der Durchsetzung politischer Interessen. Der Anschluss an die Erzählforschung, Differenzphilosophien und Bilddiskurswissenschaft ermöglicht, den ontologischen Status wissenschaftlicher Phänomene als
durch sprachliche und visuelle Handlungen konstruiert zu verstehen. Denn wechselt man die Perspektive vom scheinbaren objektiven Gegenstand auf die Sprach- und Bildhandlung, eröffnet sich ein Blick auf die Produktion von Wissen und damit auf die soziale Konstruiertheit wissenschaftlicher Gegenstände. Das sensibilisiert die LeserInnen für die den wissenschaftlichen Studien zu Grunde liegenden Rationalitäten ebenso wie für die Diskurse und Dispositive, die es ermöglichen, dass sich das spezifische Wissen über Geschlecht und Raum in Wissenschaft und Gesellschaft entfalten kann.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag
ISBN 978-3-515-10832-4