Genossenschaftswesen: Hand- und Lehrbuch [Reprint 2018 ed.] 9783486783322, 9783486217391

Das Genossenschaftswesen ist gegenwärtig gravierenden Veränderungen ausgesetzt, wie Autoren aus sechs Ländern mit zahlre

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German Pages 820 Year 1990

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Table of contents :
Vorwort
INHALT
Einführung
1. Die Genossenschaftsidee
1.1. Die Genossenschaftsidee als Gestaltungsprinzip
1.2. Die anthropologische Konzeption des Genossenschaftswesens in Theorie und Praxis. - Welche Chance hat der "homo c ooperativus"?
1.3. Die Stellung der Genossenschaftslehre (Kooperationswissenschaft) im System der Wissenschaften
2. Die Merkmale von Genossenschaften
2.1. Kooperative Merkmale
2.1.1. Genossenschaftliche Grundwerte
2.1.2. Die Genossenschaft als Zusammenschluß von Wirtschaftssubjekten und als Gemeinschaftsbetrieb
2.1.3. Der Förderungsauftrag der Genossenschaften
2.1.4. Operationalisierungdes Förderungsauftrages
2.1.5. Genossenschaftliche Identität bei sich ändernden Rahmenbedingungen
2.1.6 Willensbildung in Genossenschaften
2.1.7. Kooperations- und Konkurrenzmanagement im Genossenschaftswesen
2.1.8. Genossenschaftliches Bildungswesen
2.2. Rechtliche Merkmale
2.2.1. Aspekte der Genossenschaftsgründung
2.2.2. Die Gleichstellung der Mitglieder der Genossenschaft
2.2.3. Mitbestimmung bei Genossenschaften
2.2.3.1. Aus rechtlicher Sicht (Am Beispiel der bundesdeutschen Gesetzgebung)
2.2.3.2. Mitarbeiter-Mitbestimmung in Genossenschaften aus betriebswirtschaftlicher Sicht
2.2.4. Haftpflicht und Finanzierung
2.2.4.1. Haftpflicht und Finanzierung nach dem deutschen Genossenschaftsgesetz
2.2.4.2. Haftpflichtformen nach dem österreichischen Genossenschaftsgesetz
2.2.5. Genossenschaftliches Prüfungswesen
2.3. Leistungswirtschaftliche Merkmale
2.3.1. Die Leistungsbeziehungen genossenschaftlicher Geschäftsbetriebe
2.4. Finanzwirtschaftliche Merkmale der Genossenschaft
2.4.1. Finanzierungsarten
2.4.2. Strategische Unternehmensführung in Genossenschaften
2.5. Erfolgswirtschaftliche Merkmale
2.5.1. Zur Okonomisierung der genossenschaftlich organisierten Wirtschaft
2.5.2. Erfolgsmessung und Evaluierung der Genossenschaft
2.5.3. Genossenschaftliche Förderbilanz
2.6. Gesamtwirtschaftliche Merkmale und Aspekte
2.6.1. Die Stellung der Genossenschaften in der Wirtschaft
2.6.2. Zur Abgrenzung von Genossenschaften und Gemeinwirtschaft
2.6.3. Ordnungspolitische Aspekte der Genossenschaften in Entwicklungsländern
2.6.4. Konzentrations- und Fusionstendenzen
2.6.5. Die Genossenschaften im Wachstumsprozeß
2.6.6. Grundlagen genossenschaftlicher Strukturen und deren Wandlungen als Folge von Marktzwängen
3. Organisation der Genossenschaft
3.1. Aufbau des Genossenschaftsbereiches
3.1.1. Wirtschaftsorganisation
3.1.1.1. Grundtypen
3.1.1.2. Aufbau des Genossenschaftssektors in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft
3.1.1.3. Entwicklungstypen
3.1.2. Die Organstruktur der Genossenschaft
3.1.3. Verbandsorganisation
3.1.4. Die Genossenschaft als Organisation - ein systemtheoretischer Ansatz
3.2. Partizipation der Mitglieder an der genossenschaftlichen Tätigkeit
3.2.1. Gründe für den Eintritt in eine Genossenschaft
3.2.2. Mitgliederpartizipation in der Genossenschaft
3.2.2.1. Verschiedene Formen der Partizipation
3.2.2.2. Mitgliederpartizipation in managementgeleiteten Genossenschaften
3.2.2.3. Innergenossenschaftliche Gruppenaktivität und Kommunikation
4. Die Stellung von Genossenschaften in verschiedenen Wirtschaftsordnungen
4.1. Die Beziehungen der Genossenschaften zum Staat
4.1.1. In der Marktwirtschaft
4.1.2. Im Sozialismus
4.1.3. In den Entwicklungsländern Die Bedeutung eines angemessenen Genossenschaftsrechts für die Genossenschaftsentwicklung in der Dritten Welt
4.2. Das genossenschaftliche Bankwesen
4.2.1. In der Marktwirtschaft
4.2.2. Im Sozialismus
4.2.3. In Entwicklungsländern
4.2.3.1. Informelle Finanzinstitutionen in Entwicklungsländern
4.2.3.2. Das genossenschaftliche Bankwesen
4.3. Die Genossenschaften im ländlichen Bereich
4.3.1. In der Marktwirtschaft
4.3.2. Im Sozialismus
4.3.3. In Entwicklungsländern
4.4. Die gewerblichen Genossenschaften
4.4.1. In der Marktwirtschaft
4.4.2. Im Sozialismus
4.5. Die Genossenschaften der Konsumenten
4.5.1. In der Marktwirtschaft
4.5.2. Im Sozialismus
4.6.3. In Entwicklungsländern
4.7. Die Produktivgenossenschaften
4.7.1. In der Marktwirtschaft
4.7.2. Im Sozialismus
4.7.3. In Entwicklungsländern
4.8. Ansätze zur Entwicklung neuer Genossenschaftsformen in Westeuropa
4.9. Ansätze zur Entwicklung einer neuen Genossenschaftsbewegung in den sozialistischen Ländern
5. Internationale Zusammenarbeit
5.1. Zusammenarbeit der Genossenschaften mit internationalen Organisationen
5.2. Die Zusammenarbeit der Genossenschaftsorganisationen - Am Beispiel des Internationalen Genossenschaftsbundes (IGB)
5.3. Kooperation in der Genossenschaftsforschung
6. Das Verhältnis der Genossenschaften zu ihrem Umweltsystem
Personenregister
Sachregister
Autoren

Genossenschaftswesen: Hand- und Lehrbuch [Reprint 2018 ed.]
 9783486783322, 9783486217391

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Genossenschaftswesen Hand- und Lehrbuch

Herausgegeben von

Professor Dr. Dr. Juhani Laurinkari unter Mitarbeit von

Ass. Prof. Dr. Johann Brazda

R. Oldenbourg Verlag München Wien

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek G e n o s s e n s c h a f t s w e s e n : Hand- und Lehrbuch / hrsg. von Juhani Laurinkari unter Mitarb. von Johann Brazda. - München ; Wien : Oldenbourg, 1990 ISBN 3 - 4 8 6 - 2 1 7 3 9 - 9 NE: Laurinkari, Juhani [Hrsg.]

© 1990 R. Oldenbourg Verlag GmbH, München Das Werk außerhalb lässig und filmungen

einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzustrafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverund die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.

Gesamtherstellung: WB-Druck, Rieden

ISBN 3-486-21739-9

Vorwort Das Genossenschaftswesen ist gegenwärtig gravierenden Veränderungen ausgesetzt, wie Autoren aus sechs Ländern mit zahlreichen Beiträge in diesem Hand- und Lehrbuch belegen. In den letzten Monaten ist in den osteuropäischen Ländern ein großer Informationsbedarf für Genossenschaften entstanden. Zudem fehlt eine allgemeine Einführung in das internationale Genossenschaftswesen. Diesen Defiziten soll durch dieses Buch, das als Lehrunterlage für Ausbildungsstätten und als Vorbereitungshilfe für Klausuren und mündlichen Prüfungen der Studenten konzipiert ist, Rechnung getragen werden. Ein besonderes Augenmerk wurde bei der Konzeption darauf gelegt, das gesamte Spektrum an verschiedenen Lehrmeinungen abzudecken. Dem Leser soll die Vielfalt des internationalen Genossenschaftswesens nähergebracht und ein Überblick über die verschiedenen Denkansätze in der genossenschaftlichen Forschung geboten werden. Ein derart breit angelegtes Projekt wäre ohne die Unterstützimg zahlreicher Personen nicht möglich gewesen. Den folgenden möchte ich besonderen Dank aussprechen: -

allen Autoren für ihre Bereitschaft an diesem Buch mitzuarbeiten; dem Oldenbourg Verlag und besonders Herrn Chefredakteur Dipl.-Vw. Martin M. Weigert für die Aufnahme dieses Buches in das Verlagsprogramm und die gute Zusammenarbeit;

-

Herrn Ass. Prof. Dr. Johann Brazda (Wien) für die redaktionelle und sprachliche Hilfe bei den Beiträgen des Herausgebers und der fremdsprachigen Autoren; zudem danke ich ihm für die vielfältigen koordinierenden Aktivitäten bei der Reinschrift der Manuskripte;

-

Frau Edith Engelmajer, Frau Manuela Brazda und Frau Barbara Mende für die Reinschrift der Texte;

-

den Mitarbeitern des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg für die zahlreichen Ratschläge und praktischen Hilfeleistungen, insbesondere Herrn Geschäftsführer Dr. Wolfgang Pelzl, Frau Dipl.-Kfm. Karin Dorner, Herrn Dipl.-Kfm.Wolgang Betz und Frau Ines Wedekind M.A.;

-

Für kritische Bemerkungen bin ich Prof. Dr. W.W. Engelhardt, Prof. DDr. R. Hettlage und Privatdozent Dr. G. Ringle dankbar; alle Fehler gehen selbstverständlich zu meinen Lasten.

-

der Alexander von Humboldt-Stiftung für die indirekte ökonomische Unterstützung als ehemaliger Gastwissenschaftler;

-

Dr. Robert Schediwy für die Übersetzungen der englischsprachigen Texte;

-

und schließlich Herrn Prof. Dr. Oswald Hahn, der es mir ermöglichte, die Herausgeberschaft dieses Buches am Forschungsinstitut für Genossen-

VI

Vorwort

schaftswesen in Nürnberg durchzuführen und meinem Lehrer, Herrn Prof. Dr. Vesa Laakkonen (Helsinki), der mich immer aus tiefstem Herzen unterstützt hat. Dem Leser das Genossenschaftswesen näherzubringen und eine Auseinandersetzimg mit diesem anzuregen, ist mir als Herausgeber ein besonderes Anliegen. Wenn ich mit diesem Buch dazu einen Beitrag leisten kann, hat sich die intensive und mühevolle Arbeit für alle Beteiligten in jeder Hinsicht gelohnt.

Juhani Laurinkari

INHALT

Einführung 1. Kapitel

1.1. 1.2.

1.3.

1 Die Genossenschaftsidee

Werner Wilhelm Engelhardt Die Genossenschaftsidee als Gestaltungsprinzip

10

Robert Hettlage Die anthropologische Konzeption des Genossenschaftswesens Theorie und Praxis. - Welche Chance hat der "homo cooperativus"?

27

Werner Wilhelm Engelhardt Die Stellung der Genossenschaftslehre (Kooperationswissenschaft) im System der Wissenschaften

50

2. Kapitel

Die Merkmale von Genossenschaften

2.1.

Kooperative Merkmale

2.1.1.

Juhani Laurinkari / Johann Brazda Genossenschaftliche Grundwerte

70

Die Genossenschaft als Zusammenschluß von Wirtschaftssubjekten und als Gemeinschaftsbetrieb

78

2.1.3.

Oswald Hahn Der Förderungsauftrag der Genossenschaften

86

2.1.4.

Axel Bänsch Operationalisierung des Förderungsauftrages

96

2.1.2.

2.1.5.

2.1.6 2.1.7.

2.1.8.

Werner Grosskopf Genossenschaftliche Identität bei sich ändernden Rahmen bedingungen

102

Heinz Keinert Willensbildung in Genossenschaften

112

Helmut Lipfert Kooperations- und Konkurrenzmanagement im Genossenschaftswesen

127

Johann Brazda Genossenschaftliches Bildungswesen

138

VIII

Inhalt

2.2.

Rechtliche Merkmale

2.2.1.

Georg Rheinberg Aspekte der Genossenschaftsgründung

149

2.2.2.

Rainer Vierheller Die Gleichstellung der Mitglieder der Genossenschaft

160

2.2.3.

Mitbestimmung in Genossenschaft

Peter Erlinghagen /Anett Rademacher 2.2.3.1. Aus rechtlicher Sicht (Am Beispiel der bundesdeutschen Gesetzgebung)

170

Andreas Männicke 2.2.3.2. Arbeitnehmer-Mitbestimmung in Genossenschaften aus betriebswirtschaftlicher Sicht

176

2.2.4.

Haftpflicht und Finanzierung

Andreas Männicke 2.2.4.1. Haftpflicht und Finanzierung nach dem deutschen Genossenschaftsgesetz

188

Anton Rauter 2.2.4.2. Haftpflichtformen nach dem österreichischen Genossenschaftsgesetz

204

2.2.5

Helmut W. Jenkis Genossenschaftliches Prüfungswesen

209

2.3.

Leistungswirtschaftliche Merkmale

2.3.1.

Wolfgang Kuhn Die Leistungsbeziehungen genossenschaftlicher Geschäftsbetriebe

222

2.4.

Finanzwirtschaftliche Merkmale

2.4.1.

Eduard Mändle Finanzierungsarten

227

2.4.2.

Eduard Mändle Strategische Unternehmensführung in Genossenschaften

247

2.5.

Erfolgswirtschaftliche Merkmale

2.5.1.

Robert Purtschert Zur Ökonomisierung der genossenschaftlich organisierten Wirtschaft

264

Inhalt

IX

2.5.2.

Eberhard, Dülfer Erfolgsmessung und Evaluierung der Genossenschaft

276

2.5.3.

Mario Paiera Genossenschaftliche Förderbilanz

285

2.6.

Gesamtwirtschaftliche Merkmale und Aspekte

2.6.1.

Robert Hettlage Die Stellung der Genossenschaften in der Wirtschaft

302

Theo Thiemeyer Zur Abgrenzung von Genossenschaften und Gemeinwirtschaft

324

Alfred Hanel Ordnungspolitische Aspekte der Genossenschaften in Entwicklungsländern

337

2.6.4.

Walter Hamm Konzentrations-und Fusionstendenzen

350

2.6.5.

Juhani Laurinkari Genossenschaften im Wachstumsprozeß

359

Werner Grosskopf Grundlagen genossenschaftlicher Strukturen und deren Wandlungen als Folge von Marktzwängen

363

2.6.2.

2.6.3.

2.6.6.

3. Kapitel

Organisation der Genossenschaft

3.1.

Aufbau des Genossenschaftsbereiches

3.1.1.

Wirtschaftsorganisation

Vesa Laakkonen 3.1.1.1. Grundtypen

379

Jürgen Zerche 3.1.1.2. Aufbau des Genossenschaftssektors in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft

385

Juhani Laurinkari 3.1.1.3. Entwicklungstypen

403

3.1.2.

Volker Beuthien Die Organstruktur der Genossenschaft

413

3.1.3.

Wolfgang Pelzl Verbandsorganisation

422

Eberhard Dülfer Die Genossenschaft als Organisation. Ein system theoretisch er Ansatz

436

3.1.4.

X

Inhalt

3.2.

Partizipation der Mitglieder an der genossenschaftlichen Tätigkeit

3.2.1.

Günther Ringle Gründe für den Eintritt in eine Genossenschaft

3.2.2.

Mitgliederpartizipation in der Genossenschaft

452

Juhani Laurinkari 3.2.2.1. Verschiedene Formen der Partizipation

460

Günther Ringle 3.2.2.2. Mitgliederpartizipation in management-geleiteten Genossenschaften

474

Günther Ringle 3.2.2.3. Innergenossenschaftliche Gruppenaktivitäten und Kommunikation

483

4. Kapitel

Die Stellung von Genossenschaften in verschiedenen Wirtschaftsordnungen

4.1.

Die Beziehungen der Genossenschaften zum Staat

4.1.1.

Walter Hamm In der Marktwirtschaft

494

4.1.2.

Jerzy Kleer Im Sozialismus

501

Hans-H. Münkner In Entwicklungsländern Die Bedeutung eines angemessenen Genossenschaftsrechts für die Genossenschaftsentwicklung in der Dritten Welt

516

4.1.3.

4.2.

Das genossenschaftliche Bankwesenx

4.2.1.

Eduard Mändle In der Marktwirtschaft

530

4.2.2.

Jerzy Kleer Im Sozialismus

543

4.2.3.

In Entwicklungsländern

Hans Dieter Seibel 4.2.3.1. Informelle Pinanzinstitutionen in Entwicklungsländern

547

Turto Turtiainen 4.2.3.2. Das genossenschaftliche Bankwesen

564

Inhalt

XI

4.3.

Die Genossenschaften im ländlichen Bereich

4.3.1.

Horst Seuster In der Marktwirtschaft

576

4.3.2.

Jerzy Kleer Im Sozialismus

584

4.3.3.

Dieter Baldeaux In Entwicklungsländern

591

4.4.

Die gewerblichen Genossenschaften

4.4.1.

Walter Hamm In der Marktwirtschaft

593

4.4.2.

Jerzy Kleer Im Sozialismus

599

4.5.

Die Genossenschaften der Konsumenten

4.5.1.

Johann Brazda /Robert Schediwy In der Marktwirtschaft

605

4.5.2.

Jerzy Kleer Im Sozialismus

626

4.5.3.

Dieter Baldeaux In Entwicklungsländern

633

4.6.

Die Genossenschaften in der Wohnungswirtschaft

4.6.1.

Helmut W. Jenkis In der Marktwirtschaft

634

4.6.2.

Jerzy Kleer Im Sozialismus

654

4.6.3.

Dieter Baldeaux In Entwicklungsländern

658

4.7.

Die Produktivgenossenschaften

4.7.1.

Werner Wilhelm Engelhardt In der Marktwirtschaft

664

4.7.2.

Jerzy Kleer Im Sozialismus

676

4.7.3.

Eberhard Dülfer In Entwicklungsländern

679

XII

Inhalt

4.8.

Marlene Kück Ansätze zur Entwicklung neuer Genossenschaftsformen in Westeuropa

688

4.9.

Johann Brazda / Tode Todev /Juhani Laurinkari Ansätze zur Entwicklung einer neuen Genossenschaftsbewegung in den sozialistischen Ländern

716

5. Kapitel

Internationale Zusammenarbeit

5.1.

John G. Craig Zusammenarbeit der Genossenschaften mit internationalen Organisationen

5.2.

Juhani Laurinkari Die Zusammenarbeit der Genossenschaftsorganisationen Am Beispiel des Internationalen Genossenschaftsbundes (IGB) 752

5.3.

Juhani Laurinkari / Johann Brazda Die Zusammenarbeit auf dem Bereich der Forschimg des Genossenschaftswesens

6. Kapitel

Das Verhältnis der Genossenschaften zu ihrem Umweltsystem Juhani Laurinkari

738

765 775

Personenregister

795

Sachregister

798

Autoren

806

Einführung Juhani

Laurinkari

Ein internationales Hand- und Lehrbuch des Genossenschaftswesens war schon seit längerem als unumgänglich empfunden worden. Die genossenschaftliche Wirtschaftsform ist weltweit verbreitet (es gibt nur wenige Staaten, in denen es noch keine Genossenschaften gibt). Die Genossenschaften treten in den verschiedenen Ländern und Sozial Ordnungen in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf. Das Hauptanliegen dieses Hand- und Lehrbuches besteht aber nicht in der Analyse dieser Unterschiede. Ziel ist es, das Gemeinsame und das Verbindende der genossenschaftlichen Wirtschaftsform in den verschiedenen Ländern und Ordnungen darzustellen. Ein weiteres Hauptmotiv besteht für den Verfasser in der Analyse der Genossenschaft als einer besonderen Wirtschaftsorganisation, die sich sowohl von Privat- wie auch von Staatsunternehmen unterscheidet. Grundfragen

des

Genossenschaftswesens

Obwohl die Genossenschaftsforschung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat, sind einerseits viele Fragen ungeklärt und offen geblieben. Andererseits haben die Genossenschaftswissenschaftler international zu Fragen und Problemen der Genossenschaften konträre Lösungsansätze und Antworten erarbeitet. Dieses Hand- und Lehrbuch versucht deshalb erst gar nicht, diese zahlreichen Fragen und Probleme insgesamt zu behandeln und einer Lösung zuzuführen. Es ist auch nicht die Aufgabe der Wissenschaft, endgültige Antworten für gegenwärtige Probleme der Genossenschaften zu erstellen, besonders da es sich bei Genossenschaften um sich wandelnde soziale Systeme handelt, die auch als solche wissenschaftlich analysiert und in der Grundlagenforschung als solche erforscht werden müssen. Es ist dem Herausgeber mit der Publikation dieses internationalen Handund Lehrbuches ein Anliegen, auf einige Grundfragen der Genossenschaft als sich wandelndes System einzugehen. Aber auch die gegenwärtige genossenschaftliche Realität birgt vielfältige Fragen und Probleme in sich. Eine der wichtigsten davon ist die nach dem Stellenwert der Genossenschaft. Ist sie als eigenständige Wirtschaftsform ein dauerhafter Bestandteil der Gesellschaft? Eine empirische Antwort auf diese Frage ist einfach zu geben. Die modernen Genossenschaften - wenn wir von den zahlreichen historischen vorgenossenschaftlichen Formen absehen - existieren seit mehr als 150 Jahren. Historische Analysen in den europäischen Staaten zeigen, daß in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine wahre Gründungswelle der genossenschaftlichen Wirtschaftsform stattgefunden hat, gefolgt von einer Ausweitung und einem Ausbau des Genossenschaftswesens international.

2

Einführung

Wenn wir uns aber die Frage stellen, ob die heute bestehenden Genossenschaften eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Kooperationen der Konsumenten, Handwerker und Bauern des 19.Jahrhunderts sind und welche Wirkungskräfte ihren Wandel bestimmt haben - die Genossenschaften selbst oder äußere Umwelteinflüsse -, so ist es nicht mehr einfach, darauf eine eindeutige Antwort zu geben. In der Genossenschaftswissenschaft selbst wird diese Frage - angesichts der Tatsache, daß Genossenschaften heute ein fester und integrativer Bestandteil der Volkswirtschaften der entwickelten Marktwirtschaften sind, während sie im 19. Jahrhundert im Wirtschaftsgeschehen nur eine Randerscheinung waren - heftig diskutiert. Unabhängig von diesem Problem war zu klären, durch welche Wirkungsmechanismen sich die Genossenschaften als Organisationen - konfrontiert mit veränderten Rahmenbedingungen - an ihre jeweiligen Umwelten angepaßt haben. Die Genossenschaftsentwicklung verlief nämlich nicht gleichlaufend mit der Entwicklung vieler anderer Unternehmensformen . Wer sich zu Genossenschaften zusammenschließt, d.h. welche sozialen und wirtschaftlichen Schichten und Gruppen in Genossenschaften ihre materielle Existenz zu verbessern suchen, war ebenfalls ein wichtiger Untersuchungsgegenstand . In der Vergangenheit waren es vor allem die unteren und mittleren Einkommensschichten sowie die gesellschaftlichen Außenseiter der neu entstandenen Marktwirtschaften im 19. Jahrhundert. Sind es auch heute noch diese sozialen Schichten unserer Gesellschaft, die sich zu Kooperationen zusammenschließen, oder ist hier eine Veränderung eingetreten? Wenn eine solche Verschiebung feststellbar ist, welche Richtimg hat sie genommen? Und schließlich gehörte noch zu den Grundsatzfragen, ob die Genossenschaft in den verschiedenen sozial-ökonomischen Systemen als eine einheitliche Institution und Organisation besteht oder ob sie in jedem System mit einer anderen Form und anderen Funktionen auftritt. Dieses Problem stellt sich vor allem angesichts unserer modernen, in ökonomischer, politischer und sozialer Hinsicht stark differenzierten Welt. Grundsätzlich können wir feststellen, daß in allen bestehenden sozialen Systemen Genossenschaften auftreten, daß sie sich aber mit ihren Strukturen und ihren Zielsetzungen an die jeweiligen vorgegebenen Rahmenbedingungen angepaßt haben. Können wir angesichts dieser Vielfalt trotzdem noch von einem allgemeinen genossenschaftlichen Erfahrungsobjekt sprechen? Vergleichsstudien der marktwirtschaftlichen Genossenschaften mit jenen der staats-sozialistischen Systeme und jenen in Entwicklungsländern widersprechen dieser Ansicht. Trotzdem geht man in vielen theoretischen Modellen noch immer von einer einheitlichen Genossenschaftskonzeption aus. Bisher nannten wir Beispiele für einige wichtige Problemkreise, auf die ein Hand- und Lehrbuch des internationalen Genossenschaftswesens eingehen muß. Sie weisen aber bereits daraufhin, daß es notwendig ist, das Genossen-

Einführung

3

schaftswesen sowohl von seiner historischen Entwicklung, als auch von seinem gegenwärtigen Istzustand aus einer Analyse zu unterziehen. Nicht nur die historische und realwirtsschaftliche Vielfalt der Genossenschaft ist einzubeziehen, sondern auch auf den Beitrag, den die Genossenschaften für die soziale Entwicklung einer Gesellschaft geleistet haben, leisten oder zukünftig leisten können. Genossenschaftsforschung Die Genossenschaft ist mit ihrer verpflichtenden Interaktion gleichgestellter Personen in einer Wirtschaftsunternehmung ein multidimensionales Phänomen. Sie konnte in diesem Hand- und Lehrbuch deshalb nicht nur Gegenstand wirtschaftwissenschaftlicher Betrachtungen sein. Um einer ganzheitlichen Betrachtung willen waren auch juristische, politische und Organisationsanalysen einzubezichcn. Es ist aber ein zu hoch ges leckies Ziel, die interdisziplinären Ansätze in einem Hand- und Lehrbuch voll durchzuhalten. Schwerpunktmäßig wurden der ökonomischen und der soziologischen Analyse der Genossenschaften in diesem Handbuch mehr Platz eingeräumt. Bevor wir aber auf diese wissenschaftstheoretische Problematik der Genossenschaftsforschung eingehen, wollen wir einige Aspekte der historischen Analyse der Genossenschaften erwähnen. Die Genossenschaft ist einerseits eine spezifische Form einer Wirtschaftsunternehmung; sie ist aber andererseits auch eine gesellschaftliche Bewegung. Wie jede andere soziale Bewegung fand das Genossenschaftswesen mit seinen Genossenschaftsarten in den unterschiedlichen Ländern und sozialökonomischen Ordnungen seinen Ausgangspunkt in Ideen, Dogmen und Utopien. Ohne hier darauf genauer eingehen zu können, möchte ich nur auf drei Haupteinflüsse hinweisen, die das Genossenschaftswesen in seiner historischen Entwicklung prägten. Es waren die sozialistischen, die liberalen oder neoliberalen und die christlich-solidarischen Wertpositionen. Sie beeinflußten in jeweiligen gesellschaftlichen Ordnungen die Funktionsprinzipien der Genossenschaften . In dem Ausmaß, in dem sich Genossenschaften weiterentwikkelten und sich ihre inneren Organisationsstrukturen wandelten und anderen Wirtschaftsformen immer ähnlicher wurden (vor allem in den marktwirtschaftlichen Ländern), verringerte sich der ethische Einfluß. Die Zurückdrängung der Ideen wurde durch zwei Entwicklungen getragen: -

die Ökonomisierung der Genossenschaften und ihre Anpassung an das Marktsystem und - die Auflösung des Kleingruppen- und Mitgliedercharakters durch die Öffnung der Genossenschaften für Nichtmitgliedergeschäfte. Der soziologische Aspekt der Genossenschaft beleuchtet ihre Wesensart als Personengemeinschaft. In einer Genossenschaft sind die Beziehungen zwischen den Mitgliedern - wie in keiner anderen Unternehmensform - institutio-

4

Einführung

nalisiert. Die Interaktionsbeziehungen können allgemein als Kooperation bezeichnet werden. Welche sozialen Beziehungen sind damit gemeint? Zunächst sind alle Mitglieder ohne Ausnahme gleichgestellt, d.h. die Genossenschaftsmitglieder haben identische Rechte und besitzen bei Beschlußfassungen in der Regel eine Stimme (ein Mitglied = eine Stimme). Das bedeutet, daß nicht die Kapitaleinlage (Zahl der Anteile) für die Mitwirkung im Entscheidungsprozeß maßgeblich ist - wie etwa bei einer Aktiengesellschaft -, sondern das Mitglied als Person, als Organisationsteilnehmer. Genossenschaftliches Handeln ist demnach demokratisches Handeln. In dieser demokratischen Struktur ist sowohl die Stärke als auch die Schwäche der Genossenschaft zu finden. Der demokratische Charakter übt einen direkten Einfluß auf die Verwaltung der Genossenschaft aus: -

unmittelbare Demokratie in kleinen Genossenschaften mittelbare Demokratie in größeren Genossenschaften ein System von verschiedenartigen Kontrollorganen eine besondere Gestaltung der Beziehungen zwischen ausführenden und kontrollierenden Organen.

Diese Strukturen beinhalten aber auch Ursachen für Konflikte innerhalb der genossenschaftlichen Organisation, besonders dann, wenn sich die Genossenschaft von ihrer ursprünglichen Kleingruppenform gelöst hat. Es kommt zu Konflikten zwischen einem immer mehr eigenständig handelnden Management und den in der Masse anonym gewordenen Mitgliedern. Trotz dieser Konfliktpotentiale, die in der Entwicklung der Genossenschaften immer stärker auftraten, hat diese Wirtschaftsform aber bewiesen, daß die Interessen der Mitglieder - mit ihren Haushalten und/oder Betrieben - mit den Interessen des Genossenschaftsbetriebes zumindest mittelfristig zum Ausgleich gebracht werden können. In dieser Hinsicht verdient das Phänomen Genossenschaft besondere Aufmerksamkeit und erhöhtes Interesse. Genossenschaften wurden nicht, wie viele Kapitalgesellschaften, zu anonymen Organisationen. Schließlich ist die Genossenschaft eine Unternehmung, die als Mitgliederorganisation für ihre Mitglieder Vorteile erbringen und gewährleisten muß. Diese primär wirtschaftlichen Vorteile können sehr verschieden sein und hängen von den jeweiligen Zielen der Genossenschaften ab, d.h. der FörderuAgsauftrag wird für jede Genossenschaftsart anders formuliert sein, abgeleitet von den konkreten materiellen Bedürfnissen der Mitglieder. Die Förderung ist aber nicht nur materieller Natur (mehr Einkommen, mehr Gewinn). Eine Verbesserung der Lebenslage der Mitglieder kann auch metaökonomischer Art sein (z.B. im gemeinschaftlichen Handeln oder in der persönliche Entfaltung des einzelnen).

Einführung

Das Unternehmen

5

Genossenschaft

Die Genossenschaft ist ein Unternehmen und muß sich am Markt behaupten. Das ökonomische Prinzip ist für die Genossenschaft von entscheidender Bedeutung, obwohl darüber hinaus ihre Eigenart als Fördergemeinschaft immer gewahrt bleiben muß. Zwei Fragenbereiche sind in diesem Zusammenhang wichtig: -

Welche Vorteile bieten die Genossenschaften ihren Mitgliedern? Welchen Einfluß hat die Bildung von Verbundsstrukturen auf den Förderungsauftrag?

Genossenschaften können allgemein in drei Gruppen eingeteilt werden: - Verbrauchergenossenschaften, die der Förderung der Mitgliederhaushalte dienen, unabhängig davon, ob es sich um Konsum-, Wohnungs-, Kreditgenossenschaften usw. handelt, - Bezugs- und Absatzgenossenschaften, welche Individualbetriebe fördern und deren Wettbewerbsfähigkeit stärken (in der Landwirtschaft, im Handwerk sowie im Einzelhandel), - Produktivgenossenschaften als eine spezifische Arbeitnehmerorganisation, in der die Mitglieder ihre eigenen Arbeitgeber sind. Der allgemeine Begriff "Genossenschaft" ist als analytische Kategorie angesichts unterschiedlichster Realtypen nur für die Analyse der Grundprinzipien, der Organisationsform, der demokratischen Struktur usw. der Genossenschaft als Abstraktion verwendbar. Bei Untersuchungen über die Einflüsse der Genossenschaft auf ihre Mitglieder oder über den Förderungsauftrag ist eine allgemeine Kategorie "Genossenschaft" unzureichend. Für solche Fragestellungen ist eine Einteilung der Genossenschaften in drei Gruppen vorteilhafter. Sie erlaubt uns, die spezifischen Funktionen der einzelnen Genossenschaftsarten klarer herauszuarbeiten. Der analytische Zugang zur Genossenschaft erfolgt in diesem Handbuch auf zwei Ebenen. Ausgehend von der Erfassung der Merkmale und Eigenschaften der Genossenschaft als allgemeine Kategorien im ersten Teil werden im zweiten Teil die Realtypen der Genossenschaften behandelt. Der realen Analyse wurde deshalb soviel Raum gewidmet, weil sich gerade in dieser Sichtweise die Unterschiede zwischen den Zielen und Aufgaben der Genossenschaften und denen anderer Unternehmensformen am besten verdeutlichen lassen. Neben dem Bestreben, ihren ökonomischen Bestand zu sichern, besteht die eigentliche Hauptaufgabe der Genossenschaft darin, ein Maximum an Vorteilen für ihre Haushalte und/oder Individualbetriebe zu erbringen. Im Vordergrund stehen die Förderleistungen an die Mitglieder, die sich im ökonomischen Erfolg der Genossenschaft konkret widerspiegeln müssen. Das wesent-

6

Einführung

lichste Unterscheidungskriterium der Genossenschaft gegenüber anderen Unternehmensformen besteht darin, daß die Mitglieder in Erwartung einer Verbesserung ihrer eigenen Wirtschaftskraft einer Genossenschaft beitreten. Das Ziel jeder Genossenschaft ist die Verbesserung der realen Lebenslagen ihrer Mitglieder. Aber auch die Verbundstruktur der Genossenschaften erfüllt eigene Funktionen. Sie beruht einerseits auf einer gegenseitigen Hilfestellung (Subsidiaritätsprinzip) und dient als Auffangnetz für kleine und ökonomisch schwache Genossenschaften, ist aber andererseits mit Konzentrations- und Fusionstendenzen verbunden. Trotz dieses Größenwachstums der genossenschaftlichen Organisationen in Anpassung an gegebene Marktverhältnisse, übernimmt die Sekundärebene die Funktion, die Primärgenossenschaften von jenen Aufgaben und Leistungen zu entlasten (z.B. Kapitalbeschaffung oder größere Investitionen), die sie aufgrund ihrer zu geringen Größe nicht allein bewältigen können. In der Praxis vollzog sich dieser Prozeß unter Aufrechterhaltung des lokalen Charakters der Genossenschaften und ohne die Verbindung zu den Mitgliedern zu verlieren. Ein besonderes Anliegen war es mir, in diesem Hand- und Lehrbuch die Unterschiedsmerkmale der Genossenschaften zu anderen Unternehmensformen hervorzustreichen. Die Genossenschaft wird nicht als rein wirtschaftliche Organisation, sondern als sozio-ökonomisches System aufgefaßt. Nicht Kostenstrukturen, Preise oder wirtschaftliche Wachstumsprozesse der Genossenschaften stehen in den einzelnen Kapiteln im Vordergrund. Sie sind in einer Genossenschaft eben nicht allein ausschlaggebend. Hätte ich die Analyse aber darauf beschränkt, dann wären gerade die Unterschiede der Genossenschaft zu anderen Unternehmensformen nicht in genügendem Maß herausgearbeitet worden. Alte und neue Aufgaben

der

Genossenschaften

In seiner historischen Entwicklung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist das moderne Genossenschaftswesen unmittelbar mit den Industrialisierungsprozessen in den europäischen Staaten verbunden, d.h. es kann als Produkt einer industriellen Revolution aufgefaßt werden. Es entwickelte sich - trotz großer Unterschiede in den europäischen Ländern - aus einer zunächst tolerierten Randerscheinung der entstandenen Marktwirtschaften zu einem festen Bestandteil dieser Volkswirtschaften. Wie konnten die Genossenschaften diesen erfolgreichen Weg einschlagen? Darauf gibt es zwei mögliche Antworten: -

Genossenschaften sind Wirtschaftsorganisationen, die ihre Mitglieder (Haushalte und Individualbetriebe) wirtschaftlich fördern. Die Mitglieder benötigen diese Förderung, da ihre eigene Wirtschaftskraft zu schwach ist, um am Markt erfolgreich agieren zu können. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Mitglieder wird durch eine ungleiche Chancenverteilung und Ausgangsposition der Wirtschaftssubjekte in der Wettbewerbswirtschaft ver-

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ursacht. Im kooperativen Handeln wird die Chance gesehen, wirtschaftliche Abhängigkeiten zu überwinden. Dieser Bedarf an Kooperation ist historisch gesehen immer größer geworden. Trotz geringer Anzahl von Analysen über das Größenwachstum von Mitgliederzahlen in Genossenschaften kann man sagen, daß das Mitgliederwachstum in Genossenschaften größer war als die Zunahme der Zahl der unselbständig Erwerbstätigen in den Volkswirtschaften. Diese Aussage führt zur Frage, welche gesellschaftlichen Gruppen sich überhaupt zu Genossenschaften zusammenschließen? Sind es, wie uns historische Analysen zeigen, auch heute noch die wirtschaftlich Schwachen und Unterdrückten in unserer Gesellschaft? Eine Frage, die sich nicht eindeutig beantworten läßt. Analysen dieses Problems sind erst in jüngster Zeit in Angriff genommen worden. Aufgrund vorliegender empirischer Erkenntnisse kann man sagen, daß in den Genossenschaften der hochentwickelten Marktwirtschaften die unterschiedlichsten sozialen Schichten und Berufsgruppen vertreten sind. Wir beziehen uns hier deshalb auf Marktwirtschaften, weil in ihnen die modernen Genossenschaften entstanden sind, und deren Entwicklung von der traditionalen Genossenschaft über die Marktgenossenschaft bis zur integrierten Genossenschaft - gegenwärtig bereits auf internationaler Ebene - am weitesten fortgeschritten ist. Das soziale System Marktwirtschaft mit seinen parlamentarischen Demokratien und hochentwickelten Marktbeziehungen hat die Entwicklung der Genossenschaften historisch am stärksten geprägt und ihre Expansion - im Vergleich zu anderen Gesellschaftssystemen - am meisten gefördert. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, daß die Genossenschaften in Marktwirtschaften nicht auch zahlreiche Schwierigkeiten und Hindernisse - von Land zu Land sehr verschieden - hinter sich bringen mußten und noch immer mit solchen konfrontiert werden. Trotz dieser sozialen und beruflichen Differenzierung innerhalb der Mitgliederschaft der Genossenschaften kann man sagen, daß die Neigung, sich Genossenschaften anzuschließen, bei Haushalten und Individualbetrieben der unteren und mittleren sozialen Schichten, mit Ausnahme der untersten Einkommensschicht, die auf eine Unterstützung der staatlichen und kommunalen Fürsorge angewiesen ist, am größten ist. Viele der bestehenden Genossenschaften (vor allem die Wohnungs- und die Konsumgenossenschaften) haben auch keinen berufsspezifischen Charakter mehr, wie er in der Vergangenheit bei fast allen Genossenschaften die Regel war. Es gibt aber auch heute noch ganze Berufsgruppen, die sich überwiegend genossenschaftlich organisieren (z.B. Bauern). Der früher vorherrschende Trend zur berufsspezifischen Strukturierung ist nicht mehr vorhanden. Gibt es auch einen eigenen genossenschaftlichen Menschentyp? Sind es die Aktiven oder sind es die Passiven der Gesellschaft, die sich zu Kooperationen zusammenfinden? Empirische Studien zeigen, daß es vor allem die Aktiven der Gesellschaft sind, die es in die eigene Hand nehmen, die Situationen ihrer Haushalte oder Individualbetriebe zu verbessern. Die Passiven vertrauen eher auf eine Unterstützung durch den Staat, die Wohlfahrt oder die Fürsorge.

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Damit haben wir auch gleichzeitig ein Bild von jenen gesellschaftlichen Gruppen und individuellen Charakteren geschaffen, die potentiell für eine genossenschaftliche Kooperation in Frage kommen. Es gibt in den entwickelten Marktwirtschaften ein Reservoir an Nachfrage nach Genossenschaften, das man mit speziellen Förderungs- und Beratungsaktivitäten unterstützen sollte. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist eine starke Expansion der genossenschaftlichen Wirtschaftsform über die Grenzen des europäischen Kulturkreises hinaus zu beobachten. Gegenwärtig stellt sich das Genossenschaftswesen als internationale Bewegung dar. Die genossenschaftliche Wirtschaftsform verbreitete sich in allen Volkswirtschaften, unabhängig vom jeweiligen ProKopf-Einkommen oder politisch-sozialer Ordnung. Welche Faktoren sind an dieser Entwicklung, durch die die genossenschaftliche Wirtschaftsform immer mehr zu einer Weltbewegung geworden ist, maßgeblich beteiligt? Waren die Ursachen für die Entstehung und Verbreitung der Genossenschaften im 19. Jahrhundert die industrielle Revolution und die Etablierung eines neuen sozialen Systems - gekennzeichnet durch ökonomische und soziale Ungleichheit -, so sind es heute die Internationalisierung der Märkte, die Etablierung von Oligopolen und die Konzentrationsprozesse mit dem Entstehen von multinationalen Konzernen, die eine bestehende gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung durch eine neue expansivere ersetzen wollen. Dieser Übergangsprozeß beinhaltet Gefahren, die zahlreiche gesellschaftliche und berufliche Gruppen bedrohen. Die Genossenschaften als wirtschaftliche und soziale Organisationen und Institutionen sind prädestiniert, diese Schwierigkeiten eines Wandels zu mildern und die Eigenständigkeit bedrohter Wirtschaftsubjekte zu bewahren. Ferner wird der Entwicklungsprozeß in den Entwicklungsländern stark durch den europäischen Kulturkreis beeinflußt - mit Ausnahme Japans, wo sich aber das Genossenschaftswesen bis jetzt nur schwach entwickelt hat. Die Entwicklungshilfeaktivitäten der Industriestaaten beinhalten nicht nur die Unterstützung der Länder der Dritten Welt mit finanziellen Mitteln und moderner Technik, sondern auch den Transfer von Institutions- und Organisationsformen, die sich in Europa bewährt haben. Die Genossenschaften spielen dabei eine entscheidende Rolle. Zur gegenwärtigen Situation des internationalen Genossenschaftswesens möchte ich noch zwei Bemerkungen zu den Planwirtschaften "im realen Sozialismus" in Osteuropa machen, wo momentan große umwälzende Veränderungen vor sich gehen. Das kommunistische System hat in der Vergangenheit das Genossenschaftswesen transformiert, in die zentralen Planwirtschaften eingeordnet und unter staatliche Aufsicht gestellt. Die Ursachen dieser Entwicklung werden in einigen Kapiteln dieses Hand- und Lehrbuches behandelt. Hier möchte ich nur daraufhinweisen, daß den Genossenschaften im sozialistischen System fast alle ihre Prinzipien entzogen wurden, die mit der Wirtschaftsform und der Interaktionsstruktur der Genossenschaft als Organisation verbunden sind. Übriggeblieben ist nur die Legaldefinition und der Name Genossenschaft.

Einführung

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Die Umwälzungen, die in jüngster Zeit in den sozialistischen Ländern Europas vor sich gehen, sind Ausdruck einerseits des Zusammenbruchs der alten ökonomisch-politischen Ordnung und andererseits des Aufbaus eines neuen demokratischen und marktwirtschaftliches Systems. Diese Veränderungen werden aber sehr schwierig umzusetzen sein. Das Genossenschaftswesen kann dabei eine wichtige Rolle übernehmen. Denn -

Genossenschaften sind aufgrund ihrer Struktur demokratische Organisationen, Genossenschaften sind auf die Maximierung der Vorteile für ihre Mitgliederhaushalte und Individualbetriebe ausgerichtet, die genossenschaftliche Organisation ist in Krisensituationen anpassungsfähiger als alle anderen Unternehmensformen.

Die Konzeption eines genossenschaftlichen

Hand- und Lehrbuchs

Eine wichtige Frage ist noch offen geblieben: Warum haben an der Erarbeitung dieses Hand- und Lehrbuches so viele Autoren mitgewirkt? Normalerweise wird ein derartiges Vorhaben von einigen wenigen Autoren unternommen. Obwohl die Genossenschaftsforschung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat, gibt es bis heute keine umfassenden Synthesen zu allgemeinen Genossenschaftsmodellen. Nur bei Vorliegen eines allgemeinen Modells wäre es aber möglich gewesen, in einem Hand- und Lehrbuch allgemein anerkannte Thesen und Aussagen festzuschreiben. Da derartige Modelle noch nicht vorliegen, habe ich mich entschlossen, viele Genossenschaftswissenschaftler zu Wort kommen zu lassen, um das gesamte vorhandene Spektrum an Meinungen und Denkansätzen abzudecken. Damit soll gewährleistet werden, daß all unser gegenwärtiges Wissen über die genossenschaftliche Wirtschaftsführung, die genossenschaftliche Organisation und das Genossenschaftswesen in verschiedenen sozio-ökonomischen Systemen in einem Band zusammenfassend dargestellt wird. Dadurch wird es aber auch möglich, die unterschiedlichen Ansätze nebeneinander und gegenüberzustellen. Es werden nicht nur Genossenschaften verschiedener Länder, sondern auch zwischen Genossenschaften verschiedener politisch-ökonomischer Systeme vergleichbar und unterscheidbar. Selbstverständlich birgt ein umfangreiches Autorenkollektiv auch Gefahren in sich. Denn weder methodologisch noch erkenntnistheoretisch läßt sich mit einer derartigen Vorgehensweise das soziale Phänomen Genossenschaft einheitlich erfassen. Ich bin aber überzeugt, daß das hier gewählte Vorgehen mehr Vorteile als Nachteile mit sich gebracht hat.

1.

Die Genossenschaftsidee

1.1.

Die Genossenschaftsidee als Gestaltungsprinzip Werner Wilhelm. Engelhardt

A. Allgemeines Die "Genossenschaftsidee" gilt - ähnlich dem "Genossenschaftswesen" - zu Recht als uralt. Sie ist als transzendentes, essentialistisches Prinzip, in dem sich - um ein Beispiel für Interpretationen zu nennen - "das göttliche Geschenk der menschlichen Freiheit" (Hasselmann) und nicht nur Angst ausdrückt, mit der Geschichte der Menschheit überhaupt verbunden (vgl. dazu Faust 1977). Anders verhält es sich mit anderen Interpretationen von Idee und Prinzip. Wenn z.B. von der Genossenschaftsidee als Gestaltungsprinzip die Rede ist, empfiehlt es sich, zwischen "historischen" und "industriezeitlichen" Genossenschaften zu unterscheiden (Engelhardt 1985). Von einem genossenschaftlichen Gestaltungsprinzip betriebswirtschaftlicher, volkswirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder rechtlicher Art dürfte in erster Linie bezogen auf industriezeitliche Genossenschaften gesprochen werden können. In neueren ideengeschichtlichen Untersuchungen wird zwischen geistigen Wegbereitern ("Utopisten") und befähigten Initiatoren ("Pionieren", "Organisatoren") von Genossenschaften unterschieden (vgl. Draheim 1955). Andere Autoren, denen hier gefolgt werden soll, wenden den Utopiebegriff grundsätzlich auf beide Arten von Persönlichkeiten an, die sich um Genossenschaften im Rechtssinne oder überhaupt um "Kooperativen" (Dülfer), gleich in welcher Rechtsform, verdient gemacht haben (z.B. Weuster 1980). Wichtig ist bei der Erörterung von Gestaltungsfragen die Differenzierung genossenschaftlicher Entstehungs- und Entwicklungsvorgänge unter dem Gesichtspunkt, ob sie jeweils von der vagen Utopie als erstem Entwurf zur entwickelten Konzeption, Strategie usw. vorangekommen sind, wobei die Wissenschaft eine mehr oder weniger große Rolle spielen konnte (Engelhardt 1985). Die Genossenschaftspioniere und -Organisatoren industriezeitlicher Genossenschaften unterscheiden sich von ihren Wegbereitern und beide natürlich erst recht von den Gründern und Mitgliedern historischer Genossenschaften. Als Pioniere oder Organisatoren können z.B. W. King, Buchez, die Rochdaler Pioniere, V.A. Huber, Schulze-Delitzsch, Raiffeisen, Haas, Kaufmann, Schlack, Klepper, Duttweiler, Draheim bezeichnet werden. Als Vorläufer lassen sich u.a. Morus, Plockboy, Bellers, Pestalozzi, Fourier, Owen, Maurice, Blanc, Lassalle, von Ketteier, Pfeiffer und Lenin benennen. Ein Hauptunterschied zwischen beiden Kategorien besteht darin, daß die letzteren mehr oder weniger ausdrücklich gegen eine als menschenunwürdig und damit als abhilfenbedürftig

1. Kapitel: Die

Genossenschaftsidee

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empfundene Umwelt protestieren, während die an erster Stelle genannten den auch von ihnen geteilten Protest konstruktiv umzusetzen vermögen. Genau auf diesen Sachverhalt zielen jedenfalls neuere Verständnisse und Interpretationen von Genossenschaftsidee und Genossenschaftsprinzip, die hier als - mindestens zunächst - nichtessentialistisch bzw. nicht- oder wenig substantiell angesprochen werden sollen. Der Soziologe Grünfeld sprach in ihrem Zusammenhang von "geistigen Wurzeln" als der ideologischen "Seele der Genossenschaft" (1928,47 und 51 ff.); das Wort Ideologie laut Hettlage hier nicht als "falsches Bewußtsein", sondern als "unverzichtbares Gedankengefüge" verstanden, "mit dem sich eine bestimmte Praxis gestalten läßt" (1987, 337). Andere Sozialwissenschaftler verwenden in diesem Zusammenhang heute häufig den Ausdruck "konkrete Utopie", während Volkswirte und Betriebswirte von "Leitbildern" des Handelns und "kreativen Inventionen" reden. Wo eine solche Idee bzw. Utopie bzw. Invention im Genossenschaftsbereich vorliegt, handelt es sich also nicht um eine "Idee" im Sinne Piatons, ein "Wesen" nach Art des Aristoteles und auch nicht um eine "ganzheitliche" Fortschrittsoder Konservierungsutopie im Sinne der Aufklärung oder Gegenaufklärung. Selbst die bekannte kooperativistische Ideologie, die sich etwa in dem Slogan manifestiert: "Am Genossenschaftswesen wird die Welt genesen", oder andere im Genossenschaftsbereich antreffbare Ideologien sind mit Idee bzw. Ideal, Invention, konkrete Utopie - auch selektive Utopie, Vision usw. - nicht gleichzusetzen. Aus einer konkreten Utopie über Genossenschaften und genossenschaftlichem Verhalten lassen sich Genossenschaftsprinzipien ableiten. Am deutlichsten ist dies bislang für den Bereich der Konsumgenossenschaften am Beispiel der Rochdaler Pioniere demonstriert worden (siehe z.B. Hasselmann 1968). Auf diese Weise wird jedoch keineswegs eine längerfristige oder gar endgültige Änderung bestehender gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Verhältnisse ertastet, der eingeleiteten Bewegung mindestens zunächst nicht einmal ein festes Ziel gesetzt. Die Initiatoren verstanden vielmehr, wie Fauquet treffend ausgeführt hat, tendenziell "unter den Änderungen, die sie erstrebten, nur eine allmähliche, unbestimmte, keineswegs präzisierte Entwicklung" (1937,9). In der Regel geht es im Entwurfsstadium von Konzeptionen und - damit durchaus zusammenhängend - bei beginnender sozialer Bewegung zunächst lediglich um ein zwar engagiert-gesinnungsorientiertes, aber völlig undogmatisches Vorausdenken und -handeln. Aus diesen Ansätzen können sich erst später, bei Erreichen erster gesicherter Erfolge in gefestigten politischen Konzeptionen "institutioneller Sinn" (Weisser), "absolute Wesensprinzipien" und "Grundaufträge" (Henzler), "allgemeine Ideen" (Münkner) und freilich auch mehr oder weniger spezifische Genossenschaftsideologien originärer oder derivativer Art entwickeln. Das Verhalten der Genossen schaftspioniere und -Organisatoren, aber auch dasjenige der "einfachen" Mitglieder ist, anders

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1. Kapitel: Die

Genossenschaftsidee

gesagt, zunächst lediglich subjektiv sinngebunden, dennoch aber gleichwohl wirksamer als die Kraft der Umstände, unter denen es unternommen wird. Dabei spielt es eine vergleichsweise untergeordnete Rolle, welchen weltanschaulichen Positionen der Genossenschafter im einzelnen zuneigen mag, ob er z.B. konservativ-christlichen, freiheitlich-sozialistischen, sozial-liberalen oder anderen Standpunkten anhängt. Das Handeln trägt von vornherein auch pragmatische Züge, die freilich eher einem selektionierenden sinnorientierten Pragmatismus der "Nonkonformität" (Heer) als einem sinnblinden Dahin- und Durchwursteln um jeden Preis entspringen. Von Anfang an - und nicht erst in den letzten Jahrzehnten - sind die sich ausbildenden Grundsätze deshalb in weitem Maße "variable Verfahrensprinzipien" (Henzler 1967, Dülfer 1984). Genossenschaftliches Handeln verfährt spontan und hat doch insofern eine eigene "Methode", als es gemäß "trial and error" kombiniert und ständig dazulernt (Warbasse 1926). Der Grund- oder Förderungsauftrag der Genossenschaften, wie er seit Henzlers Arbeiten betont wird, ist lediglich einem anschaulich gemachten Leitbild vergleichbar, das unterschiedliche Einzelaufgaben zusammenfaßt. Im Grunde geht es bei industriezeitlichen Genossenschaften darum, ihre Mitglieder, deren Mitgliederwirtschaften, die Genossenschaften selbst, indirekt aber auch nichtgenossenschaftliche Einzelwirtschaften und nichtgenossenschaftliche Teile der Gesellschaftswirtschaften entweder in solidarischer Selbsthilfe allein oder unter Zuhilfenahme privater und staatlicher Fremdhilfen an die sich entwickelnde Industriegesellschaft anzupassen, die Gesellschaftswirtschaft dabei aber permanent im Sinne des durch die konkreten Utopien antizipierten "Neuen" zu reformieren, ohne aber das Neue dogmatisch-ideologisch zu verabsolutieren (vgl. Draheim 1957; E.R. Huber 1958; Fürstenberg 1964). In den Worten von Ziegenfuß, der auf Unterschiede zur reinen Marktwirtschaft abstellt:".... der Keim einer von der 'kapitalistischen' grundsätzlich verschiedenen Ordnung der Wirtschaft wirkt ganz unreflektiert und in einer gänzlich untheoretischen Weise in dem praktischen Handeln der 'Pioniere', wie immer dieses Handeln in jedem einzelnen motiviert sein mag ...."(1948, 33). Die konkreten bzw. selektionierenden Utopien - darunter neben hoffnungsdominierenden "Leitbildern" auch angstgeleitete oder zumindest eher skeptische "Weltbilder" sowie mehr literarische Ersatzhandlungen in Romanform berühren sich im von unten her ansetzenden autonomen Gestaltungsaspekt mit den Leitbildern und Weltbildern erwerbswirtschaftlicher Unternehmer. Durch die mindestens teilweise vorliegende Orientierung der handelnden Personen an Wertungen und Sachverhalten der auch im Industriezeitalter nicht unmöglichen Gemeinschaft, der Gemeinnützigkeit bzw. Gemeinwirtschaftlichkeit, der Gerechtigkeit und besonders der Solidarität, weichen sie indessen entscheidend von diesen ab.

1. Kapitel:

Die Genossenschaftsidee

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Die Solidarität setzt - in den Worten Weipperts - "den Verzicht auf ichhafte Eigenwilligkeit voraus, wie sie andererseits nur im Raum freier Entscheidung sich zu entfalten vermag" (1957,117). Ähnlich urteilte übrigens bereits John Stuart Mill (Boucsein 1983). "Ohne ein ausgleichendes Gegenprinzip der Solidarität", schreibt heute trotz Skepsis gegenüber utopischen Gedanken und Vorstellungen selbst von Krockow, "ist die Inhumanität ebenso vorprogrammiert wie die Naturvernichtung", auch wenn es zutreffend bleibe, "daß Freiheit und Reformfahigkeit ohne das Konkurrenzprinzip schwerlich zu bewahren sein (werden)" (1987, 150 f.). Die Genossenschaftsidee als Gestaltungsprinzip einzusetzen, bedeutet nach W.P. Watkins, der Gesellschaft und Wirtschaft eine "dritte Dimension" zu vermitteln. Das Genossenschaftswesen ist - so gesehen - ein "System, das das soziale Gleichgewicht herzustellen sucht, ohne die persönliche Freiheit zu unterdrücken" (Watkins 1952, Preuss 1958, 57). Oder in neuerer, auf den "voluntary non-for profit sector" (Weisbrod, Badelt) als Ganzes bezogener Sicht: der dritte Sektor wird in Grenzen zum Substitut für staatliche und marktliche Wirtschaftssteuerung (Gretschmann 1981, 240; Engelhardt 1985, 42 ff. und 128 ff.). B. Utopien und Prinzipien einiger Wegbereiter und Initiatoren 1. Charles Fourier (1772-1837) Der Franzose Charles Fourier wurde nach F.Engels Urteil durch die detaillierte Schilderung, ja Ausschmückung erdachter siedlungsgenossenschaftlicher Großhaushaltungen mit Produktions- und Konsumtionsaufgaben, "Phalanstères" genannt, zum utopischen Sozialisten par excellence (vgl. z.B. Marx/Engels Band 19,1972,189 ff.). "Fouriers Phantasie schwelgt" - schreibt W. Hofmann - in der minutiösen Ausgestaltung seiner favorisierten Idee. Bis in die Arbeitsorganisation, den Tagesablauf, ja den Bauplan des Phalansterium, des Gebäudekomplexes, in dem die Phalange-Mitglieder leben und arbeiten, ist alles vorbedacht" (1979, 58). Maßgeblich für Engels - und Marx grundsätzlich ähnliche - eher etwas abschätzige Einordnung des Autors unter die Vorläufer des wissenschaftlichen Sozialismus ist dabei, daß Fourier über der Ausmalung von grundsätzlichen Zielen einer einzelwirtschaftlichen Struktur der Zukunft die Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen zur Einführung der Struktur zu kurz kommen ließ. Hofmann nennt ihn und andere Frühsozialisten französischbritischer Herkunft treffender Befürworter von Gesellschaftsreformen "aus einem Punkt". Alle Kraft wird von ihnen auf das fortwirkende, überzeugende Beispiel verwandt, wodurch sie sich als Fortsetzer der Aufklärung erweisen. Die vorhandene gesellschaftlich-wirtschaftliche Umwelt soll zugunsten eines neuen Milieus von einer zentralen Stelle her ausgehebelt werden, freilich noch unter Schonung von Individualität, Privateigentum und Staatsmacht, aber unter Beseitigung des Handels.

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I. Kapitel: Die

Genossenschaftsidee

Fouriers Bedeutung als Vorläufer kombinierter Formen von Produktiv-, Wohnungs- und Konsumgenossenschaften in Gestalt seiner Siedlungsgenossenschaften vom Phalange-Typ liegt nicht zuletzt im Gedanken einer "Erneuerung der Gesellschaft durch Erneuerung ihres Zellengewebes" (Buber 1950). Hinter seiner Phalange-Utopie steht ein großer sozialphilosophischer Gedanke: "die Wiederversöhnung der Arbeit mit der menschlichen Natur, die Betätigung der menschlichen Neigungen im Schaffensprozeß, die Wiedervereinigung von Arbeit und Spiel" (Hofmann 1979). Wie vor ihm bereits Restif de la Bretonne (vgl. Lindemann 1912), erkennt er bereits die morphologische Vielfalt von Persönlichkeiten in ihren Trieb- und Interessensstrukturen. In seiner "Théorie de l'Unité Universelle", Paris 1838 (zuerst 1822), heißt es über die möglichen Auswirkungen einer gesellschaftlichen Ordnung mittels Phalangen als Gesamtkörperschaften: "Diese Ordnung, die der Zivilisation und ihren Charakterzügen entgegengesetzt ist, kann zur Folge haben: a) Das individuelle Interesse mit dem kollektiven zu verbinden, dergestalt, daß das Individuum seinen eigenen Vorteil nur in solchen Operationen finden kann, die der ganzen Masse von Nutzen sind. b) Das Kollektivinteresse zum Kompaß des individuellen Interesses zu machen, in der Weise, daß der Ehrgeizige sich nur dem Allgemeininteresse widmet, welches dem individuellen Interesse die Richtung gibt. Unter solchen Verhältnissen werden die Menschen durch Überlegung und aus Leidenschaft zu Philantropen werden. Sie werden es durch Überlegung aus der Überzeugung heraus, daß der geringste Versuch, persönliche Vorteile auf Kosten der Gesamtheit zu erlangen, sie mit dieser Gesamtheit, die sie ausschließen würde, in Konflikt bringen müßte" (1925, 204 f.). 2. Robert Owen (1771-1858) Erheblich kollektivistischer noch als Fourier, wenn auch wiederum aus einem freiheitlichen Impuls heraus und mehr an die Briten Plockboy und Bellers als an Fourier und andere französische Schriftsteller anschließend, wurde Robert Owen ebenfalls zu einem frühen "Milieutheoretiker" (Gide/Rist 1921) und Förderer produktivgenossenschaftlichen Gedankenguts von Format. Dieser wichtige Vertreter einer spezifisch britischen Form des Sozialismus - eines Sozialismus, der sich "in Werken und nicht bloß in Worten äußert" (B.Potter-Webb 1910) - sieht den Hauptfaktor bei der Ausbildung menschlicher Charaktere in den physiologischen und geistigen Bedingungen, unter denen sich der einzelne im Leben bewegt. Während die Lehre von der freien Konkurrenz der nationalökonomischen Klassiker mit Darwins Theorie vom "Kampf ums Dasein" verbunden ist, rekurriert Owens Eintreten für ein kooperatives Wirtschaftssystem mittels Produktivgenossenschaften laut PotterWebb auf die biologische Lehre von der "Veränderung der Struktur, welche

1. Kapitel: Die Genossenschaftsidee

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durch Veränderungen der Funktionen bewirkt wird" (1893,16 f.). Unter anderem setzte er sich für Produktiv- bzw. Siedlungsgenossenschaften vom Typ der "Villages of Co-operation", "Home Colonisation Societies" und der "Communities of Equality" ein. Freilich ist Owen, sieht man von erfolgreichen Gesetzgebungsinitiativen ab, de facto eher zum Wegbereiter als bereits zum eigentlichen Pionier eines neuen gesellschaftlichen Systems geworden. Er ist allerdings ein Vorläufer, der das "pragmatische Grenzprinzip der Reform" (W.W. Engelhardt) - vermutlich in Anlehnung an Links-Ricardianer (vgl. Simon 1925) - präzise erfaßt hat. Ihm ist es nämlich - wie es in seinem frühen Schlüsselwerk "A New View of Society" (1813/1816) heißt - darum zu tun, "ein neues System menschlichen Handelns einzuleiten, das allmählich die unnötigen Übel beseitigt, von denen die heutige Menschheit heimgesucht wird". Seine Essays sollen "dazu dienen, das Richtige aufzuzeigen und nicht das Falsche anzugreifen." Owen propagiert daher ein Verfahren, welches so verläuft, "daß auf einmal immer nur die kleinste Veränderung vorgenommen wird, die überhaupt noch eine gute Wirkung hervorbringen kann" (vgl. Ramm Hrsg. 1956,189 ff.; Engelhardt 1973, 9 ff.). Owen war selbst erfolgreicher angestellter Unternehmer und EigentümerUnternehmer (vgl. Elsässer 1982), bevor er Produktivgenossenschaften anregte und initiierte. Von seinen eigenen Gründungen ist die 1826 in New Harmony (Indiana/USA) entstandene "Gesellschaft der Gleichheit" die bekannteste, obwohl sie wie alle anderen Gründungen scheiterte. "Gleichheit der Rechte, ohne Unterschied des Geschlechtes und des Standes, für alle Erwachsenen, und Gleichheit der Pflichten, je nach der körperlichen und geistigen Befähigung; Gemeinsamkeit des Eigentums und genossenschaftliche Vereinigung in den Geschäften und Vergnügungen des Lebens". So lauteten die Verfassungsgrundsätze des auf Autarkie zielenden kleinen Gemeinwesens, in dem selbstverständlich bereits von den Prinzipien der solidarischen Selbsthilfe und der Selbstverwaltung ausgegangen wurde (vgl. Faust 1977, 80 ff.). 3. Rochdaler Pioniere (ab 1844) Bei den "Equitable Pioneers of Rochdale" (G.H. Holyoake 1928) von 1844, auf die die Konsumgenossenschaften in aller Welt vor allem zurückgeführt werden, spielen zwei Prinzipien eine Rolle, die bereits auf früher entstandene Konsumgenossenschaften zurückgehen. Dabei handelt es sich einmal um das Prinzip der Rückvergütung, das bereits in der schottischen "Lennoxtown Victualling Society" von 1812 angewendet wurde. Zum andern geht es um das von dem Brightoner Arzt und Genossenschaftsgründer Dr. William King in den Jahren nach 1827 in über 300 Konsumläden praktizierte Prinzip strikter religiöser und politischer Neutralität. Obwohl King selbst tief religiös gebunden war und als Vorläufer der christlichen Sozialreform in Großbritannien

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1. Kapitel: Die

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anzusehen ist (vgl. z.B. J.O.Müller 1976, 20), orientierte er sich damit eher pragmatisch am "Vorletzten", statt am "Letzten oder Absoluten" (Chr.von Krockow 1987). Was die Entstehimg der eigenen Rochdaler Handlungsgrundlagen betrifft, dürfte in genetischer Sicht zuvörderst auf das atheistisch-sozialistische Leitbild des Mit-Pioniers Charles Howarth zu achten sein. Die gemeinsame Ausarbeitung dieser Leitvorstellung hat vermutlich zu der Satzung der Pioniergenossenschaft - und damit zu einer der frühesten institutionellen, verbreitet anerkannten Sinnbestimmungen von Genossenschaften überhaupt - geführt. Schließlich ist das tatsächliche Verhalten dieser Genossenschaft und ihrer einzelnen Mitglieder zu berücksichtigen. Aus diesem Verhalten wurden sehr viel später - definitiv wohl erst im Jahre 1934 - die "Rochdaler Prinzipien" abgeleitet. Durch die Pariser Erklärung von 1937 wurden sie zum politischideologischen Fundament des "International Co-operative Alliance" gemacht, der allerdings bereits 1885 gegründet worden war (vgl. Lambert 1964; Hasselmann 1968; Elsässer 1982). Für Erwin Hasselmann ist die solidarische Selbsthilfe "die" Leitmaxime des Tims und Trachtens der Rochdaler Pioniere. Sie ist "ihr Motiv und die treibende Kraft, die sie befähigte, neue Wege zu gehen, immer wieder neu zu wagen". "Es kam ihnen darauf an, diesem Grundgedanken gemäß" - Eberhard Dülfer spricht von einem "systembildenden Prinzip" (1984, 50 ff.) - "zu handeln und ihn dadurch in der lebendigen Wirklichkeit ihrer Genossenschaft darzustellen" (1968,133 f.). Weitere wichtige Intentionen, die in dem Leitbild neben der solidarischen Selbsthilfe als Anliegen enthalten sind, betreffen die erneuerte Gemeinschaft und Gemein Wirtschaft. Dabei geht es um eine gerechtere und kulturell höherstehende Gesellschaftsordnung, als sie im Großbritannien jener Zeit verwirklicht war. Nicht zuletzt aber spielten sicherlich - und zeitlich zweifellos sogar primär - die drängenden "materiellen Bedürfnisse bzw. Interessen der beteiligten Mitglieder eine Rolle." Im einzelnen handelte es sich dabei sowohl um sinnliche Bedürfnisse der Beköstigung, des Wohnens oder auch um solche der Geltung, als auch um im engeren Sinne wirtschaftliche Interessen der Kostenminderung oder der Ertrags- bzw. Nominal- und Realeinkommenssteigerung. Die bei Eröffnung des ersten Ladens veröffentlichte Satzung läßt diese Intentionen deutlich erkennen, wenn es darin heißt: "Der Konsumverein macht sich zur Aufgabe, pekuniäre Vorteile zu erreichen und die ökonomische und soziale Stellung seiner Mitglieder durch die Bildung eines Kapitals zu verbessern, das ... hinreichend ist, die folgenden Pläne zu verwirklichen: Einen Laden für den Verkauf von Lebensmitteln, Bekleidungsartikeln usw. zu eröffnen; Häuser für diejenigen ihrer Mitglieder zu erwerben oder zu erbauen, die einander beistehen wollen... Die Erzeugung von Waren zu unternehmen, deren Herstellung nach Meinung des Konsumvereines als Arbeit für jene Mitglieder dienen könnte, die arbeitslos sind oder unter unaufhörlichen Lohnsenkungen leiden; Ländereien zu erwerben oder zu pachten, die durch Mitglieder des Konsumvereins bebaut werden, die arbeitslos sind oder deren Erwerb unzureichend ist..."

1. Kapitel: Die Genossenschaftsidee

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An der beabsichtigten gemeinnützig-gemein wirtschaftlichen Sinnbestimmung aller dieser Maßnahmen gibt es keinen Zweifel, denn die Satzung fährt fort: "Sobald all dies möglich ist, wird der Konsumverein die Organisation der Produktion und der Verteilung übernehmen, wie auch die Unterrichtstätigkeit in seiner eigenen Mitte und durch seine eigenen Mittel; mit anderen Worten, der Konsumverein wird sich in eine unabhängige Gemeinschaft ("coopérative Commonwealth") verwandeln, in der die Interessen aller zum gemeinschaftlichen Interesse werden, auch wird er in gleicher Weise alle anderen Konsumvereine unterstützen, welche ähnliche Gemeinschaften zu gründen wünschen". Aus diesem Programm, vor allem aber aus dem tatsächlichen Verhalten der Pioniergenossenschaft und ihrer im gleichen Geiste arbeitenden Nachfolgegenossenschaften wurden später, wie oben geschildert, zunächst die folgenden Prinzipien abgeleitet (vgl. Faust 1977,109 ff): a) b) c) d) e) f) g) h) i)

Demokratische Willensbildung; Offene Mitgliedschaft; Begrenzte Anteilsverzinsung; Rückvergütung gemäß dem individuellen Umsatz; Ansammlung eines Reservefonds; Barzahlung bei Warenempfang; Qualitätsgarantie für die Waren; Weiterbildung der Mitglieder; Politische und religiöse Neutralität.

4. Victor Aimé Huber (1800-1883) Dieser früheste deutsche Pionier unter den großen Initiatoren und Organisatoren war durch seine Reisetätigkeit mit dem Wirken sowohl Robert Owens als auch demjenigen der Rochdaler Pioniere bekannt geworden. Sowohl die siedlungsgenossenschaftlichen Intentionen des ersteren als auch die für später vorgesehenen wohnungsgenossenschaftlichen Pläne der letzteren fanden sein besonderes Interesse. Er versuchte dies von einer ausgesprochen wertkonservativen Position aus etwa ab 1847 vor allem mittels mehr oder weniger gemeinnützigen Unternehmensstrukturen in konkrete reformerische Lösungen umzusetzen. Auf diese Weise wurde er zu einem der wichtigsten Initiatoren offener und "latenter" Assoziationen, gemeinnütziger Gesellschaften und Stiftungen, besonders auf dem Gebiet der Baugenossenschaften und des gemeinnützigen Wohnungswesens (vgl. z.B. Jenkis 1973). In das nach anfänglichen Schwankungen umfassende konservative Weltbild Hubers war ein "Leitbild genossenschaftlicher Selbsthilfeförderung" integriert (vgl. Weuster 1980,42 ff. und 71 ff.). Dabei dachte er nicht zuletzt an "Hilfe zur Selbsthilfe" seitens volkswirtschaftlich oder gesellschaftlich Stärkerer, d.h. an private Fremdhilfe "von oben" (Jenkis) auch aristokrati-

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1. Kapitel: Die

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scher Kreise im Rahmen latenter Assoziation. Julius Otto Müller hat in diesem Zusammenhang von Hilfe von "oben und aussen" gesprochen, die das Konzept der Aktivierung der Selbsthilfe "von unten und innen" ergänze (1976,165 ff. und 217). Im einzelnen analysierte Huber zahlreiche Möglichkeiten der Assoziation, darunter besonders solche der ökonomischen, speziell "industriellen" Assoziation produktivgenossenschaftlicher Art. Unter dem Gedanken der "inneren Kolonisation" verfolgt er enge Verbindungen dieser Genossenschaftsart in ihrer höchsten Ausbaustufe als Siedlungsgenossenschaft zu den Konsum- und Wohnungsgenossenschaften. Sie alle beruhen auf unmittelbarer Selbsthilfe "Kleiner" in Verbindung mit privater Fremdhilfe "Größerer", wohingegen staatliche Fremdhilfe entschieden abgelehnt wird. Die siedlungsgenossenschaftlichen "Kolonien" sollen sowohl Stockwerksbauten als auch Eigenheime umfassen. Ihre anfanglichen Mieter sollen schließlich deren Eigentümer werden, freilich im Sinne eines erneuerten deutschrechtlichen "individuellen Besitzes auf der Grundlage eines korporativen Gesamtbesitzes und durch diesen gesichert, bedingt und beschränkt" (Munding 1894, 774). Huber war als Professor für Literaturgeschichte und neuerer Geschichte in Rostock, Marburg und Berlin auch um die Stärkung der universitären Selbstverwaltung bemüht (Weuster 1980,42). Über seine Pionierfunktionen hinaus kann er als einer der ersten bedeutenden Genossenschaftstheoretiker betrachtet werden. Die theoretische Bedeutung seiner trotz vieler Enttäuschungen unverändert positiven Einschätzung der Assoziation erhellt z.B. aus folgendem Zitat, das aus seiner 1852 erschienenen Broschüre "Bruch mit der Revolution und Ritterschaft" entnommen ist: "Die Assoziation beruht auf dem Erfahrungsschatz, daß durch Vereinigung einer größeren Anzahl kleinerer Kräfte - und zwar gilt dies vom materiellen wie vom sittlichen Leben - eine große Kraft erzeugt wird, deren Wirksamkeit nicht nach dem Gesetz der einfachen Addition, sondern nach einem etwa jenem der arithmetischen Reihe zu vergleichenden Gesetz steigt, wodurch die Tragweite, der praktische Wert jedes einzelnen Gliedes in ähnlicher Weise vermehrt wird..." (Munding 1894, 54). Hubers führende Beteiligung an der 1847 gegründeten "Berliner gemeinnützigen Baugesellschaft", einer der ältesten Unternehmen auf diesem Gebiet, führte in der Folgezeit zur erstmaligen Herausarbeitung von Prinzipien der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen. Zu den wichtigsten Leistungen dieser Gesellschaft können gerechnet werden (vgl. Jenkis 1973, 64 ff.): a) Der Bau gesunder und geräumiger Kleinwohnungen; b) Der Verzicht auf eine weitgehende wirtschaftliche Ausnutzung des Bodens; c) Beschränkung der Dividendenzahlungen und Zweckbindung des Vermögens; d) Einfrieren einmal errechneter Mieten (Erstarrungsprinzip); e) Einräumung von Dauerwohnrechten.

1. Kapitel:

Die

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5. Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) Auch dieser deutsche Pionier und herausragende Organisator knüpfte nach einer Periode des Versuchs und Irrtums - in der er trotz seiner von Anfang an vorhandenen liberalen Grundüberzeugung privater Fremdhilfe in Wohlfahrtsaktionen den Vorzug.vor Selbsthilfelösungen gab - bewußt an den "praktische(n) Takt der Engländer" an. Auf sie war er nicht zuletzt durch Huber aufmerksam geworden. Trotz zweifellos auch theoretischer Begabung verwahrte er sich dabei schon bald gegen die Ansicht, in seinen Veröffentlichungen "irgendwie eine soziale Theorie begründen zu wollen", so wie er die Bemühungen der Frühsozialisten einschätzte. Zweifellos hatte aber auch Schulze-Delitzsch in den "praktische(n) Erwägungen", die ihn in seinen rechts- und wirtschaftsgestalterischen Bemühungen "leiteten", einen "Standpunkt, von welchem er ausging" (vgl. Thorwart 1909, 1 ff.). Mit anderen Worten: Selbst er - der wie alle Liberalen großen Wert auf eine "vernünftige" Vorgehensweise und Argumentation legte - besaß ein Leitbild, das seinem Tun zugrundelag und das mit zunehmendem Erfolg seiner Bestrebungen nicht nur theoretisiert, sondern auch ideologisiert und teilweise doktrinär vertreten wurde (Aldenhoff 1984). Schon die Einnahme dieses Standpunktes, nicht etwa erst - wie manchmal zu lesen ist - sein Eintreten für die Produktivgenossenschaft als "Gipfelpunkt des Systems" macht auch diesen Initiator zu einem Utopisten im hier vertretenen Sinne des Wortes (anders Albrecht 1965, 111 ff.; zustimmend Dülfer 1987). Bereits in dem zuerst 1853 veröffentlichten "Assoziationsbuch für deutsche Handwerker und Arbeiter" wird Schulze-Delitzsch's System im Umriß deutlich. Zu diesem System sollten in erster Linie "Vorschußvereine" bzw. "Volksbanken", "Rohstoff-Assoziationen" und Magazingenossenschaften, aber auch "Sparvereine" der Konsumenten und echte Konsumgenossenschaften gehören. Die Assoziationen - von 1858 an fast ausschließlich "Genossenschaften" genannt - werden als "Innungen der Zukunft" von den alten Zünften des Mittelalters und deren ausschließlich deutschrechtlichen Grundlagen folgendermaßen abgehoben: "Das alte Zunftwesen mit seiner bloß formalen, beschränkenden Tendenz ist ohne allen Inhalt und tot, und es ist durchaus vergeblich, durch die Gewerbegesetzgebung von außen wieder ein Leben hineinbringen zu wollen, welches nicht aus der inneren Kraft des Organismus selbst hervorquillt. Nicht der Zwang, das eigene Interesse muß den Anschluß hervorbringen" (Thorwart 1913, 73 f.). Die Genossenschaft ist für Schulze-Delitzsch ein "praktisches Mittel", das gleichwohl nicht technologisch als Selbstzweck, sondern als mittelstandspolitisches Organ "unbedingter Selbsthilfe" (J.M. Back) verstanden wird, das von unten her, dezentral wirkt. Sein Einsatz zur Lösung der "Sozialen Frage" der Zeit hat seiner Ansicht nach bei den der Entwicklung fähigen Elementen des Bestehenden anzuknüpfen. Die erzielte Wirkung führt freilich weit über diese Elemente hinaus. Sie erbringt neben "materiellen Vorteilen" für den einzelnen und den gesamten Mittelstand eine "vielleicht weniger handgreifliche Einwir-

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kung auf Geist und Sinn der Mitglieder". Diese geht in Richtung "intellektuelle(r) und sittliche(r) Bildung, der Stärkung des "Gefühl(s) der Zusammengehörigkeit, der Gemeinschaft", ja auch der Weckung des "Sinn(s) für das öffentliche Wohl, für gemeinnütziges Wirken" (Thorwart 1919,1 ff. und 30 f.; Engelhardt 1988). Die beiden zentralen Intentionen, auf die es Schulze-Delitzsch in seinem Leitbild ankam und welche die von ihm hauptsächlich vertretenen Prinzipien entscheidend beeinflußt haben dürften, waren freilich trotz Widmungsimpulsen "gruppenwirtschaftlicher" (W.W. Engelhardt) Art an den Stand und "sekundärer Gemein Wirtschaftlichkeit" (G. Herrmann) vor allem "die Berechtigung der Individualität gegenüber der Hingebung an die Gesamtheit, die Ausgleichung dieser beiden entgegenstehenden Forderungen" (Thorwart 1909, 3). Oder wie er später sagt und schreibt: "Die Selbsthilfe auf dem Gebiet des Erwerbes ist der Friede, die Selbstverantwortung ist die Ordnung" (ebd. 1909, 182).

Die Prinzipien im einzelnen - sie beeinflussen nicht nur die Gründungen von Genossenschaften, sondern auch Schulze-Delitzsch's Initiativen für das Preußische Genossenschaftsgesetz von 1867 und die Wegbereitung des Reichsgesetzes betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften von 1889 - sind (vgl. Dülfer 1984, 123) a) b) c) d) e) f)

die Selbsthilfe; die Selbstverwaltung bzw. Selbstbestimmung; die Selbstverantwortung; die Gleichberechtigung des einzelnen in der kooperativen Gruppe; die solidarische Haftung der Gruppe; die strikte Ablehnung staatlicher Fremdhilfe.

6. Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) Dieser erste große Pionier des ländlich-landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens innerhalb seiner modernen "einzelwirtschaftlichen Grundgestalt" (H.J. Seraphim) kommt von einer protestantisch-christlichen, vermutlich pietistischen Weltbildorientierung her zur Befürwortung von Kooperativen. Die Fundamente seiner Orientierimg führen ihn zu vielfach ähnlichen Ansichten, wie sie bei den bislang erörterten Pionieren vorgefunden wurden. In seinem Hauptwerk über "Die Darlehnskassen-Vereine", das 1866 zuerst erschien und bald im Mittelpunkt seiner Gründungsbemühungen stehen sollte, spricht er allerdings betonter als die französischen und britischen Initiatoren und zumal Schulze-Delitzsch religiös-sittliche Ziele an. Neben der materiellen Förderung sollte - nicht nur zeitlich, sondern auch systematisch vor ihr rangierend - die religiöse Hebung der Mitglieder im Sinne sittlicher Forderungen des Tatchristentums stehen. Sie orientierten sich an dem Wahlspruch, "an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen" (Raiffeisen 1966, 13 f.), ohne daß er damit einer Wirkungsorientierung vor einer Sinnorientierung Vorschub leisten wollte.

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Raiffeisens Denken und Handeln wurzelte unzweifelhaft in einem Genossenschaftsverständnis, das auf die essentielle christliche Gemeinschaft der Urgemeinde, aber auch auf deutschrechtliche Anfänge des Genossenschaftswesens zurückführt, die Schulze-Delitzsch praktisch als überholt ansah (vgl. z.B. Siepmann 1987). Seine konkret-utopischen Vorstellungen entsprangen bei ihm noch eher weltanschaulich-letzten als vorletzten Orientierungen, die ihn als "Heiligen" von allerdings säkularisierter Prägung erscheinen lassen (D.von Oppen 1967, 34 ff.; auch J.O. Müller 1971, 135 ff.). Im Mittelpunkt seines Wollens stehen demgemäß transzendente Wertvorstellungen seines christlichen Menschenbildes, die sich in seinen Prinzipien ausprägen; daneben Vorstellungen vom naturhaft Organischen landwirtschaftlich-gesellschaftlicher Produktion. Ersteres findet seinen Ausdruck in der Ansicht, daß das "gute Beispiel und der gute Geist" nicht aus einem diesseitigen Standpunkt etwa einer liberalen Idee oder einer sozialistischen Vernunftutopie atheistischer Art - entspringen, sondern letztlich "von oben" kommen (1966,13 ff. und 55 ff.). Letzteres kulminiert etwa in der Idee eines dem Mitgliederwillen entzogenen, unteilbaren "Stiftungsfonds" als einer neuen "Art geldwirtschaftlicher Allmende" (G. von Schmoller). Da zu Raiffeisens Zeit weit mehr als in Deutschland heutzutage die fundamentale Bedeutung der Landwirtschaft als Gemeinwohlziel außer Frage stand - nach Ansicht des Pioniers "von dem guten Bestehen der ländlichen und hauptsächlich landwirtschaftlichen Bevölkerung das gute Bestehen der ganzen Gesellschaft und besonders auch des Staates abhängt" (1966, 31) - kann er nach Beate Finis schon bei Zugrundelegung eines darauf abstellenden Gemeinwirtschaftsbegriffes als Gemeinwirtschaftler gekennzeichnet werden. Es kommt aber hinzu, daß Raiffeisen offensichtlich auch neueren Gemeinwirtschaftsbegriffen programmatisch-einzelwirtschaftlicher Art etwas abzugewinnen wußte. In diesem Zusammenhang ist auf die von ihm gelegentlich gebrauchte Bezeichnung seines Wirkens als "christlich-sozialistisch" hinzuweisen, die die Erziehung betont christlicher Menschen durch seine Genossenschaften ausdrücken sollte. "Würden überall solche Vereine gegründet, fände dabei eine allseitige Beteiligung statt und würden dieselben im rechten Geiste geleitet, so daß sie die Pflanzstätten echt christlichen Gemeinsinnes, echt christlichen gemeinnützigen Zusammenwirkens würden, so könnte man der Zukunft ruhiger entgegensehen" (1966, 40; siehe auch Faust 1977, 50; Finis 1980, 155 ff.). Raiffeisen sah offensichtlich mit dem "System Schulze-Delitzsch" starke Ökonomismusgefahren verbunden an, die er in dem von ihm befürworteten System zu vermeiden suchte. Trotz des Satzes von den Früchten, an dem die Christen zu erkennen seien, wird von ihm sittliches Handeln auch im wirtschaftlichen Bereich sofort, nicht erst als Ergebnis genossenschaftlichen Tuns, erwartet. Der Pionier trat zweifellos entschieden für solidarische Selbsthilfe der ärmeren ländlichen Bevölkerungsschichten sein, wie sein bekannter Slogan "Einer für alle, alle für einen" zeigt. Wie sein bedeutender Gegenspieler be-

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gann auch er zunächst mit rein altruistischen Lösungsversuchen der sozialen Fragen der Zeit. Vor allem aber war er zeitlebens für den zusätzlichen Einsatz privater und sogar staatlicher Fremdhilfen im Genossenschaftsbereich. Raiffeisen glaubte zumindest für die absehbare Zukunft auf die Bereitstellung sowohl fördernder privater als auch staatlicher Fremdmittel seitens der Kommunen sowie der Kreis- und Provinzialverwaltungen - die er als langjähriger Ortsbürgermeister "von Format" (H.Maier) bestens kannte - nicht verzichten zu können. Auch von hier aus ergeben sich gemeinwirtschaftliche Züge seines Handelns, die dies selbst mit Lassalles, Bischof von Kettelers und Reichskanzler von Bismarcks Tun in gewissem Umfange vergleichbar machen. Raiffeisens Prinzipien, deren ursprüngliche Fassimg von 1873 in überarbeiteter Form als institutioneller Sinn zum Bestandteil der Verbandssatzung wurde (vgl. Dülfer 1984, 123), sind: a) Die Absicht der sittlichen und materiellen Mitgliederförderung; b) die uneingeschränkte Solidarhaft der Mitglieder; c) die Beschränkung des Mitgliederkreises auf einen möglichst kleinen Vereinsbezirk - in der Regel eine Gemeinde - und den Anschluß von Doppelmitgliedschaften; d) das Erfordernis von höchstens einem Geschäftsanteil pro Mitglied, für den Dividenden maximal in Höhe der Darlehenszinssätze erlaubt waren; e) die ehrenamtliche Verwaltung der Genossenschaft, von der lediglich der "Rechner" ausgenommen war; f) die Ansammlung eines unteilbaren Stiftungsfonds. 7. Wilhelm Haas (1839 -1913) Bei diesem Pionier handelt es sich um die zweite große Gründerpersönlichkeit des ländlich-landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens in Deutschland. Er ist allerdings mehr als Schöpfer eines besonderen "Organisationssystems" (W. Jäger), d.h. als Organisator von verbandlichen Gesamtzusammenhängen, denn als Initiator von Einzelgenossenschaften anzusprechen. So gründete er zwar 1872 in Friedberg/Hessen zusammen mit anderen Interessierten einen "Landwirtschaftlichen Consumverein", wie damals dort - und später z.B. auch in der Schweiz und Finnland - ländliche Warenbezugsgenossenschaften genannt wurden. Seine großen organisatorischen Fähigkeiten entfaltete Haas, der ursprünglich Verwaltungsbeamter war, aber besonders bei der Zusammenfassung solcher Genossenschaften - von denen die Friedberger nicht die erste war -sowie von Molkerei- und Kreditgenossenschaften in Verbänden. Außerdem hat sich dieser Pionier große Verdienste beim Aufbau von der Verbandsarbeit strikt getrennt gehaltener zentralgenossenschaftlicher Geschäftsanstalten erworben. Auf Haas Wirken im politischen Bereich als Abgeordneter der Nationalliberalen im Reichstag geht nicht zuletzt die Zulassung von Zentralgenossen-

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Schäften mit beschränkter Haftung im Genossenschaftsgesetz von 1889 zurück. Er setzte sich damit für eine Genossenschaftsart und dafür geeignete Normen ein, denen sich Raiffeisen und auch Schulze-Delitzsch noch verschlossen hatten (vgl. Tillmann 1980, Sp.774). In einem langjährigen "Systemstreit" mit Raiffeisen vertrat er dabei seine Position keineswegs immer nur pragmatisch-anpassungsfähig um jeden Preis, sondern durchaus kämpferisch-grundsatztreu, auch wenn er Raiffeisens gelegentlichen Doktrinarismus brandmarkte. Entgegen zum Teil in der Literatur geäußerter Ansicht (vgl. z.B: Jäger 1965,79 f.) ging es ihm dabei ferner nicht um ein rein ökonomisches Verständnis der befürworteten und tatkräftig geförderten bäuerlich-1 ändlichen Selbsthilfeeinrichtungen. Obwohl er zwischen der sittlich wirksamen genossenschaftlichen Idee, den sozial bedeutsamen Effekten der Genossenschaften und der "dazwischenliegenden" nüchternen genossenschaftlichen Tagesarbeit materiell-wirtschaftlicher Arbeit unterschieden wissen wollte, widmete er seine Aufmerksamkeit und Energie keineswegs ausschließlich der letzteren. Gemeinsinnvorstellungen, die über den Genossenschaftsbereich hinaus die Gesellschaft und den Staat festigen helfen können, waren Haas sicher nicht fremd. In einem seiner Jahresberichte weist er beispielsweise auf die Notwendigkeit hin, den noch nicht genossenschaftlich organisierten Landwirten sowohl die ökonomischen Vorteile als auch die ideelle Bedeutung der Genossenschaftsarbeit aufzuzeigen, "wie sie den Landwirt zu gemeinsinniger Tätigkeit heranbildet, aus seiner Vereinzelung und untätigen Schicksalsergebenheit herausreißt, ihn mit größerem Selbstgefühl, mit dem Gefühl der Selbstverantwortlichkeit erfüllt, aber auch zur Nächstenliebe, zur werktätigen Hilfsbereitschaft für seine Mitbürger ereifert". Und jeder "einsichtige Volksfreund" werde gerne zugeben, daß in diesem Streben nach "letzten Zielen" der "ungleich bedeutungsvollere, den materiellen Nutzen an Wichtigkeit weit überragende Teil der genossenschaftlichen Arbeit liegt, welche die im Menschen liegenden edlen Instinkte weckt und pflegt, ihn zum tüchtigen, selbstlosen, opferwilligen Bürger heranzieht" (Haas 1894, Finis 1980, 243 ff.). Auf Haas geht eine Anzahl Organisationsprinzipien zurück, die im "Darmstadter Programm" von 1890 ihren Niederschlag gefunden hat. Besonders kennzeichnend für sein System wurden davon: a) Das Prinzip der Dezentralisation; b) die Trennung von Waren- und Kreditgeschäften (Spezialisationsprinzip); c) das Prinzip der Neutralität sowohl in politischer als auch in religiöser Hinsicht, das er im "System Raiffeisen" trotz dessen Widerspruch nicht immer gewahrt sah. Ein anderer trennender Punkt zu Raiffeisen war dessen Stiftungsfondsgedanke, auf dem Haas nicht mehr bestand.

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Die anthropologische Konzeption d e s G e n o s s e n s c h a f t s w e s e n s in Theorie u n d Praxis. - Welche Chance hat der "homo c ooperativus"? Robert Hettlage

In der Geschichte der Wirtschaftsdoktrinen, in der Lehr- und Forschungspraxis und im praktischen Wirtschaftsgeschehen unterliegen die Genossenschaften einem ständigen Auf und Ab. Einmal werden sie hoch bewertet, dann wieder in den Hintergrund gedrängt. Das gilt für die Theorie wie für die Praxis. Hin und wieder werden sie als theoretische Alternative gegenüber der Wirtschaftskonzeption der Neoklassik "entdeckt" und wieder verworfen, ein andermal gelten sie als praktische Alternativen gegenüber einer überbordenden Marktwirtschaft. Dieses wird wieder heftig bestritten für hochentwickelte Industriegesellschaften, während man den Genossenschaften für Entwicklungsländer zeitweilig einen hohen Rang einräumt. Schließlich sind sie auch für die Planwirtschaften akzeptabel (vgl. UDSSR), wenn ihnen nicht gar eine Priorität beim Umbau dieser Wirtschaftsordnung hin zu einer marktgerechteren Versorgung eingeräumt wird. Mögen die Genossenschaften auch noch so sehr ein Nischendasein führen, Genossenschaftsidee und Genossenschaftspraxis lassen sich offensichtlich nicht abschaffen. Das deutet daraufhin, daß im kooperativen Unternehmenstypus ein Menschenbild angesprochen ist, das an tief verwurzelte, unerfüllte Vorstellungen von einer vernünftigen humanen Wirtschaftsweise appelliert, die Anspruch erhebt, wenn nicht schon Alternative, so doch wenigstens Korrektur individualistischer oder kollektivistischer Wirtschaftsauffassungen zu sein. Dieses Menschenbild h a t in die wissenschaftliche Auseinandersetzung unter dem Titel "homo cooperativus" Eingang gefunden. Was hat es damit auf sich? Um diese Frage zu beantworten, soll zunächst die Bedeutung der anthropologischen Fragestellung für die Wirtschaft untersucht werden (I). Im zweiten Abschnitt geht es dann um die Anthropologie und Soziologie des ökonomischen Menschen, wie ihn die klassische und neoklassische Wirtschaftstheorie sieht. Im dritten Abschnitt wird ihr der Entwurf des "homo cooperativus" gegenüber gestellt und gefragt, welchen Stellenwert dieses Konstrukt in Theorie und Praxis haben kann. A. Anthropologische Konzepte in der Wirtschaft Daß Wirtschaftstheorien und Wirtschaftspraxis wenigstens unterschwellig mit bestimmten Menschenbildern arbeiten, ist intuitiv einleuchtend, der genaue Stellenwert solcher Konzepte ist aber stark umstritten. Handelt es sich n u r um theoretische Fingerübungen oder haben sie auch praktische Relevanz? Hat Wirtschaft überhaupt etwas mit Anthropologie zu tun? Zunächst ist also nach der Anthropologie zu fragen.

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1. Die Verschränkung von anthropologischem, soziologischem und sozialethischem Denken Der menschliche Geist ist ein "Wühler". Er fragt nicht nur nach der Welt und nach seinen Mitmenschen, sondern auch nach sich selbst, nach seinen Eigenheiten, die ihn gegenüber der Tierwelt herausheben, nach seiner typischen Lebensbewältigung und nach seiner Teleologie. Das beschäftigt u.a. die Anthropologie. Zur Frage steht hier die Seinsgestalt, innere Struktur und Dynamik des Menschen, Diese kann in unterschiedlicher Weise angegangen werden: theologisch, philosophisch, biologisch, ethnologisch, kultursoziologisch und auch wirtschaftlich. Heute haben fast alle Wissenschaften eine anthropologische Wendung genommen, was sich u.a. in soziobiologischen Erklärungsversuchen wirtschaftlicher Phänomene zeigt. Die Frage nach dem "richtigen" Ansatz muß hier nicht entschieden werden, es kommt zunächst vielmehr darauf an zu zeigen, daß der Mensch aufgrund seiner biologischen Besonderheiten, aber auch durch seine soziale Einbettung vor bestimmten Handlungsnotwendigkeiten steht und mit bestimmten Handlungsbereitschaften (Instinkten, Motiven), aber auch mit Freiräumen der Subjektivität, der Zwecksetzungen und Wirklichkeitsstrukturierungen ausgestattet ist. Das ist nicht nur im Hinblick auf seine Leiblichkeit, seine materiellen Bedürfnisse und sein Bewußtsein (Vernunft und Wille), sondern auch im Hinblick auf seine Sozialität von Bedeutsamkeit. Insofern hängen Anthropologie, Soziologie und Sozialphilosophie miteinander zusammen. Wer die Frage des "Ich" klären will, muß auch die Frage des "Du" und des "Wir" klären. Er muß nämlich wissen, ob und wieweit "der andere" in Form von Vergemeinschaftungen und Vergesellschaftungen zur Konstitution des Individuums selbst gehört bzw. umgekehrt, inwieweit das Individuum ohne die "zweite Natur" der Gesellschaft überhaupt gedacht werden kann. Nun ist das Sein schwer vom Ethos zu trennen. Wer seine Fähigkeiten, Antriebe, Möglichkeiten und Formbarkeiten deuten will, steht auch vor der Frage, wie er sein Potential ausschöpfen und welche Güter - bezogen aufsein ganzes Leben - er sich beschaffen muß, d.h. wie er sich in seiner Welt so einrichtet, daß er sein Sein nicht verfehlt. Dafür muß er wissen, was nützlich und zweckmäßig ist, aber auch, was recht ist. Beide "Richtigkeiten" müssen sich im praktischen Verhalten durchdringen, damit das "gute Leben" gelingt (Gadamer, 1963:21). Da unser Handeln von anderen abhängt und in die Gesellschaft hinein wirkt, ist auch das soziale Verhalten nicht von der ethischen Betrachtung zu dispensieren. 2. Anthropologische Konzeptionen in der Wirtschaft? Wir wissen alle, daß sich im Laufe der Wissenschaftsgeschichte die modernen "Fachwissenschaften" von der Theologie und der Philosophie "emanzipiert" haben. Auch die Wirtschaftswissenschaften stehen in dieser Tradition.

1. Kapitel: Die GenossenschafIsidee

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Wenn sie nach dem Menschen fragen, dann nicht nach dem "was", sondern nur nach dem "wie". Warum-Fragen sind dann nicht an ontologische, sondern an Funktionsaspekte gebunden. Anthropologisch gesehen untersuchen sie, wie der Mensch als biologisches Mängelwesen (Gehlen 1961:18) sich durch naturveränderndes Handeln seine Seins-Sphäre so stabilisieren kann, daß die Handlungsanreize an die materiellen Bedürfnisse angekoppelt werden. Dazu bedarf es als Bindeglieder Stützen und Orientierungen der wirtschaftlichen Institutionen. a) Anthropologische Prämissen der Neoklassik Ausdrücklich wird von den Wirtschaftswissenschaftlern liberaler Prägung aber darauf verwiesen, daß es dabei nur um die Organisation von Sozialbeziehungen auf der Basis individueller Freiheitsrechte gehen kann, welche sich e i n e r universalen gesellschaftlichen Normierung verschließen. Das Zusammenleben kann nur so organisiert sein, daß individuelle Bewegungsfreiheit und störungsfreie Interaktion gesichert sind. Die nötige Kontrolle erwächst allein aus der Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten und Verhaltensbedingungen von Individuen und Gruppen. Die Ziele der Wirtschaft sind (auch für die wirtschaftspolitischen Entscheidungsgremien) aus der sozialen Interaktion und dem Sozialisationsprozeß zu entnehmen. Da übergreifende Normbildungsinstanzen fehlen, kann die Wirtschaft wertfrei gedacht und geordnet werden: Das Ergebnis ist die Formalisierung der Wirtschaftstheorie und das Abdrängen der Zielkomponenten einer rationalen Wirtschaftspolitik in den externen Bereich des "Gegebenen". So erwecken Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik den Anschein, anthropologie-, norm- und soziologiefrei zu sein. Sie theoretisieren bzw. applizieren nichts weiter als Entscheidungslogiken zur Allokation knapper Ressourcen bei alternativen Einsatzmöglichkeiten, wie die berühmte Definition des Wirtschaftens bei Robbins{ 1949: 16) lautet. Aber wer glaubt, damit die Frage des Menschenbildes und der Normativität endgültig ad acta gelegt zu haben, irrt sich meistens. Hinterrücks tauchen diese Probleme immer wieder auf, auch wenn sie nun nicht mehr ausdrücklich thematisiert werden. Wer über Rationalität des Handelns redet, macht implizit Aussagen über die Natur des Menschen, denn er nimmt Partei für eine bestimmte Vorstellung von Vernünftigkeit, Zweckmäßigkeit, Nutzen, Kalkulation, Rechenhaftigkeit, "methodische Lebensführung", Arbeits- und Pflichtethos, Leistungsgesellschaft usw. Wer über materielle Bedürfnisse, "menschliche" Bedarfsdeckung, meritorische Güter, wer über Verteilungssysteme, Verteilungsansprüche und öffentlichen Bedarf redet, der spricht implizit auch über Wohlfahrt, Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit, Staatsräson, Wertbeziehungen und Wertrelevanzen. Er macht damit auch meistens Aussagen über das, was für Menschen gut ist und wie sie sich verhalten sollen. Wer über wirtschaftliche Ordnung spricht, kann die gesellschaftliche Ordnung nicht aussparen. Er macht dabei meist auch Aussagen über das "Wesen" des Men-

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sehen, über seine Dispositionsfähigkeit, über seine Selbständigkeit, sein Sicherungsbedürfnis, seine Motivationsfähigkeit; er spricht von der Rolle der Freiheit, von der Personalisierung der Gesellschaft, von Konflikt und Harmonie, wiederum von Lebensqualität, Chancengleichheit, Selbstentfaltung und Gemeinwohl. All diese Themen lassen sich auch von der Anthropologie und Soziologie her als Versuche begreifen, die Natur des Menschen, seine Stellung in der Welt, sein gesellschaftlich geordnetes Verhalten und seine sittliche Bestimmung zu deuten. So wundert es nicht, daß die meisten großen Nationalökonomen sich in der Spätphase ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit Nachdruck den anthropologischen, soziologischen und sozialethischen Fragen zugewandt haben. b) Das Verhältnis von Individualität und Sozialität Die Bedeutsamkeit einer anthropologischen Grundlegung von Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik wird am deutlichsten an der Stellungnahme, die man dabei für den Menschen als selbständige Person abgeben muß. Da Menschen nicht solipsistisch als "homines clausi" (Elias 1987) dahinvegetieren, sondern über ihre Leiblichkeit und ihr Kommunikationsstreben immer "in der Welt" sind, muß man auch den Grunddimensionen der Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit ihren Stellenwert zuerkennen. Mit anderen Worten: Man muß sich fragen, wie der "homo duplex" aus Individualität und Sozialität, auch im Wirtschaftsgeschehen, eigentlich zu denken ist. Legt man mehr Gewicht auf die Individualität, dann begreift man gewöhnlich das menschliche Zusammenhandeln als eines, das aus freier Übereinkunft zur Erreichung bestimmter individueller Zwecke, also durch eine Art Vertragsschluß zustande gekommen ist. Vergesellschaftungsprozesse sind dem Individuum nachgeordnet. Das bedeutet ontologisch, daß alle menschliche Realität individuell zu verstehen ist, dergegenüber die Beziehung der Individuen untereinander nur akzidenteller Natur sein kann. Ethisch bedeutet es, daß es ursprüngliche Personenwerte und Verfügungsrechte gibt, in die andere nicht eingreifen dürfen, wenn man sich nicht freiwillig eines Teils seiner Rechte begibt. Wer wie große Teile der Sozialpsychologie, Soziologie, Politikwissenschaft und Anthropologie von der Sozialität her argumentiert, der zäumt das Pferd von der ganz anderen Seite auf. Für ihn hat ontologisch das Soziale ein eigenes Sein, das nicht aus dem Sein der Individuen allein abgeleitet werden kann. (Allerdings muß diesem Sein keine eigene Substanz zuerkannt werden.) Ethisch besagt es, daß Menschen ihre Erfüllung als Personen allein nicht finden können, sondern nur dann, wenn sie sich in die res publica integrieren. Von da aus wird ihr Eigennutz eingeschränkt (Haeffner 1982: 62). Sofort ist ersichtlich, daß das für die Wirtschaftstheorie und die Wirtschaftspolitik höchst bedeutsam ist. Nicht nur spielen Individualismus und Kollektivismus hier traditionellerweise eine große Rolle, der Kampf der

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Theorien und Begriffe ist auch ein Kampf um die "richtige" Anthropologie. Es wird mit Extrempositionen und Idealmodellen gearbeitet, die unterschwellig für "wirklich" genommen werden, während es meist nicht gelingt, den "homo duplex" in beiden Dimensionen gleichzeitig und angemessen zu erfassen. "Wir können uns selbst, so scheint es, nicht recht verständlich machen, wie es möglich ist, daßjeder einzelne Mensch etwas Einzigartiges, von allen anderen Verschiedenes ist, ein Wesen, das in bestimmter Weise fühlt, was niemand außer ihm selbst fühlt, erlebt, was kein anderer Mensch erlebt, tut, was kein anderer Mensch tut, ein Wesen für sich, und zugleich ein Wesen für andere und unter anderen, mit denen zusammen es Gesellschaften wandelbarer Struktur bildet, deren Geschichte von keinem der Menschen, die es bilden und ganz gewiß auch nicht von allen zusammen, so wie sie wirklich durch die Jahrhunderte hindurch verläuft, beabsichtigt, bezweckt oder gar zielvoll herbeigeführt worden ist und ohne die der einzelne weder als Kind am Leben bleiben noch zu sprechen, denken, lieben und sich wie ein Mensch verhalten zu lernen würde" (Elias 1987:109). Das zeigt sich auch in der Debatte um den "homo cooperativus". Da dieser als Gegenentwurf gegen das Menschenbild des ökonomischen Individualisten formuliert wurde, muß zuerst der "homo oeconomicus" diskutiert werden. B. Die Anthropologie und Soziologie des ökonomistischen Menschen Dieser Zwischentitel ist mit Bedacht gewählt. Er soll daraufhinweisen, daß trotz aller Verfeinerungen und Retuschen, die am Bild des "homo oeconomicus" im Lauf der Zeit angebracht wurden, seit der englischen Aufklärung (Ferguson; Hutcheson; Shaftesbury und Adam Smith) die Vorstellung vorherrscht, die bürgerliche Gesellschaft und die industrielle Revolution hätten einen menschlichen Verhaltenstypus hervorgebracht, der sich aus der sozialen Bevormundung früherer Gesellschaften befreit und endgültig auf die eigenen, individuellen Füße gestellt hätte. Dabei hat sich der Begriff des Interesses vom Staatsinteresse und den Interessen des Geistes, der Gesundheit, der Ehre u.ä. verkürzt auf die materiellen Aspekte der Wohlfahrt, auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse und auf die Ansammlung von Reichtum. "Here the mixture of self-seeking and rationality that had been developed as the quintessence of interest-motivated behavior in the discussions around statecraft was found to be a parti cularly useful and hopeful category" (Hirschman 1977:35f), denn "interest will not lie". Bis heute ist in den dominierenden Richtungen der Wirtschaftstheorie die Suche nach der ökonomischen, aber auch gesellschaftspolitischen, politischen und soziologischen Reichweite dieser Maxime des 18. Jahrhunderts nicht mehr abgebrochen. Wer also ist und was leistet der "homo oeconomicus"?

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1. Die Suche n a c h dem ökonomistischen Sozialcharakter a) Die Diskussion um den "homo oeconomicus" Die Denkfigur des "homo oeconomicus" hat eine lange Geschichte. Sie geht auf die klassische Nationalökonomie (Ferguson, Smith, Mandeville) zurück. Mandeville will beweisen, daß alles seine zwei Seiten hat und daß nichts so schlecht ist, daß es nicht einem anderen noch nützlich sein könnte. Ohne Diebe hätten die Juristen schließlich keine Arbeit. "Daher sind die Dinge gut oder schlecht nur in Beziehung zu etwas anderem und entsprechend der Stellung und Beleuchtung, die man ihnen gibt. Was uns Lust bereitet, ist eben insoweit gut, und dieser Regel gemäß will jeder sein eigenes Wohl, so gut er es versteht und mit wenig Rücksicht auf seine Nebenmenschen". Güte, Sittsamkeit und Friedfertigkeit sind keine geeigneten Eigenschaften, um zu Macht und Reichtum zu gelangen. Die liebenswerten Eigenschaften von Menschen setzen niemanden in Bewegung. Not und Bedrängnis, Schwächen und Laster der Menschen hingegen stimulieren die vita activa. So kommt es, daß "weder die dem Menschen von Natur zukommenden Gefühle des Wohlwollens und der Freundschaft, noch die eigentlichen Tugenden, die er durch Vernunft und Selbstverleugnung zu erwerben vermag, die Grundlagen der Gesellschaft bilden; daß vielmehr das, was wir das Übel in der Welt nennen, sowohl das moralische wie das natürliche, das große Prinzip ist, das uns zu sozialen Wesen macht, die feste Basis für die Entwicklung und Erhaltung aller Berufe und Erwerbszweige ohne Ausnahme. Hier müssen wir den wahren Ursprung aller Künste und Wissenschaften suchen" (Mandeville 1724,1968: 389f). Auffallend ist, daß diese Thesen zwar von Anfang an bestritten waren, daß die Wirtschaftstheorie des 19. und 20. Jahrhunderts aber faktisch mit diesen Prämissen arbeitete. Später nannte man dieses Menschenbild den "homo oeconomicus" oder den "economic man". Er gab die Grundfigur des ökonomischen Verhaltensparadigmas ab. Ökonomen beginnen meist mit der empirischen Tatsache, daß Menschen angesichts von Knappheit wählen müssen. Sie beginnen dabei mit der Prämisse, daß Individuen vom Eigeninteresse gesteuert werden, also Pläne und Projekte verfolgen, die sie realisieren wollen. Das kann heißen, daß sie egoistisch im engen Sinne sind, also nur ihre persönlichen Interessen als Unternehmer, Arbeiter und Konsumenten verfolgen wollen. Sie suchen nur ihr eigenes Wohlergehen im Konkurrenzkampf gegen andere, ohne sich von einem übergreifenden Verantwortungsgefühl leiten zu lassen. Die neuere Debatte hat hingegen klargemacht, daß sich an der Argumentation wenig ändert, wenn man das Selbstinteresse offener definiert. So ist es auch mit der Annahme des Selbstinteresses vereinbar, wenn Individuen die Wohlfahrt anderer im Auge haben, solange die "ökonomische Entscheidungslogik" gewahrt ist, daß Individuen wertvollere Ziele nicht wissentlich weniger wertvollen opfern bzw. teuerere Mittel zur Zielerreichung einsetzen als unbedingt

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notwendig. Ein solches Wirtschaftlichkeitsprinzip gilt auch außerhalb der Warenmärkte (Theorie des "social choice"), denn es besagt nichts anderes, als daß Menschen rational handeln. Festzuhalten bleibt, daß das Eigennutzaxiom erhalten bleibt. Das Individuum folgt nur seinen eigenen Interessen. Diese können allerdings auch soziale Orientierungen umfassen, sofern sie den Handlungsraum von Individuen beeinflussen (etwa weil sich spätere Vorteile erwarten lassen). Die Entscheidungslogik steht und fällt also mit der "gegenseitig desinteressierten Vernünftigkeit" (Rawls 1975: 168). Moral, Solidarität, Altruismus, Kooperation, Freundlichkeit usw. werden foglich zu Zwecken der Lösungseindeutigkeit strikt individualistisch und ökonomistisch umgedeutet. So kann auch die "Disposition", sich freundlich, moralisch etc. zu verhalten, eine erfolgreiche, rationale Strategie sein, um einen möglichen Gewinn aus kooperativen Vereinbarungen zu ziehen, von denen man anderenfalls ausgeschlossen wäre (Gauthier 1986:183). Das ist die "Rationalität der Moral", denn ich täte mir nichts Gutes, wenn die anderen Grund hätten, an meinen Persönlichkeitsqualitäten zu zweifeln und mich von ihren gemeinsamen Unternehmungen ausschlössen. Dieses Verhaltensmodell, das dabei ist, sich mit phagozytischer Gefräßigkeit zum Modell der Sozialwissenschaften insgesamt aufzuschwingen, ja offenbar auf dem Sprung ist, auch noch die Moralphilosophie zu ersetzen, ist in seiner Komplexitätsverweigerung außerordentlich suggestiv. Andere Vorstellungen vom menschlichen Verhalten scheinen gar keine Chance mehr zu haben. Gerade hierin liegt aber auch seine Schwäche. b) Der "humunculus oeconomicus" Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß die anthropologischen Opfer, die dem Ideal der Eindeutigkeit von Entscheidungskalkülen gebracht wurden, sehr hoch, zu hoch sind: -

Formalisiert werden diese Verhaltensannahmen im Konzept der Nutzensmaximierung. Im Rahmen situationsspezifischer Handlungsbegrenzungen verteilt ein Handelnder seine Aktivitäten so, daß für sie das Verhältnis ihres Grenznutzens zu ihren Grenzkosten (Opportunitätskosten) gleich wird. Das gilt auch für die Informationsbeschaffung. Allerdings sagt das Rationalitätskonzept als solches nichts über die Inhalte der individuellen Präferenzordnungen aus. Diese hohe Abstraktion wird von den Anhängern des "homo oeconomicus" als Hinweis auf universelle Verwendbarkeit gedeutet. Allerdings muß man dagegenhalten, daß die Formulierung von Verhaltensmaximen, die jeden Inhalt ausblenden, auch auf wirkliche Erklärungskraft verzichten. Im Grunde wird nur behauptet, daß die Menschen das wollen, was sie wollen. Damit wird deutlich, daß das ökonomische Rationalitätskonzept eine ganz eingeschränkte Bedeutung hat: Es geht nicht um das, was die Handelnden selbst für rational halten, sondern um eine Rationalitätszuschreibung seitens der Beobachter. Sie nennen

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Wahlhandlungen rational, sofern sie dahinter ein erkennbares Ziel entdekken können (Vaughn 1988:163). Solange man aus der Modellwelt nicht heraustritt und nicht nach einer Entsprechung in der realen Handlungswelt sucht, "können Übergänge von modellinternen Aussagen zu Sätzen über reale Prozeße regelmäßig post hoc, also ad hoc, so gestaltet werden, daß man Bestätigung verzeichnen kann. Wenn es dabei bleibt, ist das Rationalitätskonzept zwar universell verwendbar, aber ganz überflüssig" (Zintl 1989:55). Über die Herkunft der Präferenzen wird im allgemeinen nichts gesagt. Auch nicht darüber, wie sie gebildet und beeinflußt werden können. Die Theorie nimmt die Wertvorstellungen und Bedürfnisse als gegeben hin. Sie unterscheidet nicht zwischen eigentlichen und verzerrten, vordergründigen und hintergründigen Bedürfnissen. Vielmehr werden Präferenzen als relativ stabil unterstellt. Will man das Konzept des Selbstinteresses und der Rationalität nun mit Inhalt füllen, dann greift man häufig darauf zurück, daß die Menschen eine starke, relativ stabile Präferenz für Geldwerte und materiellen Wohlstand haben. Das ist nicht zu leugnen, jedoch als Universalaussage über alle menschlichen Handlungen eindeutig falsch. Handlungsmotive sind komplexe Gemengelagen. Die Zurechnung von Motiven zu Handlungen ist folglich eine Frage von Prioritäten und Gewichtungen im Zusammenhang mit den jeweiligen sozialen Situationen. Es kommt also eigentlich auf das relative Mischungsverhältnis zwischen den verschiedenen Präferenzen an. Wenn nun argumentiert wird, daß die Menschen zwar nicht ihr Geld, aber jeweils immer ihren subjektiven Wohlstand maximieren, dann führt das zu keiner Rettung des Nutzensarguments, denn es besagt nur, daß Menschen ganz verschiedene Dinge bevorzugen, unter denen sich auch solche Präferenzen wie Freizeit, Liebe, Status, Kooperation mit anderen, Aufrichtigkeit usw. befinden. Wenn man das zugibt, dann können die ökonomischen Voraussagen jeweils aber auch falsifiziert werden (Vaughn 1988: 164). Es ist überdies kein starkes Argument, wenn man entgegenhält, Altruismus könnte als Motivation nicht zugelassen werden, weil man dann genau angeben müßte, in welchem Ausmaß diese Präferenz wirksam ist. Somit würde sich nur eine immunisierte Theorie ohne empirischen Gehalt, also ohne Erklärungskraft ergeben. Das Gleiche gilt umgekehrt für die Annahme des Eigennutzes. Auch hier wissen wir nicht, in welchem Ausmaß sie wirksam ist. Deswegen ist die Regel nicht sinnvoller, zunächst allein von dieser ökonomistischen Annahme auszugehen, "obwohl es offenkundig auch Situationen gibt, in denen diese Annahme nicht ausreicht, um das Verhalten der Individuen zu erklären" (Kirchgässner 1988: 114). Wer behauptet, daß der "homo oeconomicus" häufiger auftritt, muß aber auch präzisere Angaben dazu machen können, um prognosefahig zu sein.

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C. Der methodologische Individualismus 1. Wie unverbunden handeln Individuen? Zu den methodologischen Hintergrundsannahmen des wirtschaftlichen Verhaltensmodells gehört nicht nur das Modell des einsamen, selbstbezogenen Entscheiders, welcher allein weiß, was für ihn gut ist, es wird auch vorausgesetzt, daß das Erklärungsprogramm beim einzelnen Individuum anzusetzen hat. Kollektive Entscheidungen ergeben sich allein aus der Aggregation individueller Entscheidungen. Akteure sind nur die Individuen, nicht Klassen, Staaten, Kollektive. Im methodologischen Individualismus werden Aussagen über anderes als Individuen und ihre Reaktionen auf Umstände (Dispositionen) ausgeschlossen. Damit hält die ökonomische Erklärung nicht nur eine Antwort bereit auf die Frage, welche Ziele Wirtschaft.sobjekte verfolgen, sondern auch auf die Frage, wessen Ziele das sind. Wenn gemeinsame Ziele von Unternehmen, Staaten, Behörden und Gruppen ins Spiel kommen, dann werden sie in der Ökonomie auf individualistische Weise behandelt: Entweder wird behauptet, Organisationen verhielten sich so, als ob sie wie einzelne Unternehmer Nutzensmaximierung anstrebten, oder es wird behauptet, individuelle seien mit kollektiven Zielen kompatibel. Tietzel weist aber mit Recht daraufhin, daß hier die logische Möglichkeit, daß egoistisches Individualverhalten zu einem sozialen Optimum führen kann (Wohlfahrtsökonomie), kritiklos als Realaussage und Beweis für das empirische Vorliegen von sozialer Harmonie genommen wird (1981: 124). Deswegen steckt hinter der Individualismusannahme häufig auch die normative Vorstellung, daß Menschen sich auch asozial und egoistisch verhalten sollen, weil der REMM (resourceful, evaluative, maximizing man) - die Weiterentwicklung des "homo oeconomicus" - mit seinen beliebigen individuellen Nutzenszielen den sozialen Gleichgewichtszustand gerade dann nicht verfehlt, auch wenn er individuell gar nicht intendiert war (invisible hand-Argument). 2. Der Kampf gegen ein soziologisches Zerrbild Häufig wird der methodologische Individualismus unter Ökonomen mit dem Hinweis auf die Unhaltbarkeit eines "soziologischen Erklärungsmodells" erhärtet, welches den Menschentyp des REMM durch denjenigen des SRSM (sozialized, role-playing, sanctioned man) (Lindenberg 1985:99f) ersetzt. Dies geschieht entweder in Nachfolge von Dahrendorfs "homo sociologicus", der das Verhalten der Menschen aus der Übernahme von Rollen, die die Bezugsgruppen von ihnen erwarten, oder aus der Befolgung von Traditionen und Normen erklärt, oder aber unter Bezug auf Dürkheim und Parsons, die vom Primat der Gesellschaft, also der sozialen Institutionen, ausgehen. Ihnen wird angeblich ein ontologischer, von den Individuen getrennter Seinszustand zugesprochen, der noch dazu Priorität vor den Individuen haben soll. Gesell-

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schaft ist - wie Dürkheim in den "Regeln der soziologischen Methode" niedergelegt hat - schließlich eine überindividuelle, äußere Tatsache mit Zwangscharakter. Dies scheint den Ökonomen denn doch zuviel. Sie vermuten einen Holismus und ein Gruppenbewußtsein, die durch Fakten nicht abgedeckt seien. Überdies vermutet Brunner - fälschlicherweise - eine Option für eine ultrastabile Gesellschaft, die modernen, evolutionären Gesellschaften nicht angemessen sei (1987:380f). Allerdings wird der scheinbare Sieg nach Punkten dadurch erkauft, daß man einen Strohmann bekämpft hat. Weder fällt die Soziologie mit Dürkheim zusammen, noch ist Dürkheims Argument so leicht vom Tisch zu wischen. Gellner (1969: 264 f) hat das am Beispiel folgender Beobachtimg gezeigt: Wenn wir sagen "alle Menschen auf dem Platz waren begeistert", dann kann das heißen, daß jeder einzelne begeistert war, so daß von einer Verallgemeinerung als unabhängigem Faktum oder Kausalfaktor kaum zu sprechen ist. Es kann aber auch heißen, daß auf dem Platz eine erregte Atmosphäre herrschte (was immer das forschungstechnisch an Erhebungsschwierigkeiten mit sich bringt). Natürlich ist das Phänomen nicht vorstellbar, wenn sich nicht auf dem Platz Individuen befunden hätten. Aber - und das ist der springende Punkt diese Atmosphäre ist nicht mehr als pures Summationsphänomen zu begreifen. Wir können das Bewußtsein der individuellen Teilnehmer in dieser Situation gar nicht beschreiben, ohne uns auf die Situation als ganze zu beziehen. Denn die Menschen selbst stellen eine solche Atmosphäre fest und reagieren auf sie als eine Gegebenheit, nicht nur als eine Abstraktion. Deswegen ist die Soziologie berechtigt, davon auszugehen, daß Sitten, Institutionen, Erwartungen usw. in diesem Sinn für das Individuum unabhängige und äußere Fakten sind, also eine Umwelt darstellen, die für jeden einzelnen und für die Gesamtheit der Individuen ebenfalls, eine mindestens so bedeutsame Umwelt darstellen wie die physische. Das heißt nicht, daß man für ein unabhängiges Gruppenbewußtsein votieren muß, wohl aber für soziale Umwelten als tatsächlich wirksame komplexe Ursachen des Handelns von Individuen. Sicherlich, die Konformität mit Erwartungen, Verstärkung von Normen usw. sind Akte von Individuen, aber diese handeln nicht als "einsame Entscheider", sondern - mit Spielräumen natürlich - entlang den Linien ihrer Wahrnehmung ein und derselben sozialen Tatsache. "Any attempt to eliminate those altogether will only lead to a regress and possibly to an irrelevant genetic question of the hen-and-egg kind. The important thing about 'hen-and-egg' is not that we do not know, but that if we did know it would not throw much light on either hens or eggs" (264). Auch wenn man genetisch von den Individuen als Trägern der Geschichte oder des subjektiven Sinns ausgeht (Max Weber), kann das für eine hinreichende Erklärung nicht genug sein, weil Individuen ohne ihre Einbettung in "Ordnungen" wie Sprache, Erziehung, Kultur, Recht, ja in ein historisch herausgebildetes Wirtschaftssystem etc. in ihrem davon bestimmten Verhalten, auch in ihrem wirtschaftlichen, nicht verständlich werden. Man kann für

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diese Betrachtungsweise dies von Ökonomen häufig verwendete pejorative Attribut "kollektivistisch" ersatzlos streichen. Es geht einfach darum, daß das definitorische Engagement für das Individuum logisch den explanatorischen methodologischen Individualismus gar nicht bedingt (Brodbeck 1969: 302)! Mit anderen Worten: Wir müssen das Verhalten von Individuen unter historischen und kulturellen Bedingungen erklären. Wir kommen nicht umhin, auch den sozialen Charakter von Präferenzen zu bestimmen, um zu wissen, was Präferenzen sind, wer Ziele setzt, wer auf Strukturen reagiert, wer Freiräume ausnützt, wer Widerstand leistet etc. Schon das zeigt, daß man in der Soziologie nicht mit einem Strukturbegriff arbeiten muß, der das Individuum als Interpreten seiner Lebenslage und als Handelnden in dieser Lebenslage ausblenden muß. Die ganze verstehende Soziologie arbeitet mit diesem aktiven Individuum. Es zeigt aber auch, daß Identitäten, Werte, Präferenzen ständig geformt, transformiert und dem Zeitablauf neu an Umstände angepaßt werden. Zwar kann man im rational choice-Ansatz getrost von gegebenen Präferenzen ausgehen, muß sich dann aber in seinem Geltungsanspruch, generalisierte Sozialwissenschaft zu sein, beträchtlich zurückhalten. 3. Die Flucht ins Modell Überblickt man die bisherige Diskussion um den "homo oeconomicus", dann verkürzen sich die Argumente, Gegenargumente und Kritiken eigentlich auf einen Aspekt: Es wird mit einem Verhaltensmodell gearbeitet, dem ein verkürztes Menschen- und Gesellschaftsbild (Nutzenskonzept, Rationalitätsbegriff, Maximierungsverhalten, Individualismus) unterlegt ist. Selbstverständlich ist es das gute Recht einer Theorie, mit solchen Annahmen zu arbeiten. Dagegen ist solange nichts einzuwenden, als man sich in Modellwelten bewegt, keine expliziten normativen Fragestellungen verfolgt und nicht unterschwellig dennoch Angaben über die empirische, reale Welt machen will. (Das aber ist natürlich der Sinn solcher Theorien.) Hier wird es dann problematisch. Entweder sind die Annahmen zur Beschreibung realer Handlungssituationen schlichtweg inhaltsleer oder unplausibel, zumindestens nicht plausibler als andere. "Man muß also nicht nur... gute Gründe haben, individuelle Unterschiede in Situationsdefinitionen als unplausibel oder wenigstens unerheblich zu behandeln, sondern man muß auch gute Gründe haben, Maximierung als taugliche Fiktion zu betrachten. Nur dann, wenn beides gegeben ist, sind Rationalmodelle auch als empirisch fruchtbar anzusehen" (Zintl 1989: 55). Wenn man mit Hilfe des "homo oeconomicus" die kollektiven Wirkungszusammenhänge allein auf Vorgänge der Mikroebene reduzieren will ("Mikrofundierung", Zintl 1989:56), dann müssen dafür bessere Gründe geliefert werden. Wer nur Situationsausschnitte in der Betrachtung zuläßt, gerät in einen Argumentationsnotstand, der nicht wieder durch Rekurs auf Modelldenken behoben werden kann. Die einzig tragbare Lösung ist dann diejenige, den

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"homo oeconomicus" gar nicht als eine Behauptung über reale Eigenschaften von Menschen in allen denkbaren Situationen einzusetzen, sondern nur als Prämisse für Handlungsentwürfe in ganz spezifischen Situationsausschnitten. ZINTL macht den Vorschlag, sogenannte Hochkostensituationen als ein solches empirisches Anwendungsfeld zu betrachten. In ihnen ist die Zwangslage, z. B. das Überleben im Wettbewerb, so groß, daß der Kostenaspekt dominiert (straight jacket-situation). Wenn man den Universalanspruch des "homo oeconomicus" streicht, fällt auch der Vorwurf einer verzerrten Anthropologie dahin. Die Voraussetzung ist aber, daß der immer noch erhobene omnipotente Erklärungsanspruch (Griffing 1983: 256) durch den bescheideneren Anspruch ersetzt wird, ein möglicherweise fruchtbares "Suchschema" zu sein (vergl. auch Homann/Suchannek 1989:77). Durch eine solche Anpassung könnte der gesellschaftlichen Realität, der Wertungs- und der Kooperationsrealität im Wirtschaftsgeschehen Rechnung getragen werden. D. Welche Chance hat der "homo cooperativus"? Die Diskussion um den "homo oeconomicus" und die Kritik an den damit verbundenen Prämissen des ökonomischen Paradigmas wirft also noch einmal die Frage auf, welche Chancen der "homo cooperativus" denn nun haben kann. Auch die Suche nach dem kooperativistischen Sozialcharakter hat eine ähnlich lange Tradition. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß diese Denkfigur immer auch als Gegenentwurf zum "homo oeconomicus" gedacht war. So geht es beispielsweise Kropotkin keineswegs darum, die Rolle der Selbstbehauptung herunterzuspielen, wohl aber zu zeigen, daß die Einrichtungen der gegenseitigen Hilfe in der Geschichte der Menschheit eine ebenso große Rolle gespielt haben (1908, 1975). Wenn auch weitgehend im Hintergrund, so war der "homo cooperativus" doch an der Debatte um den "homo oeconomicus" beteiligt. Es ging immer auch um ihn. Deswegen war die ausgiebige Debatte um das ökonomische Verhaltensparadigma auch nicht umsonst. Vieles was in diesem Zusammenhang gesagt wurde, muß nun in der Debatte um den "homo cooperativus" nicht mehr ausgeführt werden. Allerdings ist zu beachten, daß man sich über den Sozialcharakter des Kooperativmenschen unter den Vertretern des Genossenschaftswesens keineswegs einig ist. Wesentlich ist, was man unter Kooperation, Solidarität und Altruismus verstehen will. Es hängt aber auch davon ab, welchen methodologischen Stellenwert man dem Konzept des "homo cooperativus" zuerkennen will. Schließlich ist bedeutsam, welchen Geltungsbereich man dem ökonomischen Sozialcharakter zuteilt. So verwundert es nicht, daß die Antworten auf die Frage, welche Chance der "homo cooperativus" habe, ganz unterschiedlich sind. Heute sind zwei gegensätzliche Richtungen erkennbar. Die einen sprechen sich dafür aus, sich ganz den Vorgaben des "homo oeconomicus" unterzuordnen. Für sie ist es nicht realistisch und deswegen nicht zwingend, mit einem anderen als dem ökonomisch-rationalen Handeln zu argumentieren.

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Die anderen sind damit hingegen nicht zufrieden. Sie vertreten die Auffassung, daß, wenn das Genossenschaftswesen künftig überhaupt eine Chance haben will, man auch eine grundsätzlich andere anthropologische Konzeption für das Wirtschaftsgeschehen anbieten müsse. Mit anderen Worten: Auch unter dem Titel "homo cooperativus" kämpfen der egoistische und der altruistische Verhaltenstypus um den Vorrang. 1. Das egoistische Kooperationsverhalten a) Der Griff des "homo oeconomicus" nach der Kooperation Auf die Fragen, unter welchen Umständen sich Wirtschaftssubjekte zur Kooperation entschließen, nach welchen Gesichtspunkten sie ihre Zusammenarbeit organisieren, und wie sich die einzelnen bei der Zusammenarbeit jeweils verhalten, spannen die Ökonomen und ein Teil der Genossenschaftsforscher, nämlich die ökonomistisch orientierten, heute zusammen. Sie sind der Meinung, daß alle drei Fragen mit dem bekannten ökonomischen Instrumentarium (Rationalitätsaxiom, Informationsaxiom) zu beantworten sind. Die Genossenschaftsmitglieder sind zum Zusammenschluß in einer großen Marktgruppe nur insoweit bereit, als die Kooperationsposition attraktiver ist als die Außenseiterposition, weil das Gut an die Mitglieder billiger verkauft wird als an die Nichtmitglieder. Allerdings muß jemand die Initiative zum Zusammenschluß übernehmen (Initiatoren, Förderer) und eine der Mentalität der Kooperierenden entsprechende Organisationsstruktur errichten (Eschenburg 1971: 68 ff). Da es sich bei den Genossenschaften auch um ökonomische Gebilde handelt, nur daß sie Gesellschafts- und nicht Einzelunternehmen sind, muß auch die Organisationsstruktur vom genossenschaftlichen Trägerinteresse her interpretiert werden. Da alle Mitglieder gemeinsam das Risiko ihrer Gesellschaftsunternehmung tragen, es dem einzelnen aber nur darauf ankommt, möglichst seinen eigenen, individuellen Nutzen aus der genossenschaftlichen Kooperation möglichst groß werden zu lassen, muß er auf ein möglichst hohes Entscheidungsgewicht seiner Stimme bedacht sein. Dies wird ihm durch das Vetorecht bei allen gemeinsamen Entscheidungen möglich. Es "bedeutet absolute Dominanz der Individualinteressen jedes Einzelnen" (Eschenburg 1971:86). Ähnliche Überlegungen gelten für das Verhältnis zwischen Management und Mitgliedern. Auch der Manager der Genossenschaft folgt dem Eigennutzstreben (höheres Einkommen, höheres Ansehen, größere Machtposition). Er erreicht es am besten durch Vergrößerung des Unternehmens, Maximierung des Gewinns im Organbetrieb und Minimierung der Ausschüttung an die Mitglieder. Diese können nur sicherstellen, daß sie angemessen gefordert werden oder ihnen zumindest kein Schaden zugefügt wird, wenn sie sich des Kontrollverfahrens in der Weise bedienen, daß sie latent damit drohen, sich der Konkurrenz zuzuwenden. Damit scheint der

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Nachweis erbracht, daß für die Genossenschaftstheorie die allgemeine ökonomische Theorie anwendbar ist, nur daß es sich hier um ein Gesellschaftsunternehmen handelt, in dem eine Identität von Trägern und Kunden besteht. Da in einer kleinen Gruppe Trittbrettfahren als Strategie der Nutzensmaximierung kaum Aussicht auf Erfolg hat, ist anzunehmen, die freiwillige Zusammenarbeit am ehesten in Kleingruppen funktioniert, während sie in Großgruppen auf Schwierigkeiten trifft. Sobald eigennützige Individuen aber erfolgreich miteinander kooperiert haben, entsteht genügend Anreiz, um die Kooperation fortzusetzen, jamöglicherweise andere, wenigergut organisierte Individuen oder Gruppen in die Kooperation zu zwingen, also eine hierarchische Organisationsdifferenzierung vorzunehmen (Weede 1989: 30f). Mit diesem Modell der ökonomischen Kooperation wird der Vorstellungsgehalt des "homo cooperativus" hingegen zum Teil verfehlt. Es wird nur behauptet, daß Individuen Kooperation solange eingehen, als sie für sie vorteilhaft ist. Sie sind also völlig selbst-orientiert. Ein Kooperationsethos im Sinne der Verantwortung für andere Mitglieder oder die Gruppe als Ganzes wird nicht in die Rechnung eingesetzt. Zwar weisen Vanberg und Buchanan (1989:148) auf die Notwendigkeit von Solidaritätsregeln hin, ohne die ein Kooperativverband nicht funktionieren kann, doch werden diese wiederum rein individualistisch begründet. Da das Kooperativmitglied weiterhin als "economic man" verstanden wird, könnte man das unterlegte Menschenbild als dasjenige des "homo oeconomico-cooperativus" bezeichnen, denn es wird mit denselben Instumentarien nur gezeigt, daß auch Kooperation "ökonomisierbar" ist. b) Das verzerrte Verständnis von Solidarität Nun kann die Berechtigung der Argumente schwerlich in Abrede gestellt werden. Die Beispiele sind richtig gewählt. Es ist tatsächlich lange übersehen worden, daß auch Zusammenarbeit aus purem Eigeninteresse erfolgen kann. Solidarität bedeutet hier zunächst nichts anderes, als daß "eine Gruppe von Personen mit gleichen Interessen gemeinsam handelt, um diese Interessen durchzusetzen" (Kromphardt 1980: 42). Gemeinsames Handeln erscheint also unter dem Gesichtspunkt der egoistischen Nutzensmaximierung vorteilhafter als die individuelle Lösung. Nur ist es nicht mehr der Egoismus des einsamen Entscheiders, sondern desjenige, der seine eigenen Wohlfahrtsziele im Verband mit anderen zu verwirklichen sucht. Er tätigt dabei "Investitionen" in die Gruppe, wenn und solange sich dies auszahlt. Zumindest muß die Reziprozität der Leistungen absehbar sein. Daß dieser Fall realistisch und häufig ist, kann schwerlich geleugnet werden. Man sieht daran, daß Solidarität bzw. Individualismus auf einer anderen Ebene liegen als Altruismus und Egoismus. Ersteres bezieht sich so gesehen auf die Anzahl der Akteure, letzteres auf deren Handlungsrichtung. Folgendes Schema kann dies verdeutlichen:

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An diesem Schema wird aber auch deutlich, welche Richtung die Kritik an

^•«.Handlungsweise (Richtung) egoistische Ziele

altruistische Ziele

Akteure

individualistisches Handeln

homo oeconomicus

solidarisches Handeln

homo oeconomico-cooperativus

homo cooperativus

diesem Menschenbild zu nehmen hat. Es ist nämlich zu fragen, ob damit alle Fälle von Kooperation erfaßt sind bzw. ob der Gehalt von Kooperation im ursprünglichen Verständnis einer ethisch motivierten Selbstbindung überhaupt getroffen ist (Kliemt 1984:7f). Das gilt in gleicher Weise für die meisten Versuche, die auf ökonomistischer Grundlage versuchen, das Altruismusphänomen zu integrieren. Dazu zählen auch die soziobiologischen Kalküle hinsichtlich des genetischen Reproduktionserfolgs (vgl. dazu Hettlage 1985,1990). Daß mit Kooperation etwas anderes gemeint sein könnte, hat schon Sombart (1927) mit folgender Definition von Solidarität unterstrichen:"... bei solidarischem Verhalten ... fühlt sich der wirtschaftende Mensch nicht als einzelner, sondern als Glied einer größeren Gemeinschaft. Sein Handeln ist nicht ausschließlich durch persönliches Interesse, sondern gleichzeitig durch Rücksichtnahme auf das Interesse der anderen in der Gruppe, der er angehört, bestimmt. Er fühlt sich verantwortlich auch für die anderen. Und er erwartet gegebenenfalls das Eintreten der anderen auch für ihn" (1971: 365f). Daran wird deutlich, daß Kooperation zumindest auch eine andere Seite hat. Die Bereitschaft, Zielsetzungen anderer Individuen in der Gruppe oder auch der ganzen Gruppe mitzuberücksichtigen, also Verantwortung für die Gruppenmitglieder zu tragen, sich an diese binden und den Selbstbezug der Handlungsziele einzuschränken, verweist auf einen gänzlich anderen Handlungstypus. Daß dieser empirisch auffindbar ist, wird von den Ökonomen meist nicht geleugnet, im weiteren aber für irrelevant erklärt. An diesem Punkt setzt die traditionelle Genossenschaftstheorie auf ihrer Suche nach dem kooperativistischen Sozialcharakter an (vgl. Michel 1990: 285ff, 332ff).

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2. Altruistische Kooperationsverständnisse a) Der Utopie-Ansatz Von einer umfassenden Sinnkomponente des Zusammenarbeitens geht eine andere Richtung des Genossenschaftswesens aus. Für sie steht nicht der Kontrahententyp des ökonomischen Paradigmas im Vordergrund, sondern der Gemeinschaftstyp. Er ist nicht extrem individualistisch eingestellt, schon gar nicht augenblicksbestimmt. Für ihn liegen die Vorteile nicht nur bei den materiellen Gütern, sondern auch und vordringlich bei den nicht-wirtschaftlichen. Für ihn ist die Rationalität nicht eine formelle, sondern eine substantielle in dem Sinn, daß Kooperation Weg und ein Ziel in gleicher Weise ist. Kooperation wird nicht nur des wirtschaftlichen Erfolges wegen, sondern auch um seiner selbst willen als Wertgehalt und Wertschöpfung angestrebt. Das wird insbesondere bei den höheren Vergemeinschaftungen, die nicht nur eine Wirtschaftsform, sondern auch ein Lebensstil sind, deutlich. Man denke etwa an den Kibbuz. Deswegen verstanden die Genossenschaftstheoretiker und -praktiker dieser Richtung den Kooperationsbetrieb auch als ein Reformmodell, dem künftig die Rolle einer Alternative zum "homo oeconomicus" zufallen könnte, sei es auf dem Weg über die Ausbreitung der Konsumgenossenschaften oder der Produktivgenossenschaften. Engelhardt (1981: 557f) nennt dies den "Utopie-Konzeptionsansatz", ohne dabei aber zu unterstellen, daß dieser im Prinzip unrealisierbar wäre. Utopie heißt hier, daß andere als subjektive Nutzensvorstellungen die Kooperation leiten. Sie werden in der Genossenschaftstradition häufig mit genossenschaftlicher Solidarität, genossenschaftlicher Treue, Kooperativgeist etc. bezeichnet. All diese Konzepte deuten daraufhin, daß Genossenschaftsbegeisterung, Hilfs- und Opferfreudigkeit in der Genossenschaftsrealität eine große Rolle spielten und spielen "müssen". Auch überzeugte Individualisten sind davon überzeugt, daß Solidarität nicht nur eine Goodwill-, sondern auch eine Stabilitätsbedingung der Kooperation ist. Denn Wertbindungen und affektive Bindungen der Mitglieder untereinander und an die Organisation tragen dazu bei, die dem rein egoistischen Kalkül innewohnende Instabilität zu überwinden und durch positive, auf Dauer angelegte Interdependenz zu überwinden (vgl. Weede 1989:30). Dazu schreibt Draheim (1952:48) in einer berühmten Passage: "Die Praxis muß sich damit abfinden, daß es neben 'guten' Genossenschaftern weniger gute und auch schlechte gibt. Trotzdem bleibt das Endziel aller Integration die Erziehung zum 'guten' Genossenschafter, der im Idealfall einem besonderen Menschentyp nahekäme, den wir als 'homo cooperativus' bezeichnen könnten. Bauern, Handwerker, die breiten Verbraucherschichten und andere Menschen mit mehr gemeinschaftlicher Haltung und nicht ausgeprägter erwerbswirtschaftlicher Gesinnung bilden das dafür geeignete Urmaterial". Noch deutlicher wird dies in Lasserre's Ausführungen zur Kooperativmoral (1977: 620. Dort heißt es: "Au-delà de son utilité économique, la raison d'être ultime

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du mouvement coopératif est d'instaurer entre les hommes un certain type de relations. Elle ne peut pas se borner à viser l'abondance et le bien-être. On peut nommer ces relations: harmonie. Plus modestement: bonne entente, ce qui souligne qu'il faut savoir écouter l'autre et tenir compte de son point de vue ... Pour commencer à préciser, collaboration confiante me parait être la meilleure façon de charactériser de type de relations humaines. Ce style de vie peut être un produit de l'amour, ou à l'inverse constituer un climat qui permet à l'amour de s'épanouir. C'est le contraire de la peur, du mensonge, des injustices, des cafeits, de l'individualisme égoïste". Dieser Gruppe geht es also um eine ethische Aufwertung des Menschenbildes, um eine "Brüderlichkeitsordnung" (Kagawa), um einen "socialisme à visage humain" (Lavergne) oder wie dergleichen Bezeichnungen noch lauten mögen. Immer wird versucht, eine anthropologische Alternative in die Diskussion zu bringen, die von vielfaltigen Wertbeziehungen und auch verpflichtenden Soilens V o r s t e l l u n g e n ausgeht. Lusaerre macht das deutlich, wenn er seine Ausführungen über den "homme coopératif' mit der Gewichtigkeit der Werte wie gegenseitiges Vertrauen, Ehrlichkeit, Menschenwürde, ausgleichende Gerechtigkeit, Gemeinwohlgerechtigkeit, Gruppengeist und Solidarität (tous pour im) belegt. Sie sollen auch deutlich machen, daß der Mensch selten als Alleinentscheider auftritt, sondern in einen Institutionenzusammenhang eingebettet ist. Das ist u.a. das tragende Prinzip der genossenschaftlichen Förderung bzw. der von Draheim betonten Doppelnatur der Genossenschaft. b) Das Verhältnis von Idee und Wirklichkeit Gerade der älteren Genossenschaftstheorie war dieser anthropologische Bezug vertraut. Belege aus der weit verzweigten Genossenschaftsliteratur und aus der Literatur zur Gesellschaftsreform oder zur Sozialen Frage könnten in Fülle beigebracht werden. Das bisher Gesagte soll aber genügen, weil der anthropologische Ansatz des "homo cooperativus" klargeworden sein dürfte. Er ist derjenige oder soll derjenige sein, der nicht nur solidarisch, sondern auch altruistisch handelt. Nun ist es leicht, ein solches wertgefülltes Konzept zum Zerrbild moraldurchtränkter Wirklichkeitsvorstellungen zu degenerieren, die mit der tatsächlichen Wirtschaft eben gar nichts zu tun hätten. Der modernen Genossenschaftsforschung, insbesondere der Münsteraner Schule, war deswegen auch sehr unwohl, wirtschaftliches Handeln an solch starke Wertvorgaben binden zu müssen. Deswegen versuchte sie, sich davon zu lösen und den Anschluß an die moderne Wirtschaftstheorie zu finden. Tatsächlich haben viele Vertreter des "homo cooperativus" den gleichen Fehler begangen wie die Vertreter des "homo oeconomicus". Sie haben wohl den Modell- und "Utopie"charakter ihrer Theorien erkannt, die Folgen aber wenig bedacht. Modelle sind Idealtypen. Der "Papierform" nach sind Idealmodelle immer erfolgreich. Nur kann man sich die Frage nicht ersparen, ob die Stärke auch für den praktischen Sieg

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reicht. Deswegen darf man - bei aller Bedeutsamkeit von Idealen - nicht beim Wettstreit der Konstrukte steckenbleiben. Niemand hat das besser erkannt als Max Weber, der auch von der "Utopie einer kapitalistischen, d.h. allein durch das Verwertungsinteresse bestimmter Kapitalien beherrschten Kultur" spricht (1968:236). Ob es sich bei Utopien - und die Idealtypen sind nichts anderes - um reine Gedankenspiele oder Erkenntnisinstrumente der Wirklichkeit handelt, bemißt sich allein am Maßstab "des Erfolges für die Erkenntnis konkreter Kulturerscheinungen in ihrem Zusammenhang, ihrer ursächlichen Bedingtheit und ihrer Bedeutung. Nicht als Ziel, sondern als Mittel kommt mithin die Bildung abstrakter Idealtypen in Betracht" (ebenda 237). Ideen können für Weber nur in Gestalt von Idealtypen erfaßt werden, aber man darf theoretische Begriffsfelder und geschichtliche Wirklichkeit nicht vermischen, um sich die Geltung des ersteren zu erschleichen. Kein Typus kann die mannigfaltige Realität ausschöpfen. Das gilt für den "homo oeconomicus" ebenso wie für den "homo cooperativus". Ihr Wert liegt gerade darin, "daß sie die Schranken der Bedeutung desjenigen Gesichtspunkts, der ihnen zugrundelag, enthüllten" (ebenda 254). So bleibt im Endeffekt nichts anderes übrig, als die Idealtypen, mit denen wir die Wirklichkeit erfassen wollen, ständig umzubilden, zu erweitern, zu verschieben, aufzulösen und neu zu bilden. Gerade dieser Schritt aber wird selten mit hinreichender Genauigkeit vollzogen. 3. Der "homo cooperativus" als Mischtypus a) Die Suche nach Handlungswahrscheinlichkeiten ("Chancen") als Aufgabe Wir wissen alle sehr genau, daß es höchst unrealistisch ist, die "Virtuosenethik" des vollkommenen Altruisten zur Handlungsmaxime der Allgemeinheit zu erklären. Es gibt solche virtuose Ausnahmeerscheinungen, aber sie sind seltene Exemplare der Menschheit. Franz von Assisi ist sicherlich nicht der Typus des wirtschaftlich Handelnden. Trotzdem sind Ideen, Wertbeziehungen, Weltanschauungen und Menschenbilder erfahrungsgemäß höchst wirksam. Das gilt für die Wirtschaftsordnung der Marktwirtschaft nicht anders als für diejenige der Planwirtschaft. Es gilt auch für das Genossenschaftswesen. Gerade die Geschichte der Genossenschaftsbewegung im 19. Jahrhundert, die Ausbreitung der Genossenschaften in den Entwicklungsländern und die Gründungsanlässe der alternativen Genossenschaften heute sind schlagende Beweise dafür, daß Genossenschaftsgründungen auf Gründerväter bzw. Gründungsgruppen zurückgehen, die der Idee einer anderen Wirtschaftsweise und damit einer anderen Anthropologie verhaftet waren als der derjenigen des formal-rationalen Kalkulierers. Wer die 150jährige Geschichte des modernen Genossenschaftswesens einigermaßen überblickt, muß darüber nicht eigens aufgeklärt werden, daß es neben Hochkostensitua-

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tionen auch Hochengagement-Situationen (high responsibility-situation) gibt. Mit dem Leitbild des "homo cooperativus" sind immer anthropologische Aussagen über die Natur des Menschen, über das Ethos des Verhaltens und über die Ordnung der Gesellschaft in Gegenwart und Zukunft verbunden. Es sind Entscheidungselemente, die in die Gründung und die Funktionsweise der Genossenschaften einfließen. Insofern ist es richtig zu sagen, daß Wertideen real werden. Es gibt zweifellos den Typus des "homo cooperativus" in der Realität. Die Frage ist nur, in welchem Ausmaß und mit welchen Beschränkungen seine Wertprämissen Wirklichkeit werden. Die jeweilig kulturell vorherrschenden Denkschemata scheinen - wenigstens für die Zeitspanne zwischen 1900 und 1970 - sogar einer den Kuznets-Zyk\en folgenden Pendelbewegung zu gehorchen. Hirschman (1984) hat deswegen den Vorschlag unterbreitet, von alternierenden politisch-sozialen Werteinstellungen in den einzelnen Ländern auszugehen, wonach im Schnitt von etwa 15 - 20 Jahren einmal die Gemeinwohlorientierung (public action), einmal die Privatwohlorientierung (private interest) überwiegt. Bezogen auf die Genossenschaften können vermutlich ähnliche Zyklen festgestellt werden, so daß die Chancen für den "homo cooperativus" einmal günstiger stehen und ein anderes Mal weniger günstig. Es ist ebenso unbezweifelbar, daß die empirische Wirklichkeit der Wirtschaft nur in einem Mischungsverhältnis von Ideen und Interessen auffindbar ist, deren Wechselwirkung jeweils ausgeleuchtet werden muß. Von Pascal stammt die treffende Sentenz, daß der Mensch weder Engel noch Bestie ist, daß aber, wer ihn zum Engel machen will, mit Sicherheit nur die Bestie erzeugt. Die Versuche mit den Utopien vom perfekten Staat zeugen davon. Wer aber gleich die Bestie will, kann aber natürlich nichts anderes erreichen. Die einzige tragfähige Lösimg bei der Debatte um den "homo cooperativus" besteht darin, ihn seines rein idealtypischen Gehalts zu entkleiden (oder besser: die Methodologie der Bildung von Ideal typen konsequenter anzuwenden) und dieses Verhaltensmodell der empirischen Erforschung jeweiliger Mischungen und Wechselwirkungen von Ideen und Interessen zu unterwerfen. Wenn man genau liest, war dies das Ziel der großen Genossenschaftsforscher. Draheim hielt zwar an der Idee des "homo cooperativus" fest, aber er war keineswegs Utopist in dem Sinne, daß er meinte, alle Mitglieder von Genossenschaften seien Musterknaben der Soziabilität. Er wußte sehr gut, daß das ideale Genossenschaftsmitglied eine "Denkfigur" ist (1952: 48), also ein Analysemodell, das das Typische besonders prägnant hervorhebt, von welchem die Realität aber mehr oder weniger stark abweicht. Dasselbe gilt für Lasserre. Er spricht vom homme coopératif als "une recherche de ce qui doit ou devait être" (1977: 81). In ähnlicher Weise unterscheidet Seraphim zwischen der ökonomischen Primärgesinnung, die auf wirtschaftliche Daseinssicherung aus sein muß und den geistigen Haltungen wie persönliche Selbstverantwortung, Antiindividualismus, Antikollektivismus und Wille zu dauerhafter Zusammenarbeit als notwendige Klammern des Kooperativbetriebs (1956: 17, 24f). "Wie wir feststellten, ist die dem Wesen der wirtschaftlichen

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Förderungsgemeinschaft konforme Genossenschaftsgesinnung durch eine Reihe von Einsichten gekennzeichnet, die zu entsprechenden Verhaltensweisen fuhren, die in reiner Ausprägung wie jede wissenschaftliche Typenbildung nur selten anzutreffen sind, die jedoch tendentiell die genossenschaftliche Wirklichkeit mehr oder weniger weitgehend beherrschen. Daraus folgen denn auch die Unzulänglichkeiten und Spannungen, die den genossenschaftlichen Alltag kennzeichnen. Der von uns rein herausgearbeitete Typus des "homo cooperativus" soll dem Praktiker zeigen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wenn das System reibungslos funktionieren soll" (ebenda: 44).

b) Die Chancen des "homo cooperativus" als "Suchtypus" Damit wird deutlich, daß wir es hier mit einem dritten Verständnis des "homo cooperativus" zu tun haben, das sich weder gegen die ökomomische, noch gegen die soziologische und noch auch gegen die sozialethische Wirklichkeitsanalyse versperrt und immunisiert. Als Idealtypus ist der "homo cooperativus" ähnlich wie der "homo oeconomicus" und übrigens auch der "homo sociologicus" (Dahrendorf 1986: 198) kein empirisches Gebilde, sondern ein theoretisches Konstrukt, das zunächst weder richtig noch falsch ist. Es ist ein Kürzel für Merkmale, die erst noch operationalisiert werden müssen. Der "homo cooperativus" hat nur eine Chance in der Diskussion zu bestehen, wenn er - was auch für den "homo oeconomicus" gesagt wurde - als Suchschema verstanden wird. Dann allerdings ist er nur ein anderer Ausdruck für Realitiätsnähe. Wer keine Suchbilder besitzt, der findet in der Realität auch nichts. Sie geben an, worauf sich der Blick der Genossenschaftstheoretiker und praktiker zu richten hat. Sie zeigen auch, welche Bereiche in der Genossenschaftsforschung tendentiell vernachlässigt werden. Es kann wohl sein, daß der "homo oeconomicus" derjenige Verhaltenstypus ist, der sich als allgemeiner verbreitet herausstellt. Der Erfolg des Marktsystems spricht schließlich dafür. Es gibt genügend Unternehmensformen und auch Genossenschaften, die nur ökonomische Primärziele kennen. (Es macht aber auch die ganz alltägliche Misere ihres betrieblichen Alltags aus, daß es so und nicht anders ist.) Von daher ist das Bild des "homo oeconomico-cooperativus" nicht falsch. Es ist aber vermutlich nicht ausreichend. Denn es macht gerade die Identitätskrise des Genossenschaftswesens aus, daß es über die Ökonomisierung nicht mehr hin ausgelangt. Die Anerkennung eines ökonomischen Interesses besagt nicht, daß dieses universal gesetzt werden muß. Es ist zu untersuchen, wann die "Selbstzentrierungsannahme" besondere Durchsetzungschancen hat(Quiggin 1987:19f). Je nachdem welche anderen Erwartungen neben der Reziprozität und welche anderen Engagements für weitergesteckte Ziele des "guten Lebens" (Gerechtigkeit, Pflicht, Sitte, Gemeinschaft, Anerkennung, Integration, Partizipation, Kooperation) noch vorliegen, muß sich die Annahme ökonomischer Rationalität Abstriche gefallen lassen. Das ist aber, wie gesagt, eine empirische Frage. Mit anderen Worten ist jeweils in concreto zu untersuchen, wo der "homo oeconomicus"

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auftritt und wo der "homo cooperativus". An konkreten Forschungsbereichen ist kein Mangel. Man denke nur an die Aspekte des Lebenszyklus von Organisationen, an die genannte Ökonomisierung, an die Wichtigkeit kultureller Umwelten usw. So gesehen bleibt die Forderung bestehen, daß eine Soziologie der modernen Genossenschaft erst noch zu schreiben ist (Seraphim 1956:46). Damit ergibt sich eine Korrektur des "homo oeconomicus" nicht nur durch die Anthropologie, sondern auch durch die Soziologie, denn genauso gut ist zu fragen, welche Handlungschancen bestimmte Organisationsformen bieten. Die Genossenschaft als horizontale Sozialstruktur mit ihrer Betonung der Selbsthilfe, des Sozialkapitals und der Partizipationsmöglichkeiten ist nicht nur ein Wert, sondern auch eine bestimmte Handlungsgelegenheit. Wann vorwiegende Motive Gelegenheit haben, Realität zu werden, hängt auch von der institutionellen Verfaßtheit ab. Nur wenn gleichzeitig nach allen drei Richtungen, nach der ökonomischen und anthropologisch-ethischen Handlungsmotivation. und nach den soziologischen Handlungsgelegenheiten gcsucht wird, kann die hochideologisierte Debatte auf beiden Seiten entkrampft werden. Unter diesen Gesichtspunkten ist der "homo cooperativus" eine Chance. Hat er auch eine Chance? Literatur: Brodbeck, May (1969), Methodological individualism: Definition and reduction. In: M. Brodbeck, Readings in the Philosophy of the Social Sciences. London: 280-303 Brunner, Karl (1987), The perception of man and the conception of society: Two approaches to understanding society. In: Economic Inquiry XXV: 367-388 Draheim, Georg (1952), Die Genossenschaft als Unternehmenstyp. Göttingen Elias, Norbert (1987), Die Gesellschaft der Individuen. Frankfurt Engelhardt, Werner W. (1981), Genossenschaften II: Geschichte. In: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften, 3. Bd.: 557-571 Eschenburg, Rolf (1971), Ökonomische Theorie der genossenschaftlichen Zusammenarbeit. Tübingen Gadamer, Hans-Georg (1963), Über die Möglichkeit einer philosophischen Ethik. In: P. Engelhardt (Hg.), Sein und Ethos. Mainz: 11-24 Gauthier, David (1986), Moráis by Agreement. Oxford Gehlen, Arnold (1961), Anthropologische Forschung. Reinbek b. Hamburg Gellner, Ernest (1969), Holism versus individualism. In: M. Brodbeck (Hg.), Readings in the Philosophy of the Social Sciences. London: 254-268 Haeffner, Gerd (1982), Philosophische Anthropologie, Grundkurs Philosophie 1. Stuttgart Hettlage, Robert (1990), "Solidarität" und "Kooperationsgeist" in genossenschaftlichen Unternehmen. In: M. Kück (Hg.), Kooperatives Management - Bestandsaufnahmen, Konflikte, Modelle, Zukunftsperspektiven -. Baden-Baden Hettlage, Robert (1984), Der lange Marsch der Biologie durch die Sozial- und Geisteswissenschaften. In: Zeitschrift für Politik 2: 135-174 Hettlage, Robert (1980), Menschliche Normativität und ökonomische Rationalität. In: Internationale Stiftung Humanum (Hg.), Gesellschaftspolitik mit oder ohne Weltanschauung? Bonn: 126-174

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1.3.

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Die Stellung der Genossenschaftslehre (Kooperationswissenschaft) im System der Wissenschaften Werner Wilhelm Engelhardt

A. Zur Eigenart der Genossenschafts- bzw. Kooperationsforschung In dieser Abhandlung und überhaupt gilt es, Genossenschafts- bzw. Kooperativenforschung von der Forschung "über" die Genossenschafts- bzw. Kooperativenforschung zu unterscheiden. Hier geht es im folgenden vor allem um Darlegungen zur letzteren, "metawissenschaftlichen" (Albert) Forschungsart, d.h. zum "Aspekte-Dogmen-Ansatz" der Kooperationswissenschaft (vgl. Engelhardt 1985, 70 ff.). Es wird dabei angeknüpft an eine frühere Abhandlung des Verfassers (in der Laakkonen-Festschrift 1986, 54-82) und an eine neuere Arbeit von Nilsson (in der Kleer-Festschrift 1988,191-222). Dabei greife ich jetzt zunächst die bemerkenswerten Ausführungen dieses Autors auf und kommentiere sie partiell. Nach Nilsson muß man zur Kennzeichnimg der Eigenart der Genossenschaftsforschung von einer Makrotheorie kooperativer Unternehmungen ausgehen. Ziel sei es dabei, zu einem besseren Verständnis der Voraussetzungen solcher Unternehmungen in einer Gesellschaft der gemischten Wirtschaft westlicher Art zu gelangen. Um das Ziel zu erreichen, sei es erforderlich, sowohl eine Anzahl Unternehmungseigenschaften als auch solche der gegebenen Gesellschaft mit Hilfe von Idealtypen zu identifizieren. Dabei sind sowohl bei den Unternehmungsformen als auch bei den Gesellschaftsformen drei Idealtypen zu unterscheiden, nämlich "kooperative", "kapitalgelenkte" und "staatsgelenkte". Diese je drei Unternehmungs- und Gesellschaftsformen werden dann quasi morphologisch mit Hilfe einerseits sozialpsychologisch-soziologischer, andererseits betriebswirtschaftlich-organisatorischer Merkmale - wie "Menschenbild", "zwischenmenschliche Relationen", "soziale Differenzierung" und "Ressourcenpotential des Individuums", "Zielerreichungsprinzip", "Machtausübungstyp", "Koordinationsmethode" usw. - näher charakterisiert. Interessant sind einige von diesen Merkmals-Kennzeichnungen abgeleitete Aussagen zum umfassenderen Verständnis der drei Unternehmungsformen. Bei der kooperativen Unternehmung würden die Individuen - führt Nilsson treffend aus - nicht als vollständig selbständig betrachtet, freilich auch "nicht als Elemente eines Kollektivs". Bei den kapitalgelenkten Unternehmungen würden sich die Individuen sukzessiv und kontinuierlich einander anpassen, jedenfalls bei idealtypischer Betrachtung. In der staatsgelenkten Unternehmung lenke eine Machtelite jede Aktivitätsausübung zentral, unter Umständen unter Einsatz physischer Zwangsmittel. Freilich wird vom Autor durchaus gesehen, daß in der realen Welt weder Unternehmungs- noch Gesellschaftsformen in Reinkultur existieren, vielmehr lediglich als Kombinationen der drei Idealtypen in unterschiedlichen Proportionen. In jedem Unterneh-

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men, aber auch in jedem Gesellschaftssystem gebe es dadurch jeweils einen genossenschaftlichen, einen kapitalgelenkten und einen staatsgelenkten "Einschlag". Den drei reinen Unternehmungsformen "entsprechen" nun nach Nilsson angeblich drei reine Forschungsformen. Der Autor behauptet also - mildert es später allerdings in der Formulierung ab -, daß zwischen Unternehmungsund Forschungsformen eine "direkte Parallelität" bestehe. Die drei Forschungsformen werden "Sozialitätsforschung", "Individualitätsforschung" und "Kollektivitätsforschung" genannt. Zur näheren Kennzeichnimg dieser Forschungsformen werden Merkmale des "Gegenstandes", des "Forschungszweckes", der "Paradigmen", der "Objekt-Forscher-Relation", der "Forschermotivation"; des "Forschungsmilieus" und des "Charakters der Forschungstätigkeit" unterschieden und herangezogen. Besonders bedeutsam dürfte sein, daß Sozialitätsforschung nicht - wie man zunächst vermuten könnte - mit Genossenschaftsforschung gleichgesetzt wird. Ebensowenig wird behauptet, daß zur Analyse der Kooperativen nur Sozialitätsforschung in Betracht komme. Allerdings sollte das Studium der kooperativen Wirklichkeit laut Nilsson "stets von der Sozialitätsforschung dominiert sein", auch um selbst als Wissenschafter normative Effekte erzeugen zu helfen. Trotz dieses Werturteils ist der Autor der - problematischen - Ansicht, seine Ausführungen hätten "generelle Gültigkeit". Allerdings räumt er bezüglich der tatsächlichen Sachlage ein, daß normative Aussagen in der Grundlagenforschung weniger oft erstrebt würden als in der angewandten Forschung. Allzuoft "distanziere" sich der mit Grundlagenfragen befaßte Genossenschaftsforscher förmlich von seinem Objekt. Auch in der näheren Kennzeichnimg der Forschungsformen in ihrer Bedeutung für die Genossenschaften resultieren wieder interessante Einzelaussagen, auch wenn ihnen hier nur teilweise zugestimmt werden kann. So meint Nilsson, Gegenstand der Sozialitätsforschung seien soziale Phänomene und das Paradigma dieser Forschung ist - angeblich - "holistisch-dialektisch". Hingegen werden der Individualitätsforschung wirtschaftlich-technische Erscheinungen, der Kollektivitätsforschung politische Phänomene zugeordnet. Als Paradigmen erkennt der Autor im Falle der Individualitätsforschung den "analytischen Reduktionismus", im Falle der Kollektivitätsforschung wechselnde Vorbilder an. Demgegenüber wird hier die Ansicht vertreten, daß schon bei idealtypischer Betrachtung die Sozialitätsforschung nicht allein auf soziale Phänomene erstreckt werden kann. Auch sollte das in Betracht kommende Paradigma in diesem Falle eher als gestaltorientiert (Popper) und damit als "erweitert" reduktionistisch bezeichnet werden (vgl. Kleinhenz, Engelhardt, Eisner). Dies gilt jedenfalls dann, wenn und insoweit es sich um genossenschaftswissenschaftliche Fragestellungen handelt. Treffend erscheinen hingegen Nilssons Charakterisierungen der Sozialitätsforschungen unter den Aspekten der Objekt-Forscher-Relation als "Aktionsforschung", jedenfalls in weiten Teilen. Was die Motivation der Forscher betrifft, so muß nach der hier vertretenen Ansicht und abweichend von Nilsson ein Genossenschaftsexperte

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nicht unbedingt selbst Solidarität oder Gemeinschaft als Motive - oder Werte - hoch schätzen, um etwa erfolgreich über genossenschaftliche Solidarität oder über Gemeinschaft beim genossenschaftlichen Wirtschaften arbeiten zu können. Sozialitätsforschung setzt auch nicht notwendigerweise ein "Gruppenmilieu" als Forschungsumfeld voraus, wie der Autor anzunehmen scheint. Den Charakter dieser Forschungstätigkeit ausschließlich als "problemorientiert" zu bezeichnen, ist ebenfalls keine zwingende Feststellung. Zu beachten ist freilich - es sei hier wiederholt -, daß es sich auch bei der Charakterisierung der Forschungsformen zunächst nur um eine Skizzierung von Idealtypen handelt. Demgegenüber ordnet Nilsson die Genossenschaftsforschung von vornherein und ausschließlich einem "Realtypenbegriff' zu. Er identifiziert sie also weder mit der idealtypischen Sozialitätsforschung noch mit den idealtypischen Individualitäts- und Kollektivitätsanalysen. In kooperativen Unternehmen würden kapitalgelenkte und staatsgelenkte Elemente mit auftreten, auch wenn diese Elemente durch Transformationen ursprünglicher Genossenschaftsstrukturen verursacht sein könnten. Die Genossenschaftsforschung könne deshalb immer nur vage charakterisiert werden - ein trotz der vorhergehenden zutreffenden Feststellungen bestreitbarer Satz! Denn: So richtig und zweckmäßig es ist, die Genossenschaftsforschung nicht mit einer der drei idealtypischen Forschungsformen - und natürlich auch mit deren Addition bzw. Summe - gleichzusetzen, so entspricht dieser Wissenschaftszweig sicherlich auch nicht notwendig einem nur vage charakterisierbarem Realtyp. Übrigens gibt es in nicht geringem Umfange auch tatsächlich idealtypische Genossenschaftsforschungen (vgl. zuletzt Engelhardt 1988 und 1989). Wenn Nilsson auf die kapitalgelenkten und die staatsgelenkten Elemente in Genossenschaften aufmerksam macht, so werden ihm einerseits die Erwerbswirtschaftler (vgl. z.B. M. Neumann), andererseits die Gemein Wirtschaftler (s.z.B. Thiemeyer in diesem Band) gewiß zustimmen. Freilich dürfen die staatsgelenkten Elemente nur bei "verwaltungswirtschaftlichen Genossenschaften" (Engelhardt) mit kollektivistischen Merkmalen gleichgesetzt werden. Volle Übereinstimmung mit Nilsson besteht auch darin, wenn er "Irrwege" heutiger Genossenschaftsforschung beklagt und im einzelnen kritisiert, daß genossenschaftliche Unternehmungen oft genug auch von Genossenschaftswissenschaftern von vornherein - und nicht etwa erst im Entartungsfalle - als "gewöhnliche Unternehmungen" betrachtet würden und auf diese Weise eine neue Forschungstradition entstünde, die "ausgehend von nichtkooperativen Standpunkten" kooperative Unternehmungen untersuche. Auf diese Weise entstünden Problemlösungen, "die viel zu eng formuliert und viel zu kurzsichtig sind". Dies gelte beispielsweise für Fälle, in denen über die Anpassung der kooperativen Unternehmungen an ihre Umgebung die Beeinflussung der Gesellschaft in kooperativer Richtung durch diese Unternehmungen übersehen werde, oder in denen die Rolle der Genossenschaftsmitglieder unterschätzt werde zugunsten einer ausschließlichen Konzentration der Forschungsenergien "auf die funktionellen Tauschrollen".

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Insgesamt plädiert Nilsson nicht unbegründet dafür, "daß die Forscher bei ihren Bemühungen, Unternehmungen und deren Umgebung zu einer größeren Kooperativität zu bewegen, behutsam vorgehen müssen". Es gehe heute darum, sowohl die Gesellschaft als auch die Unternehmungen dazu zu bewegen, sich der genossenschaftlichen Unternehmungsform anzupassen, zumindest aber eine Bewegung in Richtung der staats- oder kapitalgelenkten Unternehmungsformen abzubremsen. Damit ein Forscher in diesem Zusammenhang die Eigenschaften seines Untersuchungsobjektes richtig einschätzen könne, müsse er unbedingt Kenntnis von den "besonderen Kennzeichen" der Genossenschaften haben. Knüpft man unmittelbar an die Arbeiten Draheims, Dülfers und Schwarz an (vgl. Engelhardt 1986,54 ff., 62ff u. 67 ff.)., so bedeutet dies die konsequente Nutzung der morphologisch-typologischen Erkenntnismittel (vgl. auch Engelhardt 1988 und 1989). Und damit der Genossenschaftsforscher sein Projekt auf eine "annähernd kongruente Weise" gestalten oder doch mitgestalten kann, muß er nach Nilsson zugleich unbedingt "Kenntnisse in der Genossenschaftsforschung haben". Er müsse dabei aber nicht bloß objektsprachlich mit den Kooperativen vertraut sein, sondern auch metasprachlich "über" den Stand dieser Forschung Bescheid wissen, sei es anhand der oben skizzierten Merkmale oder nach weiteren Kriterien. B. Zur Bearbeitung von Genossenschafts- bzw. Kooperationsfragen in verschiedenen Wissenschaften 1. Grundlagenwissenschaften In den Grundlagendisziplinen haben sich bislang vor allem Sozialphilosophen und Anthropologen mit kooperativen Sachverhalten beschäftigt. In Verbindung mit den letzteren waren auch Ethnologen - vergleichende Völkerkundler - und selbst Ethologen, die das Verhalten der höchstentwickelten Tierarten erforschten, auf genossenschaftswissenschaftliche Fragen gestossen. Bezogen auf bestimmte Probleme sind natürlich auch Theologen und Ontologen, Metaphysiker und Wertphilosophen, Ethiker und Moralphilosophen, schließlich Wissenschaftstheoretiker, Logiker und Methodologen immer wieder einmal genossenschaftsrelevant fündig geworden. In historischer Beziehung aber waren wohl die Sozial- bzw. Staatsphilosophen die ersten, die kooperative Sachverhalte einbezogen haben. Da Genossenschaften als grundsätzlich "von unten" her entstehende und aufbauende populistische Ordnungen aufzufassen sind - sie können ursprünglich als Antipoden herrschaftlicher und insbesondere staatlicher Ordnungen gesehen werden - interessierten sich zuerst in der Antike und dann wieder spätestens seit dem Humanismus, der Aufklärung und dem Frühsozialismus (vgl. Th. Ramm) vor allem Sozialphilosophen, weniger Staatsphilosophen für sie. Viele Fragen und Überlegungen kreisten dabei damals schon um "Utopien" bzw. utopische Gesellschafts- und Staatsromane, d.h. um Vorziele kooperativer Strukturen (vgl. Engelhardt 1989). Solche Sinnstrukturen werden heute manchmal als Gegenstand einer beson-

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deren Spezialdisziplin "Utopistik" aufgefaßt, für die seit dem vorigen und besonders dem jetzt zu Ende gehenden Jahrhundert viele bedeutende Gelehrte (z.B. Neurath 1919, Mannheim 1965, Bloch 1959, Boulding 1958, selbst Nozick) wesentliche Beiträge erbracht haben. Man kann die auf Utopien bezogenen Fragestellungen bei Vernachlässigung bestimmter Anforderungen aber auch anthropologischen (z.B. Scheler 1954, Pleßner 1966), metaphysischen, wertphilosophischen und teilweise sogar theologischen Untersuchungen (z.B. Schleiermacher 1969, neuerdings z.B. Drewermann 1987) zuordnen. Solche Forschungen haben seit der Aufklärung sicherlich nicht selten ideologiekritische Bedeutung gehabt. Vor allem aber dürften sie - quasi Positivismus erweiternd-menschliche Handlungsgrundlagen sinnstiftend erweitert haben - sei es in christlichem, anderweit religiösem oder sei es in säkularisiert-atheistischem, niemals aber nihilistischem Geiste (vgl. z.B. Kropotkin 1908, G.A. Jung 1954). Neben dem Egoismus, der in der Grundlagenforschung gewiß immer wieder beschäftigt hat, interessierten sich Forscher zunehmend auch für nichtegoistische Sinngrundlagen mehr oder weniger genossenschaftskonformer Art, sei es die Sympathie (seit A. Smith), der Altruismus oder sei es das "solidarische" Verhalten (Pfeiffer 1863, Gide 1929, Pesch 1913 u.a.). Moderne Systeme der Wertphilosophie (z.B. Kraft 1951) und der Ethik (z.B. Kritizismus) haben spezifische Bedeutung für die Analyse "wertrationalen" Handelns in Genossenschaften oder auch von "Grundwerten" - wie Gemeinschaft, Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit. Die moderne Wissenschaftstheorie, Logik und Forschungslogik, die allgemeine und fachspezifische Methodologie tragen in ihren klassischen und relationalen Ausprägungen erheblich zur Analyse vieler Grundbegriffe heutiger Wissenschaften überhaupt und auch von genossenschaftswissenschaftlichen Grundbegriffen bei. Erwähnt seien hier vor allem Begriffe wie Ganzheit, Gestalt, Typus, System, wie sie zum Teil in der genossenschaftlichen Analyse von Nilsson Verwendung fanden. Entsprechendes gilt für verschiedene Erkenntnisgewinnungsmethoden - etwa die Einfühlung, das Verstehen, die Konstruktion von Sozial- und Wirtschaftsindikatoren. Ganz besonders aber dürfte die "trial and error"-Methodik, auf die kritische Rationalisten wie Popper und Albert für die Wissenschaften und die Politik zu Recht größten Wert legen, genossenschaftsspezifische Züge tragen (Warbasse 1926). 2. Rechtswissenschaften In dieser Gruppe von Disziplinen ist es von altersher besonders die Rechtsgeschichte, die sich seit dem deutschen Historismus und dem angelsächsischen Institutionalismus der Genossenschaften und der diesen Gefügen verwandten Gemeinschafts- und Gesellungsformen angenommen hat (von Gierke u.a.). Besonders betont wurde in ihren Zusammenhängen regelmäßig das mittelalterliche Germanische bzw. Deutsche Recht, das im "New Institutional Approach" der Gegenwart allerdings keine Rolle mehr zu spielen hat (vgl. z.B. North 1988). Das Deutsche Recht, das durch den Nationalsozialismus nachhaltig diskreditiert wurde, korrespondierte mehr als vorhergehende oder gleich-

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zeitige Rechtsgrundlagen und insbesondere das Römische Recht eng mit der ursprünglichen Entstehung und Entwicklung von Genossenschaften. Es enthielt offenbar spezifische genossenschaftsadäquate Züge. Zahlreiche mittelalterliche Institutionen - handle es sich um Marken, Gemeinden, Städte, Hansen, Zünfte, Gilden, Universitäten, Klöster usw. - weisen genossenschaftliche Züge auf (vgl. z.B: Planitz 1941, Bader 1962, Meuthen 1988). Umso unverständlicher ist es, daß in der modernen Ökonomischen Theorie der Rechte und in heutigen historischen Theorien des institutionellen Wandels ungeachtet ihrer sonstigen Verdienste auf diese mittelalterlichen Rechtsgrundlagen regelmäßig kein Bezug genommen wird, es sei denn von vornherein ein kritischer. Aber neben der Rechtsgeschichte dürfen zur Würdigung von Genossenschaftsproblemen auch andere Rechtswissenschaften nicht vernachlässigt werden. Zu nennen sind die eher systematischen Rechtsdisziplinen, die vergleichenden Wissenschaftszweige und die Rechtspolitik. Im einzelnen seien erwähnt, das Positive und das Normative Verfassungsrecht, das Kommunal- und Verfassungsrecht, das Handelsrecht, neuere Gebiete des Wirtschaftsrechts einschließlich des Wettbewerbs- und Arbeitsrechts -, nicht zuletzt schließlich die internationale, insbesondere westeuropäische Komparatistik kooperativen Organisationsrechts schlechthin (z.B. Westermann 1969, Münkner 1985). Aus verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Sicht wurde hervorgehoben, daß nicht nur der Herrschaftsgedanke, sondern auch die Genossenschaftsidee und neben dem autoritär-zentralistischen Verwaltungsaufbau die kommunalvolksrechtliche Struktur nach wie vor zu den Konstanten der Sozialgeschichte gehören, und dies nicht nur bei "altfreien Nationen" wie der Schweiz und den Niederlanden (Gasser 1945). Öffentlich-rechtliche Genossenschaften spielen neben den privatrechtlichen nach wie vor eine praktisch und wissenschaftlich beachtliche Rolle auch in westlichen Ländern. Bei den privatrechtlichen Gestaltungsformen des genossenschaftlichen Organisationsrechts sind die Ausprägungen der Genossenschaft im Rechtssinne - wie z.B. der bundesdeutschen "eG" nach § 1 GenG - von den Fällen der Kooperativen in nichtgenossenschaftlicher Rechtsform, bis hin zur GmbH und AG, zu unterscheiden. Die Genossenschaften im Rechtssinne unterliegen vielfach einer spezifischen "Typenbeschränkung", wie sonst nur noch die W a G s und die wirtschaftlichen Vereine (Paulick 1954). Im übrigen gibt es besonders in Westeuropa mehrere "Rechtskreise" mit teilweise starker Ausstrahlung auf heutige Entwicklungsländer. Neben dem deutschen ist insbesondere ein englischer und französischer Rechtskreis zu unterscheiden (vgl. Ebert 1966, Dülfer 1966), vielleicht aber auch ein slawischer (Trappe 1962). In der Bundesrepublik Deutschland beschäftigen sich die Juristen nach vorangegangenen Reformen des geltenden Genossenschaftsrechts - die vorerst letzte Novellierung erfolgte 1973/74 neuerdings u.a. mit Variationen der organisationsrechtlichen Konfigurationen durch neuartige Verbundprobleme, wie sie z.B. durch modernes "Marketing" als Organisationsfiihrungssysteme (s. Schmid 1988) oder durch Annäherungen an "Franchising" (s. Bonus 1987) ausgelöst wurden. Daneben geht es hier wie in den anderen Staaten des EG-Raumes seit geraumer Zeit um de-

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lege-ferenda-Erörterungen von Harmonisierungsmaßnahmen der vorhandenen Rechtsgrundlagen (vgl. Boettcher Hg. 1976, Münkner 1985). 3. Geschichtswissenschaften In diesen Disziplinen liegt der Schwerpunkt der Genossenschaftsforschung entweder in der bereits erwähnten Geschichte des Mittelalters. Diesen Teil der Historie gilt es allerdings nicht nur unter rechtlichen, sondern auch unter kulturellen, sozialen und nicht zuletzt wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu würdigen (siehe z.B. Kuske 1928, Bader 1962, J. Kuczynski 1980). Oder es sind Forschungsschwerpunkte der vormittelalterlichen Ur- und Frühgeschichte, der antiken Staatenbildungen sowie schließlich der neu- und industriezeitlichen Geschichtsperioden - letztere umfassen auch die Zeitgeschichte und reichen bis an die unmittelbare Gegenwart heran - zu beachten oder teilweise überhaupt erst noch zu bilden und auszufüllen. Letzteres trifft besonders für die vormittelalterlichen Zeitalter zu, die sowohl grundsätzlich als auch besonders unter genossenschaftswissenschaftlichen Aspekten bezüglich der damals existierenden Primaten- und Menschengruppen noch unzulänglich erschlossen sein dürften. Allerdings gibt es zum Teil beachtliche Arbeiten von Autoren der DDR (z.B. von K.H. Otto 1781), in denen freilich die weithin übliche Praxis fortgesetzt wird, den Terminus "Genossenschaft" auf die damaligen, weithin produktivgenossenschaftsähnlichen Gefüge nicht anzuwenden. Geht man, wie Verfasser es tut, von einer universalgeschichtlichen Perspektive des Genossenschaftswesens aus (in Übereinstimmung mit 0. von Gierke 1954, E.R. Huber 1958 u.v.a.) und verwirft die überscharfe Trennung "historischer" und "moderner" Genossenschaften (durch Grünfeld 1928, abgeschwächt auch Back 1958 u.a.) - da z.B. "gemeinwirtschaftliche Genossenschaften" der Frühzeit auch in der Neuzeit auftreten, wenn meist auch von anderen Entstehungsgrundlagen her und zweifellos in westlichen Ländern bis vor kurzem mit abnehmender Häufigkeit - so kommt die Forschung nicht um eine stärkere Beachtung der historischen Genossenschaften und genossenschaftsartigen Zusammenschlußformen bis hin zu solchen der frühesten Menschenaffen und Menschenhorden herum. Entsprechendes gilt aber auch noch für die neu- und industriezeitlichen Kooperativen, obwohl besonders über das neunzehnte Jahrhundert zweifellos bereits viele beachtenswerte Forschungsbeiträge vorliegen (z.B. von G.D.H. Cole 1950, Faust 1977, Hasselmann 1971, J.O. Müller 1976 u.v.a.). Neuere Arbeiten (z.B. von Novy 1983, Weuster 1980, Elsässer 1984, Chr. Eisenberg 1985) zeigen jedoch, daß bezogen auf dieses Jahrhundert und das noch andauernde jetzige weitere Entdeckungen gemacht werden können. Diese Aussage dürfte besonders für den Fall gelten, daß Genossenschaftsgeschichte im Zusammenhang mit der Geschichte der sozialen Bewegungen überhaupt - seien es solche der Handwerker und Arbeiter, oder auch solche der Bauern bzw. Landwirte und Landarbeiter - betrieben wird. Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, desto mehr können oder müssen neben Entstehungs- und Entwickjungsphänomenen kooperativer Strukturen - nicht

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zuletzt im Dienstleistungsbereich - auch Transformationen früher entstandener Strukturen zum Gegenstand historischer Untersuchungen gemacht werden. Dabei ist als auslösende Paktoren keineswegs nur an die Jahre des Nationalsozialismus in Deutschland zu denken, vielmehr auch an Tendenzen, die durch "Imperialismus" (Boulding) bestimmter Ausprägungen rein ökonomischen Denkens hervorgerufen wurden. Zeitgeschichtliche Studien werden sich in nächster Zeit vermutlich weiterhin der Renaissance des Genossenschaftswesens in der Gegenwart annehmen (Novy 1983, Flieger 1984, Schwendter 1986 u.a.). 4. Sozialwissenschaften Im Bereich der Sozial Wissenschaften in einem engeren Sinne des Wortes ist zunächst die Ethnologie zu nennen, die früh und besonders ausdrücklich auf genossenschaftliche Formen "gegenseitiger Hilfe" bei unterschiedlichen Menschengruppen und höheren Tiergattungen hingewiesen hat (z.B. Kropotkin 1908, Thurnwald 1923, M. Mead 1963). Im Anschluß daran oder parallel dazu interessierten sich Soziologen und Sozialpsychologen teilweise für ähnliche Probleme, z.B. Fragen des Instinkts und der Spontaneität bei Gruppenbeziehungen und deren Einfluß auf das gesellschaftliche Leben. Vor ihrer "folgenschweren Entscheidung" (Hettlage) für das herrschaftssoziologische Paradigma waren es besonders deutsche und teilweise auch russische und amerikanische Soziologen, die sich wiederholt mit Genossenschaftsproblemen auseinandergesetzt haben. Meist geschah dies von einer positiven Aspektwahl "pro" Genossenschaft aus, wobei Genossenschaft nicht selten mit Gemeinschaft identifiziert wurde (z.B. Tönnies 1963, auch Vierkandt 1959, Hellpach 1951, Totomianz 1925, P.A. Sorokin 1957, Sombart 1966), seltener kritisch (M. Weber 1976, Th. Geiger 1963). Auch für führende französische Soziologen war die - allerdings weit interpretierte - "Assoziation" nicht "ein an sich unfruchtbares Phänomen, das sich einfach darin erschöpft, daß es fertige Tatsachen und konstituierte Eigenschaften in äußerliche Beziehungen setzt". Sie war "im Gegenteil die Quelle aller neuen Erscheinungen, die im Laufe der allgemeinen Entwicklung des Lebens entstanden sind" (Dürkheim 1965). In der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ist es sowohl bei Religionssoziologen als auch bei Entwicklungs- und Systemsoziologen (wie H. Müller 1925, Fürstenberg 1971, Behrendt 1963, Eisermann 1955, Trappe 1962, Hettlage 1987, Etzioni 1975) zu einer Neubelebung der soziologischen Genossenschaftsforschung gekommen, die auch durch "verstehend" arbeitende Nationalökonomen stark beeinflußt wurde (H.J. Seraphim 1956 und besonders Weippert 1964). Neben Fragen der Ideologien und Motivationen sowie der intra- und interpersonalen Beziehungen in Kooperativen steht das Problem einer Neubelebung, Verstärkung und Übertragung genossenschaftlicher Partizipation (Hettlage 1987, Lezius 1984 u.a.), aber auch der aktuell gebliebene oder wieder gewordene Fragenkreis der sozialpolitischen Lebenslageforschung zur Erörterung an (Fürstenberg 1971, Amann 1983 u.a.). Die Sozialpolitiklehre als eine

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der jüngeren Sozialwissenschaften ist bei betonter sozialwissenschaftlicher Ausrichtung der Disziplin (wie z.B. bei Albrecht 1965, Weisser 1968, Laakkonen, Laurinkari) besonders dann genossenschaftsrelevant, wenn Sozial- und Gesellschaftspolitik "von unten" aus, d.h. von Einzelpersonen, Mitgliedergruppen oder Betrieben her, interessiert. Entsprechendes gilt auch für die Politologie, soweit sie als allgemeine Politikwissenschaft spezielle "soziale Fragen" aufgreift und sich außer für Parteien, Parteiungen, Verbände, Gewerkschaften usw. direkt oder indirekt auch mit Genossenschaften beschäftigt, wofür es durchaus Traditionen gibt (z.B. von der Gablentz 1965, Gasser 1945). Es versteht sich von selbst, daß in diesem Zusammenhang auch kooperative Neugründungen der "Grünen", von "Friedensgruppen" und anderen Alternativbewegungen aufgegriffen werden müssen. 5. Wirtschaftswissenschaften In dieser Gruppe von Disziplinen waren es zunächst vor allem einige Klassiker der Politischen Ökonomie bzw. Nationalökonomie - genauer Spätklassiker - die sich neben den oft herabsetzend "Utopische Sozialisten" etikettierten Frühsozialisten (vgl. Buber 1950) f ü r Genossenschaften interessierten. Sie setzten sich teilweise bereits recht intensiv mit bestimmten "Restrukturierungs"-Möglichkeiten von Wirtschaft und Gesellschaft oder aber mit deren wirksamer Verhinderung auseinander (vgl. z.B: J.St. Mill, J.H. von Thünen und über diese Spätklassiker und die Frühsozialisten u.a. Hoppe 1976, Hofmann 1979, Engelhardt 1973). Frühe Höhepunkte der Kooperationsforschung, die vor allem die ökonomischen Forschungen führender Neoklassiker (insbesondere jene von Walras, Marshall, Pigou) nicht unerheblich beeinflußt haben, gehen dann sowohl a u f f ü h r e n d e Genossenschaftspioniere des vorigen Jahrhunderts (wie Schulze-Delitzsch, V.A. Huber) als auch auf die britischen Sozialisten der "Fabian Society" (vor allem das Ehepaar Webb) und die französische "Ecole de Nimes" (Ch. Gide u.a.) zurück (s. dazu u.a. Grünfeld 1928, Lambert 1964, Gretschmann 1983). In Deutschland spielten zur gleichen Zeit die Genossenschaften - teils als "frei-gemeinnützige" oder "frei-gemeinwirtschaftliche" Einrichtungen interpretiert - in den beiden Historischen Schulen, besonders aber in der klassischen Gemeinwirtschaftstheorie und Sozialrechtsdiskussion führender Politischer Ökonomen und Finanzwissenschaftler des Sozialliberalismus und Kathedersozialismus (Schäffle, A. Wagner, L. Brentano, von Wieser u.a.) eine erhebliche Rolle (s. dazu u.a. Ritsehl 1965, Thiemeyer 1985, D. Schneider 1986). Im zwanzigsten Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt der Genossenschaftsforschung zunächst immer mehr zur Betriebswirtschaftslehre hin. Hingegen gingen Volkswirtschaftler der Zeit (z.B. R. Liefmann 1928) schon von einer Einebnungsthese genossenschaftlicher Besonderheiten aus oder rückten die Kooperativen in nächste gedankliche Nähe zu den Kollektivmonopolen (z.B. W. Eucken 1959). Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Betriebswirtschaftslehre über Genossenschaften sowohl morphologisch-strukturelle als auch katallaktisch geprägte Einzellehren entwik-

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kelt, die erklären oder praktisch anleiten sollen (vgl. Henzler 1957, Draheim 1955, Weisser 1968, Dülfer 1984, Hahn 1980, E.B. Blümle 1977, Schwarz 1979, Lipfert 1986, Seuster 1977, H. Wagner, Vierheller, Bänsch 1983, Ringle 1983, Kück 1989 u.a.). Diese Lehren überschneiden sich vielfach mit Betriebslehren über Öffentliche Betriebe, Verbände und andere Einzelwirtschaften unter Aspekten der Gemeinnützigkeit und Gemeinwirtschaftlichkeit (s. Engelhardt 1988, Thiemeyer 1985). Neuansätze in der volkswirtschaftlichen Genossenschaftsforschimg knüpften in der Bundesrepublik Deutschland zunächst an die Historischen Schulen und die aus ihnen und der Verstehenden Soziologie hervorgegangene Wirtschaftssystemforschung (W. Mitscherlich 1983, Sombart 1966) an. Sie verfolgten vor allem ordnungstheoretische und ordnungspolitische Fragestellungen, welche die Positionen von Ordo- und Neoliberalen sowie ursprünglicher Vertreter der "Sozialen Marktwirtschaft" ergänzen sollten (Weippert 1964, H.J. Seraphim 1956, Schachtschabel). Im weiteren Verlauf gewannen in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger rein ökonomische Konzepte der Marktmorphologie, der Preistheorie und der Wohlfahrtsökonomie (Ohm 1955), sodann solche der Neuen Politischen Ökonomie, volkswirtschaftlichen Organisationstheorie und der Konflikttheorie (R. Eschenberg 1971, Boettcher 1974, Eickhof 1982) an Einfluß. Diese Ansätze - neben denen herkömmliche Lehr- und Forschungsangebote der Volkswirtschaftslehre weiterbestehen (z.B. Hamm 1972, M. Neumann 1973) - dürften besonders für erwerbswirtschaftlich entartete Genossenschaften auch erklärungsrelevant sein. Neuestens gibt es im Bereich der Volkswirtschaftslehre einen "New Institutional Approach", der aber nicht durch die deutschen Historischen Schulen, sondern ausschließlich von der us. amerikanischen "Property-Rights"-Diskussion und Transaktionskosten-Ökonomie beeinflußt worden ist (Williamson 1987, Eschenburg 1977, Bonus 1987). Auch Finanzwissenschafter sind erneut zu Genossenschaftsproblemen vorgestoßen, was teilweise im Zusammenhang mit der Transaktionskostenproblematik geschieht (z.B. Großekettler 1989), teils aber auch im Zusammenhang mit Steuerungsproblemen im Spannungsfeld zwischen Staat und Markt beim Versagen beider Systeme steht (z.B. Gretschmann 1981). 6. Agrarwissenschaften Was schließlich die Agrarwissenschaften betrifft, so gibt es bereits in den Anfängen der landwirtschaftlichen Betriebslehre genossenschaftliche Ansätze in Gestalt utopischer Denkmodelle (J.H. Thünen). Sie verfolgten allerdings Ziele klassischer "Gegenutopien" (Flechtheim) zum unbedingten Fortschrittsglauben, d.h. sie wollten im Bereich der Landwirtschaft eine erneute genossenschaftliche Entwicklung nicht nur nicht anbahnen helfen, sondern vor ihr warnen (Engelhardt 1986). Später haben Betriebslehrer der Agrarwissenschaften und wissenschaftliche Agrarpolitiker allerdings prophezeit, daß es auf hoher Entwicklungsstufe der Volkswirtschaften bei den Landwirten erneut - wie schon in frühen Zeiten nach der Seßhaftwerdung der Bevölkerung in der Folge der Ersten Wirtschaftlichen Revolution vor etwa zehntausend Jahren

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(North 1988) - zu einer Kräftevereinigung auf produktivgenossenschaftlicher Grundlage kommen werde; einem Genossenschaftstyp, von dem die Landwirtschaft in "Markgenossenschaften" oder diesen ähnelnden Kooperativen einstmals ausgegangen ist (Aereboe 1923). Wissenschaftlich fundierte Studien systematischer und systemvergleichender Art sind, abgesehen von den Typen an Vorläufer vor über zweitausend Jahren teilweise bewußt anknüpfender israelitischer ländlicher Genossenschaften (s. Preuss 1958), in den Agrarwissenschaften aber erst in jüngerer Zeit durchgeführt worden oder sie stehen in internationaler Besetzung bevor. Derartige Aktivitäten gibt es außer in westlichen Ländern auch in Entwicklungsländern und in kommunistisch regierten Staaten. Am Anfang dieser Forschungen steht die Besinnung auf die "Utopie und Wirklichkeit der Genossenschaftsidee und des Gruppenkonzepts von Raiffeisen" (J.O. Müller 1971) und anderen Pionieren. Raiffeisen ist - abgesehen von den Rochdaler Pionieren - zweifellos der Genossenschaftspionier, der international die meiste Anerkennung gefunden und die Landwirtschaft der heutigen Entwicklungsländer bereits während der Kolonialzeit vieler dieser Länder nachhaltig beeinflußt hat. Es folgten Studien über die Genossenschaften als anpassungsfähige Form der "Selbstorganisation" ländlicher Bevölkerungsgruppen in Afrika, Südamerika und Asien sowie über gesellschaftspolitische Konzeptionen zur Förderung von Selbsthilfe durch private und staatliche Fremdhilfe (Dülfer 1979, Kuhn 1981, J.O. Müller 1976, Hanell983, E.G. Schumacher 1985). Systemvergleiche waren unter Einbeziehung kommunistischer Länder zunächst vor allem grundlegenden Demokratie-, Produktivitäts-, Effizienz- und Eigentumsproblemen gewidmet (Boettcher 1974, Cholaj 1976, Kleer 1978 u.a.). In naher Zukunft dürften indes umfassendere Vergleiche landwirtschaftlicher und anderer Genossenschaftsbewegungen und Genossenschaftsorganisationen unternommen werden, die zu praktischen Schlußfolgerungen über zweckmäßige Reformschritte führen sollen (Laakkonen, Laurinkari 1988 u.a.). Wie Ergebnisse bereits vorliegender vergleichender Studien erkennen lassen, gibt es neben fortdauernden wichtigen Unterschieden zwischen "einzelwirtschaftlichen" und" klassengerichteten " Genossenschaften (H.J. Seraphim) - die letzteren gibt es bereits seit der mexikanischen Revolution von 1911 - vielfache Konvergenzen, die bei sich ändernden politischen Rahmenbedingungen (z.B. Gorbatschow 1988) eine zunehmende Tendenz aufweisen. Landwirtschaftliche Produktiv-"Kooperative" und landwirtschaftliche Produktiv-"Kollektive" (Dülfer) der verschiedenen Länder lassen sich heute öfter einheitlich als "Produktionssysteme" (Seuster) mit mehr oder weniger autonom operierenden Arbeitsgruppen interpretieren, die neben Erzeugungsfunktionen zugleich Aufgaben der Beschaffung, des Absatzes, der Finanzierung und der Leitung ausüben (Th. Bergmann 1976, P. Gey, W. Quaisser 1984, G. Varga 1984, H. Seuster 1975 u.a.).

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C. Zur Konzeption der Genossenschaftslehre (Kooperationswissenschaft) als Einzeldisziplin Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß über die Behandlung von Genossenschaftsfragen in den verschiedenen bereits vorhandenen Wissenschaften hinaus sich inzwischen auch eine gesonderte "Genossenschaftslehre" bzw. "Kooperationswissenschaft" als eine der jüngsten Disziplinen überhaupt zumindest im Umriß gebildet hat. Institutioneller Ausdruck dieser Entwicklung, die bisher im wesentlichen im deutschsprachigen Raum erfolgte, ist die sukzessive Gründung von Genossenschaftsseminaren und -instituten an zahlreichen Universitäten und anderen Hochschulen, beginnend mit dem universitätseigenen Genossenschaftsseminar an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Halle/Saale im Jahre 1911. Ebenfalls für eine gesonderte Disziplin spricht von äußerlichen Merkmalen her die Herausgabe einer gesonderten Zeitschrift, der an Vorläuferorgane anknüpfenden "Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen. Organ für Kooperationsforschung und -praxis" durch die in einer "Arbeitsgemeinschaft genossenschaftswissenschaftlicher Institute" vereinigten Lehr- und Forschungsstätten. Schließlich sei als konstituierendes Merkmal erwähnt die regelmäßige gemeinsame Durchführung internationaler genossenschaftswissenschaftlicher Tagungen, beginnend im Jahre 1954. Unter den an der Zeitschrift und an den Tagungen beteiligten Wissenschaftlern der Institute und sonstigen Forschungsstätten fand auch bereits eine Diskussion über das Erkenntnisobjekt der im status nascendi befindlichen neuen Wissenschaft statt, also über ein Essential dieser Disziplin. Insbesondere ging es dabei um die Frage, "ob eine Ausweitung von der (zu engen) 'Genossenschaft' zu der (größeren) 'Kooperation' stattfinden soll". Es wurde Übereinstimmung erzielt, daß die "Kooperation der Oberbegriff' ist, der auch die klassische 'Genossenschaft' subsummiert; d.h. die 'Genossenschaft' ist als eine bestimmte Art von 'Kooperation' zu definieren" (Seuster). Die mit dieser Festlegung verbundene Ausweitung des früher üblichen Erkenntnisobjektes macht internationale Tendenzen einbeziehbar. Sie ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der Einbeziehung aller "Kooperation" genannten Erfahrungsobjekte als genossenschaftsadäquat, genossenschaftsähnlich oder genossenschaftskonform. Inzwischen dürfte auch weitgehende Übereinstimmung darüber bestehen, daß in der Gegenwart im Mittelpunkt der als Kooperationswissenschaft verstandenen Genossenschaftslehre betriebswirtschaftliche Fragen stehen werden und zu stehen haben. Zumindest auf die meisten der neueren genossenschaftlichen oder genossenschaftsartigen Kooperativen trifft zu, daß sie ungeachtet der von Nilsson zusätzlich verdeutlichten Zusammenhänge Einzelwirtschaftscharakter haben, d.h. als Betriebe, Unternehmungen, Verbände, Organisationen usw. anzusprechen sind. Ebenso ist aber anerkannt, daß neben betriebswirtschaftlichen Fragen auch juristischen, volkswirtschaftlichen, soziologischen, sozialpsychologischen, sozialpolitikwissenschaftlichen,

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historischen, ethnologischen Problemen - um nur diese hier zu nennen und herauszuheben - ein hoher Stellenwert zukommt. Über die betriebswirtschaftlichen Fragestellungen wurde durch vorgelegte Arbeiten und durch Diskussionen inzwischen entschieden, daß - entgegen einer früheren Lehrmeinung (Henzler 1957) - eine besondere "Betriebswirtschaftslehre der Kooperative" zweckmäßig ist und ein Verzicht auf eine solche Teildisziplin oder Disziplin nicht länger gerechtfertigt werden kann (vgl. Dülfer, Hahn, Wagner). Nicht zu Ende gedacht wurde hingegen bislang die Frage, welcher Stellenwert einem stilbezogenen Sinn- oder Widmungs-Ansatz neben einem - zumindest primär - leistungsbezogenen organisatorischen oder Form-Ansatz in der betriebswirtschaftlich orientierten Genossenschaftslehre zukommt. Verfasser neigt (in Übereinstimmung mit Weisser, Draheim, Blümle, Schwarz sowie Thiemeyer) der erstgenannten Position zu. Er vertritt eine morphologisch-typologische Erkenntnisposition anstelle einer eher funktional-genetisch bestimmten Forschungseinstellung (Henzler 1957, Dülfer 1984, Hahn 1981), ohne die Berücksichtigungsmöglichkeit morphologisch-typologischer Aspekte beim heute leistungsbezogenen Ansatz der Organisationslehren zu verkennen. Auch für die volkswirtschaftlichen und insbesondere für die historischen Forschungen innerhalb dieser neuen Disziplin wünscht sich Verfasser die zentrale Einbeziehung morphologischer und typologischer Erkenntnisaspekte und Verfahren. Nach seiner Ansicht läßt sich eine Kooperationswissenschaft auf geschichtlicher Basis entwickeln, die Geschehenes von theoretischen Aspekten aus - seien es betriebswirtschaftlich-einzelwirtschaftliche oder seien es politisch-ökonomisch gesamtwirtschaftliche - analysiert, wobei dieser Ansatz jedoch als "Korrektiv für primär systembezogene Forschungen" (W. J. Mommsen) gedacht sein kann. Eine geschichtswissenschaftlich orientierte Genossenschaftslehre dieser Art versucht - mit anderen Worten - mittels morphologischer und typologischer Ansätze und Erkenntnismittel Forschungsziele der Sinn- und Wirkungsanalyse zugleich zu erfüllen. Sie bringt Merkmale und Merkmalsbeziehungen der Trägerschafts-, Sinngebilde-(Utopien-), Einzelziel-und Mittel(Maßnahmen)ebenen mit solchen des Verhaltens und der absichtlich oder unabsichtlich erreichten Effekte in unmittelbare Verbindung. Ihre Hauptfragestellungen betreffen erstens einen Utopie-Konzeptions-Ansatz als Ausgangspunkt der genossenschaftlichen Ideen- bzw. Mentalitätsgeschichte, zweitens einen Mitglieder-Lebenslage-Ansatz als Fundament der genossenschaftlichen Realgeschichte, drittens einen Entstehungs-Entwicklungs-Ansatz als Hauptgegenstand der genossenschaftlichen Realgeschichte, schließlich viertens einen Aspekte-Dogmen-Ansatz als Hauptgegenstand der genossenschaftlichen Lehrgeschichte. Im einzelnen können sowohl für die betriebswirtschaftlichen als auch für die volkswirtschaftlichen und ebenso für die historischen Kooperationsforschungen zahlreiche Merkmale und Merkmalsrelationen sechs verschiedener Arten interessieren. Dabei handelt es sich um subjektive Sinneigenschaften insbesondere der Träger des Handelns, objektive Umstände der Lebenslagen aller aktiv oder passiv am Handeln Beteiligten, institutionelle Sinnfestlegungen des Handelns in Rechtsnormen und anderen Konstanten,

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das tatsächliche Verhalten der aktiv oder passiv Beteiligten selbst, zuletzt die Verhaltensauswirkungen gewollt oder ungewollt eingetretener Art (vgl. Engelhardt 1973,1985,1988,1989). Literatur: Aereboe, F.: Allgemeine landwirtschaftliche Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., Berlin 1923 Albert, H.: Marktsoziologie und Entscheidungslogik, Neuwied/Rh. und Berlin 1967 Albert, H. (Hrsg.): Theorie und Realität, 2.veränderte Aufl., Tübingen 1972 Albrecht, G.: Die soziale Funktion des Genossenschaftswesens, Berlin 1965 Amann, A.: Lebenslage und Sozialarbeit, Berlin 1983 Amann, A.: Soziologie und Genossenschaft, in: Patera, M. (Hrsg.), Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986, S. 441-511 Back, J.M. Genossenschaftsgeschichte, in: Handwörterbuch der Betriebswirtschaftslehre, 3. neu bearbeitete Auflage, 1958, Sp 2191-2210 Badelt, Chr.: Sozioökonomie der Selbstorganisation, Frankfurt/M. und New York 1980 Bader, K.S.: Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde, Weimar 1962 Bänsch, A.: Operationalisierung des Unternehmenszieles Mitgliederförderung, Göttingen 1983 Behrendt, R.F.: Der Mensch im Lichte der Soziologie, 2. Aufl., Stuttgart 1963 Bergmann, Th.: Funktionen und Wirkungsgrenzen von Produktionsgenossenschaften in Entwicklungsländern, Frankfurt/M. 1967 Bloch, E.: Das Prinzip Hoffnung, Gesamtausgabe Band 5, Frankfurt/M., 1959 Blümle, E.B./Schwarz, P.: Die Genossenschaft als kooperativ-bedarfswirtschaftlicher Organisationstyp, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Band 27, 1977, S. 306-315 Blümle, E.B.: Probleme der Effizienzmessung bei Genossenschaften, Tübingen 1976 Boettcher, E.: Kooperation und Demokratie in der Wirtschaft, Tübingen 1974 Boettcher, E. (Hrsg.), Genossenschaften im Systemvergleich, Tübingen 1976 Bonus, H.: The Cooperative Association as a Business Enterprise: A Study in the Economics of Transactions, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Vol. 142, 1986, S. 310-339 Bonus, H.: Die Genossenschaft als modernes Unternehmenskonzept, Münster 1987 Boulding, K : Die neuen Leitbilder, Düsseldorf 1958 Boulding, K.: Economics as a Moral Science, in: American Economic Review, Vol. XIX, 1969, S. 1-12 Brentano, L. von: Die christlich-soziale Bewegung in England, 2. verbesserte Aufl., Leipzig 1883 Buber, M.: Pfade in Utopia, Heidelberg 1950 Cholaj, H./Siwek, T.: Das genossenschaftliche Eigentum im sozialistischen Staat, dargestellt am Beispiel des polnischen Genossenschaftswesens, in: Boettcher, E. (Hrsg.): Genossenschaften im Systemvergleich, Tübingen 1976, S. 1-37 Cole, G.D.H.: Ein Jahrhundert englische Genossenschaftsbewegung, Hamburg 1950 Drewermann, E.: Tiefenpsychologie und Exegese, Band I, Die Wahrheit der Formen, 4. Aufl., Ölten und Freiburg/Br. 1987 Draheim, G.: Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, 2. Aufl., Göttingen 1955 Draheim, G.: Zur Ökonomisierung der Genossenschaften, Göttingen 1967

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1. Kapitel:

Die Genossenschaftsidee

65

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1. Kapitel:

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1. Kapitel:

Die Genossenschaftsidee

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1. Kapitel:

Die

Genossenschaftsidee

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1. Kapitel:

Die Genossenschaftsidee

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2.

Die Merkmale von Genossenschaften

2.1.

Kooperative Merkmale

2.1.1.

Genossenschaftliche Grundwerte Juhani Laurinkari / Johann Brazda

A. Genossenschaftliche Grundprinzipien In der Moralphilosophie werden Werte als ein System von Aussagen bezeichnet, das sich in bestimmter Weise (normativ) auf menschliches Verhalten bezieht. Ein Komplex von Wertvorstellungen wird allgemein als Ideologie bezeichnet, als ein Orientierungsrahmen praktischen Handelns. Eine Wertanalyse kooperativen Handelns müßte demnach in eine umfangreiche Ideologieanalyse eingebettet sein. In diesem Beitrag über die Grundwerte der Genossenschaft ist das Ziel bescheidener. Es soll versucht werden, jene Werte herauszuanalysieren, die man seit 150 Jahren in Genossenschaften zu verwirklichen sucht und die entweder direkt oder indirekt in einem genossenschaftlichen Prinzip (vgl. Amann 1986, S. 448 ff.) zum Ausdruck kommen. Werte entsprechen der Endzielorientiertheit menschlichen Handelns. Ideologisch sind Werte Vorgaben für faires und erstrebenswertes bzw. "ideales" Handeln. Es stellt sich für uns also die Frage, welche Werte im genossenschaftlichen Handeln intendiert sind, oder anders ausgedrückt, welche Ideale eine Genossenschaft auszeichnet. Es gibt in der Genossenschaftswissenschaft eine große Tradition: die Diskussion über das "Wesen" der Genossenschaft. Allgemein läßt sich die kooperative Form der Genossenschaft auf ein Prinzip reduzieren: Sie ist eine Strategie, die der Befreiung aus Abhängigkeiten sachlich-materieller, sozialer und politischer Art dient und die kollektives Handeln erfordert. Die von so vielen Genossenschaftswissenschaftern definierten "Wesensprinzipien" von Genossenschaften wie Solidarität, Demokratie, Identität, Selbstverwaltung etc. sind historische je konkret sich ausformende Bedingungen in der Realisierung dieses Prinzips. Es bedarf einer spezifischen Konstellation der politischen und rechtlichen Situation, eines ökonomischen und produktiven Entwicklungsstandes und des persönlichen Bewußtseins der Betroffenen, damit es zur Entwicklung und Ausweitimg des Genossenschaftswesens kommt. Die Ziele und damit auch die Werte des genossenschaftlichen Handelns sind indirekt in den genossenschaftlichen Grundprinzipien (Programmen) enthalten. Diese Prinzipien waren stets einem heftigen und konstruktiven Diskurs ausgesetzt. Sie sind hinterfragt, geändert und teilweise verworfen worden. Allgemein spricht man von Raiffeisen-, Rochdaler und generellen Prinzipien

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

71

(vgl. Dülfer 1984, S. 122ff.). Die zuletzt vom Internationalen Genossenschaftsbund im Jahre 1966 in Wien festgelegten Prinzipien lauten wie folgt: 1. Offene Mitgliedschaft auf freiwilliger Basis, die jederzeit freien Ein- und Austritt gewährt, damit aber gleichzeitig fixiert, daß das Kapital in den Genossenschaften veränderlich ist. 2. Demokratische Verwaltung, d.h. eine Stimme für jedes Mitglied, Männer wie Frauen gleich, egal wieviele Anteile ein Mitglied gekennzeichnet hat; das Mehrheitsprinzip entscheidet in der Abstimmung. 3. Beschränkung der Kapitalverzinsung, da Ablehnung des Profitstrebens. Nicht die Dividende ist das angestrebte Ziel, Gewinnstreben ist dem Förderungszweck untergeordnet. Kapital ist zwar nicht unentbehrlich, hat aber keine beherrschende Stellung. 4. Rückvergütung nach Maßgabe des Geschäftsverkehrs im Verhältnis zum Warenbezug. 5. Förderung des genossenschaftlichen Fortbildungswesens: Erziehung zum Gemeinsinn. 6. Zusammenarbeit der Genossenschaften auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene. Auch diese schriftliche Vereinbarung über die Grundprinzipien des Genossenschaftswesens war in den letzten Jahren Kritik ausgesetzt (vgl. Laidlaw 1980; Ramaekers 1983). Zur Zeit erarbeitet der Internationale Genossenschaftsbund eine Studie über die zukünftigen Herausforderungen des Genossenschaftswesens in bezug auf diese Grundprinzipien. Beim Genossenschaftskongreß in Tokio (1992) soll aufgrund dieses Berichtes über die Aktualität der Prinzipien diskutiert werden (vgl. Book, 1990, S. 79f.). Es stellt sich die Frage, ob diese Prinzipien nur praktikable Vereinbarungen zwischen den großen Genossenschaftsorganisationen auf internationaler Ebene sind oder ob sie auf einer nachweisbaren Sozialphilosophie basieren. Eine derartige Problemstellung setzt eine wertphilosophische Analyse der bestehenden kooperativen Ideologien voraus. Gibt es eine Sozialphilosophie der Genossenschaften? B. Die Gerechtigkeitstheorie von Rawls Ausgangspunkt unserer Überlegung ist die erste Tugend aller sozialer Institutionen: eine Vorstellung über Gerechtigkeit (vgl. Rawls 1979, S. 19). Sie ist eine unbedingte Voraussetzung, um die sozialen Grundprobleme der Effizienz, der Koordination und der Stabilität jeder Sozietät zu lösen (vgl. Rawls 1979, S. 22). Unter den wichtigen Institutionen werden dabei die Verfassung und die wichtigsten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse verstanden. Nach Rawls beinhalten funktionierende und wohlabgestimmte Regeln einer Sozietät stets eine allgemein akzeptierte Gerechtigkeitsvorstellung. Diese

72

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

ermöglicht die Zuweisung von Rechten und Pflichten in den grundlegenden Institutionen der Gesellschaft und legt die richtige Verteilung der Vorteile und der Lasten der gesellschaftlichen Zusammenarbeit fest. Einerseits wird zwar jeder bei seiner Geburt in eine bestimmte Position in einer bestimmten Gesellschaft hineingestellt, die seine Lebenschancen entscheidend beeinflußt, andererseits beinhaltet aber eine Sozietät, die den Grundsätzen der Gerechtigkeit als Fairneß entspricht, Werte, denen freie und gleiche Menschen unter fairen Bedingungen zustimmen würden. In diesem Sinne sind die von den Mitgliedern anerkannten Pflichten selbst auferlegt. Die Gerechtigkeitsvorstellung wird von drei dominanten Faktoren getragen: Solidarität, Freiheit und Gleichberechtigung. Sie sind die Säulen jeder Vereinbarung zwischen freien Menschen. Wir wollen im folgenden versuchen, die genossenschaftlichen Prinzipien aus dem Blickwinkel dieser Teilfaktoren zu analysieren. C. Der Grundsatz der Solidarität Rawls möchte sich mit seiner Vorstellung von Gerechtigkeit vor allem von jenen Sozialphilosophien abgrenzen, für die Gerechtigkeit kein Wert an sich darstellt. Beispielsweise werden im Utilitarismus Gerechtigkeitsvorstellungen nur eine untergeordnete Bedeutung als abgeleitete Regeln zugewiesen, die sich daraus ergeben, daß durch deren Befolgung größerer gesellschaftlicher Nutzen entsteht (vgl. Rawls 1979, S. 46). Die Gerechtigkeit steht demnach nach Rawls auf einer höheren Wertebene als beispielsweise wirtschaftliche Effizienz oder Wohlstandssteigerung. Sie ist allgemein formuliert wichtiger als das Maximierungsstreben im rationalen Sinn. Daraus kann man für die Kooperation ableiten, daß wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Menschen und solidarisches Verhalten wichtiger sind, als das Streben nach Nutzenmaximierung und nach dem eigenen Vorteil. Unter Solidarität wird dabei Gemeinschaftsbewußtsein und gemeinsame Handlungsorientierung verstanden. Als Wert formuliert kann man Solidarität als eine Form der gegenseitigen Hilfeleistung bezeichnen. Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfeleistung (Solidarität) sind die wichtigsten Wertprinzipien der Kooperation. Von den oben angeführten Genossenschaftsprinzipien sind vor allem die beiden letzten Prinzipien (fortgesetzte Erziehung und Ausbildung sowie Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen der Kooperation) und zum Teil das vierte Prinzip (Rückvergütung des Überschusses nach Maßgabe der Beteiligung) mit solidarischem Verhalten verbunden. Das Prinzip, den Überschuß am Jahresende nach Maßgabe der Beteiligung zu verteilen, verhindert, daß Mitglieder sich persönliche Vorteile auf Kosten

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

73

der anderen verschaffen. Es wird aber dadurch auch niemand bevorzugt, da die Rückvergütungen von den einzelnen Mitgliedern selbst bestimmt werden. Das Prinzip der Erziehung und Ausbildung beinhaltet die Bereitschaft, Mitverantwortung für Mitmenschen zu tragen. Die Genossenschaften sind beispielsweise in den Entwicklungsländern bemüht, das Bildungsniveau der Bevölkerung durch Schulungs- und Beratungsaktivitäten zu verbessern. Beratung und Aufklärung waren von Anfang an eng mit dem genossenschaftlichen Prinzip verbunden, können aber auch in Indoktrination (offizialisierte Genossenschaften) ausarten. Der Grundsatz der Zusammenarbeit bestimmt auch die Verbundstruktur der Genossenschaften. Primärgenossenschaften und Zentralgenossenschaften organisieren sich nach dem Grundsatz der Subsidiarität. Diese Zusammenarbeit auf lokaler, nationaler und auch internationaler Ebene ist von großer Bedeutung und trägt vor allem zu einem internationalen solidarischen Verhalten bei. D. Der Grundsatz der Freiheit Die Gerechtigkeitstheorie Rawls postuliert die Freiheit als Regulativ der Gerechtigkeit. In der Genossenschaft finden wir dieses Regulativ im Prinzip der offenen Mitgliedschaft., d.h. in der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft, der keine Hindernisse in den Weg gelegt werden darf. Rasse, Religion, gesellschaftliche oder politische Position dürfen keine Schranken für den Zugang zur Genossenschaft bilden. Eine Genossenschaft ist also "freie Zusammenarbeit unter freien Menschen". Wesentlich für diese Freiheit ist auch, daß der Beitritt zur Genossenschaft kein (großes) Kapital erfordert. Vermögen ist mit anderen Worten keine Voraussetzimg für genossenschaftliches Handeln wie es beispielsweise in Kapitalgesellschaften der Fall ist. Im Gegenteil, gerade durch die Zusammenarbeit möchte man auch finanzielle Abhängigkeiten gemeinsam überwinden. E. Der Grundsatz der Gleichberechtigung Aus sozialpolitischer Sicht ist der Grundsatz der Gleichberechtigung oder die Chancengleichheit innerhalb der Gesellschaft am wichtigsten. Wie ist aber dieser Grundsatz mit der Gerechtigkeitsvorstellung in Verbindung zu bringen? Nach Aristoteles ist die Gerechtigkeit direkt mit der Gleichberechtigung verbunden. Die Gerechtigkeit wird von ihm in eine sogenannte distributive und eine korrektive Gerechtigkeit unterteilt. Die distributive Gerechtigkeit (1) ist für die Verteilung von Vor- und Nachteilen - Nutzen und Lasten innerhalb einer Gesellschaft relevant. Die korrektive Gerechtigkeit (2) tritt bei den Rechtsverhältnissen zwischen den Bürgern zutage. Aristoteles ordnet der distributiven Gerechtigkeit den Grundsatz einer relativen Gleichberech-

74

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

tigung und der korrektiven Gerechtigkeit den Grundsatz einer absoluten Gleichberechtigung zu. Für das genossenschaftliche Prinzip ist daraus folgendes ableitbar. Die Prinzipien der demokratischen Verwaltung und der beschränkten Kapitalverzinsung kann man als korrektive Gerechtigkeit und damit auch als absolute Gleichberechtigung charakterisieren. Alle Mitglieder einer Genossenschaft haben grundsätzlich in der Verwaltung ihrer Genossenschaft die gleichen Rechte. Jedes Mitglied hat in der Regel unabhängig von seinem Kapitaleinsatz eine Stimme. Diese absolute Gleichberechtigung der Mitglieder ist eines der wichtigsten Charakteristika der wirtschaftlichen Tätigkeit der Genossenschaft als Personengemeinschaft (vgl. Aksnes 1982; Bager 1984; Rokholt 1985). Dieses Prinzip der demokratischen Verwaltung ist in letzter Zeit kritisch auf seine Praxisrelevanz überprüft worden, obwohl es eines der wichtigsten Prinzipien der Genossenschaft auf theoretischer Ebene darstellt. Zeigt sich hier ein erster Trend, daß die genossenschaftliche Praxis sich ihre eigenen Prinzipien schaffen und mit der Tradition brechen möchte? Der Grundsatz der absoluten Gleichberechtigung ist auch indirekt im Prinzip der offenen Mitgliedschaft vorhanden. Aus der Sicht der Mitglieder besteht eine absolute wirtschaftliche Gleichberechtigung in den Genossenschaften durch das Prinzip der begrenzten Kapitalverzinsung. Man kann sich ohne große Kapitalausstattung an der wirtschaftlichen Tätigkeit einer Genossenschaft beteiligen. Das Kapital steht bei der Genossenschaft prinzipiell nicht im Vordergrund. Zwar wird für das Genossenschaftskapital eine sogenannte angemessene Vergütung bezahlt. Deren Bedeutung ist aber in der Praxis sehr gering, da das Eigenkapital der Genossenschaften in der Regel sehr niedrig ist. Die Genossenschaft ist also grundsätzlich keine Kapitalgesellschaft. Der Grundsatz der absoluten Gleichberechtigung gilt für die Genossenschaften in vielen romanischen und skandinavischen Ländern auch in ihrer Funktion als Wirtschaftsunternehmen und unterstreicht damit deren sozialpolitische Zielsetzungen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder hängt nicht von der jeweiligen Kapitalausstattung ab, sondern vom sozialen Aspekt der Genossenschaft als Personengemeinschaft. Der Grundsatz der relativen Gleichberechtigung bzw. der distributiven Gerechtigkeit findet sich in den Prinzipien der begrenzten Kapitalverzinsung und der Verteilung des Überschusses nach Maßgabe der Beteiligung. Es überlappen sich hier einige Prinzipien; oben wurde bereits die Verteilung des Überschusses und die Beschränkung der Kapitalverzinsung mit der absoluten Gleichberechtigung verbunden. Grundsätzlich sind aber sowohl die Beschränkung der Kapitalverzinsung als auch die Verteilung des Überschusses der relativen Gleichberechtigung im Sinne der distributiven Gerechtigkeit zuzuordnen.

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

75

In der genossenschaftlichen Zusammenarbeit funktioniert die relative Gleichberechtigung und damit die distributive Gerechtigkeit nicht rein mechanistisch, sie basiert in der Genossenschaft auf dem solidarischen Verhalten. Das kommt vor allem im dualen Charakter der Genossenschaft zum Ausdruck. Obwohl sie als Wirtschaftsunternehmen agiert, ist sie gleichzeitig eine Personengemeinschaft mit sozialen Aspekten. Noch mehr als mit der Beschränkung der genossenschaftlichen Kapitalverzinsimg ist der Grundsatz der relativen Gleichberechtigung mit dem Prinzip der Verteilung des Überschusses verbunden. Der von der Genossenschaft erwirtschaftete Ertrag kommt primär den Mitgliedern nach Maßgabe deren Beteiligung zugute. Ein Mitglied, welches die Waren- und Dienstleistungen seiner Genossenschaft in hohem Ausmaß in Anspruch nimmt, bekommt auch eine hohe Rückvergütung. Dieses Prinzip wird aber in der Praxis nicht mehr in seiner ursprünglichen Form verwirklicht, da in der Regel der Überschuß zur Eigenfinanzierung der Genossenschaft verwendet wird. Hier kommt aber wieder das Prinzip der Solidarität zum Tragen. F. Die Prinzipien im Lichte gegenwärtiger genossenschaftlicher Geschäftspolitik Eine Wertanalyse des genossenschaftlichen Prinzips aus der Sicht der Sozialphilosophie Rawls wirft kaum Probleme auf. Wie wir oben aber bereits festgestellt haben, ist deren praktische Umsetzung mit zahlreichen Problemen und Widerständen verbunden. Es gibt zunächst eine Vielfalt an realen Kooperationsformen. Prinzipien, die für Verbrauchergenossenschaften gelten, müssen nicht unbedingt auch auf Produktivgenossenschaften zutreffen. Die Zielsetzungen und die eingesetzten Instrumente der Genossenschaften sind in der Realität sehr heterogen, und das genossenschaftliche Prinzip selbst hat sich unter neuen Rahmenbedingungen stark verändert. In der Genossenschaftswissenschaft wird bereits des öfteren die Meinung vertreten, daß der duale Charakter der Genossenschaft (Wirtschaftsunternehmen und Personengemeinschaft) in der Praxis kaum mehr verwirklichbar ist. Die Genossenschaften agieren heute wie alle anderen Unternehmungen am Markt, und ihre Geschäftspolitiken haben sich längst an die ihrer Konkurrenzunternehmen angepaßt. Allerdings ist diese Entwicklung länderweise sehr spezifisch (vgl. Münkner 1985, S. llOff.). Das Grundproblem aus praktischer Sicht liegt also darin, herauszufinden, mit welchen Werten und Prinzipien die bestehenden Organisationsstrukturen der Genossenschaften verbunden sind, und ob die Genossenschaften funktionell bei ihren Zielsetzungen und Mitteleinsätzen Wertvorstellungen zu verwirklichen suchen. Dülfer hat vorgeschlagen, die Vielfalt der Genossenschaftsformen mit einer Systemanalyse der Kooperation zu erfassen. Er definiert die Kooperation als

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2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

ökonomisches, zielgerichtetes, offenes und sozio-technisches System vor (vgl. Dülfer 1984, S. 36). Dieser Ansatz versucht analytisch die Vielfalt der Wertvorstellungen im Hinblick auf die Beeinflussung des individuellen Entscheidungsverhaltens im System Kooperation zu erfassen. Wesentlich ist dabei, daß die Kooperation nicht gleichzeitig und gleichwertig eine soziale und ökonomische Organisation sein kann, sondern daß ein permanenter trade-off vorhanden ist. Dadurch wird aber auch klar, daß es nicht eine optimale Struktur der Genossenschaft gibt, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten in Abhängigkeit von internen und externen Einflüssen. Die sozialphilosophische Analyse der genossenschaftlichen Werte hat uns gezeigt, daß die Genossenschaft primär in ihren Zielsetzungen aus der Sicht einer Gerechtigkeitsvorstellung mit sozialpolitischen Elementen verbunden ist. Die empirische Analyse des Istzustandes der Organisation und des Wandels der Kooperation belegt aber, daß die Genossenschaften in einem ebenso großen Ausmaß Elemente eines Wirtschaftsunternehmens beinhalten. Das eigentliche Problem liegt also in der Frage, welche Zielsetzungen in der heutigen Zeit mehr im Vordergrund stehen: ökonomische oder sozialpolitische, oder anders ausgedrückt, welche Funktion dominanter ist, die als Unternehmung oder die als eine auf Zusammenarbeit basierende Selbsthilfeorganisation. In ihren gegenwärtigen Realtypen tendieren die Genossenschaften immer mehr zu gewinnorientierten Unternehmungen. Sie agieren wie alle anderen Unternehmungen auf Märkten und haben sich diesen Konkurrenzverhältnissen angepaßt. In den Marktwirtschaften verdrängt die Genossenschaft unvermeidlich ihre ideellen Zielsetzungen. Um die Prinzipien der Kooperation aufrecht zu erhalten, müßten sich die Genossenschaften von einer Konkurrenz abschirmen und in einem geschützten Sektor agieren. Solche Rahmenbedingungen existieren aber überwiegend nicht (mit Ausnahme der Wohnbaugenossenschaften in einigen Ländern), und die Genossenschaften können sie sich auch nicht selbst schaffen. Die Genossenschaften sind gezwungen, Marktstrategien wie alle anderen Wirtschaftseinheiten oder Unternehmungen zu verfolgen. Einer großen Genossenschaft bleibt aus ökonomischer Sicht gar nichts anderes übrig, als sich nach betriebswirtschaftlichen Erfordernissen zu organisieren und mit den anderen Unternehmungen in Konkurrenz zu treten. Ihr Wesen als Personalgemeinschaft bleibt dann oft nur mehr im Firmennamen erhalten. Der Doppelcharakter der Genossenschaften wird zur Utopie. Zusammenfassend kann man feststellen, daß das bestimmende Prinzip in der Genossenschaft heute ihr Konkurrenzverhalten am Markt ist. In Gesellschaften mit offener Geldwirtschaft sind alternative Strategien kaum noch Uberlebensstrategien für die Genossenschaften. In Finnland hat sich beispielsweise die Genossenschaftsbewegung in den letzten Jahren offen dazu deklariert, sich in Zukunft nach dem Konkurrenzprinzip zu organisieren.

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

77

Fußnoten: (1) verbunden mit den erbrachten Leistungen der einzelnen Mitglider der Gesellschaft (2) als vorgegebene Norm oder festgelegtes Gesetz

Literatur: Aksnes, K : Medlemsdeltakelse i landbrukskooperative organisasjoner. Former for deltakelse - grader av deltakelse. in: Als,J. & Mogelhoj.B. (Hrsg.): Landbrugskooperationen i Norden. Medlemsaktivitet - medlemsinflydelse, Esbjerg 1982 Amann, A.: Soziologie und Genossenschaft, in:Patera, M. (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986, S. 441-511 Bager, T.: Landbrugskooperationen i Landbruget, in Rokholt, P./Bager, T./Michelsen J./Laurinkari, J. (Hrsg.): Landbrugskoperationens särprag, Landbrugskooperationen i Norden/Arbejdsrapport 2., Esbjerg 1984 Boettcher, E.: Die Idee des Genossenschaftswesens und dessen ordnungs- und gesellschaftspolitischer Standort, in: Boettcher, E. (Hrsg.): Die Genossenschaft im Wettbewerb der Idee. XI Internationale Genossenschaftswissenschaftliche Tagung in Münster 1985, Tübingen 1985 Book, S. A.: Co-operative Values, Principles and Identity before the Turn of the Century, in: Review of International Co-operation 4/1989, S. 79ff. Brazda, J.: Genossenschaftswissenschaft als Gestaltungsaufgabe, Wien 1988 Craig, J.G.: Philosophy, Principles and Ideologies of Cooperatives, Saskatoon 1980 Dülfer, E.: Betriebswirtschaftslehre der Kooperative. Kommunikation und Entscheidungsbildung in Genossenschaften und vergleichbaren Organisationen, Göttingen 1984 Laidlaw, A. F.: Cooperation in the Year 2000, London 1980 Münkner, H.-H.: Selbstverständnis und Rechtsverfassung von Genossenschaftsorganisationen in EG-Partnerstaaten, in: Boettcher, E. (Hrsg.): Die Genossenschaft im Wettbewerb der Idee. XI. Internationale Genossenschaftswissenschaftliche Tagung in Münster 1985, Tübingen 1985 Ramaekers, R.: Kritische Analyse der Genossenschaftsprinzipien. Annalen der Gemeinwirtschaft, Heft 4 Rawls, J. A.: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt 1979 Rokholt, P.-O.: Kooperativt särpräg - en idealmodelltilnärmning, in Bager T. (Hrsg.): Landbrugskooperationen i Norden. Särpräg - tilpassning, Esbjerg 1985 Weber, W., Brazda, J.: Die Genossenschaftsprinzipien aus einer evolutionstheoretischen Sicht, in: Laurinkari, J. (Hrsg.): Die Prinzipien des Genossenschaftswesens in der Gegenwart. Festschrift für Prof. Dr. Vesa Laakkonen, Nürnberg 1986, S. 202-209

2. Kapitel: Die Merkmale

78

2.1.2.

von

Genossenschaften

Die Genossenschaft als Zusammenschluß v o n Wirtschaftssubjekten und als Gemeinschaftsbetrieb Ernst-Bernd

Blümle

Mit dem Begriff"Geiiossenschaft" werden zahlreiche Organisationsformen belegt. Die schweizerische Eidgenossenschaft, Schülergenossenschaften in Afrika (coopératives scolaires), Raiffeisenbanken, gewerbliche Einkaufsverbände usw. tragen diesen Namen. Bei der Vielfalt der Erscheinungsformen kooperativer Tätigkeit vermag die Morphologie und Typologie eine Übersicht zu vermitteln. Engelhardt ( 1) unterscheidet nach den Aspekten der Kooperation sform in: -

Genossenschaften im Rechtssinne (wie z.B. die "eG" nach § 1 GenG oder öffentlich-rechtliche Genossenschaften in Körperschaftsform); - Genossenschaften im wirtschaftlichen Sinne in den verschiedensten Rechtsformen (neben personalgesellschaftlichen auch kapitalgesellschaftliche bis hin zur "GmbH & Co KG" und "AG"); - genossenschaftsähnliche Formen der Kooperation (wie "Sparvereine" als Vorläufer von Konsumgenossenschaften, Rationalisierungskartelle als Ausprägungen zwischenbetrieblicher Kooperation, neue elastische Zwischenformen zum erwerbswirtschaftlichen Unternehmen); - genossenschaftsunähnliche Formen der Kooperation (z.B. Kooperation bei der Trägerschaft in erwerbswirtschaftlichen AGs, "Teambildung" und andere Formen innerbetrieblicher Kooperation, Preiskartelle, "Syndikate"). Weitere zur Typenbildung geeignete Merkmale sind in der Mission, in den Zielen dieser kooperativen Gebilde zu sehen. Engelhardt spricht von den Widmungsinhalten der Genossenschaften und unterscheidet in -

gemein wirtschaftliche bzw. gemeinnützige, gruppenwirtschaftliche, stiftungswirtschaftliche, erwerbs- und verwaltungswirtschaftliche

Genossenschaften. Da in den europäischen Ländern der Gesetzgeber primär dieses Rechtskleid für die Förderungsgenossenschaften konzipiert haben dürfte, bleiben die anderen Formen in den weiteren Ausführungen ausgeklammert. Bei der Vielfalt der Erscheinungsformen und der großen Streuung hinsichtlich der Betriebsgrößen drängt sich eine weitere Differenzierung der Förderungsgenossenschaften auf. Unter diesem Aspekt ist die von Dülfer (2) konzipierte Differenzierung in

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

79

- Traditionelle Genossenschaften (oder Genossenschaftsbetriebe), - in Marktgenossenschaften (oder Genossenschaftsunternehmungen) - und Integrierte Genossenschaften (oder Genossenschaftsverbund- Unternehmen) zu sehen. Diese Differenzierung basiert einerseits auf Entwicklungsstufen kooperativer Zusammenarbeit, stellt andererseits aber auch auf wirtschaftlichen und soziologischen Zustandsbefunden ab. A. Zusammenschluß von Wirtschaft ssubj ekten Genossenschaftsgründimg ist Ausdruck des Willens zu kollektiver Selbsthilfe. Wirtschaftliche und/oder soziale Umweltbedingungen werden als Notsituation, als Bedrohung erlebt und lösen ein Zusammenschließen, eine Zusammenarbeit der gleich oder ähnlich Betroffenen aus. Das Schlagwort "Genossenschaftsgründungen sind Kinder der Not" weist auf diese Ursache-Wirkungsbeziehung hin. Das wesentliche Merkmal des Zusammenschlusses von Wirtschaftssubjekten, also von juristischen und natürlichen Personen, ist darin zu sehen, daß sich dieser in demokratischer Struktur vollzieht. Der personale Bezug sowie die Regelung des Stimmrechtes (1 Mitglied 1 Stimme) prägen formal die Struktur dieses sozialen Systems. Diese Art der Kooperation erfolgt auf freiwilliger Basis. Die Wirtschaftssubjekte können als Ergebnis autonomer Entscheidimg in eine Genossenschaft eintreten, Mitglied bleiben und austreten. Aufgrund der Struktur der Organisationsverfassung bedingt die Mitgliedschaft folgende Rollen: 1) Das Mitglied stellt finanzielle Mittel bereit. Durch Zahlung der Geschäftsanteile, durch Übernahme der Haftung wie durch Nichtverteilung des Gewinns an die Mitglieder (Reservenbildung) übernimmt das Mitglied die Rolle des "Financiers". 2) Das Mitglied ist - als Folge des aktiven und passiven Wahlrechtes - Entscheidungsträger. Durch Übernahme von Ämtern in der Genossenschaft (z.B. Aufsichtsrat) wie durch Ausüben seiner Mitgliedschaftsrechte an der General- oder Delegiertenversammlung stehen dem Mitglied Gestaltungs-, Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten zu. 3) Das Mitglied stellt Informationen, Know-how und Zeit zur Verfügung. Partizipation in und für die Genossenschaft ist mit Zeitaufwand und Kosten verbunden. Durch das Einbringen von Ideen, Beschwerden, Informationen und Know-how der Mitglieder wird das Wissenspotential gestärkt. 4) Das Mitglied ist Benutzer, Kunde der Leistungen. Durch die Transaktionen von Gütern und Dienstleistungen (im Beschaffungs- und Absatzbereich) sind die Mitglieder Lieferanten bzw. Kunden der Genossenschaften. Im Ausmaß der effektiven Kooperation (Frequenzgrad), d.h. wieviele der

80

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

möglichen Leistungen der Genossenschaft werden effektiv genutzt und in welchem Verhältnis werden Leistungen nicht-genossenschaftlicher Betriebe in Anspruch genommen, zeigt diese Rollenstruktur aber auch den Grad genossenschaftlicher Solidarität. 5) Das Mitglied vollzieht Beschlüsse, erfüllt Normen. Die Normenbeschlüsse (z.B. Qualitätsnormen für Produkte in der Landwirtschaft, Gestaltung der Verkaufsfront etc.) werden durch die Mitglieder erfüllt bzw. vollzogen. Wirtschaftssubjekte sind in Betriebe der Eigenbedarfsdeckung (Haushalte) und Betriebe der Fremdbedarfsdeckung zu unterscheiden (Übersicht 1). ÜBERSICHT 1: BETRIEBSARTEN DER BEDARFSDECKUNG BETRIEBE

Betriebe der Fremdbedarfsdeckung

Betriebe der Eigenbedarfsdeckung

privatwirt- gemischt öffentlichschaftlich wirtschaftl.

private Haushalte

abgeleitete Haushalte (Vereine im Freizeit-, kulturellen, sozialen, religiösen Bereich etc.)

öffentliche Haushalte

ursprüngliche Haushalte (Groß-, Kleinfamilie, Einzelpersonen-Haushalte

Private Haushalte haben sich in für sie zentralen Existenzbereichen genossenschaftlich organisiert. Die für ihre Lebenshaltung relevanten Ausgaben sollten gesenkt bzw. die Leistimg verbessert werden (Übersicht 2).

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

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Übersicht 2: Kooperationsfelder der privaten Haushalte Beschaffung von Verbrauchs- und Gebrauchsgütern Beschaffung von Wohnraum Beschaffung von Dienstleistungen

Konsumgenossenschaften Wohnungsbaugenossenschaften Versicherungs- und Bankgenossenschaften Genossenschaften im Freizeitbereich Schulgenossenschaften Gesundheitsgenossenschaften

Die Kooperationsneigung der privaten Haushalte ist umso größer, je geringer ihr verfügbares Einkommen ist. Für sie spür- und sichtbar ist die Förderungswirkung in ihrem Haushaltsbudget. Sogenannte abgeleitete Haushalte stellen Organisationsformen dar, in denen die Haushalte ihre Interessen und Werte einbringen, wie Sportvereine, andere Vereine im Freizeitbereich, Selbsthilfegruppen und soziale Verbände. Auch religiöse, kulturelle und politische Gruppen können sich als abgeleitete Haushalte in Genossenschaften zusammenschließen. Die öffentlichen, kollektiven Haushalte (Spitäler, Heime etc.) sind auf kooperativer Basis verstärkt in der Lage, ihre Effizienz zu steigern. Öffentliche Haushalte können sich in Kooperation mit ähnlichen Betriebstypen der Privatwirtschaft (z.B. Restaurants, Großhaushalte) zusammenschließen oder eigene Kooperationen bilden. Betriebe der Fremdbedarfsdeckung, Unternehmen, lassen sich hinsichtlich ihrer Trägerschaft in privat-, gemischtwirtschaftliche und öffentliche Betriebe unterscheiden. Sie agieren im primären Sektor (Land-, Forstwirtschaft, Fischwirtschaft, Extraktion), im sekundären Sektor (Industrie, Gewerbe) wie im tertiären Sektor (Handel, Verkehr, Tourismus, Banken, Versicherungen, Kommunikation und die freien Berufe). Diese Genossenschaften können nach den Hauptobjekten in Warengenossenschaften (Landwirtschaft, Gewerbe, Handel), in Kreditgenossenschaften, in Versicherungs- und weitere Dienstleistungsgenossenschaften differenziert werden. Die meisten Genossenschaften erfüllen nicht nur einen Zweck (z.B. gemeinsame Beschaffung von Produkten), sondern bieten ihren Mitgliedern ein breites Waren- und Dienstleistungssortiment an. Die Kooperation als Ausdruck und Konkretisierung von Selbsthilfe auf kollektiver Basis hat vor allem Klein- und Mittelbetriebe angezogen. Ihre Wettbewerbsposition auf dem Markt, ihr menschliches Fähigkeitspotential und damit deren Führungs- und Steuerungskapazitäten konnten durch kooperative Transaktions- und Lernprozesse gesteigert werden. Die kollektive Erfüllung bestimmter betrieblicher Funktionen wie Beschaffung, Lagerung, Marketing, Finanzierung und Rechnungswesen usw. soll Kosten-, Ertragsund Potentialsteigerungseffekte auslösen.

82

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Die Bereitschaft von Unternehmen zur Kooperation ist unterschiedlich ausgeprägt. Große Unternehmen sind eher bereit zur Kooperation als kleine und mittlere. Das Verhalten der Mineralölindustrie auf den Märkten, der gemeinsame Einkauf von Warenhäusern auf internationaler Basis illustrieren die Einsicht der Führungskräfte in den Wert der Kooperation. Bei den Entscheidungsträgern von Klein- und Mittelbetrieben hingegen bremst Autonomiestreben, der Drang nach Unabhängigkeit, eher die Bereitschaft zu kollektiver Zusammenarbeit. Die immateriellen Kosten werden eher höher bewertet als die ökonomischen Beiträge. Die Aussage kontrastiert zwar mit dem Faktum, daß vor allem Klein- und Mittelbetriebe der Landwirtschaft, des Gewerbes und des Handels sehr stark genossenschaftlich organisiert sind. Die quantitative Bedeutung darf allerdings nicht den Schluß zulassen, daß die Chancen der Kooperation intensiv ausgeschöpft wurden. Innovative Formen, neue Bewegungen und Selbsthilfe sind in Europa nicht in Sicht; eine ähnliche Bewegung kollektiver Selbsthilfe wie vor der Jahrhundertwende ist nicht festzustellen. In internationaler Übersicht (3) lassen sich folgende Fakten festhalten: -

Der Internationale Genossenschaftsbund (IGB) stellte im Jahre 1980 fest, daß weltweit an die dreiviertel Millionen Organisationen 355 Millionen Mitglieder aufweisen, d.h. jeder zwölfte Mensch Mitglied einer Genossenschaft ist.

TAB.l: BEVÖLKERUNG UND GENOSSENSCHAFTSMITGLIEDER Mitgl. 1980 1960/1961 Bev. Anteil Mitgl. Anteil Bev. Anteil Mitgl. Anteil Zuwachs Rel. (Mill.) in % (Mill.) in % (Mill.) in % (Mill.) in % 1960/81

Afrika 275 Amerika 414 Asien 1683 Europa 639 (einschl.UdSSR) Ozeanien 16

9,1 13,7 55,6 21,1

0,5 26,3 53,2 93,7

0,3 15,1 30,5 53,8

459 615 2558 751

10,4 14,0 58,1 17,0

0,5

0,6

0,3

23

0,5

5,0 66,0 114,9 165,3 4,1

1,4 18,6 32,3 46,5

10,4 2,5 2,2 1,8

1,1

6,8

2. Kapitel: Die Merkmale

-

von

83

Genossenschaften

Aufschlußreich ist ferner, wie stark - außer in Europa - in den letzten Jahren das Genossenschaftswesen expandierte.

TAB .2: BEVÖLKERUNGS- UND MITGLIEDEREXPANSION 1961/1980 Relation 1980/1961 in der Zahl der Bevölkerung der Mitglieder Afrika Amerika Asien Europa Ozeanien

-

Relation der beiden Zuwachsraten

10,0 2,5 2,2 1,8 6,8

1,7 1,5 1,5 1,2 1,4

1 1 1 1 1

: : : : :

5,9 1,7 1,5 1,5 4,9

Die Entwicklung nach Kooperationstyp zeigt vor allem eine beachtliche Zunahme in der Landwirtschaft.

TAB.3: ORGANISATIONEN UND MITGLIEDER NACH ZWEIGEN 1980 1961 Organisationen Mitglieder Organisationen Mitglieder abs Prozent abs Prozent abs Prozent abs Prozent (Mill.) (Mill.) Landwirtschaft 104.499 Kreditwesen 306.277 Konsumgen. 45.713 Baugen. 16.305 Fischerei 8.692 Industriellgewerblich 53.073 Sonstige 3.257 533.816

18,8 57,4 8,6 3,1 1,6

24,9 51,0 79,2 3,4 1,4

14,3 29,3 45,4 2,0 0,8

269.611 244.822 63.100 67.573 18.004

36,3 33,0 8,5 9,1 2,4

65,4 119,7 133,7 12,6 2,4

18,4 33,7 37,6 3,5 0,7

9,9 0,6

4,2 10,2

2,4 5,9

45.860 32.797

6,2 4,4

5,9 15,4

1,7 4,3

174,3

741.767

355,1

B. Der Gemeinschaftsbetrieb Aktivitätsorientierte wie formalisierte Kooperationen bedürfen eines Betriebes, der die Beschlüsse ausführt, kooperatives Handeln sichert. Die Organisation des kooperativen Willensbildungsprozesses wie dessen Vollzug erfordert eine Infrastruktur und entsprechende Potentiale (Personen, Räume, finanzielle Mittel).

84

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

In der Gründungsphase der Kooperative wurden diese Aufgaben ehrenund nebenamtlich durch einzelne Organisationsmitglieder erfüllt, auch um Investitionen und Kosten zu senken. Mit Wachstum und Entwicklung der Genossenschaften wurde die Belastung für die "Nebenamtlichen" zu groß, auch erforderte die Führung dieser Gebilde besondere Fähigkeitspotentiale. Die Führung wurde vom "Nebenamtlichen" auf den hauptamtlichen Verwalter übertragen. Im Verlaufe des Wachstums, vor allem auch durch die Konzentration durch Fusionen, etablierte sich ein Kooperationsmanagement (Direktor, Generaldirektor). Größe der Kooperation, Zwang zu raschen Entscheidungen, Apathie der Mitglieder, Informationsvorsprung der Leitung, Defizit im Bereich der Zielerreichungskontrolle haben die Dominanz dieser Organe verursacht. Faktisch hat sich tendenziell die Struktur genossenschaftlicher Demokratie in eine Hierarchie gewandelt. Mitgliederdominanz und Managerdominanz bilden ein Kontinuum von einem Gemeinschaftsbetrieb, der die Beschlüsse der Kooperationsmitglieder ausführt bis hin zum Gemeinschaftsbetrieb, der faktisch autonom entscheidet, als "Unternehmung" agiert.

Gemeinschaftsbetrieb als reines Vollzugsorgan

Gemeinschaftsbetrieb als autonome Unternehmung

Neben der wachstumsbedingten Veränderung der Rolle des Gemeinschaftsbetriebes als kooperatives Handlungszentrum hat sich durch den genossenschaftlichen Überbau, durch das Entstehen von Sekundär- und Tertiärgenossenschaften, eine weitere Variante von Gemeinschaftsbetrieben herausgebildet. Durch Kooperation verschiedener genossenschaftlicher Gemeinschaftsbetriebe auf regionaler oder fachlicher Basis entstanden weitere abgeleitete Gemeinschaftsbetriebe, die sog. Genossenschaftsverbände bzw. -Verbundbetriebe. In diesem genossenschaftlichen Oberbau (Sekundär- und Tertiärgenossenschaften) bestehen unterschiedliche Rechtsformen; einzelne Gebilde sind das

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

85

Ergebnis freiwilligen Zusammenschlusses, andere - wie die Prüfungsverbände in Deutschland und Österreich - Zwangsverbande, bei denen der Beitritt kraft gesetzlichen Zwanges erfolgt. Aus ihrer Mission sollten sie die Primärgenossenschaften bei der Erfüllung des Förderungsauftrages unterstützen. Doch auch im Beziehungsnetz hat sich im Verlaufe der Entwicklung zwischen Primär- und Sekundärgenossenschaften eine hierarchieähnliche Beziehung herausgebildet, die sich u.a. auch darin zeigt, daß in den Gremien dieses genossenschaftlichen Oberbaus in der Regel hauptamtliche Manager, und nicht mehr Mitglieder der Primärgenossenschaften vertreten sind. Fußnoten: (1) Vgl. Werner Wilhelm Engelhardt, Typologie der Genossenschaften und anderer Kooperationen, in: WISU Nr. 1/1987, S. 29ff. (2) Vgl. Eberhard Dülfer, Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984. (3) Nach Angaben von Erwin Weissei, Die wirtschaftliche Bedeutung der Genossenschaften in Österreich, in: Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens (Hrsg. M. Patera), Wien 1986, S. 260 f.

86

2.1.3.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

Der Förderungsauftrag der Genossenschaften Oswald Hahn

Die Diskussion des Förderungsauftrages beginnt mit einer Herausarbeitung seines Wesens (A.). Dort werden abschließend anhand der drei genossenschaftlichen Stiltypen drei unterschiedliche Erscheinungsformen des Förderungsauftrages herausgearbeitet, die sodann im Detail Gegenstand der folgenden drei Abschnitte sind. Dem Abschluß der Betrachtungen bildet die Frage nach der Messung des Förderungsauftrages (E.). A. Das Wesen des Förderungsauftrags Die Bedeutung der öffentlichen Diskussion des Förderungsauftrags nimmt mit dessen abnehmender Verwirklichung in der Realität überproportional zu. Dies zeigt sich am deutlichsten bei einem zeithistorischen Vergleich der letzten 80 Jahre einerseits und grenzüberschreitenden Gegenüberstellungen andererseits. Entscheidend dürfte allerdings in jedem Fall die Interpretation dessen sein, was man unter Förderungsauftrag versteht. Der Förderungsauftrag leitet sich aus der Unternehmensphilosophie einer Förderungsgenossenschaft ab (1.). Er konkretisiert sich als Produktion von Förderungspotential (2.) und hat im Zeitverlauf-je nach Genossenschaftstyp - eine unterschiedliche Ausprägung erfahren (3.). 1. Der Förderungsauftrag als unternehmerisches Leitbild Die Unternehmensphilosophie kann als Kern der Unternehmens-oder Organisationskultur gelten: Einem System von Leitmaximen, Verhaltensweisen und Ritualen des organisatorischen Gebildes. Beschränkt auf Unternehmungen lassen sich entsprechend den vier Unternehmenstypen unterschiedliche Philosophien entwickeln: die der klassischen Eigentümerunternehmimg, der Managerunternehmung, der Produktiv- und der Förderungsgenossenschaft. Die Untemehmensphilosophie der Förderungsgenossenschaft äußert sich in der Gestaltung des Förderungsauftrages. Diesen Begriff leiten auch Ökonomen regelmäßig aus den Normen des Genossenschaftsgesetzes ab als Verpflichtung der Genossenschaften zur wirtschaftlichen "Förderung" der Mitglieder. Auf die Definition des Begriffs "Förderung" wird jedoch weitgehend verzichtet. Diese läßt sich aus der Sicht der Genossenschaft interpretieren als das Bemühen, das Interesse des Mitglieds vor das des Genossenschaftsbetriebes zu stellen. Ziel der Genossenschaft ist nicht die Maximierung des Überschußes generell, sondern die Verschaffung von Vorteilen für die Mitglieder (Otmar Jahn). Die Grenzen des Förderungsauftrages ergeben sich allein aus der Überlebensfahigkeit der Genossenschaft, wobei hierüber unterschiedliche Vorstellungen existieren: Sie reichen von der reinen Kostendeckung des Genossenschaftsbetriebes bis hin

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

87

zur Erwirtschaftung eines Mindestgewinns zur Existenzsicherung, die sich als Ergebnis des betriebstyp-neutralen "Sicherungsziels" äußert. Aus der Sicht des Mitgliedes besteht der Förderungsauftrag der Genossenschaft darin, ihm eine Besserstellung (Pareto-Kriterium) im Vergleich zu einem Wirtschaften ohne Genossenschaft zu verschaffen (Manfred Neumann). 2. Die "Produktion von Förderungsauftrags

Förderungspotential"

als Inhalt

des

Abstrakt läßt sich der Förderungsauftrag mit Heinz Lampert umschreiben als "Produktion von Förderungspotential", das sich unter den verschiedenen Kriterien klassifizieren läßt. Lampert entwickelt fünf Formen (S. 346 f.): Informations-und Bildungsleistungen, "Economies of Scale" (Skaleneffekte: Kostenvorteile), Verbesserung der Marktsituation und Innovationen. Neutral formuliert kann man die Förderungspotentiale alternativ oder verbunden in Vorteile preislicher, qualitativer oder quantitativer Art gruppieren. Die konkreten Erscheinungsformen leiten sich aus den Produkten ab, die von der Genossenschaft den Mitgliedern angeboten werden (Sachziel): Werkstoffe, Betriebsmittel, Kapitalien, Information und ideelle Werte. 3. Stiltypen und Förderungsauftrag Eberhard Dülfer unterscheidet drei Typen von Förderungsgenossenschaften, die wir ihrerseits durch unterschiedliche Förderungsaufträge charakterisieren können (Betriebswirtschaftslehre, S. 89 ff): -

Die "traditionelle" oder "organwirtschaftliche" Genossenschaft wird dadurch charakterisiert, daß sie ein reines Exekutivorgan der Mitglieder ist: Diese steuern die Aktivitäten der Genossenschaft. Der traditionelle Betriebstyp kann als charakteristisch gelten für Wirtschaftssysteme oder Regionen oder Sektoren mit Mangelerscheinungen, die zu beseitigen Anlaß für die Genossenschaftsgründung ist und die auch den Förderungsauftrag prägt (B.).

-

Die "Marktgenossenschaft" ist demgegenüber typisch für wirtschaftlich entwickelte Regionen, in der sich der Organbetrieb zu einer Marktunternehmimg entwickelt. Es entsteht dabei der typische betriebliche Dualismus im allgemeinen (Interessenskonflikt zwischen Eigentümer und Management) und im besonderen bei der Genossenschaft (Georg Draheim: Interessenskonflikt zwischen Personenvereinigung und Gemeinschaftsbetrieb). Bei diesem Typus operieren Mitglieder und Genossenschaft unabhängig voneinander. Hier ist der klassische Förderungsauftrag weggefallen (C.).

-

Die "integrierte" Genossenschaft entsteht schließlich aus der Marktgenossenschaft, wenn angesichts einer Verschärfung des Wettbewerbs der Mitgliederbetrieb immer mehr Funktionen auf die Genossenschaft überträgt, so daß sich Mitglied und Genossenschaft zu einem konzernähnlichen Gebilde

88

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

verbinden. Nicht die Mitglieder steuern die Genossenschaft, sondern die Genossenschaft steuert die Mitglieder "aufgrund der freiwilligen Akzeptanz mit entsprechendem Rückkoppelungseffekt" (Dülfer, S. 97). Diese Verbindung unterscheidet sich vom Konzern (wie auch von Franchise) allerdings dadurch, daß die Mitglieder an der Entscheidung der Spitze beteiligt sind. Bei dieser Genossenschaft hat sich der klassische Förderungsauftrag ausgeweitet (D.).

B. Organwirtschaftliche Genossenschaft und klassischer Förderungsauftrag Die organwirtschafüiche oder traditionelle Förderungsgenossenschaft entsteht in einer Mangelsituation, in der sich die Gründungsmitglieder befinden (1.). Der Förderungsauftrag ist auf eine Beseitigung der Mangelsituation für die Mitglieder ausgerichtet (2.). Die wirtschaftliche Entwicklung führt jedoch dazu, daß auch erwerbswirtschaftliche Unternehmungen diesen Bedarf zu decken versuchen und mit der Genossenschaft konkurrieren, womit deren ursprünglicher Förderungsauftrag endet (3.).

1. Die Mangelsituation als Gründungsanlaß für Genossenschaften Jede Genossenschaft wird aus einer Mangelsituation der Mitglieder heraus gegründet, die sich in dreierlei äußert: Es gibt erstens niemand, der einen bestimmten Bedarf der Mitglieder deckt. Falls sich doch Anbieter auftun, so verlangen diese - zweitens - einen sehr hohen Preis. Sofern es gelingt, einen Niedrigpreis-Anbieter zu finden, so bietet dieser - drittens - eine schlechte Qualität an. Diese Situation läßt sich am Beispiel aller Genossenschaftstypen aufzeigen: Kreditgenossenschaften: Seitens der vorhandenen Banken Zurückweisung von Kreditanträgen bestimmter Kreise, hohe Zinsforderungen oder - falls Angebote vorliegen - ungünstiger Standort. Konsumgenossenschaften: Kein Zugang der ärmeren Bevölkerungsschichten zu den Einzelhandelsgeschäften. Falls dies doch möglich ist, so stehen als Hindernis hohe Preise im Raum. Ausnahmsweise vorhandene NiedrigstpreisAngebote sind mit schlechter Warenqualität verbunden. Wohnungsgenossenschaften: Wohnungsmangel und hohe Mieten, als Alternative stehen allenfalls schlechte Behausungen zu erträglichen Preisen zur Verfügung. Warengenossenschaften: Keine Beschaffungs- oder Absatzmöglichkeiten für Kleinstbetriebe. Ungünstige Preise für Produkte, fehlende Qualität bei Beschaffung und Absatz. Diese drei Sachverhalte des Mangels können jeweils kombiniert oder einzeln auftreten.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

89

2. Beseitigung der Mangelsituation als Förderungsauftrag Durch Zusammenschluß der von Mangelsituation betroffenen Personen in Wege der Selbsthilfe gelingt es, diese Mangellage für den betreffenden Personenkreis zu beseitigen. Der Förderungsauftrag der Kreditgenossenschaft besteht in einer Sammlung der Ersparnisse einerseits und deren Ausleihung andererseits, beides bezogen auf Mitglieder. Die Personengemeinschaft erlaubt eine persönliche Kreditwürdigkeitsprüfung und den Verzicht auf dingliche Sicherheiten, die Versorgung vor Ort und zu günstigen Konditionen bei minimalen Selbstkosten angesichts umfangreicher Eigenleistungen. Der Förderungsauftrag der Wohnungsgenossenschaft besteht in einer Verschaffung von Wohnraum oder der gemeinschaftlichen Erstellung von Eigenheimen vor Ort zu Selbstkosten, womit ebenfalls die Mangelsituation beseitigt wird. Konsum-und Einkaufsgenossenschaften ermöglichen einen Warenbezug zu günstigen Preisen und hoher Qualität angesichts der durch den Zusammenschluß der Mitglieder gegebenen besseren Marktstellung. Der Förderungsauftrag der Absatzgenossenschaften schließlich besteht darin, den Mitgliedern die Vermarktung abzunehmen und dabei günstige Verkaufspreise zu erzielen. 3. Die Beendigung des klassischen Förderungsauftrages Wirtschaftliche Entwicklung und gewachsener Wohlstand führen einerseits dazu, daß die bisher von der Genossenschaft geförderten Personenkreise für erwerbswirtschaftliche Unternehmen als Kunden interessant werden, wobei an der Wohlstandsentwicklung die Genossenschaften mitgewirkt haben. Jüngstes Beispiel ist die plötzliche Entdeckimg der Ökologie durch die etablierte Genossenschaftsbewegung, nachdem diese zuvor durch die alternative Genossenschaftsbewegung marktfähig gemacht worden war. Andererseits führt die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu einer Verstärkung der Konkurrenz, die sich auch um Mitglieder der Genossenschaft bemüht. Der bisherige Förderungsauftrag der Genossenschaft wird dadurch fragwürdig, da diese mit anderen Unternehmen in Konkurrenz treten müssen. Es bieten sich für die Genossenschaften drei Reaktionsmöglichkeiten an: Erstens die Entdeckimg neuer Förderungsbereiche. Das sind solche Leistungen, die von erwerbswirtschaftlichen Unternehmungen nicht oder nicht mehr (Marktlücken als Ergebnis von Rationalisierungsmaßnahmen) angeboten werden. Beispiele sind -

die Umwandlung einer Kreditgenossenschaft in eine Kapitalbeteiligungsgesellschaft zur Beseitigung des Eigenkapitalmangels oder aber die Aufgabe des gesamten Geschäfts zugunsten eines "Financial engineering",

-

die Errichtung von Einzelhandelsgeschäften in Gegenden, die von privaten Einzelhandelsunternehmen wegen fehlender Ertragskraft aufgegeben wurden,

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-

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

der Übergang einer Wohnungsvermietungsgenossenschaft zu einer Wohnungsbaugenossenschaft.

Diese erste Alternative verlangt den Genossenschaften einmal ein hohes Maß an Umstrukturierung ab und zum andern die Aufgabe ertragbringender Geschäfte. Dazu ist ein unternehmerisch eingestelltes Management nicht bereit; zu dem wird von den versorgten Mitgliedern ein solches Ansinnen nicht gestellt. Daher wird in aller Regel der zweite Weg begangen, nämlich der Übergang von der organwirtschaftlichen Genossenschaft zur Marktgenossenschaft (C.). Die dritte Alternative ist dann gegeben, wenn das bisherige Leistimgsangebot im Interesse einer Mitgliederförderung erweitert werden kann, muß oder soll: Hier vollzieht sich der Wandel von der traditionellen Genossenschaft zur integrierten Genossenschaft (D.), der allerdings auch auf dem Umweg über eine Marktgenossenschaft möglich ist. Die beiden letzten Alternativen fordern von der Genossenschaft eine Neuformulierung des Förderungsauftrages. C. Marktgenossenschaften und moderner Förderungsauftrag Die Marktgenossenschaft steht in Konkurrenz zu erwerbswirtschaftlichen Anbietern. Eine solche Situation macht die traditionelle Genossenschaftsunternehmung überflüssig. In dieser Lage befinden sich in Zentraleuropa und in weiten Teilen des übrigen Westeuropas alle Konsumgenossenschaften, die meisten landwirtschaftlichen Warengenossenschaften, nahezu alle Wohnungsgenossenschaften und - von dünn besiedelten Regionen einmal abgesehen - die Kreditgenossenschaften. Allein für die gewerblichen Warengenossenschaften außerhalb des Lebensmittelssektors kann die klassische Situation des Förderungsauftrages noch heute gelten. Für die Marktgenossenschaft stellt sich somit die Frage nach einer Neuformulierung des Förderangsauftrages. Die Problemlösung kann in einer Veränderung der Widmungsempfänger bestehen (1.), sie kann aber auch (als naheliegendste Ausweichmöglichkeit) das bisherige Mitglied als Kapitalanleger (2.) oder als Mitunternehmer (3.) ansprechen. Dabei ist eine Lösung durchaus in Kombinierung der Alternativen denkbar. 1. Die Änderung des Widmungsempfängers Es würde zu weit führen, hier vollständig werden zu wollen. Aus dem umfangreichen Katalog der Widmungsempfänger (Werner Engelhardt) seien drei Gruppen und damit "Orientierungen" für die Genossenschaft herausgegriffen, die alle nur einen "mittelbaren" Förderungsauftrag ermöglichen. Dieser bringt den Mitgliedern keine Förderleistung, sondern verlangt ihnen diese zunächst einmal ab.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

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-

Bei einer Management-Orientierung würde die Genossenschaft zu einem Instrument zur Schaffung selbständiger Existenzen werden. Die Mitglieder erhielten damit den Charakter von Mäzenen - nicht als Förderer von Kunst und Wissenschaft, sondern von selbständigen Unternehmern. Eine solche Chance bietet sich vor allem im Bankensektor, wo die Masse der Volks- und Raiffeisenbanken inzwischen bereits als moderene Bankiers angesehen wird. - Die Mitarbeiter-Orientierung läßt sich in vielfacher Motivierung realisieren. Ein Mäzenatentum der Mitglieder wäre bei starker Arbeitslosigkeit denkbar; partiell könnte eine solche Zielvorstellung bei der Unterbringung arbeitsloser Lehrstellen-Suchender praktiziert werden. Im Extremfall würde eine solche Ausrichtung letztlich zu einer "Mitarbeiter"-Unternehmung führen, die allerdings eine Umgründung von einer Förderungs- in eine Produktivgenossenschaft verlangt. Das dürfte jedoch analog zur Konzeption des jugoslawischen Modells einen Rückschritt bedeuten: Produktivgenossenschaften eignen sich nur für Neugründungen und sind dort bei entsprechenden Erfolg oft die Vorstufe zur Eigentümer-Unternehmung. - Eine gesamtwirtschaftliche Orientierung kann bereits in der Heranbildung selbständiger Existenzen gesehen werden. Hierunter rechnet jedoch vor allem die Aufgabe der Genossenschaft als Marktgegengewicht ("countervailing power"). Hier läßt sich erstmals von einem echten mittelbaren Förderungsauftrag sprechen: Mit ihrer Existenz verbessern Genossenschaften den Wettbewerb zugunsten ihrer Mitglieder und verschaffen ihnen dadurch Vorteile. Würden die Genossenschaften wegfallen, so könnte beispielsweise die Konkurrenz zu Preiserhöhungen schreiten, Produktqualität verringern oder aber bestimmte Standorte aufgeben. Es wird ersichtlich, daß eine Orientierung auf andere Widmungsempfänger - wenn überhaupt - nur dann die Mitglieder einer Genossenschaft anspricht, wenn sie mit anderen Förderungsleistungen verbunden wird. 2. Kapitalrendite als Förderungsauftrag Bisher bestand die Förderungsleistung der Genossenschaft für das Mitglied in der Verschaffung von Vorteilen im Waren-, Kredit- oder Dienstleistungsgeschäft der Genossenschaft. Die Kapitaleinlage des Mitglieds war dabei Mittel zum Zweck. Diese wird nun zum Selbstzweck: Das Waren-, Kredit- bzw. Dienstleistungsgeschäft ist Mittel zur Überschußerzielung, die dem Mitglied zugute kommt. Darin liegt nach unseren ursprünglichen Vorstellungen jedoch bereits eine Abkehr von einem eigentlichen Förderungsauftrag. Zur Anpreisung der Kapitalanlage und des damit auf Gewinnerzielung ausgerichteten Förderungsauftrags bieten sich zwei Wege an: -

Die Kapitaldividende als typischer Aktionsparameter der Kreditgenossenschaft. Sie weist allerdings drei wesentliche Nachteile aus Sicht der Genossenschaft auf. Erstens ist die Gewinnausschüttung von der Genossenschaft

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

zumindest theoretisch zu versteuern. Zweitens animiert diese Form die Mitglieder zu nichts: Die Dividende wird unabhängig von der Beteiligung des Mitglieds am Erfolg der Genossenschaft ausgeschüttet. Drittens kann der Anteil dann zu einem Spekulationspapier werden. So besteht bei Kreditgenossenschaften die Gefahr einer Umschichtung von Spareinlagen in Geschäftsguthaben mit der Folge eines Ertrag- und Dividendenrückgangs und daraus einer Austrittswelle. - Die Rückvergütung ist typischer Aktionsparameter der Waren- und Konsumgenossenschaften. Sie wird vom Gesetzgeber glücklicherweise, vom Schrifttum fälschlicherweise und von der Praxis ungeschickterweise als eine Art Bonus angesehen. Es ist aber dennoch faktisch eine Dividende. Erstens muß die Rückvergütimg gedanklich mit dem Geschäftsguthaben in Verbindung gebracht werden. Zum zweiten gilt die Ausschüttung für praktisch jeden Konsumenten nicht als Preisrückvergütung, sondern als zusätzliches Einkommen. Die "Rückvergütung" hat für die Genossenschaft zwei Vorteile: Sie ist einmal faktisch eine Betriebsausgabe und zum andern Anreiz fiir Umsatzausweitung. Gewährt man darüber hinaus die Warenrückvergütung nicht in bar, sondern in Form von Kaufgutscheinen, dann ergibt sich ein zusätzlicher Effekt: Man kann mit der gleichen Belastung für die Genossenschaft mehr ausschütten. 3. Mitunternehmer-Eigenschaft als Förderungsauftrag Wesentlich problemloser für die Genossenschaft als Ganzes ist demgegenüber das Ansprechen der Mitglieder als Mit-Unternehmer. -

Als einzige Unternehmensform bietet eine Genossenschaft ihren Mitglieder-Kunden aktive Teilnahme an der Gestaltung der Geschäftspolitik des Unternehmens an. Die Mitwirkungsmöglichkeiten sind durch die immer stärkere Verdrängung des Ehrenamtes und die Abschaffung der ursprünglichen Mitwirkungspflicht weitgehend weggefallen. Sie können aber ersetzt werden durch eine Aktivierung der Mitglieder. Dies setzt allerdings eine entsprechende Bereitschaft von Management und Aufsichtsrat voraus, auch mit unbequemen Partnern arbeiten zu wollen: die typische General- als Vertreterversammlung vieler Genossenschaften mit vorbereiteten Vorschlägen des Vorstands und offener (i.d.R. einstimmiger) Abstimmung ist dazu nicht geeignet. Mitunternehmertum fordert eine völlige Abkehr von diesen Fehlentwicklungen.

-

Die Erscheinungsformen des Mitunternehmers bestehen bei kleinen Genossenschaften in der Generalversammlung, bei großen, regelmäßig mit Filialen ausgestatteten Betrieben in der Vertreterversammlung. Die Wahlpraktiken müßten hierzu in vielen Fällen reformiert werden, was sicherlich vielen Vorständen unbequeme Situationen bereiten würde, insgesamt aber der Genossenschaft Vorteile verschaffte. Sodann läßt sich bei Großgenossenschaften der Vertreterversammlung das Instrument der Filial-Mitglie-

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

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derversammlung voranstellen. Auch das verlangt dem Management vielfach ein Umdenken ab. - Die Mitwirkungsmöglichkeiten des Mitgliedes dürfen jedoch nicht auf die entsprechenden Gremien wählen beschränkt sein. Ein echter Förderungsauftrag auf dieser Ebene verlangt darüber hinaus ein Mitwirkungsrecht im Wege der Kundenmitwirkung. Dies beginnt beim einfachen Beschwerdemanagement und reicht bis hin zur Beteiligung des Kunden-Mitgliedes an Entscheidungen über Gestaltung des Sortiments, des Warenbezuges, der Betriebszeiten und auch der Preise. Über die Mitwirkungsrechte können sich Vorteilsverschaffungen vollziehen, wie sie möglicherweise nicht einmal bei traditionellen Genossenschaften vorhanden sind. D. Der Förderungsauftrag der integrierten Genossenschaft Die integrierte Genossenschaft entsteht aus der orgaiiwirtschaftlichen oder marktwirtschaftlichen Genossenschaft durch Übertragung zusätzlicher Funktionen auf die Genossenschaft: Es fehlt den Mitgliedern das zur unabhängigen Leitung ihrer Betriebe erforderliche "Informationsniveau". Durch freiwillige Unterordnung der Mitglieder unter Beteiligung an der Bestellung der Führungsorgane erhält die Genossenschaft den Charakter eines FranchiseSystems, wie es vor allem bei Taxi-Genossenschaften und der Genossenschaften des Lebensmittel-Einzelhandels (Edeka, Rewe) realisiert ist. Der Förderungsauftrag besteht hier in der Wahrnehmung eines Franchise-Systems, was dem Mitglied eine doppelte Besserstellung verschafft: Einmal gegenüber der Situation ohne Franchise und zum andern im Vergleich zur erwerbswirtschaftlichen, auf Gewinnerzielung der Spitze ausgerichteten Systeme, da hier eine Erfolgsbeteiligung in der verschiedensten Form praktiziert wird. Darüber hinaus ist der Förderungsauftrag eines solchen Franchise-Systems auch darauf ausgerichtet, das Mitglied vor einer "Selbstausbeutung" zu bewahren: Die integrierte Genossenschaft versucht bei zu geringer Ertragskraft des Unternehmens den Inhaber (also das Mitglied) davon zu überzeugen, daß die Liquidation des Betriebes in seinem ureigensten Interesse liegt. Mit zum Förderungsauftrag gehört dabei, daß die Genossenschaft dem Mitglied bei der Liquidation behilflich ist. E. Zur Messung des Förderungsauftrages Dieses Problem stellt sich nur solchen Genossenschaften, die um ihr Selbstverständnis ringen, also in erster Linie den Marktgenossenschaften. Mitglieder von traditionellen und integrierten Genossenschaften brauchen solche Nachweise nicht, da sie sich selbst die Vorteile der Mitgliedschaft ständig vor Augen halten können. Bei Marktgenossenschaften wird die Messung des Förderungsauftrages und die Rechenschaftslegung demgegenüber zu einem Instrument der Öffentlichkeitsarbeit.

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2. Kapitel: Die Merkmale

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Genossenschaften

In diesem Zusammenhang ergeben sich für die Genossenschaft zwei Fragenkomplexe: Einmal das Problem der "Operationalisierung" des Förderungsauftrages (1.), zum andern die Frage nach der Erfolgsermittlung dieses Auftrages in Form von Förderungsbericht bzw. Förderungsbilanz (2.). 1. Die Problematik der Operationalisierung Neben der sehr abstrakt gehaltenen Formulierung des Förderungsauftrages gab es in den letzten Jahren verschiedene Versuche, diese in einem "Leitbild" unterzubringen und ihn damit zu konkretisieren, insbesondere für Kreditgenossenschaften. Genannt seien hier -

das "Leitbild der Raiffeisenkasse" (Rudolf Rasser-Institut, Wien 1982), Unternehmensleitbild der Genossenschaftsbank (BVR 1982) sowie Leitlinien der Unternehmenspolitik für Raiffeisenbanken (Raiffeisenverband Schleswig-Holstein und Hamburg, Kiel 1986).

Die Konkretisierung fehlt jedoch auch diesen Leitbildern. Die Möglichkeiten einer Operationalisierung liegen eigentlich nur in der Gewinnung entsprechender Kennziffern, mit Hilfe derer dann ein Soll-Ist-Vergleich stattfindet (Winfried Störrle). 2. Förderbericht und Förderbilanz Beide Bezeichnungen sind in den letzten fünfzehn Jahren entwickelt worden. Solange es aber keine echte Gegenüberstellung von Soll- und Ist-Werten gibt, erscheint die Bezeichnung "Förderbilanz" fehl am Platze. In Wirklichkeit handelt es sich bei der Förderbilanz (wie auch bei den meisten "Sozialbilanzen") um einen Förderungsbericht, der eine Zusammenstellung über die von der Genossenschaft erbrachten Leistungen innerhalb eines Zeitraumes gibt. In der Regel ist der Förderungsbericht im Jahresabschluß der Genossenschaft enthalten. Es gibt verschiedene literarische Versuche für solche Förderungsberichte, die eine Zusammenstellung aller von der Genossenschaft erbrachten Leistungen geben. Diesen fehlt allerdings ausnahmslos die konkrete Soll-IstGegenüberstellung und somit die Berechtigung zur Bezeichnung "Bilanz". Es bleibt zu befürchten, daß die bisherigen Versuche zwar den Mitarbeitern der Genossenschaft erhebliche zusätzliche Arbeit abverlangen, die umfangreichen Übersichten aber von den meisten Mitgliedern nicht im Detail zur Kenntnis genommen werden und somit den Charakter von Zahlenfriedhöfen erhalten. Literatur: Bänsch, Axel , Mitgliederförderung als Unternehmensstrategie, Göttingen 1983 Blümle, Ernst-Bernd, Probleme der Effizienzmessung bei Genossenschaften, Tübingen 1976

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

95

Boettcher, Erik (Hrsg.), Der Förderbericht in Kreditgenossenschaften, Tübingen 1982 Dülfer, Eberhard, Der Förderungsauftrag als Gegenstand von Geschäftsberichten und Pflichtprüfungen, Marburg 1982 Dülfer, Eberhard, Betriebswirtschaftslehre der Kooperative. Kommunikation und Entscheidungsbildung in Genossenschaften und vergleichbaren Organisationen, Göttingen 1984 Engelhardt, Werner Wilhelm, Allgemeine Ideengeschichten des Genossenschaftswesens. Einführung in die Genossenschafts-und Kooperationslehre auf geschichtlicher Basis, Darmstadt 1985 Hahn, Oswald, Die Unternehmensphilosophie einer Genossenschaftsbank, Tübingen 1980 Jahn, Otmar, Wesen, Inhalt und Bedeutung des genossenschaftlichen Förderungsprinzips. Bd. 7 der Veröffentlichtungen des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen 1969 Lampert, Heinz, Zur Zielfunktion von Genossenschaften in der wachsenden Wirtschaft, in: ZfgG 4/1972, S. 341-355 Neumann, Manfred, Kriterien für den Erfolg von Genossenschaften, in: ZfgG 1/1972, S. 1-14 Patera, Mario, Genossenschaftliche Förderbilanz, in: Ders. (Hrsg.), Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986, S. 515-556 Störrle, Winfried, Kennzahlensysteme als Führungsinstrument der Genossenschaftsbetriebe, in: ZfgG 3/1977, S. 240-249

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2.1.4.

2. Kapitel:

Die Merkmale

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Genossenschaften

Operationalisierungdes Förderungsauftrages Axel Bänsch

A. Zur Notwendigkeit der Operationalisierung des Förderungsauftrages Die rationale Gestaltung und Steuerung eines Unternehmens setzt ein operationales Ziel oder Zielsystem voraus. Denn nur Ziele, die hinsichtlich aller Elemente (Inhalt, Niveau, Zeitbezug und eventuell Priorität der Einzelziele) eindeutig verständlich und realisierbar gefaßt und aufgrund von Meßbarkeit kontrollierbar sind (1), repräsentieren die exakt definierten Bezugspunkte, an denen sich die Zieladäquanz von Entscheidungen erkennen und kontrollieren läßt. Genossenschaften stehen unter dem Auftrag, ihre Mitglieder zu fordern. Dieser genossenschaftliche Grundauftrag wurde durch die einschlägige Literatur (2) seit geraumer Zeit (Anfang der sechziger Jahre) als Leerformel und damit als nicht-operationales Ziel eingestuft. Dies war gleichbedeutend mit der Feststellung, daß den Genossenschaften definitive Gestaltungs- und Steuerungsmaximen, d.h. die eindeutigen Kriterien zur Beurteilung von Handlungsalternativen fehlen. Daraus wiederum erschien als Gefahr begründet, das Genossenschaftsmanagement könne über die Genossenschaft den Mitgliederintentionen zuwiderlaufende Eigeninteressen verfolgen. Denn schließlich könnten die Genossenschaftsmanager bei nicht-operationalem Zielauftrag für nahezu jede Unternehmenspolitik erklären, sie sei Förderungspolitik, ohne daß dies widerlegbar sei. B. Zur Problematik und Technik der Operationalisierung des Förderungsauftrages Kennzeichnend für den Vorgang einer Zieloperationalisierung ist, daß an die Stelle des nicht-operationalen Zieles Indikatoren gesetzt werden; d.h. in diesem Kontext: Substitution des Förderungsauftrages durch Indikatoren bzw. Übersetzung des Förderungsauftrages in Indikatoren. Kriterium für den Operationalisierungserfolg ist - neben der Operationalität, d.h. insbesondere der Meßbarkeit der Indikatoren - der erreichte Grad an Bedeutungsidentität zwischen den Indikatoren und dem zu repräsentierenden Basisziel, also hier zu den Intentionen, die die Mitglieder mit dem 'Förderungsauftrag' verbinden. Die Indikatoren stellen im Verhältnis zum Basisziel Unterziele dar. Als perfekt sind die Unterziele dann einzustufen, wenn sie im Verbund das Basisziel unverzerrt reflektieren und damit zu diesem konsistent sind. Die Schwierigkeit der Operationalisierung komplexer Zielintentionen liegt entsprechend darin, für sie zumindest so bedeutungsgleiche Indikatoren zu finden, daß eine bestmögliche Approximation des Sinngehaltes der Unterziele (Indikatoren) an den Sinngehalt des Basiszieles realisiert wird.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

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Um in dieser Beziehung ein möglichst ideales Operationalisierungsergebnis zu erreichen, wird in der Folge die Operationalisierung über zielgerichtete Genossenschaftsaxiome vollzogen.(3) Dabei werden keine frei formulierten Sätze als Axiome gewählt, vielmehr wird auf allgemein anerkannte Fundamentalsätze zur Genossenschaft zurückgegriffen. Diese Fundamentalsätze spiegeln die Zielintentionen der Mitglieder aller genossenschaftlichen Erscheinungsformen. C. Der Operationalisierungsansatz genossenschaftlicher Axiome

auf

Basis

zielgerichteter

1. Die Axiome Der vorzustellende Operationalisierungsansatz resultiert aus fünf zielgerichteten Axiomen. (I)

Selbsthilfe-Axiom: Die Genossenschaft ist als Selbsthilfe-Unternehmen zu führen. (II) Gleichbehandlungs-Axiom: Die Genossenschaft hat sich gegenüber ihren Mitgliedern in dem Sinne 'gerecht' zu verhalten, daß sie Gleiches gleich und Ungleiches dem Grade seiner Ungleichheit gemäß behandelt. (III) Umsatz-Axiom: Die Genossenschaft hat ihre Mitglieder über Leistungsbeziehungen zu deren Betriebswirtschaften zu fördern. (IV) Maximienmgs-Axiom: Die Genossenschaft hat die unter (III) bezeichnete Förderung in maximaler Höhe anzustreben. (V) Permanenz-Axiom: Die Genossenschaft hat ihren Förderungsauftrag als zeitlich unbegrenzt zu verstehen (Dauerauftrag). 2. Ableitung operationaler Teilziele aus den Axiomen Die fünf Axiome führen unter Berücksichtigung der zwischen ihnen existenten Zusammenhänge zu zwei Teilzielen. 1) Durch die Axiome III/V wird die Genossenschaft zu zeitlicher Permanenz in den Leistungsbeziehungen verpflichtet. Diese zeitliche Permanenz ist nur durch fortlaufende Sicherung und Erweiterung der genossenschaftlichen Förderungspotenz (4) realisierbar, und zwar gemäß Axiom II unter Wahrung des Gleichbehandlungsgebotes gegenüber den Mitgliedern und gemäß Axiom I unter autonomer Liquiditätssicherung. Die Erfüllung dieser Anforderungen bedingt in der Genossenschaft die Erwirtschaftung von Gewinnen. Folglich zeigt sich in der 'Erzielung von (bestimmte Ansprüche) satisfizierenden Gewinnen' ein von der Genossenschaft zu verfolgendes Teilziel. 2) Durch die Axiome III/IV ist die Genossenschaft gehalten, den Mitgliedern das jeweils mögliche Maximum an Zielerreichungsbeitrag über Leistungs-

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

beziehungen zu vermitteln. Da die Leistungsbeziehungen zu den Mitgliedern also Voraussetzung und Träger genossenschaftlicher Förderungse/jizienz (^tatsächlicher Förderung (5)) sind, erscheint der Auftrag zu maximaler Mitgliederförderung gemäß Axiom IV in der Aufforderung zur 'Maximierung der Leistungsbeziehungen zu den Mitgliedern' erfaßt. Dieses zweite von der Genossenschaft zu verfolgende Teilziel repräsentiert die konkrete Umsetzung des Förderungsauftrages, es veranlaßt die Realisierung maximaler genossenschaftlicher Förderungseffizienz. Damit wurden die zielgerichteten genossenschaftlichen Axiome in zwei Teilzielen verdichtet, die im Zusammenwirken zur Substitution des nichtoperationalen Basiszieles 'Mitgliederförderung' geeignet erscheinen. 3. Uberprüfung des Operationalisierungsansatzes an den Operationalitätskriterien Operationalität für das nicht-operationale Basisziel 'Mitgliederförderung' ist im Wege seiner Substitution durch die angeführten beiden Teilziele (=Unterziele) nur erreichbar, wenn sich die Unterziele per se operational fassen lassen und diese in der operationalen Fassung in vollständiger Komplementärrelation zum Basisziel stehen. Das heißt, die Unterziele müssen die definierten Operationalitätsanforderungen erfüllen und im Verbund die Intentionen der Genossenschaftsmitglieder widerspruchsfrei erfassen. a) Operationalität der Unterziele Wird dem Genossenschaftsmanagement vorgegeben, für welche Zwecke in welchem Ausmaß (u.a. für Sicherung und Wachstum der Genossenschaft, für Zinsäquivalente auf Kapitalbeteiligungen von Mitgliedern) Gewinne im Sinne von disponiblen Überschüssen zu erzielen sind, so ergibt sich für das Teilziel 1) mit 'Erzielung satisfizierender Gewinne' die operationale Fassung durch - fixe Angabe der satisfizierenden Gewinnhöhe oder - Angabe des Intervalls für die satisfizierende Gewinnhöhe. Die fixe Vorgabe des Zielniveaus ist für die Genossenschaft grundsätzlich möglich, da sich die von der Genossenschaft in einer Planperiode insgesamt zu realisierenden Gewinne in bestimmter Höhe als notwendig bzw. (aufgrund von Entscheidungen in der Genossenschaft) als plankonform beziffern lassen. Eine Intervallvorgabe zum Gewinn kann dann für die Genossenschaft in Betracht kommen, wenn sich für die zur Gewinnerzielung auffordernden Einzelzwecke unterschiedliche Dringlichkeit annehmen läßt und/oder bei Einzelzwecken auch eine Unterschreitung der als angemessen eingeplanten Gewinnhöhe tolerierbar ist.(6)

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

99

Das auf die Leistungsbeziehungen zu den Mitgliedern abstellende Teilziel 2) läßt sich als Auftrag zur 'Maximierung der Umsatzwerte mit den Mitgliedern (auf Basis der Genossenschaftspreise)' operational fassen. Denn Umsatzwerte stellen wie die Gewinne des Teilzieles a) quantitativ meßbare Größen dar, und die Kontrolle hinsichtlich der Erreichung des situativ möglichen Maximums ist unter Bezugnahme auf real vorliegende oder synthetisch gebildete Vergleichsgrößen durchführbar. Als reale Bezugsgrößen sind für die erzielten Umsatzziffern Vorjahresdaten der betreffenden Genossenschaft (innerbetrieblicher Vergleich) und/oder Umsatzziffern desselben Jahres von vergleichbaren Genossenschaften (zwischenbetrieblicher Vergleich) relevant. Als Ergänzung oder Ersatz für die real vorliegenden Vergleichswerte lassen sich Maßstäbe zur Beurteilung der in einer Periode erreichten Umsatzziffern bilden, indem man einerseits ex ante ermittelt, welches Umsatzniveau voraussichtlich erzielbar sein wird (Planumsatz), und andererseits ex post feststellt, welches Umsatzniveau bei jeweils situationsbezogen optimaler Entscheidung bestenfalls erzielbar gewesen wäre (Idealumsatz). b) Relation der operationalen Unterziele zum Basisziel 'Mitgliederförderung' In den vorgegebenen Grenzen realisierte Gewinne sind die Bedingimg für die Sicherung und Erweiterung genossenschaftlicher Förderungspotenz, die ihrerseits die Voraussetzung für Permanenz der Leistungsbeziehungen zwischen Genossenschaft und Mitgliedern bildet. Die darin dokumentierte Komplementarität zwischen dem Unterziel 1) 'Gewinnsatisfizierung' und dem Basisziel 'Mitgliederförderung' erlischt erst und nur bei Überschreitung des vorgegebenen Satisfaktionsniveaus, das heißt bei Erwirtschaftung von Gewinnen, die nicht durch genossenschaftsadäquate Ansprüche sanktioniert sind.(7) Mit dem Unterziel 2) wird für die maximale Ausschöpfung der Förderungspotenz, also Realisierung maximaler Förderungseffizienz, gesorgt. Denn bei angenommener Entscheidungsrationalität sowie de iure- und de facto-Entscheidungssouveränität der Mitglieder kann das Genossenschaftsmanagement nur dann zu maximalen Umsätzen mit den Mitgliedern kommen, wenn es den Mitgliedern maximale Förderung vermittelt. Nur bei Gewährung der - unter Beachtung des Teilzieles 1) - möglichen MaximalfÖrderung wird sich für die maximale Zahl von Mitgliedern der Nettovorteil (=Bruttovorteil minus individuell ermittelter Mitgliedschaftsaufwand(8) ergeben, der sie bei der Genossenschaft hält oder sie zur Genossenschaft führt. Jedes Mitglied wird seine eigenen Vorstellungen darüber entwickeln, welcher Aufwand ihm aus der Mitgliedschaft per se erwächst. Diese Vorstellun-

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

gen der einzelnen Mitglieder können sich im Zeit ablauf von Mitglied zu Mitglied unterschiedlich verändern (u.a. aufgrund von Schwankungen der Risikoeinschätzung zum Kapital- und eventuellen Haftungsengagement sowie des Zeiteinsatzes für genossenchaftliche Willensbildung). Die Genossenschaft(sleitung) wird zwar um die Existenz von Aufwandsrechnungen bei ihren Mitgliedern wissen, die in der schwankenden Vorstellung der einzelnen Mitglieder existente Aufwandshöhe aber prinzipiell nicht objektivieren können. Da nur die potentiellen Mitglieder zum Genossenschaftsbeitritt und nur die vorhandenen Mitglieder zum Verbleib in der Genossenschaft veranlaßt werden können, die für sich Nettovorteile zu ermitteln vermögen, ist für die Genossenschaft ein ständiger Zwang zu folgern, jederzeit möglichst große Leistungsvorsprünge vor der Konkurrenz herauszuarbeiten und anzubieten. Nur das Angebot der jederzeit maximalen möglichen Leistungsvorsprünge eröffnet der Genossenschaft maximale Umsätze mit vorhandenen und neu geworbenen Mitgliedern. Insofern korrespondiert die Umsatzmaximierung mit der Förderungsmaximierung, da nur bei maximaler Förderung maximale Umsätze eintreten werden. c) Verknüpfung der Teilziele Stehen Teilziele in konkurrierender Relation zueinander, so bedingt dies für die Operationalisierung eine eindeutige Prioritätsangabe (Einstufung der Einzelziele hinsichtlich ihrer Gewichtigkeit). Aufgrund der satisfizierenden Formulierung der Gewinnkomponente ergibt sich aus der Verbindung von Umsatz- und Gewinnkomponente im genossenschaftlichen Zielsystem allerdings keine Kompatibilitätsproblematik. Denn wie im Falle der Kombination eines Satisfizierungszieles mit einem Extremierungsziel die sachliche Wichtigkeit der Ziele zueinander auch beurteilt werden mag, die formale Entscheidungsregel stimmt überein: Zunächst sind über das Satisfizierungsziel die zulässigen Lösungen zu selektieren, um dann über das Extremierungsziel die optimale Alternative zu finden. 4. Ausblick Der operationalen Formulierung des genossenschaftlichen Zielauftrages ist sowohl in genossenschaftspraktischer als auch in genossenschaftstheoretischer Hinsicht erhebliche Bedeutung beizumessen. In genossenschaftspraktischer Hinsicht eröffnen sich berechtigte Aussichten, daß sich die vor allem von der genossenschaftlichen Konflikttheorie herausgestellte beträchtliche Konfliktneigung in den Beziehungen der Mitglieder zum Management durch Entstehen von Zielerfüllungstransparenz abbaut. Bei Mitgliedern gegebene Skepsis oder gar ausgeprägt vorhandenes

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

101

Mißtrauen resultieren wesentlich aus dem ohne Operationalisierung nicht meßbaren und damit nicht kontrollierbaren Förderungsauftrag. Zudem wird den Prüfungsverbänden, denen eine Überprüfung der Managementaktivitäten auf Zieladäquanz bisher nicht oder nur sehr unvollkommen möglich war, mit der Zieloperationalisierung eine fundierte Durchführung der Geschäftsführungsprüfung eröffnet. Für die Genossenschaftstheorie, speziell für die entscheidungstheoretisch orientierte Genossenschaftsbetriebslehre, ist die Operationalisierung der genossenschaftlichen Zielsetzung als ein wichtiger Anstoß zur Überwindung beobachtbarer Stagnationserscheinungen zu werten. Dieser Anstoß wird von den bisher (unvermeidlich) häufig nur mutmaßenden, unscharfen und damit gegen Falsifizierungen immunen Aussagen zu präzisen, nachprüfbaren Erkenntnissystemen auch in der Genossenschaftsbetriebslehre führen können. Denn mit einem operationalen Zielsystem ist der eindeutige Bezugspunkt zum Erkennen der Relevanz von Informationen, zur Problemwahrnehmung, zur Erarbeitung und Beurteilung von Lösungs alternativen und zur Ausübung von Kontrollen geschaffen. Fußnoten: (1) Nähere Erläuterungen zu den Operationalitätskriterien finden sich bei A. Bänsch, Operationalisierung des Unternehmenszieles Mitgliederförderung, Göttingen 1983, S. 13 ff. (2) Vgl. z.B. U. Leffson, Erfolgsanalyse und Prüfung der Genossenschaften, Karlsruhe 1966, S.6; J. Derfuß, Erfolgsermittlung bei gewerblichen und ländlichen Genossenschaften, Wiesbaden 1974, S. 75; E.-B. Blümle, Probleme der Efiizienzmessung bei Genossenschaften, Tübingen 1976, S.9 (3) Einen Überblick über Operationalisierungsansätze anderer Autoren, die allerdings die hier zugrunde gelegten Operationalitätskriterien nicht erfüllen, gibt H. Lipfert, Mitgliederförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, Göttingen 1986, S. 229 ff. (4)(5) Vgl. zu den Begriffen 'Förderungspotenz' und 'Förderungseffizienz' R. Henzler, Die Genossenschaft - eine fördernde Betriebswirtschaft, Essen 1957, S: 211. Nach Henzler bezeichnet Förderungspotenz "die Fähigkeit einer genossenschaftlichen Betriebswirtschaft ... eine andere ... Betriebswirtschaft zu fördern" und Förderungseffizienz "das tatsächliche Ausmaß der Förderung, die von einer Betriebswirtschaft in einer bestimmten Zeitspanne vollbracht wird". (6) Vgl. zu Einzelheiten A. Bänsch, Operationalisierung, a.a.O., S. 155 ff. (7) Vgl. zur Abgrenzung der genossenschaftsadäquaten Gewinne A. Bänsch, Operationalisierung, a.a.O., S. 60 ff. (8) Vgl. zum Aspekt 'Mitgliedschaftsaufwand' G. Ringle, Die Beitrittsentscheidung und deren Förderung unter Anreiz-Beitrags-Aspekten, Hamburg 1987, S. 14 ff.

102

2.1.5.

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Genossenschaftliche Identität bei sich ändernden Rahmenbedingungen Werner Grosskopf

In diesem Beitrag sollen die Grundlagen und der Wandel der Genossenschaften bzw. des genossenschaftlichen Selbstverständnisses dargestellt sowie Ansätze zur Stärkung der genossenschaftlichen Identität aufgezeigt werden. Die Betrachtung beschränkt sich dabei auf die in den westlichen Ländern verbreitetste genossenschaftliche Form, die Förderungsgenossenschaft. A. Begriff und Inhalt einer Genossenschaftsidentität Spricht man von der Identität einer Person, so meint man damit in aller Regel die Merkmale, "die in ihrer Summe diesen Menschen als einmaliges Subjekt von allen anderen unterscheiden" (Trux, W., 1985, S. 64). Je klarer diese Unterschiede ausfallen, desto klarer wird die Identität. In dem Begriff Identität kommt also Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit und auch der Aspekt der Übereinstimmung und Einheit zum Ausdruck. Dieser Begriff läßt sich auf Organisationen und Unternehmen übertragen. Auch ein Unternehmen kann eine einheitliche, unverwechselbare "Persönlichkeit" besitzen. Aufgrund der ihm zurechenbaren Merkmale kann es identifiziert werden und verliert dadurch seine Anonymität. Unter der Identität eines Unternehmens soll im folgenden "... die als Wesenseinheit erlebte, eigene, ihrer selbst bewußte Unternehmenspersönlichkeit..." verstanden werden, "... die sich durch eigenständige und unverwechselbare Merkmale definiert, die sie als solche nach außen und innen erkennbar machen" (Dahlhoff, D./Maeschig, M., 1981, S. 25). Die Unternehmensidentität als das manifestierte Selbstverständnis eines Unternehmens wird entscheidend durch die spezielle Zielsetzung des Unternehmenstyps geprägt. Aufgrund des augenscheinlichen Mittel-Zweck-Zusammenhangs ist die Frage der Zielsetzung eng mit dem Begriff des 'Wesens' eines Unternehmenstyps verbunden. Die Unternehmensidentität ist insofern maßgeblich geprägt durch die charakteristischen Wesensmerkmale dieser Einheit. B. Merkmale des wirtschaftlichen Genossenschaftsbegriffs 1. Zur Subjektivität und Dynamik wirtschaftswissenschaftlicher Begriffe Im Gegensatz zu den Juristen haben die Wirtschaftswissenschaftler die Freiheit der subjektiven Interpretation.

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Der Begriff der Genossenschaft kann daher unter dem subjektiven Einfluß des jeweiligen Wissenschaftlers oder der jeweiligen zeitgebundenen Umstände unterschiedlich abgegrenzt werden. Im Zentrum der Diskussion um den wirtschaftlichen Genossenschaftsbegriff steht der in § 1 GenG formulierte Förderungsauftrag, dem von der Genossenschaftstheorie im Hinblick auf die Zielsetzung der Genossenschaft zentrale Bedeutung eingeräumt wird. Die Frage nach der Zielsetzung ist dabei eng verbunden mit der Frage nach dem Wesen dieser Organisationsform. Eine Betrachtung des Wesens ist aber immer durch die subjektiven Einflüssen des Betrachters geprägt. Jenkis weist auf die Gefahr hin, daß bei der Betrachtung des 'Wesens' von Wirtschaftssubjekten wie der Genossenschaft lediglich "essentialistische Leerformeln" hervorgebracht werden (Jenkis, 1986, S. 31). Obwohl Definitionen und Werturteile als Elemente dieser Wesensaussagen vom wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus frei wählbar sind, erheben sie dennoch den Anspruch, eine 'absolute Wahrheit', eben eine 'Wesenswahrheit' zu beinhalten (Topitsch, 1970, S. 30). Behauptungen von absolut wahren Einsichten und Prinzipien, räumt Jenkis (1986, S. 33) ein, sind allerdings problematisch, "... weil damit die Gefahr der Dogmatisierung von theoretischen Konzeptionen (...) verbunden ist". Bei Aussagen, die nicht das Verhalten von Menschen oder Dingen erklären, sondern eine Erkenntnis des Sinnes oder Wesens vermitteln sollen, handelt es sich häufig um "Zirkelschlüsse, mit denen beliebige moralisch-politische Wertungen unterlegt werden" (Jenkis, 1986, S. 31). Ein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff wie der der 'Genossenschaft' ist also insofern als komplex zu bezeichnen, als er etwas beschreibt, was mehrere wichtige Merkmale aufweist und die Merkmalsausprägungen unscharf sind (Grossekettler, 1984, S. 60). Erschwerend kommt hinzu, daß die Merkmale und deren Ausprägungen Änderungen und subjektiven Einflüssen unterworfen sind. Für die Ausfüllung des Begriffes 'Genossenschaft' kann es daher keine objektiven Maßstäbe geben. "Jeder Interpret muß seine eigenen (subjektiven) Vorstellungen zum Ausdruck bringen, indem er das Wesen einer Genossenschaft definiert" (Jenkis, 1986, S. 119). Hierbei handelt es sich aber nur dann um ein rationales Verfahren, wenn die Prämissen offengelegt werden, d.h., wenn dabei ausdrücklich dargelegt wird, welche (subjektiven) Wertvorstellungen der Begriffsbestimmung zugrundeliegen. Auch für die Genossenschaft gilt, daß es "kaum eine objektive, sondern nur eine subjektive Wesensschau gibt" (Jenkis, 1986, S. 63). Dies gelte allerdings nur, "sofern man sie nicht zu einer rein ökonomischen Größe verkommen läßt" (ebenda). Umgekehrt kann argumentiert werden, daß eine Beschreibung der Genossenschaft als ökonomisches Gebilde eine objektive Wesensschau der

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Genossenschaft und eine Erklärung der Wandlungen des Begriffsinhaltes möglich werden läßt. Dieser Weg soll im folgenden gegangen werden. Bei den Betrachtungen wird dabei von Wirtschaftssubjekten ausgegangen, die rational handeln und vom Eigennutzstreben geleitet werden. 2. Genossenschaftliche Wesensmerkmale Den Ausführungen liegt ein Verständnis der Genossenschaften als ökonomische Zweckeinrichtungen ihrer Mitglieder zugrunde. Ihr Zweck ist es, ihren Mitgliedern bestmögliche Nutzen, die insbesondere auf ökonomischem Gebiet liegen, aus dem Gemeinschaftsbetrieb zukommen zu lassen. Sie unterscheiden sich von anderen Unternehmensformen durch diese spezielle Zielsetzimg und des weiteren durch eine besondere Regelung der Trägerschaft. Eine Genossenschaft im wirtschaftlichen Sinn liegt nach dieser Auffassimg nur dann vor, wenn diese Merkmale eindeutig zu erkennen sind. Die Genossenschaft ist also zunächst charakterisiert durch eine besondere Art der Organisation des Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses. Merkmal 1: Die Regelung der Rechte und Pflichten der Träger bewirkt die Schaffung und Beibehaltung demokratischer Entscheidungsstrukturen. Genossenschaften bieten grundsätzlich die Möglichkeit eines freien Einund Austritts ihrer Träger. Diese "offene Mitgliedschaft" ist auch Bestandteil des gesetzlichen GenossenschaftsbegrifFs. In der Genossenschaft besteht eine besondere Art der Zusammenarbeit der Träger: Nicht die Anzahl und der Betrag des eingebrachten Kapitals entscheiden über den Einfluß auf das gemeinsam getragene Unternehmen, sondern die Trägerrechte sind grundsätzlich auf die Person des Mitglieds abgestellt. Alle Mitgliederhaben demgemäß als Eigentümer gleiche Rechte und Pflichten (Demokratieprinzip). Ausdruck hierfür ist das gleiche Stimmrecht (Ein Mann - eine Stimme). Die Majorisierung der Genossenschaft durch eine Minderheit wird dadurch grundsätzlich verhindert. Mit dem Erwerb der Mitgliedschaft erwirbt das Mitglied das Recht, seine persönlichen Interessen in die Genossenschaft einzubringen und an den Vorteilen des gemeinsamen Unternehmens zu partizipieren. Merkmal 2: Die spezielle Zielsetzung einer Genossenschaft im wirtschaftlichen Sinn liegt in der Förderung des Erwerbes oder der Wirtschaft der Mitglieder. Grundsätzlich betreiben zwar alle privatwirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen das Ziel, ihre Träger und ihre Kunden zu fördern, indem sie

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ihnen die gewünschten Leistungen und erwirtschafteten Kapitalbeträge zuführen. Genossenschaftsspezifisch ist eine Förderung aber nur dann, wenn sie Leistungen beinhaltet, die ausschließlich den Mitgliedern zukommen und diese Leistungen ein günstigeres Preis-Leistungs-Verhältnis aufweisen als die über den Markt erhältlichen Leistungen. Genossenschaftsspezifische Förderung zeichnet sich also dadurch aus, daß den Trägern der Unternehmung - und nur diesen - in Verbindung mit der Leistungsinanspruchnahme ein "Leistungs-Mehr" zugeführt wird. Dies schließt aber keineswegs aus, daß die Genossenschaft ihre Mitglieder und Kunden auf solche Art und Weise fordert, wie dies auch andere Unternehmensformen tun. Zur Leistungsförderung kann also noch eine rein kapitalmäßige Förderung und eine ideelle Förderung kommen. Beschränkt sich allerdings die Förderung auf solche nichtgenossenschaftsspezifischen Komponenten, so kann nicht mehr von einer Genossenschaft im wirtschaftlichen Sinn gesprochen werden. Die Genossenschaft kann damit wie folgt definiert werden: Die Genossenschaft ist eine ökonomische Zweckeinrichtung der Mitglieder mit nicht geschlossener Mitgliederzahl, bei der die Entscheidungen auf demokratischem Wege Zustandekommen. Der Zweck der Genossenschaft ist es, entsprechend dem ihr erteilten Grundauftrag die Eigenwirtschaften der Mitglieder mit geeigneten Mitteln und Maßnahmen, insbesondere im Rahmen der Leistungsbeziehungen zwischen Genossenschaft und Mitglied, zu fördern. C. Identitätsprobleme moderner Marktgenossenschaften Die Genossenschaften in den heutigen realen Erscheinungsformen unterscheiden sich stark von den historischen Formen genossenschaftlich organisierter Zusammenarbeit. Aufgrund der sachbezogenen Zwänge der jeweiligen Marktgegebenheiten haben sich die Genossenschaften in ihrer inneren Struktur und ihrem äußeren Erscheinungsbild verändert. Dabei erfuhren sowohl die Organisations- und Leistungsbeziehungen als auch die konkreten Ziele und angewandten Methoden der Zielverwirklichung inhaltliche Einschränkungen und Erweiterungen, wobei aber hinsichtlich der Intensität der Veränderungen je nach Genossenschaftsart und Branche Abweichungen vorhanden sind. Der Wandel in den Leistungs- und Organisationsbeziehungen tangiert unmittelbar den Inhalt der genossenschaftlichen Prinzipien. Diese Verhaltensnormen, wie sie in den genossenschaftlichen Grundsätzen der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung zum Ausdruck kommen, geben die organisatorischen Voraussetzungen hinsichtlich des Verhaltens der beteiligten Mitglieder in der traditionellen Genossenschaft wieder. Den

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Grundsätzen kommt eindeutig instrumenteller Charakter zu. Sie sind als Mittel zur Erreichung des eigentlichen ökonomischen Unternehmenszweckes zu interpretieren. Wenn durch die Veränderungen der Umwelt auch die Organisationsanforderungen innerhalb des genossenschaftlichen Unternehmens berührt werden, so muß dem auch der Inhalt der Prinzipien angepaßt werden. Insofern bedeutet eine Abkehr und Modifizierung von traditionellen Prinzipien nicht ein Antasten des Wesens einer Genossenschaft, sondern eine Veränderung von Mitteln zur besseren Zweckerfüllung. "Der Zeitbedingtheit der Umweltverhältnisse entspricht die Zeitbedingtheit mancher Prinzipien" (Henzler, 1970a, S. 289). Genossenschaften sind heute in ihrer überwiegenden Mehrheit keine reinen Hilfseinrichtungen für wirtschaftlich benachteiligte Gruppen mehr. Mit dem Wegfall der Notsituation der Mitglieder ging auch der hilfswirtschaftliche Charakter der Genossenschaften sukzessive verloren. Die älteren Genossenschaftstheoretiker gingen noch von einer ungünstigen Wettbewerbsstellung der Mitglieder als Voraussetzung für das Vorliegen einer genossenschaftlichen Selbsthilfeeinrichtung aus. Die Zielsetzung der in Genossenschaften zusammengeschlossenen Mitgliederwirtschaften könne demnach nur die "Verbesserung einer schwachen Marktposition und damit die Verbesserung einer individuellen Ertrags- und Verbrauchslage sein" (Seraphim, 1958, S. 57 f). Dieses Verständnis der Selbsthilfe im Sinne eines gemeinsamen Agierens aus Anlaß einer Notsituation führt zu dem Schluß, daß der Selbsthilfecharakter dieser Organisation erlischt, wenn die Notwendigkeit einer Hilfe nicht mehr gegeben ist. Albrecht (1955, S. 10) faßt den Selbsthilfebegriff weiter: "Man hilft sich selbst, indem man Anschluß an eine Genossenschaft sucht und hier in dem geforderten beschränkten Maße sein Kapital durch Anteilserwerb einschießt und so das Fundament eines leistungsfähigen Instruments der Förderung der eigenen und der Wirtschaften der in gleicher Lage Befindlichen schaffen oder verstärken hilft". Die so verstandene Selbsthilfe verlangt demnach eine weitgehend homogene Interessenstruktur bei den Mitgliedern. Weiterhin ist dem Selbsthilfegedanke immanent, daß "es andere in gleichem Maße geeignete und zugängliche Möglichkeiten und Einrichtungen nicht gibt, durch die die Leistungen ausgeübt werden können, die den Mitgliedern für die Festigimg ihrer Wirtschaft nützlich oder notwendig erscheinen" (ebenda). Die Existenz und der Grad des Selbsthilfecharakters einer Genossenschaft hängt demzufolge davon ab, inwieweit sie in der Lage ist, Leistungen für ihre Mitglieder zu erbringen, die für diese sonst überhaupt nicht oder nur zu schlechteren Konditionen oder Qualität erhältlich wären. Damit ist die Frage einer direkten Förderung angesprochen. Bei der direkten Förderung kommen dem Mitglied die Vorteile aus seiner Mitgliedschaft direkt bei Vollzug einer Leistungsbeziehung, d.h. in seiner

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Eigenschaft als Kunde, zugute. Eine bestimmte Leistung stellt aber erst dann eine Förderung dar, wenn einem deutlich begrenzten Personenkreis Leistungen angeboten werden, die "über die für jedermann erhältlichen Leistungen hinausgehen, wo außerdem aber auch eine nachhaltige Bereitschaft zu solchen Leistungen und die Absicht, in dieser Weise zu fördern, vorhanden ist" (LefFson, 1980, S. 70). Die Förderleistung ist also zum einen auf den Kreis der Mitglieder zu beschränken. Zum anderen müssen die Leistungen für die Mitglieder "besser" sein als die für sie sonst am Markt erhältlichen. Es muß also ein Förderungsplus im Sinne einer Differenz zwischen wirtschaftlicher Marktleistung der Genossenschaft und "... anderen realisierbaren Leistungswegen der Mitglieder" (Seuster, 1980, Sp. 499) vorliegen. In einem hart umkämpften Markt ist es einer Genossenschaft aber kaum mehr möglich, besondere Förderleistungen zu schaffen. Auch die Begrenzung auf den Kreis der Mitglieder als Anforderung an eine Förderleistung wird durch die Zwänge des Marktes erschwert. Vor allem aus Gründen einer Auslastung ihrer Kapazitäten sahen sich die meisten Genossenschaften gezwungen, die Einschränkung der Geschäfte auf den Mitgliederkreis aufzuheben und sich auch Nichtmitgliedern gegenüber zu öffnen. Solchen Kunden müssen in einem wettbewerbsintensiven Umfeld optimale Leistungen zu den gleichen leistungsgerechten Konditionen geboten werden wie den Mitgliederkunden. Ein spezifisch genossenschaftliches Verhalten gegenüber den Mitgliedern kann es in Bezug auf die Marktleistung heute kaum mehr geben. Damit verwischt die Grenze zwischen Mitgliederkunde und "Nur-Kunde". Dadurch, daß eine direkte Förderung über konkrete Leistungen an die Mitglieder in entwickelten Volkswirtschaften für Marktgenossenschaften heute sehr schwierig zu realisieren ist, reduziert sich der traditionelle Inhalt des Selbsthilfeprinzips. D. Formen der indirekten Förderung zur Stärkung der genossenschaftlichen Identität In dem Maße, in dem die direkte Förderung an Einfluß verliert, muß zwangsläufig anderen Förderungsformen größere Bedeutung zukommen. 1. Förderung durch organisationsbedingte Komponenten

"metaökonomische"

Aus den mit dem Status als Träger der Genossenschaft erwachsenen Aktivitäten ergeben sich Möglichkeiten, individuellen Nutzen im "metaökonomischen", ideellen Bereich zu realisieren. Angesichts des ökonomischen Hauptzweckes der Genossenschaft ist diesen ideellen Nutzenmomenten im Gefüge der durch die Genossenschaft bewirkten Förderungskomponenten allerdings nur ergänzender Charakter beizumessen.

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Ansatzpunkt für die Realisierung "metaökonomischer" Förderungskomponenten ist der organisatorische Aufbau und die demokratische Struktur eingetragener Genossenschaften. Aus der gesetzlich geregelten Mitbestimmung und der besonderen Art der Zusammenarbeit der Koalitionsteilnehmer resultieren für das einzelne Mitglied Möglichkeiten, intrinsische Bedürfnisse zu befriedigen. In Anknüpfung an die von Maslow (1954, S. 90 ff) entwickelte dynamische Motivationstheorie fallen hierunter insbesondere soziale, Anerkennungs- und Verwirklichungsbedürfnisse. Dem partizipierenden Mitglied kommt insofern eine Förderung zu, als mit Beitritt zur Genossenschaft zunächst aus einem elitären Bewußtsein heraus, und dann dem Gefühl, "Dabei zu sein" - kooperative Kooperationsnutzen entstehen. Hinzu kommen Nutzenvorstellungen aus altruistischer Handlungsweise, aus dem Gefühl steigender Sicherheit durch gemeinsames Handeln oder aus generellem sozialem Engagement (1). Voraussetzung für die Realisierung solcher höheren Bedürfnisse ist aber, daß die Mitglieder im Prozeß der Leistungserstellung und -Verwertung sowie in Planungs- und Entscheidungsprozessen einbezogen werden und sie ihrerseits Bereitschaft zu persönlichem Engagement zeigen (Wagner, 1980, S. 304). 2. Finanzielle Erfolgsverteilung als Förderungskomponente Genossenschaften dienen grundsätzlich den Eigeninteressen ihrer Mitglieder. Solche Interessen waren früher fast ausschließlich leistungswirtschaftlicher Natur. Ein finanzielles Interesse, wie es auch durch erwerbswirtschaftliche nichtgenossenschaftliche Unternehmen befriedigt werden kann, ist aber selbstverständlich auch bei Genossenschaftsmitgliedern möglich und in der Realität häufig zu beobachten. Besonders bei Bankgenossenschaften ist heute festzustellen, daß die Mehrheit vor allem neuer Mitglieder offenbar in erster Linie die zu erwartende Dividende zum Erwerb von Geschäftsanteilen und damit zum Beitritt zur Genossenschaft motiviert. In diesem Sinne wird durch die Ausschüttung einer Dividende durchaus den Interessen der Mitglieder entsprochen. Allerdings darf sich die Förderung nicht ausschließlich auf eine finanzielle Erfolgsverteilung beschränken, die sich einzig an der Höhe des eingezahlten Kapitalanteils ohne Berücksichtigung des Grades der Inanspruchnahme der Leistungen des Organbetriebs bemißt. Es kann in diesem Fall von einer Genossenschaft im wirtschaftlichen Sinn nicht mehr gesprochen werden. Eine genossenschaftsspezifische Förderung liegt nur vor, wenn ein Bezug zur Leistungserstellung vorliegt. Damit stellt sich die Frage einer genossenschaftsadäquaten Form der Gewinnverteilung. Die genossenschaftliche Rückvergütung bietet sich als adäquates Instrument an, um eine stärkere Deckungsgleichheit zwischen Kunden- und Trägerinteressen zu erreichen. Während bei der Bemessung der Kapitalbeteiligungs-

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gungsdividende die Intensität der Geschäftsbeziehung des Mitglieds mit der Genossenschaft keine Rolle spielt, wird bei der Rückvergütung die Leistungsbeziehung als Maßstab zur Berechung des auszuschüttenden Betrages herangezogen. E. Fazit Die wirtschaftlichen Umstände zwangen dazu, den Unternehmenscharakter der Genossenschaften - zu Lasten der personellen Komponente - stärker zu unterstreichen. Damit näherten sich die Genossenschaften auch im Erscheinungsbild den erwerbswirtschaftlichen Unternehmen an. Zwei Ansätze erscheinen besonders geeignet, eine stärkere Abgrenzung einer Marktgenossenschaft von der erwerbswirtschaftlichen Konkurrenz zu bewirken und dadurch eine eigenständige Genossenschaftsidentität herauszustellen. Zum einen kann an die demokratischen Mitspracherechte der Mitglieder angeknüpft werden. Sowohl aus Gründen einer Wiederbelebung genossenschaftlicher Wesensinhalte als auch aus geschäftspolitischer Sicht sollte den Mitgliedern die Möglichkeit eröffnet werden, sich aktiv am Genossenschaftsgeschehen zu beteiligen. Hierfür müssen die Mitglieder mit den relevanten Informationen versorgt und die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Zum anderen müssen Überlegungen angestellt werden, inwiefern institutionelle Regelungen in der Lage sind, die z.B. bei einer Kapitalbeteiligungsdividende nicht vorhandene Verbindung von Kunden- und Trägerstatus wieder herzustellen und sich somit einer genossenschaftsspezifischen Förderungskomponente anzunähern. Die besonderen Mitwirkungsmöglichkeiten der Mitglieder und die spezifische, den Genossenschaften zur Verfügung stehende Art der Erfolgsverteilung in Form der Rückvergütung zeigen sowohl aus genossenschaftstheoretischer als auch aus geschäftspolitischer Sicht interessante Perspektiven auf und sind geeignet, auch heute noch die genossenschaftliche Eigenart zu verdeutlichen. Fußnote: (1) Vgl. hierzu Grosskopf, 1986, S. 86

Literaturverzeichnis Akademie Deutscher Genossenschaften e.V., Unternehmensleitbild der genossenschaftlichen Bank, Montabaur 1985.

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Trux, W.: Unternehmensidentität, Unternehmenspolitik und öffentliche Meinung, In: Birkigt, KVStadler, M.: Corporate Identity, Grundlagen, Funktionen, Fallbeispiele, 2.Aufl., Landsberg am Lech 1985, S. 63-74. Vierheller, R.: Demokratie und Management - Grundlagen einer Managementtheorie genossenschaftlich-demokratisch verfaßter Unternehmen, Göttingen 1983. Wagner, H.: Genossenschaftliche Förderung: Lebendiges Prinzip oder Relikt?, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 30 (1980), S. 295-306.

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Willensbildung i n Genossenschaften Heinz Keinert

A. Grundfragen 1. Untersuchungsgegenstand Die Genossenschaft als juristische Person kann ihren Willen nur durch Organe bilden, in denen letztlich natürliche Personen, also Menschen, denjenigen Willen bilden (und ihm entsprechend handeln) müssen, der dann der Genossenschaft als rechtlicher Gesamtheit zugerechnet wird, mag er ein reines Internum bleiben oder überdies die Außenbeziehungen der Genossenschaft gestalten. Im ersten Fall (Innenverhältnis) spricht man von Geschäftsführung, im zweiten (Wirksamkeit auch im Außenverhältnis) von Vertretung. Jeder Akt der Vertretung beinhaltet demnach einen solchen der Geschäftsführung, nicht aber umgekehrt. Beim Betrachten der Genossenschaftsorganisation unter juristischen Gesichtspunkten lassen sich vor allem zwei Darstellungsschwerpunkte unterscheiden: Die Organisationsstruktur (dazu unten 3.1.3.) betrifft in erster Linie diejenigen Regelungskomplexe, die den einzelnen Organen Gestalt und Funktionsfähigkeit verleihen wollen, also den gleichsam "statischen" Bereich. Dazu wären beispielsweise bei der Generalversammlung deren Einberufung, Teilnahme- und Stimmrecht sowie die allgemeinen und besonderen Beschlußerfordernisse zu rechnen, weiters die Sonderform der Vertreterversammlung; beim Vorstand seine Bestellung und Anstellung, Abberufung usw. Bei der hier zu erörternden Willensbildung geht es hingegen im wesentlichen um die Funktion und die Kompetenzen der einzelnen Organe sowie um deren Zusammenspiel. Sie spricht demnach die gleichsam "dynamische" Komponente an. Dieser Gegenstand wird hier untersucht nach den Genossenschaftsrechten der Bundesrepublik Deutschland ("dGenG"), Österreichs ("öGenG") und, soweit vergleichbar, der Schweiz (im Obligationenrecht, "OR"). Die Untersuchung beschränkt sich auf den allgemeinen Rechtstypus der Genossenschaft. Auf Besonderheiten einzelner Formen, etwa von Kreditgenossenschaften, kann hier nicht eingegangen werden; ebensowenig auf Sondersituationen wie Liquidation, Verschmelzung oder Konkurs. Schließlich soll im Mittelpunkt die gesetzliche Ausgestaltung stehen, der Bereich statutarischer Abweichungsmöglichkeiten daher nur gestreift werden.

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2. Kernfrage: Gewichtsverteilung zwischen Generalversammlung und Vorstand a) Grundsätzliches Die Willensbildung der Genossenschaft vollzieht sich vor allem im Kräfteverhältnis zwischen Generalversammlung (oder einem Surrogat, praktisch Vertreterversammlung) und Vorstand, den beiden stets obligatorischen Organen. Für diese Organfunktionen spielt es juristisch keine Rolle, ob die Organmitglieder ehrenamtlich oder hauptberuflich, besoldet oder unbesoldet tätig werden. (1) Das betrifft namentlich den Vorstand (daneben den Aufsichtsrat und etwaige fakultative Organe). Auch das Erfordernis für die Wählbarkeit in den Vorstand (und Aufsichtsrat), nämlich Genossenschaftsmitglied zu sein (materiell eingeschränkte Drittorganschaft) (2), hat praktisch kaum Bedeutung, sofern der Erwerb der Mitgliedschaft nicht an besondere Erfordernisse geknüpft ist, also eine reine Formsache darstellt. b) "Legislative"und

"Exekutive"

Läßt sich der Vorstand mit der Exekutivgewalt in der Staatsverfassung vergleichen, so die Generalversammlung (Vertreterversammlung), obschon stark vergröbernd, mit der gesetzgebenden Gewalt: Nach allen drei hier zugrundegelegten Rechtsordnungen obliegen dem Vorstand die Geschäftsführung und die Vertretung. Der Generalversammlung sind die gleichsam "verfassungsändernden" Maßnahmen vorbehalten (Satzungsgestaltung, freiwillige Auflösimg, Verschmelzung). Darüber hinaus wählt sie die Mitglieder der übrigen Organe, insbesondere des Vorstandes, und beruft sie ab. Weiters nimmt sie bestimmte, besonders wichtige Geschäftsführungsakte vor oder nimmt an ihnen wenigstens teil (etwa Jahresabschluß, Prozeßführung usw.). Einen Angelpunkt des Verhältnisses beider Organe, und damit der Willensbildung in der Genossenschaft, bedeutet jedoch die Entscheidung des Gesetzgebers, ob die Generalversammlung darüber hinaus dem Vorstand im Rahmen von Gesetz und Statut in grundsätzlich allen Geschäftsführungsfragen Weisungen erteilen kann, wie das bei der GmbH der Fall ist. (3) Das schweizerische Genossenschafitsrecht, das sich von vornherein an die AG anlehnt, sieht dies anscheinend nicht vor (vgl. Art. 879,899,902 OR) (3a), und jenes der Bundesrepublik Deutschland hat durch die Novelle 1973 einen scharfen Knick in diese Richtung vollzogen: In dem Bemühen, die Rechtsform "Genossenschaft" auch in Zukunft konkurrenzfähig zu erhalten, wurde neben anderen (zum Teil gleichfalls rechts-

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politisch fragwürdigen (4)) Veränderungen auch die bisherige Weisungsmöglichkeit der Generalversammlung abgeschafft. Der Vorstand hat nunmehr die Genossenschaft "unter eigener Verantwortung" zu leiten, bloß im Rahmen der statutarischen Beschränkungen, insbesondere also bloßer Zustimmungserfordernisse. (5) Damit wurde eine strikte Gewaltentrennung nach aktienrechtlichem Muster eingeführt. Die ganz überwiegende Lehre schließt daraus auch auf die Unzulässigkeit eines statutarischen Weisungsrechts der Generalversammlung. (6) Von allen untersuchten Genossenschaftsrechtsordnungen enthält nur noch die österreichische ein Weisungsrecht der Generalversammlung gegenüber sämtlichen Organen, insbesondere gegenüber dem Vorstand. 3. Genossenschaftsrechtspolitische aktienrechtlicher Konzeptionen

Kritik

an

der

Übernahme

Rechtspolitisch ist diese Änderung des deutschen Genossenschaftsrechts meiner Ansicht nach zu bedauern (7), und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen. a) Eigenständigkeit sellschaftstypus

der Genossenschaft

als personalistischer

Ge-

Die Genossenschaft ist Gesellschaft, aber nicht Handelsgesellschaft, weil sie angesichts ihres Förderz wecks nicht (§ 1 dGenG) oder wenigstens nicht primär (vgl. § 1 öGenG) auf Gewinn, also erwerbswirtschaftlich ausgerichtet sein darf. (8) Schon deshalb ist sie auch nicht Kapitalgesellschaft, andererseits aber auch nicht Personengesellschaft; vielmehr verbindet sie in eigenständiger Weise Elemente beider Typen, ähnlich der GmbH und doch anders. Zu dieser weist die Genossenschaft weitgehende Entsprechungen auf, gerade bei den Organisationsprinzipien; doch tritt der personalistische Einschlag noch ausgeprägter hervor. Wie sehr das gesetzliche Modell der Genossenschaft von besonders intensiver persönlicher Beteiligung der Mitglieder an der Genossenschaft ausgeht (9), zeigt sich insbesondere daran, daß nur Genossenschafter Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder werden können (§ 9 II dGenG, §§ 15 I, 24 I öGenG) - mag dies auch heute zur Formsache erstarrt sein. Das Beseitigen des gesetzlichen Weisungsrechts der Generalversammlung gegenüber den anderen Organen, insbesondere dem Vorstand, ist demnach als Schritt in die falsche Richtung anzusehen - nämlich weg vom personalistischen Grundcharakter der Genossenschaft, hin zur Kapitalgesellschaft, ja zu der am stärksten kapitalistisch geprägten Kapitalgesellschaft, der AG. Im Systemgefüge des deutschen Gesellschaftsrechts fällt diese Veränderung umso stärker ins Gewicht, als in der personalistisch geprägten Kapitalgesellschaft, der GmbH, trotz der vielfachen Änderungen in neuerer Zeit das gesetzliche

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Weisungsrecht der Generalversammlung (§ 37 I dGmbHG) unverändert gelassen wurde, während man es bei der - noch deutlicher personalistisch orientierten! - Genossenschaft abgeschafft hat. b) Rechtfertigung demokratie?

aus dem Niedergang

realer

Genossenschafts-

Als sachliches Argument für diese ÄccAisänderung, welche die Genossenschaft eines wesentlichen Elementes ihrer Eigenständigkeit beraubt, ließe sich höchstens eine tatsächliche Veränderung anführen: Weithin, und zwar gerade bei Genossenschaften mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, kann die Generalversammlung ihre juristisch starke Stellung gegenüber der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat kaum ausspielen. Zum einen sind die wirtschaftlichen Zusammenhänge für eine "Selbstverwaltung" durch die Mitglieder längst zu kompliziert geworden; zum anderen scheitert die reale Genossenschaftsdemokratie auf breiterer Basis an dem meist sehr geringen Interesse der Mitglieder an den Interna einer größeren Genossenschaft. (10) Bei kritischer Betrachtimg läßt sich freilich auch hiermit das Abschaffen des Weisungsrechts der Generalversammlung kaum rechtfertigen, auch wenn dieses derzeit erhebliche an Bedeutimg verloren hat: Regelmäßig ist eine schlecht besuchte Mitgliederversammlung wenig aktiv, "stört" also das (meist professionelle) Management gerade nicht durch Weisungen. Als Problem bleibt nur der - für die Genossenschaft in der Tat bedrohliche - Ausnahmefall, daß sich eine aktive Minderheit des Instruments der Generalversammlung bemächtigt, um mit ihrer Zufallsmehrheit (11) den Kurs der Genossenschaft zu bestimmen. Allerdings könnte in diesem Extremfall die Minderheit ihre Vorstellungen meist auch über Satzimgsänderungen oder das Auswechseln der Genossenschaftsleitung (oder beides) erreichen; der Wegfall des unmittelbaren Weisungsrechts vermag eine "schweigende Mehrheit" daher nur sehr vordergründig zu schützen. Andererseits ist diese aber ohnedies in allen Fällen dadurch gegen ein Überrumpeln geschützt - also auch gegen "überraschende" Weisungen! -, daß die Generalversammlung nur über solche Gegenstände wirksam beschließen kann, die in der Tagesordnung entsprechend angekündigt worden sind (§ 46 II dGenG, § 30 II und III öGenG). Am Rand sei auch noch an die Möglichkeit erinnert, unerwünschte Beschlüsse in einer späteren Versammlung rückgängig zu machen. Auf den verbleibenden Fall aber, daß die Mehrheit apathisch den Dingen überhaupt ihren Lauf läßt, kann das Genossenschaftsrecht (wie das Gesellschaftsrecht allgemein) nicht zugeschnitten sein. Ein solcher Schutz der Mitglieder vor ihrer eigenen Interesselosigkeit käme im übrigen einer Bankrotterklärung des Gedankens genossenschaftlicher Selbstverwaltung gleich. Sie müßte die Frage nach sich ziehen, was an einer solchen Genossenschaft, wenn nicht an der Rechtsform als solcher, überhaupt noch schützenswert sei.

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Es bleibt also dabei: Die Änderung berührt einen (bisherigen) Wesenszug der Genossenschaft und damit geradezu ein Element ihrer Existenzberechtigung als Rechtsform. c) Allgemeiner Trend zum Charakteristika

"Abschleifen"genossenschaftsrechtlicher

Das "Einebnen" genossenschaftsrechtlicher Besonderheiten entspricht bedauerlicherweise einer allgemeinen Tendenz. Nicht nur die Gesetzgebung, sondern - bei Auslegung und Lückenfüllung - auch Schrifttum und Rechtsprechung neigen immer wieder zur (weitgehend unreflektierten) Übernahme von Regeln der Kapitalgesellschaften, praktisch: der AG - und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die betreffende Besonderheit der Genossenschaft bloß zufalligen oder aber prinzipiellen Charakters ist. Auch wenn man bei einer bestimmten, für die Genossenschaft nicht eigens geregelten Frage schon nicht auf die allgemeinen Vorschriften des Zivil- und Verfahrensrechts rekurrieren möchte, liegt im allgemeinen immer noch eine Analogie zur GmbH näher als eine solche zum Aktienrecht; verkörpert doch die gleichfalls stark personalistisch geprägte GmbH die bei weitem nächstverwandte Gesellschaftsform nicht nur, doch gerade für Organisationsprobleme. Mit dieser Frage hat sich beispielsweise jüngst der österreichische Oberste Gerichtshof auseinanderzusetzen versäumt, als er beim Problem der Mangelhaftigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen ohne weiteres die aktienrechtlichen Vorschriften analog anwandte. (12) Wenn aber schon Analogie, dann eine solche zur GmbH, die eine der aktienrechtlichen Anfechtungsklage entsprechende Regelung kennt (13); daß das deutsche Genossenschaftsrecht die Frage in genau diesem Sinn ausdrücklich löst (§§ 51 f dGenG), könnte dabei eine zusätzliche Hilfe darstellen. In Wahrheit sollte prinzipiell die Eigenständigkeit des Genossenschaftsrechts betont werden. Wo man daher Analogie für erforderlich hält, sollte soweit wie möglich überhaupt eine solche zu den kapitalistischen Beteiligungen an den Personengesellschaften des Handelsrechts, also der stillen und der Kommanditbeteiligung, ins Auge gefaßt werden. Ich selbst habe das jüngst für den Fall des Fehlens einer Statutenregelung für Gewinnverwendung oder Verlustabdeckung, die nach österreichischem Genossenschaftsrecht beide gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt sind, versucht. (14) 4. Sonstige Organe, insbesondere Aufsichtsrat Der Aufsichtsrat, dem eine prinzipiell ähnliche Stellung wie bei der AG zukommt (siehe B 3), spielt für die Willensbildung zwar in rechtlicher Hinsicht keine sehr große Rolle; seine Hauptaufgabe liegt in der Kontrolle der Ge-

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschuften

117

schäftsführung (entfernt somit der "Judikative", also der Rechtsprechung, im Rahmen der Staatsaufgaben vergleichbar). Sein Mitwirken an der Willensbildung beschränkt sich insofern im Regelfall auf zustimmungspflichtige Geschäftsführungsakte. (15) Wohl aber vermag er, nicht anders als bei Kapitalgesellschafben, besonders im Vorfeld der Willensbildung des Vorstands beträchtlichen Einfluß zu entfalten, gleichsam hinter den Kulissen. Ob der Aufsichtsrat (kraft Gesetzes oder Statuts) obligatorisch oder aber bloß fakultativ ist, spielt für seine Funktion prinzipiell keine Rolle. Ähnliches gilt für etwaige (andere) fakultative Organe, namentlich einen Beirat (Genossenschaftsausschuß) oder dergleichen. 5. Vorschau Hier sollen nicht wie üblich die Kompetenzen der einzelnen Organe, jeweils durchgehend getrennt, aufgezählt werden. Vielmehr soll einer knappen Ubersicht der Eigenkompetenzen der einzelnen Genossenschaftsorgane bei der Willensbildung (unten B) eine ebensolche deij enigen Aufgaben folgen, die ein Zusammenwirken von Organen erfordern (unten C). Daß bei dieser Einordnimg auch Grenzfälle vorkommen können, versteht sich. Die Funktionsteilung ist, wie Genossenschaftsrecht überhaupt, mangels ausdrücklicher gegenteiliger Anordnimg im konkreten Fall zwingend (§ 18 dGenG, § 11 öGenG).

B. Eigenkompetenzen der einzelnen Organe Hier geht es somit um gesetzliche oder statutarische Zuständigkeiten, kraft deren das einzelne Organ schon für sich allein in einer bestimmten Angelegenheit den Willen der Genossenschaft bilden kann. 1. Oberstes Willensbildungsorgan: Generalversammlung a) Vorbemerkung Die Kompetenzen der Generalversammlung (Mitgliederversammlung) oder ihres Surrogats (praktisch: der Vertreterversammlung) (16) machen sie in allen untersuchten Rechtsordnungen zum obersten Organ der Willensbildung. (17) Freilich entspricht die Genossenschaftswirklichkeit häufig nicht der juristischen "Papierform", und zwar auch bei rechtmäßigem Verhalten des Mana-

118

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

gements. Gerade bei Genossenschaften mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung können (und wollen) die Mitglieder ihre rein juristisch starke Stellung gegenüber Geschäftsführung und Aufsichtsrat nur ausnahmsweise zur Geltung bringen, und zwar aufgrund verschiedener Umstände tatsächlicher Natur (wegen ihres seltenen Zusammentretens, noch mehr aber wegen des häufig extrem geringen Mitgliederinteresses). (18) De facto überlassen sie damit die Willensbildung nahezu gänzlich dem Genossenschaftsmanagement; das gilt auch, wo ein volles Weisungsrecht besteht (also in Österreich). b) Grundfragen

der

Genossenschaft

Das Statut der Genossenschaft verkörpert gleichsam deren Verfassimg. Alles, was diese verändert oder einen solchen Vorgang an Bedeutung noch übertrifft, muß von der Generalversammlung (Delegiertenversammlung) mit entsprechender - meist qualifizierter - Mehrheit beschlossen werden. Neben Satzungsänderungen (19) bezieht sich das vor allem auf die freiwillige Auflösung (20) und auf die Verschmelzung der Genossenschaft. (21) c) Organbesetzungen

(Wahlen)

Hierher zählen die Kompetenz zur Wahl und zur (jederzeitigen!) Abberufung der Mitglieder des Vorstands (22), des Aufsichtsrats (23) und etwaiger fakultativer Organe, insbesondere eines Beirates. (24) Bestimmt das Statut keine Liquidatoren, dann gilt auch für sie Entsprechendes. (25) Damit kann die Mitgliederversammlung indirekt, also gleichsam "präventiv", ganz beträchtlichen Einfluß ausüben, insbesondere auf die Geschäftsführung. Sie bedarf dazu gar nicht unbedingt des Instruments einer Weisung, ja nicht einmal eines Weisungsrechts. Insofern weist das geschilderte deutsche Modell der "eigenverantwortlichen Leitung" der Genossenschaft durch den Vorstand (seit 1973) eine erhebliche Inkonsequenz auf: Der juristischen Selbständigkeit des Geschäftsführungsorgans nach dem Muster der AG steht die jederzeitige, auch grundlose, Abberufbarkeit nach dem Muster der GmbH (26)gegenüber. d) Österreich:

Weisungen

Nur (mehr) nach österreichischem Genossenschaftsrecht besteht wie gesagt ein - in der Praxis derzeit freilich nicht allzu häufig genutztes - Weisungsrecht der Generalversammlung im Rahmen von Gesetz und Statut gegenüber dem Vorstand. (27) Darüber hinaus kann sie nach herrschender Meinung jede Genossenschaftsangelegenheit an sich ziehen und jede Geschäftsführungsfrage endgültig, für die anderen Organe bindend, entscheiden. Darin ist auch ein Weisungsrecht gegenüber dem Aufsichtsrat und etwaigen anderen, fakultativen Organen enthalten. (28)

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

119

In diesen Befugnissen, aus eigenem das Verhalten der weisungsunterworfenen Organe zu determinieren, manifestiert sich in kaum überbietbarer Deutlichkeit die Stellung der Generalversammlung als oberstes Organ. Im Gegensatz dazu verlangen bloß zustimmungspflichtige Maßnahmen ein gleichgerichtetes Zusammenwirken zweier Organe; von einer "Weisung" läßt sich hier ebenso wenig sprechen wie beim freiwilligen Vorlegen einer Angelegenheit. (29) e)

Residualkompetenz

Daraus ergibt sich eine Art Restkompetenz; sie ist aber auch in Deutschland anerkannt: Für Aufgaben, die keinem anderen Organ zugewiesen sind, ist jedenfalls die Generalversammlung zuständig. (30) f) Einzelne

Willensbildungsakte

Eine selbständige Funktion im Rahmen der Willensbildung für die Genossenschaft kommt der Generalversammlung vor allem bei Prozessen gegen Organmitglieder zu: Sie beschließt über Prozesse gegen Vorstandsmitglieder (31) und wählt Bevollmächtigte für Prozesse gegen Aufsichtsratsmitglieder. (32) Nach deutschem Recht hat sie eine nicht näher bestimmte statutarische Pflicht der Mitglieder zu Einzahlungen auf den Geschäftsanteil nach Betrag und Zeit zu konkretisieren (§ 50 dGenG) und kann im Liquidationsstadium zur Konkursabwendung weitere Zahlungspflichten festlegen. (33) 2. Geschäftsführungsorgan: Vorstand a)

Geschäftsführung

Dem Vorstand als dem "Vollziehungsorgan" der Genossenschaft obliegt grundsätzlich deren gesamte Geschäftsführimg. (34) Während er nach österreichischem Recht wie gesagt der Generalversammlung weisungsgebunden ist, hat er nach deutschem und wohl auch schweizerischem die Genossenschaft unter eigener Verantwortung zu leiten und dabei abgesehen von gesetzlichen Beschränkungen nur statutarische zu beachten (§ 27 I dGenG). Einzelne, besonders geregelte Geschäftsführungsaufgaben werden unter c zusammengefaßt. b)

Vertretung

Soweit ein Geschäftsführungsakt eine Vertretung nach außen impliziert, fällt auch diese grundsätzlich in die Kompetenz des Vorstands. (35) Die gesetzliche Vertretungsmacht ist prinzipiell unbeschränkt und mit Wirkung gegen-

120

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

über Dritten auch unbeschränkbar, insbesondere durch Zustimmungsrechte anderer Organe. (36) Hierher gehört auch das Erteilen von Prokura oder Handlungsvollmacht. (37) c) Einzelne

Geschäftsführungsaufgaben

Kraft besonderer Regelung obliegt dem Vorstand die Sorge für die erforderliche Buchführung der Genossenschaft. (38) Er hat das Mitgliederverzeichnis zu führen. (39) 3. Aufsichtsrat (und sonstige, rein fakultative Organe) a)

Grundsätzliches

Ein Aufsichtsrat ist nach deutschem Recht stets obligatorisch (§91 dGenG), nach österreichischem nur dann, wenn die Genossenschaft dauernd mindestens vierzig Arbeitnehmer beschäftigt (§ 241 öGenG). - In der Schweiz fehlt überhaupt ein gesetzlich normiertes Gegenstück: Die von der Generalversammlung für mindestens ein Jahr zu wählende "Kontrollstelle" (Revisoren, doch auch Behörden oder juristische Personen wie Treuhandgesellschaften oder Revisionsverbände; Art. 906 ff. OR) dient nur der Rechnungsprüfung, entspricht also dem aktienrechtlichen Abschlußprüfer oder noch näher dem Genossenschaftsrevisor. Von einer Teilnahme an der Willensbildung ist daher keine Rede. Folglich sollte hiervon einem Organ gar nicht gesprochen werden. Auch die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats, die Kontrolle der Geschäftsführung (40), läßt sich freilich als solche nicht als (Teilnahme an der) Willensbildung bezeichnen, so sehr sie mittelbar diese beeinflußt, und zwar gleichermaßen durch das eigentliche Überwachen wie durch das Beraten des Vorstands. Für sonstige, jedenfalls rein fakultative Organe, etwa einen Beirat, gilt insofern im wesentlichen Entsprechendes. Denn sie dürfen keinem anderen Organ zwingende gesetzliche Kompetenzen entziehen. An Willensbildungsaufgaben kommen vor allem solche des Zusammenwirkens (unten C) - praktisch Zustimmungsrechte - in Frage, ebenso wie bei den statutarisch möglichen weiteren Obliegenheiten des Aufsichtsrats. (41) b) Vertretung

der

Genossenschaft

Eine - wenigstens partiell selbständige - Willensbildungskompetenz des Aufsichtsrats besteht darin, ausnahmsweise die Genossenschaft zu vertreten, nämlich im wesentlichen gegenüber dem Geschäftsführungsorgan:

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

121

Vor allem gilt das für die (wie erwähnt von der Generalversammlung beschlossenen) Prozesse gegen Vorstandsmitglieder oder Liquidatoren. (42) In Deutschland hat der Aufsichtsrat darüber hinaus kraft Gesetzes die Genossenschaft bei Vertragsabschlüssen "mit dem Vorstand" (korrekt: mit einzelnen Mitgliedern) zu vertreten (§ 39 I dGenG). In Österreich kann das nach herrschender Meinung immerhin das Statut ihm (oder auch einem fakultativen Organ) einräumen. (43) Ein Sonderfall der Vertretung tritt nach deutschem Recht ein, wenn Anfechtungsklage gegen einen Generalversammlungsbeschluß erhoben wird. Dann vertritt die Genossenschaft der Aufsichtsrat gemeinsam mit dem Vorstand; klagt dieser, dann der Aufsichtsrat allein (§ 51 III dGenG).

C. Zusammenwirken von Organen Bei der Mehrzahl im Gesetz besonders geregelter Kompetenzen müssen zwei oder mehr Organe auf die eine oder andere Weise kooperieren. Zum kleineren Teil setzt dabei das eine Organ lediglich einen formalen Rahmen für die Willensbildung des anderen (unten 1). Zum größeren Teil muß es jedoch an Geschäftsführungsakten immittelbar "materiell" mitwirken, sollen diese Zustandekommen (unten 2). 1. Setzen eines formalen Rahmens für die Willensbildung a) Generalversammlung

gegenüber

Vorstand und

Aufsichtsrat

Im Vorfeld der Willensbildung liegt die Regelung ihres Verfahrens. Diese kann (und sollte) im einzelnen in einer Geschäftsordnung erfolgen. Eine solche kann die Generalversammlung sowohl für den Vorstand als auch für den Aufsichtsrat (gegebenenfalls auch für fakultative Organe) erlassen. (44) b) Vorstand und Aufsichtsrat

gegenüber

Generalversammlung

Zum Einleiten der Willensbildung durch die Generalversammlung bedarf es deren Einberufung. Abgesehen von der Ausnahmeregelung einer Art "Selbsteinberufung", nämlich im Rahmen eines Minderheitsrechts (45), wird die Mitgliederversammlung stets von einem anderen Organ oder dessen Mitgliedern einberufen; im allgemeinen ist dies der Vorstand. (46) Wenn das Interesse der Genossenschaft es erfordert, ist zur Einberufung auch der Aufsichtsrat verpflichtet. (47) Das Statut kann darüber hinaus andere Personen

122

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

dazu berechtigen (48), etwa den Vorsitzenden des Vorstands oder des Aufsichtsrats, den Aufsichtsrat als ganzen oder einen Beirat. Ein weiteres Element der Gewaltenteilung gegenüber der Generalversammlung besteht im Klagerecht gegen gesetz- oder Statuten widrige Generalversammlungsbeschlüsse: Klagen kann (neben Mitgliedern) jedenfalls der Vorstand, Vinter Umständen auch einzelne Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. (49) Den formalen Rahmen der Willensbildung berührt die Klage insofern, als sie zumindest eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit eröffnet; indirekt kann darin freilich schon ein materielles Beeinflussen liegen. 2. Materielles Kooperieren, insbesondere bei Geschäftsführungsakten a) Erforderliches

Zusammenwirken

aller drei "klassischen"

Organe

In zwei Fällen läßt sich davon sprechen, das Gesetz verlange ein Kooperieren dreier Organe, wenn auch im einzelnen - namentlich bei bloßem Prüfen, also Begutachten - der Charakter als Teilhabe an der Willensbildung fraglich ist: Den Jahresabschluß (Rechnungsabschluß) hat der Vorstand aufzustellen (50) und den Mitgliedern zur Kenntnis zu bringen. (51) Der Aufsichtsrat hat ihn (samt Gewinnverteilungsvorschlag usw.) zu prüfen und darüber der Generalversammlung zu berichten. (52) Festzustellen hat ihn schließlich die Generalversammlung, die ihn auch ändern kann sowie über Gewinnverwendung und Entlastung beschließt. (53) Vergleichbares gilt bei der Pflichtprüfung: Der Vorstand hat mit dem Prüfer zu kooperieren; der Aufsichtsrat ist der Prüfung beizuziehen (oder ihm wenigstens Gelegenheit zur Teilnahme zu geben). (54) Beide Organe sowie die Generalversammlung haben überdies den Prüfungsbericht zu behandeln. (55) b) Generalversammlung

gegenüber Vorstand (deutsches

Recht)

Wo - anders als im österreichischen Genossenschaftsrecht, praktisch also im deutschen - kein (generelles) Weisungsrecht der Generalversammlung gegenüber allen übrigen Organen, insbesondere dem Vorstand, besteht, bleiben ihr nur punktuelle Einflußmöglichkeiten auf die laufende Geschäftsführung: Vor allem kommen Zustimmungsrechte zu einzelnen Akten in Frage. Nach deutschem Recht kann (nur) das Statut solche zustimmungspflichtigen Maßnahmen festlegen. (56) Hier kann die Mitgliederversammlung somit nicht initiativ werden; lediglich wenn die Geschäftsführung einen bestimmten Akt setzen möchte, bleibt der Generalversammlung die Möglichkeit, diesen zu "sperren". Auch an eine positive Entscheidung ist allerdings das anfragende Organ nicht gebunden.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

123

Auch eine solche Bindung ist jedoch nach aktienrechtlichem Muster dann möglich, wenn der Vorstand eine Angelegenheit der Generalversammlung vorgelegt hat und diese darüber entscheidet. (57) Schließlich hat nach deutschem Genossenschaftsrecht die Generalversammlung die Beschränkungen für Kreditgewährung an ein und denselben Schuldner festzusetzen. (58) c) Aufsichtsrat

gegenüber

Vorstand

Der Aufsichtsrat kann Vorstandsmitglieder (in Österreich auch Bedienstete) der Genossenschaft vorläufig entheben, das heißt bis zur Entscheidung der ehestens einzuberufenden Generalversammlung, und für das einstweilige Fortführen der Geschäfte das Nötige veranlassen. (59) Bei der Geschäftsführung kommen in erster Linie wieder rechte in Betracht, hier also solche des Aufsichtsrats.

Zustimmungs-

Kraft Gesetzes bedarf in Deutschland jede Kreditgewährung an ein Vorstandsmitglied (oder dessen Annahme als Bürge) der Zustimmimg des Aufsichtsrats (60), in Österreich das Erteilen der Prokura. (61) Weitere zustimmungspflichtige G«schäftsführungsmaßnahmen kann nach deutschem Recht das Statut festsetzen (62), nach österreichischem überdies die Generalversammlung. (63) Der Sonderfall gemeinsamer Vertretung durch Vorstand und Aufsichtsrat bei einer Anfechtungsklage nach deutschem Recht wurde bereits erwähnt. (64)

Fußnoten (1) Für Deutschland etwa Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 12. Aufl.(1983) § 34 Rn. 12 mit weiteren Nachweisen (allenfalls Bedeutung für Haftungsmaßstab des Organmitgliedes). Für Österreich vgl. Keinert, Österreichisches Genossenschaftsrecht. Lehr- und Handbuch (1988) Rz. 317. (2) Vgl. § 9 II dGenG, §§ 15 I, 24 I öGenG (dagegen nur mehrheitlich nach Art. 894 OR). Dazu etwa Keinert, Genossenschaftsrecht Rz. 12 ff. (3) Vgl. § 37 I dGmbHG; § 20 I öGembHG. (3a) Vgl. Forstmoser, in: Das Obligationenrecht VII/4 (Die Genossenschaft; 1972), Systematischer Teil Rn. 273 ("grundsätzlich von der Generalversammlung unabhängig") und 293 ("ungeklärte" Frage), jeweils mit weiteren Nachweisen. Offen auch Gutzwiller, Das Obligationenrecht, 6. Teil (Genossenschaft usw.; 1974) Art. 902 Rn. 7 ("Hilfs- und Exekutivorgan der Generalversammlung").

124

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

(4) Beispielsweise das Verbot von Haftungszusätzen, um die (generell zulässige) Genossenschaft ohne Nachschußpflicht nicht zu "diskriminieren"; dazu Keinert, Genossenschaftsrecht Rz. 177. (5) § 27, insbesondere I dGenG. Knapp dazu Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz § 27 Rn. 1 ff. (6) Siehe Meyer/Meulenberg/Beuthien, Genossenschaftsgesetz § 27 Rn. 9 mit weiteren Nachweisen sowie Rn. 18. Anderer Meinung insbesondere Müller, Genossenschaftsgesetz § 27 Rn. 6, 8. (7) Gegenteilig anscheinend Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz § 27 Rn. 18 am Ende; siehe auch unten FN 11 (8) Zum deutschen Recht kurz etwa Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz § 1 Rn. 6; zum österreichischen Keinert, Genossenschaftsrecht Rz. 5, 9 (auch zum Folgenden). (9) Vgl. etwa Kübler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. (1985) 144. (10) Ausführlich zu dieser Identitätskrise vor allem großer Genossenschaften, ihren Gründen und ihren Auswirkungen etwa Keinert, Genossenschaftsrecht Rz. 28; zur Bedeutungsminderung der Generalversammlung dort Rz. 11 am Ende. - Vgl. auch unten B 1. (11) Darin liegt wohl der Hauptgrund für die Zustimmung von Meyer/Meulenbergh/ Beuthien zur neuen deutschen Regelung (vgl. oben FN 7 und Genossenschaftsgesetz § 27 Rn. 2). (12) OGH 29.6.1989, 6 Ob 605/89 EvBl 1989/187 = RdW 1989/365; 7.2.1989, 2 Ob 599/ 88 NRsp 1989/104. (13) §§41 ff öGmbHG. Im österreichischen Recht ist der personalistische Grundcharakter der Genossenschaft übrigens noch stärker erhalten als im deutschen, weil die Deckungspflicht praktisch stets zwingend ist (vgl. § 5 Z 12, §§ 2 III und 76 öGenG mit § 6 Nr 3, § 119 dGenG). (14) Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 427 ff und vor allem 453 ff. (15) Siehe unten C 2 c bb. (16) § 43a dGenG; § 27 III öGenG; Art 892 OR (zur schriftlichen Urabstimmung dort Art 880). (17) Ebenso für Deutschland etwa Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz § 43 Rn. 2; Kübler (FN 9) 148. Für die Schweiz ausdrücklich Art 879 I OR. (18) Vgl. auch oben bei FN 10. (19) § 16 dGenG; § 33 II öGenG; Art 879 II Nr 1 OR. (20) § 78 dGenG (vgl. auch § 79a I); § 26 Z 2 öGenG; Art 888 II, 893 II, 911 Nr 2 OR. (21) § 93b dGenG; in Österreich §§ 2, 13 GenVG; Schweiz: Art 888 II, 893 II OR. (22) § 24 II und III Satz 2 dGenG (Sonderfall: nach vorläufiger Enthebung durch den Aufsichtsrat, § 40); §§ 15, 24 IV letzter Satz öGenG (zwingend; Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 320 ff); Art 879 II Nr 2, 890 I OR. (23) § 36 I und III dGenG (Abberufung freilich nur mit qualifizierter Mehrheit); § 24 I ÖGenG. (24) Für das österreichische Recht: Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 275. (25) § 83 I und IV dGenG; § 41 öGenG.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

125

(26) Vgl. § 38 I dGmbHG. Dort ist freilich der Vorstand, wie früher auch bei der Genossenschaft, weisungsgebunden; siehe oben bei und in FN 3. (27) §§ 19, 23, 34 I öGenG. (28) Siehe etwa Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 276. (29) Zum letzteren nach deutschem Recht siehe unten bei und in FN 57. (30) Für Deutschland etwa Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz 43 Rn. 2 mit weiteren Nachweisen; für Österreich Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 279. Zur Diskussion im schweizerischen Recht siehe Forstmoser (FN 3a) Rn. 293 mit Nachweisen. (31) § 39 I (am Ende) dGenG; § 25 I öGenG. (32) § 39 III dGenG; § 25 II öGenG. (33) Vgl. § 87a, insbesondere I und II dGenG. (34) Für das österreichische Recht, aus dem diese - an sich selbstverständliche Funktion sich nur mittelbar erschließen läßt, Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 354. Für die Schweiz ("Verwaltung") vgl. Art 899 und vor allem 902 OR. (35) §§ 24 I, 25, 26 dGenG; § 15 I, 17 I öGenG; Art 899 I OR. (36) §§ 27 II dGenG; § 19 öGenG; Art 899 II OR. (37) § 42 dGenG. Nach österreichischem Recht sind beide nur möglich, wenn die Genossenschaft ein Handelsgewerbe nach den §§ 1 oder 2 HGB betreibt (§ 13 öGenG). (38) § 33 I Satz 1 dGenG; § 22 I öGenG. (39) § 30 dGenG; § 14 öGenG; Art 902 III OR. (40) § 38 I dGenG; § 24 IV öGenG. (41) Zu diesen siehe ausdrücklich § 38 III dGenG; für Österreich Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 383 mit weiteren Nachweisen, zu den fakultativen Organen dort Rz 394 ff, insbesondere auch 397. Zu letzteren auch Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz § 9 Rn. 2. Vgl. auch unten bei FN 63. (42) 39 I dGenG; 25 I öGenG (sowie Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 348). (43) Siehe Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 335 am Ende mit weiteren Nachweisen. (44) für den Vorstand etwa Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz § 27 Rn 15, 18. Für beide Organe: Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 334 am Ende, 357 und 382. (45) § 45 dGenG; § 29 II, III öGenG; Art 881 II, III OR. (46) §§ 44, 33 III dGenG; § 28 öGenG (für Liquidatoren dort § 49); Art 8811 OR. (47) § 38 II dGenG; § 24 VI öGenG (sowie IV; siehe unten 2 c im Fall des Suspendierens von Vorstandsmitgliedern). (48) § 44 I dGenG; § 28 öGenG. (49) § 51, insbesondere II Satz 2 dGenG (Anfechtungsklage). Klagerecht des Vorstands nach Art 891 OR. Nach herrschender Auffassung in Österreich kann die allgemeine Feststellungsklage auch der Aufsichtsrat als Organ erheben; siehe Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 312 ff. Nach zwei neueren Entscheidungen (oben FN 12) fällt dieser Unterschied weg, weil diese die aktienrechtliche Teilung in Nichtigkeits- und Anfechtungsklage analog anwenden wollen.

126

(50) (51) (52) (53) (54) (55) (56) (57)

(58) (59) (60) (61) (62) (63) (64)

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

§ 33 I Satz 2 dGenG; § 22 II öGenG. § 48 III dGenG; § 22 II öGenG. §§ 33 I Satz 2, 38 I Satz 3 dGenG; § 24 V öGenG. § 481, II dGenG; §§ 271,35 öGenG sowie Keinert, Genossenschaftsrecht Rz 277; Art 879 II Nr 3 und 4 OR. Vgl. §§ 57 f dGenG; für Österreich vor allem § 6 GenRevG, 18 GenRevV. §§ 58 bis 60 dGenG; Österreich: § 8 GenRevG. § 27 II Satz 2 dGenG. § 34 IV Satz 1 dGenG (vgl. zu diesem "Vorlagebeschluß" § 93 IV dAktG). Zu Unrecht spricht Kübler (FN 9) 148 von einer "Weisung", obwohl die Generalversammlung hier ja nur "auf Antrag" tätig werden kann. § 49 dGenG. § 40 dGenG; § 24 IV Satz 3 öGenG. § 39 II dGenG. § 24 IV Satz 2 öGenG. §§ 27 II Satz 2, 38 III dGenG (vgl. auch § 34IV Satz 2). Siehe überdies zu fakultativen Organen oben vor FN 41. § 19 Satz 1 und 3 öGenG. Siehe auch, für den Aufsichtsrat wie für fakultative Organe, oben bei und in FN 41. Siehe oben nach FN 43.Fußnoten

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

2.1.7.

127

Kooperations- und Konkurrenzmanagement im Genossenschaftswesen Helmut

Lipfert

A. Kundennutzen-Mehrung als allgemeine Unternehmensstrategie Die nicht-genossenschaftlichen Konkurrenten der Genossenschaften und Zentralen orientieren in den letzten Jahren ihre Wettbewerbsstrategien bewußt intensiv an den Interessen und Notwendigkeiten ihrer Abnehmer. Die Unternehmensführungen betrachten sich als Interessensvertreter ihrer Kunden, deren Bedürfnisse und Ziele sie zum Unternehmenszweck erheben, um durch die Vermehrung des Kundennutzens ihren eigenen Unternehmenserfolg sicherzustellen. Im Wettbewerb um Absatzerfolge gilt als Zielsetzung, die Abnehmer davon zu überzeugen, daß deren Kostensituationen durch die angebotenen Produkte und Dienstleistungen in starkem Maße positiv beeinflußt werden. Im Lichte des den historischen Ursprung und die heutige gesetzliche Basis des Genossenschaftswesens bildenden Auftrags zur Förderung der Mitglieder ist das eine Übernahme von ur-genossenschaftlichem Ideengut und moderner genossenschaftlicher Managementorientierung durch die nichtgenossenschaftlichen Konkurrenten. Für die Zukunftssicherung des Genossenschaftswesens in den immer härter werdenden Wettbewerbs-Auseinandersetzungen ist ein aktiv agierendes Konkurrenzmanagement unerläßlich. Dabei dürfen jedoch keinesfalls die den Genossenschaften angeborenen und historisch gewachsenen kooperativen Elemente vernachläßigt werden. Ganz im Gegenteil ist ein noch bewußteres Kooperationsmanagement im Sinne einer noch intensiveren Betonung und Nutzung der menschlichen Werteverbindungen mit den Mitgliedern dringend erforderlich. Die Genossenschaften dürfen sich in ihren mitgliederbezogenen kooperativen Managementorientierungen auf keinen Fall von anderen Unternehmensformen überholen lassen! B. Orientierungen ökonomischer Wertketten Alle Wirtschaftseinheiten - die Unternehmen der verschiedenen Rechtsformen, Größenordnungen und Branchen sowie die privaten Haushalte - sind Glieder ökonomischer Wertketten (1), die aus den einzelnen, miteinander verflochtenen Aktivitäten des betrachteten Unternehmens, seiner Lieferanten und seiner Abnehmer bestehen. In den Wertketten außerhalb des Genossenschaftswesens strebt jedes Glied für sich selbst den größtmöglichen Anteil am insgesamt entstehenden ökonomischen Wert an. Die privaten Haushalte wollen ihren Bedarf an Dienstleistungen und Produkten zu niedrigen Preisen bei bester Qualität und genau auf ihre Wünsche differenziert befriedigt sehen. Die Anbieter verfolgen die Ziele niedrige Faktorkosten und hohe Preise. Die

128

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

Lieferanten dieser Anbieter erstreben ihrerseits höchstmögliche Preise für ihre Sub-Leistungen bzw. Zulieferungen. Der ordnungspolitisch einmalige genossenschaftliche Förderungsauftrag erzwingt eine völlig andere Orientierung der ökonomischen Wertkette. Die Genossenschaften und ihre Zentralen und Verbände verfolgen ihre Aktivitäten nicht, um von der gesamten im harten Wettbewerb erzielbaren VerbundWertschöpfung soviel wie möglich jeweils für die eigene Primärgenossenschaft bzw. die eigene Zentrale in Anspruch zu nehmen. Vielmehr ist es in Verfolgung des historischen und gesetzlichen Auftrages unabdingbar, soviel wie möglich der erarbeiteten Wertschöpfung direkt in den Dienst der dauerhaft optimalen Förderung der Mitglieder zu stellen. C. Kooperations- und Konkurrenzmanagement analytische Trennung einer realen Einheit

als gedanklich-

In der Realität des Genossenschaftswesens sind mitgliederförderungsorientierte Erfolge in den kooperativen menschlichen Beziehungen und den sachlichen ökonomischen Leistungen extrem interdependent. Das eine ist ohne das andere unmöglich. Die täglich neu zu erarbeitende ökonomische Wertschöpfung für die Mitglieder ist nur dann zu erzielen und dauerhaft zu sichern, wenn das von den Genossenschaften zur Verfügung gestellte Leistungsbeziehungsangebot durch ihre Mitglieder intensivst genutzt wird. Mängel und Probleme in den kooperativen menschlichen Werte-Verbindungen zwischen Mitgliedern, Mitarbeitern und Vorständen der Genossenschaften lösen fast unweigerlich Störungen der Inanspruchnahme des Leistungsbeziehungspotentials aus. Die Mindernutzung führt zur Schrumpfung des ökonomischen Wertschöpfungsprozesses und damit zur bedrohlichen Schwächung der Genossenschaften und auch der Zentralen in der Auseinandersetzung mit den nicht-genossenschaftlichen Wettbewerbern. Es erscheint für Managementüberlegungen zweckmäßig, jedoch allein gedanklich-analytisch zulässig, zum einen zu sprechen von der dem Konkurrenzmanagement zuzuordnenden objektiven, realen Mehrleistungsforderung. Die ökonomischen Wertaktivitäten der Mitglieder sind durch zweckgerichtete, gegenüber der nicht-genossenschaftlichen Konkurrenz verteidigbare ökonomische Wertaktivitäten der Genossenschaften und ihres Verbundes zu fördern. Zum anderen ist dann gedanklich-analytisch dem Kooperationsmanagement zuzuordnen, den Mitgliedern immer wieder bewußt zu machen, daß ihnen von ihrer Genossenschaft differenziert auf die speziellen Mitgliederbedürfnisse abgestimmte Mehrleistungen angeboten werden, damit sie deren Wert intensiv wahrnehmen und die Leistungsangebote maximal nutzen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, daß die ökonomischen Mehr-Werte mit den nicht-ökonomischen menschlichen Wertvorstellungen der Mitglieder harmonieren - auf keinen Fall kollidieren.

2. Kapitel: Die Merkmale

von Genossenschaften

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D. Menschlich-kooperative Wertinhalte der Personenvereinigung Genossenschaft Die von dem Genossenschaftspraktiker und -theoretiker Draheim stammende Hervorhebung der Doppelnatur der Genossenschaft als auf die wirtschaftliche Förderung der Menschen gerichteter, demokratisch organisierter Geschäftsbetrieb und als von diesen Menschen unterhaltene, das Menschliche betonende Personenvereinigung ist als eine analysierende und wegweisende Erkenntnis von größter Aktualität. (2) Die menschlichen, häufig informellen Strukturen und Abläufe, die persönliche Motivation der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit dem Unternehmen werden neuerdings in immer stärkerem Maße in der internationalen Managementliteratur als von den Managements zu beachtende wichtige Erfolgsfaktoren herausgestellt. Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist ein im Jahre 1977 von Zaleznik im Harvard Business Review veröffentlichter Aufsatz gewesen. (3) Zaleznik nennt als Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen, die in einem erfolgreichen Unternehmens-Gesamtmanagement kombiniert benötigt werden, "typische" Managereigenschaften und ebenso "typische" Führereigenschaften. Er betont, daß die "harten" Managementelemente Strategie, Struktur und Systeme relativ leicht zu schaffen und anzupassen sind. Eine vielfach entscheidende Rolle spielen nach Zaleznik die "weichen" Führungselemente menschliche Werte, Stil, Motivation und Identität. Diese sind sehr viel schwerer implementierbar und nicht schnell und nicht "auf Kommando" anpaßbar. Ein Genossenschaftsmanagement, das seinen Förderungsauftrag erfüllen will, muß sich mit gleicher Intensität um seine "weichen" Führungsaufgaben gegenüber den Mitarbeitern und um die genossenschaftliche Identität der Mitglieder bemühen wie um die Strukturierung des Betriebes, die Systematisierung der Geschäftsabläufe und eine aktive, durchsetzbare, zumindest verteidigungsfähige Konkurrenzstrategie gegenüber den nicht-genossenschaftlichen Wettbewerbern. Die Gründungsarchitekten der Genossenschaften haben kooperative kommunikative, menschenbezogene Gestaltungen geschaffen, die die Genossenschaften seit mehr als 100 Jahren "bewohnen" und mit denen die Genossenschaften den ständigen Wandel und auch manche tiefgreifende Umwälzung in den ökonomischen und politischen Umfeldgegebenheiten erfolgreich zu meistern vermochten. Diese von den Pionieren des deutschen Genossenschaftswesens ausgehende Tradition ist gerade in der heutigen Zeit durch die Betonung der motivierenden Leitideen des genossenschaftlichen Werte- und Sinnsystems zu pflegen: Der Mensch als Maß aller Dinge, Durchsetzung gleichgelagerter Interessen durch Zusammenfassung der gemeinsamen Kräfte und demokratische Willensbildungsprozesse.

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E. Managementaufgabe Genossenschafts-Identität Die optimale Integration von sachlichen Leistungsbeziehungen und zwischenmenschlichen Kommunikationsbeziehungen wird durch eine betonte, sehr bewußt gepflegte Genossenschafts-Identität (cooperate identity) der Mitglieder, Mitarbeiter und Vorstände in Primärgenossenschaften und Zentralen sichergestellt. Für diese Pflege der Genossenschafts-Identität gilt die Forderung, daß die tatsächlichen Verhaltensweisen mit dem Selbstverständnis des Kooperativ-Organs Genossenschaft übereinstimmen. Die Genossenschafts-Identität manifestiert sich im Bewußtsein der gemeinsamen Wertund Sinnorientierung am Unternehmenszweck Mitgliederförderung und im positiven Image des im gemeinsamen Eigentum befindlichen kooperativen Unternehmens bei seinen Mitgliedern. Für ein identitätsorientiertes Kooperationsmanagement im genossenschaftlichen "Innenleben" ist ein volles Engagement von Personen erforderlich, die Basislegitimation besitzen, also über umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit Mitgliedern verfügen und fortgesetzt intensiven Kontakt mit den Mitgliedern pflegen. Dabei ist die beste Legitimation eine anerkannte Sachkompetenz verbunden mit Persönlichkeitswerten! Ob für ein optimales Kooperationsmanagement eher ein hauptamtliches oder ein ehrenamtliches Vorstandsmitglied verantwortlich sein sollte, hängt von der Größe der Genossenschaft und von persönlichen Fähigkeiten und Neigungen ab. In klarer Erkenntnis der Bedeutung einer langfristigen Identitätssicherung haben Genossenschaftsverbände ebenso umfassende wie flexible Leitbilder (4) entwickelt, die genossenschaftstypbezogen (Branche, Größe) in individuelle Unternehmensleitbilder umgesetzt werden können. F. Kreativitätspotential der Mitglieder und Mitarbeiter Der Genossenschaftspraktiker Saalfeld betonte in einem im Genossenschaftsforum veröffentlichten Interview: "Neue Ideen, die wir im Mitgliederbereich verwirklichen, resultieren aus einem ständigen Dialog aller Beteiligten und sind nicht dem Verdienst eines einzelnen zuzuschreiben."(5) Dementsprechend ist im Interesse einer bestmöglichen Nutzung des Kreativitäts- und Innovationspotentials sicherzustellen, daß die Mitglieder und Mitarbeiter überzeugt sein können, für das ökonomische und zwischenmenschliche Gesamtgeschehen in der Genossenschaft von großer Bedeutung zu sein. Insbesondere Blümle/Purtschert(6) und Ringle(7) haben nachgewiesen, daß zur Förderung des genossenschaftlichen Erfolgs alle formellen, insbesondere aber auch informellen Informations- und Kommunikationskanäle geöffnet und genutzt werden müssen, um das Potential der Mitglieder an Know how und Ideen in Beiräten, Projektteams, Teilmitgliederversammlungen,

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Nachwuchs-Meetings usw. voll auszuschöpfen. Eine Revitalisierung basisdemokratischer Elemente im genossenschaftlichen Willensbildungsprozeß bringt ein großes Potential von positiver Interaktions-Synergie mit sich. G. Aktiv innovierend.es Bemühen um Wettbewerbsvorteile in sich schnell verändernden Umfeldern Eine leichte und gelegentlich auch einmal eine fühlbare Verbesserung der Mitgliederförderung - zumindest aber die Aufrechterhaltung ihres erreichten Niveaus- erfordert Erfolge in den ständigen Auseinandersetzungen mit den nicht-genossenschaftlichen Wettbewerbern. Um solche Erfolge zu erzielen, genügt es nicht, die dynamischen Veränderungen der Mitgliederbedürfnisse, der Umfelder und der Konkurrenten-Verhaltensweisen rechtzeitig als zu meisternde Probleme zu erkennen. Vielmehr muß das Streben des Konkurrenzmanagements ständig auf die Realisierung von Wettbewerbsvorteilen gerichtet sein, um die ökonomische Situation des genossenschaftlichen Wertkette-Endglieds Mitglied zu verbessern. Sehr früh erkannte Veränderungen bzw. als wahrscheinlich erkannte Veränderungstendenzen sind - wenn möglich - als willkommene Chance zur Verbesserung der Stellung im Wettbewerb durch angreifende Innovation aufzufassen. Eine die nicht-genossenschaftlichen Wettbewerber überflügelnde erfolgreiche Innovation vermag Veränderungen auszulösen, die zu großen Verbesserungen der relativen Effektivität der ökonomischen Wertkette des genossenschaftlichen Gesamtverbundes im Vergleich zur Konkurrenz führen können. Wenn echte Innovationschancen mit (noch) vertretbaren Risiken zu erkennen sind, gewinnt die mittel- und langfristige Erfahrung als Entscheidungshilfe große Bedeutung, daß Innovation zwar risikobehaftet ist, nicht zu innovieren sich auf die Dauer jedoch als noch riskanter erweisen kann. Ein zuverlässiger - aber erfahrungsgemäß häufig vernachläßigter - Bestandteil des aktiven genossenschaftlichen Konkurrenzmanagements ist ein mit dem Ziel der Früherkennung erfolgendes ständiges Beobachten der Veränderungen im Konkurrentenverhalten. Zumindest sind diese Veränderungen daraufhin zu untersuchen, ob sie für die eigenen vorhandenen und/oder evtl. neu hinzuzugewinnenden Mitgliedersegmente imitiert werden sollten. Das kann unverändert geschehen. Hervorragendes mitgliederförderndes Konkurrenzmanagement wäre dann zu verzeichnen, wenn die als Imitationsvorgang geschaffene Leistungsart genau mitgliedergerecht angeboten würde, also durch Differenzierung eine maximale Mitgliedernähe - vielleicht auch nur für einige Mitgliedersegmente passend - erreicht worden wäre.

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H. Verbundsynergie kann strukturelle Kostensenkungslücke überkompensieren Kostenführerschaft bildet durchweg ein Junktim mit der Marktführerschaft, also mit dem größten Marktanteil eines Unternehmens in seiner Branche. Der Marktführer befindet sich in einem "Vorteils-Kreislauf", denn er hat - und gewinnt laufend dazu - die meiste kumulierte, Kostensenkungspotential mit sich bringende Erfahrung, die intensivste Mengendegression und nicht selten auch das breiteste Risikoportfolio, was ihn vor kundenbranchenspezifischen Überraschungen mehr oder weniger weitgehend zu bewahren vermag. Die überlegene Kostensituation bietet dem Marktführer die Möglichkeit zu Spitzengewinnen oder zu recht massiven Preisuntlerbietungen. Er ist sowohl zu Innovationsattacken gegen die Mitbewerber als auch zur Abwehr derartiger Attacken, wenn die von den Mitbewerbern ausgehen, bei weitem am besten gerüstet. Niemand wird die Tatsache übersehen können oder gar leugnen wollen, daß die kleineren/kleinen Einheiten im Genossenschaftswesen (sehr) erhebliche strukturelle Kostennachteile bedeuten - denen natürlich große Vorteile gegenüberstehen, insbesondere die ein hervorragendes Potential für erfolgreiche mitgliederorientierte Differenzierung bietende Mitgliedernähe. Es kann auch kein Zweifel bestehen, daß gerade direkt und spezifisch mitgliederförderungsgerecht differenzierte Wertkettenleistungen einer Genossenschaft zumindest tendenziell zusatzkostenträchtig sind. Ohne Gegenmaßnahmen in den genossenschaftlichen Systemen würden die strukturellen Kostennachteile im Genossenschaftswesen der mitgliederorientierten Mehrförderung mit Hilfe allgemeiner und/oder segmentbezogener Differenzierung kompensierend oder gar überkompensierend im Wege stehen. Das vom Konkurrenzmanagement anzustrebende strategische Optimum im Genossenschaftswesen muß -

darin bestehen, daß die ökonomischen Konditionen für die Mitglieder zumindest nicht schlechter sind als diejenigen der vergleichbaren, also mit entsprechender Leistungsbreite örtlich präsenten nicht-genossenschaftlichen Konkurrenten, damit in dieser Hinsicht keine Minderförderung gegeben ist, und

-

darin bestehen, daß die im Sinne allgemeiner und segmentierter Differenzierung angebotenen Leistungen einen möglichst großen Sonderbeitrag zu den ökonomischen Wertketten und menschlichen Wertvorstellungen der Mitglieder leisten und entsprechend wahr- und angenommen werden, damit die gewünschte Mehrförderung gegeben ist.

Zur Uberwindung der strukturellen Kostensenkungslücke im Genossenschaftswesen können in einem gewissen Umfang Nichtmitgliedergeschäfte

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dienen, die jedoch in diesem Beitrag nicht zu diskutieren sind. Die entscheidende Basis für die (Über-)Kompensation der Kostensenkungslücke ist die Nutzung von Synergieeffekten durch optimale Intensität der genossenschaftlichen Verbundsysteme. Das impliziert die maximale Inanspruchnahme aller angebotenen Verbundleistungen, die laufend nachdrücklichst mitgliederförderungsorientiert angepaßt und erweitert werden müssen. Das Synergiepotential - "das Ganze ist mehr als die Teile" - ist der zentrale Mehrleistungsfaktor, durch den genossenschaftliche Systeme ihren einzigen - allerdings ohne Gegenmaßnahmen lebensbedrohenden - Wettbewerbsnachteil kompensieren / überkompensieren können. Ansoffi8) hat das Synergismuskonzept dahingehend simplifiziert, daß aus 2 plus 2 5 werde, und er hat mit dieser "Rechnung" beweisen wollen, daß es an qualitativen Veränderungen orientiert, also nicht wertfrei ist und sich der mathematischen Kontrolle entzieht. Leavitti9) weist darauf hin, daß eine Melodie mehr ist als nur die Noten und daß alle Teile zusammen noch kein Fahrrad ergeben, solange diese Teile nicht auf eine bestimmte Art und Weise zusammengesetzt sind. Synergieprozesse sind erfolgreiche integrierende Kombinationen, während antagonistische Prozesse eine zerstörerische, krankhafte Kombination darstellen. Ein genossenschaftstypisches Zusammenwirken von emotionaler und sachlicher Synergie ist zu beobachten, -

wenn ein Mitglied an seine Genossenschaft mit einem Leistungswunsch herantritt, dessen Erfüllung seine Wettbewerbssituation (wie die Wettbewerbssituation anderer Mitglieder) verbessert und die Situation der Genossenschaft zumindest nicht verschlechtert, und

-

wenn dann der Genossenschaftsvorstand enthusiastisch mit einer verbessernden Weiterentwicklung des ursprünglichen Leistungswunsches reagiert, wodurch nun auch das besonders intensiv geförderte Mitglied(ersegment) positiv gestimmt wird.

Als Ergebnis dieses synergetischen Prozesses können alle Beteiligten eine günstige Auswirkung auf ihre ökonomische Wertkette und mehr kooperative Energie verzeichnen. Dem einmalig hohen Synergiepotential, das dem menschenbezogenen genossenschaftlichen System innewohnt, steht - das sollte nie übersehen werden - ein ebenso hohes, zerstörerisches Antagonismus-Potential bei falschen Verhaltensweisen und schlechten Entscheidungen gegenüber. Von den Möglichkeiten, statt kostensenkendem, mitgliederförderndem Synergiepotential im Genossenschaftswesen einem Antagonismus-Potential zu begegnen, sei auf - tatsächliche oder angebliche - Spuren von (vertikalem oder horizontalem) Endo-Kannibalismus zwischen den Gliedern des gesamten genossenschaftlichen Verbundes verwiesen, die sowohl ökonomisch als auch kooperationspolitisch überaus schädlich sind. Demgegenüber sollte die maximale Bereitschaft jedes Verbundmitgliedes selbstverständlich sein, von nichtgenossenschaftlichen Konkurrenten angegriffenen Verbundmitgliedern mit

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allen Kräften bei der Abwehr von solchen Exo-Kannibalen hilfreich zur Seite zu stehen. Im Sinne intensiver aktiver Förderungsbemühungen für die Mitglieder ist die bessere Leistung die Feindin der guten, so daß - um im Bilde zu bleiben - ein Streben nach Kannibalisierung der eigenen bisherigen nur guten durch eine eigene bessere Leistung zum Prinzip der Geschäftspolitik gemacht werden sollte, um Exo-Kannibalen stets von vornherein den Appetit zu verderben. I. Genossenschaftsspezifische Problematik der Verwundbarkeitsabwehrpolitik Managementtheoretisch ist Verwundbarkeit als folgende ständig bestehende Möglichkeit definierbar: "die jeweils als Ereignisse auf die Glieder der genossenschaftlichen Systeme einwirkenden Umfeldsituationen, in denen die Systemglieder mit Entscheidungszwängen engagiert sind, weichen von den erwarteten Situationen ab. Der Grad der Verwundbarkeit einer Mitgliedwirtschaft, einer Primärgenossenschaft oder einer Zentrale sowie des jeweiligen genossenschaftlichen Gesamtsystems resultiert damit aus einer Vielfalt von umfeldseitigen Risiken (Ereignissphäre) und unternehmensseitigen Risiken (Entscheidimgssphäre). Die Glieder und die Gesamtheit genossenschaftlicher Systeme sind gehalten, sich des speziellen Ausmaßes, in dem sie Risiken hinnehmen können, bewußt zu sein, also die Akzeptanz-Bandbreite ihrer Gesamtverwundbarkeit zu kennen und zu beachten. Systemglieder mit hohen allgemein-geschäftlich operativen Risiken in schwierigen Branchen mit hartem Wettbewerb und sehr schnellen Struktur-(Umfeld-)Veränderungen sind gezwungen, alle Möglichkeiten zu nutzen, um nicht auch noch mit übermäßigen finanzierungswirtschaftlichen Risiken (=zu geringe Eigenkapitalausstattung) belastet zu sein."(10) Die Starken unter den Mitgliedern wären durchweg ohne ihre Genossenschaften und die Genossenschaften wären ohne den Verbund nicht so stark wie sie sind. Die Schwachen, die Verlierer, haben sich trotz ihrer Zugehörigkeit zu genossenschaftlichen Systemen als nicht (über-) lebensfähig erwiesen. Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Aufgeben von Verlierern bedeuten in jeder Hinsicht eine Dilemma-Situation in einem System von Unternehmen, das historisch entstanden ist, um "Fast-Verlorenen" Hilfe zur Erhaltung ihrer wirtschaftlichen Existenz zu bieten und das heute - erfolgreich - den Auftrag hat, seine Mitglieder zumindest so stark zu fördern, daß ihnen die Verlierer-Problematik dauerhaft erspart bleibt. Richtig verstandenes genossenschaftssystem-adäquates Verwundbarkeitsmanagement kann jedoch nicht darin bestehen, Leistungen an tödlich Verwundete zu erbringen, sondern vielmehr darin, daß gemeinsam alles getan wird, damit es nicht erst zu Verwundungen kommt. Damit ist die Zielsetzung einer dauerförderungsorientierten, bewußten, aktiv agierenden Erfolgsverteilungspolitik umrissen: die Starken noch weniger verwundbar und die Schwachen weniger verwundungsgefahrdet zu machen.

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J. Systemimmanente Erfolgsverteilungspolitik zur Sicherung der Abwehr- und Repudiationsfähigkeit bei Konkurrentenangriffen Das Gießkannenprinzip, ein Kontinuitätsstreben oder ein "laissez aller" bei der Verteilung des genossenschaftlichen Systemerfolgs mögen kurzfristig/ vordergründig im Interesse der Vermeidung von kooperationsstörenden Konflikten zweckmäßig und damit angezeigt erscheinen. Sie dienen jedoch nicht der Vermehrung der Abwehr- und Vergeltungskraft der Glieder und der Gesamtheit genossenschaftlicher Systeme bei Wettbewerberangriffen, so daß sie als konkurrenzpolitisch nicht vertretbar angesehen werden müssen - und bei Mißerfolgen im Konkurrenzmanagement ist dauerhaft kein gutes Kooperationsklima zu erhalten. "Es erscheint genossenschaftssystemadäquat, die erfolgsverteilungspolitischen Aufgaben in bewußten, offenen iterativen Argumentations- und Verhandlungsprozessen dynamisch und mit der Bereitschaft zu Veränderungen -jedoch ohne falschen 'Aktionismus' - zu lösen zu versuchen. Diese Aufgaben sind gestellt zum einen generell zwischen den Systemebenen Mitglieder, Primärgenossenschaften und Zentralen und zum anderen speziell innerhalb der Ebenen zwischen den Einzelgliedern oder Gruppen von Einzelgliedern."(ll) Jedes mehrstufige kooperative System - nicht nur das Genossenschaftswesen - lädt zu Vergleichen mit Nietzsches Stachelschweingesellschaft ein: Wenn es draußen kalt ist, rücken die Stachelschweine dicht zusammen, und es stört sie nicht, daß sie sich gelegentlich pieksen; wenn es wieder wärmer wird, merken sie gegenseitig, daß sie Stacheln haben, und rücken weiter auseinander. Die "Gangarten" der Konkurrenten werden härter und internationaler. Da, wo im Genossenschaftswesen noch aus "alten Zeiten" anti-kooperative Stacheln hochgestellt sein sollten, ist Zusammenrücken sicherlich dringend angezeigt. Es geht im Ergebnis um konsultative Prozesse zur partiellen Umverteilung von Cash flows in zwar kooperativen, jedoch differenzierten Systemen mit einer Vielzahl unabhängig entscheidender, auf den eigenen, individuellen marktwirtschaftlichen Erfolg ausgerichteter Glieder. "Eine solche Umverteilung ist die gezielte und recht intensive Verlagerung von Ressourcen in Service-, Beratungs- und Schulungsleistungen innerhalb der GenossenschaftsSysteme, die - kostenlos zur Verfügung gestellt - allen Mitgliedern bzw. Genossenschaftsmanagements in gleicher Weise Förderung bieten. Es wird von den Genossenschafts-Systemen - und das trägt ganz wesentlich zu ihren Erfolgen bei - Hervorragendes geleistet in der Öffentlichkeitsarbeit, in den Bereichen der gesamtwirtschaftlichen, allgemein rechtlichen, wettbewerbsrechtlichen und steuerlichen Fragen, in der fachlichen Schulung von Mitarbeitern und "Aufsteigern" in Managementpositionen sowie - last but by far not least - in Betriebsvergleichen und in der Aus- und Weiterbildung von Prüfern und Weiterentwicklung der Prüfungsinhalte und -kriterien.

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Wird auch im Bereich einer institutionalisierten Managementberatung für Mitgliederwirtschaften, Primärgenossenschaften und auch Zentralen das Optimale getan? Die Aussichten, daß sich die - zweifellos sehr hohen - Kosten für auf Managementberatung in den Genossenschaften spezialisiertes Spitzenpersonal vielfach bezahlt machen, erscheinen überaus günstig."(12) Die Gebote der Gegenwart und der Zukunft für das Kooperations- und Konkurrenzmanagement im Genossenschaftswesen sind -

Intensive Beobachtung der Konkurrenten zur Früherkennung drohender Angriffe und zur Erarbeitung von Abwehrpotential Bewußtes Aufspüren und schnelle Realisierimg von eigenen konkurrenzüberlegenen, die Konkurrenz überraschenden Innovationen Geheime interne Erforschung von Schwächen und Stärken mit geheimem "Feed-forward" an die Managements in den Systemen Bewußte Förderung aller aktiv an der Nutzung des kooperativen Synergiepotentials Mitwirkenden bei gleichzeitigem Mut zur Bloßstellung von offenen oder heimlichen Antagonisten Last but by far not least: Intensive Rückbesinnung auf ur-genossenschaftliche Management-Tugenden, um in deren Nutzung nicht von Konkurrenten überholt zu werden.

Fußnoten: (1) Vgl. M.E. Porter, Wettbewerbsvorteile. Spitzenleistungen erreichen und behaupten, Frankfurt/Main 1986, S. 59 ff. (im Original: Competitive Advantage, New York 1985, S. 33 ff.) (2) Vgl. G. Draheim, Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, 2. Aufl., Göttingen 1955, S. 16 ff. (3) Vgl. H. Zaleznik, Managers and leaders: Are they different?, in: Harvard Business Review, May-June 1977, S. 67 ff. (4) Vgl. hierzu den Beitrag von A. Schrörs in Kreditgenossenschaftlicher Förderungsauftrag heute, hrsg. von H. Lipfert und R. Lürig, Göttingen 1987, S. 13 ff. und die Leitlinien der Unternehmenspolitik für Genossenschaftsbanken - mit Bewertungsschema zur Selbstkontrolle - hrsg. vom Raiffeisenverband Schleswig-Holstein und Hamburg e.V., Kiel, die in dem gleichen Buch auf S. 139 ff. wiedergegeben sind. Vgl. hierzu auch W. Gmeiner, H. Hofinger, P. Weiß, Das Leitbild der Kreditgenossenschaften nach dem System Schulze-Delitzsch, hrsg. v. Österreichischen Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch), Wien 1986 (5) H.G. Saalfeld im Interview mit Schütte, Der ständige Dialog - ein Weg zum Erfolg, in: Genossenschaftsforum 5/82, S. 213 (6) Vgl. E.-B. Blümle / R. Purtschert, Förderungsauftrag, Partizipation und intragenossenschaftliche Kommunikation, in: ZfgG, Bd. 33 (1983), S. 128 ff.

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(7) Vgl. G. Ringle, Mitgliederaktivierung und Partizipation in mordernen Primärgenossenschaften - mit einer Stellungnahme von D. Hill, Mitgliederaktivierung notwendig und möglich, Gottingen 1983, S. 50 ff. (8) Vgl. H.-J. Ansoff, Corporate Strategy, New York 1965, reprinted Suffolk 1968, S. 72 fT. (9) Vgl. H.J. Leavitt, Grundlagen der Führungspsychologie, München 1974, S. 207 f. (im Originaltext: H.J. Leavitt, Managerial Psychology, Fourth Edition, Chicago/ London 1978, S. 178) (10) H. Lipfert, Mitgliederförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, 2. Aufl., Göttingen 1988, S. 258 (11) H. Lipfert, a.a.O., S. 255 (12) H. Lipfert, a.a.O., S. 261

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2.1.8.

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Genossenschaftliches Bildungswesen Johann Brazda

A. Der historische Bildungsauftrag Es gibt wohl keine andere moderne Wirtschaftsform, deren Entstehung so sehr von ausgeprägten Bildungsimpulsen begleitet war, wie die Genossenschaften. Robert Owen, Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann SchulzeDelitzsch haben die von ihnen gegründeten Genossenschaften nicht nur als ökonomische Selbsthilfeeinrichtungen verstanden, sondern auch als Einrichtungen, die im weitesten Sinne der Bildung dienen sollten. Oder anders ausgedrückt: Das genossenschaftliche Prinzip war und ist immer mit einem Bildungsauftrag verbunden. Die Entwicklung der Genossenschaften war eine der zahlreichen neuen wirtschaftlichen Verhaltensweisen, mit denen man im 19. Jahrhundert in und zu einer geschichtlich völlig neuen und unerprobten Wirtschaftssituation Stellung bezog. Eine Wirtschaftssituation, die aus dem beginnenden Industrialismus heraus entstand und durch eine Verschärfung der sozialpolitischen Fronten gekennzeichnet war. Mit den Genossenschaften wollte man die Fronten auf zwei Arten entschärfen: -

Die in Not Geratenen sollten in die Lage versetzt werden, sich selbst helfen zu können, damit auch sie aus der neuen Wirtschaftssituation Vorteile ziehen und Not und Elend überwinden können.

-

Die neue Markt- und Wettbewerbsordnung wird mit Genossenschaften durch eine neue Ordnung ersetzt, die für die betroffenen Sozialschichten von vornherein die Befreiimg aus Abhängigkeiten bedeuten würde.

Robert Owen wollte an Stelle des herrschenden Fabrikssystems und der Konzentration in den großen Städten mit ihren schlechten Wohnverhältnissen produktivgenossenschaftliche Siedlungen gründen. Sie waren für ihn der Hebel einer weiterreichenden Umgestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche - nicht nur der Produktion und Verteilung von Gütern, sondern auch des Wohn- und Gesundheitswesens, der Erziehimg und Bildung auf gemeinschaftlicher Grundlage (vgl. Elsässer, 1984). Die Rochdaler Pioniere sahen in der Konzeption der Genossenschaft ihr Ziel, die Lebenslage der arbeitenden Bevölkerung zu verbessern, verwirklichbar. Die Konzeption selbst basierte auf einer sozialorganisatorischen Grundlage: Man muß solidarisch-demokratisch die Nöte anderer teilen und sich für sie einsetzen (vgl. Elsässer, 1982). Diese Grundlage war mit klar formulierten Geschäftsprinzipien verbunden, die vor allem mithalfen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Anfangsphase der Genossenschaft zu überstehen. Eine dieser Prinzipien war die Förderung des Erziehungswesens durch Bereitstellung von 2,5 % des Überschusses für Bildungszwecke. Damit war es möglich,

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den Mitgliedern die notwendigen Einblicke in die Grundlagen des Wirtschaftslebens und der Genossenschaft zu geben. Friedrich Wilhelm Raiffeisen sah die Ursache der drückenden sozioökonomischen Situation der Bevölkerung in einer zunehmenden Entchristlichung seiner Zeit, in der die Selbstsucht dominiert. Er beurteilte den Prozeß des sozialen Wandels seiner Zeit aus der landwirtschaftlichen Perspektive. Das Bauerntum und die Landwirtschaft waren für ihn der Kern der Gesellschaft und damit sein Ansatzpunkt für eine Veränderung der Gesellschaft. Durch eine Verbesserung der materiellem Lage der Landbevölkerung sollte die Möglichkeit geschaffen werden, das eigentliche Anliegen Raiffeisen einer geistig sittlichen Förderung zu verwirklichen (vgl. Finis, 1980). Er sah in seinen Genossenschaften nicht nur eine Kredithilfe für die Mitglieder, sondern betonte immer wieder ihren sittlichen, bildenden und erzieherischen Wert. Zu diesem Zweck wurden sogenannte Kasinos eingerichtet, die die Aufgabe hatten, durch Vorträge und Besprechungen sowie durch Verbreitung von Büchern und Zeitschriften die Mängel und Fehler der Landwirtschaft zu erforschen. Heinrich Schulze-Delitzsch suchte - geprägt durch die liberalen und humanitären Geistesströmungen seiner Zeit - durch die Genossenschaften auch für die arbeitende Schicht die Möglichkeit des wirtschaftlichen Liberalismus nutzbar zu machen. Er hielt die Herstellung einer allgemeinen Harmonie im Wirtschaftsleben durch die Beteiligung aller Wirtschaftssubjekte an den Errungenschaften der industriellen Revolution für möglich. Durch Wort und Schrift suchte er als liberaler Volksführer Aufklärung in den städtischen Mittelstand hineinzutragen und den Genossenschaftsgedanken populär zu machen. Die Genossenschaften sollten dabei auch Bildungs- und sozialen Hilfsleistungszwecken dienen und die Aufgabe der "Pflege der individuellen Entwicklung leiblicher, intellektueller und sittlicher Tüchtigkeit des einzelnen, Verbreitung von Einsicht und Tatkraft unter allen Schichten der Bevölkerung" übernehmen (vgl. Aldenhoff, 1984). Es muß hier aber einschränkend bemerkt werden, daß nicht die unterste Schicht der Gesellschaft die Kerngruppe der Genossenschaft bildete. Es waren Bildungs- und ökonomische Eliten des Mittelstandes, die Facharbeiter und die Bauern, die sich der genossenschaftlichen Selbsthilfe zuwandten, und es wurden auch zahlreiche Genossenschaften von oben gegründet, d.h. sie entstanden unter Dominanz traditioneller Führungsschichten, die damit die Mißstände der industriellen Revolution kanalisieren und abfangen, die Besitzverhältnisse stabilisieren und insgesamt mithelfen wollten, die Bevölkerungsschichten in ihrem Stande zu halten (vgl. Brazda/Schediwy, 1989).

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Die Genossenschaften waren seit ihrer Entstehung mit drei Bildungsaktivitäten verbunden. Erziehung zum Genossenschafter Durch Erziehung zum Gemeinschaftsleben sollten bestimmte Schichten der Bevölkerung befähigt werden, ihre Lage in Form tätiger Selbsthilfe zu verbessern. Bildimg unter den Mitgliedern wurde zur Entwicklung einer Gemeinschaft Eds unentbehrliches Fundament angesehen, weil nicht nur eine neue Wirtschaftsform, sondern auch eine neue Lebensform entwickelt werden sollte, in der sich der Mensch nicht allein wirtschaftlich, sondern auch sozial optimal entfalten könnte. Wirtschaftliche Kooperation wurde als nicht bereits im Menschen vorgegebene Lebensform betrachtet, die Mitglieder mußten zu den genossenschaftlichen Prinzipien erzogen werden. Denn die neue Wirtschaftsordnimg war gekennzeichnet durch eigene Entstehungsursachen, eigene rechtliche Verfassung, eigene Betätigungsfelder und vor allem durch eigen innere Lebensprinzipien. Allgemeinbildung Durch Bildung sollte der unzureichende Wissensstand breitester Bevölkerungsschichten überwunden werden. Die Vermittlung von Sachwissen und allgemeiner Information stand hier im Vordergrund. Es wurden Genossenschaftsbüchereien, Lesesäle und Volksbildungsvereine gegründet. "Die Mitglieder sollen urteilsfähig, vorurteilsfrei gemacht und in Stande gesetzt werden, Vorträge und Schriften zu verstehen und für sich anzuwenden" (Raiffeisen). Fachausbildung Bereits nach der ersten Gründungsperiode der Genossenschaften mußten diese schmerzlich zur Kenntnis nehmen, daß neben einer Kooperationsbereitschaft auch das Fachwissen über Lagerhaltung, Buchhaltung und Kostenrechnung eine unabdingbare Notwendigkeit für das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebes war. In den Verbandsberichten findet man immer wieder die Klagen über ein zu geringes Eigenkapital, zu große Schulden, schlechte und unzulängliche Kontrolle der finanziellen Gebarung, Unerfahrenheit der Vorstände und die Forderung nach kaufmännischer und organisatorischer Voraussetzungen f ü r eine erfolgreiche Betriebsführung. Durch Bildung mußten also auch die kaufmännischen Erfordernisse der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder gewährleistet werden. Schulung richtet sich hier ausschließlich auf die ökonomische Unterweisung und Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter. Daraus entstanden die ersten genossenschaftlichen Fachbildungsanstalten.

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B. Analyse des Ist-Zustandes 1. In den Industriestaaten Mit der allmählichen Eingliederung der Genossenschaften in die arbeitsteilige Erwerbswirtschaft, der Herausbildung moderner Großgenossenschaften und genossenschaftlicher Verbundsysteme traten immer mehr rein wirtschaftliche Aufgaben in den Vordergrund. Die Genossenschaftsmitglieder mußten nicht mehr in ständiger Unsicherheit um ihre Existenz kämpfen, standen nicht mehr außerhalb eines fremden politischen und gesellschaftlichen Lebens und die ökonomischen Vorteile der Mitgliedschaft rückten immer mehr in den Mittelpunkt. Als Konsequenz verlagerten sich die Bildungsimpulse immer stärker auf gezielte Maßnahmen zur fachlichen Förderung der Mitarbeiter. Allgemeine Bildungsbestrebungen und entsprechende Einrichtungen konnte man in immer stärkeren Maß den hier zuständigen gesellschaftlichen Institutionen überlassen. Zwei Tendenzen innerhalb der Genossenschaften waren dafür verantwortlich: a) Die Ökonomisierung der Genossenschaften In den Industriestaaten sind am Markt erfolgreiche Genossenschaften längst in Stufenverbänden organisiert, das bedeutet eine kooperativ organisierte Funktionsübertragung und Funktionsverbindimg zwischen Wirtschaftseinheiten mit vor- oder nachgeschalteten Erzeugungs- und Absatzstufen, verflochten mit anderen Wirtschaftseinheiten. Eine dem Gruppenwettbewerb und der Rationalisierung angepaßte sachbezogene Organisations- und Leitungsstruktur repräsentiert zwar eine erhebliche Marktmacht, steht aber selbst unter unausweichlichen Sachzwängen des Kapitaleinsatzes und der Kapitalverwertung. Insbesondere sind folgende Strukturveränderungen in den hoch entwickelten Genossenschaften eingetreten (vgl. Fürstenberg, 1983):

-

Ökonomisierung der Mitgliederinteressen Oligarchisierung der Willensbildung mit wachsendem Einfluß hauptberuflich tätiger Experten - Fortschreitende Bürokratisierung der Konsensbildung zugunsten des Unternehmensaspekts - Ein rein aufgabenorientierte Organisation verdrängt den Selbsthilfecharakter der Genossenschaften - Verbundbildung - Intensivierung mehrstufiger betrieblicher Organisationen zu Lasten der Gruppenautonomie von Primärgenossenschaften.

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b) Die Hierarchisierung der Genossenschaft Das Berufsleben der Genossenschaftsmitarbeiter wurde durch eine allgemeine Verdichtung eines Netzes wechselseitiger sozialer und ökonomischer Abhängigkeiten in einer immer komplexer werdenden Organisationsgesellschaft zunehmend komplizierter und abstrakter. Es kam zu einer Verzahnung von Momenten der Sozialstruktur mit solchen der Psychostruktur der Individuen. Dadurch wurde der einzelne gegenüber früher ganz neuen Sozialisationszwängen ausgesetzt. Die gesellschaftliche Entwicklung resultierte in einer rapiden Verbreiterimg von Lebens- und Arbeitsbereichen, die man am besten mit dem Begriff "hierarchisch-bürokratisch" charakterisiert, in denen also immer mehr Menschen nach einem einheitlichen Kommando arbeiten und funktionieren sollen (vgl. Wimmer, 1983). Bildung wird in diesem System zum Sprungbrett für den Durchlauf durch die Hierarchie und als Humankapital definiert (vgl. Becker, 1964). Bildung vermittelt ökonomisch relevante Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die eine individuelle marktmäßig verwertbare höhere Produktivität zur Folge hatten. Die Kosten einer derartigen Ausbildung können als Investition in die Leistungsfähigkeit der Person angesehen werden. Zwischen der Produktivität von Arbeitskräften und ihrer Entlohnimg besteht ein direkter Zusammenhang: das individuelle Arbeitseinkommen ist durch den Lohn für Arbeit sowie durch Umfang und Ertragsrate des verfügbaren Humankapitals bestimmt. Eine hierarchisch-bürokratische Organisation honoriert Personen mit unterschiedlicher, formaler und nicht formaler Bildungsdauer in Form von unterschiedlichen Einkommen.

Tendenziell ist gegenwärtig durch diese Faktoren der historische Bildungsauftrag stark in den Hintergrund gedrängt worden, im Vordergrund steht Bildung als ökonomisches Gut für die Mitarbeiter in Genossenschaften, obwohl gerade im Bereich der inneren Organisation und der Verbundstufen im letzten Jahrzehnt bestehende Defizite immer akuter geworden sind. Exemplarisch werden hier einige Ergebnisse eines Symposiums mit dem österreichischen Raiffeisensektor im Jahre 1988 wiedergegeben (vgl. Brazda, 1989, S. 51fl): -

Bei den Geschäftsführungen ist eine ungenügende Bereitschaft vorhanden die Funktionäre in Entscheidungen einzubinden und sie mit Informationen zu versorgen. Es ist ein Defizit an gemeinsamen Zielsetzungen in der Geschäftspolitik vorhanden.

-

Im Bezug auf die Mitarbeiter wird ein Akzeptanzdefizit beklagt. Man mißt den Mitarbeitern nicht jene Bedeutung zu, wie es von der Organisationsstruktur her erforderlich wäre.

-

Der Führungsstil ist im Innen- und Außenverhältnis nicht einheitlich und beruht weder auf einer allgemeinen Akzeptanz, noch auf einer gemeinsamen Orientierung.

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Es gibt sowohl auf der horizontalen als auch auf der vertikalen Ebene ein Informations- und damit eng verbunden ein Kommunikationsdefizit, d.h. man nimmt sich nicht genug Zeit für Gespräche mit Mitarbeitern, Funktionären und Mitgliedern, um Entscheidungen auf breiter Basis vorzubereiten.

2. In den osteuropäischen Ländern Bis Ende der 80er Jahre war das Genossenschaftswesen in den sozialistischen Ländern ein Teil des politischen und ökonomischen Systems und damit mit den Programmzielen der Gesellschaft eng verbunden. Man sah in den Genossenschaften eine Organisationsform, die gut zur Beschleunigung des Übergangs vom Kapitalismus in den Sozialismus genutzt werden konnte, sie wurden eine "besondere Form der kollektiven sozialistischen Arbeit" (vgl. Muzik, 1990), die auch die Hauptziele der Grundausbildung und Weiterbildung des Genossenschaftskaders prägte. Es entwickelte sich in diesen Staaten ein reich verzweigtes und strukturiertes Netz an Erziehungs- und Ausbildungsinstitutionen, die zur Vorbereitung der Funktionäre und Mitarbeiter für die Genossenschaftsorganisationen dienten. In der Sowjetunion gibt es beispielsweise vier voneinander unabhängige Bildungssysteme: -

Auf Hochschulebene finden sich - unter der Obhut des Bildungsministeriums - zwölf genossenschaftliche Institute, die im Eigentum der Konsumgenossenschaften stehen. Sie bilden den Nachwuchs an Führungskräften in folgenden Fachbereichen heran: Einzelhandel, Warenkunde, Technologie der Handelsprozesse, Vermarktung der landwirtschaftlichen Produktion der Haushaltsmitglieder der Kolchosen, Rechnungswesen, Gastronomie und EDV. Für die Fortbildung der Absolventen sorgt ein eigener Fachbereich Management. Seit 1988 wurden neben diesen Instituten, aber mit identer Personalausstattung, eine Reihe von Beratungs- und Forschungsgenossenschaften gegründet Sie betreiben Auftragsforschung für die Genossenschaften, organisieren aber auch Ausbildungsseminare.

-

Auf Fachschulebene gibt es über 100 genossenschaftliche "Technikums" für die Fachberufsausbildung des mittleren Managements.

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Die genossenschaftlichen Regionalverbände selbst sorgen für die Schulung ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter in eigenen Ausbildungszentren.

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Die Forschungsinstitute der genossenschaftlichen Zentral- und Regionalverbände sind zwar hauptsächlich in der Grundlagenforschung tätig, führen aber auch Managementseminare durch. Dieses Bildungswesen war gekennzeichnet durch:

-

ein von oben verordnetes Bildungssystem, Bildungsaktivitäten gegen den Willen des Staates waren praktisch immöglich;

144

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

-

genossenschaftliche Demokratie war nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Entfaltung einer sozialistischen Persönlichkeit bei den Mitgliedern. Tatsächlich war sie aber nur auf marginale Verbesserungsvorschläge zur Erhöhung der technischen oder ökonomischen Effizienz beschränkt;

-

Genossenschaften, die als Schule zum Sozialismus dienten (als sozialistisch-erzieherische Elemente).

Gegenwärtig (1990) in einer Perestroika auch im Genossenschaftswesen soll sich bei den traditionellen Genossenschaften nicht nur deren Organisation sondern auch das Management grundlegend ändern. Mit einer bisher vorherrschenden ekzessiv zentralistischen und autoritären Machtausübung der Manager soll es vorbei sein (vgl. Hasselmann, 1990). Die Mitglieder selbst sollen durch gewählte Vertreter ihren Einfluß gegen das bis jetzt von oben regierenden Management geltend machen. An der Basis gilt es, genossenschaftliche Demokratie aufzubauen. Die Mitglieder sollen über ihren eigenen Bedarf mitentscheiden und damit auch zu einer Verbesserung der genossenschaftlichen Leistungsfähigkeit beitragen. Daneben gibt es, vor allem in der Sowjetunion seit 1988, eine neue Genossenschaftsbewegung, die marktwirtschaftliche Elemente in das marode planwirtschaftliche Gefuge hineinfügen und dadurch belebend und bewegend wirken sollen. Bei einer riesigen Nachfrage und geringem Angebot an Waren und Dienstleistungen aller Art nutzen diese neuen Genossenschaften aber oft Versorgungslücken mit für die Bevölkerung unerschwinglichen Preisen aus und provozieren dadurch in der Bevölkerung Unwillen und Kritik. Auf alle Fälle entsteht durch diese neuesten Entwicklungen ein ganz neuer Bedarf an genossenschaftlicher Schulung und Ausbildung in Osteuropa. c) In den Entwicklungsländern Hatte der Entwicklungsansatz einer Modernisierungstheorie in den 50er und 60er Jahren (Übertragung von hochmoderner Technologien und Organisationsstrukturen) in vielen dieser Länder eine gleichbleibende oder sogar zunehmende Armut, in manchen Gebieten sogar Verelendung gebracht, so ist seit einigen Jahren ein Entwicklungsansatz in den Vordergrund getreten, der durch Hilfe zur Selbsthilfe auf einer Befriedigung der Grundbedürfnisse und eine allmähliche Steigerung des Lebensstandards abzielt. In Genossenschaften sieht man, durch Förderung der Selbsthilfebereitschaft bei noch subsistenzwirtschaftlich orientierten Kleinbauern, Handwerkern und Händlern, Chancen, Anreize für einen produktiveren Einsatz ihrer eigenen und Zugang zu zusätzlichen Ressourcen zu bieten, vor allem durch eine Dezentralisierung der wirtschaftlichen Planungs- und Entscheidungsphasen, den Rückgriff auf originäre kulturelle Voraussetzungen und die aktive Partizipation der Betroffenen. Dabei entstehen aber durch sehr oft falsch eingeschätzte Vorausbedingungen erhebliche Partizipationsprobleme (vgl. Kuhn, 1981, S.37 ff):

2. Kapitel: Die Merkmale

-

von

Genossensehaften

145

Es fehlt bei den Mitgliederbetrieben die betriebliche Genossenschaftsfähigkeit. Die Mitglieder stammen aus verschiedenen traditionellen Sozialstrukturen mit unterschiedlichen Partizipationsintensitäten. Es fehlen die bildungsmäßigen Mindestvoraussetzungen.

Es werden daher vor allem externe Bildimgsaktivitäten und -hilfen als notwendig erachtet, im Rahmen von halbstaatlichen oder staatlich kontrollierten Organisationen. Aber auch viele internationale Genossenschaftsorganisationen haben in den letzten beiden Jahrzehnten groß angelegte Bildungsprojekte als aktive Entwicklungshilfe für die Länder der Dritten Welt durchgeführt. (siehe Kapitel 5. in diesem Band) Schwierigkeiten zeigen sich aber sowohl bei der administrativ-bürokratischen Realisierimg leistungsfähiger Genossenschaften, als auch bei der Einschaltung dieser Genossenschaften in Maßnahmen und Programmen der landwirtschaftlichen Entwicklung (vgl. Hanel, 1981, S.27fl): -

-

Genossenschaften werden nicht als Ziele sondern als Mittel staatlicher Entwicklungspolitik betrachtet. Die Weckung unrealistisch hoher Erwartungen der potentiellen Mitglieder und die die Selbsthilfebereitschaft demotivierende Fremdhilfe führen zu faktischem oder administrativem Erzwingen der Mitgliedschaft (pädagogischer Zwang). Die Einmischimg der Entwicklungsverwaltung in die Selbsthilfeförderung fuhrt in vielen Fällen zur bürokratischen Erstarrung der Genossenschaften (bürokratisch-administrativer Pragmatismus).

C. Der neue genossenschaftliche Bildungsauftrag Heute stellt sich das Bildungsproblem in den Genossenschaften erneut unter der Perspektive verstärkter wirtschaftlicher Strukturwandlungen und sozialer Anpassungen. Wer sich nicht ständig lernend mit seiner Umwelt auseinandersetzt, wer seine Fähigkeit zur Neuorientierung nicht schult, wird unweigerlich im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf zurückfallen. Dies gilt nicht allein für die Übernahme und Entwicklung neuer Produktions- und Absatztechniken. Es gilt auch für die Organisation von Leistungseinheiten und für die Entwicklung eines zeitgemäßen Lebensstils, der die Voraussetzung für langfristige Leistungsfähigkeit bei möglichst optimaler Persönlichkeitsentfaltung bildet. In dem Maße, in dem der Wirtschaftserfolg der Genossenschaften immer stärker von der Erweiterung des Leistungspotentials jedes einzelnen Mitgliedes und Mitarbeiters abhängt, und in dem diese Leistung wesentlich auf richtigem, eigenverantwortlichem Handeln beruht, liegt eine Neuinterpretation des genossenschaftlichen Förderungsauftrages nahe. Genossenschaftliche Aktivität soll zu sinnvoller Situationsbewältigung vor

146

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

allem im Wirtschaftsleben befähigen. Zweifellos sind die Voraussetzungen hierfür häufig institutioneller Art und können nur durch einen entsprechenden Kapitalaufwand erbracht werden. Dies allein genügt aber nicht. Auch die modernsten Produktions- und Absatzeinrichtungen werden nur durch die Eigenleistung der Mitglieder und Mitarbeiter wirklich produktiv. Das Niveau der Eigenleistung hängt aber von der Fähigkeit zu umfassenden, richtigen Orientierung und der Fähigkeit zum sinnvollen, verantwortungsbewußten Handeln ab. Beides ist das Ergebnis eines entsprechenden Bildungsprozesses. So wird die Erkenntnis der Gründer des Genossenschaftswesens wieder aktuell, das sich aus dem genossenschaftlichen Förderungsauftrag stets auch ein Bildungsauftrag ableiten läßt. Die westlichen Industriestaaten stecken in einem tiefgreifenden Wandlungsprozess, der zumindest partiell von der Wirtschaft selbst ausgeht, auf jeden Fall aber erhebliche Auswirkungen auf die Genossenschaften haben wird. Dies gilt insbesondere für die technologische Entwicklung, deren Tragweite vielfach mit der ersten industriellen Revolution verglichen wird, dem Wertewandel, der zu einer weitgehenden Pluralisierung von Werten, Verhaltensweisen und Lebensformen geführt hat, sowie für die grundsätzliche Krise der Arbeits-, und Wachstumsgesellschaft, die unter anderem aus der technologischen Entwicklung und dem Wertewandel resultiert, zum anderen aber auch mit der erkennbaren Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit eben durch die Industriegesellschaft zusammenhängt. Hierdurch sind innerhalb der westlichen Gesellschaft neue Brüche und Konfliktfelder entstanden, die zum Teil konträr zu dem bis jetzt von Sozialwissenschaftern als vorherrschend analysierten gesellschaftlichen Konflikten - vor allem dem zwischen Kapital und Arbeit - stehen, und zusammengenommen krisenhaften Charakter haben. Momentan wird als Überlebensstrategie für Unternehmungen eine stärkere Führung durch das Management forciert. Das Management soll nicht nur verwalten, sondern es müsse auch führen. Führung soll sich dabei auch auf Entwurf von Visionen und vor allem auf die Gestaltung der in den Organisationen und für deren Mitglieder geltenden Werte und Normen erstrecken. Deren Gestaltung, d.h. eine Organisationskultur, gehöre zu den wichtigsten Aufgaben des Managements (vgl. Lipfert, 1988). Zu den entsprechenden sozialtechnologischen Instrumentarien werden unter anderem die gezielte Kreierung und Anwendung von Mythen und Ritualen gezählt, die rationale Strategien weitgehend ersetzen sollen. Innerhalb der Organisationsforschung wird das Organisationskultur-Konzept sogar als neues Forschungsparadigma behandelt (vgl. Kasper, 1987). Die Genossenschaften sollten diesem Ruf nach starken Führungspersönlichkeiten nicht folgen und sich auf ihre Aufgabe, als Problem Lösungspotential besonderer Art, wieder zurück besinnen. Die Idee der Genossenschaft entstand und entsteht mit der Anerkennung der Wichtigkeit praktischer Probleme und der praktischen Erprobung von Problemlösungsansätzen. Der

2. Kapitel: Die Merkmale

von Genossenschaften

147

Genossenschaftsgedanke war nie das Produkt weitabgewandten intellektuellen Interesses am Warum gesellschaftlicher Phänomene oder eine Führungsphilosophie von Managern, sondern entsprang dem starken Drang, eine Welt, die zu tiefer Unzufriedenheit Anlaß gibt, umzugestalten. Folgende Bildungserfordernisse können sich daraus für die heutigen Genossenschaften ableiten lassen: -

Die genossenschaftliche Selbstverwaltung entspricht voll der zukünftigen Entwicklungsperspektiven in unserer Gesellschaft. Es ist klar erkennbar, daß die Menschen von einer Fremdbestimmung, d.h. von externen Zwängen in ihrer Wirtschaftstätigkeit wegkommen wollen und ein größeres Maß an Selbstbestimmung oder Mitbestimmung beanspruchen. Durch Bildung sollte die Bevölkerung in die Lage versetzt werden, wirtschaftliche, soziologisch oder politische Zusammenhänge besser zu erkennen, um deren Auswirkungen besser berurteilen zu können. Als Mitglieder sollten sie in den Prozeß des Definierens ihrer eigenen Probleme und Bedürfnisse miteinbezogen werden. - Das Ehrenamt wird auf vielen Gebieten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens eine steigende Bedeutung erhalten. Die Genossenschaften sollten diese Institution, durch die sei seit Anfang ihres Bestehens geprägt waren, nicht vernachlässigen. Funktionäre sind die entscheidenden Kommunikatoren der Genossenschaften. Da ihre primäre Aufgabe, nämlich als Verbindungsglied zwischen Genossenschaft und Mitgliedern zu fungieren, unter den heutigen Bedingungen nur mehr kommunikativ zu bewältigen ist, kommt es in entscheidender Weise auf ihre kommunikative Kompetenz an. Dazu zählen scheinbar so banale Dinge wie Zuhören können, ein gelingender Kontaktaufbau, die Fähigkeit des richtigen Fragens, Gesprächsverläufe beobachten und diagnostizieren können, der förderliche Umgang mit eigenen und fremden Emotionen, den Unterschied von produktiven und unproduktiven Mißverständnissen handhaben zu können, etc.

-

Das genossenschaftliche Management muß seine Funktionen in einer Unternehmensorganisation und einer Personengemeinschaft gleichzeitig wahrnehmen. Diese Ausgangslage verlangt ein hohes Maß an soziale Kompetenz der Führungskräfte und als deren Voraussetzung das Verfugenkönnen über metaökonomische Reflexionsmöglichkeiten (vgl. Wimmer, 1989, S.30). Gestaltet wird in einer Genossenschaft nicht aufgrund einer hierarchischen Position und mit denen damit verbundenen Anweisbefugnissen, gestaltet wird innerhalb einer Gruppe von gleichberechtigten Mitgliedern und in dieser Struktur tätigen Mitarbeitern. Gestaltungsmaßnahmen müssen davon ausgehen, saß sie von den Adressaten beobachtet werden und daß das, was sie auslösen, davon abhängt, welche Schlüsse die Betroffenen aus ihren diesbezüglichen Beobachtungen ziehen (vgl. Luhmann, 1988, S.332). Wird dieser grundlegende Gesichtspunkt akzeptiert, dann impliziert jeder Versuch eines Managers, die Steuerungsprobleme in sei-

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

nem Verantwortungsbereich zu reflektieren und zu verstehen, die Konsequenz, daß er sich selbst in diese Reflexions- und Verstehensbemühungen miteinschließen muß. E r kann dabei von sich selbst nicht mehr abstrahieren, ohne auf zentrale Informationen zu verzichten. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion wird damit zu einer wichtigen Erfolgsvoraussetzung von Führung.

Literatur: Aldenhoff, R.: Schulze-Delitzsch. Ein Beitrag zur Geschichte des Liberalismus zwischen Revolution und Reichsgründung, Baden-Baden 1984 Becker, G.S.: Human Capital, New York 1964 Brazda J./Schediwy R. (Hrsg.:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Brazda J . : Zusammenfassung der Diskussion in Arbeitskreisen und im Plenum, in: Aktualität und Modernität der Genossenschaftskonzeption von F.W.Raiffeisen, Wien 1989 Elsässer, M.: Die Rochdaler Pioniere, Berlin 1982 Elsässer, M.: Soziale Intentionen und Reformen des Robert Owen in der Frühzeit der Industrialisierung, Berlin 1984 Finis, B.: Wirtschaftliche und außerwirtschaftliche Beweggründe mittelständischer Genossenschaftspioniere des landwirtschaftlichen Bereichs, Berlin 1980 Fürstenberg, Fr.: Probleme der Mitgliederpartizipation auf verschiedenen genossenschaftlichen Entwicklungsstufen, in: Dülfer, E./Hamm, W. (Hrsg.): Die Genossenschaften zwischen Mitgliederpartizipation, Verbundbildung und Bürokratietendenz, Göttingen 1983 Hanel, A.: Aspekte staatlicher Förderungsstrategien der Genossenschaften in Ländern der Dritten Welt, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 1981, S.27ff Hasselmann, E.: Glasnost und Perestroika bei den sowjetischen Konsumgenossenschaften, in: Der Verbraucher, 12/1990, S.15ff Kasper, H.: Organisationskultur, Wien 1989 Kuhn, J . : Aspekte der Mitgliederpartizipationen in ländlichen Genossenschaften in Entwicklungsländern, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 1981, S.37ÍT Luhmann,N.: Die Wirtschaft der Gesellschaft, Frankfurt 1988 Muzik.J.: Erziehung und Bildung im Genossenschaftswesen der sozialistischen Länder (Manuskript), Prag 1990 Wimmer, R.: Lehrerfortbildung und innere Schulreform, in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 83/1, S.71ff Wimmer,R.: Neue Herausforderungen an das strategische Management. Die Zukunft des Lernens über Führung (Manuskript), Wien 1989

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

2.2.

Rechtliche Merkmale

2.2.1.

Aspekte der Genossenschaftsgründung

Genossenschaften

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Georg Rheinberg A. Genossenschaften und ihre Errichtung Als Kriterien zur Abgrenzung von Kooperativen - hier gleichzusetzen mit Genossenschaften - schlägt Dülfer die vier Merkmale der Personengruppe, der gruppenmäßigen Selbsthilfe, des Organbetriebes und des Förderungs-Verbundes vor.(l) Unter Einbeziehimg der auf Gutenberg zurückgehenden Unterscheidung zwischen Betrieb und Unternehmen^) faßt Engelhardt demgegenüber Genossenschaften auf als "freiwillig oder auch unfreiwillig gebildete Personenzusammenschlüsse..., für die neben spezifischen Gruppenmerkmalen besondere Unternehmenscharakteristiken oder doch solche der Betriebe zutreffen. Die Zusammenschlüsse haben - mit anderen Worten - nicht nur Gruppen, sondern auch Betriebe und teilweise Unternehmen konstituiert, die besondere Eigenschaften bzw. spezifische Relationen aufweisen."(3) Bei diesen beiden - bewußt ausgewählten - Begriffsbestimmungen des Terminus "Genossenschaft" ersieht man, daß sowohl der Vorgang des gruppenmäßigen Zusammenschlusses als auch die Konstitution eines Betriebes oder eines Unternehmens zu deren Gründung notwendig sind. In unserem Zusammenhang geht es nun um die verschiedenen Aspekte, die mit diesem Errichtungsvorgang verbunden sind, wobei das Hauptaugenmerk dem Typ der "Genossenschaften im Rechtssinne" (4) gilt. 1. Aktuelle Intentionen In den letzten Jahren ist ein verstärktes Interesse an der Rechts- und Organisationsform der Genossenschaft zu konstatieren. Den umfassendsten Erklärungsansatz dafür stellt Hahn vor, indem er drei "Erneuerungsimpulse" für die "neue" Genossenschaftsbewegung darstellt:(5) Hahn verweist zum ersten auf die alternative Bewegung, die mittels der Genossenschaft ihre Vorstellungen verwirklichen wolle. Hingegen gehe ein zweiter Impuls von latenten Bedürfnissen aus, die nicht mehr oder nur noch zum Teil vom Markt her gedeckt würden. Drittens eruiert der Autor "in der Genossenschaftswissenschaft selbst eine Neuerungsbewegung"(6), die sich in der Aufforderung manifestiere, einerseits zu den Grundlagen zurückzukehren und andererseits "Reformbereitschaft zu zeigen". Erklärungsversuche gerade für das Anwachsen der sog. "alternativen Bewegung" beziehen sich auf die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit in Westund Mitteleuropa, auf eine vermutete Krisis der (sozialen) Marktwirtschaft und - damit wohl interdependent - ebenso auf Wertewandlungen sowie an-

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

deren, mehr oder weniger relevanten Einflußfaktoren.(7) Solche Neugründungen von Genossenschaften fußen von der Motivation her u.a. auf der anhaltend großen Anzahl von Insolvenzen und damit im Zusammenhang stehenden Betriebsübernahmen, aber auch auf dem Streben Arbeitsloser nach Beschäftigung sowie Intentionen in Richtung auf ein Mehr an Umweltschutz und einer gesunden Lebensführung. Deren Ziele sind zumeist die persönliche Selbstbestimmung und die Entfaltung in und bei der Arbeit, freilich ebenso Intentionen "mit gesellschaftsreformerischen oder gar revolutionären Anliegen".® Weitere Anregungen für Genossenschaftsgründungen können - um nochmals auf Hahns Ausführungen zurückzugreifen - vom (vermeintlich oder tatsächlich) fehlenden Angebot der Märkte herrühren. Hier führt der Autor beispielhaft Konsumentenhandel und -schütz sowie fehlende Dienstleistungseinrichtungen an und nennt als konkretes Beispiel Lücken in der heutigen Bankwirtschaft. Einschränkend spricht er allerdings von latenten Bedarfen, so daß Genossenschaftsgründungen hier auf Initiatoren bzw. Promotoren angewiesen seien.(9) Schließlich hebt Hahn als Aufgabe der (Genossenschafts-)Wissenschaft deren "sozialreformerische Verpflichtung"(10) hervor, mit der ein dritter Impuls für die Erneuerung des Genossenschaftsgedankens verbunden sei.(ll) 2. Der Gründungs vor gang Neuerer betriebswirtschaftlicher Literatur folgend, lassen sich verschiedene Gründungstypen von Unternehmen, insbesondere von Genossenschaften unterscheiden^ 12)( 13)

GRUNDUNGSTYPEN

von außen initiiert

Umwandlung bestehender Unternehmen

Neugründungen

von der Basis initiiert

Aktivgründungen

Defensivgründungen

2. Kapitel: Die Merkmale

von Genossenschaften

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Sowohl für von außen initiierte Gründungen als auch für solche, die von der Basis her verwirklicht werden, sind als Problemkreise die soziologischpsychologischen Entstehungsschwierigkeiten von Kooperationen sowie die betriebswirtschaftlichen Gründungsfragen - und damit verknüpft - die juristischen Abläufe und Voraussetzungen des Gründungsvorganges kursorisch aufzuzeigen. a) Soziologisch-psychologische Entstehungsprobleme Für Genossenschaftsgründungen im 19. Jahrhundert nennt Müller als Aspekte für deren Entstehung u.a. Notlage, Kooperativneigung, Genossenschaftskonzeption, Genossenschaftsgeist und Genossenschaftspromotoren.( 14) Der Autor unterscheidet für diese Initiativen Gründungen "von oben und außen" sowie "von unten und innen". Während bei der ersten Art der persönliche Einsatz von Initiatoren, Pionieren und Grunderpersonlichkeiten und deren ökonomische, aber auch außerökonomische Beweggründe überwiegenden Anstoß gäben, stünden bei der zweiten Art die Handlungsmotive der Betroffenen im Vordergrund. Für beide Gründungsmodalitäten sei freilich das Vorliegen einer Reihe von objektiven, subjektiven und personellen Voraussetzungen entscheidend. Die Träger "genossenschaftsgeeigneter Zielvorstellungen" weisen demnach eine "Handlungsbereitschaft auf, die auf einer durch Vergangenheitserfahrungen geprägten und durch Notlagen aktualisierten präferentiellen Orientierung an konkreten Bedürfnissen beruht, die als legitim im Zuge der Internalisierung sozialer Aufstiegsorientierung interpretiert wird."( 15) Damit sich indessen diese Intentionen in einer Genossenschaftsgründung konkretisieren, sind eine Genossenschaftskonzeption sowie personelle Voraussetzungen, die sich sowohl in der individuellen Motivation zur Errichtung als auch in der Übernahme von sozialen und ökonomischen Vorleistungen manifestieren, notwendig. Etwas anders stellt sich die Situation dar, wenn heutige Genossenschaften - schlagwortartig ausgedrückt - entweder als wirtschaftliche Zweckverbände oder beruhend auf den Vorstellungen der Alternativbewegung errichtet werden sollen.(16) b) Juristische Gründungsvoraussetzungen Im weiteren Sinn lassen sich alle Aktivitäten bis zur Etablierung der eG im Wirtschaftsleben als Gründungsvorgang bezeichnen, wohingegen im engeren Sinn damit die Schritte bis zur Eintragimg ins Genossenschaftsregister gemeint sind. Aus rechtlicher Sicht sind die Phasen Vorgründerversammlung, Gründungsgesellschaft, Vorgenossenschaft und schließlich eingetragene Genossenschaft unterscheidbar.(17)

152

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Bei der Gründungsstufe der Vorgründerversammlung geht es um "gesellschafts- und genossenschaftsrechtlich unverbindliche Vorbesprechungen sowohl unter außerwirtschaftlichen als auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten"(18) und erste Vereinbarungen bezüglich Unternehmensgegenstand (§ 1, Abs. 1, Nr. 1-7 GenG), Anteilshöhe ( § 7, Nr. 1 GenG), Organisation sowie potentielle Mitglieder (mindestens 7 gemäß § 4 GenG); Rechte und Pflichten erwachsen dabei lediglich für die Teilnehmer persönlich. Nach schriftlicher Errichtungsvereinbarung etabliert sich vorerst als Gründungsgesellschaft eine rechtlich selbständige Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, für die sämtliche Gründungsgesellschafter, die nun gesamtschuldnerisch und unbeschränkt mit ihrem gesamten Privatvermögen haften, gemeinsam rechtsgeschäftlich tätig werden müssen. "Wird später eine Vorgenossenschaft oder eine eG errichtet, so können diese durch die Gründungsgesellschafter grundsätzlich weder berechtigt noch verpflichtet werden, denn es besteht weder Rechtskontinuität noch Identität."(19) Durch Verabschiedung eines Genossenschaftsstatus entsteht die Vorgenossenschaft; die vorerwähnte BGB-Gesellschaft löst sich auf: deren Gesellschaftszweck ist erreicht. Gewöhnlich formulieren die Teilnehmer dieser ersten Gründungsversammlung, zu der form- und fristlos geladen werden kann, das Status und legen schriftlich nach §§ 5 ff. GenG u.a. Firma und Sitz der Genossenschaft ( § 6, Nr. 1 GenG), Haftungs- bzw. Nachschußform ( § 6, Nr. 3 GenG), Geschäftsanteile, darauf vorgesehene Einzahlungen (§ 6, Nr. 3 GenG), gesetzliche Rücklage sowie die Art der Bildung (§ 7, Nr. 3 GenG) fest. Die Bezeichnung "eingetragene Genossenschaft" oder "eG" muß in der Firma, die vom Unternehmensgegenstand abzuleiten ist, enthalten sein ( § 3, Abs. 2 GenG). Das deutsche Genossenschaftsrecht bietet bei diesen zwingenden Bestimmungen freilich auch Raum für Dispositionen, als Beispiel seien die Höchstzahl von Geschäftsanteilen (pro Genosse mindestens einer: § 7 GenG; Höchstzahlfestlegung nach § 7a GenG), Vorstandsmitglieder (mindestens zwei gemäß §§ 24 ff. i. V.m. § 91 GenG) und Aufsichtsratmitglieder (drei und mehr gemäß §§ 36 ff. i.V.m. 91 GenG), wobei diese Organe aus dem Mitgliederkreis stammen müssen. Als drittes zwingendes Organ schreibt das GenG die Generalversammlung ( § 43 GenG) bzw. die Vertreterversammlung (fakultativ ab 1.500, zwingend ab 3.000 Mitgliedern; § 43a GenG) vor. Weitere Gestaltungsmöglichkeiten bestehen beim Statut (sog. "Kann-Vorschriften für das Statut"; § 8 GenG) und der Verteilung von Rechten zwischen den drei Organen, die zum Erreichen betriebswirtschaftlicher Zielsetzungen, besonders bei denen der Aufbau- und Ablauforganisation dienen.(20) Vor allem bei Genossenschaften mit wenigen Mitgliedern (sog. "face-to-face-Gruppe") wird der Generalversammlung ein größeres Gewicht zukommen als den übrigen Organen, was in praxi so weit gestaltbar ist, daß einerseits eine formal-gesetzliche und andererseits eine informell-tatsächliche Organisation existiert. Auf andere Weise dürften die Rechte zwischen den Organen bei Genossenschaften mit einer großen Mitgliederzahl verteilt sein.

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Die Merkmale

von

Genossenschaften

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Zur Eintragung der Vorgenossenschaft ins Genossenschaftsregister reicht der Vorstand die von allen Gründungsgenossen unterzeichnete Satzung (Statut), eine Genossenliste, jeweils mit Abschrift, und Abschriften der Urkunden über die Wahlen von Vorstand und Aufsichtsrat ebenso wie die Bescheinigung eines genossenschaftlichen Prüfungsverbandes ein, daß die eG zum Verband beitreten kann. Letztere ergänzt eine gutachterliche Äußerung des Prüfungsverbandes, die berichtet, ob bei Aufnahme des Geschäftsbetriebes Belange der Genossen oder von Genossenschaftsgläubigern bedroht sind.(21) In das Genossenschaftsregister sind Statut und die Namen der Vorstandsmitglieder einzutragen, nachdem das Registergericht die Ordnungsmäßigkeit der Errichtimg und Anmeldung sowie nochmals gesondert geprüft hat, ob Gefährdungen für die Belange der Genossen oder der Gläubiger der Genossenschaft bestehen. Ist das nicht der Fall, ist die Eintragung abzulehnen (§ 1 l a GenG). Im positiven Fall veröffentlicht das Gericht Auszüge des Status, insbesondere dessen Datum. Firma und Sitz der Genossenschaft, Gegenstand des Unternehmens, Namen der Vorstandsmitglieder, deren Vertretungsbefugnisse und, wenn die Dauer der Gesellschaft nicht unbeschränkt angelegt ist, die Zeitdauer der Genossenschaft (§ 12 GenG). c) Betriebswirtschaftliche Probleme Als Ziel einer Unternehmensgründung - also auch einer Errichtimg einer Genossenschaft - kann man "den Start, den Aufbau und die Entwicklung einer neuen Unternehmenseinheit"(22) betrachten. Dieser Vorgang umfaßt eine Reihe von lang andauernden und komplexen Maßnahmen und Tätigkeiten, die neben Fragen "gesamtwirtschaftlicher, psychologischer, sozialer, technologischer und rechtlicher Art"(23) solche betriebswirtschaftlicher Art tangieren. Neben Standort und Branche der beabsichtigten Betätigung, zu erwartenden Marktverhältnissen und durchzuführenden Produktions- und Leistungsprozessen stehen die Qualifikation der Gründer bzw. der Vorstände und die Finanzierung oder Deckimg des Gesamtkapitalbedarfs im Vordergrund. Besonders die beiden letztgenannten Bereiche - Gründerqualifikation und Finanzierungsfrage - sind Gegenstand der genossenschaftlichen Gründungsprüfungen, wie noch näher erläutert wird. B. Die genossenschaftlichen Gründungsprüfungen 1. Prüfungen als Vergleich v o n "Soll" und "Ist" Prüfungen betriebswirtschaftlicher Art lassen sich als Qualitätsfeststellung charakterisieren, der ein Vergleich von Soll und Ist sowie eine Beurteilung eventueller Abweichungen vorausgeht.(24) Während sich das "Ist" aus Dokumenten bzw. Tatbeständen generiert, läßt sich das "Soll" aus Normen,

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Genossenschaften

Gesetzen, Verordnungen, Verträgen und Satzungen ableiten. Ebenso können "weniger verbindliche Plan- oder Realnormen"(25) und "auch nicht unmittelbar auf bestimmte Betriebswirtschaften bezogene Untersuchungen"(26) Grundlage sein. 2. Anlaß, Objekt und Träger Wie bereits dargelegt, prüft der zuständige Prüfungsverband vor Anmeldung der Eintragung, ob in formeller oder materieller Hinsicht gegen diesen Vorgang Bedenken bestehen. Anschließend daran ist eine Beurteilung des Registergerichtes mit gleichem Umfang vorgesehen. "Demnach finden zwei Gründungsprüfungen durch zwei getrennte Prüfungsträger statt."(27) 3. Verschiedene Prüfungsaspekte a) Ordnungsmäßigkeitsprüfung Insbesondere aus den Bestimmungen der §§ 1 bis 13 GenG läßt sich in formaler Hinsicht das "Soll" herleiten. Die Feststellungen der Prüfungen erstrekken sich z.B. auf die Übereinstimmung des Status und der darin niedergelegten Ziele mit dem GenG, vor allem dem Förderungsauftrag des § 1 GenG. Diese Untersuchungen umfassen ebenso die Zulässigkeit der Firma nach HGB und das Nichtvorliegen von Verstößen gegen andere Gesetze. Die Ordnungsmäßigkeitsprüfung wird mit einem Alternativurteil, nämlich Falsch oder Richtig, abzuschließen sein (28); freilich sind zwischen Anmeldung und Eintragung Möglichkeiten der Beseitigung von Mängeln bezüglich der Vollständigkeit und Richtigkeit der eingereichten Unterlagen gegeben.(29) b) Der mißverständliche Terminus "Wirtschaftlichkeitsprüfung" Der materielle Teil der Gründungsprüfungen von Genossenschaften wurde in der Literatur mit dem Ausdruck "Wirtschaftlichkeitsprüfung" belegt.(30) Demzufolge wäre zu prüfen, ob und wenn ja in welchem Ausmaß die beabsichtigte Gründung den Prinzipien einer (irgendwie gearteten) "Wirtschaftlichkeit" entspräche: einem Begriff, der ebenso schillernd wie mit verschiedenen Inhalten ausfüllbar ist und von dem "in unterschiedlichen begrifflichen und tatsächlichen Zusammenhängen gesprochen"(31) wird. Denn es verbergen sich einerseits sowohl kosten- und rentabilitätsbezogene als auch technische Auslegungen und andererseits ethisch normative begründete Versionen sowie Annäherung an das erwerbswirtschaftlich-gewinnmaximale Prinzip hinter diesem Ausdruck.(32) Mit Gerhard Weisser ist jedenfalls festzustellen, daß es "keine Wirtschaftlichkeit an und für sich" (33) gibt. Aus einem solch unbe-

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Genossenschaften

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stimmten Terminus eine allgemeinverbindliche Sollvorstellungfür die genossenschaftlichen Gründungsprüfungen zu entwickeln, dürfte schwer fallen, vielleicht sogar die Prüfer überfordern. c) Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Nach den Formulierungen des GenG hat sich der materielle Teil der Prüfungen indessen darauf zu erstrecken, "ob nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen, insbesondere der Vermögenslage der Genossenschaft, eine Gefährdung der Genossen oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist."(34) Im einzelnen erfassen die Prüfungen zunächst die Ausbildung und Erfahrung der Gruppenmitglieder, insbesondere die der Organe, die "eine ausreichende kaufmännische und ggf. technische Ausbildung besitzen sollen".(34) Bedenken lassen sich in diesem Prüffeld als wahrscheinlich begründen. wenn das Fehlen jeglicher Ausbildung zu konstatieren ist oder bei Gründungen auf Spezialgebieten nur unvollkommene Kenntnisse vorliegen, nicht freilich bei Vorliegen einer unzweckmäßigen Organisation.(35) Weiters ist der Frage nachzugehen, ob die Genossenschaft nach Ingangsetzung allen finanziellen Verpflichtungen in Zukunft fristgerecht nachkommen wird können. Bestimmend dafür dürfte nicht nur die leicht nachprüfbare Eigenkapitalbasis, sondern auch die geplante Fremdkapitalaufhahme sein, die sich in zukünftigen Zins- und Tilgungsleistungen niederschlägt. Gefährdungen drohen hier nicht nur den Gläubigern, sondern darüber hinaus den Genossen, die neben dem Verlust ihrer eingezahlten Geschäftsguthaben eventuell statutarisch festgelegte Nachschüsse leisten müßten. Zu diesem Komplex der "Gefahrenabwehrprüfung"(36) wird seitens der Prüfer ein Urteil im Sinne von glaubwürdig oder weniger glaubwürdig respektive - in Abstufungen - wahrscheinlich oder realistisch abzugeben sein. Demnach handelt es sich bei diesen Teilen der genossenschaftlichen Gründungsprüfungen zumeist um Prüfungen von Prognosen, die aus vorgelegten Dokumenten und Erläuterungen dazu abgeleitet sind und "Aussagen darüber treffen, was in Zukunft unter bestimmten Bedingungen sein wird."(37) Während die Zuverlässigkeit von Prüfungsaussagen abnimmt, wenn sich diese lediglich auf Absichten oder Vermutungen stützen, können vorgelegte Planungen, die im Gegensatz zu Prognosen Aussagen darüber treffen, was in Zukunft bei bestimmten Parametern sein soll, bei der Antwort auf die Frage, ob die entstehende Genossenschaft überlebensfähig sein wird, herangezogen werden. Zudem dokumentieren sie nach Art und Umfang einen vorhandenen Sachverstand der Gründer. C. Besteht ein "Zwang zum Erfolg" für Genossenschaftsgründungen? Vor allem im Kontext von "alternativen Gründungsprojekten" und der Gründung von Produktivgenossenschaften ist die Frage nach dem Wirtschaft-

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liehen Erfolg konträr diskutiert worden. So befürwortet Flieger das Kostendeckungsprinzip und argumentiert gegen eine Gewinnerzielungsabsicht, wobei er allerdings die Kostenzurechnungsproblematik nach Art und Umfang der Kosten vernachlässigt. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, kann a priori auch für Genossenschaften nicht verwerflich sein. Wie die neuere Genossenschaftsund Gemeinwirtschaftstheorie seit Reinhold Henzler und Theo Thiemeyer lehrt, kommt es zur Beurteilung des Widmungstyps einer Unternehmung weniger auf die Erzielung als auf die Verwendung des Gewinns an.(38) Allein aus der Gefahr eines Scheiterns besteht für die neugegründete Genossenschaft ein "Zwang zum Erfolg", nicht nur wegen der "Förderung" ihrer Mitglieder gemäß § 1 Abs. 1 GenG, sondern auch hinsichtlich ihrer oft "existenzsichernden Bedeutung"(39). D. Möglichkeiten zur Überwindung der Prüfungs-"Hürden" Die Gründungsprüfungen, die als ein Spezifikum eingetragener Genossenschaften anzusehen sind,(40) erfuhren in den letzten Jahren wegen ihrer ungenauen Prüflingskriterien und der damit verbundenen Ermessensspielräume Kritik.(41) Im Ergebnis böten sie Gelegenheit, Genossenschaftsprojekte aus politischen Gründen abzublocken, führten den Genossenschaftsgedanken der "Hilfe zur Selbsthilfe" ad absurdum und zwängen zum Ausweichen auf andere Rechtsformen. Wenngleich diese Vorwürfe ohne konkreten Beleg blieben, sind Einflußnahmen aus dem politischen Raum denkmöglich; wichtiger scheint jedoch, daß eine Präzisierung der Prüfungsnormen noch nicht vorliegt. Ebenso kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, daß Auswirkungen in solchen Fällen vorkommen, bei denen durch eine Neugründung ein Konkurrent zu einer bereits vom gleichen Prüfungsverband betreuten Genossenschaft entstünde. Neben der Beseitigimg der angesprochenen Schwachstellen bestehen Überwindungsmöglichkeiten der Prüfungs-"Hürden" darin, sich die Erfahrung externer Berater schon zum frühestmöglichen Zeitpunkt der beabsichtigten Gründung zu sichern, die einerseits die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten aufzeigen und andererseits die zumeist eklatanten Finanzierungsprobleme lösen helfen können. Weitere Unterstützung wäre möglich durch Schulungs- und Ausbildungsmaßnahmen, in Form der Übernahme von Patenschaftsverhältnissen und via Erfahrungsaustausch zwischen den regionalen Genossenschaftsverbänden über die Problematik des Gründungsvorganges und dessen Prüfung.(42) E. Empirische Befunde zu Genossenschaftsgründungen Eine Auswertung der Veröffentlichungen im Bundesanzeiger für den Zeitraum von rund elf Jahren (1.1.1974 - 1.8.1985) ergab, daß im Bundesgebiet 498 eingetragene Genossenschaften neugegründet wurden.(43) Davon entfällt

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fast die Hälfte auf Gründlingen im landwirtschaftlichen Bereich (regelmäßig Erzeugergemeinschaften gemäß Marktstrukturgesetz), wohingegen der andere Teil den Eintragungen von gewerblichen Genossenschaften einschließlich Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaften zuzurechnen ist. Nicht zählen lassen sich allerdings die Projekte, deren Verwirklichung nicht in der Gründung einer eingetragenen Genossenschaft mündeten, sondern die entweder die weniger strengen Anforderungen des Vereinsrechts bevorzugten oder in andere Rechtsformen "auswichen"; bei den letzteren handelt es seih - insoweit sie auf genossenschaftlichen Grundsätzen beruhen - um wirtschaftliche Genossenschaften in anderer Rechtsform.(44) Fußnoten: (1) Vgl. Dülfer, E., Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984, S. 24 f. (2) Vgl. Gutenberg, E., Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Erster Band, Die Produktion, 19. Auflage, Berlin u.a. 1972, S. 510 ff. (3) Engelhardt, W.W., Allgemeine Ideengeschichte des Genossenschaftswesens, Darmstadt 1985, S. 9 (4) Vgl. Engelhardt, W.W., Typologie der Genossenschaften und anderer Kooperationen, in: WISU, 16. Jg. (1987), S. 29 ff. (5) Vgl. Hahn, O., Ideen, Wünsche und Versuche einer neuen Genossenschaftsbewegung, in: ZfgG, Bd. 36 (1986), S. 112 ff. (6) Hahn, O., Ideen, Wünsche und Versuche einer neuen Genossenschaftsbewegung, a.a.O., S. 112 (7) Vgl. u.a.: Beywl, W./ Brombach, H J Engelbert, M., Alternative Betriebe in NRW, Düsseldorf 1984, S. 3 ff; Kück, M. Neue Finanzierungsstrategien für selbstverwaltete Betriebe, Frankfurt/Main 1985, S. 10 ff; Karnath, J./ Reifenhäuser, IJ Karnath, D., Wirtschaftswunder alternativ, Frankfurt am Main 1981, S. 7 ff.; vgl. speziell zum Wertewandel: Hillmann, K.-H., Wertewandel. Zur Frage soziokultureller Voraussetzungen alternativer Lebensformen, Darmstadt 1986, passim. (8) Dülfer, E., Gibt es eine Renaissance der Produktivgenossenschaft?, 1. Teil, in: Genossenschaftsforum, (1985), S. 452 (9) Vgl. Hahn, O., Ideen ...., a.a.O., S. 113 f.; vgl. dazu auch Engelhardt, W.W., Aufgabenwandel bei gemeinwirtschaftlichen und anderen Genossenschaften, in: Aufgaben öffentlicher und gemeinwirtschaftlicher Unternehmen im Wandel, hrsg. von P. Eichhorn und P. Münch, Baden-Baden 1983, S. 243 f., der verschiedenen "Zusatzaufgaben immaterieller Art" von Genossenschaften zunehmende Bedeutung beimißt. (10) Hahn, O., Ideen ...., a.a.O., S. 124 (11) Kritik ist freilich daran zu üben, daß Hahn zu wenig differenziert einerseits eine "sozialreformerische Verpflichtung" der Wissenschaft verlangt, andererseits aber konstatiert, sie sei "zur objektiven Betrachtung aufgefordert" und müsse "dabei Wertneutralität zeigen", (ebd., S. 124) Hier wäre eine präzisere Unterscheidung der Werturteilsebenen angebracht. Vgl. z.B. Chmielewicz, K., For-

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schungskonzeptionen der Wirtschaftswissenschaft, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 1979, S. 209 ff. Schneider, U./ Laske, S., Produktivgenossenschaften, Wien 1985, S. 39 Eine Umwandlung bestehender Unternehmen in eine eG ist allerdings nach deutschem Recht nur im Wege eines Rechtsformwechsels mit Liquidation des bisherigen Unternehmens, Neugründung des neuen, nämlich der eG, und anschließender Einzelrechtsnachfolge möglich. Demnach handelt es sich nach der üblichen Terminologie um eine Umgründung. Demgegenüber räumen die 385 m ff. AktG die Möglichkeit der Umwandlung einer eingetragenen Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft ein. Vgl. Müller, J.O., Voraussetzungen und Verfahrensweisen bei der Errichtung von Genossenschaften in Europa vor 1900, Göttingen 1976, S. 75 ff; v. Brentano, D., Grundsätzliche Aspekte der Entstehung von Genossenschaften, Berlin 1980. Finis, B.; Strukturelle Bedingungen der Entstehung und Entwicklung traditioneller und alternativer Genossenschaften, in: Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen, Bd. 14 (1985), S. 110 Vgl. Finis, B., Strukturelle Bedingungen ..., S. 122 ff Vgl. Engelhardt, W.W./ Rheinberg, G., Die Fallstudie aus der Betriebswirtschaftslehre. Betriebswirtschaftliche und rechtliche Aspekte der Gründung einer eingetragenen Genossenschaft (Produktivgenossenschaft), Teil II, in: WISU, 17. Jg. (1988), S. 281 f. Engelhardt, W.W./Rheinberg, G„ Fallstudie a.a.O., S. 281 Engelhardt, W.W./ Rheinberg, G., Fallstudie ...., a.a.O., S. 282 Vgl. z.B. Monz, H., Methodische Entscheidungshilfen der Rechtsformwahlberatung (Diss. Köln), Bergisch Gladbach und Köln 1985, S. 13 ff. § 11 Abs. 2 Nr. 4 GenG Szyperski, N./ Nathusius, K., Probleme der Unternehmensgründung, Stuttgart 1977, S. 23 Bellinger, B., Gründung, in: Betriebswirtschaftslehre, Teil 1: Grundlagen, hrsg. von E. Grochla, Stuttgart 1978, S. 70 Vgl. Wysocki, K.v., Grundlagen des betrieblichen Prüfungswesens, 2. Auflage, München 1977, S. 1 ff.; Bussmann, K.F., Betreuung und Prüfung der Unternehmungen, Wiesbaden 1960, S. 15 Rheinberg, G., Zur Frage der Gründungsprüfungen bei Produktivgenossenschaften, in: ZfgG, Bd. 37 (1987), S. 41 Selchert, F.W., Die Normenfindung und deren Problematik bei der Pflichtprüfung eingetragener Genossenschaften, in: BFuP, 22. Jg. (1970), S. 70 Rheinberg, G., Gründungsprüfungen ..., a.a.O., S. 42. Das Registergericht kann sich dabei der Hilfe sachverständiger Personen bedienen: vgl. Selchert, F.W., Die genossenschaftliche Gründungsprüfung als Spezifikum eingetragener Genossenschaften, in: ZfgG, Bd. 30 (1980), S. 93 ff. Vgl. zu den verschiedenen Arten von Urteilen: Buchner, R., Der Wirtschaftsprüfer, Beruf und Berufsorganisation, Berlin 1985, S. 70 f. Vgl. Meyer/ Meulenbergh/ Beuthien, Kommentar zum GenG, 12. Auflage, München 1983, 11 a, Rn. 6

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(30) Vgl. zum Gebrauch z.B.: Meyer/Meulenbergh/ Beuthien, Kommentar zum GenG, a.a.O., 11 a, Rn. 5; Flieger, B., Kritisches Plädoyer für die genossenschaftliche Rechtsform, in: Produktivgenossenschaften, hrsg. von B. Flieger, München 1984, S. 263 (31) Rheinberg, G., Gründungsprüfungen ..., a.a.O., S. 43 (32) Vgl. die unterschiedliche Auffassung z.B. bei: Castan, E., Wirtschaftlichkeit und Wirtschaftlichkeitsberechnung, in: HWB, 3. Auflage, Stuttgart 1960, Sp. 6366 ff.; Löffelholz, J., Wirtschaftlichkeit und Rentabilität, in: Betriebswirtschaftslehre, Teil 1: Grundlagen, a.a.O., S. 217 ff.; Gutenberg, E., Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Erster Band, a.a.O., S. 469 ff. (33) Weisser, G., Wirtschaft, in: Handwörterbuch der Soziologie, hrsg. von W. Ziegenfuß, Stuttgart 1956, S. 985 (34) Vgl. die gleichlautenden Formulierungen in §§11 Abs. 2 Nr. 4 und §§ I I a Abs. 2 GenG. (35) Vgl. Selchert, F.W., Gründungsprüfung, a.a.O., S. 98; Rheinberg, G., Gründungsprüfungen ..., a.a.O., S. 45 ff. (36) Engelhardt, W.W./ Rheinberg, G„ Fallstudie ..., a.a.O., S. 282 (37) Rheinberg, G., Gründungsprüfungen ..., a.a.O., S. 47 (38) Vgl. Henzler, R., Betriebswirtschaftliche Probleme des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1962, S. 63 ff.; Thiemeyer, T., Wirtschaftslehre öffentlicher Betriebe, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 163 ff.; Engelhardt, W.W., Allgemeine Ideengeschichte des Genossenschaftswesens, Darmstadt 1985, S. 31 f. und passim. (39) So z.B. bezüglich Produktivgenossenschaften: Engelhardt, W.W., Zur Unterscheidung von Arten und Typen der Genossenschaften und diesen verwandten Kooperationen, in: ZfgG, Bd. 34 (1984), S. 16 (40) Vgl. Selchert, F.W., Gründungsprüfung, a.a.O, S. 93 ff. (41) Vgl. z.B. Flieger, B„ Kritisches Plädoyer ..., a.a.O., S. 263 ff. (42) Vgl. Rheinberg, G., Gründungsprüfungen ..., a.a.O., S. 49 ff (43) Vgl. Paling, S., Die Gründung von privatwirtschaftlichen und gemeinnützigen Genossenschaften in betriebswirtschaftlicher und rechtlicher Sicht, unveröffentlichte Diplomarbeit, angefertigt bei Herrn Prof. Dr. W.W. Engelhardt, Köln 1985, S. 62 ff. und Anhang Tabellen II - IV. (44) Vgl. Engelhardt, Typologie der Genossenschaften und anderer Kooperationen, in: WISU, 16. Jg. (1987), S. 29 ff.

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2.2.2.

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Die Gleichstellung der Mitglieder der Genossenschaft Rainer Vierheller

A. Personale Gleichbehandlung versus ökonomische Proportionalität i n der Rechtsstellung v o n Mitgliedern In erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, insbesondere in Kapitalgesellschaften, orientiert sich die Verteilung von Rechten der beteiligten Wirtschaftssubjekte gewöhnlich an Kriterien der ökonomischen Proportionalität. In der Aktiengesellschaft zeigt sich das z.B. im proportional zur Kapitalbeteiligung gewichteten Stimmrecht der Aktionäre. Die erwerbswirtschaftliche Unternehmung wird primär als ökonomisches Zweckgebilde verstanden, und die ökonomische Systemrationalität ist deshalb eine zentrale Richtschnur in der Gestaltung von Rechten und Pflichten der beteiligten Akteure. Die Rechtsstellung der Genossenschaftsmitglieder weicht dagegen in einigen wichtigen Punkten vom Prinzip der ökonomischen Äquivalenz ab. Genossenschaften sind traditionell als Personengemeinschaft und erst sekundär als wirtschaftliches Zweckgebilde verstanden worden. Diese Betonung der Personenvereinigung wird als "genossenschaftlicher Personalismus" oder als "personalistisches Prinzip" bezeichnet und beinhaltet die Dominanz der personalen Beziehungen vor den ökonomisch-materiellen Beziehungen. Unabhängig von ihrem empirischen Realitätsgehalt ist diese traditionelle Vorstellung eine maßgebliche normative Grundlage der genossenschaftlichen Strukturierung und Rechtsform gewesen. Auch spätere Relativierungen durch Draheims Lehre von der "Doppelnatur der Genossenschaft" (1), die auf eine Gleichrangigkeit von Personenvereinigung und Wirtschaftszweck abhebt, oder durch Henzlers Trennung zwischen genossenschaftlichen Wesens- und Verfahrensprinzipien (2), die der wirtschaftlichen Förderung eine Vorrangstellung einräumt, ändern nichts an dem für die Gleichstellung der Genossenschaftsmitglieder bedeutsamen Sachverhalt, daß personalistische Werte eine normative Leitbildfunktion für die rechtliche Strukturierung der Genossenschaften hatten. Da Genossenschaften neben ihren personalistischen Idealen immer auch ökonomische Zweckgebilde sind, stehen hinsichtlich der Gleichstellung der Mitglieder zwei Gestaltungsprinzipien im Widerstreit: Soll Gleichstellung sich -

an Kriterien der ökonomischen Proportionalität orientieren und infolgedessen abgestufte Mitgliederrechte als Äquivalent zu einem unterschiedlichen ökonomischen Status der Mitglieder zulassen? - Oder sollen die Mitglieder unabhängig von ökonomischer Heterogenität personal grundsätzlich gleichgestellt werden (absolute soziale Gleichstellung)?

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Im ersten Fall kommt es zu einer ökonomisch begründeten Differenzierung in der personalen Gleichstellung der Mitglieder. Im zweiten Fall werden die Mitglieder im Sinne personalistischer Wertvorstellungen als prinzipiell gleichberechtigte Personen verstanden (wie es auch egalitären Demokratievorstellungen entspricht), so daß sich eine Differenzierung der Mitgliederstellung nach ökonomischen oder sonstigen Kriterien generell verbietet. Zu Spannringen zwischen beiden Gestaltungsmöglichkeiten kommt es, wenn die Ausrichtung der Mitgliederstellung an ökonomischen Kriterien die Systemrationalität im Sinne der ökonomischen Zweckrationalität zu steigern oder zu sichern vermag, der Wertrationalität des Systems aber entgegensteht, weil die Anwendung der ökonomischen Äquivalenz in der Rechtsstellung der Mitglieder dem personalistischen Wert der (absoluten) sozialen Gleichstellung widerspricht. In der genossenschaftlichen Struktur und Rechtsform sind derartige Spannungen in wichtigen Punkten zugunsten personalistischer Wertvorstellungen entschieden worden. Im folgenden wird dies anhand einschlägiger Bestimmungen des deutschen Genossenschaftsgesetzes von 1889 verdeutlicht, das in seinen Grundzügen noch heute gilt. Im Laufe der Zeit sind jedoch aufgrund wachsender ökonomischer Probleme der Genossenschaften (3) ökonomisch motivierte Differenzierungen in der Rechtsstellung der Mitgliederverstärkt in Erscheinimg getreten. Dies hat sich schließlich auch in neuen Bestimmungen der bundesdeutschen Novellierung des Genossenschafts)gesetzes (1974) niedergeschlagen (4), die abschließend aufgegriffen werden sollen. B. Rechtliche Ausprägungen der personalen Gleichstellung Eine zentrale Komponente in der Gleichstellung der Mitglieder stellt vor allem die personale "Neutralisierung des Kapitals" dar. Ausgangspunkt für die Rolle der Kapitalbeteiligung in den Mitgliederbeziehungen ist in erster Linie die personalistische Idealvorstellung, daß die genossenschaftliche Kooperation ausschließlich auf der laufenden persönlichen Mitwirkung und Aktivität der Mitglieder beruhen soll. Nicht die Kapitalbeteiligung als reine Anlageform, sondern der aktive persönliche Einsatz ist gefragt. Infolgedessen wird der genossenschaftlichen Kapitalbeteiligung nur eine akzidentielle Bedeutung beigemessen: "Die Kapitalbeteiligung bei der Genossenschaft hat dienenden, subsidiären, (vereins-)beitragsähnlichen Charakter."(5) Dieser Sichtweise entspricht eine für die Gleichstellung der Mitglieder relevante Neutralisierung des Kapitals in der genossenschaftlichen Rechtsform: Weder das Stimmrecht noch die Überschußverteilung (6) sind in irgendeiner Weise an die Höhe der Kapitalbeteiligung gekoppelt. Auch eine Verzinsung des Anteilskapitals war aus diesem Grunde im deutschen Genossenschaftsrecht bis 1974 nicht zulässig. Eine Differenzierung von Mitgliederrechten auf der Grundlage der Kapitalbeteiligung erfolgt insoweit nicht.

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Das Stimmrecht ist jedoch nicht nur losgelöst von der Zahl der individuell gezeichneten Geschäftsanteile, sondern als Kopfstimmrecht (eine Person-eine Stimme) auch losgelöst von allen sonst möglichen ökonomischen Differenzierungskriterien. Es wird z.B. auch darauf verzichtet, das Stimmrecht nach der Dauer der Mitgliedschaft oder nach dem individuellen Umsatzanteil zu bemessen. "Das 'Ein-Mann-eine-Stimme-Prinzip' ist nach fast allgemeiner Auffassimg unmittelbar aus dem Charakter der Genossenschaft als Personenvereinigung abzuleiten" (7) und eng verbunden mit egalitären Demokratievorstellungen. Mit dem Einstimmrecht wird entsprechend dem "Prinzip der arithmetischen Proportion" (Aristoteles) eine absolute Form der personalen Gleichstellung praktiziert: Unabhängig davon, ob es die Genossenschaft in besonderer Weise unterstützt oder nicht, hat jedes Mitglied das gleiche Stimmengewicht. Zu beachten ist jedoch, daß mit dem Kopfstimmrecht zwar die Gleichstellung aller Mitglieder, keineswegs aber ein im Zeitablauf gleichbleibendes Stimmengewic/ii gewährleistet ist, weil der relative Stimmanteil des Mitglieds mit der Mitgliederz ahl schwankt. Bei wachsenden Genossenschaften mit steigender Mitgliederzahl kann das relative Stimmengewicht des Einzelmitgliedes so unbedeutend werden, daß die individuelle Bereitschaft zur persönlichen Teilnahme an der Willensbildung sinkt (8). Eine derartige Entwicklung steht dem personalistischen Ideal der laufenden persönlichen Mitwirkung entgegen und kann deshalb zu Überlegungen fuhren, durch eine Differenzierung des Stimmrechts einen selektiven Anreiz zur verstärkten Teilnahmebereitschaft zu schaffen. Ein nach bestimmten Kriterien zu gewährendes höheres individuelles Stimmrecht als Anreiz zur verstärkten Mitwirkung führt jedoch insoweit zu einer Relativierung des Ideals der persönlichen Teilnahme, als der verstärkte Anreiz nur den Mitgliederkreis mit höherem Stimmrecht anspricht. Gleichzeitig kommt es zu einem Konflikt mit dem Ideal der absoluten stimmrechtlichen Gleichstellung der Mitglieder. Ein mit dem Mitgliederwachstum sinkender relativer Stimmanteil kann jedoch auch ökonomische Folgen haben. Dies ist dann der Fall, wenn mit sinkender Mitwirkungsbereitschaft zugleich eine innere Distanzierung (Entfremdung) zwischen Mitglied und Genossenschaft einhergeht, die dazu führt, daß Mitglieder die Genossenschaft als Marktanbieter neben anderen ansehen (Abbau des Trägerbewußtseins zugunsten eines verstärkten Klientenbewußtseins). Dies kann zu einer Lockerung der ökonomischen Beziehungen zur Genossenschaft beitragen. Eine Differenzierung des Stimmrechts kann dann auch mit der Absicht erfolgen, die ökonomischen Beziehungen zu festigen. Erreicht werden kann das z.B. durch eine Koppelung des Stimmrechts an den Umsatzanteil des Mitgliedes, wie es etwa von Molkereigenossenschaften in den Niederlanden praktiziert wird (9). Gestützt wird die stimmrechtliche Gleichstellung der Mitglieder durch ein Verbot bzw. eine Begrenzung der Stimmrechtsübertragung. Nach dem deutschen Genossenschaftsgesetz von 1889 war eine Stimmrechtsübertragung

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ausgeschlossen. Damit soll zum einen die persönliche Teilnahme an der Willensbildung gefördert werden, und zum anderen geht es darum, eine Stimmenhäufung in der Hand einiger weniger "Aktivisten" zu unterbinden, um eine der Gleichstellung faktisch entgegenstehende oligarchische Einflußstruktur nicht zu begünstigen. In der seit 1974 geltenden Novellierung des bundesdeutschen Genossenschaftsgesetzes ist das ursprüngliche Verbot der Stimmrechtsübertragung gelockert worden. Erlaubt ist nunmehr eine begrenzte Übertragung, wobei ein Mitglied maximal zwei andere Mitglieder vertreten kann. Sofern das ebenfalls seit 1974 zulässige Mehrstimmrecht (maximal drei Stimmen pro Kopf) zur Anwendung kommt, kann infolgedessen ein Mitglied, das gleichzeitig zwei andere Mitglieder vertritt, mit maximal 9 Stimmen in der Generalversammlung votieren (allerdings ist die Anwendung des Mehrstimmrechts an restriktiv wirkende Bestimmungen gekoppelt). Eine weitere Variante der absoluten personalen Gleichstellung zeigt sich in der nur nominellen Rückzahlung des Genossenschaftsanteils im Falle des Mitgliederaustritts. Durch die Nominalwert-Rückzahlung wird eine Beteiligung des Mitglieds an der Substanzwertsteigerung der Genossenschaft ausgeschlossen. Obwohl z.B. durch unterschiedlich lange Mitgliedschaftsdauer unterschiedliche Beiträge zur Substanzwertsteigerung der Genossenschaft erbracht worden sein können, werden die Mitglieder beim Austritt gleichbehandelt. In der Aktiengesellschaft dagegen schlägt sich die Substanzwertsteigerung tendenziell im Aktienkurs nieder und kann infolgedessen durch Veräußerung der Aktie individualisiert werden. Die fehlende Substanzwertbeteiligung der Genossenschaftsmitglieder kann auch als Bestandsschutz der Genossenschaft verstanden werden, denn das neben dem Anteilskapital in Form von Rücklagen angesammelte Eigenkapital bleibt dem Zugriff ausscheidender Mitglieder entzogen und stellt deshalb ein stabilisierendes Element gegenüber dem mit der Mitgliederfluktuation schwankenden Anteilskapital dar. Teilweise wird dieser Bestandsschutzgedanke als Gleichstellung von gegenwärtigen und zukünftigen Mitgliedergenerationen interpretiert (10). Über geeignete Regelungen zur Sicherung der Genossenschaft als Dauereinrichtung sollen zukünftige Generationen die gleiche Chance zur genossenschaftlichen Selbsthilfe haben wie die gegenwärtige Mitgliedergeneration. Auch die in § 1 des bundesdeutschen Genossenschaftsgesetzes normierte offene Mitgliedschaft weitet die personale Gleichstellung auf den Kreis von zukünftig Eintrittswilligen aus. Aus der sozialpolitischen Komponente des Genossenschaftsgedankens heraus soll allen (geeigneten) Eintrittswilligen die Chance zur genossenschaftlichen Selbsthilfe offengehalten werden. Mitgliederkreis und Anteilskapital sind deshalb in der Genossenschaftnach oben nicht geschlossen. Nach herrschender juristischer Meinung ist hieraus jedoch keine rechtliche Pflicht der Genossenschaft zur Aufnahme von Eintrittswilligen abzuleiten (11). Lediglich Satzungsbestimmungen, die den Mitgliederkreis expressis verbis generell schließen oder die Aufnahmebedingungen so

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regeln, daß sie de facto einer generellen Schließung des Mitgliederkreises gleichkommen, wären im Sinne der in § 1 des bundesdeutschen Genossenschaftsgesetzes normierten offenen Mitgliedschaft unzulässig (12). C. Ökonomische Relativierungen der personalen Gleichstellung Die Gleichbehandlung der Genossenschaftsmitglieder jenseits aller ökonomischen Statusunterschiede zeigt sich besonders prägnant in dem Sachverhalt, daß bereits mit der Übernahme des Mindestanteiles alle entscheidenden Mitgliederrechte und Kooperationsvorteile in Anspruch genommen werden können. Die hiermit verbundene Tendenz zur Mincfesibeteiligung kann sich allerdings bei erhöhtem Finanzierungsbedarf als ein Finanzierungsmanko der Genossenschaft erweisen (13). Da die Genossenschaft aber auch ein ökonomisches Zweckgebilde ist, das sich im Wettbewerb ökonomisch behaupten muß, kann sie derartige (Wettbewerbs-)Nachteile nicht ohne weiteres ignorieren. Aus Gründen der ökonomischen Systemrationalität sind deshalb ökonomische Differenzierungskriterien in der Frage der Gleichstellung der Mitglieder nicht völlig zu umgehen, teilweise müssen Kompromisse zwischen dem Postulat der absoluten sozialen Gleichbehandlung und der ökonomischen Zweckrationalität gefunden werden. Das zeigt sich insbesondere hinsichtlich der Überschußverteilung, die bei absoluter sozialer Gleichstellung analog der Stimmrechtsregelung nach Köpfen zu erfolgen hätte. In diesem Fall würden auch jene Mitglieder unterschiedslos am Überschuß beteiligt, die keine Geschäftsbeziehungen mit der Genossenschaft aufgenommen haben und infolgedessen zur Entstehung des Überschusses nichts beigetragen haben. Da aber das Ausmaß der Geschäftsbeziehungen mit der Genossenschaft über economies of scale (Betriebsgrößenersparnisse) mit über die ökonomische Effektivität der Genossenschaft entscheidet, ist die Pro-Kopf-Verteilung von Überschüssen zwar ein personalistisches Ideal der Gleichstellung, ökonomisch aber kaum tragfähig. Die personale Gleichstellung wird daher in diesem Fall durch einen Kompromiß relativiert: Die Überschußverteilung wird weder an die Höhe der Kapitalbeteiligung gekoppelt (was aus personalistischer Sicht unerwünscht ist) noch pro Kopf verteilt (was aus ökonomischer Sicht problematisch wäre), sondern proportional zum individuellen Anteil am Gesamtmitgliederumsatz der Genossenschaft. Dieses als Rückvergütung bezeichnete Verteilungsprinzip stellt eine Umsatzbeteiligungsdividende dar, die die absolute soziale Gleichstellung zugunsten einer ökonomischen Differenzierung (Umsatzanteil) aufgibt. Jedoch hegt insofern ein Kompromiß vor, als die Rückvergütung persönliche Leistungsbeziehungen zwischen Genossenschaft und Mitglied voraussetzt und deshalb personalistischen Kooperationsvorstellungen näher steht als die ausschließlich auf den Kapitaleinsatz gewährte Kapitaldividende. Im Laufe der ökonomischen Entwicklung der Genossenschaften sind zudem interne und externe Bedingungen entstanden, die zu wachsenden Spannun-

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gen zwischen personalistischen Wertvorstellungen und ökonomischer Zweckrationalität führten. Dies begünstigte über ökonomisch motivierte Differenzierungen eine Erosion des Ideals der personalen Gleichstellung. Neumann (14) spricht von einem "kapitalistischen Element in der modernen Genossenschaft" und führt diesen Trend vor allem auf 1. steigende Kapitalintensität der wachsenden Wirtschaft, 2. auf veränderte Wettbewerbsbedingungen und 3. auf die zunehmende Mitgliederheterogenität zurück. (15) Zu 1.: Die steigende Kapitalintensität einer wachsenden Wirtschaft, der sich auch die Genossenschaften auf Dauer nicht entziehen können, läßt Finanzierungsprobleme zunehmend in den Mittelpunkt rücken. Genossenschaften sind hiervon in besonderer Weise betroffen, weil die Mitglieder aus zuvor genannten Gründen durch eine freiwillige finanzielle Mehr beteilig ung weder einen individuellen Ertrags vorteil noch ein erhöhtes Stimmengewicht erlangen können, solange am Einstimmrecht und der Umsatzbeteiligungsdividende (Rückvergütung) festgehalten wird. Die Genossenschaft bietet auf dieser Grundlage für eine freiwillige finanzielle Mehrbeteiligung der Mitglieder im Vergleich zu alternativen Möglichkeiten der Kapitalanlage zu wenig Anreize, zumal im deutschen Genossenschaftsgesetz bis 1974 auch eine Verzinsung der Anteile verboten war. Die 1974 in Kraft getretene Novellierung des bundesdeutschen Genossenschaftsgesetzes war deshalb in erster Linie darauf ausgerichtet, die finanzielle Beteiligungsbereitschaft der Mitglieder zu stärken, um die genossenschaftlichen Finanzierungsspielräume zu erweitern. Zu diesem Zweck Wiarden Möglichkeiten zur "Verzinsung" der Geschäftsanteile (soweit kein Bilanzverlust vorliegt), zur Beteiligung ausscheidender Mitglieder am Substanzwert (über einen auszuschüttenden Anteil an einem eigens dafür zu bildenden Rücklagenfonds) sowie zur Einführung eines begrenzten Mehrstimmrechtes (maximal drei Stimmen pro Kopf) eingeräumt. Das Mehrstimmrecht soll Mitgliedern gewährt werden, die die Genossenschaft in besonderer Weise fördern. Die Kriterien hierzu sind in der Satzung festzulegen und können sich zur Stärkung der Beteiligungsbereitschaft z.B. auf die Zahl der übernommenen Geschäftsanteile, aber auch auf die individuelle Betriebsgröße oder den individuellen Anteil am genossenschaftlichen Mitgliederumsatz beziehen. Alle diese Neuregelungen führen bei ihrer Anwendung zu einem (begrenzten) Abbau der personalen Gleichbehandlung zugunsten einer ökonomischen Proportionalität in der Rechtsstellung der Mitglieder. Zu 2.: Veränderte Wettbewerbsbedingungen setzten die genossenschaftliche Rechtsform einem starken Veränderungsdruck aus, was teilweise in

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einen Trend zum Rechtsformwandel einmündete. Neumann (16) verweist u.a. auf das Beispiel der Konsumgenossenschaften, die früher als erste Großbetriebsform auf einem polypolistischen Markt über längere Zeit einen Wettbewerbsvorsprung besaßen. Heute müssen sie sich dagegen auf einem oligopolistisch geprägten Markt behaupten, auf dem vor allem über kapitalintensive und discountorientierte Vertriebsformen (wie etwa Supermärkte, Discounter, Verbrauchermärkte und SBWarenhäuser) ein aggressiver Verdrängungswettbewerb geführt wird (17). Traditionelle genossenschaftliche Strukturen erwiesen sich für diesen oligopolistischen und kapitalintensiven Wettbewerb zum Teil als zu imbeweglich und führten u.a. im konsumgenossenschaftlichen Bereich häufiger zu Umwandlungen in Aktiengesellschaften (18), in denen die personale Gleichstellung tendenziell zugunsten einer ökonomischen Differenzierung abgebaut wird, obwohl die Aktiengesellschaft durchaus genossenschaftsadäquat ausgestaltet werden kann (19). Zu 3.: Absolute soziale Gleichbehandlung und ökonomische Erfordernisse lassen sich besser vereinbaren, wenn eine weitgehende ökonomische Homogenität der Mitglieder gewährleistet ist. Im Laufe der genossenschaftlichen Entwicklung trat jedoch eher der gegenteilige Trend ein (20): "Das hängt vor allem damit zusammen, daß aus Wirtschaftlichkeitsgründen Genossenschaften vielfach zu größeren Einheiten verschmolzen wurden, in denen selbst eine anfänglich noch vorhandene Homogenität der Mitglieder verlorenging (...). Aufgrund der vorhandenen Heterogenität der Mitglieder sind ihre Bedürfnisse verschieden, und damit ist auch ihr Interesse an der Genossenschaft unterschiedlich begründet" (21). Es liegt auf der Hand, daß bei wachsender Mitgliederheterogenität und damit verbundenen differenzierten Interessenlagen das genossenschaftliche Konfliktpotential wächst (22). Unter diesen Bedingungen gerät insbesondere auch das Einstimmrecht unter Druck, denn es ist evident, daß das Kopfstimmrecht als Idealform der personalen Gleichstellung um so problemloser praktiziert werden kann, je homogener die Mitglieder in ihrem ökonomischen Status sind. In landwirtschaftlichen Genossenschaften z.B. besteht heute vielfach ein Nebeneinander von Nebenerwerbsbetrieben sowie von kleinen und großen Vollerwerbsbetrieben, die durchaus unterschiedliche Ansprüche an die Genossenschaft stellen und die es in der Genossenschaftspolitik auszubalancieren gilt. Dies kann zu existentiellen Zerreißproben führen, wenn großbetriebliche Interessen auf der Grundlage des Ein Stimmrechts mehrheitlich von den Kleinbetrieben blockiert oder behindert werden. Großbetriebliche Mitglieder drängen dann gewöhnlich auf ein größenabhängiges Mehrstimmrecht und drohen für den Fall der Nichterfüllung dieser Forderung mit dem Austritt aus der Genossenschaft, womit diese ihre ökonomisch potentesten Mitglieder verlieren würde und in existentielle Nöte geraten kann (23). Es war deshalb kein Zufall, daß vor allem

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im landwirtschaftlichen Bereich Forderungen nach Einführung eines Mehrstimmrechtes laut wurden (24). Zusammenfassend läßt sich festhalten: Veränderte situative Bedingungen haben Spannungen zwischen absoluter sozialer Gleichstellung und ökonomischer Systemrationalität erzeugt oder verstärkt und im Laufe der Zeit zu einer ökonomisch motivierten Relativierung der personalen Gleichstellung der Genossenschaftsmitglieder beigetragen (was als eine Erscheinungsform der Ökonomisierung der Genossenschaften zu sehen ist (25). Ohne daß gesetzliche Bestimmungen verändert werden, gilt dies auch für Tendenzen zur Mitgliederselektion, bei denen die offene Mitgliedschaft im Rahmen gesetzlicher Spielräume restriktiver praktiziert wird (26). Als Möglichkeiten zur ökonomischen Proportionalität in der Mitgliederstellung und zur Einengung der offenen Mitgliedschaft kommen z.B. die Festlegung von Mindestabnahmemengen pro Periode, die Staffelung von Abgabepreisen nach Auftragsgrößen oder die Festlegung von Mindestbetriebsgrößen bei der Aufnahme neuer Mitglieder zur Anwendung. Solche Regelungen können für Grenzbetriebe eine unüberwindbare Eintrittshürde darstellen oder die Mitgliedschaft so unattraktiv machen, daß sie ausgrenzende Wirkungen haben. Derartige Beispiele verdeutlichen den Trend zur ökonomischen Differenzierung in der Mitgliederstellung, wobei auch die Staffelbeteiligung zu erwähnen ist, die sich in der Genossenschaftspraxis zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung entwickelt hat. Bei Staffelbeteiligung ist der Pflichtanteil nicht mehr für alle Mitglieder gleich, sondern wird nach bestimmten Kriterien abgestuft. Nach § 7a des bundesdeutschen Genossenschaftsgesetzes, der mit der Novellierving 1974 eingeführt wurde, kommen als Kriterien -

der Umfang der Inanspruchnahme genossenschaftlicher Leistungen bzw. Einrichtungen oder bestimmte wirtschaftliche Merkmale der Mitgliederbetriebe in Betracht,

womit auch hier Spielräume für ökonomische Differenzierungen in der Mitgliederstellung zur Verfügung stehen. Fußnoten: (1) (2) (3) (4) (5) (6)

Vgl. Draheim, 1967, S. 18 ff.; Frietma, 1971, S. 14 ff. Vgl. Henzler, 1970, S. 279 ff. Vgl. Draheim, 1967 und Schmid, 1989. Vgl. hierzu Apel, 1978. Lembke, 1973, S. 78. Im bundesdeutschen Genossenschaftsgesetz wird es den Genossenschaften freigestellt, sich zwischen einer Umsatz- oder einer Kapitalbeteiligungsdividende zu entscheiden. Die Rückvergütung ist Gegenstand genossenschaftlicher Satzungsregelungen. (7) Draheim, 1967, S. 44.

168

(8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15) (16) (17) (18) (19) (20) (21) (22) (23) (24) (25) (26)

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

Vgl. Vierheller, 1983a, S. 111 f. Vgl. Frietma, 1971, S. 17. Vgl. Faust, 1971, S. 31. Vgl. Schultz, 1971, S. 238 ff. Vgl. Schultz, 1971, S. 240. Vgl. Vierheller, 1983b, S. 75 ff. Neumann, 1975, S. 32. Vgl. Neumann, 1975, S. 32 ff. Vgl. Neumann, 1975, S. 32. Vgl. hierzu Potucek, 1987, insb. S. 292 ff.; Schenk et al„ 1984, S. 215 ff. Vgl. Vierheller, 1983b, S. 75 ff. Vgl. Luther, 1978, insb. S. 65 ff., 78 ff., 85 ff., 94 ff. Vgl. z.B. Zimmermann, 1978, S. 37 ff. Neumann, 1975, S. 33. Vgl. Zimmermann, 1978, S. 138 ff. Vgl. Dülfer, 1984, S. 49 f. Vgl. Schultz, 1980, S. 80. Vgl. hierzu insb. Schmid, 1988. Vgl. Schmid, 1988, S. 272 f.

Literatur: Apel, J. (1978): Genossenschaften zwischen Personal- und Kapitalgesellschaft unter Berücksichtigung der Novelle von 1973, Diss. Münster. Dülfer, E. (1984): Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen. Draheim, G. (1967): Zur Ökonomisierung der Genossenschaften, Göttingen. Faust, H. (1971): Ethik in der Genossenschaft, in: Weisser, G., Engelhardt, W.W. (Hg.): Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, Göttingen, 2. Aufl., S. 21 ff. Frietma, J. (1971): Draheims Lehre von der Doppelnatur der Genossenschaft, in: Weisser, G., Engelhardt, W.W. (Hg.): Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, Göttingen, 2. Aufl., S. 14 ff. Henzler, R. (1970): Der genossenschaftliche Grundauftrag: Förderung der Mitglieder, Frankfurt/M. Lembke, H. (1973): Der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Bemessung des Stimmrechts in der eingetragenen Genossenschaft, Erlangen. Luther, M. (1978): Die genossenschaftliche Aktiengesellschaft, Tübingen. Neumann, M. (1975): Das kapitalistische Element in der modernen Genossenschaft, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 25, S. 32 ff. Potucek, V. (1987): Strukturelle Wandlungen im deutschen Lebensmittelhandel und ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb, Berlin. Schenk, H., Tenbrink, H., Zündorf, H. (1984): Die Konzentration im Handel, Berlin. Schmid, G. (1988): Marketing als Unternehmensführungskonzeption von Handelsgenossenschaften, Berlin. Schultz, D. (1971): Freiheit und Bindung der Genossenschaft bei der Aufnahme von Mitgliedern, in: Weisser, G., Engelhardt, W.W. (Hg.): Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, Göttingen, 2. Aufl., S. 237 ff.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

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Schultz, R. (1980): Die Genossenschaftsrechtsnovelle von 1974 und ihre praktischen Auswirkungen, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 30, S. 75 ff. Vierheller, R. (1983a): Demokratie und Management. Grundlagen einer Managementtheorie genossenschaftlich-demokratisch verfaßter Unternehmen, Göttingen. Vierheller, R. (1983b): Die Entwicklung der Hamburger Konsumentenorganisation PRO vom Konsumverein zur Aktiengesellschaft, in: Jahrbuch für Sozialökonomie und Gesellschaftstheorie: Hamburg-Studien, Opladen, S. 62 ff. Zimmermann, P. (1978): Konsequenzen der Betriebstypenheterogenität für das genossenschaftliche Gruppenmarketing, Göttingen.

170

2.2.3.

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Mitbestimmung bei Genossenschaften

2.2.3.1. Aus rechtlicher Sicht (Am Beispiel der bundesdeutschen Gesetzgebung) Peter Erlinghagen IAnett

Rademacher

Gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG 1952 findet die Vorschrift des § 76 BetrVG 1952 über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat Anwendung auch auf die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, sofern sie über mehr als 500 Arbeitnehmer verfügen. In § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG ist als der Mitbestimmung nach diesem Gesetz unterliegendes Unternehmen ebenfalls die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft genannt. Sie muß gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG über mehr als 2000 Arbeitnehmer verfügen. Das bedeutet, daß die in §§ 76,77 BetrVG 1952 enthaltene Mitbestimmungsregelung bei Genossenschaften über 500 Arbeitnehmer so lange erhalten bleibt, als sie nicht wegen Erreichimg der Zahl von regelmäßig mehr als 2000 Arbeitnehmern dem Mitbestimmungsgesetz unterliegen. A. Mitbestimmung nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes von 1952 Bei Genossenschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern ist nach dem nach § 125 BetrVG vom 15.1.1972 fortgeltendem § 77 Abs. 3 iVm § 76 BetrVG 1952 ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder aus den Kreisen der Arbeitnehmer der Genossenschaft oder Gewerkschaftskreisen im Wege der Wahl durch die Arbeitnehmer zu bestellen. Die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat erfolgt nach Maßgabe der Ersten Rechtsverordnung zur Durchführung des BetrVG vom 18.3.1953 (1) in der Fassung, die diese durch die Verordnimg zur Änderung der Ersten Rechtsverordnung vom 7.2.1962 (2) erhalten hat und die gem. § 35 Abs. 2 der Ersten Verordnung zur Durchführung des BetrVG vom 16.1.1972 (3) für die in §§ 76, 77 BetrVG 1952 bezeichneten Wahlen weiterhin Anwendung findet. Die Satzung einer Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft, auf die §§ 76, 77 BetrVG 1952 anwendbar sind, hat eine durch drei teilbare Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern festzusetzen (§ 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG 1952). Tut sie dies nicht, vergrößert sich die nach § 76 BetrVG 1952 den Arbeitnehmern zukommende Zahl der Aufsichtsratssitze entsprechend der nächsthöheren durch drei teilbaren Zahl. Der Generalversammlung bleibt überlassen, die dementsprechend auf der Anteilseignerseite freien Mehrsitze zu besetzen. (4) Die Generalversammlung kann über die nach § 76 BetrVG 1952 bestimmte Anzahl hinaus weitere Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat wählen. (5) Allerdings sind die über das Drittel hinaus gewählten Arbeitnehmer keine " Vertre-

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

171

ter der Arbeitnehmer" im Sinne des BetrVG, sondern von der Generalversammlung berufene Aufsichtsratsmitglieder, für die die allgemeinen Bestimmungen des GenGgelten.(6) Es ist jedoch zulässig, durch Satzung und Stimmbindungsvertrag eine paritätische Zusammensetzung des Aufsichtsrates vorzuschreiben.(7) Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat können nicht gem. § 36 Abs. 3 GenG durch die Generalversammlung ihres Amtes enthoben werden. Vor Ablauf der Wahlzeit können sie nur auf Antrag der Betriebsräte oder von mindestens einem Fünftel der wahlberechtigten Arbeitnehmer durch Beschluß der Arbeitnehmer, der eine Mehrheit von mindestens drei Viertel erfordert, abberufen werden. Die Generalversammlung hat also keinen Einfluß auf die Abberufung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Das Amt eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat endet daher auch nicht durch Kündigung von Seiten der Genossenschaft. Dies gilt grundsätzlich auch bei fristloser Kündigung aus wichtigem Grund. Ziel ist es, zu gewährleisten, daß durch den Arbeitgeber kein Einfluß auf die Dauer der Zugehörigkeit des Arbeitnehmervertreters zum Aufsichtsrat genommen wird. Allerdings endet daher das Aufsichtsratsamt, wenn der Arbeitnehmervertreter aufgrund eigener Kündigung oder Aufhebungsvereinbarung aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. (8) Ein besonderer Kündigungsschutz besteht für Aufsichtsratsmitglieder nicht. (9) Sinkt die Zahl der Arbeitnehmer unter 500, ist der Vorstand verpflichtet, das Verfahren nach § 97 AktG einzuleiten (§ 77 Abs. 3 BetrVG 1952). Die Generalversammlung kann also nicht einfach den Aufsichtsrat entsprechend dem Statut ohne Arbeitnehmervertreter besetzend 10) B. Mitbestimmung nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes Gem. § 1 Abs. 1 MitbestG unterliegt die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft mit mehr als 2000 Beschäftigten den Regelungen des MitbestG. Das bedeutet, daß bei Bildung und Zusammensetzung des Aufsichtsrates die Bestimmungen insbesondere der §§ 7 und 15 MitbestG zu beachten sind. Danach muß der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern bestehen. Über § 7 MitbestG hinausgehende auf die Mitgliederzahl des Aufsichtsrates gerichtete Gestaltungsmöglichkeiten der Genossen (§ 36 Abs. 3 GenG) werden durch das Mitbestimmungsgesetz abgeschnitten. 1. Bildung und Mitgliederzahl des Aufsichtsrates Nach §§ 9, 36 Abs. 1 GenG ist ein Aufsichtsrat zu bilden, der, sofern das Statut keine höhere Zahl festsetzt, aus drei von der Generalversammlung zu wählenden Mitgliedern besteht. Die Pflicht zur Bildung eines Aufsichtsrates ergibt sich also für die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften bereits aus §§ 9, 36 GenG und nicht erst aus § 6 Abs. 1 MitbestG. Allerdings richtet sich

172

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

die Mitgliederzahl des Aufsichtsrates allein nach § 7 MitbestG. Der Aufsichtsrat setzt sich folglich aus 12 Mitgliedern zusammen, wenn das Unternehmen in der Regel nicht mehr als 10.000 Arbeitnehmer beschäftigt, bei bis zu 20.000 Arbeitnehmern ist von einem 16köpfigen Aufsichtsrat auszugehen. In noch größeren Unternehmen umfaßt der Aufsichtsrat 20 Mitglieder, § 7 Abs. 1S. 1 Nr. 1-3 MitbestG. Durch Statut können die Genossen bei 12- bzw. 16köpfigen Aufsichtsräten deren Erweiterangauf 16 oder 20 bzw. 20 Mitglieder festlegen, § 7 Abs. 1 S. 2. Für eine Genossenschaft gibt es im GenG keine Vorschrift über die Bildung des ersten Aufsichtsrates. Es gibt jedoch gem. § 6 Abs. 2 MitbestG die Möglichkeit des Verfahrens nach §§ 97, 98 AktG. Dem in § 98 Abs. 2 Nr. 1 AktG als antragsberechtigt bezeichneten Vorstand entspricht der Genossenschaftsvorstand (§ 24 GenG) und dem in § 98 Abs. 2 Nr. 3 AktG bezeichneten Aktionär der Genosse (§ 4 GenG). (11) 2. Zusammensetzung des Aufsichtsrates Die Zusammensetzung des Aufsichtsrates ist in §§ 7 und 15 Abs. 2 MitbestG geregelt. Nach § 7 Abs. 1 MitbestG wird jeweils die Hälfte der Aufsichtsratssitze von Genossen besetzt, die andere Hälfte ist für Aufsichtsratsmitglieder vorgesehen, die die Arbeitnehmer vertreten bzw. diesen als Repräsentanten zuzurechnen sind. Für die Aufsichtsratsmitglieder auf Seite der Genossen gilt nach § 8 MitbestG die Vorschrift des § 36 GenG uneingeschränkt. Die Struktur der Arbeitnehmerseite ist demgegenüber im MitbestG genauestens geregelt. § 9 Abs. 2 GenG, wonach alle Mitglieder des Aufsichtsrates Genossen sein müssen, gilt nicht für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (§ 6 Abs. 3 MitbestG). Auch eine Satzungsbestimmung, die die Wählbarkeit von Personen in den Aufsichtsrat beschränkt, gilt nicht für Arbeitnehmervertreter.(12) Das zahlenmäßige Verhältnis der Aufsichtsratsvertreter der Arbeitnehmer des Unternehmens und der Aufsichtsratsvertreter der Gewerkschaften richtet sich nach § 7 Abs. 2 MitbestG. Je nach Größe des Aufsichtsrates beträgt es 4:2 oder 7: 3. § 15 Abs. 2 MitbestG enthält Regelungen über die Aufteilung der den Arbeitnehmern zustehenden Aufsichtsratssitze auf Arbeiter, Angestellte und leitende Angestellte. Danach sind die zu vergebenden Sitze zunächst nach dem Anteil von Arbeitern und allen Angestellten an der gesamten Belegschaft auf die beiden Gruppen zu verteilen. Fällt den Angestellten danach mehr als ein Sitz zu, erhalten davon nach dem Zahlenverhältnis zwischen Angestellten und leitenden Angestellten letztgenannte zumindest einen. Ergibt sich aber bei dieser Berechnung für die Angestellten insgesamt nur ein Sitz, so erhalten die leitenden Angestellten den ihnen in jedem Fall garantierten Sitz auf Kosten der Arbeiter.(13)

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

173

Die Arbeitnehmervertreter können nicht gem. § 36 Abs. 3 GenG durch die Generalversammlung ihres Amtes enthoben werden. Vor Ablauf der Wahlzeit können sie nur nach Maßgabe des § 23 MitbestG abberufen werden. Die Generalversammlung hat danach keinen Einfluß auf Abberufung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Das Amt eines Arbeitnehmervertreters im Aufsichtsrat endet nach § 24 Abs. 1 MitbestG, wenn der Arbeitnehmer aus dem Unternehmen ausscheidet. Das gilt unabhängig davon, ob die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Zeitablauf, Kündigung durch den Arbeitnehmer oder Arbeitgeber oder einem Aufhebungsvertrag beruht. Bei der Kündigung durch den Arbeitgeber können sich allerdings einige Besonderheiten ergeben. Das MitbestG enthält keinen ausdrücklichen Kündigungsschutz für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, so wie er für Betriebs- und Personalräte besteht. Ein Kündigungsschutz für Aufsichtsratsmitglieder entsprechend §§ 103 BetrVG, 15 KSchG wird abgelehnt. Zu beachten ist allerdings, daß Arbeitnehmervertreter, die gleichzeitig Betriebsratsmitglieder sind, dem Kündigungsschutz nach § 103 BetrVG unterliegen. Ferner besteht das Aufsichtsratsamt auch nach Ausspruch der Kündigung in einigen Fällen durch Anrufung des Arbeitsgerichtes weiter. Wenn der Arbeitnehmer gem. § 102 Abs. 5 BetrVG weiterbeschäftigt wird, bleibt das Aufsichtsratsamt bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreites bestehen. Während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses kann auch durch einstweilige Verfügung die Weiterbeschäftigung erzwungen werden mit der Folge, daß auch das Aufsichtsratsamt erhalten bleibt. (14) Eine Kündigung eines Arbeitnehmervertreters mit dem Ziel, ihm die Aufsichtsratsarbeit unmöglich zu machen, ist unzulässig (§ 26 MitbestG). Kündigungen wegen eines Verhaltens, welches im Zusammenhang mit der Aufsichtsratsarbeit steht, sind ebenfalls in der Regel unzulässig. 3. Kompetenzen und innere Ordnung des Aufsichtsrates Die Kompetenzen und innere Ordnung des Aufsichtsrates werden durch die §§ 27 - 29, 31, 32 MitbestG und die maßgebenden Vorschriften des GenG geregelt. Für Wahl und Rechtsstellung des Aufsichtsratsvorsitzenden (§§ 27 Abs. 2, 29 Abs. 2,31 Abs. 4), die Bildimg des ständigen Ausschusses (§ 27 Abs. 3) sowie die Bestellung und Abberufung von Mitgliedern des Leitungsorgans (§ 31) gelten unabhängig von der Rechtsform des mitbestimmten Unternehmens die Vorschriften des MitbestG. Bezüglich der Kompetenzen des Aufsichtsrates und seiner Stellung im Gefiige der Unternehmensorgane gelten die maßgeblichen Vorschriften des GenG. Für die Kompetenzen des Aufsichtsrates der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften nach §§ 27 ff., 31 MitbestG ergibt sich Folgendes:(15)

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

a) Die Legitimationskompetenz des Aufsichtsrates richtet sich nach §§ 25,31 MitbestG und § 84 AktG, nicht nach § 24 Abs. 2 GenG. b) Grundnorm für die binnenorganisatorische Machtverteilung ist § 38 GenG. Danach hat der Aufsichtsrat den Vorstand als eigenverantwortliches Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan (§ 27 Abs. 1 GenG) zu überwachen. Der Aufsichtsrat ist dem Vorstand neben-, nicht übergeordnet. Jedoch kann dem Aufsichtsrat durch Statut ein Zustimmungsrecht zu einzelnen Geschäften oder Geschäftsarten eingeräumt werden (§§ 27 Abs. 2, 38 Abs. 3 GenG)(16). c) Bei den Genossenschaften ist es zwar Sache des Aufsichtsrates, den Vorstand zu bestellen, aber diese Kompetenz wird dadurch eingeschränkt, daß gem. § 9 Abs. 2 S. 1 GenG nur Genossen in den Vorstand berufen werden dürfen. § 33 Abs. 1 MitbestG ordnet an, daß ein Arbeitsdirektor als ordentliches Mitglied des Vorstandes zu bestellen ist. Von der Regel des § 9 Abs. 2 S. 1 GenG, macht § 33 Abs. 3 MitbestG für den Arbeitsdirektor eine ausdrückliche Ausnahme. Die Auswahlfreiheit des Aufsichtsrates ist dabei durch keinerlei Qualifikationsmerkmale beschränkt. d) Die Geschäftsverteilungskompetenz des Aufsichtsrates ist darauf beschränkt, ein Mitglied des Vorstandes zum Vorsitzenden desselben zu ernennen. Weitergehende Rechte können sich allerdings aus dem Statut ergeben (§ 38 Abs. 3 GenG). e) Die Kontrollkompetenz des Aufsichtsrates richtet sich nach § 25 Abs. 1 Nr. 3 MitbestG, § 38 GenG. f) Eine Genehmigungskompetenz des Aufsichtsrates ist bis auf den praktisch unbedeutsamen § 39 Abs. 2 GenG (Kreditgewährung an Vorstandsmitglieder) nicht vorgesehen. Sie kann jedoch gem. § 38 Abs. 3 GenG durch das Statut der Genossenschaft begründet werden. g) Wegen der Größe der vom MitbestG erfaßten Unternehmen wird es in der Regel notwendig sein, daß der Aufsichtsrat einen Teil seiner Aufgaben auf Ausschüsse delegiert, die die Verhandlungen oder Beschlüsse des Aufsichtsrates durchführen sollen. Für die Genossenschaft ergibt sich die Befugnis für Bildung und Tätigkeit dieser Ausschüsse ohne gesetzliche Vorschrift (bei anderen Gesellschaftsformen vgl. § 107 Abs. 3 AktG) aus der Autonomie des Aufsichtsrates. Neben ad hoc-Ausschüssen werden meist ständige Ausschüsse eingesetzt, z.B. Personal-, Investitions-, Finanz- oder Sozialausschüsse. Dabei wird die Sachkunde eines Mitglieds wesentliches Besetzungskriterium für den Aufsichtsrat sein.(17) 4. Auswirkungen des Mitbestimmungsgesetzes auf die Genossenschaften Die Einbeziehung der Genossenschaften in den Kreis der mitbestimmten Unternehmen durch § 1 Abs. 1 MitbestG stieß vor allem bei den Genossenschaften auf Kritik.(18)

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

175

Wichtigste Folge des MitbestG für die Genossenschaften ist, daß die Mitglieder des Aufsichtsrates zur Hälfte nicht mehr aus Genossen bestehen, die Genossen somit auf die Hälfte der Aufsichtsratsstimmen beschränkt sind. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates, der bei Stimmengleichheit einer Abstimmung ein doppeltes Stimmrecht hat (§ 29 Abs. 2 MitbestG) wird allerdings aus Reihen der Genossen gewählt (§ 27 ABs. 1 und 2), sodaß bei Abstimmungen des Aufsichtsrates die Genossen über eine Stimmenmehrheit verfügen. Die Regelung der grundlegenden Angelegenheiten bleibt den Mitgliedern der Genossenschaft vorbehalten, vor allem das Satzungsrecht (§ 16 GenG), welches durch das MitbestG nicht angetastet wird. Auch lassen GenG und MitbestG die Schaffung weiterer Organe zu, beispielsweise eines genossenschaftlichen Beirates, dem die Funktion der Mitgliederrepräsentation zugewiesen werden kann. Erforderlich ist lediglich, daß die Mindestkompetenzen des Aufsichtsrates - die Bestellung des Vorstandes und die Kontrolle der Verwaltung - gewahrt bleiben. Fußnoten (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14)

(15) (16) (17) (18)

BGBl 1, S. 58. BGBl 1, S. 61. BGBl 1, S. 49. hM, vgl. Meyer/Meulenberg/Beuthien, GenG, 12. Auflage, München 1983, § 36, Rdnr.5. Vgl. BGH DB 1975, 1548, 1549; BGH AG 1975, 242. Vgl. Schubert/Steder, Genossenschafts-Handbuch, § 36, Rdnr. 3; vgl. für die AG: OLG Hamburg AG 1972, 183. Vgl. Benze/Föhr/Kehrmann, MitbestG '76, Hannover 1977, § 1, Rdnr. 37; Hensche, AuR 1971, 39; Raiser, RdA 1972, 69; a.A. Mertens, AG 1975, 245. Vgl. Metz in: Lang/Weidmüller, GenG, Berlin 1988, § 36, Rdnr. 75. Vgl. BAG DB 1974, 1967. Vgl. Metz in: Lang/Weidmüller, GenG, Berlin 1988, § 36, Rdnr. 76. Vgl. Kittner/Fuchs/Zachert, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat Teil 1, Köln 1977, Rdnr. 192. VG1. BGH DB 1963, 417. Vgl. Benze/Föhr/Kehrmann, MitbestG '76, Hannover 1977, Einl., Rdnr. 86. Vgl. Benze/Föhr/Kehrmann, MitbestG '76, Hannover 1977, $ 24, Rdnr. 8; Fitting/ Wlotzke/Wißmann, MitbestG, 2. Auflage, München 1978, $ 24, Rdnr. 8; Matthes in: Fabricius, MitbestG, Neuwied 1976, § 24, Rdnr. 9 ff. Vgl. Benze/Föhr/Kehrmann, MitbestG '76, Hannover 1977, Einl., Rdnr. 92. Vgl. Neandrup in: Fabricius, MitbestG, Neuwied 1976, § 25, Rdnr. 157. VG1. Fitting/Wlotzke/Wißmann, MitbestG, 2. Auflage, München 1978, § 29, Rdnr. 28; Naendrup in: Fabricius, MitbestG, Neuwied 1976, $ 25, Rdnr. 43. Vgl. Blomeyer, ZfG Bd. 26 (1976), S. 33 ff m.w.N.; Harlacher, ZfG Bd. 25 (1975), S. 20 ff.

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

2.2.3.2. Mitarbeiter-Mitbestimmung in betriebswirtschaftlicher Sicht

Genossenschaften

aus

Andreas Männicke A. Begriffs- und Problemabgrenzung Alle genossenschaftlich organisierten Wirtschaftsgebilde haben von ihrer Grundstruktur her einen demokratischen Aufbau. Den Mitgliedern werden bei zentralen Entscheidungen weitgehende "Mitbestimmungsrechte" in der Mitgliederversammlung eingeräumt. (1) Dies ist organisationsformadäquat, da das Handlungsendziel aller genossenschaftlichen Betätigungen die Förderung der Mitglieder über Leistungsbeziehungen ist; folglich sollen die Mitglieder als Träger und Kunden/Lieferanten der Genossenschaftsunternehmung auf die Förderpolitik Einfluß nehmen können. Wenn die Abwicklung der genossenschaftlichen Kooperationsbeziehungen die Einstellung von Mitarbeitern erforderlich macht - und das ist bei einem bestimmten Geschäftsumfang bei allen Genossenschaften unabdingbar tritt neben die Mitgliedern eine weitere Interessengruppe: Auch die Mitarbeiter sind daran interessiert, ihren Zielen und Bedürfnissen Gehör zu verschaffen und bei der Durchsetzimg ihrer Ziele Einflußmöglichkeiten zu haben. Wenn die Ziele der Mitarbeiter denen der Mitglieder widersprechen, entstehen Konflikte. Die im bundesdeutschen Schrifttum hervorgegangene Konflikttheorie hat sich auf den Nachweis potentieller Konflikte zwischen Managern und Mitgliedern beschränkt. (2) Ab einer bestimmten Betriebsgröße kommt den Mitarbeitern beim Auf- und Ausbau von Förderpotentialen ein großes Gewicht zu. Die Mitarbeiter dürfen daher nicht vernachlässigt werden. Der Begriff "Mitbestimmung der Mitarbeiter" beinhaltet im weit gefaßten Sinne sowohl Anhörungs-, Beratungs- und Informationsmöglichkeiten der Mitarbeiter bei betriebsinternen Angelegenheiten als auch unternehmensbezogene Mitwirkungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten, (3) mithin im Sinne des Partizipationsbegriffes auch eine "aktive, lebendige Teilhaberschaft, also einen eigenständigen Steuerungsbeitrag zum Gesamtgeschehen."(4) Die in der Bundesrepublik Deutschland erfolgte gesetzliche Kodifizierung von Einflußmöglichkeiten der Mitarbeiter im Betriebsverfassungsgesetz von 1952 (5) und 1972 und dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 (6) lösten eine intensive Diskussion in Genossenschaftswissenschaft und -praxis aus. Die Mitarbeiter-Mitbestimmung kann organisationsrechtlich auf verschiedenen Ebenen erfolgen: auf Vorstandsebene, also auf der Ebene der Genossenschaftsleitung (und seinen Ausschüssen), auf Aufsichtsratsebene, also auf der Ebene von Überwachungsorganen (und seinen Ausschüssen), auf der Ebene des Betriebsrates, also betriebsinternen Einrichtungen, auf der Ebene von

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

177

Beiräten (und seinen Ausschüssen) oder auf der Ebene von Projekt-Teams, um nur einige theoretische Möglichkeiten zu nennen. Im Folgenden sollen unabhängig von bestehenden rechtlichen Regelungen (7) Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitarbeiter (8) von Genossenschaften aus betriebswirtschaftlicher Sicht beleuchtet werden. Untersuchungsgegenstand sind lediglich die hauptsächlich vorkommenden Förderungsgenossenschaften. (9) Im Mittelpunkt der Diskussion steht die zu beantwortende Frage, ob die Arbeitnehmermitbestimmung die Förderungseffizienz der Genossenschaften positiv oder negativ beeinflußt. B. Die grundsätzliche Bedeutung der Mitarbeiter in Genossenschaften Der in den westlichen Ländern zu beobachtende Konzentrationsprozeß, das Eigenwachstum der Genossenschaften und der Zusammenschluß von Primärgenossenschaften zu Genossenschaftszentralen trugen dazu bei, daß Betriebskapazitäten entstanden, die die Einstellung einer großen Zahl von Mitarbeitern erforderlich machten. Allein die 3.363 bundesdeutschen Kreditgenossenschaften (exkl. 6 Zentralgenossenschaften) beschäftigten im Jahre 1988 insgesamt ca. 120.000 Mitarbeiter und die 5760 bundesdeutschen RaiffeisenGenossenschaften (inkl. 55 Zentralgenossenschaften) beschäftigten ca. 135.000 Mitarbeiter (davon 53.000 Mitarbeiter bei Kreditgenossenschaften mit Warenverkehr) (10), wobei Mitarbeiterzahlen von über 50 pro Genossenschaft keine Seltenheit sind. Die explizite Berücksichtigung der Mitarbeiter werden im genossenschaftswissenschaftlichen Schrifttum vernachlässigt. (11) Dies verwundert sehr, wenn man berücksichtigt, daß die Mitarbeiter -

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ebenso wie die Manager durch Wahrnehmung ihrer betrieblichen Funktionen mitverantwortlich sind für die erzielten und erzielbaren Förderergebnisse; durch innerbetriebliche Verbesserungsvorschläge nicht nur zur Erhöhung der Produktivität und damit der unternehmungsbezogenen Förderungseffizienz, sondern durch Entwicklung und Äußerung von eigenen produktbezogenen Ideen zu Förderungsinnovationen und damit zur mitgliederbezogenen Förderungseffizienz beitragen können;

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insbesondere bei Großgenossenschaften - mehr als die Manager - die direkten Ansprechpartner vor allem bei Service- und Beratungsleistungen sind und aufgrund ihres unmittelbaren Kontaktes - eher als die Manager - wissen, wo bei den Mitgliedern "der Schuh drückt";

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durch ihren direkten Mitgliederkontakt eine besondere Verantwortung bei der Transformation und (Re)Vitalisierung der Genossenschaftsidee, dem Erklären und Bewußtmachen der Fördervorteile, dem Schaffen von Vertrauenskapital und der Vermittlung von Identitätsbewußtsein (12) bei den Mitgliedern haben.

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Die Produktivität, Flexibilität und Kreativität der Mitarbeiter ist von hervorragender Bedéutung für die Höhe des Förderpotentials und die Mitarbeiter-Mitgliederbeziehung ist aufgrund der Personenbezogenheit der Leistungsbeziehungen mitausschlaggebend für die Kooperationsintensität. Die Leistungsinanspruchnahme durch das Mitglied steht und fällt gerade in vertrauensintensiven Bereichen sehr oft mit der Fähigkeit der Mitarbeiter, auf die Mitgliederwünsche zu achten und die Mitglieder durch qualitativ hochwertige Arbeit sachlich und emotional zufriedenzustellen. Bei optimaler Kooperation zwischen Mitgliedern, Management und Mitarbeitern können Synergiepotentiale entstehen, die die Genossenschaften im Wettbewerb zu mitgliederbezogener Mehrleistung befähigen, wenn alle Interaktionspartner ganz bewußt eng und intensiv miteinander zusammenarbeiten. (13) C. Die Mitarbeiter-Mitbestimmung in Genossenschaften aus organisationstheoretischer Sicht Auf der Grundlage der modernen Organisationstheorie kann (auch) die Genossenschaft als eine Koalition verschiedener Interessengruppen aufgefaßt werden, (14) die je nach Machtkonstellation mit unterschiedlichem Gewicht Forderungen an die Genossenschaft stellen und versuchen, auf den genossenschaftlichen Zielbildungsprozeß Einfluß zu nehmen, um über die Genossenschaft ihre individuellen Ziele verwirklichen zu können. Die Genossenschaft hat aus organisationstheoretischer Sicht nicht nur Instrumentalfunktion für die Mitglieder, sondern für alle Koalitionsteilnehmer. (15) Als genossenschaftsinieme Koalitionsteilnehmer kommen neben Managern und Mitgliedern auch die Mitarbeiter der Genossenschaft in Betracht. (16) Die traditionell unipolare Betrachtungsweise der genossenschaftlichen Zielbildung, bei der allein die Mitglieder die entscheidenden zielbildenden Impulse abgeben, erweitert sich unter Berücksichtigung der Managerziele und Mitarbeiterziele (17) auf einen theoretischen tripolaren Ansatz. Das Vorhandensein weiterer Organisationsteilnehmer, die Forderungen an die Organisation Genossenschaft stellen und Einfluß haben können (wie u.a. der Fiskus, Fremdkapitalgeber, Rechtsanwälte, Lieferanten, Kunden, Konkurrenten) werden als existent anerkannt, hier aber nicht weiter untersucht, (18) da sie als genossenschaftsexieme Koalitionsteilnehmer zu betrachten sind und in der Regel nur kasuistisch auf den genossenschaftlichen Zielbildungsprozeß Einfluß nehmen. Die Mitarbeiter sind hingegen permanent unmittelbar oder mittelbar an den genossenschaftlichen Kooperationsprozessen beteiligt und haben als Beschäftigte ein persönliches Interesse, ihre persönlichprivaten Ziele über die Genossenschaftsorganisation zu verwirklichen. (19) Die Qualität der Mitarbeiterleistungen ist zudem mitausschlaggebend für die Höhe des Förderungspotentials. Auch wenn bei allen genossenschaftsinternen Koalitionsteilnehmern - den Managern, Mitarbeitern und Mitgliedern - davon ausgegangen werden kann,

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

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daß sie alle gleichermaßen am Fortbestand und der Existenzerhaltung der Genossenschaftsorganisation interessiert sind, (20) kommen Zieldivergenzen sowohl zwischen Mitarbeitern und Managern als auch zwischen Mitarbeitern und Mitgliedern nicht nur im Geschäftsalltag, sondern auch bei strategisch bedeutsamen Entscheidungen regelmäßig vor. (21) Insbesondere bei Rationalisierungsentscheidungen (22) und Erfolgsverteilungsentscheidungen sind gegensätzliche Interessensstandpunkte zwischen Managern und Mitarbeiter sowie zwischen Mitarbeitern und Mitgliedern offensichtlich. Um dauerhafte genossenschaftsinterne Reibungsverluste, die den Kooperationserfolg wesentlich beeinträchtigen würden, zu vermeiden, sind aus organisations- und motivationstheoretischer Sicht alle organisationsrechtlichen Vorkehrungen zu befürworten, die die Konfliktregulierung über Verhandlungsprozesse ermöglichen. Auf diese Weise wird eine hohe Leistungsmotivation und eine breite Akzeptanz des Zielsystems aller Beteiligten ermöglicht sowie versteckte Inieressejisiniiltrationen der Mitarbeiter (geringere Arbeitsmotivation, Minderleistung, innere Kündigung, Informationsbarrieren) vermieden. D. Mögliche positive und negative Effekte der Mitarbeiter-Mitbestimmung auf die Förderungseffizienz der Genossenschaften 1. Positive Mitbestimmungswirkungen Grundsätzlich können bei der Beurteilung der Mitarbeiter-Mitbestimmung die gleichen "Pro-Argumente" vorgebracht werden, die zum einen im Rahmen der allgemeinen Mitbestimmungsdiskussion und zum anderen im Rahmen der Mitgliederpartizipationsdiskussion (23) die Argumentationsgrundlage bilden. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit könnten folgende Wirkungen der Mitarbeiter-Mitbestimmung das Förderungspotential und die Förderungseffizienz positiv beeinflussen: -

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Verbesserung der Entscheidungsqualität durch Einbringung von Mitarbeiterideen; Nutzung des Kreativitätspotentials der Mitarbeiter für Förderungsinnovationen; Erhöhung der Akzeptanz von Entscheidungen und Zielvorgaben "von oben" und damit Vermeidung von Interessensinfiltrationen der Mitarbeiter im Arbeits- und Kooperationsprozeß (Senkung von vermeidbaren "Zusatzarbeitskosten" durch Vermeidung von Ausfallzeiten durch Krankheit oder durch Neubesetzung von Stellen im Falle von Mitarbeiterkündigungen); geringere Mitarbeiterfluktuation und damit Stabilisierung der Kooperationsbeziehungen; die Mitglieder haben und behalten "ihren" Ansprech-

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2. Kapitel:

Die Merkmale

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Genossenschaften

partner, "ihre" Kontaktperson und eventuell "ihre" Vertrauensperson; das geschaffene Vertrauenskapital wirkt sich positiv auf die Permanenz der Leistungsbeziehungen aus; auch die Mitgliederfluktuation dürfte abnehmen, wenn die Mitglieder dauerhaft mit ihren unmittelbaren Kontaktpersonen im Geschäftsalltag zufrieden sind; eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit wird sich potentiell auch positiv auf die Mitgliederzufriedenheit auswirken; höhere Arbeitsmotivation und dadurch höhere Arbeitsproduktivität, die das Förderungspotential unmittelbar vergrößert; durch Erhöhung der Transparenz besserer Informationsfluß und offene Kommunikation zwischen Management und Mitarbeitern, aber auch zwischen Mitgliedern und Mitarbeitern; durch bewußte Integration der Mitarbeiter in den genossenschaftlichen Kooperationsprozeß Verbesserung des genossenschaftlichen Identitätsbewußtsein bei den Mitarbeitern und mittelbar auch bei den Mitgliedern Die verbesserte Genossenschaftsidentität kann die synergetische Wirkung im Kooperations-Dreieck "Management-Mitarbeiter-Mitglieder" erhöhen und die positive Interaktionssynergie kann die Genossenschaft insgesamt im Wettbewerb stärken und weniger verwundbar machen. (24)

2. Negative Mitbestimmungswirkungen Auch hier können analog die Argumente zum Tragen kommen, die im Rahmen der allgemeinen Mitbestimmungsdiskussion (25) und der genossenschaftsspezifischen Mitgliederpartizipationsdiskussion (26) genannt werden. Potentiell negativ würde sich die Mitarbeiter-Mitbestimmung auf die Förderungseffizienz auswirken, wenn sich einer oder mehrere der folgenden Sachverhalte nachhaltig als dominant erweisen sollten: -

Die Überbetonung partizipativer Willensbildungsprozesse könnte zu wettbewerbspolitisch nicht vertretbaren Entscheidungsverzögerungen führen oder wettbewerbsstrategische, förderungsrelevante Entscheidungen werden durch das Veto der Mitarbeiter verhindert, so daß in Folge der Mitarbeiter-Mitbestimmung vermehrte Opportunitätskosten entstehen. - Zudem könnte durch die betont partizipativen Entscheidungsprozesse mit dem Zwang zur Konsensbildung eine verminderte Anpassungsflexibiltät und Reagibilität bei starren Verhandlungspositionen einhergehen; auch dies könnte die Wettbewerbskraft und damit das Förderungspotential der Genossenschaft negativ beeinflussen. - Die Mitarbeiter-Mitbestimmung verursacht per se höhere Kosten, die die Ertragskraft und damit das Förderungspotential der Genossenschaft mindern; in Betracht kommen höhere finanzielle Belastungen durch die Durchsetzung von Mitarbeiterforderungen wie z.B. höhere Gehälter und Löhne, höhere Mitarbeiterabfindungen, höhere Sozialleistungen, Aufstel-

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len eines Sozialplanes sowie höhere Entscheidungskosten durch vermehrtes Zeitinvestment seitens des Managements und der Mitarbeiter für Mitbestimmungsdiskussionen, höhere Informationsbeschaffungs und -verarbeitungskosten, ggf. auch Sitzungsgelder und Tantiemen für Mitarbeitervertreter mit Organfunktionen. Die mitbestimmten Genossenschaften werden zu "kontraproduktiven Debattierclubs" mit zwar hohem Konsens, aber geringer Durchschlagskraft im Wettbewerb mit entscheidungsfreudigeren Konkurrenzunternehmen; das strategische Förderungspotential der Genossenschaft nimmt dadurch ab, weil wettbewerbsstrategisch bedeutsame Entscheidungen zerredet werden. Aufgrund geringer Information und Qualifikation der Mitarbeiter verschlechtert sich anfangs die Entscheidungsqualität. Aufgrund des vorhandenen Informationsgefälles zwischen Management und Mitarbeitern und der Expertenmacht des Managements läuft die formelle Mitbestimmung de facto ins Leere Da die Mitarbeiter immer noch zeitnäher und besser durch das Management informiert werden als die Mitglieder(vertreter), fallen aufgrund des Informationsvorsprungs der Mitarbeiter die Kompromisse bei Verhandlungsprozessen eher zugunsten der Mitarbeiter aus, so daß die Mitglieder bei der Durchsetzung ihrer Fördererwartungen ins Hintertreffen geraten. Die Mitarbeiter sind nicht hinreichend interessiert bzw. motiviert oder benutzen das bekannte Zeitargument ("keine Zeit!"), so daß die formell vorhandenen Mitbestimmungsmöglichkeiten nicht effizient genutzt werden die Arbeitsmotivation bei der Gesamtheit der Mitarbeiter verbessert sich nicht, da bei der Mitarbeiter-Mitbestimmimg nur einige wenige Mitarbeiter aktiv beteiligt sind. (27)

E. Abschließende Beurteilung der Mitarbeiter-Mitbestimmung in Genossenschaften Im Lichte der modernen Organisations- und Motivationstheorie ist die institutionalisierte Mitarbeiter-Mitbestimmimg gerechtfertigt, (28) denn die Mitarbeiter sind gerade bei Großgenossenschaften eine für die Kooperationsfahigkeit relevante Interessengruppe, die über die Genossenschaftsorganisation persönlich-individuelle Ziele zu verwirklichen sucht. Das entscheidende Kriterium über das Ausmaß der Mitarbeiter-Mitbestimmung ist aus (genossenschafts)betriebs-wirtschaftlicher Sicht ihre Wirkung auf die Förderungseßizienz der Genossenschaften. Vom Grundsatz her findet die Mitarbeiter-Mitbestimmung dort eindeutig ihre Grenzen, wo die Durchsetzung von Mitarbeiterzielen förderungsorientierte Mitgliederziele in dem Maße beeinträchtigt, daß die Förderungseffi-

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

zienz erkennbar nachhaltig negativ beeinflußt wird. Es ist immer im Einzelfall zu untersuchen, welche potentiellen Wirkungen von der institutionalisierten Mitarbeiter-Mitbestimmung ausgehen. Wie aufgezeigt wurde, kann die Mitarbeiter-Mitbestimmung ambivalente Wirkungen auf die Förderungseffizienz haben. Eine generell-universelle Aussage würde zum einen der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten und zum anderen der Vielfalt der denkbaren Kooperationssituationen und genossenschaftlichen Erscheinungsformen nicht gerecht werden. Insgesamt kann jedoch festgestellt werden, daß weder eine einseitige, ideologisierte oder politisch bedingte kategorische Ablehnung der Mitarbeiter-Mitbestimmung dieser komplexen Problematik gerecht werden kann noch eine Partizipationseuphorie, also eine die Marktpotenz der Genossenschaft schwächende Überbetonung partizipativer Willensbildungsprozesse angebracht erscheint. In jedem Fall ist Henzler zuzustimmen, der konstatiert, es könne "in einer solchen aus Personenvereinigung und Betriebswirtschaft bestehenden Organisation .. das Prinzip der Persönlichkeitsgeltung nicht in dem Augenblick verlassen werden, in dem die Schwelle des Betriebes überschritten wird und Fragen der Betriebsangehörigen auftreten." (29)

Der wesentliche genossenschaftsspezifische Aspekt der Mitarbeiter-Mitbestimmung ist die Chance, den Mitarbeitern Gelegenheit zu geben, sich intensiver mit dem genossenschaftlichen Gedankengut vertraut zu machen und mehr Verständnis und "Know-how" für genossenschaftliche Kooperationsprozesse zu erlangen. Denn wie soll bei den Mitgliedern die für die Profilierung von Genossenschaften so bedeutsame Genossenschaftsidentität entstehen, wenn diese bei den Mitarbeitern nicht vorhanden ist und demzufolge nicht glaubwürdig vermittelt werden kann? Die Mitarbeiter-Mitbestimmung kann daher richtig verstanden und angewendet der vom Grundsatz ehedem basisdemokratisch-partizipativ konzipierten Genossenschaftsidee für die Zukunft positive Impulse geben. Fußnoten: (1) Zu den "Mitbestimmungsrechten" der Mitglieder in der Mitgliederversammlung vgl. Neumann, R.: Rechtliche Möglichkeiten der Mitglieder zur Teilnahme an der Willensbildung in der eingetragenen Genossenschaft, Tübingen 1982, Deppenkemper, B.: Mitgliederversammlungen und Willensbildung in Genossenschaften, 2. Aufl., Gelsenkirchen 1985 (2) Zur theoretisch-systematischen Erarbeitung der Konflikttheorie vgl. Eschenburg, R.: Ökonomische Theorie der genossenschaftlichen Zusammenarbeit, Tübingen 1971, S. 141ff; ders.; Genossenschaftstheorie als Konflikttheorie, in: Theorie und Praxis der Kooperation, hrsg. v. Boettcher, E. Tübingen 1972, S. 55ff. (3) Zu den verschiedenen Ebenen der Arbeitnehmermitbestimmung allgemein vgl. Winter, H.-W.: Mitbestimmung der Arbeitnehmer, in: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens (HdG), hrsg. v. Mändle, E.AVinter, H.-W., Wiesbaden 1980, Sp. 1189f.

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

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(4) Hettlage, R.: Genossenschaftstheorie und Partizipationsdiskussion, 2. Aufl., Frankfurt/M. und New York, 1987, S. 24. Am Rande sei hier bemerkt, daß der Begriff Arbeitnehmermitbestimmung im bundesdeutschen Gesetzestext und die darauf beruhende Diskussion in der gegenwärtigen Gesetzesfassung bei enger Begriffsauslegung irreführend ist, wenn man unter Mitbestimmung auch Mitentscheiden bei der Geschäftspolitik versteht. Denn die "Mitbestimmung" ist lediglich auf die Besetzung des Aufsichtsrates beschränkt, der nur in dem Ausnahmefall der zustimmungspflichtigen Geschäfte Vorschläge des Vorstandes verhindern kann, ansonsten aber keine geschäftspolitischen Entscheidungssondern vornehmlich Überwachungs- bzw. Kontrollfunktionen hat. Es bleibt offen, ob die infolge des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 intensive Mitbestimmungsdiskussion auf der Ebene des Aufsichtsrates überhaupt den Namen Mitbestimmung verdient. Unmißverständlicher wäre der Begriff "Mitkontrolle der Arbeitnehmer", obwohl einzuräumen ist, daß die ex-ante und ex-post Kontrolle auch die Entscheidungen des Vorstandes beeinflußt. Da dies aber eine spezifisch bundesdeutsche Gesetzeskonstruktion ist, soll dieser Frage hier nicht weiter nachgegangen werden. (5) Vgl. Henzler, R., Mitbestimmung in Genossenschaften, in: ZfgG Bd.3 (1953) S.2ff, ders., Die Genossenschaft - eine fördernde Betriebswirtschaft, Essen 1957, S. 47ff.; Wallenhorst, R.: Die Beteiligung von Arbeitnehmern in den Aufsichtsräten des Genossenschaftswesens - ein Beitrag zur Sonderstellung der Genossenschaften in der Mitbestimmungsfrage, Diss., München 1964 (6) Vgl. Beuthien, V.: Die Arbeitnehmermitbestimmung in Genossenschaften, in: ZfgG Bd.26 (1976) S.320ff.; Blomeyer, W.: Die Genossenschaft als mitbestimmtes Unternehmen - hat der Genossenschaftsgedanke noch eine Chance? in: ZfgG Bd.26 (1976) S.33ff.; Dülfer, E.: Arbeitnehmer - Mitbestimmung in Genossenschaften aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: ZfgG Bd.26 (1976) S.302ff.; ders., Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984, S. 174f.; Hamm, W.: Gesamtwirtschaftliche Aspekte der Paritätischen Mitbestimmung in Genossenschaften, in: ZfgG Bd.26 (1976) S.337ff; Horlscher A.: Das Selbstverständnis der Genossenschaften in der Gegenwart, in: ZfgG Bd.25 (1975) S. 26 ff.;Metz, E.: Die Mitbestimmung aus der Sicht der genossenschaftlichen Praxis, in: ZfgG Bd.26 (1976) S.345ff; Nießler, E.: Arbeitnehmer-Mitbestimmung und Mitgliederförderung in Genossenschaften, Göttingen 1978; o.V.: Paritätische Mitbestimmung Gefahr für den genossenschaftlichen Förderungsauftrag - kritische Stellungnahme des DGRV, in: Genossenschaftsforum 11/1974, S. 19f.; Winter, H.W.: Mitbestimmungsgesetz muß Bewährung in der Praxis bestehen, in: Genossenschaftsforum 9/1976, S. 27ff.; ders., Mitbestimmung aus der Sicht der Genossenschaften, in: Genossenschaftsforum 5/1978, S. lOff.; ders., Mitbestimmung der Arbeitnehmer, a.a.O. Sp. 1189 ff. (7) Die rechtlichen Regelungen bilden den organisationsrechtlichen Rahmen der institutionalisierten Konfliktregulierung. Die Diskussion soll hier unabhängig von gesetzlich vorgegebenen Kriterien wie Mitarbeiterzahl oder Betriebsgröße geführt werden. Die in der bundesdeutschen Rechtsfassung festgelegten Kriterien nach dem Betriebsverfassungs- und Mitbestimmungsgesetz (mindestens 5

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2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

Mitarbeiter für die Mitbestimmung auf der Ebene des Betriebsrates, mindestens 500 Arbeitnehmer für die Mitbestimmung auf der Ebene des Aufsichtsrates mit einem Drittel Arbeitnehmervertreter oder mindestens 2000 Mitarbeiter bei der Paritätischen Mitbestimmung auf der Ebene des Aufsichtsrates) erscheinen ohnehin willkürlich und jederzeit modifizierbar. Zur allgemeinen Diskussion der Mitbestimmung als Möglichkeit der Konfliktregulierung vgl Kliemt, G.: Mitbestimmung als Mittel der Konfliktregulierung der Genossenschaften, in: Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, hrsg. von Weisser, G., 2. Aufl., Göttingen 1971, S. 84 ff. Hier wird ganz bewußt der Begriff Aftiarbeiier-Mitbestimmung und nicht, wie im deutschen Gesetzestext und auch sonst üblich, der Begriff Arbeitnehmer-Mitbestimmung benutzt, weil dadurch der gerade bei Genossenschaften bedeutsame partnerschaftliche Charakter zum Ausdruck kommen soll und somit die separierende Unterteilung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern vermieden wird. Die Begriffe Mitarbeiter und Arbeitnehmer werden hier synonym verwendet. Damit wird jedoch deutlich gemacht, daß hier nur die tatsächliche Mitarbeiter-Mitbestimmung diskutiert wird, also die Mitbestimmung der Personen, die in einem Arbeitsverhältnis mit der Genossenschaftsunternehmung stehen. Von der Zusatzproblematik der Mitbestimmungsmöglichkeiten externer gewählter Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat, sowie es das deutsche Mitbestimmungsgesetz von 1976 vorsieht, wird hier abgesehen. Zur expliziten Abgrenzung der Begriffe Mitarbeiter und Arbeitnehmer vgl. Dülfer, E.: Arbeitnehmer-Mitbestimmung in Genossenschaften aus betriebswirtschaftlicher Sicht, a.a.O., S.316f. Förderungsgenossenschaften werden von Produktivgenossenschaften unterschieden, bei denen die Mitglieder auch gleichzeitig Mitarbeiter der Genossenschaften sind. Trotz der gegenwärtigen Renaissance der Produktivgenossenschaften insbesondere im ökologisch-alternativen Bereich sind die Produktivgenossenschaften zahlenmäßig und vom Wirtschaftspotential her in Relation zu den Förderungsgenossenschaften kaum von Bedeutung. Damit sind die beiden von der Anzahl der Genossenschaften und der Anzahl der Mitarbeiter her bedeutsamsten Genossenschaftssektoren in der Bundesrepublik Deutschland genannt; von den dem Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband zurechenbaren Genossenschaften (also u.a. ohne Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaften) wurden 1988 insgesamt ca. 250.000 Mitarbeiter beschäftigt. Vgl. o.V., Zahlen und Fakten der genossenschaftlichen Banken-, Waren-, Verwertungs- und Dienstleistungsgenossenschaften, hrsg. v. DGRV, Wiesbaden 1989, S. 7 und 14 Abgesehen von den Abhandlungen über Produktivgenossenschaften, von denen hier abstrahiert wird, wurden die Mitarbeiter im deutschen genossenschaftlichen Schrifttum erst im Rahmen der Mitbestimmungsdiskussion - man will fast meinen nolens volens - als wesentlicher Bestandteil der genossenschaftlichen Kooperation thematisiert. Löbliche Ausnahmen, bei denen die Mitarbeiter unabhängig von der gesetzlich auferlegten Mitbestimmungsdiskussion als integraler Bestandteil genossenschaftlicher Kooperationsprozesse gesondert berücksichtigt werden, sind u.a. bei Fritz, Lipfert, Scheer, sowie Sommerhoff zu finden. Vgl.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

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Fritz, R.: Stellung und Aufgaben des genossenschaftlichen Vorstandes, Gelsenkirchen 1984, S. 64 ff.; Lipfert H.: Genossenschaftliches Konkurrenz- und Kooperationsmanagement als Forschungsobjekt, Hamburg 1984, S.31; ders., Mitgliederförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, 2. Aufl., Göttingen 1988, S.30f und S. 83f.; Scheer, M.: Auswirkungen der Novelle des Genossenschaftsgesetzes auf Wohnungsbaugenossenschaften, Tübingen 1980, S. 128ff; Sommerhoff, W.: Die Integration der genossenschaftlichen Arbeitnehmer - dargestellt am Beispiel der Genossenschaft SODIMAC in Santiago de Chile, in: ZfgG, Bd. 14 (1974), S. 145ff. (12) Nach Lipfert kommt den Mitarbeitern im Rahmen der identitätsorientierten Unternehmensführung eine tragende Rolle zu. "Im genossenschaftswissenschaftlichen Schrifttum wird nicht immer gebührend die Notwendigkeit hervorgehoben, daß für die Sicherstellung des Förderungspotentials wesentlich mitverantwortliche Mitarbeiter (mit ihren formellen und informellen Verhaltensweisen und Organisationen) für das Selbstverständnis genossenschaftlicher Geschäftspraktiken sensibilisiert und in ihrem genossenschaftlichen Indentitätsbewußtsein stabilisiert werden." Lipfert, H.: Mitgliederförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, a.a.O. S. 83 (13) Beim synergetischen Prozeß zwischen Management, Mitgliedern und Mitarbeitern handelt es sich nach Lipfert um das Zusammenwirken von sachlichschöpferischer und emotionaler Synergie, die zur Mehrleistung befähigt. Vgl. Lipfert, H.: Synergismus als genossenschaftliches Managementprinzip, in: Genossenschaftsforum 3/1985, S. 122ff.; ders., Mitgliederförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, a.a.O., S. 40ff.; ders., Förderungsorientierte Mehrleistung als kreditgenossenschaftliche Herausforderung, in: Kreditgenossenschaftlicher Förderungsauftrag heute, hrsg. v. Lipfert, H./Lürig, R., Göttingen 1987, S. lOOff.; ders., Synergiepotentiale in genossenschaftlichen Systemen als strategische Herausforderung, Hamburg 1988, S. llff. (14) Die Koalitionstheorie ist eine Weiterentwicklung der originär von Barnard entwickelten Anreiz-Beitrags-Theorie, nach der die Organisationsteilnehmer nur solange mit der Organisation Leistungsbeziehungen aufrechterhalten wie gewährleistet ist, daß die erhaltenen Anreize die geleisteten Beiträge mindestens kompensieren. Begründer und Vertreter der Koalitionstheorie als verhaltenswissenschaftlich orientierter Ansatz sind originär Simon, March und Cyert. Zu den Ursprüngen der Koalitionstheorie vgl. Barnard, Ch.I.: The Functions of the Executive, Cambridge/Massachusetts 1938; ders., Die Führung großer Organisationen, Essen 1970; Simon, A.H.: Administrative Behaviour, 2nd edition 1957, 12th printing, New York 1964; March, J.G./Simon, A.H.: Organizations, New York/London 1958; Cyert, R.M./March, J.G.: A Behavioral Theory of the Firm, Englewood Cliffs/New Jersey 1963; Zu den Grundzügen der interessenspluralistischen Koalitionstheorie vgl. Schnabel, H.X.: Die Gestaltung der Unternehmungsordnung aus interessenspluralistischer Sicht, Gelsenkirchen 1982, S. 15fT. (15) Zur Instrumentalfunktion der Unternehmung allgemein vgl. Schmidt, R.B.:

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Genossenschaften

Wirtschaftslehre der Unternehmung, Bd. 1 (Grundlagen der Zielsetzung), 2. Aufl., Stuttgart 1977; ders., Die Instrumentalfunktion der Unternehmung Methodische Perspektiven zur betriebswirtschaftlichen Forschung, in: ZfbF 19. Jg. (1967), S. 233ff. Zur Überwindung der unipolaren Zielbildung in Genossenschaften durch das multipolare Konzept der Organisationstheorie vgl. Jokisch, J.: Zur Explikation der Zielbildung in Genossenschaften, Diss., Hamburg 1974, S. 38ff.; Zum multipolaren Konzept der Organisationstheorie allgemein vgl. Fäßler, K : Betriebliche Mitbestimmung, Wiesbaden 1970, S. 70ff.; Schnabel, H.X., a.a.O., S. 15ff. sowie die dort angegebene Literatur. Zu den Mitarbeiter-, Mitglieder- und Managerzielen als Ansprüche an die Genossenschaftsorganisation vgl. Nießler, E., a.a.O., S. 23ff. Zur multipolaren Betrachtungsweise der genossenschaftlichen Zielbildungsprozesse vgl. Jokisch, J., a.a.O., S. 38ff. Zu den persönlich-privaten Mitgliederzielen als Motive zur Teilnahme an der Organisation Genossenschaft vgl. Nießler, E., a.a.O., S. 38ff.; zur Unterscheidung von persönlich-unternehmensbezogenen und persönlich-privaten Zielen und Mittel-Zweck-Beziehungen vgl. ebenda, S. 20ff. sowie die dort angegebene Literatur Zu den gemeinsamen genossenschaftsunternehmensbezogenen Zielen vgl. Nießler, E., a.a.O., S. 35ff. Zu möglichen Konflikten zwischen Mitarbeiter, Mitglieder und Manager der Genossenschaft vgl. ebenda, S. 39ff. Vgl. Schultz, R./Zerche, J.: Genossenschaftslehre, 2. Auflage, Berlin New York 1983, S. 143ff. Zu diversen Mitgliederpartizipationsmodellen und -konzepten vgl. u.a. Ringle, G.: Mitgliederaktivierung und Partizipation in modernen Primärgenossenschaften mit einer Stellungnahme von D. Hill, Mitgliederaktivierung notwendig und möglich, Göttingen 1983; ders., Entscheidungspartizipation der Mitglieder in Genossenschaftsunternehmen., in: ZfgG Bd. 34 (1984), S. 221ff.; Blümle, E.-B./ Purtschert, R.: Förderungsauftrag, Partizipation und intragenossenschaftliche Kommunikation, in: ZfgG Bd. 33 (1983), S. 128ff.; Hettlage, R., a.a.O., S. 99ff.; Lipfert, H.: Mitgliederförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, a.a.O., S. 98ff. Vgl. Lipfert, H.: Mitgliederfördemdes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, a.a.O., S. 85 und 89; ders., Synergismus als genossenschaftliches Managementprinzip, a.a.O., S. 122ff. Vgl. stellvertretend für viele Preslmaier, H.: Die Praxis der wirtschaftlichen Mitbestimmung in oberösterreichischen Unternehmen, Diss. Linz 1989 Zu den Problemen einer Aktivierung einer Mitgliederpartizipation und zur kritischen Analyse der Partizipationsvorschläge vgl. Vierheller, R.: Genossenschaftsmanager zwischen Führungsanspruch und Mitgliederpartizipation, in: Finanz-, Bank- und Kooperationsmanagement, Festschrift zum 65. Geburtstag von H. Lipfert, hrsg. v. Jokisch, J./Raettig, L./Ringle, G., Frankfurt/M. 1989, S. 242ff.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

187

(27) "Nicht ohne Grund ist deshalb in vielen Mitbestimmungsbetrieben ... die individuelle Arbeitsbefriedigung kaum besser als in Betrieben ohne Mitbestimmung." Hettlage, R., a.a.O., S. 84 (28) Vgl. Dülfer, E.: Arbeitnehmer-Mitbestimmung in Genossenschaften aus betriebswirtschaftlicher Sicht, a.a.O., S. 314 (29) Henzler, R.: Die Genossenschaft - eine fördernde Betriebswirtschaft, a.a.O., S.12

188 2.2.4.

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Haftpflicht und Finanzierung

2.2.4.1. Haftpflicht und Finanzierung nach dem deutschen Genossenschaftsgesetz Andreas

Männicke

A. Grundlegung 1. Untersuchungsgegenstand u n d rechtliche Grundlage Den Hauptaspekt der folgenden Erörterungen bildet die Untersuchung möglicher Wirkungen der verschiedenen Haftpflichtformen auf die Finanzierungspotentiale der Genossenschaften. Hierzu werden die genossenschaftsgesetzlich zulässigen Haftpflichtformen von eingetragenen Genossenschaften detailliert dargelegt. Die rechtliche Grundlage der folgenden Erörterungen bildet ausschließlich das deutsche Genossenschaftsgesetz in der durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz zuletzt geänderten Fassung vom 19.12.1985. Ein rechtssystematischer internationaler Vergleich der verschiedenen Haftpflichtformen, wie er in einem internationalen Genossenschaftslehrbuch erwartet werden könnte, muß hier aus Platzgründen unterbleiben. Die Behandlung der Haftpflichtsysteme allein nach deutschem Recht erscheint bei Berücksichtigung des Umstandes, daß das deutsche Genossenschaftsgesetz in den Anfängen - und auch heute noch - international vielfach als "Muster" angesehen und benutzt wird (1), vertretbar. 2. Begriffsbestimmungen a) "Haftpflicht": Nachschußpflicht der Mitglieder Die Mitglieder einer Genossenschaft haben für Gläubigerforderungen im Konkursfall nicht unmittelbar einzutreten, da den Gläubigern für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft gemäß § 2 GenG stets nur das Vermögen der Genossenschaft haftet. Für die Mitglieder besteht im Konkursfall keine unmittelbare Zahlungsverpflichtung gegenüber den Gläubigern, sondern lediglich eine Pflicht gegenüber der Genossenschaft, im Konkursfall anteilig Nachschüsse zur Konkursmasse zu leisten.(2) Es besteht also keine Möglichkeit der direkten Inanspruchnahme der Mitglieder seitens der Konkursgläubiger.(3) Eine etwaige Aufforderung an die Mitglieder, im Konkursfall (4) Nachschüsse zu leisten, kann nur vom Konkursverwalter veranlaßt werden,

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

189

und dies auch nur dann, wenn eine Nachschußpflicht der Mitglieder in der Satzung vorgesehen ist und die Gläubigeransprüche im Sinne des § 105 GenG aus der Konkursmasse nicht befriedigt werden können. Obwohl also der Begriff Nachschußpflicht präziser und unmißverständlich ist (5), soll im folgenden der Begriff Haftpflicht synonym verwendet werden, weil der Gesetzgeber auch nach verabschiedeter Novelle im Jahre 1973 diesen Begriff weiterhin benutzt und auch im genossenschaftswissenschaftlichen Schrifttum in Anlehnung an den Gesetzestext überwiegend der Begriff Haftpflicht verwendet wird. b) Finanzierung der Genossenschaft Der Finanzierungsbegriff wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur nicht einheitlich verwendet; im Zeitablauf entstanden umfassendere, integrative Begriffsinhalte.(6) Während der traditionell-klassische Finanzierungsbegriff die kurz-, mittel- und langfristigen Kapitalbeschaffungsvorgänge beinhaltet, also nur die Passivseite der Bilanz berücksichtigt, werden hier in Anlehnung an Gutenberg und Lipfert die Prozesse der Kapitalbindung und Kapitalfreisetzung auf der Aktivseite der Bilanz als integrativer Bestandteil in den Finanzierungsbegriff einbezogen. Gutenberg macht deutlich, daß die finanzielle Sphäre nicht isoliert von der leistungswirtschaftlichen Sphäre betrachtet werden kann, denn in "ständiger Abfolge werden Kapitalbeträge gebunden und wieder freigesetzt, ausgelöst durch (leistungswirtschaftliche, d. Verf.) Beschaffungs- und Veräußerungsakte, die den Beginn und die Beendigung der Prozesse bedeuten."(7) Kapitalbindung, -freisetzung und -disposition sind eng mit den Ergebnissen der leistungswirtschaftlichen Prozesse verbunden. "Damit sind die Prozesse, die sich im finanziellen Bereich abspielen, in den gesamtbetrieblichen Zusammenhang gerückt, aus dem sie grundsätzlich nicht herauszulösen sind."(8) Die notwendige Integration der leistungs- und finanzwirtschaftlichen Unternehmensaktivitäten kommt auch in der bilanzorientierten Begriffsfassung von Lipfert zum Ausdruck, der unter "Finanzierung Zufluß, Abfluß und Umschichtung des konkreten (=Vermögen) und/oder abstrakten ^Passivseite der Bilanz) Kapitals"(9) versteht. Der gesamte Zufluß von Finanzmitteln zur Finanzierung der Genossenschaften kann aus folgenden Komponenten bestehen:(10) -

Innenfinanzierung bzw. temporär akkumulierende Selbstfinanzierung aus Umsätzen mit Mitgliedern und Nichtmitgliedern und bilanziell konstatierende Selbstfinanzierung durch Rücklagendotierung(ll) - Beteiligungsfinanzierung durch die Einzahlungen der Mitglieder auf übernommene Geschäftsanteile (=Geschäftsguthaben) - Fremd- bzw. Kreditfinanzierung aus verbundinternen und -externen Quellen

190

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Die umfassend integrative Betrachtungsweise des Finanzierungsbegriffes erlaubt themenbezogen - abweichend vom bisherigen genossenschaftswissenschaftlichen Schrifttum - weitergehende Analysen und Problemerörterungen bezüglich der möglichen Wirkungen der verschiedenen Haftpflichtformen auf die Finanzierung der Genossenschaft.

B. Entwicklungsgeschichtlicher und aktueller Problemzusammenhang Vom historischen Ursprung her - wie auch heute noch mutatis mutandis hat die genossenschaftliche Haftpflicht (12) eine Garantiefunktion zur Befriedigung der Vermögensansprüche der Gläubiger im Konkursfall. In den Anfangen der Entstehungsgeschichte der Genossenschaften diente die unbeschränkte Solidarhaftung der Mitglieder als Eigenkapitalsurrogat (13) zur Kompensation der geringen Eigenkapitalausstattung der Genossenschaften (14) und zum zumindest teilweisen Ausgleich des genossenschaftsspezifischen (Eigen-)Finanzierungsrisikos (15), namentlich des durch die Kündigungsmöglichkeit der Mitglieder abzugsbedrohten, fluktuierenden bzw. variablen Beteiligungskapitals. Die Mitglieder hafteten im Konkursfall solidarisch, unbeschränkt und unmittelbar für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft, d.h. jedes Mitglied verpflichtete sich persönlich unbeschränkt zur Zahlung an die Gläubiger, soweit die Gläubiger im Konkursfall durch das Vermögen der Genossenschaft nicht befriedigt werden konnten. Die unbeschränkte, unmittelbare Solidarhaftung wurde oft auch als begriffsnotwendiger Inhalt für das genossenschaftliche Selbstverantwortungsprinzip und für die Personenbezogenheit der Genossenschaft angesehen. Sie galt gleichermaßen als Ausdruck der von den Genossenschaftspionieren postulierten (hier: finanziellen) Selbsthilfe und Mitgliedersolidarität. (16) Aufgrund der geringen Eigenkapitalausstattung war die Solidarhaftung oft das einzige Mittel zur Erlangung der Kreditfähigkeit. Es bestand insofern ein enger Zusammenhang zwischen Haftpflicht und Finanzierung, hier im Sinne von bonitätsabhängiger Beschaffung von Fremdkapital.(17) Die Funktion der Mitgliederhaftpflicht als Möglichkeit der Eigenkapitalergänzung im Konkursfall und damit als kreditwürdigkeitsrelevanter Faktor (18) hat heute aus zwei Gründen nicht mehr die Bedeutung wie in der Gründerzeit: Zum einen hat sich die finanzielle Leistungsfähigkeit der Genossenschaften insgesamt erhöht (19), so daß die Kreditfähigkeit primär nicht mehr in dem Maße von der Haftpflicht der Mitglieder abhängig ist (20); zum anderen kommt der Mitgliederhaftpflicht als Eigenkapitalergänzung im Konkursfall nur noch subsidiäre Bedeutung zu (21), weil durch die Sicherungseinrichtungen der genossenschaftlichen Verbundsysteme - auch kollektive Solidaritäts-, Garantie- oder Feuerwehrfonds genannt im Einzelfall in der Regel ausreichendes "kollektives Eigenkapital" beschafft werden kann. (22) Hinzu kommt, daß aufgrund der intensiven Prüfungs- und Beratungstätigkeit der genossenschaftlichen Prüfungsverbände Schieflagen und Fehlentwicklungen der Genossenschaften überwiegend im Vorfeld er-

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

191

kannt und Notfälle vermieden werden, so daß Konkurse für Genossenschaften eine absolute Rarität sind und die Mitgliederhaftpflicht von daher eigentlich "nur noch auf dem Papier"(23) steht.(24) Falls Genossenschaften heute in finanzielle Notlagen kommen, werden de facto die Mitglieder nur sehr selten finanziell in Anspruch genommen, da die "notleidenden" Genossenschaften vor einem möglichen Konkurs entweder vorher von einer anderen Genossenschaft im Wege der Fusion übernommen werden oder durch Verbundhilfen (in Form von Zuschüssen, Garantien und/ oder Bürgschaften der Sicherungseinrichtungen) das notwendige Eigenkapital zur Abwendimg des Konkurses zugeführt wird.(25) Insofern hat die Haftpflicht praktisch nur geringe Bedeutung (siehe Tabelle):(26)

INSOLVENZEN UND KONKURSE VON EINGETRAGENEN GENOSSENSCHAFTEN IN DEN JAHREN 1975-89 Jahr

1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989

Insolvenzen

eröffnete Konkurse

mangels Masse abgelehnte Konkurse

.

.

2 2

1

-

-

-

.

3 2

2 2

-

-

2 1 3

2 1 3

-

4 5 12 4 1 4 7

Konkurse eröffnete Verzusammen gleichsverfahren

-

-

2 1 3

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-

1 2 8 2 1 3 3

1 2 4 1

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1 3

2 4 12 3 1 4 7

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2 1 -

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Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Hrsg.: Statistisches Bundesamt, Stuttgart und Mainz, 1977-1990 Diese Übersicht zeigt deutlich, daß die Insolvenz- bzw. Konkursquote der eingetragenen Genossenschaften eine "quantité négligeable" darstellt: bei einer Gesamtzahl von weit über 10.000 Genossenschaften beträgt die Insolvenzquote durchschnittlich nicht mehr als 0,03 %! Denn in den Jahren 1975-1989 sind durchschnittlich nur. 3-4 Insolvenzen p.a. zu verzeichnen (1975,1978 und 1982 gar keine!), wobei durchschnitt-

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lieh nur 2-3 Konkurse jährlich eröffnet wurden (bei dem Rest wurde entweder mangels Masse das Konkursverfahren abgelehnt oder ein Vergleichsverfahren eröffnet). Bei Genossenschaftsbanken ist seit Jahrzehnten aufgrund der funktionsfähigen Sicherungseinrichtungen kein einziger Konkursfall eingetreten. Dies erscheint deshalb bemerkenswert, weil es diesem Sektor bei gestiegenen Mitgliederzahlen (gegenwärtig ca. 12 Mio Mitglieder) und Marktanteilen gelungen ist, jegliches Existenzerhaltungsrisiko für die einzelnen genossenschaftlichen Unternehmen auszuschalten. Die in den letzten Jahrzehnten zu konstatierenden Konkurse betreffen einige wenige Konsumgenossenschaften, Wohnungsbaugenossenschaften, gewerbliche und landwirtschaftliche Genossenschaften sowie in den letzten Jahren primär einige Genossenschaften, die dem ökologisch-alternativen Bereich zuzurechnen sind. Für eingetragene Genossenschaften allgemein außergewöhnlich viele Konkurse weist das Jahr 1985 auf mit 12 Insolvenzen bei 8 eröffneten und 4 mangels Masse abgelehnten Konkursen; im Verhältnis zur Gesamtzahl der 13.625 festgestellten Insolvenzen bzw. 13.560 Konkursen von Unternehmen (bzw. 18.876 Insolvenzen, davon 18.804 Konkursen insgesamt, also inkl. natürliche Personen, Nachlässe und sonstige Gemeinschuldner) ist die Insolvenz- bzw. Konkursrate der eingetragenen Genossenschaften auch in 1985, dem (bis 1989) allgemeinen "Rekordjahr" der Konkurse, minimal. Auf jeden Fall ist die eingetragene Genossenschaft mit in den letzten 10 Jahren durchschnittlich nur 3-4 Insolvenzen p.a. (zusammen mit der Aktiengesellschaft mit durchschnittlich 15-20 Insolvenzen p.a.) nach dem Statistischen Jahrbuch des Statistischen Bundesamtes die Rechtsform mit den wenigsten Insolvenzen bzw. Konkursen. Inwiefern bei eröffneten Konkursen etwaige Nachschußverpflichtungen der Mitglieder in Anspruch genommen wurden, ist der Statistik nicht zu entnehmen.

In Anbetracht einiger spektakulärer Sanierungsfälle der letzten Zeit im kreditgenossenschaftlichen Bereich (27), die eine Prüfung der Belastbarkeit der kollektiven Sicherungseinrichtungen darstellten (28), gewinnt die Frage der Haftpflicht und ihrer potentiellen Wirkung auf die Finanzierung der Genossenschaft jedoch wieder an Bedeutung. Da der Begriff Genossenschaft "so sehr mit dem Prädikat des Dienens, des Förderns und des einen 'gemeinsamen Nutzen-Stiftens' verbunden ..."(29) ist, erscheint die Feststellung berechtigt, daß eine Anhäufung von Sanierungs- oder sogar Konkursfällen einen nachhaltigen Vertrauensverlust gegenüber Genossenschaften allgemein oder zumindest in der betreffenden Branche zu Folge hätte und die Kreditwürdigkeit von Genossenschaften damit erheblich sinken würde. "Tritt... ein solcher Fall ein, so sehen sich viele, mit Genossenschaften ... Verbundene in ihrem Glauben an die von ihnen vorausgesetzte Unantastbarkeit von Genossenschaften ... getäuscht und sind geneigt, sich davon abzuwenden und generell den Stab darüber zu brechen."(30) Die Haftpflicht ist der Form und dem Umfang nach insbesondere auch für die Beitrittsentscheidung von potentiellen Mitgliedern von Bedeutung (31) und damit auch relevant für das zusätzliche potentielle Beteiligungskapital und die zusätzlichen Selbstfinanzierungsmöglichkeiten durch die finanziellen Beiträge von neu beitretenden Mitgliedern. Geschäftspolitisch besonders relevant, aber in der Bedeutung nach und nach geringer werdend, sind Form und Höhe der Mitgliederhaftpflicht bei den Genossenschaftsbanken aufgrund des Haftsummenzuschlags.(32) Denn der

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Haftsummenzuschlag wird als haftendes Eigenkapital im Sinne des § 10 II Nr. 3 KWG iVm § 1 ZuschlagsVO (vom 6.12.63 mit der Änderung vom 20.12.84) anerkannt, und das Kreditvergabevolumen der Banken ist gemäß Grundsatz I über das Eigenkapital und die Liquidität der Kreditinstitute des BAA (33) iVm. § 101 KWG (34) an das haftende Eigenkapital gebunden. Dadurch erhöht sich relativ zur Höhe der statutarisch festgelegten Haftsummen das Potential an Kreditvergabe- und damit auch an Fördermöglichkeiten.(35) C. Zulässige Haftpflichtformen nach dem deutschen Genossenschaftsgesetz Die statutarischen Gestaltungsmöglichkeiten der genossenschaftlichen Haftpflichtsysteme sind vom Gesetzgeber mehrfach tiefgreifend geändert worden .(36) Nach der Genossenschaftsgesetznovelle von 1973 stellt der Gesetzgeber drei mögliche Haftpiiichtformen zur Wahl, die jeweils unterschiedliche Wirkung auf die Finanzierung der Genossenschaft haben können. Gemäß § 6 Ziff. 3 GenG muß die Satzimg der Genossenschaft festlegen, ob die Mitglieder im Konkursfall unbeschränkt, auf eine bestimmte Summe (Haftsumme) beschränkt oder überhaupt nicht Nachschüsse zur Konkursmasse im Sinne der §§ 105,114 ff. GenG zu leisten haben. Diese möglichen unterschiedlichen Nachschußpflichten bei eingetragenen Genossenschaften kommen in der Firmierung nicht (mehr)(37) zum Ausdruck. Bei allen Haftungsformen haftet das Mitglied gegenüber der Genossenschaft zunächst mit seinen geleisteten und seinen nach dem Einzahlungsmodus der Satzung falligen, jedoch rückständigen Einzahlungen auf den Geschäftsanteil, also den satzungsgemäß einzahlungspflichtigen Geschäftsguthaben (38), die als Gesellschaftsvermögen für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft einzustehen haben und im Konkursfall unmittelbar der Konkursmasse zuzurechnen sind. Bei der unbeschränkten Nachschußpflicht haftet das Mitglied außer mit seinem Geschäftsguthaben auch maximal mit seinem gesamten Privatvermögen, das allerdings wiederum nur mittelbar durch den Konkursverwalter im Sinneder §§105,114,115GenGiVm§ 166 Konkursordnung in Anspruch genommen werden kann. Im Falle beschränkter Nachschußpflicht haftet das Mitglied außer mit seinem Geschäftsguthaben maximal mit der statutarisch festgelegten Haftsumme, die gemäß § 119 GenG der Höhe nach mindestens einen Geschäftsanteil betragen muß. Im Falle der Mehrfachbeteiligung erhöht sich die Haftsumme, wenn sie niedriger ist als der Gesamtbetrag der Geschäftsanteile, gemäß §121 GenG auf den Gesamtbetrag der Geschäftsanteile. Die Satzung kann eine Erhöhimg der Haftsumme im Falle der Mehrfachbeteiligung ausschließen, sie kann aber auch die Haftsumme auf einen höheren Betrag als die Summe aller Geschäftsanteile festsetzen. Die statutarischen Gestaltlingsmöglichkeiten sind also sehr vielseitig. Die auf eine Haftsumme beschränkte

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Mitgliederhaftpflicht wird in den Mustersatzungen der Dachverbände vorgeschlagen, und sie ist auch bei der Mehrzahl der Genossenschaften üblich.(39) Bei der "Genossenschaft ohne Nachschußpflicht" haftet das Mitglied maximal nur mit seinem Geschäftsguthaben.(40) Die Möglichkeit, die Nachschußpflicht statutarisch gänzlich auszuschließen, gibt es erst seit der Genossenschaftsgesetznovelle von 1973. Einige wenige gewerbliche Genossenschaften und einige landwirtschaftliche Genossenschaften sowie neuerdings einige Genossenschaften aus dem alternativ-ökologischen Sektor haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Die weit überwiegende Zahl hat aber die auf eine Haftsumme beschränkte Haftpflicht beibehalten. Bei Genossenschaftsbanken ist aufgrund des Haftsummenzuschlages ein Wegfall der Nachschußpflichten geschäftspolitisch ohnehin nicht opportun, und es gibt bisher realiter keine Genossenschaftsbank ohne Nachschußpflichten der Mitglieder. Es kann aber insgesamt ein allgemeiner Trend zur Reduzierung der Mitgliederhaftpflicht in der Genossenschaftspraxis konstatiert werden.(41) Für die neue Haftungsmodalität "Genossenschaft ohne Nachschußpflicht" sind auch die Begriffe "Genossenschaft ohne Haftpflicht" oder "Genossenschaft mit Anteilshaftung" gebräuchlich. Beide sind abzulehnen, da sie nicht zutreffen bzw. mißverständlich sind. Der Begriff "Genossenschaft ohne Haftpflicht" suggeriert den Eindruck, die Mitglieder hätten im Konkursfall überhaupt nicht für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft aufzukommen. Das trifft nicht zu, da das Beteiligungskapital, also die Summe der Geschäftsguthaben der Mitglieder, in die Konkursmasse eingeht. "Es entfällt lediglich die sekundäre Haftung, also die Nachschußverpflichtung."(42) Der Begriff "Genossenschaft mit (Geschäfts-)Anteilshaftung" ist ebenfalls irreführend, da nicht der Geschäftsanteil, sondern lediglich die zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung bestehenden fälligen Pflichteinzahlungen neben dem eingezahlten Geschäftsguthaben zur Konkursmasse gehören. Nur wenn die Geschäftsanteile der Mitglieder voll eingezahlt sind bzw. nach der Satzung bereits zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung voll eingezahlt werden müßten, kann von einer "Genossenschaft mit Anteilshaftung" berechtigt gesprochen werden. Allein zutreffend ist aber immer mutatis mutandis der Begriff "Genossenschaft mit Geschäftsguthabenhaftpflicht".(43) Werden Nachschußpflichten statutarisch festgelegt, so gelten diese auch für die innerhalb von 18 Monaten vor Konkurseröffnung ausgeschiedenen Mitglieder, wenn die Konkursgläubiger weder durch die Konkursmasse noch durch die Nachschußzahlungen der verbliebenen Mitglieder befriedigt werden können.(44) Durch diese subsidiäre Nachhaftung ausscheidender Mitglieder gemäß § 115 b GenG wird das Risiko reduziert, daß Mitglieder bei Konkursgefahr (45) massenweise ausscheiden. Denn die Mitglieder können durch kurzfristigen Austritt nicht ihrer subsidiären Nachschußverpflichtung entgehen.(46) Mitglieder, die innerhalb von 6 Monaten vor Auflösung oder Konkurseröffnung ausscheiden, werden vielmehr rechtlich so gestellt, als ob der Austritt nicht erfolgt sei, d.h. sie haften gemäß §§ 75,105 GenG genauso wie

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die verbliebenen Mitglieder.(47) Dies hat zur Folge, daß auch die eingezahlten Geschäftsguthaben der ausscheidenden Mitglieder im Konkursfall bis 6 Monate nach rechtsgültigem Austritt unmittelbar zur Konkursmasse herangezogen werden können.(48) D. Mögliche Auswirkungen der verschiedenen Haftpflichtformen auf das Fremdkapital der Genossenschaft Prinzipiell läßt sich der Grundsatz aufstellen, daß die Möglichkeiten zur Beschaffung von Fremdkapital mit der Verschlechterung der Kreditwürdigkeit abnehmen und (zumindest) die (bonitätsabhängigen qualitativen (49)) Fremdfinanzierungskosten mit der Verschlechterung der Kreditwürdigkeit steigen.(50) Denn die Ungewißheit der Rückzahlung des Gläubigerkapitals muß von der Genossenschaft mit einer "angemessenen" Risikoprämie bezahlt werden. Diese Feststellung gilt aber auch nur dann, wenn die Risikoabgeltungshypothese zugrundegelegt wird, die besagt, daß höhere Kreditrisiken durch höhere Kreditzinsen honoriert werden. Dem gegenüber steht die Kreditrationierungshypothese, derzufolge die Gläubiger Kredite nur dann vergeben werden, wenn ein aus ihrer Sicht akzeptables Risikoniveau nicht überschritten wird. Andernfalls werden nicht höhere Kreditzinsen festgelegt, sondern Kredite nicht mehr vergeben, also "rationiert". Unterstellt man die Kreditrationierungshypothese, dann läßt sich der Grundsatz aufstellen, daß sich das Beschaffungspotential von Gläubigerkapital in dem Maße erhöht, wie die Nachschußverpflichtungen der Mitglieder im Konkursfall zunehmen; denn das Kreditrisikoniveau vermindert sich für den Gläubiger mit der Erhöhung der Nachschußverpflichtungen.(51) Die Haftpflicht hat aber als kreditwürdigkeits(mit)bestimmender Faktor immer nur die Bedeutung, die ihr der Gläubiger bzw. Kreditgeber bei seiner individuellen Kreditwürdigkeitsprüfung beimißt. In der Regel ist die Bewertung der Unternehmenssubstanz - insbesondere der effektiv vorhandenen Eigenkapitalbestandteile -, der zukünftigen finanziellen Leistungsfähigkeit und der im Notfall vorhandenen Sicherheiten und Sicherungseinrichtungen (!) von vorrangiger Bedeutung für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit der Genossenschaft. Wie dargelegt, muß bei Genossenschaften die Bedeutung der Mitgliederhaftpflicht unter Berücksichtigung der vorhandenen Sicherungseinrichtungen relativiert und entsprechend abgeschwächt werden; hier kann grundsätzlich festgestellt werden: J e größer das Vertrauen seitens der potentiellen Gläubiger in die Funktionsfahigkeit der vorhandenen kollektiven Sicherungseinrichtungen, desto geringer ist die Bedeutung der Mitgliederhaftpflicht als kreditwürdigkeits(mit)bestimmender Faktor; fehlen hingegen in einzelnen Genossenschaftssparten kollektive Sicherungseinrichtungen gänzlich, dann erhöht sich dementsprechend die Bedeutung der Mitgliederhaftpflicht. Wenn die Kreditwürdigkeit der Genossenschaft aus der Sicht der Gläubiger - aus

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welchen Gründen auch immer - relativ gering veranschlagt wird, ist es unter Fremdfinanzierungsaspekten wenig opportun, die Nachschußpflichten der Mitglieder zu reduzieren oder statutarisch gänzlich auszuschließen. Wird die Mitgliederhaftpflicht als - hypothetisch - maßgeblicher kreditwürdigkeitsbestimmender Faktor isoliert, dann läßt sich als Faustregel konstatieren, daß sich die Kreditwürdigkeit und -fähigkeit der Genossenschaft in dem Maße erhöht, wie die Nachschußverpflichtungen der Mitglieder zunehmen.(52) Insbesondere während der Aufbauphase von Genossenschaften können die Form und der Umfang der Nachschußverpflichtungen der Mitglieder von besonderer Bedeutung für die Kreditwürdigkeit und damit für die Beschaffung von Fremdkapital sein.(53) Auch bei kleineren Genossenschaften mit größeren Investitionsvorhaben kann die Mitgliederhaftpflicht aus der Sicht der Gläubiger "Bürgschaftscharakter" haben und damit finanzierungsrelevant sein. Zu berücksichtigen ist aber generell die Problematik der tatsächlichen Realisierbarkeit der statutarisch festgelegten Nachschußverpflichtungen der Mitglieder; je größer die Mitgliederzahl und die Mitgliederfluktuation der Genossenschaft sind und je höher die Haftsumme pro Mitglied ist, desto größer muß das Risiko veranschlagt werden, daß ein (Groß-)Teil der im Konkursfall fälligen Nachschußzahlungen zu angemessenen Beitreibungskosten nicht realisiert werden kann. (54) "Wenn es in der Vergangenheit zu Zusammenbrüchen von Genossenschaften gekommen ist, so erwies es sich häufig als schwierig, wenn nicht immöglich, die Mitglieder aus ihrer Haftverpflichtung in Anspruch zu nehmen."(55) Zudem gilt es zu beachten, daß der Gesamtbetrag der Nachschußverpflichtungen der Mitglieder immer eine variable Größe ist, die mit der Mitgliederfluktuation schwankt. Dieses Schwankungsrisiko dürfte jedoch für die Konkursgläubiger aufgrund der subsidiären Nachhaftung der Mitglieder gemäß § 115 b bzw. § 75 GenG unerheblich sein, da Konkurse in der Regel kurzfristig und für die Mitglieder nicht absehbar Zustandekommen. Das durch die Kündigungsmöglichkeit der Mitgliedschaft und der damit verbundenen Abzugsmöglichkeit von Beteiligungskapital induzierte genossenschaftsimmanente Finanzierungsrisiko läßt sich höchstens partiell durch die Erhöhung von Nachschußverpflichtungen kompensieren.(56) E. Mögliche Auswirkungen der verschiedenen Haftpflichtformen auf das Eigenkapital von Genossenschaften Wie bereits erwähnt kann die Mitgliederhaftpflicht unmittelbar nichts zur Eigen- oder Selbstfinanzierung beitragen, da etwaige Nachschußverpflichtungen der Mitglieder nur im Konkursfall die Garantiefunktion des Eigenkapitals ergänzen; sie kann die Finanzierimgsfunktion des Eigenkapitals also nicht direkt ergänzen oder gar ersetzen. Dennoch können die Form und der Umfang der Nachschußverpflichtungen das potentielle Eigenkapital, speziell die Beteiligungsfinanzierung, mittelbar

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beeinflussen. Denn die Form und der Umfang der Mitgliederhaftpflicht wird in der Literatur als wesentliches Kriterium bei der Beitrittsentscheidung von potentiellen Mitgliedern herausgestellt;(57) hier gilt als Faustregel: Je höher die Nachschußverpflichtung statutarisch festgelegt wird, desto weniger attraktiv - um nicht zu sagen desto "abschreckender" - ist ceteris paribus die Mitgliedschaft für das potentielle Mitglied. Daraus folgt: Wenn die Satzung eine aus der Sicht des potentiellen Mitglieds zu hohe Nachschußverpflichtung vorsieht und die Nachschußverpflichtung das potentielle Mitglied vom Beitritt fernhält, dann verzichtet die Genossenschaft auf ein erhöhtes Beteiligungs-(58) und Selbstfinanzierungs-(59)Potential, das für die Finanzierungsfunktion des Eigenkapitals unmittelbar zur Verfügung stehen würde, "zugunsten bloß potentiellen Eigenkapitals, das ihr.. nur im Konkursfall zur Verfügung stehen kann."(60) Gleiches trifft für bereits vorhandene Mitglieder zu, die ihre Entscheidung über die Erhöhung ihres Beteiligungskapitals von der Höhe der dadurch zusätzlich einzugehenden Nachschußverpflichttingen abhängig machen. Durch eine Reduktion der Mitgliederhaftpflicht könnte "in den Fällen, in denen die Haftpflicht als echtes psychologisches Hemmnis für den Erwerb der Mitgliedschaft oder für die Übernahme einer höheren Beteiligung empfunden wird, Abhilfe geschaffen werden."(61) Diese grundsätzlichen, richtungsweisenden Feststellungen sind allerdings zu relativieren: Die Nachschußpflicht wird als Entscheidungskriterium nur in dem Maße von Bedeutung sein, wie die Gefahr besteht, daß die Mitglieder jemals tatsächlich zu Nachschußzahlungen herangezogen werden. Hier ist dann erneut die Kenntnis und die subjektive Beurteilung der Funktionsfähigkeit der genossenschaftlichen Sicherungseinrichtungen und der präventiven Wirkimg der genossenschaftlichen Prüfungsverbände zur Konkursvermeidimg (mit-)ausschlaggebend.(62) Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Mitgliederhaftpflicht nur einen von vielen Faktoren darstellt, die beim Leistungsvergleich im Rahmen des gesamten Anreiz-Beitrags-Systems bei der Beitritts- und Verbleibentscheidung ins Kalkül gezogen werden.(63) F. Schlußbemerkungen Die Analyse hat gezeigt, daß die möglichen Haftpflichtsysteme unterschiedliche, teilweise ambivalente Wirkungen auf die Finanzierungspotentiale der Genossenschaften haben können. Es dürfte generell schwierig sein, das Wirkungs- und Einflußpotential der möglichen Haftpflichtformen im Hinblick auf die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten zu isolieren, da die Haftpflicht immer nur ein Element eines Bündels verschiedener Bestimmungsfaktoren darstellt. Da ein empirischer Nachweis der dargestellten möglichen Wirkungsmechanismen problematisch - wenn nicht unmöglich - ist, lassen sich nur tendenzielle Feststellungen über die möglichen Beziehungen zwischen Haftpflichtform und Finanzierung treffen. Die Untersuchung der Finanzierung der Genossenschaften scheint in der Genossenschaftswissenschaft ein Stiefkind zu sein. Symptomatisch hierfür

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ist, daß finanzierungsrelevante Aspekte des Genossenschaftswesens, wenn überhaupt, nur kasuistisch erörtert werden. "Die Vernachlässigung dieses Komplexes im genossenschaft(swissenschaft-,d.Verglichen Schrifttum ist umso erstaunlicher, als mit den Finanzierimgsmöglichkeiten die weitere Entwicklung der Genossenschaften weitgehend bestimmt wird."(64) Da die Finanzierungsaspekte der Genossenschaften gesamtheitlich - abgesehen von den bereits über 25 Jahren alten Monographien von Pohl, Walther u n d H o m a n n (65) und den instruktiven Beiträgen von Birck, Henzler und Seuster (66) - in der betriebswirtschaftlich orientierten Genossenschaftswissenschaft etwas stiefmütterlich behandelt werden, ist es wünschenswert, daß dieser schwierige, umfassende Komplex "Finanzierung der Genossenschaft" auch unter Berücksichtigung risikotheoretischer Gesichtspunkte in einem Lehrbuch n e u bearbeitet wird.(67) Fußnoten: (1) Ein rechtssystematischer internationaler Vergleich der unterschiedlichen Rechtsverfassungen, bei denen Haftungs- und Finanzierungsaspekte aber nur zwei von vielen rechtlichen Tatbeständen darstellen, findet sich bei K.H. Ebert, Genossenschaftsrecht auf internationaler Ebene, Bd. 1, Rechtsvergleichende Analyse des Genossenschaftsrechts, Marburg/Lahn, 1966 hier insbesondere S. 353 ff. (Finanzierung) und S. 386 ff. (Haftung); siehe hierzu auch nicht ganz so ausführlich H. Paulick, Das Recht der eingetragenen Genossenschaft, Karlsruhe 1956, S. 32 ff.; E. Dülfer, Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984, S. 115 ff.; H.-H. Münkner, Selbstverständnis und Rechtsverfassung von Genossenschaftsorganisationen in EG-Partnerstaaten, in: Die Genossenschaft im Wettbewerb der Ideen - eine europäische Herausforderung -, hrsg. v. E. Boettcher, Tübingen 1985, S. 87 ff. (2) Vgl. Meyer/Meulenbergh/Beuthien, Genossenschaftsgesetz, 12. Aufl., München 1983 sowie Nachtrag zur 12. Aufl., München 1986, Rn 1 zu § 1 GenG; K. Müller, Kommentar zum Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Bielefeld 1976, Rn 9 und Rn 10 zu § 2 GenG; Lang/Weidmüller, Genossenschaftsgesetz, 32. Aufl., Berlin - New York 1988, Rn 7 zu § 2 GenG (3) Bis zur Änderung des Genossenschaftsgesetzes im Jahre 1933 war eine direkte Inanspruchnahme jedes beliebigen Mitgliedes seitens der Konkursgläubiger möglich. Zur Veränderung der genossenschaftlichen Haftpflichtsysteme nach den jeweiligen Novellierungen des Genossenschaftsgesetzes in den Jahren 1933 und 1973 vgl. K. Müller, a.a.O., Rn 1 ff. zu § 2 GenG (4) Gemäß § 73 Abs. 2 S. 3 GenG ist eine Nachschußverpflichtung von ausscheidenden Mitgliedern möglich, die nicht erst im Konkursfall, sondern bereits im Falle der Uberschuldung der Genossenschaft praktisch wird. Diese Vorschrift soll der Genossenschaft die Abwendung des Konkurses durch Sanierung erleichtern. Da dies aber die einzige Bestimmung ist, bei der eine Nachschußpflicht außerhalb des Konkurses in Betracht kommt, kann im folgenden die Nachschußpflicht lediglich unter dem Gesichtspunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens abgehandelt werden.

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Vgl. hierzu auch R. Henzler, Die Genossenschaft eine fördernde Betriebswirtschaft (im folgenden: Die Genossenschaft), Essen 1957, S. 63; A. Schwenk, Die Kreditwürdigkeit der eingetragenen Genossenschaft, Göttingen 1984, Fußnote 1 a u f S . 80 Vgl. hierzu J . Homann, Ansätze zur Lösung der Finanzierungsproblematik der Genossenschaften, Diss. Hamburg 1973, S. 14 ff.; H. Koschka, Finanzierung der Genossenschaft, in: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens (HdG), hrsg. v. E. Mändle und H.W. Winter, Wiesbaden 1980, Sp. 459 E. Gutenberg, Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, III. Bd. "Die Finanzen", 6. Aufl., Berlin et al. 1973, S. 1 Ebenda, S. 2 H. Lipfert, Optimale Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1969, S. 14 Ein instruktiver Überblick über die verschiedenen Finanzierungsformen der Genossenschaft findet sich u.a. bei H. Seuster, Die finanzielle Situation der Genossenschaften, in ZfgG Bd.20 (1970), S. 333 ff.; R. Schultz/J. Zerche, Genossenschaftslehre, Berlin et al. 1983, S. 45 ff.; H. Koschka, a.a.O., S. 459 ff. Zu den Begriffen "temporär akkumulierende" und "bilanziell konstatierende" Selbstfinanzierung vgl. H. Lipfert, a.a.O., S. 19 f. Die - zunächst solidarische, unbeschränkte - Mitgliederhaftpflicht wurde bereits beim ersten deutschen Genossenschaftsgesetz, dem Preußischen Genossenschaftsgesetz, im Jahre 1867 eingeführt. Die Hinzufügung der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung auf eine bestimmte Haftsumme seit der Gesetzesnovelle von 1889 hat die zahlenmäßige Entwicklung der Genossenschaften sehr gefördert. Vgl. E.H. Meyer, Das Reichsgesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Berlin 1929 S. VHI f. und XI

(13) Der Begriff Eigenkapitalsurrogat bzw. -ersatz ist nur insofern zutreffend, als die Haftpflicht die Garantiefunktion des Eigenkapitals im Konkursfall ergänzt. Durch die Haftpflicht wird der Genossenschaft jedoch nicht Eigenkapital während ihres "normalen" Wirtschaftslebens zugeführt, das sie für Finanzierungszwecke einsetzen könnte. (14) Die solidarische Haftpflicht der Mitglieder wurde zuerst im Jahre 1866 von Schulze-Delitzsch in seinem Gesetzesentwurf auch vorgeschlagen, um "... den Gesetzgeber zu veranlassen, die Genossenschaft mit Rechtspersönlichkeit auszustatten. Diesem genügte das Einlagenkapital nicht als Sicherheitsstock für die Gläubiger." K.H. Ebert, a.a.O., S. 388 (15) Zum genossenschaftsspezifischen Finanzierungsrisiko vgl. R. Henzler, Die Genossenschaft, a.a.O., S. 54 ff. und 91 f. (16) Vgl. A. Hohenleitner, Die Auswirkungen der Reduzierung des Haftsummenzuschlages, Nürnberg 1988, S. 3 sowie die dort angegebene Literatur (17) Vgl. R. Henzler, Die Genossenschaft, a.a.O., S. 62 (18) Vgl. A. Schwenk, a.a.O., S. 80 ff. (19) Nach Petzold "hat die fortschreitende Entwicklung der Genossenschaften ... die Haftsumme als Kreditunterlage immer mehr zurückgedrängt und schließlich zur (fast, d. Verf.) völligen Bedeutungslosigkeit werden lassen." E. Petzold, Haftsumme - zeitgemäß?, in ZfgG Bd. 5 (1955), S. 67. Vgl. hierzu auch A. Schwenk, a.a.O., S. 86

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(20) Falls eine Genossenschaft hohe Verluste auszuweisen hat, werden in der angegebenen Reihenfolge vor Inanspruchnahme von Nachschußverpflichtungen der Mitglieder folgende Eigenkapitalbestandteile zur "Deckung" bzw. korrekter zur buchhalterischen Aufrechnung der Verluste beansprucht: 1. Stille Reserven, 2. offene statutarische Ergebnis- bzw. Kapitalrücklagen 3. gesetzliche Ergebnisrücklage und 4. Geschäftsguthaben. Erst wenn die angegebenen Eigenkapitalbestandteile zur buchhalterischen Verlustaufrechnung nicht ausreichen und der Konkurs angemeldet werden muß, kommt eine Inanspruchnahme von Mitgliederhaftpflichten als "ultima ratio" zur Befriedigung der Gläubigerforderungen in Betracht. Relativ geringe, voraussichtlich im darauffolgenden Geschäftsjahr ausgleichbare Jahresfehlbeträge werden in der Regel auf neue Rechnung für das nächste Geschäftsjahr vorgetragen. Zur buchhalterischen Kompensation der Verluste durch das genossenschaftliche Eigenkapital vgl. H. Birck, Probleme der Eigenkapitalausstattung deutscher Genossenschaften, in: Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, hrsg. v. G. Weisser, 2. Aufl., Gottingen 1971, S. 134 f. (21) Zur subsidiären Bedeutung der Mitgliederhaftpflicht vgl. H. Birck, a.a.O., S. 115, 135 f. (22) Vgl. W. Blomeyer und G. Wißmann, Rechtsfragen der genossenschaftlichen Kapitalversorgung, in: ZfgG Bd. 37 (1987), S. 322 (23) R. Henzler, Die Genossenschaft, a.a.O., S 64 (24) Vgl. H. Birck, a.a.O., S. 135 (25) Diese Finanzhilfen aus dem genossenschaftlichen Verbund können von dem kollektiven Hilfsfonds der Verbände und/oder der zentralen Geschäftsanstalten des Leistungsverbundes oder auch "nur" durch primärgenossenschaftliche, solidarische finanzielle Unterstützung untereinander erfolgen. Vgl. zu den beiden ersten Formen H. Birck, a.a.O., S. 134 f. (26) Lt. Auskunft einzelner Verbände sind Konkurse bisher nur dann möglich gewesen, wenn sich das verantwortliche Management der Genossenschaften überwiegend aus verbundenem«« Quellen finanzierte und damit sehr "eigenwillige" Unternehmensaktivitäten entwickelte, die fernab der Mitgliederforderung lagen. (27) Vgl. den Uberblick bei G. Ringle, Überwachung des genossenschaftlichen Managements durch den Aufsichtsrat, Hamburg 1984, S. 2 f. sowie die dort angegebene Literatur (28) "Die vermehrte Inanspruchnahme von Hilfsfonds gerät zum Zankapfel der zu einer Solidargemeinschaft vereinten Genossenschaften untereinander." Ebenda, S. 3 (29) R. Henzler, Prüfungsverbände, Hamburg 1956, S. 13 (30) Ebenda (31) Vgl. R. Henzler, Die Genossenschaft, a.a.O., S. 64; A. Schwenk, a.a.O., S 84 (32) Der Haftsummenzuschlag ist der bei Genossenschaftsbanken gemäß § 1 Zuschlags VO v. 20.12.84 zulässige Zuschlag zum haftenden Eigenkapital auf Basis der statutarisch festgelegten Nachschußverpflichtungen (Haftsummen). Er beträgt bei Genossenschaftsbanken mit (üblicherweise) beschränkter Nachschußpflicht 75 % des Gesamtbetrages der Haftsummen; nach der Novelle der Zu-

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schlagsverordnung im Jahre 1984 ist allerdings eine zunehmende Verringerung der gesetzlichen Obergrenze des anrechenbaren Haftsummenzuschlags vorgesehen: die Obergrenze des anrechenbaren Zuschlags reduziert sich in einem 10Jahreszeitraum (1986-1995) in 2,5 %-Schritten von 50% auf 25% des ohne den Zuschlag vorhandenen Eigenkapitals. Vgl. A. Hohenleitner, a.a.O. S. 10 (33) Gemäß Grundsatz I des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen sollen die Kredite und Beteiligungen einer Bank das 18-fache des haftenden Eigenkapitals nicht übersteigen. (34) Gemäß § 10 I KWG müssen die Kreditinstitute im Interesse des Gläubigerschutzes ein angemessenes haftendes Eigenkapital haben. Was als "angemessen" angesehen wird, ist den im Einvernehmen mit der Bundesbank erstellten Grundsätzen I-III des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen (zuletzt geändert am 19.12.1985) zu entnehmen. (35) Zur Problematik des Haftsummenzuschlages vgl. ausführlich A. Tochtermann, Der Haftsummenzuschlag der Kreditgenossenschaften als haftendes Eigenkapital im Sinne des KWG, Göttingen 1980; H. Hohner, Haftsummenzuschlag bei Kreditgenossenschaften, in: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens (HdG), hrsg. v. E. Mändle und H.W. Winter, Wiesbaden 1980, Sp. 927 ff.; F. Viehoff, Eigenkapitalausstattung und Haftsummenzuschlag bei Kreditgenossenschaften, in: ZfgG Bd. 30 (1980), S. 207 ff.; A. Hohenleitner, a.a.O., sowie die jeweils dort angegebene Literatur. (36) Vgl. R. Henzler, Die Genossenschaft, a.a.O., S. 62 (37) Vor der Genossenschaftsgesetznovelle von 1973 waren die eingetragenen Genossenschaften gemäß § 3 GenG aF verpflichtet, die Haftpflichtform als Zusatz zum Firmennamen nach außen hin kenntlich zu machen. Es gab demzufolge zwei mögliche Firmierungen: die eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht (kurz: eGmuH) und die eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht (kurz: eGmbH). Vor der Genossenschaftsgesetzänderung im Jahre 1933 gab es zudem auch noch die eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Nachschußpflicht (kurz: eGmuN). Zu den jeweiligen Änderungen und Übergangsregelungen vgl. K. Müller, a.a.O., Rn 1 ff. zu § 2 GenG (38) Diese Formulierung soll deutlich machen, daß es sich bei rückständigen Einzahlungen auf den Geschäftsanteil gemäß Einzahlungsmodus der Satzung im Konkursfall nicht un) Nachschußverpflichtungen des betreffenden Mitglieds handelt, sondern um Nachzahlungen, die auch ohne Berücksichtigung von Haftverpflichtungen für das Mitglied fällig wären. Die gebildeten und satzungsgemäß falligen Geschäftsguthaben gehören bei jeder Haftungsform zur Konkursmasse. Wenn im folgenden von der Haftung der Geschäftsguthaben die Rede ist, dann sind damit immer geleistete und satzungsgemäß fallige, jedoch rückständige Einzahlungen auf den Geschäftsanteil, also kurz die satzungsgemäß einzahlungspflichtigen Geschäftsguthaben gemeint. (39) Im Regelfall beträgt die Höhe der Haftsumme in der Genossenschaftspraxis einen Geschäftsanteil. Nur in Ausnahmefallen wird in der Satzung das Doppelte oder gar das Mehrfache eines Geschäftsanteils als Haftsumme festgelegt. Im Falle der Mehrfachbeteiligung erhöht sich die Haftsumme grundsätzlich entsprechend den gezeichneten Geschäftsanteilen.

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(40) Vgl. A. Schwenk, a.a.O., S. 81 (41 Insbesondere im gewerblichen Bereich wird gegenwärtig eine Reduzierung oder sogar Beseitigung der Nachschußpflichten intensiv in der Genossenschaftspraxis diskutiert. Als Ausgleich für den Ausschluß von Nachschußpflichten wird eine Einführung von im gewerblichen Bereich bisher nicht vorhandenen Garantiefonds erwogen, um die Bonität der Genossenschaft in den Augen der Geschäftspartner nicht zu beeinträchtigen. (42) A. Schwenk, a.a.O., S. 80 (43) Vgl. zu dieser begrifflichen Klarstellung ausführlich A. Schwenk, a.a.O., S. 80 f. sowie die dort angegebene Literatur. (44) Vgl. ebenda, S. 88 (45) Wie erwähnt müssen ausscheidende Mitglieder nicht nur im Konkursfall, sondern bereits im Falle der Überschuldung Fehlbeträge bis zur Höhe ihrer Nachschußverpflichtungen leisten. Vgl. hierzu Lang/Weidmüller, a.a.O., Rn 14 zu § 73 GenG (46) Vgl. ebenda, a.a.O., Rn 2 zu § 115 b GenG (47) Dies trifft auch für die durch Übertragung des Geschäftsanteils gemäß § 76 GenG ausgeschiedenen Mitglieder zu. Vgl. Lang/Weidmüller, a.a.O., Rn 3 zu § 115 b GenG (48) Zu den Rechtsfolgen vgl. ausführlich Lang/Weidmüller, a.a.O., Rn 5 ff. zu § 75 GenG (49) Zur Unterscheidung von neutralen quantitativen und bonitätsabhängigen qualitativen Fremdfinanzierungskosten vgl. H. Lipfert, a.a.O., S. 47 ff. (50) "In der Praxis ist zu beobachten, daß eine Ausdehnung des Fremdkapitalvolumens bei konstantem Eigenkapital in aller Regel nur unter Inkaufnahme erhöhter Finanzierungskosten möglich ist. Die Ursache liegt in der Verschlechterung der Bonität des Kreditnehmers." H. Lipfert, a.a.O., S. 51 (51) Zur Unterscheidung der Kreditabgeltungs- und Kreditrationierungshypothese vgl. A. Bänsch, Operationalisierung des Unternehmenszieles Mitgliederforderung, Göttingen 1983, S. 145 f. sowie die dort angegebene Literatur (52) Vgl. A. Schwenk, a.a.O., S. 82 f. sowie die dort angegebene Literatur (53) Vgl. ebenda, S. 83 (54) Vgl. ebenda, S. 85 (55) R. Henzler, Die Genossenschaft, a.a.O., S 64 (56) Denn nicht nur das Beteiligungskapital, sondern auch die Nachschußverpflichtungen der Mitglieder können der Summe nach betragsmäßig durch die Kündigungsmöglichkeiten der Mitglieder reduziert werden; allerdings wird das Abzugsrisiko der Haftsummen bzw. Nachschußverpflichtungen durch die Nachhaftung der Mitglieder gemäß §§ 75, 115 b GenG entsprechend gemildert. Vgl. hierzu auch A. Schwenk, a.a.O., S. 86 (57) Vgl. R: Henzler, Die Genossenschaft, a.a.O., S. 64; A. Schwenk, a.a.O., S. 84 (58) Denn jedes Mitglied ist gemäß § 15 iVm § 7 Nr. 1 GenG zur Zeichnung mindestens eines Geschäftsanteils und zur statutarischen Mindesteinzahlung auf den Geschäftsanteil nach einem per Satzung festzulegenden Einzahlungsmodus bei Eintritt verpflichtet. Dadurch wird der Genossenschaft zumindest in Höhe der

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satzungsgemäß geleisteten Mindesteinzahlung auf den Geschäftsanteil bei jedem Neueintritt erhöhtes Beteiligungskapital zur Verfügung gestellt. (59) Im Wege der neuen oder auch nur intensivierten Leistungsbeziehungen erhöht sich auch das Potential an temporär akkumulierender und bilanziell konstatierender Selbstfinanzierung. (60) A. Schwenk, a.a.O., S. 85 (61) G. Klusak, Die finanzierungsrelevanten Bestimmungen der geplanten Novelle zum (deutschen) Genossenschaftsgesetz, in: ZfgG Bd. 22 (1972), S. 245 (62) Bei Genossenschaftsbanken ist der Aspekt erwähnenswert, daß eine Erhöhung der Haftsummen aufgrund der Bestimmungen der Zuschlagsverordnung zu einer Erhöhung des haftenden Eigenkapitals sowie iVm Grundsatz I des BAA zu einer Erhöhung der Kreditvergabe- und damit auch der Selbstfinanzierungsmöglichkeiten führt, ohne daß dadurch eine Reduktion des Beteiligungskapitals aufgrund vermehrter Mitgliederaustritte befürchtet werden braucht. Dies gilt aber auch nur solange das Vertrauen der Mitglieder in die Funktionsfahigkeit der Sicherungseinrichtungen gewahrt bleibt. Die ständig steigenden Mitgliederzahlen können jedenfalls als ein deutlicher Hinweis auf das große Vertrauen von potentiellen Mitgliedern in die Funktionsfähigkeit der Genossenschaftsbankenorganisätion gedeutet werden. (63) Vgl. hierzu ausführlich G. Ringle, Die Beitrittsentscheidung und deren Förderung unter Anreiz-Beitrags-Aspekten, Hamburg 1987, S. 9 ff.; ders., Beitritt zur Genosseinschaft als Entscheidungs- und Motivationsproblem, Göttingen 1989, S. 46 ff. (64) U. Walther, Finanzierung und Wachstum von Genossenschaftsbetrieben, Tübingen 1972, S. 10; vgl. hierzu auch J. Homann, a.a.O., S. 1 (65) Vgl. H. Pohl, Probleme und Möglichkeiten zur Beschaffung von Unternehmerkapital zur Finanzierung genossenschaftlicher Aufgaben, Diss. Gießen 1968; U. Walther, a.a.O.; J. Homann, a.a.O. (66) Vgl. H. Birck, a.a.O., S. 109 ff.; R. Henzler, Investitions- und Finanzierungsprobleme der Genossenschaften in einer wachsenden Wirtschaft, in: Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, hrsg. v. G. Weisser, 2. Aufl., Göttingen 1971, S. 97 ff.; H. Seuster, a.a.O., S. 333 ff. (67) Zu risikotheoretischen Aspekten der genossenschaftlichen Geschäftspolitik allgemein vgl. H. Lipfert, Mitgliederförderndes Kooperations- und Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, 2. Aufl., Göttingen 1988, S. 148 ff. und 257 f.; H. Mürdter, Ertrag und Risiko von Genossenschaftsbanken, Nürnberg 1987

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Genossenschaften

2.2.4.2. Haftpflichtformen nach dem österreichischen Genossenschaftsgesetz Anton Rauter A. Die Bedeutung der Haftung der Mitglieder Das österreichische Genossenschaftsgesetz unterscheidet die beschränkte und die unbeschränkte Haftung und läßt überdies bei Konsumgenossenschaften, die sich auf das Mitgliedergeschäft beschränken, eine bloße Geschäftsanteilshaftung zu. Die letztgenannten beiden Haftungsarten haben jedoch heute keine praktische Bedeutung mehr und werden nur der Vollständigkeit halber angeführt. Neben der Haftung der Mitglieder besteht - vor allem bei eventuellen Neugründungen - die persönliche Haftvingsübernahme durch die Funktionäre. Seit der Novelle des Genossenschaftsgesetzes vom Jahre 1974 kann eine eingetragene Genossenschaft jedoch auch ohne Haftsummenverpflichtung der Mitglieder betrieben werden. Ihre Einführung erfolgte - bei Kreditgenossenschaften in der BRD -, um dort den Beitritt zu einer Genossenschaft zu erleichtern, wo die Haftsumme zumindest ein psychologisches Hemmnis darstellt. Auch bei amerikanischkanadischen Credit Unions (die weitgehend nach deutschen Vorbildern konstruiert wurden) gibt es keine Haftsummenverpflichtung mehr. Nach dem Umfang der Haftung unterscheidet man: 1. Genossenschaften mit unbeschränkter Haftung 2. Genossenschaften mit beschränkter Haftung 3. Genossenschaften mit Geschäftsanteilshaftung 1. Genossenschaften mit unbeschränkter Haftung Diese Haftungsform, die vor allem in der Gründerzeit besondere Bedeutung hatte, wird heute - wie erwähnt - kaum mehr angewendet. Bei dieser Haftungsart haften alle Mitglieder der Genossenschaft für deren Verbindlichkeiten solidarisch mit ihrem gesamten Vermögen, insofern zur Deckung der Verbindlichkeiten der Genossenschaft im Falle der Liquidation oder des Konkurses die Aktiven der Genossenschaft nicht ausreichen. Die Haftung der Mitglieder besteht nur gegenüber der Genossenschaft, nicht aber gegenüber den Gläubigern der Genossenschaft. Die Mitglieder sind nur verpflichtet, an die Genossenschaft die zur Deckung ihrer Verbindlichkeiten im Liquidationsstadium oder im Konkurs- und Ausgleichsfall nötigen Beträge zu bezahlen (Deckungspflicht oder Nachschußpflicht), soweit hiezu die vorhandenen Aktiven nicht ausreichen.

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Die unbeschränkte Haftung besteht also darin, daß die Mitglieder für einen Abgang - d. i. für jenen Betrag, um den die Schulden das Genossenschaftsvermögen übersteigen könnten - mit ihrem gesamten Vermögen zu ungeteilter Hand haften. Diese Haftung besteht - wie erwähnt - gemäß § 1 der Verordnung über den Konkurs, die Geltendmachung der Haftimg und das Ausgleichsverfahren bei Genossenschaften nicht den Gläubigern, sondern ausschließlich der Genossenschaft gegenüber. Es handelt sich also um eine unbeschränkte "Nachschußpflicht" an die Genossenschaft, die von dieser in dem durch obige Verordnung geregelten Beitrags verfahren hereingebracht werden kann. Daß eine Haftung beansprucht wird, dafür bestehen folgende Voraussetzungen: -

Die Genossenschaft muß in Liquidation oder im Konkurs sein. Hierher gehört auch der Fall, daß der Konkurs mangels einer Mehrheit von Gläubigern oder auch anderen Gründen nicht eröffnet wird (sogenannte "konkursmäßige Liquidation").

-

Es muß Überschuldung gegeben sein, das Vermögen der Genossenschaft also nicht ausreichen, ihre Schulden abzudecken.

-

Es muß das Beitragsverfahren im Sinne der Genossenschaftskonkursverordnung durchgeführt werden.

2. Genossenschaften mit beschränkter Haftung Bei der Genossenschaft mit beschränkter Haftung haften die Mitglieder ebenfalls solidarisch; doch trifft sie im Konkurs- oder Liquidationsfall der Genossenschaft nur eine beschränkte Deckungspflicht. Die Mitglieder haften, soweit die Satzung nicht einen höheren Haftungsbetrag festsetzt, nur mit ihren Geschäftsanteilen und einem weiteren Betrag in der Höhe der Geschäftsanteile. Die solidarische Haftung der Mitglieder ist somit, was die Höhe anlangt, begrenzt. Eine in Liquidation befindliche Genossenschaft mit beschränkter Haftung muß bei Überschuldung nicht sofort den Konkurs anmelden, sondern kann zuerst von ihren Mitgliedern die Zahlung der Haftungsbeträge verlangen. Ein Mitglied haftet nur für jene Verbindlichkeiten, die zum Zeitpunkt seines Eintritts in die Genossenschaft bereits bestanden haben bzw. die während seiner Mitgliedschaft bei der Genossenschaft entstanden sind. Die Haftimg der Mitglieder besteht auch hier nicht den Gläubigern gegenüber, sondern ist nur eine Deckungspflicht (Nachschußpflicht) an die Genossenschaft. Bei seinem Ausscheiden kann ein Mitglied seinen Geschäftsanteil nur mit dem Betrage zurückfordern, der sich aus der Bilanz des Jahres seines Ausscheidens ergibt; es muß also dem Gesetz nach die verhältnismäßige Kürzung seines Geschäftsguthabens durch den entfallenden Verlustanteil dulden.

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Das Geschäftsguthaben kann vom Geschäftsanteil, dessen Höhe durch die Satzimg bestimmt wird, abweichen, wenn -

der Geschäftsanteil noch nicht voll eingezahlt ist, nach Volleinzahlung des Geschäftsanteiles in der Folge eine Verminderung des eingezahlten Betrages durch Bilanzverlust eingetreten ist. In diesem Falle kann die Genossenschaft eine Wiederauffüllung durch Einzahlungen des Mitglieds nicht fordern; wohl kann die Ergänzung durch Zuschreibimg künftiger Gewinnteile erreicht werden.

3. Genossenschaften mit Geschäftsanteilshaftung Die Mitglieder haften in diesem Falle nur mit ihren Geschäftsanteilen. Diese Haftungsform war nur für Konsumgenossenschaften vorgesehen und hatte bisher niemals praktische Bedeutung. Für den Umfang der Haftung ist die statutenmäßige Höhe des Geschäftsanteiles und nicht der auf diesen Betrag maßgebend. B. Über die Haftsumme Unter Haftsumme versteht man den Betrag, mit dem die Mitglieder von Genossenschaften mbH haften. Die Haftung muß bei Errichtung der Genossenschaften durch das Statut bestimmt sein. Sie darf für das einzelne Mitglied nicht niedriger sein als sein Geschäftsanteil. Für die Änderung der Haftung gelten besondere Vorschriften. Untere Grenze ist also der Nennwert des Geschäftsanteiles. Darüber hinaus bleibt die Festsetzung der Satzung überlassen. Sie kann mit einem festen Betrag oder mit einem Vielfachen des Geschäftsanteiles (z.B. einfache, doppelte Haftung) bestimmt werden. C. Praktische Erkenntnisse Das Statut enthält die erforderlichen Bestimmungen über die Einlageleistung der Mitglieder. Es kann ihre Höhe - unter Beachtung des gesetzlichen Mindestnennwert - und ihre Fälligkeit frei geregelt werden. Das Statut kann gerichtlich überprüfbare Geldstrafen, um die Erfüllung von Leistungspflichten der Mitglieder zu erzwingen, vorsehen. Nebenleistungen können im Statut den Mitgliedern auferlegt werden. Die Deckungspflicht traf ursprünglich die Genossenschaften mit unbeschränkter Haftung unmittelbar gegenüber den Gläubigern. Die Genossenschaftskonkursverordnung hat diese unmittelbare Haftung in eine Nachschußpflicht wie bei Genossenschaften mit beschränkter Haftung umgewandelt. Dies ersparte viele individuelle Rechtsakte, insbesondere Klagen gegen

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die einzelnen Genossenschaften, die, soweit sie in Anspruch genommen würden, wieder Regress bei den anderen Genossenschaftern nehmen könnten. Geht eine Genossenschaft in Konkurs, so ist der voraussichtliche Abgang vom Masseverwalter festzustellen. Zu dessen Deckung sind die rückständigen Einlagen und nach dem Verlustverteilungsschlüssel die noch nicht fälligen Einlagen einzuziehen. Soweit diese nicht ausreichen, sind die Genossenschafter verpflichtet, Nachschüsse nach der Höhe ihrer Geschäftsanteile bis zur vollen Deckimg zu leisten. Der Genossenschaftsvertrag kann auch einen anderen Maßstab für die Nachschüsse festlegen. Bei Übertragung der Geschäftsanteile sind Vormänner, deren Haftung noch nicht erloschen ist, nur deckungspflichtig, Soweit die Nachschüsse vom Erwerber nicht hereingebracht werden können. Voraussichtliche Ausfalle bei einzelnen Genossenschaftern sind bei der Beitragsrechnimg zu berücksichtigen und auf die anderen Beitragspflichtigen umzulegen. Die Genossenschafter und die Genossenschaft können die gerichtlich genehmigte Beitragsrechnung mit Rekurs bekämpfen, wenn sie den Anfechtungsgrund spätestens bei der Tagsatzung, die zur Verhandlung über gegen die Beitragsberechnung angebrachte Erinnerungen angesetzt wurde, geltend gemacht haben oder ohne Verschulden außerstande waren, ihn rechtzeitig vorzubringen. Die rechtskräftige Beitragsberechnung ist ein Exekutionstitel. Die Einbringung obliegt dem Masseverwalter. Stellt sich später heraus, daß die Beitragsberechnung den Abgang überschätzt hat, so ist der Überschuß an die Genossenschafter zurückzuerstatten. Haben einzelne Genossenschafter mehr als andere geleistet, so sind sie zunächst zu berücksichtigen. Wurde hingegen der Abgang unterschätzt, so ist eine Zusatzberechnimg aufzustellen, die nötigenfalls zu wiederholen ist. Regreß können Genossenschafter aufgrund der von ihnen geleisteten Nachschüsse bei Mitgliedern, die verhältnismäßig weniger geleistet haben, nicht nehmen. Bei Genossenschaften mbH findet die Beitragsrechnung in der gesetzlichen bzw. satzungsmäßigen Haftungsbeschränkung ihre Grenze. Ordnet das Statut nichts anderes an, so ist der Nachschuß auf die Höhe der Geschäftsanteile jedes Genossenschafters beschränkt. Nach Demelius (1955) ist auch im Konkursfall einer Genossenschaft mit Geschäftsanteilshaftung zur Hereinbringung noch nicht falliger Einlageleistungen das Umlageverfahren nach der Genossenschaftskonkursverordnung anzuwenden. Seit jeher war die Frage im Schrifttum und in der Rechtsprechung umstritten, ob das in der Genossenschaftskonkursverordnung vorgesehene Umlageverfahren im Liquidationsverfahren - ohne oder mit Ausgleichsverfahren sinngemäß anzuwenden ist oder die Haftimgsbeiträge bei den Genossenschaf-

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tern mit Klage geltend zu machen sind. Denn die Genossenschafter haften nicht nur im Konkursfall, sondern auch bei Liquidation der Genossenschaft. Es wird allgemein anerkannt, daß das Umlageverfahren den Einzelklagen vorzuziehen ist, weil es eine wesentliche Vereinfachung darstellt und in der Regel der Klageweg zu großen Verzögerungen führen muß. Stellen die Liquidatoren eine Überschuldung der Genossenschaft fest, so haben sie sofort der Generalversammlung zu berichten; das Insolvenzverfahren ist einzuleiten. Das Umlageverfahren im Liquidationsfall könnte demnach, falls man seine Zulässigkeit bejaht, wohl nur dann einsetzen, wenn der Konkurs mangels einer Mehrheit von Gläubigern oder wegen mangelnder Kostendeckung unterbleibt oder aufgehoben wird. Für diesen, gewiß seltenen Fall sieht aber die Konkursordnung der Genossenschaft die sinngemäße Durchführung des Umlageverfahrens ausdrücklich vor, das Registergericht tritt anstelle des Konkursgerichtes. Auch im Liquidationsausgleichsverfahren einer Genossenschaft ist das Umlageverfahren zuzulassen. Ein Zwangsausgleichsverfahren ist für Genossenschaften ausgeschlossen. Seit mehr als zwanzig Jahren haben sich die Gerichte in Österreich mit diesem Problemkreis kaum mehr zu beschäftigen gehabt; deshalb, weil es dem Genossenschaftsverbund längst gelungen ist, Insolvenzverfahren bei Genossenschaften zu vermeiden. Aber auch durch eine verantwortungsbewußte Geschäftsführung, durch wirksame innerbetriebliche und überbetriebliche Kontrolle (gesetzliche Revision) konnten neben der Einbindung in den horizontalen und vertikalen Verbund Insolvenzen von Genossenschaften ausgeschaltet werden. In Österreich sorgen vier genossenschaftliche Revisionsverbände für eine begleitende Kontrolle.

Literatur: Demelius, H.: Gläubigerschutz und Gläubigerbefriedigung, Wien 1955 Österreichischer Raiffeisenverband (Hrsg.): Genossenschaftsrecht - Eine Zusammenstellung einschlägiger Gesetze und Verordnungen, Wien 1981. Zahn, J.: Handbuch für Genossenschaften, Wien 1963.

2. Kapitel:

2.2.5.

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Genossenschaftliches Prüfungswesen Helmut W. Jenkis

Sämtliche Genossenschaften haben gemäß § 54 GenG einem Prüfungsverband anzugehören, der die Aufgabe hat, die Pflicht- (Jahresabschluß)prüfungen durchzuführen. Bevor eine in Gründung befindliche Genossenschaft in das Genossenschaftsregister eingetragen werden kann, hat der regional zuständige Prüfungsverband gemäß § 11 Abs. 2, Ziff. 4 GenG eine Gründungsprüfung durchzuführen und über das Ergebnis dieser Prüfung eine Bescheinigung auszustellen, die dem Genossenschaftsregister vorzulegen ist. Die genossenschaftliche Pflichtprüfung ist nicht nur älter, sondern auch umfassender als die aktienrechtliche Pflichtprüfung, die durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz vom 19. Dezember 1985 (BGBl. I, S. 2355) aus dem AktGin das HGB aufgenommen wurde. A. Ursprung und Entwicklung des genossenschaftlichen Prüfungsw e s e n s (1) Bereits 1864 wurde im Verband der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom Mittelrhein die Forderung erhoben, dafür Sorge zu tragen, daß der Verband jederzeit in der Lage sei, den Genossenschaften (Vereinen) auf deren Verlangen einen sachkundigen Revisor zur Verfügung zu stellen. Hiervon wurde wenig Gebrauch gemacht. Schulze-Delitzsch wandte sich 1874 auf dem Genossenschaftstag in Bremen gegen eine Beschickung der Vereine durch Kontrollbeamten. Die Gründerkrise führte zu einem Meinungswandel. 1. Das Genossenschaftsgesetz v o n 1889 In der Öffentlichkeit wurde in den Jahren um 1875 eine sehr weitgehende Kontrolle der Genossenschaften durch die Staats- und Kommunalbehörden gefordert; 1881 wurde im Reichstag der Antrag eingebracht, den Kommunalbehörden ein Aufsichtsrecht sowie das Recht zur Bestellung von Revisoren einzuräumen. Um diesen staatlichen Einfluß abzuwehren, änderte SchulzeDelitzsch seine ablehnende Haltung und trat für eine regelmäßige und wiederkehrende Revision der Vereine (Genossenschaften) ein. Er forderte ferner, daß sich das GenG darauf zu beschränken hätte, daß überhaupt Revisionen (der moderne Ausdruck hierfür ist 'Prüfungen') periodisch stattfinden und hierüber dem Gericht Anzeige erstattet wird. "So ist das genossenschaftliche Prüfungswesen entstanden, teils aus einem Bedürfnis der Vereine, teils aus Furcht vor einer behördlichen Aufsicht".(2)

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In das GenG wurde die folgende gesetzliche Bestimmung aufgenommen: § 53 GenG 1889 "Die Einrichtungen der Genossenschaft und die Geschäftsführung derselben in allen Zweigen der Verwaltung sind mindestens in jedem zweiten Jahre der Prüfimg durch einen der Genossenschaft nicht angehörigen, sachverständigen Revisor zu unterwerfen." Damit war erstmalig eine gesetzliche Pflichtprüfung statuiert; die für die Aktiengesellschaften folgte erst 1931. Sowohl die genossenschaftlichen als auch die aktienrechtlichen Pflichtprüfungen sind 'Kinder der Not', d.h. der Gründer- bzw. der Weltwirtschaftskrise. Gemäß § 64 GenG 1889 war der Reichskanzler ermächtigt, "allgemeine Anweisungen zu erlösen, nach welchen die Revisionsberichte anzufertigen sind", von dieser Ermächtigung wurde kein Gebrauch gemacht. Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923 (RGBl. I, S. 1179) wurde am 27. Dezember 1923 eine Verordnimg über die Revision der eingetragenen Genossenschaften erlassen (RGBl. I, S. 1252); von der Möglichkeit, weitere Bestimmungen zu treffen, wurde gleichfalls kein Gebrauch gemacht. 2. Die Genossenschaftsnovelle von 1934 Nach dem Ersten Weltkrieg zeigten sich Mängel im Prüfungswesen, das sowohl in organisatorischer als auch personeller (qualitativer) Hinsicht nicht Schritt mit der Zahl der Genossenschaften und deren wachsender Größe hielt. Die Weltwirtschaftskrise führte auch zu Zusammenbrüchen von Genossenschaften. In den Jahren 1929 und 1930 gab eine Rationalisierung des ländlichen Genossenschaftswesens mit Mitteln der Reichsregierung den Anstoß, eine Neuregelung der Gesetzesbestimmungen über die genossenschaftliche Prüfung vorzubereiten. Ein weiterer Anstoß ging von der Hergabe öffentlicher Mittel (sogenannte 'Hauszinssteuer-Ära') an gemeinnützige Wohnungsunternehmen - wozu auch Wohnungsbaugenossenschaften gehören - aus. Die Gemeinnützigkeitsverordnung vom 1. Dezember 1930 (RGBl. I, S. 593) brachte für sämtliche gemeinnützige Wohnungsunternehmen den Verbandszwang, die Verpflichtimg zur jährlichen Prüfung und die Pflicht, Beanstandungen, die der Prüfungsbericht enthält, zu beseitigen. Am 21. Oktober 1932 wurde die Erste Verordnimg des Reichspräsidenten für die Deutsche Zentralgenossenschaftskasse und das genossenschaftliche Revisionswesen veröffentlicht (RGBl. I, S. 503). Unter anderem wurde die Reichsregierung ermächtigt, im Interesse der Gesunderhaltung des Genossenschaftswesens und einer wirksamen Revision sowie um eine sachgemäße Aufstellung des Jahresabschlusses sicherzustellen, die Befähigung zur Ausübung der Revisionstätigkeit von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. Die Reichsregierung erließ lediglich am 30. Mai 1933 die Verordnung über die Bilanzierung von

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Genossenschaften. Weitere Schritte waren die Zweite Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes vom 13. Januar 1934 - die landwirtschaftlichen Genossenschaften wurden der Prüfung durch einen Revisionsverband unterworfen - und das Gesetz zur Beaufsichtigung und Anerkennung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen vom 26. März 1934 (RGBl. I, S. 246), das die Prüfung dieser Unternehmen verschärfte. Die schon lange erörterte, das gesamte Genossenschaftswesen erfassende Neuregelung des Prüfungswesens brachte das Gesetz zur Änderung des Genossenschaftsgesetzes vom 30. Oktober 1934 (RGBl. I, S. 1077):(3) §53 Abs. 1 GenG 1934

"Zwecks Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung sind die Einrichtungen, die Vermögenslage sowie die Geschäftsführung der Genossenschaft mindestens in jedem zweiten Jahr zu prüfen. Bei Genossenschaften, deren Bilanzsumme einschließlich der Verbindlichkeiten aus der Begebung von Wechseln und Schecks, aus Bürgschaften, Wechsel- und Scheckbürgschaften sowie aus Garantieverträgen den Betrag von 350.000 Reichsmark (nunmehr zwei Millionen Deutsche Mark, Jk.) erreicht oder übersteigt, muß die Prüfung mindestens einmal jährlich stattfinden." Erst durch die Genossenschaftsnovelle von 1934 ist eine umfassende Pflichtprüfung für sämtliche Genossenschaften eingeführt worden, die auch die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung beinhaltet. Diese Novelle kann als die 'Große Wende' im Genossenschaftswesen im allgemeinen und im genossenschaftlichen Prüfungswesen im besonderen angesehen werden; denn auch die Qualität der Verbandsprüfer wurde gesetzlich angehoben. Der bisherige § 63 GenG wurde in die §§ 63 a bis 63 d erweitert und aufgegliedert: § 63 b Abs. 5 GenG 1934

"(5) Zur Unterstützung des Verbandsvorstandes bei der Ausübung der Prüfungstätigkeit, insbesondere bei der Überwachung der Prüfer und der Überprüfung der Prüfungsberichte, muß mindestens ein Prüfer angestellt werden, der als genossenschaftlicher Wirtschaftsprüfer öffentlich bestellt ist. Von der Anstellung kann abgesehen werden, wenn ein Mitglied des Verbandsvorstandes als genossenschaftlicher Wirtschaftsprüfer öffentlich bestellt ist." Durch die Genossenschaftsnovelle von 1934 wurde die gesetzliche Forderung erhoben, daß in jedem genossenschaftlichen Prüfungsverband mindestens ein Wirtschaftsprüfer tätig sein muß, zugleich wurde der 'genossenschaftliche Wirtschaftsprüfer' kreiert. 3. Der Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen Bereits vor dem Ersten Weltkrieg gab es Bücherrevisoren, weil insbesondere die Banken an vertrauenswürdigen, unabhängigen und qualifizierten

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Genossenschaften

Sachverständigen des Rechnungswesens interessiert waren. Dieser Berufsstand fand erstmals seine gesetzliche Grundlage 1931, als als Folge des Zusammenbruchs großer Unternehmen die gesetzliche Abschlußprüfung für Aktiengesellschaften für notwendig erachtet wurde. In der Verordnimg des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie vom 19. September 1931 (RGBl I, S. 493) und der hierzu ergangenen Ersten Durchführungsverordnung vom 15. Dezember 1931 (RGBl. I, S. 760) wurden die gesetzlichen Grundlagen für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer geschaffen. Durch die Anlage zur Ersten Durchführungsverordnung wurden die Grundsätze für das Prüfungs- und Bestellungsverfahren der Wirtschaftsprüfer erlassen. Der Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen wurde durch die Genossenschaftsnovelle vom 30. Oktober 1934 geschaffen (4); diese Gesetzesvorschrift wurde durch die Verordnung über öffentlich bestellte Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen vom 7. Juli 1936 ergänzt.(5) Die Notwendigkeit des genossenschaftlichen Wirtschaftsprüfers wurde wie folgt begründet: "Eine erfolgreiche Verbandsprüfung konnte jedoch nur dann durchgeführt und weiter ausgebaut werden, wenn mit dieser Aufgabe qualifizierte Männer mit genauer Kenntnis der genossenschaftlichen Verhältnisse betraut werden. Die ständige Sorge der Verbände war daher auf die eingehende praktische und wissenschaftliche Ausbildung der von ihnen bestellten Revisoren gerichtet sowie darauf, daß diese im Verhältnis zu den Genossenschaften selbständig und unabhängig ihre Tätigkeit ausüben."(6) Allerdings traten aufgrund der Veordnung über das Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderimg des Genossenschaftsgesetzes vom 4. Dezember 1934 (RGBl. I, S. 1227) § 55 Abs. 2, § 56 Abs. 2, Satz 2 und § 63 b Abs. 5 GenG noch nicht in Kraft. Mit der Einführung des 'genossenschaftlichen Wirtschaftsprüfers' wurde nicht nur die Qualifikation der Verbandsprüfung erhöht, sondern auch zugleich anerkannt, daß das Genossenschaftswesen eine Besonderheit darstellt. Infolge des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges hat sich die Verordnung vom 7. Juli 1936 nicht mehr auswirken können, diese Verordnung wurde nach 1945 nicht angewandt. Nach langwierigen Beratungen wurde am 17. Juli 1952 (BGBl. I, S. 385) das Gesetz über den Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen verkündet. Dieses Gesetz schloß sich im wesentlichen an die Verordnimg von 1936 an. Ein einheitliches Berufsrecht für die Wirtschaftsprüfer schuf das 'Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer (Wirtschaftsprüferordnung)' vom 14. Juli 1961 (BGBl. I, S. 1049); die WPO (Wirtschaftsprüferordnung) ist mehrfach geändert worden. Die §§ 25 und 26 WPO behandeln den Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen, d.h. dieser spezielle Wirtschaftsprüfer ist mit dem 'allgemeinen' Wirtschaftsprüfer vereinigt worden. Den letzten Schritt hat § 139, Ziff. 12, WPO 1961 gezogen, in dem das Gesetz über die Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen vom 17. Juli 1952 aufgehoben wurde. Damit war die für das genossenschaftliche Prüfungswesen eingeleitete Sonderstellung der Wirtschaftsprüfer versandet.

2. Kapitel: Die Merkmale

von Genossenschaften

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4. Die Genossenschaftsnovelle von 1974 Eine Fortentwicklung der gesetzlichen Anforderungen an das genossenschaftliche Prüfungswesen erfolgte durch das 'Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften' vom 9. Oktober 1973 (BGBl. I, S. 1451), das am 1. Januar 1974 in Kraft trat. Diese Genossenschaftsnovelle 1974 änderte eine Reihe von Bestimmungen, die das Prüfungswesen betreffen ( 56, 63 GenG). Von besonderer Bedeutung ist die Änderung des 63b Abs. 5 GenG. § 63b Abs. 5 GenG 1974 "(5) Dem Vorstand des Prüfungsverbandes soll mindestens ein Wirtschaftsprüfer angehören. Gehört dem Vorstand kein Wirtschaftsprüfer an, so muß der Prüfungsverband einen Wirtschaftsprüfer als seinen besonderen Vertreter ( § 30 Bürgerlichen Gesetzbuches) bestellen. Die für die Verleihung des Prüfungsrechtes zuständige Behörde kann den Prüfungsverband bei Vorliegen besonderer Umstände von der Einhaltung der Sätze 1 und 2 befreien, jedoch höchstens für die Dauer eines Jahres. In Ausnahmefällen darf sie auch eine Befreiung auf längere Dauer gewähren, wenn und solange nach Art und Umfang des Geschäftsbetriebes der Mitglieder des Prüfungsverbandes eine Prüfung durch Wirtschaftsprüfer nicht erforderlich ist." Ein Vergleich der Fassung 1934 mit der von 1974 zeigt, daß man ursprünglich eine Muß-Bestimmung erließ, diese aber nicht in Kraft setzte; 1974 eine Soll-Bestimmimg für den Verbandsvorstand vorsah, dagegen eine Muß-Vorschrift für den besonderen Vertreter gemäß § 30 BGB aufnahm, allerdings mit der Maßgabe, daß Ausnahmeregelungen zugelassen werden können. Entscheidend bleibt, daß sich der Gesetzgeber seit Anfang der 30er Jahre um eine Verbesserung der Qualifikation der genossenschaftlichen Verbandsprüfung bemüht hat. 5. Das Bilanz-Richtlinien-Gesetz von 1985 Die vorerst letzte Änderung des genossenschaftlichen Prüfungsrechtes ist durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz vom 19. Dezember 1985 (BGBl. I, S. 2355) erfolgt:(7) Bemerkenswert ist, daß Abs. 5 in § 63 b GenG durch das Bilanzrichtliniengesetz nicht geändert (verschärft) wurde, daß aber gemäß 316 Abs. 1 HGB (neu) der Jahresabschluß und der Lagebericht von Kapitalgesellschaften (nicht Genossenschaften), die nicht kleine im Sinne von 267 Abs. 1 HGB (neu) sind, durch einen Abschlußprüfer geprüft werden. 'Abschlußprüfer' können gemäß § 319 Abs. 1 HGB (neu) nur Wirtschaftsprüfer oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sein. Diese Vorschriften gelten gemäß Artikel 25 EinfG (Einführungsgesetz) zum HGB nicht, wenn von den zwei Vorstandsmitgliedern des Prüfungsverbandes einer ein Wirtschafts-

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2. Kapitel:

Die Merkmale

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Genossenschaften

priifer ist. Diese komplizierten Vorschriften führen letztlich dazu, daß nach dem 31. Dezember 1989 dem Vorstand des Prüfungsverbandes mindestens die Hälfte Wirtschaftsprüfer angehören müssen. Da in der Regel dem Verbandsvorstand zwei Vertreter gemäß § 26 BGB angehören, ergibt sich, daß die Prüfungsverbände deutlicher als bisher in zwei Bereiche (Abteilungen) aufgeteilt werden: Den Interessen verband, der durch den Verbandsdirektor wahrgenommen wird, der nicht Wirtschaftsprüfer sein muß; den Prüfungsverband, der vom Prüfungsdirektor geleitet wird, der Wirtschaftsprüfer sein muß. B. Die Doppelnatur der genossenschaftlichen Prüfungsverbände(8) Die genossenschaftlichen Prüfungsverbände befinden sich in einem Spannimgsverhältnis, das auf deren Doppelnatur zurückzuführen ist; denn § 63b Abs. 4 GenG lautet wie folgt: -

"Der Verband muß ... die Prüfung seiner Mitglieder der ... zum Zweck haben".

-

"... und kann auch sonst die gemeinsame Wahrnehmung ihrer Interessen, insbesondere die Unterhaltung gegenseitiger Geschäftsbeziehungen zum Zwecke haben".

-

"Andere Zwecke darf er nicht verfolgen".

Es besteht somit eine Muß- und eine Kann-Aufgabe. Während die MußAufgabe nicht umstritten ist, bestehen hinsichtlich der Kann-Aufgabe Bedenken. Die Kann-Aufgabe kann als Interessenwahrnehmung gegenüber den Verbandsmitgliedern (Information, Beratimg, Betreuung) und gegenüber der Öffentlichkeit (Öffentlichkeitsarbeit, Lobby-Funktion, Solidaritätsfonds, Hearings usw.) verstanden werden. Gegenüber den Bedenken, daß eine Vermengungvon Pflichtprüfung und Interessenwahrnehmung die Objektivität des Prüfungsverbandes beeinträchtigen könnte, ist daraufhinzuweisen, daß für die im Verband angestellten Wirtschaftsprüfer - wie bei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften - gemäß § 49 WPO dann ihre Tätigkeit zu versagen haben, wenn sie für eine pflichtwidrige Handlung in Anspruch genommen werden sollen oder die Besorgnis der Befangenheit bei der Durchführung eines Auftrages besteht. Eine solche Doppelnatur ist nicht nur bei den genossenschaftlichen Prüfungsverbänden, sondern auch bei den Wirtschaftsprüfern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften vorhanden, da sie neben der Pflichtprüfung gleichfalls ihre Mandanten beraten und in steuerlichen Angelegenheiten vertreten. Im Zusammenhang um die Unternehmensgruppe Neue Heimat - die gemäß § 14 WGG einem Prüfungsverband als Pflichtmitglied angehört - haben sowohl der Parlamentarische Untersuchungsausschuß der Freien und Hansestadt Hamburg als auch der des Deutschen Bundestages Verquickungen

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

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zwischen der Muß- und der Kann-Aufgabe festgestellt, die die Pflichtprüfungen beeinträchtigte. Daher haben die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse eine schärfere Trennung zwischen der Funktion der Pflichtprüfung und der Interessenwahrnehmung gefordert. Mit dem Steuerreformgesetz 1990 ist das WGG mit dem 31. Dezember 1989 aufgehoben, danach dürften diese Forderungen weiterhin für die genossenschaftlichen Prüfungsverbände unabhängig von Art. 25 EinfG zum HGB gelten. C. Der Unterschied zwischen der genossenschaftlichen und der Pflichtprüfung von Kapitalgesellschaften Die Pflichtprüfung der Genossenschaften ist nicht nur älter als die aktienrechtliche, sondern sie unterscheidet sich auch hinsichtlich des Prüfungsumfanges: -

Die genossenschaftliche Prüfung ( § 53 (1) GenG): "Zwecks Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit sind die Einrichtungen, die Vermögenslage sowie die Geschäftsführung der Genossenschaft mindestens in jedem zweiten Geschäftsjahr zu prüfen ...".

-

Die aktienrechtliche Prüfung ( § 162 (2) AktG, aufgehoben): "Die Prüfung des Jahresabschlusses hat sich darauf zu erstrecken, ob die Bestimmungen des Gesetzes und der Satzimg über den Jahresabschluß beachtet sind. Der Geschäftsbericht ist darauf zu prüfen, ob § 160 Abs. 2 bis 5 beachtet ist und ob die sonstigen Angaben im Geschäftsbericht nicht eine falsche Vorstellung von der Lage der Gesellschaft erwecken."

-

Jahresabschlußprüfung von Kapitalgesellschaften. Gegenstand und Umfang der Prüfung ( § 317 HGB): "In die Prüfung des Jahresabschlusses ist die Buchführung einzubeziehen. Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses hat sich darauf zu erstrecken, ob die gesetzlichen Vorschriften und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages oder der Satzung beachtet sind. Der Lagebericht und der Konzernlagebericht sind darauf zu prüfen, ob der Lagebericht mit dem Jahresabschluß und der Konzernanlagebericht mit dem Konzernabschluß in Einklang stehen und ob die sonstigen Angaben im Lagebericht nicht eine falsche Vorstellung von der Lage des Unternehmens und im Konzernlagebericht von der Lage des Konzerns erwecken."

Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung erstreckt sich auf die Geschäftsführungs-Organisation, das Geschäftsfuhrungs-Instrumentarium und die Geschäftsführungs-Tätigkeit. Karl Schneider (9) hat vier Typen der Prüfungen herausgearbeitet (aufgrund des Bilanzrichtliniengesetzes ist an die Stelle der aktienrechtlichen Prüfung die der Kapitalgesellschaften getreten):

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

- Aktienrechtliche Prüfung: Diese kann man als 'Gesetzmäßigkeits- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung' bezeichnen; denn sie soll den Aktionären Gewißheit darüber verschaffen, daß sich der Vorstand bei der Aufstellung des Jahresabschlusses an die gesetzlichen Regeln und Vorschriften gehalten hat und daß die Rechnungslegung ein korrektes Bild von der Lage des Unternehmens vermittelt. - Prüfung der öffentlichen Betriebe: Man kann diese Art der Prüfung als 'Wirtschaftlichkeitsprüfung' bezeichnen, die sich aus der Verordnung des Reichspräsidenten vom 6. Oktober 1931 entwickelte, die die "Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse" beinhaltet. Die entsprechenden Richtlinien machen ausdrücklich die Prüfung der Geschäftsführung und der wirtschaftlichen Verhältnisse zur Pflicht, auch wenn von einer Erweiterung des Testats abgesehen wird. In der Anlage zu den Vorläufigen Verwaltungsvorschriften Nr. 2 zu § 68 BHO heißt es in Ziff. II: "Da die aktienrechtliche Abschlußprüfung grundsätzlich keine Prüfung der Geschäftsführung beinhaltet, führt eine Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung nach § 53 Abs. 1 Nr. 1 HGrG im Prinzip zu einer nicht unwesentlichen Erweiterung des Prüfungsumfanges gegenüber § 162 AktG." - Banken, Versicherungs- und Bausparkassenprüfungen: Weil es sich bei den Geprüften um Unternehmen von Wirtschaftszweigen handelt, die öffentlicher Überwachung unterstellt sind, kann man diese Prüfungen schlagwortartig als "Überwachungsprüfungen" bezeichnen. Die Besonderheit dieses Prüfungstyps besteht darin, daß die Aufsichtsbehörde das Recht hat, Auflagen über den Umfang und die Art der Prüfung zu erlassen sowie die Berichte entgegenzunehmen und sich von den Prüfern erläutern zu lassen. - Genossenschaftliche Prüfung: Außer der Gesetz- und Ordnungsmäßigkeits- sowie der Wirtschaftlichkeitsprüfung weist sie einige Besonderheiten auf: Außer dem Geschäftsgebaren ist auch die Betriebsorganisation Prüfungsgegenstand. Es besteht das Recht auf unmittelbare Unterrichtung des AR-Vorsitzenden; auf Einladung zu einer gemeinsamen Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat; Teilnahme an der Sitzung beider Organe, in der über das Ergebnis der Prüfung beraten wird; Teilnahme an der Generalversammlung; Nachschau und Weiterverfolgung von Beanstandungen; Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung mit dem Beratungsgegenstand "Beseitigung festgestellter Mängel"; Anordnung oder Vornahme außerordentlicher Prüfungen; Unterrichtung zentraler Geschäftsanstalten des Genossenschaftswesens und dergleichen. Die meisten dieser Rechte werden häufig schlagwortartig in dem Begriff "Prüfungsverfolgungsrecht" zusammengefaßt. Diese umfassende genossenschaftliche Prüfung wird auch oft als Betreuungsprüfung bezeichnet. Diese Prüfungstypen sind von Schneider nach ihrer Intensität aufgebaut worden: "Jeder der vier aufgestellten Prüfungsarten unterscheidet sich von der jeweils vorhergehenden dadurch, daß sie die Anforderungen an die voran-

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

217

gegangenen mitumschließt und zu berücksichtigen hat; d.h. z.B., die Wirtschaftlichkeitsprüfung umfaßt selbstverständlich alle Anforderungen, die an eine Gesetzmäßigkeits- und Ordnungsmäßigkeitsprüfung zu stellen sind, und dementsprechend erfordert die Überwachungsprüfung einen weiteren Umfang und höheren Grad als die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Sie umfaßt alle die Handlungen, die zu einer Ordnungsmäßigkeitsprüfung, sowie die, die zu einer Wirtschaftlichkeitsprüfung gehören. Sie hat also die Vermögenslage, den Kapitalaufbau und die Liquidität zu untersuchen und schließlich noch zusätzliche spezifische Anforderungen zu berücksichtigen, die im Interesse der aufsichtsbehördlichen Überwachung liegen."(10) Somit ist die (genossenschaftliche) Betreuungsprüfung der umfassendste und intensivste Prüfungstyp.(ll) D. Besondere Prüfungsaufgaben Zu den besonderen Prüfungsaufgaben gehören die Gründungsprüfung und die der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung sowie das Prüfungsverfolgungsrecht. 1. Die Gründungsprüfung Das Statut sowie die Mitglieder des Vorstandes sind in das Genossenschaftsregister bei dem Gericht einzutragen, in dessen Bezirk die Genossenschaft ihren Sitz hat (§ 10 GenG). Das Gericht hat zu prüfen, ob die Genossenschaft ordnungsmäßig errichtet und angemeldet ist. Eine Eintragung ist nicht nur aus rechtsformalen Gründen, sondern auch dann abzulehnen, wenn nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen eine Gefährdung der Belange der Genossen oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist. ( § 11 a GenG). Daher erfolgt eine sogenannte 'Gründungsprüfung'(12): Gemäß § 11, Abs. 2, Ziff. 4 GenG hat der Vorstand bei der Anmeldung der gegründeten Genossenschaft beim Genossenschaftsregister eine Bescheinigung beizufügen, "daß die Genossenschaft zum Beitritt zugelassen ist, sowie eine gutachtliche Äußerung des Prüfungsverbandes, ob nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen... eine Gefährdung der Belange der Genossen oder der Gläubiger der Genossenschaft zu besorgen ist." Durch die Novelle zum GenG vom 30. Oktober 1934 wurde die Bescheinigung des Prüfungsverbandes über die Zulassung eingefügt, d.h. daß sie Mitglied des Prüfungsverbandes geworden ist oder wird ( § 53 GenG); die Gründungsprüfimg beruht auf der Genossenschaftsnovelle von 1973. Die Bescheinigimg des Prüfungsverbandes ist von besonderer Bedeutung, ihr Fehlen fuhrt zur Ablehnimg der Eintragung in das Genossenschaftsregister. Da für die Genossenschaften die Pflichtmitgliedschaft im Prüfungsverband besteht ( § 54 GenG), ist der Verband bei der Entscheidung über die Aufnahme von

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

Genossenschaften nicht frei, sondern muß nach pflichtgemäßem Ermessen prüfen, ob die Aufnahme sachlich gerechtfertigt und zumutbar ist. Lehnt der Verband die Aufnahme ab, kann die Genossenschaft im ordentlichen Rechtsweg auf Zulassving klagen. Der Begriff 'gutachtliche Äußerung' beinhaltet die Darstellung und das Abwägen der Gründe, die zur Auffassung des Verbandes geführt haben. An das Gründungsgutachten können keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Obwohl das GenG keine Angaben über die Gegenstände der Gründungsprüfung enthält, sind die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse hinsichtlich der zu gründenden Genossenschaft - auch die Verhältnisse bei den Vorstandsmitgliedern, soweit sich daraus negative Folgen für die Gründimg ergeben könnten - zu prüfen, und es ist hierüber zu berichten. Eine Gefahrdung der Belange der Mitglieder oder der Gläubiger wird dann zu besorgen sein, wenn die Genossenschaft nicht mit dem erforderlichen Kapital ausgestattet ist oder wenn die für die Leitung der Genossenschaft vorgesehenen Personen nicht die fachlichen oder charakterlichen Qualitäten haben. Auch bei der Beurteilung der persönlichen Verhältnisse sind dem Verband enge Grenzen gesetzt. Die materielle Gründungsführung stellt ein präventives Schutzsystem für alle Beteiligten dar. Das Gericht ist aber nicht an die gutachtliche Äußerung des Verbandes gebunden, es dient nur der eigenen Überzeugungsbildung. 2. Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung Gemäß § 53 Abs. 1, Satz 1 GenG "(sind) zwecks Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung die Einrichtungen, die Vermögenslage sowie die Geschäftsführung der Genossenschaft mindestens in jedem zweiten Geschäftsjahr zu prüfen." Nur bei Genossenschaften und privatrechtlichen Unternehmen, an denen die öffentliche Hand maßgeblich beteiligt ist - unabhängig von der Rechtsform - ist die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung zu prüfen (§ 53 HGrG - Haushaltsgrundsätzegesetz vom 19. August 1969). Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung gehört zu den schwierigsten Aufgaben der Wirtschaftsprüfer^ 13) Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung erstreckt sich auf: - Die Geschäftsführungs-Organisation: Sie bezieht sich auf die Stellenbesetzung und die Aufgabenverteilung, die ihren Niederschlag in einem Organisationsplan und einer Geschäftsordnung finden. - Das Geschäftsführungs-Instrumentarium: Hierzu gehören das Rechnungswesen einschließlich der Unternehmensplanung und das interne Kontrollsystem, insbesondere die Innenrevision.

2. Kapitel: Die Merkmale

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- Die Geschäftsführungs-Tätigkeit: Es ist nicht der gesamte betriebliche Entscheidungsprozeß gedanklich nachzuvollziehen, denn Prüfungsgegenstand ist nicht die Geschäftsführung im umfassenden Sinne, sondern lediglich deren Ordnungsmäßigkeit. Der Bericht des Abschlußprüfers soll erkennen lassen, ob die Vorstandsmitglieder (Geschäftsführer) der Genossenschaft die Geschäfte im abgelaufenen Geschäftsjahr mit der erforderlichen Sorgfalt und der gebotenen Wirtschaftlichkeit geführt haben sowie ob dies in Übereinstimmimg mit den Gesetzen, der Satzung, den Beschlüssen der Organe und der Geschäftsordnung für den Vorstand geschehen ist (Prüfung der Geschäftsgebarung). Stößt der Abschlußprüfer (Prüfungsverband) auf ungewöhnliche, risikoreiche oder nicht ordnungsgemäß abgewickelte Geschäftsvorfälle, erkennbare Fehldispositionen und wesentliche Unterlassungen, so hat er diesen Sachverhalten nachzugehen und hierüber in sachlicher Form zu berichten. Es ist auch festzustellen, ob der Vorstand neben den allgemeingültigen kaufmännischen Grundsätzen die speziellen Vorschriften des GenG und die Bestimmungen des Statuts beachtet sowie die Geschäftsführung auf den Förderungszweck der Genossenschaft ausgerichtet ist. Im Mittelpunkt der Prüfling der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung steht die Verwirklichung des genossenschaftlichen Unternehmerzieles, d.h., die Prüfung des Förderungsauftrages. Hier aber zeigen sich erhebliche Schwierigkeiten nicht nur in der Theorie, sondern auch und vor allem in der Praxis.(14) Da die Operationalisierung des Förderungsauftrages nicht oder nur begrenzt gelungen ist, sind jeder Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung bei Genossenschaften Grenzen gesetzt. 3. Das Prüfungsverfolgungsrecht Abweichend gegenüber der aktienrechtlichen Pflichtprüfung kennt das GenG das umfassendere Prüfungsverfolgungsrecht:(15) Der gesetzliche Prüfungsauftrag des Verbandes umfaßt nach Abschluß der eigentlichen Prüfung und Vorlage des schriftlichen Prüfungsberichtes auch die Auswertung der Prüfungsergebnisse sowie die Kontrolle, ob wesentliche Empfehlungen der Prüfung beachtet und festgestellte Mängel behoben werden. Gesetzliche Grundlage für das Prüfungsverfolgungsrecht sind: - § 59 GenG: Teilnahmerecht des Verbandes an der Generalversammlung, in der der Vorstand den Prüfungsbericht als Gegenstand der Beschlußfassung anzukündigen und der Aufsichtsrat sich über wesentliche Feststellungen oder Beanstandungen der Prüfung zu erklären hat.

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Genossenschaften

-

§ 60 GenG: Recht des Verbandes, eine außerordentliche Generalversammlung einzuberufen: Diese Vorschrift regelt einen wichtigen Akt des Prüflings verfolgungsrechtes, der den Unterschied zur aktienrechtlichen Prüfung deutlich macht; denn: "Gewinnt der Verband die Überzeugung, daß die Beschlußfassung über den Prüfungsbericht ungebührlich verzögert wird oder daß die Generalversammlung bei der Beschlußfassung unzulänglich über wesentliche Feststellungen oder Beanstandungen des Prüfungsberichtes unterrichtet war, so ist er berechtigt, eine außerordentliche Generalversammlung der Genossenschaft auf deren Kosten zu berufen und zu bestimmen, über welche Gegenstände zwecks Beseitigung festgestellter Mängel verhandelt und beschlossen werden soll" ( § 60, Abs. 1 GenG). In dieser Generalversammlung führt eine vom Verband bestimmte Person den Vorsitz. - § 58, Abs. 4 GenG: Teilnahmerecht des Verbandes an der gemeinsamen Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat, in der über das Ergebnis der Prüfung beraten wird. Der Vorstand ist verpflichtet, den Verband von dieser Sitzung in Kenntnis zu setzen. - § 62, Abs. 3 GenG: Weitergaberecht des Prüfungsberichtes: Der Verband und seine Prüfer sind zur gewissenhaften und unparteilichen Prüfung sowie zur Verschwiegenheit verpflichtet, kann aber den zentralen Geschäftsanstalten des Genossenschaftswesens Kenntnis vom Inhalt der Prüfungsberichte geben; ferner kann er dem Spitzenverband Abschriften der Prüfungsberichte geben. Für das Prüfungsverfolgungsrecht ist der Prüfungsverband zuständig, dem die Genossenschaft als Mitglied angehört. Die Prüfungsverfolgung wird als Betreuungsprüfung bezeichnet, die über die aktienrechtliche Abschlußprüfung hinausgeht.

Fußnoten: (1) Siehe hierzu die umfassende Darstellung mit Literaturhinweisen vom Verfasser: Die Wirtschaftsprüfer im Konflikt zwischen Prüfung und Beratung - Ursprung, Entwicklung, Probleme, Schriften zum Genossenschaftswesen und zur Öffentlichen Wirtschaft, Bd. 25„ Berlin 1989, S. 20 - 66 (2) Reinhold Letschert: Die genossenschaftliche Pflichtprüfung, 5. Aufl., WiesbadenBieberich 1951, S. 17. Siehe ferner: Schulze-Delitzsch: Materied zur Revision des Genossenschafts-Gesetzes, Leipzig 1883, S. 58 (3) Siehe hierzu Heinz Diewitz: Die Prüfung der eingetragenen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften nach dem Reichsgesetz vom 30.10.1934 (RGBl. I, S. 1077), Leipziger Dissertation, Dresden 1935 (4) Alice Riebandt-Korfmacher: Der Wirtschaftsprüfer im Genossenschaftswesen, in: Gemeinnütziges Wohnungswesen, Heft 8 (1952), S. 433 - 437 (5) Abgedruckt bei Reinhold Zirwas / Paul Buchholz: Das genossenschaftliche Prüfungswesen - Grundzüge des genossenschaftlichen Prüflings- und Berufsrechtes, in: Der Wirtschaftsprüfer, N.F., Heft 3, Berlin 1938

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Die Merkmale

von

Genossenschaften

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(6) Riebandt-Korfmacher, S. 433 (7) Siehe hierzu Werner Kresse / Lieselotte Kotsch-Fasshauer / Norbert Leuz: Neues Bilanzieren, Prüfen und Buchen nach dem Bilanzrichtliniengesetz, Stuttgart Bad Wörishofen 1986, S. 21 ff. (8) Siehe hierzu vom Verfasser: Die Doppelnatur der genossenschaftlichen und gemeinnützigkeitsrechtlichen Prüfungsverbände, in: Betriebs-Berater, Heft 28 vom 10. Oktober 1982, S. 1702 - 1709; Derselbe: Die Wirtschaftsprüfer im Konflikt zwischen Prüfung und Beratung, S. 52 - 66; Bernd Marcus: Die Pflichtmitgliedschaft bei Genossenschaftsverbänden als Prüfungs-, Betreuungs- und Interessenverbänden, Kooptions- und Genossenschaftswissenschaftliche Beiträge des Instituts für Genossenschaftswesen der Universität Münster, Bd. 12, Münster 1985 (9) Karl Schneider: Die Prüfungen in der Wohnungswirtschaft, in: Beiträge zu den Grundlagen eines Wohnungswirtschaftsgesetzes, Schriftenreihe des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau, Bd. 22, Hamburg 1967, S. 205 - 230, insbesondere S. 210 - 212 (10) ebenda, S. 212 (11) Siehe hierzu Karl Trescher: Möglichkeiten und Grenzen der Prüfung der Geschäftsführung - dargestellt am Beispiel genossenschaftlicher Prüfungen, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 18 (1968), S. 1 - 20 (12) Dimitris Tsibanoulis: Die genossenschaftliche Gründungsprüfung, Frankfurter wirtschaftsrechtliche Studien, Bd. 8, Frankfurt 1987 (13) Erich Potthoff: Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung, WIBERA-Fachschriften, N.F., Bd. 11, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1982; Konrad Mose: Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung bei Genossenschaften, Beiheft 9 zu Marburger Schriften zum Genossenschaftswesen, Marburg 1984; Dietrich Ohlmeyer: Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung in Genossenschaften und die Durchsetzung von Maßnahmen, Vorträge des Instituts für Genossenschaftswesen der Universität Münster, Heft 9, Münster 1986; Institut der Wirtschaftsprüfer (Herausgeber): Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1985/86, Bd. I, Düsseldorf 1985, S. 891 ff. (14) Siehe hierzu vom Verfasser: Genossenschaftlicher Förderungsauftrag und Wohnungsgemeinnützigkeit - ein Widerspruch?, Hamburg 1986, S. 37 ff. (15) Siehe den Kommentar von Lang/Weidmüller: Genossenschaftsgesetz von Egon Metz / Hans-Jürgen Schaffland, 32. Auflage, Berlin-New York 1988, S. 730 f.

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

2.3.

Leistungswirtschaftliche Merkmale

2.3.1.

Die Leistungsbeziehungen genossenschaftlicher Geschäftsbetriebe Wolfgang Kuhn

Ideologische Grundlagen, Werte und Zielsetzungen sowie Verhaltensweisen der mit der Genossenschaft verbundenen Elemente waren schon immer bevorzugter Gegenstand genossenschaftswissenschaftlicher Untersuchungen (1). Das Mitgliedschaftsprinzip (2) (Identität von Trägern und Kunden) ist dabei aus dem genossenschaftlichen Schrifttum eindeutig als wesensbestimmendes Merkmal der genossenschaftlichen Unternehmensstruktur erkennbar (3). Dies kommt durch die Formulierung Hans Georg Schachtschabels, daß die genossenschaftliche Idee ein bestimmtes Verhalten der Mitglieder impliziert, nämlich ein soziales untereinander und ein ökonomisches hinsichtlich der Ziele und Mittel (4), deutlich zum Ausdruck. Dieses Identitätsprinzip galt folgerichtig in der traditionellen Genossenschaftslehre als Maßstab für die Ableitung von Betriebs- und Organisationszielen, während heute weitgehend Einigkeit besteht, daß die Zielfindung über einen Verhandlungsprozeß stattfindet (5). Diese Erkenntnis bildet eine wichtige Grundlage für die nachstehenden Ausführungen über die Leistungsbeziehungen genossenschaftlicher Geschäftsbetriebe. A. Zweckgeschäfte mit Mitgliederwirtschaften Aufgrund ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung, die in der Generalnorm des § 1 GenG niedergelegt ist, treten Genossenschaften in Geschäftsbeziehungen zu ihren Mitgliedern (6). Die sog. Zweckgeschäfte sind Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen, die unmittelbar dem Förderungsauftrag dienen, also die Geschäfte, die den Kern des Betriebes darstellen und aufgrund derer die Genossenschaft i.d.R. gegründet wurde (7). Der förderungsgebundenen Ausrichtung entsprach die Konzeption der Genossenschaft als hilfswirtschaftliches Unternehmen und die Zielsetzung, ausschließlich Wirtschaftspartner der Mitglieder zu sein (8). Zudem war die Mitgliederverbundenheit ein wesentliches risikobeschränkendes Merkmal der Genossenschaft. Denn ein fester Kundenstamm, den die Mitglieder stellten, erlaubte eine relativ stabile Disposition im Hinblick auf Menge und Qualität der anzubietenden Leistungen. Hieraus erklärt sich, daß die Initiatoren der Genossenschaftsbewegung im Interesse größtmöglicher Effektivität des neuen Wirtschaftsgebildes dessen Vorzüge ausschließlich auf

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

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den Kreis der Mitglieder beschränkt wissen wollten (9). Mit dem Ende der Aufbauphase und der Ausdehnung der wirtschaftlichen Betätigungsfelder wurde auch die Förderaufgabe umfassender gesehen. So wird z.B. der ehemals verbilligte gemeinschaftliche Einkauf durch den "Rohstoffverein" von der modernen Einkaufsgenossenschaft durch eine Vielzahl von Beratungs- und Betreuungsleistungen ergänzt (10). Die Entwicklung und Bereitstellung dieser Leistungen nur für Mitglieder führte teilweise zu einer gewissen Unterauslastung der Kapazitäten. Hiedurch verstärkte sich der Wunsch bei den Genossenschaften, dem Strukturwandel sowie eventuellen Konkurrenzunternehmen entgegenzutreten und das Leistungsangebot über den Mitgliederkreis hinaus auszudehnen. B. Gegengeschäfte Nachdem genossenschaftliche Geschäftsbetriebe, um dem Förderauftrag entsprechen zu können, für ihre angeschlossenen Mitglieder i.d.R. eine Verbindung zum Markt herstellen müssen, können die Geschäftsbeziehungen grundsätzlich nicht auf den Mitgliederkreis beschränkt bleiben. Diese Verbindungen, die der Zweckbestimmung entsprechend getätigt werden, werden als Passiv- oder Gegengeschäfte bezeichnet und sind die notwendige Entsprechung für vollzogene oder zu vollziehende Mitgliedergeschäfte (11). Klassische Beispiele sind hier der Verkauf des Weines der Mitglieder einer Winzergenossenschaft oder der Auftritt einer Bezugsgenossenschaft als leistungsfähiger Einkäufer für die angeschlossenen Mitglieder am Markt. C. Nichtmitgliedergeschäfte Unabhängig von der grundsätzlichen rechtlichen Zulässigkeit von mit Nichtmitgliedern betriebenen Zweckgeschäften, muß für deren ökonomische Beurteilung der Veränderungsprozeß genossenschaftlicher Wirtschaftstätigkeit herangezogen werden. 1. Veränderte Rahmenbedingungen Die meisten Genossenschaften sind heute aus dem begrenzten Wirkungskreis von Notgemeinschaften herausgetreten und haben sich zu Leistungsgemeinschaften entwickelt. Diese Entwicklung bestätigt sich für die Beziehungen zwischen Mitglied und Genossenschaft in einer immer "rechenhafteren Einstellung" (12), d.h. einer Professionalisierung der Leistungsbeziehungen und verstärktem Renditedenken (13). Ein leistungsfähiges Instrumentarium zur Charakterisierung kooperativer Zusammenschlüsse hat Eberhard Dülfer entwickelt (14):

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2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

Mit den Strukturdimensionen Mitgliedermerkmale, Kooperationsintensität, Verteilung der Zielsetzungs- und Entscheidungskompetenz, Formalisierungsgrad der Kooperation und Stabilität der Kooperation, lassen sich Veränderungen, denen genossenschaftliche Geschäftsbetriebe im dynamischen Wirtschaftsprozeß unterliegen, erfassen und bewerten. Wir haben in einer Untersuchimg unter teil weisem Rückgriff auf die Dülfer'schen Strukturdimensionen festgestellt, daß heute generell Mitglieder und Nichtmitglieder für die Genossenschaftsleitung gleichwertige Geschäftspartner sind und sich zusätzlich aus dem Wettbewerb die Tendenz zu einer Ausweitung der Betriebsgröße ergibt (15). Dies fuhrt unter Umständen an die Grenze des Gesamtbedarfs der Mitglieder und verstärkt das Streben der Geschäftsführung nach verstärkter Leistungsabgabe an Nichtmitglieder (16). Häufigste Argumente für die Notwendigkeit von Nichtmitgliedergeschäften sind die Werbung neuer Mitglieder durch Überzeugung von der Leistungsfähigkeit sowie eine kostengünstigere Kapazitätsausnutzimg (17). Eine ausfuhrliche Auseinandersetzung mit der Problematik dieser Argumente muß an dieser Stelle aus Raumgründen unterbleiben (18). Als Ergebnis ist jedoch festzuhalten, daß eine grenzenlose Zulässigkeit von Fremdgeschäften nach der Gleichung Unternehmenswachstum = Diversifikation und unbegrenztes Nichtmitgliedergeschäft = automatisch optimale Förderung der Mitglieder (19) nicht genossenschaftstypisch ist. Vielmehr sollte das Nichtmitgliedergeschäft unter Berücksichtigung der Mitgliederinteressen nur Ergänzungscharakter haben. Eine quantitative Begrenzung des Nichtmitgliedergeschäfts halten wir dabei nicht für sinnvoll. Vielmehr stimmen wir mit Oswald Hahn überein, der das Zustandekommen einer "optimalen Mitgliederquote" in bezug auf die Gesamtkundschaft, der zukünftigen Entwicklung überläßt (20). Wir haben in der bundesdeutschen Realität im Rahmen regional begrenzter Untersuchungen bei genossenschaftlichen Bankinstituten einen Anteil des Nichtmitgliedergeschäfts in Höhe von ca. 20 % festgestellt (21). Claus Sendelbach hat allerdings in einer neueren Studie z.T. Werte bis zu 47 % ermittelt (22). Abschließend muß trotz der veränderten Rahmenbedingungen u. E. die Maxime gelten, daß unabhängig vom Umfang des Nichtmitgliedergeschäfts, dessen regelmäßige Durchführung unabdingbar von den Mitgliedern bewilligt werden muß. 2. Legitimation durch die Mitglieder Stimmt man der These zu, daß die Mitglieder das Recht besitzen, die Ziele des Genossenschaftsunternehmens in einem Abstimmungsprozeß mit der Geschäftsleitung der Genossenschaft festzulegen, ist die Frage nach der Aufnahme und dem Umfang des Nicht-mitgliedergeschäfts ebenfalls im Rahmen dieses Entscheidungsprocederes zu beantworten. Vorrangige Aufgabe muß es demnach sein, die Präferenz strukturen der Mitglieder zu erfassen.

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

225

Nur dadurch ist es möglich, ihre Meinung über Geschäftsbeziehungen mit Nichtmitgliedern in Erfahrung zu bringen. Voraussetzung für die Zielkonkretisierung über die Artikulierung der Mitgliederinteressen ist die Entwicklung eines Orientieningsrahmens. Im genossenschaftlichen Schrifttum hat sich hier der sogenannte Förderbericht als geeignetes Instrument erwiesen (23). Eine Weiterentwicklung des Förderplans zu einem Leitbild führt dann durch dessen Umsetzung zu einer genossenschaftsorientierten Geschäftspolitik, wobei hier sehr wahrscheinlich die Dokumentation der geschäftspolitischen Bedeutung der Mitgliedschaft ein wichtiger Bestandteil ist (24). Uns erscheint die Aufwertung und Aktivierung des Mitgliedschaftsgedankens als das wesentliche Kernelement für die zukünftige Geschäftstätigkeit genossenschaftlicher Unternehmen. Wie wichtig die Entwicklung einer neuen Mitgliedschafts-konzeption ist, hat der Verfasser am Beispiel der Kreditgenossenschaften an anderer Stelle aufgezeigt (25). Es widerspricht u.E. der Genossenschafts-philosophie, wenn ein Mitglied z.B. keinerlei Bankgeschäfte mit "seiner" Kreditgenossenschaft betreibt und lediglich die Beteiligungsrendite zum Halten von Geschäftsanteilen Anlaß gibt (26). Im Ergebnis muß die Diskussion über das Nichtmitgliedergeschäft zu einer Orientierung der Genossenschaften an ihren eigenen Stärken führen. Nur über die Konkretisierung des Förderauftrages können Mitglieder und Geschäftsleitung die Existenzberechtigung des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes dokumentieren. Fußnoten: (1) Vgl. Oswald Hahn, Brauchen die Genossenschaften eine eigene Betriebswirtschaftslehre? in: ZfgG Bd. 33 (1983) S. 240 ff. (2) Vgl. allgemein zum Wesen der Mitgliedschaft Marcus Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, in: AcP 180 (1980), S. 84 ff (3) Vgl. statt vieler Georg Draheim, Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, Göttingen 1952, S. 16 ff.; Hans Ohm, Die Genossenschaft und ihre Preispolitik, Karlsruhe 1955, S. 45ff.;Eberhard Dülfer, Typencharakter und Größenentwicklung der gewerblichen Kreditgenossenschaften (in Westdeutschland), Marburg 1957, S. 24; Reinhold Henzler, Sind die genossenschaftlichen Prinzipien noch zeitgemäß?, in: ZfB 4/1967, S. 232; Martin Luther, Die genossenschaftliche Aktiengesellschaft, Tübingen 1978, S. 8; Oswald Hahn, Struktur der Bankwirtschalt, Bd. I, Banktypologie und Universalbanken, Berlin 1981, S. 461. (4) Vgl. Hans Georg Schachtschabel, Genossenschaften - (III) Soziologischvolkswirtschaftliche Problematik, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 4. Band, Stuttgart 1965, S. 379. (5) Vgl. hierzu Helmut Röhm/Martin Doli, Der Förderungsauftrag im Zielsystem der Bankgenossenschaften, Stuttgart 1983; S. 28 f. Wolfgang Kuhn, Das Nichtmitgliedergeschäft der Kreditgenossenschaften, Nürnberg 1984, S. 62 ff. und die dort angegebene Literatur.

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

(6) Vgl. Ulrich Böhm, Das Nichtmitgliedergeschäft der Genossenschaften, Diss. Heidelberg 1974, S. 15 (7) Vgl. Erich Weinerth, Art. Nichtmitgliedergeschäfte, in: Handbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980, Sp. 1288 f. Als Beispiele nennt der Autor den Ankauf von Weinmost oder Weintrauben durch eine Winzergenossenschaft und die Darlehensvergabe bei Kreditgenossenschaften. (8) Hermann Josef Beermann, Die Wirkungen des Nichtmitgliedergeschäfts auf die wirtschaftliche Struktur der Genossenschaft, Diss. Münster 1955, S. 30. (9) Vgl. Hermann Schulze-Delitzsch, Vorschuß- und Kreditvereine als Volksbanken, 8. Aufl. Berlin 1915, S. 65. (10) Vgl. Heinrich Michel, Die Fördergeschäftsbeziehung zwischen Genossenschaft und Mitglied, Göttingen 1987, S. 17. (11) Vgl. Ulrich Böhm a.a.O., S. 16. (12) Vgl. Reinhold Henzler, Grenztypen des Genossenschaftsbetriebs, in: ZfgG Bd. 6 (1956), S. 11 ff. (13) Vgl. Wolfgang Kuhn, Gedanken zur Konzeption einer genossenschaftsadäquaten Geschäftspolitik der Kreditgenossenschaften, in: ZfgG Bd. 36 (1986), S. 5. (14) Vgl. Eberhard Dülfer, Systemcharakter und Strukturdimensionen des Kooperativs - Grundgedanken zu einer erweiterten Betriebswirtschaftslehre der Genossenschaften und verwandter Institutionen, in: ZfgG Bd. 31 (1981), S. 104 ff. (15) Vgl. Wolfgang Kuhn, Das Nichtmitgliedergeschäft ... a.a.O., S. 178. (16) Vgl. Eberhard Dülfer, Genossenschaften in industrialisierten Ländern, S. 33. (17) Günther Ringle, Leistungsbeziehungen der Genossenschaften mit Nichtmitgliedern?, in: BFuP 2/1971, S. 66 ff.; Helmut Lipfert, Mitgliederförderndes Kooperationsund Konkurrenzmanagement in genossenschaftlichen Systemen, Göttingen 1986, S. 199. (18) Vgl. hierzu ausführlich Günther Ringle a.a.O. (19) Vgl. Wilhelm Jäger, Der Förderbericht in Genossenschaften als Legitimationsund Motivationsinstrument, in: ZfgG Bd. 31 (1981), S. 243. (20) Vgl. Oswald Hahn, Vorwort, in: Wolfgang Kuhn, Das Nichtmitgliedergeschäft ... a.a.O. (21) Vgl. Wolfgang Kuhn, Das Nichtmitgliedergeschäft ... a.a.O., S. 59 ff. (22) Vgl. Claus Sendelbach, Personelle und sachliche Determinanten zur optimalen Betriebsgröße von Kreditgenossenschaften, Band 6 der Arbeitspapiere des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der FAU Nürnberg 1988, S. XVI ff. (23) Vgl. hierzu Wolfgang Kuhn, Förderplan und Unternehmensleitbild genossenschaftlicher Kreditinstitute, in ÖBA 9/84, S. 320 ff. und die dort angegebene Literatur. (24) Vgl. auch Oswald Hahn, Die Unternehmensphilosophie einer Genossenschaftsbank, Tübingen 1980. (25) Vgl. Wolfgang Kuhn, Genossenschaftsbanken: Schärferes Profil durch mehr Mitgliederorientierung in: bum 1/1985, S. 36 ff. (26) Vgl. Helmut Berge, Angebliches Dilemma, in: WiWo 41/1985, S. 101.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

2.4.

Finanzwirtschaftliche Merkmale der Genossenschaft

2.4.1.

Finanzierungsarten Eduard

227

Mändle

A. Grundsätzliches zur Finanzierung Der Begriff der Finanzierung hat im Laufe der Entwicklung der Betriebswirtschaftlichen Finanzierungslehre eine ständige Veränderung und Erweiterung erfahren. Allgemein versteht man darunter alle Dispositionen hinsichtlich der Zahlungsmittelströme, die sich aus dem Unternehmungsprozess ergeben. Der Finanzierungsbegriff wird im einzelnen durch folgende Elemente bestimmt: -

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Finanzierung ist die Aufbringung finanzieller Mittel jeder Art, somit die Beschaffung von Kapital. Zur Finanzierung gehören jedoch auch Kapitalrückzahlungen (Entnahme von Gewinn oder Eigenkapital, Rückzahlung von Krediten u.a.) und Kapitalumschichtungen auf der Passivseite der Bilanz (z.B. Umwandlungeines Kredites in eine Unternehmensbeteiligung, etwa einen GmbH-Anteil). Das Ziel der Finanzierung besteht zum einen in der Kapitalbereitstellung zur betrieblichen Leistungserstellung und -Verwertung und zum anderen in der Durchführung finanztechnischer Sonderaktionen (Unternehmensumwandlungen, Fusionen, Gründungen von Unternehmen). Es besteht keine Identität zwischen Finanzierung und Geldbeschaffung, da das bereitgestellte Kapital nicht nur in Form von Geld, sondern auch als Sacheinlagen (Immobilien, Geschäftsausstattung u. a.) oder Wertpapieren eingesetzt werden kann. Die Herkunft des beschafften Kapitals tritt auf der Passivseite der Bilanz in Erscheinung: hier wird dargestellt, in welchem Umfange dem Betrieb vom Unternehmer bzw. den Anteilseignern (Genossenschaftsmitgliedern, Aktionären) das Eigenkapital, das letztlich zur Haftung herangezogen werden kann, oder das Fremdkapital von Lieferanten, Banken bzw. anderen Kreditgebern zur Verfügung gestellt worden ist.

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Die Verwendung des Kapitals erfolgt grundsätzlich über die Investitionen, also die Beschaffung von Sachvermögen, Finanzvermögen (Wertpapiere, Beteiligungen) und immateriellem Betriebsvermögen (Patente, Lizenzen); sie schlägt sich in der Aktivseite der Bilanz, dem Vermögensbereich, nieder. Finanzierungsvorgänge stehen überwiegend in Zusammenhang mit Investitionsentscheidungen.

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Die verschiedenen Finanzierungsformen ergeben sich aus folgenden Merkmalen: - Nach der Rechtsstellung des Kapitalgebers und der Kapitalhaftung wird zwischen Eigen- und Fremdfinanzierung unterschieden;

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2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

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nach der Herkunft des Kapitals kann eine Unterscheidung in Außen- und Innenfinanzierung getroffen werden;

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nach der Fristigkeit der Kapitalbereitstellung wird zwischen kurz-, mittelund langfristiger Finanzierung differenziert;

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nach dem Finanzierungsanlaß ist eine Unterscheidung in Gründungs-, Um-, Erweiterungs-, Sanierungs-, Verschmelzungsfinanzierung möglich; aufgrund der Äquivalenz von Finanzbedarf und kapitalmäßiger Ausstattung ist eine Differenzierung in Uber- bzw. Unterfinanzierung und bedarfsgemäße Finanzierung denkbar.

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Sämtliche hier erörterten allgemeinen finanzwirtschaftlichen Merkmale treffen auf Unternehmen, somit auch auf Genossenschaften, zu. B. Besonderheiten der Genossenschaftsfinanzierung Bei der Genossenschaftsfinanzierung geht es um die Lösung des Problems der Beschaffung von Finanzmitteln, die für die Verwirklichung der Ziele der Genossenschaftsunternehmung von Bedeutimg sind. Bei der großen Vielfalt des Genossenschaftswesens und der verschiedenen Genossenschaftsarten ergeben sich im Hinblick auf die Finanzierung auch sehr unterschiedliche Fragestellungen. Die Finanzierungsprobleme einer Genossenschaftsbank sind selbstverständlich ganz anders einzustufen, wie die einer Wohnungsbaugenossenschaft oder einer landwirtschaftlichen bzw. gewerblichen Warengenossenschaft. Trotzdem ergeben sich für alle Genossenschaften übereinstimmende und gleichartige Finanzierungsfragen, auf die im nachfolgenden eingegangen wird: -

Aus dem Unternehmensziel der Mitgliederförderung resultieren insofern spezifische Finanzierungsprobleme als häufig für weniger kapitalkräftige Mitgliederkreise eine wirtschaftliche Nutzenstiftung erreicht werden soll. Das von den Mitgliedern aufzubringende Beteiligungskapital ist somit grundsätzlich begrenzt. Das genossenschaftliche Förderungsziel erfordert auch spezielle Regelungen hinsichtlich der Liquidisierbarkeit und Fungibilität der Geschäftsanteile, wobei der Aspekt der reinen Kapitalbeteiligung am Genossenschaftsunternehmen in den Hintergrund tritt.

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Aus dem Personalitätsprinzip der Genossenschaft ergibt sich eine schwankende Kapitalbasis, da sich das Eigenkapital mit der jeweiligen Anzahl der Mitglieder verändert; der Selbstfinanzierung und der Reservenbildung kommt deswegen in Genossenschaften eine spezielle Bedeutung zu. Dem Personalitätsaspekt wird vor allem dadurch entsprochen, daß der Geschäftsanteil in besonderer Weise in dem Sinne an die Person des Mitglieds gebunden ist, daß er weder veräußert, noch vererbt werden kann. Aufgrund der Entscheidungsstruktur in Genossenschaften, insbesondere des Ein-Mann-Eine-Stimme-Prinzips, ist eine Hemmnis in der Zufuhr von Eigenkapital festzustellen, da auch bei vergrößerter Kapitalbeteiligung - durch Übernahme von zusätzlichen Geschäftsanteilen - die Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten nicht zunehmen.

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2. Kapitel: Die Merkmale

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von

Genossenschaften

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Die Haftungsbasis der Genossenschaft erfährt zum einen durch die Veränderung der Mitgliederzahl und der daraus resultierenden Anzahl der Geschäftsanteile einen laufenden Wandel, wobei bei Rückzahlung der Geschäftsguthaben im Falle der Kündigung der über Selbstfinanzierung entstandene Teil des Eigenkapitals grundsätzlich unangetastet bleibt. Für das Mitglied bedeutet dies jedoch, daß es keine Partizipation am Wert der Unternehmenssubstanz erfährt.

C. Finanzierungsquellen der Genossenschaft Die Herkunft des Kapitals der Genossenschaft ist eine zentrale Finanzierungsfrage, wobei es die grundsätzlichen Finanzierungsalternativen der Außen- und der Innenfinanzierung gibt. -

Bei der genossenschaftlichen Außenfinanzierung (externe Finanzierung) erfolgt eine Beschaffung von zusätzlichem von außen kommendem Eigen- bzw. Fremdkapital. Bei der externen Eigenfinanzierung der Genossenschaft (Beteiligungsfinanzierung) kann dies durch den Eintritt neuer Mitglieder und durch deren Übernahme von Geschäftsanteilen oder durch die Erhöhung der Geschäftsanteile, also durch die Aufstockung vorhandener Geschäftsanteile, erfolgen. So kann durch Satzungsänderung ein Geschäftsanteil von DM 500.- auf DM 1.000.- erhöht werden; dies bedeutet, daß durch die Mitglieder auf die übernommenen Geschäftsanteile eine zusätzliche und von außerhalb der Genossenschaft kommende Zahlung zu leisten ist. Bei der Fremd- oder Kreditfinanzierung werden die Finanzmittel im Sinne von Gläubigerkapital von außerhalb beschafft und zwar vor allem von Banken und Lieferanten.

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Zur Innenfinanzierung der Genossenschaft (interne Finanzierung) ist die Finanzierung aus Umsatzerlösen, also über die Genossenschaftspreise - etwa in Form von Abschreibungs- oder Rückstellungsgegenwerten - oder die Zurückhaltung von Gewinnen im Sinne von Rücklagen (Selbstfinanzierung) zurechnen. Hierzu zählen jedoch auch àie Finanzierung durch Vermögensumschichtung, z.B. durch den Verkauf von Vermögensteilen, z.B. von Reservegrundstücken und die daraus erzielten Einnahmeerlöse.

D. Beteiligungsfinanzierung der Genossenschaft Das Eigenkapital der Genossenschaft setzt sich aus dem Beteiligungskapital und den Rücklagen zusammen. Eine Beteiligungsfinanzierung ist dann gegeben, wenn der Genossenschaft über die Genossenschaftseigner Eigenkapital von außerhalb durch die Einlage von privaten Geldern der Haushalte (z.B. bei Genossenschaftsbanken oder Wohnungsbaugenossenschaften) oder von finanziellen Mitteln der Unternehmen (z.B. bei gewerblichen oder ländlichen Warenund Verwertungsgenossenschaften) zur Verfügung gestellt wird. Dieses Beteiligungskapital wird von den Mitgliedern - grundsätzlich unbefristet und ohne

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

SYSTEMATIK GENOSSENSCHAFTLICHER FINANZIERUNG

- Bankkredite - Lieferantenkredite - Hypothekarkredite - Mitgliederkredite - Mitarbeiterkredite

- Neue Mitglieder zeichnen Geschäftsanteile der - Erhöhung Geschäftsguthaben durch Einzahlungen auf Geschäftsanteile - Aufstockung der Höhe der Geschäftsanteile

- Nichtausschüttung von Gewinnen und Zuführung zur Rücklage

- Finanzierung aus der Freisetzung von Abschreibungen und Rückstellungen

- Bildung stiller Reserven durch Unterbewertung von Vermögen und Überbewertung von Passiva

- Finanzierung aus Vermögensumschichtung

feste Verzinsung - dem genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb überlassen und es begründet eine Teilhabe an der Mitgliederförderung bzw. am Unternehmensverlust und am Liquidationserlös. Über die Beteiligungsfinanzierung werden Eigentumsrechte an der Genossenschaftsunternehmung und Haftungsverpflichtung der Genossen für die Verbindlichkeit der Genossenschaftsunternehmung geschaffen. Die Anlässe für derartige Beteiligungsfinanzierungen können vor allem die Gründung, die Kapitalerhöhung und die Verschmelzung von Genossenschaften sein. Die Beteiligungsfinanzierung der Genossenschaft zeichnet sich gegenüber anderen Unternehmensformen durch folgende Besonderheiten aus: -

Die Abhängigkeit von genossenschaftlicher Mitgliedschaft und Kapitalbeteiligungist bereits seit Einführung des Genossenschaftsgesetzes im Jahre 1889 voll gegeben, nachdem es zuvor - insbesondere bei F.W. Raiffeisen -

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

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durchaus Überlegungen gab, auf die verpflichtende Übernahme von Geschäftsanteilen durch die Mitglieder zu verzichten. Nach dieser Vorstellung wurde der personalistische Charakter der Genossenschaft und ihre Funktion als Hilfsbetrieb für wirtschaftlich Schwache übermäßig stark in den Vordergrund gerückt. Heute ist jedoch durch die Genossenschaftsgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland festgelegt - nachdem darüber Klarheit besteht, daß i.d.R. die Kombination der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden, Unternehmerleistung und Kapital zur betrieblichen Leistungserstellung führt - daß man ohne Kapitalbeteiligung auch nicht Mitglied einer Genossenschaft werden kann. Dabei gilt aber auch die Umkehrsituation, daß eine Kapitalbeteiligung an der Genossenschaft ohne Mitgliedschaft nicht möglich ist. Der genossenschaftsspezifische Aspekt der Beteiligungsfinanzierung ist darin zu erblicken, daß sich die Mitglieder finanziell direkt am Genossenschaftsunternehmen beteiligen, damit sie in ihren Unternehmen bzw. Haushalten auch eine materielle Förderung durch den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb erfahren. -

Die Geschäftsanteile sind die in der Satzimg festgelegten Kapitalanteile (§ 7 Ziff. 2 GenG), durch die angegeben wird, bis zu welchem Höchstbetrag sich ein Mitglied an der Genossenschaft beteiligen kann. Die Geschäftsanteile sind nicht identisch mit der Beteiligung des Mitglieds am tatsächlichen Genossenschaftsvermögen, sondern sie bestimmen lediglich, in welcher Kapitalhöhe ein Unternehmer oder ein Haushalt bereit oder in der Lage ist, sich finanziell in der Genossenschaft zu engagieren, wobei die Kapitaleinbringung prinzipiell in Geld zu erfolgen hat. Für jedes Mitglied einer Genossenschaft besteht jedoch die Verpflichtung, Einzahlungen auf die Geschäftsanteile zu leisten, die entsprechend der Gesetzesvorschrift bis zu einem Gesamtbetrag von einem Zehntel des Geschäftsanteils nach Betrag und Zeit bestimmt sein müssen.

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Die Geschäftsguthaben sind jene Beträge, welche die Mitglieder der Genossenschaft auf die übernommenen Geschäftsanteile tatsächlich einbezahlt haben. Die Gesamtheit der Geschäftsguthaben der Genossenschaftsmitglieder ist identisch mit dem der Genossenschaft zur Verfügung gestellten Beteiligungskapital. Zum Geschäftsguthaben sind einerseits die auf die Geschäftsanteile zugeschriebenen Anteile am Genossenschaftsgewinn zuzurechnen, andererseits sind entstandene Verluste der Genossenschaft abzuziehen. Wenn keine anderen statutarischen Bestimmungen vorhanden sind, werden die Gewinnanteile so lange gutgeschrieben, bis die Höhe eines Geschäftsanteils erreicht worden ist. Da es sich bei den Geschäftsguthaben um eine Eigenkapitalbeteiligung am Genossenschaftsunternehmen mit vollem Risiko handelt, ist eine feste Verzinsung nicht möglich. Es wird jedoch grundsätzlich ein Teil des Genossenschaftsgewinnes als Kapitaldividende im Verhältnis der Geschäftsguthaben (§ 16 GenG (1)) an die Mitglieder verteilt. Die Genossenschaftsrechtsnovelle von 1974 hat unter bestimmten Bedingungen eine Zinszusage als zulässig erklärt. In der Praxis der Genossenschaften hat diese Regelung allerdings keine Bedeutung erlangt. Von

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

grundsätzlichem Belang ist letztlich auch, daß die Höhe der Geschäftsguthaben nicht jene des Geschäftsanteils übersteigen kann. Der Personalitätscharakter der Genossenschaft bedingt, daß unkündbare Eigenkapitaleinlagen über die Geschäftsanteile hinaus nicht zulässig sind, sie können höchstens als Fremdkapital eingestuft werden. - Die Höhe des Geschäftsanteils ist bei den verschiedenen Genossenschaftsarten sehr unterschiedlich; er muß allerdings durch die Satzung bestimmt werden, wobei zwar keine Mindest- und Höchstbeträge gesetzlich vorgeschrieben sind, jedoch die Geschäftsanteile für alle Mitglieder die gleiche Höhe aufweisen müssen. Der Geschäftsanteil muß nur auf volle DM lauten und könnte theoretisch mindestens DM l.~ betragen. In der Genossenschaftspraxis ist die Festlegung der Höhe des genossenschaftlichen Geschäftsanteiles eine wichtige unternehmenspolitische Entscheidung, die vor allem durch folgende Tatbestände bestimmt wird: - Durch die Kapitalintensität des Geschäftsbetriebes, die i.d.R. insbesondere bei Molkerei-, Winzer- und Wohnungsbaugenossenschaften sehr hoch, bei reinen Dienstleistungsgenossenschaften, z.B. Dolmetscher- oder Taxigenossenschaften, sehr niedrig ist; - durch den Umfang des Geschäftsbetriebes, der etwa bei überregionalen Warenhandelsgenossenschaften ganz erheblich ist (große Zentrallager, mehrere Filialbetriebe, hohe Lagerbestände) und hier deswegen auch relativ hohe Geschäftsanteile die Regel sind; - durch sozialpolitische Zielsetzungen, die z.B. bei Konsumgenossenschaften eine Rolle spielen und hier deshalb relativ niedrige Geschäftsanteile gewählt werden; - durch die Schaffung einer Basis zur Heranziehung von Fremdkapital, - durch die Schaffung einer Grundlage zur Kreditvergabe an Mitglieder undNichtmitglieder durch Genossenschaftsbanken, bei denen das Kreditvolumen nach dem KWG in einem bestimmten Verhältnis zum haftenden Eigenkapital stehen muß; - durch die Bereitschaft und Möglichkeit der Kapitalaufbringung über die Mitglieder, die insbesondere bei ländlichen Genossenschaften aufgrund der problematischen agrarischen Einkommenssituation begrenzt ist und somit die Geschäftsanteile als nicht zu hoch angesetzt werden können. Bei der Festlegung der Höhe der Geschäftsanteile befindet sich jede Genossenschaft in einem Zielkonflikt: Zum einen muß dem Kapitalbedarf des Geschäftsbetriebes Rechnung getragen werden, zum anderen ist zu berücksichtigen, daß sich i.d.R. weniger kapitalkräftige Wirtschaftskreise (gewerblicher und landwirtschaftlicher Mittelstand sowie Arbeitnehmer) Genossenschaften anschliessen und diese nicht durch zu hohe Geschäftsanteile von dem Beitritt zur Genossenschaft abgehalten werden dürfen. Durch Änderung der Genossenschaftsstatuten können die genossenschaftlichen Geschäftsanteile erhöht oder gesenkt werden, wobei für diese Entscheidung eine Drei-Viertel-Mehrheit der in der Generalversammlung erschienenen Mitglieder notwendig ist. Dies ist

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

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genossenschaftspolitisch vor allem deswegen von Bedeutung, weil durch die Veränderung der Höhe der Geschäftsanteile, auch die Haftpflicht für die Genossenschaftsmitglieder verändert wird und ihnen deswegen eine besondere Mitentscheidungsbefugnis zuzuerkennen ist. Die Mehrfachbeteiligung über Geschäftsanteile an der Genossenschaft ist in einer doppelten Weise zu sehen: -

Zum einen wird in § 7a (1) GenG die Möglichkeit zur Übernahme mehrerer Geschäftsanteile geschaffen. Dies ist vor allem dann sinnvoll und notwendig, wenn die Zufuhr von Beteiligungskapital durch Aufnahme neuer Mitglieder in die Genossenschaft unmöglich ist und dies nur dadurch erreicht wer den kann, daß die alten Genossenschaftsmitglieder weitere Geschäftsanteile übernehmen. Dabei ist auch von Bedeutung, daß solche freiwillig übernommenen Geschäftsanteile unter Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft gekündigt werden können.

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Zum anderen tritt die sogenannte Staffelbeteiligung dann auf, wenn eine Pflichtbeteiligung der Mitglieder mit mehreren Geschäftsanteilen statutarische festgelegt wird. Der § 7a (2) GenG bestimmt, daß diese Pflichtbeteiligung entweder für alle Mitglieder gleich zu sein hat oder sich vor allem nach dem Umfang der Inanspruchnahme von Einrichtungen bzw. von anderen Leistungen der Genossenschaft durch die Mitglieder richten muß. In der Genossenschaftspraxis tritt diese Pflichtbeteiligung über Genossenschaftsanteile bei Wohnungsbaugenossenschaften (bei Übernahme einer größeren Wohnung sind auch mehr Geschäftsanteile zu zeichnen), bei Molkereigenossenschaften (bei Erhöhung der Zahl der Milchkühe oder der Milchablieferungsmenge werden zusätzliche Geschäftsanteile obligatorisch) oder bei Genossenschaftsbanken (die Höhe des eingeräumten oder in Anspruch genommenen Kredites bestimmt die Anzahl der zu übernehmenden Geschäftsanteile) auf.

Als Probleme zur Bildung genossenschaftlichen Beteiligungskapitals sind besonders herauszustellen: -

Die relativ kapitalschwachen Genossenschaftsmitglieder können keine höheren Geschäftsanteile oder freiwillig zusätzliche Geschäftsanteile übernehmen, die dem Kapitalbedarf der Genossenschaft entsprechen.

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Sofern eine Ausrichtung der Höhe des Geschäftsanteils an dem Grenzgenossen (G. Draheim), d.h. dem kapitalschwächsten Mitglied erfolgt, kann ebenfalls eine ausreichende externe Kapitalzufuhr für den Geschäftsbetrieb gefährdet sein. In dieser Situation würde allerdings die Möglichkeit bestehen, daß die kapitalstärkeren Genossenschaftsmitglieder zum Ausgleich dafür zusätzliche Geschäftsanteile zeichnen können. Wenn sie davon Abstand nehmen, so muß dies bestimmte Gründe haben, die in der Struktur der genossenschaftlichen Beteiligungsfinanzierung liegen.

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Wenn zur Interessensweckung breiter Bevölkerungskreise für den Eintritt in die Genossenschaft eine relativ"niedrige Einzahlung" auf den Geschäftsanteil angesetzt und lediglich die Gewinnanteile im Laufe der Jahre gut-

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2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

geschrieben werden, kann der externe Kapitalzufluß zur Stärkung der Eigenkapitalbasis der Genossenschaft ebenfalls beeinträchtigt sein. Die Begrenzung der Mitgliederzahl bzw. eine nicht beliebige Vermehrung der Zahl der Genossenschaftsmitglieder ergibt sich häufig aus der Geschäftstätigkeit der Genossenschaft (Winzer-, Molkerei-, Warenhandelsgenossenschaft), so daß kein zusätzliches Kapital durch eine quantitative Erweiterung des Mitgliederbestandes in die Genossenschaft hereinkommt. Es gibt in einer Region eben nur eine bestimmte Anzahl von Winzern mit entsprechenden Grundstücken, auf denen sie Wein anbauen; ihre Zahl kann zur Stärkung der genossenschaftlichen Beteiligungsfinanzierung nicht vergrößert werden. Das Eine-Mann-Eine-Stimme-Prinzip bewirkt, daß keine Anreize zur Übernahme weiterer Geschäftsanteile mit der Absicht eines vermehrten Einflusses auf die Genossenschaft besteht. Aufgrund der demokratischen Entscheidimgsstruktur der Genossenschaft ergibt sich somit die Situation, daß freiwillig zusätzlich übernommene Geschäftsanteile zwar das Kapitalrisiko erhöhen, jedoch keine vergrößerte Entscheidungsbefugnis für das Mitglied bedingen. Dies kann jedoch zur Folge haben, daß auf den Erwerb weiterer Geschäftsanteile verzichtet wird, obwohl bei den Genossen entsprechendes Kapital vorhanden wäre. Die mangelnde Stabilität des genossenschaftlichen Beteiligungskapitals resultiert auch daraus, daß bei einem Ausscheiden der Mitglieder aus der Genossenschaft eine Auszahlung des Geschäftsguthabens erfolgen muß, so daß hierzu dem Geschäftsbetrieb Beteiligungskapital - wenn auch erst nach einer gewissen Frist, längstens nach 5 Jahren der Kündigung des Geschäftsanteils - entzogen wird. Dieser Anspruch der Mitglieder auf Auszahlung des Geschäftsguthabens und der Erwerb von Geschäftsanteilen durch neue Mitglieder, bedingt, daß sich das Eigenkapital der Genossenschaft laufend verändert. Kritisch kann die Finanzlage für die Genossenschaft insbesondere dann werden, wenn - etwa in Krisenzeiten des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes - eine größere Anzahl von Genossenschaftsmitgliedern ihre Anteile aufkündigen würde. Eine zusätzliche Haftpflicht ergibt sich für die Mitglieder, wenn sie weitere Geschäftsanteile erwerben oder die vorhandenen Geschäftsanteile durch Statutenänderung wertmäßig heraufgesetzt wurden. Zwar kann seit 1974 die Haftsumme durch Satzungsfestlegung auf nur einen Geschäftsanteil begrenzt Werden; in der Genossenschaftspraxis hat sich allerdings diese Regelung nicht durchgesetzt. Die Haftimgsbestimmungen können sicherlich dazu führen, daß die Bereitschaft der Mitglieder zur Aufbringung weiteren Beteiligungskapitals eingeschränkt wird. Die Nichtteilhabe am inneren Wert der Genossenschaft ergibt sich für ausscheidende Mitglieder deshalb, weil sie lediglich die eingezahlten Geschäftsguthaben zurückbezahlt bekommen und sie auf die Rücklagen keinen Anspruch haben. Seit Inkrafttreten der Genossenschaftsrechts-

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Genossenschaften

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novelle von 1974 besteht zwar für die Genossenschaft die Möglichkeit, für austretende Mitglieder einen speziellen Reservefonds einzurichten, und sie somit an der während der Zeit ihrer Mitgliedschaft gewachsenen Unternehmenssubstanz zu beteiligen. Die aus der Genossenschaft ausscheidenden Mitglieder erhalten in diesem Fall neben ihrem nominellen Geschäftsguthaben einen zusätzlichen Kapitalanteil ausbezahlt. Obwohl hierdurch sicherlich eine Steigerung des finanziellen Interesses am genossenschaftlichen Geschäftsanteil zustande käme, hat sich in der Genossenschaftspraxis dieser in § 73 Abs. 3 GenG festgelegte "Beteiligungsfonds" nicht durchgesetzt. Zur Lösung dieses Problems wurden auch Überlegungen angestellt, ein Förderkapital einzurichten, das selbständig neben den Geschäftsguthaben geführt wird und das in übertragbare Anteile zerlegt werden könnte. -

Eine relativ lange Nachhaftung ist für die ausscheidenden Genossenschaftsmitglieder bei einer Genossenschaft mit unbeschränkter und beschränkter Haftung vorhanden. Immerhin kann das Mitglied noch 18 Monate nach Eröffnung des Konkursverfahrens über das Genossenschaftsvermögen zur Erfüllung der Verbindlichkeiten in Anspruch genommen werden ( § 115 b GenG). Obwohl die Mitglieder in den Organen der Genossenschaft nach ihrem Ausscheiden nicht mehr mitbestimmen können, werden sie also noch nach einer langen Periode der Abwesenheit finanziell zur Rechenschaft gezogen.

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Der geringe Grad der Liquidisierbarkeit von Geschäftsguthaben resultiert daraus, daß das Mitglied die Kündigungsfrist - bis zu 5 Jahren abwarten muß, bevor eine Rückzahlung seines Geschäftsguthabens durchgeführt wird.

Die Probleme der genossenschaftlichen Beteiligungsfinanzierung lassen die besonderen Finanzierungsrisiken der Genossenschaft im Vergleich zu anderen Unternehmensformen erkennen. Sicherlich wird es notwendig sein, weiterhin Überlegungen über eine verstärkte Bildung von Beteiligungskapital in der Genossenschaft anzustellen. Den oben erörterten Nachteilen stehen allerdings gewisse Vorteile in der Beschaffung von externem genossenschaftlichen Eigenkapital gegenüber, etwa die hohe Flexibilität der Beteiligung von Mitgliedern durch die Nichtfestsetzung eines Mindestbetrages für die Geschäftsanteile und die Möglichkeit einer ratenweisen Aufstockung der Geschäftsguthaben über Dividendengutschriften. Die Probleme überwiegen jedoch und haben letztlich dazu geführt, daß zum einen die Selbstfinanzierung der Genossenschaft im Verhältnis zur Beteiligungsfinanzierung ein Übergewicht erhielt und zum anderen teilweise Bestrebungen bestehen - die auch schon in gewissem Umfange in Realität umgesetzt wurden - die eG in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Die genossenschaftliche Aktiengesellschaft wird - neben anderen Ursachen gerade aus finanzpolitischen Aspekten gegründet. Sie ist eine Genossenschaft in der Rechtsform einer AG, bei der in der Satzung die Mitgliederförderung als verbindliches Ziel und eine demokratische Entscheidungsstruktur verpflich-

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2. Kapitel: Die Merkmale

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Genossenschaften

tend festgelegt wurde, was bedeutet, daß bei Abstimmungen nicht primär die Höhe der Kapitalbeteiligung zählt. Bei der Beteiligungsfinanzierung hat sie gegenüber der eG vor allem die folgenden Vorteile: - Die Konstanz des Beteiligungskapitals wird dadurch gewährleistet, daß wenn man sich von einer Aktie trennen will, keine Kündigung mit anschließender Auszahlung des Geschäftsguthabens nötig ist, sondern lediglich ein Verkauf der Aktien eintritt. Dies bedeutet, daß der neue Eigentümer der Aktie die Beteiligungsrechte übernimmt und das Grundkapital unverändert bleibt. Man muß jedoch erst einen Käufer finden, um sich von der Aktie trennen zu können. - Die Teilhabe am inneren Wert der AG ist bei Ausscheiden dadurch gewährleistet, daß der Kurswert der Aktie grundsätzlich die tatsächliche Unternehmenssubstanz durch die Einstufung des Marktes widerspiegelt. - Ein hohes Maß an Liquidität ist bei der Aktie deswegen gegeben, weil sie aufgrund ihrer unmittelbaren Veräußerung dem Verkäufer direkt eine Geldeinnahme sichert. - Es ist bei der Aktie nach dem Verkauf keine Nachhaftungspflicht vorhanden, weil das gesamte Beteiligungsrisiko auf den neuen Eigentümer der Aktie übergeht. Obwohl aus diesen finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten zunächst die AG als die für die Beteiligungsfinanzierung sinnvollere Unternehmensform angesehen werden könnte, muß beachtet werden, daß eine Reihe von Finanzierungsproblemen speziell auf die ökonomische und soziologische Situation der Mitglieder zurückzuführen ist, die sich bei einer Umwandlung der eG in eine AG auch nicht verändert. In einzelnen Fällen wäre sicherlich die Umwandlung einer eG in eine genossenschaftliche Aktiengesellschaft in Erwägung zu ziehen, auf breiter Basis wäre dies jedoch nicht sinnvoll. Dies vor allem deswegen, weil es eine Reihe von erschwerten Bedingungen und Kosten, vor allem aus Vorschriften des Aktienrechtes gibt, die letztlich doch die Überlegenheit der Rechtsform der eG erkennbar werden lassen. E. Selbstfinanzierung der Genossenschaft Unter Selbstfinanzierung versteht man die gesamte oder teilweise Zurückbehaltung von Gewinnen in der Unternehmung; dies setzt natürlich voraus, daß zuvor auch eine Gewinnerwirtschaftung stattgefunden hat. Es verbleiben Finanzmittel im Unternehmen, die ansonsten zur Ausschüttung verwandt worden wären und die zur Bildung von Eigenkapital führen. Dieses wird von den Unternehmenseignern indirekt den Unternehmen zur Verfügimg gestellt, weil sie auf die Gewinnausschüttung verzichten. Nach der Art des Sichtbarwerdens des im Unternehmen zurückbehaltenen Gewinnes in der Bilanz wird zwischen offener und stiller Selbstfinanzierung differenziert. Im ersten Fall wird die Erhöhung des Eigenkapitals aus der Bilanz ersichtlich, z.B. über die Zunahme der Rücklagen, während im zweiten Fall zwar eine Steigerung des Realkapi-

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Die Merkmale

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Genossenschaften

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tals eintritt, etwa im Sinne der Unterbewertung von Vermögensanteilen, jedoch dies in der Bilanz nicht erkennbar wird. Die Selbstfinanzierung ist über die Erwirtschaftung und Zurückbehaltung von Gewinnen die wichtigste Form der betrieblichen Innenfinanzierung, deren Dimension durch den positiven Unterschied zwischen Gewinn und Ausschüttung festgelegt wird. -

Der Gewinnbegriff ist aus betriebswirtschaftlicher Perspektive der Überschuß der Erträge über die Aufwendungen einer Rechnungsperiode bzw. eines Umsatzaktes oder der Mehrbetrag zwischen dem Eigenkapital am Anfang der Geschäftsperiode und dem Eigenkapital am Ende der Periode, abzüglich der Kapitaleinlagen und zuzüglich der Kapitalentnahmen. Der Gewinn kann zum einen aus dem betrieblichen Umsatzprozeß und zum anderen aus positiven Wertveränderungen am ruhenden Betriebsvermögen entstehen. Beim Genossenschaftsgewinn wäre eigentlich zunächst das Verhältnis zwischen der Mitgliederförderung und der Gewinnerzielung des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes zu berücksichtigen, da das Recht auf Gewinnbeteiligung abdingbar ist, das Recht des Mitglieds auf Förderung jedoch nicht. Der § 19 GenG fuhrt hier allerdings eine problematische Vereinfachung der Situation herbei, in dem er einfach von dem handelsrechtlichen Gewinnbegriff als dem aus dem Umsatzprozess resultieren den Einkommenszuwachs bzw. der Differenz von Erträgen und Aufwendungen in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgeht und das Förderungsrecht der Mitglieder nicht klar berücksichtigt.

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Die offene Selbstfinanzierung der Genossenschaft kann freiwillig oder als Konsequenz gesetzlicher Regelungen erfolgen: - So ist nach § 7,3 GenG die gesetzliche Vorschrift der Bildung eines Reservefonds zwingend gegeben. Das Genossenschaftsgesetz schreibt jedoch keine bestimmte Höhe eines Mindestsatzes für die Rücklagenbildung vor; es wird nur festgelegt, daß in der Satzung ausgewiesen wird, wie hoch der Teil des jährlichen Reingewinnes zu sein hat, welcher in die gesetzliche Rücklage fließt und welche Höhe der Mindestbetrag der Rücklagenbildung auszumachen hat. -

Die Verlustausgleichsfunktion wird nach dem Genossenschaftsgesetz als der primäre Zweck des Reservefonds angesehen, wobei hierzu allerdings zur Abdeckung von Bilanzverlusten auch die Geschäftsanteile der Mitglieder herangezogen werden können und auf ein Zurückgreifen auf den Reservefonds verzichtet werden konnte. - Die Stabilisierungsfunktion der Rücklagen hinsichtlich der genossenschaftlichen Eigenkapitalausstattung - dies gilt für die gesetzliche und freie Rücklage - kann jedoch als deren eigentliche Aufgabe angesehen werden. Dies ergibt sich daraus, daß die Mitglieder bei Ausscheiden aus der Genossenschaft grundsätzlich nicht an den Rücklagen partizipieren. Somit bilden die Rücklagen - im Vergleich zum Beteiligungskapital - den wirklich stabilen Teil des Eigenkapitals. Die diesbezügliche Eigenkapitalentwicklung hängt natürlich zunächst einmal von der Höhe des Ge-

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

nossenschaftsgewinnes, aber auch von der Bereitschaft der Generalversammlung ab, einen bestimmten Anteil des Gewinnes der Rücklage zuzuführen. Grundsätzlich gilt, daß je höher der Ausweis der Rücklage ist, desto günstiger dies für die Eigenkapitalentwicklung des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes ist. Knch. freiwillige zweckgebundene oder zweckfreie Rücklagen können neben der gesetzlichen Rücklage gebildet und in der Bilanz offen ausgewiesen werden. Durch das Genossenschaftsstatut wird festgelegt, in welcher Weise dies zu erfolgen hat. Die zweckfreien Rücklagen erhöhen die Dispositionsfähigkeit und die Elastizität des Genossenschaftsmanagements, während zweckgebundene Rücklagen den Mitgliedern deutlich machen, aus welchem Grund - der prinzipiell mit der Förderung ihrer Mitgliederwirtschaften in Beziehung steht - sie auf eine Gewinnausschüttung verzichten. In der Genossenschaftspraxis sind diese freien Rücklagen im Durchschnitt relativ hoch, was daraufhinweist, daß die Mitglieder der Genossenschaften an deren langfristiger Substanzerhaltung über diese Art der Selbstfinanzierung ein großes Interesse haben. Die stillen Reserven in Genossenschaften entstehen - wie auch in anderen Unternehmen - dadurch, daß in der Bilanz Vermögensteile unter- bzw. Verbindlichkeiten überbewertet werden. Sie kommen durch bilanzielle Regelungen vor allem dann zustande, wenn erwirtschaftete Gewinne bzw. vollzogene Wertsteigerungen durch Bewertungsmaßnahmen in der Bilanz nicht erfaßt oder in Passivposten nicht ersichtlich werden. Im einzelnen sind nach G. Wöhe die folgenden Situationen denkbar: -

Unterbewertung von Vermögensobjekten, etwa von Grundstücken, Vorräten oder Halb- und Fertigfabrikaten; - Nichtaktivierung aktivierungsfähiger Wirtschaftsgüter, z.B. von erworbenen immateriellen Wirtschaftsgütern oder geringwertigen Wirtschaftsgütern; - Unterlassung der Zuschreibung von Wertsteigerungen, etwa bei Wertsteigerungen über die Anschaffungskosten oder bei zuvor schon ganz abgeschriebenen Wirtschaftsgütern; - Überbewertung von Passivposten in der Bilanz, vor allem bei zu hoch angesetzten Rückstellungen. In steuerlicher Hinsicht gibt es zwischen offenen und stillen Rücklagen einen grundlegenden Unterschied: - Die offenen Rücklagen müssen aus dem versteuerten Gewinn erfolgen, so daß das der Unternehmung zur Verfügung stehende Kapital um die Körperschaftssteuerabzüge reduziert wird. - Die stillen Rücklagen bewirken eine NichtVersteuerung der Gewinne, weil diese in der Bilanz überhaupt nicht auftreten. Werden sie allerdings zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst, so ergibt sich die Steuerpflicht; zunächst ist jedoch bis dahin eine Steuerstundung und eine besondere

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

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Liquiditätshilfe gegeben, mit augenblicklich positiven Wirkungen auf die Rentabilität der Genossenschaftsunternehmung. Die Vorteile der Selbstfinanzierung für die Genossenschaft liegen in folgenden Tatbeständen: - Es ergeben sich keine Dividendenverpflichtungen aus diesem über Selbstfinanzierung gebildeten Teil des genossenschaftlichen Eigenkapitals. - Es wird über die Selbstfinanzierung ein genossenschaftliches Dauerkapital ohne RückZahlungsverpflichtung gebildet, das zur Erfüllung der Aufgaben der Genossenschaft - insbesondere der Mitgliederforderung langfristig zur Verfügung steht. - Eine kostengünstige Beschaffung von Eigenkapital ist über die Selbstfinanzierung möglich, da weder Fremdkapitalzinsen, noch Zins- und Dividendenzahlungen auf Geschäftsguthaben erfolgen müssen. - Eine Erhöhung der Unabhängigkeit des Genossenschaftsmanagements kann als Folge der Selbstfinanzierung angeführt werden, da sich weder eine Veränderung der Mitgliederz ahl und -struktur - wie bei der Beteiligungsfinanzierung - ergibt, noch bei einem großen Teil über Selbstfinanzierung aufgebrachten Eigenkapital keine Zweckbindung vorhanden ist, so daß freie unternehmerische Dispositionen im Hinblick auf die Zielsetzung der Genossenschaftsunternehmung möglich werden. -

Eine Verbesserung der Ertragslage und der Liquidität der Genossenschaft ist deswegen möglich, weil sich kein Zinsaufwand ergibt. - Eine Förderung der Kreditwürdigkeit der Genossenschaft erfolgt über die Selbstfinanzierung dadurch, daß sich - im Vergleich zum Beteiligungskapital - eine konstante Eigenkapitalausstattung des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes einstellt. - Eine kontinuierliche Gewinnausschüttung in unterschiedlichen Konjunkturlagen wird insbesondere durch das Wechselspiel der Bildung und Auflösung stiller Reserven möglich. Dies ist gegenüber den Mitgliedern, die in der Regel eine hohe Empfindlichkeit bei starken Schwankungen der Dividendenzahlungen haben, von großer Bedeutung. Als Nachteile der Selbstfinanzierung für die Genossenschaft können angeführt werden: -

Es kann zu Fehlkalkulationen und Fehlinvestitionen durch die günstige Kapitalausstattung kommen; dies resultiert vor allem daraus, daß wegen nicht aufzubringender Fremdkapitalzinsen und Tilgungen bei Investitionen die notwendige Rentabilitätsorientierung in den Hintergrund gestellt wird oder unterbleibt. - Eine Ablenkung vom Förderungsziel ist bei einer umfassenden Eigenkapitalausstattung der Genossenschaft über Rücklagen denkbar, weil eine zu große Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Genossenschaftsmanagements entstehen und der Geschäftsbetrieb zum Selbstzweck werden kann.

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2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

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Ein Zielkonflikt zwischen Beteiligungs- und Selbstfinanzierung kann daraus resultieren, daß bei permanent hohen Zuweisungen zur offenen Rücklage bzw. umfassender Bildung stiller Reserven, die Dividende auf die Geschäftsguthaben unattraktiv wird, so daß Mitglieder davon abgehalten werden, weitere Geschäftsanteile zu zeichnen bzw. neue Genossenschaftsmitglieder nicht gewonnen werden können. Diese Zurückhaltung hinsichtlich neuer Geschäftsanteile resultiert auch daraus, daß die Mitglieder bei ihrem Austritt an der Substanz des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes nicht beteiligt sind.

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Die Grenzen der Selbstfinanzierung liegen aber auch in der Wettbewerbssituation der Genossenschaften, insbesondere mit nichtgenossenschaftlichen Unternehmen, die eine Hochpreispolitik beim genossenschaftlichen Zweckgeschäft der Genossenschaft auf Beschaffungs- und Absatzmärkten und damit eine entsprechende Gewinnerzielung nicht zulassen; außerdem ist zu berücksichtigen, daß zwischen der Preisstellung gegenüber den Mitgliedern und der Gewinnerzielungsmöglichkeit des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes ein ständiger Widerspruch vorhanden ist. Je günstiger die Preise für die Genossenschaftsmitglieder angesetzt werden, desto geringer wird der Gewinn der Genossenschaft und die Möglichkeit der Bildung von Rücklagen.

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Eine gewisse Bilanzverschleierung ergibt sich aus der Bildung stiller Reserven für die Mitglieder, die potentiellen Mitglieder und die Öffentlichkeit, weil aufgrund der Unter- und Überbewertung von Bilanzpositionen die Aussagekraft der Bilanz verringert wird. Die Genossenschaftsmitglieder sind jedoch in besonderem Maße auf objektive Bilanzinformationen angewiesen, wenn sie in der Generalversammlung oder Vertreterversammlung qualifiziert mitbestimmen wollen.

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Aufgrund der genossenschaftlichen Entscheidungsstruktur - über die Gewinnverwendung wird in der Generalversammlung bzw. Vertreterversammlung entschieden - ist es denkbar, daß eine Selbstfinanzierung der Genossenschaft über Rücklagenbildung erschwert wird, weil die Mitglieder in erster Linie an einer Ausschüttung der Gewinne interessiert sein und entsprechende Vorschläge des Vorstandes einer Gewinnzuweisung in den Reservefonds ablehnen können.

F. Finanzierungen durch Freisetzung und Umschichtung von Kapital Die nachfolgend aufgeführten Finanzierungsarten treten bei allen Unternehmen auf und haben keine spezifischen Ausprägungen in den Genossenschaften. -

Die Abschreibungsfinanzierung ist jener Vorgang, durch den gebundenes Kapital freigesetzt und vorübergehend für andere Finanzierungszwecke verwandt werden kann. Die Abschreibung hat die Funktion, für solche Wirtschaftsgüter, die eine mehij ährige Nutzungsdauer aufweisen, die An-

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Die Merkmale

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Genossenschaften

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schaffungs- und Herstellungskosten auf die Nutzungszeit aufzuteilen. Die Kapazität des Unternehmens soll in der Weise erhalten bleiben, daß bei Anlagen, deren Nutzungsdauer abgelaufen ist, ein Ersatz durch Neukauf erfolgen kann. Dies soll dadurch geschehen, daß die durch den Absatz der Erzeugnisse im Preis vom Markt vergüteten Abschreibungsgegenwerte in die neuen Anlagen investiert werden. Die im Anlagevermögen investierten Geldbeträge werden dadurch jedoch im Zeitablauf frei und da dies bereits zu einer Zeit geschieht, bevor die Reinvestitionen in die neuen Anlagen vorgenommen werden, kann der Betrieb bis zu deren Wiederbeschaffung die freigesetzten Finanzmittel für andere Zweige der Unternehmensfinanzierung einsetzen. Durch die Abschreibungsfinanzierung findet jedoch keine Kapitalvermehrung und deswegen auch keine Erweiterung der Aktiv- bzw. Passivseite der Bilanz statt; sie ist lediglich als ein Aktivtausch in dem Sinne zu sehen, daß das Anlagevermögen Werte abgibt, die vom Umlaufvermögen vorübergehend aufgenommen werden. Für die Unternehmen allgemein und für jene Genossenschaften, die auf Märkten mit einer harten Wettbewerbskonfrontation oder auf stagnierenden Märkten tätig sind - etwa landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaften - ergibt sich natürlich das Problem, ob es überhaupt möglich ist, auf den Absatzmärkten jene Preise zu erzielen, welche mindestens zu einer Deckung der Selbstkosten beitragen. Sollte dies nicht möglich sein, so ist die Abschreibungsfinanzierung auch nicht funktionsfähig. Die Rückstellungsfinanzierung bezieht sich in erster Linie auf Pensionszusagen der Unternehmen, die gerade bei Genossenschaften, selbst bei kleineren, sehr häufig vorkommen. Das Unternehmen verpflichtet sich dabei vertraglich, den Arbeitnehmern beim Ausscheiden aus dem Unternehmen und dem Eintritt in das Pensionsalter, eine zusätzliche Alters-, Invalidenoder Hinterbliebenenversorgung zu bezahlen; schon Jahre vor Eintreten dieser Zahlungsverpflichtungen können diese Pensionsansprüche als Rückstellungen in die Bilanz aufgenommen werden. Günstig für das Unternehmen ist, daß sie als Aufwand bzw. Betriebsausgabe den Gewinn in der Bilanz reduzieren, ohne daß konkret Auszahlungen geleistet werden müssen. Da es sich bei diesen Pensionszusagen um zu erfüllende Verpflichtungen handelt, sind sie als Fremdkapital anzusehen, das allerdings nicht von außen in das Unternehmen hereingebracht wird, sondern aus dem betrieblichen Leistungsprozess heraus entstanden ist. Für das Unternehmen ergibt sich der Finanzierungseffekt daraus, daß die zurückgestellten Finanzmittel langfristig zur Verfugung stehen, da sie erst sukzessive für die Pensionszahlungen zu einem späteren Zeitpunkt verwandt werden müssen und damit in der Gegenwart für betriebliche Finanzierungsvorgänge verwendbar sind. Auch bei der Umschichtungsfinanzierung kommt es zu einer innerbetrieblichen Kapitalfreisetzung durch Vermögensumschichtung in dem Sinne, daß schon früher investierte Finanzmittel wieder zu Geld werden und dem Unternehmen im Sinne von verfugbaren Finanzmitteln zur Verfugung stehen. Der gleiche Effekt wird durch die Veräußerung von Vermögensteilen erreicht.

242

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Als Beispiele für diese Art der betrieblichen Innenfinanzierung, die für alle Unternehmen gilt und bei der es keine genossenschaftsspezifischen Besonderheiten gibt, können angeführt werden: Durch Verkürzung der Zahlungsziele kommt es zu einem Abbau der Kundenforderungen und zu einer Erhöhung der Barmittel, Verkauf von Wertpapieren, Grundstücken, Beteiligungen an anderen Unternehmen, Verringerungen der betrieblichen Läger. Es wird bei dieser Art der Finanzierung kein zusätzliches Kapital dem Unternehmen zugeführt, sondern es findet auch hier ein Aktivtausch statt, der jedoch bewirkt, daß das Unternehmen aus dem ihm zur Verfügung stehenden Finanzierungspotential, Reinvestitionen oder zusätzliche Investitionen finanzieren und damit augenblicklich bereits das betriebliche Kapazitätsvermögen vergrößern kann. G. Fremdfinanzierung der Genossenschaft Die Fremdfinanzierung, auch Kreditfinanzierung genannt, ist in erster Linie eine Außenfinanzierung der Unternehmung, sie kann jedoch auch - wie der Fall der Pensionsrückstellungen zeigt - Innenfinanzierung sein. Grundsätzlich kann die Fremdfinanzierung dadurch charakterisiert werden, daß dem Unternehmen Kapital von außen zugeführt wird und dadurch Gläubigerrechte entstehen. Durch die Kapitalaufhahme wird kein Eigentum am Unternehmen erworben, sondern der Gläubiger tritt mit ihm lediglich in eine schuldrechtliche Beziehimg. Allgemein kann festgestellt werden, daß es für die Genossenschaften insgesamt keine Fragen der Fremdfinanzierung gibt, die für alle - etwa aus dem Wesen der Genossenschaft oder durch genossenschaftsrechtliche Regelungen heraus - von Bedeutung wären. Bei den vielfältigen Arten von Genossenschaften - Genossenschaftsbanken, gewerbliche Warengenossenschaften, Genossenschaft auf Bundesebene, landwirtschaftliche Warengenossenschaften, die stark in das Verbundsystem integriert sind, Verwertungs- und Konsumgenossenschaften, Wohnungsbau- und Dienstleistungsgenossenschaften - haben Fremdfinanzierungsprobleme weniger aus Genossenschaftsgesichtspunkten, sondern vielmehr aus der jeweiligen Branchensituation heraus ihre Bedeutung. Die Fremdfinanzierung in Genossenschaften erlangt jedoch deswegen eine steigende Bedeutung, weil aufgrund des Unternehmenswachstums und der teurer gewordenen Geschäftsausstattung sowie der höheren Anlageintensität der Genossenschaften auch ein größerer Kapitalbedarf gegenüber früher entstanden ist, der über Beteiligungs- oder Selbstfinanzierung kaum abgedeckt werden kann. Auch ist von vornherein klar, daß etwa eine Wohnungsbaugenossenschaft mit ihrer umfassenden Gebäudefinanzierung in wesentlich stärkerem Umfange auf Fremdkapital zurückzugreifen hat, als dies beispielsweise bei einer reinen Dienstleistungsgenossenschaft ohne größere Kapitalausstattung der Fall ist. Zu den Besonderheiten der Fremdfinanzierung sind, vor allem im Gegensatz zur Beteiligungsfinanzierung, folgende Tatbestände zu rechnen: - Als Gläubiger haben die Kapitalgeber keine Mitentscheidungsrechte in der Unternehmensführung;

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

243

-

das Fremdkapital wird gegen fest vereinbarten Zins überlassen und partizipiert nicht, wie das Beteiligungskapital, am Gewinn - aber auch nicht am Verlust - der Unternehmung; - es besteht eine zeitliche Befristung der Kapitalüberlassung, da dieses gleichgültig ob Bank- oder Lieferantenkredit - nach einer gewissen Zeit wieder an den Gläubiger zurückgezahlt werden muß; - beim Fremdkapital ist keine Teilhabe am Vermögenszuwachs der Unternehmung gegeben, sondern es muß in der ursprünglich zur Verfügung gestellten nominalen Höhe an den Gläubiger zurückgezahlt werden; - eine Liquiditätsbelastung ist für das Unternehmen aufgrund der zu leistenden Zahlungen für Zinsen und Tilgungen für das Fremdkapital gegeben, was bei Absatzstockungen zu Unternehmenskrisen fuhren kann. Diese Charakteristika der Fremdfinanzierung treffen auch voll auf die Genossenschaften zu. Die Arten des Fremdkapitals können nach der Herkunft des Kapitals, der Dauer der Kapitalüberlassimg, der rechtüchen Sicherung des Fremdkapitals und dem Gegenstand der Kapitalübertragung auf die Unternehmung (Geld- oder Sachkredite) differenziert werden. Bei der Fremdkapitalherkunft kann folgende Unterscheidung getroffen werden: - Als Finanzkredit ist jedes Fremdkapital anzusehen, das den Unternehmen von Kreditinstituten zur Verfugung gestellt wird; dazu gehören: Akzeptkredit, Diskontkredit, Kontokorrentkredit, Lombardkredit, Bankdarlehen u.a.. Es kann jedoch auch Fremdkapital von anderen Unternehmen bzw. Haushalten im Sinne von Darlehen oder Obligationen aufgenommen werden. - Bei den Lieferantenkrediten handelt es sich um die Stundung des Kaufpreises; dies hat im Geschäftsverkehr, gerade auch bei Genossenschaften, eine ganz erhebliche Bedeutung. - Die Kundenkredite resultieren daraus, daß Kunden gegenüber Unternehmen Anzahlungen leisten, noch bevor sie bestimmte Leistungen ausgeliefert bekommen haben. - Die Mitgliederdarlehen spielen in einzelnen Genossenschaftsarten eine nicht geringe Rolle. Die Genossenschaftsmitglieder beteiligen sich hier nicht am Eigenkapital der Genossenschaft, sondern sie stellen ihrem genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb Fremdkapital zur Verfügung, das eine Verzinsung erfährt. Typisches Beispiel für derartige Mitgliederdarlehen sind die Spareinrichtungen der Wohnungsbaugenossenschaften, die darin bestehen, daß Mitglieder Spareinlagen tätigen, die von der Wohnungsbaugenossenschaft relativ günstig verzinst und der genossenschaftliche Geschäftsbetrieb somit in die Lage versetzt wird, beim Neubau oder bei der Finanzierung von Modernisierungsmaßnahmen auf relativ günstiges Fremdkapital zurückgreifen zu können, das grundsätzlich günstiger liegt als bei Bankkrediten.

244

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossensehaften

-

Eine Sperrung des Zugangs zum Kapitalmarkt ist für Genossenschaften insofern gegeben, als wertpapierrechtlich verbrieftes langfristiges Fremdkapital, etwa Industrieobligtationen oder Wandelschuldverschreibungen, von ihnen nicht beschafft werden können. Die Sicherheit des an Genossenschaften ausgeliehenen Fremdkapitals für die Gläubiger ist wie folgt einzustufen: - Das genossenschaftliche Beteiligungskapital - infolge der laufenden Einund Austritte von Mitgliedern aus Genossenschaften - ist sicherlich keine ideale Kreditgarantiegrundlage und kann die Fremdfinanzierung erschweren. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß das genossenschaftliche Eigenkapital insgesamt durch die Dominanz der Selbstfinanzierung durchaus als stabil angesehen werden kann. - Durch die häufige Tätigkeit in traditionellen Wirtschaftsbranchen, insbesondere auf den Beschafiungs- und Absatzmärkten von Landwirtschaft, Handel sowie der stark mittelständischen Orientierung, insbesondere der Genossenschaftsbanken, wird deutlich, daß sie sich nicht in riskanten Geschäftszweigen bewegen und somit in der Lage sind, das ihnen zur Verfügung gestellte Fremdkapital auch wieder an die Gläubiger zurückzuzahlen, so daß insbesondere ihre Versorgung mit Bankkrediten als sehr positiv eingestuft werden kann. -

Auch die Haftsumme für eingetragene Genossenschaften mit beschränkter Haftung, bei denen die Haftung auf den in der Satzimg festgelegten Betrag, der über dem Geschäftsanteil liegen kann, begrenzt ist, führt zu einer Erhöhung der Garantiebasis für Fremdkapital, das von Genossenschaften aufgenommen wurde oder aufzunehmen gewünscht wird. - Letzlich garantiert das genossenschaftliche Verbundsystem die Versorgung der Genossenschaften mit Fremdkapital. Gerade bei der Inanspruchnahme langfristiger Kredite kann durch die regionalen Zentralgenossenschaftsbanken und die DG-Bank die Fremdkapitalfinanzierung, insbesondere auch von langfristigen Krediten, voll abgedeckt werden. Der Geldund Kapitalausgleich innerhalb des Genossenschaftswesens war seit altersher eine wichtige Funktion der bankgenossenschaftlichen Geschäftszentralen.

Die Vorteile der Fremdfinanzierung für Genossenschaften liegen in den folgenden Fakten begründet: - Es ergibt sich kein Einfluß der Fremdkapitalgeber auf die genossenschaftliche Unternehmensführung in dem Sinne, daß in der General- oder Vertreterversammlung bzw. im Aufsichtsrat Veränderungen der Entscheidungsstruktur durch Änderungen des Mitgliederbestandes herbeigeführt werden. - Eine bessere Anpassung an veränderte Kapitalbedarfssituationen ist über die Aufnahme von Fremdkapital leichter zu erreichen, als mit genossenschaftlichem Beteiligungskapital. Bei diesem müssen erst neue Mitglieder gewonnen oder über Satzungsänderungen die Geschäftsanteile aufgestockt werden.

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

245

-

Eine Nichtbeteiligung der Fremdkapitalgeber am Gewinn und in stillen Rücklagen ist bei einer Fremdkapitalfinanzierung im Gegensatz zur Eigenfinanzierung gegeben. - Die steuerliche Abzugsfähigkeit als Betriebsausgaben ist bei Fremdkapitalzinsen im Vergleich zu den Eigenkapitalzinsen vorhanden. - Der Leverage-Effekt kann sich ebenfalls bei der Aufnahme von Fremdkapital dann einstellen, da es dadurch zu einer günstigeren Eigenkapitalverzinsung kommt, wenn die über den Fremdkapitaleinsatz erzielten Erträge in der Genossenschaft größer sind als die durch die Zinsbelastung bewirkten Aufwendungen; in diesem Fall wäre es dann günstiger eine Fremdfinanzierung durchzuführen als weiteres Eigenkapital in die Genossenschaft hereinzunehmen.

Die Nachteile der Fremdfinanzierung für Genossenschaften sind in folgenden Tatbeständen zu sehen: - Die Zins- und Tilgungszahlungen, die mit den Gläubigern vereinbart wurden, sind unabhängig von der betriebswirtschaftlichen Lage der Genossenschaft aufzubringen. - Die von den Gläubigern verlangten Sicherungsleistungen können von der Genossenschaft eventuell nicht oder nur mit Erschwernis erbracht werden. - Grundsätzlich hat der Fremdkapitalgeber kein Risiko des Verlustes, höchstens bei Zusammenbrüchen von Unternehmen und wenn die entsprechenden gesicherten Vermögenswerte nicht mehr zur Befriedigung der Gläubigeransprüche genügen, was bei Genossenschaften auch aufgrund der Pflichtprüfung kaum vorkommen kann. -

Eine Kündigungsmöglichkeit ist gegeben und es stellt dieses somit eine nicht sichere finanzielle Basis für das Genossenschaftsunternehmen dar. Grundsätzlich kann jedoch festgestellt werden, daß die Frage, ob es günstiger ist mit Eigenkapital oder mit Fremdkapital zu finanzieren, nicht generell zu beantworten ist, sondern vom konkreten Einzelfall abhängt. Literatur: Draheim, G.: Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, 2. Auflage, Göttingen 1955 Faust, H.: Genossenschaftswesen, Stuttgart/Düsseldorf 1969 Geist, H.: Die finanzielle Beteiligung der Genossen an der eingetragenen Genossenschaft, Göttingen 1981 Hahn, O.: Finanzwirtschaft, 2. Auflage, Wien 1983 Koschka, H.: Finanzierung der Genossenschaft. In: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980, Sp. 459 ff. Licht, W.: Die Beteiligungsfinanzierung bei Kreditgenossenschaften, Nürnberg 1980 Perridon, L./Steiner, M.: Finanzwirtschaft der Unternehmung, 5. überarbeitete Auflage, München 1988 Schneider, D.: Investition und Finanzierung, 2. verbesserte Auflage, Opladen 1971

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2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

Schulz, R./Zerche J.: Genossenschaftslehre, 2. Auflage, Berlin/New York 1983 Tubbesing, G.: Selbstfinanzierung bei hilfswirtschaftlichen Genossenschaften, Göttingen 1958 Walther, U.: Finanzierung und Wachstum von Genossenschaftsbetrieben, Tübingen 1972 Wittgen, R.: Finanzierungsformen und -arten, In: Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 6. Auflage, Stuttgart 1974, Sp. 1436 ff. Wöhe G./Bilstein, J.: Grundzüge der Unternehmensführung, 4. Auflage, München 1986

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

2.4.2.

247

Strategische Unternehmensführung in Genossenschaften Eduard Mändle

Die Unternehmensführung wird zukünftig in allen Wirtschaftsbereichen nachhaltig durch folgende Einflüsse bestimmt: -

Die Diskontinuität in der Wirtschaftsentwicklung wird beherrschend werden, d.h. daß sich zunehmend nicht vorhersehbare Einwirkungen auf das Unternehmen ergeben, so daß die "Erfahrung in der Unternehmensführung" stark an Bedeutung verliert (EG-Binnenmarkt 1993, politische und wirtschaftliche Entwicklungen in der DDR und Osteuropa, Bevölkerungswanderungen u.a.).

-

Die Komplexität der Wirtschaftsentwicklung, drückt sich vor allem darin aus, daß sich die Unternehmen einer Vielzahl von undurchschaubaren und umfassenden Einflüssen - aus der Gesamtwirtschaft, Außenwirtschaft, der Technik und Politik - ausgesetzt sehen. Für die Mangemententscheidungen resultiert hieraus verständlicherweise eine zunehmende Verunsicherung.

-

Die Fremddynamik ergibt sich daraus, daß sich die Rahmenbedingungen der Unternehmenstätigkeit durch externe Einflußfaktoren (Umweltpolitik, Außenwirtschaftgentwicklung, Steuergesetzgebung, Wertewandel in der Gesellschaft u.a.) stark verändern werden. Dies wird sicherlich dazu führen, daß das hohe Maß der Selbstbestimmimg in der Unternehmensfuhrung in der Zukunft abgebaut wird und sich die Notwendigkeit einer ständigen Anpassung an gewandelte Umweltverhältnisse ergibt.

-

Di e Komplizierung der Arbeitswelt aus der weiter steigenden Internationalisierung der Wirtschaftsaktivitäten, der ständigen Realisierung von Innovationen in der Technik und der Organisation und der Entwicklung zur Informationsgesellschaft wird auch eine Veränderung im unternehmenspolitischen Verhalten notwendig machen.

Dieser Wandel in der Ausgangssituation der Unternehmensfuhrung wird auch für die Genossenschaften in allen Wirtschaftsbereichen von Bedeutung sein. Es ist eine Binsenwahrheit, daß viele Unternehmensentscheidungen (Gebäudeinvestitionen, Anstellung von Führungskräften, Festlegung des Warensortiments und des Dienstleistungsangebotes, Fusionsmöglichkeiten u.a.) über Jahrzehnte hinweg wirken und die Ertragssituation der Genossenschaften in nachhaltigem Umfange beeinflussen. A. Wesen der Strategischen Unternehmensfiihrung Das Wort "Strategie" stammt aus dem Griechischen "strategos" (= Heerführer oder Leiter) und der Bezeichnung "agein", wodurch die Führung bezeichnet wird. Die Bedeutung der Strategie im militärischen Bereich ist erst wieder zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckt und von General von Clausewitz, dem Mitglied des Preussischen Generalstabs, beschrieben worden. Im Militärischen

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2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

bezeichnen Strategien die allgemeine Entwicklung eines Heeres und Feldzuges, im Gegensatz zur Taktik, die das situationsgerechte Verhalten der Truppenfuhrung und der Truppe auf einem konkreten Kampfplatz charakterisiert. In den 1970er Jahren wurde speziell der Begriff Strategie in die betriebswirtschaftliche Literatur bzw. die Unternehmensführungsliteratur übernommen. 1. Allgemeine Begriffsbestimmung Eine generell gültige Begriffsbestimmung der "Strategischen Unternehmensführung", auch "Strategisches Management" genannt, findet sich gegenwärtig weder in der Theorie, noch in der Praxis. Der Begriff wird von der "Strategischen Planung" in dem Sinne abgegrenzt, daß er umfassender ist. In einer sehr allgemein gehaltenen Definition sieht der US-Amerikaner H. J. Ansoff die Aufgabe der Strategischen Unternehmensführung nicht in der Erfolgserzielung in der Gegenwart, sondern in der langfristigen Existenzsicherung des Unternehmens durch die rechtzeitige Schaffung neuer oder den Ausbau und die Pflege bestehender Erfolgspotentiale. Grundsätzlich lassen sich jedoch zur Wesensbestimmimg der Strategischen Unternehmensführimg die folgenden Merkmale herausstellen: -

Nur von der höchsten Entscheidungsinstanz der Unternehmung kann die Strategische Unternehmensfiihrung durchgeführt werden, da sie grundsätzliche Akzente hinsichtlich der Weiterentwicklung des Unternehmens setzt.

-

Die Strategische Unternehmensfiihrung hat einen langfristigen Charakter; sie ist auf die Zukunftsentwicklung ausgerichtet und auf Prognosen, Szenarien u.a. angewiesen.

-

Die allgemeinen Unternehmensziele müssen zunächst exakt festgelegt werden, da nur durch sie für die Zukunft eine grundlegende Orientierung für die Unternehmensführung gegeben werden kann. Wenn eine Unternehmensleitung sich nicht über den endgültigen Zweck der Unternehmenstätigkeit im klaren ist, ist selbstverständlich jede eindeutige Orientierung gefährdet. Diese Unternehmensphilosophie, welche die Gesamtheit der obersten Leitsätze beinhaltet, die die Richtung der unternehmerischen Tätigkeit bestimmen, ist selbstverständlich bei der Genossenschaft auf die wirtschaftliche Nutzenstiftung für die Mitglieder ausgerichtet.

-

Zur Strategischen Unternehmensführimg gehören weiterhin interne und externe Unternehmensanalysen, die bezogen auf Gegenwart und Zukunft im Rahmen einer Umweltanalyse einen Chancen- /Risikenkatalog und durch eine auf das Unternehmen bezogene Analyse die Entwicklung eines Stärken-1 Schwächenprofils beinhalten.

-

Die spezifischen Unternehmensziele, die die externen Einflußfaktoren auf das Unternehmen, die Stärken und Schwächen sowie die Philosophie des Unternehmens berücksichtigen, werden dann im Hinblick auf bestimmte Erfolgspotentiale oder Strukturziele festgelegt. Hierbei geht es um die kon-

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

249

krete Zielbestimmung eines Unternehmens, das aus langfristig gegebenen Situationen heraus bestimmte Veränderungen oder die Erhaltung von Tatbeständen herbeiführen will. -

Die Strategischen Instrumente bzw. die daraus resultierenden Maßnahmen werden aus den allgemeinen Zielen, den Analysen und den speziellen Handlungszielen abgeleitet.

-

Eine zunehmende Konkretisierung bzw. Detaillierung des Strategischen Vorgehens in der Unternehmenspolitik ergibt sich von den Unternehmenszielen über die Festlegung von Strukturbedingungen bis hin zum Unternehmensprozeß, also zu den konkreten Maßnahmen.

Das Hauptcharakteristikum der "Strategischen Unternehmensführung" besteht darin, daß die Vorgehensweise - Unternehmensphilosophie, externe und interne Unternehmensanalysen, spezifische Unternehmensziele - und daraus abgeleitet das Handlungsinstrumentarium, in einem systematischen Zusammenhang stehen. Jede strategische Unternehmensfuhrung wäre natürlich von vornherein eine reine Gedankenspielerei, wenn nicht aus den strategischen, langfristigen und umweltorientierten Erkenntnissen eine Ableitung von taktischen und operativen Planungen erfolgen würde. Nach F.F. Neubauer läßt sich dieser Zusammenhang auch so ausdrücken: "Es ist die Aufgabe des Strategischen Managements, Erfolgspotentiale zu schaffen (oder bestehende auszubauen und gesund zu halten) und es ist die Aufgabe des operationalen Managements, diese Potentiale in Gewinne und Cash/ Flow (Rentabilitätskennzahl, die über die Finanzkraft der Unternehmungen aussagt, indem der Gewinn in Beziehung zu den Erlösen gesetzt wird) umzumünzen. Das Bestehen von Erfolgspotentialen bildet somit langfristig die Voraussetzung für das Erarbeiten von Gewinn und Cash/Flow." (F.F. Neubauer, Strategische Unternehmensfuhrung. In: Management Enzyklopädie, Band 2,2. Auflage, 1984, Seite 841). 2. Grundlegende Unternehmensphilosophien Im Hinblick auf die Bestimmung der obersten Leitmaximen des Unternehmens, die sich selbstverständlich an der jeweiligen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie an den Unternehmensleitbildern ausrichten, ergeben sich die folgenden vier grundsätzlichen Möglichkeiten: (vgl. Abb. 1) -

Eine Rentabilitätsmaximierung ist das oberste Ziel der erwerbswirtschaftlichen Unternehmung. Dabei geht es darum, ein möglichst günstiges Verhältnis zwischen dem erwirtschafteten Gewinn (Unterschied zwischen Aufwand und Erlös) und dem eingesetzten Kapital bzw. dem Umsatz zu erreichen.

-

Die Gemeinwirtschaftlichkeit als oberstes Unternehmensziel drückt sich darin aus, daß über eine unternehmerische Tätigkeit dem "Gemeinwohl", also der Förderung aller Bürger, gedient werden soll. Das Unternehmen wird ledig-

250

ABB. 1

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

2. Kapitel: Die Merkmale

von Genossenschaften

251

lieh zur Erreichung dieser Zielsetzung tätig, wobei im Hinblick auf die Erhaltung der Unternehmenssubstanz auch eine gewisse Eigenkapitalverzinsung angestrebt wird. -

Die Deckung eines Versorgungsbedarfs kann weiterhin ein letztendlicher Zweck für die unternehmerische Tätigkeit sein. Dabei geht es ausschließlich darum, etwa den Verkehrs- oder Energiebedarf der Bevölkerung einer Region abzudecken, wobei die Kapitalverzinsung in den Hintergrund tritt und aus öffentlichen Haushalten gegebenenfalls auch Zuschüsse gezahlt werden.

-

Die Gemeinnützigkeit in Unternehmenszielen kann darin bestehen, daß die Unternehmen als Genossenschaften, Gemeinwirtschaften oder öffentliche Institutionen (kommunale oder landeseigene Gesellschaften) tätig werden, sie damit zunächst einmal unternehmensbezogene eigenständige Ziele anstreben, die jedoch letztlich der gesamten Gesellschaft von Nutzen sind. In diese Kategorie sind sicherlich die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen einzureihen, gleichgültig ob aktuell hier eine Veränderung der gesetzlichen Regelungen stattgefunden hat.

-

Letztlich gibt es die Mitgliederförderung als das charakteristische Unternehmensziel der Genossenschaften.

B. Frühwarn- bzw. Frühchancensystem in Genossenschaften Eine Strategische Unternehmensfuhrung in Genossenschaften hat insbesondere externe Einflußfaktoren auf die Situation des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes und die Mitgliederwirtschaften zu berücksichtigen. Dies ist im Rahmen eines Frühwarn- bzw. Frühchancenwahrnehmungssystems möglich, das die Aufgabe hat, Veränderungen in der ökonomischen, gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt so frühzeitig zu erkennen, daß geeignete Maßnahmen ergriffen werden können, bevor der Genossenschaft ein Schaden erwächst oder ihr eine Chance entgeht. 1. Elemente des Frühwarn- bzw. Frühchancensystems Im Rahmen des Frühwarn- bzw. Frühchancensystems soll eine Gefährdung oder eine Bedrohimg für das Unternehmen aufgezeigt werden; es soll sowohl eine Warnung im Hinblick auf Gefahren und Risiken als auch eine positive Einschätzimg hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen systematisch erfaßt werden. Das System ist durch folgende Merkmale zu charakterisieren: -

Es ist eine spezielle Art eines betrieblichen Informationssystems, das in den einzelnen Unternehmen auf sehr unterschiedliche Weise organisatorisch gestaltet werden kann.

-

Es soll eine Gefährdung und Chance im zeitlichen Vorlauf aufzeigen.

252

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

-

Diese ergibt sich aus dem Unternehmensumfeld, also der Regional-, Volksoder Weltwirtschaft, der gesellschaftlichen oder politischen Entwicklung und der natürlichen Umwelt. - Es soll eine systematische und globale Erfassung der Risiken und positiven Möglichkeiten durchgeführt werden, wobei die Methode der Erfassung sekundär ist. - Es sollen Gegenaktionen durch das Unternehmen aufgrund der Datenerfassung erfolgen.

2. Entwicklungsstufen des Frühwarn- bzw. Frühchancensystems Ein Frühwarnsystem besteht aus verschiedenen Phasen, die in einem systematischen zeitlichen Ablauf aufeinander erfolgen. -

-

-

-

Die Ermittlung der Beobachtungsbereiche zur Erkennung von Gefährdungen und Chancen steht an der Spitze der Überlegungen. Dabei ist wichtig herauszustellen, aus welchen grundsätzlichen Bereichen heraus Einflüsse auf das Unternehmen erfolgen. Die Bestimmung von Frühwarnindikatoren je nach Beobachtungsbereich bedeutet eine Präzisierung der zu beobachtenden Gebiete. Danach sind Sollwerte und Toleranzen je Indikator festzulegen, bei denen aufgrund der externen Entwicklung das Unternehmen sich seiner Situation bewußt werden sollte. Sodann sind Festlegungen hinsichtlich der Aufgaben der Informationsverarbeitung durchzuführen, d.h. es ist organisatorisch zu bestimmen, wer die Warnsignale aufnimmt und zu überprüfen, wer sie an wen weiterleitet. Letztlich sind unternehmenspolitische Antwortstrategien zu entwickeln, die natürlich auch darin bestehen können, daß das Unternehmen bei seinem bislang eingeschlagenen Kurs der Unternehmenspolitik verbleibt.

3. Beobachtungsbereiche und Festlegung von Indikatoren Die Beobachtungsbereiche sind Ausschnitte aus der ökonomischen, gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt, deren Entwicklung und Eigendynamik für die langfristige Erhaltung von Existenzfähigkeit und Lebensfähigkeit des Unternehmens von entscheidender Bedeutung sind. Je nach den Bedürfnissen und der Situation eines Genossenschaftsunternehmens können unterschiedliche Beobachtungsbereiche und Indikatoren festgelegt werden. Bei einer ländlichen Warengenossenschaft können beispielsweise folgende generelle bzw. spezifische Beobachtungsbereiche aufgezeigt und ständig kontrolliert werden.

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

253

ÜBERSICHT 1 BEOBACHTUNGSBEREICHE UND FRÜHWARN- BZW. CHANCENINDIKATOREN IN DER LÄNDLICHEN GENOSSENSCHAFTLICHEN WARENWIRTSCHAFT A. Generelle Beobachtungsbereiche

B. Spezifische Beobachtungsbereiche

1.

1.

Gesellschaftliche Indikatoren

1.1. Werte Wandlungen (Im Verbrauch im Verhältnis zur Umwelt, zur Arbeit und im Freizeitverhalten, 1.2. Agrarpolitische Entscheidungen der EG (auf Bundes- bzw. Landesebene) 1.3. Gesetzliche Regelungen im Bereich der Umweltpolitik (z.B.- verstärkter Ausweis von Natur und Wasserschutzgebieten) 1.4. Grundsätzliche Einstellung zur Landwirtschaft 1.5. Grundsätzliche Einstellung zur Genossenschaftsidee 2.

Bevölkerungsentwicklung

2.1. Entwicklung der Wohnbevölkerung 2.2. Entwicklung des Ausländeranteils 2.3. Veränderung der Altersstruktur 2.4. Entwicklung der Erwerbstätigenzahl 2.5. Entwicklung des Anteils an erwerbstätigen Frauen 2.6. Regionale Bevölkerungsverschie bungen 2.7. Bevölkerungsentwicklung im Ausland 3.

Gesamtwirtschaftliche Indikatoren

3.1. Wandel der Branchenstruktur 3.2. Wandel der Regionalstruktur 3.3. Entwicklung des Gesamtverbrauchs 3.4. Entwicklung der Investitionen 3.5. Struktur der Investitionen 3.6. Umfang an Innovationen 3.7. Ausmaß der weltwirtschaftlichen Integration 3.8. Entwicklung der inländischen Geldwertstabilität und der Wechselkurse 3.9. Entwicklung und Struktur der Energieversorgung

Landwirtschaftliche Indikatoren

1.1. Entwicklung der Zahl und Größe landwirtschaftlicher Betriebe 1.2. Entwicklung landwirtschaftlicher Betriebsformen (Neben-, Zu- und Haupterwerb) 1.3. Volumen und Struktur der Agrarinvestitionen 1.4. Agrartechnische Fortschritte (z.B. Biotechnik und Gentechnologie) 1.5. Entwicklung der Erwerbstätigen und Auszubildenden in der Landwirtschaft 1.6. Umfang der Produktionsfläche und der Aussiedlungen 1.7. Entwicklung Alternativer Landbaumethoden 1.8. Entwicklung der Freizeitangebote landwirtschaftlicher Betriebe (z.B. Reithallen, Golfplätze) 1.9. Entwicklung des Selbstwertgefühles und der Altersstruktur der Landwirte 2.

Warenhandelsspezifische Indikatoren

2.1. Entwicklung der Beschaffungsmärkte 2.2. Entwicklung der Absatzmärkte (z.B. Nachfragerkonzentration) 2.3. Entwicklung des Wettbewerbs auf Beschaffungs- und Absatzmärkten 2.4. Entwicklung der Standortfaktoren gegenüber den Wettberwerbern, Anbietern und Nachfragern 2.5. Entwicklung der Selbstvermarktung der Landwirte 2.6. Entwicklung des gesamten ländlichen Raumes 2.7. Entwicklung der Nicht-Nahrungsmittelmärkte

254

4.

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

Allgemeine betriebswirtschaftliche Indikatoren 4.1. Neue Unternehmenskultur 4.2. Neue Fühungsgrundsätze (z.B. Dezentralisation, verstärkte Arbeitnehmermitbestimmung) 4.3. Führungsgrundsätze erfolgreicher Unternehmen

3.

Genossenschaftsspezifische Indikatoren 3.1. Entwicklung der Zahl und Struktur der Genossenschaftsmitglieder 3.2. Identifikation der Mitarbeiter mit Genossenschaft und Genossenschaftsprinzipien 3.3. Bereitschaft der Mitglieder zur Mitarbeit in den Organen 3.4. Besuch der Genossenschaftsversammlungen durch Mitglieder 3.5. Vorhandensein eines zwischengenossenschaftlichen Wettbewerbs 3.6. Vorhandensein von Kenntnissen über Genossenschaftsprinzipien bei den Mitgliedern 3.7. Identifikation von Vorstand und Organvertretern mit der Genossenschaftsidee 3.8. Einstellung der Organvertreter zum genossenschaftlichen Verbundsystem (Hauptgenossenschaft und Genossenschaftsverband)

C. Stärken-/Schwächenanalyse in Genossenschaften Ein Genossenschaftslinternehmen kann sich im Wettbewerb umso besser behauptende exakter seine Kenntnisse über die eigenen Stärken und Schwächen bzw. die seiner Mitbewerber sind. Ob es sich dabei jeweils um Stärken oder Schwächen handelt, können die folgenden Fragen beantworten: -

Worauf kommt es am Markte an? Welche Leistungspotentiale bestimmen besonders den Erfolg der Unternehmung? Welche Positionen hat ein Unternehmen mit seinen Leistungspotentialen im Vergleich zu anderen Mitbewerbern?

Im Mittelpunkt der S/S-Analyse steht das Stärken/Schwächen-Profil, das die Potentiale des Genossenschaftsunternehmens beurteilt und mit jenen der Konkurrenzunternehmen vergleicht. Bei der Analyse des Beurteilungsbogens ergeben sich Schwächen und Stärken bei einem Genossenschaftsunternehmen. Bei einer ländlichen Warengenossenschaft könnten sich die folgenden Schwächen ergeben: -

Die unzureichende Operationalisierung des Förderungszieles irritiert häufig Mitarbeiter und Mitglieder.

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

-

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-

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-

255

Eine Beeinträchtigung des genossenschaftlichen Kontrollsystems hat sich häufig aufgrund der Geschäftsausweitung in der Weise ergeben, daß nicht nur Mitglieder überfordert sind, in der kompliziert gewordenen Geschäftstätigkeit mitreden zu können, sondern auch in nicht seltenen Fällen der Aufsichtsrat nicht mehr in der Lage ist, die Kontrolle des Vorstandes als Entscheidungsorgan ausreichend vorzunehmen. Die genossenschaftliche Unternehmenskultur zeigt Auflösungserscheinungen aufgrund des mangelnden Selbstbewußtseins und der als lästig empfundenen Genossenschaftsprinzipien. Die nach wie vor sehr stark auf die Landwirtschaft ausgerichtete Sortimentsstruktur bedingt, daß sich Umsatzeinbußen aus den schrumpfenden Umsätzen und den stagnierenden bzw. rückläufigen Einkommen der Landwirte einstellen. Es ist in der ländlichen genossenschaftlichen Warengenossenschaft auch die Gefahr einer unzureichenden Solidarität festzustellen, wobei die Mitglieder aus dem Sortiment jene Produkte herauspicken, die besonders attraktiv sind. Eine Subventionierung des Warengeschäftes aus dem Geldgeschäft der Genossenschaftsbanken kann ebenfalls als Problem angesehen werden.

Als ausgesprochene Stärken der ländlichen Warengenossenschaft sind zu erkennen: -

-

-

Der hohe Sympathiewert der ländlichen Warengenossenschaft ist darin zu erblicken, daß sie interessante und gesellschaftlich allseits akzeptierte Geschäftsprinzipien verfolgt. Eine Überschaubarkeit in regionaler und geschäftspolitischer Hinsicht ist in der Regel in der genossenschaftlichen ländlichen Warengenossenschaft vorhanden; dies bewirkt, daß die Risiken grundsätzlich eingeschränkt sind. Eine Mitbestimmung der Mitglieder ist durch die gesetzlich verbürgte Genossenschaftsdemokratie gewährleistet. Der genossenschaftliche Förderungsauftrag wird nach wie vor wahrgenommen; er ist insbesondere auf die langfristige Existenzsicherung der Mitglieder ausgerichtet. Die Genossenschaftsmitglieder sind Eigentümer des Genossenschaftsunternehmens und sie können somit eine hohe Identifizierung mit der Genossenschaft vornehmen.

Bei der Wohnungsbaugenossenschaft könnte in einer praktischen Erfassimg der Stärken und Schwächen des Unternehmens die nachfolgende graphische Darstellung verwandt werden:

256

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

ÜBERSICHT 2 STÄRKEN- UND SCHWÄCHEN-ANALYSE

Potentiale

Beurteilung Mittel

Schlecht 109

8

7 6 5

4

3

2

1 0

Gut 12

3 4

5

6

7 8 9 10

Unternehmensziel Rechtsform Führungssystem Unternehmenskultur Finanzstruktur Organisationsstruktur Personalstruktur Standort Führungskräfte Absatzmarkt Beschaffungsmarkt Kostensituation Diversifizierungsmöglichkeiten

Nach der vorstehenden Einstufung wurde das Unternehmensziel, nämlich die Förderung der Mieter von Genossenschaftswohnungen und der Eigentümer von genossenschaftsvermittelten Reihenhäusern und Wohnungen bestens erreicht und auch die genossenschaftliche Rechtsform wird als geeignet für das Unternehmen eingestuft. Das Führungssystem zeigt keine qualitativen Besonderheiten, während auf die wohnungsbaugenossenschaftliche Unternehmens-

2. Kapitel: Die Merkmale

von Genossenschaften

257

kultur - Mitglieder-, Sprengel-, Eigentümerversammlungen, Betreuimg der Mitglieder, Darstellung des Unternehmens als Solidargemeinschaft u.a. - größter Wert gelegt und dies auch von Mitgliedern und Öffentlichkeit honoriert wird. Die Finanz- und Personalstruktur zeigt Mängel, da zum einen eine unzureichende Eigenkapitalausstattung vorhanden und das Personal nicht übermässig qualifiziert und überaltert ist. Der Standort der Wohnungsbaugenossenschaft in einem Ballungszentrum ist ausgesprochen gut, auch die Qualifikation und das Engagement der Führungskräfte. Die Absatz- und Beschaffungsmarktverhältnisse sowie die Kostensituation sind - auch im Vergleich zu den Mitbewerbern - durchschnittlich; eine Besserung ist für absehbare Zeit auch nicht in Sicht. Dagegen sind die Diversifizierungsmöglichkeiten etwa im gewerblichen Immobilienbau, der Errichtung von Altenwohnanlagen sowie der Übernahme von Maklerfunktionen als sehr gut einzustufen, so daß sich die Absatzbedingungen nachhaltig verbessern können. Die Stärken-Schwächen-Analyse ist die Voraussetzung für unternehmenspolitische Überlegungen und Entscheidungen.

grundsätzliche

-

Aus der Erkenntnis von Schwächen in der eigenen Unternehmensführung wird der Versuch unternommen, diese zu beseitigen, um damit gegenüber den Mitbewerbern aufholen zu können. - Es kann weiterhin in der Weise vorgegangen werden, daß die erkannten Schwächen beibehalten bleiben, jedoch die Stärken des Unternehmens weiter forciert werden. - Es kann eine Unternehmensstrategie in dem Sinne verfolgt werden, daß die Schwächen beseitigt und die Stärken im bisherigen Sinne beibehalten und verstärkt entwickelt werden. D. Spezifische Ziele in der Strategischen Unternehmensführung 1. Möglichkeiten genossenschaftlicher Mitgliederförderung Die genossenschaftliche Mitgliederförderung ist selbstverständlich bei den einzelnen Genossenschaftsarten unterschiedlich zu sehen. Grundsätzlich beinhaltet sie eine wirtschaftliche Nutzenstiftung, die individuelle Förderung des Mitglieds durch den gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb, die Gleichbehandlung aller Mitglieder und die Förderung im Sinne einer ständigen Nutzenstiftung, eines Dauerauftrags. Als Möglichkeiten genossenschaftlicher Mitgliederförderung in den einzelnen Genossenschaftsarten können nach der Förderungsart, dem Förderungszeitpunkt und der Förderungswirkung herausgestellt werden: -

Bei der Differenzierung nach Finanz- und Sachleistungen wird die Art der Förderung aufgezeigt. Die Finanzleistung bezieht sich auf eine eindeutig meßbare wirtschaftliche Förderung, während bei der Sachleistung die Effekte

258

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

der betriebsberatenden und mitgliederbetreuenden Tätigkeit gemeint sind. Beide Möglichkeiten der Förderung können auch im Sinne einer Kombination festgestellt werden. - Bei der Unterscheidung nach unmittelbarer und mittelbarer Mitgliederförderung wird insbesondere der Zeitpunkt der Förderungswirkung als Kriterium gewählt. Dabei wird unter unmittelbarer Förderung das konkrete "Förderungsplus" der Genossenschaft verstanden, das sofort nach Geschäftsabschluß für das Mitglied erkennbar ist. Dieser Förderungsmodus ist insbesondere bei niedrigen Einkaufs- und hohen Verkaufspreisen für die Mitglieder erkennbar. Die mittelbare Förderung wird im Gegensatz dazu grundsätzlich nach Beendigimg einer Wirtschaftsperiode sichtbar. Primär umfaßt diese Art der Mitgliederförderung die verschiedenen Möglichkeiten der Rück- und Nachvergütung sowie die allgemeine Sicherung der Existenz der Mitglieder. - Bei der Unterscheidung in direkte und indirekte Förderung wird darauf abgehoben, inwieweit eine Finanz- oder Sachleistung dem Mitglied direkt zukommt bzw. eine wirtschaftliche Unterstützung seines Unternehmens oder Haushaltes im allgemeinen Sinne beinhaltet. Eine direkte Mitgliederförderung kann bei einer Genossenschaftsbank z.B. in höheren Haben-Zinsen für Spareinlagen, niedrigeren Soll-Zinsen für Kredite, in der hohen Verzinsung der Geschäftsanteile u.a., bestehen. Bei der indirekten Förderung werden für das Mitglied innerhalb des gesamten Genossenschaftswesens Leistungen erbracht, indem im Rahmen des Verbundsystems die Genossenschaften und ihre Verbände sich auf den unterschiedlichen Tätigkeitsebenen gegenseitig linterstützen. 2. Spezifische genossenschaftliche Primärziele Die spezifischen genossenschaftlichen Primärziele sind selbstverständlich je nach Genossenschaftsart sehr unterschiedlich angelegt. Sie beziehen sich auf Finanz- und Sachleistungen sowie auf unmittelbare bzw. mittelbare und direkte und indirekte Förderungsabsichten. Im nachfolgenden sind die spezifischen Genossenschaftsziele im Rahmen der Strategischen Unternehmensiuhrung in Genossenschaften bei Wohnungsbaugenossenschaften bzw. im ländlichen Warengeschäft der Genossenschaften aufgezeigt. (Übersicht 3 und 4) E. Instrumente bzw. Maßnahmen strategischer Unternehmensführung in Genossenschaften Unter einem unternehmenspolitischen Instrument sind ökonomische Sachverhalte zu verstehen, die von den Trägern der Unternehmenspolitik eingesetzt werden, um vorgegebene Ziele zu erreichen. Die Maßnahmen der Unternehmenspolitik stellen die Anwendung eines oder mehrerer Instrumente zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum in einem bestimmten Umfange und

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

ÜBERSICHT 3: MITGLIEDERFÖRDERUNG IN WOHNUNGSBAUGENOSSENSCHAFTEN

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259

260

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

ÜBERSICHT 4 MITGLIEDERFÖRDERUNG EVI LÄNDLICHEN WARENGESCHÄFT

Landwirtschaftliche Mitglieder

B e z u g s - und Atosatzgenogsenschaft, H a u p t g e n o s s e n s c h a f t .

• grundsätzlich

Landwirte

Unmittelbare finanzielle durc.^ Z w e c k o e s c h ä f t

Genossenschaft »1t

Gemeinschaftlicher

Warenverkehr\

Geschäftsbetrieb

Förderung

• Günstige Verkaufspreise für A g r a r p r o o u k t e • Günstige Beschaffungs« "preise für Betriebsmittel unc I n v e s t i t i o n s g ü t e r Kapital: und

Grundstücke

Geschäftsaus-

stattung Genossenscnaftsg e w m n im w e i t e r e n Sinne • Maximaler genossenscnaftsverursachter Gewinn beim Mitol1ec * *

Boden

Mittelbare Förderung c inan;ieistunoer • • •

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Kaoita1 bete11 i g u n g s diviaende Betrieosoete i1igungsdivioenae Warenrückveroütunc

Mittelbare Forcerunc durch E r f ü l l u n g von F u n k t i o n e n für die M l t g l i e o e r ( S a c h unc i m m a t e r i e l l e L e i s t u n g e n ) A u f n a h m e große 1 - M e n g e n ourcr nohe L a g e r k a o a n tat E r f ü l l u n g oe»- H a n o e l s f u n « tionen { K o n t a k t - , Informations-, ßeratungs-. Sortim e n t s - , Hanipul l e r u n g s unc M a r k t e r s c h i i e ß u n g s f u n k tion) • A b g e s t u f t e r A b s a t : der Mengen ü b e das g e s a m t e G e s c h ä f t s janr :ur E m e l u n g e i n e s gunstigen Durchschnittspreises • Exoort großer M e n g e n ins Auslanc unc damit i n l a n d i s c h e Preisstaoi1i s i e - u n g • Bildung g e g e n g e w i c h t i g e r M a r k t m a c h t in 2 u s a m m e n arDeit mit d e m g e n o s s e n schaf11 icner. V e r b u n d s y s t e m • G r u n o s a t 2 H c n e Abnahmeg a r a n t i e für d i e P r o d u k t e der M i t g l l e o e r • G r u n d s a t z i c h e Lieferoarantie für B e s c h a f f u n c s g u t e r • P r e i s d r u c « auf W e t t b e w e r b e r « Hohe Innovati onsf'ahignel t •



• Standort

Genossenschaftsgewinn 1m e n g e r e n S i n n e als angemessener Gewinn zum Z w e c k e der m i t t e l baren M 1 t g l i e o e r f o r derung R ü c k 1 a g e n o i l d u n g in e i n e r H o h e , d i e der V e r h a l t n i s s e n vor gesunden Marktkonkurrenten entsprechen Sicherung künftiger Investitionen i B i l d u n g von R e s e r v e n f ü r ftormalrisiker oes G e s c n a f t s b e t n e o e s

Genieinscnaft1 i c h e Beschaffung von Produktionsmitteln

\

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

261

in einer spezifischen Anwendungsform dar. Es werden vor allem Instrumente in der Marktforschung, der Absatzwege- und betrieblichen Präferenzpolitik u.a. ergriffen. 1. Instrumente ländlicher Warengenossenschaften Als Instrumente und Maßnahmen ländlicher Warengenossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland kann im Hinblick auf die strategische Unternehmensführung sowohl aus der Kostenperspektive als auch aus Erlösgesichtspunkten folgende Aufzählung getroffen werden: -

Instrumente und Maßnahmen der Kostensenkung: durch die Verminderung der Zahl der Lagerstellen für das gesamte genossenschaftliche Warengeschäft kann z.B.eine nachhaltige Kostensenkung herbeigeführt werden. - Durch eine vertiefte Kooperation zwischen den Primär- und Hauptgenossenschaften (gemeinsame Nutzung von Lager- und Transportkapazitäten, Einsatz qualifizierter Mitarbeiter u.a.) lassen sich ebenfalls Kosten reduzieren. - Bei Neu- oder Ersatzinvestitionen im Warenbereich ist darauf zu achten, daß bei der Erstellung von Anlagen und beim Ankauf von Ausrüstungsgütern eine regionale und funktionale Abstimmung erfolgt. - Sicherlich sollten zur Erreichung einer optimalen Unternehmensgröße auch zukünftig Überlegungen angestellt werden, daß zwischen den Primärgenossenschaften bzw. auch zwischen Primärgenossenschaften und Hauptgenossenschaften eine Fusion herbeigeführt wird. Es kann davon ausgegangen werden, daß die ländlichen Warengenossenschaften aus den dargelegten Gründen auf ihren traditionellen Märkten die Umsätze nicht mehr ausweiten können; es wäre bereits ein Erfolg, wenn hier das Umsatzvolumen gehalten werden könnte. Deswegen sollten folgende Überlegungen angestellt werden, die im Sinne einer neuen Strategie zu Erlössteigerungen führen können: -

Die Übernahme des Warengeschäftes von Genossenschaftsbanken, das von diesen nicht mehr kostendeckend geführt werden kann, sollte von den anderen ländlichen Warengenossenschaften angestrebt werden. - Die Erschließung neuer Märkte im Agrarbereich (Absatz nachwachsender Rohstoffe für die Industrie u.a.) sollten von den landwirtschaftlichen Warengenossenschaften durchgeführt werden. - Eine Diversifizierung sollte in verstärktem Maße in Ergänzung zum reinen ländlichen Warengeschäft weiter durchgeführt werden (Verkauf von Autos, Baumaschinen und Geräten, Brennstoffen, Kraftstoffen, Autoreifen u.a.), sofern dies die regionalen Marktverhältnisse erlauben. - Die verstärkte Übernahme von Dienstleistungen sowohl für die Mitglieder als auch für Nichtmitglieder, könnte zukünftig eine weitere Chance zur Umsatzsteigerung in ländlichen Genossenschaften sein (Altölverwertung, Autowaschanlagen, Versicherungsleistungen, Tankstellen u.a.).

262

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

2. Instrumente strategischer Unternehmensführung in Wohnungsbaugenossenschaften Eine strategische Unternehmensführimg wird primär vom Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt und den geschäftspolitischen Stärken der eigenen Wohnungsbaugenossenschaft bestimmt. Die Intensität staatlicher Regelungen, aber auch die Dynamik der Marktentwicklung, hat viele Wohnungsunternehmen in eine Anpassungssituation getrieben: Sie reagieren um zu überleben und verzichten teilweise auf eine aktive Gestaltung ihrer Geschäftspolitik und auf eine intensive Nutzung der Chancen am Wohnungsmarkt. Im Sinne einer langfristig angelegten und auf externe Einflüsse achtenden Unternehmensfuhrung in Wohnungsbaugenossenschaften sollten folgende Instrumente überprüft und Maßnahmen durchgeführt werden: -

Die Etablierung einer Spareinrichtung könnte bewirken, daß die Finanzierungssituation für die Wohnungsbaugenossenschaften nachhaltig verbessert wird. Dies resultiert insbesondere daraus, daß jene Kapitalien, die zur Renovierung bzw. zum weiteren Bau von Wohnungen und Häusern benötigt werden, von den eigenen Mitgliedern aufgebracht werden können. - Eine Verstärkung des Immobilienhandels ist vor allem deswegen sinnvoll, weil bei steigendem Einkommen die Nachfrage nach Eigentumswohnungen, preiswerten Reihenhäusern, altengerechten Eigentumswohnungen zu erschwinglichen Preisen, steigen wird. Da in der Bundesrepublik Deutschland die Eigentumsquote relativ niedrig ist, werden hier zukünftig noch erhebliche Absatzpotentiale vorhanden sein. - Die Erweiterung des Dienstleistungsgeschäftes kann als strategische Maßnahme für die Wohnungsbaugenossenschaften erheblichen Nutzen erbringen. Dabei ist vor allem von Bedeutung: - Zunehmender Einstieg in die Wohnungsverwaltung - Verstärkte Baubetreuung für Dritte - Übernahme von Pflegeleistungen für ältere Bewohner - Einrichtung von Gemeinschaftsanlagen wie z.B. Lese- und Hobbyräume sowie Kindertagesstätten - Einrichtung von Gemeinschafbsinstitutionen und Gästewohnungen als Hotelersatz, die zu einem günstigen Mietpreis tageweise gemietet werden können. - Eine Qualitätsverbesserung des gesamten Leistungsangebots ist deswegen sinnvoll, weil bei steigendem Einkommen und zunehmender Umweltsensibilität die zukünftigen Mitglieder von Wohnungsbaugenossenschaften andere Leistungen nachfragen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Hierbei ist vor allem die Verbesserung der Qualität des Bestandes der Wohnungen, die Verbesserung des Wohnungsumfeldes, aber auch eine bessere Beratung der Mitglieder der Wohnungsbaugenossenschaft zu erwähnen.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

263

Literatur: Gries, W.: Strategische Unternehmensplanungen in genossenschaftlichen Unternehmungen. In: ZfgG, Bd. 39 (89), S. 166 ff. Kreikebaum, H.: Strategische Unternehmensplanung, 2. Aufl., Stuttgart 1987 Mändle, E.: Strategische Überlegungen zur Zukunft der Genossenschaft. In: Schriftenreihe der Akademie Deutscher Genossenschaften, Heft 3, Montabaur, 1988, S. 42 ff. Neubauer, F.F.: Strategische Unternehmensführung. In: Management-Enzyklopädie, Bd. 8, 2. Aufl., 1984 Scholz, C.: Strategisches Management, Berlin/New York 1987 Seuster, H.: Strategische Unternehmensplanung und strategische Unternehmenskontrolle als Aufgabe der Unternehmensführung in Genossenschaften. In: Die Prinzipien des Genossenschaftswesens in der Gegenwart. Festschrift für V. Laakkonen. (Hrsg.: J. Laurinkari), Nürnberg 1986, S. 190 ff. Töpfer, AVAfheldt, H. (Hrsg.): Praxis der strategischen Unternehmensplanung, Frankfurt 1983

264

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

2.5.

Erfolgswirtschaftliche Merkmale

2.5.1.

Zur Okonomisierung der genossenschaftlich organisierten Wirtschaft Robert

Purtschert

Genossenschaften sind aus ihrer Grundkonzeption und von Gesetzes wegen Personen Vereinigungen. Die Struktur dieses sozialen Systems enthält als Besonderheit demokratische Elemente, was sich typisch in der Regelung des Stimmrechtes (ein Mitglied = eine Stimme) ausdrückt. Obwohl die Vielfalt der genossenschaftlichen Erscheinungsformen mit ihren unterschiedlichen Größen und Aktivitätsfeldern generelle Aussagen problematisch macht, sind einige Tendenzen feststellbar, die zu Veränderungen in fast allen Genossenschaften geführt haben. So hat sich während der letzten Jahrzehnte in den europäischen Ländern ein starker Wachstums- und Diversifikationsprozeß vollzogen, der auf die innergenossenschaftliche Struktur verändernd gewirkt hat. Die Genossenschaft als sozial integrative Selbsthilfegruppe wurde zunehmend "ökonomisiert". Als Ergebnisse dieses Prozesses vermerken wir: A. Veränderung in der Mitgliedereinstellung B. Tendenz zur autonomen Geschäftsleitung C. Tendenz zur Typentransformation, d.h. Annäherung der Genossenschaft an Erwerbswirtschaften D. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als hauptsächliches Bindeglied zwischen Mitgliedern und Genossenschaft A. Veränderung in der Mitgliedereinstellung Aufgrund der Struktur der Genossenschaft erfüllen Mitglieder unterschiedliche Rollen. Das Mitglied -

-

stellt finanzielle Mittel (Genossenschaftsanteil) und nach Gesetz auch Risikokapital (Haftung) (1) zur Verfügung und verzichtet zugunsten der Genossenschaft auf Verteilung des Überschusses (Reservenbildung). kann als Eigentümer und Träger durch aktives und passives Wahlverhalten (Übernahme von Ämtern) am Willensbildungsprozeß teilnehmen, durch die Mitarbeit in Gremien Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen und durch Ausüben von Mitgliedsrechten auch Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten ausüben. ist gleichzeitig Kunde wie Lieferant durch die Transaktion von Gütern und Dienstleistungen im Beschaffungs- und Absatzsystem.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

265

- ist Vollzieher von Beschlüssen und Normen (z.B. Qualität der hergestellten Produkte etc.) Durch die Veränderung der wirtschaftlichen und sozialen Umwelt seit Gründimg der Genossenschaften wie durch die entstandenen Größenordnungen haben sich die Beziehungen und Einstellungen wesentlich gewandelt, die Mitgliederidentifikation ist schwächer geworden. ABB.l: ENTWICKLUNG DER MITGLIEDERPARTIZIPATION IN GENOSSENSCHAFTEN Entwicklung der MitgliederparSegmenteX. tizipation der Beziehung "Mitglied Genossenschaft"

Gründungsphase

Heute

Aktive Mitwirkung aller an der Selbstverwaltung (Willensbildung, Kontrolle)

Neben den angestellten Funktionären kleine Aktivgruppen ehrenamtlich Tätiger

Mitglied als Ideenlieferant der Genossenschaftsleiter

Passivität, "Kunden" Mentalität

(2) Leistungsaustauschsegment

Mitglieder kauften oder verkauften nur/vorwiegend bei ihrer Genossenschaft

Die Genossenschaft ist ein für die Mitglieder (austauschbarer) Geschäftspartner unter mehreren

(3) Finanzwirtschaftliches Segment

Bereitstellung von Finanzmitteln (periodische Beiträge, Kapitalbeteiligung)

geringe oder keine finanziellen Leistungspflichten

(1) Mitgliedschaftliches Segment

Die veränderte Mitgliedereinstellung manifestiert sich in der zunehmenden Mitgliederpassivität. Deren Ursachen sind komplex, der wichtigste Faktor Hegt beim Individuum selbst. "Zu nennen sind diesbezüglich die Fähigkeit zur Interessen- und Bedürfnisartikulation (Partizipationsfahigkeit) sowie die in der Person angelegten Einstellungen, Verhaltenserwartungen und sozialnormativen Orientierungen, welche die Bereitschaft zur Partizipation determinieren. Beteiligungsbereitschaft und tatsächliche Beteiligung sind also in letzter Konsequenz von der Lebenslage des Individuums mitbestimmt." (2) Auf der anderen Seite werden durch objektive Daten (Größenverhältnisse und Distanzen) wie durch subjektive Einstellungen des Managements die Partizipationsbedingungen eingeengt, was zur Abnahme der Identifikation,

266

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

zu einem Wandel vom Träger zum Nur-Kunden führt. Echte Partizipation manifestiert sich in Interaktionsprozessen. In der geschichtlichen Entwicklung hat sich beispielsweise die Kommunikationsstruktur in der Genossenschaft grundlegend gewandelt. In Anlehnung an Steifenhagen läßt sich dieser Veränderungsprozeß der Kommunikationsformen wie folgt skizzieren (3): -

von der persönlichen zur unpersönlichen Kommunikation von der zweiseitigen zur einseitigen Kommunikation von der personenspezifisch gerichteten zur an ein diffuses Mitgliederpublikum gerichteten Kommunikation

Die Dominanz einseitiger Kommunikation in Form schriftlicher Kommunikationsmittel wie Rundschreiben, Broschüren, Zeitschriften etc. ist in den meisten Genossenschaften evident. (4) B. Tendenz zur autonomen Geschäftsleitung Mitgliederpassivität und Desinteresse sind Folgen wie Ursache für die wachsende Managerdominanz. Die veränderten Größenverhältnisse wie der steigende Wettbewerbsdruck erfordern vom Management rasches Entscheiden und schnelles Handeln. Zwischen Mitglieder- und Managerdominanz besteht ein Kontinuum, das sich stetig und deutlich in Richtung Managerdominanz bewegt, (vgl. Abb. 2) Die geforderte Professionalität bei Führungskräften - aus dem Genossenschaftsverwalter wurde der Generaldirektor - führt zu einer vermehrten Hierarchisierung in der Organisation und schafft damit für die Führung einen dauernd wachsenden Informationsvorsprung und eine Verfügungskompetenz über die Betriebsmittel, die sich auf den gesamten Willensbüdungsprozeß auswirken muß. Zudem werden heute Genossenschaftsmanager auch außerhalb des Genossenschaftssektors gesucht und abgeworben. Die Beschwörung auf eine an den Mitgliedern orientierte Dienstgesinnung hat in der Wirklichkeit oft nur deklamatorischen Charakter, der professionelle Manager orientiert sich an seinem durch Erfahrung gebildeten (unternehmungsorientierten) Wertsystem. Da in der Wirklichkeit das Zielsystem nicht mehr auf partizipativer Basis entwickelt wird, setzen die Kernorgane mehr oder weniger autonom die Ziele. Weiter definieren sie durch ihre Entscheide, was sie als Förderung der Mitglieder verstehen. Ob das Handeln der professionellen Manager tatsächlich mitgliederfördergerecht ist, ist objektiv wie subjektiv schwer überprüfbar. Denn: -

oft trägt die Formulierung des Förderungsauftrages Leerformelcharakter, die Förderwirkungen für die Mitglieder lassen sich nur schwer erfassen und aggregieren und

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

267

ABB.2: VERSCHIEBUNG DER EINFLUSSBEREICHE IN DER GENOSSENSCHAFT VON DEN MITGLIEDERN ZUM MANAGEMENT (5) 0%

Tendenzielle Machtverschiebung

Demokratische Mitgliederentscheidung

Kooperative Entscheidung zwischen Mitgliedern und Management

100%

Autoritäre Managemententscheidung

-

ist auch das Bemühen der Geschäftsleitung, sich den Mitgliedern gegenüber auf den Prüfstand zu stellen, sicher nicht ausgeprägt. Ein Beweis für diese Aussage ist u.a. in den Jahresberichten von Genossenschaften zu sehen, die relativ wenig über die Erfüllung ihrer eigentlichen Mission (Förderauftrag) berichten. - Auch die genossenschaftlichen Prüfungsverbände, die in Deutschland und Österreich Zwangsverbände sind, beschränken sich weitgehend auf die materielle und formelle Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Rechnungswesens und nicht, wie es der Gesetzgeber verlangt, darauf, ob die Geschäftsführung die "Mission" erfüllt hat.

Auch das dem Genossenschaftsbetrieb zur vermehrten Verwendung empfohlene Marketing stärkt tendenziell das Management des Genossenschaftsbetriebes.(6) Marketing ist eine Managementtechnik, die sich unter den Prämissen Individualgüter, Preissystem auf freien Märkten, im Einsatz für hierarchisch strukturierte Anbieter bewährt hat. Marketing ist ein Mittel, um die Anbieterziele zu erfüllen. Kunden wünsche können nur unter dieser Prämisse erfüllt werden. Das für Genossenschaften geforderte "angepaßte"

268

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Marketing bleibt im Kern Marketing (fehlende Neutralität der Mittel...), zielt damit auf eine Stärkung des Anbieters ab und kann so der (auf die Mitglieder gerichteten) Partizipationsphilosophie nur sekundär folgen.(7) Die Formulierung und der Einsatz einer Genossenschaftspolitik trägt unseres Erachtens dem Charakter der Mitgliederförderung Rechnung. Eine Genossenschaftspolitik ist ein spezifisch auf die Genossenschaft bezogenes Führungsinstrument, wobei die Politik für alle Mitglieder und dazugehörigen Institutionen genau gleich verbindlich sein sollte wie für den Genossenschaftsbetrieb. Diese Steuerung und Koordination aller Teile auf eine Gesamtzielsetzung bildet die Hauptfunktion einer Genossenschaftspolitik. Dieses System konkreter Grundsatzentscheidungen enthält Ziele, Verhaltensrichtlinien und Prinzipien für die Strukturgestaltung, die angebotenen Leistungen etc. Damit wird eine Genossenschaftspolitik zum Informations- und Kontrollinstrument für die Mitglieder. Sie erhalten damit Richtgrößen und Normen, welche als Orientierungshilfen und Entscheidimgskriterien für die Ausübung der Mitgliederrollen wertvoll sind. C. Tendenz zur Typentransformation, d.h. Annäherung der Genossenschaft an Erwerbswirtschaften Mitgliederpassivität und Managerdominanz führen faktisch zu einem erwerbswirtschaftlich orientierten Handeln der mitgliedschaftlich strukturierten Organisationen. Die Gestaltung der Entscheidungsprozesse wie der Entscheidimgskriterien werden zwischen Genossenschaften und Erwerbswirtschaften immer ähnlicher. Marktanteile, Umsätze, Gewinne und Cash-flow sind auch bei Genossenschaften zu den zentralen Orientierungs- und Kontrollgrößen geworden. Dies ist insofern verständlich, als Genossenschaften immer mehr auf den gleichen Märkten wie erwerbswirtschaftliche Unternehmungen auftreten und mit diesen in direktem Wettbewerb stehen. Die Umwandlung von Genossenschaften in andere Rechtsformen ist eine logische Konsequenz dieser Entwicklung, aber auch ein System für die Erosion der eigentlichen Genossenschaftsidee. In veränderter Umwelt und anderen betrieblichen Größenordnungen als in der Gründungsphase bedarf das genossenschaftliche Management einer besonderen Einstellung und einer dem Genossenschaftszweck entsprechenden Systemgestaltung. Genossenschaften sollten von Mitgliedern und der Umwelt anders, eben als "mitgliederorientiert, glaubwürdig" erlebt werden. Daß eine Managementoligarchie mit entsprechend großer Verfügungsmacht über diese "demokratischen" Gebilde das Rechtskleid der Kooperation ohne effiziente Kontrolle durch Mitglieder nutzen kann, ist verhängnisvoll.(8) Ansätze zur spezifischen Systemgestaltung sind denkbar und verfassungsbedingt erwünscht. Das Auseinanderklaffen von Norm und Wirklichkeit wird zunehmend zu einem "Ärgernis".(9)

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

269

Ein Konzept zur Einordnung der Mitgliederaktivierung in das Organisationssystem der Genossenschaft legt Ringle vor: ABB.3: DIE EINORDNUNG DER MITGLIEDERAKTIVIERUNG IN DAS ORGANISATIONSSYSTEM "GENOSSENSCHAFTEN" (10)

E I K L M W

= = = = = =

Entscheidungsrechte Informationsbeziehungen Kontrollrechte Leistungsbeziehungen Entscheidungsvorbereitung/Mitwirkung an Management-Entscheidungen Wahl genossenschaftlicher Organe

Ausgehend von diesem Konzept lassen sich für die verschiedenen Mitgliederrollen neue Anreize schaffen, welche die Partizipationsbereitschaft erhöhen können.

270

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

ABB.4:

MÖGLICHE STRATEGIEN ZUR STEIGERUNG DER MITGLIEDERPARTIZIPATION IN GENOSSENSCHAFTEN

Segmente der Gesamtbeziehung "Mitglied - Genossenschaft"

Mögliche Strategien zur Steigerung der Mitgliederpartizipation und dazugehörende Einzelaspekte

(1)

Mitgliederorientierte Geschäftspolitik - Gestaltung eines den echten Mitgliederbedürfnissen dienenden Leistungsprogrammes - Mitgliederkunden bevorzugende Dienstleistungs- und/oder Preisdifferenzierung

Leistungsaustausch-Segment

Förderung der Mitgliederrolle als Lieferant genossenschaftsrelevanter Informationen - Aufbau eines echten Beschwerdemanagements für Mitglieder - Entgegennahme und Weiterleitung von Reklamationen, Verbesserungsvorschläge u.a. durch Ombudsfrauen/männer und Beschwerdetelefon auf Kundenseite (2) Mitgliedschaftliches

Segment

Aktivierung der Beteiligung an/in Delegiertenversammlungen/Mitgliederversammlungen - Partnerschaftliches Versammlungsklima - Dialog zwischen Repräsentanten des Mitgliederkreises und des Managements Schaffung von Teilnahmemöglichkeiten der Nicht-Delegierten - Dezentrale Versammlungen von Untergruppen des Gesamtmitgliederkreises (Wahlkreise) - Bindegliedfunktion von Kontaktpersonen (Gruppensprecher lokaler Mitgliederteilgruppen) - Mitgliederabende, jährlich durchgeführte gesellige Veranstaltungen

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

271

Verbesserung des Informationssystems zu den Mitgliedern: "DiaJoginiormation", Mitgliederäußerungen aktivieren Aufwertung der Entscheidungspartizipation von Verwaltungsrat und Kontrollstelle - Berufung unabhängiger und kompetenter Repräsentanten des Mitgliederkreises für das Mandat der Kontrollstelle - Amtszeitbeschränkung, Anwendung des Rotationsprinzips und Fixierung einer Altershöchstgrenze (3) Finanzwirtschaftliches

Segment

Schaffung eines "Genossenschaftskapitals" bei entsprechenden Anreizen - Einlagen auf übernommene Genossenschaftsanteile - Erhöhung des Genossenschaftsanteils - Freiwillige Beteiligung/Pflichtbeteiligung mit mehreren Anteilen (Mehrfachbeteiligung) Beteiligung am "inneren Wert" der Genossenschaft - Auseinandersetzungsanspruch ausscheidender Mitglieder auf Teile eines Sonderreservefonds - Abbau des Gefühls der "Enteignung", Stärkung der Verbundenheit mit der Genossenschaft (weniger Austritte, erhöhte Beteiligungsbereitschaft)

D. Wirtschaftliche L e i s t u n g J.M. Bach hat die Genossenschaften als "Institutionen angewandter Erwachsenenbildung" bezeichnet. Mit dieser A u s s a g e weist er auf den Förderungscharakter der Genossenschaften hin. 1. Der gesetzlich und statutarisch vorgegebene Auftrag, die Mitglieder zu fördern, weist auf diese Mission zur Leistung von Diensten an den Mitgliedern hin. Genossenschaften sind von ihrer Idee her selbst als Ökonomisierungsinstrumente der sie tragenden Mitglieder e i n z u s t u f e n . ( l l )

272

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

2. Genossenschaften sind aber nicht nur kraft ihrer Verfassung, sondern auch von ihrem Leistimgsprogramm her als Dienstleistungsbetriebe zu bezeichnen, agieren sie doch im - tertiären Sektor (Handel, Transport, Bank- und Versicherungswirtschaft) - primären und sekundären Sektor; sie erstellen nicht Sachgüter, sondern wirken als Dienstleistungsanbieter am Beschaffungs- bzw. Verwertungsprozeß von Sachgütern mit. Wirtschaftliche Leistimg heißt somit effiziente Dienstleistungserstellung für und -Verwertung durch die Mitglieder. Die Unterschiede zwischen Sachgut und Produktherstellung und Dienstleistung zeigt die folgende Gegenüberstellung^ 12)

Sachgut / Produkt

-

-

Dienstleistung

materielles Wirtschaftsgut eher objektive Wahrnehmung

-

effektive Faß- und Erfaßbarkeit des Angebotes Eigentum/Besitz Produktion ist ohne Beteiligung des Käufers möglich Erstellung und Nutzung fallen räumlich/zeitlich nicht zusammen Produkt ist lagerfähig

-

Produktionsquantität und -qualität sind meßbar, gut standardisierbar Handelsstufen können zwischen Her- steller und Verwender treten nicht standortgebunden -

immaterielles Wirtschaftsgut durch persönlichen Kontakt und Betroffenheit tendenziell subjektive Wahrnehmung Angebot nur als Leistungsziel Nutzung Käufer ist bei Leistungserstellung beteiligt Erstellung und Nutzung fallen räumlich/zeitlich zusammen nicht lagerfähig, operationalisierbar ist nur das Leistungsangebot Dienstleistungsquantität, vor allem qualität schwer erfaßbar, weniger gut standardisierbar direkter Käuferkontakt ist notwendig Dienstleistung ist standortgebunden

Aus dieser Perspektive vollzieht sich daher die Förderung der Genossenschaft nur durch und mit dem Mitglied. Diese Leistung läßt sich differenzieren in: -

Steigerung des Potentials des Mitgliederbetriebes - menschliches Potential - finanzielles Potential Reduktion der Kosten im Genossenschaftsbetrieb (Beschaffungspreise von Gütern und Dienstleistungen) Verbesserung des infrastrukturellen Potentials zur Dienstleistungserstellung (technische Qualität und Kontaktpotential der Mitarbeiter).

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

273

Der immaterielle Charakter der Dienstleistung und die subjektive Wahrnehmung durch das Mitglied fordern für die Pflege des Dienstleistungspotentials einen hohen Stellenwert. Im Kontaktpotential der Mitarbeiter der Genossenschaft manifestiert sich die Grundeinstellung gegenüber den Mitgliedern: Verfügbarkeit, Bemühen um Mitgliedernähe, Servicegesinnung (von der Dienstgesinnung zur Dienstleistungsorientierung) etc. Ein wesentliches Element der genossenschaftlichen Leistungssteigerung wird in der Strukturökonomisierung gesehen (13). Leistungsfähige, den verwendeten Betriebsmitteln und der Konkurrenz angepaßte Betriebsgrößen sind heute in allen Branchen eine Voraussetzung zum Überleben. In der Praxis wurde dies vor allem durch Wachstum in der Form von Zusammenschlüssen realisiert. Die Zahl der Primärgenossenschaften nahm in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten rapide ab. Allerdings besteht die Gefahr, daß mit dem Verschwinden der kleinen, mitgliedemahcn Einheiten der Genossenschaftscharakter verloren gehen kann. Hahn hat auf diesen Zusammenhang bei Raiffeisenbanken hingewiesen^ 14) Hier treten die beiden Anforderungen, einerseits wünschbare Kundennähe, andererseits eine minimale Betriebsgröße, um die im Bankwesen erforderliche Infrastruktur finanzieren zu können, diametral aufeinander. Mindestens ebenso wichtig wie das äußere ist das innere Wachstum der Genossenschaft. Die naheliegende Lösung ist in der Erweiterung des Mitgliederkreises zu sehen. Die Praxis zeigt, daß dies eigentlich nur in einzelnen Bereichen wie der Kreditgenossenschaften gelungen ist. Erfolgversprechender ist der Versuch einer Intensivierung des bisherigen Mitgliedergeschäftes oder die Erweiterung des genossenschaftlichen Leistungsangebotes. Weil diesem Vorgehen die Grenzen der Aufnahmefähigkeit auf Seiten der Mitglieder entgegenstehen und oft neue Leistungsangebote zu wenig genutzt werden (minimale Kapazitätsauslastung nicht erreicht), ist es naheliegend, auf das Nichtmitgliedergeschäft auszuweichen. Damit wird dann meistens der erste Schritt zur "Typentransformation" eingeleitet. Der hilfswirtschaftliche Charakter der Genossenschaft geht verloren. Die "kategoriale Umklammerung" des Wirtschaftlichkeitsprinzips durch den Förderungsauftrag ist in der Praxis nicht leicht durchzuführen. Die ökonomischen Maßnahmen beziehen sich naturgemäß in erster Linie auf den Genossenschaftsbetrieb, der Förderungsauftrag wird also subsidiär erfüllt. Damit werden viele in der erwerbs wirtschaftlichen Unternehmimg eingesetzten Instrumente nicht oder nur in modifizierter Form anwendbar. Blendet man in die Gründeijahre zurück, stellt man fest, daß die damaligen Genossenschafter stark individuell geprägt waren (Genossenschaftsideologie). Nachdem nun lange Zeit die gesamte Betriebswirtschaftslehre in funktionalen Kategorien gedacht hat, beginnt man sich heute wieder vermehrt auf die "weichen" Elemente zu besinnen. Betriebsklima, Unternehmenskultur sind

274

2. Kapitel: Die Merkmale

von

Genossenschaften

Stichworte dazu. Unsere Erfahrung zeigt, daß gerade in mitgliedschaftlich strukturierten Organisationen die Frage der Kultur eine tragende Rolle spielt, um ein Wir-Gefühl zu schaffen, das eine kooperative Verhaltensweise fördert.(15) Diese Rückbesinnung auf beste genossenschaftliche Tradition ist nur zu begrüßen. Freitag sieht erste Schritte zur Verwirklichung der Genossenschaftskultur in der Formulierung einer Unternehmungsphilosophie und die Verstärkung der Kommunikation im innerbetrieblichen Bereich und die Verbesserung der Information im Bereich Genossenschaftsunternehmung Mitglieder (16), während Patera zur Überwindung der internen und externen Orientierungsschwäche im Bereich Genossenschaftsidentität für Schulungsinvestitionen plädiert. So wurde innerhalb der österreichischen Raiffeisenkassen nicht nur ein bundeseinheitliches Leitbild konzipiert, sondern im Zuge der Leitbildimplementierung auf der Ebene der Landesverbände neue genossenschaftsspezifische Schulungsinhalte entwickelt/17) Diese Schulungsmaßnahmen müssen das gesamte Genossenschaftssystem einbeziehen, die hauptund ehrenamtlichen Mitarbeiter wie auch die Genossenschaftsmitglieder. Abschließend muß angefügt werden, daß die Aufbereitung des Themas "Organisationskultur" eigentlich erst in den Anfängen steckt, die Forschungsstelle für Verbands- und Genossenschafts-Management an der Universität Freiburg (Schweiz) hat erste Checklisten für den Verbandsbereich entwickelt. Fußnoten (1) Welche finanziellen Lasten einem Genossenschafter aufgebürdet werden können, mußten 1986/87 die Mitglieder der Cantina Sociale Giubiasco, einer Weinbaugenossenschaft im Kanton Tessin (Schweiz) aufgrund eingeforderter Zahlungen zur Schuldenabtragung schmerzlich erfahren. Dies war für die Genossenschafter umso härter, als die Misere eindeutig auf ein schlechtes Management der Geschäftsführung im Genossenschaftsbetrieb zurückzuführen war. (2) Amann, A.: Soziologischer Abschnitt, in Patera M. (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Mitbestimmung in Genossenschaften, allgemeine Schriftenreihe des Dr. Rudolf Rasser Institutes, Wien 1984, S. 11 f. (3) Steffenhagen Hartwig, Marketing, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1988, S. 145 (4) Lötz Irmhild: Die mitgliederorientierte Kommunikationspolitik der ländlichen Warengenossenschaften bei steigender Konzentration, in: Ländliches Genossenschaftswesen, Schriften aus dem Institut für ländliches Genossenschaftswesen an der Justus Liebig Universität Giessen, Heft 21, Giessen 1988 und Blümle Ernst-Bernd und Purtschert Robert: Förderungsauftrag, Partizipation und intragenossenschaftliche Kommunikation, in ZfgG, Band 33, 1983 (5) Imboden Francis und Bumann Anton: Mitgliederpartizipation in Genossenschaften - notwendig und möglich? in: Verbands-Management, 12. Jg., Nr. 1/1987, S. 24 (6) Schmid Günther: Marketing als Unternehmungsführungskonzeption von Handelsgenossenschaften, Berlin 1988, S. 407

2. Kapitel:

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(7) Purtschert Robert: Marketingphilosophie kontra Partizipationsphilosophie, in: Verbands-Management, 12. Jg., Nr. 2/1987 (8) Henrici Andreas: Ist die Genossenschaft als Rechtsform noch zeitgemäß?, in: Verbands-Management, 12. Jg., Nr. 2/1987, S. 14 (9) Schwarz Peter: Kontroverse um Genossenschaften, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 64, 1982 (10) Ringle Günther: Mitgliederaktivierung und Partizipation in modernen Primärgenossenschaften, Göttingen 1983, S. 17 (11) Engelhardt Werner Wilhelm, Schmid Günther: Grundsätzliche Aspekte genossenschaftlicher Ökonomisierung, in: WISU (6/87), S. 311 (12) Blümle Ernst-Bernd: Genossenschaften als Dienstleistungsbetriebe, in: Genossenschaftsforum 5/88, S. 222 (13) Engelhardt Werner Wilhelm, Schmid Günther: aao., S. 313 (14) Hahn Oswald, Die klassische Raiffeisenbank, die Dorfbank als Nostalgie oder Notwendigkeit?, Nürnberg 1986, S. 13 (15) Lipfert Helmut: Genossenschaftliches Konkurrenz- und Kooperationsmanagement, in: Die Genossenschaft im Wettbewerb der Ideen. Bericht der XI. Internationalen Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung, Münster 1985, Hrsg. von E. Boettcher, Tübingen 1985, S. 168 (16) Freitag Fritz O.: Zur Entwicklung einer genossenschaftlich-kooperativen Unternehmungskultur, in ZfgG 38, Heft 92, 1988, S. 74 f. (17) Patera Mario: Genossenschaftliche Unternehmenskultur ohne Ausbildung - zwei Anfragen!, in: Verbands-Management, 13. Jg., Nr. 1/88, S. 23 f.

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2.5.2.

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Erfolgsmessung und Evaluierung der Genossenschaft (1) Eberhard Dülfer

A. Der Kooperationserfolg Die Frage nach der Erfolgsmessung der Genossenschaft wird in der Praxis lind auch aus juristischer (bilanzrechtlicher) Sicht in der Regel mit dem Hinweis auf den ausgewiesenen Bilanzerfolg im Jahresabschluß beantwortet. Der Gesetzgeber sieht die Genossenschaft als eine Vinter mehreren gesellschaftsrechtlichen Formen und verpflichtet sie zur gleichen Art der Rechnungslegung mit nur geringfügigen Modifikationen gegenüber anderen Gesellschaftstypen. Auch aus der Sicht des Steuerrechts wird kein prinzipieller Unterschied zwischen der Steuerbilanz der eG und der anderen Gesellschaftstypen gemacht. Trotz dieser legalen und praktisch realisierten Handhabimg des "Erfolgsausweises" in der Jahresbilanz kann dieser doch unter kooperationstheoretischen Aspekten nicht als sinnvoller Ausweis des "Kooperationserfolges" verstanden werden. Wenn wir uns daran erinnern, daß der Betrieb der Beschaffungsgenossenschaft ebenso wie der Betrieb der Absatzgenossenschaft im idealtypischen Fall (d.h. bei ausschließlichem Mitgliedergeschäft) dem Auffangsdeckungsprinzip verpflichtet ist, und daß daher ein tatsächlich beim Genossenschaftsbetrieb auftretender Überschuß nur als Folge unzureichend kalkulierter Verrechnungspreise bzw. Mitgliederauszahlungen verstanden werden kann, so kann ein solcher mehr oder wenig zufallig sich ergebender einbehaltener "Gewinn" im Genossenschaftsbetrieb auf keinen Fall ein ausreichender Indikator für jene Nutzengröße sein, die durch die zwischenbetriebliche Kooperation der Mitgliederwirtschaften entstanden ist. Es stellt sich also die Frage, worin überhaupt der "Kooperationserfolg" bestehe und wo und mit welchem Verfahren er gemessen werden könne. Wenn man davon ausgeht, daß die Mitgliederwirtschaften sich zur 'kooperativen Gruppe' zusammengeschlossen haben, und daß sie gemeinsam den 'kooperativen Organbetrieb' (Genossenschaftsbetrieb) als Instrument der Förderung ihrer eigenen Mitgliederbetriebe (oder Haushalte) errichtet haben und tragen, so ist leicht ersichtlich, daß der eigentliche Erfolg der Kooperation nur von denen konstatiert werden kann, die diese Kooperation begründet haben, also von den Mitgliedern. Wenn man nun ferner davon ausgeht, daß die Mitglieder, z.B. als Produktions- oder Handelsbetriebe, nach der Auffassung der neueren Betriebswirtschaftslehre jeder ein (multivariables) Zielsystem aufweisen, so wäre der Kooperationserfolg in jener Erhöhung der Zielerreichung zu sehen, die durch die Kooperation, d.h. praktisch durch die Interaktion mit dem Genossenschaftsbetrieb zustande gekommen ist. Auf die Frage, wie dies gemessen werden könnte, werden wir später zurückkommen.

2. Kapitel:

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111

Da die einzelnen Mitglieder nicht in allen ihren individuellen Zielen übereinstimmen, sondern nur eine bestimmte Teilmenge, im Extremfall nur ein einziges Ziel, gemeinsam aufweisen (s. Abb. 1), ergibt sich insoweit die Vorstellung von einem Zielsystem der kooperativen Gruppe, in dem nur solche gemeinsamen Ziele enthalten sind. Hinsichtlich der Struktur dieses Gruppenzielsystems spielt der Homogenitätsgrad der Gruppe eine Rolle. Bei mehreren Teilgruppen gibt es auch jeweils unterschiedliche Zielsysteme. In jedem Fall könnte eine zweite Auffassung zum Kooperationserfolg dahingehend lauten, daß nur das Ausmaß der Zielerreichung im Gruppenzielsystem den sinnvollen Ausweis des Kooperationserfolges darstellen könne. Auch in diesem Fall muß

ABB.l: MULTIPOLARE BILDUNG DES OPERATIONALEN ZIELSYSTEMS FÜR DEN KOOPERATIVEN ORGANBETRIEB

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allerdings die Feststellung der Zielerreichung beim einzelnen Mitglied erfolgen, da die kooperative Gruppe als solche ebenfalls nur ein abstraktes Konstrukt ist. Die Feststellung dieser Zielerreichung wäre ein sinnvoller Indikator für das Ausmaß der Erfüllung des Förderungsauftrages. Eine dritte Überlegung zur Frage der Ansiedlung des Kooperationserfolges könnte dahin gehen, daß die Erreichung des operationalen Zielsystems des Organbetriebes maßgeblich sei, also jenes Zielsystem, das durch die Koordination der Mitgliederinteressen (Förderungsauftrag) auf der einen Seite mit den individuellen persönlichen Interessen der Genossenschaftsleiter (Manager) und der Mitarbeiter (im Genossenschaftsbetrieb) zustande kommt und das sich einerseits auf operationale Leistungsgrößen des Genossenschaftsbetriebes beschränkt, andererseits aber auch Komponenten einschließen kann, die über die Mitgliederinteressen hinausgehen. Auch hier muß daran erinnert werden, daß ein solches (multivariables und multipersonales) Zielsystem des kooperativen Organbetriebes nicht mit dem Bilanzergebnis identisch sein kann, denn es beschränkt sich nicht auf die monetären Größen des Rechnungswesens. B. Messung des Kooperationserfolges beim Mitglied Da das individuelle Zielsystem des einzelnen Mitgliedsbetriebes subjektiv bestimmt ist, kann eine Beurteilung der Förderung der Zielerreichung durch Teilnahme an der Kooperation nur durch das Mitglied selbst beurteilt werden. Für den empirischen Forscher besteht hier nur die Möglichkeit einer Befragung, wobei Befragungen über individuelle Zielverfolgung und Zielerreichung aus mehreren Gründen problematisch bleiben. Ein Ausweg kann darin bestehen, die Einstellung des Mitglieds gegenüber der Genossenschaft oder gegenüber dem Genossenschaftsbetrieb zu ermitteln. Dabei kann auf Verfahren der Beobachtung und der Befragung (z.B. bipolare semantische Differentiale; Verfahren der summierten itemscores nach Likert) zurückgegriffen werden. Die Analogie der Problemstellung zur Produkt-Image-Forschung im Marketing ist offensichtlich. In Bezug auf unterschiedliche Interessen- und Bedürfnislagen von Mitgliederteilgruppen können auch Verfahren der Marktsegmentierung zum Zwecke der Mitgliedersegmentierung angewandt werden. Die Anwendung von Methoden der empirischen Sozialforschung zum Zwecke der Ermittlung des Kooperationserfolges beim einzelnen Genossenschaftsmitglied erfolgte zunächst nur im Rahmen von entwicklungspolitischen Projekten in der Dritten Welt. In neuerer Zeit haben aber auch Genossenschaften in Industrieländern im Rahmen ihrer eigenen Mitglieder- und Marketingpolitik Mitgliederbefragungen durchgeführt.

2. Kapitel:

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C. Messung des Kooperationserfolges bei der Mitgliedergruppe Da der Genossenschaftsbetrieb bei heterogener Mitgliederstruktur nicht in der Lage sein kann, jedem Mitglied alle Wünsche zu erfüllen, ist die Identifikation der Gruppenziele oder der Teilgruppenziele von unmittelbarer praktischer Bedeutung für die Orientierung der Unternehmungspolitik. Dabei zeigen sich allerdings erhebliche Unterschiede in bezug auf die Deutlichkeit der Gruppenziele; das Kontinuum reicht von einer sehr dezidierten Zielsystemstruktur, die der Leitung des Genossenschaftsbetriebes enge quantitative und qualitative Vorgaben gibt, bis zu einer nur vagen Andeutung des Förderungsbedarfs, der es aber der Leitung völlig überläßt, die operationalen Leistungsgrößen selbst zu bestimmen. In dieser Beziehung spielt auch eine Rolle, daß die Mitgliedergruppe selten in corpore in Erscheinung tritt. Sie tut dies eigentlich nur in Form der Generalversammlung und auch dann bei Großgenossenschaften (mit mehr als 1.500 bzw. 3.000 Mitgliedern) nur in der Form der von den Mitgliedern gewählten Vertreterversammlung. Eine Messung der Erreichung der Gruppenziele ergibt sich dann nur über das Medium des Abstimmungsverhaltens des einzelnen Mitglieds bzw. des einzelnen Vertreters. Es findet seinen Ausdruck in den Beschlüssen über -

die Feststellung des vorgelegten Jahresabschlusses,

-

die Entlastung der Verwaltungsorgane aufgrund der Berichterstattung,

-

der Ergebnisverteilung nach Vorschlag oder in Abweichung vom Vorschlag des Vorstandes.

Bemerkenswert ist aber, daß im Beschluß über die Entlastung der Organe eine Bestätigung der Erfüllung des Förderauftrages enthalten ist, da sowohl Vorstand wie Aufsichtsrat auf diesen Aspekt des § 1 GenG durch die Haftungsvorschriften der § 34 und § 41 verpflichtet sind und insofern die Mitgliederversammlung bewußt oder unbewußt auch in dieser Hinsicht Entlastung erteilt. D. Der "Erfolg" des kooperativen Organbetriebes Es wurde schon angedeutet, daß es wenig Sinn macht, den Erfolg des kooperativen Organbetriebes am Bilanzergebnis zu messen. Im idealtypischen Modell ist der Genossenschaftsbetrieb der Beschaffungsgenossenschaft bestrebt, den Mitgliedern nur diejenigen Kosten der Beschaffung zu belasten, die tatsächlich angefallen sind. Wenn es also möglich wäre, die Kosten der Abrechnungsperiode im voraus ganz exakt zu schätzen, würden die Verrechnungspreise kostendeckend formuliert werden. Ein Überschuß (Gewinn) könnte demnach gerade dann nicht entstehen, wenn die Förderung perfekt durchgeführt worden wäre. Nur die Unsicherheit der Risikobestimmung führt dazu, daß infolge der vorsichtigen Kalkulation am Jahresende ein Überschuß ent-

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2. Kapitel: Die Merkmale von

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fällt, der nach dem ursprünglichen Modell durch die Rückvergütung wieder beseitigt wird. Wenn de facto in Genossenschaften ein Teil dieses Überschusses in die Rücklage gestellt und damit einbehalten wird, so geschieht das im Hinblick auf die Gefahr des fluktuierenden Eigenkapitals der EG, bedeutet aber nicht einen wirklichen Handelsgewinn, sondern lediglich eine Einbehaltung von Mitgliedergeldern. Deshalb wäre es widersinnig, gerade an eine Erscheinimg, die nur durch die Unvollkommenheit der Kostenzurechnung erklärbar ist, den wirklichen Kooperationserfolg messen zu wollen. Dieser besteht eben in der Wirkung, die die Leistungsbeziehung zwischen Genossenschaftsbetrieb und Mitgliederbetrieben auf die letzteren ausübt. Ein pragmatischer Vorschlag geht dahin, einfach die Summe der Leistungen als Maß für den Kooperationserfolg zugrundezulegen. Auch das wäre aber eine unzureichende Methode, denn es würden damit nicht alle Auswirkungen auf die Situation der Mitgliederbetriebe, die durch die Kooperation bewirkt werden, erfaßt werden können. Immerhin wäre es möglich, das operationale Zielsystem des Genossenschaftsbetriebes zu präzisieren und daran die Zielerreichung mit Hilfe von metrischen oder nichtmetrischen Skalen zu konstatieren. E. Zielerreichungsmessung im Kooperativ Mehrfach wurde schon betont, daß auf verschiedenen organisatorischen Ebenen (z.B. des Mitglieds, der Mitgliedergruppe, des Genossenschaftsbetriebes) monetäre und auch nichtmonetäre Ziele der verschiedenen Beteiligten eine Rolle spielen können. In der Praxis ist oft nicht bekannt, wie man sich überhaupt eine Messung von nichtmonetären Größen vorstellen solle. Im folgenden wird daher anhand einer Grafik (vgl. Abb. 2)erläutert, wie Sachziele und Formalziele in der Unternehmung (der Organisation) gemessen werden können und welche Meßergebnisse mit welchem Aussagewert dabei anfallen. Ausgangspunkt ist die Ermittlung der Ziele bei den verschiedenen Zielsubjekten. Sie muß teilweise durch Befragung stattfinden. Die angegebenen Ziele können dann in Sachziele und Formalziele unterschieden werden, wobei als Sachziele die Mengen an Produkten und Dienstleistungen gesehen werden, die für sich selbst als Indikator meßbar sind. Bei den Formalzielen dagegen muß auf die Ursprungsgrößen zurückgegangen werden, die in der Regel mit dem Ziel durch eine Definitionsgleichung verbunden werden können. Danach ist die Maßskala zu bestimmen, die in vielen Fällen nur als Intervall- oder Ordinalskala in Betracht kommt. Nachdem der Zielerreichungswert festgestellt wurde, stellt sich die Frage, ob es sich dabei um den Wert eines Maximierungszieles oder eines begrenzten Zieles handelt. In Fällen von Maximierungszielen kann nur der absolute Zielerreichungswert angegeben werden (z.B. Gewinngrößen und Umsatzgrößen), während bei Satisfaktionszielen der Prozentsatz der Erreichung des vorher formulierten Satisfaktionsniveaus errechnet werden kann.

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

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ABB. 2 VERFAHREN DER EFFIZIENZMESSUNG (EFFIZIENZMESSUNGSALGORITHMUS)

Ermiile die Ziele bein Zielsubjekt !
ol x t l

Wenn wir die historische Entwicklung des genossenschaftlichen Sektors seit dem 2. Weltkrieg Revue passieren lassen, so läßt sich sagen, daß keines dieser drei Wachstumsmodelle ein allgemeines Entwicklungsgesetz der Genossenschaften darstellt, es lassen sich höchstens Trends ableiten. Man kann also nicht behaupten, daß einer dieser drei marktgenossenschaftlichen Positionen dominant vertreten war. Die Entwicklung der Genossenschaft war sowohl von ihrer Unternehmensstrategie als auch von ihrer Funktion als Personengemeinschaften, aber auch von äußeren Umwelteinflüssen - vor allem vom von Seiten des Staates - geprägt. Es gibt viele Wachstumsindikatoren der Genossenschaften. Im großen und ganzen kann man drei Faktoren unterscheiden. Die Zunahme der Wirtschaftskraft einer Genossenschaft kann durch eine -

wachsende Mitgliederzahl, durch die wachsende Wirtschaftskraft der Mitgliederwirtschaften oder durch die Ausweitung der Wirtschaftskraft der Genossenschaft durch Nichtmitgliedergeschäfte erfolgen.

Jeder dieser Faktoren besitzt spezifische Merkmale und eigene Wachstumsgrenzen. Im allgemeinen wird es aber, bei Dominanz der ersten beiden Faktoren, innerhalb der Genossenschaften - sowohl kurz- als auch langfristig - zu zahlreiche Hindernisse und Widerstände kommen (z.B. Verminderung des Gruppenbewußtseins, wirtschaftliche Ungleichheiten zwischen den Mitgliederbetrieben etc.).

2. Kapitel:

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In der Praxis ist es bei fast allen Genossenschaften in den Marktwirtschaften dominant zu einer Vergrößerung deren Wirtschaftstätigkeit durch Forcierung von Nichtmitgliedergeschäften gekommen. Mit diesem Faktor ist aber ein Umstand verbunden, der hier noch besonders hervorgehoben werden soll: Die überwiegende Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit einer Genossenschaft auf Nichtmitgliedergeschäfte führt im Allgemeinen zu Konfliktpotentialen zwischen Mitglieder- und Nichtmitgliederinteressen und zwischen Genossenschafts- und Mitgliederinteressen. Es tritt eine fortschreitende Verselbständigung der Interessen des Genossenschaftbetriebes auf Kosten der Interessen der Genossenschaft als Mitgliedergruppe ein. Die Bindungen zwischen den Genossenschaften und ihren Mitgliedern werden immer lockerer. Die Genossenschaft muß aber, wenn sie ihre Eigenart nicht verlieren möchte, auf ihre Bindung zu den Mitgliedern achten, denn es gibt keine Genossenschaften ohne Mitglieder. Der Ausbau der ökonomischen Beziehungen zwischen Genossenschaften und Nichtmitgliedem darf nur bis zu einem gewissen Grad erfolgen. Das eigentliche Problem, das hier angesprochen wird, ist also die Frage, inwieweit die Genossenschaften ihre Bindungen zu den Mitgliederwirtschaften aufgeben können, um noch weiter als Genossenschaften bestehen zu bleiben. Ich möchte hier auf einige Prinzipien hinweisen, mit denen Genossenschaften mittel- und langfristig unbedingt verbunden bleiben sollten: -

die "Doppelnatur" (Draheim) der Genossenschaft sollte aufrecht erhalten werden, d.h. der gemeinschaftlichen Charakter der Genossenschaft darf nicht zugunsten einen rein unternehmerischen Expansion aufgeben werden. Weiters sollten die Mitglieder innerhalb der Genoossenschaft gleichberechtigtsein, und das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe zwischen den Mitgliedern sollte wirksam bleiben.

-

die Mitglieder sollten aus der Zugehörigkeit zu ihrer Genossenschaft Vorteile ziehen können. Diese können zwar verschiedener Art sein, eine Verbesserung der Wirtschaftskraft der Mitgliederwirtschaften muß aber unbedingt damit verbunden sein.

-

die Mitglieder sollten Einfluß auf die Grundsatzentscheidungen ihrer Genossenschaft nehmen können. Ob das in Form einer direkten oder indirekten Mitbestimmung erfolgt, ist von der Größe der Genossenschaft und von den institutionalisierten Beziehungen zwischen den Mitgliedern und dem Management abhängig.

Die Unternehmensstrategien der Genossenschaften sind in zweifacher Hinsicht von den äußeren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig: -

erstens kommt es auf die Politik des Staates an. Sie ist genossenschaftsfreundlich, wenn der Staat die Tätigkeitsbereiche der Genossenschaften als geschützte Sektoren mit einer entsprechenden Steuer-, Subventionsund InvestitionsfÖrderungspolitik, entweder auf Landes- oder Regionenebene festlegt. Der Staat kann aber auch nur bestimmte Genossenschafts-

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arten (z. B. Wohnbau- oder Invalidengenossenschafiten) bevorzugt behandeln, wenn diese für eine schutzbedürftige Bevölkerungsgruppe tätig sind. Der Staat kann sich neutral verhalten. Die Genossenschaften werden ganauso behandt wie alle anderen Wirtschaftssubjekte. Schließlich kann auch eine genossenschaftsfeindliche Politik vorhanden sein, wenn die Genossenschaften im Vergleich zu den anderen Wirtschaftsformen diskriminiert werden. -

zweitens kommt es auf das Konkurrenzverhalten der übrigen in der Volkswirtschaft tätigen Unternehmen an. Sie können dem genossenschaftlichen Sektor die Regeln des Marktes und eine wesentlichen Umgestaltung der genossenschaftlichen Unternehmensform aufzwingen.

Literatur: Großkopf, W.(Hrsg): Genossenschaften in steter Bewährung, Stuttgart 1986 Kluthe, K: Genossenschaften und Staat in Deutschland, Berlin 1985 Seuster, H.: Strategische Unternehmensplanung und strategische Unternehmenskontrolle als Aufgabe der Untemehmungsführung in Genossenschaften, in: Laurinkari, J. (Hrsg.): Die Prinzipien des Genossenschaftswesen in der Gegenwart, Nürnberg 1986

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

2.6.6.

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Grundlagen g e n o s s e n s c h a f t l i c h e r Strukturen u n d deren Wandlungen als F o l g e v o n Marktzwängen Werner Grosskopf

Genossenschaften in der hier zu behandelnden Form der Fördergenossenschaften wurden Mitte des vorigen Jahrhunderts gegründet. Ihre konzeptionelle Ausgestaltung ist daher vor dem Hintergrund des damaligen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes zu sehen. Die Veränderungen des Umfeldes haben jedoch auch bei Genossenschaften ihre Spuren hinterlassen. A. Grundlagen d e s traditionellen G e n o s s e n s c h a f t s b e g r i f f s Die Funktionsfahigkeit des genossenschaftlichen Konzeptes setzt das Vorhandensein bestimmter organisatorischer Strukturen und Verhaltensweisen der Beteiligten voraus. Die ältere Genossenschaftstheorie mißt insbesondere den Beziehungen zwischen Organbetrieb und Trägern sowie der Zusammenarbeit unter den Mitgliedern besondere Bedeutung zu. Die in diesen Theorien real- und idealtypischer Prägung formulierten Bedingungen, Verhaltensnormen und Grundsätze, die in ihrer Gesamtheit die Ausprägung der genossenschaftlichen Wesensmerkmale und damit die Identität der traditionellen Genossenschaft zum Ausdruck bringen, sollen zunächst beschrieben und anschließend im Hinblick auf die Anforderungen des zugrundeliegenden ökonomischen Konzeptes interpretiert werden. 1. Der idealtypische Genossenschaftsbegriff Die idealtypische Theorie abstrahiert im Gegensatz zur realtypischen Ausprägimg von tatsächlichen Abläufen und Verhaltensweisen. "Elemente einer Erscheinung, in welchem ihre Idee sich ausdrückt, werden einseitig gesteigert, so daß jenes Gedankenbild, eben der Idealtypus, sich klar heraushebt, mit welchem die konkrete Wirklichkeit verglichen, der Abstand zwischen Idee und Empirie geschätzt wird" (von Beckerath/Kloten/Kuhn, HWdSW 1965, S. 298). Resultat dieser Vorgehensweise ist ein "Denkmodell oder Gedankengebilde, das entweder durch 'Zurechtmachung' oder durch 'Konstruktion' gewonnen wird" (Jenkis, 1986, S. 34). Dem idealtypischen Genossenschaftsbegriff liegt die Erscheinungsform eines genossenschaftlichen Organbetriebs zugrunde, wie er in den Gründerjahren gegen Mitte des vorigen Jahrhundert vorzufinden war. Diese "Urform" der Genossenschaft zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Organbetrieb und den Mitgliederwirtschaften aus. Die Mitglieder stellen den Gemeinschaftsbetrieb ganz in den Dienst ihrer Wirtschaften: Sie übertragen auf ihn nur solche Funktionen, die sie eigentlich selbst wahrzunehmen hätten, die sie aber nicht allein beziehungsweise allein

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2. Kapitel: Die Merkmale

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nur unzureichend oder mit hohen Kosten ausüben könnten. Aus dieser Sicht wird die Genossenschaft deshalb zuweilen lediglich als ein Aggregat von ökonomischen Einheiten betrachtet, die unter Beibehaltung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit Teile ihrer ökonomischen Einheiten so koordinieren, daß alle Funktionen des Aggregats letztlich die Funktionen der angeschlossenen ökonomischen Einheiten sind (Emelianoff, 1948, S. 105 f). Dieser Genossenschaftsbetrieb nimmt gegenüber den Mitgliedern eine rein hilfswirtschaftliche und organhafte Funktion ein; er ist somit als wirtschaftlich unselbständiges Gebilde zu betrachten. Nach dieser Auffassung kann er charakterisiert werden als "Aggregat von ökonomischen Einheiten (...), deren Zweck es ist, gemeinsam solche Tätigkeiten auszuüben, die ein integraler Teil der teilnehmenden Einheiten sind, zur Verminderung der Kosten oder zu sonstigen Erhöhungen des wirtschaftlichen Interesses der teilnehmenden Einheiten" (Robotka, 1959, S. 70). Die Genossenschaft ist also nach idealtypischer Auffassung nicht selbständig aktionsfähig, sondern sie vertritt lediglich die in ihr zusammengeschlossenen Einheiten auf Teilbereichen derer Geschäftspolitik. Das von den Mitgliedern eingesetzte Exekutivorgan sammelt die Wünsche der Mitglieder und verteilt die Leistimgssumme wiederum auf diese Mitglieder. Bei einer solchen Konstruktion handelt es sich im ökonomischen Sinn um eine Hilfswirtschaft. Der Organbetrieb muß bestrebt sein, die Geschäfte kostendeckend abzuwikkeln. Der Preis für die Leistungen an die Mitglieder wird sich daher an den Selbstkosten des Organbetriebs orientieren. Zwischen Mitgliederwirtschaften und Organbetrieb liegen demgemäß auch keine Marktbeziehungen vor. Für den Genossenschaftsbetrieb besteht keine Veranlassung, daneben Geschäfte mit anderen Partnern als mit den Mitgliedern abzuschließen. Aus der Konzeption der idealtypischen Genossenschaft folgt, daß den Mitgliedern nur über die Leistungen der Genossenschaft Vorteile zukommen können; die Geschäftspolitik des Organbetriebs wird vollständig durch die Leistungsanforderungen der Mitglieder determiniert. Demgemäß wird auch die unternehmerische Funktion ausschließlich durch die Mitglieder ausgeübt. Die von den Mitgliedern eingesetzten Funktionsträger haben lediglich die Funktion eines Verwalters. Da dieser nur "Vollzugsorgan eines eindeutig bestimmten Mitgliederwillens ist und seine Funktion sich mehr oder weniger auf technische Vollzugshandlungen und -entscheidungen beschränkt, mit dem die von der Mehrheit der Mitglieder beschlossenen unternehmerischen Entscheidungen realisiert werden" (Preuss, 1969, S. 27), können auch Interessenkonflikte zwischen Funktionsträgern und Mitgliedern kaum auftreten.

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2. Die realtypische Ausprägung der traditionellen Genossenschaft Die real typische Theorie ist bemüht, sich mit ihren Prämissen der Wirklichkeit möglichst stark anzunähern. Obwohl Distanzierungen und Vereinfachungen unumgänglich sind, darf der Bezug zur Wirklichkeit nicht verloren gehen. Die realtypischen traditionellen Genossenschaftstheorien stellen die Funktionalbeziehungen zwischen Gemeinschaftsbetrieb und Mitglied sowie die Verhaltensweisen der Organisationsteilnehmer in den Vordergrund. Unter Einbeziehung der tatsächlichen Entwicklung der genossenschaftlichen Betriebe wird im Gegensatz zur idealtypischen Auffassung eine Eigenständigkeit des Genossenschaftsbetriebs anerkannt, wobei dieser in seinen Entscheidungen ganz eng an die Wünsche der Mitglieder gebunden ist. Diese Eigenständigkeit resultiert aus der Tatsache, daß auf den Genossenschaftsbetrieb schon bald zusätzlich zu den bei der Gründung zugewiesenen Funktionen weitere Aufgaben zukamen. Funktionsausweitung und -delegation implizieren, daß nicht mehr der gesamte Prozeß der Leistungserstellung durch die Mitgliederaufträge determiniert wird. Damit ändert sich auch die Art der Leistungsvorgabe für den Genossenschaftsbetrieb. Ihm kommt die Aufgabe zu, die durch Art und Menge definierten Leistungen für die Mitglieder zu minimalen Kosten zu erstellen. Das Förderungsprinzip kann hier als Wirtschaftlichkeitsprinzip interpretiert werden, das die in Form der Mitgliederaufträge formulierten Zielgrößen ergänzt. Mit dieser im Vergleich zur idealtypischen Auffassung anders gelagerten Aufgabenstellung ist die Einräumung eines gewissen Handlungsspielraumes für die Verwaltung verbunden. Die realtypische traditionelle Genossenschaft betont aber ebenfalls den hilfswirtschaftlichen Charakter des Genossenschaftsbetriebes, der in der marktlosen Anbindung an die Mitgliederwirtschaften zum Ausdruck kommt. Der ausgeprägte Organcharakter des Genossenschaftsbetriebs offenbart sich in der Wahrnehmung von Funktionen, die den Tätigkeitsbereichen der Mitglieder immittelbar angelagert sind und von diesen selbst wahrgenommen werden könnten (Baumgartl, 1979, S. 203). Er erscheint so eher als beschaffender oder verwertender Auftragsbetrieb der Mitglieder. Die Preise für die von den Mitgliedern bezogenen Leistungen sind als Verrechnungspreise, die sich an den Selbstkosten orientieren, aufzufassen. Dadurch wird auch die Erwirtschaftung von Überschüssen ausgeschlossen. Die Mitglieder können im wesentlichen nur über die Leistungsbeziehung zum Genossenschaftsbetrieb wirtschaftlichen Nutzen aus ihrer Mitgliedschaft ziehen. Kleinheit und Überschaubarkeit von Organbetrieb und Mitgliederkreis machen in der traditionellen Genossenschaft, die in aller Regel ehrenamtlich verwaltet wird, noch eine sehr enge Verbindung zwischen genossenschaftlicher Betriebswirtschaft und Mitgliedern möglich. Dies geht soweit, daß dieser Bereich oft nicht nur monopolartigen, sondern innerbetrieblichen Charakter

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trug. Entsprechend kann das Mitgliedschaftsverhältnis als "festes, monopolähnliches Geschäftsfreundeverhältnis angesehen werden" (Henzler, 1970, S. 223). B. Genossenschaftliche Prinzipien und Verhaltensnormen als Ausfluß spezifischer Organisationsbedingungen in der traditionellen Genossenschaft Die Prinzipien und Grundsätze, die das traditionelle Begriffsverständnis der Genossenschaft prägen, müssen vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Ausgangssituation der Beteiligten betrachtet werden. Daneben können bestimmte Verhaltensnormen aus den Abhängigkeitsverhältnissen abgeleitet werden, die aus der konzeptionellen Ausgestaltung der traditionellen Genossenschaft resultieren. 1. Traditionelle Genossenschaften als "Kinder der Not" Entscheidender Anlaß für die Gründung von Genossenschaften war in aller Regel das Vorhandensein einer schwachen Wettbewerbsposition der beteiligten Mitgliederwirtschaften. Genossenschaften boten oftmals die einzige Möglichkeit, Wettbewerbsschwäche zu überwinden, am Marktgeschehen partizipieren zu können oder monopolartige Preissetzungen zu verhindern. Die traditionelle Genossenschaft war somit im Gegensatz zu erwerbswirtschaftlichen Unternehmen nicht auf Gewinn ausgerichtet, sondern verfolgte ausschließlich den Zweck, den in aller Regel ökonomisch schwachen Mitgliedern auf dem Weg der Selbsthilfe wirtschaftliche Unterstützung zukommen zu lassen. So entstanden beispielsweise die ersten gewerblichen Genossenschaften aus dem Bestreben heraus, den lohnabhängigen Arbeitern sowie den kleinen Handwerkern und Gewerbetreibenden Kreditfähigkeit und Kreditwürdigkeit zu verleihen und dadurch deren Selbständigkeit zu erhalten. Auch die Bauern waren im ländlichen Bereich weitgehend vom Kreditwesen ausgeschlossen, da sich die Präsenz der Kreditinstitute weitgehend auf die städtischen Regionen beschränkte. Man war auf dem Land somit weitgehend auf Geldmakler und Viehhändler angewiesen, die ihre monopolartige Stellung durch die Erhebung von wucherischen Zinsen ausnützten. Durch die Gründimg und den Beitritt zu Darlehnskassenvereinen wurde den Betroffenen ein Weg geebnet, um sich aus der Abhängigkeit von diesen Wucherern lösen zu können. 2. Begrenzung interner Abhängigkeiten durch Selbstverwaltung Genossenschaften eröffneten so die Möglichkeit einer Befreiung von Abhängigkeiten von externen Marktpartnern. Allerdings war die Genossenschaft der einzige "seriöse" Partner des Mitglieds zur Abwicklung seiner

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Geschäfte. Mit dem lokalen Darlehnskassenverein stand weiterhin nur ein akzeptabler Kreditgeber zur Verfügung, der demzufolge ein lokales Monopol besaß. War der Kreditsuchende vorher auf den externen Marktpartner angewiesen, so befand man sich jetzt in einer anderen Art von Abhängigkeit; nämlich von einem Verein, dessen Miteigentümer man war. "Aus der akuten Abhängigkeit von einer einzigen Person wurde damit die latente Abhängigkeit vom Kollektiv der Mitglieder, zu dem man sich selbst zählte" (Bonus, 1987, S. 14). Bei ungenügender Leistung der Genossenschaft hatte das Mitglied keine Möglichkeit, auf andere Marktpartner auszuweichen. Der Nutzen des Mitglieds aus seiner Beteiligung an der genossenschaftlichen Selbsthilfeeinrichtung hing damit entscheidend von deren ökonomischer Leistungsfähigkeit, aber auch von deren grundsätzlicher Bereitschaft ab, mit dem Mitglied überhaupt Geschäfte abzuwickeln. Gerade weil das Mitglied in aller Regel auf die Leistung der Genossenschaft angewiesen war, halte es ein unmittelbares Interesse daran, an der Führung und Verwaltung der seinen eigenen Interessen dienenden Einrichtung Einfluß zu nehmen und von den Mitsprache- und Kontrollrechten ausgiebig Gebrauch zu machen. Die demokratische Mitsprache war also in der traditionellen Genossenschaft Voraussetzung dafür, die latente Abhängigkeit der Mitglieder von ihrer Genossenschaft unter Kontrolle zu halten (Bonus, 1987, S. 15). Umgekehrt war auch der Organbetrieb-gerade während der Aufbauphase - in seiner Entwicklung davon abhängig, daß die Mitglieder häufige geschäftliche Kontakte zu ihm unterhielten. 3. Innere Verbundenheit der Mitglieder als Organisationserfordernis Die Befreiimg von fremden Abhängigkeiten als gemeinsames Ziel der an der Genossenschaft beteiligten Mitglieder war nur dann zu erreichen, wenn die Mitglieder über die für die Zielerreichung erforderlichen Maßnahmen Einigkeit erzielten. Gerade angesichts der existenziellen Bedeutung der Genossenschaft für das einzelne Mitglied war hierfür ein innerer Zusammenhalt der Mitgliedergruppe eine unabdingbare Voraussetzung. Ein Konsens über die gemeinsamen Ziele der Mitgliedergruppe setzte aber voraus, daß die Mitglieder auf Vertrauensbasis gemeinsam agierten. Die innere Verbundenheit der Mitglieder, der "Genossenschaftsgeist", schuf insofern erst die Voraussetzimg für die Handlungsfähigkeit der Genossenschaft. Die Ideologie war damit der "Stabilisator der genossenschaftlichen Beziehung"(Neumann, 1973, S. 59). Dem menschlichen Klima in der Mitgliedergruppe kommt daher unmittelbare betriebswirtschaftliche Bedeutung zu (Bonus, 1987, S. 16). Zur Gewährleistung einer Ausrichtung des Leistungsprogramms auf die oftmals existenziellen Bedürfnisse der Mitglieder wurden in der traditionellen

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2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

Genossenschaft die unternehmerischen Funktionen durch die Mitglieder selbst ausgeführt, oder die Verwaltung wurde unmittelbar an den Mitgliederwillen angebunden. Eine Einigung in einer auf eine direkte Demokratie ausgerichteten Organisation, wie sie die traditionelle Genossenschaft darstellte, hing entscheidend von der Größe und Zusammensetzung der am Entscheidungsprozeß beteiligten Gruppe ab. Die für einen Kompromiß über ein gemeinsames Programm erforderliche Angleichung der Individualinteressen konnte um so eher erreicht werden, je kleiner die Zahl der Mitglieder und je einheitlicher ihre Interessenlage war. Mitgliederbezogenheit und direkte demokratische Mitsprache setzten damit "natürliche" Grenzen für die Größe der Mitgliedergruppe. Da es sich gerade in den Anfangsjahren der Genossenschaften bei den Mitgliedergruppen in aller Regel um wirtschaftlich homogene Gruppen, zumeist Gewerbetreibende und Freiberufler, handelte, in denen die Individualinteressen der Mitglieder weitgehend gleichgelagert waren, wurde die interne Abstimmving unter den Mitgliedern über die gemeinsame Vorgehensweise entscheidend erleichtert. 4. Ökonomische Zielsetzung und "metaökonomische" Komponenten der genossenschaftlichen Zusammenarbeit Ausgehend von der besonderen Bedeutung des personellen Aspekts in der traditionellen Genossenschaft und einer gewissen Eigenständigkeit des Genossenschaftsbetriebes entwickelt Draheim (1952) die Vorstellung der "Doppelnatur" der Genossenschaft. Diese sei demnach sowohl als Personenvereinigung als auch als Wirtschaftsbetrieb zu betrachten. Demzufolge läßt sich die Genossenschaft durch die Merkmalsbündel darstellen, die zum einen die genossenschaftliche Personenvereinigung als Gruppe im Sinne der Soziologie und Sozialpsychologie charakterisieren und zum anderen die von den Gruppenmitgliedern konstituierte wirtschaftliche Gemeinschaftseinrichtung kennzeichnen. Als Folge der besonderen Rahmenbedingungen und begünstigt durch das Vorhandensein einer weitgehend homogenen Interessenstruktur der Mitglieder haben sich vor allem in der Gründerzeit und der nachfolgenden Phase gelegentlich auch außerökonomische Zielsetzungen innerhalb der Mitgliedergruppe entwickelt (Aschhoff/Henningsen, 1985, S. 111). Insbesondere die Notwendigkeit eines engen Zusammenwirkens der Beteiligten in der traditionellen Genossenschaft schuf eine Basis für ideelle Momente in den Beziehungen zwischen Genossenschaft und Mitglied. "Metaökonomische" Motivationen ergaben sich beispielsweise aus den Möglichkeiten des individuellen Einflusses und der Partizipation. Der Vereinigungscharakter wurde begünstigt durch die Beschränkung der Aktivitäten auf ein eng begrenztes lokales Gebiet; Dorfgemeinschaft und nachbarschaftliche Verbundenheit wirkten als gemeinschaftsfördernde Faktoren.

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

369

Bedingt durch diesen Sachverhalt neigen Vertreter der traditionellen Genossenschaft dazu, den ursprünglichen Kern des genossenschaftlichen Hauptzwecks, nämlich die Erwirtschaftung ökonomischer Vorteile für die Mitglieder, durch weitere Zielsetzungen zu ergänzen. In den vorausgegangenen Ausführungen wurde aber aufgezeigt, daß die Verhaltensnormen und Prinzipien durchaus auf ökonomischen Motivationen basieren (1). Die Konzeption der Genossenschaft als auf solidarischer Selbsthilfe basierende Organisation verlangte vom Mitglied, daß es zunächst seine individuellen Ziele hinter die der Mitgliedergruppe zurückstellte. Nur in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens konnte vom einzelnen Mitglied erwartet werden, daß es für das gemeinsame Anliegen der Gruppe Vorleistungen bringt. Im Darlehnsverein erfolgte dies beispielsweise durch die Übernahme der Haftung für die Verbindlichkeiten der anderen Gruppenmitglieder, um dann zu einem späteren Zeitpunkt selbst Zugang zu Krediten zu erhalten. Das Mitglied mußte also zuerst solidarisch die Gesamtinteressen der Genossenschaft verfolgen, um dann seine Eigeninteressen realisieren zu können. Der genossenschftlichen Solidarität lagen also durchaus ökonomische Nutzenerwägungen der Mitglieder zugrunde. Compart kann insofern nicht gefolgt werden, wenn er feststellt, daß die Genossenschaften ausschließlich von sozialen Aspekten geprägt waren, "... da es ihre Absicht war, den wirtschaftlich Schwachen zu helfen." Auch "... der Wille, gemeinschaftlich die wirtschaftliche Not zu meistern" (Compart, 1978, S. 23), ist durchaus ökonomisch begründet, sofern dies in der Form der Selbsthilfe erfolgt. Soziale und andere außerökonomische Zielsetzungen der Mitglieder waren also auch für die traditionelle Fördergenossenschaft keinesfalls konstitutiv. Diese ist vielmehr "... aus dem Streben der Erwerbswirtschaften nach wirtschaftlich optimalem Verhalten zu erklären" (Baumgartl, 1979, S. 24). Verhaltensnormen, wie sie in den genossenschaftlichen Grundsätzen der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung zum Ausdruck kommen, geben die organisatorischen Voraussetzungen hinsichtlich des Verhaltens der beteiligten Mitglieder in der traditionellen Genossenschaft wieder. Ohne ihre Einhaltung wäre ein wirtschaftlicher Erfolg des genossenschaftlichen Selbsthilfekonzeptes in der klassischen Form kaum realisierbar. Den Grundsätzen kommt daher eindeutig instrumenteller Charakter zu. Sie sind als Mittel zur Erreichung des eigentlichen ökonomischen Unternehmenszweckes zu interpretieren. C. Wandlungen zwänge

genossenschaftlicher

Strukturen

durch

Markt-

Veränderungen im wirtschaftlichen Umfeld setzten auch den Mitglieder und dem genossenschaftlichem Organbetrieb neue Rahmendaten für ihr

370

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

wirtschaftliches Handeln. Hiervon wurden die Entscheidlingsstrukturen und internen Funktionsabläufe dieses Unternehmenstyps entscheidend beeinflußt. Größenwachstum von Mitgliederzahl und Organbetrieb sowie eine Kompetenzakkumulation beim genossenschaftlichen Management sind Ausfluß einer Entwicklung, die im Hinblick auf die zunehmende Einbettung der Genossenschaften in das Marktgeschehen zu analysieren ist. 1. Einbindung in den Markt Die Entwicklung in den Industrieländern war insbesondere in der Nachkriegsphase durch ein starkes Wachstum der Volkswirtschaften geprägt. Durch technischen Fortschritt wurden neue Verfahrensweisen ermöglicht, die mit den Mitteln einer ausgeprägten Produktspezialisierung und Arbeitsteilung zu einem ständigen Ansteigen der Arbeitsproduktivität beitrugen. Massenproduktion und Massenkonsum sind Ausdruck einer quantitativen und qualitativen Weiterentwicklung der Volkswirtschaft, in deren Verlauf sich die wirtschaftliche Situation breiter Bevölkerungskreise gerade in der Bundesrepublik Deutschland spürbar verbesserte. Von dieser Entwicklung konnten auch die Genossenschaften nicht unberührt bleiben. Im Gegensatz zu den Gründungsverhältnissen standen sie schon bald im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, die ähnliche Produkte und Dienstleistungen anboten. Dies traf im Laufe der Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg auch immer stärker für die auf den Dörfern agierenden Genossenschaften zu. Angesichts der verkehrsmäßigen Erschließung auch der abgelegenen Dörfer konnten diese nicht länger als abgeschlossene Teilmärkte betrachtet werden. Waren zu den Gründungszeiten andere Marktpartner für die genossenschaftlichen Mitglieder und ihre Wirtschaften nicht verfügbar bzw. erschienen die Mitglieder für solche Marktpartner als nicht vollwertig, so wurden sie nach und nach von zahlreichen Unternehmen umworben. Den Mitgliedern, die früher oftmals nur von der Genossenschaft die gewünschten Leistungen beziehen konnten, boten sich nun Selektionsmöglichkeiten, unter denen sie sich nach wirtschaftlichen Erwägungen entschieden. Das "Bedarfsdeckungsprinzip" (Draheim, 1983, S. 18), das noch die Funktion der traditionellen Genossenschaft kennzeichnete, verlor zusehends an Bedeutung. Viele Genossenschaften verfügten nicht mehr über eigene, "genossenschaftsrelevante" Märkte. Sie mußten sich vielmehr verstärkt mit der Tatsache auseinandersetzen, daß nicht mit jedem Mitglied gleichzeitig ein ständiger Kontrahent für Geschäftsbeziehungen mit dem Genossenschaftsbetrieb zur Verfugimg stand. Aus der Lockerimg der Mitgliederbindung durch die Öffnung der Märkte und den erhöhten Ansprüchen der Mitglieder erwuchs für die Genossenschaften der Zwang, Leistungen für ihre Mitglieder in mindestens gleicher Qualität und zu mindestens gleichen Konditionen wie die Mitbewerber zu erbringen.

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

371

Im Streben nach einer ständigen Leistungssteigerung rückten dadurch Wirtschaftlichkeitsaspekte bei der Leistungserstellung stärker in den Vordergrund. 2. Konzentrationszwänge Für die Genossenschaften entstand die Notwendigkeit, alle Möglichkeiten zur Erhöhung der ökonomischen Leistungsfähigkeit zu nützen, um so mit den nichtgenossenschaftlichen Konkurrenten Schritt halten zu können. In den westlichen Industrieländern kann generell eine Tendenz zu größeren Einheiten im Unternehmenssektor konstatiert werden, deren Ursache in den durch technischen Fortschritt induzierten Entwicklungen zu sehen ist. Die Notwendigkeit der Wahrnehmung von Größendegressionsvorteilen übte auf alle Unternehmen einen Wachstumsdruck aus, der letztendlich einen allgemeinen Wachstums- und Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft zur Folge hatte. Um sich des technischen Fortschritts bedienen zu können, waren auch die Genossenschaften gezwungen, kapitalintensive Einrichtungen zu erstellen oder anzuschaffen. Sie mußten eine Größe anstreben, die es ihnen ermöglichte, "...sich als einzelne der großen Gestaltungs- und Ordnungsprinzipien zu bedienen, die in Arbeitsteilung und Arbeitsvereinigimg gegeben sind" (Draheim, 1983, S. 17). Die Realisierung von Größeneffekten über kapitalintensive Investitionen war bei den Genossenschaften zum einen durch die Erhöhung der Betriebsgrößen erreichbar. Entsprechend mußte auch die Kapitalbasis und damit die Mitgliederzahl vergrößert werden. Zum anderen bot sich den Genossenschaften die Möglichkeit, durch Kooperation auf Verbundebene und durch Funktionsauslagerung auf Zentralen die Nachteile kleinerer Einheiten zu kompensieren. Die technische und organisatorische Weiterentwicklung der Wirtschaft resultierte auch in einer wachsenden Kompliziertheit der Bedarfs- und Angebotslage auf dem Markt und erschwerte dadurch die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln der Genossenschaften. Diese konnten sich in verschiedenen Branchen nicht mehr darauf beschränken, nur solche Funktionen auszuführen, die früher von den Mitgliederwirtschaften selbst wahrgenommen wurden. Die Einbindung in den Wettbewerb zwang viel mehr viele Genossenschaften zur Erweiterung der Angebotspalette, um ihren Mitgliedern als Kunden ein marktadäquates Leistungssortiment bieten zu können. Der Geschäftsumfang ging somit weit über die Sammler- und Verteilertätigkeit hinaus, wie sie noch nach idealtypischer Anschauung die traditionellen Genossenschaften kennzeichnete. Die Ausweitung des Leistimgssortiments, die in manchen Bereichen den Typus einer Universalgenossenschaft hervorbrachte, ist aber auch als Resultat der Bemühungen der Genossenschaften zu verstehen, in der geschäftspo-

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

litischen Ausrichtung die unterschiedlichen Mitgliederbedürfnisse zu berücksichtigen. War die traditionelle Genossenschaft noch durch eine überschaubare Mitgliederz ahl mit weitgehend homogener Interessenstruktur gekennzeichnet, so mußte der Trend zu mitgliederstärkeren Genossenschaften auch eine Heterogenisierung der Mitgliederinteressen bewirken. Verstärkend bei dieser Heterogenisierung wirkt die strukturelle Entwicklung der Volkswirtschaft. So kann es u.a. der rückläufigen Bedeutung des primären Sektors zugeschrieben werden, daß auch der Anteil der Landwirte an den Mitgliederkunden bei den Genossenschaften zurückging und sich demensprechend der Anteil der Handwerker und vor allem der Arbeitnehmer erhöhte. Die Unterschiede im ökonomischen Standort der Mitglieder spiegeln sich in deren Bedürfnissen im Hinblick auf das Leistungsangebot der Genossenschaft wider. Die Ausweitimg des Leistungsangebots in Richtung einer Universalgenossenschaft ist aus dieser Sicht beispielsweise bei den Genossenschaftsbanken als Ausfluß der Bemühungen zu werten, die unterschiedlichen Bedürfnisse einer vergrößerten und heterogen Mitgliedergemeinschaft in größtmöglichem Umfang zu befriedigen. 3. Die Führung der Genossenschaft als unternehmerische Aufgabe Mit der Einbindimg in den Markt und der Zunahme der Funktionen bei der Genossenschaft wachsen auch die Anforderungen an die mit der Leitung des Gemeinschaftsbetriebes betrauten Personen. Die Mitglieder, die nach idealtypischer Anschauung gemeinschaftlich die zentrale Entscheidungsinstanz darstellen, waren zunehmend mit der Aufgabe überfordert, die Zusammenhänge im genossenschaftlichen Betrieb zu beurteilen und für den Geschäftsbetrieb die richtigen Entscheidungen zu treffen. Zudem war allein die zeitliche Beanspruchung, die für eine direkte Einflußnahme der Mitglieder erforderlich gewesen wäre, angesichts der schwierigeren Aufgaben und der Flut der zu verarbeitenden Informationen für die meisten Mitglieder schon bald kaum mehr zu bewältigen. Ein regelmäßiges Treffen der Mitglieder, bei dem über alle wichtigen Fragen der Geschäftspolitik diskutiert und entschieden wird, war nur bei den sehr geringen Mitgliederzahlen und streng begrenzten Aufgaben der Genossenschaften der Gründungszeit realisierbar. Lassen sich die hohen zeitlichen Aufwendungen des Mitglieds in der traditionellen Genossenschaft noch mit der oftmals existenziellen Bedeutung der genossenschaftlichen Leistung für das einzelne Mitglied begründen, so veränderte sich angesichts der reduzierten Bedeutung dieser Leistung für das Mitglied und den gestiegenen Informations- und Willensbildungskosten bei einer Beteiligung am Entscheidungsprozeß im Genossenschaftsbetrieb das individuelle Nutzenkalkül häufig zuungunsten einer solchen direkten Beteiligung. Hieraus erwuchs die Notwendigkeit, bei der Organisation der Entscheidungsstrukturen Änderungen vorzunehmen.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

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Die Führungskonzeption, die zunächst auf eine unmittelbare Beteiligung der Mitglieder an den Entscheidungsprozessen ausgerichtet war, mußte letztlich als Folge der zunehmend komplexer werdenden Umwelt durch eine mittelbare ersetzt werden. Der Verzicht auf die direkte Demokratie reduziert zunächst die Entscheidungskosten für das einzelne Mitglied und erhöht gleichzeitig die Sachqualität der Entscheidungen, sofern die Entscheidungsbefugnisse an besonders qualifizierte Personen delegiert werden (Eschenburg, 1972, S. 133). Die Mitglieder übertragen weitgehende Kompetenzen an Vertreter in genossenschaftlichen Gremien sowie an hauptamtliche Manager und treffen sich in ihrer Gesamtheit in der Regel nur noch einmal im Jahr, um dann über die grundsätzliche Ausrichtung der Geschäftspolitik zu befinden. Die veränderten Rahmenbedingungen zwangen die Genossenschaften, sich stärker an den Notwendigkeiten des Marktes auszurichten, als dies noch bei einem von speziellen Mitgliederaufträgen gesteuerten Organbetrieb der Fall war. Das Agieren auf dem Markt, insbesondere die Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Risiken, erfordert demgemäß ein unternehmerisches Verhalten der Entscheidungsträger, das sich grundlegend von dem "Verwalten" in der traditionellen Genossenschaft unterscheidet. Wie auch in anderen Unternehmen ist ökonomisch rationales Verhalten auf der Basis fundierten betriebswirtschaftlichen Wissens gefragt, um beispielsweise die Leistungen für die Mitglieder möglichst kostengünstig erstellen zu können. Die Aufgabe einer Steuerung der laufenden Geschäftsangelegenheiten entzieht sich mit zunehmender Markteinbindung und Marktentwicklung hinsichtlich der Sachqualität und der beruflichen Spezialisierung zwangsläufig immer mehr der sachlichen Kompetenz der einzelnen Mitglieder. Diese unternehmerische Aufgabe bedeutet für die Leitung der Genossenschaft, "sich mit seinen Leistungen unter gleichen Bedingungen im Wettbewerb ständig durchsetzen zu wollen" (Henzler, 1970, S. 224). Hierfür bedarf es eines qualifizierten und mit ausreichenden Entscheidungsbefugnissen ausgestatteten handlungsfähigen Managements. 4. Veränderung des Verhältnisses der Mitglieder zur Genossenschaft Mit der Übernahme der geschäftspolitischen Steuerimg des Genossenschaftsbetriebes durch Manager ist zwangsläufig auch eine Reduzierung des Grades der Einflußnahme der Mitglieder verbunden. Die Mitglieder steuern nun den Prozeß der Leistungserstellung nicht mehr direkt, sondern geben den im Gemeinschaftsunternehmen Verantwortlichen mit globalen Zielvorgaben eine Richtlinie für deren Aktivitäten. Sie werden beauftragt, "stets so zu handeln, wie es unter den jeweils gegebenen Umständen, vor allem in Anpassung an die bestehende Marktlage, den Wirtschaften der Mitglieder am besten zum Nutzen gereicht" (Henzler, 1965, S. 393). Der Rückzug der Mitglieder aus der Geschäftspolitik begünstigt eine informative Auseinanderentwicklung

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2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossensehaften

zwischen Mitgliedern und Management. Die Entscheidungs- und Durchsetzungsautonomie verlagert sich in Richtung Verwaltung. Die Tatsache, daß neben der Mitgliedergesamtheit nun ein zweites Entscheidungszentrum in der Genossenschaft in Form des mit erheblichen Kompetenzen versehenen Managements entstanden ist, wirft die Frage des Zusammenwirkens dieser Instanzen auf. a) Managementautonomie und Mitgliederkontrolle Nach der "Harmoniethese", die u.a. von Draheim und Henzler vertreten wurde, besteht zwischen Management und Mitgliedern Interessengleichheit. Die "Konflikttheorie" besagt hingegen, daß diese Interessen divergieren, weil sowohl Mitglieder als auch Manager eigennützige Motive verfolgen. Aus dem Eigennutzstreben aller Beteiligten und der Schwierigkeit von Mitgliederseite, einen operationalen Handlungsauftrag an das Management zu formulieren, leitet sich die Notwendigkeit der Kontrolle des Managements ab, durch die eine Wahrung der Interessen der Mitglieder als die Auftraggeber des Förderungsbetriebes gewährleistet werden soll. Der Markt erzwang damit einerseits eine Veränderung und Reduzierung des Mitgliedereinflusses durch eine Ausweitung des Kompetenzspielraumes des Managements. Andererseits ist in den Markteinflüssen der Grund dafür zu suchen, daß sich auch von Seiten der Mitglieder das Interesse am genossenschaftlichen Gemeinschaftsbetrieb verringerte. Diese Entwicklung muß vor dem Hintergrund der veränderten Rahmenbedingungen für die Genossenschaft als ökonomische Selbsthilfeeinrichtung gesehen werden. b) Reduzierung der Abhängigkeit des Mitglieds von der Genossenschaft Die Tatsache, daß sich die wirtschaftliche Situation der Mitglieder im Vergleich zur Gründungszeit der Genossenschaft entscheidend verbesserte und die Mitglieder die Leistungen der Genossenschaft auch großteils von anderen Unternehmensformen angeboten bekamen, hat gravierende Auswirkungen auf das Verhältnis zum Genossenschaftsbetrieb: Mit der Möglichkeit, die früher nur über die Genossenschaft erhältlichen Leistungen auch von anderen Unternehmensformen beziehen zu können, reduziert sich auch der Grad der Abhängigkeit vom Genossenschaftsbetrieb beträchtlich (2). Dem Mitglied bietet sich jetzt neben dem Widerspruch die Abwanderung als zweite Möglichkeit zur Kontrolle des Organbetriebes. Bei der traditionellen Genossenschaft entfiel für das Mitglied die zweite Alternative. Stand den Mitgliedern damals lediglich das Instrument des Widerspruchs offen, so verlieren mit dem Hinzutreten der Abwanderung als Kontrollmechanismus die mit dem Widerspruch verbundenen demokratischen Mitwirkungs- und Mit-

2. Kapitel: Die Merkmale von Genossenschaften

375

bestimmungsrechte für das Mitglied an Bedeutung. Die Wahrscheinlichkeit erhöht sich dadurch, daß ein rational handelndes, nutzenmaximierendes Mitglied die Partizipation am Entscheidungsprozeß verweigert, weil seine individuellen Entscheidungskosten nicht mehr überkompensiert werden durch den Nutzen der Entscheidungsbeeinflussung, d.h. den Nutzen aus der Verhinderung einer für ihn nachteiligen Entscheidung der Mitgliedergesamtheit. c) Entfremdung des Mitglieds Die Abnahme der Abhängigkeit vom Genossenschaftsbetrieb und das damit verbundene rückläufige Interesse der Mitglieder auf der einen sowie zunehmende Kompetenzakkumulation beim Management auf der anderen Seite lösten einen Prozeß aus, der das Verhältnis der Mitglieder zum genossenschaftlichen Unternehmen unmittelbar iangieren mußte. Verstärkt durch Wechselwirkungen zwischen den genannten Entwicklungen reduzierte sich zwangsläufig die innere Bindung der Mitglieder zur Genossenschaft. Die Mitglieder sind nicht mehr unter allen Umständen auf die genossenschaftliche Leistung angewiesen. Sie verspüren zudem, daß mit steigender Mitgliederzahl die persönlichen Mitwirkungsrechte des einzelnen Mitglieds an Gewicht verlieren und ihr Einfluß auf den Entscheidimgsprozeß im Genossenschaftsunternehmen abnimmt. Die Generalversammlung als jährlich stattfindendes Treffen der Mitglieder beschränkt sich daher immer mehr auf ein statutarisch und gesetzlich vorgesehenes "Pflichtprogramm". "Metaökonomische" Motivationen, wie sie sich aus den Möglichkeiten des individuellen Einflusses und der Partizipation ergaben, treten dadurch verstärkt in den Hintergrund. Compart (1978, S. 131) spricht in diesem Zusammenhang von einem "Prozeß der persönlichen Entfremdung" des Mitglieds von seiner Genossenschaft. Die emotionalen Bindungen, wie sie sich in den traditionellen Genossenschaften aus der "Solidarität der Not" ergaben, werden zusehends gelockert. Bedingt durch die weitgehende Verselbständigung des Organbetriebes verliert auch die Solidarität der Mitglieder an Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des genossenschaftlichen Unternehmenskonzeptes. Das Verhalten der Mitglieder gegenüber der Genossenschaft in ihrem Streben nach ökonomischen Vorteilen wird dadurch immer weniger durch Gemeinschaftsempfindungen und gemeinsame Wertvorstellungen geprägt. Henzler (1965, S. 393) sieht als Ergebnis dieses Prozesses eine "Genossenschaft, in deren Mitgliederkreis die ideologischen und emotionalen Bindekräfte verloren gegangen sind, deren Mitglieder sich nicht oder nicht mehr als Glieder einer Gemeinschaft fühlen und deren Personenvereinigung als utilitaristische Zweckgesellschaft angesprochen werden kann".

376

2. Kapitel:

Die Merkmale

von

Genossenschaften

D. Fazit Die Genossenschaften haben sich auf Grund der veränderten Rahmenbedingungen im Laufe ihrer Entwicklung gewandelt. Die innere Struktur und ihr Erscheinungsbild sind heute nur noch bedingt mit den aus wirtschaftlicher Notlage entstandenen Solidargemeinschaften der Gründerjahre zu vergleichen. Es ist heute nicht mehr die Not, die die Menschen an der Genossenschaft teilnehmen läßt, sondern der Wille, gemeinsam den eigenen Nutzen zu mehren. Ist der wirtschaftliche Erfolg der Genossenschaften heute unbestritten, so wird doch der Standort dieser Unternehmensform im Gefüge der wirtschaftlichen Institutionen zuweilen kontrovers diskutiert. Auch innerhalb des Genossenschaftswesens treffen unterschiedliche Meinungen über das spezifische Selbstverständnis genossenschaftlicher Unternehmen aufeinander. Aus dem uneinheitlichen Selbstverständnis genossenschaftlicher Funktionen erwächst die Gefahr einer inneren Orientierungsschwäche mancher genossenschaftlichen Systeme und ein uneinheitliches Erscheinungsbild gegenüber der Öffentlichkeit. Die Genossenschaften geraten heute zunehmend in eine Identitätskrise. Sie haben sich inzwischen so stark verändert, daß eine grundlegende Neuorientierung geboten erscheint. Als mögliche Entwicklungswege bieten sich an: -

Eine vollständige Loslösung von genossenschaftlichem Gedankengut mit der Folge einer Darstellung in der Öffentlichkeit, die sich von anderen, erwerbswirtschaftlichen Unternehmen nicht unterscheidet. In diesem Fall wäre auch eine Änderung der genossenschaftlichen Rechtsform angebracht. - Eine konsequente Rückorientierung und Wiederbesinnung auf die Strukturen und organisatorischen Anforderungen der traditionellen Genossenschaft unter bewußter Inkaufnahme von strukturbedingten Marktnachteilen und Verzicht auf Marktchancen. - Der Versuch einer bewußt marktorientierten Führung des Genossenschaftsunternehmens bei gleichzeitiger Wiederbelebung genossenschaftlichen Gedankensguts durch Betonung und Herausstellung der charakteristischen Wesensmerkmale. Die Wiederbelebung der traditionellen Genossenschaft muß angesichts der veränderten Marktbedingungen als nicht realisierbar betrachtet werden. "Man kann nicht einfach ein Verklärtes' Bild der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und der Selbstverwaltung des 19. Jahrhunderts auf das Computerzeitalter übertragen" (Jenkis, 1986, S. 126). Die Probleme der speziell genossenschaftlichen Identität können nur vor dem Hintergrund einer Existenzerhaltung des genossenschaftlichen Unternehmens diskutiert werden. Eine Aufgabe aller Genossenschaftsspezifika ist hingegen durchaus vorstellbar und in der Praxis auch schon realisiert worden. Beispielhaft kann hierfür die Entwicklung großer Konsumgenossenschaften angeführt werden.

2. Kapitel:

Die Merkmale

von Genossenschaften

377

Angesichts der Erfolge genossenschaftlich organisierter Unternehmen in der Vergangenheit sollte aber zuvorderst nach realisierbaren Möglichkeiten Ausschau gehalten werden, genossenschaftliche Merkmale und Verhaltensweisen so in den existierenden Marktgenossenschaften zu integrieren, daß dadurch deren wirtschaftliche Existenz nicht nur erhalten, sondern möglichst auch gestärkt wird. Ausgangspunkt hierfür müssen die gewachsenen inneren Strukturen der Genossenschaften, die Bindungen an die Mitglieder und die grundsätzlich positive Einstellung weiter Kreise der Bevölkerung zur genossenschaftlichen Wirtschaftsweise sein. Fußnoten: (1) Dabei soll keineswegs verkannt werden, daß die Väter der Genossenschaftsidee mit der Gründung von Genossenschaften Ziele verfolgten, denen soziale Motive zugrundelagen. Das genossenschaftliche Selbsthilfekonzept basiert aber auf dem Bestreben der beteiligten Mitglieder, eigenen ökonomische Nutzen aus dem gemeinsamen Unternehmen zu ziehen. (2) Die Auswirkungen einer solchermaßen reduzierten Abhängigkeit werden besonders bei den Bank- sowie den Molkerei- und Winzergenossenschaften deutlich. Literatur: Akademie Deutscher Genossenschaften e.V., Unternehmensleitbild der genossenschaftlichen Bank, Montabaur 1985. Baumgartl, G.: Die Funktion des Förderungsauftrages in § 1 Genossenschaftsgesetz, Nürnberg 1979. Beckerath, E.v./ Kloten, N./ Kuhn, H.: Artikel Wirtschaftswissenschaft: Methodenlehre, in: Handwörterbuch der Sozial Wissenschaften, Bd. XII, Stuttgart-TübingenGöttingen 1965, S.288-328. Birkigt, K/Stadler, M.: Corporate Identity, Grundlagen, in: Birkigt, K./Stadler, M. (Hrsg.), Corporate Identity, Grundlagen, Funktionen, Fallbeispiele, 2. Aufl., Landsberg am Lech 1985, S. 17-60. Blomeyer, W.: Der gesetzliche Förderungsauftrag im Wandel, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 30 (1980), S.22-38. Blümle, E.-B.: Wachstum und Willensbildung der Primärgenossenschaften, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 14 (1964), S. 453-462. Boettcher, E.: Die Problematik der Operationalisierung des Förderungsauftrages in Genossenschaften, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Bd. 29 (1979), S. 198-215. Bonus, H.: Die Genossenschaft als modernes Unternehmenskonzept, Münster 1987. Compart, E.: Kapitalistische Entwicklungswege bei der Genossenschaft, Frankfurt/ M. 1978. Draheim, G.: Die Genossenschaft als Unternehmenstyp, Göttingen 1952. Deppenkemper, B.: Förderauftrag: Die meisten Mitglieder wollen nur eine gute Dividende, in: Bankkaufmann 4/85, S. 14-18. Disch, W.: Corporate Identity, Vom Schlagwort zum griffigen Instrument, in: Marketing Journal, 11.Jg., Heft 6, 1978, S. 542-550.

378

2. Kapitel: Die Merkmale von

Genossenschaften

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3.

Organisation der G e n o s s e n s c h a f t

3.1.

Aufbau des Genossenschaftsbereiches

Bei der Analyse des Aufbaus des Genossenschaftsbereiches werden zunächst die genossenschaftliche Wirtschaftsorganisation mit ihren verschiedenen Grund- und Entwicklungstypen sowie die Verbandsorganisation untersucht. Im Anschluß daran werden die Organisationselemente der Genossenschaft systemtheoretisch betrachtet. 3.1.1.

Wirtschaftsorganisation

3.1.1.1. Grundtypen Vesa Laakkonen Genossenschaften können auf verschiedene Art gegliedert werden. (1) Man unterscheidet Produktivgenossenschaften und Förderungsgenossenschaften. Es gibt aber auch die Einteilung in Primär- (von Personen gegründete Genossenschaften) und Sekundär- oder Tertiärgenossenschaften. Man kann sie aber auch nach ihrer Lebensdauer und ihren Tätigkeitsbereichen differenzieren. Eine weitere Untergliederung kann nach den den Genossenschaften angeschlossenen Einheiten und Unternehmungen erfolgen. Die Einteilung der Genossenschaften, von der auch hier ausgegangen werden soll, geht von den Beziehungen zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern aus, d.h. das Unterscheidungskriterium beruht auf dem Beziehungsverhältnis zwischen den Mitgliedern und ihrer Genossenschaft (Mitglieder können Kunden, Warenlieferanten, Arbeitnehmer, Bewohner, usw. sein). A. Einzelgenossenschaften 1. P r u d u k t i v g e n o s s e n s c h a f t e n Als Pruduktivgenossenschaften werden jene Genossenschaften bezeichnet, die nur aus Arbeitnehmern bestehen. Kein Mitglied ist außerhalb der Genossenschaft beschäftigt, und es bestehen keine Arbeitnehmerbeziehungen zu Nichtmitgliedern. Diese Genossenschaft ist für ihre Mitglieder sowohl Konsum- als auch Produktionseinheit. Die Pruduktivgenossenschaft ist ein auf Zusammenarbeit der Mitglieder beruhendes Erwerbsunternehmen, welches unmittelbar zu den Einkaufs-

380

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

und Verkaufsmärkten in Beziehung steht und für ihre Mitglieder eine gemeinsame wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Diese Form der Genossenschaft ist in der Praxis selten geworden. Man findet sie nur noch in der Landwirtschaft und in wirtschaftlich unterentwickelten Regionen (z.B. in den finnischen Schären), in denen für die wirtschaftliche Betätigung immittelbar keine Maschinen oder Betriebsmittel als Gründungsvoraussetzung vorhanden sein müssen. Da die wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsteilung vom Selbstversorgerhaushalt zur Tauschwirtschaft weltweit schon weit fortgeschritten ist, ist die Genossenschaft fast nur noch als theoretischer Begriff aufzufassen.(2) Die Leitung der Produktivgenossenschaft muß bei vorhandener Arbeitsteilung als Arbeitgeber mit ihren Mitgliedern über deren Arbeitsbedingungen verhandeln. Wo Produktivgenossenschaften noch gegründet wurden und dem Wettbewerb ausgesetzt waren, sind sie nicht erfolgreich gewesen und mußten bald ihre Unternehmensform ändern. Sie wurden entweder reine Erwerbsunternehmen oder gerieten unter die Kontrolle des Staates. Nur unter ganz speziellen Verhältnissen (beispielsweise in Entwicklungsländern, die noch vom Landwirtschaftssektor dominiert werden), sind Produktivgenossenschaften in einer Übergangsperiode zur Marktwirtschaft von Bedeutung. Wir finden in der Bekanntmachung des Internationalen Arbeitsamtes aus dem Jahre 1969 eine Empfehlung, Produktivgenossenschaften in den Entwicklungsländern staatlich zu fördern. In dieser Empfehlung wird aber auch festgehalten, daß sich der Staat aus dem Genossenschaftswesen wieder zurückziehen soll, sobald diese Genossenschaften eigenständig weiterbestehen können. Es findet sich aber auch den Hinweis auf die Verantwortung der Genossenschaftsbewegung der entwickelten Länder, diese Genossenschaftsbewegung in den Entwicklungsländern zu unterstützen. 2. Förderungsgenossenschaften Förderungsgenossenschaften bieten den Mitgliederwirtschaften Hilfestellungen an. Es ist ihre Aufgabe, die Mitglieder bei ihrer Berufsausübung, in ihrem Gewerbe oder als Haushalte zu fördern. Die Mitglieder stehen in keiner Arbeitsbeziehung zu dieser Genossenschaft, sondern die Genossenschaft steht im Dienst der Mitglieder. Zwischen den Genossenschaftsmitgliedern gibt es kein gemeinsames Produzieren oder Konsumieren, denn der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Aktivitäten der Mitglieder liegt außerhalb der Genossenschaft. Jedes Mitglied ist eigenständig und aufgrund seiner eigenen Voraussetzungen und Ausstattung tätig. Die Mitglieder ziehen aus ihrer Genossenschaft nicht nur durch ihre Kapitaleinlage Vorteile (ausgenommen in Kreditgenossenschaften). Der Tätigkeitsbereich dieser Genossenschaft bezieht sich auf die Förderung der

3. Kapitel: Organisation der Genossenschaft

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Berufs- oder Erwerbstätigkeit der Mitglieder oder Haushalte . Deshalb muß das Genossenschaftsmitglied im Geschäftsbereich der Genossenschaft wohnen und auch wirtschaftlich tätig sein. Das bedeutet beispielsweise, daß man nur in einer Holzverwertungsgenossenschaft Mitglied sein kann, wenn man im Tätigkeitsbereich der Genossenschaft Waldbesitz hat. Die Förderungsgenossenschaften können in zwei Gruppen eingeteilt werden^) -

Beschaffungsgenossenschaften, die ihre Mitglieder mit Bedarfsgütern versorgen; Vermarktungsgenossenschaften, die die von ihren Mitgliedern erzeugten Produkte übernehmen, verwerten und vermarkten.

a) Beschaffungsgenossenschaften Diese Genossenschaften können sowohl von Konsumenten als auch Unternehmen gegründet werden. Es gibt sie für Kaufleute, Handwerker, etc. (besonders stark sind sie in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien vertreten), aber auch solche, die sowohl die Beschaffung als auch die Vermarktung betreiben. Beschaffungsgenossenschaften werden gegründet, um durch gemeinsamen Einkauf von Werkstoffen und Betriebsmitteln die Marktbeziehungen ihrer Mitglieder vor allem durch economies of scale zu verbessern. Obwohl sie die von ihren Mitgliedern benötigten Dienste auf verschiedene Weise leisten - Lagerung, Verpackung, usw. - und dabei in Konkurrenzbeziehungen zu anderen Unternehmen stehen, ändert sich dadurch nicht ihr Förderungscharakter. Zu den Beschaffungsgenossenschaften zählen alle Warengenossenschaften, die Übernahme-, Verwertungs- und Vermarktungsfunktionen innehaben, z.B.: -

Beschaffungsgenossenschaften der Landwirte, (die den Mitgliedern Rohstoffe und Hilfsmittel, z.B. Traktoren, Samen und Düngemittel beschaffen);

-

Konsumgenossenschaften;

-

Rohmaterialgenossenschaften der Handwerker;

-

Einkaufsgenossenschaften der Kaufleute;

-

Einkaufsgenossenschaften der Industrieunternehmen;

-

genossenschaftliche Finanzinstitute, die an ihre Mitglieder Kredite vergeben;

-

Wohnbaugenossenschaften sowie

-

Dienstleistungsgenossenschaften (z.B. Wasser-, Elektrizitäts-, Telephon-, Weg-, Buchführungs-, Revisions- und Grundstückspflegegenossenschaften)

382

3. Kapitel:

Organisation der

Genossenschaft

b) Vermarktungsgenossenschaften Vermarktungsgenossenschaften sehen ihre Aufgabe in der Übernahme, Verwertung und Vermarktung von Gütern zum Vorteil ihrer Mitglieder. Die wirtschaftliche Bedeutung der Vermarktungsgenossenschaften ist für ihre Mitglieder oft größer als die von Beschaffungsgenossenschaften. Eine Vermarktungsgenossenschaft ist oft in einer Region der einzige Anbieter von Leistungen (z.B. genossenschaftliche Molkereien oder Schlachthöfe), im Gegensatz zu den Beschaffungsgenossenschaften, die im allgemeinen mit anderen Unternehmen in Konkurrenz stehen. Für die Vermarktungsgenossenschaften ist es auch einfacher, Kapitaleinlagen von den Mitgliedern zu bekommen. Sie können den Kapitaleinsatz ihrer Mitglieder danach festlegen, in welchem Ausmaß ein Mitglied die von der Genossenschaft angebotenen Dienste in Anspruch nimmt. Zu den Vermarktungsgenossenschaften zählen: -

alle Genossenschaften der landwirtschaftlichen Produzenten, die deren Erzeugnisse übernehmen, verwerten und vermarkten (z.B. Molkerei-, Fleischverwertungs- und Holzverkaufsgenossenschaften), Fischerei- und Fischverwertungsgenossenschaften, die Verkaufsgenossenschaften der Handwerker die Verkaufsgenossenschaften der Industrieunternehmer, genossenschaftliche Finanzinstitute.

Eine eindeutige Differenzierung dieser beider Grundtypen ist in der genossenschaftlichen Praxis nicht mehr durchgängig möglich. Beschaffungsgenossenschaften übernehmen bereits vielerorts Vermarktungsfunktionen (z.B. gründen Konsumgenossenschaften Molkereien und Mühlen und vermarkten die von Mitgliedern erstellten Produkte), und Vermarktungsgenossenschaften beschaffen die von ihren Mitgliedern benötigten Produkte (z.B,. Kunstdünger, Maschinen und sogar Konsumgüter). Die genossenschaftlichen Finanzinstitute bilden eine eigene Gruppe unter den Förderungsgenossenschaften, da sie sowohl an ihre Mitglieder Kredite vergeben, als auch deren Einlagen annehmen. B. Zentralgenossenschaften Primärgenossenschaften und andere juristische Personen bilden Zentralgenossenschaften bzw. Genossenschaften der sekundären und tertiären Ebene als Förderungsgenossenschaften. Diese nehmen gemeinsame Interessen ihrer Mitglieder wahr und verschaffen ihnen Marktvorteile. Zentralgenossenschaften fördern die Tätigkeitsbereiche ihrer Mitgliedergenossenschaften. (4) Sie führen aber auch oft die Revision der Genossenschaf-

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ten durch. In einigen Ländern besteht für Genossenschaften sogar die Verpflichtung, einem Revisionsverband anzugehören (z.B. in der Bundesrepublik Deutschland). Die Tätigkeitsbereiche der Zentralgenossenschaften orientieren sich nach den wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Mitgliedsorganisationen: -

sie betreiben Produktionsstätten,

-

führen Warenhäuser und Lagerräume,

-

treffen Vorsorge für die Ausbildung der Mitarbeiter,

-

kümmern sich um den Export,

-

übernehmen Geldausgleichsfunktionen,

-

nehmen an Produktentwicklungen und der Entwicklung neuer Tätigkeitsformen teil und

-

führen Beratungen durch.

Die Zentralgenossenschaft kann jedem Mitglied wirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen, welche die Primärgenossenschaft ihren eigenen Mitgliedern nicht bieten kann. Ein Mitglied kann z.B. verpflichtet werden, der Zentralgenossenschaft einen bestimmten Kredit zu bewilligen, den Rechnungsabschluß abzuliefern, usw. Doch welches Verhältnis besteht zwischen den Primärgenossenschaften und der Zentralgenossenschaft? Diese Frage berührt einerseits das Stimmrecht der Mitgliedsorganisationen. Jedes Mitglied kann eine Stimme innehaben, oder das Stimmrecht kann an den Umsatz, die Geschäftsanteile oder die Mitgliederzahl gebunden sein. Andererseits wird dabei auch die Fusionierung der Primärgenossenschaften zu Zentralgenossenschaften angesprochen (z.B. die Konzentration der Genossenschaftsbewegungen in Österreich in den 70er Jahren oder die Gründung der EKA-Genossenschaft in Finnland 1983). Je weitergehender das Tätigkeitsfeld der Zentralgenossenschaft ist, umso wichtiger ist es, daß die Mitgliedsorganisationen bei den Beschlußfassungen der Zentralgenossenschaft gleichberechtigt mitwirken können. Wir finden deshalb in vielen Zentralgenossenschaften die Bestimmung, daß von einer bestimmten Region oder Mitgliedergruppe eine festgelegte Anzahl von Vertretern in den Verwaltungsorganen vorhanden sein müssen. Bei dieser Mitbestimmungsregelung kommt es aber vor allem auf die Größe der Mitgliedsgenossenschaften an. Im allgemeinen sind große Mitgliedsorganisationen selbständiger und nicht so einfach einzuordnen als kleine. Diese traditionelle Arbeitsteilung zwischen Primärgenossenschaft und Zentralgenossenschaft ist heutzutage in vielen Sparten nicht mehr zeitgemäß. Zentralgenossenschaften haben längst begonnen, eigene Kundengeschäfte zu betreiben und/oder eigene Regiebetriebe zu führen. Noch größere Veränder-

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ungen sind durch die Verschmelzung von Primärgenossenschaften zu Großgenossenschaften eingetreten. In einigen Sparten sind bereits nationale Primärgenossenschaften entstanden (z.B. Konsum Österreich in Österreich oder EKA-Genossenschaft und Genossenschaft Forstverband in Finnland). In vielen Ländern gründen Primärgenossenschaften regionale Zentralgenossenschaften, aus denen dann landesweite Genossenschaften der tertiären Ebene entstehen. Zentralgenossenschaften, die in mehreren Ländern tätig sind, haben internationale Kooperationen gebildet, die diese Länder in ihre Tätigkeitsbereiche einschließen (z.B. Eurocoop und Nordisk Andelsförbund (NAF)). C. Genossenschaftsverbände In vielen Ländern gründen die Primärgenossenschaften zusammen mit ihren Zentralgenossenschaften Genossenschaftsgesellschaften oder Genossenschaftsverbände (Förbund, Verband, Union, Lega, Leagul, Bund, etc.) als Interessensverbände. In mehreren Ländern gibt es Zentralorganisationen mit wirtschaftlicher Tätigkeit und Interessensvertretung (z.B. in Schweden, die Zentralorganisation der Konsumenten, Kooperativa Förbundet). Interessensverbände wirken auch oft wie pressure groups auf Regierungsstellen, auf Wirtschaftsverbände oder -Organisationen. Verbände, die nur Interessensvertretung betreiben, haben in den letzten Jahren ihren Einfluß auf die Zentralgenossenschaften verloren, da die Interessensverbände selbst von den Zentralgenossenschaften finanziell abhängig wurden. Fußnote: (1) Diese Kapitel basiert auf Laakkonen, V./Laurinkari, J.: Osuustoiminta taloudellisen yhteistoiminnan muotona, Helsinki 1990 (2) Vgl. Dülfer, E.: Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984, S.98 ff., Draheim, G.:Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, Göttingen 1952, S. 174 ff. (3) Vgl. Henzler, R: Betriebswirtschaftsliche Probleme des Genossenschaftswesen, Wiesbaden 1962, S. 34 ff. (4) Vgl. Paulick, H.: Das Recht der eingetragenen Genossenschaft, Karlsruhe 1956, S. 80 ff.

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3.1.1.2. Aufbau des Genossenschaftssektors in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft (1) Jürgen Zerche A. Einleitung Die Genossenschaften, innerhalb der einzelnen Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaft, bilden keine einheitliche, monolitische Bewegung, sondern sind durch eine Vielfalt von unterschiedlichen rechtlichen und organisatorischen Bedingungen, die sich aufgrund verschiedener politischer und gesellschaftlicher Ausprägungen in den einzelnen Ländern stärker oder weniger stark entwickelt haben, geprägt, und es gibt keine international oder auch nur innerhalb der Europäischen Gemeinschaft anerkannte Definition des Begriffes "Genossenschaft", mehr noch, was in dem einen Land als wesentliches Merkmal angesehen wird, ist in einem anderen Abgrenzungskriterium. Legaldefinitionen können auch nicht in allen Fällen herangezogen werden, so daß lediglich die unbefriedigende Lösung bleibt, für jedes Land den Genossenschaftsbegriff gelten zu lassen, der dort anerkannt wird und auf eventuelle Unterschiede hinzuweisen. Gibt es auch keine einheitliche Definition des Begriffes "Genossenschaft", so besteht im westlichen Europa eine grundsätzliche Einigkeit über folgende Merkmale genossenschaftlicher Grundstruktur (2): 1. Freiwilligkeit des Zusammenschlusses, 2. offene Mitgliedschaft, d.h. Gleichinteressierten ist der Zutritt zur Genossenschaft grundsätzlich offen, 3. das demokratische Prinzip 1 Mann = 1 Stimme, 4. Selbstorganschaft und Kontrolle durch die Mitglieder, 5. Solidarität unter den Mitgliedern, 6. das Kapital hat nur eine dienende Funktion. Eine echte Vergleichsmöglichkeit mit der genossenschaftlichen Konzeption in der Bundesrepublik Deutschland findet man nur in Frankreich, wo es auch Genossenschaftsverbände, wie wir sie kennen, gibt, im Innenverhältnis als Prüflings-, Betreuungs- und Beratungsverbände und im Außenverhältnis als Interessenvertretungsverbände. Parallel sind Verbundinstitute auf wirtschaftlicher Ebene unterstützend tätig. Im Gegensatz hierzu stellt sich die genossenschaftliche Organisation in den Beneluxländern, in Skandinavien und - mit Einschränkungen - in Italien, Griechenland, Spanien und Portugal sehr viel anders dar. Hier sind die Organisationen entweder stark in berufsständische Einrichtungen eingebettet oder spartenmäßig, politisch bzw. sogar konfessionell geprägt. Wesentliche Aufgaben, die bei uns als traditionelle Verbandsaufgaben angesehen werden, werden hier teilweise von geschäftlich orientierten zentralen Einrichtungen wahrgenommen und umgekehrt.

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Gegenstand des folgenden Beitrags ist es, Unterschiede im Selbstverständnis der Genossenschaften und deren Organisationsformen in den EG-Partnerstaaten aufzuzeigen. Im Rahmen dieser durch den Umfang begrenzten Arbeit kann es sich hierbei jedoch nur um einen Überblick handeln. B. Entstehung Die Genossenschaften sind in Europa in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden, um den Bedürfnissen besonderer Bevölkerungsgruppen, die aus der beginnenden Industrialisierung heraus entstanden sind, Rechnung zu tragen. Die Anstöße zum genossenschaftlichen Handeln gingen zwar alle auf die gleiche Ursache zurück, jedoch waren in der Frage der gesellschaftspolitischen Ausrichtung in den einzelnen Gruppierungen schon damals Unterschiede sichtbar. Die Ursprünge gehen sowohl auf die Arbeiterschaft als auch auf die Bauern und kleinen Gewerbetreibenden zurück. Einige Länder gelten als Ausgangspunkt spezieller Genossenschaftssparten: Großbritannien für die Konsumgenossenschaften (Rochdaler Pioniere), Frankreich für die Produktivgenossenschaften und die BRD für die Kredit- und die gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften (H. Schulze-Delitzsch und F. W. Raiffeisen). Die ersten Genossenschaften in Italien und den Niederlanden haben sich stark an diesen Genossenschaftspionieren orientiert. In manchen Ländern ist die eigentliche Entwicklung des Genossenschaftswesens viel später eingetreten: in Luxemburg nach dem Ersten Weltkrieg, in Griechenland 1935 durch die Gründung erster genossenschaftlicher Zusammenschlüsse und in Spanien und Portugal nach der Überwindung der politischen Diktaturen in der Mitte der 70er Jahre. C. Ideologische Ausrichtung Das Selbstverständnis der Genossenschaften wird in Belgien und Dänemark von der jeweiligen Zugehörigkeit zu einer weltanschaulich bestimmten Gruppierung bestimmt und ist demzufolge entsprechend unterschiedlich. So unterscheiden sich die Genossenschaften in Belgien nach ihrer ideologischen Ausrichtung in sozialistische, christliche und neutrale Genossenschaften. In Belgien und Italien gibt es sogar eine Anbindung an die politischen Parteien. In den übrigen Ländern der Europäischen Gemeinschaft deklarieren sich die Genossenschaften als politisch neutral. In der BRD, in Griechenland, in Irland, in den Niederlanden, in Spanien und im landwirtschaftlichen Genossenschaftssektor Großbritanniens finden wir Genossenschaften, die als rein wirtschaftliche Organisationen agieren, in dem sie die wirtschaftlichen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder und die Förderung des Gemeinwohls wahrnehmen. Ihre Leitmotive sind die Grundsätze der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sowie eine allgemeine Solidarität.

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Das Selbstverständnis der Genossenschaften in Frankreich ("secteur cooperativ"), Italien, Luxemburg, Portugal und bei den Konsumgenossenschaften in Großbritannien orientiert sich an der Idee des sozial verantwortlichen Wirtschaftens. Mit diesem Prinzip ist die Vorstellung verbunden, daß die Genossenschaften einen "dritten Sektor" zwischen reinen Marktwirtschaften und reinen Staatswirtschaften darstellen, dem gesellschaftsverändernde Kraft zugeschrieben wird. D. Gesetzliche Grundlagen Auch die gesetzlichen Grundlagen der Genossenschaften in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft sind vielfaltig. Das erste genossenschaftliche Organisationsgesetz - wenn wir vom "Industrial and Provident Societies Act" Großbritanniens absehen - entstand 1867 in Portugal. 1889 wurde in der BRD ein eigenständiges Organisationsgesetz für Genossenschaften geschaffen, in dem auch eine Legaldefinition der Genossenschaft vorgenommen wurde. Weiter existiert in Belgien (ohne spezielles Organisationsrecht für die Genossenschaft als besondere Rechtsform), in Irland (für Kreditgenossenschaften) und seit 1982 in Griechenland ein Rahmengesetz für die Organisation des Genossenschaftswesens. In Spanien wird zur Zeit noch über ein neues Genossenschaftsgesetz, welches eigentlich bereits 1983 verabschiedet werden sollte, verhandelt. In den übrigen Ländern sind die gesetzlichen Grundlagen für Genossenschaften in anderen Gesetzen mitgeregelt: in Frankreich im "Allgemeinen Gesellschaftsrecht", in Italien im Zivilgesetzbuch und in zahlreichen anderen Spezialgesetzen, in Luxemburg im Gesetz über Handelsgesellschaften und in den Niederlanden im Vereinsrecht mit einer großen Satzungsautonomie für Genossenschaften. In Großbritannien gibt es kein generelles Genossenschaftsgesetz. Unternehmungen mit genossenschaftlicher Zielsetzung haben die Wahl zwischen mehreren Rechtsformen. Überhaupt keine gesetzliche Regelung der Genossenschaft gibt es in Dänemark. E. Belgien 1. Die verbandliche Organisation Die beiden bedeutendsten belgischen Genossenschaftsbewegungen sind die sozialistischen und die christlichen Genossenschaften. Verbandlich haben sich die sozialistischen Genossenschaften, das sind zum größten Teil Genossenschaften aus dem Dienstleistungs- und Kreditsektor, in der "Fédération Belge des Coopératives (FEBECOOP)" (Belgischer Genossenschaftsverband) organisiert. Im Gegensatz zu den sozialistischen Genossenschaften, die sich alle in einem Dachverband organisiert haben, sind die christlichen Genossenschaften in drei

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verschiedenen Verbänden organisiert. So vereinigen sich die flämischen christlichen landwirtschaftlichen Genossenschaften im "Belgischer Boerenbond" (Belgischer Bauernverband), die wallonischen christlichen landwirtschaftlichen Genossenschaften in der "Alliance agricole belge" (Belgische Landwirtschaftsallianz) und die christlichen Genossenschaften aus den Bereichen Dienstleistung, Vertrieb/Produktion und Kredit in der "Fédération nationale des coopératives chrétiennes (FNCC)" (Nationale Vereinigung christlicher Genossenschaften). Die neutralen Genossenschaften, die im Bereich des Landwirtschaftssektors tätig sind und denen ein Großteil der auf genossenschaftlicher Basis arbeitenden Apotheken zuzurechnen sind, sind in den beiden Verbänden "Fédération nationale des Unions professionelles agricoles" (Nationale Vereinigung der landwirtschaftlichen Berufsverbände) und "Office des pharmacies coopératives - OPHACO" (Organisation genossenschaftlicher Apotheken) organisiert. Auch die neueren alternativen Genossenschaften haben sich in Verbänden organisiert. Hier sind unter anderem zu nennen "Solidarité des alternatives waleonnes", "Nouvelles Coopératives" und "Netwerk Zelfhulp Viaanderen". Als einziges politisch und genossenschaftsübergreifendes Organ wurde 1955 der "Conseil national de la coopération" (Nationaler Genossenschaftsrat) als Beratungsorgan des zentralen Wirtschaftsrates gegründet. Er besteht aus vier Ausschüssen, die jeweils die Genossenschaften der Sektoren Konsum, Landwirtschaft, Produktion/Vertrieb und Dienstleistung vertreten. 2. Die wirtschaftliche Organisation Im belgischen Genossenschaftswesen kann keine exakte Trennung zwischen einer wirtschaftlichen und einer verbandlichen Organisation vorgenommen werden, da der wirtschaftliche Überbau teilweise von den Verbänden getragen wird. Grundsätzlich ist die wirtschaftliche Organisation zweistufig, d.h. auf lokaler Ebene arbeiten die von den Mitgliedern getragenen Primärgenossenschaften, die durch auf nationaler Ebene arbeitende Sekundärgenossenschaften unterstützt werden. Die zweite Stufe wird jedoch nicht immer von autonomen und vollkommen selbständigen Sekundärgenossenschaften gebildet, sondern, wie z.B. die Bezugs- und Absatzgesellschaft "CAV" in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft, von Gesellschaften im Besitz des jeweiligen Verbandes, hier des "Boerenbond". Im Bereich der christlichen Genossenschaftsbewegung und speziell des FNCC bilden oft auch regionale Genossenschaften die Primärstufe. Von der FNCC gegründete auf Ortsebene tätige Unternehmen haben hier quasi Filialcharakter.

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F. Dänemark 1. Die verbandliche Organisation Charakteristisch für die verbandliche Organisation der dänischen Genossenschaften und verwandter Sektoren ist, daß sie schwerpunktmäßig nach bestimmten Wirtschaftssektoren gegliedert ist. Es besteht eine Dreiteilung in die Bereiche landwirtschaftliche Genossenschaften, Produktionsgenossenschaften und Verbrauchergenossenschaften, die jeweils in einem eigenen Dachverband zusammengeschlossen sind. Der "De samvirkende danske Andelsselskaber Andelsudvalget" (Zentralverband der dänischen Genossenschaften) ist die landesweit tätige Dachorganisation der im Agrarbereich tätigen Genossenschaften sowie der (ländlichen) Kreditgenossenschaften. Die dänischen Konsumgenossenschaften haben sich im "Faellesforeningen for Danmarks Brugsforeninger - FDB" (Verband der dänischen Konsumvereine) zusammengefunden, der die Interessen der Konsumgenossenschaften und somit von rund 37 Prozent aller dänischen Haushalte vertritt. Dem FDB gehören zwei Arten von Konsumgenossenschaften an, zum einen die dem FDB angeschlossenen selbständigen Konsumvereine, zum anderen aber auch die vom FDB selbst betriebenen DB-Läden. Schließlich sind noch die Produktivgenossenschaften zu nennen, die in Fach verbänden organisiert sind, die dann wiederum auf nationaler Ebene in der "Det kooperative Faellesforbund-DKF" (Dänische Vereinigung der Arbeitergenossenschaften) zusammengeschlossen sind. Die dem DKF angeschlossenen Genossenschaften sind in erster Linie Haus- und Wohnungsbaugenossenschaften, Bauunternehmen, Bäckereien sowie Öl- und Brennstoffgesellschaften. 2. Die wirtschaftliche Organisation Die wirtschaftliche Organisation der dänischen Genossenschaften ist zweistufig. Auf der Primärstufe arbeiten örtliche Genossenschaften bzw. Konsumvereine. In der landwirtschaftlichen Organisation werden die Primärgenossenschaften durch Zentralgenossenschaften der verschiedenen Sektoren (Butter, Milch, Fleisch etc.) unterstützt. Der FDB, der verbandlich die Interessen der Konsumgenossenschaften vertritt, ist zugleich auch Zentralgenossenschaft. Er ist sowohl in der Produktion, wie auch im Vertrieb tätig und erbringt Dienstleistungen für die angeschlossenen Konsumvereine. Zusätzlich betreibt er noch eigene Verkaufsstellen und eine Superm arktkette. Bei den Produktivgenossenschaften übernehmen die Fachverbände Aufgaben von Zentralen.

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G. Bundesrepublik Deutschland 1. Die verbandliche Organisation Im Jahre 1972 wurde in der Bundesrepublik Deutschland eine umfassende verbandliche Neuorganisation vorgenommen. Die bis dahin verbandsmäßig getrennt arbeitenden Sparten der ländlichen und gewerblichen Genossenschaften gründeten den neuen Dachverband "Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V." (DGRV). Hierneben wurden drei fachlich ausgerichtete Spitzenverbände gegründet. Für die Kreditgenossenschaften der "Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken e.V." (BVR), für die ländlichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften der "Deutsche Raiffeisenverband e.V." (DRV) und für die gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften der "Zentralverband der genossenschaftlichen Großhandelsund Dienstleistungsgenossenschaften e.V." (ZENTGENO). Für die Konsumgenossenschaften ist als Spitzenverband der "Bund deutscher Konsumgenossenschaften GmbH" (BdK) zuständig und für die Wohnungsbaugenossenschaften der "Gesamtverband der Wohnungswirtschaft e.V." (GdW). Hauptaufgabe der Bundesverbände ist die fachspezifische Betreuung und Beratimg der angeschlossenen Genossenschaften sowie ihre Interessenvertretung gegenüber Staat und Öffentlichkeit. Neben diesen Bundesverbänden existieren in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin Prüfungsverbände auf regionaler Ebene als auch Fachprüfungsverbände, die bundesweit die Prüfung der Genossenschaften vornehmen. Die drei Dachverbände DGRV, BdK und GdW haben sich im "Freien Ausschuß der deutschen Genossenschaftsverbände", einem Arbeitsgremium, zusammengetan. Dieser wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von allen Genossenschaftsverbänden zur Wahrnehmung allgemeiner genossenschaftlicher Belange gegründet. 2. Die wirtschaftliche Organisation Die wirtschaftliche Organisation, die man in der Bundesrepublik Deutschland von der verbandlichen streng trennen kann, ist ein- bis dreistufig gegliedert. So verfügen die Kreditgenossenschaften und die ländlichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften über auf regionaler Ebene tätige Zentralen, die wiederum von bundesweit tätigen Zentralen der dritten Stufe unterstützt werden. Ein zweistufiger Aufbau herrscht vor allem bei den Genossenschaften des Einzelhandels und des übrigen Nahrungsmittelhandwerks vor. Charakteristisch für diesen zwei- und dreistufigen Aufbau ist das Subsidiaritätsprinzip.

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Die Wohnungsbaugenossenschaften schließlich verfügen über keine übergeordnete Zentrale, so daß man hier auch von einer Einstufigkeit spricht. H. Frankreich 1. Die verbandliche Organisation Die verbandliche Organisation der französischen Genossenschaften ist äußerst komplex. Die Genossenschaften Frankreichs sind in zahlreichen sektoralen Verbänden organisiert. Diese organisatorische Vielfalt ist historisch gewachsen und durch regionale Eigenheiten verstärkt worden. Es gibt jeweils eine eigene nationale Organisation für die Sektoren Kreditgenossenschaften, ländliche Genossenschaften, Produktion, Konsum, Wohnungsbau, Fischerei, Handwerk, Verkehr, Handel und Erziehung. Fast alle Genossenschaftsverbände sind wiederum in dem gemeinsamen Verband "Groupement national de la coopération (GNC)" (Nationale Genossenschaftsvereinigung) zusammengeschlossen, der wiederum Mitglied des "Comité National de Liaison des Activités Mutualistes, Coopératives et Associatives (CNLAMCA)" (Nationaler Verbindungsausschuß der Einrichtungen auf Gegenseitigkeit, der Genossenschaften und der Vereine und Selbsthilfeeinrichtungen) ist. Die GNC ist als politische Instanz der genossenschaftlichen Zusammenarbeit anerkannt und ihr Ziel besteht darin, die grundlegenden Prinzipien des Genossenschaftswesens zu fördern und zu verteidigen. 2. Die wirtschaftliche Organisation So vielfältig wie die verbandliche Organisation ist auch die wirtschaftliche. Produktion, Handwerk und Verkehr sind einstufig organisiert, jedoch übernehmen in den Bereichen Handwerk und Verkehr die entsprechenden Verbände Aufgaben einer Zentrale. Fischerei- und Handelsgenossenschaften sind sowohl ein- als auch zweistufig aufgebaut. Im Landwirtschaftssektor sind die unbedeutenderen Genossenschaftsbranchen wie Flachsgenossenschaften und Imkergenossenschaften einstufig, die bedeutenderen (Viehgenossenschaften, Getreidegenossenschaften) zweistufig mit einer oder mehreren Zentralgenossenschaften organisiert. Im Kreditsektor sind alle Formen wirtschaftlicher Zusammenarbeit vorzufinden. Die Credit matuel und die Credit agricole weisen einen dreistufigen Aufbau auf, mit Ortsgenossenschaften, Regionalkassen und landesweit tätigen Zentralkassen. Die Volksbanken haben einen zweistufigen Aufbau mit Regional-

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banken, die auf lokaler Ebene Geschäftsstellen unterhalten und einer Zentralbank. Schließlich ist die "Crédit coopératif' zentralistisch organisiert. Die Zentralkasse "Caisse Centrale de Crédit coopératif (CCCC)" betreibt selbst regionale Zweigstellen. Der CCCC sind diverse Spezialinstitute für fast alle Bereiche des nicht-landwirtschaftlichen Genossenschaftssektors angeschlossen (regionale und branchenspezifische Finanzierungsinstitute, Material- und Immobilienleasinginstitute), so daß man von einer starken wirtschaftlichen Verflechtung sprechen kann. I. Griechenland 1. Die verbandliche Organisation Genossenschaftliche Verbandsstrukturen sind in Griechenland vorerst beschränkt auf die beiden Hauptbereiche Landwirtschaft und Konsum. Der größte griechische zentrale Genossenschaftsverband ist der "Griechische Zentralverband der landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbände" (PASEGES). Der PASEGES ist das oberste koordinierende Organ der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Zu seinen Aufgaben zählt die Vertretung und Verteidigung der berufsständischen Interessen der griechischen Landwirte. Hierneben spielt im Bereich der Konsumgenossenschaften die Großeinkaufsgesellschaft der Verbrauchergenossenschaften "Katanalotis-Konsum" eine bedeutende Rolle. Ihr Hauptziel sieht die "Katanalotis-Konsum" darin, überall in Griechenland Verbrauchergenossenschaften aufzubauen und die bestehenden zu stärken. Das Selbstverständnis der PASEGES ist eher standes- als parteipolitisch, wohingegen sich die Konsumgenossenschaften um eine gute Beziehung zu griechischen Gewerkschaften bemühen. 2. Die wirtschaftliche Organisation Die landwirtschaftlichen Genossenschaften Griechenlands sind hierarchisch in drei Stufen organisiert. An der Basis arbeiten die lokalen landwirtschaftlichen Genossenschaften. Diese werden von regionalen landwirtschaftlichen Hauptgenossenschaften unterstützt, die ihrerseits wiederum Genossenschaftszentralen gegründet haben, die sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene arbeiten. Das Gesetz sieht außerdem die Bildung von Interessengenossenschaften vor, die die rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen der Mitgliederorganisationen fördern sollen. Die Konsumgenossenschaften sind zweistufig organisiert. Die bereits vorher erwähnte Großeinkaufsgesellschaft bildet hier das Spitzeninstitut. Verbandliche und wirtschaftliche Interessen werden somit von einer Instanz wahrgenommen.

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K. Großbritannien 1. Die verbandliche Organisation In Großbritannien gibt es keine Dachorganisation, in der die Gesamtheit des Sektors Genossenschaftswesen repräsentiert wird. Mit Einschränkungen erfolgt die verbandliche Organisation spartenbezogen. Die größte Organisation aller existierenden genossenschaftlichen Verbändeist die "Cooperative Union Ltd." (Genossenschaftsorganisation m.b.H.). Sie stellt heute einen sektorenübergreifenden Verband dar, der die Bereiche Konsum, Produktion, Kredit und Dienstleistungen vereinigt. Ihre Bedeutung kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß sie über die "Cooperative Party", eine 1917 gegründete Genossenschaftspartei, unmittelbar im Parlament vertreten ist. Die landwirtschaftlichen Genossenschaften haben sich in der "Federation of Agricultural Cooperatives (FAC)" organisiert, die Wohnungsbaugenossenschaften in der "National Federation of Housing Cooperatives" und die Kreditgenossenschaften, die in Großbritannien erst 1960 entstanden, sowohl in der "Association of British Credit Unions" als auch in der unbedeutenderen "National Federation of Credit Unions", die jedoch untereinander keinerlei Beziehungen unterhalten. Unlängst ist letztere ebenso wie die Vereinigung moderner Produktivgenossenschaften "Industrial Common Ownership Movement" der "Cooperative Union" beigetreten. 2. Die wirtschaftliche Organisation Der Landwirtschaftssektor ist wirtschaftlich einstufig organisiert. Allerdings sind die staatlichen "Boards" für Milch, Wolle und Kartoffeln Mitglied der "Federation of Agricultural Cooperatives" und nehmen die Funktion von Sekundärgenossenschaften wahr. Die auch zur Landwirtschaft zählenden Fischereigenossenschaften haben eine eigene Zentralgenossenschaft. Die Konsumgenossenschaften sind zweistufig organisiert. Regional tätige Konsumgenossenschaften werden durch die Großhandelsgenossenschaften "Cooperative Wholesale Society (CWS)" und deren Töchter, u.a. eine Genossenschaftsbank und eine Genossenschaftsversicherung, unterstützt. Die CWS arbeitet auch mit den landwirtschaftlichen Genossenschaften zusammen und hat innerhalb des Verbundes eine sehr starke Stellung. Auch die grundsätzlich einstufig organisierten Kreditgenossenschaften nutzen die der CWS angeschlossene Bank als Abrechnungsbank.

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L. Irland 1. Die verbandliche Organisation Auch in Irland gibt es keine Dachorganisation, die von sich behaupten könnte, das gesamte irische Genossenschaftswesen zu vertreten. Dennoch übernimmt die, ursprünglich an den Interessen der Landwirte orientierte, "Irish Cooperative Organization Society - ICOS" (Irische Vereinigung der Genossenschaftsverbände) quasi die Rolle eines Dachverbandes, da sie auch spartenübergreifend tätig wird. Vom Ursprung her sind in der ICOS die landwirtschaftlichen Genossenschaften zusammengeschlossen. Mit der Teilung Irlands im Jahre 1949 lösten sich die nordirischen landwirtschaftlichen Genossenschaften von diesem Verband ab und gründeten den eigenen Verband "Ulster Agricultural Organization Society" (Genossenschaftsverband für die Landwirte in Ulster). Im Gegensatz dazu vertritt die "Irish League of Credit Unions" (Irischer Kreditgenossenschaftsverband) auch heute noch die Interessen aller Kreditgenossenschaften Irlands, also sowohl der Republik als auch Nordirlands. Produktivgenossenschaften sind im "The Cooperative Development Society" (GenossenschaftsfÖrderungsverband), dem auch einige Konsumgenossenschaften und Fischereigenossenschaften beigetreten sind, vereinigt. Schließlich gibt es die kleine und noch sehr junge (Gründungsdatum 1970) Vereinigung von Wohnungsbaugenossenschaften, die "National Association of Building Cooperatives - NABCO". Eine erwähnenswerte irische Besonderheit sind die "Muintir na Tire" (Landvolk), eine landesweite Vereinigung von Gemeinderäten. Es geht darum, örtliche Behörden und Gemeinschaften einander näherzubringen. Zu diesem Zweck sind in einzelnen Gemeinden Genossenschaften entstanden, die für eine Verbesserimg der Lebensbedingungen und für die Schaffung von Arbeitsplätzen kämpfen. 2. Die wirtschaftliche Organisation Wirtschaftlich ist das ländliche Genossenschaftswesen zweistufig organisiert mit lokalen Primärgenossenschaften und nationalen Branchenzentralen, die als Tochtergesellschaften des ICOS betrieben werden und an denen teilweise auch der belgische "Boerenbond" beteiligt ist. Die Kreditgenossenschaften, deren Geschäfte auf die Entgegennahme von Spareinlagen und (Konsumenten) Krediten beschränkt sind, die also nicht die gesamte Palette bankgeschäftlicher Dienste anbieten, sind einstufig organisiert und werden vielfach ehrenamtlich geleitet. Auch die Produktivgenossenschaften sind einstufig organisiert. Sie werden durch ihren Verband beraten und gefördert.

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M. Italien 1. Die verbandliche Organisation Die genossenschaftliche Organisation in Italien ist verwirrend vielfältig. Eine Gliederungsmöglichkeit der italienischen Genossenschaften ergibt sich aus der weltanschaulichen Ausrichtung der verschiedenen Gruppierungen. Vier nationale Verbände, die jeweils fachlich stark untergliedert sind, spielen heute eine fundamentale Rolle, obwohl zwei Drittel der italienischen Genossenschaften diesen Organisationen nicht angeschlossen sind. Die "Lega Nazionale delle Cooperative e Mutue (LEGA)" (Nationale Vereinigung der Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit) ist die älteste Gruppe. Sie ist sozialistisch orientiert. Ihr sind die Genossenschaften aus fast allen Sektoren mit Ausnahme von Kredit und Handwerk angeschlossen. Die christlich, demokratische "Confederazione Cooperative Italiane (CONFCOOPERATIVE)" (Italienischer Genossenschaftsverband) erfaßt alle Sparten einschließlich der Kreditgenossenschaften und ist damit die am breitesten wirkende Gruppe. Die "Associazione Generale Cooperative Italiane (AGCI)" (Allgemeine Italienische Genossenschaftsvereinigung) ist republikanisch, sozialdemokratisch orientiert. Sie ist in den meisten Sektoren bis auf Handel, Kredit und Handwerk tätig. Die 1971 gegründete, aber erst 1981 nach einem Rechtsstreit mit den anderen Verbänden zugelassene "Unione Nazionale Cooperative Italiane (UNCI)" (Nationale Union italienischer Genossenschaften), ist christlich-sozialreformerisch orientiert und außer im Kredit- und Produktionssektor überall tätig mit Schwerpunkt im Agrargenossenschaftsbereich. Neben diesen vier nationalen Verbänden mit horizontaler Struktur bestehen in den verschiedenen Sektoren fachorientierte Zentralverbände, die ihrerseits wiederum einem der weltanschaulich bzw. politisch orientierten Verbände angehören. Über einen gemeinsamen Dachverband verfugen die italienischen Genossenschaften nicht. Wohl aber wird von den vier angeführten Verbänden das italienische Institut für Genossenschaftsforschung "Luigi Luzzatti" getragen und gefördert. 2. Die wirtschaftliche Organisation Anders als in anderen Genossenschaftsorganisationen Europas sind die Genossenschaften Italiens nur innerhalb ihrer vier großen Genossenschaftszentren fachbezogen organisiert.

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In die verbandliche Struktur sind Zentralgenossenschaften auf regionaler und nationaler Ebene eingebunden. Die wirtschaftliche Organisationsstruktur ist zwei- und dreistufig. Die Zentralen auf regionaler und nationaler Ebene haben immer die Rechtsform der Genossenschaft. N. Luxemburg 1. Die verbandliche Organisation Lediglich die landwirtschaftlichen Genossenschaften, zu denen auch die landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften zählen, sind in einer Art Dachorganisation, dem "Centrale Paysanne Luxembourgeoise" (Luxemburgischer Landwirtschaftszentralverband) zusammengeschlossen, der alle Bereiche der Landwirtschaft vertritt. Die bestehenden 11 Konsumgenossenschaften sind abhängig von drei sektoriellen Berufsverbänden, die in einem formlosen Gremium, der "Entente des Coopératives Luxembourgeoises" (Vereinigung der Konsumgenossenschaften), ihre Erfahrungen austauschen. Es gibt weder einen sektorenübergreifenden Genossenschaftsverband, noch eine speziell für Genossenschaften zuständige Instanz. 2. Die wirtschaftliche Organisation Wirtschaftlich ist der landwirtschaftliche Bereich zweistufig organisiert. Es gibt Zentralgenossenschaften und Zentralunternehmen anderer Rechtsformen für verschiedene Branchen (Fleisch, Wein, Bezug/Absatz) sowie eine zentrale Raiffeisenkasse. Die Konsumgenossenschaften sind einstufig organisiert. Sie verfügen über keine zentralen Geschäftszentralen. O. Niederlande 1. Die verbandliche Organisation Wie auch in vielen anderen europäischen Ländern existiert auch in den Niederlanden kein Dachverband, der den gesamten Genossenschaftssektor vertritt. Grundsätzlich kann man in den Niederlanden von zwei Verbänden ausgehen, die die Interessen der Genossenschaften wahrnehmen. Es existieren aber auch zahlreiche Genossenschaften, die keinem Verband angeschlossen sind.

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Der bedeutendste Verband ist der "Nationale Coöperatieve Raad vor Landen Tuinbouw - NCR)" (Nationaler Genossenschaftsrat für Landwirtschaft und Gartenbau), der seine Tätigkeit ausschließlich auf den Bereich Landwirtschaft und Gartenbau beschränkt und wiederum nach Sparten untergliedert ist. Die Produktivgenossenschaften haben 1959 die "Associatie van bedrijven op coöperatieve grondslag - ABC" (Verband der Arbeiter-Produktivgenossenschaften) gegründet. Abgesehen von den Verbänden NCR und ABC gibt es weitere Organisationen in den anderen Sparten, doch vertreten diese in vielen Fällen neben genossenschaftlichen Unternehmen auch nichtgenossenschaftliche, so daß einen Trennung zur übrigen Wirtschaft schwierig ist. Die 1979 gegründete Sekundärgenossenschaft "coop Holland ua." (3) nimmt seit dem Zusammenbruch der "coop Nederland" für die noch bestehenden Konsumgen ossenschafiten V erbandsaufgaben wahr. Der Einzelhandelsbereich ist verbandsmäßig nicht organisiert. Hier sind einige große Genossenschaften wie der "Sperwerverband" direkt Mitglied bei Verbänden auf europäischer Ebene. 2. Die wirtschaftliche Organisation Die wirtschaftliche Organisation des landwirtschaftlichen Sektors, zu dem auch der Kreditsektor mit der Rabo-Bank gehört, ist äußerst komplex. Prinzipiell gibt es zwei Stufen, jedoch sind einige Primärgenossenschaften auch auf nationaler Ebene tätig. Die Produktivgenossenschaften sind einstufig organisiert. Die Konsumgenossenschaften haben sich, zur "coop Holland ua." zusammengeschlossen, die wiederum drei Tochtergesellschaften für Marketing, Touristik und Sparmarken betreibt. Im Einzelhandel gibt es lediglich Ansätze zu gemeinsamen Einkaufsorganisationen zweiter Stufe, vor allem in der Möbelbranche. P. Portugal 1. Die verbandliche Organisation Angesichts der Tatsache, daß sich der portugisische Genossenschaftssektor noch mitten in einer Umstrukturierungsphase befindet und angesichts dessen, daß nach 1974 zahlreiche neue Verbände gegründet wurden, ist eine Darstellung der verbandlichen Organisation in Portugal nur sehr schwierig vorzunehmen.

398

3. Kapitel: Organisation der Genossenschaft

Im landwirtschaftlichen Bereich gibt es allein sechs verschiedene Verbände, die sich wiederum im "Confederacao Portuguesa das Cooperativas Agrícolas" zusammengeschlossen haben, der sich allerdings noch im Aufbau befindet. Außerdem sind Genossenschaften der Sektoren Lebensmitteleinzelhandel, Fischerei, Produktion, Handwerk, Wohnungswesen, Konsum, Dienstleistung, Kultur und Bildimg jeweils in eigenen Verbänden organisiert. Bei den Verbraucher- und Produktivgenossenschaften liegt der Organisationsgrad unter 50 Prozent. Die nationalen Verbände üben selbst keine Wirtschaftstätigkeit aus; ihre Aufgabe besteht in der Vertretung, der Koordinierung, der Förderung und der Verteidigung ihrer Mitglieder. Einen gemeinsamen Dachverband gibt es in Portugal nicht. Das 1974 von der ersten Regierung zur Unterstützung der Genossenschaften gegründete "Antonio-Sergio-Institut für Genossenschaftswesen" (INSCOOP) hat diese Aufgabe zunächst übernommen. Die meisten Verbände arbeiten im Koordinierungsrat des Institutes mit. 2. Die wirtschaftliche Organisation Die wirtschaftliche Organisation der landwirtschaftlichen Genossenschaften ist zweistufig. Es gibt zur Unterstützung der Primärstufe zentrale Weinkellereien, Molkereien und eine Zentralkasse des Agrarkreditsektors. Auch der Konsumsektor kennt örtliche Konsumgenossenschaften und regionale Fachgenossenschaften. Die Produktivgenossenschaften haben fünf Fachzentralen gegründet. Alle anderen Sektoren arbeiten einstufig. Q. Spanien 1. Die verbandliche Organisation Bis 1977 waren die spanischen Genossenschaften verpflichtet, in einem Verband Mitglied zu sein (Pflichtmitgliedschaft). Die Verbände waren horizontal nach Sektoren und vertikal in provinziale und nationale Ebenen gegliedert. Die Pflichtmitgliedschaft zu einem Verband ist heute aufgehoben. Auf nationaler Ebene gibt es derzeit Verbände von ländlichen Genossenschaften, Kredit-, Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaften sowie die weniger bedeutenden Nationalverbände der Produktions- und Seegenossenschaften. 1975 wurde als zentrale genossenschaftliche Einrichtung der Genossenschaftsverband "Confederación española de coopérativas - CECOOP" (Spanischer

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

399

Genossenschaftsverband) gegründet. Ihm sind die nationalen Verbände und die provinzialen Genossenschaftsvereinigungen angeschlossen. Die endgültige Struktur des Verbandes sowie seine Aufgaben werden jedoch erst mit der Verabschiedimg des neuen Genossenschaftsgesetzes festgelegt werden können. Katalonien hat einen eigenen Dachverband, "Confederación de cooperativas de Cataluña", dem Sektorenverbände für Landwirtschaft, Kredit, Produktion, Konsum, Wohnungs- und Bildungswesen angeschlossen sind. Im Baskenland gibt es Verbände für landwirtschaftliche, Kredit-, Konsum- und Produktionsgenossenschaften; die Gründung eines gemeinsamen Dachverbandes ist geplant. 2. Die wirtschaftliche Organisation Die wirtschaftliche Organisation ist bei den meisten spanischen Genossenschaftsgruppen dreistufig - auf Primärstufe Orts- bzw. Kreisgenossenschaften, auf Sekundärstufe Provinz- und Terntorialgenossenschaften und auf Tertiärstufe nationale Zentralgenossenschaften. Fallen Orts- und Kreisebene auseinander und sind hierarchisch gegliedert, so kann man auch von einer Vierstufigkeit sprechen. In Katalonien können sich mindestens drei Genossenschaften zu einer Zentrale zusammenschließen. Im Baskenland sind die Produktivgenossenschaften in sogenannten Wirtschaftszusammenschlüssen organisiert, die sich in ihrer Tätigkeit ergänzen. Eine besondere Rolle spielt hier die "Caja Laboral Popular de Mondragon", die Volksbank für Arbeitnehmer, die alle Genossenschaften im Baskenland in finanzieller Hinsicht berät und kontrolliert. R. Zusammenfassende Schlußbemerkung Die Ausführungen haben gezeigt, daß sich die Genossenschaften in den Mitgliedsstaaten der EG in nationalen Verbänden, in der Regel nach wirtschaftlichen Tätigkeitsbereichen gegliedert, zusammengeschlossen haben. Nur in wenigen Ländern, z.B. in Frankreich, Italien und mit Einschränkungen auch in der Bundesrepublik Deutschland, bestehen darüber hinaus nationale Dachverbände, in denen sich die verschiedenen wirtschaftlich und ideologisch geprägten Verbände vereinigt haben. Diese besitzen zum Teil jedoch keine exekutiven Zuständigkeiten, sondern haben vielmehr die Aufgabe der gemeinschaftlichen Interessenvertretung, speziell dem Gesetzgeber gegenüber, in solchen Fragen, die gemeinsames Vorgehen verlangen und erfordern. Die meisten der nationalen Verbände der einzelnen Genossenschaftsbereiche gehören dem Weltverband "Internationaler Genossenschaftsbund" (IGB) mit Sitz in Genfan (siehe 5.2.). Auf europäischer Ebene sind in den letzten Jahren eine Reihe von europäischen Genossenschaftsverbänden gegründet worden.

400

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

Es handelt sich um: -

-

die Europäische Gemeinschaft der Konsumgenossenschaften (EUROCOOP) - für die Konsumgenossenschaften; den Allgemeinen Ausschuß des ländlichen Genossenschaftswesens der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (COGECA) - für die landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Fischerei; die Vereinigung der Genossenschaftsbanken der EG - für die Kreditgenossenschaften; die Union der genossenschaftlichen Einkaufsorganisationen für Lebensmittel (UGAL) - für die Einzelhandelsgenossenschaften; den Verband der europäischen Versicherungsgenossenschaften (AACE) - für den Sektor der Versicherungsgenossenschaften; den Europäischen Verband der Arbeiter- und Handwerker- Produktivgenossenschaften (CECOP) - für die Produktivgenossenschaften; den Verband der Europäischen Sozialen und Genossenschaftlichen Apotheken - für die Arzneimittel-Konsumgenossenschaften; den Europäischen Koordinierungsausschuß für Sozialtourismus: von Genossenschaften, Vereinigungen auf Gegenseitigkeit, Gewerkschaften und gemeinnützigen Vereinen betriebene Touristik-Unternehmen.

Dagegen sind die Genossenschaften - des Baugewerbes und Wohnungsbaus, - der selbständigen Handwerker, - der Verkehrsunternehmen bis heute als solche nicht in Fachverbänden auf europäischer Ebene organisiert. Bis 1981 gab es noch keine regelmäßigen Kontakte zwischen diesen Organisationen, vielmehr haben sich in der Vergangenheit die sektoriellen Genossenschaftsverbände ausschließlich ad hoc zu einer begrenzten Zusammenarbeit zusammengefunden, immer dann, wenn ein gemeinsames Interesse sichtbar war. Die Debatte des Europäischen Parlaments über die Rolle der Genossenschaften in der EG hat jedoch die europäischen nationalen Verbände in dieser Hinsicht sensibilisiert. So wurde von den drei großen italienischen Genossenschaftsverbänden CONFCOOPERATTVE, LEGA und AGCI sowie dem belgischen sozialistischen Genossenschaftsverband FEBECOOP zusammen mit dem Verband der europäischen Versicherungsgenossenschaften AACE und dem Verband der europäischen genossenschaftlichen Apotheken der "Sektorenübergreifende Verbindungsausschuß der Genossenschaftsverbände der EWG" (CLICE) gegründet. Unabhängig und parallel hierzu wurde von den Verbänden COGECA Vereinigung der Genossenschaftsbanken der EG und UGAL, der Verband

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

401

"Koordinierungsausschuß der Genossenschaftsverbände der Europäischen Gemeinschaften" gegründet, dem seit 1983 auch die EUROCOOP und die CECOP angehören. Bei den beiden Gruppierungen handelt es sich um zwei unterschiedliche Ansätze zur gesamtgenossenschaftlichen Vertretung in der Europäischen Gemeinschaft. Während der Koordinierungsausschuß mehrere verschiedene Sektorenverbände zusammenschließt, finden sich im CLICE schwerpunktmässig nach politischen Familien gegliederte nationale Genossenschaftsdachverbände wieder. Beide Verbände befinden sich noch im Aufbau und weisen zur Zeit noch keine gefestigten Strukturen auf. Die Überlegungen über die zukünftige Rolle der Genossenschaften in der EG sind sowohl bei den genossenschaftlichen Verbänden als auch in der Europäischen Gemeinschaft noch nicht abgeschlossen. Geht man von den aufgezeigten großen Unterschiedlichkeiten der genossenschaftlichen Organisationsstrukturen in den einzelnen Ländern der EG aus, stellt darüber hinaus fest, daß die Gewichtimg der rein zahlenmäßigen Existenzen von genossenschaftlichen Unternehmen von Mitgliedsland zu Mitgliedsland äußerst verschieden ist und betrachtet schließlich die natürlichen Zieldifferenzen der sektoriell, politisch und ideologisch bestimmten nationalen Verbände, so ist es zumindest gegenwärtig schwierig, an eine einheitliche europäische Genossenschaftsbewegung mit einem europäischen genossenschaftlichen Dachverband zu denken. Fußnoten: (1) Für die Unterstützung bei der Erarbeitung dieses Beitrages danke ich Frau Dipl.Volksw. Agnes Lewe und Herrn Dipl.-Kfm. Veit Luxem (2) Vgl. Münkner, Hans-H.: Ausprägungen genossenschaftlicher Struktur in Westeuropa, Schriften zur Kooperationsforschung, begründet von E. Boettcher, hrsg. von H. Bonus, B. Vorträge Bd. 19, Tübingen 1985, S . l l f.; Mihr, K.-H.: Bericht im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über die Genossenschaftsbewegung in der Europäischen Gemeinschaft, Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 1982-1983, Dokument 1-843/82, Nov. 1982. (3) ua. = Genossenschaft ohne Haftpflicht.

Literatur: Böiger, P.: The Irish Co-operative Movement. Its History and Development, Dublin 1977. Bonner, A.: British Co-operation - The History, Principles and Organisation of the British Co-operative Movement, Stockport, First published in September, 1961, Revised edition, 1970. Braun, W.: Genossenschaften in Europa, - Organisationsstruktur, - wirtschaftliche Bedeutung, - gesellschaftliche Rolle, hrsg. vom Vorstand des SPD-Bezirks Westliches Westfalen, Dortmund 1986.

402

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

Croll, W.: Die Verbandsidee im Genossenschaftswesen in nationaler und supranationaler Sicht, in: Boettcher, Erik (Hrsg.): Die Genossenschaft im Wettbewerb der Ideen - eine europäische Herausforderung. Bericht der XI. Internationalen Genossenschaftswissenschaftliche Tagung 1985 in Münster, Tübingen 1985, S.73-86. Digby, M.: Das Genossenschaftswesen in Großbritannien, Frankfurt 1971. Ebert, K.H.: Genossenschaftsrecht auf internationaler Ebene, Band 1, Rechtsvergleichende Analyse des Genossenschaftsrechts, Veröffentlichung des Instituts für Genossenschaftswesen an der Philipps-Universität Marburg/Lahn XXXIII, Marburg/ Lahn 1966. Ebert, K.H.: Genossenschaftsrecht auf internationaler Ebene, Band 2, Die Genossenschaften im internationalen Rechtsraum - Strukturen und Modelle von heute und morgen, Veröffentlichung des Instituts für Genossenschaftswesen an der PhilippsUniversität Marburg/Lahn, Marburg/Lahn 1966. Eichhorn, G.: Genossenschaften und Genossenschaftsrecht in Frankreich, Veröffentlichung des Instituts für Genossenschaftswesen an der Philipps-Universität Marburg/ Lahn, Marburg/Lahn 1957. Hirschfeld, A./Verdier, R.: Le secteur coopératif en France, Paris 1984. Klingberg, W.: Genossenschaften und Genossenschaftsrecht in Italien, Veröffentlichung des Instituts für Genossenschaftswesen an der Philipps-Universität Marburg/Lahn, Marburg/Lahn 1957. Mihr, K.-H.: Bericht im Namen des Ausschusses für Wirtschaft und Währung über die Genossenschaftsbewegung in der Europäischen Gemeinschaft, Europäisches Parlament, Sitzungsdokumente 1982-1983, Dokument 1-849/82, Nov. 1982. Münkner, H.-H.: Ausprägungen genossenschaftlicher Struktur in Westeuropa, Schriften zur Kooperationsforschung, begründet von E. Boettcher, hrsg. von H. Bonus, B. Vorträge, Bd. 19, Tübingen 1985. Münkner, H.-H.: Ordnungsideen und Grundzüge des Genossenschaftsrechts in Europa, in: ZfgG, Bd. 34, 1984, S. 197-219. Münkner, H.-H.: Selbstverständnis und Rechtsverfassung von Genossenschaftsorganisationen in EG-Partnerstaaten, in: Boettcher, Erik (Hrsg.) Die Genossenschaft im Wettbewerb der Ideen - eine europäische Herausforderung. Bericht der XI. Internationalen Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung 1985 in Münster, Tübingen 1985, S. 87-116. Nationale Cooperative Raad: Das Genossenschaftswesen in den Niederlanden, Frankfurt 1966. Papaphilippou-Avramidi, A.: Die Agrargenossenschaften in Griechenland. Ihre Entstehung und Entwicklung während der Umwandlung einer Feudalgesellschaft in eine Gesellschaft an der Peripherie des Kapitalistischen Systems, Diss. Münster 1985. Stoffels, J.: Le coopératisme au Grand-Duché de Luxembourg a la lumière de mouvement coopératif en Europe, Luxembourg 1969. Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europäischen Gemeinschaften, Generalsekretariat: Die Genossenschaften Europas und ihre Verbände, provisorische Ausgabe in 5 Bänden, Brüssel 1984; Ausgabe in einem Band, Endfassung, Baden-Baden 1986. Wirtschafts- und Sozialausschuß der Europäischen Gemeinschaften: Verzeichnis der Genossenschaften, Vereinigungen auf Gegenseitigkeit und gemeinnützigen Vereine und Selbsthilfeeinrichtungen in der Europäischen Gemeinschaft, Brüssel 1986.

S. Kapitel:

3.1.1.3.

Organisation

der

Genossenschaft

403

Entwicklungstypen Juhani Laurinkari

Die Genossenschaften sind als Institution nur in ihrer historischen Entwicklung erklärbar und verstehbar. Im allgemeinen durchliefen sie verschiedenartige Entwicklungsstufen, die sowohl von Außenbeziehungen (soziales Umfeld der Genossenschaften), als auch von Innenbeziehungen (Genossenschaft als Unternehmen und Personengemeinschaft) sowie vom Verhalten der Organisationsteilnehmer geprägt waren. Aus dieser Wechselbeziehung (innen - außen) ist für viele Genossenschaftsarten ein allgemeiner Entwicklungspfad ableitbar. Für eine derartige Erklärung der Entwicklung der Genossenschaften sind zwei Vorbemerkungen wichtig: -

-

Einerseits sind Genossenschaften heterogen, d.h. auch wenn wir nur eine Grobeinteilung in zwei Gruppen vornehmen (Verbraucher- und Produzentengenossenschaften), sind innerhalb dieser Gruppen die unterschiedlichsten Typen anzutreffen. Andererseits entwickeln sich Genossenschaften nicht nur in Marktwirtschaften, sondern auch in Plan- und gemischten Wirtschaften. In den beiden letztgenannten Wirtschaftssystemen unterscheiden sich Genossenschaften wesentlich von jenen, die sich in Marktwirtschaften entwickeln. Im folgenden wollen wir uns aber auf die Analyse von Genossenschaften in Marktwirtschaften beschränken.

Ausgangspunkt unserer Analyse sind zwei Vorgaben: -

Eine Genossenschaft muß sich in einer Konkurrenzwirtschaft ökonomisch verhalten, um ihre Marktposition behaupten und ihr Wachstum sichern zu können. Nur gesichertes Wachstum und die Festigung ihrer ökonomischen Position erlauben es der Genossenschaft, sich an Marktgegebenheiten anzupassen.

-

Die Genossenschaft wandelt sich zwar unter den Veränderungen ihrer Mitgliederwirtschaften (Haushalte und Individualbetriebe) und unter veränderten Konkurrenzsituationen. Es sollten aber nicht die Marktzwänge, sondern nur die Mitglieder entscheiden, welche Entwicklung ihre Genossenschaft nimmt, welche Veränderungen vorzunehmen sind und wo sich die Kooperation ihre eigenen Schranken setzt. Gleichzeitig sollte bewußt bleiben, wovon die Genossenschaft in ihrer Entwicklung nicht abrücken darf, wenn sie ihren Charakter erhalten will und ihre Ziele als Personengemeinschaft weiter erreichen möchte, um auch in Zukunft jene Funktionen zu erfüllen, zu denen sie gegründet wurde.

404

3. Kapitel:

Organisation der

Genossenschaft

Aus der historischen Entwicklung der Genossenschaften (siehe z.B. Dülfer 1966, Boettcher 1980) lassen sich allgemein drei Grundtypen ableiten: -

die traditionale Genossenschaft die Marktgenossenschaft die integrierte Genossenschaft

In Beantwortung der folgenden Fragen werden wir versuchen, dem jeweiligen Genossenschaftsentwicklungstyp seine Innen- und Außenbeziehungen und damit seine gesellschaftlich-historischen Bedingungen zuzuordnen. Frage 1: Welche Eigenleistungen erbringen die Mitglieder für ihre Genossenschaft ? Frage 2: Welche Vorteile ziehen die Mitglieder aus ihrer Genossenschaft? Frage 3: Entwickelt die Genossenschaft als Organisation neben den Mitgliederinteressen selbständige Interessen und Ziele ? Frage 4: Welchen Einfluß hat die Größenentwicklung der Genossenschaft auf ihre innere Organisationsstruktur? Dominiert eine Bestands- oder eine Wachstumsstrategie? A. Die traditionale Genossenschaft Dieser Genossenschaftstyp beruht auf Organisationsprinzipien, die als Lösungskonzept der sozialen Frage im 19. Jahrhundert entwickelt wurden : Selbsthilfe, Selbstverwaltung, demokratische Willensbildung und Mitgliederförderung. Wie sind nun unsere Fragen für dieses Modell zu beantworten? ad 1: Die Gründimg dieser Genossenschaften erfolgte neben der tatkräftigen und finanziellen Hilfe von Promotoren mit Hilfe der eingezahlten Geschäftsanteile durch ihre Mitglieder. Die Genossenschaft wurde in Selbststeuerung von den Mitgliedern geleitet. Die Mitglieder verstanden ihren Eintritt in die Genossenschaft als Chance, durch kollektives Handeln Abhängigkeiten überwinden zu können. Die Leistungserstellung der Genossenschaft war quantitativ und qualitativ ganz auf die Bedürfnisse und Wünsche der Mitglieder abgestellt. ad 2 : Die Genossenschaft wurde nur als ausführendes Organ ihrer Mitglieder tätig, als Hilfsbetrieb zur Ausführung der Mitgliederaufträge. Das Hauptziel dieses Genossenschaftstyps bestand in der kollektiven Überwindimg von wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten. ad 3: Im traditionalen Modell hatte die Genossenschaft als Organisation kein eigenständiges Interesse. Sie hat zwar im Laufe ihrer wirtschaftlichen Entwicklung einen Teil ihres Überschusses zur Stärkung des Eigenkapitals verwendet, nicht aber im autonomen Interesse der Genossen-

3. Kapitel:

Organisation der Genossenschaft

405

ABB. 1 TRADITIONALE GENOSSENSCHAFT

schaft, sondern im Interesse ihrer Mitgliederwirtschaften. Durch eine stärkere Finanzkraft waren die Mitglieder in der Lage, ihre Bedürfnisse besser zu befriedigen. ad 4: Die traditionalen Genossenschaft hatte durch ihr geringes Kapital und durch ihre eingeschränkte Funktion als Hilfsbetrieb der Mitglieder keine unbedingten Wachstumsziele für den Organbetrieb. Sie wurde in ihren betriebswirtschaftlichen Aktivitäten nur als Exekutivorgan der Mitgliederwirtschaften tätig, schematisch dargestellt in Abb.l. Die Beziehungen zwischen Mitgliederwirtschaften und Genossenschaft lassen sich überwiegend auf die Hilfsfunktion der Genossenschaft reduzieren. Die Genossenschaft selbst war auf die materiellen Vorteile der Mitglieder, auf die Befriedigung von deren Grundbedürfnissen ausgerichtet. In der weiteren Entwicklung dieses Genossenschaftstyps ging in vielen Fällen das Mitgliederbewußtsein der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zurück. Mit der räumlichen Ausbreitung der Genossenschaft, mit ihrer Anpassung an die Geschäftsmethoden von Konkurrenzbetrieben, mit der Zunahme des Gewichts ökonomischer Entscheidungen und der dadurch bedingten unaufhaltsamen Verselbständigung des Genossenschaftsmanagements wurde die Genossenschaft selbst von einer Versachlichung erfaßt (vgl. Henzler, 1970 S. 137 ff), und es entstand das Entwicklungsmodell Marktgenossenschaft.

406

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

B. Die Marktgenossenschaft Das traditionale Modell paßte sich im Laufe des wirtschaftlichen Wachstumsprozesses der Genossenschaften - aufgrund interner Schwächen der organisatorischen Struktur (reine Hilfsfunktion der Mitglieder, Kapitalschwäche, nicht professionelle Leitung) - den veränderten Wettbewerbsstrukturen am Markt an. Bei dem Entwicklungstyp Marktgenossenschaft beginnt sich der Genossenschaftsbetrieb zunehmend unter dem Wettbewerbsdruck der Marktwirtschaft zu verselbständigen, und der Leistungsprozeß des Genossenschaftsbetriebes ist nicht mehr ausschließlich durch die Aufträge der Mitgliederbetriebe bestimmt, (vgl. Dülfer, 1966 S. 17) Die Konkurrenzfähigkeit der Genossenschaft kann nur mehr durch günstigere Kostenstrukturen aufrechterhalten werden und diese können nur durch eine Ausweitung der Betriebsgröße und durch die Aufnahme von Nichtmitgliedergeschäften erreicht werden. Wirtschaftliches Wachstum wurde durch effizientere Kostenstrukturen (economies of scale) erzwungen und es wurde zum eigenständigen Ziel der Genossenschaft, damit sie sich als Unternehmung am Markt behaupten konnte. Die Veränderungen im Modell der Marktgenossenschaft sind, wenn wir sie der traditionalen Genossenschaft gegenüberstellen, vielfaltig und führen zu einer Weiterentwicklung der Leistungsbeziehungen zwischen Mitgliederwirtschaften und der Genossenschaft. Die Ausweitung der Betriebsgröße wird aber auch zu einem Dilemma (vgl. Draheim, 1952 S. 149 f.), wenn der Leistungsbedarf der Mitgliederwirtschaften nicht im gleichen Maße gesteigert werden kann, wie es der unter Kostenaspekten wünschenswerten Ausweitung der Betriebsgröße der Genossenschaft als Unternehmen entspricht. Die wesentlichen Unterschiede zwischen traditionaler Genossenschaft und Marktgenossenschaft können wie folgt zusammengefaßt werden: -

Die Marktgenossenschaft ist im Vergleich zur traditionalen Genossenschaft mit anderen Wettbewerbsstrukturen konfrontiert.

-

Die Erweiterung der Betriebsgröße erfolgt immer mehr zugunsten von Geschäftspartnern außerhalb des Mitgliederkreises (Nichtmitgliedergeschäfte).

-

In der Genossenschaft beginnen sich autonome Ziele der Unternehmung herauszubilden. Sie hört auf, ausschließlich eine Hilfsorganisation für die Mitgliederwirtschaften zu sein. Es kommt zu einer Trennung zwischen Zielvorgaben der Mitgliederwirtschaften und solchen des Organbetriebes der Genossenschaft.

Wie sind jetzt die vier oben angeführten Fragen zu beantworten? ad 1: Die Mitglieder haben zwar weiterhin finanzielle Eigenleistungen (Einzahlungen auf Geschäftsanteile) gegenüber der Genossenschaft zu erbringen. Das eingezahlte Kapital spielt aber in der Wirtschaftstätigkeit der Genossenschaft eine immer geringere Rolle. Die Mitgliederanteile sind nur mehr ein kleiner Teil des Genossenschaftskapitals.

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

407

Die Einflußnahme der Mitglieder auf die Entscheidungen in der Genossenschaft wird geringer, obwohl diese noch weiterhin mittel- oder unmittelbar an den wichtigsten Beschlußfassungen teilnehmen. Die Verbundenheit der Mitglieder untereinander ist nicht mehr stark ausgeprägt. Der Organbetrieb der Genossenschaft wird durch eine professionelle Geschäftsführung geleitet. ad 2: Die Dienstleistungen der Genossenschaft für ihre Mitglieder sind in der Regel durch Förder ziele des Organbetriebes festgelegt. Die Vorteile, welche die Genossenschaft ihren Mitgliedern erbringen soll, sind präzisierbar und haben das Ziel, die Mitgliederwirtschaften wirtschaftlich zu fördern. Die Mitgliederwirtschaften sind nicht mehr auf Hilfe zur Selbsthilfe durch ihre Genossenschaft angewiesen, denn die Verbesserung der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Mitglieder ist nicht mehr ausschließliche Funktion genossenschaftlicher Tätigkeit, sie ist eine Folge der allgemeinen Entwicklung der Volkswirtschaft und der allgemeinen Hebung des Lebensstandards der Bevölkerung. ad 3: In der Genossenschaft stehen zwar immer noch die Interessen der Mitglieder im Vordergrund (Förderung), die Genossenschaft hat aber als Unternehmimg bereits eigenständige Wachstumsziele (Nichtmitgliedergeschäfte). ad 4: Der Markterfolg wird zum dominierenden Erfolgskriterium für die Leitung des Organbetriebes, bedingt durch - ein professionelles Management, agierend in Konkurrenzsituationen, - die Etablierung einer Marktbeziehung zwischen Organbetrieb und den Mitgliedern und Kunden, - einen wachsenden Fremdfinanzierungsanteil. Ein wesentliches Merkmal dieses Typs besteht darin, daß weder die Genossenschaft, noch ihre Mitglieder ausschließlich aufeinander angewiesen sind. In der Genossenschaft wird immer mehr das Unternehmen gegenüber der Mitgliedergruppe dominanter. Es kommt zu einer wesentlichen Veränderung der organisatorischen Struktur der Genossenschaft (Abb.2). Worin bestehen die wichtigsten Probleme und Widersprüche der Marktgenossenschaft? Die Probleme sind vor allem in den sozialen Beziehungen innerhalb der Genossenschaft lokalisiert. In der traditionalen Genossenschaft steht das Mitglied im Mittelpunkt, solange die Genossenschaft als bloßer Hilfsbetrieb zur Ausführung der Mitgliederaufträge agiert. Grundanliegen der Marktgenossenschaft ist es aber, sich am Markt zu behaupten und wirtschaftlich zu expandieren. Damit sind aber zwei Probleme verbunden : -

Bei expansiver Wirtschaftsführung entsteht - wie in jedem anderen Unternehmen - das Entscheidungsdilemma zwischen kurzfristigem Förderungs-

408

S. Kapitel:

ABB. 2.

M = Mitglieder

Organisation

der

Genossenschaft

MARKTGENOSSENSCHAFT

NM = Nichtmitglieder

plus für die Mitglieder und langfristiger Bestandssicherung der Unternehmung. Blümle unterscheidet einen Konflikt zwischen dem Streben der Genossenschaft nach hoher Selbstfinanzierungsrate, welche dem Zugriff der Mitglieder entzogen ist, und dem Anspruch der Mitglieder auf eine möglichst hohe Gewinnausschüttung, die in ihrem Dispositionsbereich gehalten wird (vgl. Blümle, 1980 Sp. 871). Dieses Gewinnverwendungsproblem ist in einer Genossenschaft komplexer als in den anderen Wirtschaftsformen, weil jedes Mitglied ein eigenständiges Wirtschaftssubjekt bleibt (Haushalt oder Individualbetrieb) und bestrebt ist, für sich persönlich eine Maximum an Vorteilen zu erreichen. Die Divergenz der Ziele zwischen Genossenschaft und Mitgliedern läßt sich unter anderem auch auf deren unterschiedliche Zeithorizonte zurückführen. Der Zeitraum, in dem der Gewinn der Genossenschaft als Unternehmen maximiert werden kann (Gewinnfeststellung per annum), ist vom Zeitraum der maximalen Erreichung der Vorteile der Mitglieder verschieden. Der Zeitraum der Genossenschaft ist länger, bei den Mitgliedern als Wirtschaftssubjekten ist er kürzer. Die Lösimg dieser Divergenz (in der integrierten Genossenschaft wird diese Frage noch schwieriger zu lösen sein) ist schwierig und es gibt dafür auch keine Patentlösung. In der Praxis kommt es meistens zwischen Geschäftsführung lind Mitgliedern zu einem Kompromiß. Dieser führt aber dazu, daß die Genossenschaften nicht immer in der Lage sind - im Vergleich zu anderen Wirtschaftssubjekten - im Konkurrenzkampf zu bestehen.

3. Kapitel: Organisation der Genossenschaft

-

409

In der traditionalen Genossenschaft werden die Entscheidungen unmittelbar von den Mitgliedern getroffen. Es gibt eine basisdemokratische Willensbildung. In der Marktgenossenschaft sieht die organisatorische Struktur grundsätzlich anders aus. Veränderte Wettbewerbsstrukturen und Größenwachstum der Genossenschaften bedingen ein professionelles marktorientiertes Management. Das Gewicht der Entscheidungen wird von der Relation Genossenschaft - Mitglied auf die Relation Genossenschaft - Markt verschoben. In einer derartigen Struktur treten autonome Interessen des Managements der Genossenschaft zum Vorschein. Es beginnt sich, eine Identifizierung der Interessen des Managements (Ansehen, Einfluß, Machtausübung, Einkommensmaximierung) mit den Interessen der Genossenschaft (Wachstum) und nicht mehr mit den Interessen der Mitglieder abzuzeichnen.

Was geschieht aber, wenn sich die Interessen der Mitglieder mit den Interessen des Managements nicht in Einklang bringen lassen? Man kann diesbezüglich zwei Thesen formulieren: -

Die Interessen können langfristig übereinstimmen, wenn eine Entwicklungsstrategie (Förderplan) für die Genossenschaft geschaffen wird. Es herrscht Konsens darüber, daß bei gewissen Entscheidungen mehr auf die Interessen der Mitglieder einzugehen ist, bei anderen mehr auf die Interessen des Genossenschaftsbetriebes und des Managements (stop and go-Politik).

C. Integrierte Genossenschaft Die Entwicklung des integrierten Modells ist die Antwort der Genossenschaften auf neue Erfordernisse, die mit den Veränderungen in den Produktionsprozessen auf den Märkten eingetreten sind. Der moderne Markt ist komplex und zeichnet sich durch einen hohen Oligopolisierungsgrad aus. Technologische Veränderungen in der modernen Landwirtschaft und zunehmende Informationsdefizite kleinerer und mittlerer Unternehmen im Gruppenwettbewerb führten zur Übertragung von Teilen der Führungsfunktion der Mitgliederbetriebe auf den Organbetrieb, (vgl. Dülfer, 1984) Im Organbetrieb der Genossenschaft entwickelte sich ein Gruppen-Management, das auch weitgehend die Planung und Lenkung der betrieblichen Leistungsprozesse der Mitgliederwirtschaften miteinschließt. Die Genossenschaften als Wirtschaftseinheiten bilden zahlreiche eigene Unternehmen (Regiebetriebe), die spezielle Funktionen übernehmen (Verarbeitung, Transport, Großhandelsunternehmen, verschiedene Dienstleistungsunternehmen usw.). Ein Prozeß zur Integrierung der genossenschaftlichen Unternehmen trat ein, und es kam zu umfangreichen Konzentrationen und Fusionen der Primärgenossenschaften.

410

S. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

In diesem Kontext erfahren die Antworten auf die vier Hauptfragen, die wir am Anfang dieses Kapitels formuliert haben, eine weitere Modifizierung. ad 1: Die Eigenleistungen der Mitglieder sinken auf ein Minimum und gehen in einer Reintegration der Mitgliederwirtschaften in einem engen, straff geführten kooperativen Verbund auf. Die Mitbestimmung und Mitwirkimg der Mitglieder werden auf ein Minimum reduziert, d.h. indirekte Teilnahme an der Verwaltung und Akzeptanz der Entscheidungen der gewählten Organe und der Geschäftsführung. ad 2: Die Mitglieder und besonders die Individualbetriebe werden von ihrer Genossenschaft durch deren monopolartiges Angebot eines breiten Sortiments von Gütern und Dienstleistungen hoher Qualität abhängig. Die Individualbetriebe werden weitgehend durch die vom Organbetrieb gefaßten Entscheidungen gesteuert. Solche Strukturen haben sich bereits in verschiedenen Typen von landwirtschaftlichen Großgenossenschaften und Verbänden etabliert. ad 3: Durch die teilweise Übernahme der Führungsfunktion der Mitgliederwirtschaften durch die Genossenschaft wird die Tendenz der Verselbständigung autonomer Interessen des Managements immer größer. Die gegründeten Regiebetriebe von Großgenossenschaften und Verbänden spielen dabei eine große Rolle. Der Einfluß des einzelnen Mitglieds und dessen Interesse sind in der Tätigkeit der Genossenschaft nicht mehr dominant. ad 4: Integrierte Genossenschaften verfolgen eine langfristige Marktstrategie, die sie zwingt, ihre Tätigkeitsbereiche auszuweiten. Die Finanzierungsmittel werden immer mehr von außen zugeführt. Die Genossenschaft agiert wie ein Unternehmen, ihre Funktion als Personengemeinschaft verliert an Bedeutimg. Eine Einbindung der Mitgliederwirtschaften in eine integrierte Genossenschaft ist um einiges komplizierter als bei der Marktgenossenschaft. Es wird hier nochmals auf die Etablierung eines Gruppen-Managements (meist in einer mehrstufigen kooperativen Organisation (vgl. Henzler, 1970S. 235)und auf die Abhängigkeit der Mitgliederwirtschaften vom Organbetrieb hingewiesen. Das Gruppen-Management ist der eigentliche Machtapparat der als Unternehmen wirkenden Genossenschaft, und es bestimmt auch die Marktstrategie der Genossenschaft. In Abb. 3 ist dieser komplizierte Charakter der Beziehungen innerhalb einer integrierten Genossenschaft dargestellt. In ihrer Funktion als Unternehmen strebt die integrierte Genossenschaft das Ziel der Gewinnmaximierung in Übereinstimmung mit ihren integrierten Mitgliedern an.

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

411

ABB. 3 INTEGRIERTE GENOSSENSCHAFT Markt

Markt M = Mitglieder

NM = Nichtmitglieder

gegenseitige Leistungen

Unterschiede oder Widersprüche treten im Zusammenhang mit der Verteilung von Gewinnen auf. Es kann zu einer unterschiedlichen Auffassung der Ziele und Aufgaben der Genossenschaft seitens der Mitglieder einerseits und des Managements andererseits kommen und in der Regel kommt es auch dazu. Wurde ein Wachstumspfad eingeschlagen, so gibt es im allgemeinen keine Abkehr von diesem Weg, d.h. die Genossenschaft muß die Wachstumspolitik oder -Strategie fortsetzen, um im Konkurrenzkampf mit den anderen Marktteilnehmern mithalten zu können. Durch die Eingliederung der Genossenschaften in eine wachstumsintensive Volkswirtschaft sind auch die geltenden Marktgesetze zu übernehmen.

412

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

Aus unserer Analyse lassen sich folgende Schlußfolgerungen ziehen: -

In ihrer historischen Entwicklung veränderten sich die meisten Genossenschaften wesentlich. Die besprochenen Entwicklungstypen spiegeln die Anpassungs- und Innovationsprozesse der Genossenschaft an sich ändernde Markt- und gesamtwirtschaftliche Bedingungen wider.

-

Der Übergang von der traditionalen Genossenschaft zur Marktgenossenschaft und zur integrierten Genossenschaft bedeutet gleichzeitig einen Übergang von einer Bestands- zu einer Wachstumsstrategie der Genossenschaften.

-

Durch die Weiterentwicklung der Genossenschaften wird die Bindung zwischen den Mitgliedern und der Organisation immer mehr gelockert oder intensiviert, wie uns das Beispiel der integrierten Genossenschaft gezeigt hat. Allgemein wird aber das Interesse der Mitglieder zurückgedrängt, vorherrschend werden die autonomen Interessen der Genossenschaft und des Managements.

Literatur: Blümle, E.-B.: Geschäftsergebnis und Rechnungslegung der Genossenschaft, in: Mändle, E.AVinter, W. (Hrsg.) Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980 Boettcher, E.: Die Genossenschaft in der Marktwirtschaft, Einzelwirtschaftliche Theorie der Genossenschaften, Tübingen 1980 Draheim, G.: Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, Göttingen 1952 Dülfer, E.: Strukturprobleme der Genossenschaften der Gegenwart, in: Forschungsinstitut für Genossenschaftswesen an der Universität Wien (Hrsg.) Neuere Tendenzen im Genossenschaftswesen, Wiener Studien, N.F. Bd. 1, Göttingen 1966 Dülfer, Eberhard: Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984 Engelhardt, W.W.: Allgemeine Ideengeschichte des Genossenschaftswesens, Darmstadt 1985 Henzler, R.: Der genossenschaftliche Grundauftrag: Förderung der Mitglieder, Frankfurt 1970 Henzler, R.: Der Genossenschaftsverbund und die Verbundführung, in: Henzler, R.: Der genossenschaftliche Grundauftrag: Förderung der Mitglieder, Frankfurt 1970 Kleer, J.: Przyszlosci, spöldzielczosci spozywcöw, (Zukunft der Verbrauchergenossenschaften), Spolem, Centralny Zwiazek Spöldzielni Spozywcöw, Spöldzielczy Instytut Badawczy, Warszawa 1985 Leffson U.: Genossenschaftliche Verbundbildung als Mittel zur Effizienzsteigerung der Mitgliederbetriebe, in Weiser G. (Hrsg): Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, Festschrift zum 65. Geburtstag von Georg Draheim, Göttingen 1986 Witte E.: Die Genossenschaft als Organisation, in Genossenschaften - Demokratie und Wettbewerb - Verhandlungsberichte und Diskussionsergebnisse der VII. Internationalen Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung in Münster, Tübingen 1972

3. Kapitel:

3.1.2.

Organisation

der

Genossenschaft

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Die Organstruktur der Genossenschaft Volker Beuthien

Die eingetragene Genossenschaft (eG) weist eine körperschaftliche Struktur auf. Sie ist juristische Person (§ 17 Abs. 1 GenG) und handelt durch ihre Organe, Vorstand, Aufsichtsrat und Mitgliederversammlung. Die dreiteilige Organstruktur der eG gleicht derjenigen der Aktiengesellschaft. Im Gegensatz zu dem im Aktienrecht herrschenden Prinzip der Fremdorganschaft gilt bei der eG aber der Grundsatz der Selbstorganschaft. Danach müssen die Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats, damit sie besonders eng an den genossenschaftlichen Förderzweck (§ 1 Abs. 1 GenG) gebunden sind, Genossen sein (§ 9 Abs. 2 S. 1 GenG). Außer den genannten drei Pflichtorganen können weitere, freiwillige Genossenschaftsorgane, z.B. Beiräte, gebildet werden. A. Zwingend vorgeschriebene Genossenschaftsorgane Die eG muß zwingend drei Organe haben, und zwar einen Vorstand, dem die Geschäftsführung und Vertretung der eG obliegt (§§ 24-35 GenG), einen Aufsichtsrat als Kontrollorgan (§§ 36-41 GenG) und eine Generalversammlung (§ 43 GenG) als oberstes Willensbildungsorgan, an deren Stelle bei hoher Mitgliederzahl eine Vertreterversammlung tritt (§ 43a Abs.l GenG) 1. Vorstand Die eG wird durch den grundsätzlich zweiköpfigen Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 24 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 GenG). Die Genossenschaft wird durch die vom Vorstand ausdrücklich oder schlüssig im Namen der eG abgeschlossenen Rechtsgeschäfte berechtigt und verpflichtet (§ 26 Abs. 1 GenG). Soweit das Statut nichts Abweichendes bestimmt, sind die Vorstandsmitglieder nur gesamtvertretungsberechtigt (§ 25 Abs. 1 S. 1 und 2 GenG). Das Statut kann Einzelvertretungsmacht oder gemischte Gesamtvertretung mit einem Prokuristen vorsehen (§ 25 Abs. 2 GenG). Gesamtvertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder dürfen einzelne von ihnen zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen (§ 25 Abs. 3 GenG). Der Umfang der Vertretungsmacht des Vorstands ist Dritten gegenüber unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 27 Abs. 2 GenG). Der Vorstand darf aber im Innenverhältnis zur eG von seiner Vertretungsmacht nur in den Grenzen seiner zwar grundsätzlich umfassen den, jedoch statutarisch beschränkbaren Geschäftsführungsbefugnis Gebrauch machen (§ 27 Abs. 1 S. 2 GenG). Überschreitet der Vorstand im Rechtsverkehr mit Dritten seine Geschäftsführungsbefugnis , so mißbraucht er seine Vertretungsmacht. Das kann ihn wegen schuldhafter Verletzung des schuldrechtlichen Anstellungsvertrages (§611

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BGB) sowie wegen schuldhafter Verletzung seiner gesellschaftsrechtlichen Pflicht, bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaft anzuwenden (§ 34 Abs. 1 GenG), zum Schadensersatz gegenüber der eG verpflichten und die Generalversammlung veranlassen, seine Bestellung zu widerrufen (§ 24 Abs. 3 S. 2 GenG). Die wichtigsten statutarischen Geschäftsführungsgrenzen ergeben sich aus dem im Statut festgelegten Gegenstand des Unternehmens (§ 6 Nr. 2 GenG), der den der eG gesetzlich vorgeschriebenen Förderzweck (§ 1 Abs. 1 GenG) näher umschreibt. Nach § 27 Abs. 1S. 1 GenG hat der Vorstand die Genossenschaft zwingend unter eigener Verantwortung zu leiten. Leitung der Genossenschaft i.S. des § 27 Abs. 1S. 1 GenG bedeutet: Leitung der Gesellschaft und Leitung des von der eG betriebenen Unternehmens. Der Vorstand muß also sowohl für den Ablauf der innergesellschaftlichen Vorgänge (insbesondere Einberufung der Generalversammlung gem. § 44 Abs. 1 GenG) als auch für die ordnungsgemässe Organisation und den förderfähigen Betrieb des genossenschaftlichen Unternehmens sorgen. Eigenverantwortlich heißt frei von Weisungen anderer Genossenschaftsorgane. Insbesondere sind Weisungen der Generalversammlung oder des Aufsichtsrats in einzelnen Geschäftsführungsangelegenheiten unzulässig. Vielmehr hat der Vorstand bei seiner Leitung nur diejenigen Beschränkungen zu beachten, die durch das Statut festgesetzt sind (§ 27 Abs. 1 S. 2 GenG). Der Vorstand ist auch bei Geschäften von grundsätzlicher Bedeutung weisungsfrei. Generalversammlung und Aufsichtsrat dürfen sich im Statut nur die Zustimmung zu bestimmten Geschäften oder zu gewissen Arten von Geschäften vorbehalten. Sie vermögen so Vorstandsinitiativen zu bremsen (§ 27 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 43 Abs. 1 und § 38 Abs. 3 GenG). Aber sie können den Vorstand nie geschäftspolitisch zu etwas zwingen, was dieser nicht selbst will! Dieser kann so das genossenschaftliche Unternehmen im Wettbewerb rasch und beweglich führen. Bei kleineren Genossenschaften mit überschaubarem Mitgliederkreis führt der zwingende § 27 Abs. 1 GenG allerdings dazu, daß die Mitglieder unnötig strikt von der Geschäftspolitik ausgeschlossen werden. Insoweit sollte der Gesetzgeber mehr Satzungsfreiheit gewähren. Andererseits folgt aus der Eigenverantwortung i.S. des § 27 Abs. 1 S. 1 GenG keine unantastbare Mindestleitungsmacht des Genossenschaftsvorstands. Dieser darf also in den Grenzen des § 27 Abs. 2 S. 2 GenG auch in bezug auf Geschäfte, die nach Gegenstand, Umfang oder Risiko für ein Unternehmen der betreffenden Art und Größe nicht aus dem routinemäßigen Geschäftsbetrieb herausfallen, an Zustimmungsvorbehalte der Generalversammlung oder des Aufsichtsrats gebunden werden. Denn im Genossenschaftsrecht kann die Zuständigkeit zur aktiven Geschäftsführung kraft Statuts (§§ 38 Abs. 3,43 Abs. 1, 27 Abs. 2 S. 2 GenG) zwischen den drei gesetzlich vorgeschriebenen Genossenschaftsorganen aufgeteilt werden. Das Gesetz nimmt insoweit Rücksicht auf die Vielfalt der genossenschaftlichen Unternehmen, die unterschiedliche Leitungsstrukturen nahelegt.

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2. Aufsichtsrat Der Aufsichtsrat hat den Vorstand bei seiner Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen (§38 Abs. 1S. 1 GenG). Als Kontrollorgan ist der Aufsichtsrat nicht der Vorgesetzte des Vorstands; er kann ihn daher kraft Amtes nicht zur Erledigung bestimmter Geschäfte anweisen (arg. § 27 Abs. 1 S. 1 GenG). Der Aufsichtsrat besteht, sofern nicht das Statut eine höhere Zahl festsetzt, aus drei von der Generalversammlung zu wählenden (§ 36 Abs. 1 S. 1 GenG) und von dieser jederzeit ohne wichtigen Grund mit Dreiviertel-Mehrheit abwählbaren (§ 36 Abs. 3 GenG) Mitgliedern. Die Aufsichtsratsmitglieder müssen Genossen sein (§ 9 Abs. 2 S. 1 GenG); dabei genügt, daß die Gewählten vor Amtsantritt beitreten. Die Aufsichtsratsmitglieder dürfen, um nicht in Interessenkollisionen zu geraten, nicht zugleich Mitglieder des Vorstandes oder dauernd Stellvertreter derselben sein und auch nicht als leitende Angestellte ("Beamte") die Geschäfte der Genossenschaft führen (§ 37 Abs. 1 S. 1 GenG). Im Interesse der Funktionsfahigkeit der Genossenschaft dürfen aber einzelne, vom Aufsichtsrat dazu bestellte Aufsichtsratsmitglieder verhinderte Vorstandsmitglieder für einen im voraus begrenzten Zeitraum vertreten. Währenddessen und bis zur Entlastung durch die Generalversammlung ruht das Aufsichtsratsmandat (§ 37 Abs. 1 S. 2 GenG). Die dem Aufsichtsrat übertragenen Aufgaben obliegen diesem als Organ. Die Zuständigkeiten des Aufsichtsrats können daher nicht von jedem einzelnen Aufsichtsratsmitglied für sich selbst in Anspruch genommen werden. Vielmehr wird der Aufsichtsrat als Kollegialorgan tätig. Um Kollegialentscheidungen zu erleichtern, darf das Statut die Beschlußfähigkeit des Aufsichtsrats regeln (§ 36 Abs. 1 S. 2 GenG). Auch darf der Aufsichtsrat mit der Wahrnehmung einzelner seiner Rechte und Aufgaben und zur Vorbereitung ihm obliegender Aufgaben einzelne seiner Mitglieder (sog. Berichterstatter) oder Ausschüsse beauftragen. Diese treten aber stets für den Aufsichtsrat insgesamt auf. Das Aufsichtsratsmandat ist höchstpersönlich und daher unübertragbar (§ 38 Abs. 4 GenG). Nicht in den Aufsichtsrat gewählte Genossen und Dritte können keine Aufsichtsratsbefugnisse wahrnehmen, sondern nur den Aufsichtsrat bei seiner Kontrolltätigkeit unterstützen, z.B. als Buchsachverständige. Der Aufsichtsrat hat sich laufend davon zu überzeugen, daß der Vorstand die Geschäfte der eG ordnungsgemäß führt und deren Vermögen ordentlich verwaltet. Zu diesem Zweck muß er sich ständig von sich aus über die Angelegenheiten der Genossenschaft unterrichten (§ 38 Abs. 1 S. 1 GenG). Der Aufsichtsrat kann vom Vorstand jederzeit Berichterstattung verlangen. Er darf insbesondere die Bücher und Schriften der Genossenschaft einsehen sowie den Bestand der Genossenschaftskasse und die Bestände an Effekten, Handelspapieren und Waren untersuchen (§ 38 Abs. 1S. 2 GenG). Um laufend über den Gang der Geschäfte unterrichtet zu sein, nimmt der Vorsitzende des

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Aufsichtsrats vielfach mit beratender Stimme an den Vorstandssitzungen teil. Der Aufsichtsrat hat vor allem den Jahresabschluß und die Vorschläge zur Verteilung des Gewinns oder Verlustes auf die Genossen auf ihre tatsächliche und rechtliche Richtigkeit zu prüfen und der Generalversammlung vor Genehmigimg des Jahresabschlusses darüber Bericht zu erstatten (§ 38 Abs. 1S. 3 GenG). Schließlich muß der Aufsichtsrat eine Generalversammlung berufen, wenn immer dies im Interesse der Genossenschaft geboten ist (§ 38 Abs. 2 GenG). In der Generalversammlung hat sich der Aufsichtsrat über wesentliche Feststellungen oder Beanstandungen der Pflichtpriifung durch den Prüfungsverband zu erklären (§ 59 Abs. 2 GenG). Die kraft Statuts meist vom Aufsichtsratsvorsitzenden geleitete Generversammlung gibt dem Aufsichtsrat auch Gelegenheit, sich ausdrücklich dazu zu äußern, inwieweit die Geschäftspolitik des Vorstandes förderzweckdienlich war. Das ist insbesondere angezeigt, wenn die Genossenschaft in erheblichem Umfang das Nichtmitgliedergeschäft (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 GenG) betreibt. Denn dann gilt es, den Genossen zu verdeutlichen, welche geschäftspolitischen Sondervorteile die Genossenschaft gerade ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitgliederkunden eröffnet hat. Weitere Obliegenheiten des Aufsichtsrats werden durch das Statut bestimmt (§ 38 Abs. 3 GenG). Dieses darf dem Aufsichtsrat auch Geschäftsführungsbefugnisse übertragen, die freilich die Eigenverantwortung des Vorstands (§ 27 Abs. 1 S. 1 GenG) unberührt lassen müssen. Möglich sind daher als vorgezogene Kontrolle nur inhaltlich bestimmte Zustimmungsvorbehalte in den Grenzen des § 27 Abs. 2 S. 2 GenG. Ein Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand darf dem Aufsichtsrat auch nicht statutarisch eingeräumt werden. 3. Mitgliederversammlung (General- oder Vertreterversammlung) Die Generalversammlung der Mitglieder ist das oberste Genossenschaftsorgan. Zwar h a t sie keinen unmittelbaren Einfluß auf die Geschäftsführung, weil der Vorstand die Genossenschaft unter eigener Verantwortung, also auch frei von geschäftspolitischen Weisungen der Generalversammlung, zu leiten hat(§27Abs. I S . 1 GenG). Aber die Generalversammlung kann sich im Statut (wie § 43 Abs. 1 GenG zeigt) Vetorechte in bezug auf bestimmte Arten von Geschäften vorbehalten. Kraft Gesetzes (§ 49 GenG) hat sie im Interesse des Schutzes des Genossenschaftsvermögens bei der Gewährung von Krediten der eG an denselben Schuldner Höchstgrenzen festzusetzen. Vor allem verfügt die Generalversammlung über die Personal- und die Finanzhoheit. Damit weist das Gesetz ihr nach wie vor eine starke Stellung zu. Die Personalhoheit der Generalversammlung äußert sich darin, daß sie nicht nur den Aufsichtsrat (§ 36 Abs. 1S. 1 GenG), sondern auch den Vorstand (§ 24 Abs. 2 S. 1 GenG) wählt, daß sie beide zu entlasten hat (§ 48 Abs. 1S. 2 GenG) und beide jederzeit, auch ohne wichtigen Grund, abwählen darf(§§ 24 Abs. 3 S. 2,36 Abs. 3 GenG). Zur Abwahl des Aufsichtsrats bedarf es allerdings einer Mehrheit von mindestens Dreivierteln der abgegebenen Stimmen. Die Ge-

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neralversammlung kann daher im Regelfall auch ohne Weisungsrecht und ohne statutarische Beschränkung der Vorstandsbefugnisse damit rechnen, daß der Vorstand seine Leitungsmacht in wesentlichen Fragen der Geschäftsführung nicht ohne Rücksicht auf sie ausübt. In der Praxis wird die Vorstandswahl und -abwahl freilich in aller Regel durch Statut (§ 24 Abs. 2 S. 2 GenG) dem Aufsichtsrat übertragen. Dadurch begeben sich die meisten Generalversammlungen des unmittelbaren personalpolitischen Einflusses auf die Vorstandsbesetzung. Die Finanzhoheit der Generalversammlung fußt darauf, daß sie über den Jahresabschluß und den auf die Genossen fallenden Betrag des Gewinns oder Verlustes (§ 48 Abs. 1 GenG) beschließt. Anders als die Hauptversammlung der AG (§ 174 I AktG) beschließt die Generalversammlung der eG also nicht nur über die Verwendung des vom Vorstand und Aufsichtsrat festgestellten Gewinns, sondern sie ermittelt diesen selbst. Die Generalversammlung ist damit Herr der Rücklagenpolitik. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß sich innerhalb der eG ein stiftungsähnliches Sondervermögen "bildet, über das der Vorstand weisungsfrei verfügen kann. Im Vorstand und Aufsichtsrat dürfen, abgesehen von den Arbeitnehmervertretern, die bei Genossenschaften mit mehr als 500 Arbeitnehmern vorgeschrieben sind (§ 77Abs. 3 BetrVG 1952), nur Genossen sitzen (§ 9 Abs. 2 S. 1 GenG). Auf diesem Wege sollen die Förderinteressen der Mitglieder ständig unmittelbar in der Genossenschaftsverwaltung zur Sprache kommen. Zugleich sollen die Mitglieder so laufend vor Ort Einblick in die Förderpolitik des Vorstands und frühzeitig Gelegenheit zur Kritik einzelner Geschäftsführungsmaßnahmen erhalten. Diese Aufgabe obliegt vor allem den ehrennebenamtlichen Vorstandsmitgliedern, da diese die Förderbedürfnisse der Mitglieder grundsätzlich aus täglicher eigener Erfahrung kennen. In großen Genossenschaften sind freilich hauptamtliche Vorstandsmitglieder notwendig, die außerhalb ihrer Vorstandstätigkeit kein zu forderndes Unternehmen mehr betreiben können. Bei Bezugs-, Absatz- und Dienstleistungsgenossenschaften behilft sich die Praxis insoweit damit, daß sie die hauptberuflichen Vorstandsmitglieder kraft Satzung zu sog. fördernden Mitgliedern macht. Außerdem wird der Grundsatz der Selbstorganschaft dadurch aufgelockert, daß die Genossenschaft Prokuristen (§ 42 Abs. 1 GenG) und Handlungsbevollmächtigte (§ 42 Abs. 2 GenG) bestellen darf. Jeder Genosse hat unabhängig von der Anzahl seiner Anteile grundsätzlich nur eine Stimme (§ 43 Abs. 3 S. 1 GenG). Der Grundsatz "Ein Mitglied - eine Stimme" erklärt sich aus dem ursprünglichen genossenschaftlichen Grundgedanken der gleichberechtigten Selbsthilfe wirtschaftlich Schwacher: Der Mensch soll zählen, nicht sein Kapital! Allerdings kann das Prinzip der Stimmrechtsgleichheit aller Genossen durch das Statut eingeschränkt werden. Bei Primärgenossenschaften darf einem Mitglied, das den Geschäftsbetrieb der Genossenschaft besonders fördert, ein Mehrstimmrecht von höchstens drei Stimmen eingeräumt werden (§ 43 Abs. 3 S. 3-5 GenG). Das Mehrstimmrecht gilt jedoch nicht bei Beschlüssen, zu denen kraft Gesetzes zwin-

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gend eine Dreiviertel-Mehrheit erforderlich ist (§ 43 Abs. 3 S. 6 GenG). Damit mitglieder- und kapitalstarke Primärgenossenschaften innerhalb eines Genossenschaftsverbundes angemessen repräsentiert werden, darf das Statut bei Sekundärgenossenschaften unbeschränkte Mehrstimmrechte, insbesondere nach der Höhe der Geschäftsguthaben, der Zahl der Geschäftsanteile oder einem anderen Maßstab, zulassen (§ 43 Abs. 3 S. 7 GenG). Das Prinzip der unmittelbaren Demokratie wird allerdings dadurch erheblich abgeschwächt, daß die Generalversammlung bei Großgenossenschaften mit mehr als 3.000 Mitgliedern zwingend aus Vertretern der Genossen (Vertreterversammlung) besteht. Für den Fall, daß die Mitgliederzahl mehr als 1.500 beträgt, darf das Statut eine Vertreterversammlung vorsehen. Diese besteht jeweils aus mindestens 50 Vertretern, die von den Genossen (ohne Mehrstimmrecht) in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden (§ 43a Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 S. 1 GenG). In der Vertreterversammlung sitzt also nur ein Bruchteil der Genossen. Das hat zur Folge, daß dem nicht in die Vertreterversammlung gewählten Genossen von seinem Stimmrecht praktisch nur das aktive und passive Wahlrecht zur Vertreterversammlung bleibt. Das Wahlverfahren richtet sich nach einer Wahlordnung, die Vorstand und Aufsichtsrat mit Zustimmung der Generalversammlung übereinstimmend beschließen (§ 43a Abs. 4 S. 6-8 GenG). Über den demokratischen Wert des Vertreterprinzips i.S. des § 43a GenG entscheidet daher, wie offen die jeweilige Wahlordnimg den Zugang zur Vertreterkandidatur gestaltet. Bedenklich wäre insbesondere, ein ausschließliches Vorschlagsrecht des Vorstands ohne hinreichenden Schutz von Genossenminderheiten vorzusehen. Die genossenschaftliche Selbstorganschaft bei gleichzeitiger Stimmrechtsgleichheit aller Genossen hat freilich ihre Kehrseite. Aus ihr folgen nämlich zwei Strukturschwächen der eG: Es ist oft schwierig, ein überdurchschnittlich tüchtiges Management zu gewinnen, weil dieses (a) aus dem Kreis der nicht immer genügend ausgebildeten und geschäftserfahrenen Genossen gewählt werden muß und (b) aufgrund seiner stärkeren Abhängigkeit von der Generalversammlung und seiner leichten Abberufbarkeit weniger unabhängig ist als bei der Aktiengesellschaft. Das ist ein Wettbewerbsnachteil für die Genossenschaft, weil der Erfolg eines Unternehmens entscheidend von den Fähigkeiten und der Tüchtigkeit seines Managements abhängt. Allerdings behilft sich die Praxis (wie gezeigt) damit, daß sie im Statut sog. fordernde Mitglieder vorsieht und die Vorstandsmitglieder zu solchen macht. Das ist angesichts des Schutzzwecks des § 9 Abs. 2 S. 1 GenG, wonach jedes Vorstandsmitglied die Förderbedürfnisse der Genossen grundsätzlich aus eigener Erfahrung kennen und in den Grenzen des § 6 Nr. 3 GenG zugleich durch seine eigene Haftung als Genosse am Schicksal der eG interessiert sein soll, nicht unbedenklich. Fördernde Vorstandsmitglieder dürften aber jedenfalls dort zulässig sein, wo anderenfalls die wirksame Mitgliederforderung und damit der genossenschaftliche Förderzweck gefährdet wäre. Insoweit hat § 1 Abs. 1 GenG Vorrang vor § 9 Abs. 2 S. 1 GenG.

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Das "Ein Mitglied - eine Stimme-Prinzip" erschwert die Eigenkapitalbildung der Genossenschaft, weil für die Genossen kein Anreiz besteht, mehrere Geschäftsanteile (§ 7 Nr. 1 GenG) zu erwerben, was das Statut gestatten kann (§ 7a Abs. 1 GenG). Zudem darf das Geschäftsguthaben, das sich aus den Einlagen des Genossen sowie den Gewinnzuweisungen unter Abzug von Verlustabschreibungen zusammensetzt, den Geschäftsanteil nicht übersteigen. Der ausscheidende Genosse hat grundsätzlich auch nicht an der gesetzlichen Rücklage (§ 7 Nr. 2 GenG) und dem sonstigen Genossenschaftsvermögen teil (§ 73 Abs. 2 S. 2 GenG). Er genießt also keine Substanzbeteiligung am inneren Unternehmenswert. Das Reservekapital bleibt so bis zur Liquidation der Genossenschaft (§91 GenG) als Förderquelle für die verbleibenden Genossen erhalten. Immerhin kann das Statut eine begrenzte Substanzbeteiligung ausscheidender Genossen ermöglichen (§ 73 Abs. 3 GenG). Dazu muß über die zwingend vorgeschriebene gesetzliche Rücklage (§ 7 Nr. 2 GenG) ein anderer, sog. Beteiligungsfonds gebildet werden. Ihren Anteil daran dürfen aber nur diejenigen ausscheidenden Genossen verlangen, die ihren Geschäftsanteil voll eingezahlt haben (§ 73 Abs. 3 S. 1 GenG). Die Einführung eines solchen Sonderfonds beinhaltet freilich die Gefahr, daß Genossen kündigen, um ihren Anspruch gegen den Sonderfonds zu verwirklichen und auf diese Weise das haftende Eigenkapital zum Nachteil der verbleibenden Genossen zu schmälern. B. Zusätzliche Genossenschaftsorgane Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Organen können weitere Genossenschaftsorgane gebildet werden, wie etwa Beiräte oder Ausschüsse. Die Zulässigkeit solcher freiwilliger Genossenschaftsorgane folgt aus § 27 Abs. 2 S. 2 GenG, wo ausdrücklich von einem "anderen Organ" außer Vorstand und Aufsichtsrat die Rede ist. Den zusätzlichen Genossenschaftsorganen dürfen allerdings keine Befugnisse übertragen werden, die nach dem Gesetz bereits den Pflichtorganen unentziehbar zustehen. 1. Beiräte Der Beirat ist ein Gesellschaftsorgan eigener Art mit vielfältigen und im Einzelfall unterschiedlichen Aufgaben. Im Genossenschaftsrecht haben sich bestimmte typische Beiratsfunktionen herausgebildet. Insoweit kann man unterscheiden zwischen dem Beirat als Beratungsorgan, dem Beirat als Mitgeschäftsfiihrungs- und Aufsichtsorgan, der Mitwirkung von Beiräten bei Grundlagen- und Strukturentscheidungen sowie dem Beirat mit Sonderaufgaben. In der Praxis werden Beiräte am häufigsten bei größeren Genossenschaftsbanken und Großhandelsgenossenschaften eingerichtet. Dort haben sie vorwiegend die Funktion, den Vorstand in wichtigen Angelegenheiten zu beraten.

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Der beratende Beirat besitzt nur abgeleitete Kompetenzen. Seine satzungsmäßige Aufgabe besteht allein darin, den Vorstand oder Aufsichtsrat zu beraten. Er ist in erster Linie ein Diskussionsforum zur Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen des Vorstandes und zur Erörterung der Gesamtziele des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebes und sonstiger wichtiger Grundsatzfragen. Mitglied eines beratenden Beirats dürfen auch Nichtgenossen sein. Der in § 9 Abs. 2 S. 1 GenG niedergelegte Grundsatz der Selbstorganschaft könnte zwar entsprechend für freiwillige Genossenschaftsorgane gelten. Unverbindlicher Rat Dritter ist jedoch stets nützlich, so daß jedenfalls ein Beirat, der nur beratende Funktion hat, den von § 9 Abs. 2 S. 1 GenG erstrebten Förderzweckschutz nicht beeinträchtigt. Mitgeschäftsführende Beiräte begegnen in drei Formen: So kann das Statut den Vorstand für einzelne Geschäfte an die Zustimmung anderer Organe der Genossenschaft und damit auch an die eines Beirates binden (§27 Abs. 2 S. 2 GenG). Dagegen schließt das Prinzip der Eigenverantwortung des Vorstands (§ 27 Abs. 1 S. 1 GenG) bindende Einzelweisungen eines Beirats gegenüber dem Vorstand aus. Es verstößt auch gegen das Recht und die Pflicht des Vorstands zur eigenverantwortlichen Leitungsmacht, einzelne Geschäftsführungszuständigkeiten durch Statut vollständig einem Beirat zu übertragen. Eine solche Übertragung sieht das Gesetz nur zugunsten des Aufsichtsrats vor (§ 38 Abs. 3 GenG). Überwachende Beiräte sind bei den Genossenschaften wenig verbreitet. Das hängt damit zusammen, daß mit dem gesetzlich vorgesehenen Aufsichtsrat (§ 9 Abs. 1 GenG) bereits ein Kontrollorgan vorhanden ist, das in der Regel auch dem Kontrollbedürfnis von Genossenschaften mit großer Mitgliederzahl gerecht wird. Lediglich überwachende Beiräte könnten ohnehin nur neben den Aufsichtsrat treten, da diesem seine gesetzlichen Kontrollrechte (§ 38 GenG) weder durch die Generalversammlung entzogen noch von ihm selbst auf einen Beirat übertragen werden dürfen. Rechtlich zulässig ist es lediglich, im Statut einen Beirat vorzusehen, der den Aufsichtsrat bei dessen Kontrolltätigkeit berät und unterstützt. Umstritten ist, ob das Statut neben dem gesetzlich vorgeschriebenen Aufsichtsrat einen Beirat als zweites Kontrollorgan vorsehen kann. Da die Bildung und Zusammensetzung des Aufsichtsrats gesetzlich zwingend geregelt ist (§§ 9 Abs. 1,36 GenG), sind die Genossen nicht befugt, ein gleichwertiges Kontrollorgan in anderer Zusammensetzung zu bestellen. Das würde die Stellung des Aufsichtsrats untergraben. Dagegen darfein Beirat als zusätzliches Kontrollorgan gebildet werden, dessen Kontrollbefugnisse die des Aufsichtsrats ergänzen. Seine Aufgaben müssen sich aber hinreichend deutlich von deijenigen des Aufsichtsrats (§ 38 GenG) unterscheiden. Über den gesetzlich festgelegten Aufgabenbereich hinaus besitzt der Aufsichtsrat nämlich kein Überwachungsmonopol. Bei Grundlagenentscheidungen entfällt die Mitwirkung eines Beirats fast gänzlich, da diese Entscheidungen überwiegend kraft Gesetzes der General-

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Versammlung zugewiesen sind (s. insbesondere §§ 16,48 Abs. 1, 93b GenG). Lediglich die Wahl der Vorstandsmitglieder kann einem Beirat übertragen werden (§ 24 Abs. 2 S. 2 GenG). 2. Ausschüsse Der Begriff des Ausschusses wird oft gleichbedeutend mit dem des Beirats verwendet. Insoweit gelten die obigen Ausführungen. Von den Beiräten zu unterscheiden sind die Ausschüsse des Aufsichtsrats. Die Bildung solcher Aufsichtsratsausschüsse wird allgemein entsprechend § 107 Abs. 3 S. 1 AktG als zulässig angesehen. Nach dieser Vorschrift kann der Aufsichtsrat aus seiner Mitte einen oder mehrere Ausschüsse bestellen, die seine Verhandlungen und Beschlüsse vorbereiten oder die Ausführung der Beschlüsse überwachen. Einen Ausschuß einzusetzen, steht im Ermessen des Aufsichtsrats; die Satzung kann ihm Ausschüsse weder vorschreiben noch verbieten. Demnach bestimmt allein der Aufsichtsrat darüber, ob er Ausschüsse bilden und mit welchen Aufgaben er sie in den Grenzen des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG betrauen will. Einem Aufsichtsratsausschuß dürfen nur Aufsichtsratsmitglieder angehören. Denn ein Ausschuß ist aus der Mitte des Aufsichtsrats zu bestellen (§ 107 Abs. 3 S. 1 AktG analog) und der Aufsichtsrat darf die Ausübving seiner Aufgaben nicht anderen Personen übertragen (§ 38 Abs. 4 GenG). Mangels entgegenstehender gesetzlicher Vorschrift ist es auch der Generalversammlung unbenommen, zur Vorbereitung anstehender Beschlüsse aus ihrer Mitte Ausschüsse einzusetzen. Ähnlich wie die Aufsichtsratsausschüsse können kleine, besonders sachkundige und leicht einberufbare Generalversammlungsausschüsse gute und zügige Arbeit leisten und so den Ablauf der Generalversammlung beschleunigen. Literatur Lang/Weidmüller: Kommentar zum Genossenschaftsgesetz, 32. Aufl., 1988, Berlin, New York. Meyer/Meulenbergh/Beuthien: Kommentar zum Genossenschaftsgesetz, 12. Aufl., 1983, München. Müller, Klaus: Kommentar zum Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, 1.-3. Band, 1976, Bielefeld. Paulick, Heinz: Das Recht der eingetragenen Genossenschaft, Ein Lehr- und Handbuch, 1956, Karlsruhe. Schubert-Steder: Genossenschafts-Handbuch, Kommentar zum Genossenschaftsgesetz, Band I und II, 1973, (Loseblatt), Berlin. Schultz, Reinhard / Zerche, Jürgen: Genossenschaftslehre, 2. Aufl., 1983, Berlin, New York. Voormann, Volker: Die Stellung des Beirats im Genossenschaftsrecht, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 1984 (Bd. 34), S. 237 ff.

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3.1.3.

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Verbandsorganisation Wolfgang Pelzl

Im Rahmen der Betrachtung der Organisation des Genossenschaftsbereiches wird nach der Wirtschaftsorganisation nun die genossenschaftliche Verbandsorganisation vorgestellt. Dazu werden die institutionellen Merkmale der Genossenschaftsverbände erläutert und anschließend ihre wesentlichen Funktionen diskutiert. A. Genossenschaftsverbände als Institutionen 1. Trägerschaft der Verbände Die Genossenschaftsverbände lassen sich als Kooperationen typisieren, die zur Verwirklichung gemeinsamer Interessen der Mitglieder gegründet werden. Die Genossenschaften als Kooperationpartner entscheiden gemeinsam über Art und Umfang der Leistungserstellung ihres Verbandes, die nicht auf den entsprechenden Märkten verwertet, sondern nur den Mitgliedern offeriert wird. Die Verbände rechnen zu den Nonprofit-Organisationen, da ihr Ziel nicht auf die Gewinnerzielung wie bei erwerbswirtschaftlichen Unternehmen ausgerichtet ist. (1) Die Genossenschaftsverbände sind als demokratische Systeme zu werten, da die Genossenschaften in einem demokratischen Willensbildungsprozeß die wesentlichen Entscheidungen der Verbandstätigkeit festlegen. (2) Ihrer Stellung kommt eine besondere Bedeutimg zu, da sie sowohl Träger als auch Nutzer der Verbandsleistungen sind. Als Träger der genossenschaftlichen Verbände übernehmen sie die Rolle der Inputlieferanten, als Nutzer die der Outputbezieher. Sie haben sowohl die finanziellen Mittel und die für die Gestaltung der Verbandspolitik relevanten Informationen aufzubringen als auch die Verbandsleistungen abzunehmen. Bei den genossenschaftlichen Verbänden ist somit das Identitätsprinzip verwirklicht. (3) Für die deutschen Genossenschaften wurde durch eine Änderimg des Genossenschaftsgesetzes bereits zum 30.10.1934 die Pflichtmitgliedschaft in einem Prüfungsverband (4) vorgeschrieben, da sich seit der Einführung der Pflichtprüfung für die Genossenschaften im Jahre 1889 gezeigt hatte, daß verbandsangehörige im Vergleich zu verbandsfreien Genossenschaften eine bemerkenswerte Stabilität auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten aufwiesen. (5) Nach § 54 GenG müssen alle Unternehmen, die die Rechtsform der Genossenschaft wählen, Mitglieder in einem Prüfungsverband sein. Die Primärgenossenschaften sind also die rechtlichen und wirtschaftlichen Träger der Prüfungsverbände. (6) Der Anschlußzwang ist ein konstitutives Element des deutschen Genossenschaftswesens. Er hat Auswirkungen aufjede einzel-

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ne Genossenschaft, da die Eintragung in das Genossenschaftsregister nur erfolgt, wenn zusammen mit der Anmeldung eine Bescheinigung über ihre Mitgliedschaft in einem Prüfungsverband vorgelegt wird. Durch den Anschlußzwang der Primärgenossenschaften wird den Prüfungsverbänden eine übergeordnete Stellung eingeräumt, die durch die demokratische Verbandsstruktur zum Vorteil des gesamten Genossenschaftswesens eingesetzt werden kann. Die Verbände sind in erster Linie verpflichtet, die Genossenschaften umfassend zu unterstützen, deren Förderungsauftrag gegenüber den Mitgliedern zu sichern und die Allgemeinheit vor Schaden zu bewahren. (7) 2. Organisation der Verbände a) Interne Verbandsorganisation Die Grundlage für die interne Verbandsorganisation bilden die Rechtform sowie die Bestimmungen der Satzung. Die genossenschaftlichen Verbände sollen privatrechtlich als eingetragene Vereine organisiert werden (§ 63 b Abs. 1 GenG). Im Gegensatz zu den ihnen angeschlossenen Genossenschaften verfolgen sie keinen wirtschaftlichen Hauptzweck, sondern sind als reine "Förderinstitute der Primärgenossenschaften" (8) konzipiert. Die Organisation der Verbände wird von ihrem Umsystem, insbesondere von der jeweiligen Branche geprägt. Die genossenschaftlichen Verbände repräsentieren Teile der Kredit-, der Land- und Wohnungswirtschaft und vertreten die Interessen des genossenschaftlich strukturierten Handels, des Gewerbes, der freien Berufe sowie der Verbraucher. Darüber hinaus müssen sie sich den politischen, technischen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen anpassen. Die Verbandsorganisation läßt sich bei einer ökonomischen Betrachtung in verschiedene Subsysteme gliedern, und zwar in das Mitgliedschafts-, das Leitungs- und das Realisationssystem. (9) Ersteres integriert die nach regionalen oder fachlichen Kriterien gebildeten Mitgliedergruppen, die in einem kollektiven Willensbildungsprozeß die jeweiligen Verbandsziele definieren. Je heterogener die konkurrierenden Zielvorstellungen der einzelnen Primärgenossenschaften sind, desto schwieriger erweist sich die verbindliche Formulierung eines Zielkataloges des Genossenschaftsverbandes; die Kosten des Konsensfindung wachsen mit divergierenden Mitgliederinteressen. Das Leitungssystem des Verbandes wird aus Organen gebildet, die mit Mitgliedern besetzt werden. Es ist verbandsinternen sowie -externen Konflikten ausgesetzt. Die internen treten vorwiegend bei der Festlegung der Verbandsziele auf, die externen überwiegend bei deren Durchsetzung. (10) Dabei wird es von dem Realisationssystem unterstützt, dem die Ausführung der Geschäftspolitik des Verbandsbetriebes obliegt.

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3. Kapitel: Organisation der Genossenschaft

Rechtlich besteht das Organisationssystem eines Genossenschaftsverbandes meist aus Mitglieder-, Vertreterversammlung, Verbandsrat und Vorstand. (11) Der Vorstand führt die Geschäfte, vertritt den Verband und erstellt Jahresabschluß und Etatvoranschlag. Er unterliegt der Kontrolle durch den Verbandsrat, in dem zum Beispiel die Bezirksverbandsvorsitzenden und die Vorsitzenden der Fachausschüsse vertreten sein können. Die Vertreterversammlung kontrolliert sowohl den Vorstand als auch den Verbandsrat, genehmigt den Jahresabschluß, setzt die Verbandsbeiträge fest und beschließt Satzungsänderungen mit 3/4-Mehrheit. Dem rechtlichen Organisationssystem und seiner demokratischen Ausgestaltung kommt bei der Regelung der verbandsinternen Machtverteilung entscheidende Bedeutting zu. Es sollte Möglichkeiten zur Machtakkumulation bereits im Ansatz verhindern und Mechanismen beinhalten, die den mit zunehmender Verbandsgröße sinkenden Einfluß des einzelnen Mitgliedes auf die Willensbildung kompensieren. Zur basisdemokratischen, gruppeninternen Willensbildung eignen sich regionale oder lokale Mitgliederausschüsse , eine repräsentative Zusammensetzung der Organe, Amtszeitbeschränkungen und Altersgrenzen sowie das Verbot der Amterakkumulation. (12) b) Gesamtorganisation der Verbände Die einzelnen Verbände haben sich auf verschiedenen Ebenen zusammengeschlossen, um die Effizienz der Interessenvertretung und die Mitgliederrepräsentation zu erhöhen. So wird z.B. in Deutschland die genossenschaftliche Gesamtorganisation durch den Freien Ausschuß der Genossenschaftsverbände repräsentiert. Er vertritt die Interessen aller Genossenschaftssparten gegenüber der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber. Mitglieder des Freien Ausschusses sind der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V., Bonn (DGRV), der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft e.V., Köln (GdW) und der Revisionsverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V., Hamburg (RdK). Der DGRV ist der Dachverband der genossenschaftlichen Banken sowie der ländlichen und gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften. Er wurde 1972 im Zuge der Neuordnung des deutschen Genossenschaftswesens durch Fusion verschiedener Verbände gegründet. Derzeit vertritt er die Interessen von rund 8.170 gewerblichen und ländlichen Genossenschaften mit fast 13 Mio. Mitgliedern (einschließlich Doppelmitgliedschaften). (13) Als Prüfungsverband auf Bmidesebene prüft er die angeschlossenen Bundeszentralen, die regionalen Zentralgeschäftsanstalten und Verbände. Er ist federführend in Fragen des Genossenschaftsrechts, insbesondere der genossenschaftlichen Prüfung, des Bildungswesens und der Betriebsorganisation. Ferner unterhält er Beziehungen zu den genossenschaftlichen Institutionen des In- und Auslandes (14) und ist im Bereich der genossenschaftlichen Entwicklungshilfe tätig. Mitglieder des DGRVs sind die drei fachlich ausgerich-

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

425

teten Bundesverbände, nämlich der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), der Deutsche Raiffeisenverband e.V. und Zentralverband der genossenschaftlichen Großhandels- und Dienstleistungsunternehmen e.V. (ZENTGENO), die Regionalverbände, die Fachprüfungsverbände, die genossenschaftlichen Bundeszentralen und Spezialinstitute sowie die regionalen Zentralen. Die Wohnungsbaugenossenschaften schlössen sich dem 1934 gegründeten Reichsverband des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens an. 1948 wurde dann der Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V. in Köln gegründet, der aufgrund des Wegfalls der Gemeinnützigkeit durch das Steuerreformgesetz seit 1.1.1990 als Gesamtverband der Wohnungswirtschaft (GdW) firmiert. Sein Tätigkeitsspektrum umfaßt die Interessensvertretung in dem wohnungswirtschaftlichen, städtebaulichen, steuerrechtlichen , mietrechtlichen sowie ökologischen Bereich. Der Verband hat sich zum Beispiel in den letzten Jahren für den Schutz der Mieter bei Umwandlungen, Änderungen des Wohnungsbindungsgesetzes, eine Reform des Wohnungseigentumsgesetzes, die Anpassung der Pauschalen für Instandhaltung und Verwaltung, die Einführung neuer Wohn- und Lebensformen, für das Wohnen im Alter und den Umweltschutz besonders engagiert. Er ist auch Mitglied des europäischen Verbindungsausschusses zur Koordinierung der sozialen Wohnungswirtschaft (CECODHAS) und fördert im Rahmen von DESWOS-Projekten die wohnungswirtschaftliche Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern. (15) Der Gesamtverband der Wohnungswirtschaft vertritt die Interessen von 1,7 Mio. Genossenschaftsmitgliedern. Er gliedert sich in zehn Regionalverbände, denen derzeit 1170 Wohnungsbaugenossenschaften angeschlossen sind, die circa 1 Mio. eigene Wohnungen verwalten. Die Konsumgenossenschaften gründeten 1948 den Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V., der im Rahmen einer Umstrukturierimg und unter Auflösung der Regionalverbände in den Revisionsverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V. umbenannt wurde. Dieser hat sich in den letzten Jahren verstärkt um die Pflege der genossenschaftlichen Rechtsform bemüht. So wurden z.B. mit Hilfe öffentlicher Förderung Projekte zur Belebung der genossenschaftlichen Idee in kleinen Konsumgenossenschaften durchgeführt und vor allem auch Initiativen zur Gründung neuer Genossenschaften unterstützt. Aufgrund des harten Wettbewerbs im Lebensmitteleinzelhandel wurden Konzepte zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Konsumgenossenschaften initiiert und im Rahmen der Beratungsfunktion z.B. Hilfestellungen bei der Ladennetzplanung oder dem Nutritional marketing erarbeitet. Der Revisionsverband hat derzeit 71 Mitglieder, von denen zwei Drittel in der genossenschaftlichen Rechtsform firmieren. Die Mitgliedsunternehmen erzielten in 1.113 Läden circa 5 Mrd. Umsatz und betreuten 650.000 Genossenschaftsmitglieder. (16)

426

3. Kapitel: Organisation

der

Genossenschaft

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(3) In einer andersgearteten Entscheidungssituation befinden sich Wirtschaftssubjekte, deren Beitrittserwägungen ebenfalls auf eine im Wettbewerb stehende Genossenschaft gerichtet sind, die jedoch einen das Mitgliedergeschäft ergänzenden Leistungsaustausch mit Nichtmitglieder wir tschaften betreibt. Unter solchen Umständen setzt ein die gleichzeitige Erfüllung der Bedingung Anreiz-Beitrags-Saldo

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Anreiz-Beitrags-Saldo K

3. Kapitel:

Organisation

der

457

Genossenschaft

und der Förderdifferenzierungsbedingung Anreiz-Beitrags-Saldo

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Anreiz-Beitrags-Saldo G

M

NM

voraus. (14) Unterstellen wir, in der Einschätzung eines externen Geschäftspartners der Genossenschaft sei lediglich die erstgenannte, Konkurrenzüberlegenheit des Förderungsunternehmens anzeigende Bedingung, wegen Gleichbehandlung von Mitglieder- und Nichtmitglieder-Kunden im Rahmen der genossenschaftlichen Geschäftspolitikjedoch nicht die zweite Bedingung erfüllt. Nichtmitglieder neigen dann dazu, auf die Mitgliedschaft zu verzichten und weiterhin Leistungsbeziehungen zur Genossenschaft zu unterhalten, um gebotene Vorteile wahrzunehmen. Der nach Nutzenmehrung strebende Nur-Kunde nimmt keine Besserstellung der Mitglieder wahr, die ihn zum Beitritt veranlassen könnte. C. Steuerung des Mitgliederzugangs (1) Insonderheit die Managements von Genossenschaften mit hohem Marktund Fördererfolg können den Zugang beitrittswilliger und - nach Maßgabe statutarischer Anforderungen - aufnahmefähiger Wirtschaftssubjekte lenken, indem sie nicht nur auf zahlenmäßige Expansion des Mitgliederkreises, sondern gleichermaßen auf "Qualität" der Neumitglieder achten. So wäre denkbar, daß die Mitarbeiter einer Genossenschaft damit betraut werden, in der persönlichen werblichen Ansprache nur ausgewählten organisationsexternen Geschäftspartnern, -

die durch intensiven Leistungsaustausch mit dem Genossenschaftsbetrieb hervortreten und/oder in dieser Geschäftsbeziehung nachweislich positive Beiträge zum Geschäftsergebnis der Genossenschaft liefern,

den Anschluß an das Kooperativ nahezulegen. Die Mitgliedschaft wird bei dieser selektiven Neumitgliederwerbung von der betreffenden Genossenschaft nicht als Angebot an sämtliche in ihrem Einzugsgebiet ansässigen beitrittsfähigen Wirtschaftssubjekte, sondern als ein nur an "gute" NichtmitgliederKunden gerichtetes Angebot behandelt. (2) Generell muß beim Bemühen um eine Aufwertung der Mitgliedschaft die vom subjektiv bemessenen Gesamtwert von Anreizen des genossenschaftlichen Förderungsprogramms abhängige Zumutbarkeit von "Belastungen" bedacht werden. Kooperative, die Leistungen mit nur unwesentlich höherer Förderwirkung als ihre Wettbewerber anbieten und die Gewinnimg neuer Mitglieder beabsichtigen, müssen das Bündel von Beiträgen (Kapitalbeteiligung, Haftpflicht usw.) und damit die Mitgliedschaft derart ausgestalten, "daß der Eintritt... nicht von vornherein einem Opfergang gleicht." (15)

458

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

Fußnoten: (1) Vgl. D. Schultz: Freiheit und Bindung der Genossenschaft bei der Aufnahme von Mitgliedern. In: Genossenschaften und Genossenschaftsordnung, Festschrift für G. Draheim, Göttingen 1968. S. 237 u. 249 (2) Vgl. G. Draheim: Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, 2. Aufl., Göttingen 1955, S. 206 f. (3) Die Produktivgenossenschaften, deren Erwerbsbetrieb den Mitgliedern als Erwerbsquelle dient (Identität von Mitgliedern und Beschäftigten), sollen im Folgenden vernachlässigt werden. Wirtschaftssubjekte geben ihre einzelwirtschaftliche Autonomie auf und treten einer Produktivgenossenschaft bei, um in die vom Mitgliederkollektiv betriebene Erwerbsunternehmung eingegliedert zu werden und dort ihre Arbeitskraft zu verwerten. (4) Vgl. W. Jäger: Zur Problematik der Machtbalance zwischen Ehrenamt und genossenschaftlichem Management, Hardehauser Beiträge Heft 55, Hardehausen 1988, S. 12. Zur Wahl eines Nichtmitgliedes vgl. K. Müller: Genossenschaftsgesetz, Erster Band ( §§ 1-42), Bielefeld 1976, § 9 Rz. 9 f.; R. Neumann: Rechtliche Möglichkeiten der Mitglieder zur Teilnahme an der Willensbildung in der eingetragenen Genossenschaft, Tübingen 1982, S. 20 (5) Vgl. L. Kasten: Der genossenschaftliche Aufsichtsrat (Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Untersuchung), Hamburger Beiträge zum Genossenschaftswesen Heft 3, Hamburg 1984, S. 18 (6) W. Jäger (a.a.O., S. 12) führt dazu aus: Über die Mustersatzung genossenschaftlicher Spitzenverbände wurde die "Kunstfigur" des sog. fördernden Mitgliedes im Vorstand salonfähig und die Selbstorganschaft auf ein formalrechtliches Erfordernis reduziert bis hin zur völligen Preisgabe. (7) In den Genossenschaftsgesetzen Belgiens und Italiens wird die Bestellung hauptamtlicher Fachkräfte zu Mitgliedern des Vorstandes explizit zugelassen, auch ohne daß zu diesem Zweck (formal) die Mitgliedschaft erworben werden muß; in anderen westeuropäischen Ländern ist die Möglichkeit einer solchen organisationsexternen Rekrutierung von Vorstandsmitgliedern eine Satzungsangelegenheit. Vgl. dazu H.-H. Münkner: Die Identität der Genossenschaften nach europäischem Genossenschaftsrecht, Vorträge und Aufsätze des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen der Universität Wien 1987, S. 11 u. Fußnote 24 (8) (9)

Vgl. R. Neumann, a.a.O., S. 21 Vgl. G. Ringle: Beitritt zur Genossenschaft als Entscheidungs- und Motivationsproblem, Göttingen 1989, S. 28 (10) Vgl. H. Kleiss: Warum Genossenschaftsmitglied?. In Genossenschaftsforum, Heft 2/1979, S. 16 f. (11) Vgl. G. Ringle, a.a.O., S. 28 (12) Vgl. dazu D. Louis: Zur Stabilität von kooperativen Organisationen. In Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Bd. 29 (1979), S. 296; E. Boettcher: Die Genossenschaft in der Marktwirtschaft, Tübingen 1980, S. 14; E. Dülfer: Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984, S. 48 u. 157f.; R. Eschenburg: Zur Anwendung der Anreiz-Beitrags-Theorie in Genossenschaften. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Bd. 38 (1988), S. 254 ff.

3. Kapitel:

Organisation der

Genossenschaft

459

(13) Vgl. G. Ringle, a.a.O., S. 53 (14) Vgl. ders., a.a.O., S. 61 ff. (15) R. Henzler: Der genossenschaftliche Grundauftrag: Förderung der Mitglieder, Frankfurt a.M. 1970, S. 231

460

3. Kapitel:

3.2.2.

Organisation

der

Genossenschaft

Mitgliederpartizipation in der Genossenschaft

3.2.2.1. Verschiedene Formen der Partizipation Juhani Laurinkari Das Hauptmotiv für Partizipation (1) ist nach den bisher vorliegenden empirischen Untersuchungen in der Erlangung von wirtschaftlichen Vorteilen durch die Mitgliedschaft zu finden (vgl. Jeschke 1984, S.84; Kurimoto 1984; Omar 1988, S. 102 ff). Im Gegensatz dazu ist die Beteiligung oder die Einflußnahme der Mitglieder auf Entscheidungsprozesse in der Genossenschaft zweitrangig (vgl. Ollila 1983, S.10; Söderberg 1983, S.l). Die Mitwirkungsmöglichkeit und der Wert der Mitgliedschaft können von den Mitgliedern ganz unterschiedlich eingeschätzt werden (vgl. Ilmonen 1984, S.241). Jene, die ihre Mitwirkungsmöglichkeiten als gering erachten, können andererseits die Vorteile und Dienstleistungen, die sie durch ihre Genossenschaft erlangen, positiv bewerten . Wir haben hier nur ein weiteres Indiz dafür, daß in unserer Zeit vor allem eine wirtschaftliche Förderung mit der Mitgliedschaft in Verbindimg gebracht wird. Man kann also sagen, daß die Dominanz wirtschaftlicher Mitgliedervorteile ein Kennzeichen unserer Gesellschaft ist (vgl. Ilmonen 1988, S. 102). A. Formen der Partizipation In der Genossenschaft gibt es für die Mitglieder folgende Formen der Partizipation: -

durch eine Einlage

-

durch zusätzliche Darlehensgewährung

-

durch die Teilnahme an den Versammlungen

-

durch die Stimmabgabe bei den Wahlen durch die Mitwirkung in Verwaltungsorganen und Ausschüssen durch die Teilnahme an Beratungs- und kulturellen Veranstaltungen.

In der Vergangenheit wurden in den Genossenschaften der Aktivierung der Mitglieder und der Förderung der Mitwirkimg viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Aktivitäten werden aber in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dabei wird vor allem eine engere Bindung der Mitglieder an ihre Genossenschaften im Vordergrund stehen. Partizipation der Mitglieder bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Interaktion zwischen dem Management und den Mitgliedern zu intensivieren (vgl. Ringle 1986, S.177). Für die Zukunft des Genossenschaftswesens ist ein Umdenken unumgänglich. Es wird darum gehen, ein praktikables Modell für die Interaktion zwi-

3. Kapitel: Organisation der Genossensehaft

461

sehen Mitgliedern und dem Management zu erarbeiten, anderenfalls werden sich beide Gruppen immer mehr voneinander entfernen. Die Mitglieder müssen zur Mitwirkung an der Geschäftsführung der Genossenschaft motiviert werden, fachlich qualifizierte Mitglieder müssen in die Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen werden. Nur so kann einer Entfremdung der Mitglieder Einhalt geboten und bei den Mitgliedern ein Bewußtsein geschaffen werden, daß sie Genossenschafter sind. Mitglieder einer Genossenschaft kann man in drei Kategorien einteilen, unabhängig davon, ob die Genossenschaft über einen formellen Status verfugt (vgl. Khalidi 1988): - Positive Mitgliedschaft Diese Mitglieder treten einer Genossenschaft zielbewußt bei. Sie wollen beispielsweise durch ihre Mitgliedschaft bei einer Konsumgenossenschaft ihre Konsumgüterausgaben so gering als möglich halten und damit ihre Kaufkraft maximieren. - Negative Mitgliedschaft Hier handelt es sich um Mitglieder, die unter gesellschaftlichem oder traditionellem Druck oder weil es für sie keine Alternativen gibt, einer Genossenschaft beitreten. Manche dieser Mitglieder schließen sich der Genossenschaft nur an, um ihr Schaden zuzufügen oder eigene egoistische Vorteile zu erlangen. Die in einigen Regionen vorherrschende Monopolstellung von landwirtschaftlichen Genossenschaften ist dafür ein gutes Beispiel. - Neutrale Mitgliedschaft Das sind Mitglieder, die man als Mitläufer ohne eigene Vorstellungen oder Erwartungen gegenüber ihrer Genossenschaft charakterisieren kann. Mitglieder aus unteren gesellschaftlichen Schichten mit geringem Einkommen haben größere Erwartungen, aus einer gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung persönliche Vorteile ziehen zu können, als solche aus den oberen gesellschaftlichen Schichten mit hohem Einkommen. Weiters kann festgestellt werden, daß geringes Bildungsniveau, manuelle Tätigkeit und niedriges Einkommen dominante Faktoren für eine große Partizipationsbereitschaft in den schwedischen Konsumgenossenschaften sind (vgl. Pestoff 1979). In die Verwaltungsorgane dieser Genossenschaften werden aber überwiegend Angehörige höherer gesellschaftlicher Schichten gewählt. Stryjan (1987, S.48) unterscheidet vier Grundtypen des Mitgliederverhaltens: Austritt, Einspruch, Engagement und Loyalität (siehe Abb. 1). Unzufriedene Mitglieder können austreten, sich beschweren oder ohne Einspruch darauf hoffen, daß sich ihre Lage verbessert. Hirschmann fügte diesen Verhaltensformen noch "engagiert" hinzu und versteht darunter kon-

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3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

ABB. 1: DAS VERHALTEN DES MITGLIEDS GEGENÜBER SEINER ORGANISATION (GENOSSENSCHAFT) Kreativität groß

Einspruch

Engagement

negative Einstellung

positive Einstellung Austritt

Loyalität

Kreativität gering

Quelle: Stryjan 1987, S.48

struktive Mitglieder, die bereit sind, ihre Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Die Initiative geht dabei vom Mitglied aus, nicht um monetäre Vorteile zu erlangen, sondern um persönlichen Einsatz zeigen zu können. Nach Hirschmann gibt es Mitglieder, die an sich selbst Vorteile verteilen: das Gefühl, gehandelt zu haben, kann vom Mitglied genauso hoch eingeschätzt werden wie ein wirtschaftlicher oder finanzieller Gewinn (Stryjan 1987, S. 48). Für die Partizipation sind Engagement und Einspruch die wichtigsten Verhaltensformen. Sie sind für die Motivation zur Kooperation am bedeutendsten. Kooperationsbereitschaft setzt Organisationsformen und Verfahrensweisen voraus, die engagiertes Verhalten fördern und koordiniert ablaufen lassen, in denen Widerspruch in konstruktive Kritik umgewandelt werden kann. Ein unzufriedenes Mitglied soll aber nicht unbedingt angehalten werden, sich "konstruktiv" zu verhalten, es muß auch eine Akzeptanz für Kritik vorhanden sein und die Bereitschaft, Bestehendes zu ändern. Von Genossenschaften, in denen Kritik nicht ernst genommen wird, trennen sich sehr bald die aktiven Mitglieder (vgl. Stryjan 1987, S. 49 f). Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der Größe einer Genossenschaft und der Teilnahme der Mitglieder an den Versammlungen. Je größer

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

463

die Zahl der Mitglieder und je größer die Genossenschaft, desto geringer ist die Bereitschaft der Mitglieder, an Versammlungen teilzunehmen. Die Größe der Genossenschaft korreliert negativ mit der Partizipation der Mitglieder, während die Ausbezahlung von Rückvergütungen und Rabatten schwach mit der Partizipation der Mitglieder korreliert (vgl. Pestoff 1988, S. 13 f). Im allgemeinen gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen der Teilnahme an Mitgliederversammlungen und dem Anreiz mitzupartizipieren, d.h. eine lebendige Demokratie fördert und initiiert weitere Mitglieder zur Partizipation. Die Anzahl der gewählten Mandatare korreliert negativ mit der Partizipation der Mitglieder (vgl. Pestoff 1988, S. 14 f). Mit zunehmendem Größenwachstum werden die Genossenschaften für ihre Mitglieder immer mehr zu anonymen Marktunternehmen. Die Mitglieder fühlen sich nicht mehr mit ihrer Genossenschaft verbunden. Ein guter Indikator für die Mitgliederbindung ist die Einkaufstreue (vgl. Pestoff 1988, S. 15f). Dem Management wird die personalistische Struktur ihrer Genossenschaft oft erst dann bewußt, wenn eine Filiale oder Zweigstelle aufgelöst, eine Förderungsleistung nicht mehr angeboten, eine Fusion durchgeführt oder die Genossenschaft aufgelöst werden soll. Aber auch die Mitglieder werden im allgemeinen erst dann aktiv, wenn eine derartige Entscheidung fällt. Für gemeinschaftliches Denken und Handeln ist es aber in diesem Stadium bereits zu spät. Die Ursache der Nichtpartizipation kann sowohl in einer Zufriedenheit der Mitglieder gegenüber ihrer Genossenschaft zu finden sein als auch in Gleichgültigkeit. Die These einer allgemeinen Partizipationsapathie gilt auch in Genossenschaften (vgl. Ollila 1983, S. 9 ff). Mit zunehmender Größe der Genossenschaft und Differenzierung der Mitgliederstruktur verringert sich die Einflußmöglichkeit des einzelnen Mitglieds. Demgegenüber wird der Bedarf an Fachwissen und Kenntnissen durch eine zunehmende Zentralisierung der Leitungsfunktion immer größer. In den Industrieländern sind in den 70er und 80er Jahren in den Genossenschaften die Probleme der Mitgliederentfremdung und des Desinteresses für die Prinzipien des Genossenschaftswesens immer virulenter geworden (vgl. Utterström 1980, S. 81). Deshalb sollte man die Bedeutung der Partizipation für die Gewinnung neuer Mitglieder als Garant für den Fortbestand des Genossenschaftswesens nicht außer Acht lassen. Neue Mitglieder sind der entscheidende Faktor für den Weiterbestand der Genossenschaften. Beispielsweise sieht sich Finnland gegenwärtig mit dem Problem einer im Vergleich zu der Gesamtbevölkerung überalterten Mitgliederstruktur gegenüber. Es ist deshalb für Finnland besonders wichtig junge Menschen für die Genossenschaftsidee zu gewinnen.

464

3. Kapitel: Organisation der

Genossenschaft

Der Generationswechsel stellt aber die gesamte Genossenschaftsbewegung vor große Probleme. Die von vielen Genossenschaftsorganisationen erstellten Prognosen in den 80er Jahren erleichtern zwar das Problemverständnis, liefern aber noch keine Lösungsansätze. B. Mitgliedertypen Genossenschaftsmitglieder können aufgrund ihres Partizipationsverhaltens in verschiedene Gruppen oder Typen eingeteilt werden. Ein interessanter methodischer Ansatz stammt von Ilmonen (1981), der als Unterscheidungskriterien die Mitgliederbeziehungen und/oder -aktivitäten heranzieht. Durch die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft werden sowohl individuelle als auch kollektive Gruppeninteressen verfolgt. Diese Bedürfnisse und Interessen versucht man durch politische und wirtschaftliche Handlungen zu befriedigen und zu verfolgen. Die Bedürfnisse werden sowohl durch die Leistungen der Genossenschaften als auch durch die Mitwirkungsmöglichkeiten befriedigt. Ilmonen unterscheidet zwei Typen von Mitgliederbeziehungen, wirtschaftlich praktische und ideel politische. Diese Typisierung stellt ein Idealmodell der Mitgliederbeziehungen dar. Nach Ilmonen waren bereits bei der Entstehimg der Genossenschaften sowohl wirtschaftliche als auch politische Beweggründe vorhanden (vgl. Ilmonen 1981, S. 11). Die Mitgliedschaft wird sowohl mit der Qualität der Dienstleistungspalette der Genossenschaft als auch mit den Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Anschaffung, Erzeugimg und Vermarktung dieser Leistungen verbunden. Das individuelle Verhalten des einzelnen in der Organisation beeinflußt die Beziehungen zwischen den Mitgliedern. Die Unterscheidung in instrumentales und expressives Verhalten weist auf die verschiedenen Arten von Mitgliederverhältnissen hin. In einer Kreuztabelle können die oben genannten Mitgliedertypen wie in Abb. 2 dargestellt werden: Diese Übersicht ist ein vereinfachtes Idealtypenmodell der Mitglieder in Genossenschaften. -

"Pragmatiker" sind Mitglieder, die Leistungen der Genossenschaft aus rationalen Gründen in Anspruch nehmen, beispielsweise bewußt ihre Mitgliedervorteile ausnützen und einen Konsumladen in nächster Nähe besuchen. - Für "Moralisten" steht das genossenschaftliche Prinzip im Vordergrund. Sie halten, auch wenn die Leistungen der Genossenschaft für sie persönlich mit keinen Vorteilen mehr verbunden sind, weiterhin zu ihrer Genossenschaft. Die Mitgliedschaft ist für sie eine moralische Verpflichtung. - "Politiker" sehen in ihrer Mitgliedschaft ein Bekenntnis zu einer politischen Orientierung. Sie unterstützen durch ihre Teilnahme an den genos-

3. Kapitel: Organisation

der

Genossenschaft

465

senschaftlichen Wahlen eine bestimmte politische Partei und sehen auch für sich persönlich die Genossenschaft als ein "politisches Sprungbrett" oder ein "politisches Werkzeug". Die Genossenschaft ist für sie ein Mittel, um politische Ziele zu erreichen. - "Sympathisanten"(und "Passive") nehmen zwar nicht aktiv am Genossenschaftsleben teil, bleiben aber weiterhin aus Gewohnheit Mitglied. ABB.2: GENOSSENSCHAFTLICHE MITGLIEDERTYPEN Mitgliederaktivität

Mitgliederverhältnis

wirtschaftlichpraktisch

"Pragmatiker"

"Moralisten"

ideell-politisch

"Politiker"

"Sympathisanten und Passive"

Quelle: Ilmonen 1981, S.12

Dieses Schema ist nicht ohne weiteres auf die gewählten Mandatare anwendbar. Deren Verhalten ist durch intensivere Beziehungen zwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft geprägt. Man kann diese Typologie für eine Untersuchung gewählter Mandatare aber verwenden, wenn zunächst nur von einer groben Einteilung der Mandatare ausgegangen werden soll. Die bei empirischen Untersuchungen in Genossenschaften zum Vorschein tretenden verschiedenen Interessensgruppen spiegeln die Meinungs- und Verhaltensvielfalt im Genossenschaftswesen wider. Gleichzeitig zeigen sie aber auch bestehende Tendenzen den gegenwärtigen Stellenwert demokratischer Entscheidungsstrukturen in Genossenschaften zu verändern oder zu erneuern. Die Mitgliedertypologie von Ilmonen ist vom Verfasser (vgl. Laurinkari 1985) in einer in Finnland durchgeführten empirischen Sozialforschung verwendet worden. Dabei wurde folgende Typeneinteilung verwendet: Kritiker, Pragmatiker, Genossenschaftspolitker, Vertreter der Arbeiterbewegung, Moralisten und Sympathisanten. Forschungsziel dieser Untersuchung war es, die Einstellungen der gewählten Mandatare zu den genossenschaftlichen Prinzipien und deren praktischen Umsetzung zu erfassen und eine Einteilung nach Grundtypen vorzunehmen.

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3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

Nach Laurinkari (1985, S. 34 ff) schätzen die - Kritiker einerseits die Praxis der Genossenschaften, die Realisierung der Prinzipien und Ziele und die Bedeutung und Zukunftschancen des Genossenschaftswesens skeptisch ein. Andererseits steht bei ihnen eine direkte Verbindung der Genossenschaften mit der Arbeiterbewegung oder mit den Organisationen der Landwirtschaftsproduzenten im Vordergrund. - Pragmatiker zeichnen sich durch wirtschaftliches Denken und Verhalten aus. Ihre Einstellung zur demokratischen Struktur ist positiv, sie äußern sich aber kritisch gegenüber idealistischen Vorstellungen. - Genossenschaftspolitiker ("aktive Genossenschafter") sind sowohl Idealisten als auch Wirtschaftspraktiker. Sie werden auch als die "genossenschaftlichen Manager" bezeichnet. - Für die Vertreter der Arbeiterbewegung ist die Zusammenarbeit der Genossenschaften mit den Arbeiterorganisationen von Bedeutung. Sie können ebenfalls als Idealisten eingestuft werden, sind aber in Genossenschaften ohne Nahbezug zur Arbeiteridee nicht vertreten. In einigen Ländern (z.B. in Finnland) kommt dieser Typus aber häufig vor. - Die Moralisten betonen die Eigenverantwortung der Mitglieder. Eine ideologische Bindung zur Genossenschaft ist bei ihnen am stärksten. - Die Sympathisanten zeichnet hohe Zufriedenheit gegenüber ihren Genossenschaften aus. Sie schätzen das Genossenschaftswesen aber am geringsten. C. Wahl der Mandatare Um eine Genossenschaft wirtschaftlich zu führen, müssen Entscheidungen schnell, rationell und effizient getroffen werden. Für solche Entscheidungen sind nur verhältnismäßig kleinem Gremien prädestiniert (vgl. Ringle 1984). Diese Charakterisierung des Entscheidungsverhaltens unterstreicht die Bedeutung des Auswahlverfahrens der genossenschaftlichen Mandatare. Die Entwicklung der Genossenschaften zu wirtschaftlichen Unternehmungen in der Konkurrenzwirtschaft war von einer immer eingeschränkteren Mitwirkung der Mitglieder an den Entscheidungen in der Genossenschaft begleitet (vgl. das Delegiertensystem). Die Beschlüsse fallen immer weiter vom einzelnen Mitglied entfernt. Dafür sind die Anforderungen an die Erfahrungen und Kenntnisse der gewählten Mandatare ständig gewachsen. Eine Genossenschaft mit Tausenden von Mitgliedern ist keine Personengemeinschaft mehr, sondern ein wirtschaftliches Unternehmen unter vielen, von denen sich die Mitglieder wirtschaftliche Vorteile erwarten. Die Aufrechterhaltung des dualen Charakters der Genossenschaften kann zu Konflikten führen, wenn die optimalen Größen der Genossenschaften als Unternehmungen und als Personengemeinschaften immer mehr auseinanderfallen.

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

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Aber auch die Zentralgenossenschaften sind längst keine Personengemeinschaften mehr. Ihre Mitglieder sind zum größten Teil juristische Personen (Genossenschaften, Vereine oder Kapitalgesellschaften). Die Wahl der genossenschaftlichen Organmitglieder wird durch verschiedene Faktoren beeinflußt. Laut vorliegenden Forschungsergebnissen (vgl. Homans 1961; Etzioni 1969; Milbrath 1966) sind drei Einflüsse dominant: individuelle Faktoren, das soziale Milieu und die Organisation selbst. ABB.3: GRUNDMODELL FÜR DIE AUSWAHL DER ORGANMITGLIEDER

Einen besonders großen Einfluß übt das soziale Milieu und die parteipolitische Stellung des Mitglieds aus. Gegenüber Personen in hohen sozialen Stellungen ist die Erwartungshaltung größer als gegenüber solchen aus den unteren sozialen Schichten. Partizipation setzt Begabung und Können voraus. Eine Person mit einem hohen sozialen Status hat allgemein bereits große Erfahrung in der Informationsaufnahme, -Verwertung und -Verarbeitung. Nach Maslow ist das Verhalten eines gewählten Mandatars durch die vermehrte soziale Anerkennung (durch die anderen Mitglieder) und der erweiterten Selbstverwirklichungsmöglichkeit geprägt (vgl. Maslow 1970). Alderfer hat das Bedürfnisschema von Maslow weiterentwickelt (vgl. Alderfer 1972, S. 145 ff). Die von ihm hinzugefügten "Anschluß- und Entfaltungsbedürfnisse" betreffen unmittelbar das Verhalten gewählter Mandatare. Einerseits dient der "Austausch" von Impulsen und Einflüssen zur Befriedigung der Anschlußbedürfnisse. Andererseits wirkt die Ausübung eines Mandats einschränkend auf die Befriedigung der Entfaltungsbedürfnisse. Der Freiraum des einzelnen wird durch die Zusammenarbeit mit anderen beschränkt. Auf die Wahlentscheidung für genossenschaftliche Mandatare wirken viele verschiedene Faktoren, die wiederum das Verhalten der Mandatare selbst beeinflussen (vgl. Laurinkari 1976). Die Mandatare sind die Entscheidungsfinder der Genossenschaften und sie beeinflussen im großenn Ausmaß deren Ausgestaltung. Es ist daher für die Weiterentwicklung des Genossenschafts-

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3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

wesens wichtig zu erfassen, wie diese Mandatare die Prinzipien des Genossenschaftswesens und deren praktische Umsetzung beurteilen und wie sie sich selbst in der Genossenschaft verhalten. An individuellen Faktoren sind dabei das soziale Milieu, der Wissensstand, die Einstellungen (Werte) und Motive des einzelnen und seine Auffassung zur Kooperation und zum eigenen Ich zu berücksichtigen, wobei das soziale Milieu die Grundlage für alle anderen Einflußfaktoren darstellt.

ABB.4: INDIVIDUELLE FAKTOREN Soziales Milieu - Alter, Familienstand, Wohnort, Mitgliedschaft der Eltern im Genossenschaftswesen, Dauer der eigenen Mitgliedschaft - Beruf, Ausbildung, Einkommen - sonstige Beteiligung Wissen - allgemeines - über die Kooperation

Bewertungen (Werte) und Motivation

Einstellungen zur Kooperation

Ich-Standpunkt

Als Situations- und Umweltfaktoren wirken der Zufall, die sozialen Kontakte zu Freunden und Arbeitskollegen, die Wettbewerbssituation zwischen den Mitgliedern und der Wahlvorgang selbst. Der Sozialisationsprozeß in der Genossenschaft ist kein eigentlicher Situations- und Umweltfaktor, da es sich dabei um einen bereits abgelaufenen Prozeß handelt (siehe sozialer Hinter-

ABB.5: SITUATIONS- UND UMWELTFAKTOREN Der Zufall

Die sozialen Kontakte zu Freunden und Arbeitskollegen

Die Wettbewerbssituation zwischen den Mitgliedern

Der Wahlvorgang

3. Kapitel:

Organisation

der

Genossenschaft

469

renzsituation (z.B. Monopolstellung), durch die wirtschaftliche Potenz des Unternehmens. Weiters spielen die kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine große Rolle. Fragen wie: "Welche Funktion und Ziele verfolgt die Organisation?" sind dabei von Bedeutung, länderweise aber sehr unterschiedlich. Der dritte Faktor auf der Organisationsebene ist die Permanenz der Organisation, das Bedürfnis nach Sicherheit. Eine gefestigte Organisation hat innerhalb der Gesellschaft einen anderen Stellenwert als eine, deren Aufgaben und Ziele noch nicht eindeutig festgelegt sind. Der vierte Faktor betrifft das gesamte Genossenschaftswesen. Je mehr eine Bewegung innerhalb der Gesellschaft akzeptiert wird, desto größer ist das Bedürfnis des einzelnen, dieser auch anzugehören.

ABB.6:

Die Wettbewerbssituaion der Organisationen

ORGANISATIONSFAKTOREN Stellenwert der Organisation unter kulturellen Gesichtspunkten

Permanenz der Organisation

Das Gesamtbild der Organisation

In den letzten Jahren spricht man vielerorts von managementgeleiteten Genossenschaften. Man möchte damit darauf hinweisen, daß die Entscheidungskompetenzen der Genossenschaft weitgehend an die Geschäftsführung delegiert wurden. Formell treffen die Mitglieder und/oder die Mandatare die Entscheidungen. Immer öfter werden aber Entscheidungen nur mehr auf Empfehlung der Mandatare getroffen, ohne aber über alle Alternativen grundsätzlich diskutiert zu haben. Entscheidungen setzen umfassendes Fachwissen und einschlägige Kenntnisse voraus, die viele Mandatare in der heutigen Zeit nicht mehr mitbringen. Infolge anderer Aufgaben haben sie nicht mehr genügend Zeit, sich mit den Details anstehender Fragen zu beschäftigen. Zu Beginn der 90er Jahre lassen sich folgende Entwicklungstendenzen erkennen: die Zahl der Primärgenossenschaften sinkt kontinuierlich, die durchschnittliche Größe der Genossenschaften nimmt ständig zu. Dadurch wird die Kommunikation zwischen der hauptamtlichen Geschäftsführung und den Mandataren immer schwieriger. Die Qualität und das Ausmaß der Interaktion zwischen den Mitgliedern und dem Management hängt wesentlich

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3. Kapitel: Organisation der Genossenschaft

wird die Kommunikation zwischen der hauptamtlichen Geschäftsführung und den Mandataren immer schwieriger. Die Qualität und das Ausmaß der Interaktion zwischen den Mitgliedern und dem Management hängt wesentlich davon ab, nach welchen Kriterien die Mandatare ausgewählt, wie sie ausgebildet, welche Aufgaben ihnen übertragen werden und welche Entscheidungskompetenzen noch bei ihnen verbleiben. Jeder Mandatar hat seinen eigenen Mitgliederbezug. Neugewählte haben mehr Kontakt zu neuen Mitgliedergruppen und können auch neue Ideen in die Genossenschaft einbringen. Die Mitgliederorientierung garantiert einen permanenten Kontakt zu den Mitgliedern, deren Kenntnisse und praktische Erfahrungen in die Genossenschaft eingebunden werden können. Die realen Möglichkeiten dieser genossenschaftlichen Spezifika werden aber sehr skeptisch beurteilt (vgl. Veranen 1988, S. 37 ff). Eine direkte Einflußnahme der Mitglieder in ihre Genossenschaft setzt Kenntnisse und Erfahrungen über die Aktivitäten der Genossenschaft voraus. Das Mitglied muß imstande sein, die Geschäftsführung fachmännisch zu beurteilen und im richtigen Moment einzugreifen, um größeren Schaden abwenden zu können (Volk 1989, S. 23). Diesen Anforderungen sind die meisten Mitglieder nicht mehr gewachsen. Brauchen wir deshalb Experten für die Mandatare? In letzter Zeit ist auch die Vertretung der Mitgliederinteressen (Eigentümerinteressen) durch die Mandatare kritisiert worden (vgl. Veranen 1988; Volk 1989, S. 25). Die Mandatare werden oft nicht aufgrund ihrer fachlichen Qualitäten gewählt und vertreten immer mehr sogenannte Nebeninteressen. Ihre Handlungen setzen sie nicht primär zum Wohle der Genossenschaft ein, sondern sie dienen persönlichen Vorteilen, Vorteilen für das eigene Wohngebiet, für eine bestimmte Partei oder soziale Gruppe (Volk 1989, S. 25). Veranen prägte dafür den Begriff Genossenschafts-Syndrom (vgl. Veranen 1988, S. 37). Am Anfang der Genossenschaftsbewegimg war die Zahl der Mitglieder überschaubar und klein. Die Mitglieder waren voneinander und von ihrer Genossenschaft abhängig. Durch die Öffnung der Märkte und die Hebung des allgemeinen Lebensstandard nahm diese Abhängigkeit immer mehr ab und es änderten sich die Ziele der Genossenschaften. Die reine Vertretung von Eigentümerinteressen wurde durch eine ständig wachsende Mitgliederzahl immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Das einzelne Mitglied wurde immer unbedeutender. Da auch deren finanziellen Einsätze für die Genossenschaft gering waren, wurde sie ihnen immer gleichgültiger. Das Genossenschafts-Syndrom trat ein. Die Bindimg der Mitglieder zu ihrer Genossenschaft ging verloren, und es wurde immer schwieriger die Genossenschaftsorganisation insgesamt zu führen. Es besteht gegenwärtig die große Gefahr eines Zerfalls großer Teile der Genossenschaftsbewegung. Es wurde bereits erwähnt, daß die Eigentümervertreter in der Genossenschaft immer mehr eigene Interessen verfolgten. Es wäre angebracht, diese erzielten persönlichen und gruppenbezogenen Vorteile einer genauen Kontrolle zu unterziehen (vgl. Veranen 1988, S. 38).

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ABB.7: DAS GENOSSENSCHAFTSSYNDROM

Es herrscht eine konservative reformenablehnende Unternehmung vor

Die vernachlässigte Berücksichtigung der Interessen der Eigentümer (Mitglieder) im Unternehmen bedingt negative wirtschaftliche Ergebnisse

Quelle: Veranen 1988, S.39

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nossenschaftsunternehmung immer stärker vernachlässigt worden. In der genossenschaftlichen Unternehmenskultur standen Effektivität und Rentabilität nicht im Vordergrund. Die personalistische Struktur der Genossenschaft erschwerte die Festlegung von wirtschaftlichen Erfolgskriterien. Das hauptamtliche Management wurde in seiner Tätigkeit jahrzehntelang durch die herrschende traditionelle Unternehmenskultur behindert, Reformen durchzuführen. So blieb eine Intensivierung der inneren und äußeren Effektivität der Genossenschaften aus (vgl. Veranen 1988, S. 38). Das Genossenschafts-Syndrom finden wir aber auch in Zentralgenossenschaften. Sie stellen typische genossenschaftliche Organstrukturen dar, in der denen die einzelnen Eigentümer keine gültigen Beschlüsse mehr für die Gemeinschaft insgesamt fassen können. Volk (1989, S. 24 f.)schlägt deshalb vor, jene Faktoren, die zu einem Genossenschafts-Syndrom führen können (besonders in den von Genossenschaften gebildeten Zentralgenossenschaften), genau zu analysieren, zu bewerten und rechtzeitig Gegenstrategien zu entwicklen (vgl. Volk 1989, S. 26). Fußnote: (1) Dieses Kapitel basiert teilweise auf Laakkonen, V./Laurinkari, J.: Osuustoiminta taloudellisen yhteistoiminnan muotona, Helsinki 1990.

Literatur: Alderfer, C.P.: Existence, relatedness and growth. Human Needs in Organizational Settings, New York 1972 Etzioni, A.: A Basis for Comparative Analysis of Complex Organizations. A Sociological Reader of Complex Organizations, New York 1969 Homans, G.: Social Behavior, Its Elementary Forms, New York 1961 Ilmonen, K.: Elämänolojen muutos ja E-liikkeen jäsenyys. KK ry, Helsinki 1981 Ilmonen, K.: Jäsenet ja jäsenten liike. Tutkimus kaupan ja jäsenten suhteesta Eosuus-kauppaliikkeessä osuustoiminnan alkuajoilta 1980-luvulle. Acta Universitati Tamperensis. Ser. A, Vol. 172, Tampere 1984 Ilmonen, K.: Jäsenten historialliset odotukset ja E-liike. Osuustoimintatutkimuksen vuosikiija 1988, Helsinki 1988 Jeschke, G.: Mitglieder und Organisation von Wohnungsbaugenosenschaften. Eine empirische Untersuchung. Gesamtverband Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen e.V. (GGW), Schriftenreihe, Heft 20, Köln 1984 Khalidi, M.S.: A typology of Participants in Organizations: the Case of co-operatives. Review of International Co-operation. No.3, 1988 Kurimoto, A.: Management Strategies and Co-operative Identity in the Future. Report to the Working Party for Research, Planning and Development (IGB), 26. - 28. 9. 1984, Paris 1984

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Laurinkari, J.: Über die Beschlußfassung in einer normativen Organisation. Die Auswahl der Synodenvertreter der evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands und ihr Einfluß auf die Beschlußfassung im Jahre 1973 (diss.). Universität Helsinki, Institut für Sozialpolitik. Publikation Nr. 4/1976, Helsinki 1976 Laurinkari, J.: Typisierung von Funktionsträgern in Genossenschaften. Am Beispiel der Landwirtschaftsgenossenschaften in Finnland. Veröffentlichunggen des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität ErlangenNürnberg. Publikation Nr. 23, Nürnberg 1985 Maslow, A.: Motivation and Personality, New York 1970 Milbrath, L.W.: Political Participation, Chicago 1966 Ollila, P.: Member influence in Cooperatives. Contributions of Scandinavian studies to the research conductued in the United States. Department of Agricultural Economics. Michigan State University 1983 Omar, C.: Die Meinung der Mitglieder über ihre Genossenschaftsbank, (diss.). JustusLiebig-Universität Giessen. Institut für Genossenschaftswesen, Giessen 1988 Pestoff, V.A.: Membership Participation in Swedish Consumer Co-operatives. Stockholm 1979 Pestoff, V.A.: Co-operative Efficiency - A preliminary Discussion of the Concept in the Swedish Context. Working Party for Research, Planning and Development (IGB), Bologna 1988 Ringle, G.: Entscheidungspartizipation der Mitglieder in Genossenschaftsunternehmen. Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen. Band 4. Heft 3, 1984 Ringle, G.: Strategien zur Gestaltung intergenossenschaftlicher Gruppenaktivität und Kommunikation. In: Laurinkari (hrsg.): Die Prinzipien des Genossenschaftswesens in der Gegenwart. Festschrift für Prof. Vesa Laakkonen. Veröffentlichungen des Forschungsinstitutes für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Publikationen Nr. 24, Nürnberg 1986 Styrian, Y.: Att aterskapa medlemskapet. Kooperativ Arsbok 1987, Stockholm 1987 Söderberg, L.: Mediemsinformation och inflytande i en kooperative bank. Uppsala 1983 Veranen, J.: Omistajat yrityksen menestystekijänä. Ekonomia-sarja. Espoo, 1988 Volk, R.: Osuustoiminnan sopeutuminen muuttuvassa toimintaympäristössä. Esitelmä Pellervo-Seuran juhlasymposiumissa Vanhalla ylioppilastalolla Helsingissä 1989

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3.2.2.2. Mitgliederpartizipation in managementgeleiteten Genossenschaften Günther Ringle A. Zur Entstehung von Management-Dominanz In den Gründeijahren des Genossenschaftswesens fiel der Generalversammlung die Entscheidungsgewalt in allen Angelegenheiten der gemeinschaftlichen Betriebswirtschaft zu. Indem die ehedem durchweg kleine örtliche Mitgliedergruppe die Geschäftspolitik festlegte und auch alle fallweisen Entscheidungen traf, wurde eine dem Wesensprinzip der Selbstverwaltung ideal entsprechende dispositive Direktpartizipation praktiziert. Die an heutigen Größenverhältnissen gemessen kleinen oder gar Kleinstgenossenschaften boten jedem Mitglied Gelegenheit, seine Ansprüche und Erwartungen an das Kooperativ unmittelbar einzubringen. Im Verlauf der Größenentwicklung von Primärgenossenschaften und mit generell zunehmender Komplexität der ökonomischen Prozesse stiegen die Anforderungen an Fachwissen, Weitsicht des Handelns, Kreativität und operative Flexibilität. Das Mitgliederkollektiv war unausweichlich nicht mehr in der Lage, ohne Gefährdimg der kooperationsbetrieblichen Handlungsfähigkeit und Marktstellung über die laufende Betriebs- und Geschäftspolitik zu befinden. Dies führte zur Ausgliederung und Delegation der Geschäftsführungstätigkeit zunächst an die neben- und ehrenamtliche Genossenschaftsleitung, später an das hauptamtliche Management. Die in einem jahrzehntelangen Prozeß eingetretene Verlagerung der Kompetenz in Geschäftsführungsangelegenheiten von der Mitgliedergesamtheit auf das eigeninitiativ-unternehmerisch agierende Genossenschaftsmanagement kann durchaus als sukzessive Entdemokratisierung gesehen werden.(l) Auf die laufende Geschäftsführung nimmt die Generalversammlung heute nur noch geringen und im wesentlichen mittelbaren Einfluß, insbesondere über die Wahl und Entlastung des Vorstandes. Eine echte Diskussion über anzustrebende Ziele und erforderliche Maßnahmen der Kooperationswirtschaft findet selbst in der Vertreterversammlung, die in mitgliederstarken Genossenschaften die Generalversammlung ersetzt, kaum noch statt.(2) Seit einiger Zeit am häufigsten nachweisbar sind die durch ein ausgeprägtes Übergewicht des hauptamtlichen Managements als willensbildender Faktor gegenüber der Trägerschaft (Management-Dominanz) gekennzeichneten Genossenschaften. An der Stabilisierung der allmählich entstandenen Autonomie der Genossenschaftsleitung hat neben deren Informationsvorsprung - was die eingetragenen Genossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland anbelangt - die Anerkennung als eigenverantwortliches, von Weisungen des Mitgliederkreises prinzipiell emanzipiertes Führungszentrum durch die Rechtsnovelle aus

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dem Jahre 1973 maßgeblichen Anteil. Zwar führte das hauptamtliche Management vor der Gesetzesnovellierung die Genossenschaft faktisch unabhängig, hatte jedoch aufgrund des Weisungsrechtes der Trägerschaft stets Eingriffe in die Geschäftsführung zu befürchten ( § 27 I GenG a.F.). Insofern konnte sich die General-/Vertreterversammlung bis zur Einführung der Eigenverantwortlichkeitsklausel zumindest formalrechtlich als oberstes Willensorgan der Genossenschaft verstehen. Die in Anlehnung an die Leitungsverhältnisse bei Aktiengesellschaften erfolgte Stärkung der Genossenschaftsleitung ist nicht unumstritten. Im genossenschaftswissenschaftlichen Schrifttum nehmen einzelne Autoren den Standpunkt ein, die Gesetzesänderung habe für die Mitglieder Partizipationshindernisse aufgebaut 3), wenn nicht gar deren geschäftspolitischen Aktionsraum zugunsten der Entscheidungskompetenz des Vorstandes liquidiert. B. Forderung verstärkter Mitgliederorientierung von Führungsentscheidungen Größere Primärgenossenschaften gelten im Ansehen vieler ihrer Mitglieder als anonyme Einrichtungen mit undemokratischer interner Funktionsweise.^) Die zur jährlichen Vertreterversammlung erschienenen Delegierten haben zwar nach wie vor grundsätzliche Entscheidungen zutreffen, sofern dies nicht anderen Organen (Vorstand, Aufsichtsrat) zufallt; seit langem aber wird diesbezüglich von "Pflichtübungen" gesprochen. Darin kommt zum Ausdruck, daß die Trägerschaft nach der eingetretenen Machteinbuße hierarchisch unten angesiedelt ist (5) und die Geschäftsführung nicht mehr nennenswert mitgestaltet. Wenn freilich weiterhin die - methodisch ermittelten - Mitgliederbedürfnisse den erstrangigen Orientierungspunkt für das Genossenschaftsmanagement bilden, lassen sich gegen die gewandelten Leitungsmachtverhältnisse kaum triftige Einwände vorbringen. Aus Sorge um die Erhaltung der organisationstyp-spezifischen Eigenart, einer dauerhaften Förderfahigkeit und das Image von Genossenschaften wären allerdings Bedenken gegen Als-ob-Kooperative berechtigt, deren Entscheidungen ohne direkten Bezug zu ihren Trägern gefällt werden, weil entweder die Bedürfnisse, Wünsche und Probleme der Mitglieder zu wenig bekannt sind oder die Manager sich vorzugsweise dem Markterfolg der Genossenschaftsunternehmung widmen und ihren Auftrag zur Transformation des extern erzielten Markterfolges in mitgliedergerichteten Fördererfolg vernachlässigen.(6) In diesem Kontext bemerkenswert erscheint die verbreitete Auffassung, durch die ausdrückliche Legitimation zur Eigenverantwortlichkeit sei die Distanz in der Beziehung "Management-Mitglied" festgeschriebein, und damit das für größere Genossenschaften entstandene Entfremdungsrisiko zum Dauerproblem geworden. Es ist sicher richtig, Informationsdefizite des Managements in puncto Mitgliederbedürfnisse als Begleiterscheinung des Entdemokratisie-

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rungstrends zu deuten. Durch den mit der Entwicklung zur autonomen Genossenschaftsleitung zwangsläufig verbundenen Verlust an Demokratie gingen manche Kontakte zum Mitgliederkreis verloren, auch der ehemalige Vorteil, die Wünsche der Mitgliederwirtschaften kontinuierlich direkt empfangen zu können.(7) Den Negativaspekten einer Distanz zwischen Management und Mitgliedergruppe, die zur Fremdbestimmung der Trägerschaft führt, könnte eine Rückkehr zu stärkerer Bindung von Managemententscheidungen an die Mitgliederinteressen entgegenwirken. Das klassische genossenschaftliche Partizipationsprinzip der Selbstverwaltung legt es nahe, unter Beteiligung der Mitglieder die Interessenlagen in der Trägerschaft als unverzichtbare Ausgangspunkte systemadäquater Geschäftspolitik zu revitalisieren. Nach Dülfer ist keinesfalls davon auszugehen, daß "das sachkundige Management die Förderungsbedürfnisse der Mitgliederwirtschaften (als "wohlverstandene Interessen") besser beurteilen könne als die Eigentümer-Mitglieder selbst."(8) Dieser Gedanke weist auf die Forderung nach neuen Möglichkeiten der Mitglieder-Einflußnahme in geschäftlichen Belangen des Kooperationsbetriebes, die in jüngster Zeit wiederholt artikuliert wurde. In einer Zeit, in der so viel von Mitbestimmung gesprochen, aber wenig dafür getan wird, gälte es, im Bedarfsfalle ein Partizipationsorgan der Trägerschaft zu installieren, dem es zufiele, die Mitgliederorientierung genossenschaftlichen Handelns zu beleben. C. Konstruktion der Entscheidungen

Mitgliederbeteiligung

an

Management-

Die übliche Interpretation der Partizipation in Genossenschaften wird hier um eine neue Komponente erweitert. Unter "Entscheidungspartizipation" soll im folgenden die aktive Mitwirkung einer Kleingruppe leistungsmotivierter, fachlich ausreichend qualifizierter und urteilsfähiger Glieder der Trägerschaft im genossenschaftlichen an ausgewählten Management-Entscheidungen Geschäftsbetrieb verstanden werden. Diese spezielle, von der organisationsrechtlichen, leistungsmäßigen und finanzwirtschaftlichen Beteiligung am Kooperativ zu unterscheidende Art von Mitgliederpartizipation weist das Merkmal "repräsentativ" auf. Die Mitgliedergesamtheit bzw. in sich homogene Mitgliederteilgruppen werden - ähnlich wie in einer "Vertreterversammlung" - durch gewählte Vertreter repräsentiert. Den Partizipanten ist aufgetragen, die jeweiligen gemeinsamen Mitgliederinteressen in die genossenschaftsbetriebliche Dispositionsebene einzubringen und engagiert wahrzunehmen. In dieser Ausprägimg stellt Entscheidungspartizipation eine Ergänzung der üblichen genossenschaftlichen Selbstverwaltung dar. Zu ihrer Konstituierung wäre ein besonderes Partizipationsorgan (z.B. Beirat, Beraterteam) zu bilden, dessen Mitglieder nicht gleichzeitig einem der "Verwaltungsorgane" (Vorstand, Aufsichtsrat) angehören.

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Was den Anwendungsbereich solcher Mitgliederpartizipation anbelangt, kommt eine Mitwirkung an der Formulierung grundlegender Ziele der Organisation und/oder an Entscheidungen im Maßnahmenbereich, insbesondere bei innovativen und - wegen ihrer Langzeitwirkung die weitere Entwicklung der Genossenschaft maßgeblich bestimmenden - strategischen Entscheidungen (z.B. über größere Sachinvestitionen, Ausdehnung des genossenschaftlichen Geschäftsbereiches oder die Festlegung des Leistungsprogramms), in Betracht. Bei diesen Partizipationsobjekten handelt es sich "um Grundsatzentscheide, die einerseits nicht unter Zeitdruck gefaßt werden müssen und deshalb eine ... (partizipative - Einfügung) Willensbildung 'vertragen'. Andererseits wird unterstellt, daß die auf dieser Ebene zur Entscheidimg anstehenden Problemfelder mindestens von engagierten Mitgliedern verstanden werden können, sie also als Betroffene der Genossenschaftstätigkeit durchaus fähige Gesprächspartner sind".(9) In bezug auf Maßnahmenentscheidungen als vorrangige Objekte einer Mitgliederpartizipation wird folglich die Prämisse gesetzt, daß die repräsentative Entscheidungsmitwirkung auf einmalige und strategische Dispositionen beschränkt bleibt. Für Routineentscheidungen, kurz- und mittelfristige Entscheidungen operativer und taktischer Natur soll einzig und allein das Management zuständig sein. D. Beurteilung der Zweckmäßigkeit Ob die skizzierte dispositive Mitgliederpartizipation im sozio-technischen ökonomischen System "Genossenschaft" für wünschenswert erachtet und ihr von den internen Koalitionsteilnehmern eine Realisationschance zuerkannt wird, hängt hauptsächlich von der Existenz eines Partizipationsdefizits und im weiteren davon ab, welche konkrete Zielerfüllungsbeiträge sowohl die Mitgliederseite als auch das Management von den voraussichtlichen Partizipationseffekten erwarten. Partizipationsbedarf des Mitgliederkreises basiert auf dessen Bewußtwerden eines Mißverhältnisses zwischen dem geringen eigenen Einflußpotential einerseits und der Machtfülle des Managements andererseits. Eine für veränderungswürdig erachtete Mitgliederpositionierung im Kompetenzsystem der Genossenschaft löst das Bedürfnis aus, im Wege zweckmäßig gestalteter Partizipation zusätzliche Möglichkeiten zur Einwirkung auf die Betriebs- und Geschäftspolitik der Kooperationswirtschaft zu gewinnen. Erwartungen an positive Konsequenzen der Entscheidungspartizipation werden sich insbesondere auf die folgenden möglichen Effekte richten: 1. Sachgerechte Wahrung der kollektiven Mitgliederbelange durch Einflußnahme auf die Genossenschaftspolitik; Wiederherstellung und Pflege einer stärker an die realen Trägerinteressen gebundenen, nicht-mitgliederentfremdeten Führung der Genossenschaft; 2. bessere Qualität der Entscheidungsvorbereitung und definitiven Alternativen-Auswahl;

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3. erhöhte Akzeptanz von Management-Entscheidungen seitens der Mitglieder bis hin zu deren eindeutigen Identifikation mit partizipativ zustandegekommenen Entscheidungen; 4. Zugewinn an Mitglieder-Zufriedenheit und 5. stärkere Bindung der Mitglieder an das Kooperativ in ihren Rollen als Mitträger (Willensbildung und Kontrolle; finanzielle Beteiligung) und Geschäftspartner (Kunde, Lieferant). Sofern diese Effekte eintreten, bietet die Mitgliederpartizipation an den ausgewählten Management-Entscheidungen eine gewisse Gewähr für die Erhaltung der genossenschaftlichen Eigenart (Mitgliederverbundenheit und größere Mitgliedernähe der Genossenschaftsarbeit) sowie für eine Sicherung des Markt- und Fördererfolges des Kooperativs. Werden diesbezügliche Zustandsverbesserungen als wünschenswert eingestuft und stehen in der Genossenschaft keine Partizipationsmuster zur Verfügung, die eine vergleichbare Wirksamkeit versprechen, stellt die Entscheidungswirkung das dominante, vernünftigerweise unverzichtbare Instrument zur Deckimg vorhandenen Beteiligungsbedarfs dar. Mithin ist die oben beschriebene dispositive Partizipation für die betreffende Genossenschaft nützlich, zweckmäßig. In der bisherigen Diskussion wurden zwar mehrere Argumente gegen diese Art von Partizipation der Trägerschaft vorgetragen, jedoch von den Kritikern keine "relevanten" Alternativen benannt. Mit Fug und Recht darf daher unsere These lauten: Bei bestimmten Erwartungen an eine mitgliederbezogene innere Funktionsweise von Genossenschaften, deren Erfüllung als dringlich eingestuft wird, verlangt die Partizipationsidee nach Umsetzimg in die Wirklichkeit. E. Beurteilung der Praktikabilität Falls Entscheidungspartizipation des Mitgliederkreises im Hinblick auf die angeführten potentiellen Wirkungen opportun erscheint, stellt sich die Frage nach der Praktikabilität: Sind die oben entwickelten Partizipationsvorstellungen in eine tatsächlich benutzbare organisatorische Konzeption zu formen und zu konkretem Vollzug zu bringen? Zunächst dürfte immittelbar einleuchten, daß institutionalisierte repräsentative Partizipation der Trägerschaft an bestimmten Entscheidimgsprozessen auf der Managementebene nur dann zur Verwirklichung gelangt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt bzw. erfüllbar sind: 1. Bereitschaft des Managements, die Mitgliedergruppe mittelbar partizipieren zu lassen; 2. Existenz eines adäquaten Fähigkeitspotentials im Mitgliederkreis (Branchenkenntnisse, Analyse- und Problemlösungsvermögen);

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3. Bereitschaft partizipationsfahiger Mitglieder zur Mitwirkung auf der Entscheidungsebene und 4. Effizienz (nicht-negative Nutzen-Kosten-Relation) der im Einzelfall vorgesehenen Organisationsform der Mitgliederpartizipation. Einer Erläuterung bedarf vor allem die erstgenannte Bedingung. Die Mitglieder besitzen keinen gesetzlich gesicherten Anspruch auf Beteiligung an den im Genossenschaftsbetrieb zu treffenden Führungsentscheidungen. Vom Management muß den an der Mitgliederbasis vorhandenen Partizipationswünschen nicht entsprochen werden. Daraus wird der innovativ-experimentelle Charakter der Einführung eines Mitwirkungskonzeptes deutlich, gleichermaßen das Erfordernis, eine ausdrückliche Übereinkunft zwischen den Teilsystemen "Mitgliederkreis" und "Genossenschaftsbetrieb/Management" über die beiderseits gewollte Entscheidungspartizipation zu erzielen. Das Zustandekommen der Mitwirkung hängt entscheidend davon ab, ob das Management bereit ist, die Beseitigung eines erkannten Partizipationsdefizits durch Befriedigung von Partizipationsnachfrage der Trägerschaft herbeizuführen. Partizipationsbereitschaft wird das Management vor allem dann zeigen, wenn mit betriebswirtschaftlichen Vorteilen einer dispositiven Mitgliederbeteiligung zu rechnen ist, durch die das Management eine Unterstützung in seiner Rolle als eigenverantwortlicher, nach optimalem Disponieren strebender Entscheidungsträger erfährt. Im wesentlichen an Entscheidungshilfen und verbesserter Entscheidungsqualität in Richtung auf Markt- und Fördererfolg interessiert, kann den Managern daran gelegen sein, die dispositiven Fähigkeiten einer Kleingruppe von etwa 5-7 fachlich versierten Repräsentanten der Mitgliederbasis in ausgewählten Willensbildungsprozessen zur Entfaltung kommen zu lassen. F. Gestaltungsmuster dispositiver Mitgliederpartizipation Im Mittelpunkt der Praktikabilitätserwägungen steht die Frage nach - den jeweiligen Umständen (Partizipationsbedarf, Fähigkeiten und Bereitschaften der Koalitionspartner zur Entscheidungspartizipation) angemessenen - Formen einer indirekten Beteiligung der Trägerschaft, die mit dem geltenden Genossenschaftsgesetz harmonieren. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand stehen folgende grundsätzliche Gestaltungsmuster der Mitwirkung eines Partizipationsorgans zur Wahl:( 10) 1. Partizipationsmodell "Prüfung von Entscheidungsvorhaben" Diskussion und Beurteilung vom Management getroffener vorläufiger Entscheidungen (Einzelmaßnahmen, Maßnahmenprogramm); Unterrichtung des Managements über etwaige Bedenken, Anregungen für eine zweckmäßige Korrektur des Entscheidungsentwurfs oder andere, "überlegene" Problemlösungen.

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2. Partizipationsmodell "Vorentscheiden" Erstbearbeitung eines noch ungelösten Entscheidungsproblems durch das Partizipationsorgan, Entwicklung von Vorschlägen zur Maßnahmen-Auswahl durch das Management. 3. Partizipationsmodell "Mitentscheiden" Unmittelbare Mitwirkung der Partizipanten am Zustandekommen definitiver Entscheidungen des Managements (z.B. in gemischten Konferenzen, Projektgruppen, Entscheidungskollegien). Die Abstimmungsregelung muß sicherstellen, daß die Entscheidung unter Wahrung des dem Management zugewiesenen Dispositionsfreiraums gefällt wird. 4. Partizipationsmodell "Zustimmung zu Entscheidungen" Bindung des Managements an die Zustimmung des Partizipationsorgans zu grundlegenden Geschäftsführungsentscheidungen von besonderer Tragweite für die Genossenschaft. Aus der Zustimmungsregelung darf sich kein Weisungsrecht gegenüber dem Management ergeben. Diese Grundmodelle verdeutlichen die Spannweite möglicher Ausformungen der Mitgliederpartizipation, die von schwacher Einflußnahme in der entscheidungsvorbereitenden Phase bis zum äußerstenfalls praktizierbaren Beteiligungskonzept reicht. Einer Devise "Je mehr Partizipation, desto besser" zu folgen, wäre verfehlt. In welchem Maße Entscheidungsmitwirkung von Mitgliedervertretern sinnvoll realisiert werden kann, läßt sich nur bezogen auf den konkreten Einzelfall beurteilen. Sind die oben angeführten Voraussetzungen gegeben öder wenigstens erfüllbar, hätte die an mittelbarer Entscheidungspartizipation der Mitgliederbasis interessierte Genossenschaft diejenige Organisationsform der Beteiligung zu wählen, die dem genossenschaftsindividuell "optimalen Partizipationsgrad" entspricht. Es liegt nahe, das für grundsätzlich geeignet erachtete Mitwirkungskonzept mit dem zuständigen Genossenschaftsverband zu beraten. Ferner empfiehlt es sich, das vorgesehene, nötigenfalls bedarfsgemäß zu präzisierende Partizipationsmodell vor seiner endgültigen statutarischen Verankerung (Bezeichnung des Organs, seine Mitgliederzahl, Berufungskriterien, Wahlverfahren, Amtszeit und Abberufung u.a.) und Einführung in einem Probelauf zu testen. G. Schlußbetrachtung Mitgliederpartizipation an Management-Entscheidungsprozessen ist nicht für alle vorkommenden Primärgenossenschaften angebracht. Als Anwendungsorte kommen insonderheit größere Genossenschaftsgebilde in Betracht, die eine starke Mitgliederentfremdung und fortgeschrittene Emanzipation der Führung vom Mitgliederwillen aufweisen. Hier ist die Position des einzelnen Mitgliedes auffallend schwach und im Prinzip nicht anders kann der Einfluß der gesamten Trägerschaft gesehen werden. Über nennenswerte Einwirkungs-

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möglichkeiten verfügen allenfalls ehrenamtliche Vorstandsmitglieder sowie der Aufsichtsrat über die Wahrnehmung von "Zusatzaufgaben", wie Beratung des Vorstandes und statutarisch festgelegte Zustimmung zu bestimmten Beschlüssen. De facto stellt sich die Partizipation auf der Dispositionsebene unterentwickelt dar. Partizipation ist nicht allein betriebswirtschaftlichen und genossenschaftsspezifischen Restriktionen unterworfen, sondern muß sich auch innerhalb des vorgegebenen Rechtsrahmens bewegen. Jedes Beteiligungskonzept findet seine Begrenzung durch das Genossenschaftsgesetz, das dem Vorstand die Geschäftsleitung in eigener Verantwortung überträgt. Einem fakultativen Partizipationsorgan dürfen keine Aufgaben übertragen werden, von denen eine Beschneidung von Kompetenzen ausgeht, die den vorgeschriebenen Organen unentziehbar zustehen. Die oben skizzierten Grundmodelle zur Sicherung des Mitgliedereinflusses auf die Willensbildung im Kooperationsbetrieb berücksichtigen diese juristische Barriere gegen eine etwaige Aushöhlung der Eigenverantwortlichkeit genossenschaftlicher Geschäftsleitung. Durch Entscheidungsmitwirkung von Mitgliedervertretern erfährt die Leitungsautonomie der Genossenschaftsmanager keine Einschränkung, zumal es beim Management liegt, sich innerhalb der gesetzlichen Zulässigkeit nur soweit für die Etablierung von Mitgliederpartizipation einzusetzen, wie es seine Position als selbständiges Leistungsorgan dadurch nicht beeinträchtigt sieht. Partizipationsfähigkeit der Trägerschaft setzt lediglich das Vorhandensein einer kleinen Gruppe qualifizierter Mitglieder voraus. Im übrigen wäre es verfehlt, von der Mitgliederseite Qualifikationen eines Top-Managements zu fordern, ohne anzuerkennen, daß zwischen hoher und absolut fehlender Qualifikation nützliche Fähigkeiten zum Überprüfen von Entscheidungsvorhaben bzw. Auffinden guter Problemlösungen liegen können. Der Entscheidungspartizipation würde jede Verwirklichungs- und Bewährungschance versagt. Bei alledem wäre zu bedenken, daß die Qualifikation der Partizipanten während der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zunimmt und gemeinsames Lernen in Problemlösungsprozessen die Entwicklung personaler Fähigkeitspotentiale fördert. Um die Zahl derjenigen Mitglieder zu erhöhen, die zu effizienter Entscheidungspartizipation beitragen können, sollte schließlich auf Probleme der Betriebs- und Geschäftspolitik für den Kooperationsbetrieb bezogene Schulungsarbeit geleistet werden. Nicht zuletzt eröffnet das Tätigwerden eines fakultativen Partizipationsorgans (z.B. Beirat) die Chance, das zunehmender Kritik ausgesetzte Aktionsfeld des Aufsichtsrates auf das Kernsegment "Überwachung der Geschäftsführung" zurückzuführen. Hat nämlich das interne Kontrollorgan Aufsichtsrat an Management-Entscheiden teil, kann zu Recht bezweifelt werden, daß eine unbefangene Beurteilung bereits realisierter Entscheidungen bezüglich betriebswirtschaftlicher Rationalität und Förderungsadäquanz gewährleistet ist. Das Tätigwerden eines besonderen Partizipationsorgans könnte den Aufsichtsrat von der Last mangelnder Vereinbarkeit von Beratung des Vor-

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standes bzw. mitwirkender Kontrolle einerseits und obligatorischer Prüfungstätigkeit andererseits befreien. Die Verlagerung der Beeinflussung noch laufender Entscheidungsvorgänge auf qualifizierte Partizipanten ermöglicht die wünschenswerte Trennung von Geschäftsführung und Geschäftsführungskontrolle. Wieweit es gelingt, in näherer Zukunft praktische Erfahrungen zu sammeln oder gar der repräsentativen Partizipation an Managemententscheidungen eine breitere Anwendimg zu verschaffen, wird maßgeblich von einer kritischkonstruktiven Auseinandersetzung der Genossenschaftspraxis und der Genossenschaftswissenschaft mit den hier aufgeworfenen Problemen bestimmt. Fußnoten: (1) Vgl. E. Boettcher: Die Genossenschaft in der Marktwirtschaft, Tübingen 1980, S. 99 (2) Vgl. U. Preuss: Die Mitgliederinteressen und das Wachstum der Genossenschaften, Karlsruhe 1969, S. 194 (3) Vgl. H.H. Münkner: Diskussionsbeitrag in: Arbeitsergebnisse der X. Internationalen Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung 1981 in Marburg, Göttingen 1983, S. 122 (4) Vgl. H.-J. Philipp: Das Image von württembergischen Kreditgenossenschaften bei ihren Mitgliedern. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Bd. 25 (1975), S. 286 und 288 f. (5) Vgl. R. Attems: Organisationsentwicklung und Genossenschaften. Vorträge und Aufsätze des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Wien, Heft 10, Wien 1982, S. 20; H.-J. Philipp, a.a.O., S. 284 (6) Vgl. E. Boettcher, a.a.O., S. 49 (7) Vgl. K.G. Bannier u. C. Marelli: Instrumente zur Verbindung von Leistungsfähigkeit und Demokratie in modernen Genossenschaften. In ZfgG Bd. 27 (1977), S. 107 (8) E. Dülfer: Die Genossenschaften zwischen Mitgliederpartizipation, Verbundbildung und Bürokratietendenz - Eine Einführung in das Thema. In: Arbeitsergebnisse der X. Internationalen Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung 1981 in Marburg, a.a.O., S. 30 (9) E.-B. Blümle: Genossenschaftspolitik und Förderungsbilanz. In: ZfgG Bd. 31 (1981), S. 237 (10) Vgl. dazu G. Ringle: Mitgliederaktivierung und Partizipation in modernen Primärgenossenschaften, Göttingen 1983, S. 64 ff.; ders.: Entscheidungspartizipation der Mitglieder in Genossenschaftsunternehmen. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Bd. 34 (1984), S. 221 f.; ders.: Managementmacht versus Mitgliederpartizipation in größeren Genossenschaften. In: Bericht über den XI. Türkischen Genossenschaftskongreß 1984 in Ankara (Referate), Ankara 1984, S. 293 ff.

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3.2.2.3. Innergenossenschaftliche Gruppenaktivität und Kommunikation Günther Ringle A.. Ausprägungen und Bewertungen der Mitgliederpassivität (1) Im Verlauf des Wachstums- und Konzentrationsprozesses in der genossenschaftlich organisierten Wirtschaft kamen Einflüsse zur Geltung, die zwischen dem überwiegenden Teil der Trägerschaft und der einzelnen Primärgenossenschaft eine mehr oder weniger breite Kluft entstehen ließen. Schwindendes Bewußtsein der Mitglieder, Miteigentümer und Mitverantwortliche zu sein, wurde in nachlassender Beteiligung am internen Geschehen der Genossenschaft (Willensbildung, Kontrolle) offenbar. Im Bereich des mitgliedschaftlichen Segmentes (Ürganisationsbeziehung) des komplexen Beziehungsfeldes "Mitglied - Primärgenossenschaft" sind vielerorts folgende Tatbestände zu registrieren: - Fernbleiben eines großen Teils der Mitgliedergesamtheit von der Generalversammlung (1) bzw. periphere Position der nicht in die Vertreterversammlung delegierten Mitglieder, - abnehmende Bereitschaft zur Mitarbeit und Mitverantwortung durch Übernahme eines Ehrenamtes (Vorstand, Aufsichtsrat, Beirat) in der Genossenschaft, - Ausbleiben nennenswerter Beiträge zum Wandel (Vorschläge, Beschwerden, konstruktive Opposition). Insbesondere mit dem Blick auf das erstgenannte, weithin anzutreffende Symptom für Mitgliederpassivität wird vom Phänomen einer Entfremdung der Mitglieder von der Genossenschaft als einem dringlichen Diskussionsgegenstand gesprochen. Vor allem für größere Primärgenossenschaften besteht im Falle eines Tiefstandes an mitgliedschaftlicher Teilhabe die Gefahr des Identitätsverlustes und einer irreversiblen "inneren Auflösung" der Mitgliedergruppe. (2) Eine Verpflichtung des Mitgliedes, aktiv am genossenschaftlichen Leben zu partizipieren, besteht nicht. Der Gesetzgeber garantiert lediglich die Möglichkeit einer persönlichen Mitwirkung und Einflußnahme im Wege kollektiver Willensbildung, überläßt es aber der Initiative eines jeden Mitgliedes, ob und in welchem Umfang es diese Chance tatsächlich wahrnimmt.(2) In dieser auf das Einzelmitglied abstellenden Bewertungsposition bleibt freilich das summarische Passiwerhalten außer acht. Extremer Präsenz- und Aktivitätsschwund in der Trägerschaft gefährdet unabweisbar die genossenschaftliche Eigenart. Eine angemessene Mitgliederbeteiligung an den Innenbelangen des Kooperativs bildet die Grundgewähr für die Erhaltung genossenschaftlicher Basisdemokratie und Selbstverwaltung. Nur gering frequen-

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tierte Mitgliederversammlungen besitzen nicht die Autorität, ihren Willenserklärungen bindende Kraft zu verleihen. Folglich unterdrückt ausgeprägter Mangel an Engagement der Mitgliedergruppe die ein einer managergeleiteten Primärgenossenschaft unerläßliche Basislegitimation der Unternehmenspolitik und wirkt mitgliederorientiertem Führungshandeln entgegen.(3) Solche Erwägungen rechtfertigen die These, daß bei dauerhaft hohem Passivitätsgrad eine Genossenschaft defiguriert und die Glaubwürdigkeit der genossenschaftlichen Organisationsform auf dem Spiel steht. Schließlich kann eine Beurteilung der Mitgliederpassivität nicht deren potentielles Übergreifen auf die Leistungsseite des Systems "Genossenschaft" ignorieren. Treten die oben angeführten Entfremdungserscheinungen deutlich ausgeprägt auf, sind sie mit dem Blick auf eine mögliche Beeinträchtigung der geschäftlichen Beziehungen zur Genossenschaft (z.B. Frequenzeinschränkung, Abwanderung zur Konkurrenz) als bedenklich einzustufen. Von daher kann einer Aktivierung der Mitgliederbindung bestands- und längerfristig erfolgssichernde Bedeutung für die Genossenschaft zukommen. B. Begründung des Managerinteresses a n Mitgliederaktivierung Anstöße zum Abbau evidenter Mitgliederapathie könnten außer dem Vorstand der zuständige Genossenschaftsverband, der Aufsichtsrat oder/und die Kerngruppe aktiver Mitglieder geben. Da die definitive Entscheidung über einzusetzende Aktivierungsmittel der Genossenschaftsleitung obliegt, ist letztlich entscheidend, ob deren Interessenlage für ein beharrliches Bemühen, inaktive, aber aktivierungsfähige Mitglieder zu aktiv gestaltender Mitwirkung zu motivieren, spricht. Zunächst scheint dieserhalb Skepsis angebracht. Das Führen einer mitgliederstarken Genossenschaft stellt sich zumindest vom Standpunkt jener weitgehend autonom agierenden Manager, die ihre Legitimation vorzugsweise im genossenschaftlichen Markterfolg suchen, um so bequemer und konfliktärmer dar, je weniger innergenossenschaftliche Gruppenaktivität zur Entfaltung kommt. Insoweit besteht für sie kein Anlaß, eine Verminderung der Mitgliederpassivität als erklärtes Ziel zu verfolgen. (4) Zudem könnten die zu erwartenden spezifischen Kosten für Aktivierungsmaßnahmen von einem Engagement für Belebung der Mitgliederbasis und Aufwertung des Mitgliederelementes abhalten. Diese Betrachtungsweise übersieht allerdings den Zusammenhang von Sozialund Geschäftsbeziehungen der Mitglieder zur Genossenschaft. Der besonders bei großem Mitgliederkreis konstatierbare Verzicht auf Verwaltungsteilhabe bleibt nur selten ohne negative Ausstrahlungen auf den wirtschaftlichen Verkehr mit der Genossenschaft.(5) Die Leiter von Genossenschaften, in denen eine Koppelung mitgliedschaftlicher Inaktivität mit geringer Frequenz im leistungsmäßigen Bereich zu beobachten ist, werden Mitgliederpassivität kaum als einen nicht weiter beachtenswerten Tatbestand behandeln können.

3. Kapitel:

Organisation

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Sofern ausgedünnte Mitgliederbeziehungen zur Genossenschaft bei einem "Maximierung der Ausnutzung vorhandenen Leistungsbeziehungspotentials" verfolgenden Management Besorgnis auslösen, liegt dies letztlich in der nicht auszuschließenden Gefährdung angestrebter Umsatz-, Rentabilitäts- und Wachstumsziele des Kooperationsbetriebes sowie persönlicher Ziele der Genossenschaftsleiter (z.B. Prestige, Macht) begründet. Was die gewünschte Durchsetzung solcher Ziele betrifft, ist das Management vom Verhalten der Mitglieder als Abnehmer bzw. Lieferanten der genossenschaftlichen Betriebswirtschaft abhängig. Ohne den Rückhalt einer systemadäquaten Mindestintensität mitgliedschaftlicher Teilhabe dürfte es aber im allgemeinen nicht leicht sein, einen starken Leistungsverbund von Mitgliedern und Genossenschaft herzustellen, der den Mitgliedern klar erkennbare Vorteile zu bieten vermag. C. Steigerung der Gruppenaktivität 1. Anreize zu stärkerer Teilnahme an Generalversammlungen a) Verbesserung des Versammlungsklimas Eine für den Genossenschaftssektor generell brauchbare Verfahrensweise zur Mitgliederaktivierung gibt es nicht. Im Einzelfall kommt es entscheidend auf die Initiative, Erfindungsgabe und Fähigkeit der Genossenschaftsleiter an, sich situativ zweckmäßiger Mittel zu bedienen. Als erstrangiger Einsatzbereich für Veränderungsmaßnahmen bietet sich die in vielen Generalversammlungen anzutreffende Schwachstelle "unilaterale Kommunikation" an. Zum häufig praktizierten Stil der Versammlungsführung gehört, Wortmeldungen als Störung des sorgfältig vorbereiteten Programmablaufs empfindend zu unterdrücken. Unduldsamkeit gegenüber Ansätzen zu bilateraler Informationsvermittlung erlegt den Mitgliedern kritikloses Einverständnis mit den entgegengenommenen Informationen auf und stabilisiert deren ohnehin passives Verhalten ebenso wie die Distanz zur hauptamtlichen Genossenschaftsleitung. Demgegenüber verspricht die Schaffung eines der genossenschaftlichen Arteigenheit angemessenen Interaktionsklimas Anreize zu verstärkter Teilnahme und Einflußnahme auf grundsätzliche Angelegenheiten der Genossenschaft. Dazu wäre dringend erforderlich, Versammlungen als das wichtigste Informationsforum für die Organisation zu begreifen (6) und in den erschienenen Mitgliedern willkommene Partner zu sehen. Es entspräche genossenschaftlichem Demokratieverständnis, innerhalb des abgesteckten Zeitrahmens Gelegenheit zu geben, zusätzliche Erläuterungen zu verlangen, Meinungen zu artikulieren oder Forderungen zu stellen. Das Bestreben des Versammlungsleiters sollte dahin gehen, nötigenfalls durch Ermunterung der Teilnehmer zum Fragenstellen, tatsächliches Eingehen auf angesprochene Angelegenheiten und bereitwillige Abgabe gewünsch-

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S. Kapitel:

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ter Informationen eine Einbeziehung der Mitglieder zu bewirken. Gruppenorientierte Atmosphäre regt die Meinungsbildung unter den erschienenen Mitgliedern an, verleiht ihnen das Bewußtsein, am Geschehen in der Genossenschaft beteiligt zu sein, vermittelt der genossenschaftlichen Demokratie neue Impulse und hebt allgemein das Interesse innerhalb der Trägerschaft an der Tätigkeit des Kooperativs. b) Präsentation der Mitgliederorientierung In dieser Richtimg nicht minder bedeutsam sind mitgliederinteressenbezogene Kommunikationsinhalte, von denen eine Belebimg der Generalversammlungen zu erwarten ist. Dazu zählt in erster Linie die konkrete Mitgliederförderung. Der in zahlreichen neueren Publikationen eindringlich erhobenen Forderung basisorientierter Rechenschaftslegung (7) sollte die Genossenschaftsleitung nicht nur durch Ergänzung des periodisch erstellten schriftlichen Lageberichtes um einen Förderbericht entsprechen. Selbstverständlich hätten ebenso in der mündlichen Berichterstattung über die abgelaufene Periode Aussagen über den Fördererfolg in einem angemessenen Verhältnis zur Erörterung des extern erzielten Markterfolges zu stehen. Auch in Genossenschaften, denen eine Mehrförderung ihrer MitgliederKunden gegenüber der Konkurrenz und damit ein plausibler Effektivitätsnachweis bekanntermaßen Mühe bereitet (z.B. Kreditgenossenschaften), sollte das Thema "Förderungsauftrag und seine Erfüllung" nicht ausgeklammert bleiben. Für ein Fördererlebnis der Mitglieder ist nicht unbedingt nur die Anzahl vorzeigbarer Förderkomponenten maßgebend. Nicht zuletzt wissen viele Mitglieder auch ausdauerndes Förderbemühen des Managements zu schätzen. In allen Genossenschaftssparten sollte das Mitgliederforum dazu genutzt werden, die Genossenschaft als Instrument zur Mitgliederförderung vorzustellen, indem der Förderbezug geschäftspolitischer Entscheidungen transparent gemacht (Förderplan) und Rechenschaft über die effektiven Förderleistungen als kontrollierbares Planerfüllungs-Ergebnis gegeben wird (Förderbericht)(8). Zur Verstärkung der Mitgliederbezogenheit mündlicher Kommunikation erschiene es ferner angeraten, die wünschenswerte Verzahnung von Mitgliedschaft, aktiver Mitarbeit in der Genossenschaft und wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit dem gemeinsamen Geschäftsbetrieb zu verdeutlichen. Insgesamt könnten dadurch manchem Versammlungsteilnehmer die Fähigkeit zu neuen Einsichten in die Kooperationsbelange erschlossen, zur Aktivierung seines mitgliedschaftlichen Engagements verholfen und die "Identifikation als Mitglied in einer betriebswirtschaftlich geführten Organisation"(9) erleichtert werden.

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c) Förderung der Artikulation von Erwartungen an die Genossenschaft Grundsätzlich sollte den Mitgliedern im Gesamtrahmen von Generalversammlungen ausreichend Gelegenheit zum freien Meinungsaustausch untereinander über die aktuelle und geplante Geschäftstätigkeit der Genossenschaft, ferner zur Äußerung ihrer Bedürfnisse, Vorteilserwartungen und Forderungen an das Leistungsprogramm der Genossenschaft geboten werden. Diese Kommunikation fördert die Mitglieder-Anteilnahme an allen Angelegenheiten der Kooperation. Zwecks Verbesserung der Kommunikationsbedingungen empfiehlt sich für mitgliederstärkere Genossenschaften, vor Abwicklung oder auch nach Abschluß des obligatorischen Programms - Feststellung des Jahresabschlusses, Entlastung der Verwaltungsorgane u.a. - Gesprächskreise (Arbeitsgruppen) zu bilden, in denen die Mitgliederwirtschaften betreffende Themen präsentiert und zur Diskussion gestellt werden. Einen in der Wirkimg ähnlichen Weg zur Verbesserung der Versammlungsgestaltung mit ablauforganisatorischen Mitteln schlagen Blümle / Purtschert vor.( 10) Danach könnte für interessierte Mitglieder eine Vorversammlung einberufen werden. Einzelne mitgliederbezogene Themen würden vordiskutiert. Einem Gruppensprecher fiele es zu, wichtige Überlegungen und erarbeitete Vorschläge in der eigentlichen Generalversammlung vorzubringen. Die im Normalfall für eine ausführliche Problembehandlung und Gestaltung der Genossenschaftsarbeit wenig tauglichen Mitgliederzusammenkünfte werden auch derartige organisatorische Ergänzungen (Gesprächskreis, Vorversammlung) für einen regen Meinungs- und Erfahrungsaustausch geöffnet, mithin "in bestimmten Grenzen von durch Monologe gekennzeichneten Pflichtveranstaltungen in Dialogveranstaltungen zwischen Mitgliedern und Leitung umgeformt."( 11) Zudem bieten sie dem Management Gelegenheit, seine für die Gestaltung der künftigen Geschäftspolitik relevante Kenntnis der Leistungsbedarfe im Mitgliederkreis zu aktualisieren. Nach erfolgreichem Probelauf sollten solche Kommunikationsgelegenheiten zu einem die Attraktivität von Generalversammlungen steigernden festen Bestandteil werden. 2. Anreize zur Vermeidung von Desintegrationseffekten der Vertreterversammlung a) Segmentierung der großen Mitgliedergruppe Erreichen Primärgenossenschaften, gemessen an ihrer Mitgliederzahl, eine bestimmte Größenordnung, so erweist sich die Substitution einer weder überschaubaren noch funktionsfähigen Generalversammlung durch eine möglichst repräsentativ zu konstituierende "mittelbare Demokratie" als unumgänglich. (12) Die Vertreterversammlung erlaubt neben intensiven

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persönlichen Kontakten eine Berücksichtigung heterogener Interessen von Mitgliederteilgruppen. Gerade durch seinen Konzentrationseffekt kann dieses Organ der bei Groß- und Regionalgenossenschaften bestehenden Gefahr der Entdemokratisierung entgegenwirken. Andererseits tritt als schwerwiegende Folge des Verzichts auf direkte Demokratie die Desintegration eines Teils der an "partizipativer Verwaltung" der Genossenschaft durchaus interessierten Mitglieder und im ganzen eine Isolation der großen Mitgliedermasse ein, falls eine Gegensteuerung unterbleibt. Deshalb erscheint dringend geboten, zugleich mit der Ablösung der Generalversammlung die organisatorischen Voraussetzungen für eine ersatzweise Teilhabe der nicht in die Vertreterversammlung delegierten einfachen Mitglieder am genossenschaftlichen Leben zu schaffen, um von vornherein einer allmählichen Auszehrung des Mitgliedschaftsverhältnisses entgegenzuwirken. Mittel hierzu ist die bereits von vielen Genossenschaften, doch längst nicht an allen Bedarfsorten eingeführte räumliche oder/und fachliche Auffächerung des Mitgliederkreises. (13) Vor allem die durch Fusion örtlicher Genossenschaften entstandenen Großgebilde mit geographisch weit gestreutem und zum Teil heterogen strukturiertem Mitgliederbestand bedürfen einer inneren Differenzierung durch Bildung überschaubarer, interaktionsfähiger Bezirksgruppen bzw. Fachgruppen. Durch Untergliederung kann die große Mitgliedergruppe eine Stabilisierung erfahrend 14) b) Integrationsfunktion dezentraler Versammlungen Für jedes dieser Mitgliederkreis-Subsysteme sind anstelle der zuvor zentralen Generalversammlung in regelmäßigen Abständen Zusammenkünfte zu organisieren. Ähnlich wie bei Gesprächskreisen oder Vorversammlungen ermöglichen diese formalen Kommunikationswege den Mitgliedern, mit ihren Wirtschaften verbundene Probleme und Leistungsbedürfnisse zu artikulieren. Im weiteren kann im persönlichen Gegenübertreten der Sinn genossenschaftlicher Arbeit überzeugend klargemacht und an die indirekte Mitverwaltung der Genossenschaft herangeführt werden.(15) Nicht zuletzt erleichtert dieser Kommunikationsrahmen den Vertretern, ihren mitgliederbetreuenden Aufgaben nachzukommen. Von Mitgliedern, die sich in einer kohäsiven dezentralen Basisgruppe angesprochen und verstanden fühlen, ist eine Identifikation mit der gesamten Genossenschaft zu erwarten. Um einem Eigenleben der einzelnen Teilgruppen vorzubeugen, und zudem die günstige Gelegenheit zu nutzen, im Dialog mit den Mitgliedern deren Anspruchsniveau und Anregungen zu erfassen, sollten Vertreter der Genossenschaftsleitung regelmäßig an den Versammlungen teilnehmen. Aus allen Teilgruppen zusammengezogen und koordiniert bieten die erhobenen Informationen eine wertvolle Hilfe bei der Erstellung eines übergreifenden, auf die gesamte Trägerschaft abgestimmten, das Interesse der Mitglieder am genossenschaftlichen Geschehen stärkenden Förderplanes.(16)

S. Kapitel: Organisation

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c) Bindegliedfunktion von Kontaktpersonen Den von den jeweiligen Bezirks- oder Fachgruppen gewählten Gruppensprechern, bei denen es sich häufig um Vertreter, Beirats- oder Aufsichtsratmitglieder handeln wird, fällt die Rolle zu, in den Zeiträumen zwischen den periodischen Zusammenkünften eine Kommunikationsbrücke zur Genossenschaftsleitung zu bilden. Außerdem können diese - eventuell zu einer Organisationseinheit (z.B. Sprecherausschuß) zusammengefaßten - "Bindeglieder" Bemühungen des Managements, über die organisatorischen Minimalerfordernisse hinaus einen engeren Mitgliederkontakt zu pflegen und den Konsens mit der Basis zu suchen, wirksam unterstützen. D. Aktivierung und Komplettierung genossenschaftsinterner Kommunikation 1. Förderung des Informationstransfers zur Genossenschaft Die bisherigen, auf Mitgliederversammlungen bezogenen Empfehlungen für Bemühungen, das Mitgliederelement in Primärgenossenschaften im Wege der Kontaktorganisation zu aktivieren, zielen in ihrem Kern auf einen Abbau von Mängeln der genossenschaftsinternen Kommunikation, wie sie Blümle / Purtschert aufgezeigt haben: Unilaterale Informationsabgabe der Genossenschaft an die Mitglieder statt bilaterale Kommunikation zwischen Mitglied und Genossenschaft, ferner ein starkes Übergewicht schriftlicher unilateraler Informationen gegenüber mündlicher bilateraler Kommunikation.(17) Eine Beseitiglang dieser Schwachpunkte bedarf jedoch noch weiterreichender Bemühungen um Verbesserung der Kommunikation zwischen Mitgliederkreis und genossenschaftlichem Geschäftsbetrieb. Mit dem Blick auf die enormen Anstrengungen erwerbswirtschaftlich orientierter Unternehmen, fortlaufend ihre Beschaffungs- und Absatzmärkte zu beobachten, müßte es verwundern, wenn sich das genossenschaftliche Management auf eine pro Geschäftsperiode nur geringe Zahl zeitlich eng begrenzter Gelegenheiten zum Erkennen von Kauf-/Lieferwünschen ihrer MitgliederKunden und ansonsten weitgehend auf Mutmaßungen über deren Förderansprüche verlassen wollte. Mitgliederbezogene Informationsgewinnung stellt eine unablässig wahrzunehmende Aufgabe dar. Die auf dem Kommunikationsweg "Mitgliederversammlungen" erhältlichen diskontinuierlichen Informationsstöße reichen dazu allerdings nicht aus. Um verbleibende zeitliche, quantitative und qualitative Kommunikationslücken zu beseitigen, wäre einer dem Management zugeordneten Organisationseinheit (Stabsstelle, Abteilung) die Daueraufgabe zuzuweisen, einen kontinuierlichen Informationsstrom zwischen Mitgliederseite und Genossenschaftsbetrieb zu organisieren. Die Mitglieder sollen durch gezielte Ansprache des Zentrums für genossenschaftsinterne Kommunikation dazu stimuliert werden, Leistimgsbedürfnisse und Fördererwartungen im Geschäftsverkehr mit der Genossenschaft ständig

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neu kundzutun, die Gründe etwaige Unzufriedenheit mit den wahrgenommenen Kooperationseffekten offen zu nennen sowie neue Ideen und Verbesserungsvorschläge mitzuteilen. Mit der Übermittlung dieser Kommunikationsobjekte würde die Trägerschaft einen signifikanten Beitrag zur Komplettierung der Informationsgrundlage für mitgliedergerichtete Management-Entscheidungen leisten und die Art der Förderimg beeinflussen. Welche Kommunikationswege stehen den Mitgliedern hierfür zur Verfügimg? Grundsätzlich kann jedes Mitglied als Informationslieferant in individuellen Kontakt mit dem Kooperationsbetrieb treten. Diesbezügliche Erfahrungen aus der Genossenschaftspraxis lehren jedoch, daß ein befriedigender Informationstransfer erst zustandekommt, wenn die zur Genossenschaft fließende Kommunikation nicht allein der Mitgliederinitiative überlassen bleibt. Vielmehr erscheint es erforderlich, den Mitgliedern besondere Gelegenheiten zur Informationsabgabe zu bieten. Beispiele hierfür sind - Besuche beratender Genossenschaftsmitarbeiter in den Mitgliederwirtschaften, - Informationstagungen, - Umfragen im Mitgliederkreis, - Ideenwettbewerbe und - ein ständiges Mitgliedervorschlagswesen. Darüber hinaus bestehen Möglichkeiten zu informeller Informationsübertragung, etwa in zwanglosen persönlichen Gesprächen am Rande von Mitgliederversammlungen oder anderen Veranstaltungen mit informatorischem, werbendem geschäftlichem oder/und unterhaltendem Charakter. Gleiches gilt für Empfänge zu Jubiläen von Vorstands- und Aufsichtsratmitgliedern oder anläßlich von Ehrungen langjähriger Mitglieder. 2. Verbesserung der Informationsversorgung von Mitgliederwirtschaften In Abhängigkeit von der Härte externen Konkurrenzkampfes kann es für die Genossenschaft von wesenserhaltender, wenn nicht gar von existentieller Bedeutung sein, alle formalen und informellen Kanäle zu nutzen, um die Mitgliederinteressen zu erkunden und deren Kenntnis in förderungswirksame Geschäftspolitik umzusetzen. Mit hinreichender Mitgliedermotivation zur Informationsabgabe an den Kooperationsbetrieb ist allerdings erst bei Vorhandensein eines Systems innergenossenschaftlicher Kommunikationssymmetrie zu rechnen, das vorsieht, in gegenläufiger Richtung die Mitglieder durch - einen ständigen Informationsdienst (Genossenschaftszeitimg, Rundschreiben, Mitteilungsblätter, periodische Tätigkeitsberichte), - Schulung und Fortbildung (Fachvorträge, Seminare, Kurse u.a.) meist unter der Trägerschaft des Verbandes und - Einzelinformationen (Beantwortung von Anfragen, spezielle Auskünfte, Beratung)

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über Ziele, Geschäftsgang und Leistungsprogramm der Genossenschaft zu unterrichten sowie regelmäßig mit kooperationsrelevanten Daten über Märkte und Technologien zu versorgen, die das Niveau ihrer dispositiven Fähigkeiten anheben und zu Problemlösungen in den Mitgliederbetrieben führen. Insoweit wird mit einer systematischen Verbesserung bzw. völligen Neugestaltung des internen Kommunikationssektors angestrebt, den Mitgliedern zu ermöglichen, ihren Bedarf an Wissen über die Genossenschaft als Institution und über wichtige Umfeldfaktoren zu decken. Zusammen mit stärkerer Teilnahme am Genossenschaftsleben soll Informiertheit der Mitglieder in der Beziehung zur Genossenschaft eine Abschwächung eingetretener mitgliedschaftlicher Entfremdung und engere wirtschaftliche Zusammenarbeit herbeiführen. Die Übertragung der dem Kooperationsbetrieb aus der gewollten wechselseitigen Vermittlung von Anregungs-, Aufklärungs- und Entscheidungsimpulsen erwachsenden Aufgaben auf eine interne Informationszentrale wird um so dringlicher, je mehr die Genossenschaft in Größe und Komplexität hineinwächst. E. Fazit In letzter Zeit wurde von Wissenschaftlern und Praktikern wiederholt gefordert, die Mitgliederbeziehung zur Genossenschaft müsse aktiviert und das genossenschaftliche Innenverhältnis restauriert werden - Mitgliederaktivierung sei notwendig und möglich.( 18) Für weite Bereiche des Genossenschaftssektors zumindest in den westeuropäischen Ländern ist die Erneuerung des mitgliedschaftlichen Elementes ein hochaktuelles Anliegen. Auf die erörterten Bausteine für ein Aktivierungsprogramm lenkt letztlich die Erkenntnis, daß bewußte Hinwendung zu innergenossenschaftlicher Gruppenaktivität die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des Kooperationsgebildes begünstigt. Mitgliederpassivität ist keineswegs eine unvermeidliche Konsequenz des Wachstums- und Ökonomisierungsprozesses von Genossenschaften. Die internen Bindekräfte müssen bei großer Mitgliederzahl nicht zwingend schwächer sein als bei kleinerem Mitgliederkreis. Einem Absterben des mitgliedschaftlichen Engagements und der Bipolarität zwischen Basis und Führung kann gezielt entgegengewirkt werden. Dazu bedarf es eines intensiven Bemühens der Genossenschaftsleitung um Aufwertung des Mitgliederelementes, aber auch einer ausreichenden latenten Bereitschaft in der Trägerschaft zur Teilnahme am Genossenschaftsgeschehen und zu intensiverer Kommunikation. Anderenfalls haben Versuche, den Grad der mitgliedschaftlichen Mitwirkung zu erhöhen, nur Alibifunktion bzw. verlaufen unweigerlich im Sande.(19) Das im Mitgliederkreis vorhandene Potential für eine breitere Aktivierung läßt sich nicht exakt abschätzen. Bekannt ist nur das allgemeine Faktum, daß jedes größere Sozialgebilde eine amorphe Teilgruppe passiver bzw. entfremdeter Mitglieder einschließt, die sich selbst bei beharrlichem Bemühen des

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Managements nicht aktivieren lassen. Insofern können die erörterten Maßnahmen zwar Anreize, aber keine Garantie für eine angestrebte Aktivierung des Mitgliederelementes und Verbesserung der Qualität genossenschaftlicher Demokratie geben. Fußnoten: (1) Die Teilnahmequoten für Generalversammlungen von - nach der Mitgliederzahl - mittleren und größeren Genossenschaften liegen nach Aussagen von Genossenschaftsleitern im Bereich 10 - 12 % (2) Vgl. dazu Th. Hennig: Die Großgenossenschaften und das Genossenschaftsrecht im Sinne der Regelung des Gesetzes über die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Diss. Hamburg 1971, S. 103 (3) Vgl. D.v. Schmädel: Führung im Interessenverband - Probleme der innerverbandlichen Willensbildung, Berlin 1968, S. 62; W. Jäger: Genossenschaftsdemokratie und Prüfungsverband - Zur Frage der Funktion und Unabhängigkeit der Geschäftsführungsprüfung. In: ZfgG Bd. 35 (1985), S. 22 f. Bleibt die Bekundung einer breiteren Akzeptanz aus, kann sich dies zerstörend auf beim Management (noch) vorhandene Motivation zum Streben nach optimaler Mitgliederförderung auswirken. (4) Dabei mögen die bloße Möglichkeit einer Abberufung durch eine ansonsten teilnahmslose Mitgliederversammlung im Falle erheblicher Unzufriedenheit mit der Geschäftsführung sowie eventuell statuierte Zustimmungserfordernisse bzw. Einspruchsrechte, die der Trägerschaft eine Mitwirkung an bestimmten Geschäften sichern, schon als "hinlänglich disziplinierend" empfunden werden. Vgl. dazu R. Neumann: Rechtliche Möglichkeiten der Mitglieder zur Teilnahme an der Willensbildung in der eingetragenen Genossenschaft, Tübingen 1982, S. 74 und 147 (5) Auf diesen Zusammenhang weist Draheim hin. Vgl. G. Draheim: Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, 2. Aufl., Göttingen 1955, S. 42 (6) Vgl. R. Attems: Organisationsentwicklung und Genossenschaften. Vorträge und Aufsätze des Forschungsinstituts Genossenschaftswesen an der Universität Wien, Heft 10, Wien 1982, S. 21 (7) Vgl. dazu E. Boettcher: Die Problematik der Operationalisierung des Förderungsauftrages in Genossenschaften: Förderplan und Förderbericht. In: ZfgG Bd. 29 (1979), S. 198 ff., ferner die in Bd. 31 (1981) der ZfgG erschienenen Beiträge zu diesem Thema (8) Vgl. F.O. Freitag: Zum Mitgliedermanagement in Genossenschaften. In: ZfgG Bd. 31 (1981), S. 296 (9) R. Attems, a.a.O., S. 24 (10) Vgl. E.-B. Blümle u. R. Purtschert: Förderungsauftrag, Partizipation und intragenossenschaftliche Kommunikation. In: ZfgG Bd. 33 (1983), S 131 (11) Vgl. dies., a.a.O., S 131 (12) Nach deutschem Genossenschaftsrecht kann bei mehr als 1500 Mitgliedern das Statut bestimmen, daß die Mitgliederversammlung aus Vertretern besteht. Beträgt

3. Kapitel:

(13)

(14) (15) (16) (17) (18)

(19)

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die Mitgliederzahl mehr als 3000, ist die - aus mindestens 50 Mitgliedern bestehende - Vertreterversammlung obligatorisch. Zur räumlichen Strukturierung vgl. E.-B. Blümle: Wachstum und Willensbildung der Primärgenossenschaften. In: ZfgG Bd. 14 (1964), S. 462; R. Henzler: Der genossenschaftliche Grundauftrag: Förderung der Mitglieder, Frankfurt a.M. 1970, S. 102 Vgl. E. Boettcher: Kooperation und Demokratie in der Wirtschaft, Tübingen 1974, S. 122 Vgl. R. Henzler, a.a.O., S. 103 Vgl. D. Gebert: Genossenschaftsdemokratie aus organisationspsychologischer Sicht. In: ZfgG Bd. 33 (1983), S. 179 Vgl. E.-B. Blümle u. R. Purtschert, a.a.O., S. 129 Vgl. D. Hill: Mitgliederaktivierung notwendig und möglich. Gedanken zu Teilaspekten des Förderungsauftrages aus der Sicht eines Genossenschaftlers. In: G. Ringle, Mitgliederaktivierung und Partizipation in modernen Primärgenossenschaften (mit einer Stellungnahme von D. Hill), Gottingen 1983, S. 102 ff.; dgl. Tagungsbericht der IX. Internationalen Genossenschaftswissenschaftlichen Tagung 1978 in Fribourg/Schweiz, Göttingen 1979, S. 85, 117, 119 und 140 Vgl. E.-B. Blümle: Das Problem der Mitgliederpassivität: In: Verbandsmanagement, Mitteilungen der Forschungsstelle für Verbandspolitik an der Universität Freiburg/Schweiz, 2. Jg. (1977), Heft 1, S. 19

4.

Die Stellung von Genossenschaften in verschiedenen Wirtschaftsordnungen

4.1.

Die Beziehungen der Genossenschaften zum Staat

4.1.1.

In der Marktwirtschaft Walter Hamm

A. Positive Wechselwirkungen zwischen Marktwirtschaft und Genossenschaften Die Verfassung, die Gesetze sowie begünstigende oder entwicklungshemmende staatliche Maßnahmen (z.B. Besteuerung, Subventionen) bestimmen wesentlich darüber mit, welche Entfaltungsmöglichkeiten die Genossenschaften in einem Land haben. In einer freiheitlich-demokratischen Ordnung, wie sie für die westlichen Industrieländer typisch ist, besteht regelmäßig auch im Bereich der Wirtschaft weitgehende Freiheit für die Bürger, sich nach ihren Wünschen beruflich zu betätigen, ihre eigenen Ziele mit selbstgewählten Strategien zu verfolgen, Eigentum an Produktionsmitteln zu erwerben und zwischen selbständiger oder unselbständiger Arbeit zu wählen. Staatliche Regelungen legen fest, welche Bestimmungen dabei zu beachten sind. Die staatlichen Vorschriften sollen sicherstellen, daß die Bürger - ihren eigenen egoistischen Zielen folgend - unbewußt und unbeabsichtigt zugleich einen Beitrag zur Erreichung gesamtwirtschaftlicher Ziele leisten (z.B. hoher Beschäftigungsgrad, bessere und billigere Marktversorgung, steigender Lebensstandard, sparsamer Einsatz knapper Ressourcen). Der wirksamste Motor menschlichen Handelns, der Egoismus, wird auf diese Weise in den Dienst des allgemeinen Interesses gestellt. Jahrhundertelange Erfahrungen und Experimente mit verschiedenen gesamtwirtschaftlichen Planungs- und Steuerungssystemen haben ergeben, daß die dezentrale Planung und Lenkung des Wirtschaftsprozesses durch sehr viele am persönlichen Vorteil orientierte Wirtschaftssubjekte unter bestimmten Bedingungen die mit Abstand besten Ergebnisse zeitigen. Vor allem müssen durch staatliche Rahmenregelungen wirksame Anreize für einzelwirtschaftliches Erfolgsstreben, spürbare Sanktionen bei Verstößen gegen gesamtwirtschaftlich erwünschtes Handeln und Vorkehrungen für eine reibungslose Koordination des einzelwirtschaftlichen Handelns geschaffen werden. Frei auf Märkten sich bildende Preise und die Sicherung des Wettbewerbs zwischen den Konkurrenten gegen Beschränkungen jeglicher Art (z.B. Preis- oder Gebietskartelle) sind die wirksamste Methode zur Erreichung der erwähnten gesamtwirtschaftlichen Ziele.

4. Kapitel:

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Diese üblicherweise als "marktwirtschaftlich" bezeichnete Ordnung kommt der Entfaltung von Genossenschaften in mehrfacher Hinsicht entgegen: Erstens steht nichts Initiativen zur Gründung von Genossenschaften entgegen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Genossenschaften bedürfen keiner zusätzlichen staatlichen Genehmigungen. Die Freiheit der Entscheidungen bleibt bei allen Beteiligten regelmäßig unangetastet. Zweitens bieten Genossenschaften die Chance, zum Wohle ihrer Mitglieder den Wettbewerb dort zu verstärken, wo die Konkurrenz beschränkt ist und zu unbefriedigenden Ergebnissen führt. Fast alle frühen Genossenschaftsgründungen (von den ländlichen Darlehenskassenvereinen Raiffeisens und den Volksbanken Schulze-Delitzschs bis zu den Bezugs- und Absatzgenossenschaften, den Konsum- und den Wohnungsbaugenossenschaften) gehen auf solche Motive zurück. Drittens ermöglichen Genossenschaften kleinen und mittleren Unternehmen auch dort die erfolgreiche Behauptung im Wettbewerb mit Großunternehmen, wo der einzelne kleine Unternehmer - allein auf sich gestellt - hoffnungslos unterlegen wäre. Die aus sozialen und politischen Gründen gewünschte breite Streuung des Produktionsmitteleigentums wird gefördert. Die wettbewerbliche Struktur vieler Märkte wird zugleich durch genossenschaftliche Aktivitäten in gesamtwirtschaftlich erwünschter Weise verbessert. Es besteht daher eine positive Wechselwirkung zwischen einer marktwirtschaftlichen Ordnung und der Tätigkeit von Genossenschaften: Die Marktwirtschaft bietet ein für Genossenschaften günstiges Klima, und die Genossenschaften liefern unter noch darzustellenden Voraussetzungen wichtige Anstöße, die das Funktionieren der Marktwirtschaft verbessern. B. Gleichbehandlungsgrundsatz und Staatshilfe In den westlichen Industrieländern kann grundsätzlich von einer neutralen oder sogar genossenschaftsfreundlichen Einstellung staatlicher Organe gegenüber den Genossenschaften ausgegangen werden. Im allgemeinen gilt das Prinzip, daß die Genossenschaften gegenüber anderen Konkurrenten nicht begünstigt, aber auch nicht benachteiligt werden. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz ist die Voraussetzung für einen unverzerrten (fairen) Wettbewerb zwischen allen Marktteilnehmern. Bei allen regulierenden wirtschaftsrechtlichen Maßnahmen wird üblicherweise auf die Nichtdiskriminierung aller Beteiligten sorgfältig geachtet. Damit wird zugleich die wichtige Frage der Staatshilfe für Genossenschaften berührt. Die deutschen Genossenschaftspioniere Schulze-Delitzsch und Raiffeisen legten entscheidenden Wert auf die genossenschaftliche Selbsthilfe und lehnten Staatshilfe vor allem aus zwei Gründen ab: Staatshilfe ist erstens nicht ohne Staatseinfluß und staatliche Mitspracherechte zu haben. Dies bedeutet stets Abstriche von den Zielen und Wünschen der Mitglieder. Zweitens läßt fremde Hilfe die eigenen Anstrengungen erlahmen. Der Zwang, die

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knappen Mittel effizient einzusetzen, wird beseitigt. Die Mitglieder verlassen sich darauf, daß im Notfall der Steuerzahler einspringen wird. Ob sich diese Hoffnungen erfüllen, ist freilich offen. Jedenfalls macht sich eine die Privatinitiative und die individuelle Einsatzbereitschaft lähmende Subventionsmentalität breit. Zwar gibt es eine ganze Reihe von Landesverfassungen, in denen die Förderungswürdigkeit von Genossenschaften ausdrücklich verankert ist. Meist handelt es sich indessen nur um eine ideelle - nicht materielle - Hilfe. In der Bundesrepublik Deutschland wird sorgfaltig darauf geachtet, daß die Genossenschaften weder im Gesellschaftsrecht noch im Bereich der Bankenaufsicht, weder im Wettbewerbs- noch im Steuerrecht privilegiert sind. Nur ausnahmsweise ist dieser Kurs verlassen worden - am deutlichsten bei den deutschen Wohnungsgenossenschaften, denen zeitweise Aufgaben der staatlichen Wohnungspolitik übertragen worden sind und die dafür steuerliche Privilegien (durch das Gemeinnützigkeitsrecht) erhielten. Dieser Trend, für die Erfüllung staatlicher Aufgaben Genossenschaften einzuschalten ("Offizialisierung"), läßt sich besonders stark bei italienischen Genossenschaften verfolgen. C. Wettbewerbsbeschränkungen durch Genossenschaften? Genossenschaften können ihre Mitglieder in unterschiedlicher Form fördern, und zwar entweder durch Effizienzsteigerung, durch Eröffnung günstigerer Bezugsmöglichkeiten, durch Erschließung besserer Absatzmärkte, durch Beratung und durch gemeinschaftliche Produktion von Leistungen zu niedrigeren Kosten als in den Mitgliederbetrieben; oder durch wettbewerbsbeschränkende Praktiken und dadurch erzielte niedrige Beschaffungskosten oder hohe Verkaufserlöse. Wie bei Unternehmen in anderer Rechtsform sind wettbewerbsbeschränkende Praktiken gesamtwirtschaftlich unerwünscht und deshalb zu unterbinden. Auch Genossenschaften müssen daher, vor allem dann, wenn sie eine marktbeherrschende Stellung innehaben, einer kartellrechtlichen Aufsicht unterliegen. Die Tatsache, daß von Genossenschaften marktwirtschaftlich positiv zu wertende Wirkungen ausgehen, macht eine kartellrechtliche Mißbrauchsaufsicht nicht überflüssig. Einige Beispiele sollen diese These belegen. Die Mitglieder sollten grundsätzlich frei sein, ob und wie eng sie mit ihrem Genossenschaftsbetrieb zusammenarbeiten. Wahlmöglichkeiten dürfen nicht eingeengt werden. Nur so bleibt der Wettbewerb mit anderen Leistungsanbietern erhalten. Andernfalls würde der Druck auf den Genossenschaftsbetrieb, mindestens ebenso gute und billige Leistungen anzubieten wie Konkurrenten, beseitigt. Dieser Grundsatz gilt auch für das Verhältnis zwischen den Primärgenossenschaften und den Zentralgenossenschaften der Verbundunternehmen. Die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit darf vertraglich durch Satzungen oder durch die Art der Preisgestaltung nicht eingeschränkt werden.

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Neben Bezugsbindungen für Mitglieder wären auch Beschränkungen des genossenschaftsinternen Wettbewerbs zu beanstanden, etwa in Form des Platz- oder Gebietsschutzes. Platzschutz läge dann vor, wenn eine Einkaufsgenossenschaft sich weigerte, neue Mitglieder aufzunehmen oder zu beliefern, die ihren Standort im Einzugsgebiet eines anderen Mitglieds haben, oder wenn eine Einkaufsgenossenschaft ihren Mitgliedern untersagte, weitere Verkaufsstellen in unmittelbarer Nähe des Betriebes eines anderen Mitglieds zu eröffnen. Der Wettbewerb zwischen den Mitgliedern einer Genossenschaft darf nicht durch die Geschäftsleitung der Genossenschaft oder durch die Satzung ausgeschlossen werden. Unzulässig wäre es ferner, wenn eine marktbeherrschende Einkaufsgenossenschaft ihre Lieferanten verpflichtete, die ihr eingeräumten Sonderkonditionen keinem Wettbewerber zuzugestehen. Eine erzwungene Diskriminierung anderer Konkurrenten wäre eine eindeutige Verhaltensbindung und Wettbewerbsbeschränkung. Wenn Kartellbehörden solche und andere wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen unterbinden, ist dies zu begrüßen. Den Genossenschaften stehen genügend andere Verhaltensweisen zur Verfügung, mit denen sie ihre Mitglieder fördern und zugleich für eine bessere und billigere Marktversorgung eintreten können. Staatliche Ziele ließen sich nicht erreichen, wenn einzelne Genossenschaften gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstießen. D. Sind Genossenschaften Kartelle? Genossenschaften gelten weithin als Vereinigungen von Unternehmen, die den Wettbewerb beschränken. Diese Ansicht wird vor allem damit begründet, daß z.B. Einkaufsgenossenschaften die Nachfrage ihrer Mitglieder bündelten und daß es auf diese Weise zur Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Genossenschaftsmitgliedern auf den Beschaffungsmärkten käme. Außerdem bestehe die Gefahr des Mißbrauchs von Nachfragemacht. Höchstrichterliche Urteile in der Bundesrepublik Deutschland kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, daß jegliche förderwirtschaftliche Einkaufskonzentration unabhängig vom Marktanteil der Genossenschaft per se als Kartell anzusehen ist. Diese Ansicht beruht auf einer merkwürdigen Verkennung der Vorgänge, die zur genossenschaftlichen Kooperation zu führen pflegen. Kleine Unternehmer, die sich zu Genossenschaften zusammenschließen, haben üblicherweise bis zur Gründung der Genossenschaft nicht immittelbar bei den Herstellern der benötigten Produkte eingekauft, sondern sie haben sich des Großhandels bedient. Einkaufsgenossenschaften ersetzen meist nicht den Direktvertrieb der Produzenten, sondern sie treten in den Wettbewerb mit dem traditionellen Großhandel ein, der seinerseits schon die Nachfrage gebündelt hat. Einkaufsgenossenschaften sind für die Produzenten neben dem traditionellen

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Genossenschaften

Großhandel ein zusätzlicher Nachfrager. Die Genossenschaften müssen sich im Wettbewerb mit anderen Großhandelsunternehmen durchsetzen. Es kommt also im Regelfall nicht zur Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den Nachfragern, sondern im Gegenteil (durch den Eintritt eines neuen Anbieters von Großhandelsleistungen) zur Intensivierung des Wettbewerbs. Ob es im Verlauf wettbewerblicher Prozesse zum Eintritt weiterer Anbieter oder zur Verdrängung von Großhandelsunternehmen kommen wird, läßt sich nicht prognostizieren, hat aber mit der Beurteilung des Markteintrittes von Einkaufsgenossenschaften auch nichts zu tun. Wenn eine Genossenschaft kraft überlegener Leistung stark wächst und Konkurrenten aufgeben müssen, dann hat dies nichts mit Beschränkungen des Wettbewerbs zu tun. Internes Wachstum eines Unternehmens ist ein Leistungsbeweis. Überzeugende kartellrechtliche Einwände hiergegen gibt es nicht, auch dann nicht, wenn überlegene Leistung und internes Wachstum zu einer marktbeherrschenden Stellung führen. Kartelle werden zu dem Zweck und mit der Folge gebildet, den Wettbewerb unter den Mitgliedern des Kartells zu beschränken. Diese Sachlage ist bei den Einkaufsgenossenschaften regelmäßig weder auf der Beschaffungs- noch auf der Absatzseite gegeben. Wenn Einzelhändler oder Handwerker statt über den Großhandel bei ihrer Genossenschaft einkaufen (soweit deren Angebot günstiger ist als das der Konkurrenten), wird der Wettbewerb eher intensiviert. Da die Mitglieder einer Einkaufsgenossenschaft üblicherweise auf ganz verschiedenen örtlichen (oder regionalen) Märkten anbieten, findet auch insoweit keine Wettbewerbsbeschränkung auf dem jeweils relevanten Markt statt. Vielmehr dient der genossenschaftliche Zusammenschluß dazu, den Mitgliedern mindestens ebenso gute und billige Marktkonditionen zu erschließen wie großen Konkurrenten. Damit wird ein wettbewerbsförderndes Nebeneinander von großen und kleinen Unternehmen gesichert. Einkaufs- und Absatzgenossenschaften müssen zwar - wie andere Unternehmen auch - der Mißbrauchsaufsicht unterliegen. Sie sind aber nicht von vornherein als wettbewerbsbeschränkende Zusammenschlüsse dem Kartellverbot zu unterwerfen (und erst bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, etwa Rationalisierungswirkungen, zuzulassen). Ausnahmen vom Kartellverbot sind nur insofern geboten, als es sich tatsächlich um den Wettbewerb beschränkende Kartelle handelt. Genossenschaften sind jedoch typischerweise keine Kartelle. Der angebliche Kartellcharakter von Bezugs- oder Absatzgenossenschaften wird häufig mit einem verkappten Benutzungszwang begründet, der z.B. bei einem hohen Maß an Bezugskonzentration vorliege. Wenn die Genossenschaft einen hohen Anteil des Umsatzes ihrer Mitglieder auf sich konzentriert, wird darin häufig eine bedenkliche Einschränkung der Entscheidungsfreiheit von Mitgliedern gesehen, mithin eine Wettbewerbsbeschränkung zu Lasten konkurrierender Anbieter der Genossenschaft.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

499

Diese Art der Beurteilung von genossenschaftlichen Geschäftsbeziehungen ist jedoch einseitig und willkürlich. Genossenschaftliche Zusammenschlüsse müssen sich - abgesehen von marktbeherrschenden Genossenschaften, die der Mißbrauchsaufsicht unterliegen - regelmäßig in hartem Wettbewerb behaupten und stehen unter Leistungsdruck und Erfolgszwang. Genossenschaften werden von den Mitgliedern abgewählt, wenn sie zu teuer sind. Kaufen die Mitglieder bei der Genossenschaft, spricht dies regelmäßig für eine überlegene Leistung der Genossenschaft. Es wäre widersinnig, wenn Kartellbehörden Genossenschaftsmitglieder zwängen, einen Teil der benötigten Produkte anderswo teurer zu kaufen, weil andernfalls ein verkappter Bezugszwang durch die Genossenschaft Vinters teilt würde. Auch soweit Unternehmenszusammenschlüsse im genossenschaftlichen Bereich zu beurteilen sind, müssen die gleichen Regeln gelten wie bei Unternehmen in anderer Rechtsform (Untersagimg, falls durch externe Unternehmenszusammenschlüsse eine marktbeherrschende Stellung entstünde). Unbedenklich ist dagegen internes Unternehmenswachstum und dadurch ausgelöste Unternehmenskonzentration. E. Harmonisches Verhältnis zwischen Genossenschaften und dem Staat Wie im Bereich der Wettbewerbspolitik eher von einer unterstützenden Rolle bei der Verfolgung staatlicher Ziele gesprochen werden kann, so ist auch auf anderen Gebieten davon auszugehen, daß die Aktivität von Genossenschaften die staatliche Politik positiv beeinflußt. Dies gilt vor allem für die als Mittelstandspolitik gekennzeichneten Bestrebungen vieler Regierungen westlicher Länder. Es geht dabei vor allem darum, viele selbständige Existenzen in der Landwirtschaft, im Handwerk, in der industriellen Produktion und im Dienstleistungsgewerbe zu erhalten, das Entstehen kleiner und mittlerer Unternehmen zu ermöglichen und deren Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Nachhaltige Erfolge lassen sich nur dann erzielen, wenn auf Dauersubventionen verzichtet, die Leistungskraft durch wettbewerblichen Druck erhalten und die Anpassungsfähigkeit bei sich ändernden Marktverhältnissen gesichert wird. Selbsthilfeorganisationen verbessern die Marktchancen kleiner und mittlerer Unternehmen. Genossenschaften tragen maßgeblich dazu bei, daß sich meist hochmotivierte kleine und mittlere Unternehmer auf den Märkten durchsetzen, für eine wettbewerbliche Durchlüftung sorgen, ein differenziertes Leistungsangebot bereitstellen und ein innovatives Klima schaffen können. Ohne die kleinen und mittleren Unternehmen würde die Marktwirtschaft viel von ihrer Dynamik einbüßen. Genossenschaften können kleinen und mittleren Unternehmern gerade dort helfen, wo sie großen Konkurrenten unterlegen sind, beispielsweise beim

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Genossenschaften

Einkauf der benötigten Produkte. N u r Zusammenschlüsse verhelfen zu ähnlich günstigen Konditionen, wie sie für Großunternehmen selbstverständlich sind. Genossenschaften sind freilich nur hilfswirtschaftliche Betriebe. Entscheidend für den Erfolg sind die Ideen, die Initiative, das Gespür für künftige Entwicklungstendenzen, die Innovationsbereitschaft und der Wagemut der kleinen und mittleren Unternehmer selbst. Sofern der Staat auf massive Dauersubventionen verzichtet, haben sich die kleinen und mittleren Unternehmen als vergleichsweise wenig krisenanfällig, als flexibel und umstellungsbereit und damit als stabilisierendes Element - gerade auch auf den Arbeitsmärkten - erwiesen. Es besteht daher für die Politik aller Anlaß, die Arbeit von Selbsthilfeorganisationen kleiner und mittlerer Unternehmen nicht zu erschweren und den Genossenschaften keine Steine in den Weg zu legen. Literatur: Aschhoff, Gunther, und Henningsen, Eckart: Das deutsche Genossenschaftswesen. Entwicklung, Struktur, wirtschaftspolitisches Potential, Band 15 der Veröffentlichungen der DG Bank, Frankfurt 1985. Beuthien, Volker: Kartelle und Genossenschaften. In: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980, Spalten 1009 ff. Beuthien, Volker: Genossenschaften und Kartellrecht. Heft 12 der Vorträge und Aufsätze des Forschungsinstituts für Genossenschaften der Universität Wien, Wien 1987. Genossenschaft und Staat. Bericht über die IV. Internationale genossenschaftswissenschaftliche Tagung in Wien 1963. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, 14. Jg. (1964), S. 125 fT. Grossfeld, Bernhard, und Strümpell, Harald: Genossenschaften, Kartellgesetz und Mittelstandsempfehlungen. Tübingen 1976. Hamm, Walter: Beschränken Genossenschaften des Einzelhandels den Wettbewerb? In: Genossenschafts-Forum, 5. Jg. (1978), S. 8 ff. Hamm, Walter: Sind Genossenschaften Kartelle? In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, 4. Jg. (1981), S. 1 ff. Hamm, Walter: Mehr Markt für den Mittelstand. Band 9 der Schriftenreihe des Frankfurter Instituts für wirtschaftspolitische Forschung, Bad Homburg 1985. Homrighausen, Fritz Hermann: Wettbewerbswirkungen genossenschaftlicher Einkaufszusammenschlüsse. Band 55 der Marburger Schriften zum Genossenschaftswesen. Göttingen 1980. Kluthe, Klaus: Genossenschaften und Staat in Deutschland. Band 12 der Schriften zum Genossenschaftswesen und zur Öffentlichen Wirtschaft. Berlin 1985. Mändle, Eduard: Marktwirtschaft und Genossenschaften. In: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980. Spalten 1151 ff. Münkner, Hans-Hermann: Selbstverständnis und Rechtsverfassung von Genossenschaftsorganisationen in EG-Partnerstaaten. In: Boettcher, Erik (Hrsg.), Die Genossenschaften im Wettbewerb der Ideen - eine europäische Herausforderung, Tübingen 1985, S. 87 fT. Schultz, Reinhard und Zerche, Jürgen: Genossenschaftslehre. Berlin und New York 1983.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

4.1.2.

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Im Sozialismus Jerzy Kleer

A. Allgemeine Bemerkungen Die Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaftswesen waren in der Geschichte des Sozialismus durch ihren komplizierten Charakter und durch ihre historische Entwicklung geprägt. Wir sind heute noch nicht in der Lage, eindeutige Antworten auf die Fragen zu geben, wann diese Beziehungen mit der eigentlichen sozialistischen Ordnung übereinstimmen werden und wann dieser Zustand erreicht sein wird. Der gegenwärtige Wandel im Sozialismus ist mit tiefgreifenden Veränderungen sowohl in der ökonomischen Theorie als auch in der Wirtschaftspraxis verbunden. Wir können gegenwärtig nur eine Beschreibung bzw. eine Analyse der Entstehungsgründe und eine Festlegung der Richtung, in der dieser Wandel verlaufen wird, vornehmen. Auch wenn im Schlußteil dieses Kapitels einige allgemeine Thesen formuliert werden, die die Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaftswesen betreifen, müssen wir uns über zwei Umstände im klaren sein: -

-

Erstens sind die Veränderungen, die in den einzelnen sozialistischen Ländern verlaufen - obwohl sie gemeinsame Züge aufweisen - keineswegs gleichlaufend. Das gilt für Allokationsmechanismen, Eigentumsformen, Steuerungssysteme und Institutionen. Bei ihnen lassen sich keine allgemeinen Tendenzen feststellen. Zweitens geht auch die neue theoretische Diskussion schleppend vor sich, während bereits konträre praktische Lösungsansätze vorhanden sind. Daher ist es zunächst angebracht, eine Analyse der historischen Entwicklung der theoretischen Diskussion und der Praxis vorzunehmen. In der Praxis ist gegenwärtig der Pragmatismus und nicht eine Theorie vorherrschend.

1. Zwei P h a s e n Wenn wir uns die historische Entwicklung der sozialistischen Wirtschaft allgemein ansehen, so können wir zwei Phasen unterscheiden. In der ersten Phase - übereinstimmend in Theorie und Praxis - war das höchste Ziel des sozialistischen Systems die Verstaatlichimg des gesellschaftlichen Lebens. Alle gesellschaftlichen Lösungen, alle ökonomischen und organisatorischen Maßnahmen wurden diesem theoretischen Konzept unterworfen. Diese Phase umfaßte in allen Staaten den größten Teil der geschichtlichen Entwicklung des Sozialismus. In der zweiten Phase kam es zur Einschränkimg der Rolle des Staates, geprägt durch die Zulassimg nicht-staatlicher Organisationen und durch den

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Einsatz anderer, in der vorigen Phase unbekannter oder weniger bekannter Institutionen und Koordinationsmechanismen (Einzelunternehmen, Arbeiter-, Genossenschafts- und lokale Selbstverwaltung usw.). Diese Veränderungen sollten die Voraussetzungen für das Entstehen einer neuen Wirtschaftsund Gesellschaftsstruktur des Sozialismus schaffen. 2. Unterschiede zwischen den P h a s e n Die genannten Phasen sind im historischen Verlauf der sozialistischen Wirtschaft deutlich unterscheidbar. Die ausgearbeiteten theoretischen und praktischen Losungen der ersten Phase waren in der bisherigen Geschichte der sozialistischen Wirtschaft dominant und sind in die Lehrbücher als Epoche des realen Sozialismus eingegangen (einzige Ausnahme Jugoslawien nach 1950). Die allgemeine theoretische Begründung diese Ansatzes stützte sich auf die Prämisse, daß der Staat die Interessen der Gesellschaft am besten und am vollständigsten repräsentieren könne. Da das Interesse der Gesamtheit als das Höchste und Wichtigste galt, hielt man jedes Gruppen- und/oder individuelle Bedürfnis als gegen den Sozialismus gerichtet. Der gegenwärtige theoretische Diskurs - aber auch zahlreiche praktische Lösungen- steht zu jenen in der Vergangenheit vorherrschenden Denkansätzen im Widerspruch. Allgemein anerkannte Thesen der zweiten Phase sind bis jetzt noch nicht formuliert, eindeutige praktische Lösungen fehlen. B. Funktionsformen des Staates In der ersten Phase ist es wichtig, die Aufgaben des Staates in drei Bereichen zu unterscheiden. Im ersten Bereich - als politische Organisation - hat der Staat allgemein-ordnende Funktionen, im zweiten ist der Staat das Entscheidungszentrum, welches die allgemeinen Entwicklungsrichtungen vorgibt, und im dritten Bereich ist der Staat der verstaatlichte Wirtschaftssektor (staatliche Unternehmen).(l) In der ersten Phase wurden diese Bereiche des Staates und die sich daraus ergebenden Funktionen als austauschbar erachtet, d.h. der Staat als höchste gesellschaftlich-politische Organisation hat sich in der Praxis mit den einzelnen staatlichen Unternehmen identifiziert. Diese gegenseitige Verflechtving verschiedenartiger Bereiche und Funktionen hatte aber weitreichende Konsequenzen. Es ist eine Vorherrschaft der politischen gegenüber den wirtschaftlichen Entscheidungen eingetreten oder anders ausgedrückt, die politischen Entscheidungen waren wichtiger. Die Wirtschaftspolitik wurde den politischen und sozialen Lösungen untergeordnet. Die makroökonomische Betrachtung war wichtiger als die mikroökonomische (dasselbe traf auf die makro- und mikrosoziale Sphäre zu) und führte dazu, daß der mikroökonomische Bereich keine Beachtung mehr fand. Das Informationssystem stützte sich auf falsche Preise, in denen die Aufwands- und Ertragsrelationen keine Berücksichtigung mehr fanden. Die verstaatlichte Wirtschaft -

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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ungeachtet der Tatsache, daß eine Vielfalt von Wirtschaftssubjekten mit unterschiedlichen und manchmal sogar entgegengesetzten Interessen in ihr agierten - wurde als eine Einheit aufgefaßt, die über ein gemeinsames Budget verfügte. Effiziente Unternehmen wurden genauso behandelt wie defizitäre. Auf der anderen Seite war eine Einflußnahme auf die übrigen Wirtschaftssubjekte mit unterschiedlichen Eigentumsformen gegeben. Diese Betriebe wurden immer mehr den staatlichen Unternehmen angeglichen. Und es waren vor allem Genossenschaften, die sich an die Regeln des staatlichen Sektors anpassen mußten.(2) 1. Gegenseitige Beziehungen Diese Charakterisierung des Staates als ein alleiniger und allmächtiger Entscheidimgsträger in politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Hinsicht erlaubt es uns jetzt, die Beziehungen zwischen Staat und Genossen schaftswesen zu analysieren. Die staatlichen Unternehmen haben gegenüber den nicht-staatlichen Wirtschaftssubjekten eine privilegierte Stellung, wenn es um den Zugang zu Materialien, Rohstoffen, Devisen, Steuererleichterungen und Dotationen geht. Der Staat sah in der Verstaatlichung die höchste Form der Vergesellschaftung. Die ungleiche Behandlung des staatlichen Sektors gegenüber dem genossenschaftlichen Sektor wurde durch die in der Sowjetunion seit Ende der 20er Jahre allgemein gültige Sozialismusauffassung begründet, die besagte, daß das genossenschaftliche Eigentum im Vergleich zum staatlichen Eigentum eine Zwischenform sei. Diese Auffassung blieb bis Ende der 80er Jahre verbindlich. In den übrigen sozialistischen Ländern galt diese These bis Anfang der 70er Jahre, obwohl sie in der wirtschaftlichen und politischen Praxis ihre Gültigkeit noch nicht verloren hat. Es wurde darauf verwiesen, daß sich die Genossenschaft mit den Gruppeninteressen ihrer Mitglieder identifiziere, daß ihr Wirkungsbereich sich auf für den Sozialismus weniger reife Schichten und Klassen (Bauern, Handwerker) erstrecke, daß die Mitglieder im Vergleich mit der Arbeiterklasse ein weniger ausgebildetes Bewußtsein hätten, usw. usf. Diese Umstände beeinflußten die Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaft. Vor allem gab es keine stabilen wirtschaftlichen Vorgaben für den Genossenschaftssektor. Der Staat konnte aus Staatsinteresse die geltenden Regeln ändern und neue oktroyieren. 2. Homogene Eigentumsstruktur In den Anfängen der sozialistischen Wirtschaft dominierte die Bildung gesellschaftlichen Eigentums und die Rolle des genossenschaftlichen Eigentums. Eines der wichtigsten strategischen Ziele des Staates war es, im Wege

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einer allgemeinen Herrschaft des gesellschaftlichen Eigentums eine Vereinheitlichung der Unternehmensformen zu erreichen. Die Entwicklung des sozialistischen Systems war auf eine homogene Eigentumsstruktur gerichtet. Ziel dieser Entwicklung war das nationale Eigentum.(3) Der Prozeß selbst sollte stufenweise realisiert werden, und das Genossenschaftswesen sollte dabei gewisse Funktionen übernehmen - Funktionen, die aber nur im Übergang zum Sozialismus als wichtig erachtet wurden. Warum wollte man eine homogene Eigentumsstruktur, in der es gesellschaftliches und auch staatliches Eigentum geben sollte? Es gab drei theoretische Begründungen: -

eine doktrinäre in der Abschaffung der Ausbeutimg und in der Herrschaft des Gemeininteresses; - eine vom Standpunkt der Wirtschaftslenkung, da sich homogene Einheiten vom Zentralplan in der Form von Direktiven durch einen Zentralplan am besten leiten ließen; - eine wirtschaftspolitische, durch das Ziel der Übernahme des ökonomischen Überschusses in der Form der staatlichen Akkumulation. Das ließ sich in Staatsbetrieben am einfachsten verwirklichen. In diesem Prozeß waren für das Genossenschaftswesen wichtige gesamtwirtschaftliche Funktionen vorgesehen. Die historisch bedeutungsvollste bestand darin, Bedingungen für die Zusammenfassung kleiner Produzenten zu Kollektiven zu schaffen. Es entstanden zwei Formen von Produktionsgenossenschaften, die früher überhaupt unbekannt waren oder nur ein Schattendasein fristeten: -

die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (Kolchosen)(4), als Zusammenschlüsse der selbständigen Bauern und - die Produktionsgenossenschaften des Handwerks, als Kooperationen selbständiger Handwerksbetriebe. Für die Analyse der Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaften ist dieser Prozeß der wichtigste, da er unmittelbar die Lenkung der Genossenschaften durch den Staat nach sich zog. Dieser Einbezug der Genossenschaften in ein zentralistisches Wirtschaftssystem veränderte den Genossenschaftssektor selbst. Die Zentralverbände der Genossenschaften, bei denen die Mitgliedschaft für die Genossenschaften Pflicht war, wurden mit neuen Aufgaben ausgestattet. Sie erhielten imperative Funktionen gegenüber den Genossenschaften, vor allem in ihrer Rolle als verlängerter Arm des staatlichen Wirtschaftszentrums. Die Verbände entschieden die Entwicklungsrichtung der Genossenschaften, die Verteilung des ökonomischen Überschusses, die Personalpolitik und übten damit einen unmittelbaren Einfluß auf jene Entscheidungen aus, die in einer Genossenschaft Attribut der Selbstverwaltung sind.(5) Die genossenschaftlichen Ziele wurden durch staatliche, d.h. durch jene im Zentralplan vorgegebenen Ziele der Wirtschaft ersetzt.

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Genossenschaften

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C. Zwei Fragen Zwei Problemkreise sind in diesem Zusammenhang zu erörtern: -

die Ursachen der Genossenschaftsgründungen die Funktion der Genossenschaft im Sozialismus,

um ein Urteil darüber abgeben zu können, ob das Genossenschaftswesen im Sozialismus diesselben Merkmale hat wie unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen. 1. Genossenschaftsgründung und Sozialismus Vom Standpunkt des Entstehens der Genossenschaft, aber auch für deren Weiterentwicklung ist es wichtig zu analysieren, ob die Gründung der Genossenschaft freiwillig oder unter Zwang vor sich geht. In der Phase der sozialistischen Wirtschaft - in der die Verstaatlichungsthese als höchste Form der Vergesellschaftung im Vordergrund stand - entstanden Produzentengenossenschaften unter Zwang (landwirtschaftliche und handwerkliche Produktionsgenossenschaften) und zwar in zweifacher Hinsicht: -

Das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln war eine Vorausbedingung des sozialistischen Systems. Je schneller der Abbau und die Überwindung des Privatsektors fortschritt, desto schneller und leichter sollte sich auch die sozialistische Wirtschaft entwickeln.

-

Die Zurückdrängung und Verdrängung des Marktes als Allokationsmechanismus der Produktionsfaktoren.

Die sozialistische Wirtschaft, die als Hauptallokationsmechanismus den Plan vorsieht, sollte eine von der Nachfrage beherrschte Wirtschaft in eine angebotsorientierte wandeln. Das bedeutete eine zentrale Verteilung der Produktionsfaktoren und der Aufgaben, die die einzelnen Wirtschaftseinheiten erfüllen sollten. Der staatliche, aber auch der genossenschaftliche Sektor wurden hierarchisch und in einer branchenspezifischen Abhängigkeit aufgebaut. Im damals verbindlichen Plan war ex definitione ein Zwangselement enthalten. Dieses Zwangselement wurde gegenüber den Absatz- und Bezugsgenossenschaften differenziert eingesetzt. Gegenüber den Mitgliedern wurde Zwang nicht unmittelbar angewandt, dagegen auf die Genossenschaft direkt. Die Genossenschaften wurden entweder "von oben" gegründet oder sie standen unter ständiger Überwachung durch die höheren Stufen (Genossenschaftsverbände, lokale und zentrale staatliche Verwaltungsorgane). Gesteuert wurden die Genossenschaften unmittelbar durch den Plan, der imperativen Charakter hatte. Es muß hier auch auch noch erwähnt werden, daß die Zahl der Genossenschaften, aber auch ihr spartenspezifischer Anteil bewußt niedrig gehalten

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4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

wurde. Am Lande begnügte man sich vor allem mit den dörflichen Konsumgenossenschaften. Alle anderen Genossenschaftstypen wurden einfach liquidiert.(6) In der Stadt war man besonders bemüht, die Genossenschaften auszuschalten und durch staatliche Unternehmen zu ersetzen. Obwohl eine solche Entwicklung nicht in allen Ländern eingetreten ist, war man der Überzeugimg, daß die Zukunft dem staatlichen Sektor vorbehalten sei. In einer Übergangsphase konnte die genossenschaftliche Wirtschaftsform in den ländlichen Regionen bestimmte Dienste leisten. Gegenüber den Genossenschaftsmitgliedern hatte das Zwangselement einen viel diffizileren Charakter. Als Beispiel werden hier die Mitgliederbeziehungen in den polnischen Wohnbaugenossenschaften in der zweiten Hälfte der 60er Jahre und in den 70er Jahren angeführt. Der Wohnungsbau wurde zu jener Zeit fast vollständig von den Genossenschaften durchgeführt. Die staatlichen lokalen Behörden wandten zwar gegenüber den künftigen Mitgliedern keinen Zwang an, um sie zum Beitritt zu einer Genossenschaft zu bewegen. Es gab aber praktisch keine andere Möglichkeit, zu einer Wohnung zu kommen, als einer Genossenschaft beizutreten. Bei den Genossenschaftsgründungen in der sozialistischen Wirtschaft war während der ersten Phase (vgl. Abschnitt A.2.) Zwang vorherrschend. Zwei Genossenschaftssparten wurden akzeptiert: die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (Kolchosen) und die Konsumgenossenschaften, deren Aufgabe in Dienstleistungen für die auf dem Lande lebende und arbeitende Bevölkerung gesehen wurde. Alle anderen, zahlenmäßig überwiegenden Sparten sollten nur provisorisch weiterbestehen. Der sozialistische Staat mit seinem allmächtigen Einfluß auf das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben bestimmte nicht nur den Wirkungsbereich des genossenschaftlichen Sektors, er verlieh ihm als Ganzes jene Gestalt, die seiner Vorstellung von der Wirtschaft entsprach und mit dem vorgegebenen Allokationsmechanismus übereinstimmte. Der Genossenschaftssektor wurde nach staatlichen Präferenzen gestaltet, ohne auf die Bedürfnisse der Genossenschaftsmitglieder Rücksicht zu nehmen. 2. Die Genossenschaft im Sozialismus In der Frühphase der sozialistischen Wirtschaft läßt sich die Genossenschaft treffend durch deren Definition im polnischen Genossenschaftsgesetz vom 17. Februar 1961 in Artikel 1 beschreiben: "Eine Genossenschaft ist eine freiwillige und sich selbstverwaltende Kooperation mit unbegrenzter Mitgliederzahl und veränderlichem Kapital; ihr Zweck ist die wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen des Volkswirtschaftsplans wie auch ihre gesellschaftlicherzieherische Wirkving auf eine ständige Anhebung des materiellen und kulturellen Niveaus und des gesellschaftlichen Bewußtseins ihrer Mitglieder, sowie ihre Tätigkeit zum Wohl der Volksrepublik Polen."(7)

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Vor einer Analyse dieser Definition - auf drei Fragen werden wir genauer eingehen - kann gesagt werden, daß die Legaldefinitionen der Genossenschaft in den anderen sozialistischen Ländern dieser sehr ähnlich waren und sind. -

Die erste Frage betrifft die Selbständigkeit der Genossenschaft. Obwohl in zahlreichen Publikationen der freiwillige Charakter und die Selbständigkeit der Genossenschaft immer wieder unterstrichen wurden, ist deren Behandlung aus praktischer und formal-theoretischer Sicht ein schwieriges Unterfangen. Da die praktische Seite dieses Problems schon oben angesprochen wurde, wollen wir uns hier mit der formalen Seite befassen. In der angeführten Definition wird vom freiwilligen Charakter der Genossenschaftsgründung gesprochen. Gleichzeitig wird aber auch festgehalten, daß ihre Tätigkeitsbereiche "im Rahmen des Volkswirtschaftsplans" festgelegt werden. Das bedeutet eine Vorentscheidung über die Entwicklungsrichtimg, über die Struktur und die Größenordnung der Produktion bzw. der Dienstleistungen der Genossenschaft. Ihre Entscheidungsbereiche werden vorgegeben. Durch diese beschränkte Selbständigkeit und Unterordnung unter den Zentralplan wird das Gemeininteresse (ein Interesse, daß über den Rahmen der Genossenschaft hinausgeht) in den Vordergrund gestellt und der Nutzen der Genossenschaftsmitglieder gerät ins Hintertreffen.

-

Die Präferenzordnung des Nutzens sieht folgendermaßen aus: Gemeinnutzen, Nutzen der Genossenschaft und erst an letzter Stelle der Nutzen der Genossenschaftsmitglieder. Damit wird das eigentliche Zielsystem der Genossenschaft umgedreht. Trotz Anpassung der Genossenschaft an die verschiedenen Gesellschaftssysteme, darf sie aber - wenn sie Genossenschaft bleiben möchte - ihren Grundanspruch: Nutzenmaximierung der Mitgliederhaushalte und/oder Mitgliederwirtschaften, nicht verlieren.(8) Dieser Grundanspruch wurde aber im Sozialismus stark eingeschränkt. Das geschah nicht aus Gründen der wirtschaftlichen Expansion der Genossenschaft, sondern um den Mitgliedernutzen zugunsten von Vorteilen für die gesamte Gesellschaft zurückzudrängen. Im Grunde genommen wurde eine Annäherung der Genossenschaft an die staatlichen Unternehmen durchgeführt. Wenn wir einzelne Genossenschaftsarten betrachten, so können wir feststellen, daß der Nutzen für die Mitglieder in einigen Typen größer war als in anderen, und es gab auch solche, wo er praktisch überhaupt nicht in Erscheinung trat. Diese Frage soll ausführlich in den Kapiteln behandelt werden, die sich mit verschiedenen Genossenschaftstypen im Sozialismus beschäftigen.

-

Wie sah es mit der genossenschaftlichen Selbstverwaltung im Entscheidungsprozeß der Genossenschaft aus? Aus formaler und rechtlicher Sicht gibt es in den sozialistischen Genossenschaften Selbstverwaltungsorgane, angefangen von der Vollversammlung bis zum Genossenschaftsrat, die bei der Wahl des Vorsitzenden und des Vorstandes mitentscheiden. Der prak-

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tische Entscheidungsbereich der Selbstverwaltungsorgane sah aber ganz anders aus. Es gab nur eine sehr beschränkte Mitentscheidung in den Bereichen - Richtung und Größenordnung der Produktion und Dienstleistungen (sie wurden vom Zentralplan festgelegt) - Verteilung des erzielten ökonomischen Überschusses (Vorschriften der staatlichen Zentralorgane sowie der genossenschaftlichen Zentralverwaltungen schreiben die Größe und Aufteilung des Überschusses vor) - Wahl der leitenden Organe (in der Regel wird die Zusammensetzung des Vorstandes durch Verwaltungsbehörden oder politische Gremien von oben bestimmt). Die Genossenschaft war also in der Anfangsphase des Sozialismus eine Organisation, die in formaler Hinsicht mit allen bekannten Attributen einer Genossenschaft ausgestattet war. Faktisch war sie aber eine Wirtschaftsorganisation, die sich den im Zentralplan vorgegebenen Zielen unterzuordnen hatte. Sie funktionierte fast genauso wie ein staatliches Unternehmen. Die Genossenschaft war in der Frühphase des Sozialismus eine Wirtschaftsorganisation mit quasi staatlichem Charakter. Diese Eigenschaften wurden von manchen Autoren sogar zum Kennzeichen des Genossenschaftswesens in der sozialistischen Gesellschaftsordnung.(9) D. Systemwandel - Genossenschaft im Reformprozeß Seit Anfang der 80er Jahre (10) können wir in vielen sozialistischen Ländern einen Prozeß beobachten, der im wesentlichen durch ein Zurückdrängen der allumfassenden imperativen Funktionen des Staates charakterisiert werden kann. Es ist ein stufenweise verlaufender Prozeß, der in seinem Umfang, seiner Geschwindigkeit, aber auch in seinen institutionellen und organisatorischen Lösungsansätzen sehr unterschiedlich ist. Allgemein kann man ihn als Prozeß der Wirtschaftsreformen bezeichnend 11) Er reicht weit über den Bereich der Genossenschaften hinaus. An dieser Stelle wollen wir auf jene Entwicklungen eingehen, die unmittelbar das Wesen und die Praxis der Genossenschaften beeinflussen. Wenn man diesen Systemwandel analysiert, so müssen drei Faktoren berücksichtigt werden: -

die größere Rolle des Marktes und der Geld-Waren-Beziehung. Im neuen System tritt eine zunehmende Selbständigkeit der Wirtschaftssubjekte, sowohl der staatlichen als auch der genossenschaftlichen, ein, und der Privatsektor kann vermehrt selbständig Wirtschaftstätigkeit betreiben. Der Plan gibt nicht mehr allumfassend alle Ziele und Funktionen vor. An die Stelle der unmittelbaren staatlichen Steuerung durch Direktive und Verbote tritt eine indirekte Steuerung durch ökonomische Instrumente.

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-

Privat- und Gruppeninteresse werden im Gegensatz zu den früher uneingeschränkt herrschenden gesellschaftlichen Interessen akzeptiert, und es wird ihnen ein größere Freiheitsraum zugestanden. Die Position der Genossenschaften ändert sich grundsätzlich oder es werden ihnen zumindest die Möglichkeiten für einen Wandel eingeräumt.

-

Die hierarchischen und branchengebundenen Lenkungsprinzipien der Wirtschaftssteuerung werden allmählich aufgegeben und die Bedeutung vertikaler Bindungen sinkt. Da die Genossenschaft ihrem Wesen nach hauptsächlich lokale Funktionen erfüllt, wird ihr die Möglichkeit zur Rückkehr zu ihren eigentlichen Grundprinzipien gegeben. Diese Prozesse verändern die Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaftswesen, vor allem durch die schrittweise Aufgliederung der Staatsfunktionen. In der Anfangsphase des Sozialismus trat der Staat (die politische Organisation, das wirtschaftliche Entscheidungszentrum und der Staatssektor) als Einheit auf. Im Laufe des Reformprozesses kommt es zu einer Aufgliederung dieser Funktionen. Zu Beginn werden mehr oder weniger selbständige staatliche Unternehmen aus dem staatlichen Sektor ausgegliedert, und es wird eine Trennung zwischen Wirtschaftsentscheidungen und politischen Entscheidungen gemacht (hier gibt es aber zwischen den einzelnen sozialistischen Ländern große Unterschiede).

Von diesem Reformprozeß ist auch das Genossenschaftswesen betroffen. Wir wollen uns als anschauliches Beispiel nochmals die polnische Rechtslage der Genossenschaften ansehen, diesmal aber das Genossenschaftsgesetz aus dem Jahre 1982. Artikel 1 dieses Gesetzes lautet nun: "Eine Genossenschaft ist eine freiwillige und sich selbstverwaltende Kooperation mit unbegrenzter Mitgliederzahl und veränderlichem Kapital; in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit läßt sie sich von den Bedürfnissen ihrer Mitglieder und den Vorgaben der zentralen und lokalen sozial-ökonomischen Probleme leiten, sie betätigt sich auch gesellschaftlich-erzieherisch, um das materielle und kulturelle Lebensniveau und das Bewußtsein ihrer Mitglieder anzuheben und für das Wohl der Volksrepublik Polen zu wirken."(12) Der Vergleich beider Formulierungen des Artikels 1 im Gesetz vom Jahre 1961 und 1982 läßt zwei wesentliche Unterschiede erkennen: -

Im neuen Gesetz wird der Nutzen der Genossenschaftsmitglieder vor das Gemeininteresse gestellt. Das bedeutet eine grundsätzliche Veränderung in den formellen Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaft.

-

Die Genossenschaft muß nicht mehr in Übereinstimmimg mit dem Zentralplan agieren. Sie hat nur die Vorgaben des Plans zu berücksichtigen, diese sind aber weder für die Unternehmen noch für Genossenschaften verbindlich.

Die formal-rechtlichen Regelungen der Genossenschaft innerhalb der sozialistischen Wirtschaft haben sich grundsätzlich geändert. Das Beispiel polnisches Genossenschaftsgesetz belegt zwar nur die Veränderung der Bezie-

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hungen zwischen Staat und Genossenschaften in Polen, aber in fast allen sozialistischen Ländern ist eine vergleichbare Entwicklung eingetreten: die genossenschaftlichen und staatlichen Wirtschafsformen werden immer mehr gleichberechtigt behandelt. Das ist von grundlegender Bedeutimg, weil damit ein Zutritt der Genossenschaften zu allen Tätigkeitsbereichen, die den Nutzen der Mitglieder vergrößern können, möglich wird. Gleichzeitig werden auch bisher bestehende regionale Einschränkungen der genossenschaftlichen Tätigkeit abgeschafft. - Die historische Auffassung, daß das Genossenschaftswesen in der sozialistischen Gesellschaftsordnung nur in einem zeitlichen Zwischenstadium notwendig ist, wird immer mehr zum theoretischen Anachronismus. Stattdessen wird akzeptiert, daß die genossenschaftliche Wirtschaftsform im Sozialismus einen dauerhaften Platz einnehmen wird. - Die Genossenschaften werden als Folge der Änderung im Planimgssystem und der neuen Rolle des bisher allumfassenden Zentralplans selbständiger. Das führt unmittelbar zur Vergrößerung der faktischen (und nicht nur des formalen) Möglichkeit einer Selbstverwaltung im wirtschaftlichen Entscheidungsprozeß. - In der Vergangenheit wurden die Genossenschaften "von oben" gegründet, d.h. die staatlichen Behörden oder ihr verlängerter Arm, die Zentralverbände der Genossenschaften, entschieden, ob eine Genossenschaft gegründet werden sollte oder nicht. Gegenwärtig kommt es immer häufiger vor, daß Genossenschaften aufgrund von Initiativen "von unten" entstehen.

-

Diese Entwicklungen sind in den einzelnen Ländern in zweifacher Hinsicht verschieden. Einerseits gibt es Staaten, in denen solche Prozesse sehr langsam eintreten, in anderen sind sie mehr oder weniger fortgeschritten. Andererseits unterscheiden sich die Reformen der einzelnen Staaten aufgrund unterschiedlicher Lösungsansätze.(13) Der das Genossenschaftswesen erfassende Reformprozeß unterscheidet sich durch seine Geschwindigkeit und durch seine Abhängigkeit vom Staat. Eine ausführliche Behandlung dieser Problematik soll im nächsten Abschnitt erfolgen. E. Lenkung der Volkswirtschaft Die bisherige Analyse der Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaften im Sozialismus war allgemein gehalten und nahm Bedacht auf langfristige Tendenzen. Die Darstellung des Lenkungs- und Verwaltungssystems einer sozialistischen Volkswirtschaft ist zwar erwähnt worden, sie soll aber nun lehrbuchmäßig aufbereitet werden.

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1. Die Lenkungssysteme In der Wirtschaftspraxis der sozialistischen Staaten konnte man bis zu den großen Reformen Mitte und Ende der 80er Jahre vier wirtschaftliche Lenkungssysteme unterscheiden^ 14) -

Das vollzentralisierte Lenkungssystem der Volkswirtschaft, welches in der Sowjetunion Anfang der 30er Jahre eingeführt wurde und bis Ende der 50er Jahre aufrechterhalten wurde. In den übrigen Ländern fand diese Periode zentralistischer Lenkung zu verschiedenen Zeitpunkten statt, aber sie war - durch die allgemeine Übernahme des sowjetischen Modells in allen anderen Staaten - überall vorhanden. - Das Wirtschaftslenkungssystem mit eingeschränkter Zentralisation der Entscheidungen. Auch dieses System war in allen sozialistischen Staaten wirksam. In manchen von ihnen existiert es noch heute. - Das parametrische System, welches auf den ökonomischen Instrumenten der staatlichen Wirtschaftssteuerung aufbaut. Zu diesen Parametern gehören Preise, Gewinne, Zinsen usw. Der Staat übt auf diese Parameter unter Berücksichtigimg seiner Präferenzen Einfluß aus. Dieses Modell bildete die Voraussetzung der 1968 in Ungarn durchgeführten Wirtschaftsreform. -

Das Marktsystem, bei dem die Hauptimpulse zumindest für die Unternehmen vom Markt ausgehen. Der Einfluß des Staates ist auf bestimmte Bereiche beschränkt. Die Wirtschaftssubjekte werden vom Bank- und Finanzsystem und von anderen ökonomischen Instrumenten (Verträge, Steuerermäßigungen, ein beschränktes Dotierungssystem) gesteuert. Dieses System wurde in den 80er Jahren in Jugoslawien und teilweise in Polen und Ungarn angewandt.

Die ersten beiden Systeme wollen wir als planorientiert bezeichnen, die beiden anderen als marktorientiert. Sie unterscheiden sich durch ihre Institutionen, ihre Allokationsmechanismen der Produktionsfaktoren und ihre Leitungsinstrumente. 2. Planorientierte Lenkungssysteme und die Genossenschaften Die Institutionen dieser Lenkungssysteme zeichnen sich durch zwei Merkmale aus: -

hierarchisch-vertikale Abhängigskeitsverhältnisse und Verbindungen Gruppierimg der Wirtschaftseinheiten nach Branchen.

Als Allokationsmechanismus wirkt ein Zentralplan imperativ. Die Unterschiede der beiden planorientierten Systeme lassen sich auf den Wirkungsbereich des Plans und auf die Anzahl der Kennzahlen, die den Unternehmen und Genossenschaften in Direktivform vorgegeben werden, zurückführen. Lei-

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Genossenschaften

tungsinstrumente sind Direktive und Verbote. Ökonomische Faktoren, wie z.B. Preise, Gewinn, Zinsen, Abschreibungen usw.dienen nur als Rechnungsgrößen und entsprechen nicht den realen ökonomischen Verhältnissen wie z. B. Aufwand und Ertrag. Die wirtschaftliche Rechnungsführung hat formalen Charakter und stützt sich auf ebenfalls nur formale Bilanzen. Die Unterschiede zwischen beiden Systemen bestehen im Anreizsystem und in den Entscheidungsbereichen der höheren Leitungsstufen. Im System mit eingeschränkter Zentralisation sind bereits materielle Anreize vorhanden, sowie Entscheidungsstrukturen, die man bereits als administrative Dezentralisierung bezeichnen kann. Das bedeutet, daß zwar die oberen Entscheidungsebenen bereits ein Teil ihrer Verfügungsrechte auf die unteren Ebenen delegieren, aber noch immer auf der Grundlage administrativer Anordnungen, die jederzeit revidierbar sind. In der Praxis entstand ein instabiles System ohne festgelegte Spielregeln. In diesen Systemen wurden die Genossenschaften durch von oben und von außen kommenden Entscheidungen gesteuert, so daß sie sich kaum noch von staatlichen Unternehmen unterschieden. Man kann sogar sagen, daß die Genossenschaften im Vergleich zu Staatsunternehmen benachteiligt waren. Die Unterschiede dieser beiden plan orientierten Lenkungssysteme sind in folgenden Bereichen zu finden: im Wirkungsbereich, im Anreizsystem und im Abhängigkeitsgrad von den zentralen und regionalen Behörden. Sie sind aber ausschließlich quantiativer und nicht qualitativer Natur. Denn der größere Entscheidungsfreiraum, den die Genossenschaften im eingeschränkten zentralisierten System innehatten, war keineswegs auf Dauer gesichert. Beim Auftauchen von wirtschaftlichen Problemen konnten diese Freiheiten wieder eingeschränkt werden, und sie wurden in der Praxis auch tatsächlich eingeschränkt. Im eingeschränten zentralisierten Modell hatten die Genossenschaften vor allem die Möglichkeit, wirtschaftlich zu expandieren.Dabei handelte es sich aber um die Expansion der genossenschaftlichen Unternehmen und nicht der Genossenschaft als Personengemeinschaft. Diese Unterscheidimg ist wichtig, um einen Aspekt besonders hervorzuheben: Eine wirtschaftlich erfolgreiche Genossenschaft muß nicht imbedingt im Nutzen ihrer Mitglieder ihre volle Widerspiegelung finden. Denn die Nutznießer der Genossenschaft sind sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder. 3. Marktorientierte Lenkungssysteme und die Genossenschaften Die beiden Systeme, die hier als marktorientiert bezeichnet werden, lassen sich im Vergleich zu den planorientierten nicht so einfach darstellen. Jugoslawien, Ungarn, Polen und China sind Länder, die bereits Erfahrungen mit diesen Systemen gemacht haben. Es gibt aber noch nicht ausreichendes Material, um allgemeine Aussagen machen zu können.

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

513

In diesen Systemen wird auf institutioneller Ebene das Prinzip der hierarchischen Bindung und der Einteilung der Wirtschaftseinheiten nach Branchen aufgegeben. Neuer Grundsatz wird das Prinzip funktioneller Bindungen und Abhängigkeiten. Das Wirtschaftszentrum setzt seine Präferenzen mittels ökonomischer Instrumente und Mechanismen. Die Institutionen verfügen nicht mehr über eine allumfassende ökonomische Macht. Die Wirtschaftseinheiten können selbständig agieren. Der Bereich, in dem die Unternehmen Entscheidungen selbst treffen können, wird stark ausgeweitet. Dieses Mehr an Eigenständigkeit betrifft aber nur Staatsunternehmen, während eine Selbständigkeit der Genossenschaften bloß formal gegeben ist. Der Allokationsmechanismus der Produktionsfaktoren wird nicht mehr ausschließlich durch den Zentralplan festgelegt, Plan und Markt sind in diesen Systemen gleichberechtigte Mechanismen. Die gravierendsten Veränderungen lassen sich im Lenkungssystem selbst feststellen Administrative Instrumente werden weitgehend eingeschränkt, im Marktsystem wird sogar deren völlige Ausschaltung angestrebt. Über praktische Erfahrungen dieser Systeme kann man noch keine allgemeinen Aussagen treffen. Einerseits gibt es nur wenige Staaten, die begonnen haben, dieses Modell einzuführen, andererseits ist die Zeitdauer dieser Modelle noch zu kurz, um ihre Auswirkunken auf die verschiedenen Wirtschaftssubjekte beurteilen zu können. Man kann aber Aussagen über die Lage und die Entwicklungsmöglichkeiten der Genossenschaften in diesen marktorientierten Systemen machen. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Genossenschaften auch in der sozialistischen Wirtschaft mehr dem Markt als dem Plan zuneigen.( 15) Ein zwar beschränkter, aber bereits exististenter Markt schafft mehr Freiheiten für die Wirtschaftssubjekte. Diese Freiheiten sind eng mit dem freiwilligen Beitritt zur Genossenschaft und mit mehr selbständigen Entscheidungen verbunden. Marktorientierte ökonomische Systeme garantieren größere Möglichkeiten für das Entstehen authentischer Genossenschaften als planorientierte Systeme. Bisher sind nur positive Aspekte für die Entwicklung der Genossenschaften im marktorientierten System erwähnt worden. Es gibt aber auch Nachteile, denn in den planorientierten Systemen wird die genossenschaftliche Tätigkeit vom Staat unterstützt. Durch die Angleichung der Genossenschaft an staatliche Unternehmen besitzt auch sie viele Privilegien, erhält indirekte oder direkte Unterstützung durch den Staat und ihre Existenz ist gesichert. Im parametrischen System verringert sich dieser Schutz, und im Marktsystem können die Genossenschaften überhaupt nicht mehr damit rechnen. Aufgrund der kurzfristigen Erfahrungen mit Marktsystemen in der sozialistischen Wirtschaft können wir nur die Aussage treffen, daß sich die wirtschaftliche Sicherheit der Genossenschaft im marktorientierten System verringert, dafür aber die Nutzenmaximierung der Mitglieder und die wirtschaftliche Expansion der Genossenschaft zunehmen.

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4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

F. Schlußbemerkungen Folgende Schlußbemerkungen können aufgrund gegebener Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaften in der sozialistischen Wirtschaft gezogen werden. Es gab zwei Entwicklungsphasen, die zwar nicht auf einer politischen Ebene, aber auf einer ökonomischen und gesellschaftlichen Ebene wichtig waren. In der Phase der Verstaatlichung des gesellschaftlichen und ökonomischen Lebens wurde die Angleichung des genossenschaftlichen Sektors an den Staatssektor und an die staatlichen Unternehmen in bezug auf die Organisations- und ökonomischen Strukturen angestrebt. Die wirtschaftlichen Mechanismen waren instabil und ein staatlicher Eingriff war jederzeit und auf allen Ebenen möglich. Expansion oder Stagnation des genossenschaftlichen Sektors war von staatlichen Eingriffen abhängig und nicht von der Geschäftstüchtigkeit der Genossenschaft, ihrer Mitglieder oder der gesamten Genossenschaftsbewegung. Diese Beziehungen änderten sich grundsätzlich durch den Übergang in die zweite Phase, in der die Verstaatlichung nicht mehr als das höchste Ziel des Sozialismus galt. Hier konnte und kann das Genossenschaftswesen wieder nach seinen eigentlichen Grundprinzipien agieren, mit Freiwilligkeit, Selbständigkeit, Selbstverwaltung und nach dem ökonomischen Prinzip. Die ökonomischen Mechanismen wurden stabiler. Es hängt jetzt von der Einstellung der Genossenschaft, ihrer Mitglieder und ihrer Verwaltungsorgane ab, wie sie ihre zukünftige Entwicklung gestalten. Durch die jüngsten Entwicklungen (1990) haben einige sozialistische Staaten einen direkten Weg in Richtung Marktwirtschaft eingeschlagen, dadurch werden sich wieder neue Beziehungen zwischen Staat und Genossenschaften ergeben. Fußnoten: (1) Ich habe in meiner Arbeit (J. Kleer, Staat und Genossenschaftswesen im Sozialismus (Parnistwo i spöldzielczosc w socjalizmie), Warschau 1978) daraufhingewiesen, daß die Mehrzahl der Theoretiker dieses Problem überhaupt nicht wahrnehmen und den Staat in seinen Erscheinungsformen als Einheit auffassen. (2) Zwei Beispiele zur Illustration des Verstaatlichungsprozesses der Genossenschaften: In Polen besaßen in der zweiten Hälfte der 70er Jahre die meisten Vorsitzenden der zentralen Genossenschaftsverbände Minister- oder Vizeministerränge in jenen Ressorts, denen die entsprechenden Genossenschaften untergeordnet waren; während einer Genossenschaftskonferenz in Moskau im April 1983 belegte die DDR-Delegation in einem Referat, wie sich die Konsumgenossenschaften in ihrem Land den staatlichen Handelsunternehmen in jeder Hinsicht annähern und kaum noch Unterschiede vorhanden sind. Dieser Prozeß wurde als Erfolg dargestellt. (3) Solche Konzeptionen gab es bis Ende der 80er Jahre. Vgl. u.a. Politische Ökonomie, Lehrbuch, Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Institut für Ökonomie, 4. Auflage, poln. Übersetzung, Warschau 1960, S. 610; Raswitije sozialistitscheskoj obschestwennoj sobstwennosti, Sofia - Moskau, 1980, S. 242 ff.

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

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(4) Man kann natürlich darüber streiten, ob die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Organisationen sind, die man allgemein als Genossenschaften bezeichnet. (5) Als Beispiel kann die polnische Genossenschaftsgesetzgebung des Jahres 1961 dienen (Gesetz über die Genossenschaften und ihre Verbände), die den Zentralverband mit einer Reihe von imperativen Attributen ausstattete, welche die Selbständigkeit und Selbstverwaltung der Genossenschaft einschränkten. Vgl. Gesetz vom 17.2.1961, Dz.U. Nr. 12/1961, in: Genossenschaftswesen in Volkspolen 1944 - 1968, Auswahl von Dokumenten, Warschau 1970. (6) So wurde z.B. "eine Reihe von Dorfgenossenschaften verstaatlicht (Kredit-, Verarbeitungs-, Maschinengenossenschaften, genossenschaftliche Maschinenstationen). Vgl. B. Struzek, Rolnictwo europejskie krajöw socjalistycznych, Warszawa 1963, S. 53. Ähnliches geschah im städtischen Bereich mit Ausnahme der Konsum- und teilweise der Produktionsgenossenschaften. (7) Zitiert nach: Spöldzielczosc w Polsce Ludowej, 1944 - 1968, Auswahl von Dokumenten, Warschau 1970, S. 291 (8) J. Kleer, Zarys ekonomicznej teorii spöldzielczosci w socjalimie (Grundriß der ökonomischen Theorie des Genossenschaftswesens im Sozialismus), Warschau 1979. (9) Vgl. u.a. K. Boczar, "Spöldzielczosc", IV. Auflage, Warschau 1979, S. 20 ff; M. Niczman, Spöldzielczosc Spozywcöw w Polsce, Warschau 1987, S. 13 ff. (10) Obwohl der Reformprozeß in den sozialistischen Ländern Anfang der 80er Jahre so intensive Formen annahm, daß man schon von einer allgemeinen Erscheinung sprechen kann, sind die einigermaßen erfolgreichen Anfänge früheren Datums, um nur Jugoslawien (1952) und Ungarn (1968) zu nennen. (11) Die Ursache für die Wirtschaftsreformen ist in der sinkenden Effizienz des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems zu finden. (12) Dziennik Ustaw, Nr. 30 vom 6. Oktober 1982. (13) Heute (1990) gibt es bereits Staaten, die zur Marktwirtschaft tendieren. (14) Eine ausführliche Analyse dieser Modelle findet sich in: J. Kleer, Das Genossenschaftswesen und die Leitungssysteme in der sozialistischen Wirtschaft, in: Die Prinzipien des Genossenschaftswesens in der Gegenwart, Festschrift für Prof. Dr. Vesa Laakkonen, Juhani Laurinkari (Hrsg.), Nürnberg 1986, S. 117 - 127. (15) Vgl. J. Kleer, Zarys teorii ekonomicznej spöldzielczosci w socjalizmie, op. cit.

516

4.1.3.

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

In den Entwicklungsländern Die Bedeutung eines angemessenen Genossenschaftsrechts für die Genossenschaftsentwicklung in der Dritten Welt Hans-H.

Münkner

A. Genossenschaftsrecht - angemessen für welchen Zweck? Als in den Jahren 1904 und 1912 eine neue Genossenschaftsgesetzgebung in Indien eingeführt wurde(l), waren die Hauptgründe für diese Maßnahme, die Armut der Masse der indischen Bauern und deren Ausbeutung durch Geldverleiher und Zwischenhändler zu bekämpfen. Später dienten Genossenschaften dazu, landwirtschaftliche Produkte für die Vermarktung zu sammeln, nach Qualitätsklassen zu sortieren und für den Export vorzubereiten. Über Genossenschaften sollten Kleinbauern dazu angehalten werden, von der Subsistenzproduktion zur Produktion für den Exportmarkt überzugehen und die Qualität der Produkte zu verbessern, wobei der so erzeugte Mehrwert weitgehend von den staatlichen Vermarktungseinrichtungen abgeschöpft wurde, um staatliche Aufgaben zu finanzieren.^) Während der Kolonialzeit wurden Genossenschaften gefördert, um als Instrumente für die Durchsetzung der staatlichen Entwickjungspolitik zu dienen. Nach dem zweiten Weltkrieg kam den Genossenschaften eine weitere Aufgabe zu. Die Kolonialmächte begannen damit, erste Vorbereitungen für die Beendigimg ihrer Kolonialherrschaft zu treffen.(3) Genossenschaften wurden als Organisationen gesehen, in denen die Einheimischen auf die Übernahme der Verantwortimg für ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung vorbereitet werden konnten. Zu diesem Zweck wurde die Errichtung genossenschaftseigener Entwicklungsörganisationen gefördert, d.h., es wurde auf regionaler und nationaler Ebene Genossenschaftszentralen für den Einkauf und Verkauf, Genossenschaftsbanken und Genossenschaftsverbände gegründet.(4) 1966 verabschiedete die Internationale Arbeitskonferenz die bis heute aktuelle Empfehlung Nr. 127 betreffend die Rolle der Genossenschaften in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Entwicklungsländer, in der Genossenschaften klar als private Selbsthilfeorganisationen zur Förderung der Interessen ihrer Mitglieder definiert wurden. Dennoch herrscht bis zum heutigen Tage in den Köpfen vieler Entwicklungsplaner und Politiker Unklarheit über die Funktion der Genossenschaften im Entwicklungsprozeß.(5) Sind Genossenschaften Entwicklungsinstrumente in der Hand des Staates oder Selbsthilfeorganisationen zum Nutzen ihrer Mitglieder?

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

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B. Streben nach konzeptioneller Klarheit Vom theoretischen Standpunkt aus gesehen sind Genossenschaften private Wirtschaftsorganisationen für die Förderung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder im Einklang mit den Genossenschaftsprinzipien.(6) Solche Genossenschaften können von der Regierung durch zeitlich begrenzte staatliche Unterstützung gefördert werden. In der Praxis werden Genossenschaften allerdings häufig als verlängerter Arm der staatlichen Verwaltung gesehen und als staatlich kontrollierte Einrichtungen.(7) 1. Staatlich geförderte Genossenschaften In öffentlichen Erklärungen wird in der Regel akzeptiert, daß Genossenschaften in den Entwicklungsländern vom Staat gefördert werden, um sie in ihrer Entwicklung zu unabhängigen Selbsthilfeorganisationen zu unterstützen, die von ihren Mitgliedern selbst verwaltet werden können, so daß sich der Staat nach einer Übergangszeit aus der Genossenschaftsförderung zurückziehen kann.(8) Die Erfahrung zeigt jedoch, daß das Konzept der Fremdhilfe zur Selbsthilfe nur schwer in die Praxis umzusetzen ist. Um ein solches Konzept erfolgreich anzuwenden, müssen einige Voraussetzungen gegeben sein: -

Das Hauptziel der staatlichen Förderung muß darin bestehen, die Genossenschaftsmitglieder in ihren Bemühungen zu unterstützen, die Regeln der genossenschaftlichen Zusammenarbeit zu erlernen und zu beherrschen.

-

Die staatliche Förderung muß darauf abzielen, menschliche Fähigkeiten zu entwickeln und örtliche Ressourcen für die örtliche Entwicklung zu mobilisieren.

Dieses ist ein langsamer und mühevoller Prozeß. Den Genossenschaftsmitgliedern muß Zeit und Gelegenheit gegeben werden, ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln zu lernen und aus eigenen Fehlern klug zu werden. 2. Staatlich kontrollierte Genossenschaften Genossenschaftliche Entwicklungsprogramme werden häufig nicht als langsame Ausbildungsprozesse geplant, deren Ziel es ist, örtlich vorhandene Ressourcen für die örtliche Entwicklung zu mobilisieren, sondern als schneller Aufbau wirtschaftlicher Einrichtungen mit Hilfe von außen bereitgestellter Gelder, mit externem Personal und unter externer Kontrolle.(9) In derartigen staatlich kontrollierten Organisationen bleibt den Mitgliedern nur eine passive Partizipation. In der Regel arbeiten solche staatlich kontrollierten Genossenschaften mit den bekannten Schwächen von Staatsbetrie-

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

ben. Für derartige Organisationen ist die Bezeichnung "Genossenschaft" nicht angemessen. Wo solche "Genossenschaften" von außen eingeführt, finanziert und geleitet werden, um Ziele zu erreichen, die ebenfalls von außen gesetzt wurden, bleibt die Frage offen, warum man in derartigen Organisationen Mitglied werden sollte, warum man seine eigenen Ressourcen in eine solche Organisation einbringen und sich aktiv an ihr beteiligen sollte. Ein Übermaß an staatlicher Kontrolle fördert nicht die Entwicklung von Genossenschaften, sondern behindert sie. 3. Autonome Genossenschaften In vielen Ländern, in denen die Genossenschaftsgesetzgebung die Genossenschaften unter starke Staatsaufsicht stellt, beginnen die Bürger damit, ihre eigenen Selbsthilfeorganisationen außerhalb des Genossenschaftsrechts zu errichten, in dem sie z.B. Bauernvereinigungen, Sparklubs oder informelle Selbsthilfeorganisationen errichten und den Namen "Genossenschaft" vermeiden.(lO) Autonome Genossenschaften entstehen auch in Bereichen, in denen die staatliche Kontrolle weniger stark ausgeprägt ist, zum Beispiel landwirtschaftliche Genossenschaften zur Vermarktung leichtverderblicher Lebensmittel (Obst, Gemüse, Fisch etc.), Genossenschaften im Bereich des Kleinhandwerks und der Dienstleistungen. Zu diesen Arten von Genossenschaften zählen auch die Credit Unions, die überwiegend mit eigenen Ressourcen arbeiten.(ll) C. Grundregeln genossenschaftlicher Zusammenarbeit 1. Genossenschaften dienen ihren Mitgliedern Genossenschaften haben die Aufgabe, an erster Stelle oder auch ausschließlich ihren Mitgliedern zu dienen. Die Mitgliedschaft in Genossenschaften muß für das Mitglied sinnvoll erscheinen und ihm sichtbare und spürbare Vorteile bringen. Genossenschaften, die Mitglieder und Nichtmitglieder in gleicher Weise fördern, Genossenschaften, deren Dienste allen Einwohnern einer Gemeinde zur Verfügung stehen oder die im Interesse der Allgemeinheit arbeiten, funktionieren erfahrungsgemäß nicht nach dem Grundsatz der freiwilligen Mitgliedschaft, sie funktionieren aber ebensowenig bei Zwangsmitgliedschaft oder automatischer Mitgliedschaft kraft Gesetzes. Wenn Genossenschaften Mitgliedern ebenso wie Nichtmitgliedern dienen müssen, dann wollen alle die Vorteile der Genossenschaft in Anspruch nehmen, aber keiner ist bereit, Beiträge zu leisten. Das heißt, solche Genossenschaften funktionieren in der Regel nur so lange, wie sie von außen finanziert

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

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werden. Sie können sich nicht zu Organisationen entwickeln, die aus eigener Kraft arbeiten. 2. Die Mitglieder müssen die Regeln genossenschaftlicher Zusammenarbeit kennen Die Grundregeln genossenschaftlicher Zusammenarbeit sind aus Erfahrungen mit erfolgreichen Genossenschaften abgeleitet worden. Diese Regeln haben ihren Niederschlag in den Genossenschaftsprinzipien und in praktischen Verfahrensregeln für Genossenschaften gefunden.(12) Die Mitglieder müssen diese Regeln kennen, wenn sie die Methode der genossenschaftlichen Zusammenarbeit erfolgreich in die Praxis umsetzen wollen, denn diese Genossenschaftsregeln unterscheiden sich von den Verhaltensnormen in einer traditionellen Gesellschaft ebenso, wie von den Organisationsregeln kommerzieller, auf individuellen Profit ausgerichteter Unternehmen. a) Freiwillige und offene Mitgliedschaft Dieser Genossenschaftsgrundsatz bedeutet, daß Personen, die für eine Mitgliedschaft in der Genossenschaft geeignet sind, selbst frei entscheiden müssen, ob sie die Rechte und Pflichten der Mitgliedschaft übernehmen wollen. Jede Genossenschaft muß grundsätzlich bereit sein, neue Mitglieder aufzunehmen, wenn diese den Anforderungen des Gesetzes und der Satzung genügen: Auf der Grundlage von Satzungsregeln organisierte Solidarität. b) Eingeschränkte Führerschaft In Genossenschaften werden die Führungspersonen aus der Mitte der Mitglieder auf der Grundlage der Regel "ein Mitglied - eine Stimme" gewählt. Alle Mitglieder (alte und junge, Männer und Frauen) haben gleiches Stimmrecht, um Führungspersonen zu wählen oder abzuwählen. Führungspersonen in Genossenschaften müssen den Interessen der Mitglieder dienen. Wenn sie diese Pflicht verletzen und die Interessen der Mehrheit der Mitglieder nicht beachten, laufen sie Gefahr, abgewählt oder nicht wiedergewählt zu werden: demokratische Kontrolle. In Genossenschaftsunternehmen muß die Geschäftsführung sich an dem Auftrag der Mitgliederförderung orientieren. Das bedeutet, daß jedes Genossenschaftsunternehmen zwei (manchmal gegensätzliche) Ziele verfolgen muß:(13) -

Sicherung des Bestandes der Genossenschaftsunternehmung durch Aufbau von Reserven und Investitionen zum Zwecke des weiteren Wachstums (institutionelle Effizienz) und

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-

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossensehaften

Befriedigung der Interessen der Mitglieder durch das Angebot guter Leistungen zu angemessenen Preisen (mitgliederorientierte Effizienz).

Die Leiter von Genossenschaftsunternehmen müssen diese beiden Effizienzen im Gleichgewicht halten und die Mitglieder der Genossenschaft müssen verstehen, daß ihre Genossenschaft sich nicht entwickeln kann, wenn alle wirtschaftlichen Ergebnisse der Genossenschaftsunternehmung an die Mitglieder verteilt werden und damit nicht für die Sicherung des Bestandes der Genossenschaftsunternehmung und deren Entwicklung zur Verfügung stehen. c) Neutralisiertes Kapital In Genossenschaften hat das Kapital keine herrschende Rolle (wie sie für Kapitalgesellschaften charakteristisch ist) sondern bewußt und absichtlich eine dienende Rolle. Genossenschaften sind Personenvereinigungen in denen die Menschen zusammenarbeiten. Genossenschaften sind keine Gruppen von Investoren, die nach lukrativen Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital suchen. Genossenschaften brauchen Kapital, um arbeiten zu können, aber ihre eigentliche Stärke ist die organisierte persönliche Zusammenarbeit ihrer Mitglieder. Aus diesem Grunde ist bei Genossenschaften -

das Stimmrecht nicht an die Höhe der Kapitalbeteiligung gebunden, sondern an die Person des Mitglieds (ein Mitglied - eine Stimme).

-

Überschüsse (Gewinne) werden nicht im Verhältnis zur Kapitalbeteiligung ausgeschüttet, sondern im Verhältnis zum Umfang der Geschäftsbeziehungen des Mitglieds mit dem Genossenschaftsunternehmen (Rückvergütungbzw. Nachvergütung). Die Höhe der Kapitalbeteiligungsdividende ist ausdrücklich beschränkt und ihre Zahlung ist eine Konzession an die praktischen Notwendigkeiten, damit die Mitglieder, die ihre Beiträge zum Kapital der Genossenschaft leisten, keine Nachteile gegenüber denjenigen haben, die ihre Gelder auf Sparkonten anlegen.

-

Das in der Genossenschaft angesammelte Betriebsvermögen wird zu unteilbarem Kapital, das allen gegenwärtigen und künftigen Mitgliedern dienen soll. Wenn ein Mitglied ausscheidet, so kann es nicht mehr Geld zurückverlangen, als es bei seinem Eintritt eingezahlt hat: Rückerstattung der Kapitalanteile zum Nennwert. Kein Mitglied hat bei Auflösung der Genossenschaft einen Anspruch auf einen Anteil an den im Genossenschaftsunternehmen angesammelten Reserven. Der Liquidationserlös wird auf andere Genossenschaftsorganisationen übertragen oder für gemeinnützige Zwecke verwendet.

4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

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3. Die Funktionsregeln einer Selbsthilfeorganisation( 14) Um eine Genossenschaft leistungsfähig zu machen, muß der Selbsthilfemechanismus in Gang gesetzt werden: -

aktive Partizipation der Mitglieder muß zu positiven Ergebnissen führen, die auf andere Weise nicht zu erlangen sind.

-

Dieses motiviert die Mitglieder dazu, ihre Partizipation fortzusetzen und zu verstärken und veranlaßt andere Personen dazu, die Mitgliedschaft zu erwerben.

-

Auf diese Weise kann die Genossenschaft wachsen, kann sie ihre Effizienz erhöhen und ihren Mitgliedern größere Vorteile bieten.

D. P r o g r a m m e zur Genossenschaftsentwicklung 1. Wie kann m a n traditionelle Dorfgruppen "modernisieren"?! 15) Um die Bedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung bei abnehmender landwirtschaftlicher Nutzfläche und nachlassender Bodenfruchtbarkeit zu befriedigen, um die Anpassung an die Bedingungen einer Geld- und Marktwirtschaft zu erleichtern, die Entwicklung traditioneller Dorfgruppen von Subsistenzbauern in Vorgenossenschaften oder genossenschaftliche Vereinigungen mit verbesserten Anbaumethoden oder auch die Entstehung von Kreditund Vermarktungsstrukturen zu ermöglichen, ist es erforderlich, die Dorfbewohner zur Zusammenarbeit zu ermutigen. Durch genossenschaftliche Zusammenarbeit können sie ihre gemeinsamen wirtschaftlichen Probleme besser lösen und ihre wirtschaftlichen Ziele besser erreichen: organisierte Solidarität auf der Grundlage selbstbestimmter Regeln. Die Voraussetzungen hierfür können durch ein flexibles, angepaßtes Genossenschaftsrecht geschaffen werden. Aber die Schaffung eines rechtlichen Rahmens für genossenschaftliche Aktivitäten allein ist nicht hinreichend. Der Staat muß gleichzeitig eine Förderungsorganisation für Genossenschaftsentwicklung einrichten, für die Bekanntmachung der neuen Regeln sorgen, die Bevölkerung bei der Anwendung der neuen Regeln beraten und die entstehenden neuen Gruppen gegen unfairen Wettbewerb und skrupellose Geschäftemacher schützen. Dieses kann geschehen durch: -

Information und Ausbildung,

-

Beratung,

-

Prüfung und Schiedsgerichtsbarkeit für die Beilegung von Streitfallen.

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4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

Um diese Funktionen der Genossenschaftsförderung zu erfüllen, bedarf es besonders qualifizierter, hauptberuflicher Genossenschaftspromotoren.(16) 2. Einschränkende Bedingungen Die Aufgabe des Staates, Genossenschaften zu fördern, wird durch folgende einschränkende Bedingungen erschwert: -

fehlende Finanzmittel machen es für den Staat unmöglich, kostenlose Förderungsprogramme für alle Genossenschaften ohne zeitliche Befristimg anzubieten. Es ist deshalb notwendig, die Genossenschaftsbewegung zu ermutigen, selbst eigene Förderungseinrichtungen aufzubauen (genossenschaftliche Verbände, Zentralen und Spitzenorganisationen) und die staatliche Genossenschaftsförderung auf die Anfangsphase der Genossenschaftsentwicklung zu beschränken.

-

Die Erfahrung hat gezeigt, daß übermäßige Förderung, zu starke Reglementierung und zu häufige bzw. zu starke Intervention staatlicher Stellen negative Auswirkungen auf die Entwicklung autonomer Genossenschaften haben.

-

Genossenschaftsentwicklung ist ein langfristiger Prozeß. Den Genossenschaftsmitgliedern muß die Zeit gegeben werden, die sie brauchen, um praktische Erfahrungen zu sammeln und aus eigenen Fehlern zu lernen. Schnelle Ergebnisse sind nicht zu erwarten. Gefragt ist geduldige, langfristige Unterstützung des Entwicklungsprozesses.

Wenn sich Genossenschaften erst einmal an Hilfe vom Staat oder von ausländischen Förderungseinrichtungen gewöhnt und eine Nehmermentalität entwickelt haben, und wenn die Genossenschaften "offizialisiert" worden sind, dann ist es fast unmöglich, diese Effekte wieder rückgängig zu machen. Deoffizialisierungsstrategien bleiben häufig unwirksam. Es wäre deshalb besser, von vornherein eine Oflizialisierung von Genossenschaften zu vermeiden^ 17) Ein Weg zur Erreichung einer angemessenen und konstruktiven Form staatlicher Hilfe für Genossenschaften ist die Beschränkimg der staatlichen Förderung auf die Gründungsphase von Genossenschaften. Vorgenossenschaften kann geholfen werden, die Regeln genossenschaftlicher Zusammenarbeit zu erlernen.(18) Es können strenge Maßstäbe für die Eintragung neuer Genossenschaften gesetzt werden. Aber nach ihrer Eintragung sollten die Genossenschaften dann weitgehend sich selbst überlassen werden und auf eigenen Füßen stehen. Nach einer solchen Förderungspolitik könnte der Staat seine Hilfsmaßnahmen in bezug auf volleingetragene Genossenschaften auf eine Rechtsaufsicht beschränken und nur solche Dienstleistungen anbieten, die zur Anwendung des Genossenschaftsgesetzes in der Praxis dienen: Eintragung, Löschung der Eintragung im Register, Prüfung oder Überwachung der

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

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Arbeit von Genossenschaftsprüfern, Durchführung von Sonderprüfungen und Schlichtung von Streitfällen innerhalb oder zwischen Genossenschaften. Die staatliche Genossenschaftspolitik sollte von Anfang an auf schrittweisen Abbau der Förderungsleistungen abgestellt sein und die Übernahme von Förderungsaufgaben durch die Genossenschaftsbewegung selbst von vornherein einplanen. Staat und Genossenschaften sollten sich als Partner im Entwicklungsprozeß verstehen und nicht als Parteien eines Dienstverhältnisses zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, wobei der Staat die Rolle des Vorgesetzten übernimmt. 3. Erfahrungen mit staatlich kontrollierten Genossenschaften Erfahrungen in Asien, Afrika und anderen Teilen der Welt - in jüngster Zeit auch in Osteuropa - haben gezeigt, daß staatlich kontrollierte Genossenschaften mehr wie Staatsbetriebe oder Verwaltungseinheiten funktionieren und nicht wie privatwirtschaftliche Unternehmen. Ihre charakteristischen Merkmale sind in der Regel geringe Effizienz, hohe Kosten, beschränkter wirtschaftlicher Erfolg und geringer Anreiz für die Mitglieder, sich aktiv zu beteiligen. Derartige staatlich kontrollierte Genossenschaften können nicht nach den Grundsätzen freiwilliger und offener Mitgliedschaft und einer demokratischen Kontrolle (d.h. einer Kontrolle durch die Mehrheit ihre Mitglieder) arbeiten. Sehr häufig weigert sich die angesprochene Zielgruppe, in solchen Organisationen mitzuarbeiten und eine aktive Rolle zu übernehmen sowie ihrer eigenen knappen Ressourcen einzubringen, wo sie selbst die Ziele und Prioritäten der gemeinsamen Aktivitäten nicht mitbestimmen kann. Die Mitglieder der angesprochenen Zielgruppe beteiligen sich nicht an Genossenschaftsbetrieben, bei denen sie nicht über die Verwendung der durch Zusammenarbeit entstandenen Überschüsse mitentscheiden können und bei denen die erzielten Gewinne nach Plänen und Prioritäten verausgabt werden, die von außen bestimmt werden.( 19) E. Was folgt daraus für die Genossenschaftsgesetzgebung? 1. Gesetz für private Wirtschaftsunternehmen Das Genossenschaftsgesetz muß als ein Gesetz für private Wirtschaftsunternehmen ausgestaltet sein, die hauptsächlich oder ausschließlich im Interesse ihrer Mitglieder arbeiten, wobei die Mitglieder gleichzeitig die wirtschaftlichen Träger und die Abnehmer der Leistungen des Genossenschaftsunternehmens sind (Identitätsprinzip).

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4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

Das Genossenschaftsgesetz muß in erster Linie ein Organisationsgesetz sein, das sich darauf beschränkt, Regeln für die innere Organisation der Zusammenarbeit der Mitglieder mit ihrer Genossenschaft und für die Beziehungen der Genossenschaft mit ihren Geschäftspartnern und Dritten zu setzen. 2. Klare Festlegung der Rolle des Staates im Genossenschaftsgesetz Die Rolle des Staates in der Genossenschaftsentwicklung muß im Genossenschaftsgesetz klar umrissen sein. Das Genossenschaftsgesetz muß eindeutig festlegen, daß sich die Aufgabe des Staates darauf beschränkt, Genossenschaften lediglich während einer Übergangszeit zu fördern und daß die Aufgaben der staatlichen Genossenschaftsförderung nach Ablauf dieser Frist schrittweise reduziert und die Zuständigkeit für Genossenschaftsförderung nach und nach auf Institutionen der Genossenschaftsbewegimg übertragen werden, so daß die staatliche Genossenschaftsbehörde letztlich nur noch rein administrative Aufgaben behält. 3. Ein Gesetz in Reichweite der Bürger Das Genossenschaftsgesetz kann nur dann wirksam angewendet werden, wenn es den Bürgern bekannt ist, wenn die Bürger die Regeln dieses Gesetzes verstehen und als sinnvoll akzeptieren. Die Mitglieder von Genossenschaften werden die Regeln des Genossenschaftsrechts nur dann im täglichen Leben ihrer Genossenschaft anwenden, wenn sie diese Vorschriften als nützlich empfinden, als Regeln, die ihnen die Arbeit erleichtern und nicht als solche, die diese Arbeit unnötig komplizieren und belasten. 4. Vorgenossenschaften In den Entwicklungsländern, in denen das Genossenschaftsrecht derart ausgestaltet sein muß, daß es sowohl für die Menschen im "modernen" Sektor, als auch im ländlichen und städtischen "informellen" Sektor geeignet ist, muß ein angemessenes Genossenschaftsgesetz Regeln für Übergangsphasen enthalten. die den Subsistenzbauern in traditionellen Dorfgruppen sowie den Kleinhandwerkern und Kleinhändlern in Dörfern und Städten den Übergang in Genossenschaften und in die Geld- und Marktwirtschaft erleichtern. Deshalb gibt es in Genossenschaftsgesetzen vieler Länder einfache und flexible Regeln für Vorgenossenschaften,(20) die sich entweder schrittweise zu echten Genossenschaften entwickeln, sich bestehenden Genossenschaften anschließen oder Gruppen von Vorgenossenschaften bilden können, die ihrerseits mit Genossenschaften zusammenarbeiten.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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Diesen vorgenossenschaftlichen Gruppen sollte die Möglichkeit geboten werden, sich in ein Register eintragen zu lassen, um eigene Rechtsfähigkeit zu erwerben, ihre interne Willensbildung in der Gruppe nach eigenen Vorstellungen zu regeln und ihre Haftung zu beschränken. Dadurch würden die vorgenossenschaftlichen Gruppen unter anderem dazu befähigt werden, Zugang zu Bezugs- und Absatzkanälen und zu Kreditprogrammen zu erhalten. 5. Genossenschaften als Wirtschaftsunternehmen Die Rechtsverhältnisse eingetragener Genossenschaften sollten durch ein umfassendes Genossenschaftsgesetz geregelt werden, das die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Organisation und Leitung der Genossenschaft, die Aufgaben, Pflichten und Haftung der Führungspersonen (Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer) sowie die Kapitalausstattung des Genossenschaftsunternehmens regelt, so wie es auch bei anderen Organisationsgesetzen (z.B. dem Gesetz für Aktiengesellschaften) der Fall ist. Das Genossenschaftsrecht sollte die Genossenschaftsunternehmen in die Lage versetzen, mit anderen Unternehmen am Markt zu konkurrieren. 6. Integrierte Systeme von Genossenschaften Eines der Genossenschaftsprinzipien des Internationalen Genossenschaftsbundes (IGB) ist die Zusammenarbeit zwischen Genossenschaften.(21) Dieser Grundsatz bedeutet, daß Genossenschaften im wirtschaftlichen Bereich und in der Interessenvertretung auf regionaler und nationaler Ebene eng zusammenarbeiten müssen, um sich gegenseitig zu stärken und um die Genossenschaftsbewegung insgesamt zu entwickeln. Deshalb muß das Genossenschaftsgesetz es den Genossenschaften erlauben, sich zu Zentralen und Verbänden zusammenzuschließen, ohne jedoch im einzelnen vorzuschreiben, wie dieses zu geschehen hat. Wenn das Genossenschaftsgesetz Regeln für Vorgenossenschaften enthält, sollten diese dazu angeregt werden, sich Genossenschaften anzuschließen und auf diese Weise Verbindung zu bestehenden Bezugs-, Absatz- und Krediteinrichtungen herzustellen. Auf diese Weise können genossenschaftliche Verbundsysteme entstehen, die von vorgenossenschaftlichen Dorfgruppen über Genossenschaften, regionale und nationale Zentralgenossenschaften und Verbände bis hin zu internationalen Genossenschaftsorganisationen wie dem IGB, der Weltorganisation der Kreditgenossenschaften (WOCCU), der Internationalen Raiffeisenunion (IRU) usw. reichen.

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4. Kapitel:

Die Stellung

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F. Wie k a n n eine solche angemessene Genossenschaftsgesetzgebung geschaffen werden? 1. Der b e s o n d e r e Charakter des G e n o s s e n s c h a f t s r e c h t s Das Genossenschaftsrecht besteht nicht in einem Vakuum, sondern ist Teil eines nationalen Rechtssystems. Deshalb muß das Genossenschaftsgesetz die allgemeinen Regeln dieses nationalen Rechtssystems berücksichtigen. Genossenschaften sind als Selbsthilfeorganisationen ihrer Mitglieder private Wirtschaftsorganisationen mit besonderen Eigenarten. Das Genossenschaftsrecht ist ein Teilbereich des nationalen Gesellschaftsrechts und muß in das System dieses Gesellschaftsrechts passen. Außerdem unterliegen die Genossenschaften wie alle Unternehmen den allgemeinen Regeln über Steuern, Handelsgeschäfte, Wettbewerbsrecht, den Betrieb von Handelsgewerben, den Gesetzen über Import und Export von Gütern, es sei denn, daß für Genossenschaften ausdrücklich Ausnahmeregelungen geschaffen wurden. Als Selbsthilfeorganisationen haben Genossenschaften ihre eigenen Regeln, die auf den international anerkannten Genossenschaftsprinzipien beruhen und auf allgemeinen Grundsätzen, wie sie z.B. in der Empfehlung Nr. 127 der Internationalen Arbeitskonferenz von 1966 festgelegt worden sind. Diese Prinzipien und Grundsätze müssen in Rechtsnormen übersetzt und in das Genossenschaftsgesetz integriert werden. Schließlich müssen die Regeln für Vorgenossenschaften entworfen werden. Dieses ist deshalb besonders schwierig, weil der Gesetzgeber nicht nur die bestehenden Bedürfnisse und Probleme der Menschen im "informellen" Bereich der Wirtschaft berücksichtigen muß, sondern auch die traditionellen Wertvorstellungen und Verhaltensnormen dieser Menschen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß das Genossenschaftsrecht, anders als z.B. das Aktienrecht nicht einfach nach internationalen Vorbildern entworfen werden kann, sondern so formuliert werden muß, daß es den soziokulturellen Bedingungen des jeweiligen Landes oder der jeweiligen Region entspricht, besonders insoweit es die Regelungen für Vorgenossenschaften betrifft. 2. Partizipative Gesetzgebung(22) Um ein Gesetz zu entwerfen, das den Bedürfnissen, Werten und Verhaltensnormen der Menschen entspricht, für die das Gesetz gedacht ist, müssen diese Menschen an dem Gesetzgebungsprozeß beteiligt werden und im Falle eines Genossenschaftsgesetzes muß eine Methode entwickelt werden, die es erlaubt, daß die künftigen Mitglieder von Vorgenossenschaften und Genossenschaften ihre Ideen über den angemessenen Inhalt des Genossenschaftsrechts miteinbringen können, bevor das Gesetz verabschiedet wird.

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Genossenschaften

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Dieses kann am besten in der Weise geschehen, daß eine Reihe von Treffen mit Mitgliedern bestehender Vorgenossenschaften und Genossenschaften organisiert wird, bei denen die Mitglieder und ihre Vertreter aufgefordert werden, ihre Meinungen zu äußern und Anregungen zu geben. Diese Anregungen müssen zusammengetragen, systematisch ausgewertet und zusammengefaßt werden und - soweit möglich - in dem Text des Genossenschaftsgesetzes Berücksichtigimg finden. Die partizipative Methode bei der Gesetzgebung bedeutet, daß eine breite Diskussion über alle das Genossenschaftsrecht betreffenden Angelegenheiten geführt wird. Die Anwendung dieser Methode setzt voraus, daß genügend Zeit eingeplant wird, um allen interessierten Gruppen die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu sagen. Der Prozeß der partizipativen Gesetzgebung vollzieht sich in Etappen. Entwürfe des neuen Gesetzes werden verteilt, diskutiert, geändert und wiederum verteilt und diskutiert, bevor der Text endgültig die gesetzgebenden Organe erreicht und verabschiedet wird. Diese Methode der partizipativen Gesetzgebung hat einen großen pädagogischen Wert. Die Bürger begreifen, daß das Gesetz nicht ein von oben her bestimmter Satz von Regeln ist, der ihnen aufgezwungen wird, sondern daß das Gesetz aus Regeln besteht, die es erlauben, praktische Probleme des Zusammenlebens in einer vernünftigen und friedlichen Weise zu lösen. Wenn man Genossenschaftsgesetze nach der partizipativen Methode entwirft, erhöhen sich die Chancen, daß das neue Genossenschaftsrecht sich zu örtlichem Gewohnheitsrecht entwickelt, zu einem Regelwerk, das von den Mitgliedern der Genossenschaft anerkannt und angewandt wird, weil sie die Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes als Normen verstehen, die es ihnen erlauben, sich an die veränderten sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen ihrer Umwelt anzupassen und sich den Herausforderungen der Geld- und Marktwirtschaft zu stellen, ohne unnötige Beeinträchtigung ihrer bestehenden Wertsysteme und Verhaltensnormen. Fußnoten: (1) The Co-operative Credit Societies Act (Act X of 1904); The Co-operative Societies Act (Act II of 1912); vgl. hierzu Report regarding the possibility of introducing land and agricultural banks into the Madras Presidency (F.A. Nicholson), Vol. I, Madras, 1895, Vol. II, Madras, 1897; Calvert, H.:The Law and Principles of Cooperation, 5. Aufl., Calcutta 1959; Münkner, Hans-H.: Die Organisation der eingetragenen Genossenschaft in den zum englischen Rechtskreis gehörenden Ländern Schwarzafrikas, Marburg 1971, S. 5 f. (2) Vgl. Strickland, C.F.: Co-operation for Africa, London 1933, ders.: Report on the Introduction of Co-operative Societies into Nigeria, Lagos 1934. (3) Vgl. z.B. The Co-operative Movement in the Colonies, Despatches dated 20th March, 1946 and 23rd April, 1946 from the Secretary of State for the Colonies to Colonial Governments, London 1946, Cd. No. 199.

528

4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

(4) Vgl. hierzu Münkner, Hans-H.: Die Organisation der eingetragenen Genossenschaft ... a.a.O. (Anm. 1), S. 25 f.; Hanel, A.: Genossenschaften in Nigeria, Marburg 1967, S. 5 f. (5) Vgl. z.B. Friedrich-Ebert-Stiftung, Malaysian Office, Kuala Lumpur (Hrsg.): ACO-JPK-FES Follow-up Seminar on Cooperative Law in ASEAN, 1-5 August, 1988, Kuala Lumpur, S. 57 f.; International Labour Office, Seventh African Regional Conference, Harare, November-December 1988, Report III, Cooperatives, S. 104 f. (6) So lautet die Legaldefinition der Genossenschaft in den meisten Genossenschaftsgesetzen der englischsprachigen Länder Afrikas und Asiens. (7) Vgl. hierzu z.B. Hanel, A.: Bemerkungen zu konkurrierenden entwicklungspolitischen Selbsthilfeförderungsansätzen unter Berücksichtigung genossenschaftsrelevanter Erfahrungen, in: Münkner, Hans-H. (Hrsg.): Entwicklungspolitische Konsequenzen einer konsequenten Selbsthilfeförderung, Institut für Kooperation in Entwicklungsländern, Studien und Berichte, 23, Marburg 1989, S. 49 f. (8) Vgl. hierzu die Genossenschaftspolitik im Senegal seit 1983, Basse R.: La réglementation juridique des coopératives et autres organisations mutualistes au Sénégal, in: Münkner, Hans-H. (Hrsg.): Comparative Study of Co-operative Law in Africa, Marburg 1989, S. 553 f. (9) Vgl. hierzu z.B. Münkner, Hans-H.: Die Rolle der staatlichen Entwicklungsbürokratie bei der Förderung von Selbsthilfeorganisationen, in: Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, 44. Jahrgang 1980, Heft 1, S. 17 f. (10) Vgl. Seibel, H.D. und Damachi, U.G.: Self-help Organizations, Guidelines and Case Studies for Development Planners and Field Workers - A Participative Approach, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 1982. (11) Vgl. z.B. Hans-H. Münkner (Hrsg.): Credit Union Development in Africa, Institut für Internationale Solidarität der Konrad-Adenauer-Stiftung, English Series No. 4, Mainz 1978. (12) Internationaler Genossenschaftsbund, IGB-Kommission für genossenschaftliche Grundsätze, London 1967; Münkner, Hans-H.: Co-operative Principles and Co-operative Law, Institut for Co-operation in Developing Countries, Papers and Reports No. 4, Marburg 1974. (13) Vgl. zu der hier stark vereinfacht dargestellten, tatsächlich sehr komplizierten Frage der Bildung von Zielsystemen in Kooperativen z.B. Dülfer, E.: Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984, S. 176 f. (14) Vgl. hierzu Müller, J.O.: Bedingungen und Motive für die Partizipation an autochthonen Selbsthilfeorganisationen und Genossenschaften, in: Münkner, Hans-H. (Hrsg.): Wege zu einer afrikanischen Genossenschaft, Institut für Kooperation in Entwicklungsländern, Studien und Berichte, Nr. 11, Marburg 1980, S. 15 f; ders.: Kritische Anmerkungen zu Selbsthilfe, Fremdhilfe und Partizipation in fremdbestimmten "Selbsthilfe"-Organisationen der Entwicklungspolitik, in: Verfassung und Recht in Übersee, 13. Jahrgang, 3. Heft 1980, S. 213 f.

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

529

(15) Vgl. Hans-H. Münkner, Possibilities and Problems of Transformation of Local Village Groups into Pre-Cooperatives (Experience in French-speaking Countries of Africa), in: Third World Legal Studies, 1982, New York 1982, S. 174 f. (16) Hans-H. Münkner (Hrsg.): Personalprobleme von Entwicklungsorganisationen im Bereich Selbsthilfeförderung, Institut für Kooperation in Entwicklungsländern, Studien und Berichte, Nr. 16, Marburg 1985. (17) Vgl. Hierzu Hanel, A.: Statesponsored Cooperatives and Self-reliance, Some Aspects of the Reorganization of Officialized Cooperative Structures with Regard to Africa, Institute for Co-operation in Developing Countries, Papers and Reports No. 24, Marburg 1989. (18) Vgl. Münkner, Hans-H.: Die rechtliche Regelung der Vorgenossenschaften, Institut für Kooperation in Entwicklungsländern, Studien und Berichte Nr. 12, Marburg 1981, insbesondere S. 85 f. (19) Münkner, Hans-H.: The Cooperative Societies Act of Tanzania, 1982 and the Promotion of Rural Cooperatives: A Critique, in: Plunkett Foundation for Cooperative Studies, Year Book of Agricultural Co-operation 1986, S. 67 f. (20) Vgl. z.B. das Genossenschaftsgesetz von Burkina Faso, Ordonnance No. 83-021 portant statut des organisations à caractère coopératif et pré-coopératif en Haute-Volta vom 13.5.1983; Ordonnance No. 005/PRG/SGG/88 portant statut générale des organisations à caratère coopératif et pré-coopératif en Republique de Guinée vom 10.2.1988. (21) Internationaler Genossenschaftsbund, IGB-Kommission für genossenschaftliche Prinzipien, a.a.O. (Anmerkung 12), S. 35, 37 f. (22) Vgl. Münkner, Hans-H.: Participative Law-Making, A New Approach to Drafting Co-operative Legislation in Developing Countries, in: Verfassung und Recht in Übersee, 19. Jahrgang, 2. Quartal, 1986, S. 123 f.

530

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

4.2.

Das genossenschaftliche B a n k w e s e n

4.2.1.

In der Marktwirtschaft Eduard

Mändle

A. Doppelnatur der Genossenschaftsbank als Förderungsgenossenschaft Der Begriff der Genossenschaftsbank kann sicherlich durch die Doppelnaturlehre von G. Draheim zutreffend beschrieben werden, die den nachfolgenden Überlegungen zugrunde liegt. Danach hat jede Genossenschaft eine Doppelnatur: Sie ist sowohl eine Personenvereinigung, deren Mitglieder einzelne Personen oder Körperschaften, z.B. Unternehmen, sind, welche die Träger der Genossenschaft darstellen. Weiterhin ist die Genossenschaft eine ökonomische Einrichtung - ein gemeinschaftlicher Geschäftsbetrieb - dieser Mitgliederwirtschaften. Nach einer anderen Auffassung kann die Genossenschaft als ein System angesehen werden, "das sich aus Menschen und technischen Mitteln ... zusammensetzt" (E. Dülfer). Darunter versteht man eine Ganzheit, die aus einer Mehrzahl von Elementen - technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fakten - besteht, die letztlich der Förderung der Genossenschaftmitglieder dienen. 1. Genossenschaftsbank als Personenvereinigung Die Genossenschaftsbank als Personen Vereinigung ist der soziale Verband der Mitglieder, der nicht primär durch die Kapitaleinlagen, sondern durch die Person des Mitglieds, sein persönliches Tätigwerden in der Genossenschaft, begründet wird: Das persönliche Zusammenwirken der Mitglieder in den Verwaltungsorganen - Vorstand, Aufsichtsrat und General- bzw. Vertreterversammlungen - ihre Aktivität bei deren Kontrolle, der Herbeiführung von Beschlüssen innerhalb der Organe sowie deren Entlastung. Die Genossenschaftsmitglieder bringen nicht nur das Kapital über ihre Geschäftsanteile und Einzahlungen auf diese auf und verwalten die Genossenschaft, sondern sie sind auch deren Kunden im Sinne von Kreditnahme und der Einlage von Spargeldern bzw. der Inanspruchnahme allgemeiner Dienstleistungen der Bank. Dieser Tatbestand wird auch als Identitätsprinzip beschrieben; es macht die Lehre von der Doppelnatur der Genossenschaft in dem Sinne deutlich, daß die Träger des Unternehmens mit dessen Vertragspartnern - den Kreditnehmern bzw. den Kapitaleinlegern - identisch sind.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

531

2. Genossenschaftsbank als Unternehmung Die Genossenschaftsbank in der Marktwirtschaft ist nicht nur eine soziologischen Gesetzmäßigkeiten unterworfene Personenvereinigung, sondern sie verfolgt auch primär ökonomische Zwecke, weil ihre Mitglieder zugleich wirtschaftende Unternehmen oder Haushalte sind. Sie ist also eine Unternehmung mit allen Organisationsregelungen und Problemen, die auch für andere Banken als Unternehmen relevant sind; sie hat Risiken und Chancen, für sie gilt das Wirtschaften nach dem ökonomischen Prinzip und sie hat einen in kaufmännischer Art und Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb. Dieser wird jedoch nicht für den Eigennutz tätig, sondern er übernimmt in seiner Eigenschaft als Ergänzungswirtschaft Funktionen der selbständig bleibenden Mitgliederbetriebe bzw. Haushalte. Der Gemeinschaftsbetrieb der Genossenschaftsbank hat nach dem Genossenschaftsgesetz oder durch die Satzung die grundsätzliche Aufgabe, eine ökonomische Förderung der Mitgliederwirtschaften herbeizuführen. B. Gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Genossenschaftsbanken 1. Unternehmenswachstum der Genossenschaftsbanken Die Genossenschaftsbanken in den marktwirtschaftlichen Volkswirtschaften zeichnen sich, insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, durch ein nachhaltiges Wachstum aus. -

Das interne Unternehmenswachstum der Genossenschaftsbanken ergibt sich daraus, daß diese häufig gerade auch auf regionaler Ebene in der Lage waren, ihre Geschäftsvolumen stärker als andere Unternehmen zu steigern, so daß sich ihr Marktanteil erhöht hat. - Das externe Unternehmenswachstum der Genossenschaftsbanken resultiert daraus, daß es zu einer Verschmelzung von 2 oder mehreren genossenschaftlichen Kreditinstituten gekommen ist, wobei sich im Sinne der Fusion rechtlich und wirtschaftlich völlig selbständige Unternehmen zu einer selbständigen Genossenschaftsbank zusammenschließen und somit eine völlig neue juristische und ökonomische Einheit bilden. Diese Form des Wachstums bei Genossenschaftsbanken war in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Einfluß der Änderung des Kreditwesengesetzes (Vier-Augen-Prinzip im Vorstand, Reduzierimg bzw. Wegfall des Haftungssummenzuschlages) sicherlich von entscheidender Bedeutung. -

Das Mitgliederwachstum ist ein weiteres Charakteristikum für die Entwicklung der Genossenschaftsbanken. Aus Tab. 1 geht hervor, daß die Mitgliederzahl um das Zweieinhalbfache und der durchschnittliche Mitgliederbestand je Genossenschaftsbank um das Zehnfache angewachsen ist.

532

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

2. Unternehmenskonzentration bei Genossenschaftsbanken Die bankgenossenschaftliche Unternehmenskonzentration drückt sich in folgenden Erscheinungsformen aus: -

Die Schrumpfung der Zahl der Genossenschaftsbanken ist sowohl auf der Primärstufe - von 11.651 im Jahre 1960 auf3.359 im Jahre 1988 - als auch auf der Sekundärstufe - von 19 Zentralbanken im Jahre 1960 auf 6 im Jahre 1988 - die typische Konzentrationsentwicklung im genossenschaftlichen Bankwesen. Dabei handelt es sich nicht um eine Konzentration zur Erlangung von wirtschaftlicher Stärke und Macht, sondern primär um eine Aufhebung der Zersplitterung im ländlichen und gewerblichen genossenschaftlichen Bankensektor. (Vgl. Tab. 1 und Schaubild 1)

Die genossenschaftliche Mitgliederkonzentration ergibt sich daraus, daß der durchschnittliche Mitgliederbestand je Genossenschaftsbank außerordentlich stark angehoben wurde; er stieg von 334 im Jahre 1960 auf 3.312 im Jahre 1988 an, was insbesondere auf die Aufnahme neuer Mitgliederschichten, vor allem der Arbeitnehmer in Volks- und Raiffeisenbanken, zurückzuführen ist. - Das Hineinwachsen in oligopolistische Marktformen ist ein Ergebnis dieses Konzentrationsprozesses der Genossenschaftsbanken, wodurch in der Gegenwart neue Marktstellungen und bankwirtschaftliche Wettbewerbsstrukturen geschaffen wurden. Die Genossenschaftsbanken haben ihre Marktanteile auf allen Wettbewerbsebenen nachhaltig ausdehnen können und teilweise sogar - z.B. bei der Einführung neuer Sparformen, neuer Dienstleistungen u.ä. - die Marktführerfunktion im Bankenoligopol übernommen.

-

C. Ordnungspolitische Einstufung der Genossenschaftsbanken 1. Elemente der marktwirtschaftlichen Ordnung Die Marktwirtschaft ist jene Ordnungsform der Volkswirtschaft, bei der als selbsttätige Steuerungsinstanz des Güteraustausches zwischen den Wirtschaftssubjekten der Markt dominierend im Mittelpunkt des gesamtwirtschaftlichen Geschehens steht. Sie wird durch folgende Strukturelemente gekennzeichnet: Aufstellung individueller und dezentraler Wirtschaftspläne, Markt als Abstimmungsmechanismus der einzelnen Wirtschaftspläne, Freiheit als organisatorische Voraussetzung für das Wirtschaften, Privateigentum an Produktionsmitteln und Haftung für wirtschaftliches Handeln. Die Funktionsweise der Marktwirtschaft wird durch folgende Merkmale bestimmt: Nutzenstreben, für Unternehmen speziell Gewinnmaximierung als Ziel des Wirtschaftens, ökonomisches Prinzip als Handlungsmaxime, Marktgleichgewicht als Ergebnis der Marktaktivitäten und Wettbewerbsprinzip auf den Märkten. Der Staat greift

4. Kapitel: Die Stellung

von Genossenschaften

533

TAB. 1 QUANTITATIVE B E D E U T U N G D E R GENOSSENSCHAFTSBANKEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND 1960

1970

1980

1988

27145 11676 11651 19 12

18614 7114 7092 14 8

11680 4267 4246 10 11

9395 3379 3359 6 14

11936

13184

14931

646

1142

1607

6216

9105

11124

884

2149

3312

123073 78714 19962 9435 14962 129363 80993 22448 10821

388387 284674 63183 40530

669265 484181 94087 90997

I. Genossenschaftsunternehmen 1. Genossenschaftsunternehmen insgesamt 2. Zahl der Genossenschaftsbanken a)Kreditgenossenschaften b)Zentralbanken+DG-Bank c) Spezialinstitute II. Genossenschaftsmitglieder (in 1000) 1. Zahl der Genossenschaftsmitglieder a)insgesamt 9812 ^Durchschnittlicher Mitgliederbestand in Genossenschaften 363 2. Zahl der Mitglieder in Genossenschaftsbanken a)insgesamt 3855 ^Durchschnittlicher Mitgliederbestand in Genossenschaftsbanken 334 III. Genossenschaftliche Unternehmensgröße 1. Bilanzsummen in Mio DM a) Kreditgenossenschaften b) Regionale Zentralbanken c) DG-Bank d) Spezialinstitute 2. Geschäftsvolumen in Mio DM a) Kreditgenossenschaften b) Regionale Zentralbanken c) DG-Bank

29041 22109 4909 2023 -

30277 22644 5396 2237

-

-

412030 297828 69195 45007

702285 504620 99500 98065

Quellen: Die Genossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland

in das Wirtschaftsgeschehen n u r dann ein, wenn sich Fehlentwicklungen ergeben (Arbeitslosigkeit, Inflation u.a.) oder seinen Grundvorstellungen entsprechend bestimmte Ziele realisiert werden sollten (Soziale Sicherheit und Gerechtigkeit). In der Praxis der M a r k t w i r t s c h a f t e n h a b e n sich die isolierten Wirtschaftseinheiten vielfach zu Wirtschaftsverbänden (Interessen- u n d M a r k t v e r b ä n d e ) zusammengeschlossen, u m als G r u p p e ihre ökonomischen Ziele besser durchsetzen zu können.

534

4. Kapitel:

Die

Stellung

von

Genossenschaften

ABB. 1

Die Genossenschaftsbanken in der Bundesrepublik nach Größenklassen (Stand Ende 1988) 0

100 200 300 400 500 600 700 100 900 10001100 1200 1300 14001500

Anzahl

! i 1 I I t

bis unter 10 Mio DM

•r I von 10 bis unter 20 M i o . DM

• 1

Anzahl der Kreditgenossenschaften r Bilanzvolumen der I Kreditgenossenschaften

T

r

2.335 Mio. D M

! I ! 1

n

i

von 20 bis unter 50 M i o . D M

34.564 Mio D M

!

r i i i

von 50 bis unter 100 M i o DM

66 680 Mio

834 ,

0

I

M

10

20

I

30

40

DM

M ' M

50

60 70

80 90 100 110 120 130 140 150

Mrd. D M

Q u e l l e : B V R - J s h r e s b e r i c h t 1988

2. Wirtschaftsautonomie und Genossenschaftsbanken Die Aufstellung individueller und dezentraler Wirtschaftspläne wurde als ein wesentliches Element der Marktwirtschaft angesehen. Diese ordnungspolitischen Organisationsmerkmale stimmen mit den Strukturprinzipien der Genossenschaftsbanken überein. So können sowohl die Genossenschaftsmitglieder als Unternehmen oder Haushalte, als auch der genossenschaftliche Bankbetrieb eigenständige Wirtschaftspläne aufstellen und vollziehen. Die Mitglieder der Genossenschaftsbank können selbständig darüber entscheiden, ob sie bei bestimmten Konditionen - Zinshöhe, Laufzeit eines Kredites - ihren

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

535

genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb benutzen, oder ob sie mit anderen Banken in Geschäftsbeziehung treten wollen. Auch bei der Errichtung, der Auflösung oder Verschmelzung der Genossenschaft sowie beim Eintritt in bzw. bei Austritt aus der Genossenschaft besteht die Möglichkeit einer autonomen Entscheidung der Mitglieder. Das Management der Genossenschaftsbank kann seinerseits das gesamte Betriebsgeschehen - unter Berücksichtigung bestimmter rechtlicher Bestimmungen - im Depositengeschäft (Spar- und Termineinlagen), im Aktivgeschäft, also im Kreditgeschäft in verschiedensten Variationen, im Dienstleistungsgeschäft (Vermögenssicherung und -Verwaltung, Versicherungsgeschäft, Immobiliengeschäft u.a.) oder im Handelsgeschäft (Valuten-, Edelmetall-, Warenhandel u.a.) selbst bestimmen. Dabei muß allerdings der bankgenossenschaftliche Förderungsauftrag berücksichtigt werden. 3. Markt-Preis-Mechanismus und Genossenschaftsbanken Das entscheidende Element der Marktwirtschaft ist die Koordination der autonomen Einzelpläne auf dem Markt durch den Preis. Es gibt Überlegungen, daß bei Genossenschaften nur eine einseitige Marktverbundenheit vorhanden wäre und die Planabstimmimg nicht über den Markt, sondern durch Verhandlung zwischen den Genossenschaftsmitgliedern und dem Geschäftsbetrieb erfolgen würde. Daraus wird dann abgeleitet, daß die Koordinierung der Wirtschaftspläne bei Genossenschaften nicht durch den Preis-Markt-Mechanismus, sondern den Verhandlungsmechanismus erfolgen und die Genossenschaft nicht mit einem wichtigen Element der Marktwirtschaft konform gehen würde. - Dieser Einstufung kann nicht zugestimmt werden, da bei Genossenschaftsbanken sehr wohl eine zweiseitige Marktbeziehung vorhanden ist. -

Die Genossenschaftsbank kann als eine Einheit von Mitgliedern und Geschäftsbetrieb aufgefaßt werden, wobei diese jeweils auf ihren Märkten spezifische Marktbeziehungen entwickeln. Die Genossenschaftsmitglieder haben etwa Geldeinnahmen aus ihrer Geschäftstätigkeit, sie legen daraus Sparund Termingelder bei ihrem genossenschaftlichen Geschäftsbetrieb an, die dieser an Dritte wiederum als Kredite ausleihen kann. Nach dieser Vorstellung ist die Genossenschaft der aus den Produktionsfaktoren Unternehmensleitung (Vorstand), Mitarbeitern, Geld- und Realkapital zusammengesetzte Geschäftsbetrieb zuzüglich der Mitgliederwirtschaft, die jeweils eigenständige Marktpartner haben.

-

Das Bestehen echter Marktbeziehungen oder Quasimarktbeziehungen zwischen den Mitgliedern und dem Geschäftsbetrieb ist eine den obigen Überlegungen entgegenstehende Version, die jedoch ebenfalls die Existenz zweiseitiger Marktverbindungen im Rahmen des Marktpreismechanismus - zwar getrennt bei Mitgliedern und Bankbetrieb - begründet. Auch wenn die Mitglieder eine starke Verbundenheit mit der Genossenschaftsbank haben, können sie doch vor der Aufnahme jeglicher Geschäftsbeziehungen - Einlage von Depositen, Aufnahme von Kredit - in einer "Abwägungs- und

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4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

Wahlphase" überlegen, ob nicht andere Marktpartner bessere Bedingungen als der genossenschaftliche Bankbetrieb bieten. 4. Freiheit und Genossenschaftsbank Die Aufstellung von Einzelwirtschaftsplänen und deren Abstimmung am Markt setzt Entscheidungsfreiheit im Wirtschaften voraus. Deren verschiedene Spielarten können sowohl von den Mitgliedern als auch vom genossenschaftlichen Bankbetrieb wahrgenommen werden. -

Die Freiheit des Genossenschaftsmitglieds drückt sich im einzelnen wie folgt aus: - Freiwilliger Beitritt zur Genossenschaft, freiwilliges Ausscheiden aus der Genossenschaft unter Einhaltung der Kündigungsbedingungen, grundsätzlich freie Benutzung des Genossenschaftsbetriebes, freiwillige Einrichtung, Auflösimg und Verschmelzung der Genossenschaftsbank durch die Mitglieder; - freiwillige Festlegung des Gegenstandes des Geschäftsbetriebes, etwa die Aufnahme oder Abgabe des ländlichen Warengeschäftes. - Die Freiheit des genossenschaftlichen Bankbetriebes wird durch folgende Merkmale bestimmt: - Vertragsfreiheit gegenüber den Marktpartnern, gegenüber den Kunden, Organisationen im genossenschaftlichen Verbundsystem, anderen Bankinstituten, den Genossenschaftsmitgliedern, ist bei Bankmanagement vorhanden. - Freiheit der Geschäftsführung - ist im Rahmen der gesetzlichen und satzungsmäßigen Bestimmungen - für den Vorstand gegeben. Gerade in Marktwirtschaften wurden Genossenschaftsbanken niemals durch staatliche Initiative gegründet. Die Errichtung und das Betreiben von Genossenschaften ist vielmehr auf die freie Entscheidung der Mitglieder zurückzufuhren, die sich ihrer wirtschaftlichen Lage bewußt geworden sind und sich mit den Banken entsprechende Selbsthilfeeinrichtungen geschaffen haben. 5. Privateigentum und Genossenschaftsbank Das Privateigentum am Betriebsvermögen ist in der Marktwirtschaft als ein wichtiges Instrument anzusehen, damit eine individuelle und eigenverantwortliche wirtschaftliche Betätigung mittels persönlicher Initiative entfaltet werden kann. Ohne diese Dispositionsmöglichkeit über das Betriebseigentum würde die marktwirtschaftliche Ordnimg nicht ihre unbestrittene Leistungsfähigkeit aufweisen.

Als typische Merkmale des Eigentums gelten die Verfügungsgewalt, die Nutznießung und die Teilnahme am Liquidationserlös.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

537

-

Die Verfügungsgewalt über das Betriebsvermögen üben zwar nicht direkt die Mitglieder, sondern die Genossenschaftsvorstände aus, die in einem demokratischen Wahlverfahren in ihre Ämter berufen wurden. Die genossenschaftlichen Bankleiter können diese Funktionen grundsätzlich unabhängig von staatlichen Weisungen wahrnehmen. Wenn das Vermögen der Genossenschaftsbank in einen privaten Teil (Geschäftsanteile der Mitglieder) und in einen kollektiven Teil (offene und stille Rücklagen) unterteilt wird, kann hinsichtlich der Verfügungsgewalt folgendes festgestellt werden: - Uber den privaten Teil des Geschäftsvermögens haben die Mitglieder die volle Verfugung; sie erhalten ihre Geschäftsanteile bei Kündigung zurück. - Auch der kollektive Teil des Genossenschaftsvermögens ist den Mitgliedern nicht entzogen. Bei einer Auflösung des Genossenschaftsbetriebes nehmen sie am Liquidationserlös teil. Scheiden die Mitglieder allerdings vor der Liquidation aus, so ist ihnen das Kollektiwermögen der Genossenschaft (Rücklagen und stille Reserven) weitgehend verschlossen. - Gerade diese Teilnahme am Liquidationserlös für die Genossenschaftsmitglieder ist ein Recht, das sich auch von dem Privateigentum an Produktionsmitteln ableitet und somit ordnungspolitisch die Konformität von Genossenschaft und Marktwirtschaft begründet. - Das Nutzungsrecht der Produktionsmittel tritt bei einer Genossenschaftsbank in den Hintergrund; trotzdem ist zu erkennen, daß nicht wenige genossenschaftliche Banken über Einrichtungen verfügen, die sie ihren Mitgliedern überlassen.

Letztlich ist auch von Bedeutung, daß durch Genossenschaftsbanken Millionen von Mitgliedern - in hohem Maße sind dies heute Arbeitnehmer - die Möglichkeit besitzen, am Produktiwermögen der Volkswirtschaft beteiligt zu werden. So haben in der Bundesrepublik Deutschland in der Gegenwart mehr als 10 Millionen Menschen über ihre Geschäftsanteile an Volks- und Raiffeisenbanken eine Beteiligung am Produktiwermögen der Volkswirtschaft vollzogen. Es wird hierdurch einer wichtigen ordnungspolitischen Forderung der wirtschaftspolitischen Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft, nämlich einer breiten Streuung des Eigentums an den Produktionsmitteln, voll entsprochen. 6. Haftung und Genossenschaftsbank Als konstitutives Element der Marktwirtschaft wird die Haftimg der Wirtschaftssubjekte für ihre ökonomischen Dispositionen und Entscheidungen angenommen. Auch bei den Genossenschaftsbanken haben die Mitglieder und die Organvertreter die Selbstverantwortung für ihr wirtschaftliches Handeln zu tragen. -

Bei der Mitgliederhaftung ist von Bedeutimg, daß zunächst für die Verbindlichkeiten der Genossenschaftsbank nur das Vermögen der Genossenschaft herangezogen werden kann; dies bedeutet jedoch, daß mindestens die

538

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Geschäftsanteile dem Mitglied verloren gehen können. Im Konkursfalle tritt grundsätzlich bis zur Höhe der Haftsumme eine Nachschußpflicht ein. - Eine Organhaftung von Vorstand und Aufsichtsrat ist in dem Sinne gegeben, daß diese für ihre in ihren Funktionen getätigten Handlungen oder Unterlassungen zur Rechenschaft gezogen werden können; diese Haftung geht so weit, daß sie sich auch auf die ehrenamtlichen Vertreter in Vorstand und Aufsichtsrat bezieht. In den Genossenschaften ist somit eine konkrete Haftung für wirtschaftliche Entscheidungen gegeben. Es ist nicht etwa der Staat, der als Haftungsträger auftritt, sondern entweder die Mitglieder, die letztlich auch mit ihrem Privatvermögen haften oder aber die Organvertreter, die bei Außerachtlassung ihrer genossenschaftlichen Sorgfaltspflicht zur Haftung herangezogen werden können. Es wird im genossenschaftlichen Bankwesen jedoch insofern eine Haftungsabschwächung für das einzelne Mitglied erreicht, da durch im Verbundsystem angesiedelte Solidaritätsfonds bei Eintreten eines Haftungsfalles in Anspruch genommen werden können. 7. Nutzenstreben und Genossenschaftsbanken Das individuelle Nutzenstreben der Wirtschaftssubjekte ist der Antrieb zum Wirtschaften in der marktwirtschaftlichen Ordnung. Da eine Genossenschaftsbank sowohl Unternehmen als auch Haushalte als Mitglieder hat, ist das Nutzenziel zu differenzieren: Für die Haushalte ist ein höchstmöglicher Konsumnutzen, für die Unternehmen ein maximaler genossenschaftsverursachter Gewinn und für den genossenschaftlichen Bankbetrieb ein angemessener Gewinn anzustreben. Diese Zielsetzungen resultieren auf dem gesetzlich oder satzungsmäßig festgelegten Förderungsauftrag für die Mitglieder. -

Die Nutzenstiftung für die Haushalte, die Mitglieder einer Genossenschaftsbank sind, ergibt sich aus folgendem: - Reduzierung der Haushaltsausgaben durch entsprechende Bankleistungen, z.B. günstige Kredite und hohe Sparzinsen. - Erhöhung der Realeinkommen durch Haushaltskostensenkungen - Erbringung von kostengünstigen Zusatzleistungen, etwa im Versicherungsbereich oder der Mitgliederinformation. Das genossenschaftsverursachte Gewinnmaximum beim Mitglied kann durch eine mittelbare und unmittelbare bzw. direkte und indirekte Mitgliederförderung über den Bankbetrieb zustande kommen. Aus Abb. 2 geht hervor, daß aufgrund der Wettbewerbsstrukturen im Bankensektor die mittelbare Mitgliederförderung im Vordergrund der Tätigkeit der Genossenschaftsbanken steht, während bei dem ursprünglich so wichtigen Förderungsbereich der unmittelbaren Finanzleistungen gegenüber den Mitgliedern (Zinsen und Konditionen) sogenannte "Quasimarktbeziehungen" zwischen Mitglied und Genossenschaft entstanden sind.

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

539

ABB. 2

Gewinne in Genossenschaftsbanken Genossenschaftsbank Gemeinschaftlicher Geschäftsbetrieb

Mitglieder Mittelbare Mitgliederfbroerung zur Verbesserung Oer Gewinnsituation Oer Mitglieder über Finanz- und Sachleistungen sowie immaterielle Leistungen

. . . . . . .

Genossenschaftsgewinn im weiteren Sinne - Maximaler genossenschaftsverursachter Gewinn brw. EinkommensZuwachs beim Mitglied .

• • • • , • • A

Lebensversicherung für Mitglieder Unfallversicherung für Mitglieder Ortsnahe Versorgung mtt Bankangeoot Günstige Schalteroffnungszerten Weiterbildung der Mitglieder Wettbewerbsregulativ gegen über anderen Barnten

Kombination oer betneblicnen Proouktionslaktoren •

Unternehmerteistung: Vorstand und Aufsicntsrat



Arbeit: Mitarbeiter



Kapital: Geschättsgebaude, Geschaftsausstattung Wertpapiere u. a.



Boden: Standort der Zentrale und der Filialen

R ü c k l a g e n (treiwill. satzungsgemäße und gesetzliche) zur Sicherung der UnternehmensSubstanz und der Leistungsfähigkeit

Mitgliedenntormation Mrtgliedermitbestimmung

Mittelbare Mitgliederförderung als F i n a n z i e r u n g zur Verbesserung der Einkommenssituation der Mitglieder • •

Oividenoe GenuQrechte

„Quasimarktbeziehungen' aus der Wettbewerbssituation bei . u n m i t t e l b a r e n Finanzieistungen: • • • •

Kunden

Soll- und Habenzinsen Konditionen Beratung Service



-

Marxtbeziehungen" bei unmittelbaren Finanzieistungen: • • • •

Genossenschaftsgewinn im engeren Sinne als angemessener Gewinn zum Zwecke oer mittelbaren Mitglieoerförderung

Soll- und Habenzinsen Konditionen Beratung Service

Genossenschattsgewmn irr engeren Sinne als angemessener Gewinn zum Zwecke der mittel baren Mitglieoerforoerung

Quelle: Mändle, E.: Zur Frage des Gewinns in Genossenschaften, in: Rheinisches Genossenschaftsblatt, Nr. 1, Köln/Koblenz 1989, S. 26

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-

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

Der angemessene Gewinn des Bankbetriebes der Genossenschaftsbank ist zur Bildung von Rücklagen für die Sicherung der Unternehmensubstanz und der Leistungsfähigkeit (Investitionen in Bankgebäuden, Einrichtungen u.ä.) und zum Zwecke der mittelbaren Mitgliederförderung als Finanz- und Sachleistungen sowie immaterieller Leistungen anzusehen.

Insgesamt kann festgestellt werden, daß zwischen dem marktwirtschaftlichen Nutzenstreben und dem Unternehmensziel der Genossenschaftsbank kein Unterschied besteht: (Abb. 2) 8. Wettbewerb und Genossenschaftsbanken Der Wettbewerb ist ein zentrales Element für die Funktionsweise der marktwirtschaftlichen Ordnimg. Die Frage nach den Wettbewerbswirkungen von Genossenschaftsbanken wird kontrovers behandelt und ist natürlich von den örtlichen bzw. regionalen Verhältnissen abhängig. -

Die wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen von Genossenschaftsbanken werden dann angenommen, wenn man vom Modell des atomistischen Marktes ausgeht und jede Genossenschaftsaktivität zu einem diesem Marktideal kontroversen Zusammenschluß isolierter Wirtschaftskräfte führt. Da dieses Wettbewerbsmodell jedoch wenig realitätsbezogen ist und die heutige staatliche Wettbewerbs pol i tik auch von diesem Leitbild Abstand genommen hat, können die daraus abgeleiteten negativen Wettbewerbewirkungen auch nicht mehr als Problem angesehen werden. In einer anderen Version wird die Auffassung vertreten, daß Genossenschaftsbanken auf regionalen und teilweise auch auf überregionalen Märkten zu Marktführem geworden wären und durch ihre Marktmacht der Wettbewerb beeinträchtigt würde. Selbst wenn man davon ausgeht, daß in den vergangenen Jahren sich gerade bei Genossenschaftsbanken ein Konzentrationsprozess eingestellt hat, so haben sich die Marktstrukturen nirgendwo in Richtung eines einseitig dominierenden Wettbewerbs am Markte für Bankleistungen entwickelt.

-

Die wettbewerbsaktivierenden Wirkungen von Genossenschaftsbanken sind ebenfalls in einer doppelten Weise zu sehen. Zum einen wird in der Theorie der gegengewichtigen Marktmacht die Meinung vertreten, daß es geradezu zum Wesen der Genossenschaftsbanken gehören würde, daß sie durch die Zusammenfassung isolierter Marktkräfte eine Gegenposition gegen die ursprüngliche Marktmacht auf der Gegenseite des Marktes bewirken würden. Wenn die vielen und marktschwachen Kreditnachfrager - etwa einer privaten Bank oder einem Geldverleiher - gegenüberstehen, so erhöht es ihre Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit, wenn sie sich in einer Kreditgenossenschaft zusammenschließen und gemeinsam die Kreditnachfrage vornehmen. Ohne Zweifel hat in der Vergangenheit diese Wettbewerbsstärkung im Bereich der Geldwirtschaft durch Genossenschaftsbanken eine erhebliche Rolle gespielt. - Zum anderen gibt es die These, daß durch Genossenschaftsbanken auf vielen Märkten erst eine Einordnung der genossenschaft-

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liehen Marktteilnehmer in einen Marktwettbewerb erfolgen und dadurch auch letztlich ein funktionsfähiger Wettbewerb zustande kommen würde. Ohne Kreditgenossenschaften wären viele Bauern und Handwerker überhaupt nicht an eine Inanspruchname von Bankleistungen herangekommen, so daß erst über die Genossenschaft eine Marktteilnahme erfolgen konnte. - Ein verstärkter Wettbewerb durch Genossenschaftsbanken hat sich aufgrund der Veränderung der Marktstrukturen eingestellt. Ursprünglich traten viele Genossenschaftsbanken, insbesondere die im ländlichen Raum, im Rahmen einer atomistischen Marktform auf, bei der jede Genossenschaft am Gesamtmarkt der Bankleistungen in einer Volkswirtschaft nur einen minimalen Marktanteil hatte, kaum eine Konkurrenzbeziehung mit anderen Banken bestand und auch keine größere Marktaktivität entwickelt wurde. Diese Marktform wurde bis zur Gegenwart von oligopolistischen Marktstrukturen im Bankenwettbewerb abgelöst. Die Tendenz zum Oligopol, mit relativ wenigen Wettbewerbern, ergab sich bei den Primärgenossenschaften und den genossenschaftlichen Zentralbanken auf nationalen bzw. internationalen Märkten. Durch Rückgang der Zahl der Genossenschaftsbanken ist es jedoch nicht zu der von manchen befürchteten Wettbewerbsreduzierung gekommen. Im Gegenteil, der Wettbewerb in dem Genossenschaftsbanken stehen, hat im Rahmen der sich entwickelten weiten Oligopole an Intensität und an Konstanz zugenommen. -

Die Wettbewerbslage in der Bundesrepublik Deutschland läßt sich wie folgt kennzeichnen: - Bei einer relativ geringen Zahl von Konkurrenten, insbesondere der Sparkassen, kommt es bei den Genossenschaftsbanken zu einer oligopolistischen Interdependenz, bei der Aktionen und Reaktionen der Wettbewerber - aber auch der Marktpartner, also der Mitglieder und Kunden - mit in das wettbewerbspolitische Kalkül aufgenommen werden müssen. So muß bei einer Zinserhöhung, einer Veränderung der Konditionen oder bei Umdispositionen in der Mitglieder- bzw. Kundenberatung berücksichtigt werden, wie zum einen die Mitbewerber und zum anderen die Mitglieder und Kunden darauf reagieren. -

Die Genossenschaftsbank tritt als Oligopolist auf den Bankmärkten als zusätzlicher Wettbewerber in eine Konkurrenz zu den bereits am Markt vorhandenen Marktteilnehmern und vergrößert somit die Wettbewerbsintensität. Würde sie nämlich am Markt nicht als Mitkonkurrent vorhanden sein, so wäre sicherlich der Wettbewerb weniger stark.

9. Grundsätzliche ordnungspolitische Beurteilung Insgesamt kann erkannt werden, daß die Aufbau- und Ablaufprinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnimg mit den wesentlichen Elementen der Genossenschaftsbanken grundsätzlich übereinstimmen. Dies bedeutet, daß die Genossenschaftsbanken einen Nutzen für die Erhaltung und Weiterentwick-

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lung der Marktwirtschaft aufbringen. Sie erfüllen nicht nur systemkonforme Funktionen - Wirtschaftsautonomie, Privateigentum am Produktiwermögen, Förderung der Mitglieder im Sinne von Nutzenstiftung -, sondern tragen auch deutliche systemverbessernde Merkmale, etwa in der Aktivierung des Bankwettbewerbs, der Erhöhung des individuellen Freiheitsspielraumes der Mitglieder und die Sicherung einer Vielzahl von Wirtschaftssubjekten. Die Vorstellung, daß Genossenschaften und die das gesamte Genossenschaftswesen bestimmenden Genossenschaftsbanken eine neue Wirtschaftsordnung begründen würden, erscheint deswegen als nicht gerechtfertigt. Die Marktwirtschaft erfährt durch das umfassende und vielgestaltige Genossenschaftswesen eine wesensprägende Ergänzung, jedoch keine Beeinträchtigung oder Aufhebung. Literatur: Baumann, H./Falkenstein, L.: Die Volksbanken und Raiffeisenbanken, 1976 Draheim, G.: Die Genossenschaft als Unternehmungstyp, 2. Aufl., Göttingen 1952 Dülfer, E.: Von der "Doppelnatur" der Genossenschaft zur systemtheoretischen Sicht des Kooperativs. In: Die Prinzipien des Genossenschaftswesens in der Gegenwart (Hrsg. J. Laurinkari), Nürnberg 1986, S. 29 ff. Hahn, O.: Die Unternehmensphilosophie einer Genossenschaftsbank, Tübingen 1980 Lürig, R.: Kreditgenossenschaften, In: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980, Sp. 1049 ff. Mändle, E.: Marktwirtschaft und Genossenschaftswesen, In: Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Wiesbaden 1980, Sp. 1151 ff. Mändle, E.: Landwirtschaft und Genossenschaftsbanken, Stuttgart 1988 Röhm, H./Doll, M.: Der Förderungsauftrag im Zielsystem der Bankgenossenschaften, Stuttgart 1983 Seuster H.: Zum Förderungsauftrag der Genossenschaftsbanken. In: ZfgG Bd. 30 (1980), S. 91 ff. Viehoff, F.: Zur mittelstandsbezogenen Bankpolitik des Verbundes der Genossenschaftsbanken, 3 Bände, Frankfurt 1978, 1979 und 1980

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4.2.2.

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Im Sozialismus Jerzy Kleer

Genossenschaftliche Banken sind in fast allen sozialistischen Ländern unbekannt, und dort, wo es sie doch gibt (Polen, Ungarn), erfüllen sie nur sehr eingeschränkte Funktionen. Damit unterscheiden sie sich gravierend von den Genossenschaftsbanken in den Marktwirtschaften. Warum gab und gibt es angesichts eines entwickelten genossenschaftlichen Sektors in den meisten sozialistischen Länder keine Genossenschaftsbanken? Warum sind sie nur als Randerscheinung aufgetreten? In den sozialistischen Wirtschaften dominierte bis Anfang der 80er Jahre das imperativ-distributive (stalinistische) Modell der volkswirtschaftlichen Steuerung mit der Zuteilung der Produktionsfaktoren und des Absatzes der erzeugten Güter und Dienstleistungen aufgrund eines Zentralplans mit staatlich fixierten Preisen. Der Sachstrom von Gütern und Dienstleistungen wurde zwar von einem Finanz- und Geldstrom begleitet, dieser kann aber allgemein als passiv charakterisiert werden. Denn das Finanzsystem erfüllte nur Verrechnungs- und Buchführungsfunktionen und hatte selbst keinen direkten Einfluß auf die Wirtschaftsprozesse. Die Finanz- und Bankinstitutionen waren - durch weitgehendes Fehlen eines Privatsektors in den meisten sozialistischen Staaten (mit Ausnahme von Polen und Jugoslawien) - den wirtschaftlichen Warenprozessen untergeordnet und spielten keine wesentliche Rolle. Es entstand dadurch eine Vorherrschaft des Prinzips der Finanzhilfe durch den Staat und nicht der Selbsthilfe, welches die Grundlage eines genossenschaftlichen Banksystems hätte bilden können. Aber auch die Anteile der Mitglieder und damit das Eigenkapital der Genossenschaftsbanken waren sehr gering, so daß die Genossenschaftsbanken fast vollständig von den Finanzmitteln des Staates oder der nicht-staatlichen Banken abhängig waren. Außerdem waren die Genossenschaftsbanken instrumental in die staatliche Finanz- und Kreditpolitik eingebunden. Die Geschäftspolitik der Banken war durch die Politik des Staates vorgegeben. Durch das Verteilungsprinzip eines zentralistischen Imperativsystems war das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung relativ niedrig (1) und damit auch die Sparmöglichkeiten gering. Die Ersparnisse konnten aus Systemgründen nicht in Kapital umgewandelt werden. Das ist auch der Grund für den erwähnten Umstand, daß die Mitgliederanteile nur einen sehr kleinen Teil des Eigenkapitals der Bankengenossenschaften ausmachten.(2) Der Tätigkeitsbereich der Genossenschaftsbanken war demnach stark eingeschränkt und der Wirtschaftspolitik des Staates untergeordnet. Die Beispiele Ungarn und Polen sollen das im folgenden illustrieren. In Ungarn wurden die bestehenden Kreditgenossenschaften 1952 aufgelöst (3) und 1957 wieder neu gegründet. Gegenwärtig sind sie dem Verband der

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Konsumgenossenschaften eingegliedert. Mitte der 80er Jahre gab es 260 Spargenossenschaften mit 1,9 Millionen Mitgliedern; sie betreiben zahlreiche Geschäfte infolge der 1968 begonnenen marktorientierten Wirtschaftsreform. Ihr Tätigkeitsbereich umfaßt den Sparverkehr (etwa 15 % aller Mittel), die Finanzierung der landwirtschaftlichen Produktion, die Vermittlung von Finanzgeschäften zwischen Genossenschaften und Staatsunternehmen usw.. Trotz des breiten Wirkungsbereiches waren diese Genossenschaften bis zur Mitte der 80er Jahre, keine selbständigen Institutionen, sie wirkten im Rahmen des Verbandes der Konsumgenossenschaften und waren in ihrer Kreditund Sparpolitik von der Geschäftspolitik der Konsumgenossenschaften abhängig. Die polnischen Spar- und Kreditgenossenschaften entwickelten sich nach einer Periode Anfang der 50er Jahre, in der sie nur Hilfsfunktionen erfüllten, sehr schnell. Von 1.300 Genossenschaften im Jahr 1958 stieg ihre Zahl 1987 auf 1.660. Die Mitgliederzahl wuchs von 1,4 Millionen auf 2,5 Millionen. (4) Diese Spar- und Kreditgenossenschaften, die in den Jahren 1957 -1975 einen umfangreichen Tätigkeitsbereich innehatten, blieben jedoch dessen ungeachtet vom Staat abhängig. Die staatliche Landwirtschaftsbank übte für diese Genossenschaften die Funktion einer Finanzzentrale aus und dem Finanzminister oblag die allgemeine Aufsicht über ihre Banktätigkeit. 1975 wurde dieser Bereich neu strukturiert, der Staat gründete eine staatlich genossenschaftliche Bank mit dem Namen "Bank für Lebensmittelwirtschaft", deren Geschäftspolitik durch die Wojewodschaftsabteilungen bestimmt wurde. Nur die örtlichen Genossenschaftsbanken blieben bestehen. Die staatliche Abhängigkeit der Genossenschaftsbanken wurde damit aber nur erhöht. Da die Hauptaufgabe der Genossenschaftsbanken Geld- und Kreditgeschäfte für Privatunternehmen (landwirtschaftliche und handwerkliche) war, konnte der Staat diese Banken instrumental für seine Wirtschaftspolitik im Bereich der privaten Landwirtschaft und des privaten Handwerks einsetzen. Wenn diese Politik in bestimmten Perioden größere Expansionsmöglichkeiten für das private Handwerk, den Handel und Dienstleistungen vorsah, wuchs das Kreditvolumen (z.B. in der ersten Hälfte der 60er Jahre), wenn dagegen das Investitionsvolumen des privaten Sektors, mit Außnahme der Landwirtschaft, eingeschränkt werden sollte, wurden die Kredite reduziert. (5) Aus diesen Beispielen lassen sich allgemeine Eigenschaften des genossenschaftlichen Bankwesens in sozialistischen Ländern ableiten. -

Das genossenschaftliche Bankwesen war und ist vom Staat und seiner Wirtschafts-(Finanz- und Bank-)Politik vollständig abhängig. Seine Tätigkeitsbereiche sind hauptsächlich Bankdienstleistungen für Privatunternehmen sowie für die mit diesem Sektor verbundenen Haushalte; nur in kleinem Rahmen werden Kreditgeschäfte mit Genossenschaften getätigt.(6)

Unsere Analyse der Genossenschaftsbanken bezog sich auf die Situation bis in die Mitte der 80er Jahre. In der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts lassen sich

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Veränderungen feststellen, die bereits jetzt zeigen, welche Entwicklungschancen sich für die Bankgenossenschaften ergeben. Es geht dabei nicht nur um die Gründung neuer Genossenschaften (z.B. in China oder in der Sowjetunion), sondern um einen umfassenden Reformprozeß der sozialistischen Wirtschaft. Folgende Faktoren sind dabei hervorzuheben: -

Die sozialistische Wirtschaft beginnt sich in den meisten Staaten (als Folge der Wirtschaftsreformen) am Marktsystem zu orientieren.

-

Die Genossenschaften werden als Wirtschaftseinheiten, die ihre Wirtschaftstätigkeit auf eigene Rechnung führen, anerkannt. In immer größerem Ausmaß wird die Privatwirtschaft als Bestandteil der sozialistischen Wirtschaft zugelassen.

-

Gegenwärtig gibt es große Chancen für das Entstehen und die Entwicklung des Bankgenossenschaftswesens, besonders in jenen Ländern, in denen die Reformen konsequent durchgezogen werden. Ihr Entwicklungspotential wird die Zukunft weisen. Fußnoten: (1) Dieses Verteilungsprinzip ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: Der Staat selbst verfügt über den größten Teil des Volkseinkommens, unter anderem für Akkumulationszwecke; - Uber den Staatshaushalt wurde der öffentliche Verbrauch finanziert; das ProKopf-Einkommen reichte nur aus, um ein Minimum an Bedürfnissen zu decken und hatte egalitären Charakter. (2) So überschritt z.B. in den Genossenschaftsbanken Polens der Anteil des Eigenkapitals an der Deckung von Krediten niemals 10 %, während er in den Jahren 1975 - 1985 nur zwischen 0,4 und 7 % betrug. (3) vgl. The Hungarian Co-operative Movement, A short survey of the history and activities of the Hungarian co-operative movement, Budapest, 1987, S. 40 - 41. (4) Zu den Hauptfunktionen der Spar- und Kreditgenossenschaften zählen die Kredit- und Finanzdienstleistungen für die Dorfbevölkerung als landwirtschaftliche Unternehmer und als Konsumenten. (5) In den 70er Jahren sah die Kreditvergabe der Genossenschaftsbanken folgendermaßen aus: 90 - 94 % für private landwirtschaftliche Unternehmen, etwa 1 - 3 % für das Handwerk und etwa 5 % für Haushalte. (6) Beispielsweise vergeben die Genossenschaftsbanken in Polen keine Kredite an Genossenschaften und führen mit ihnen auch keinerlei Finanzoperationen durch, da diese zum Wirkungsbereich der staatlichen Banken gehören. Anders die Genossenschaftsbanken in Ungarn, wo ein Teil der Abschlüsse zwischen Genossenschaften und staatlichen Unternehmen über diese Banken abgewickelt wurde.

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Literatur: Kleer, J.: Polish cooperatives in figures, Warszawa 1980 Ochocinski, S.: Zasady funkcjonowania banköw spöldzielczych po reorganizacji z 1975r. Ruch prawniczy Ekonomiczny i Socjologiczny, 4/1982 The Hungarian Co-operative Movement, A short survey of the history and activities of the Hungarian Co-operative movement, National Co-operative Council, Budapest 1987

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4.2.3.

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In E n t w i c k l u n g s l ä n d e r n

4.2.3.1. Informelle F i n a n z i n s t i t u t i o n e n in E n t w i c k l u n g s l ä n d e r n Hans Dieter Seibel A. Uberblick Spar- und Kreditvereine waren in Afrika und Asien bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts als Bestandteil einer eher einheimischen Selbsthilfeökonomie bekannt. Bei der Begründung eines modernen Genossenschaftswesens fanden sie in den Entwicklungsländern dennoch keine Berücksichtigimg. Erst mit der "Krise der Genossenschaften in der Entwicklungspolitik" (Dülfer 1975) und der internationalen Schuldenkrise traten in den siebziger Jahren "Selbsthilfeorganisationen", in den Achtzigern schließlich "informelle Finanzinstitutionen" als zentrale Einrichtungen einer einheimischen Wirtschaft und einer nationalen Ersparnismobilisierung ins entwicklungspolitische Blickfeld. Drei neue Entwicklungsansätze zeichnen sich in jüngster Zeit ab: die Weiterentwicklung ("upgrading") informeller Finanzinstitutionen (IFI), insbesondere durch Nichtregierungsorganisationen (NRO, NGO); die institutionelle Anpassung ("institutional adaptation") der Banken, etwa durch modifizierte Übernahme kundennaher Finanztechnologien der IFI; und die Verknüpfung informeller und formeller Finanzinstitutionen ("linkages"). Die differenziertesten Ansätze mit dem weitesten Verbreitungsgrad sind hierbei mit deutscher technischer Hilfe vom asiatisch-pazifischen Zentralund Agrarbankenverband APRACA entwickelt worden. Die staatlich geförderten Genossenschaften, die am ehesten für solche Ansätze prädestiniert wären, zeigen sich vorerst noch zurückhaltend; sie sind eher Institutionen der Durchleitung staatlicher Kreditmittel als der Ersparnismobilisierung und der Selbsthilfe. Private Genossenschaften wie z.B. die "credit unions" im anglophonen und die "banques populaires" im frankophonen Bereich scheinen eher geeignet für eine Strategie der Entwicklung der einheimischen Wirtschaft von unten, d.h. auf der Grundlage ihrer eigenen organisatorisch-institutionellen Ressourcen. B. Evolution e i n e s Begriffs 1- Gemeinnützige Hilfskassen in Togo Zu Beginn dieses Jahrhunderts stieß der deutsche Ethnologe und Togoexperte Westermann (1935:43) auf eine Art einheimische Raiffeisengenossenschaft, die ihm eine entwicklungspolitische Empfehlung wert war:

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"Das sodyodyo ist nichts anderes als eine auf Arbeit statt auf Geld gegründete gemeinnützige Hilfskasse in primitiver Form. Es ist bei den Eingeborenen so beliebt und so allgemein verbreitet, daß es einen recht brauchbaren Ausgangspunkt für die Gründung größerer und moderner kooperativer Gesellschaften werden könnte. Würde man dabei von Anfang an erfahrene Eingeborene zu Rate ziehen und die neue Einrichtung den bisherigen Gewohnheiten möglichst anpassen, so könnte sie schnell Eingang finden und sich segensreich gestalten. Sie würde unverständiger Vergeudung wie Verschuldung gleichermaßen entgegenwirken". Togo geriet in andere Hände, der neue Kolonialherr interessierte sich mehr für landwirtschaftliche Exportproduktion als autochthone Hilfskassen, Westermanns Modell einer einheimischen Genossenschaftsentwicklung geriet in Vergessenheit. Nur die togoische Bevölkerung hat ihren sodyodyo oder sodzodzo (Ewe) bzw. aboo (Kotokoli) nicht vergessen, im Gegenteil: rotierende Spar- und Kreditvereine sind heute weit verbreitet im ganzen Lande. Unter der französischen Bezeichnung tontine finden sie sich inzwischen auch in den Städten in allen Berufsbereichen. Sie füllen eine Lücke des Finanzwesens, die weder von modernen Banken noch formellen Genossenschaften französischer Provenienz gefüllt wird. 2. Nigeria 1934: Autochthone oder allochthone Genossenschaften? Als Mittel zur Exportförderung initiierte die britische Kolonialverwaltung 1922 in Nigeria die ersten genossenschaftlichen Zusammenschlüsse von Kakaobauern. Die Entwicklung verlief äußerst schleppend: knapp zehn Jahre später, 1931, waren erst 1.494 Bauern genossenschaftlich organisiert (Hanel 1967:7). Der britische Genossenschaftsexperte Strickland (1934), der über umfangreiche Erfahrungen in Indien verfügte, wurde mit der Durchführung einer Evaluation und der Erarbeitung eines Förderungskonzeptes betraut. So wie er bereits vorher in Indien auf die Existenz einheimischer Spar- und Kreditvereine gestoßen war (bis heute als chitty oder chitfunds weit verbreitet - s. Seibel & Damachi 1982:76), fand er ähnliche Vereinigungen auch in Nigeria vor, bei den Joruba als esusu bezeichnet. Aufgrund des Kulturgefälles zwischen Indien und Nigeria verfiel er dem Irrtum, diese als indisches Importgut zu betrachten. Außerdem waren ihm Gerüchte über betrügerische Praktiken zu Ohren gekommen, die er aber nicht weiter untersuchte. Es kam daher zu einer für die weitere Entwicklung - zumindest in Westnigeria folgenschweren Entscheidung: nämlich die autochthonen finanziellen Selbsthilfeorganisationen nicht weiter zu beachten und stattdessen ein modernes Genossenschaftswesen nach britischem Vorbild zu fördern schließlich seien beide importiert. Auf der Grundlage des Gutachtens Stricklands wurde 1935 ein Genossenschaftsgesetz verabschiedet, und 1936 wurden die Durchführungsbestimmungen erlassen. Bis heute ist das nigerianische Genossenschaftsgesetz von dem britischen Vorbild kaum abgewichen. Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht der Registrar of Co-

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operatives als höchster Beamter einer Genossenschaftsbehörde. Er verfügt über weitreichende Befugnisse und untersteht unmittelbar dem Minister. Er erläßt eine Mustersatzung, die für die Einzelgenossenschaft weitgehend bindend ist und ihr kaum eigenen Entscheidungsspielraum läßt. 3. Der modernisierungstheoretische Schub Die Unabhängigkeitswelle um 1960 löste zugleich einen Modernisierungsschub aus: Entwicklung durch massiven Technologietransfer aus den Industrieländern, einschließlich der damit verbundenen Organisationsformen, Wertsysteme und Handlungsorientierungen. Für diesen Schub mußte zunächst kulturell Platz geschaffen werden, eine tabula rasa der einheimischen Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Genossenschaften, Ergebnis einer Selbsthilfebewegung des 19. Jahrhunderts in Europa, wurden verstärkt auch in den Entwicklungsländern gefördert. Aber der Enthusiasmus der Entwicklungsexperten und Politiker wurde von der Bevölkerung nicht geteilt. Sie hielten an ihren eigenen Finanzinstitutionen fest: nicht aus Traditionalismus, sondern weil zwischen entwicklungspolitischer Ideologie und Wirklichkeit Abgründe klafften. Weiterhin standen sich zwei Modelle in scharfem Kontrast gegenüber: das einer modernen, importierten und das einer einheimischen, einer autochthonen Genossenschaftsbewegung. Erstere wurden von oben von der Kolonialbehörde - und von außen - von Europa - eingeführt, letztere hat sich von unten - auf Initiative der Betroffenen selbst - und von innen - auf der Grundlage der autochthonen Kultur - entwickelt. Das Entwicklungsmodell des modernen Genossenschaftswesens ist revolutionär: Die alte Kultur muß umgestürzt und beseitigt werden, dann erst kann die neue eingeführt werden. Das autochthone Genossenschaftswesen ist evolutionär, es ist in der einheimischen Kultur entstanden und wandelt sich mit den sozioökonomischen Verhältnissen. Der revolutionäre Akt stellte sich auf Dauer, durch Erlaß eines Genossenschaftsgesetzes ("Co-operative Societies Ordinance"): 1931 in Ghana und Kenia, 1932 in Tanganjika, 1935 in Nigeria, 1939 in Sierra Leone (Cooperative Chronology 1973:60-63); die evolutionäre Entwicklung blieb vielfältig, offen und unkoordiniert. Beide Genossenschaftsbewegungen existieren bis heute nebeneinander, keine hat die andere verdrängen können. Jedes Land hat heute sein Genossenschaftsgesetz und seine moderne Genossenschaftsbewegung (Cooperative Chronology 1973: passim); jedes Land und fast jede ethnische Gruppe hat ihre eigenen autochthonen Genossenschaften (Bouman 1978, Seibel & Damachi 1982). Förderungsmaßnahmen richten sich in der Regel nur auf moderne Genossenschaften; autochthone Kooperationsformen werden weitgehend ignoriert.

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4. Auf der Suche nach autochthonen Basisorganisationen In den sechziger Jahren war zunächst noch versucht worden, zwischen den zwei Bewegungen zu vermitteln. So meinte Trappe (1966) nach eigenen Feldforschungen in Tansania, moderne Genossenschaften seien ein besonders geeignetes Entwicklungsmodell, da sie auf der Kulturtradition afrikanischer Solidarität aufbauten. Mit dem Zusammenbruch der Modernisierungstheorie in den siebziger Jahren wurde gleichzeitig auch die These eines Zusammenhangs zwischen autochthonen Strukturen und modernen Genossenschaften zurückgewiesen: Moderne Genossenschaften seien in völlig anderen Gesellschaften entstanden und auf andere Zielgruppen ausgerichtet; sie stellten keine modernisierte Version traditioneller Solidarität und Kooperation dar (COPAC 1978:3; Hyden 1976:223; Illy 1980:91; Texier 1975:2-3). Gleichzeitig verbreitete sich die Einsicht, daß moderne Genossenschaften, ursprünglich zur Mobilisierung einer exportorientierten Landwirtschaft von den Kolonialmächten in Afrika eingeführt, nur in sehr unzureichendem Maße zur Entwicklung beigetragen hätten (COPAC 1978:15; Ollawa 1977:412; Texier 1975:2); es kam zur "Krise der Genossenschaften in der Entwicklungspolitik" (Dülfer 1975). Damit verband sich die Kritik an den ländlichen Regional- und Verbundprojekten, "da Projekten dieser Art zumeist die Verbindung zu sozioökonomischen Basisorganisationen auf dem Lande fehlt und sie zu deren Förderung wenig unternommen haben" (Popp 1976:3). Die Suche nach autochthonen Basisorganisationen wurde nun zu einem neuen Anliegen, das u.a. auch in den "Grundsätzen für die Förderung von Selbsthilfeorganisationen in Entwicklungsländern" des BMZ (1977) und einzelner Entwicklungsorganisationen verankert wurde. "Hilfe zur Selbsthilfe" rückte zunehmend in den Mittelpunkt der entwicklungspolitischen Diskussion, Selbsthilfeorganisationen wurden gleichzeitig zum Träger und zur Zielgruppe basisorientierter Maßnahmen. Als ein Relikt aus der modernisierungstheoretischen Frühzeit hielt man es zunächst noch für notwendig, solche Gruppen durch Projekte zu induzieren, statt vorhandene zunächst einmal zu erfassen - und ggf. zu fordern. Der großen Vielfalt autochthoner Selbsthilfeorganisationen in der sozialwissenschaftlichen Literatur steht bis heute in den meisten Ländern und Projekten eine ganz und gar unzureichende praxisrelevante Rezeption gegenüber. 5. Informelle Finanzinstitutionen Die Krise der achtziger Jahre führte zu einem Versiegen der internationalen Kredite, die bis dahin in das Faß ohne Boden der ländlichen Entwicklung geflossen waren. In den neu entdeckten einheimischen Selbsthilfeorganisatio-

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nen wurden nun Möglichkeiten der Ersparnismobilisierung gesehen, die bis dahin der nicht weiter überprüften Armutshypothese zum Opfer gefallen waren. Ein neuer Begriff kam in die Diskussion: der der informellen Finanzinstitution. Was bis dahin mehr als wirtschafts-ethnologische Kuriosität existierte, wurde nun zum Gegenstand internationaler Konferenzen: in Jaunde 1984, in Feldafing 1984 und 1985, in Amsterdam 1985. Erstmals gerieten informelle und formelle Finanzinstitutionen gleichzeitig ins internationale Blickfeld, wurden erfolgreiche Modelle der gegenseitigen Anbindung gesucht. Jenseits des Schulstreits zwischen Modernisierungs- und Dependenz- bzw. Abkoppelungstheoretikern ergaben sich nun neue Perspektiven: Entwicklung als Austauschprozeß zwischen autochthonen ("einheimischen") und industriegesellschaftlichen Strukturen und Prozessen, durch den die einheimische Wirtschaft unter gleichzeitiger Nutzung der eigenen Ressourcen und der Anstöße von außen neue Impulse erfährt. An die Stelle einer einseitig autozentrierten Entwicklung und der ebenso einseitigen Transfermodelle tritt die Morphogenese: die Entwicklung neuer Systeme und Modelle, die den Zuständigkeitsbereich einer Genossenschaftsbehörde transzendieren. (Seibel 1987a) C. Segmentierte Finanzmärkte 1. Staatliche Kontrolle In allen Ländern beansprucht der Staat für sich das Recht der Kontrolle über Finanzmärkte. Er unterwirft sie seiner Gesetzgebung (z.B. Kreditgesetz, Genossenschaftsgesetz) und setzt zumeist eine Zentralbank als Kontrollinstrument ein. Die Banken, Sparkassen und Genossenschaften, die dieser staatlichen Finanzgesetzgebung unterliegen, bilden zusammen den formellen Finanzsektor. Das Geschäftsgebaren der in diesem Sektor zusammengeschlossenen formellen Finanzinstitutionen ist äußerst restriktiv. Die Masse der Bevölkerung hat zu ihnen keinen Zugang. Die Bevölkerung hat ihre eigenen, informellen Finanzinstitutionen, die zwar nicht über die technischen Möglichkeiten der Depothaltung und Kreditgewährung einer Bank verfügen, dafür aber unmittelbar und unbürokratisch allen offenstehen. Damit liegt in fast allen Entwicklungsländern eine Segmentierung der Finanzmärkte vor: formelle Finanzinstitutionen für die Begüterten, informelle für die Armen und die weniger Armen.

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2. Der informelle Finanzsektor Der informelle Finanzsektor besteht aus zwei Subsektoren: den privaten Geldverleihern (einschließlich Händlern mit Warenkrediten) und den finanziellen Selbsthilfeorganisationen. Geldverleiher spielen in verschiedenen asiatischen Ländern eine große Rolle und bringen manchen Bauern um sein Hab und Gut. Eine solche Enteignung ist nach afrikanischem Bodenrecht nicht möglich. In den weitaus meisten afrikanischen Ländern sind Geldverleiher von untergeordneter Bedeutung. Informelle Finanzinstitutionen, im engeren Sinne auf finanzielle Selbsthilfeorganisationen beschränkt, sind weltweit verbreitet : von Bénin (ndjonu ) bis Zimbabwe (chilemba), von China (hui) bis Sri Lanka (cheetu) und Samoa (felagolagomai), von Bolivien (pasanaco) bis Trinidad (susu) (Seibel & Damachi 1982:73-79), von Nepal (dhikur, dhikuti) (Messerschmidt 1972; Dolebel 1985) bis Indonesien (arisan) (Geertz 1962, Seibel 1988). Ihre Struktur und Bedeutung ist höchst unterschiedlich, nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Region zu Region, oft von Ort zu Ort. In dieser Variabilität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche und wechselnde Bedingungen liegt ihr besonderer Vorteil. Nach eigenen Untersuchungen liegt die Zahl der IFI-Mitglieder in der Volksrepublik Kongo (1,6 Mio E, davon etwa 50 % Erwachsene) bei etwa 450.000 (Seibel 1987b), im OPEC-Land Nigeria (100 Mio E) bei etwa 20 Mio, jeweils ein Vielfaches der Mitgliedschaft in registrierten Genossenschaften (Nigeria: 1,6 Mio Genossenschaftsmitglieder) (Seibel 1984:1-5). In vielen ländlichen Gebieten in Liberia, Elfenbeinküste, Togo, Nigeria, Kamerun, Kongo, Nepal, Philippinen und Indonesien sind nach eigenen Untersuchungen zwischen 50 und 95 % der erwachsenen männlichen und weiblichen Bevölkerung Mitglieder in IFI, häufig in mehreren zugleich. Durch die Urbanisierung verlieren die IFI nichts an Attraktivität: Sie finden sich auf allen Ebenen der sozialen Hierarchie. Die wichtigsten IFI sind Spar- und Kreditvereine (SKV) mit formeller Struktur, schriftlicher oder mündlicher Satzimg, fester Mitgliedschaft, dauerhaftem Bestand und definierter ökonomischer und häufig zugleich sozialer Zielsetzung. Organisationswissenschaftlich sind SKV formelle Organisationen in einem informellen Sektor. Daneben sind Sterbekassen sowie Vereine und Verbände mit sekundären finanziellen Funktionen weit verbreitet. SKV unterscheiden sich nach der Zuteilungsrotation und nach dem Darlehensgeschäft. Daraus entsteht folgende Typologie: -

Typ I: Rotierender Sparverein : Jedes Mitglied zahlt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine feste Summe. Der Gesamtbetrag wird jeweils einem Mitglied zugeteilt. Ein Zyklus endet, wenn alle Mitglieder ihre Zuteilung erhalten haben.

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-

Typ II: Rotierender Spar- und Kreditverein: Jedes Mitglied zahlt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine feste Summe. Ein vorher festgelegter Teil des Gesamtbetrages wird jeweils einem Mitglied zugeteilt; ein weiterer Teil wird einem Darlehens- und Versicherungsfonds zugeleitet. - Typ III: Nicht rotierender Sparverein: Jedes Mitglied zahlt zu einem bestimmten Zeitpunkt eine feste oder variable Summe. Die Einzahlungen werden verwahrt oder auf ein Konto einbezahlt. Am Ende eines bestimmten Zeitraumes werden die Sparbeträge zurückgezahlt. - Typ IV: Nicht rotierender Spar- und Kreditverein: Der Verein erzielt Einkünfte, die einem Darlehens- und Versicherungsfonds zugeleitet werden. Der Fonds wird mit oder ohne zeitliche Begrenzung eingerichtet. Je nach vorwiegender Einkommensart lassen sich drei Untertypen unterscheiden: -

Typ IVa: SKV mit Beitragswesen : Die Mitglieder zahlen feste Beträge in den Fonds ein. - Typ TVb: Lohnarbeitsverein: Die Mitglieder verdingen sich gegen Entgelt als Lohnarbeitsgruppe; die Einkünfte werden ganz oder teilweise in den Fonds eingezahlt. - Typ IVc:Produktions-SKV: Die Mitglieder betreiben gemeinsam Ackerbau oder Viehzucht oder ein sonstiges Geschäft und zahlen die Einkünfte in den Fonds ein. SKV sind äußerst vielfältig und variabel und lassen sich nicht in einer Typologie abschließend darstellen. Ihre primären wirtschaftlichen Funktionen sind: -

Sparfunktion Kreditfunktion Versicherungsfunktion.

Sekundäre Zwecke umfassen soziale und produktive Funktionen. Abgesehen von einfachen Kombinationen der aufgeführten Typen und Funktionen gibt es vielfältige Abweichungen: Die Beitragszahlungen können variabel statt fest sein. Mitglieder können mehrere Anteile und damit mehrere Mitgliedschaften mit allen Einzahlungspflichten und Zuteilungsrechten erwerben. Die Rotationsfolge wird vorher festgelegt, vom Vorstand nach Bedarfsanmeldung entschieden, im Losverfahren oder per Auktion bestimmt. Die Buchführung erfolgt heute praktisch immer in schriftlicher Form, häufig mit doppelter oder dreifacher Kontrolle. Satzungen wurden früher mündlich, heute stets schriftlich abgefaßt. Die Größe variiert zwischen 2 und mehreren 100, gelegentlich mehreren 1000 Mitgliedern. Größere Vereine sind in Sektionen gegliedert. Außer kleineren rotierenden Sparvereinen haben die meisten SKV einen gewählten Vorstand unterschiedlicher Größe, manchmal mit einer komplexen Hierarchie. Leistungen bei Notfallen sind verloren oder rückzahlbar. Darle-

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hen werden an Mitglieder oder auch Nichtmitglieder gegeben. Zinssätze variieren zwischen 0 und 120 % p.a., können aber auch beträchtlich darüber liegen. Sofern Darlehen nicht zinsfrei vergeben werden, liegen sie in der Regel erheblich über den staatlich festgesetzten Zinssätzen. Verpflichtungen werden durch Bürgen oder andere Haftungen abgesichert; häufig reichen die lokal üblichen sozialen Sanktionen aus (Familienhaftung, Ehrenkodex des Geheimbundes), um jede Unregelmäßigkeit auszuschließen. In einigen Gebieten sind die SKV aus den sehr verbreiteten rotierenden Arbeitsgruppen hervorgegangen. In Elfenbeinkünste sind die Übergänge zwischen Spar- und Arbeitsvereinen heute noch fließend; hier hat sich der Lohnarbeitsverein als ein Haupttyp herausgebildet. "Le travail, c'est notre argent" ("Die Arbeit, das ist unser Geld"), sagen die Bauern. (Seibel 1987a) In anderen sind sie aus Naturalienspargenossenschaften entstanden, indem Geld an die Stelle der ursprünglichen Naturalien gesetzt wurde: z.B. Reis in Liberia, Raffiastoffstreifen in der VR Kongo, Weizen bei den Bergstämmen in Nepal, Vieh in verschiedenen Ländern. Oder modernes Geld trat einfach an die Stelle des traditionellen: Eisenstäbchen, Kupfer-, Messing- und Eisenreifen, Manillas, usw. Vielfach verbreiteten sich die SKV von diesen Gesellschaften per Diffusion zu den Nachbargesellschaften. Heute sind SKV so weit verbreitet, daß der Ursprung keine Rolle mehr spielt. Der wesentliche Faktor, der ihre Verbreitimg und wirtschaftliche Bedeutung bestimmt, ist der lokale Monetarisierungsgrad. Selbst davon gibt es Ausnahmen: Bereits in den 60er Jahren fanden sich in Liberia in kleinen Dörfern im entferntesten Hinterland SKV, die mit kleinsten Beiträgen Darlehenskassen bildeten. Nach Gesprächen mit SKV-Mitgliedern in verschiedenen Ländern sehen sich diese nach eigenen Angaben einer Anzahl von Problemen gegenüber, die als typisch für informelle Finanzinstitutionen gelten können: -

Die Depothaltung ist unsicher. Das Darlehensgeschäft ist unterentwickelt. Die Zinsberechnung ist problematisch. Eine Kreditprüfung fehlt weitgehend. Die Buchführung ist rudimentär. Refinanzierungsmöglichkeiten über formelle Finanzinstitutionen fehlen. Kredite werden nur in geringem Maße produktiv investiert. Eine finanzielle und landwirtschaftliche Beratung fehlt.

3. Der formelle Finanzsektor In Anlehnimg an ihre industriegesellschaftlichen Vorbilder weisen formelle Finanzinstitutionen (FFI) in Entwicklungsländern in der Regel eine hochmo-

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

555

derne Organisationsform auf. Einer tendenziell hohen internen Effizienz steht eine niedrige Effektivität in der Erreichung eines Kundenkreises vorwiegend analphabetischer Kleinproduzenten gegenüber. Insbesondere im ländlichen Raum weisen FFI gravierende Probleme auf: -

-

Geschäftsbanken und Sparkassen fördern einen einseitigen Ressourcenabfluß von der ländlichen zur städtischen Wirtschaft. Entwicklungsbanken fordern über Kredite einen einseitigen Ressourcenfluß in ländliche Gebiete ohne lokale Ressourcenmobilisierung. FFI befinden sich in beträchtlicher räumlicher und psychologischer Ferne von der Masse der ländlichen Bevölkerung. FFI verfügen über unzureichende personelle und materielle Mittel für eine effektive Dezentralisierung. Ihre Kenntnis der soziokulturellen Bedingungen ist unzureichend. viele FFI betreiben keine systematische Ersparnismobilisierung. Das Agrarkreditvolumen ist minimal; die Masse der ländlichen Bevölkerung hat keinen Zugang zu FFI-Krediten. Es gibt keine systematische Spar- und Darlehensverknüpfung.

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Die Rückzahlungsraten sind zumeist niedrig.

-

D. N e u e r e Ansätze i n a f r i k a n i s c h e n Ländern 1. Drei Alternativen Informelle und formelle Finanzinstitutionen schöpfen ihr Potential nicht aus. Unzugänglichen Banken stehen unterentwickelte Spar- und Kreditvereine gegenüber. Drei alternative Entwicklungsstrategien bieten sich an: -

Weiterentwicklung ("upgrading") informeller Finanzinstitutionen, insbesondere durch Nichtregierungsorganisationen (NRO) als entwicklungspolitischen Trägerorganisationen Institutionelle Anpassung der Banken ("institutional adaptation", "downgrading"), etwa durch modifizierte Übernahme kundennaher Finanztechnologien der informellen Finanzinstitutionen Verknüpfung formeller und informeller Finanzinstitutionen. Einige Beispiele für die drei Strategien:

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In Ostnigeria haben sich SKV als Spar- und Kreditgenossenschaften registriert und deren modernes Instrumentarium übernommen: Buchführung, Sparbücher, Kreditprüfung, Safe. Für die VR Kongo liegt ein Vorschlag vor, die SKV bei der selektiven Übernahme des Instrumentariums der Spar- und Kreditgenossenschaften zu beraten, ohne damit einen Registrierungszwang zu verbinden. (Seibel 1984)

556

-

-

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

In Elfenbeinküste übernimmt die Entwicklungsbank BNDA das Nagosystem (SKV Typ III): Auf den ivorischen Marktplätzen sammelt ein Nago ("Nigerianer") täglich bei etwa 200 Marktfrauen und Händlern Sparbeträge ein und zahlt diese am Monatsende gegen eine Gebühr von einem Tagesbeitrag zurück; zinsgünstige Kredite werden in Minutenschnelle abgewikkelt. Nach diesem Vorbild wird die BNDA zum Kunden gehen, statt den Kunden zur Bank kommen zu lassen: Die BNDA-Mitarbeiter leben im Dorf, vormittags stehen sie den Kunden in einer Hütte mit Schalterraum zur Verfügung, abends unter dem sprichwörtlichen Palaverbaum oder beim Hausbesuch. Der Vorteil: Im Gegensatz zum Nago kommt die BNDA auch ins Dorf, und der Kunde ist sicher, daß sich sein BNDA-Nago nicht plötzlich absetzt. (Seibel 1987a) In Anambra State, Nigeria haben sich 40 SKV zur Izi Uso Seif-Help Organisation zusammengeschlossen und eine Abmachung mit der lokalen Bank getroffen: Die einzelnen SKV zahlen die Sparbeiträge der Mitglieder auf ein Konto ein und erhalten auf dieser Grundlage einen Gruppenkredit zur Weiterleitung an die Mitglieder. Die Kreditsumme beträgt jeweils ein Vielfaches der Sparsumme: das Doppelte in der ersten Runde, das Dreifache nach erfolgreicher Rückzahlung des Kredites, das Vierfache in der nächsten Runde, usw. Die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe unterstützt den Verband bei der Verbreitung seines Modells auf die Nachbarregionen. Ähnlich wie Izi Uso hat in Lomé der Handwerkerverband eine Vereinbarung mit der Sparkasse Togo zur Anbindung der Handwerker-SKV getroffen. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband hat dabei logistische Unterstützung geleistet. In Kinkala, VR Kongo, hat sich ein rotierender Sparverein an die Spar- und Kreditgenossenschaft COOPEC angeschlossen. Jedes der 24 Mitglieder zahlt seinen Monatsbeitrag von 2.000 F CFA bei der COOPEC ein; der Gesamtbetrag von 48.000 F CFA wird jeweils dem Konto des Zuteil ungsberechtigten gutgeschrieben, der damit seine Kreditwürdigkeit verbessert. Die Entwicklungsbank CNCA wird den SKV bei der Weiterentwicklung seines Spar- und Kreditsystems beraten. (Seibel 1987b) In Kamerun ist eine Mischfinanzierung von Banken und SKV beim Hausbau und bei Unternehmensgründungen weit verbreitet.

2. Informelle Finanzinstitutionen und Entwicklungsbanken Verschiedenen Entwicklungsbanken in afrikanischen Ländern liegt ein Dezentralisierungsmodell vor, das sich an der Basis auf informelle Finanzinstitutionen als Mittler ("Finanzintermediäre") stützt. Die Hauptelemente einer Vorgehensweise zur Verknüpfung zwischen IFI und Entwicklungsbank sind:

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

-

557

F&M: Zusammen mit einem sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut führt die Bank eine Forschungs- und Mobilisierungskampagne über IFI (enquête sensibilisation/survey and mobilization campaign) und die wichtigsten Faktoren des soziokulturellen Umfeldes durch. Die Bauern wie auch die Mitarbeiter bereiten sich dadurch auf die Zusammenarbeit vor.

Darlehenssparprogramm / Plan epargne credit/ savings & credit scheme Das folgende Modell stellt einen Orientierungsrahmen dar. Einzelheiten werden von jeder IFI in Absprache mit der Bank festgelegt. - Die IFI wählt eine geeignete Rechtsform. - Die IFI geht eine Partnerschaftsbeziehung mit der Bank ein. - IFI und Bank regeln die Haftungsform, z.B. gesamtschuldnerische Haftung der IFI-Mitglieder. - Nach Maßgabe eigener Sparleistungen erhält die IFI einen Gruppenkredit, den sie an die Mitglieder weitergibt. - Die Sparbeiträge bleiben auf dem Konto der Bank und dienen der Kreditsicherung. - Die Darlehenshöhe hängt von der Sparleistung und dem Rückzahlungszyklus ab: nach einer Mindestansparzeit wird ein Darlehen in Höhe der doppelten Sparsumme vergeben, nach Rückzahlung in dreifacher Höhe, beim nächsten Zyklus in vierfacher Höhe, usw. - Damit liegt ein doppelter Spar- und zugleich ein Rückzahlungsanreiz vor: Die Darlehenshöhe steigt erstens mit der Sparsumme und zweitens mit zunehmenden Rückzahlungszyklen. - Die Zinsen der Mitgliederkredite werden von der IFI festgesetzt. Durch das Programm wird ein harmonisches Wachstum der Spar- und Verwendungsfähigkeit gefördert. Beispiel: Sparsumme (F CFA) 100.000 150.000 250.000 500.000 750.000 1.000.000

Rückzahlungszyklus 0 1 2 3 4 5

Multiplikator 2 3 4 5 6 7

Darlehensbetrag (F CFA) 200.000 . 450.000 1.000.000 2.500.000 4.500.000 7.000.000

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-

Partizipation: Aktivitäten werden durch Mitgliederversammlungen der IFI vorbereitet und in Versammlungen der Verantwortlichen der IFI und der Dörfer (einschließlich traditioneller Autoritäten) mit den Mitarbeitern der Entwicklungsbank und etwaiger Beratungs- und Vermarktungsorganisationen koordiniert. Ersparnismobilisierung und Kreditvergabe erfolgen im Rahmen eines Spar- und Darlehensprogramms (s.u.).

-

Intervall-Management: Zur Gewährleistung der Eigenverantwortlichkeit auf der lokalen Ebene erfolgt eine externe Programmberatung durch Kurzzeiteinsätze im Rahmen einer Intervall-Managementkonzeption, die durch einen Langzeitberater in der Zentrale ("back-stopping") ergänzt werden kann.

Dieses Dezentralisierungsmodell wurde partizipativ in Zusammenarbeit mit Bauern, Dorf- und IFI-Repräsentanten, Mitarbeitern der Entwicklungsbanken und sonstiger lokal vertretener Entwicklungsorganisationen sowie Vertretern der betroffenen Behörden entwickelt. E. Neuere Ansätze in asiatischen und pazifischen Ländern 1. DasAPRACA-Programm 1984 führte die Arbeitsgruppe S24/ES31 im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit Fallstudien durch, die insbesondere im Bereich des ländlichen Finanzwesens die Grundlage für eine konzeptionelle Neuorientierung lieferten. Die Operationalisierung wurde anschließend in verschiedenen nationalen und internationalen Konferenzen, insbesondere in Feldafing, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und der Deutschen Stiftung für Internationale Entwicklung vorgenommen (vgl. Schmidt, Kropp & Weires 1987). Der Kern der neuen Konzeption, die Stärkung der Dreiecksbeziehung NGO

SHO

BANK

wurde im Mai 1986 von dem Zentral- und Agrarbankenverband asiatischer und pazifischer Länder, APRACA, auf einer Konferenz in Nanjing (China) aufgegriffen. Die nachfolgenden Voruntersuchungen und Diskussionen in den Mitgliedsländern kamen zudem Ergebnis, -

daß SHO in sehr viel größerer Zahl existierten, als bisher angenommen;

4. Kapitel:

-

Die Stellung

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Genossenschaften

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daß viele SHO bereits ohne äußere Unterstützung ein internes Spar- und Kreditgeschäft aufgebaut haben; daß diese SHO zum informellen Finanzsektor gehören; und daß sie zwar einen wichtigen, gleichzeitig aber begrenzten Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Versorgung ihrer Mitglieder leisten.

Als nächstes beschloß das APRACA-Exekutivkomitee, ein Programm zur Verknüpfimg von SHO und Banken zu entwickeln. Die Bundesregierung erklärte sich bereit, den Aufbau einer Programmplanungs- und Steuerungseinheit zu fördern. Diese Mittel nutzte APRACA zur Beratung der Mitgliederländer -

bei der Durchführung nationaler Erhebungen über SHO und bei der Entwicklung von Modellen und Verfahren zur Verknüpfung von SHO und Banken.

APRACA setzte damit einen Dialogprozeß auf zwei Ebenen in Gang: -

auf der nationalen Ebene innerhalb der Mitgliederländer; auf der übernationalen Ebene zwischen den Mitgliedern.

Dabei wurde weitgehend Übereinstimmung erzielt bezüglich zweier zentraler Probleme: - mangelnde Verknüpfung zwischen Banken und SHO sowie - unzureichende Verknüpfung zwischen Spar- und Kreditprogrammen; fernerbezüglich des Kernproblems: - der hohen Transaktionskosten, die die Deponierung von geringen Sparbeträgen und die Vergabe von Klein- und Kleinstkrediten erschweren. 2. Selbsthilfeorganisationen als Finanzintermediäre Zur besseren finanzwirtschaftlichen Versorgung, die Ersparnisdeponierung und Kreditvergabe umfaßt, wurde der Aufbau eines Systems der finanzwirtschaftlichen Intermediation beschlossen, in dem ein Teil der Transaktionskosten von SHO und NGO aufgefangen wird. Gleichzeitig sind diese Mittler in der Lage, die finanz wirtschaftlichen Leistungen in ein umfassenderes, "integriertes" Maßnahmenbündel einzubetten. Das Programm umfaßt zwei zentrale Dimensionen. Die erste betrifft die institutionelle Verknüpfung zwischen SHO und Banken in enger Zusammenarbeit mit NGO, die entweder als Finanzmittler oder als Beratungsinstanz auftreten, ggf. auch in Zusammenarbeit mit Regierungsorganisationen, sofern diese SHO mit eigener Spar- und Kredittätigkeit fördern.

560

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

BANK

REGIERUNGSORGANISATIONEN

NICHTREGIERUNGSORGANISATIONEN

SELBSTHILFEORGANISATIONEN

ÄRMERE LÄNDLICHE BEVÖLKERUNG/KLEINUND KLEINSTUNTERNEHMEN

3. Ersparnismobilisierung als Grundlage des Kreditprogramms Die zweite zentrale Programmdimension betrifft eine finanzwirtschaftliche Verknüpfung zwischen Sparen und Kredit. Dabei wird insbesondere eine dynamische Relation zwischen Ersparnis und Kredithöhe vorgeschlagen, wobei das Kreditvolumen, das eine Selbsthilfeorganisation von einer Bank erhält, von zwei Faktoren abhängt: -

der Höhe der Ersparnisse, die als Sicherheit eingesetzt werden, und der Anzahl der vertragsgemäßen Rückzahlungszyklen. SHO 1

nun

Sparzyklen

BANK

SELBSTHILFEGRUPPEN 1. Kreditzyklus 2.Kreditzyklus 3. Kreditzyklus T SHO

|

11

"

4. Kapitel:

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Genossenschaften

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Vier der fünfzehn Mitgliedsländer haben inzwischen (März 1988) die Vorbereitungen für die Umsetzung des Programms in die Praxis abgeschlossen: Indonesien, Nepal, Philippinen und Thailand. Jedes der Länder hat ein nationales Koordinierungsgremium, meist unter Leitung der Zentralbank, ernannt, nationale Erhebungen über Selbsthilfeorganisationen durchgeführt und ausgewertet, in Arbeitsgruppen Verknüpfungsmodelle und -verfahren ausgearbeitet, diese im Dialog zwischen allen beteiligten Institutionen öffentlich zur Diskussion gestellt und verabschiedet und schließlich die Umsetzung im Rahmen von Pilotmaßnahmen in die Wege geleitet. Die erste erfolgreiche Implementierung fand 1989 in Indonesien statt. Literatur Ardener, S., 1953: The Social and Economic Significance of the Contributions Club among a Selection of the Southern Ibo. Conference Proceedings. Ibadan: West African Institute of Social and Economic Research Ardener, S., 1964: The Comparative Study of Rotating Credit Associations. The Journal of the Royal Anthropological Institute 94/2: 201-229 Bardeleben, M., 1979: Grundsätze für die Förderung von Selbsthilfeorganisationen. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung Bascom, W., 1952: The Esusu: a Credit Institution of the Yoruba. Journal of the Royal Anthropological Institute 82/1 Bouman, F.J.A., 1978: Indigenous Savings and Credit Associations in the Third World: a Message. Savings and Development Quarterly Review 4/I/Development Digest 16/3 Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, 1977: Grundsätze für die Förderung von Selbsthilfeorganisationen in Entwicklungsländern. Bonn: BMZ COPAC, 1978: Cooperatives against Rural Poverty. Vâr Gârd, Saltjöbaden: Committee for the Promotion of Aid to Cooperatives Chukwu, S.C., 1976: Moderne Kreditsicherung im Rahmen afrikanischer Gesellschaftsordnungen. Göttingen Cooperative Chronology, 1973: Cooperative Chronology, Cooperative Information 50, Supplement No. 2 Genf: ILO DSE, 1980: Selbsthilfeorganisationen als Instrument der ländlichen Entwicklung. Berlin: DSE Dolebel, T.C., 1985: Dhukuti Associations in the Western Hills of Nepal: a Case Study of Bhumdi Village. The Economic Journal of Nepal 8/4:13-20 Dülfer, S.E., Hg., 1975: Zur Krise der Genossenschaften in der Entwicklungspolitik. Göttingen Geertz, C., 1962: The Rotating Credit Associations: a "Middle Rung" in Development. Economic Development and Cultural Change 10/3 Hanel, A., 1967: Genossenschaften in Nigeria. Marburg Holst, J.U., 1985: The Role of Informal Financial Institutions in the Mobilization of Savings. S. 121-152 in Kessler & Ullmo 1985 Hyden, G., 1976: Cooperatives as a Means of Farmer Grouping in East Africa: Expectations and Actual Performance. S. 223ff. in: G. Hunter, A.H. Bunting & A. Bottvall, Policy and Practice in Rural Development. London

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Illy, H.F., 1980: Afrikanische Solidarität und europäisches Genossenschaftswesen: Kreditgenossenschaften im frankophonen Kamerun. S. 91-106 in Münkner 1980 Jellicoe, M.R., 1968: Indigenous Savings Associations in Eastern Africa and the Mobilization of Domestic Savings. Economic Commission for Africa E/CN 14 HOU/ 21 Kessler, D., & P.A. Ullmo, 1985: Savings and Development. Paris Konrad Adenauer-Stiftung, 1985: Promotion of Self-Help Organizations. St. Augustin: KAS Kropp, E., M.T. Marx, B. Pramod, B.R. Quinones & H.D. Seibel, 1989: Linking SelfHelp Groups and Banks in Developing Countries. Rossdorf (TZ-Verlagsgesellschaft) Messerschmidt, D.A., 1972: Rotating Credit in Gurung Society: The Dhikur Associations of Tin Gaun. The Himalayan Review 5/4:23-35 Mittendorf, H.J., 1985: Savings Mobilization for Agricultural and Rural Development in Africa. S. 217-229 in Kessler & Ullmo 1985 Münkner, H.H., Hg., 1980: Wege zu einer afrikanischen Genossenschaft. Marburg Ollawa, P.E., 1977: On a Dynamic Model for Rural Development in Africa. The Journal of Modern African Studies 15:401-423 Popp, U., 1976: Zum Konzept der Förderung ländlicher Entwicklung in der Dritten Welt. Z.f. das Gesamte Genossenschaftswesen 26:1-11 Schmidt, R.H., E. Kropp & E. Weires, 1987: Ländliches Finanzwesen: Ein Orientierungsrahmen / Rural Finance: Guiding Principles. Eschborn: GTZ Seibel, H.D., 1967: Genossenschaften in der traditionellen afrikanischen Gesellschaft. Vierteljahresberichte der Friedrich-Ebert-Stiftung 28:182-190 Seibel, H.D., 1968: Landwirtschaftliche Entwicklung in Afrika; durch Einführung moderner oder Modernisierung traditionaler Genossenschaften? Z.F. ausländische Landwirtschaft 7: 219-232 Seibel, H.D., 1970: Indigenous Economic Cooperation and its Developmental Function in Liberia. Cooperative Information (ILO, Genf) 48: 7-53 Seibel, H.D., 1981: Das Entwicklungspotential autochthoner Kooperationsformen in Afrika. Archiv für Öffentliche und Freigemeinnützige Unternehmen 13:313-333 Seibel, H.D., 1984: Ansatzmöglichkeiten für die Mobilisierung von Sparkapital zur Entwicklungsfinanzierung: Genossenschaften und autochthone Spar- und Kreditvereine in Nigeria. München/Köln/London Seibel, H.D., 1985: Saving for Development: A Linkage Model for Informal and Formal Financial Markets. Quarterly Journal of International Agriculture (Berlin) 25/4: 390-398 Seibel, H.D., 1986a: Duale Finanzmärkte in Afrika. Entwicklung und ländlicher Raum (Frankfurt) 20/1:14-16 Seibel, H.D., 1986b: Rural Finance in Africa: The Role of Informal and Formal Financial Institutions. Development and Cooperation 6:12-14 Seibel, H.D., 1987a: Ländliche Entwicklung als Austauschprozeß: Einheimische Sozialsysteme, staatliche Entwicklungsstrukturen und informelle Finanzinstitutionen in der Republik Elfenbeinküste. Saarbrücken/Fort Lauderdale Seibel, H.D., 1987b: Ländliche Selbsthilfeorganisationen in der Volksrepublik Kongo: Ansatzmöglichkeiten für eine Verknüpfung informeller und formeller Finanzinstitutionen. Saarbrücken/Fort Lauderdale Seibel, H.D., 1989a: Einheimische Genossenschaften in Entwicklungsländern in J. Zerche, Hg., Genossenschaften und genossenschaftswissenschaftliche Forschung, Regensburg: 193-202

4. Kapitel:

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Genossenschaften

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Seibel, H.D., 1989b: Linking Informal and Formal Financial Institutions in Africa and Asia in J. Levitzky, Hg., Microenterprises in Developing Countries. London: 97-118 Seibel, H.D., 1989c: Links between Informal and Formal Finance in The World Bank, World Development Report 1989. New York, Oxford: 119, 112-121 passim Seibel, H.D. & U.G. Damachi, 1982: Self-Help Organizations: Guidelines and Case Studies for Development Planners and Field Workers - A Participative Approach. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung Seibel, H.D. & M.T. Marx, 1986: Mobilization of Personal Savings through Co-operative Societies or Indigenous Savings and Credit Associations: Case Studies from Nigeria. S. 107-112 in: United Nations, Savings for Development, New York Seibel, H.D. & M.T. Marx, 1987: Dual Financial Markets in Africa: Case Studies of Linkages between Informal and Formal Financial Institutions. Saarbrücken / Fort Lauderdale. Seibel, H.D. & A. Massing, 1974: Traditional Organizations and Economic Development: Studies of Indigenous Cooperatives in Liberia. New York Stockhausen, J. von, 1982a: Credit Groups and Rotating Savings and Credit Associations: Different Financial Technologies? Quarterly Journal of International Agriculture (Berlin) 21/2 Stockhausen, J. von, 1982b: Zur Planung von Genossenschaften als Entwicklungsträger in den Ländern der Dritten Welt. Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen 32:216-226 Stockhausen, J. von, 1986: Ländliche Finanzmarktpolitik im Rahmen hoher gesamtwirtschaftlicher Verschuldung. Entwicklung und ländlicher Raum, Hefte 1- 3 Strickland, C.F., 1934: Report on the Introduction of Co-operative Societies into Nigeria. Lagos Texier, J.M., 1975: Promotion of Co-operatives in Traditional Areas. Cooperative Information (ILO, Genf) 51:1-9 Trappe, P., 1966: Die Entwicklungsfunktion des Genossenschaftswesens am Beispiel ostafrikanischer Stämme. Neuwied Westermann, D., 1935: Die Glidiyi-Ewe in Togo. Züge aus ihrem Gesellschaftsleben. Berlin

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4. Kapitel: Die Stellung

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Genossenschaften

4.2.3.2. Das genossenschaftliche B a n k w e s e n Turto

Turtiainen

A. Die Gründe für Agrarkredite Im Agrarsektor der Entwicklungsländer finden wir - wie in den anderen Wirtschaftssektoren - einen großen Fremdkapitalanteil bei der Finanzierung der Betriebe und Investitionen. Wie uns das Beispiel der Kaffeepflanzungen bei den Kleinfarmern in Uganda, Tanzania und Kenya zeigt, kann es zwar auch ohne Kreditmittel wirtschaftliche Expansion geben, allerdings mit dem Preis eines sehr geringem Wachstums. Ein weiteres Beispiel dafür sind die Veränderung der Produktionsbedingungen im Getreideanbau. Sie können von Farmerberatungsstellen angeregt und mit nur geringer oder auch oft ohne Kapitalzuführung von den Farmern durchgeführt werden. Größere Veränderungen der landwirtschaftlichen Produktion - etwa die Einfuhrung neuer Pflanzensorten oder Düngemittel aufgrund von Preisveränderungen oder neuen Produkten - können aber nicht ohne Kreditaufnahme der landwirtschaftlichen Produzenten bewerkstelligt werden, denn die Kleinbauern, die am Subsistenzniveau oder knapp darüber wirtschaften, haben nicht die notwendigen finanziellen Reserven, um ihre Produktion ohne Fremdkapital umstellen zu können. Ein vergleichbarer Kapitalbedarf ist auch bei den landwirtschaftlichen Betrieben der Industrieländer zu verzeichnen, wo aber die Agrarkreditnachfrage um einiges größer ist, als in den kleinbäuerlich strukturierten Landwirtschaftssektoren der Entwicklungsländer. In den letztgenannten ist die Kapitalknappheit eine der wesentlichen Ursachen für eine stagnierende Produktion. Weiters sind aber auch die landwirtschaftlichen Bearbeitungs- und Verwertungsbetriebe und die landwirtschaftlichen Marketing- und Dienstleistungsorganisationen (Genossenschaften) Kreditnachfrager. Obwohl eine Kreditaufnahme nicht unbedingt eine Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum sein muß - vor allem wenn eine langsame wirtschaftliche Entwicklung akzeptabel erscheint -, leistet sie oft einen großen Beitrag zur beschleunigten Entwicklung der Landwirtschaft und zum den Auf- und Ausbau landwirtschaftlicher Betriebsstrukturen. In zahlreichen Ländern wäre es ohne Fremdkapital unmöglich gewesen, Verarbeitungsbetriebe für Milch, Baumwolle, Cashewnüsse und Kaffee zu schaffen um nur einige Beispiele zu nennen. Die Kreditnachfrage steigt mit der fortschreitenden Technologisierung der Landwirtschaft. Bei landwirtschaftlichen Subsistenzbetrieben kann bereits eine geringe Fremdkapitalaufnahme große Wirkungen zeigen. Es ist aber auch Vorsicht geboten. Zu hohe Kreditaufnahme wirken sich negativ aus, da es schwierig ist den Output entsprechend rasch zu steigern. Zur Entwicklung von mittelständischen landwirtschaftlichen Betrieben braucht man mehr Kapital

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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als für die Weiterführung von Kleinlandwirtschaften, und der Übergang von einer mittelständischen Landwirtschaft zu agrarindustriellen Betrieben erfordert eine noch größere Kapitalzufuhr. Ein typisches Beispiel dafür ist der Ausbau des nordamerikanischen Agrarsektors, der in einem so großen Ausmaß auf Fremdkapital beruht, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Die großflächigen Farmen, die Spezialisierungen und das hohe Maß an Mechanisierung wären ohne ein gutorganisiertes landwirtschaftliches Kreditsystem nicht möglich gewesen. (Paradoxerweise stehen gegenwärtig (1987) die amerikanischen Farmer unter anderem auch wegen ihrer hohen Verschuldung vor der größten Krise ihrer Geschichte.) Bei der Errichtung von landwirtschaftlichen Kreditsystemen in den Entwicklungsländern müssen bei der Beantwortung der Fragen: Wem werden Kredite gewährt? Wie groß sollten diese sein und wie sollten ihre Bedingungen aussehen?, ebenso wie ökonomische auch soziale Faktoren berücksichtigt werden. Folgende sozialen Gesichtspunkte sollten mitberücksichtigt werden: -

gleichberechtigter Zugang aller zu den Geldmitteln,

-

eine Verbesserung der Einkommensverteilung,

-

die Reduzierung regionaler Disparitäten und

-

die Bevorzugung der schwachen und weniger wohlhabenden Schichten.

Diese weitreichenden Ziele erbringen zwar den Kreditinstituten keine maximalen Erträge, eine derartige Kreditkultur trägt aber dazu bei, langfristige Probleme dieser Länder, wie etwa Arbeitslosigkeit oder Landflucht, zu verbessern. Derartige unterschiedliche Zielsetzungen einer "wohlwollenden" Regierung stehen aber auch miteinander in Konflikt und erzeugen trade-offs. Man darf also nicht vergessen, daß die staatliche Kreditpolitik nur ein Instrument der Wirtschaftspolitik ist, um die Entwicklung des Agrarsektors voranzutreiben. Andere Instrumente sind z.B. Steuern, Subventionen oder öffentliche Investitionen. Auf diese Problematik gehen wir hier nicht näher ein, obwohl sie für die Praxis der Entwicklungspolitik von existenzieller Bedeutung ist. Viele Menschen haben Angst davor Kredit in Anspruch zu nehmen, vor allem wenn die Konditionen nicht außergewöhnlich günstig sind. Diese Angst ist auf das menschliche Grundbedürfiiis nach Sicherheit und Risikoreduktion zurückzufuhren, und sie ist vor allem bei Menschen vorhanden, die sich mit ihren Wirtschaften auf Subsistenzniveau befinden. Eine Kreditaufnahme, die zwar einerseits eine Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Situation und höheres Einkommen verspricht, aber andererseits auch mit Rückzahlung- und Zinsverpflichtungen verbunden ist, birgt auch immer Risiken in sich. Wie bereits ein altesfranzösischesSprichwort sagt: "Kredit hält den Bauern so wie der Strick den Gehängten."

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Eine größere Gefahr für die Kreditprogramme stellt allerdings jene dar, daß sich Kreditnehmer viel zu hoch verschulden. Das geschieht vor allem aus aus dem Glauben, das es sich um ein kostenloses Geschenk handle, aus unerkannten Schwierigkeiten, die durch die Rückzahlung des Kredites eintreten oder aus betrügerischer Absicht Kredite überhaupt zu veruntreuen. Die Kreditnehmer wiederum geraten in große Schwierigkeiten, wenn die Bank beginnt die Außenstände durch Mahnungen und Klagen einzutreiben. Wenn sie aber keine Zwangsmaßnahmen ergreift, ist wiederum ihre eigene Existenz bedroht. Das Kreditinstitut muß daher von Anfang an auf die Kreditvolumina, die Verschuldungsgründe und die Bewertung der Kreditnehmer achten. Das sind im wesentlichen methodische und Organisationsfragen. Dadurch wird aber für die Entwicklungspolitik selbst (für die Politiker und Experten) die Grundsatzfrage aufgeworfen, wer überhaupt moralisch berechtigt und legitimiert ist, derartige Entscheidungen (z.B. wer einen Agrarkredit für welchen Verwendungszweck bekommen soll?) zu treffen. Denn bei Kapitalknappheit in den Entwicklungsländern muß über die Kreditvergabe an die Landwirtschaft dafür gesorgt werden, daß das vorhandene Kapital nach gesamtwirtschaftlichen Kriterien optimal verwendet und eingesetzt wird. Wenn die Kreditvergabe nach allgemeingültigen und bewährten Praktiken und Prinzipien erfolgt, werden jene Voraussetzungen geschaffen, die für Wirtschaftswachstum und eine verbesserte gesamtwirtschaftliche Effizienz sorgen. Neben der Kreditvergabe sind aber auch noch andere Faktoren, wie zum Beispiel Beratung, neue Vermarktungswege und effizientere Betriebssysteme, zu berücksichtigen, um die Agrarproduktion und das sozio-ökonomische Entwicklungspotential in den ländlichen Regionen zu verbessern. Darüber hinaus müssen noch die staatlichen und anderweitigen Förderungs- und Planungsmaßnahmen mit der Kreditpolitik abgestimmt werden; negative Wirkungen der Steuer- und Preispolitik können die Vorteile eines gut funktionierenden landwirtschaftlichen Kreditsystems wieder aufheben. In den letzten Jahren haben einige Wissenschafter vehemente Kritik an den staatlichen Kreditprogrammen in den Entwicklungsländern geübt, so daß man versucht ist annehmen, j eder Einsatz von Kredit als Entwicklungsinstrument habe nur negative Wirkungen. Diese Forscher scheinen aber vergessen zu haben, daß sich in keinem entwickelten Land der landwirtschaftliche Sektor ohne den Einsatz von Fremdkapital mit öffentlicher Förderung und öffentlicher Unterstützung der Kreditinstitute entwickelt hat. B. Die Bedeutung der Ersparnisse Private Ersparnisse sind besonders für die Kleinlandwirte im ländlichen Bereich und für die Arbeitnehmer in den städtischen Zentren von großer Bedeutung. Die meisten Entwicklungsländer leiden an Kapitalknappheit und die staatlichen Stellen benachteiligen sehr oft bei der Festlegung der Priori-

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Die Stellung

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Genossenschaften

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täten für öffentliche Investitionen den kleinbäuerlichen Agrarsektor. Aber auch die Kommerzbanken, die Entwicklungsfonds und sogar internationale Banken machen ähnliche Fehler in ihrer Kreditvergabepolitik, obwohl auch hier während der letzten zehn Jahre vermehrt soziale Entwicklungskomponenten bei der Kreditvergabe berücksichtigt wurden (d.h. nicht mehr alle Investitionen haben die Auflage kurzfristig Erträge zu erwirtschaften). Wenn die Landwirtschaft bei den staatlichen Investitionsprioritäten nur nachrangig berücksichtigt wird, ist es besonders notwendig, die Kapitalguthaben der Kleinlandwirte und anderer Wirtschaftssubjekte mit geringem Einkommen zusammenzulegen und für den eigenen Bedarf zu verwenden. Die Ersparnisse müssen in Institutionen gesammelt werden, die bei der Kreditvergabe auf die Landwirtschaft und auf "kleine Leute" spezialisiert sind. Das angesparte Kapital kann dann über diese Institutionen diese Bevölkerungsgruppen vor unvorhersehbaren Risiken aufgrund politischer, ökonomischer und sozialer Veränderungen schützen und die soziale Selbstachtung und die wirtschaftliche Eigenintiative dieser Leute fördern. Die Probleme bei der Gründung derartiger Geldsammelstellen liegen primär bei der Organisierung dieser Aktivitäten und nicht so sehr am Mangel an ersparten Mitteln oder an niedrigen Sparneigungen. Denn die Organisation, Vorbereitung und Durchführung von Sparprogrammen ist um einiges komplizierter als bei Kreditprogrammen. Ersparnisbildungsprogramme bei der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern sind deshalb auch bis heute wenig erfolgreich gewesen. Nur jene Programme, bei denen durch angespartes Kapital eine gewisse Unabhängigkeit bei der Vergabe von Krediten gewährleistet wurde, waren Erfolge beschieden (z.B. bei den Kreditgenossenschaften in Kenya und Korea, die zwischen 60 und 100% Autonomie - im Bezug auf die Ausleihungen - erreicht haben. Meistens beträgt der Prozentsatz ausleihbaren Kapitals, basierend auf Ersparnisbildung der ländlichen Bevölkerung, zwischen 5 und 40 %, und bei vielen Kreditprogrammen ist eine eigene Ersparnisbildung gar nicht vorgesehen. C. Genossenschaftliche Kredit- und Sparinstitutionen Die Kreditvergabe durch eine Institution weist gegenüber dem nichtinstitutionellen Kredit (von Verwandten, Freunden, Grundbesitzern, Händlern, Geldverleihern) bei dem keine organisierte Kontrolle vorhanden ist, massive Vorteile auf. Kreditgenossenschaften können -

auf Dauer ein Filialnetz aufbauen und damit permanent den direkten Kontakt zum Mitglied pflegen;

-

sowohl Spar- als auch Kreditdienstleistungen anbieten;

-

die Veranlagung von Spareinlagen mitgliederorientiert durchführen;

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-

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

in ihrer Funktion als Bankinstitution kleine, kurzfristige Einlagen in größere, langfristige Kredite umwandeln und einen Berufsstand (z.B die Bauern) durch ihre Geschäftspolitik fördern, bzw. eine intensive Beratung dieses Wirtschaftssektor durch andere Organisationen sicherstellen.

Aus den folgenden Gründen sind genossenschaftliche Kredit- und Sparvereine prädestiniert als Finanzinstitutionen für die "Kleinen Leute" in den Entwicklungsländern zu fungieren: -

-

-

sie erreichen bei den Kleinlandwirten einen großen Durchdringungsgrad, da sie eng mit den örtlichen Behörden und landwirtschaftlichen Genossenschaften zusammenarbeiten; sie arbeiten mit niedrigen Verwaltungskosten; in ihnen sind auch soziale Aspekte, wie Demokratie, Partizipation, Selbsthilfe und die Kontrolle und Aufsicht der Geschäftsführung durch die Mitglieder selbst integriert; sie bieten ihren Mitgliedern auch Beratungsdienstleistungen zur Verbesserung ihrer Produktion und mit dem Förderungsauftrag sind auch unterstützende Aktivitäten in den Bereichen Vermarktung, Versorgung mit landwirtschaftlichen Bedarfsgütern und der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte für die Mitgliederbetriebe verbunden.

Diese Faktoren bewirken, daß in den landwirtschaftlichen, Kreditgenossenschaften in den Entwicklungsländer fast ausschließlich Kleinlandwirte vertreten sind. In Indien wurde beispielsweise Mitte der 70er Jahre rund 30% des Kreditvolumens der Genossenschaften an Kleinlandwirte mit weniger als 2 ha Land vergeben. Unter, den genossenschaftlichen Kreditnehmern in Zambia waren nur einige Farmer mit mehr als 5 ha Landbesitz, und 75-80% der Kredite wurden an Farmer mit einer bebauten landwirtschaftlichen Fläche von weniger als 2 ha vergeben. Die folgenden von mir erhobenen Daten verdeutlichen die sozio-ökonomische Stellung der Kaffeebauern im Jahr 1972. Die durchschnittliche Farmgröße betrug 6 Acres (etwa 2,5 ha). Die meisten Farmer konnten nur ein Acre für einkommenserbringende Kaffeepflanzung aufwenden, während die restliche Fläche nur für den Eigenverbrauch bebaut wurde.(vgl. Tab. 1) Die Einkommen der kaffeeproduzierenden Landwirte waren zwar höher als jene der Kleinlandwirte, aber auch sie produzierten noch immer auf einem Subsistenzniveau. (vgl. Tab. 2) Aufgrund der vielen Vorteile genossenschaftlicher Kredit- und Sparprogramme könnte man erwarten, daß sie in Entwicklungsländern weit verbreitet sind. Diese Aussage kann zwar mangels statistischer Daten nicht zahlenmäßig überprüft werden, örtliche und regionale Erfahrungen widersprechen ihr aber. Viele Länder haben zwar mit genossenschaftlichen Programmen begonnen, aber

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Die Stellung

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Genossenschaften

TAB. 1: BETRIEBSGRÖSSE UND ANTEIL DER FÜR KAFFEEPFLANZUNG BENUTZTE FLÄCHE JENER BAUERN DREIER PROVINZEN KENYAS, DIE 1972 AM EINEM GENOSSENSCHAFTLICHEN KREDITPROGRAMM TEILNAHMEN. Größe d.Kaffeepfl.(acres)

Durchschn.Größe (acres) durchschn.

unterste durchschn. oberste unterste oberste 10 % d. 10 % d. 10 % d. 10 % d. Kreditneh- KreditnehKreditneh- Kreditnehmer mer mer mer

Embu Machakos Muranga

5,6 7,9 4,4

13,7 29,5 11,1

2,6 1,5 1,5

1,0 0,7 1,0

2,2 1,8 2,3

0,5 0,7 0,3

Durchschnitt

6,0

18,1

1,9

1,0

2,3

0,3

TAB. 2: KAFFEE- UND SONSTIGE EINNAHMEN DER FARMERN MIT GENOSSENSCHAFTLICHE KREDITE IN KENYA (3 PROVINZEN, 1972 )*) Durchschn.Kaffeeeink.(Shs)

Eink. außerhlb. d. Landwirtsch. Durchschn.d.Lohneink.

durchschn.

Embu Machakos Muranga Durchschnitt

1,390 1.010 1,307 1,236

oberste 10 % unterste 10 %% d. Kreditd. Kreditneh- d. Kreditneh- nehmer mer mer 3,912 3,529 3,696 3,712

373 186 358 306

9 29 23 20

% des Einkommens 4,486 4,516 4,662 4,565

*) 1 US$ entsprach 8 kenianischen Schillingen (Shs)

bis heute wurde nur ein kleiner Teil der ländlichen Bevölkerung davon erfaßt. Aber trotz dieser geringen Durchdringung hat keine andere Organisationsform soviel für die ländliche Entwicklung geleistet, wie die Genossenschaften. Nur in einigen wenigen Ländern ist der genossenschaftliche Anteil an der Kreditvergabe besonders hoch, zum Beispiel in Ägypten Anfang der 70er Jahre. Dort wurden an fast alle Kleinlandwirte genossenschaftliche Kredite vergeben (Mitte der 70er Jahre beschloß die Regierung die bestehenden 5000 Kreditgenossenschaften mit der landwirtschaftlichen Kreditbank zu verschmelzen).

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Das 1969 in Kenya begonnene genossenschaftliche Kredit- und Sparprogramm breitete sich bis 1983 mit 470.000 Mitgliedern über das ganze Land aus. Die Spareinlagen umfaßten 412 Mill KShs, das Kreditvolumen war 290 Millionen KShs groß, und es gab 123.000 Kreditnehmer. Das größte genossenschaftliche Spar- und Kreditprogramm finden wir in Indien. Hier haben sich die Kreditgenossenschaften nach ihrer Gründimg meist zu Mehrzweckgenossenschaften weiterentwickelt, doch auch deren Hauptaktivität ist nach wie vor die Kreditvermittlung. Es gibt mehr als 120.000 landwirtschaftliche Primärgenossenschaften mit einer Mitgliederzahl von etwa 40 Mill. Farmerfamilien. Die Primärgenossenschaften sind weitgehend von höheren Verbundstufen, insbesondere von den staatlichen Genossenschaftsbanken abhängig. Daneben gibt es noch auf genossenschaftlicher Basis die Land Development Banks, eine bedeutende Organisation für langfristige Finanzierungsarten mit 22 Banken. In einer Beschreibung des ländlichen Genossenschaftskredits in Entwicklungsländern dürfen die credit unions nicht fehlen. Sie wurden ursprünglich in Nordamerika für Wirtschaftssubjekte mit regelmäßigen Einkommen gebildet und waren auch in den ländlichen Regionen stark vertreten. 1985 gab es in den USA rund 43 Mill. Mitglieder, in Kanada war ein etwa vergleichbarer Anteil der Bevölkerung bei den credit unions. Es gibt aber auch in Lateinamerika, Afrika und Asien eine credit union-Bewegung. Ihr ausleihbares Kapital basiert fast ausschließlich auf Mitgliederguthaben. Damit ist ihre Erziehungsfunktion bei den Lohneinkommensbeziehern - in zunehmenden Maße aber auch bei der ländlichen Bevölkerung - zur Sparsamkeit sehr groß. 1985 gab es in Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen 18.300 credit unions mit 6 Millionen Mitgliedern. Die Guthaben (bei den credit unions werden sie auch Anteile genannt) betrugen rund 700 Mill. US$ und die Kredite etwa 500 Mill. Bedauerlicherweise gibt es keine Zahlen über den Anteil der Mitglieder an der ländlichen Bevölkerung und in welchem Ausmaß sie ihre Ersparnisse und Kreditaufnahme über die credit unions abwickeln. Trotz der Erfolge,die von den genossenschaftlichen Kredit- und Sparorganisationen in den Entwicklungsländern erzielten werden konnten, sind überraschend großer Anteile der Landbevölkerung und hier vor allem die Subsistenzlandwirte und Pächter nicht genossenschaftlich organisiert. Beispielsweise gab es 1985 in Zambia 462.000 Subsistenzlandwirte, das sind rund 75 % der landwirtschaftlichen Bevölkerung. In Indien lebt etwa die Hälfte der Bauern unter der Armutsgrenze (d.h. ihr Landbesitz ist zu gering, um selbst die Familie ausreichend zu ernähren). Man kann also sagen, daß in den landwirtschaftliche Genossenschaften vor allem Bevölkerungsschichten vertreten sind, die bereits marktfähig sind, und es sind jene ausgeschlossen, die noch nicht für den Markt produzieren und daher auch noch keine Ersparnisse ansammeln können. Die bestehenden Mitglieder sind aber auch nicht fähig oder willens, mit ihren geringen Einkommen jenen zu helfen, die zu schwach und arm sind, um etwas in die Genossenschaft einzubringen zu können. Es ist die Aufgabe der

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

571

Regieningen oder externer Entwicklungsprogramme, diesen Kleinlandwirten oder Pächtern zu helfen, sich über ihr derzeitiges Niveau zu erheben und sie marktfähig zu machen. Doch in den meisten Fällen gibt es für diese Bevölkerungsschichten weder eine Unterstützung noch eine Möglichkeit, Kredite aufzunehmen. In den 80er Jahren hat eine neue Welle von Entwicklungsprogrammen manche von ihnen auf genossenschaftlicher Basis - eingesetzt, die gerade diesen Ärmsten der Armen helfen sollen. Das von der FAO unterstützte People's Participation Program (PPP) ist davon das erfolgversprechendste. Im diesem Programm werden die Kleinlandwirte unterstützt, sich zur Verbesserung ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation in Kleingruppen zusammenzuschließen. Diese werden dann von den Hilfsorganisationen oder von den Regierungen mit Startressourcen ausgestattet. Sobald sie für den Markt produzieren, werden sie - normalerweise über Genossenschaften - in den wirtschaftlichen Prozeß eingegliedert. Kredit ist jene Unterstützungsform, die von den Subsistenzlandwirten am häufigsten in Anspruch genommen wird. Da diese aber keine Sicherheiten bieten können, wurden auch neue Formen der Sicherstellungen entwickelt, die man als "kollektive Sicherheiten" bezeichnen kann. Sie basieren auf einem sozialen Gruppendruck folgender Art: Mehrere Kleinlandwirte gehen gemeinsam eine Kreditverpflichtung ein. Wenn ein Gruppenteilnehmer seinen Kreditanteil nicht zurückzahlt, erhält die Gruppe insgesamt keinen weiteren Kredit mehr. Ein vergleichbares Gruppenkreditprinzip wurde auch von der Grameen Bank in Bangladesh, die auch noch anderen Bevölkerungsschichten auf der untersten Ebene Kredite gewährt, praktiziert. Sowohl bei der Grameen Bank als auch bei den PPP-Programmen in mehreren afrikanischen und asiatischen Ländern hat sich dieses Prinzip sehr gut bewährt. Die Ärmsten der Armen haben sich als verläßliche Kreditrückzahler erwiesen. D. Probleme bei der Vergabe genossenschaftlichen Kredits Bei den genossenschaftliche Kreditprogrammen treffen wir auf ähnliche Probleme wie bei den landwirtschaftlichen Kreditprogrammen der Regierungen oder Kommerzbanken, und viele Genossenschaften konnten diese Probleme nicht überwinden, scheiterten und wurden aufgelöst. Es gibt eine Vielzahl von Gründen für Mißerfolge und Erfolge dieser Programme - die auch noch von Land zu Land sehr unterschiedlich sind -, auf die aber hier nicht genauer eingegangen werden kann (Forschungsberichte nennen bei Nichtberücksichtigung von Überschneidungen etwa 200 Faktoren). Wir wollen im folgenden jene Hauptprobleme genossenschaftlicher Kreditprogramme behandelt, die in fast allen Entwicklungsländern zu finden sind.

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-

4. Kapitel:

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von

Genossenschaften

Überhastete Gründungen auf unzureichender finanzieller Basis

Aufgrund starken politischen oder sozialen Drucks sind viele genossenschaftliche Kreditprogramme übereilt und ohne Vorbereitungsarbeiten entstanden. Die Mitarbeiter dieser Genossenschaften hatten oft kaum mehr Kenntnisse und Erfahrungen über Bankpraktiken als die Mitglieder selbst. Mit anderen Worten, die Ausgangsbasis für Bankgeschäfte war miserabel. Verstärkte Mitarbeiterschulung kann hier zwar Abhilfe schaffen, die schwache finanzielle Basis bleibt aber meistens sehr lange bestehen. Sehr oft hat man auch auf eine Innenfinanzierung durch Ersparnisse der Mitglieder verzichtet. Empirische Ergebnisse in Kenya und Indien in letzter Zeit zeigten, daß Kleinfarmer zwar eine relativ hohe Sparneigung besitzen, aber fast alle Kreditprogramme waren nicht mit Sparprogrammen gekoppelt. Eine Erklärving hierfür - abgesehen von der unrichtigen Annahme, daß Kleinlandwirte keine Sparneigung haben - ist darin zu finden, daß der Sparverkehr viel schwieriger zu administrieren ist als der Kreditverkehr. Die meisten Kreditprogramme sind deshalb fast ausschließlich auf risikoreiche und unsichere Außenfinanzierungsarten angewiesen. -

Schlechte

Kreditrückzahlungsmentalität

Wenn die Finanzmittel, die für die Kreditgewährung verwendet werden, größtenteils von außen kommen, d.h. von der Regierung oder ausländischen Hilfsorganisationen, dann zeigen die Genossenschaftsmitglieder wenig Verantwortungsgefühl, diese Kredite auch zurückzuzahlen. Mitglieder, die wenig Kontakt mit den staatlichen Behörden und überhaupt keinen Nahbezug zu Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Skandinavien haben, betrachten dieses Geld, als wäre es vom Himmel gefallen. Das ist einer der Hauptgründe, warum die jährlichen Rückzahlungsraten in den Kreditprogrammen oft unter 50 % hegen. Weitere Gründe für die schlechte Rückzahlungsmentalität sind schlechte Erntejahre, uninformierte und demotivierte Mitarbeiter, politische Einflußnahmen, unrentable Investitionsentscheidungen, fehlende und falsche landwirtschaftliche Beratung, zu hohe Kreditaufnahmen in bezug auf die Rückzahlungsmöglichkeiten und Veruntreuungen. Diese Kreditverluste stellen vor allem jene genossenschaftlichen Organisationen vor ernsthafte Probleme, die erst vor kurzem ihre Aktivitäten aufgenommen haben. - Finanzielle

Überlebensfähigkeit

Unerfahrene Mitarbeiter der Genossenschaften sind oft bereit, unter politischem Druck unökonomische Kredit- und Sparprogramme durchzuführen. Die Mitglieder der genossenschaftlichen Kreditinstitutionen sind üblicherweise arme Landwirte, deren Geldtransaktionen gering sind, um damit die Einnahmen der Finanzierungsinstitute in Grenzen halten. Die Kosten für die Geldtransaktionen und für die Erhaltung der Spar- und Kreditkonten sind aber genau so hoch wie die Kosten für normale Bankkonten. Wie kann eine Organisation von Kleinlandwirten unter derartigen Kostenstrukturen im Wettbewerb mit Kommerzbanken überleben?

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von

Genossenschaften

573

Wenn nur Kostengesichtspunkte im Vordergrund stehen würden, könnten die Genossenschaften nicht überleben. Aber da weder die Kommerzbanken noch die staatlichen Stellen sich für die Vergabe von Landwirtschaftskredite für diese armen Bevölkerungsschichten einsetzen, bleiben diese Betätigungsfelder nur den Genossenschaften. Aber auch sie könnten die Zinsspannen und die Kontenführungsentgelte erhöhen und sich damit ein angemessenes adäquates Einkommen und längerfristiges Überleben sichern. Das geschieht aber sehr selten, da der Staat für die Kleinlandwirte eine Niedrigzinspolitik fordert (das wäre nicht unbedingt notwendig; Studien haben gezeigt, daß die kleinen Landwirtschaften mit ihren niedrigen Faktorkosten, genauso profitabel wirtschaften können wie die Großfarmen mit ihren großen Kapitalinvestitionen, und daß die Kleinlandwirte dieselben Zinssätze zahlen können wie die Großgrundbesitzer.) Das Ergebnis sind genossenschaftliche Kreditinstitutionen, die an chronisch schlechter Ertragslage leiden und deren Existenzen von Jahr zu Jahr von öffentlichen Subventionen und finanzieller Unterstützung von anderen genossenschaftlichen Institutionen oder ausländischen Stellen abhängen. Aber auch die Integrität der gewählten Funktionäre und der Mitarbeiter ist in vielen Ländern ein Problem. Oft behalten sich die Vorstandsmitglieder Privilegien wie unautorisierte oder übergroße Darlehen vor, die dann nicht einmal zurückgezahlt werden. Die Mitarbeiter wiederum kooperieren mit Bauunternehmen und investieren genossenschaftliches Kapital in diesen lukrativen Bereich. Das Management zweigt durch Dokumentenfälschungen Geld für eigene Zwecke ab. Die Genossenschaftsmitglieder zu betrügen, ist einfach und muß nicht einmal versteckt erfolgen, da viele Mitglieder nicht einmal lesen können, geschweige denn eine Ausbildung oder Erfahrungen im Rechnungswesen haben. Mit derartigen Voraussetzungen ist die Kontrolle durch die Mitglieder, eines der wesentlichen Genossenschaftsprinzipien, fast wirkungslos. -

Staatliche

Kontrolle

Zu einer effizienten Kontrolle der Geschäftsführungen der Genossenschaften müßten die Buchführung und das Rechnungswesens verbessert werden, um durch das Vorhandensein von mehreren Vergleichsgrößen Betrügereien rechtzeitig aufdecken zu können. Als Personal des Rechnungswesens sollten besser ausgebildete und kompetentere Revisoren eingesetzt werden. Fachkundige Revisoren und Aufsichtsorgane sind allerdings teuer. Deshalb haben die Genossenschaften in vielen Ländern gefordert, daß der Staat dieses Fachpersonal gratis zu Verfügung stellen soll. Der Einsatz derartigen Personals führt aber sofort zu einem weiteren Problem: Entweder wird die Autonomie der Genossenschaften stark eingeschränkt, oder die Genossenschaften und ihr Management werden von Regierungsbeauftragten übernommen. Eine derartige Kontrolle führt in vielen Fällen auch zu einem eingeschränkten Interesse der Mitglieder an ihrer Genossenschaft. Wenn die Mitglieder nicht mehr in der Lage sind, ihre Entscheidungen unabhängig zu treffen, wird die Genossenschaft mit der Zeit zu einer Regierungsinstitution und die Rückzahlungsmoral der Mitglieder schwindet dahin. Ein Teufelskreis in Richtung Scheitern der

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Die Stellung

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Genossenschaften

Genossenschaft hat damit begonnen. Abhilfe schafft hier meistens nur der Abzug der Regierungsbeauftragten, nachdem diese die Fehler der Genossenschaft aufgedeckt und korrigiert und die Mitarbeiter beraten haben, wie sie ihre Genossenschaft in Zukunft besser führen können. E. P e r s p e k t i v e n Die angeführten Probleme könnten beim Leser den Eindruck hinterlassen, daß die Genossenschaften in den Entwicklungsländern mit ihren Kredit- und Sparaktivitäten überwiegend zum Scheitern verurteilt wären. Das Genossenschaftsmanagement und die staatlichen Behörden sind aber zuversichtlich, daß dies Probleme gelöst werden können und verweisen auf ihren Beitrag zur ländlichen Entwicklung. Positive Beispiele haben wir in Ägypten, Kenya und Indien kennengelernt, und sie finden sich auch in Ländern wie Pakistan, Bangladesh, Argentinien, Brasilien, Chile, Trinidad, Cypern, Jordanien, Mauritius, Uganda und Niger. Die Genossenschaften dieser Länder haben zwar auch ihre Probleme, aber positiv betrachtet gedeihen und wachsen sie, und ihre Bedeutung für die ländliche Entwicklung nimmt ständig zu. Literatur: Abbott, J.C.: Agricultural Credit; Institutions and Performances. In Monthly Bulletin on Agricultural Economics and Statistics. Dezember 1973. Abbott, J.C.: Credit Insitutions and Their Impact on Agricultural Development in Africa. Monthly Bulletin on Agricultural Economics and Statistics, 1974. Binns, B.O.: Agricultural Credit for Small Farmers. FAO Development Paper, Nr. 16. Rom 1952. Bellshaw, H.: Agricultural Credit in Economically Underdeveloped Countries. FAO, Rom 1959. de Wilde, J.C.: Agricultural Development in Tropical Africa. Part I. Baltimore 1967. de Wilde, J.C.: Agricultural Development in Tropical Africa. Part 2: Case Studies. Baltimore 1967. Engelman, K.: Building Cooperative Movement in Developing Countries. New York 1968. FAO: Agricultural Credit through Cooperatives and Other Institutions. Rom 1965. FAO: Laidlaw, Alexander: Mobilzation of Human Resources for Rural Development through Agricultural Cooperation. Rom 1975. FAO: New Approaches to Agricultural Credit. Rom 1964. FAO: Provisional Indicative World Plan for Agricultural Development, Summary. Rom 1972. Government of India: Report of the Banking Commission. Bombay 1972. Hussi, P. and Abbott, J.C.: Agricultural Credit Institutions in Asia and Latin American Countries. Monthly Bulletin on Agricultural Economics and Statistics, 1975. Markie, J.: The Role of Credit Cooperatives in Combating Rural Poverty in India. COPAC document, 1977 (Rom). Newiger, N.J.: New Forms of Cooperation as Instruments for Supporting the Agricultural Producer: The Integrated Approach. Mim. Working Paper; International Seminar on New Forms of Cooperation to Support the Agricultural Producer. Berlin 1981.

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

575

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

4.3.

Die Genossenschaften im ländlichen Bereich

4.3.1.

In der Marktwirtschaft Horst Seuster

A. Das Wesen der ländlichen Genossenschaften Die ländlichen Genossenschaften in Marktwirtschaften entsprechen dem Typ der Förderungsgenossenschaft, d.h. ihre Aufgabe besteht darin, die Existenz ihrer Mitglieder bzw. Mitgliederwirtschaften zu fördern und zu sichern. Damit erhalten sie ihre Zweckbestimmung aus deren Bedürfnissen; sie sind also nicht Selbstzweck sondern Mittel zum Zweck. Der Leistungs- oder Betriebszweck der Genossenschaftswirtschaft ist vielmehr auf die Ziele der Mitgliederwirtschaften bezogen. Nach außen hin, d.h. am Markt, muß sich die Genossenschaft wie jede andere Unternehmung verhalten (Gewinnerwirtschaftung); die Realisierung des Förderungsauftrages ist demgegenüber ein genossenschaftsinternes Problem (Gewinnverteilung). Die Sonderstellung der Genossenschaft als spezifischer Unternehmungstyp beruht auf dem besonderen Verhältnis ihrer Teile, d.h. zwischen Genossenschaftsbetrieb und Mitgliederwirtschaft. Neben den klassischen Förderungsgenossenschaften gibt es in Marktwirtschaften zwar vereinzelt auch Produktionsgenossenschaften; sie haben jedoch eine mehr marginale Bedeutung, so daß sie in einem Kurzbeitrag nicht eingehend berücksichtigt werden können. Die hier zu erörternden Förderungsgenossenschaften zählen zu den Privatunternehmungen,womit auch die ebenfalls vorkommenden öffentlichrechtlichen Genossenschaften (z.B. Wald- und Forstgenossenschaften, Wasser und Bodengenossenschaften, Jagdgenossenschaften) ausgeklammert werden müssen. Hinsichtlich der verbleibenden ländlichen Förderungsgenossenschaften muß zunächst festgestellt werden, daß sie ordnungspolitisch durchaus dem marktwirtschaftlichen System entsprechen und nicht etwa - wie es vereinzelt behauptet wird - Unternehmungen darstellen, die die Überwindung von Marktwirtschaften anstreben. Die Kriterien von Marktwirtschaften und Förderungsgenossenschaften sind nämlich weitgehend kongruent, als da sind: 1. Aufstellung individueller und dezentraler Wirtschaftspläne, 2. Gültigkeit des Markt - Preis - Mechanismus, 3. Vertragsfreiheit für konstitutive und laufende Entscheidungen sowohl für die Genossenschaftsführung als auch für die Mitglieder, 4. Privateigentum an den Produktionsmitteln, 5. Selbstverantwortung (Haftung) für wirtschaftliches Handeln, 6. Nutzen- bzw. Gewinnstreben am Markt, 7. Einhaltung des Wettbewerbsprinzips.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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Somit haben hier die alten genossenschaftlichen Postulate Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung volle Gültigkeit. Ländliche Genossenschaften in Marktwirtschaften sind also ganz eindeutig Privatunternehmen. Die Rolle des Staates ist deshalb primär auf eine entsprechende gesetzgeberische Tätigkeit gerichtet. In den meisten Ländern mit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung dokumentiert sich das in den einschlägigen Genossenschaftsgesetzen; allerdings gibt es auch Länder mit einer z.T. schon längeren Genossenschaftstradition, die kein spezielles Genossenschaftsgesetz haben (z.B. Dänemark und Belgien). Andererseits haben auch sie spezielle Statuten, in denen Struktur und Ablauf des genossenschaftlichen Geschehens geregelt sind. Neben seinem Part als Gesetzgeber spielt der Staat in Marktwirtschaften noch eine Rolle als Fiskus, da er von den Genossenschaften Steuern kassiert, und mehr in einem ideellen Sinne als Förderer. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftssystemen (Sozialismus, Entwicklungsländer) ist es nicht notwendig, daß er in marktwirtschaftlichen Ordnungen als Initiator auftritt, wie insbesondere die Geschichte der ländlichen Genossenschaften lehrt. Auch seine Bedeutimg als Auftraggeber ist eher gering. B. Die Entstehung der ländlichen Genossenschaften Marktwirtschaftliche Genossenschaften haben ihren historischen Ursprung in Europa. Die Wurzeln der ländlichen Genossenschaften liegen wohl in Deutschland. Hierfür steht der Name Raiffeisen, der mittlerweile zum internationalen Symbol für die ländlichen Förderungsgenossenschaften in Marktwirtschaften geworden ist (z.B. Internationale Raiffeisen-Union). Mitte bis Ende des vorigen Jahrhunderts war die Zeit, in der die ersten Genossenschaften dieses Typs in den heutigen Marktwirtschaften Europas gegründet wurden, bevor sie sich in anderen Marktwirtschaften des Erdballs verbreiteten. Auf der Ebene der EG sind die ländlichen Genossenschaften heute in dem "Allgemeinen Ausschuß des ländlichen Genossenschaftswesens der EWG", der in der französischen Abkürzung COGECA genannt wird (Comité Général de la Coopération Agricole de la Communauté Economique Européenne), zusammengeschlossen. In der EG (10) gab es 1983 bereits 40.000 landwirtschaftliche Genossenschaften mit mehr als 10 Millionen Mitgliedern, etwa 600.000 Beschäftigten und einem geschätzten Umsatz von über 130 Mrd. RE. Durch den Beitritt weiterer Länder haben sich die genannten Zahlen inzwischen weiter erhöht. (Leider liegen noch keine genauen Statistiken vor.) Neben den EG-Ländern gibt es auch in den übrigen Ländern Europas (Österreich, Schweiz), insbesondere in Skandinavien (Schweden, Finnland) ein ganz beachtliches ländliches Genossenschaftswesen. Die Internationale Raiffeisen-Union (IRU) umfaßt mittlerweile über 100 Mitgliedsländer mit

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4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

zusammen 650.000 Genossenschaften und über 300 Millionen Mitgliedern (Landwirte), die weltweit nach Raiffeisens Grundsätzen arbeiten. C. Die F o r m der ländlichen Genossenschaften Die ländlichen Genossenschaften in Marktwirtschaften sind im Gegensatz zu den Genossenschaften in den sozialistischen Ländern weniger einheitlich strukturiert. Da ist zunächst einmal die Differenzierung nach Universalgenossenschaften und Spezialgenossenschaften zu beachten, die teilweise historisch bedingt ist, sich teilweise aber auch erst im Laufe der genossenschaftlichen Genese entwickelt hat. Universalgenossenschaften (Bezugs- und Absatzgenossenschaften) sind bekanntlich Genossenschaften, die eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln und Produkten in ihrem Programm haben. Der Grundgedanke ist hier, die angeschlossenen Mitgliederwirtschaften (Landwirtschaftsbetriebe) durch eine einzige Genossenschaft mit den notwendigen Produktionsmitteln zu versorgen und alle für den Markt bestimmten Erzeugnisse abzunehmen. Der Landwirt kann auf diese Weise sämtliche Geschäfte mit einer Genossenschaft abwickeln, was sicher eine organisatorische Vereinfachung bedeutet. Andererseits sind aber diese Genossenschaften gehalten, ein sehr reichhaltiges Sortiment zu führen, was bei einem ungenügenden Umschlag einzelner Artikel zuweilen relativ hohe Kosten insbesondere für Zwischenfinanzierung und Lagerhaltung verursacht. Diese Universalgenossenschaften sind aus der Sicht des Landwirts meistens sowohl im Beschaffungs als auch im Absatzgeschäft tätig; sie übernehmen für ihn also Beschaffungs- und Absatzaufgaben. Die Universalgenossenschaften kommen wiederum in zwei verschiedenen Formen vor. Zum einen haben wir sie als reine Warengenossenschaften, d.h. sie beschränken sich ausschließlich auf die vorstehend genannten Aufgaben. Zum anderen jedoch gibt es Genossenschaftsunternehmungen, in denen Bank- und Warengeschäfte vereinigt sind; wir sprechen hier von gemischtwirtschaftlichen Genossenschaften oder Kreditgenossenschaften mit Warenverkehr. Da sich im allgemeinen das Geldgeschäft besser entwickelt als das Warengeschäft, stellt sich momentan für viele Genossenschaftspraktiker und -Wissenschaftler die Frage nach der zukünftig zweckmäßigen Organisationsstruktur dieser Genossenschaftsart. Ob diese durch den Slogan "Geld und Ware unter einem Dach" charakterisierte Genossenschaft eine Zukunftschance hat, bleibt abzuwarten. Im Gegensatz zu den Universalgenossenschaften übernehmen die Spezialgenossenschaften (z.B. Molkerei-, Vieh- und Fleisch-, Obst und Gemüse-, Winzergenossenschaften) gewöhnlich nur ein Produkt vom Erzeuger (Landwirt), das dann aber meistens noch umfangreichen Be- und Verarbeitungsprozessen unterliegt. Ihre Berechtigimg resultiert daraus, daß zur wirtschaftlichen Ausnutzung von Kostendegressionen größere Mengen landwirtschaftlicher Produkte erforderlich sind, die einen relativ hohen Kapitaleinsatz und

4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

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ein spezielles Management bedingen. Sie tangieren den landwirtschaftlichen Mitgliedsbetrieb in erster Linie auf der Absatzseite. Ein weiteres strukturelles Unterscheidungsmerkmal der landwirtschaftlichen Förderungsgenossenschaften ist der Bereich, in dem die Genossenschaft tätig ist. Wir unterscheiden hier die Warengenossenschaften, die - wie gerade gesagt - für den Landwirt (Mitglied) Aufgaben im Beschaffungs- (Käufe) und/ oder Absatzbereich (Verkäufe) übernehmen, also die angesprochenen Universal- oder Spezialgenossenschaften, von den Dienstleistungsgenossenschaften, die vorwiegend Aufgaben im unmittelbaren Produktionsbereich der Landwirtschafterledigen; das sindz.B. Maschinengenossenschaften, Weidegenossenschaften, Zuchtgenossenschaften, Buchführungsgenossenschaften und Betriebshilfsdienste. Bei einer langfristigen Betrachtung fällt auf, daß mangels weiterer Nachfrage infolge des technischen Wandels in der Landwirtschaft einige Arten dieser Genossenschaften allmählich verschwinden (z.B. Dreschgenossenschaften, z.T. auch Kühlhaus- und Elektrizitätsgenossenschaften), während auf der anderen Seite wiederum durch die technische Entwicklung bedingt neue Arten von Dienstleistungsgenossenschaften auftauchen. Einige dieser Genossenschaften sind nicht nur für die Wirtschaft (Betrieb) des Mitgliedes tätig, sondern ebenso für seinen Haushalt (z.B. Wasser-, Elektrizitäts- und Kühlhausgenossenschaften). Neben den Gemeinschaften in der Rechtsform der Genossenschaft gibt es vor allem im landwirtschaftlichen Produktionsbereich auch noch zahlreiche Kooperationen in anderen Rechtsformen, die als Substitute entsprechender Genossenschaften angesprochen werden müssen. Hier sind vor allem die zahlreichen Maschinengemeinschaften und Maschinenringe unterschiedlicher Größe zu nennen. Darüber hinaus müssen auch noch die Erzeuger- und Vermarktungsgemeinschaften erwähnt werden, die stark im Absatzbereich tätig sind und teils die genossenschaftliche, teils aber auch eine andere Rechtsform haben. Vor allem im landwirtschaftlichen Produktionsbereich gibt es also eine bemerkenswerte Vielfalt an Kooperationen in Marktwirtschaften, die naturgemäß sehr stark an die Produktpalette der Landwirtschaftsbetriebe in den einzelnen Ländern gebunden ist, d.h. in nördlichen Ländern finden wir aufgrund der klimatischen Gegebenheiten zumindest teilweise ganz andere Kooperationen (z.B. Pelztiere) als in südlichen Ländern (z.B. Südfrüchte). D. Organisatorischer Aufbau der ländlichen Genossenschaften Die ländlichen Genossenschaften sind ausgesprochen demokratisch organisierte Gebilde. Im Sinne der klassischen Gewaltenteilung Legislative, Judikative und Exekutive haben sie durchweg folgende konstitutiven Organe: 1. Mitgliederversammlung, 2. Aufsichtsrat, 3. Vorstand.

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von

Genossenschaften

Je nach wirtschaftlicher Bedeutung gibt es aber auch vielfach noch andere permanente oder temporäre Organe, meistens in Form von Beiräten. Sie haben üblicherweise jedoch kein Weisungsrecht sondern nur ein Vorschlagsrecht. In praktisch allen Ländern sind die Orts- oder Primärgenossenschaften auf regionaler und nationaler Ebene zu größeren Einheiten zusammengeschlossen. Hierfür sind ökonomische Gründe (z.B. Steigerung der Marktmacht), gesetzliche Gründe (z.B. Anschlußzwang an einen Prüfungsverband) und auch wohl genossenschaftspolitische Gründe (bessere Interessenvertretung) maßgebend. Insgesamt sind jedoch diese horizontalen Strukturen des ländlichen Genossenschaftswesens in den verschiedenen Ländern recht unterschiedlich. Einige Länder haben auf nationaler Ebene lediglich eine Organisation für das ländliche Genossenschaftswesen (z.B. BR Deutschland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Griechenland, Dänemark), während andere teils aus historischen, teils aus politischen Gründen mehrere nationale Organisationen haben (z.B. Vereinigtes Königreich, Italien). In starker Abhängigkeit von der Größe der jeweiligen Länder findet sich entweder ein zweistufiger (Ortsebene - Nationalebene) oder dreistufiger Aufbau (Ortsebene - Regionalebene - Nationalebene) des ländlichen Genossenschaftswesens insgesamt und auch im Hinblick auf die verschiedenen Sparten. Auf internationale Zusammenschlüsse (COGECA, IRU) wurde bereits hingewiesen. E. Die Bedeutung der ländlichen Genossenschaften Trotz des Freiwilligkeitsprinzips und der Konkurrenz anderer Unternehmungen im ländlichen Raum (Landhandel) haben die ländlichen Genossenschaften in den meisten Marktwirtschaften und bei vielen Produktionsmitteln und Produkten eine beachtliche wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Diese Feststellung gilt in erster Linie für die skandinavischen Länder (Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden), die Benelux-Länder, Irland und die BRDeutschland. Frankreich und England nehmen mehr eine Mittelstellung ein. In den südeuropäischen Ländern ist ihre Stellung dagegen bisher nicht allzu stark; allerdings werden auch dort große Anstrengungen in der Entwicklung ländlicher Genossenschaften unternommen. In Griechenland z.B. werden über 60 % der Trinkmilch, 45 % des Weins und 42 % des Gemüses über Genossenschaften abgesetzt. Traditionell hoch ist der genossenschaftliche Anteil bei der Milcherfassung und damit auch bei der Herstellung und dem Absatz von Milchprodukten, insbesondere Butter und Käse. Mit Ausnahme von Dänemark und Schweden ist er dagegen auf dem Rinder- und Schweinefleischsektor relativ gering. Eine ähnliche Feststellung gilt auch für Obst, Gemüse und Wein. Lediglich die Genossenschaften in den Niederlanden haben mit 82 % bzw. 84 % Marktanteil bei Obst und Gemüse eine dominierende Stellung; bei Wein erreichen die französischen Genossenschaften mit 60 % der Weinerfassung ebenso wie die griechi-

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Die Stellung

von

Genossenschaften

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sehen mit 45 % eine überdurchschnittliche Quote. In der Getreideerfassung haben die Genossenschaften in Frankreich und Luxemburg mit je 70 % und die BR Deutschland mit 52 % des in ihren Ländern verkauften Getreides die Spitzenpositionen inne. Bei Düngemitteln, Futtermitteln und Saatgut sind die genossenschaftlichen Anteile mit Prozentwerten zwischen 50 und 70 in Luxemburg, den Niederlanden und Irland besonders hoch; diese Feststellung gilt auch für die BR Deutschland hinsichtlich der Düngemittel. F. Probleme der ländlichen Genossenschaften In praktisch allen Volkswirtschaften der Erde - vor allem in den klassischen Marktwirtschaften - zählt die Landwirtschaft zu den weniger prosperierenden Wirtschaftszweigen. Infolge der engen Bindimg der ländlichen Genossenschaften an den landwirtschaftlichen Wirtschaftsbereich - man kann sie sogar als Teil dieses Bereiches bezeichnen -, hängt das wirtschaftliche Schicksal dieser Genossenschaft naturgemäß sehr stark von dem der originären Landwirtschaft (Landwirtschaftsbetriebe) ab. In einigen Fällen sind schon reine Warengenossenschaften in wirtschaftliche Schwierigkeiten bis hin zu Existenzgefährdungen geraten, da es ihnen wegen der insgesamt schlechten wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft nicht möglich war, ausreichende Gewinne zu erwirtschaften. Will nämlich eine einzelne Unternehmung, also auch eine Warengenossenschaft, ihre Existenz langfristig sichern, dann muß sie das zum Wachstum notwendige Eigenkapital aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit bilden können; andernfalls verliert sie über kurz oder lang den Anschluß an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und damit u.U. sogar ihre Existenz. Aus diesem Grunde sind sowohl von Seiten der Praxis als auch der Wissenschaft umfangreiche Überlegungen im Gange, wie die Zukunft der landwirtschaftlichen Warengenossenschaften gesichert werden kann. Dabei geht es in erster Linie um die zweckmäßigen Strukturen dieser Genossenschaften. Die Bindungen zwischen den ländlichen Genossenschaften und ihren Mitgliedern sind grundsätzlich von dem Prinzip der Freiwilligkeit geprägt, das deshalb sogar als essentielles Merkmal aller Genossenschaften in Marktwirtschaften anzusprechen ist. In der praktischen Aufgabenerledigung können sich hieraus jedoch auch Probleme ergeben, dann nämlich, wenn die Landwirte die genossenschaftlichen Einrichtungen nicht genügend frequentieren. Im Zeitalter steigender Kapitalintensität kann es aber nicht angehen, daß die Genossenschaften insbesondere für ihre Be- und Verarbeitungseinrichtungen umfangreiche Investitionen tätigen, die dann von den Mitgliedern nicht voll genutzt werden. Auch eine Genossenschaft kann in einer derartigen Situation nicht ökonomisch wirtschaften. Es ist deshalb durchaus verständlich, wenn die Genossenschaften in zunehmendem Maße dazu übergehen, mit ihren Mitgliedern Abnahme- und Lieferverträge abzuschließen, damit sie

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

längerfristig disponieren können. Hier handelt es sich um eine Frage der ökonomischen Vernunft. Vertragliche Bindungen des Genossenschaftsmitgliedes sind im Grunde genommen nichts anderes als vorweggenommene dispositive Entscheidungen, die das generelle Freiwilligkeitsprinzip nicht in Frage stellen. Es muß deshalb die Forderung erhoben werden: Wer die genossenschaftlichen Einrichtungen nicht nutzen will, braucht gar nicht erst Mitglied zu werden; eine bloße Mitgliedschaft auf dem Papier hilft weder der Genossenschaft noch dem Landwirt. Ein anderes Problem des gesamten Genossenschaftswesens in Marktwirtschaften, insbesondere aber für ländliche Genossenschaften, ist in der starken Unternehmungskonzentration der letzten Jahre zu sehen. Kennzeichen dieser Tendenz, die in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ihre Ursache hat, sind eine deutliche Abnahme der Anzahl selbständiger Genossenschaften bei steigenden Umsätzen je Genossenschaft. Dies geschieht in erster Linie durch Fusionen, weniger durch Liquidationen von Genossenschaften. Gerade im ländlichen Raum muß nämlich darauf geachtet werden, daß eine flächendeckende Versorgung der Mitgliederwirtschaften (Landwirtschaftsbetriebe), die j a nach wie vor über den Raum verteilt sind, gewährleistet bleibt. Auf diese Weise ergeben sich Transport- und Kommunikationsprobleme, die ihrerseits wiederum ein weiterer Anlaß sind, über die zukünftigen Strukturen der ländlichen Genossenschaften nachzudenken. In diesem Zusammenhang ist auch das genossenschaftliche Ehrenamt anzusprechen, das in der Vergangenheit ein Charakteristikum gerade der ländlichen Genossenschaften war. Die zunehmende Integration der Landwirtschaft und damit auch ihrer Genossenschaften in die Gesamtwirtschaft macht es immer schwieriger für die ehrenamtlichen (= nebenberuflichen) Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, den qualitativen Anforderungen eines modernen Genossenschaftsmanagements zu entsprechen. Insbesondere für die Vorstandstätigkeit ist es deshalb nur folgerichtig, wenn hauptamtliche (= hauptberufliche) und gut ausgebildete Kräfte die Leitung der Genossenschaft immer mehr übernehmen. Man kann diese Entwicklung zwar bedauern, zu ändern ist sie indessen nicht; im Grunde entspricht sie sogar dem Prinzip der Arbeitsteilung im dispositiven Bereich von Unternehmungen, dem sich auch die Genosssenschaften nicht verschließen können. Während im gesamten Genossenschaftswesen die Zahl der Mitglieder ständig zunimmt, insbesondere bei Genossenschaftsbanken, ist bei den ländlichen Genossenschaften eher eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten, die mit der zahlenmäßigen Entwicklung der Landwirtschaftsbetriebe zusammenhängt. Bekanntlich nimmt die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe in allen Marktwirtschaften schon seit Jahren deutlich ab. Es ist deshalb keine größere Überraschung, daß auch die Mitgliederzahlen bei einigen ländlichen Genossenschaften sinken. Während die Universalgenossenschaften diesen Mitgliederschwund bei den Landwirten durch einen Mitgliederzuwachs aus anderen Berufen vielleicht noch ausgleichen können, geht das bei den Spezialgenos-

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Genossenschaften

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senschaften normalerweise nicht. Wenn z.B. die Anzahl der Milcherzeuger in einer Region geringer wird, dann kann ein Rückgang bei der Anzahl der Mitglieder in der Molkereigenossenschaft naturgemäß nicht ausbleiben. Andererseits ist jedoch die Anzahl der Mitglieder einer Genossenschaft für deren Wirtschaftserfolg weniger entscheidend. Es ist ja durchaus möglich, daß im Einzelfall die wenigen Mitglieder insgesamt mehr Milch produzieren als die früheren vielen Mitglieder. Allerdings ist im Augenblick im gesamten EGRaum durch die Politiken der Kontingentierung und Flächenstillegung eine Entwicklung eingetreten, die alles in allem zu einer deutlichen Verringerung der Agrarproduktion dieser Länder führt. Diese, von der gegenwärtigen offiziellen Agrarpolitik initiierte Tendenz hat natürlich auch entsprechende Rückwirkungen auf die ländlichen Genossenschaften dieses Raumes. Die Darstellung einiger aktueller Probleme der ländlichen Genossenschaften in Marktwirtschaften darf indessen nicht dazu verleiten, hier unüberwindbare Schwierigkeiten zu sehen und in Resignation zu verfallen. Wirtschaftliche Probleme hat es zu allen Zeiten gegeben und wird es auch in Zukunft geben. Sie müssen sogar als wichtiges Symptom einer dynamischen Wirtschaft bezeichnet werden, denn ohne Probleme gäbe es überhaupt keine wirtschaftliche Entwicklung. Es kommt aber darauf an, daß sie rechtzeitig erkannt und sachgerecht gelöst werden. Hierin liegt eine permanente Aufgabe für alle (Praktiker, Wissenschaftler), die sich mit den Genossenschaften im ländlichen Raum befassen.

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4. Kapitel:

4.3.2.

Die Stellung

von

Genossenschaften

Im Sozialismus Jerzy Kleer

Im Sozialismus kann man den Agrargenossenschaften zwei Genossenschaftsarten zuordnen: -

Handelsgenossenschaften Diese sind den landwirtschaftlichen Genossenschaften in den Marktwirtschaften ähnlich und bieten Dienstleistungen für die landwirtschaftliche Bevölkerung an (sowohl für Haushalte als auch für Produktionsunternehmen);

-

Produktionsgenossenschaften Zu ihnen zählen die landwirtschaftlichen Produktionsgenossen Schäften

und die Kolchosen. Daneben gibt es noch die Versorgungs- und Absatzgenossenschaften. Sie sind für den Konsum und die Produktionstätigkeit von Privatunternehmen tätig. In der Marktwirtschaft sind kaum landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften anzutreffen. Ganz anders war ihr Auftreten in den sozialistischen Wirtschaften. In den Anfangen des Sozialismus war ein privater Sektor in der Landwirtschaft unerwünscht und die (privaten) landwirtschaftlichen Unternehmen wurden in kollektive Produktionsunternehmen - zuerst in der Sowjetunion (Ende der 20er Jahre) und gegen Ende der 40er Jahre auch in den übrigen sozialistischen Ländern - umgewandelt. Diese Kollektivunternehmen nannte man landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (in der Sovvjetunion Kolchosen, in China Volkskommunen).(l) Es gibt zwei Thesen für das Entstehen von Produktionsgenossenschaften in der Landwirtschaft: -

Da es in der sozialistischen Gesellschaftsordnung kein Privateigentum geben darf, wurden die privaten landwirtschaftlichen Unternehmen in kollektive Wirtschaftsformen in der Gestalt von Produktionsgenossenschaften umgewandelt. (2)

-

Kollektive Wirtschaftsformen sind den Einzelwirtschaften durch die Vorteile der Großproduktion und durch eine gemeinsame Nutzung von Maschinen und anderen Produktionsmittel überlegen.

Obwohl die Umgestaltung der individuellen landwirtschaftlichen Unternehmen in kollektive (genossenschaftliche) Unternehmen sozialistische Tradition war, wurde dieser Prozeß in der Sowjetunion erst während der Kollektivierung vorangetrieben (1929 -1934). Es traten damals zusätzliche und wie wir heute wissen, entscheidende Beweggründe hinzu: -

Der Übergang zur imperativen Steuerung der Volkswirtschaft, bei der nur mehr der Zentralplan als Allokationsmechanismus der Produktionsfakto-

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Genossenschaften

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ren vorhanden war. Für diesen Mechanismus waren aber Einzelwirtschaften im Agrarsektor - für die Erstellung eines allumfassenden, einheitlichen Plans - ein zu großes Hindernis. -

Die Übernahme des gesamten Outputs der Landwirtschaft durch den Staat, der ihn zur Beschleunigung des Industrialisierungsprozesses brauchte.

-

Die Möglichkeit, zumindest in der Anfangsphase ausreichende Investitionen in der Landwirtschaft zu tätigen (3)

Im sozialistischen Modell sollte das System der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften von freiwilligen Organisationen gebildet werden, die sich selbst verwalten und die Einzelinteressen mit den Gruppen - und allgemein-gesellschaftlichen Interessen verbinden sollten. (4) In der Gründungsphase wurde aber keine dieser Forderungen berücksichtigt. Die Vergesellschaftung der Landwirtschaft durch Bildung von Genossenschaften (5) wurde von oben erzwungen. Die Selbstverwaltung wurde durch administrative Anweisungen, die ein Zentralplan festlegte, ersetzt. Der Plan selbst war der alleinige Allokationsmechanismus der Produktionsfaktoren. Haben nun die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in den sozialistischen Ländern noch die Merkmale und Eigenschaften einer Genossenschaft? Eine Antwort auf diese Frage ist davon abhängig, ob eine Genossenschaft in der sozialistischen Wirtschaft durch dieselben Merkmale zu kennzeichnen ist wie die Genossenschaft in der Marktwirtschaft, oder ob sich die Genossenschaft im Sozialismus durch eine bestimmte differentia specifica auszeichnet. Wir finden in der Literatur zum sozialistischen System auf diese Frage zwei Antworten: -

Die Genossenschaften im Sozialismus unterscheiden sich wesentlich von den Genossenschaften in den Marktwirtschaften. Die Unterschiede lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen: a) Der Staat übt einen dominanten Einfluß auf die Expansionsrichtung, die Verteilung der Überschüsse (des Gewinns) und auf die Wahl der Genossenschaftsleitung aus. b) Das Interesse der Mitglieder ist dem gesellschaftlichen Gruppeninteresse und in noch größerem Maß dem gesamtgesellschaftlichen Interesse untergeordnet.

-

Die Genossenschaft ist eine Organisation, die in erster Linie für ihre Mitglieder geschaffen wiid; ihr Ziel ist es, die Nutzen der Haushalte und/ oder der Familienunternehmen zu maximieren. (6)

Hinter diesen konträren Auffassungen zum Genossenschaftsbegriff stekken unterschiedliche Vorstellungen über die sozialistische Wirtschaft und ihre Leistungsmodelle.(7) Ich persönlich vertrete die Meinung, daß die Genossenschaft eine Wirtschaftsorganisation mit unabdingbaren Merkmalen ist und sich zwar besonderen Rahmenbedingungen anpassen muß, ihren prinzipiellen Charakter aber nicht verlieren darf.

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Genossenschaften

Unter dieser Voraussetzung können wir sagen, daß die Kolchosen und die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in ihrer Anfangsphase keine Genossenschaften waren, obwohl sie in ihrer rechtlichen Konstruktion die Eigenschaften der Genossenschaften beinhalteten. Es muß aber auch gesagt werden, daß sich die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in den einzelnen sozialistischen Staaten sehr unterschiedlich weiterentwickelten und noch immer weiterentwickeln. Gegenwärtig gibt es Länder, in denen die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften alle Merkmale der Genossenschaft aufweisen (z.B. Ungarn, Polen), aber auch solche, in denen die Genossenschaften immer noch quasi-staatliche Unternehmen sind (z.B. Sowjetunion, DDR und Rumänien) und sich in ihrem Unabhängigkeitsgrad stark unterscheiden. Ein Prozeß der Entstaatlichung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ist in einigen sozialistischen Ländern - aber mit unterschiedlicher Intensität - begonnen worden. Diese Wirtschaftsreformen streben eine größere Unabhängigkeit der Unternehmen und damit auch der Genossenschaften an. Die radikalsten Reformen orientieren sich am Marktsystem. Man kann also erwarten, daß die weitere Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften unter diesen neuen Rahmenbedingungen eine Wiederbelebung der traditionellen genossenschaftlichen Merkmale bringen wird. Doch nun noch zu einigen statistischen Aspekte der Produktionsgenossenschaften (Kolchosen) in den sozialistischen Ländern:(8) Zunächst ist die unterschiedliche Entwicklung der Bodenanteile der Produktionsgenossenschaften auffallend. In Bulgarien(9) und der Sowjetunion TAB.l: ANTEILE DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN PRODUKTIONSGENOSSENSCHAFTEN (KOLCHOSEN) ANDER LANDWIRTSCHAFTLICHEN NUTZFLÄCHE I Länder

I

Bulgarien Tschechoslowakei DDR Polen Rumänien Ungarn UDSSR * 1974

1960 90,1 67,5 72,8 1,0 50,2 48,5 56,3

1

1970 77,6 60,3 78,1 1,4 54,1 77,9 37,4

I

1975 24,5 63,5 82,5 3,0 54,0 78,0* 33,6

I

1980 -

62,5 82,5 4,3 54,4 78,5 30,9

I

1988

I

-

63,6 82,5 3,6 54,6" 70,9 30,3

** 1986

Quelle: J.Janic, Spöldzielczosc w gospodarce narodowej krajöw RWPG, in: Spöldzielczosc w zyciu spoleczno-gospodarczym PRL, Warszawa 1985; Bulgarian Co-operative Farms, Sofia 1968; The Hungarian Co-operative Movement, Budapest 1987;Statistitscheskij Jeschegodnik Stran Tschlenow Sowieta Ekonomitscheskoj Wzaimoposchtschi, Moskwa 1989.

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von

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Genossenschaften

sank im Rahmen der Verstaatlichung der Genossenschaften und Kolchosen der Anteil des von den Genossenschaften genutzten Bodens. In Rumänien, der DDR und in Ungarn (bis in die Mitte der 80er Jahren) hat diese Fläche zugenommen. In der Tschechoslowakei läßt sich seit 1965 ein fast gleichbleibender Wert feststellen, während sich in Polen zwar eine Zunahme des Anteils an der Nutzfläche verzeichnen läßt, die Genossenschaften aber in der Landwirtschaft nur eine Randerscheinung darstellen. Diese unterschiedlichen Trends zeigen auf, daß die staatliche Agrarpolitik und die Politik gegenüber den Genossenschaften in den einzelnen Ländern sehr verschieden ist. (10) Es folgt eine Übersicht über die Anzahl der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in einigen sozialistischen Ländern.

TAB.2: LANDWIRTSCHAFTLICHE PRODUKTIONSGENOSSENSCHAFTEN Länder Bulgarien Tschechoslowakei DDR Polen Rumänien Ungarn UDSSR * 1985

1960

1970

1975

1980

932 10.816 19.816 1.978 4.887 4.703 44.944

744 6.270 10.029 1.106 4.626 2.805 33.564

281 2.736 6.610 1.216 4.649 1.834 28.953

1.722 4.897 2.399 4.643 1.457 26.336

1988

1.657 4.549 2.207 4.363* 1.397 27.310

Quelle: wieTab.l Allgemein zeigt sich eine sinkende Zahl der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Ursache dafür sind die Übernahme des Bodens durch den Staat und der Konzentrationsprozeß bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften. Die Konzentration war durch das Streben nach größeren Produktionsstätten gegeben. Man war der Meinung, daß economics of scale in jedem Bereich und unter allen Umständen Vorteile bringen würden. Eine Ansicht, die heute als Fehler (sowohl in der Theorie als auch in der Praxis) anerkannt wird.

Ich möchte mich jetzt noch mit den landwirtschaftlichen Versorgungs- und Absatzgenossenschaften beschäftigen. Da der Aufbau der Landwirtschaft auf genossenschaftlichen Strukturen vom Staat ausging, befanden sich auch die Versorgung der Landwirtschaft mit Produktionsmitteln und der Absatz der

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Genossenschaften

landwirtschaftlichen Erzeugnisse in den Händen staatlicher Organisationen. Nur in Polen wurde aufgrund eines großen Privatsektors und der dominierenden Rolle der einzellandwirtschaftlichen Unternehmen die selbständige Organisation der landwirtschaftlichen Versorgungs- und Absatzgenossenschaften beibehalten. (11) Diese Genossenschaften erfüllen zwei Funktionen: -

die Versorgung der individuellen landwirtschaftlichen Unternehmen mit Produktionsmitteln und den teil weisen Absatz ihrer Produktion (12). (Der andere Teil der landwirtschaftlichen Erzeugnisse wird von den staatlichen Handelsorganisationen aufgekauft). Daneben haben sie noch die Aufgabe, als Treuhänder des Staates dessen Agrarpolitik bei den Einzelwirtschaften durchzusetzen (Preise für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, Vertragsabschlüsse für bestimmte Erzeugnisse, Versorgung mit Maschinen, Kunstdünger, Pflanzenschutzmitteln usw.).

Die Versorgung der Dorfbevölkerung in ihrer Rolle als Verbraucher bleibt Aufgabe der Konsumgenossenschaften. Aber auch der Ankauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den Heimparzellen und Schrebergärten ist in der UdSSR, in Rumänien, Bulgarien und Ungarn Aufgabe der Konsumgenossenschaften - im Gegensatz zu den Konsumgenossenschaften in der DDR und der Tschechoslowakei, wo ein derartiger Ankauf nicht stattfindet. Die Konzentration der Tätigkeitsbereiche der Konsumgenossenschaften im ländlichen Bereich ist in der Sowjetunion am stärksten, teilweise aber auch in anderen Ländern, außer in Polen und Jugoslawien zu beobachten. Am 29.10.1935 wurde in der Sowjetunion der Beschluß gefaßt (Beschluß des Rates der Volkskommissare und des ZKder KPDSU), daß sich der Tätigkeitsbereich der Konsumgenossenschaften nur mehr auf den ländlichen Bereich erstrekken soll. Theoretisch wurde die Beschränkung der Konsumgenossenschaften auf den ländlichen Bereich (in der theoretisch-ökonomischen und politischen Literatur jener Zeit (50er, 60er und 70er Jahre) zu finden) wie folgt begründete 13) Wenn in der landwirtschaftlichen Produktion die genossenschaftlichen Formen vorherrschen (aufjeden Fall am Anfang vorherrschend waren), dann müssen auch die Dienstleistungen für diese Bevölkerung in genossenschaftlicher Form erfolgen. Genauso war auch die staatliche Form der Produktionsmittel in der Industrie mit der staatlichen Form des Handels in der Stadt verbunden. Durch die Ansicht, der Übergangsprozeß zum gesamtnationalen Eigentum werde über das Staatseigentum verlaufen, war man überall, wo es möglich war, bemüht, die genossenschaftliche Form auszuschalten. Außerdem verwies man darauf, daß die Genossenschaften, als sie noch in der Stadt und am Land wirkten, zahlreiche Fehler infolge eines unkoordinierten Einsatzes von Kräften und Mitteln gemacht haben. Diese Ansichten haben sich in

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Genossenschaften

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den meisten Ländern heute als falsch herausgestellt. Nichtsdestotrotz haben die Konsumgenossenschaften in vielen Staaten im ländlichen Bereich keine Funktionen der Produktionsversorgung der Landwirtschaft übernommen, während der Absatz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse hauptsächlich über die Kanäle des Staatshandels abgewickelt wird. Wir können zusammenfassend sagen, daß die landwirtschaftlichen Genossenschaften im Sozialismus spezifische Merkmale aufweisen und sich in ihrer bisherigen Praxis von den landwirtschaftlichen Genossenschaften in der Marktwirtschaft unterscheiden. Fußnoten: (1) Die Volkskommunen in der chinesischen Wirtschaft haben eine lange Entwicklung durchgemacht, von einer Wirtschaftsorganisation bis zu verwaltungspolitischen Organisationen während der Periode des sog. Großen Sprungs und der Kulturrevolution, um schließlich während der Ende 1978 begonnenen Wirtschaftsreform die Gestalt einer quasi-genossenschaftlichen Dachorganisation anzunehmen. (2) Die Gründungsphase der Produktionsgenossenschaften im ländlichen Bereich in den sozialistischen Ländern Europas und Asiens fallt in die Jahre 1948 - 61; vgl. B. Struzek, Rolnictwo w europejskich krajach socjalistycznych, Warszawa 1963. Ausnahmen, in denen weiterhin private Bauernwirtschaften vorherrschend blieben, waren Jugoslawien und Polen. (3) vgl. J. Kleer: Niektöre teoretyczne problemy powstania wlasnosci spöldzielczej, Warszawa 1979, S. 29 - 30 (4) vgl. B. Struzek: Rolnictwo w europejskich krajach socjalistycznych, op.cit. S. 35 (5) Der Staatssektor war während der Anfangsperiode (Anfang der 60er Jahre) in der Landwirtschaft in keinem der europäischen Länder von größerer Bedeutung (mit Ausnahme der Sowjetunion). Er betrug von 5 % der Nutzfläche in Bulgarien bis 29 % in Rumänien; in den übrigen Ländern schwankte er zwischen 6 und 15 %. Vgl. Mirowaja sozialistitscheskaja sistiema chosjajstwa. B.I. Moskwa 1966, S. 182 (6) vgl. J. Kleer: Zarys ekonomicznej teori ispöldzielczosci w socjalizmie, Warszawa 1979 (7) vgl. das Kapitel: Der Staat und das Genossenschaftswesen im Sozialismus (8) In den außereuropäischen RGW-Ländern hatten die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften 1985 folgende Anteile am landwirtschaftlich genutzten Boden: Kuba 15,2 %; Mongolei 82,9 % (9) In Bulgarien wurde die Landwirtschaft in der Mitte der 70er Jahre vollkommen reorganisiert, die Genossenschaften wurden liquidiert und durch staatliche agrar-industrielle Organisationen ersetzt. (10) Es gibt Privatisierungserscheinungen in der Landwirtschaft, in der Sowjetunion z.B. durch die sog. Familienpacht des Bodens, Vgl. J. Wasilczuk, Kooperatsija i socjalizm, Mirowaja Ekonomika i Mieschdunarodnyje otnoschenija, 1988/7, während in China eine Privatisierungswelle erst seit Anfang der 80er Jahre festgestellt werden kann.

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4. Kapitel:

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von

Genossenschaften

(11) Der wichtigste Typ der landwirtschaftlichen Handelsgenossenschaften waren die Versorgungs- und Absatzgenossenschaften (ihre Zahl betrug 1960: 2.587, 1970: 2.541, 1980: 1.988, 1987: 1.989), daneben gab es aber noch zwei andere Typen, die Molkereigenossenschaften: 1960: 661,1970: 430,1980: 49, 1987: 323, sowie Gartenbau und Bienenzucht: 1960: 136, 1970: 141, 1980: 52, 1987: 133. Insgesamt betrug die Zahl dieser drei Genossenschaftstypenmitglieder 1970: 6 Millionen, 1980: 5.972 Millionen und 1987: 5.115 Millionen. (12) In vielen Ländern läßt sich, abgesehen von der Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft, einzelwirtschaftliche Produktion feststellen (Bulgarien, CSSR, Ungarn, UdSSR). Diese Einzelwirtschaften erfüllen die Funktionen der Versorgungs- und Absatzgenossenschaften. Ihr Absatz wird größtenteils über die Konsumgenossenschaften abgewickelt. (13) vgl. K. Boczar: Spöldzielczosc, Warszawa 1979, S. 206 - 207. J. Kleer: Przyszlosc spöldzielczosci spozywcöw, Warszawa 1985, S. 79 - 80

Literatur: Bulgarian Co-operative Farms, Sofia 1968 Hungarian Co-operative Movement, Budapest 1987 Kleer, J.: Niektöre problemy powstania wlasnosci spöldzielczej, Warszawa 1979 The co-operative movement's contribution to social progress in Czechoslovakia, Praha 1980 Wasilczuk, J.: Kooperacija i socjalizm, in: Mirowaja Ekonomika i Mieschdunarodnyje Otnoschenija, Nr. 7/1988

4. Kapitel: Die Stellung von

4.3.3.

Genossenschaften

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In Entwicklungsländern Dieter

Baldeaux

Ein bemerkenswerter Tatbestand von landwirtschaftlichen Genossenschaften in Entwicklungsländern ist, daß sie vor allem im Bereich der Vermarktung von Nahrungsmittteln tätig sind und relativ wenig in ihrer Produktion. Obwohl viele Versuche unternommen worden sind, Landwirte in Produktivgenossenschaften zu organisieren, ist die Form des kollektiven Anbaus selten erfolgreich gewesen. Die jüngste Erfahrung in Äthiopien, dessen Regierung versucht hatte, landlose Arbeiter aus der Ausbeutung durch Großgrundbesitzer zu befreien, indem sie in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften organisiert wurden, litt an einer Reihe von Problemen, insbesondere mangelnder Partizipation und unfähigen Managements. Im Bereich der Landwirtschafts- und dabei insbesondere der Vermarktungsgenossenschaften sind bisher in den Entwicklungsländern die größten Wirkungen erzielt worden. Insbesondere in Afrika und Asien sind die Bereitstellung von Produktionsmitteln, die Bereitstellung von Krediten und die Vermarktung der Produkte als wichtige Elemente der landwirtschaftlichen Entwicklung betrachtet worden, die effizient von Genossenschaften geleistet werden können. Das breite Engagement von Genossenschaften in diesem Bereich ist ein Spiegel der Bedeutung von Strategien der Nahrungsmittelversorgung in fast allen Entwicklungsländern. Genossenschaften für die gemeinsame Nutzung von landwirtschaftlichen Geräten sind verbreitet in Nigeria, Ghana, Kamerun und Togo. In Kenia spielen Vermarktungsgenossenschaften eine wichtige Rolle. In Ägypten werden Genossenschaften als Ausführungsinstrument bei der Neuverteilung von Land entsprechend dem Landwirtschaftsreformgesetz von 1952 benutzt. Eng verbunden mit dem Wachstum der Nationalökonomien und dem Wachstum der Kapazität der Genossenschaftsorganisation ist ihre sich ausweitende Rolle bei der Nahrungsmittelverarbeitung. Indien und Brasilien sind Beispiele für Länder, in denen diese Form genossenschaftlicher Aktivität verbreitet und erfolgreich ist. Die vertikale Integration ist charakteristisch für einige der mehr erfolgreichen Genossenschaften in der Welt. Deren bemerkenswerteste ist sicherlich die "Anand"-Form der Molkerei- und Ölsamengenossenschaft in Indien, die auf einer engen Bindung zwischen Produktion, Verarbeitung und Vermarktung basiert, so daß der Produzent von den Vorteilen, die auf allen drei Ebenen gewonnen werden, profitieren kann. Eine häufige Debatte in genossenschaftlichen Entwicklungskreisen befaßt sich mit den relativen Vorzügen von Mehrzweck- gegenüber Einzweck-Genossenschaften. Beide haben ihren Wert bewiesen. Da jedoch Mehrzweckgenos-

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

senschaften die Kapazitäten haben, mehr Entwicklungsbedürfnisse des Landes zu befriedigen, ist ihr Ansatz oft stärker gefördert worden, wie z.B. bei der Reorganisation des Genossenschaftswesens in Zambia in den 70er Jahren. Die Entwicklung brachte jedoch auch viele Probleme mit sich, insbesondere die Schwierigkeit, ausreichend qualifiziertes Management-Personal zu erhalten, das mit den vielen Tätigkeitsbereichen umgehen kann. Ländliche Genossenschaften wurden zuerst in Indien eingeführt, um in ländlichen Gebieten Kredite bereitzustellen. Diese Rolle spielen viele Mehrzweckgenossenschaften noch heute. In den letzten 20 oder 30 Jahren ist jedoch die Rolle des Sparens in der Entwicklung zunehmend anerkannt worden und hat im Bereich von Sparen und Kredit zur Entwicklung von mehr Ein-SektorGenossenschaften geführt. In Entwicklungskreisen wird zunehmend anerkannt, daß eine befriedigende wirtschaftliche Wachstumsrate nur durch die Mobilisierung einheimischer Ressourcen erreicht werden kann, und daß die Sparkapazität armer Menschen häufig unterschätzt worden ist. Außerdem haben viele Probleme von regierungsgeleiteten Kreditprogrammen zu einer Trennung der Spar- und Kreditfunktionen geführt.

4. Kapitel:

Die Stellung

von

4.4.

Die gewerblichen Genossenschaften

4.4.1.

In der Marktwirtschaft

Genossenschaften

593

Walter Hamm Unternehmen, die in einer marktwirtschaftlichen Ordnung mit ihren Konkurrenten nicht Schritt zu halten vermögen, müssen das Feld räumen. Die Tatsache, daß in vielen Bereichen der Produktion und des Handels zahlreiche Genossenschaften auf eine oft über ein Jahrhundert währende Tätigkeit zurückschauen können, zeigt, daß die Leistungen von Genossenschaften begehrt sind. Viele Genossenschaften haben es offensichtlich verstanden, sich erfolgreich an veränderte Marktverhältnisse und Mitgliederinteressen anzupassen. Anders als in Ländern mit zentraler staatlicher Planimg und Lenkung der Wirtschaft, in denen staatliche Organe über Existenz und Aufgaben von Genossenschaften bestimmen, entscheidet in der Marktwirtschaft das Urteil der Mitglieder, ob sich eine Genossenschaft im Wettbewerb halten kann. Im folgenden wird zunächst ein Überblick über die wichtigsten Arbeitsbereiche gewerblicher Genossenschaften gegeben. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, worauf die erfolgreiche Behauptung von Genossenschaften im Wettbewerb zurückzuführen ist. Schließlich wird geprüft, wie die Tätigkeit der gewerblichen Genossenschaften aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu beurteilen ist. A. Uberblick über die wichtigsten Arbeitsbereiche gewerblicher Genossenschaften Zu den gewerblichen Genossenschaften zählen vor allem die Genossenschaften von Einzelhändlern und Handwerkern. Von quantitativ geringerem Gewicht sind die Genossenschaften freier Berufe und die Verkehrsgenossenschaften. Die gewerblichen Genossenschaften üben weit überwiegend vor allem Großhandelsfunktionen aus und bieten daneben ein breites Sortiment ergänzender Dienstleistungen an. 1. Genossenschaften des Lebensmitteleinzelhandels Die wachsenden Schwierigkeiten kleiner Lebensmitteleinzelhändler, sich im Wettbewerb mit Großunternehmen zu behaupten, waren der maßgebliche Grund, der zur Gründung der ersten deutschen Einkaufsgenossenschaft vor hundert Jahren (1888) führte. Zwar gab es auch damals bereits einen Großhandel, der kleine Einzelhändler belieferte. Er war jedoch wenig leistungsfähig und konnte sich nicht ähnlich günstige Einkaufskonditionen sichern wie die Warenhäuser, die Konsumgenossenschaften und die großen Lebensmittelfilialunternehmen. Der genossenschaftliche Zusammenschluß kleiner Einzel-

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

händler ermöglichte die Bündelung der Nachfrage und sicherte ihnen die Vorteile, die beim Bezug großer Mengen eingeräumt werden. Durch Selbsthilfe wurde die Existenz kleiner Lebensmitteleinzelhändler gesichert. Im Laufe der Zeit wurde das Leistungssortiment der Genossenschaften wesentlich ausgeweitet, vor allem auf das Gebiet des gemeinsamen Marketings und der Abrechnung mit den Lieferanten, aber auch auf die Beratung in Finanzierungs-, Rechts-, Steuer- und Standortfragen sowie auf die Aus- und Fortbildung. Die Genossenschaften der Lebensmitteleinzelhändler sind bei allen unternehmerischen Aufgaben sachverständige Gesprächspartner. Die örtlichen Primärgenossenschaften haben schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Zentralgenossenschaften gegründet, weil sich auf diese Weise die Vorteile des gemeinsamen Einkaufs noch besser sichern ließen. Heute kaufen die Zentralunternehmen vornehmlich als Vermittler im Namen und auf Rechnung ihrer Mitglieder auf In- und Auslandsmärkten. Die Zentralunternehmen betätigen sich ferner als Marketingzentralen und schaffen eigene Handelsmarken. Die Zahl der selbständigen Lebensmitteleinzelhändler ist trotz genossenschaftlicher Kooperation in den letzten Jahrzehnten ständig weiter geschrumpft. Der ungewöhnlich harte Preiswettbewerb gerade im Lebensmitteleinzelhandel und die gedrückten Gewinnspannen ermöglichen nur noch Unternehmen mit ständig steigenden Jahresumsätzen in guten Geschäftslagen das Überleben. Kümmerbetrieben mit zu kleiner Ladenfläche und an schlechten Standorten vermögen auch Genossenschaften nicht das Überleben zu sichern. Der Strukturwandel im Einzelhandel kann von Genossenschaften nicht aufgehalten werden, wohl aber können Genossenschaften dazu beitragen, daß sich leistungsstarke Einzelhändler - dank der durch Selbsthilfe erschlossenen Förderung - im Wettbewerb mit Großunternehmen behaupten. 2. Sonstige Einzelhandelsgenossenschaften Nicht nur im Lebensmitteleinzelhandel, sondern auch in zahlreichen anderen Einzelhandelsbereichen arbeiten seit langem Genossenschaften. Hier sei auf die Apothekergenossenschaften und auf den Handel mit Bürobedarf, Drogerieartikeln, Eisenwaren und Hausrat, Elektrogeräten, Genußmitteln, Schuhen, Spielwaren, Sportartikeln, Tabakwaren, Textilien sowie Uhren und Schmuck hingewiesen. Ähnlich wie im Lebensmitteleinzelhandel verfolgen die Genossenschaften auch in den anderen Handelsbereichen das Ziel, ihre Mitglieder im Wettbewerb mit Großunternehmen des Einzelhandels konkurrenzfähig zu erhalten, indem sie die günstigsten Einkaufsquellen im In- und Ausland ausfindig machen, Marketingaufgaben lösen, Handelsmarken schaffen, Beratungswünsche befriedigen und Ausbildungschancen bieten. Die Marktstellung der Einzelhandelsgenossenschaften im Nicht-Lebensmittelbereich ist höchst unterschiedlich. Regelmäßig müssen sich die Genos-

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Genossenschaften

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senschafiten im Wettbewerb mit dem Großhandel in anderer Rechtsform bewähren, in einigen Fällen können die Einzelhändler auch zwischen der Mitgliedschaft bei zwei oder mehr Genossenschaften wählen. Die Bedeutung der Genossenschaften hängt weiterhin davon ab, wie gut es ihren Mitgliedern gelingt, sich im Wettbewerb mit Großunternehmen des Einzelhandels zu behaupten. 3. Handwerkergenossenschaften Viele selbständige Handwerksbetriebe stehen in hartem Wettbewerb zu industriellen Unternehmen oder zu Großbetrieben des Handels. Auch insoweit kann genossenschaftliche Selbsthilfe die Leistungskraft und Konkurrenzfähigkeit von Handwerksbetrieben wesentlich stärken. Im Bereich des Nahrungsmittelhandwerks ist auf die Genossenschaften des Fleischer- und des Bäckerhandwerks zu verweisen. Andere Handwerkszweige, in denen sich Genossenschaften zum Teil schon seit über einem Jahrhundert betätigen, sind Tischler, Schuhmacher, Maler, Dachdecker, Raumausstatter, Bauhandwerker, Glaser, Friseure, Installateure, Schlosser und Schmiede. Im Vordergrund der genossenschaftlichen Aktivitäten steht der gemeinschaftliche Einkauf von Rohstoffen und Vorprodukten, von Werkzeugen und Maschinen, von Hilfs- und Betriebsstoffen. Zur Abrundung des Sortiments werden Fertigprodukte bezogen. Über diese Großhandelstätigkeit hinaus werden wie bei den anderen gewerblichen Genossenschaften zahlreiche Dienstleistungen für die Mitglieder angeboten. Die Beratung in allen unternehmerischen Fragen, die Gemeinschaftswerbung und die Absatzförderung gehören zu den wichtigsten Aufgabengebieten. In einzelnen Tätigkeitsbereichen ist nicht nur die Zahl der Genossenschaften, sondern auch der Umsatz erheblich zurückgegangen. Im Schuhmacherhandwerk etwa leiden verständlicherweise auch die Genossenschaften unter der Schrumpfimg der Marktchancen. Insgesamt sind jedoch die Umsätze aller Handwerkergenossenschaften (nur Primärgenossenschaften) zwischen 1960 und 1988 von 1,3 auf 6,7 Milliarden DM bei einer Halbierung der Zahl der Primärgenossenschaften (von 622 auf 323) gestiegen. Es hat also eine erhebliche Konzentration stattgefunden (siehe hierzu auch Abschnitt 5.6 "Konzentrations- und Fusionstendenzen"). 4. Verkehrsgenossenschaften In der Binnenschiffahrt, im Straßengüter- und im Taxiverkehr haben sich rund 13.500 Unternehmer in Genossenschaften zusammengeschlossen. Wichtige Aufgaben der Genossenschaften sind die Laderaumvermittlung, die Frachtenprüfung, die Einziehung der Transportentgelte, der Einkauf von

596

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Treibstoffen und Zubehör, die Vermittlung von Versicherungsschutz, die Finanzierung von Fahrzeugen, die Unterhaltung von Buchstellen und Rechenzentren sowie die umfassende Beratung der Unternehmer. Unternehmerische Aufgaben, die in kleinen Unternehmen meist nur mit begrenztem Sachverstand oder relativ teuer erledigt werden könnten, werden auf den Genossenschaftsbetrieb verlagert und dort Spezialisten übertragen. Die meist sehr kleinen Betriebe der Genossenschaftsmitglieder (mit oft nur einem einzigen Fahrzeug) werden auf diese Weise in die Lage versetzt, sich im Wettbewerb mit großen Konkurrenten zu behaupten. Die Straßengüterverkehrsgenossenschaften betreiben Autohöfe und schulen Fernfahrer. Bei der Frachtabrechnung erreichen diese Genossenschaften einen Marktanteil von über 90 Prozent, ein deutliches Kennzeichen dafür, wie die Leistimg der Straßengüterverkehrsgenossenschaften von den vielen kleinen und mittleren Unternehmen eingeschätzt werden. Allerdings kommen den Genossenschaften insoweit die staatlichen Preisreglementierungen im Güterverkehr zugute. Welche Veränderungen sich nach zu erwartenden Deregulierungsschritten ergeben werden, muß sich zeigen. 5. Sonstige gewerbliche Genossenschaften Von den in anderen Wirtschaftsbereichen tätigen gewerblichen Genossenschaften seien nur einige wenige beispielhaft erwähnt. Einen ganz ungewöhnlichen Erfolg hat die DATEV aufzuweisen, die zentral die Datenverarbeitung für Steuerberater übernimmt. Unter anderem kann in den Großcomputeranlagen dieser Genossenschaften die Buchhaltung für die Mandanten von Steuerberatern geführt werden. Außerdem werden umfassende Informationsmöglichkeiten geboten. Ärztegenossenschaften bieten Dienstleistungen vor allem auf dem Gebiet des gemeinschaftlichen Einkaufs von medizinisch-technischen Geräten, Instrumenten und Betriebsmitteln an. Sie beraten die Ärzte bei der Einrichtung der Praxisräume und Labors, unterhalten eigene Reparaturdienste und bieten Versicherungs-, Finanzierungs- und Leasingleistungen an. Nur begrenzte Erfolge haben bisher die Produktivgenossenschaften erzielen können. B. Ursachen für den Erfolg gewerblicher Genossenschaften Marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaften sind durch ungewöhnlich hohe Dynamik, durch ständigen Wandel, durch eine ausgeprägte Innovationsaktivität und durch den Zwang zur Bewährung im Wettbewerb gekennzeichnet. Im Arbeitsbereich der gewerblichen Genossenschaften bedeutet dies insbesondere, daß ständig neue Vertriebsformen im Handel entstehen, daß sich Handwerksbetriebe auf neue Produktionsmethoden einstellen müssen, daß sich die Schwerpunkte der Mitgliederförderung verlagern, daß die Genossenschaften selbst innovativ tätig werden und daß sie ihr Leistungssortiment

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

597

beweglich an veränderte Kostenstrukturen anpassen (Ausweitung auf Leistungen, die kostengünstiger im Genossenschaftsbetrieb produziert werden können). Daß sich gewerbliche Genossenschaften oft seit mehr als einem Jahrhundert erfolgreich behaupten konnten - trotz gründlich veränderten Umfelds -, ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die Organe von Genossenschaften die zu verfolgenden Ziele und die anzubietenden Leistungen beweglich an den veränderten Bedarf der Mitglieder angepaßt und von sich aus zukunftsweisende Initiativen ergriffen haben. Wo freilich früher blühende Gewerbezweige allmählich wegen Nachfrageverlagerungen verschwanden, verloren auch die Genossenschaften ihre Entwicklungsmöglichkeiten und ihre Geschäftsgrundlage. Zwar haben sich die Genossenschaften in Form vieler Fusionen an veränderte Kostenstrukturen und Nachfrageverhältnisse sowie an die davon ausgehenden Rückwirkungen auf die Betriebsgröße anpassen müssen. Daß sich die gewerblichen Genossenschaften trotz ihrer oft bereits totgesagten kleinunternehmerischen Mitgliederschaft im Wettbewerb behauptet haben, daß sie in manchen Fällen sogar deutliche Marktanteilsgewinne verbuchen konnten, ist maßgeblich auch auf ein genossenschaftsspezifisches Phänomen zurückzuführen: die ehrenamtliche, engagierte Mitwirkung vieler Mitglieder (und weitblickender Unternehmer) in den Organen gewerblicher Genossenschaft. Der Sachverstand und das Urteilsvermögen vieler Fachleute kann so für die gemeinsame Sache genutzt werden. Freilich bedarf es zusätzlich qualifizierter Geschäftsführer, die neue Ideen prüfen, filtern und in zweckmäßige Strategien umzusetzen verstehen. C. Die gewerblichen Genossenschaften aus gesamtwirtschaftlicher Sicht Eine marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft verspricht um so mehr Erfolg, je größer die Zahl der selbständig und selbstverantwortlich handelnden Unternehmer ist, die neue Ideen auf Märkten testen. Produktund Verfahrensinnovationen entstehen häufig gerade in kleinen Unternehmen. Für das wettbewerbliche Klima ist die Existenz kleiner und mittlerer Unternehmen von erheblicher Bedeutung. Große Unternehmen unter sich neigen stark zu Abstimmung, Zusammenarbeit, friedlichen Verhaltensweisen, Bürokratisierung, Inflexibilität und Risikoscheu. Dynamisch geführte kleine und mittlere Unternehmen sorgen für frischen Wind und für das Infragestellen bisher anerkannter Leistungen. Weil gerade die gewerblichen Genossenschaften den kleinen und mittleren Unternehmen bessere Entwicklungsmöglichkeiten und Marktchancen eröffnen, erfüllen sie zugleich - ungewollt -wichtige gesamtwirtschaftliche Funktionen. Es wird dafür gesorgt, daß den Nachfragern mehr Wahlmöglichkeiten

598

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

geboten werden und daß die Chancen für eine bessere und billigere Marktversorgung wachsen. Indem die Genossenschaftsbetriebe ihren Mitgliedern zur Kostensenkung und zur Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit verhelfen, tragen sie unmittelbar zur Intensivierung des Wettbewerbs bei. Dynamik und unternehmerische Impulse gehen keineswegs nur von den Genossenschaftsmitgliedern aus. Neue Verfahren - etwa in der Absatzpolitik - haben zum Teil ihren Ursprung in Betrieben gewerblicher Genossenschaften. Diese Tatsache sollte bei der wettbewerbspolitischen Beurteilung gewerblicher Genossenschaften beachtet werden. Eine wesentliche Einschränkung ist für den Fall unerläßlich, daß Genossenschaften den Marktzugang erschweren, den Wettbewerb beschränken oder ihre Marktmacht mißbräuchlich auszunutzen versuchen. Jahrzehntelange Erfahrungen gehen dahin, daß auch Genossenschaften die Herausforderung durch den Wettbewerb benötigen, wenn eine wirksame Förderung der Mitglieder erreicht werden soll. Literatur: Aschhoff, Gunther, und Henningsen, Eckart: Das deutsche Genossenschaftswesen. Entwicklung, Struktur, wirtschaftliches Potential. Band 15 der Veröffentlichungen der DG Bank, Frankfurt 1985. DG Bank: Die Genossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland 1986, Frankfurt 1986. DG Bank: Die Genossenschaften in der Bundesrepublik Deutschland 1987. Statistik, Frankfurt 1987. Homrighausen, Fritz Hermann: Wettbewerbswirkungen genossenschaftlicher Einkaufszusammenschlüsse. Band 55 der Marburger Schriften zum Genossenschaftswesen, Göttingen 1981. Kreß, Herbert und Kessler, Hans-Joachim: Entwicklung, Arbeitsweise und Struktur der Straßengüterverkehrsgenossenschaften. Band 35 der Marburger Schriften zum Genossenschaftswesen. Göttingen 1967.

4. Kapitel:

4.4.2.

Die Stellung

von

Genossenschaften

599

Im Sozialismus Jerzy Kleer

Die Beschreibung und Analyse der nicht-agrarischen Produktionsgenossenschaften in den sozialistischen Ländern ist begrifflich und methodisch schwierig, da sie keine einheitliche Form haben. Die verschiedensten Bereiche können Gegenstand ihrer Tätigkeit sein, und im selben Tätigkeitsbereich sind die unterschiedlichsten Genossenschaftstypen vertreten. Einerseits handelt es sich um Genossenschaften, deren Tätigkeitsbereich die industrielle Produktion ist, mit Ausnahme der Nahrungsmittelindustrie, die organisatorisch zum Wirkungsbereich der Konsum- und landwirtschaftlichen Genossenschaften gehört (sowohl der Produktions- als auch der Handelsgenossenschaften). Die wirtschaftlichen Tätigkeitsbereiche sind aber nicht exakt abgrenzbar, d.h. die Konsumgenossenschaften und die landwirtschaftlichen Genossenschaften wirken auch in die Industriezweige hinein. Außerdem gibt es Invalidengenossenschaften (1), die in manchen Ländern (Polen, Tschechoslowakei) ihre eigenen Dachorganisationen besitzen und deren Tätigkeit in der industriellen Produktion einfachster Art besteht. Auf der anderen Seite zählen auch Dienstleistungsgenossenschaften zu den Produktionsgenossenschaften, deren Dienstleistungspalette aber sehr groß ist. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie überwiegend Leistungen für die Konsumenten und Haushalte anbieten. Manchmal werden auch Handwerksgenossenschaften dazugezählt, die die Versorgung und den Absatzes von Handwerksunternehmen besorgen (näheres dazu im Abschnitt 4.7.2.). Diese Genossenschaftsart finden wir vor allem injenen sozialistischen Ländern, die neben der kollektiven Landwirtschaft noch einen Privatsektor haben. Historisch gesehen hatten die Produktionsgenossenschaften im Sozialismus ähnliche Funktionen zu erfüllen wie die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (Kolchosen), d.h. die Voraussetzungen für die Vergesellschaftung der industriellen und handwerklichen Kleinproduktion zu schaffen. Dafür war nur eine kurze Tätigkeitsdauer der Genossenschaften vorgesehen. Langfristig sollte die industrielle Produktion ausschließlich Sache des staatlichen Sektors sein.(2) Die heutige Situation der Produktionsgenossenschaften - Gegenstand unserer weiteren Analyse - sieht aber anders aus. Tabelle 1 zeigt den Anteil des genossenschaftlichen Sektors an der Industrieproduktion. Wir können aus dieser Tabelle ersehen, daß in den sozialistischen Ländern eine differenzierte Politik des Staates gegenüber den Produktionsgenossenschaften praktiziert wird.

600

4. Kapitel:

Die Stellung von

Genossenschaften

TAB.l: ANTEILE DES GENOSSENSCHAFTLICHEN SEKTORS AN DER GESAMTENINDUSTRIEPRODUKTIONDERRGW-LÄNDER (1950-1988)IN % | Land

1950

1960

1970

1980

1988

Bulgarien Tschechoslowakei Kuba DDR Mongolei Polen Rumänien Ungarn Vietnam Sowietunion * 1984

13,2 1,0

11,9 1,8

9,9 2,4

4,2 1,6

3,5 4,3

-

-

-

-

1,5 28,3 7,5 3,8 1,2

4,8 18,5 10,0 3,6 4,8

7,6 17,6 10,7 4,1 5,9

4,9 2,0 11,1 4,0 5,5 24,2 2,5

-

-

-

8,2

2,4

2,2

-

4,2 1,4 9,9 4,3* 7,3 27,0 2,4

Quelle: Statistitscheskij Jeschegodnik stran tschlenow sowjeta ekonomitscheskoj wsaimopomoschtschi, Moskwa 1970, S. 55-57, Moskwa 1989, S. 82-83

Zwei generelle Tendenzen können unterschieden werden: -

Ein Absinken des genossenschaftlichen Anteils an der gesamten Industrieproduktion in Bulgarien, der Mongolei und der Sowjetunion. Dabei ist bemerkenswert, daß in der Anfangsphase (1950) der Produktionsanteil der Genossenschaften in der Mongolei und in Bulgarien besonders hoch war und bis 1988 auf ein Minimum gesunken ist. In diesen beiden Ländern ist jene Konzeption besonders stark in Erscheinung getreten, die in den 50er Jahren in der Sowjetunion dominant war - die Industrie als Domäne des Staates. Theoretisch wurde diese Auffassung damit begründet, daß die genossenschaftliche Wirtschaftsform nur Übergangscharakter habe und in der näheren oder weiteren Zukunft durch die staatliche (gesamtnationale) Wirtschaftsform ersetzt werden würde.

-

In den übrigen Ländern ein wachsender Anteil des genossenschaftlichen Sektors an der industriellen Produktion. In den einzelnen Ländern ist dieser Wachstumsprozeß sehr unterschiedlich verlaufen. Ein systematisches Steigen des Anteils des genossenschaftlichen Sektors an der industriellen Produktion läßt sich - wenn wir 1950 als Ausgangspunkt nehmen - für Polen (bis in die Mitte der 80er Jahre) und Ungarn feststellen. In Rumänien können wir von einer gleichbleibenden Situation sprechen, da die Unterschiede in den Anteilsgrößen nur 0,5 % betragen. Anders stellt sich die Situation in der Tschechoslowakei dar: In den Jahren 1950 -1980 können wir keine eindeutige Entwicklung feststellen, in den letzten Jahren kommt es aber zu einer wesentlichen Vergrößerung des genossenschaftlichen An-

4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

601

teils. Einen Sonderfall stellt Vietnam dar, obwohl es nicht einfach ist, aufgrund der vorliegenden Daten für 1980 und 1988 allgemeine Schlüsse zu ziehen. Der hohe Anteil des genossenschaftlichen Sektors in dieser Periode ist auf die Vereinigung von Nord- und Südvietnam zurückzuführen. Hier haben sich Genossenschaften gegenüber Staatsunternehmen als vorteilhafter erwiesen. Aufgrund vorliegender Informationen kann man annehmen, daß auch in China die industriellen Genossenschaften einen raschen Aufschwung nehmen werden. Neben dieser Dateninterpretation soll nun die Stellung des industriellen genossenschaftlichen Sektors in der Volkswirtschaft allgemein behandelt werden. Wenn wir Polen und Vietnam beiseite lassen, so spielt der industrielle genossenschaftliche Sektor im Wirtschaftsgeschehen der sozialistischen Länder eine geringfügige Rolle, insbesondere wenn wir berücksichtigen, daß sein Gegenpart der Staatssektor ist.(3) Wenn wir den Energiesektor und die Schwerindustrie ausklammern - hier gibt es keine Genossenschaften dann ist der Genossenschaftsanteil in der verarbeitenden Industrie fast konstant geblieben. Er blieb immer unter 10 %. Daraus kann geschlossen werden, daß dieser Sektor (zumindest in der Vergangenheit) keine Konkurrenz für den Staatssektor war. Er erfüllte eher komplementäre Funktionen in bestimmten Industriezweigen, insbesondere dort, wo der Staatssektor weniger leistungsfähig war, z.B. in der Nahrungsmittelindustrie (außer in der Tschechoslowakei, dort wurden auch diese Genossenschaften vor 25 Jahren verstaatlicht) oder in der Gebrauchsgüterproduktion. Das industrielle Genossenschaftswesen war in seiner bisherigen Form (bis zu den Wirtschaftsreformen) ein notwendiges Übel und keine vollberechtigte und expansive Wirtschaftsform. Hier sind nun einige Probleme zu erörtern, die bei den industriellen Genossenschaften dominant waren. Die Industrieproduktion in genossenschaftlicher Form wird in verschiedenen Genossenschaftstypen vergenommen, darunter in bedeutendem Umfang durch Konsumgenossenschaften. Nur in einigen Ländern haben wir es mit klassischen Produktions-(Industrie-)Genossenschaften zu tun (in der Tschechoslowakei (4), in Polen (5) und in Ungarn (6)). Die Tätigkeit dieser industriellen Genossenschaften erfaßt fast alle Zweige der verarbeitenden Industrie, einschließlich des Bauwesens und auch des Exports. In anderen Ländern ist ihre Tätigkeit in der landwirtschaftlichen und Nahrungsmittelindustrie konzentriert, und zwar als Eigenproduktbetriebe der Konsumgenossenschaften (7). Diese gegebene Struktur der industriellen Genossenschaften ist eine Folge des allgemeinen Modells der sozialistischen Wirtschaft (siehe dazu das Kapitel 4.1.2.). Heute gilt der staatliche Sektor nicht mehr als der beste und effektivste und man läßt auch private Wirtschaftstätigkeit zu. Die Perspektiven des genossenschaftlichen Sektors in der Industrie sind deshalb günstig. In dieselbe Richtung wirken auch jene Wirtschaftsreformen, die ein Wachstum des Produktions- (Industrie-)Genossenschaftswesens auf Kosten des staatlichen Sektors forcieren. Die Umwandlung staatlicher Unternehmen in Genossenschaften ist nicht mehr auszuschließen.

602

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

Eine neue Perspektive der Produktionsgenossenschaften wird aber nur unter zwei Voraussetzungen möglich sein. -

Die Möglichkeit selbständige Entscheidungen in den Produktions-(Industrie-Genossenschaften zu treffen. Auf diese Frage gibt es aber bis heute noch keine eindeutigen Antworten. Die polnischen und ungarischen Produktionsgenossenschaften verfügen über einen relativ großen Freiheitsraum. In anderen Ländern ist dies nicht der Fall. Die Entscheidungsfreiheit der Genossenschaften hängt von den Rahmenbedingungen, insbesondere vom vorgegebenen Zentralplan ab. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, daß die Produktionsgenossenschaften - in jenen Staaten, in denen auch noch in der Zukunft sozialistische Rahmenbedingungen gelten - relativ schnell ihre Selbständigkeit erlangen werden, da ihre Produktion nur von marginaler Bedeutung ist.

-

Neue Finanzierungsmöglichkeiten für die Genossenschaften. In der bisherigen Praxis war das Finanzsystem, mit dem die Genossenschaften arbeiteten, in das Staatssystem eingebettet und die Kapitalmittel der Genossenschaften waren sehr gering. Für eine größere Selbständigkeit der Genossenschaft ist ein größerer Umfang der Mitgliederanteile am genossenschaftlichen Vermögen erforderlich (gegenwärtig beträgt dieser Anteil nur 1 - 3 % am Gesamtvermögen), und das Finanz- und Bankwesen darf nicht ausschließlich durch den Staat durchgeführt werden.

Bisher sind nur die industriellen Produktionsgenossenschaften besprochen worden. Es gibt aber auch Produktionsgenossenschaften für Dienstleistungen. Sie haben einen Anteil von 25 - 40 % an den Produktionsgenossenschaften. Einige Merkmale unterscheiden sie von den industriellen Genossenschaften. -

Sie sind viel kleiner als die Industriegenossenschaften und haben engere Bindungen zu ihren Mitgliedern und damit mehr Selbstverwaltung. - Der Hauptanteil der Dienstleistungen ist für Konsumenten bestimmt, während die Industriegenossenschaften auch mit staatlichen Unternehmen Geschäfte machen. - Die Dienstleistungsgenossenschaften können einfacher gegründet werden als Industriegenossenschaften, und es wird ein geringeres Startkapital gefordert. Von den Verwaltungsbehörden wird den Dienstleistungsgenossenschaften ein großes Wohlwollen entgegengebracht. Wie wird die zukünftige Entwicklung der Produktionsgenossenschaften aussehen?

Im Dienstleistungsbereich wird die Expansionsmöglichkeit für Genossenschaften am größten sein, denn in der bisherigen Entwicklung der sozialistischen Wirtschaften wurde der Dienstleistungssektor stark vernachlässigt. Bis vor kurzem war man noch der Meinung, daß nur die materielle Sphäre Volkseinkommen erzeugen könne. Heute rückt man in fast allen sozialisti-

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

603

sehen Staaten von diesem Dogma ab. Damit wird aber die Befriedigung der Bedürfnisse an Dienstleistungen eine dringende Aufgabe. Bereits die gegenwärtige Situation dieser Genossenschaften in den einzelnen Ländern zeigt uns, daß deren Dienstleistungsangebote sehr breit sind. Zum einen sind es Grundbedürfnisse (Schneiderei, Schuhmacherei, Wäscherei usw.), zum anderen Bedürfnisse höherer Ordnung (Tourismus, Wohnungsbau usw.), in Abhängigkeit vom jeweiligen allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung, von der Größe des genossenschaftlichen Sektors, vom herrschenden Wirtschaftsmodell usw., die in diesen Genossenschaften befriedigt werden. Für die Produktionsgenossenschaften in den bisherigen sozialistischen Ländern lassen sich folgende Schlußfolgerungen ziehen: -

In den einzelnen sozialistischen Ländern gibt es eine Vielzahl von Produktionsgenossenschaften , nicht nur quantitativer (Größe der Produktion und der Dienstleistungen, Mitgliederzahl), sondern auch - und das ist viel wichtiger - qualitativer Art (Bereich der Wirtschaftstätigkeit, Selbständigkeitsgrad der Genossenschaften, Art der Genossenschaft: Industrie, Dienstleistungen, Bau, Invaliden, Heimarbeit, Kunsthandwerk und Volkskunst usw.).

-

Es läßt sich eine Renaissance der Produktionsgenossenschaften feststellen. Infolge der niedrigen Leistungsfähigkeit des staatlichen Sektors bei der Produktion von Grundbedarfsartikeln und Dienstleistungen sind Genossenschaften wieder attraktiver geworden. Dazu kommen noch die Veränderungen im Wirtschaftsmodell.

-

Es gibt eine große Anzahl von institutionellen Formen der Produktionsgenossenschaften. Einerseits gibt es Länder, in denen bereits selbständige Verbände dieser Genossenschaften auf höherer Ebene existieren, andererseits werden Dienstleistungen von anderen Genossenschaften mitübernommen (Konsumgenossenschaften, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften), und in einigen Ländern sind diese Genossenschaften noch immer den Verwaltungsbehörden untergeordnet.

-

China ist ein Sonderfall unter den sozialistischen Staaten. Dort haben die Produktionsgenossenschaften (Industrie) eine viel umfassendere Funktion. Man kann annehmen, daß dieses Land im Laufe des kommenden Jahrzehnts das Problem der Beschäftigung außerhalb der großen Städteballungen lösen muß. Bis zum J a h r 2000 sollen etwa 200 Millionen Menschen außerhalb der Landwirtschaft Beschäftigung finden. Einen großen Anteil an der Lösung dieser Frage werden die Produktionsgenossenschaften haben.

Fußnoten (1) Die Invalidengenossenschaften, als eigenständiger Organisationstyp, haben andere Zielsetzungen als die übrigen Produktionsgenossenschaften, sie dienen

604

(2) (3)

(4)

(5)

(6)

(7)

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

der Erhaltung und Stärkung der körperlichen Leistungsfähigkeit und Gewandtheit von Behinderten und der Wiederherstellung ihrer beruflichen Aktivität; der Schaffung besserer wirtschaftlicher Existenzbedingungen für Invalide; der Befriedigung ihrer sozialen Bedürfnisse. vgl. K. Boczar: Spöldzielczosc(Das Genossenschaftswesen), Warszawa 1979, S. 204 - 205 In der Industrieproduktion spielte der private Sektor in allen Staaten nur eine geringe Rolle. 1986 betrug sein Anteil in Bulgarien 0,1, in der DDR 1,7, in Polen 3,2, in Rumänien 0,5, Ungarn 1,5 und Vietnam 15,4 %. Er fehlte überhaupt in der Tschechoslowakei, auf Kuba, in der Mongolei, in der Sowjetunion und in Nordkorea. Vgl. Statistitscheskij jeschegodnik stran-tschlenow sowjeta ekonomitscheskoj wsaimopomoschtschi, Moskwa 1987, S. 67 - 68 In der Tschechoslowakei sind ca. 200.000 Mitglieder in den Industriegenossenschaften beschäftigt, die in verschiedenen Industriezweigen tätig sind (auf etwa 120 geschätzt), in den 80er Jahren läßt sich ein Expansionsprozeß feststellen. Vgl. The co-operative Movement's Contribution to Social Progress in Czechoslovakia, Praha 1980, S. 227 bis 229 In Polen sind die Produktionsgenossenschaften in fünf Zentral verbänden zusammengefaßt. 1987 gab es 2.817 Genossenschaften mit 705.000 Mitgliedern. Vgl. Maly Rocznik Statystyczny 1988, Warszawa 1988, S. 25 In Ungarn gab es 1986 etwa 2.000 Produktionsgenossenschaften, mit insgesamt mehr als 250.000 Mitgliedern. Vgl. The Hungarian Co-operative Movement, op.cit., S. 47 Anfang der 80er Jahre war der Anteil der Konsumgenossenschaften in der Erzeugung von Brot und anderen Backwaren in Bulgarien 55 %, in der DDR 28 %, in der UdSSR etwa 40 %. Vgl. J. Janic: Spoldzielczosc w gospodarce narodowej krajöw RWPG, in: Spoldzielczosc zyciu spoleczno-gospodarczym PRL„ Warszawa 1985, S. 223

Literatur: Janic, J.: Spoldzielczosc w gospodarce narodowej krajöw RWPG. om: Spoldzielczosc w zyciu spoleczno-gospodarczym PRL, Warszawa 1985 Kleer, J.: Polish co-operatives in figures, Warszawa 1980 The Co-operative Movement's Contribution in Social Progress in Czechoslovakia, Praha 1980 The Hungarian Co-operative Movement, Budapest 1987

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

4.5.

Die Genossenschaften der Konsumenten

4.5.1.

In der Marktwirtschaft

605

Johann Brazda/Robert Schediwy A. Die Entwicklung der Konsumgenossenschaften bis 1945 Konsumgenossenschaften waren im Ursprung Zusammenschlüsse überschaubarer Personengemeinschaften zur verbilligten Beschaffung von Konsumgütern im Wege des Sammeleinkaufs - freilich mit oft weit darüber hinausreichenden Fernzielen der Errichtung eines kooperativen Gesamtwirtschaftssystems. Von ihrer Entstehung her kann die Konsumgenossenschaft als eine Strategie, die der Befreiung von Abhängigkeiten sachlich-materieller, sozialer und politischer Art dient und die kollektives Handeln erfordert, definiert werden. (1) Diese Strategie besaß integrative Kraft zum gemeinschaftlichen Handeln - wie das Beispiel der Rochdaler Pioniere zeigt, die sich sowohl aus gläubigen Christen der Rochdaler Freikirchenszene, aber auch aus der atheistischen "Rational Society" Robert Owens und in späterer Folge aus der durch die Industrialisierung verelendeten Arbeiterschaft rekrutierten. So entstand eine genossenschaftliche Struktur, welche von außergewöhnlicher Bedeutung für das neuzeitliche Genossenschaftswesen der Welt war und ist. Für die Analyse der Gründung und der ersten Entwicklung der Konsumgenossenschaftsbewegung läßt sich eine Betrachtungsweise auf mehreren Ebenen wählen :(2) 1. Jener Kontext, in dem es um die historische Entwicklung von Mechanismen ging, mit deren Hilfe Abhängigkeiten auf spezifische Weise überwunden werden konnten - was allerdings zur Folge hatte, daß in späterer Folge andere, neue Abhängigkeiten entstanden. 2. Prozesse, in denen Menschen diese Befreiung als existentielle und politische Aufgabe begreifen lernten und damit geplante Aktionen realisierten - freilich eben auch der Verlust an Dynamik, die Hierarchisierung und Versteinerung als späteres Resultat dieser Aktionen. 3. Prozesse, in denen Sozialisation und Lernen vor sich ging, in denen Bedürfnisse der Mitglieder und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Partizipation ihren größeren und kleineren Stellenwert erhielten. Vor 1885 waren die meisten Konsumgenossenschaften Gründungen "von oben", das heißt sie entstanden unter Dominanz traditioneller Führungsschichten (Großgrundbesitz, Bürgertum). Nach dem Dogma des herrschenden Liberalismus sollten die Genossenschaften die Mißstände der industriellen Revolution kanalisieren und abfangen, die Besitzverhältnisse stabilisieren und insgesamt mithelfen, die Bevölkerungsschichten in ihrem Stande zu halten. Es waren im wesentlichen Vertreter des Kleingewerbes in den städti-

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

sehen Ballungszentren und bessergestellte Arbeiter, die sich der konsumgenossenschaftlichen Selbsthilfe zuwandten; es entstanden aber auch Konsumgenossenschaften unter dem Protektorat wohlhabender Unterstützer und Förderer, bei denen die karitative Tätigkeit im Vordergrund stand. Die Initiative von De Boyve und Auguste Fabre in Frankreich gehört in diese Gründungsperiode ebenso wie jene der deutschen Genossenschaftspioniere Eduard Pfeiffer und Schulze-Delitzsch, des Schweden von Koch, des Steuereinnehmers Kupper in Holland, des Sozialisten Guiseppe Mazzini in Italien, des Philantrophen Heinrich Zschokke in der Schweiz und viele andere Initiativen in anderen Ländern, welche darauf gerichtet waren, die Lage des Industrieproletariats oder anderer benachteiligter Gruppen zu verbessern, manchmal aber auch Beamtenkooperativen zu gründen, um deren "standesgemäßen" Lebensunterhalt gegen den Preisauftrieb zu garantieren .(3) Aus den erläuternden Bemerkungen des Österreichischen Genossenschaftsgesetzes von 1873 sieht man sehr deutlich die Funktion, welche die Genossenschaften in der auf Wohltätigkeit gerichteten Gedankenwelt des Liberalismus spielen sollten: die Mißbräuche der industriellen Revolution und ihrer sozialen Frage zu lindern "ohne deshalb das Eigentum der besitzenden Klassen in Frage zu stellen" und gleichzeitig mit der Vorstellung "die ärmeren Klassen den Irrlehren des Kommunismus zu entziehen". (4) Die Ideologie der Konsumgenossenschaften, die in den 1860er Jahren in vielen Ländern über die Geschichte der Pioniere von Rochdale von Holyoake (5) verbreitet wurden, war eine Ideologie der sozialen Klassenversöhnung über das Prinzip der "countervailing power", welche den Massen durch kooperative Organisation erleichtern wollte, am Spiel des liberalen Kapitalismus teilzunehmen. Nach G. Mazzini bestand kein Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital und zwischen den Klassen; er sah in den Genossenschaften ein Mittel der nichtrevolutionären Gesellschaftsveränderung. Sie sollten einen Motor der nationalen Einigung Italiens im Geiste der Kooperation darstellen. Selbstverständlich konnte eine derartige Ausrichtung nicht allen politischen Gruppierungen entsprechen. Wiewohl gewisse Pioniere der Arbeiterbewegung an der Gründung von Konsumgenossenschaften mitwirkten, zeigten sich die Radikalen, vor allem die Marxisten, am Anfang äußerst zurückhaltend und mißtrauisch gegenüber den Genossenschaften. (6) Der italienische Sozialistenführer F. Turati vertrat etwa 1896 die Meinung, daß die Konsumgenossenschaft in die aktuelle Ordnung der Gesellschaft hineingleiten würde, jedoch nichts lösen und niemand befreien könnte. Die Genossenschaft werde sich auf die Rolle eines Propagandamittels reduzieren. (7) Die große Gründungswelle der Konsumgenossenschaften begann im letzten Dezennium des 19. Jahrhunderts und im ersten Dezennium des 20. Jahrhunderts. Sie basierte auf einer Massenbewegung der Arbeiter, die ihre politischen und sozialen Führer geradezu zwangen, die Realität der Genossen-

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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sierte Beispiel der belgischen Konsumgenossenschaften (vor allem des Ende 1880 gegründeten "Vooruit" von Gent) die politischen Strategen von der Bedeutung, welche die Genossenschaften im finanziellen, organisatorischen und personellen Bereich für die Arbeiterbewegung haben könnten (beispielsweise als Arbeitsstätte für Gewerkschafter, die auf schwarze Listen gesetzt worden waren, als mögliche Quelle einer Unterstützung im Streikfall etc.) (8). In Italien waren für den Sozialisten C. Trevos die Genossenschaften geradezu die Finanzierungsinstitute der sozialistischen Partei und wertvolle Instrumente des Widerstandes in der Führung von langen und schwierigen Gewerkschaftskämpfen. (9) Im Gegensatz zu den sogenannten "neutralen" Genossenschaften, die vor allem in den ländlichen Gebieten Skandinaviens sehr häufig waren, war es in den Arbeiterkonsumgenossenschaften nicht primär der Genossenschafter, der in der Konsumgenossenschaft seinen Verbrauch organisierte, es war der klassenbewußte Arbeiter. Das Verbindende war das Bewußtsein des gemeinsamen Außenseitertums zum bestehenden Staat, zur bestehenden Gesellschaft, zur bestehenden Wirtschaft. Es wurde eine breites Gefühl der Verpflichtung für die großen und gemeinsamen Ziele geweckt, der organisierte Einkauf in den Konsumgenossenschaften ging gewissermaßen selbstverständlich daraus hervor. Es wurde somit gleichsam zur Pflicht, bei den Arbeiterkonsumgenossenschaften einzukaufen, eine Pflicht, die manchmal implizit durch die politischen Instanzen vorgegeben wurde. (10) Beide Entwicklungsperioden brachten den Konsumgenossenschaften keinen überzeugenden wirtschaftlichen Erfolg. War es in der bürgerlichen Periode neben einer ungenügenden Kapitalausstattung die Ungeübtheit, Konsumgenossenschaften kaufmännisch effizient zu führen - die Mitglieder der Vorstände hatten in der Regel keinerlei Erfahrung in der Wirtschaftspraxis -, so war es in der extrem politisierten Periode die totale Verquickung von Partei und Geschäft, welche zum Ergebnis führte, daß eine bloß politisch und gewerkschaftlich gerichtete Arbeiterschaft noch lange nicht Garant einer wirtschaftlich erfolgreiche Verbraucherorganisation sein mußte. Diese Schwierigkeiten führten vor Beginn des ersten Weltkrieges vielerorts zu einer krisenhaften Situation. Die genossenschaftliche Einigung von Tours in Frankreich 1912, ein Kompromiß auf der Basis der finanziellen Schwäche der Arbeiterkonsumgenossenschaften, und die Krise von 1913 in Österreich bezeugen dies - aber es gab parallele Phänomene in ganz Europa. (11) Erst dank der Integration in die Kriegswirtschaft gelang es den Konsumgenossenschaften in vielen Ländern, wirtschaftlich eine solide Grundlage zu erreichen. Als Konsumentenorganisation wollten und konnten sie nicht in einer offenkundigen Weise vom "Verkäufermarkt" und dem Warenmangel der Kriegszeit profitieren, wie dies der Privathandel tat. Im Gegenteil, es gelang ihnen, den Respekt der Behörden und Konsumenten als redlicher Verteiler knappster Konsumgüter zu erlangen. Nicht nur in Frankreich konnte Gau-

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4. Kapitel:

Die Stellung

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mont, der große Geschichtsschreiber der Konsumgenossenschaftsbewegung, konstatieren, daß die Konsumgenossenschaften während des Krieges den Charakter quasi offizieller Organisationen angenommen hatten. (12) In den kriegführenden Staaten, aber auch in den anderen Ländern, die nicht direkt vom Krieg betroffen waren - sie waren aber immerhin von der Warenknappheit betroffen -, führten die Bedingungen zwischen 1914 und 1918 zu einer Stärkung des Bandes zwischen den Genossenschaften und ihren in der Regel während des ersten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts gegründeten Einkaufszentralen. (13) Der vorher oft nur zögernd betriebene gemeinsame Einkauf wurde zur unabdingbaren Notwendigkeit. Dies führte zu einer ernormen Stärkung der Zentralen. Auch die Mitgliederzahl der Genossenschaften stieg in der Regel massiv. Ohne Zweifel handelte es sich dabei nicht überwiegend um überzeugte Genossenschafter, sondern um Menschen, die an ihrer unmittelbaren Versorgung interessiert waren, also um ein Parallelphänomen zum Mitgliederzuwachs der Zentralen. Ein wenig unterschiedlich war die Situation allerdings in Großbritannien, wo die Privathändler im Gegensatz zu den Konsumgenossenschaften darin erfolgreich waren, die Konsumgenossenschaften während des Krieges von ihren Versorgungsquellen zurückzudrängen - durchaus im Gegensatz zum zweiten Weltkrieg, wo die Genossenschaften auch in Großbritannien ein bevorzugtes Element der geplanten Kriegswirtschaft waren. (14) Nach dem Scheitern der Tendenzen einer extremen Politisierung der Konsumgenossenschaften bereits vor dem ersten Weltkrieg, begannen diese die Zwischenkriegsperiode in der Regel mit einer soliden finanziellen Basis und einem positiven Renommee. Gewisse Reformen nach 1918 führten in den meisten Ländern dazu, auch die Arbeitermassen in die gegebene Gesellschaftsordnung einzubinden: die politische Arbeiterbewegung spielte in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine wichtige Rolle in den Regierungen dieser Periode.(15) Die Arbeiter waren aus ihrem Außenseitertum herausgetreten trotz des späteren Rückfalls ins Massenelend der Weltwirtschaftskrise. Ökonomische Vorteile der Konsumgenossenschaften wurden nun zum wichtigsten Ziel für deren Benutzung. (16) Getragen wurde dieser wirtschaftliche Aufschwung von einer Gruppe von idealistischen und hoch motivierten Genossenschaftsmanagern, einem Personenkreis, der für die Geschicke des Sektors zum Teil bis in die 50er Jahre bestimmend werden sollte. Diese mit genossenschaftlich ideologischem Optimismus motivierten Pioniergestalten waren aber keine eigentlichen Strukturreformer, sie versuchten, die gegebene Struktur effizienter zu machen. Von genossenschaftlicher Demokratie pflegten sie, wenigstens wo die eigene Machtsphäre berührt wurde, eher wenig zu halten, und ihr Abgang war, wie bei den meisten autokratischen Unternehmenspersönlichkeiten, oft verspätet und verbittert. Es war die Periode eines Albin Johansson in Schweden, eines Paul Thiriet in Lothringen, eines Goedhart in Holland, eines Gottlieb Duttweiler in der Schweiz, eines Heinrich Kaufmann in Deutschland oder eines Sagmeister und Korp in Österreich. (17)

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Sagmeister und Korp in Österreich. (17) Damals in den 20er Jahren handelte es sich um junge und außerordentlich dynamische Führungspersönlichkeiten. Im Bewußtsein des Mangels an Professionalismus, der zu den großen Problemen der Gründungswelle um 1900 geführt hatte, bemühten sie sich, große und rationell arbeitende Genossenschaftsunternehmungen zu schaffen, die sich am Markt bewährten, ihren Konkurrenten aber immer ähnlicher wurden. (18) Bemerkenswert ist hier übrigens das Beispiel der Schweiz wo eine erfolgreiche Übernahme konsumgenossenschenschaftlicher Strategien durch Gottlieb Duttweiler in sein Privatunternehmen Migros erfolgte und Duttweiler begann, erstarrte Marktstrukturen aufzubrechen, Produzentenkartelle öffentlich herauszufordern und bestehende Konsumgenossenschaften zu konkurrieren. (19) Es besteht eine interessante Parallele auch im persönlichen Typus des visionären Kartellbrechers zwischen Duttweiler und Albin Johansson, dem Generaldirektor von KF. Unter diesem agierte die schwedische Konsumgenossenschaftsbewegung wie ein dynamisches marktwirtschaftliches Unternehmen und öffnete der liberalen Konkurrenz in den Sektoren der Getreideverwertung, der Gummiindustrie und der Glühlampen die Bahn. (20) Das Instrument dieses antikapitalistischen Kampfes mit den Mitteln der KonkurrenzWirtschaft war für Johansson eine sehr mächtige Großeinkaufszentrale, welche auf die Loyalität praktisch aller schwedischen Konsumgenossenschaften bauen konnte und die in monarchischer Art durch den Generaldirektor dominiert wurde. (21) In jenen Ländern, in denen sich die Einkaufszentralen nicht ein derartiges Übergewicht zu schaffen vermochten, erzielte man weniger bedeutende wirtschaftliche Erfolge. Im gesamten konsumgenossenschaftlichen Sektor Europas gab es aber zu jener Zeit tausende von "kleinen Albin Johanssons", die sich für eine größere Effizienz, für ihre persönliche und professionelle Macht und für eine gewisse Entpolitisierung einsetzten. Die Anhänger der genossenschaftlichen Demokratie und die radikalen Ideologen der Kooperation waren nicht mit dieser Entwicklung zufrieden, konnten sie aber nicht verhindern.^) Man kann sogar behaupten, daß in jenen Regionen, in denen die Rolle der gewählten Funktionäre gegenüber den Technokraten am stärksten gewahrt blieb (wie in gewissen Teilen Großbritanniens und Frankreichs), die ökonomischen Resultate die am wenigsten günstigen waren. Allerdings hat die Periode der "großen Autokraten" letztlich auch ökonomische Probleme nach sich gezogen. Es handelte sich bei ihnen nämlich nicht um Reformer jener Strukturen, die sie durch ihre persönliche Autorität dominierten. In jenen Fällen, wo es ihnen nicht gelang, einen "Erben" zu bestimmen, war daher die Reaktion der Konsumgenossenschaften - Mütter der Einkaufszentralen - in der Regel so, daß die strukturell vorgegebene Tendenz zur "kollektiven Führung" verstärkt hervortrat. Diese ließ dann jene Tendenz zur Verlangsamung der Entscheidungsprozesse deutlich werden, die der Aktivismus

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des selbstbewußten großen Regionalgenossenschaften als Eigentümervertreter zunehmend darauf bedacht, keine "Herrscherfiguren" mehr aufkommen zu lassen, die ihren Machtbereich auf Kosten der primärgenossenschaftlichen Ebene ausbauen hätten können. Trotz der großen ökonomischen Erfolge der "sehr pragmatischen" Genossenschaftsbewegungen kann man die Epoche der Zwischenkriegszeit bereits als eine Epoche der Bürokratisierung einer charismatischen Bewegung nach den Kriterien von Max Weber ansprechen. (23) Mit Ausnahme einzelner Fälle, wie der genossenschaftlichen Gründungswellen in Japan und Italien nach der Niederlage der autoritären Regime im 2. Weltkrieg, (24) gab es fast nirgends mehr Neugründungen von Genossenschaften. Im Gegenteil, bereits vor Beginn des ersten Weltkrieges war man dazu übergegangen, Fusionsprogramme zu entwerfen, um regionale Genossenschaften zu bilden. Im Falle Frankreichs hat dieses ehrgeizige Fusionsprogramm einen sehr beachtlichen Regionalismus und Partikularismus geschaffen, der im Gegensatz zum zentralisierenden Geist der staatlichen Administration des Landes stand. Dieser Regionalismus führte dazu, die zentralen Institutionen der Bewegung zu schwächen. Eine weitere Schwächung, die in Frankreich ebenso wie in Großbritannien und etlichen anderen europäischen Ländern festzustellen ist, war die Trennung der zentralen Organisationen in einen zentralen Interessenverband und eine kommerzielle Warenzentrale. In einigen Ländern kam es auch zu einer Bipolarität auf kommerzieller Ebene zwischen einer großen Warenzentrale, welche immer mehr den entsprechenden Interessenverband dominierte und einer großen Hauptstadtgenossenschaft, z.B. Stockholm, Helsinki oder Wien. (25) Diese Bipolarität konnte in gewissem Sinn auch ein Zusammenrücken der Regionalgenossenschaften um ihre Einkaufszentrale bewirken, die üblicherweise von Vertretern der Regionen dominiert wurde. Dies ist etwa an der traditionellen Dominanz der Steirer in der österreichischen Warenzentrale der GÖC feststellbar, die stets in einem gewissen latenten Gegensatz zur großen Konsumgenossenschaft Wien stand (1920 die größte Konsumgenossenschaft der Welt). Trotz gewisser struktureller Probleme, wie der genannten Dualismen und der Rivalität der großen Regionalgenossenschaften innerhalb der zentralen Verbandsorgane, muß die Periode zwischen 1920 und 1960 als Höhepunkt der konsumgenossenschaftlichen Entwicklung angesehen werden, allerdings mit Ausnahme jener Länder, in denen sie von faschistischen Regierungen unterdrückt oder sogar, wie im Falle Deutschlands und Österreichs, aufgelöst wurden. Aber auch hier zeigten sich die ersten 15 Nachkriegsjahre als durchaus erfolgreich. Die Konsumgenossenschaften besaßen bis in die 60er Jahre Wettbewerbs- und steuerrechtliche Vorteile gegenüber dem privaten Einzelhandel, welcher noch weitgehend unorganisiert war. Es war den Konsumgenossenschaften gelungen, sich ein geschlossenes und einheitliches Image (z.B.

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ein einheitliches coop Symbol) zu geben - manchmal war allerdings der Widerspruch zwischen der Einheitlichkeit der Geschäftsbezeichnungen und des Images einerseits und den regionalen Differenzen zwischen den Konsumgenossenschaften anderseits viel größer, als nach außen hin bewußt wahrgenommen wurde. Vor allem die skandinavische Genossenschaftsbewegung z. T. allerdings auch jene von Mitteleuropa, wirkten sogar als ausgesprochene Innovatoren im Einzelhandel, indem sie die Rezepte der amerikanischen Selbstbedienung (zu Anfang der 50er Jahre) und der großflächigen Verkaufseinheiten (zu Ende der 60er Jahre) einführten. In diesem Zusammenhang nahm insbesondere die sehr pragmatische schwedische Konsumgenossenschaftsbewegung eine Führungsrolle ein, während etwa die britische und französische Genossenschaftsbewegung mit ihrer bedeutenden Rolle der gewählten Funktionäre sich äußerst zurückhaltend gegenüber diesen neuen Modellen zeigte. (26) Im großen und ganzen kann man sagen, daß angesichts der Bedingungen eines Verkäufermarktes ab 1945 bis zum Ende des Koreakrieges und infolge gewisser technischer Vorteile der Konsumgenossenschaften diese bis zum Ende der 50er Jahre wirtschaftlich sehr bedeutende Erfolge erzielen konnten. Es war vor allem die Rationalisierung und der Aufbau eines Wirtschaftsapparates, die zu einer zunehmend konsumgenossenschaftlichen Leistungsfähigkeit führten. Auch gelang es teilweise, ein sehr großes Liegenschaftsvermögen anzuhäufen, welches dann dazu diente, die spätere Krise mittelfristig zu verdecken und vielleicht auch bewirkte, daß sie nicht rechtzeitig ernst genommen wurde. B. Die Konsumgenossenschaften in der Wachstumsgesellschaft und ihre krisenhafte Entwicklung seit den 60er Jahren 1. Allerdings läßt sich feststellen, daß erste Krisenanzeichen in Großbritannien bereits während der 50er Jahre festgestellt wurden, wo eine Untersuchung einer unabhängigen Kommission bereits 1958 alarmierende Resultate erzielte. Der Gaitskell-Report hat verschiedene Faktoren als Gründe für den Niedergang der britischen Konsumgenossenschaften genannt. Als Ursache der wirtschaftlichen Schwächen wurden mangelhafte Unternehmensführung der meist ehrenamtlich besetzten Vorstände, die ungesunde Struktur der Konsumgenossenschaften (Zusammensetzung aus souveränen örtlichen Organisationen), das Fehlen einer nationalen Organisation zum Vertrieb von Gebrauchsgütern, das Fehlen ausreichender Beratung auf technischem und betriebswirtschaftlichem Gebiet und die mangelnde Finanzierungsmöglichkeit für eine zukünftige Expansionsstrategie festgestellt.^?) Dieser "technokratische Bericht" wurde in einer Genossenschaftsbewegung, die sich noch recht kräftig fühlte, nicht wirklich ernst genommen, und die Genossenschaftsbewegungen anderer Länder fühlten

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sich relativ wenig betroffen, weil die britischen Genossenschaften sowie jene Nordfrankreichs bekannt dafür waren, der Wahrung der Prinzipien der traditionellen Arbeiterbewegung, etwa auch ihrem Anti-Intellektualismus und ihrer antitechnokratischen Ausrichtung, besonders verhaftet zu sein. 2. Dennoch war es in einer der eher modernistisch ausgerichteten Genossenschaftsbewegungen, in der die große Krise der Konsumgenossenschaften erstmals voll zum Ausbruch kam.(28) In den 60er-Jahren kam eine niederländische Expertenkommission zur Auffassung, daß angesichts der Organisationsstruktur und wirtschaftlichen Situation des Genossenschaftssektors die 18 Primärgenossenschaften und die Einkaufszentrale Coop Nederland in relativ kurzer Zeit zusammengefaßt werden müßten, um eine starke und einheitliche Organisation zu schaffen. 1970 fusionierten 11 Regionalgenossenschaften, um Coop ua zu gründen, aber diese Konzentrationsbewegung war de facto der Anfang vom Ende der niederländischen Konsumgenossenschaftsbewegung, denn nur die schwächsten der regionalen Genossenschaften flüchteten unter den Schutz der Einkaufszentrale, und diese h a t t e nicht genügend Kraft, um ihren Gesundungsprozeß einzuleiten.Eine nicht sehr starke Zentralorganisation (Coop Nederland) hatte die schwachen und kranken Genossenschaften an sich gezogen und wurde dadurch todkrank. Die Sanierungspläne von 1971 und 1972 konnten nicht in die Praxis umgesetzt werden. Die Strukturreform war zu spät gekommen. In der Krise von 1973 mußten Coop Nederland und Coop ua an private Konkurrenten verkauft werden. Parallele, aber weniger spektakuläre Ereignisse ergaben sich in Quebec und in Belgien, letzteres einst ein konsumgenossenschaftliches Musterland. Dort mußten sich 1974 die christlichen und sozialistischen Konsumgenossenschaftsgruppen entschließen als Minderheitspartei in eine von Carrefour und belgischen Einzelhandel dominierte Gesellschaft (Disbrimas) einzusteigen, da ein eigenständiges Mithalten in der Hypermarktrevolution als aussichtslos erscheint. Im Gefolge von AnlaufVerlusten einiger Großläden kam es nicht nur zum Ausstieg von Carrefour (1978), sondern auch jener der Genossenschaften (1979). In der Folge gelang - wegen der beträchtlichen Liegenschaftsreserven - ein geordneter Rückgang der belgischen Konsumgenossenschaften aus dem Einzelhandel. Seit 1983, der Schließung von CoopSud verfügt die "sozialistische Genossenschaftsfamilie" über keine klassische Konsumgenossenschaft mehr, Bien-Etre ein Unternehmen der christlichen Gruppierung wurde 1984 geschlossen. Von Bedeutung sind aber noch die genossenschaftlichen Apotheken. (29) 3. In der Bundesrepublik Deutschland (30) konnte zunächst eine größere Katastrophe dadurch vermieden werden, daß die Bank für Gemeinwirtschaft zur Reorganisation der schwächsten Teile der Konsumgenossenschaftsbewegung in der Mitte der siebziger Jahre einen entscheidenden Beitrag leistete.(31) Freilich entstand dabei ein relative unüberschaubarer Konzern, der 1988/89 ebenfalls in Schwierigkeiten geraten ist.

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Mit Hilfe von großangelegten Strukturreformen in den Jahren 1967 und 1972 hatte man zunächst aus eigener Kraft die Existenz der Konsumgenossenschaften sichern und dem Wettbewerbsdruck begegnen wollen. Beide Reformen führten nicht zum gewünschten Erfolg. Im Jahre 1974 hatten sich die Verluste in der Höhe von 86,6 Millionen DM angesammelt, denen nur rund 52 Millionen DM Mitgliedergeschäftsguthaben gegenüberstanden. Es wurde bereits von der Vermögenssubstanz gezehrt. Trotzdem waren die Konsumgenossenschaften durch ihr ausgeprägtes Autonomieverhalten von Beginn ihrer krisenhaften Entwicklung an nicht bereit, gemeinsam ihre Schwierigkeiten zu überwinden. In allen Verbundversuchen fanden sich inhärente Funktionsmängel für eine überregionale Kooperation, bewußt eingebracht von auf ihre regionalen örtlichen Kompetenzen pochenden Einzelgenossenschaften. Trotz umwälzender Entwicklungen im Einzelhandel auf allen Ebenen, beharrten die Konsumgenossenschaften traditionsbewußt auf ihren alten Strategien. Erst einer neuen Managergeneration, großgeworden in einer schwierigen Aufbauphase eines Konzerns, schien es zu gelingen, die konkursreifen Betriebe wieder auf einen kommerziell einigermaßen erfolgreichen Weg zu führen, finanziell unterstützt von jenem Bereich der deutschen Wirtschaft, dem gemeinwirtschaftlichen Bereich, den die Konsumgenossenschaften selbst einmal dominant mitgestalten wollten. Die Konsumgenossenschaften selbst verloren in dieser Rettungsaktion meist ihre genossenschaftliche Rechtsform und wurden zum größten Teil Aktiengesellschaften und nicht zuletzt Teil einer großen Coop AG. In dieser großen Rettungsoperation, die im wesentlichen von der Bank für Gemeinwirtschaft vorgenommen wurde, um ihre Kredite an den konsumgenossenschaftlichen Sektor zu retten, gab es auch ein Element internationaler genossenschaftlicher Solidarität, d.h. eine zeitweilige Beteiligung gewisser skandinavischer Konsumgenossenschaftsbewegungen. Im Gegensatz dazu waren im Falle der Krise in Frankreich 1985/1986 die internationalen konsumgenossenschaftlichen zentralen Instanzen uninformiert, wiewohl sie auch bereit gewesen wären, eine ähnliche Rolle zu spielen. (32) Im übrigen ist festzustellen, daß diese Rettungsoperation nur jenen Teil der Konsumgenossenschaften betraf, welcher in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte. Man kann von einem Auseinanderbrechen der deutschen Konsumgenossenschaftsbewegung sprechen, denn es gab auch gesunde Konsumgenossenschaften, die ihren eigenen Weg suchten (auch zur Börse, wie ASKO Saarbrücken), es gibt allerdings heute noch einige solide "klassische Konsumgenossenschaften" wie jene von Coop Dortmund-Kassel. Die Konzernierungsprozeß zur coop Ag wurde 1985 abgeschlossen und die Wende zu einem überdimensionierten Expansionskurs mit dem finanziellem Ausstieg der Gewerkschaft aus dem Unternehmen begonnen. 1988 führte dieser neue Kurs (Einstieg in Fachhandelsmärkte, Plazierung eines Aktienpaketes an der Börse) die kompliziert verschachtelte Unternehmung ebenfalls in eine Krise. Wie zur Zeit der Dominanz der genossen-

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schafblichen Rechtsform scheint die Kontrolle durch die Financiers nur mangelhaft funktioniert zu haben, und eine machtbewußte Unternehmensspitze führte den intransparenten Konzern wie im Falle der Neuen Heimat auf einen überzogenen Wachstumskurs. (33) 4. Die Lösung im Sinne einer konsumgenossenschaftlichen "Großfusion" war in zahlreichen Ländern immer wieder als Möglichkeit genannt worden, üblicherweise seitens der zentralen Instanzen der Genossenschaftsbewegung. Sie war immer und überall der starken Opposition der Primärgenossenschaften begegnet, die nicht ihre Unabhängigkeit aufgeben wollten. In Schweden führte die Diskussion eines "Konsum Schweden" und die "Fusionitis" der 60er-Jahre sogar zur Schaffung eines Interessenverbandes der kleinen Genossenschaften innerhalb von KF, die dem Druck, größere Einheiten zu bilden, Widerstand leisteten.(34) Österreich hat im Jahre 1978 mit der Bildung des Konsum Österreich eine Pionierrolle für die Lösung "ein Land - eine Konsumgenossenschaft" gespielt. Auch in Österreich gab es das grundsätzliche Problem, daß die zentralen Instanzen auf Interessenebene (Konsumverband) und kommerzieller Ebene (Zentralkasse, GÖC) ihre zahlreichen Muttergesellschaften nicht in ausreichendem Maß koordinieren konnten. Wie in vielen anderen Ländern begannen die großen Regionalkonsumgenossenschaften, den Vorrang dieser Zentralinstanzen in Frage zu stellen. (Auch in Schweden hatten Albin Johansson und seine Nachfolger im KF letztlich die Sorge, durch Regionalfusionen "mehrere KFs" zu schaffen, die dann nicht mehr der Zentralinstanzen für den Gemeinschaftseinkauf bedurft hätten. Schweden mit seinem starken KF ist daher wohl auch aus diesem Grund ein Land, in dem die regionale Fusionsbewegung bis heute relativ wenig fortgeschritten ist). Daß die Einheitslösung oder quasi-Einheitslösung mit mehr als 95 % des Umsatzes in Österreich gefunden werden konnte, mag auf die Kleinheit des Landes zurückgeführt werden, auf die bedingungslose Unterstützung der Gewerkschaftsbewegung für diese Lösung und auf die dringlichen Schwierigkeiten einzelner regionaler Konsumgenossenschaften. Leider sind bis jetzt die wirtschaftlichen Resultate keineswegs überzeugend. Die große Fusion von 16 Unternehmungen hat ohne Zweifel Übergangsschwierigkeiten geschaffen und der Bürokratisierungtendenz sogar kurzfristig einen Zusatzimpuls gegeben. Das starke Engagement der Gewerkschaften, die Philosophie, Ertragsschwächen durch eine "Flucht nach vorne" zu überwinden, haben im ersten Jahrzent nach der Fusion keine Stärkimg der Ertragskraft bewirkt. 1988 wurde damit begonnen Produktionsbereiche aud der Genossenschaft auszugliedern und in Ges.m.b.H. und AG umzuwandeln. Ob die Fusion als Erfolgsstrategie beurteilt werden kann - sind doch besonders gemein wirtschaftliche Unternehmen für eine Kostenprogression und für überergeizige Projekte des Managements anfällig - ist noch eine offene Frage. (35)

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5. Trotzdem hat die österreichische Lösung als Modell für die "fortschrittliche" Konsumgenossenschaftsbewegung in Finnland gedient. (In Finnland haben sich die neutrale Konsumgenossenschaftsbewegung und die Einkaufszentrale SOK und der fortschrittliche Flügel 1916 - 1917 getrennt, eine Spaltung, die durch die Auswirkungen des Bürgerkrieges von 1918 vertieft wurde und erst in den letzten Jahren durch partielle Kooperation einigermaßen reduziert wurde. (36) 1983 wurden 39 fortschrittliche Regionalgenossenschaften der sogenannten E-Bewegung unter der Ägide ihrer Einkaufszentrale mit dieser verschmolzen. Es war aber eine Verschmelzung, die nicht ganz nach den Vorstellungen der Einkaufszentrale verlief. Die größte Primärgenossenschaft, jene von Helsinki (Elanto), zog es vor, außerhalb der neugegründeten EKA-Genossenschaft zu bleiben. Da bei einer Fusion eine eigentliche Verschmelzung des Managements in der Regel nicht stattfindet, sondern eine Dominanz der Führungsgruppe der defacto übernehmenden Gesellschaft entsteht, blieb Elanto selbständig bestehen. Eine Organisation mit starker autonomer Tradition war nicht bereit, ohne wirtschaftliche Notwendigkeitin einer anderen, größeren aufzugehen. (37) Die neutrale SOKKonsumgenossenschaftsbewegung mit ihrem ausgeprägten Plurizentrismus und ihrer ländlichen Orientierung ist nicht einmal noch zu ihrer geplanten Reduzierung auf 30 Regionalgenossenschaften gelangt, die etwa gleichzeitig mit der EKA-Fusion in die Wege gleitet worden war. (38) 6. In Schweden wie auch in Finnland haben sich die wirtschaftlichen Resultate eines äußerst gut etablierten konsumgenossenschaftlichen Sektors in den letzten 20 Jahren beträchtlich verschlechtert. Das Strukturproblem konnte bisher nicht gelöst werden. Die große Stärke der schwedischen Konsumgenossenschaftsbewegung im Nicht-Lebensmittelbereich, ihr Warenhaussektor, verwandelte sich im Laufe der 70er Jahre zu einer Schwäche. Die Warenzentrale KF mit ihrem großen Industriesektor bleibt weiterhin "die Tochter von 100 Müttern". Die Schaffung eines "Konsum Schweden" anstelle der über 130 Regionalgenossenschaften erscheint als nicht realistisch - zum Teil wegen der latenten Rivalität zwischen KF und der Großgenossenschaft von Stockholm. Der Generaldirektor von KF, Leif Lewin, hat ein Programm der Reformen und Rationalisierung innerhalb des KF begonnen, aber er hat keine wirkliche Möglichkeit, auf die schwachen Regionalgenossenschaften einzuwirken. Dennoch muß KF die Verantwortung dafür übernehmen, daß sie nicht insolvent werden. In einer großen Rede aus dem Jahre 1986 mit dem an Churchill orientierten Titel "Blut, Schweiß und Tränen" hat Lewin den Fall der französischen Genossenschaftskrise von 1985/86 als Warnung gegenüber all jenen genannt, welche die Solidarität mit den in Schwierigkeit befindlichen Genossenschaften brechen wollen. (39) Er hat außerdem den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß KF wieder jene Macht, strukturell schwache Genossenschaften in direkte Verwaltung zu übernehmen, bekommen sollte, die in den

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60er Jahren auf Wunsch der Primärgenossenschaften abgeschafft worden war. In der Tat erscheint die Formel "Subventionen ohne Sanktionen" keine vertretbare Lösung für die Zukunft der schwedischen Genossenschaftsbewegung, aber auch keiner anderen. Die KF-Gruppe hat im übrigen ihre dominierende Position im Einzelhandel des Landes gegenüber der privaten Kaufleute-Organisation ICA verloren. Die ICA hat ihre Zusammenarbeit als Gegenstrategie gegen die übermächtige Konsumgenossenschaftsbewegung entwickelt und ist damit in gewissem Sinn der Erbe ihres Entwicklungsimpulses. (40) 7. Der Zusammenbruch der FNCC (des Interessenverbandes), der SGCC (der Warenzentrale) und einiger wichtiger Regionalgenossenschaften in der französischen Konsumgenossenschaftskrise von 1985/86 bedürfte einer längeren Analyse, die in diesem Rahmen nicht bewerkstelligt werden kann. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß Professor Henri Desroche in seiner "schwarzen Utopie" von 1976 den grundsätzlichen Charakter der Krise bereits prophetisch vorausgesagt hat. (41) Jahrelange Subventionen gegenüber strukturell im Rückstand befindlichen nordfranzösischen Konsumgenossenschaften, Überinvestitionen in anderen genossenschaftlichen Bereichen und ein genereller Mangel an zentraler Autorität und Koordination führten dazu, daß die gefestigtsten der französischen Regionalgenossenschaften 1985 gegen ihre Zentrale rebellierten, diese liquidierten, etliche andere Regionalgenossenschaften in die Insolvenz trieben und damit letztlich ihr eigenes Überleben um den Preis des Zusammenbruchs des zentralen genossenschaftlichen Apparates und der schwächsten Regionen sicherten. Die schwächsten Regionen waren zugleich auch jene, in denen die Genossenschaftstradition alter Art am stärksten ausgeprägt war, während die am stärksten technokratisch und modernistisch ausgerichteten Regionalgenossenschaften wie Saintes und Strassburg relativ gut überleben konnten. 8. Die erfolgreiche Übernahme ursprünglich konsumgenossenschaftlicher Strategien (Preisreduktion durch Direkt-einkauf und Umsatzsteigerung, Mobilisierung der Konsumenten) durch ein Privatunternehmen war in der Schweiz bereits in den 30er Jahren zu beobachten, als die, bis 1941 in Privatbesitz ihres Günders Gottlieb Duttweiler befindliche Migros (42) begann, erstarrte Marktstrukturen aufzubrechen. An dieser Konkurrenz wuchs und wächst COOP Schweiz noch heute, so daß beide Konsumgiganten den Schweizerischen Einzelhandel mit 15 % (Migros) und 12 % (COOP), den Lebensmittelbereich mit 22 % (Migros) und 15,7 % (COOP), dominieren und noch immer Zuwachsraten an Umsatz und Mitgliedern zu verzeichnen haben. Vielleicht beruht die Erfolgsstrategie der Konsumgenossenschaften in der Schweiz gerade auf dieser Ambivalenz zwischen traditioneller Konsumgenossenschaftsbewegung und einem ursprünglichen Privatunternehmen mit genossenschaftlichem Gedankengut.

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Die traditionell gut verankerten Kooperativen der Eidgenossenschaft hatten - angesichts eines Lieferboykotts - einen ersten Konzentrationsprozeß und den Einstieg in die Eigenproduktion noch vor dem Ersten Weltkrieg vollzogen, in den 60er Jahren zwang die stark zentralisierte und effektive Migros-Organisation mit ihren nur 13 Regionalgenossenschaften den COOP zu neuerlicher Restrukturierung. Ein Prozeß, der sich unter massiven Widerständen der Einzelgenossenschaften und unter (z.B. finanziellem) Druck der Zentralverwaltung bis in die 80er Jahre hineinzieht. Der Konzentrationsprozeß des COOP von 500 Regionalgenossenschaften wird derzeit "sanft" vorangetrieben. Die Rolle eines Vorreiters spielte und spielt das "Modell Migros" auch bei der Einführung neuer Verkaufseinheiten und -Strategien, bei der Diversifikation und im Bereich der Werbung. Der Migros sind die ersten SB-Läden in Europa (1948) zu verdanken, sie setzte frühzeitig auf großflächige Verkaufseinheiten und Spezialgeschäfte und engagiert sich zunehmend im Non-food-Bereich. Darüber hinaus verfügt sie über eine Reihe erfolgreicher Annex-Betriebe und ein (durch das sogenannte Kulturprozent) finanziell abgesichertes Kulturprogramm, das viel zu dem hervorragend vermarkteten Migros-Image beiträgt. Auch die Tendenzwende hin zu mehr Umwelt- und Ernährungsbewußtsein konnte die Migros erfolgreich aufgreifen und integrieren. In all diesen Bereichen (Strukturbereinigimg, Diversifikation, Image-Pflege) kann COOP Schweiz nur nachziehen - soweit der knappere finanzielle Rahmen und die höhere Autonomie der Basis dies zuläßt. Demokratische Widerstände gegen die Zentralverwaltung gibt es jedoch auch innerhalb der Migros. Wie der sogenannte Migros-Frühling 1980 zeigte, setzt sich die seit Duttweilers Zeiten bestehende Tradition der (erfolglosen) Revolten der Basis fort - ein Zeichen dafür, daß auch eine proforma-Demokratie gelegentlich zum Leben erwacht, aber auch ein Zeichen für die Übermacht eines ökonomisch erfolgreichen Managements. (43) 9. Im großen und ganzen stellt sich die Entwicklung der Konsumgenossenschaften in den letzten Jahrzehnten als äußerst schwierig dar. Als interessanteste Ausnahme erscheint Japan. Hier allerdings dürfte der konsumgenossenschaftliche Erfolg nicht zuletzt auf den relativ zurückgebliebenen Zustand des japanischen Einzelhandels zurückzuführen sein (worin auch eine Parallele zur relativ günstigeren Lage der Konsumgenossenschaften in Italien liegen dürfte). Die "Han"-Einkaufsgruppen weisen zudem eine Möglichkeit für die eher unterdrückten japanischen Hausfrauen auf, sozial tätig zu werden, und können in weniger patriarchalen Gesellschaften nicht leicht kopiert werden. Die Bedeutung junger Umweltschützer von Universitätsgenossenschaften in der traditionellen Genossenschaftsbewegung Japans mag aber als positives Beispiel dafür gewertet werden, daß die Wichtigkeit einer personellen Innovation zur Überwindung der Tendenzen

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organisatorischer Strukturschwächen in vielen europäischen Konsumgenossenschaften belegt. (44) C. Schlußfolgerungen Angesichts der problemhaften Perspektiven vieler Konsumgenossenschaftsbewegungen, besteht vor allem Bedarf nach der Analyse jener Faktoren, welche diese Organisation heute besonders schwächt und nach Szenarien, um diese Probleme zu korrigieren. Unsere Antworten können wie folgt zusammengefaßt werden: 1. Der wachsende Wettbewerb auf den Einzelhandelsmärkten hat gewisse "soziale" Aspekte der Genossenschaften als Problem erscheinen lassen. Wenn ein Verhältnis von 1 % zwischen Gewinn und Umsatz zuweilen bereits als gutes Resultat angesehen wird, dann können bevorzugte Beziehungen zu den Gewerkschaften, soziale Erwägungen in bezug auf die Schließung defizitärer Geschäfte oder eine gewisse Zurückhaltung bei der Minimierung der Personalkosten leicht zu negativen Betriebsergebnissen führen. 2. Diese generelle Reduktion der Spannen und der Verlust gewisser ursprünglicher Organisationsvorteile führen dazu, daß die Konsumgenossenschaften Schwierigkeiten haben, die traditionelle Rückvergütung zu erwirtschaften, die noch in der Mehrzahl der Länder als eines der wichtigsten Genossenschaftscharakteristika angesehen wird. Da die Einbehaltung eines Teiles der Rückvergütung in der Vergangenheit auch eine traditionelle Quelle des Kapitals der Genossenschaften war, führt das Verschwinden der Rückvergütung nicht nur zu einem Problem genossenschaftlicher Identität, sondern auch zu einem Problem der Selbstfinanzierung, aber auch der Eigenfinanzierung: denn Genossenschafter, die keine Rückvergütung bekommen, können versucht sein, ihre Geschäftsanteile zurückzuziehen. 3. Die solide oder sogar sehr solide Vermögensposition der Konsumgenossenschaften bis in die 60er Jahre hat dazu geführt, die ersten Verluste zu verstecken und sie als zeitweilig (etwa als konjunkturell bedingt) anzusehen. Das hat zu einer Kultur des "Nicht-über-die-Probleme-Sprechens" geführt oder zu falschen Erklärungsmodellen, welche die Ursachen der Schwierigkeiten vor allem außerhalb des Unternehmens lokalisierten. Dies hat bewirkt, daß in etlichen Fällen den Problemen, die man nicht rechtzeitig in der Anfangsphase bekämpft hat, zu spät gegenübergetreten wurde, etwa zu einem Zeitpunkt, da die Zinsbelastungen bereits ein unerträgliches Ausmaß angenommen hatten. 4. Die Konsumgenossenschaftsbewegungen mit den größten Schwierigkeiten zeigen Effekte einer offenkundigen institutionellen Sklerose. Jene Konsumgenossenschaften, die in engster Beziehung zur klassischen Arbeiterbewegung stehen, haben am meisten von ihrer ursprünglichen Vitalität

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verloren. Nach der Phase des kreativen Chaos um 1900 hat die Phase der Leitung durch starke Unternehmerpersönlichkeiten oft bis in die 50er Jahre gedauert. Danach zeigte sich häufig eine Phase der kollektiven Führung mit einer Tendenz zur Bürokratisierung und zur Verlangsamung der Entscheidungsprozesse. 5. Die Struktur eines von der Basis ausgehenden Verbundes hat in letzten Jahren beträchtliche Schwächen gezeigt. Da, wo es zwei zentrale Verbundinstanzen - eine wirtschaftliche und eine interessenbezogene - gegeben hat, hat deren konstante Spannung im allgemeinen zu einer dominierenden Position der "Manager" gegenüber den Interessenvertretern geführt. Aber die gefährlichere Spannung liegt darin, daß die Rivalität der Muttergenossenschaften innerhalb der zentralen Instanzen selbst ausgetragen werden. Das ist um so wichtiger, je mehr die Zahl der Regionalgenossenschaften durch Fusionen reduziert wird und sich Regionalfeudalismen entwickeln, die oft stärker sind als ihre gewählten Zentralinstanzen. 6. Die zentralen Verbandsorgane mußten in der Vergangenheit die in schlechter wirtschaftlichen Lage befindlichen Regionalgenossenschaften im Namen einer genossenschaftlichen Solidarität unterstützen. Diese Unterstützungen - für eine Bewegung, die sich nach außen als Einheit darstellte, in Wahrheit aber plurizentral strukturiert war - mußten von den ökonomisch starken Regionalgenossenschaften finanziert werden. Diese stellten nicht zu Unrecht fest, daß sie für die Schwäche der anderen Regionalgenossenschaften dadurch zahlen müssen, daß sie mit überhöhten Preise auf der Ebene der Belieferung mit Großhandels- oder Eigenproduktionswaren der Zentralen belastet werden. All das führte zu einer ernsthaften Schwächung gewisser Einkaufszentralen im Verhältnis zu den starken Regionalgenossenschaften, die oft nicht zögerten, sich außerhalb des genossenschaftlichen Sektors günstiger mit Waren zu versorgen. Die Lösung dieses Problems nach deutscher Art, d.h., die Umkehrung der Autorität, die Holding-Lösung, wurde zwar geschaffen, aber sie wurde von jenen gesunden Regionalgenossenschaften nicht akzeptiert, die nicht gezwungen waren, sich daran zu beteiligen. Die Fusionen vom österreichischen und finnischen Typus zeigen eine andere Lösungsmöglichkeit auf, um das Problem der umgekehrten Leitungsstruktur zu lösen, aber sie schaffen die Gefahr einer großen zentralisierten Bürokratie angesichts von Marktverhältnissen, in denen die erfolgreichsten Strategien im Einzelhandel auf der Flexibilität und örtlichen Verantwortlichkeit basieren. Die Fusion weist außerdem ebenfalls das Risiko auf, daß jene großen Regionalgenossenschaften, deren Führungsgruppe nicht die Macht in der gesamten Organisation übernehmen kann, außerhalb der Fusion verbleiben. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Rolle der gewählten Funktionäre und der Mitglieder in diesem Prozeß eine ungelöste und belastende. Die Mitglieder haben heute eine starke Tendenz, die Konsumgenossenschaften als ein Unternehmen wie jedes andere anzusehen; und sie kaufen nur dann in der Konsumgenossenschaft ein, wenn der Preis, die Qualität der Ware und die

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Lage des Geschäftes ihren Bedürfnissen entsprechen, d.h., die Beziehung zwischen Mitgliedern und Genossenschaft hat sich ökonomisiert. Die Mitglieder benehmen sich in der Regel wie Kunden. Der Besuch der Mitgliederversammlungen muß meist durch kleine Geschenke und ein Unterhaltungsprogramm angeregt werden. Der aktive Mitgliederkreis ist überaltert. Dies hat bewirkt, daß eine Gruppierung von gewählten Funktionären tätig wird, die ohne wirkliche Basis erscheint, und vor allem von den Technokraten eher" als das Problem und nicht als die Lösung" angesehen wird. Vom technokratischen Gesichtspunkt aus müßte man die Konsumgenossenschaften nach einem Holding-System mit einem nationalen Zentrum reorganisieren, welches seine Autorität über eine Anzahl von diversifizierten Ketten delegiert, Ketten für einzelne Geschäftstypen und Branchen des Einzelhandels, mit einem Maximum an interner Flexibilität und mit jeweilig möglichst dezentralisierter Verantwortlichkeit für die erzielten ökonomischen Resultate. Eine solche Lösung "von oben nach unten" widerspricht allerdings dem traditionellen Konzept der Konsumgenossenschaft. Vom genossenschaftlichen Standpunkt aus erscheint zwar ökonomische Effizienz ausgesprochen notwendig, allerdings auch eine neu zu definierende Beziehung zu den Mitgliedern. Denn die Wiederbelebung der ursprünglichen Genossenschaftsidee "kollektive Selbsthilfe" zur Lösung der Probleme der jeweiligen Zeit ist für die Genossenschaft existenziell. Als positives Beispiel könnte hier das genossenschaftliche Sekretariat der Coop Dortmund-Kassel genannt werden oder der Beauftragte für Konsumentenfragen beim MIGROS Genossenschaftsbund Schweiz. Es handelt sich hier um eine Verbindung zwischen einem effizienten Management und einer institutionalisierten stabsmäßig organisierten Verbindungsstelle zwischen Mitgliedern und dem Unternehmen Genossenschaft. Wenn man eine Vertrauensbeziehung zwischen Mitglied (Kunden) und Genossenschaft herstellen will, dann ist Grundvoraussetzung, daß der Point of sale funktioniert. Wenn an diesem Point of sale alles in Ordnung ist, dann gibt es eine Chance für ein Verbundenheitsgefühl (die Vermittlung eines weitreichenden Vertrauens in die Genossenschaftspolitik) des Mitglieds mit seiner Konsumgenossenschaft. Dieses Vertrauen erweist sich als eine Haltung mit genau angebbaren Bedingungen und Inhalten, die aus den Interessen der Mitgliederfamilien abzuleiten sind. Diese von der Familie (in der heutigen Zeit ist der Begriff der Partnerschaft passender) ausgehenden Bedürfnisse haben nicht nur ökonomischen Charakter, sondern in Bedarf und Ansprüchen sprechen sie weitreichende menschlich-gesellschaftlich-kulturelle Verhaltensweisen und Bedürfnisse an. Zuweilen scheinen sich diese immateriellen Werte auch heute durch die Schaffung von neuen biologischen, alternativen Genossenschaften zu realisieren, deren Organisationsprinzipien der Mitgliederorientierung, Hierachieabbau, begrenztes Gewinninteresse und/oder Prinzipien des Verbraucherschutzes stark an genossenschaftliche Pionierorganisationen erinnern.

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

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Das zur Mitgliedschaft und zum Einkauf treibende Motiv liegt heute überwiegend da, wo es am Anfang der Konsumgenossenschaft nur unter anderem gelegen hat: in der Beziehung zum engen Freundeskreis, zum Partner, zu den Kindern und den daraus entstehenden besonderen Problemlagen. Leben und Problematik in der Partnerschaft nehmen heute mehr Raum ein als früher. Die Lebenslage der Mitglieder enthält der gewandelten Wertehierarchie der Menschen heute entsprechend: offenere Beziehungen zueinander, gemeinsames Einkaufen erleben, Mitgestaltung der Umwelt und besser informiert zu sein. Als zukunftweisend erscheint die Förderung gemeinschaftlichen Handelns auf immateriellem Gebiet, die konsumbezogene Aktivitäten nur mehr als angenehmes Nebenprodukt einschließt. Mitgliedergruppen in Zusammenarbeit mit Volkhochschulen und ökotrophologischen Instituten zur Erarbeitimg verträglicher Ernährung und Lebensweise in unserer bewegungsarmen und streßreichen Gesellschaft wären ein Beispiel. Es bestimmen immaterielle Werte, ob man mitgliedernahe ist oder nicht. Fußnoten: 1)

Vgl. Amann, A.: Soziologie und Genossenschaft in: M. Patera (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986, S. 448ff; W. Engelhardt: Allgemeine Ideengeschichte des Genossenschaftswesens, Darmstadt 1985 2) Vgl. Amann, A. a.a.O., S. 450. 3) Vgl. z.B. J. Gaumont: Histoire générale de la coopération en France, Paris 1923, Bd. 2, S. 97ff. unter de Boyve; A. Pahlmann und W. Sjölin: Arbetarföreningarnar i Sverige 1850 - 1900, Stockholm 1944, über die Situation in Schweden; F. Baltzarek: Die geschichtliche Entwicklung der österreichischen Konsumgenossenschaften in M. Patera (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986, S. 3ff., E. Hasselmann: Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt/Main 1971, bes. S. 126ff. über Pfeiffer, M. Boson: Coop in der Schweiz, Basel 1965, S. 71ff, J. Earle: The Italien Coopérative Movement, London 1986 und G. Goedhardt, G.: Internationaler Vergleich der Konsumgenossenschaften, Leipzig 1923 über Holland. 4) Siehe J. Kaserer: Das Gesetz vom 9. April 1873 über Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Wien 1873, S. 63. 5) Vgl. G.J. Holyoake: The History of the Rochdale Pioneers, London 1857. 6) Siehe C. Marenco: Deux Cas, deux Crises, in: Revue des études coopératives mutualistes et associatives (Recma), Nr. 19 (1986) S. 23. 7) vgl. Francia, M./Muzzioli, G.: Cennt'anni di cooperazione, Bologna 1984, S. 34. 8) Betreffend die Wichtigkeit der Vorbildfunktion des "Vooruit" von Gent" vgl. z.B. Gaumont, Bd. 2, S. 510 ff. oder Arbeiter-Zeitung Wien v. 29. Juli 1906: "Ein sozialistisches Volksfest in Belgien". 9) vgl. A.A.V.V. Edilter: Un Esperienza cooperativa 1908-1978, Bologna 1979 S. VIII 10) Die Mitglieder der österreichischen Sozialdemokratie wurden von einer Resolution des Parteitages 1907 aufgefordert, Konsumgenossenschaftsmitglieder zu werden oder Konsumgenossenschaften zu gründen. Vgl. F. Seibert: Die Konsumgenossenschaften in Österreich, Wien 1978, S. 50.

622

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

11) Vgl. D. Lefebvre: Cooperazione neutra e cooperazione socialista in Francia, in: M. degl'Innocenti: Le Imprese coopérative in Europa, Pisa 1986, S. 65ff. Uber die Krise 1913 in Österreich siehe A. Vukowitsch: Geschichte des konsumgenossenschaftlichen Großeinkaufs in Österreich, Wien 1931, S. 40, - sehr kritisch - der "Abtrünnige" der österreichischen Konsumgenossenschaftsbewegung, S. Kaff: "Politik und Geschäft", Wien 1926, und H. Zoitl: Contro lo strozzinaggio sul pane! La fondazione delle panetterie viennesi Hammerbrot, in: M. Degli'Innocenti (Hrsg): Le Imprese coopérative in Europa dalla fine dell' '800 alla seconda guerra mondiale, Pisa 1986, S. 247ff. (deutsch in: Zeitgeschichte, 1988, H. 3, S. 79-103 12) Nach Gaumont a.a.O., Bd. 2, S. 678 stellte der Kongreß des FNCC 1917 fest, daß die Bewegung den "Charakter einer öffentlichen Institution annimmt". 13) Die Gründung des schwedischen K F wurde 1899 vorgenommen, jene von SOK in Finnland 1904/05, jene der GöC in Österreich 1905, jene der GEG in Deutschland, die als Modell der anderen diente, 1894. Das französische Großeinkaufshaus der sozialistischen Konsumgenossenschaften wurde 1906 gegründet. 14) Vgl. W. Richardson: The CWS in War and Peace 1938 - 1976, Manchester 1977, S. 96ff. u. S. 105 15) Siehe insbesondere die Regierungen, die von den Sozialdemokraten in Deutschland und Österreich nach der Niederlage von 1918 dominiert wurden, die ersten Regierungen Branting in Schweden, Macdonald in Großbritannien etc. 16) Vgl. die "Ökonomisierung" des Genossenschaftsbetriebes bei G. Draheim: Die Genossenschaft als Unternehmenstyp, Göttingen 1952. 17) Über die Rolle Paul Thiriets siehe E. Bugnon: Les origines de la coopération meusienne, Bar-le-Duc 1959, oder - sehr freundschaftlich - A. Hedberg: Konsum under Trikoloren, Solna 1963, S. 83ff. Über Albin Johansson, S. u. H. Stolpe: Boken om Albin Johansson, Stockholm 1969, 2 Bände. 18) Vgl. die Strukturtypen von Genossenschaften bei E. Dülfer: Betriebswirtschaft der Kooperative, Göttingen 1984, S. 89ff; E. Boettcher: Die Genossenschaften in der Marktwirtschaft, Schriften zur Kooperationsforschung, C/Berichte, Band 1, Tübingen 1980. 19) Vgl. Ries, C.: Gottlieb Duttweiler Eine Biographie, Zürich 1958, S. 74ff. 20) Vgl. H. Kylebäck: Konsumentkooperation och Industrikarteller, Stockholm 1974. 21) Vgl. O. Ruin: Kooperativa Förbundet 1899-1928, Stockholm 1968. Zum monarchischen Aspekt der Ära Johansson vgl. L. Eronn: Kooperativa Ideer och människor, Kristianstad 1983, S.97ff, S.116. 22) Vgl. Marenco a.a.O. S. 29f.

23) Vgl. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956, S. 142ff. 24) Über die späte Gründungswelle in Italien vgl. M. Francia, G. Muzzioli: Cent'anni di Cooperazione, Bologna 1984, S. 150. 25) Zum Thema Bipolarismus vgl. R. Schediwy: The Consumer Co-operatives in France, in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989, S. 671ff. 26) Vgl. R. Schediwy: a.a.O. 27) Vgl. Coopérative Independent Commission Report, Manchester 1958. Bezüglich der aktuellen Probleme der britischen Genossenschaftsbewegung siehe T. Ste-

4. Kapitel:

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29)

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Die Stellung

von

Genossenschaften

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venson: Confronting Competition Consumer Co-operatives in the U.K., Yearbook of Co-operative Enterprise 1988, Oxford, S. 109ff und G.V.J. Pratt "The British Consumer-Cooperation" ebenda S. 7ff. Vgl. J. Reintjes: The Consumer Co-operatives in the Netherlands, S. 341ff in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Geneva 1989 Vgl. Marenco a.a.O. Zur Lage in Belgien vgl. insbesondere G. Ansion und F. Martou: Les coopératives du movement ouvrier en Belgique, in J. Defourny (Hrsg.): L'entreprise coopérative, tradition et renouveau, Brüssel 1988, S. 123 ff speziell S. 140 ff. Vgl. J. Brazda: The Consumer Co-operatives in Germany, S. 139ff in: Brazda J J Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Geneva 1989 Es ist interessant, daraufhinzuweisen, daß eine Lösung nach deutschem Muster auch von einem der Teilnehmer des dramatischen letzten Verbandstages der alten FNCC (Fédération Nationale des Coopératives des Consommation) 1985 vorgeschlagen wurde, aber es gab in Frankreich offenbar keine Bank, die ein derartig risikoreiches Engagement hätte übernehmen können oder wollen (siehe Protokoll des 59. Kongresses der FNCC Paris 1985, S. 81). Vgl. R. Schediwy, a.a.O., Vgl. G. Fressl: Bilanz des Größenwahns, in: Die Zeit Nr. 48/1988 S.29 Vgl. L. E. Backmann: Direktörskonsum Vänersborg 1973, S. 120 über die Schaffung dieser pressure group kleinerer Konsumgenossenschaften innerhalb von KF. Vgl. die Schlußfolgerung von R. Blaich: The Consumer Co-operatives in Austria S.899 ff in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989; Langsner, H.: Geld oder Leben, in: Profil 1990/27, S. 24ff. Vgl. K. Ilmonen: The Enigma of membership, Helsinki 1986; T. Perko: Med förenade Krafter - SOK 1904-1979, Helsinki 1980, S.191ff. Über die politischen Hintergründe dieser Affäre siehe J. Bergholm: Osuuskaupan Kujanjuoksu, Helsinki 1985. Vgl. R. Schediwy: The Consumer Co-operatives in Finland, S.573ff in: Brazda J J Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Geneva 1989 Vgl. L. Lewin in: KF-Ledarforum 6-1986. Vgl. N. E. Wirsell: Handelsförnyelse, Stockholm 1986 über die ICA-Gruppe. Vgl. H. Desroche:" Horizons 1989? Problèmes de développment des cooperatives de consommateurs" in: Revue des études cooperatives Nr. 184 (1976) S. 21ff. Migros wurde erst durch eine einmalige Schenkung 1941 in eine Genossenschaft umgewandelt, gehört aber bis heute nicht dem Internationalen Genossenschaftsbund an. Vgl. J. Setzer: The Consumer Co-operatives in Switzerland, S. 375ff in: Brazda J./ Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Vgl. G. Vacek: The Consumer Co-operatives in Japan, S. 1023ff in: J. Brazda/R. Schediwy (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Literaturverzeichnis A.A.V.V. Edilter: UN Esperienca cooperativa 1908-1978, Bologna 1979 Amann, A.: Soziologie und Genossenschaft in: M. Patera (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986 Backmann, L.E.: Direktörskonsum Vänersborg 1973 Baltzarek, F.: Die geschichtliche Entwicklung der österreichischen Konsumgenossenschaften in M. Patera (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986 Bergholm, J.: Osuuskaupan Kujanjuoksu, Helsinki 1985 Blaich R.: The Consumer Co-operatives in Austria in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Boettcher, E.: Die Genossenschaften in der Marktwirtschaft, Schriften zur Kooperationsforschung, C/Berichte, Band 1, Tübingen 1980 Boson, M.: Coop in der Schweiz, Basel 1965 Brazda J.: The Consumer Co-operatives in Germany, in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Brazda J./Schediwy R. (Hrsg.:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Bugnon, E.: Les origines de la coopération meusienne, Bar-le-Duc 1959 Cooperative Independent Commission Report, Manchester 1958 Defourny, J. (Hrsg.): L'entreprise coopérative, tradition et renouveau, Brüssel 1988 Desroche, H.:" Horizons 1989? Problèmes de développment des cooperatives de consommateurs" in: Revue des études cooperatives Nr. 184 (1976) S. 2 Iff, wiederabgedruckt in.: Communautés Nr. 75/I-II/1986 Draheim, G.: Die Genossenschaft als Unternehmenstyp, Göttingen 1952 Dülfer, E.: Betriebswirtschaft der Kooperative, Göttingen 1984 Engelhardt, W.: Allgemeine Ideengeschichte des Genossenschaftswesens, Darmstadt 1984 Eronn, L.: Kooperativa Ideer och människor, Kristianstad 1983 Francia, M. u. G. Muzzioli: Cent'anni di Cooperatzione, Bologna 1984 Gaumont, J.: Histoire générale de la coopération en France, Paris 1923 Hasselmann, E.: Geschichte der deutschen Konsumgenossenschaften, Frankfurt/ Main 1971 Hedberg, A.: Konsum under Trikoloren, Solna 1963 Holyoake, G.J.: The History of the Rochdale Pioneers, London 1857 Ilmonen, K : The Enigma of membership, Helsinki 1986 Kaff, S.: Politik und Geschäft, Wien 1926 Kaserer, J.: Das Gesetz vom 9. April 1873 über Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Wien 1873 Kylebäck, H.: Konsumentkooperation och Industrikarteller, Stockholm 1974 Lefebvre, D.: Cooperazione neutra e cooperazione socialista in Francia, in: M. degl'Innocenti: Le Imprese cooperative in Europa, Pisa 1986 Lewin, L. in: KF-Ledarforum 6-1986 Marenco, C.: Deux Cas, deux Crises, in: Revue des études coopératives mutualistes et associatives (Recma), Nr. 19 (1986)

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

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Marenco, C.: Deux Cas, deux Crises, in: Revue des études coopératives mutualistes et associatives (Recma), Nr. 19 (1986) Pahlmann, A. und W. Sjölin: ArbetarfÖreningarnar i Sverige 1850-1900, Stockholm 1944 Patera, M. (Hrsg.): Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens, Wien 1986 Perko, T.: Med förenade Kràfter - SOK 1904-1979, Helsinki 1980 Pratt, G.V.J.: The British Consumer-Cooperation, in: Yearbook of Co-operative Enterprise 1988, Oxford Reintjes J.: The Consumer Co-operatives in the Netherlands, in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Richardson, W.: The CWS in War and Peace 1938 - 1976, Manchester 1977 Ries, C.: Gottlieb Duttweiler Eine Biographie, Zürich 1958 Ruin, O.: Kooperativa Förbundet 1899-1928, Stockholm 1968 Schediwy, R. : The Consumer Co-operatives in France, in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Schediwy R.: The Consumer Co-operatives in Finland, in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Seibert, F.: Die Konsumgenossenschaften in Österreich, Wien 1978 Setzer J.: The Consumer Co-operatives in Switzerland, in: Brazda J./Schediwy R. (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Stevenson, T.: Confronting Competition Consumer Co-operatives in the U.K., in: Yearbook of Co-operative Enterprise 1988, Oxford Stolpe, S.H.: Boken om Albin Johansson, Stockholm 1969, 2 Bände Vacek G.: The Consumer Co-operatives in Japan, in: J. Brazda/R. Schediwy (Hrsg:): Consumer Co-operatives in a Changing World, Genf 1989 Vukowitsch, A.: Geschichte des konsumgenossenschaftlichen Großeinkaufs in Österreich, Wien 1913 Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1956 Wirsell, N.E.: Handelsfórnyelse, Stockholm 1986 Zoitl, H.: Contro lo strozzinaggio sul pane! La fondazione delle panetterie viennesi Hammerbrot, in: M. Degli'Innocenti (Hrsg): Le Imprese cooperative in Europa dalla fine dell' '800 alla seconda guerra mondiale, Pisa 1986; deutsch: Gegen den Brotwucher! Die Gründung der Wiener Hammerbrotwerke, in Zeitgeschichte, 1988, H.3, S.79-103.

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4. Kapitel:

4.5.2.

Die Stellung

von

Genossenschaften

Im Sozialismus Jerzy Kleer

Die Konsumgenossenschaften sind in den sozialistischen Ländern, ähnlich wie die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, eine weit verbreitete Form. Der Tätigkeitsbereich der Konsumgenossenschaften ist umfangreich und geht über die Aktivitäten der Konsumgenossenschaften in den Marktwirtschaften hinaus. Warum hat das Konsumgenossenschaftswesen in den sozialistischen Ländern diesen bedeutenden Stellenwert? Obwohl es in verschiedenen Perioden und in verschiedenen sozialistischen Ländern unterschiedliche Wirtschaftslenkungssysteme gegeben hat, ist immer ein Markt oder ein Quasi-Markt für Konsumgüter bestehen geblieben. Einen Großteil der Lebensmittel und anderer Konsumgüter konnten sich die Haushalte auf diesen Märkten beschaffen, obwohl diese Märkte mehr oder weniger mangelhaft funktionierten. Man brauchte deshalb eine Handelsorganisation, die dem Bedarf nach Marktwirkungen entgegenkam und alle notwendigen Funktionen erfüllten. Die Handelsorganisation mußte folgende Merkmale aufweisen, um den Ansprüchen zu genügen, die der sozialistische Staat an sie stellte: -

Die Organisation mußte sozialistischen Charakter haben, d.h. private Handelsorganisationen waren ex definitione nicht zugelassen und wurden entweder ganz oder zum Teil aufgrund der Vorgabe, daß der Sozialismus ein Gesellschaftssystem sei, in dem es keinen Platz für private Tätigkeit gibt, aufgelöste 1) Gegenwärtig wird diese Ansicht neu überdacht und man ist hinsichtlich privater Unternehmen nicht mehr so rigoros wie in der Vergangenheit. Obwohl die Konsumgenossenschaften von Anfang an unter dem Einfluß des Staates standen, mußten sie wesentliche Wandlungen durchlaufen, um als sozialistische Genossenschaften anerkannt zu werden.

-

Eine Handelsorganisation mußte einen hohen Anteil an der Gesamtheit der Umsätze der Haushalte haben und auf diese nicht nur mittelbar, sondern auch unmittelbar Einfluß ausüben können. Die Handelsorganisation mußte entsprechende Bedingungen schaffen, um in den Zentralplan eingegliedert zu werden.

-

Die Konsumgenossenschaften konnten diesen Anforderungen gerecht werden und sie hatten gegenüber dem staatlichen Handelsapparat noch dazu den Vorteil, effektiver und billiger zu sein. Folge der Eingliederung des Genossenschaftswesens in das System des Zentralplanes war, daß die Zielsetzungen des Plans dominierten, während die Ziele der Genossenschaften und ihrer Mitglieder in den Hintergrund gedrängt wurden. Es erfolgten unmittelbare Eingriffe des Staatsapparates (auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Formen) auf die innere Organisation der Genossenschaften. Eine praktische Konsequenz dieser Eingriffe war die Übertragung weitrei-

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

627

chender Rechte auf die höheren Verbundstufen der Konsumgenossenschaften (den Zentralverband und die Regionalverbände). Einerseits übernahmen die Verbände Funktionen der Primärgenossenschaften, andererseits wurden diese höheren Stufen mit Rechten ausgestattet, die für den Staatsapparat charakteristisch waren. Damit war es den Verwaltungszentren (sowohl Teile der Partei wie auch des Staatsapparates) möglich, die gesamte Personalpolitik der Genossenschaften zu überwachen. Die Konsumgenossenschaften verloren zwei wichtige, konstitutive Merkmale: ihre Selbständigkeit und ihre Selbstverwaltung, und sie wurden an die staatlichen Wirtschaftsformen angeglichen. Diese Maßnahmen änderten den grundsätzlichen Charakter der Konsumgenossenschaften und schafften aber die Voraussetzungen dafür, daß sie im Binnenhandel eine sehr bedeutende Position einnehmen konnten. Die Stellung der Genossenschaften hinsichtlich der Einzelhandelsumsätze und der Gemeinschaftsverpflegung zeigt Tabelle 1.

TAB.l: ANTEILE DER KONSUMGENOSSENSCHAFTEN AN DEN GESAMTUMSÄTZEN DES EINZELHANDELS UND DER GEMEINSCHAFTSVERPFLEGUNG IN DEN JAHREN 1950 -1988 1 Land Bulgarien Tschechoslowakei Kuba Mongolei DDR Polen Rumänien Ungarn Vietnam UdSSR

1

1950 45,8 23,0 -

54,5 17,1 55,5 30,1 10,8 -

27,4

1

1960 42,2 26,1 -

9,7 33,4 50,0 35,9 29,1

1

1970 37,4 25,4 -

9,0 36,2 52,9 32,8 33,6

-

-

30,1

29,6

1

1980

1

1988

31,9 25,5

29,4 24,8

-

-

-

34,8 72,5 25,7 36,3 9,3 28,2

1

-

34,2 70,0 24,0" 34,8 15,0 26,9

* 1987 Quelle: Statistitscheskij Jeschegodnik stran tschlenow sowjeta ekonomitscheskoj wsaimoposchtschi, Moskwa 1970, Moskwa 1989; J. Kleer: Przyslosc spöldielczosci spozywcöw (Die Zukunft der Konsumgenossenschaften), Warszawa 1985.

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Wie wir sehen, gab es in zwei von den zehn RGW-Ländern (Kuba und Mongolei) während der letzten 18 Jahre keinen Genossenschaftshandel. In diesen beiden Ländern gab es auch keinen Privathandel. In einigen Ländern sank während dieses Zeitraums der Anteil der Konsumgenossenschaften an den Gesamtumsätzen (Bulgarien, Rumänien), trotzdem war ihr Anteil mit 29,4 bzw. 24 % bedeutend. Dieser Anteil war in der Tschechoslowakei und in der Sowjetunion am Anfang und am Ende unseres Beobachtungszeitraumes annähernd gleich, trotz gewisser Schwankungen. Es gibt eine Reihe von Ländern, in denen der Anteil der Konsumgenossenschaften gewachsen ist (Polen, DDR, Vietnam und Ungarn). Welche Schlußfolgerungen lassen sich aus diesen Daten ziehen? Die Wirtschaftspolitik des Staates gegenüber den Genossenschaften war in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Die Größe des genossenschaftlichen Umsatzanteils hängt nur zu einem geringen Teil von der ökonomischen Substanz der Genossenschaften ab, zum größten Teil ist sie von den Entscheidungen des Staates bestimmt. Staatliche Entscheidungen legen die Expansionsmöglichkeiten und die Tätigkeitsbereiche der Genossenschaften fest; ein Phänomen, das wir schon bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften angetroffen haben. Die selbständige Expansionsfähigkeit der Genossenschaften stößt bei Fehlen oder starker Beschränkung des Marktes auf institutionelle Barrieren, und die vorhandenen Mittel für Investitionen oder andere Handelsaktivitäten reichen nicht aus, um ein ökonomisches Größenwachstum der Konsumgenossenschaften zu gewährleisten. Noch ein Tatbestand verdient Aufmerksamkeit. Ein Vergleich der Umsatzanteile der Konsumgenossenschaften am Handel in Planwirtschaftsländern und in Ländern mit Marktwirtschaften ergibt, daß dieser Anteil in Planwirtschaften größer ist. Sind die Entwicklungsmöglichkeiten für Genossenschaften in planwirtschaftlichen Ländern größer als in marktwirtschaftlichen Ländern? Die Beantwortung dieser Frage ist von großer Bedeutung. Es lassen sich dazu einige Thesen formulieren. Die Konsumgenossenschaften befanden sich in der Planwirtschaft unter dem Einfluß spezieller Entwicklungsstimuli, unter denen man den Umstand, daß sie größtenteils den privaten Einzelhandel ersetzten, als besonders wichtig ansehen muß. Nur in einem geringen Umfang war ihre Entwicklung durch innere Expansion und Marktkonkurrenz beeinflußt, indem sie in jenen Bereichen wirkten, in denen sich der Staatshandel nicht bewährt hatte. In vielen Fällen waren die Konsumgenossenschaften auch ein Substitut der staatlichen Handelsunternehmen. Die Genossenschaften waren unter den Bedingungen eines rein formellen und vom Staat gelenkten Marktes (Preise, Reglementierung, allgemeine und regionale Verteilung der Waren) viel effektiver und konnten sich besser an die Bedürfnisse der Konsumenten anpaßen als staatliche Unternehmen. Daher ist in manchen Staaten der Anteil der Konsumgenossenschaften größer, als er unter den Bedingungen eines normalen Marktes zu erwarten wäre.

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

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Wir können also davon ausgehen, daß es in Ländern, in denen marktorientiert Wirtschaftsreformen durchgeführt werden und die sich vom Dogma, es darf im Sozialismus keine Privatunternehmen geben, lösen, zu einer gewissen Verringerung des Anteils der Konsumgenossenschaften an der Gesamtheit des Handels kommen wird. In diesem Zusammenhang ist noch ein theoretisches und praktisches Problem anzusprechen. Sind die Konsumgenossenschaften in der sozialistischen Wirtschaft Organisationen für ihre Mitglieder oder Organisationen für die Gesamtheit der Verbraucher? Diese Frage stellt sich nicht nur in den zentral geplanten Wirtschaften, sondern auch in den Marktwirtschaften. Allerdings steht dieses Problem in der sozialistischen Wirtschaft in einem anderen Zusammenhang und läßt sich auf die Frage nach der Kangordnung der Interessen der Mitglieder der Genossenschaften und der Gesamtheit der die Genossenschaften nutzenden Konsumenten reduzieren. Eine Analyse zahlreicher Konsumgenossenschaftsstatuten in den sozialistischen Ländern (2) ergibt zunächst folgende Interessengruppen: 1. Die Gesellschaft in einer nicht näher definierten Form, als deren Repräsentant der Staat oder die Partei fungieren. 2. Die Genossenschaften als Wirtschaftseinheiten; sie haben wirtschaftlichgesellschaftlichen Charakter und beruhen auf den Grundlagen der Freiwilligkeit und der Selbstverwaltung. Ihre Ziele sind für die gesamte Gesellschaft von Bedeutung; jedenfalls greifen diese Ziele über das Anliegen der Genossenschaftsmitglieder hinaus. 3. Andere Unternehmen, mit denen die Genossenschaft wirtschaftliche und Kooperationsverbindungen aufnimmt. 4. Die Mitglieder, die die Genossenschaft gegründet haben oder ihr beigetreten sind. 5. Die leitenden Verwaltungsorgane, die zwar in den Statuten nicht ausdrücklich angeführt werden, die aber im zentralistisch-imperativen Modell naturgemäß ihre eigenen, spezifischen Interessen herausbilden. Wenn wir uns die in den Genossenschaftsstatuten formulierten Ziele aus der Sicht dieser fünf Interessengruppen anschauen, so können wir feststellen, daß die allgemeinen Interessen (der Gesellschaft, des Staates, der Partei) wie der sozialistische Aufbau, die Realisierung des Agrarprogramms der kommunistischen Partei, die Aufhebung des Unterschiedes zwischen Stadt und Land oder die Hebung des Lebensniveaus der Bevölkerung an erster Stelle stehen. Auf dieser Stufe finden wir auch die Interessen bestimmter Bevölkerungsgruppen (z.B. die Landbevölkerung). Es handelt sich dabei auch um allgemeine Ziele, die sich aber nur auf einen Teil der Gesellschaft beziehen. Daß diese Aufgaben an erster Stelle stehen (diese Tatsache läßt sich nicht nur aus den allgemeinen Formulierungen der Statuten folgern, sondern in der Mehrzahl der RGW-Länder auch aus der Tätigkeit der Konsumgenossen-

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Schäften im Rahmen des Zentralplans ableiten), ergibt sich daraus, daß das Interesse des Staates vor dem Interesse der Genossenschaft steht. Dieses vordergründige Staatsinteresse erlaubt uns, nicht nur die Relationen zwischen den Zielen des Staates und den Gruppenzielen (der Genossenschaft) sowie den individuellen Zielen (der Mitglieder) herauszuarbeiten, sondern darüber hinaus auch jene Bereiche aufzugliedern, in denen Konsumgenossenschaften tätig sind. Der ländliche Wirkungsbereich der Konsumgenossenschaften wurde schon angesprochen (vgl. den Abschnitt 4.3.2.). Dabei wurde festgestellt, daß die Konsumgenossenschaften auf dem Land eine dominierende Rolle spielen. Anfang der 80er Jahre betrug der Anteil der Konsumgenossenschaften am Handelsumsatz im ländlichen Bereich in den einzelnen Ländern: Bulgarien

90,0

Tschechoslowakei

86,0

DDR

76,0

Polen

92,0

Rumänien

92,0

Ungarn

78,0

Sowjetunion

89,0

(3)

Über die Gesamtumsätze im Einzelhandel informiert Tabelle 1. Jetzt sind noch jene Bereiche anzuführen, die von der wirtschaftlichen Tätigkeit der Konsumgenossenschaften erfaßt werden. Zu den wichtigsten gehören:(4) -

Handel Verpflegung (in den einzelnen Ländern 18 bis 85 %) Produktion (in der Regel Nahrungsmittel) 0,9 bis 5,5 % der gesamten Industrieproduktion - Dienstleistungen, darunter auch im Bereich des Tourismus - Dienstleistungen für den individuellen (privaten) Sektor, falls es einen solchen gibt - Sparverkehr und Kreditgewährung - Wohnungsbau Zu dieser Auflistung sind noch einige Anmerkungen notwendig. Die angeführten Tätigkeitsbereiche werden von den Konsumgenossenschaften in jenen Ländern wahrgenommen, in denen es aus Gründen der Doktrin keine separaten Genossenschaftsorganisationen gibt (Wohnbau-, Spar-, Kreditgenossenschaften usw.). Das bedeutet aber, daß der Begriff der Konsumgenossenschaft in einigen Ländern ein sehr umfassender ist. Viele Genossenschaftstypen wurden während der Phase des zentralistisch-imperativen Modells aufgelöst, obwohl nach ihnen ein Bedarf bestand, da der Staatssektor nicht imstande war, die zahlreichen bestehenden Bedürfnisse zu befriedigen. Es war aber aus ideologisch-doktrinärer Sicht einfacher, diese als notwendig erachte-

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

631

ten Formen der genossenschaftlichen Tätigkeit im Rahmen der schon bestehenden Konsumgenossenschaften zu reaktivieren, als sie als eigene neue Genossenschaften zu gründen. Diese Entwicklung war für die 70er, aber auch für den Anfang der 80er Jahre für die sozialistischen Staaten charakteristisch. Erst die in der Mitte der 80er Jahre in der Sowjetunion neu initiierten Wirtschaftsreformen führten zu einer veränderten Einstellung zur genossenschaftlichen Wirtschaftsform. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, daß wir am Beginn einer Periode stehen, die den unterschiedlichen Genossenschaftstypen größere Eigenständigkeit bringen wird. Die bisherige Entwicklung der Konsumgenossenschaften (50er bis zum Anfang der 80er Jahre) ist vielfaltig und läßt sich nicht verallgemeinern. Trotzdem möchte ich hier eine Gemeinsamkeit betonen: das stetige Wachstum der ökonomischen Substanz der Konsumgenossenschaften. Sie war bei diesen Genossenschaften die Grundlage weitgehender Konzentrationsprozessen, die sich paralell zu den im Staatssektor eingetretenen Konzentrationsprozesse entwickelten und die größtenteils durch das System der Wirtschaftslenkung verursacht wurden. Auf der anderen Seite gab es aber auch keine Voraussetzungen zur Entstehimg eines dezentralistischen Modells.(5) Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß zwar einerseits Konzentrationen meistens Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg von Genossenschaften schaffen, aber andererseits nicht immer mit einer Nutzensteigerung für die Mitglieder verbunden sein müssen. Ein wichtiges Problem stellt noch der Verbraucherschutz bei den Konsumgenossenschaften dar. Aussagen über diese Funktion sind schwierig, da in der Vergangenheit in den sozialistischen Ländern keine regelmäßigen Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt wurden. Wir können jedoch festhalten, daß der Staat, der es auf sich genommen hat, die gesellschaftlichen Interessen zu vertreten, dies nur in unzureichender Art tut und dabei die einzelnen Gruppeninteressen überhaupt nicht berücksichtigt, d.h. einen Schutz der Interessen der Haushalte gibt es praktisch nicht. Vorliegendes detailliertes Material aus Polen bestätigt diese Hypothese. Die Konsumgenossenschaften als staatlich gelenkte Organisationen sind keine Schutzverbände der Genossenschaftsmitglieder in ihrer Rolle als Konsumenten. Aufgrund des zur Verfügung stehenden empirischen Materials lassen sich auch keinerlei zahlenmäßige Relationen ableiten. Es kann lediglich festgestellt werden, daß die Konsumgenossenschaften in den sozialistischen Ländern Europas und in China vertreten sind und daß ihr Haupttätigkeitsbereich im ländlichen Bereich für die dortige Bevölkerung zu finden ist. Der Schwerpunkt dieser Genossenschaften liegt bei Dienstleistungen für Haushalte und nur zu einem geringen Teil in der Produktionstätigkeit.

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4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

Fußnoten: (1)

1986 gab es in den zehn sozialistischen RGW-Ländern noch folgenden Privathandel (%-Anteil des gesamten Handelsumsatzes): DDR 11,1. Polen 2,3, Ungarn 2,2, Vietnam 41 und gewisse Restformen in Bulgarien (weniger als 0,1 %). Dagegen gab es in der Tschechoslowakei, auf Kuba, in der Mongolei, in Rumänien und in der Sowjetunion überhaupt keinen Privathandel. Vgl. Statistitscheskij Jeschegodnik strantschlenow sowieta ekonomitscheskoj wsaiopomoschtschi, Moskwa 198 , S 282 - 283. Von den übrigen sozialistischen Ländern gab es in China und Jugoslawien einen Privatsektor, in Nordkorea gab es keinen.

(2) Vgl. Primiernyi ustaw potriebitelskogo obschtschestwa (kooperatiwa) in: Sbornik ustawow organizacii potriebitelskoj kooperacii SSSR, Moskwa 1980; Primeren ustaw na potriebitelnata kooperacija (Ismienien i dopolnien ot VIII kongries na CKS - novembrii 1976 god.), ohne Datum und Publikationsort; G. Peteanu, Economia si organizatea cooperiei de consum, Bucuresti 1975; Stanovyespotrebnih druzstva, Praha 1978; Statut für Konsumgenossenschaften, in: Statuten der Konsumgenossenschaftlichen Organisation in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1973. (3) Vgl. J. Kleer: Przyszlosc spòldzielczosci spozywcòw, op.cit., S. 87 - 88 (4) A.a.O., S. 89 - 102 (5) In Polen gibt es seit 1981 einen Dekonzentrationsprozeß der Konsumgenossenschaften: 1980 gab es 51, 1987 waren es 359 (mit fast derselben Mitgliederzahl); in Ungarn gab es 1968 1.370 Genossenschaften, dagegen 1986 273 bei fast stabilen Mitgliederzahl

Literatur: Fahrenkrog, H.: The Consumer Co-operative Societies in the German Democratic Republic, Berlin 1976 Kleer, J.: Przyszlosc spòldzielczosci spozywcòw, Warszawa 1985 The Co-operative Movements Contribution to Social Progress in Czechoslowakia, Praha 1980 The Hungarian Co-operative Movement, Budapest 1987

4. Kapitel:

4.5.3.

Die Stellung

von

Genossenschaften

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In Entwicklungsländern Dieter Baldeaux

Angesichts des weitgehend ländlichen Charakters der Entwicklungsländer ist es nicht verwunderlich, daß Konsumgenossenschaften hier wenig verbreitet sind. Versuche, das Rochdale-Konsumgenossenschaftsmodell in die Entwicklungsländer zu übertragen, sind häufig gescheitert. In vielen Ländern, wie z.B. Indien, ist die Rolle von Einzelhandelsgenossenschaften im wesentlichen beschränkt auf die Verteilung von Grundbedarfsartikeln zu staatlich kontrollierten Preisen. Nur selten haben sie eine echte Konkurrenz darstellen können, um faire Verbraucherpreise zu garantieren. Eine Ausnahme bildet Nigeria, wo eine Umfrage im Jahre 1984 ergab, daß in der öffentlichen Meinung Genossenschaften bei der Verteilung von Nahrungsmitteln ein höheres Ansehen genießen als private Unternehmen. Allzu häufig sind jedoch die niedrigeren Preise bei Konsumgenossenschaften die Folge von subventionierten Krediten oder anderen Formen staatlicher Unterstützung. Wenn diese Unterstützung zurückgezogen wird, erleiden die Genossenschaften schwere Rückschläge, wie z.B. in Malaysia in den frühen 60er Jahren. Nur langsam hat sich hier die Konsumgenossenschaftsbewegung mit Unterstützung des genossenschaftlichen Finanzsystems in Malaysia und durch die bewußte Entscheidung, sich auf einen modernen Supermarkt-Typ von Genossenschaftsläden in städtischen Gebieten zu beschränken, erholt und steht heute auf solider Basis.

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4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

4.6.

Die Genossenschaften in der Wohnungswirtschaft

4.6.1.

In der Marktwirtschaft Helmut W. Jenkis

A. Begriffliche Abgrenzung und Charakteristika Gemäß § 1 (1) GenG sind Genossenschaften "Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, welche die Förderung des Erwerbs oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken (Genossenschaften), namentlich ... (Ziff. 7) Vereine zur Herstellung von Wohnungen, ...". Das Genossenschaftsgesetz gebraucht nicht den Begriff Wohnungsbaugenossenschaften" (künftig: WBG), sondern spricht von "Vereinen zur Herstellung von Wohnungen". Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß es sich nur um die Produktion, nicht aber um die Bewirtschaftimg von Wohnungen handelt. Der ältere, heute zum Teil noch gebräuchliche Begriff war "Bauvereine".( 1) Diese Bezeichnung trifft rechtlich nicht zu, da es sich nicht um eingetragene Vereine im Sinne des BGB, sondern um Genossenschaften gemäß GenG handelt. Nach Brecht kann nicht mehr verläßlich festgestellt werden, worauf diese Sammelbezeichnung zurückzuführen ist; sie bestand bereits vor der Kodifizierung des Genossenschaftsrechts 1889. Bei älteren WBG wird aber diese Firmenbezeichnung noch fortgeführt. Dieser Begriff wird in den in unregelmäßigen Abständen durchgeführten repräsentativen Veranstaltungen der gesamten gemeinnützigen WohnungsWirtschaft, den Allgemeinen Deutschen Bauvereinstagen, noch heute verwandt. Da diese Sammelbezeichnung auch die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften akzeptieren, kommt hierin der geistige Einfluß der Genossenschaften - Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung - zum Ausdruck. Insbesondere bei den Gründungen nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die Bezeichnungen Baugenossenschaften oder Wohnungsbaugenossenschaften durchgesetzt.(2) Durch die Verwendimg des Wortes "Bau" wird häufig der Eindruck erweckt, daß es sich um Bauunternehmen handelt. Dieses ist unzutreffend, denn gemäß § 4 WGG Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz vom 29. Februar 1940 dürfen die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen nicht unter dem überwiegenden Einfluß der Bauwirtschaft stehen. Der Gesetzgeber hat, um Spekulationen und Risiken zu vermeiden, eine klare Trennung zwischen der Bau Wirtschaft und den GWU (Gemeinnützigen Wohnungsunternehmen) vorgenommen: Die Bauwirtschaft gehört zum produzierenden Gewerbe, die GWU zum Dienstleistungssektor, die Grundstücke, Bauleistungen und Kapitalien beschaffen, um Wohnungen (mit Folgeeinrichtungen) zu erstellen.

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

635

Die Funktion einer WBG bzw. eines GWU sind: 1. Bauerstellung im eigenen Namen und für eigene Rechnung (es kann sich um Miet- oder Erwerbshäuser handeln); 2. Betreuung Dritter (Erstellung im fremden Namen und für fremde Rechnung, in der Regel handelt es sich um Erwerbshäuser); 3. Errichtung von Folgeeinrichtungen (insbesondere bei größeren Wohnanlagen); 4. Technische, wirtschaftliche und soziale Bewirtschaftung des eigenen und des gepachteten Wohnungsbestandes sowie die Verwaltung von Wohnungseigentum . Für die wohnungswirtschaftliche Tätigkeit einer WBG sind die Beschlüsse der Organe entscheidend. Der Förderungsauftrag wird wiederum von den Versorgungswünschen der Mitglieder, aber auch von der Verfügbarkeit von Bauland und der Bereitstellung öffentlicher Mittel beeinflußt. In der Periode der akuten Wohnungsnot der Nachkriegszeit dominierte der Bau- bzw. der Wiederaufbau zerstörter Wohnungen und damit der Mietwohnungsbau, mit zunehmender Beseitigung der Wohnungsnot und verstärkter Eigenkapitalbildung gewann der Erwerbshaus-(Eigenheim-)bau an Bedeutimg. Der weiter unten darzustellende Prinzipienstreit - Miethaus- oder Erwerbshausbau - ist weitestgehend überwunden. Die Neubautätigkeit, aber auch die Bestandserhaltung und -Verbesserung sind kapitalintensiv. Die genossenschaftliche Kapitalbildung insbesondere der mittleren Einkommensbezieher reichte und reicht nicht aus, um das erforderliche Eigenkapital (10 bis 20% der Gesamtherstellungskosten) zu beschaffen. Daher waren und sind insbesondere neugegründete WBG auf die Hereinnahme öffentlicher Wohnungsbaumittel angewiesen. Da die Tätigkeit der WBG auch zugleich im öffentlichen Interesse liegt, hat es bereits vor der Jahrhundertwende steuerliche Begünstigungen gegeben. Diese wurden mit der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 1.Dezember 1930 bzw. mit dem noch heute gültigen WGG vom 29. Februar 1940 systematisiert und zur allgemeingültigen Steuerpräferenz ausgebaut. Abgesehen von einigen WBG, die unter dem maßgeblichen Einfluß des Baugewerbes stehen (Handwerkerbaugenossenschaften), sind die WBG als gemeinnützige Wohnungsunternehmen anerkannt. Die mit dem WGG verbundenen Auflagen - betreuter Personenkreis, Baupflicht, Preisbildung, Dividendenbegrenzung, Vermögensbindung usw. - haben zu einer Überlagerung der genossenschaftlichen Prinzipien (insbesondere in der Phase der akuten Wohnungsnot in der Nachkriegszeit) geführt. Hieraus hat sich die Kontroverse ergeben, ob der (bau-genossenschaftliche Förderungsauftrag und Wohnungsgemeinnützigkeit vereinbar sind (siehe weiter unten). Ein wesentlicher Unterschied zwischen den WBG und den gemeinnützigen Kapitalgesellschaften besteht darin, daß die Mieter bei den Kapitalgesellschaften lediglich Rechte und Pflichten aus dem Mietvertrag herleiten

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4. Kapitel:

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Genossenschaften

können; die Mitglieder der WBG sind nicht Mieter, sondern Nutzungsberechtigte, die nicht Miete, sondern eine Nutzungsgebühr entrichten. Über dieses Nutzungsverhältnis hinaus stehen dem Genossenschaftsmitglied die Mitgliedschaftsrechte (z.B. das Stimmrecht) zu. Gemäß § 12 WGGDV (Durchführungsverordnung zum WGG) unterliegen sämtliche von den GWU verwandten Verträge dem Musterzwang, d.h., die Verträge werden vom Spitzenverband (Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen) aufgestellt und von den Anerkennungsbehörden genehmigt. Seit Anfang der 50er Jahre wenden die WBG Dauernutzungsverträge an. Dadurch verzichten die WBG einseitig und freiwillig auf jede ordentliche und befristete Kündigung des Nutzimgsverhältnisses ohne wichtigen Grund. Damit wird den Genossenschaftsmitgliedern über das soziale Mietrecht hinaus ein Rechtsschutz gewährt. Außerdem enthalten die Dauernutzungsverträge besondere Schutzbestimmungen für den überlebenden Ehegatten und Familienangehörige. Die WBG sind der Teil der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, die wiederum zumindest seit dem Ersten Weltkrieg durch die staatliche Wohnungspolitik maßgeblich beeinflußt wird; dieses gilt sowohl für die Neubau- als auch für die Bestandspolitik; die Aufgabenstellung und die unternehmerischen Verhaltensweisen sind den staatlichen Zielsetzungen und Förderungsmaßnahmen - insbesondere in der Phase der akuten Wohnungsnot wie nach 1945 - unterworfen. Zwischen der staatlichen und den baugenossenschaftlichen Interessenlagen können Spannungen entstehen, die aber in der Praxis weniger als in der Theorie wahrgenommen werden. B. Die Entwicklung der Wohnungsbaugenossenschaften in Deutschland Der Ursprung und die Entwicklung der Wohnungsbaugenossenschaften ist eng mit der sozialen sowie mit der Wohnungsfrage verknüpft. Die Lösung der in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgetretenen Probleme führte in Deutschland zur Bildung von gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, die in Ermangelung eines Genossenschaftsgesetzes nicht die Rechtsform der Genossenschaft wählten. 1. Die Wohnungsfrage als Teil der sozialen Frage Insbesondere die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist durch drei Merkmale gekennzeichnet: die Industrialisierung, die die Binnenwanderung begünstigt, die Geburtenzunahme und die Verstädterung. In den neuen Industriezentren entstand die Wohnungsfrage. Victor Aimé Huber (1800-1869) war der erste Hochschullehrer, der die Arbeiterfrage in einer deutschen Universität erörterte (3). Während seiner Reisen nach England hatte er die negativen Folgen der Industrialisierung und

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Die Stellung

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Genossenschaften

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Verstädterung erkannt und schlug eine Wohnungsreform vor: Huber schwebte nicht nur eine ökonomische Association vor, sondern er wollte durch diese auch den Eigentumserwerb fördern, um aus eigentumslosen Arbeitern arbeitende Eigentümer zu machen. "Das materielle Prinzip der Association ist Vereinigung vieler kleiner atomistischer Kräfte - besonders proletarischer Atome, wenn mir der Ausdruck gestattet ist - zu einer relativen großen Kraft und möglichst fruchtbare Verwendung der letzteren in der produktiven oder distributen Industrie, nach Umständen auch über die Grenzen der Bedürfnisse der eigenen häuslichen Ökonomie der Beteiligten hinaus....Die andere und noch wichtiger und wohltätigere Seite ist eine entsprechende Steigerung der sittlichen und intellektuellen Kräfte. Denn die Association setzt wirklich Gemeinschaft der Arbeit und der Ökonomie sowie überhaupt genossenschaftliche, gesellige Beziehungen voraus - immer mit Vorbehalt der Selbständigkeit, Abgeschlossenheit und Heiligkeit des Familienlebens." (4) In der Vereinzelung des Menschen hatte Huber die Hauptgefahr des modernen Lebens in den Industriestädten erkannt. Um diese Gefahr zu bannen, schlug er die Bildung ökonomischer Associationen (Genossenschaften) vor, durch die nicht nur die wirtschaftliche, sondern auch sittliche Lage verbessert werden sollte. Die Wohnungsfrage und die Wohnungsbaugenossenschaften waren der Ansatz für die Lösung der sozialen Frage. 2. Der Ursprung der Wohnungsbaugenossenschaften In Ermangelung eines Genossenschaftsgesetzes wurde 1847 die 'Berliner gemeinnützige Baugesellschaft' gegründet (5), die die im Prinzip noch heute gültigen Kriterien der Wohnungsgemeinnützigkeit entwickelte. Huber war in dieser Gesellschaft aktiv tätig und unternahm den Versuch, die Mieter in (Wohnungs-)Eigentümer zu verwandeln, in denen Mietergenossenschaften gebildet werden sollten; dieser Versuch scheiterte. Die erste Wohnungsbaugenossenschaft wurde (nicht im rechtlichen) im soziologischen Sinn in Hamburg-Steinwärder 1862 gegründet (6): auf der in der Elbe gelegenen Insel Steinwärder wurden 48 Wohnhäuser solidarisch errichtet. Da es noch kein Genossenschaftsgesetz gab, mußten 'Kapitalisten' die Verträge schließen und die selbstschuldnerische Bürgschaft übernehmen. Abgesehen von dieser rechtlichen Konstruktion wurden die genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung bereits gewahrt, so mußte jedes Mitglied eine Obligation (einen Genossenschaftsanteil) zeichnen, die Hypotheken sollten in 25 Jahren getilgt werden und die Mitglieder konnten nur mit Zustimmung der Genossenschaft ihren Austritt erklären. Diese erste Gründung zeigt bereits, daß Wohnungsbaugenossenschaften wegen ihrer Kapitalintensität der 'wohlwollenden Unterstützung" bedurften; Huber hat dieses als die 'Hilfe von oben' bezeichnet. Die älteste, noch heute bestehende Wohnungsbaugenossenschaft ist die 'Baugenossenschaft München von 1871' (7): Bereits in den Jahren 1865 und

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4. Kapitel:

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Genossenschaften

1866 tauchte im Arbeiterbildungsverein die Frage auf, ob nicht die Wohnungsnot auf genossenschaftlichem Weg behoben werden könnte. Obgleich die Genossenschaft namhafte Zuwendungen des Königshauses sowie Spenden erhielt, erwiesen sich die angesammelten Mittel als zu gering, um eine Bautätigkeit zu beginnen. Daher wurde ein Vorschußverein gegründet, in dem hohe Beamte, Direktoren, Großindustrielle sowie sonstige Gönner Einzahlungen leisteten; damit war die finanzielle Grundlage für eine wohnungswirtschaftliche Tätigkeit gesichert. Das Münchner Beispiel macht ein doppeltes deutlich: Die Gründung ging von Arbeitern im Arbeiterbildungsverein aus, doch bereits an der Gründung waren 'Kapitalisten' finanziell beteiligt. Da der Bau von Wohnungen erhebliche Kapitalbeträge erforderte, war auch hier eine (finanzielle) 'Hilfe von oben' erforderlich. Das Preußische Genossenschaftsgesetz wurde am 27. März 1867 erlassen, das unter geringfügigen Änderungen am 4. Juli 1868 zum Norddeutschen Bundesgesetz erhoben wurde. Dieses Genossenschaftsgesetz kannte nur die unbeschränkte Haftpflicht, was insbesondere für die Wohnungsbaugenossenschaften wegen ihrer Kapitalintensität und der damit verbundenen Risiken von Bedeutung war. Das im Prinzip noch heute gültige Genossenschaftsgesetz vom 1. Mai 1889 brachte unter anderem die beschränkte Haftpflicht, die - zusammen mit der Arbeiterrentenversicherung (Landesversicherungsanstalten) als Finanzierungsquelle - die Gründung von Wohnungsbaugenossenschaften begünstigte. Von den vor dem Erlaß des Genossenschaftsgesetzes von 1889 gegründeten Baugenossenschaften verdienen die Allgemeine Deutsche SchiffszimmererGenossenschaft in Hamburg (1875), der Flensburger Arbeiter-Bauverein (1878) und der Spar-und Bauverein Hannover (1885) besondere Erwähnung. (8) Hatten bisher die Wohnungsbaugenossenschaften ausschließlich Eigentumsmaßnahmen gebaut und diese an ihre Mitglieder veräußert, so führte der Spar-und Bauverein Hannover einmal den Mietwohnungsbau und zum anderen das Sparen ein, um hierdurch die Finanzierung der Bauvorhaben zu erleichtern. Diesem Modell folgten zahlreiche Baugenossenschaften (in Berlin, Göttingen, Dortmund, Altona usw.). Bereits der Ursprung und die ersten Entwicklungsstadien machen deutlich, daß die Baugenossenschaften innerhalb der Genossenschaftsbewegung eine Sonderstellung einnehmen: Schulze-Delitzsch wandte sich zwar den Baugenossenschaften zu, aber sein Hauptinteresse galt weiterhin der ökonomischen Stärkung der Handwerker. In den Arbeitervereinen erlangte die Baugenossenschaftsfrage eine gewisse Beachtung, ohne daß aus dieser Richtung belebende Impulse ausgingen, da die Arbeiterschaft (finanziell) noch nicht in der Lage war, die Wohnungsnot durch die genossenschaftliche Selbsthilfe zu lösen. Bis zur Jahrhundertwende wiesen die Baugenossenschaften keine wesentlichen praktischen Ergebnisse

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auf, obgleich es zahlreiche theoretische Erörterungen und die Wohnungsnot in den sich schnell entwickelnden Großstädten gab. Grund für diese verzögerte Entwicklung waren der hohe Kapitalbedarf, die unbeschränkte Haftpflicht bis 1889 und nicht zuletzt die Kompliziertheit des Bau- und Bodenrechtes und der sich aus der langfristigen Nutzung ergebenden Probleme bei Konjunkturschwankungen. Außerdem wurde die Baugenossenschaftsfrage ideologisch mit der Eigentumsproblematik belastet: Sollten sie in erster Linie Eigentumsobjekte (Eigenheime) oder Mietwohnungen bauen, die im Besitz der Genossenschaft verbleiben? Diese Kontroverse wirkte bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (z.B. bei der Ansiedlung von Flüchtlingen) nach, ist aber heute weitestgehend überwunden. 3. Die soziologischen Strukturunterschiede in der Baugenossenschaftsbewegung Wie in den anderen genossenschaftlichen Sektoren begünstigte auch die Entwicklung der Baugenossenschaften die Gründung von (Prüfungs-)Verbänden: Die Kapitalintensität, die unbeschränkte Haftpflicht und die noch nicht zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel führten dazu, daß sich die Baugenossenschaften nur langsam entwickelten: Ihre Zahl belief sich im Jahr 1869 nur auf 2, sie erhöhte sich auf 53 im Jahre 1875 und ging in der Gründerkrise (1873) auf 36 im Jahre 1880 bzw. 33 (1885) zurück. Erst mit der Einführung der beschränkten Haftpflicht durch das GenG 1889, die Bereitstellung von zinsgünstigen Finanzierungsmitteln durch die Landesversicherungsanstalten und die Aufhebung der Sozialistengesetze wurden die Voraussetzungen für die Gründung von Baugenossenschaften geschaffen. Die Zahl der Baugenossenschaften stieg von 50 (1890) über 385 (1900) auf1.342 im Jahre 1914. (9) Innerhalb der Baugenossenschaftsbewegung bildeten sich zwei soziologisch unterschiedliche Gruppen heraus: Die Arbeiter-Baugenossenschaften und die Beamten-Wohnungsvereine (10): Die ersten gemeinnützigen Wohnungsunternehmen (in Ermangelung eines Genossenschaftsgesetzes als Aktiengesellschaften, Stiftungen oder Vereine gegründet) wurden durch das wohlhabende Bürgertum gegründet; es handelte sich um die 'Hilfe von oben'. Diese galt auch für die ersten Baugenossenschaften. Daneben entwickelte sich zu Beginn der 90er Jahre die 'Selbsthilfe von unten', d.h. es entstanden die Arbeiter-Baugenossenschaften. Sowohl Teile der Arbeiterschaft als auch des Bürgertums gaben ihre Konfrontation auf und unternahmen den Versuch, die Wohnungsnot insbesondere in den Industriezentren durch die genossenschaftliche Selbsthilfe zu überwinden. Für die Leistung der Genossenschaften benötigte man neben Idealismus vor allem rechtliche und wirtschaftliche Kenntnisse; die Kapitalaufbringung

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4. Kapitel:

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von

Genossenschaften

stellte ein weiteres Problem dar, da die Löhne der Industriearbeiter niedrig waren und konjunkturellen Schwankungen unterlagen; die Standortgebundenheit des Gutes Wohnung stellte bei Strukturwandlungen und den damit verbundenen Wanderungsbewegungen ein weiteres Problem dar. Diese Probleme führten dazu, daß in der Regel nur die 'Elite' der Arbeiterschaft (die Aufsteiger) den (Arbeiter-)Baugenossenschaften beitraten. Der Erfolg der Arbeiter-Baugenossenschaften wird unterschiedlich beurteilt: Quantitativ waren die Bauleistungen nicht sehr groß, dagegen dürfte der pädagogische Einfluß - insbesondere auf die 'Elite' des vierten Standes - größer gewesen sein. Die Bereitschaft zur Selbsthilfe von unten war unverkennbar, aber sie bedurfte weiterhin der Hilfe von oben. Die Beamten-Baugenossenschaften hatten dagegen einen anderen soziologischen und ökonomischen Charakter: Insbesondere die höheren und mittleren Beamten hatten nicht nur eine bessere Vorbildung und damit Eignung für die Selbstverwaltung, sie verfügten auch über höhere Einkommen und dauerhafte Arbeitsplätze. Hinzu kam, daß die öffentlichen Hände als Dienstherren bereits vor der Jahrhundertwende faktisch eine Wohnungsfürsorge betrieben. In der Regel hatten die Beamten-Baugenossenschaften zahlenmäßig weniger Mitglieder als die Arbeiter-Baugenossenschaften und deren Wohnungsstandard war höher. Diese Strukturunterschiede sind bis in die Gegenwart hinein noch erkennbar. Eng mit diesen soziologischen Strukturunterschieden ist der 'Prinzipienstreit' in der Baugenossenschaftsbewegung verbunden: (11) Aufgrund der verzögerten Gründung von Baugenossenschaften gehörten diese dem 'Allgemeinen Verband der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften' (Schulze-Delitzsch oder 'Allgemeiner Verband') an. Erst 1896 wurde der 'Verband der Baugenossenschaften Deutschlands' von Landrat P. Berthold aus Blumthal bei Bremen als Unterverband des Allgemeinen Verbandes mit Sitz in Berlin gegründet. Bereits 1897 trat Professor Albrecht aus diesem Verband aus und bildete den "Verband der auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Eigentums stehenden deutschen Baugenossenschaften' (Albrecht~ scher Verband), der gleichfalls seinen Sitz in Berlin hatte. Damit war das Schisma erfolgt und der Prinzipienstreit - hier Erwerbs-(Eigenheim)bau, dort Mietwohnungsbau - offen zu Tage getreten. Erst nach dem Tode von Landrat Berthold (1917) wurde die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Verbänden enger; 1920 wurde die 'Vereinigung deutscher Baugenossenschaftsverbände' konstituiert, den Vorsitz übernahm Professor Albrecht. Der 'Hauptverband deutscher Baugenossenschaften' wurde 1924 gegründet, er wurde 1934 Pflichtverband der zugelassenen 12 Prüfungsverbände, 1938 erfolgte der Zusammenschluß mit dem Reichsverband deutscher Heimstätten zum Reichsverband des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens. Nach 1945 wurde schrittweise der Gesamtverband

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gemeinnütziger Wohnungsunternehmen mit derzeitigem Sitz in Köln gegründet. Diese soziologischen Strukturunterschiede wurden zum größten Teil durch den Zweiten Weltkrieg verwischt, sind aber immer (zum Beispiel bei den Beamten-Baugenossenschaften, dem Miet- bzw. Erwerbshausbau) noch erkennbar. Zu den soziologischen Strukturunterschieden gehört, (allerdings mit betriebswirtschaftlichem Einschlag) daß die WBG keine dauerhaften Zentralgenossenschaften oder -einrichtungen geschaffen haben. Auf Grund des WGG ist der Geschäftskreis einer gemeinnützigen WBG auf einen regionalen Teilmarkt begrenzt. Wegziehende Mitglieder verloren ihre erwachsenen Mitgliedschaftsrechte. Um diesen Mißstand abzuhelfen, wurde 1969 der 'Ring der Wohnungsbaugenossenschaften' gegründet. Ziel des 'Ringes' ist, auch dann Genossenschaftsmitglieder mit Genossenschaftswohnungen zu versorgen, wenn sie den Wohnort wechseln. Ende 1986 gehören 282 WBG = 24% dem Ring der Wohnungsbaugenossenschaften an. 4. Betriebswirtschaftliche Strukturmerkmale Folgt man Draheim (12) dann haben Genossenschaften eine Doppelnatur: Sie sind einmal ein Wirtschaftsgebilde und zum anderen ein Sozialgebilde. In diesem Zusammenhang soll lediglich die ökonomische Komponente interessieren: Da die Bezeichnung "Bauverein" zum Teil für die gesamte gemeinnützige Wohnungswirtschaft übernommen wurde (z.B. Allgemeiner Deutscher Bauvereinstag), hat sich die irrtümliche Meinung herausgebildet, daß die WBG (Bauvereine) älter sind als die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften und erst im Dritten Reich bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg von diesen überholt wurden. Beides trifft nicht zu. Auch statistisch können die WBG nicht den Anspruch erheben, in quantitativer Hinsicht leistungsfähiger gewesen zu sein; denn Ende 1899 bestanden nur 95 Aktien- oder sonstige Gesellschaften, aber 289 WBG. Die Bauleistung der Kapitalgesellschaften belief sich auf 13.702 WE, die der WBG hingegen auf 24.075 WE.(13) Bis Ende 1933 hatten 2.572 WBG = 428.811 WE, 359 GmbH = 199.025 WE, 86 AG = 165.883 WE, 38 e.V. = 12.085 WE und 1 Körperschaft des öffentlichen Rechts = 342 WE erstellt. (14) Unabhängig vom politischen System haben die WBG im Durchschnitt eine geringere Bauleistung erbracht. Unabhängig von diesen quantitativen Strukturunterschieden weisen die WBG in der Nachkriegszeit ein kontinuierliches Wachstum auf: (15)

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

DURCHSCHNITTLICHER MITGLIEDER-/WOHNUNGSBESTAND DER WOHNUNGSBAUGENOSSENSCHAFTEN Jahr

1938 1947 1949 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967

Durchschnittlicher Mitgliederbestand

Wohnungsbestand

293 420 428 390 429 444 469 505 530 586 612 640 681 723 757 795 846 886 934 971

274 226 187 205 238 271 301 327 365 392 405 420 443 465 481 485 530 551 579 602

Jahr

Durchschnittlicher Mitgliederbestand

1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988

1.012 1.053 1.082 1.114 1.145 1.191 1.222 1.253 1.262 1.279 1.302 1.308 1.326 1.356 1.372 1.396 1.406 1.415 1.422 1.424 1.435

Wohnungs bestand 628 655 667 681 697 728 747 770 776 787 801 803 812 825 834 847 853 862 867 866 873

In der Nachkriegszeit - 1949-1986 - lag ein erhebliches Wachstum sowohl hinsichtlich der Mitgliederzahl als auch hinsichtlich des Wohnungsbestandes vor. Dieses Wachstum entsprach aber keineswegs den Bauleistungen bzw. dem Wohnungsbestand der Kapitalgesellschaften: Ende 1986 bewirtschafteten 1.182 WBG = 1.017.902 WE, 530 GmbH = 1.666.556 WE, 59 AG = 676.421 WE und 29 WU mit sonstiger Rechtsform (e.V., Stiftungen, Körperschaften) = 26.947 WE. (16) Bei den WBG dominieren die Unternehmen bis zu 2.000 WE mit 57,5%, bei den gemeinnützigen Kapitalgesellschaften die größeren oder Großunternehmen mit mehr als 5.000 WE = 58,7%. Gegenüber diesem betriebswirtschaftlichen Vergleich kann allerdings der Einwand gebracht werden, daß die Genossenschaften im allgemeinen und die WBG im besonderen als Sozialgebilde über die ökonomische Komponente hinaus soziale Funktionen - der Nachbarschaft, der sozialen Organisation und Befriedigung - haben, die nicht quantitativ gemessen werden können. Mit der berechtigten Berücksichtigung qualitativer Elemente wird allerdings das Feld rationaler Argumentation verlassen und das der subjektiven Wertungen betreten. Interpersonale Nutzen vergleiche sind nicht möglich.

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Die betriebswirtschaftliche Betrachtung hat zur Überlegung geführt, auch bei den WBG eine optimale Betriebsgröße zu e r m i t t e l n d 17) Da Fixkostenblöcke in den Unternehmen bestehen, ist nicht eine optimale Betriebsgröße vorhanden, es gibt innerhalb jedes Fixkostenblockes Optimalzonen. Dagegen erscheint es möglich, unter bestimmten Prämissen Minimalgrößen (absolute bzw. erwünschte) festzulegen. (18) Sie wurden für sämtliche GWU - damit auch für die WBG - mit 500 bzw. 1.000 WE ermittelt. Wenn auch nicht exakt belegbar, so spielen offensichtlich diese betriebswirtschaftlichen Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle: (19) In den 20er und 30er Jahren hatte die öffentliche Hand eine Reihe leistungsfähiger gemeinnütziger Kapitalgesellschaften gegründet, die WBG wiesen dagegen eine ungünstigere Unternehmensstruktur auf. Die öffentliche Hand als Kapitalgeber war aber an leistungsfähigen Unternehmen interessiert. Aber auch die gemeinnützige Wohnungswirtschaft selbst trat für eine Leistungssteigerimg durch eine Konzentration der Kräfte ein. Die Bemühungen blieben aber wenig erfolgreich, da direkte Einflußnahme sowohl der öffentlichen Hand als auch der Verbände nicht möglich war. Erst die Gemeinnützigkeitsverordnung vom 1. Dezember 1930 enthielt in § 15 die Bedürfnisprüfung (übernommen in das WGG 1940). Damit war eine gesetzliche Grundlage für eine Strukturbereinigung durch Verschmelzungen geschaffen. Mit dem sogenannten Verschmelzungs-Erlaß vom 14. August 1940 - dem offensichtlich ideologische und kriegsbedingte Tendenzen innewohnten - wurde eine "Rationalisierung" in der Baugenossenschaftsbewegung eingeleitet. Obgleich der Reichsarbeitsminister mit seinem Erlaß vom 7. Mai 1941 Überbrückungs- und Stützungsmaßnahmen sowohl in organisatorischer als auch in finanzieller Hinsicht gewährte, hat diese Aktion noch in der Nachkriegszeit nachgewirkt und Vorbehalte gegenüber Konzentrationen hervorgerufen. (20) In der Nachkriegszeit ist die Zahl der EBG von 1.791 (1950) über 1.406 (1970) auf 1.229 (1980) und schließlich auf 1.176 (1988) zurückgegangen. (21) Mit zunehmender Beseitigimg der kriegsbedingten Wohnungsnot hat sich der Strukturwandel - die Konzentration - beschleunigt. Die stagnierende Neubautätigkeit und die mögliche Aufhebung des WBG können diese Tendenzen beschleunigen. 5. Der Einfluß der staatlichen Wohnungspolitik Im Ersten Weltkrieg setzte die Wohnungsbewirtschaftung und nach der Stabilisierung der Währimg im Jahre 1923 die aktive Neubaupolitik ein: Die Unterbrechung der Neubautätigkeit während des Krieges führte zu einer Verknappung des Wohnungsangebotes, die durch die Bewirtschaftung des vorhandenen Bestandes nicht behoben werden konnte. Durch die Inflation wurden die Hypothekenschulden abgewertet, die Sachwerte blieben erhalten. Diese Inflationsgewinne wurden durch Abgaben (sogenannte 'Hauszinssteu-

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ern') abgeschöpft. Aus diesen Hauszinssteueraufkommen wurden die öffentlichen Wohnungsbaumittel gewährt. Die bereits vorhandenen WBG und GWU wurden systematisch als Träger des öffentlich geförderten Wohnungsbaus eingesetzt und zusätzliche Neugründungen durch die öffentlichen Hände initiiert. (22) Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der WBG von 1.402 (1918) auf 4.132 im Jahre 1929. (23) Unter den Neugründungen gab es zahlreiche ungesunde und spekulative WBG, die unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit steuerliche Vorteile und zinsgünstige öffentliche Mittel erlangen wollten. Das in Vorbereitung befindliche Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz wurde als Notverordnung (Gemeinnützigkeitsverordnung) am 1. Dezember 1930 erlassen. In diese Gemeinnützigkeitsverordnung waren auch die WBG einbezogen. In der Weltwirtschaftskrise wurden Probleme in der gesamten Genossenschaftsbewegung und auch im Prüfungswesen offenkundig. Die staatliche Förderung des Wohnungsbaus führte zu einer Reorganisation der genossenschaftlichen Prüfungsverbände in diesem Sektor und wurde dann mit der Novelle 1934 zum Genossenschaftsgesetz auch auf die anderen Genossenschaftsbereiche ausgedehnt. Hiezu gehören die Pflichtmitgliedschaft zu einem regional tätigen Prüfungsverband, die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung (siehe Kapitel: Die genossenschaftliche Pflichtprüfung). Diese Prinzipien der genossenschaftlichen Prüfung wurden auch auf die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften ausgedehnt. Auch hierin kommt die enge Verbindung zwischen den WBG und den übrigen GWU zum Ausdruck. Im Dritten Reich war ein Einfluß der NS-Ideologie unverkennbar, die WBG und GWU konnten sich aber einer weitergehenden Gleichschaltung entziehen; das WGG vom 29. Februar 1940 war kein 'ideologisches' Gesetz, so daß es nach 1945 nicht nur in der heutigen Bundesrepublik, sondern bis 1979 auch in Österreich fortbestehen konnte. Wie nach dem Ersten, so setzte auch nach dem Zweiten Weltkrieg eine Gründungswelle ein; insbesonders Vertriebene, Flüchtlinge und Ausgebombte versuchten, auf dem Weg der genossenschaftlichen Selbsthilfe ihre Wohnungsnot zu lindern. Die Gründung von WBG wurde durch die Bereitstellung von öffentlichen Wohnungsbaumitteln (Erstes bzw. Zweites Wohnungsbaugesetz) begünstigt. Die Zahl der WBG erreichte mit 1.791 im Jahre 1950 seinen Höhepunkt, um dann kontinuierlich auf 1.182 (1986) zurückzugehen, da zahlreiche Neugründungen trotz der staatlichen Förderung nicht überlebensfahig waren. Der Fehler der unseriösen Neugründungen wie in den 20er Jahren wurde weitestgehend vermieden; der Verschmelzungserlaß vom 14. August 1940 hatte bereits zur Strukturbereinigung geführt. Nach Beseitigimg der kriegsbedingten Wohnungsnot und Rückgang der öffentlichen Wohnungsbauförderung ab etwa Mitte der 70er Jahre hat sich der Strukturwandel nicht nur bei den WBG, sondern auch bei den übrigen GWU beschleunigt. (14)

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6. Die Wohnungsbaugenossenschaften als Teil der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Der Ursprung und die Entwicklung der WBG hat deutlich gemacht, daß diese eng mit der staatlichen Wohnungspolitik verbunden ist, die schließlich in die gemeinnützige Wohnungswirtschaft einmündete. Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die mit der Gemeinnützigkeit verbundenen staatlichen Zielsetzungen den (bau-)genossenschaftlichen Förderungsauftrag überlagert haben. In jüngster Zeit ist eine Kontroverse zwischen den Genossenschaftswissenschaftlern Erich Boettcher (Münster) und Manfred Neumann (Nürnberg-Erlangen) darüber entstanden, ob der genossenschaftliche Förderungsauftrag mit den Gemeinnützigkeitsprinzipien vereinbar sei. (25) Neumann (1983) hat in einem Vortrag die These vertreten, daß zwischen dem genossenschaftlichen Förderungsauftrag und der Wohnungsgemeinnützigkeit kein Widerspruch bestehe, obgleich das Prinzip der Gemeinnützigkeit dem Staat und der Förderung des Gemeinwohls zuzuordnen ist, die Genossenschaften dagegen das Ziel verfolgen, die Mitglieder zu fordern. Die WBG sind nicht deshalb gemeinnützig, weil sie gemeinnützige Ziele verfolgen, sondern weil sie - dem Interesse der Mitglieder folgend - indirekte Leistungen erbringen, die im Interesse des Gemeinwohls (des Staates) liegen. Folglich kann der Staat darüber entscheiden, ob die WBG als gemeinnützige Wohnungsunternehmen anerkannt werden, zumal die damit verbundene Steuerbefreiung und die Gewährung von öffentlichen (zinsgünstigen) Mitteln die Neubautätigkeit begünstigt und damit zur Mitgliederförderung beiträgt. Demgegenüber hat Boettcher die entgegengesetzte Ansicht vertreten, daß die Gemeinwirtschaft nicht der Eigenförderung (wie die Privatwirtschaft oder die Genossenschaft), sondern der Fremdförderung dient; es ist die Leistung zu Gunsten Dritter. Somit bedeutet Gemeinnützigkeit, dem Nutzen der Allgemeinheit oder dem Gemeinwohl zu dienen. Diese Gemeinwohlorientierung wird durch den Staat anerkannt und honoriert, indem er Steuerpräferenzen gewährt. Genossenschaften und Gemeinwirtschaften bleiben, auch wenn sie als GWU anerkannt sind, anderen Zielen verpflichtet. Abgesehen von diesen generellen Unterschieden enthält das WGG zwingende Vorschriften, die gegen das genossenschaftliche Förderungsprinzip verstoßen: Hierzu gehören nach Boettcher insbesondere die im WBG enthaltene Baupflicht ( § 6 WGG) und die Verpflichtung, neue Mitglieder aufzunehmen. Diese gesetzlichen Vorschriften führen zu Identifikationsverlusten der WBG, die nicht unproblematisch sind. Die in Reformdiskussionen des Gemeinnützigkeitsrechts enthaltene Belegungsbindung - der Wohnungsbestand sämtlicher GWU (auch der WBG) sollte für bestimmte Bevölkerungsgruppen zweckgebunden und eine Art kommunales Belegungsrecht eingeführt werden denaturiert die WBG zu quasi Staatsunternehmen. (26) Diese unterschiedlichen theoretischen Positionen führten zu einer lebhaften Kontroverse zwischen Neumann und Boettcher, die auf unterschiedli-

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chen, nicht offen gelegten Prämissen beruht. Es liegen nominalistische Vorstellungen hinsichtlich der Begriffe "Genossenschaftlicher Förderungsauftrag" und "Gemeinnützigkeit" bzw. "GemeinWirtschaft" vor. In der baugenossenschaftlichen Praxis ist zwar in der unmittelbaren Nachkriegszeit der akuten Wohnungsnot und der direkten kommunalen Wohnungsbelegung diese als störend empfunden worden, auch hat man Eingriffe in die genossenschaftliche Autonomie auf dem Wege der Belegungsbindung abgelehnt, eine staatliche finanzielle Förderung und den damit verbundenen staatlichen Einfluß akzeptiert, da ohne diese Begünstigungen der Mitglieder-Förderungsauftrag nur ausnahmsweise erfüllt werden könnte. Die Kontroverse zwischen dem genossenschaftlichen Förderungsauftrag und der Wohnungsgemeinnützigkeit - die nur begrenzt mit der Gemein Wirtschaft übereinstimmt - wird in der baugenossenschaftlichen Praxis weniger problematischer als in der Theorie empfunden. Seit Beginn der 80er Jahre wurde eine Kontroverse über eine Reform bzw. Abschaffung des WGG geführt. Die vom Bundesminister der Finanzen eingesetzte Unabhängige Kommission schlug in ihrem "Gutachten zur Prüfung der steuerlichen Regelungen für gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen" vor, das WGG ersatzlos aufzuheben und die GWU in die Steuerpflicht zu überführen, da die Steuerbefreiimg zu fiskalischen Mindereinnahmen führt, den Wettbewerb verzerrt und die ausgeglichene Marktlage über den freien Wettbewerb unangemessene Mieterhöhungen verhindern wird, zumal das Wohngeld die erforderliche soziale Absicherung gewährleistet. (27) Nach Ansicht dieser Unabhängigen Kommission war eine Sonderbehandlung der WBG geboten, sofern sie sich darauf beschränken, Wohnungen ausschließlich zur Vermietung an ihre Mitglieder zu errichten. Diese "Vermietungsgenossenschaften" als Selbsthilfeeinrichtungen sollten weiterhin steuerbefreit (gemeinnützig) bleiben, um sie nicht gegenüber dem individuellen Wohnungseigentum zu diskriminieren. Im Gegensatz zu diesem Vorschlag haben Politiker aller Parteien die Ansicht vertreten, daß in einer sozialen Marktwirtschaft nicht nur die WBG, sondern auch die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften erforderlich sind, um das Sozialstaatspostulat des Grundgesetzes zu erfüllen. Diese Auffassung hat insbesondere der Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen in seiner "ersten Stellungsnahme" (November 1985) vertreten. (28) Die WBG haben ihre Position auf dem "Tag der deutschen Wohnungsbaugenossenschaften" in Wiesbaden 1984 dargelegt und in der Entschließung sich zur Organisation und den Prinzipien der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft bekannt. (29) Entgegen den politischen Bekundungen und der Mehrzahl der GWU wurde im Rahmen der Steuerreform das WGG am 31. Dezember 1989 ersatzlos aufgehoben. Den Vermietungsgenossenschaften werden unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin Seuerbefreiungen gewährt werden. Die Auswirkungen dieser neuen Regelungen sind noch nicht übersehbar. Die Aufhebung

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des WGG wird nicht nur zu strukturellen Änderungen bei Vermittlungsgenossenschaften und bei den ehemaligen gemeinnützigen Kapitalgesellschaften, sondern auch zur Anpassungen bei den Prüfungsverbänden führen. Die Umstrukturierimg der Verbänden und Unternehmen wird 1989/90 erfolgen. 7. Die "neue" B a u g e n o s s e n s c h a f t s b e w e g u n g Außerhalb der bestehenden WBG und den regional tätigen Prüfungsverbänden (denen auch die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften als Pflichtmitglieder angehören) hat sich in jüngster Zeit eine "neue" (alternative) Baugenossenschaftsbewegung entwickelt, die organisatorisch im Wohn-Bund zusammengeschlossen ist und deren Wortführer Klaus Novy (Professor an der Technischen Universität Berlin) ist: Der Wohn-Bund hat sich in seiner Sitzung vom 29. September 1986 als "Verein zur Förderung wohn-politischer Initiativen" bezeichnet. Hierzu gehören die Erhaltung und Schaffung preiswerten Wohnraums für Personen und Personengruppen mit geringem Einkommen und sozialer Benachteiligung, die Bereitstellung und -Schaffung von Wohn- und Lebensraum unter dem Aspekt der Integration von Wohnen und Arbeiten auf der Grundlage der Gemeinsamkeit und der gegenseitigen Hilfe, Modelle zur Selbstorganisation bzw. Selbstverwaltung von Wohnungen und Wohnumfeld sowie zur Verbesserung der Rechtsstellung von Mietern und schließlich Modelle zur umweltgerechten Stadtplanung, zum ökologischen Bauen und zur Verbesserung der Wohnsituation, insbesondere hinsichtlich der Qualität von Wohnungen und deren Umfeld im Interesse der Bewohner. Diese Satzungsbestimmungen machen bereits deutlich, daß es sich um sehr weite und vage Zielsetzungen handelt, in denen die Baugenossenschaften nicht ausdrücklich genannt werden. Novy (30) hat aber auch Kritik an dem "Alf-Baugenossenschaften geübt. (31) Die genossenschaftliche Selbsthilfe beruht im wesentlichen auf dem Solidaritätsgedanken; sie ist selbstversorgerisch, eine fortwährende Bautätigkeit führt von der Selbsthilfe zur Fürsorge; die öffentliche Förderung des (genossenschaftlichen) Wohnungsbaues degradiert die WBG auf die reine Versorgungsfunktion; wer ständig baut professionalisiert und verdrängt die Selbsthilfe; der Genossenschaftsgedanke beruht auf der Idee des freiwilligen Zusammenschlusses, der Zwang der Vergrößerung ist ihm fremd, ein kommunales Belegungsrecht ist ein grundlegender Bruch mit der genossenschaftlichen Grundidee; die WBG verwirklichten Reformprojekte, die das Marktsystem nicht anbot. Im Mittelpunkt dieser Forderungen und der damit verbundenen Kritik an den Alt-Baugenossenschaften ist die Bewohnerselbstverwaltung und die kleine Genossenschaft, bei der eine volle Identität von Nutzern und Trägern gegeben ist. Die umfangreiche Neubautätigkeit in der Vergangenheit hat nur zum betriebswirtschaftlichen Größenwachstum geführt, durch das die sozialen und kulturellen Funktionen der WBG verkümmerten.

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Im Rahmen des Überganges von der Neubau- zur Bestandspolitik ist eine ganzheitliche Ausrichtung auf Wohnen, Wohnumfeld, Nachbarschaft und soziale Dienste erforderlich. Diese Forderungen münden schließlich in eine Kritik an den bestehenden Prüfungsverbänden ein, die verkrustet sind und nicht Neugründungen fordern, sondern sie behindern, indem sie zu stark in betriebswirtschaftlichen Kategorien denken (Gründungsgutachten gem. § 11 Abs. 2 Ziff. 4 GenG). Gegenüber diesen vagen Forderungen hat Pelzl den Versuch unternommen, die Realisierungschancen zu prüfen (32): da die Sozialbindungen aufgrund der planmäßigen und außerplanmäßigen Tilgungen der öffentlichen Darlehen auslaufen, sind auch und gerade die Mieter daran interessiert, Mietensteigerungen, die Umwandlung in Eigentumswohnungen usw. durch die Gründung von Mietergenossenschaften zu vermeiden. Pelzl hat empirisch belegt, daß in Nürnberg zwar 80,2% der Sozialwohnungsmieter Interesse an der Gründung von Mietergenossenschaften haben, aber die finanzielle Beteiligungsbereitschaft sank auf 54,4%; je höher der finanzielle Beitrag, desto geringer die Beteiligungsbereitschaft. Würde die einmalige bzw. laufende Finanzierungsbeteiligung an der Mietergenossenschaft sich am tatsächlichen Kapitalbedarf orientieren, dann würde offenkundig werden, daß die Bewohner bzw. Mitglieder der künftigen Mietergenossenschaft nicht in der Lage wären, diese Mittel aufzubringen. "Das Konzept der Mietergenossenschaft würde wegen mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Bewohner scheitern". (33) Dann müsse die öffentliche Hand mit zinsgünstigen öffentlichen Mitteln einspringen, was aber wiederum der Idee der solidarischen Selbsthilfe ohne Fremdeinflüsse widerspricht. Die Kritik des Wohn-Bundes und seines Sprechers Novy gehen offensichtlich von historisch idealisierten, zum Teil romantisierenden Vorstellungen der Wirtschaft im allgemeinen und der Funktion der WBG im besonderen aus. Unausgesprochen mag hinter diesen Thesen Herbert Marcuses "Große Weigerung" gegen die bestehenden Sachzwänge stehen, in der er unter anderen die Freiheit von der Wirtschaft fordert.(34) Im übrigen reichen die Ansätze des Wohn-Bundes von ökologischen Bioläden, zu Anthroposophen-Genossenschaften, über Produktivgenossenschaften, Arbeitslosenhilfe-Genossenschaften bis hin zu Genossenschaften von Religionsgemeinschaften und Sekten. Bei all diesen Begründungen und Forderungen werden betriebswirtschaftliche Überlegungen und derartige Forderungen der Prüfungsverbände als Hemmschuh abgelehnt. Dennoch ist unverkennbar, daß die alternative Ökonomie die Rechtsform der Genossenschaft wiederentdeckt hat und diese propagiert. (35) Die bisherigen Erfahrungen aber lehren, daß es auch den "alternativen" Genossenschaften nicht gelungen ist und auch wohl nicht gelingen wird, ökonomische Sachzwänge aufzuheben: seit der Novellierung des Genossensch aftsgesetzes 1974 lag die Zahl der jährlichen Neugründungen zwischen 35

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bis 50, in erster Linie handelte es sich um landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaften, um in dieser Rechtsform Subventionen zu erhalten; auf die WBG entfielen nur 11 Neugründungen. (36) Bei den WBG handelte es sich um solche, die alte, modernisierungsbedürfte Bausubstanzen bzw. ältere Werkwohnungen (im Ruhrgebiet) erhalten wollten. (37) Trotz dieses Scheiterns an den wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten kommt der "neuen" Baugenossenschaftsbewegung das Verdienst zu gegenüber der Tendenz zur Ökonomisierung (so Draheim) oder sogar der Kommerzialisierung der WBG das Element des Sozialgebildes wieder in den Vordergrund der Diskussion gestellt zu haben. Ohne allerdings eine Symbiose mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten einzugehen, wird diese Genossenschaftsbewegung zur Bedeutungslosigkeit und zum Sektierertum verurteilt sein. C. Ausblick Der Ursprung und vor allen Dingen die Entwicklung der WBG sind eng mit der staatlichen Förderung des Wohnungsbaues im allgemeinen und der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen im besonderen verbunden. Die einen (wie Boettcher oder Novy) sehen in dieser Verbindung von genossenschaftlichem Förderungsauftrag und Gemeinnützigkeitszielen einen Widerspruch, die baugenossenschaftliche Praxis lehnt zwar staatliche Bevormundungen und Reglementierungen ab, sehen aber in diesen beiden Komponenten keine sich ausschließenden, sondern ergänzende Elemente der Wohnungsversorgung sozial schwacher Haushalte. Es erhebt sich die Frage, welche Zukunftsaussichten die WBG haben. Bei der Beurteilung der Entwicklungschancen ist zwischen den marktwirtschaftlichen und politischen Einflüssen zu unterscheiden: Nicht erst unter dem Einfluß der staatlichen Wohnungsbauförderung, sondern bereits um die Jahrhundertwende wiesen die WBG eine niedrigere Bauleistung als die gemeinnützigen Kapitalgesellschaften auf; allerdings ist der quantitative Erfolg nicht als der einzige Vergleichsmaßstab heranzuziehen. Nach beiden Weltkriegen nahm nicht nur die Gründung neuer WBG zu, sondern es stieg auch die Neubautätigkeit. Insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg lag aufgrund der großen Wohnungsnot und der Bereitstellung öffentlicher Förderungsmittel ein erhebliches Wachstum vor. Dennoch ist aber unverkennbar, daß zahlreiche Neugründungen von (Flüchtlings-)Baugenossenschaften nicht erfolgreich waren und das Größenwachstum hinter dem der gemeinnützigen Kapitalgesellschaften zurückblieb. Dieses quantitative Nachhinken enthält Risiken und Chancen zugleich. (38) Die Risiken bestehen darin, daß keine minimale (oder optimale) Betriebsgröße erreicht wird, daher kein modernes und effizientes Management geschaffen werden kann, um im härter werdenden Wettbewerb zu bestehen; die Chancen liegen in der über-

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schaubaren Unternehmensgröße, die persönliche Kontakte mit den Mitgliedern erlaubt und zugleich die Wahrnehmung von Marktchancen eröffnet. Die Risiken und Chancen liegen dicht beieinander. Generelle Aussagen, welche dieser beiden Möglichkeiten dominieren wird, sind nicht möglich, da das Ergebnis nicht nur von der Struktur der einzelnen WBG, sondern auch von den örtlichen Marktverhältnissen abhängt. Wenn es den WBG gelingen sollte, in der anonymer werdenden technischen und wirtschaftlichen Welt die wirtschaftlichen Notwendigkeiten - den rationellen und kostengünstigen Betriebsablauf - mit den personalen Beziehungen zu koppeln, dann besteht die berechtigte Hoffnung, daß selbst bei einem ausgeglichenen Wohnungsmarkt oder sogar bei einem Wohnungsüberhang die eigene Marktposition zu behaupten ist. Mit anderen Worten: die WBG müssen eine Symbiose von Wirtschaftsund Sozialgebilde eingehen, um im marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu bestehen. (39) Die von den Teilmärkten ausgehenden Einflüsse können sowohl zu einer Verdrängung als auch zu einer Renaissance der WBG führen. Eine generelle Zukunftsaussage erscheint nicht möglich. Nicht nur der Einfluß des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes auf die WBG sondern auch die Auswirkungen seiner Aufhebung werden unterschiedlich beurteilt: Die Vertreter einer "reinen" Genossenschaftslehre - Verwirklichung des Förderungsauftrages - sehen im WGG Bindungen und Auflagen, die die WBG behindern oder sogar diese denaturieren. Von diesen wird die Aufhebung des WGG gefordert, damit sich die WBG - wie vor 1930 - betriebswirtschaftlich frei bewegen können, um den Förderungsauftrag besser zu erfüllen. Die anderen vertreten dagegen die Ansicht, daß zwar das bestehende WGG den Aktionsradius der WBG einschränkt zugleich aber steuerliche und finanzielle Präferenzen schafft, die der Realisierung des Förderungsauftrages zu Gute kommen. Ein Fortbestand und eine sinnvolle Novellierung des WGG wird befürwortet, vorausgesetzt, daß hierdurch keine Strangulierung der WBG - z.B. durch ein umfassendes kommunales Belegungsrecht - erfolgt. Gegner und Anhänger der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen gehen von unterschiedlichen Prämissen aus und leiten hieraus negative oder positive Erwartungen ab. Im Rahmen der geplanten Steuerreform wird das WGG ersatzlos aufgegeben, die sogenannten "Vermietungsgenossenschaften" sollen weiterhin steuerfrei bleiben. Da der neue Begriff "Vermietungsgenossenschaften" noch nicht geklärt bzw. ausgefüllt ist, erscheint eine Beurteilung nicht möglich. Wenn z.B. hierunter verstanden werden sollte, daß der Bau und die Betreuung von Eigentumsmaßnahmen für Genossenschaftsmitglieder ausgeschlossen wird und wenn ferner unterstellt werden muß, daß die Hereinnahme von Spareinlagen künftig unzulässig sein sollte, dann ist zu vermuten, daß die meisten WBG sich für die volle Steuerpflicht entscheiden, um in einer Wettbewerbssituation unternehmerisch frei zu operieren.

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Die strukturellen Veränderungen auf den Wohnungsmärkten und die von der Politik bzw. Gesetzgebung zu erwartenden neuen Rahmenbedingungen lassen keine Prognose zu. Der Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen hat mit dem Positionspapier "Wohnen bei Genossenschaften" nicht nur eine Bestandsaufnahme für die Vergangenheit und Gegenwart vorgenommen, sondern auch zugleich gefragt, wie es weitergehen kann. In diesem Zusammenhang wird auch auf die genossenschaftliche Doppelnatur - Wirtschafts- und Sozialgebilde - verwiesen: Die betriebswirtschaftlichen Grundlagen sind wiederherzustellen bzw. zu sichern und die in der Massengesellschaft auftretende Vereinzelung ist zu überwinden; der genossenschaftliche Gedanke der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung und Selbstverwaltung wiederherzustellen. Das preiswerte und zeitlich unbegrenzte Dauernutzungsrecht in einer Genossenschaftswohnung ist durch den Nachbarschafts- und Solidaritätsgedanken zu ergänzen. Die strukturelle Wohnungsnot der Industrialisierung- und Verstädterungsphase sowie die aktuelle Wohnungsnot der Nachkriegszeit sind überwunden. Der Wettbewerb zwischen den Anbietern hat zugenommen, die technischen und betriebswirtschaftlichen Anforderungen sind an alle Wettbewerbe gestiegen. Dieses gilt auch für die WBG. Die von den "alternativen" Genossenschaften geforderten neuen Ansätze erscheinen in diesem Zusammenhang unrealistisch oder sogar utopisch; andererseits haben sie aber darauf aufmerksam gemacht, daß die sozialreformerische Komponente nicht zugunsten der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten vernachlässigt werden darf. Die WBG stehen vor der schwierigen Aufgabe, ohne das WGG eine sinnvolle Verbindung von Sozial- und Wirtschaftsgebilde zu erreichen und diese ständig an die sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Je nach dem subjektivem Standort wird man kritisieren, daß jeweils eines dieser Elemente überbetont bzw. vernachlässigt wird. Über das Wesen der WBG und seine Ausfüllung wird man noch in Zukunft streiten. Fußnoten: (1) Julius Brecht: Bauvereine, in: Handwörterbuch des Städtebaues, Wohnungsund Siedlungswesens, Stuttgart 1959, Bd. I, S. 245-246 (2) Julius Brecht: Wohnungsbaugenossenschaften, ebenda, Bd. III, S. 1666-1669 (3) K. Munding (Herausgeber): V.A. Hubers ausgewählte Schriften über Sozialreform und Genossenschaftswesen, Berlin 1894; Helmut W. Jenkis: Ursprung und Entwicklung der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, Schriftenreihe des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen, Bd. 24, BonnHamburg 1973, S. 48 ff., Heinzgeorg Stöcker: Die Entwicklungsphasen in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft unter dem Einfluß der Unternehmungsreform, Schriften des Instituts für Wohnungsrecht und Wohnungswirtschaft an der Universität zu Köln, Bd. 45, Bonn 1976, S. 67 ff. (4) Munding, S. 730, 731

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Helmut W. Jenkis: Ursprung und Entwicklung, S. 62 ff. Ebenda, S. 116 ff. Ebenda, S. 120 ff. Ebenda, S. 125 ff. Reichsverband des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens (Herausgeber): Jahrbuch des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens - Ein Leistungsbericht für das J a h r 1938, Berlin 1939, S. Helmut W. Jenkis: Ursprung und Entwicklung, S. 178 ff. Ebenda, S. 169 ff. Georg Draheim: Zur Ökonomisierung der Genossenschaften, Göttingen 1967 Helmut W. Jenkis: Ursprung und Entwicklung, S. 164 ff. Hauptverband deutscher Wohnungsunternehmen (Herausgeber): Deutscher Bauvereinskalender 1935, Berlin, S. 238 Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen (Herausgeber): Wohnungswirtschaftliches Jahrbuch 1987/88, Hamburg 1987, S. 35 Wohnungswirtschaftliches Jahrbuch 1987/88, S. 136 f. Helmut W. Jenkis: Größe und Größenstruktur gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Schriftenreihe des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen, Bd. 20, Bonn-Hamburg 1970 Ebenda, S. 58 ff. Rainer Schmecht: Strukturwandlungen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft - dargestellt an der Entwicklung der dem Verband rheinischer Wohnungsunternehmen angeschlossenen Mitgliedsunternehmen, Schriften des Instituts für Wohnungsrecht und Wohnungswirtschaft an der Universität zu Köln, Bd. 44, Bonn 1976, insbesondere S. 76 ff. Helmut W. Jenkis: Größe und Größenstruktur, S. 244 ff; Rainer Schmecht: Strukturwandlungen S. 386 ff. Wohnungswirtschaftliches Jahrbuch 1987/88, S. 158 Dieter Häring: Zur Geschichte und Wirkung staatlicher Intervention im Wohnungssektor, Hamburg 1974; Ulrich Blumenroth: Deutsche Wohnungspolitik seit der Reichsgründung - Darstellung und kritische Würdigung, Beiträge zum Siedlungs- und Wohnungswesen und zur Raumplanung, Bd. 25, Münster 1975 Willi Baumgarten: Baugenossenschaften, in: Handwörterbuch des Wohnungswesens, Jena 1930, S. 49-56 Helmut W. Jenkis: Größe und Größenstruktur, S. 88 ff.; S. 178 ff. Helmut W. Jenkis: Genossenschaftlicher Förderungsauftrag und Wohnungsgemeinnützigkeit - ein Widerspruch? - Eine Prämissenkritik, Hamburg 1986 Bernhard Großfeld: Gutachten zu verfassungsrechtlichen Problemen im Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts im Wohnungswesen im Hinblick auf die Wohnungsbaugenossenschaften, in: Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen (Herausgeber): Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Änderung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts - Gutachten und Materialien, Köln 1982, S. 11-69; Paul Kirchhof: Die verfassungsrechtlich gesicherte Autonomie von Wohnungsgenossenschaften, Schriften zur Kooperationsforschung, Studium, Bd. 20, Tübingen 1985

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(27) Bundesminister der Finanzen (Herausgeber): Gutachten der Unabhängigen Kommission zur Prüfung der steuerlichen Regelungen für gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 35, Bonn, August 1985 (28) Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen: Erste Stellungnahme zum Gutachten der Unabhängigen Kommission zur Prüfung der steuerlichen Regelungen für gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsunternehmen, Materialien, Heft 14, Köln, November 1985 (29) Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen (Herausgeber): Tag der Deutschen Wohnungsbaugenossenschaften Wiesbaden 1984 - Eine Dokumentation, Schriftenreihe, Heft 22, Köln 1985 (30) Klaus Novy/Günther Uhlig: Baugenossenschaften zwischen Tradition und Aufbruch, in: Bauwelt, Heft 36 (1982), S. 266-267; Uli Hellwig/Christel Neusüß: "Vergenossenschaftlichung" des Wohnungsbestandes?, ebenda, S. 299-301; Klaus Novy: Die "überforderte Wohnungsbaugenossenschaft", ebenda, S. 302304 (31) Gerhard Jeschke: Neugründungen von Wohnungsbaugenossenschaften, in: Gemeinnütziges Wohnungswesen, Heft 10 (1986), S. 556-569 (32) Wolfgang Pelzl: Die Gründung von Mietergenossenschaften zur Erhaltung von sozialem Wohnraum, Veröffentlichungen des Forschungsinstitutes für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg, Bd. 25, Nürnberg 1987 (33) Ebenda, S. 90 (34) Herbert Marcuse: Der eindimensionale Mensch, Sammlung Luchterhand, 13. Aufl., Darmstadt-Neuwied 1979, S. 24 (35) Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V. (Herausgeber): Wir helfen uns selbst - Gründungshilfen für neue Genossenschaften, Darmstadt 1987 (36) Ebenda, S. 16 f. (37) Ebenda, S. 65 ff. (38) Siehe hierzu Hans-Jochen Dohne: Zukunftsaussichten der Wohnungsbaugenossenschaften - Bestimmungsgründe für die Wettbewerbsfähigkeit auf den Wohnungsmärkten der BRD, Marburger Schriften zum Genossenschaftswesen, Reihe A, Bd. 41, Marburg/Lahn 1973 (39) Gerhard Jeschke: Mitglieder und Organisation von Wohnungsbaugenossenschaften - Eine empirische Untersuchung, herausgegeben vom Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen, Schriftenreihe, Heft 20, Hamburg 1984; Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen: Wohnen bei Genossenschaften, Köln 1987

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4.6.2.

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Im Sozialismus Jerzy Kleer

In fast allen sozialistischen Staaten existieren gegenwärtig Wohnungsbaugenossenschaften, die sich in den einzelnen Ländern durch die Zahl der gebauten Wohnungen, durch ihre regionalen Tätigkeitsbereiche (Stadt, Land) sowie durch ihre Organisationsstrukturen unterscheiden. Das Auftreten der Wohnungsbaugenossenschaften ist - wie etwa das der landwirtschaftlichen und das der Konsumgenossenschaften - aus folgenden Gründen sehr unterschiedlich: -

Es gab nicht in allen sozialistischen Ländern eine lange und bewährte Tradition des genossenschaftlichen Wohnungsbaus, um in der Anfangsphase (40er Jahre) der sozialistischen Wohnungsbaugenossenschaften an diese anknüpfen zu können. - Im klassischen zentralistisch-imperativen Modell (gültig bis in die 50er und 60er Jahre) war aus doktrinären und aus ökonomischen Gründen eine Existenz für Wohnungsbaugenossenschaften nicht vorgesehen. Die Wohnimg wurde als ein Gut mit langfristiger Nutzung, d.h. mit einer langen Lebensdauer definiert. Ausgehend von der Doktrin wollte man nicht Wohnungsbaugenossenschaften gründen, um sie später zu verstaatlichen. Außerdem stand in diesem Modell der Zusammenhang zwischen dem Wohnungsbau und dem Industrialisierungsprozeß im Vordergrund. Neue Wohnungen sollten zunächst der Industriealisierung dienen, d.h. der staatliche Wohnungsbau und der Bau von Betriebswohnungen für staatliche Unternehmen wurden forciert, während der genossenschaftliche Wohnungsbau stagnierte (z.B. in der Tschechoslowakei und in Polen) (1) und der private Wohnungsbau - außer in ländlichen Gebieten - praktisch völlig zum Erliegen kam. Zu einer grundsätzlichen Änderungen dieser Situation kam es in den 60er Jahren, als das Wohnungsbauvolumen viel kleiner als erwartet und geplant ausfiel und das Modell des staatlichen Wohnungsbaus seine Ziele nicht erfüllen konnte (es war sehr kostenintensiv). Man begann, Barmittel der Bevölkerung für den genossenschaftlichen und privaten Wohnungsbau heranzuziehen. In den sozialistischen Ländern wurden verschiedene genossenschaftliche Lösungsansätze angewandt, die sich sowohl in ihrer Organisationsform, im Ausmaß der Bauvolumen und in den Finanzierungsarten unterschieden. Drei Umstände waren dafür verantwortlich: -

Die im jeweiligen Land vorhandene Tradition genossenschaftlichen Wohnungsbaus, - die Nachfrage nach neuen Wohnungen, und - die Geschwindigkeit, mit der das zentralisierte Modell überwunden wurde.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

655

Die Steigerung des genossenschaftlichen Anteils an der Errichtung neuer Wohnungen in einigen Ländern (Tschechoslowakei, DDR, Polen) bedeutete aber keineswegs, daß der Staat auf seinen Einfluß auf die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Genossenschaften verzichtete. Es gab drei Formen staatlicher Eingriffe: -

Förderung der Finanzierung des Wohnungsbaus (2) durch Subventionen und staatliche Kredite, die je nach Land zwischen 50 bis 80 % der gesamten Baukosten betragen. Die Gelder wurden an die Genossenschaften vergeben und erst diese gaben sie an die Mitglieder weiter. Die Verzinsung war sehr niedrig (zwischen 1 und 2 % per anno) und lag weit unter dem Anleihenzinssatz.. Bei vorzeitiger Rückzahlung der Kredite waren Vergünstigungen vorgesehen, nach einer bestimmten Frist konnte der Rest der Schuld vollkommen getilgt werden. Schließlich wurden die Bauparzellen kostenlos oder zu einem sehr niedrigen Preis vergeben.

-

große Bauvorhaben des genossenschaftlichen Wohnungsbaus wurden in den Zentralplan eingebunden. Bei einer geringen Beteiligung der Genossenschaften am Wohnungsbau wurden diese in den lokalen Plänen erfaßt. In beiden Fällen wurde die Zahl der genossenschaftlichen Wohnungsbauten durch Zuteilung von Baumaterialien und Einteilung von Bauunternehmen im jeweiligen Plan fixiert. - staatliche Verteilungskriterien für Neubauwohnungen. Am radikalsten wurde in Polen vorgegangen. In den 70er Jahren wurden zwei Drittel bis neun Zehntel der Wohnungen in Mehrfamilienhäusern von den Genossenschaften gebaut, während der Staat die Aufteilung dieser Wohnungen zwischen den Mitgliedern, den öffentlichen Unternehmen und den örtlichen Behörden übernahm (in den 50er Jahren war der kommunale Wohnungsbau abgeschafft worden). Wir können die sozialistischen Länder nach ihren genossenschaftlichen Anteilen am gesamtem Wohnungsbau wie folgt einteilen: -

Einen hohen Anteil finden wir in der Tschechoslowakei (fast 50 % im Jahr 1965, 35 bis 40 % in den 80er Jahren), in der DDR (in der Mitte der 70er Jahre etwa 50 % des Wohnungsbauprogramms) und in Polen (1965 19 %, 1980 56 % und 1987 46 %). - Die zweite Gruppe bilden Ungarn und die Sowjetunion. In beiden Staaten schwankte der Anteil des genossenschaftlichen Wohnbaus je nach Periode zwischen 5 und 15 %. Zwischen diesen Ländern gibt es aber wesentliche Unterschiede. Während in Ungarn der genossenschaftliche Wohnungsbau hauptsächlich in den Städten realisiert wurde, konzentrierte er sich in der Sowjetunion in den Dörfern. - In Bulgarien und Jugoslawien ändert sich der genossenschaftliche Anteil von Periode zu Periode. Es gibt dort überwiegend Genossenschaften, die Einfamilienhäuser bauen und sich nach deren Fertigstellung wieder auflösen.

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Es gibt vier Typen von Genossenschafts Wohnungen: -

Zwei Typen fallen in die Kategorie Mehrfamilienhäuser. Hier finden wir die sogenannten Mieterwohnungen, die im Eigentum der Genossenschaft verbleiben und von den Mitgliedern nur genutzt werden. Weiters gibt es die sogenannten genossenschaftlichen Eigentumswohnungen. Sie befinden sich im Eigentum der Mitglieder und können auch unter Berücksichtigung des Vorkaufsrechtes der Genossenschaft von diesen weiterverkauft werden. Die genossenschaftlichen Eigentumswohnungen sind teuer und können auch weitervererbt werden; die Wohnflächennormen werden nicht strikt eingehalten.

-

Zwei weitere Typen finden sich im Einfamilienhausbau. Der erste Typ sind Einfamilienhäuser-Genossenschaften, die auch nach Fertigstellung der Häuser als Genossenschaften weitergeführt werden. Im zweiten Fall werden die Genossenschaften nach Abschluß der Bauarbeiten aufgelöst.

Das Auftreten dieser Typen ist in den einzelnen Ländern verschieden. Es hängt vor allem von der Höhe des genossenschaftlichen Anteils am gesamten Wohnungsbau ab. In Ländern mit hohem genossenschaftlichen Anteil sind zum größten Teil Mehrfamilienhäuser verteten, unter denen wiederum genossenschaftliche Mietwohnungen dominieren. Dagegen ist in Ländern mit niedrigem Anteil die Eigentumswohnung in der Form von Mehrfamilien- und Einfamilienhäusern dominant. Genossenschaftliche Wohnungsbauten sind stark in den Städten und in einem geringeren Ausmaß in den ländlichen Regionen vertreten. Die bisherigen Erfahrungen des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in den sozialistischen Ländern lassen sich folgendermaßen charakterisieren: Das Abrücken von der Vorherrschaft der staatlichen Formen des Wohnungsbaus fand in den einzelnen Ländern in verschiedenen Perioden statt. Die Baugenossenschaften wurden weitgehend zu einem Substitut des staatlichen, aber auch des privaten Wohnungsbaus. Der private Wohnungsbau war mehr im ländlichen Bereich vertreten und war sogar in jenen Perioden vorhanden, in denen es in den übrigen Wirtschaftsräumen überhaupt keinen privaten Sektor gab. Welche Zukunftsperspektiven haben die Baugenossenschaften? In jenen Ländern, in denen ihr Anteil groß ist, werden sie auch in Zukunft ihre Position trotz einiger Größenverschiebungen (die Zahl der kleinen Genossenschaften wird zuungunsten der großen steigen; beispielsweise ist in Polen von 1980 bis 1987 die Zahl der Genossenschaften von 1174 auf 3 056 gestiegen, während die Zahl der Mitglieder nur um 36 % gewachsen ist) halten können. Aber auch Länder mit geringem genossenschaftlichen Anteil am Wohnungsbaus wird dieser aufgrund einer unzureichenden Wohnungsversorgung in allen sozialistischen Ländern steigen. Die staatliche Förderung der Wohnungsbaufinanzierung wird wegen zu erwartender hoher Kostensteigerun-

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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gen absinken. Die sich abzeichnende Individualisierung des Lebens der Haushalte wird Bedingungen für eine wachsende Bedeutung eines nichtstaatlichen Wohnungsbaus schaffen. Fußnoten:

(1) vgl. M. Digby: Co-operative Housing, The Plunkett Foundations for Co-operative Studies, Oxford 1978, S. 137 und 213 (2) vgl. The Co-operative Movement's Contribution to Social Progress in Czechoslovakia, op.cit.,S. 269; Information. Verband der Konsumgenossenschaften der DDR, Berlin 1977, S. 7; M. Digby: Co-operative Housing, op.cit. S. 140, 177, 214 und 215 Literatur: Digby. M.: Co-operative Housing, Oxford 1978 The Co-operative Movement's Contribution to Social Progress in Czechoslovakia, Praha 1980 The Hungarian Co-operative Movement, Budapest 1987 Kleer, J..: Zasady funkcjonowania sektora spôldzielczego, "Spöldzielczy Kwartalnik Naukowy", 3/1987

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4.6.3.

4. Kapitel: Die Stellung

von

Genossenschaften

In Entwicklungsländern Dieter Baldeaux

A. Allgemeiner Uberblick - Die Rolle von Genossenschaften in Entwicklungsländern Genossenschaften spielen in Entwicklungsländern eine andere Rolle als in den westlichen Industrieländern und den sozialistischen Ländern. Einer der Hauptunterschiede ist der höhere staatliche Einfluß bei der Gründung und der Arbeit von Genossenschaften. In den Verfassungen vieler, wenn nicht in den meisten Entwicklungsländern werden Genossenschaften genannt. In der Verfassung von Peru heißt es zum Beispiel: "Der Staat unterstützt eine freie Entwicklung und die Unabhängigkeit von Genossenschaften". In den meisten Ländern existiert eine spezielle, umfassende genossenschaftliche Gesetzgebung. Aufgaben wie Förderung, Ausbildung und Beratung erscheinen in der Gesetzgebung oft als "temporäre" staatliche Aufgaben, die sobald als möglich an die genossenschaftlichen Organisationen übertragen werden sollen. In vielen Entwicklungsländern erhalten Genossenschaften ökonomische, in der Regel steuerliche Vorteile und andere Vergünstigungen. In Ägypten z.B. haben Genossenschaften das Recht zur zollfreien Einfuhr von Betriebsanlagen, auf einen 5%igen Rabatt bei Waren, die von staatlichen Unternehmen geliefert werden, auf einen 10%igen Rabatt bei Strompreisen und auf eine Befreiung von der lokalen Steuer. Alles in allem werden Genossenschaften in den meisten Entwicklungsländern als ein Instrument der Entwicklung gesehen. Nigerias 4. Fünfjahresplan stellt fest: "Die Nutzung des genossenschaftlichen Systems als ein Instrument der sozialen und ökonomischen Entwicklung ist die Hauptaufgabe der Regierungspolitik in bezug auf Genossenschaften". Diese Haltung ist sowohl in den Ländern vorherrschend, die dem kapitalistischen System folgen, als auch in den sozialistisch-orientierten Ländern. Genossenschaften sind zu unterschiedlichen Aufgaben herangezogen worden: Zur Verteilung landwirtschaftlicher Kredite, zur Vermarktimg landwirtschaftlicher Produkte, zur Bereitstellung von Dienstleistungen an benachteiligte Gruppen, zur Übernahme unrentabler Unternehmen, zur Neuverteilung von Land und zur Verteilung von Gütern des Grundbedarfs. Das Ergebnis dieser "Benutzung" ist häufig ein Mangel an Mitgliederpartizipation und an aktiver Mitarbeit, beides eine fundamentale Voraussetzung für eine erfolgreiche genossenschaftliche Entwicklung. Diese Mängel haben zu zahlreichen Zusammenbrüchen geführt. Als Konsequenz daraus besteht bei vielen Entwicklungsexperten das Gefühl, daß Genossenschaften grundsätzlich als Instrumente sozialer und ökonomischer Entwicklung versagt haben. Demgegenüber meint Murray Silbermann, Genossenschaftsexperte bei den Vereinten Nationen: "Nur wenige der gescheiterten Organisationen können als "echte" Genossenschaften bezeichnet werden, wenn man sie an den genossen-

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

659

schaftlichen Prinzipien mißt, wie sie etwa vom Internationalen Genossenschaftsbund aufgestellt worden sind. Die formale Anerkennung dieser Prinzipien allein kann zwar den Erfolg genossenschaftlicher Arbeit noch nicht sichern; die Nichtbeachtung dieser lang bestehenden Grundsätze führt jedoch fast immer zum Zusammenbruch genossenschaftlicher Unternehmen". In den Entwicklungsländern herrschen zwei Typen von Genossenschaften vor: Landwirtschaft und Finanzen. Wegen der noch überwiegend ländlichen Gesellschaftsstrukturen in Asien und Afrika dominieren hier die Genossenschaften im ländlichen Raum. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich in Lateinamerika Kreditgenossenschaften im städtischen Raum und gewinnen Wohnungsbau- und Dienstleistungsgenossenschaften an Bedeutung. Trotz der vielen und schwerwiegenden Vorbehalten über Fehlschläge haben Genossenschaften in Entwicklungsländern viele Erfolge aufzuweisen. Der sog. "Anand"-Ansatz genossenschaftlicher Entwicklung in Indien, der im Milchwirtschaftssektor begann und sich jetzt auf andere Lebensmittelbereiche ausdehnt, zeigt den Erfolg, der durch solides Management, vertikale Integration und angepaßte externe Hilfe erreicht werden kann. In Nigeria haben Genossenschaften erfolgreich das Palmöl propagiert. In Nicaragua haben Genossenschaften im Bereich Land- und Kreditverteilung sowie technische Unterstützung eine Reihe von Aktivitäten entwickelt, die ohne Genossenschaftsprogramme nicht so weit hätten gefeihen können. In Guatemala hat das Genossenschaftssystem durch die Bereitstellung von Krediten für Produktionsprogramme einen wichtigen Beitrag zur ländlichen Entwicklung geleistet. Eine besondere Form der genossenschaftlichen Bewegung in Entwicklungsländern ist die große und immer noch wachsende Zahl von informellen oder "Vor-Genossenschaften". Einige sind als eine Reaktion gegen erfolglose, regierungsunterstützte Genossenschaften entstanden, wie im Falle Zambia und Zimbabwe. Im francophonen Afrika dagegen bestehen eine große Zahl von informellen Selbsthilfegruppen, die aus traditionellen Selbsthilfeformen entstanden sind. Viele dieser "Vor-Genossenschaften" haben aktive Unterstützung von nicht-staatlichen Organisationen erhalten, aber auch im Rahmen der genossenschaftlichen Entwicklungsprogramme der großen FAO und ILO. In vielen, aber nicht in allen Ländern, wird erwartet, daß die informellen Gruppen Teil des "formalen" Genossenschaftssystems werden, sobald die Bewegung einen höheren Entwicklungsstand erreicht hat und die Rolle der Regierung reduziert worden ist.

B. Wohnungsbaugenossenschaften Wohnungsbaugenossenschaften haben bisher in Entwicklungsländern nur eine geringe Wirkung erzielt und haben dort nicht die Erfolge aufzuweisen, die sie anderswo, insbesondere in den sozialistischen Ländern, vorzeigen können. Möglicherweise, weil dieser Sektor weniger externe Hilfe oder weil dem Wohnungswesen im Entwicklungsbereich keine hohe Priorität zugewiesen

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4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

wird, haben Wohnungsbaugenossenschaften in der städtischen Entwicklung keine große Rolle gespielt. Ihre Wirkung war in Lateinamerika größer als Afrika oder Asien, sicherlich vor allem wegen des höheren Urbanisierungsgrades. Da die durch die wachsende Urbanisierung für die Entwicklungsländer entstehenden Probleme ständig größer werden, ist der genossenschaftliche Wohnungsbau offensichtlich ein Sektor mit großem Potential. Entsprechend den lokalen Bedürfnissen sind viele unterschiedliche Formen genossenschaftlichen Wohnungsbaus entstanden. So gibt es z.B. -

-

Genossenschaften mit einer sehr engen Zielsetzung, gegründet, um für die Mitglieder bestimmte Dienstleistungen zu erfüllen, wie z.B. den Erwerb von Bauland oder die Verbesserung einer bestehenden Squattersiedlung; Eigentumsgenossenschaften, in denen die Genossenschaft Haus- und Grundeigentümer ist und die Mitgliederanteile dem Wert der Wohnung und dem Anteil an dem gemeinsamen Eigentum entsprechen; Eigentümergenossenschaften, in denen die Mitglieder Eigentümer der Wohnung, die Genossenschaften Eigentümer des Bodens und der gemeinschaftlich genutzten Gebäude sind.

Da alle diese Formen des genossenschaftlichen Wohnungsbaus gewöhnlich der Initiative und Hilfe einer Förderungsorganisation bedürfen, wenden sich Genossenschaften, nicht-staatliche Organisationen und Regierungsstellen mehr und mehr der Einrichtung von technischen Dienstleistungsorganisationen zu, um die notwendigen technischen, finanziellen und beratenden Dienstleistungen bereitzustellen. C. Die Rolle von Wohnungsbaugenossenschaften in Indien In der derzeit herrschenden sozialen Situation Indiens kann die Aufgabe der Förderung des sozialen Wohnungsbaus nicht gewinnorientierten privaten Investoren überlassen bleiben. Die von der Regierung unternommenen Versuche, Häuser für arme Bevölkerungsschichten durch staatliche Institutionen zu bauen, haben weder die angestrebten Ziele erreicht, noch haben sie wegen der schlechten Qualität und hohen Gemeinkosten die Nutznießer befriedigt. Es wird deshalb ein institutioneller Rahmen benötigt, der Massenwohnungsbau ermöglicht, aber die Nutznießer einbezieht. Dieses kann am besten auf genossenschaftlicher Basis erfolgen. Wohnungsbaugenossenschaften bauen nicht nur Häuser auf gemeinschaftlicher Basis, sie schaffen auch eine angemessene Umwelt, die die Lebensqualität erhöht. Das gesamte Leben in einer Wohnungsbaugenossenschaft basiert auf gemeinsamer Verwaltung und gemeinsamer Beteiligung. Die Genossenschaft sorgt für Selbstverwaltung, aber auch für die Gemeinschaftseinrichtungen. Hierzu gehören Geschäfte, Wäschereien und das Angebot von sozialen und kulturellen Dienstleistungen, wie Kindergärten, Schulen, Spielplätze, Erholungsräume, Fortbildungsgruppen, Jugendclubs etc.

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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Wohnungsbaugenossenschaften beschränken ihre Aktivitäten nicht auf die reine Bereitstellung von besseren Häusern; sie wollen ein neues soziales Leben aufbauen, basierend auf geteilter Verantwortung und geteiltem Nutzen. Sie verbessern die Umwelt durch Baumpflanzungen und die Anlage von Gärten. Wohnungsbaugenossenschaften können und sind in der Lage, die folgenden Hauptziele der indischen nationalen Wohnungspolitik zu erreichen: -

Menschen motivieren, durch freiwillige und gemeinsame Methoden Häuser zu bauen; - die Umwelt menschlicher Siedlungen verbessern, zur Erhöhung der Lebensqualität durch die Bereitstellung von Trinkwasser, Sanitäreinrichtungen und anderen grundlegenden Dienstleistungen; - die Ökologie der Umgebung verbessern. Zusätzlich können solche Genossenschaften auch einige ökonomische Aktivitäten starten, wie die Einrichtung von Genossenschaftsläden oder Werkstätten. Wegen der Bedeutung, die Wohnungsbaugenossenschaften von seiten der Regierung beigemessen wird, sind für sie in der nationalen Wohnungspolitik folgende Unterstützungen vorgesehen: -

Bereitstellung von Bauland; Bereitstellung von Finanzierungsmodellen, die auch den Rückzahlungsmöglichkeiten von Gruppen des informellen Sektors genügen; - Versorgung mit Baumaterial zu kontrollierten Preisen und technische Beratung in Niedrigkosten-Technologien; sowie - Schaffung des gesetzlichen Rahmens für Niedrigeinkommensgruppen. Dies würde auch die Lockerung bzw. Herabsetzung der Baustandards bedeuten.

Wohnungsbaugenossenschaften existieren in Indien seit dem Jahre 1909. Heute zählt man 41.000 Wohnungsbaugenossenschaften mit insgesamt rund 3,1 Millionen Mitgliedern. Die Wohnungsbaugenossenschaften haben bisher rund 700.000 Wohnungen gebaut, etwa gleichviel sind zurZeit im Bau bzw. in der Planung. Jedes Jahr werden etwa 1.000 neue Wohnungsbaugenossenschaften gegründet und etwa 100.000 Menschen treten ihnen als Mitglieder bei. Die gesamte Bewegung der genossenschaftlichen Wohnungsbaufinanzierung wird durch ein System von sog. "Spitzengenossenschaftlichen Wohnungsbaufinanzierungsgesellschaften" geführt, das in 24 Bundesstaaten bzw. Bundesterritorien fungiert. Die gesamte Kreditsumme, die bisher von diesen Spitzengesellschaften vergeben wurde, beläuft sich auf umgerechnet rund 2 Milliarden DM. Gegenwärtig vergeben die Spitzengesellschaften jährlich Kredite in Höhe von rund 200 Millionen DM. Da diese Kredite in der Regel 50 Prozent der Baufinanzierung ausmachen - die anderen 50 Prozent steuern

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4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

die jeweiligen Bauherren als Eigenmittel bei - hat die Genossenschaftsbewegung bisher etwa umgerechnet 4 Milliarden DM in den Wohnungsbau investiert und investiert jetzt jedes Jahr rund 400 Millionen DM. Die Spitzengesellschaften, die die von ihnen vergebenen Kredite von der Lebensversicherungsgesellschaft oder anderen Finanzierungsinstitutionen beziehen, sind mit ihren Rückzahlungen bisher noch nie in Verzug geraten. Sie sind damit bezüglich ihrer zahlungspflichtigen Klienten effizienter als staatliche und halbstaatliche Stellen. Als Ursache hierfür wird die Partizipation der Genossenschaftsmitglieder angesehen. Die hohe Rückzahlungsmoral ist umso bemerkenswerter, als eine neue Studie ergeben hat, daß die Wohnungsbaufmanzierungsgesellschaften Wohnungsbaugenossenschaften in folgendem Verhältnis finanziert haben: Niedrige Einkommensschicht Mittlere Einkommensschicht Höhere Einkommensschicht

59 Prozent 38 Prozent 3 Prozent

So sind die meisten Mittel der Spitzengesellschaften in den Wohnungsbau für niedrige Einkommensschichten geflossen. In Maharashtra, wo - nach offiziellen Angaben - in den Städten mit mehr als 1 Million Einwohner ungefähr 6 Millionen Menschen in Slums leben, soll eine Verbesserung deren Wohnsituation dadurch erreicht werden, daß den von den Slumbewohnern gegründeten Genossenschaften Land auf Pachtbasis zur Verfügung gestellt wird. Die Genossenschaften werden ermutigt, die Häuser entsprechend den Möglichkeiten der Mitglieder zu sanieren und zu renovieren. Die dafür notwendigen Kredite hat die indische Regierung im Rahmen der Entwicklungshilfe erhalten. Die Baukosten liegen bei Wohnungsbaugenossenschaften erheblich unter denen privater Investoren, und das nicht nur, weil sie Bauland, Beratungsleistungen und Baumaterial zu einem günstigeren Preis erhalten. Bei Wohnungsbaugenossenschaften können wegen der Mitwirkung der Mitglieder von der Registrierung der Genossenschaft über die Fertigstellung des Projektes bis zur Verwaltung der Gemeinschaftseinrichtungen die Gemeinkosten niedrig gehalten werden. Wie bereits erwähnt, hat die Wohnungsbaugenossenschaftsbewegung bisher rund 700.000 Wohnungen gebaut, ebenso viele befinden sich in der Bauoder Planungsphase. Das bedeutet, daß rund 1,7 Millionen Genossenschaftsmitglieder auf der Warteliste der Genossenschaften steht. Hinzu kommen die etwa 100.000 Personen oder Familien, die jedes Jahr als neue Mitglieder bei Genossenschaften aufgenommen werden. Selbst wenn für jede zu bauende Wohnung nur ein Kredit von umgerechnet 2.500 DM - das entspricht etwa dem Kreditrahmen für eine Wohnung im Bereich mittlerer Einkommensschicht - bereitgestellt werden müßte, bedeutet dies einen unmittelbaren Kreditbedarf von umgerechnet 4,25 Milliarden DM

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

663

und jährlich 250 Millionen DM für die neueintretenden Mitglieder. Wohnungsbaugenossenschaften könnten somit - wenn verfügbar - Kredite in erheblichem Umfange absorbieren. In jüngster Zeit sind Wohnungsbaugenossenschaften auch im ländlichen Bereich aktiv geworden. Hier herrscht akute Wohnungsnot, insbesondere unter den armen Bevölkerungsschichten. Aus diesem Grunde haben Spitzengesellschaften in Assan, Manipur, Haryana, Jammu & Kashmir, Maharashtra, Meghalaya, Rajasthan, Tamil Nadu und Punjab ländliche genossenschaftliche Wohnungsbauprogramme initiiert. Derzeit arbeiten in ländlichen Gebieten etwa 1.000 Wohnungsbaugenossenschaften. Die 1988 von der Regierung verkündete Nationale Wohnungspolitik betont die wichtige Rolle von Genossenschaften. Die Nationale Kommission für Urbanisierung hat deshalb empfohlen, daß die staatlichen Behörden 50 Prozent der Baugrundstücke zwischen 100 und 200 m 2 an Genossenschaften vergeben und nicht an Individuen. Sollten sich Genossenschaftsmitglieder entschließen, ihre Grundstücke zusammenzulegen und darauf mehrgeschossige Häuser zu errichten, sollten sie dies tun können, wenn sich die Zahl der Wohnungen nicht ändert. Die Kommission hat empfohlen, daß -

für niedrige und mittlere Einkommensschichten den Wohnungsbaugenossenschaften erschlossene Grundstücke zur Verfügung gestellt werden sollen und der Zugang zu Krediten erleichtert werden soll; - die Rolle der Genossenschaften im Wohnungsbau vergrößert werden muß, damit sie unterschiedliche Einkommensschichten, insbesondere arme Bevölkerungsschichten erreichen; - die politischen Strategien genossenschaftlichen und Selbsthilfewohnungsbau fördern müssen. Der Planungskommission der indischen Regierung ist dringend empfohlen worden, umgerechnet rund 3 Milliarden DM an Krediten in den nächsten vier Jahren den Wohnungsbaugenossenschaften bereitzustellen. Die Wohnungsbaugenossenschaften würden dann noch einmal den gleichen Betrag aufbringen und dadurch in der Lage sein, in diesem Zeitraum rund 1 Million Wohnungen zu bauen. Nach offiziellen Angaben müßten in Indien 20 Millionen Wohnungen gebaut werden, um den derzeitigen Wohnungsbedarf zu decken, 15 Millionen in ländlichen und 5 Millionen in städtischen Gebieten. Zusätzlich müßten jährlich 5 Millionen Wohnungen gebaut werden, um mit dem Bevölkerungswachstum Schritt zu halten. Indien ist, außerhalb des Bereichs der sozialistischen Länder - das Land mit den meisten Wohnungsbaugenossenschaften, mit den höchsten Mitgliederzahlen. Es ist sicherlich auch das Land mit den meisten Aufgaben für Wohnungsbaugenossenschaften und ein Prüfstein, ob Wohnungsbaugenossenschaften in Entwicklungsländern ähnlich erfolgreich arbeiten können wie in westlichen Industrie- und sozialistischen Ländern.

664

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

4.7.

Die Produktivgenossenschaften

4.7.1.

In d e r Marktwirtschaft Werner Wilhelm

Engelhardt

A. Begriff Produktivgenossenschaften wurden im Deutschen früher auch Vollgenossenschaften oder Vollproduktivgenossenschaften genannt. Heute spricht man oft von Selbstverwaltungsbetrieben oder auch - in Anknüpfung an ältere Traditionen - von Arbeiterselbsthilfeunternehmen. Gemeint sind in jedem Falle solche Kooperativen, deren Mitglieder (Bauern, Fischer, Handwerker, Arbeiter, Dienstleistungsberufe usw.) meist freiwillig (bei Zwang spricht Dülfer von "Produktions-Kollektiven", wie den Kolchosen, Volkskommunen usw.) zahlenmäßig kleine oder größere Gruppen bilden und vor allem kooperative Organbetriebe unterhalten, an deren Kapital und Leitung sie in demokratischer Weise voll partizipieren, in denen sie auch alle ausführende Arbeit verrichten (sollen) und deren Ergebnisse die Grundlagen f ü r gemeinsame selbständige Existenzen (Unternehmen, Einzelwirtschaften), darüber hinaus zum Teil auch für ein gemeinsames Leben in kooperativen Haushalten legen. Als zentral und einprägsam gilt für diese Kooperativen - sie sind von bloßen Selbsthilfegruppen zu unterscheiden - der die Identität von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerfunktionen betonende Grundsatz, daß jeder Beschäftigte Teilhaber und jeder Teilhaber beschäftigt ist (Gide). Auf diese Weise wird das Fehlen "bloßer" Lohnarbeiter - das de facto allerdings selten vorliegt - und die hohe Einschätzung der Arbeit zum Ausdruck gebracht. Morphologisch genauere, am "institutionellen Sinn" (Weisser) solcher Einzelwirtschaften bzw. Organisationen orientierte Definitionen stellen nicht nur auf die beabsichtigte Wirtschaftsdemokratie, die gemeinsam erstrebte Selbständigkeit bzw. Autonomie im Wirtschaftsleben, neue Arbeitsinhalte und ökonomische Versorgungsziele ab. Sie beziehen sich auch auf außerökonomische und ökonomische Gruppenziele wie Gerechtigkeit, Gemeinschaft und Beschäftigung. "Produktives" Wirtschaften läßt sich in dieser Sicht zumindest in Industriegesellschaften letztlich nur bei Anerkennung von Formen gemeinsamer Verantwortung realisieren. Nach solchen Definitionen gelten Gruppenziele, die dies erkennen, gerade auch für Marktwirtschaften mit dominierend erwerbswirtschaftlichen Unternehmen bzw. Betrieben als wichtig. Sie sind und bleiben hier aber auch möglich, sofern in ihnen wie üblich gemischte Wirtschaftsordnungen mit erwerbswirtschaftlichen, öffentlichen und kooperativen Unternehmen realisiert werden. Zwecks Abgrenzung von den Erwerbswirtschaften ist daraufhinzuweisen, daß Produktivgenossenschaften schon von den freilich mehr oder weniger

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

665

genossenschaftsähnlichen bzw. -kongruenten (Hettlage) Partnerschaftsformen zur Eigentums-, Leitungs-, Gewinn- und Vermögenspartizipation unterschieden werden können. Im Genossenschaftsbereich sind sie von den Förderungsgenossenschaften - auch Ergänzungs-, Hilfs- oder Teilproduktivgenossenschaften genannt - im allgemeinen und speziell von den Arbeits-, Produktions- (Molkerei-, Betriebs-, Werk-), Mehrprodukt- (Universal-) und Produktionsförderungsgenossenschaften (O. Schiller 1904) sowie von einem Teil der Eigenproduktionsbetriebe der Konsumgenossenschaften abzuheben. Während alle diese Kooperativen prinzipiell unabhängig bleibende Mitgliederwirtschaften und deren Mitglieder lediglich zu unterstützen suchen - unabhängig davon, welcher "Strukturtyp" (Dülfer) und welcher "Widmungstyp" (Engelhardt) im konkreten Falle vorliegt - geht es in Produktivgenossenschaften nicht nur um ergänzende Förderung, sondern um Begründung gemeinsamen Erwerbs oder gemeinsamer Versorgung (Albrecht 1965). B. Arten Die angeführten Definitionen können bei der Identifizierung von Erscheinungsformen (Arten, Typen) von Produktivgenossenschaften helfen. Von diesen Formen interessieren hier des weiteren vor allem solche der Industrieländer mit marktwirtschaftlicher Verfassung und von diesen - gegliedert nach dem hauptsächlichen Gegenstand der Produktion - primär solche der Handwerker, Industriearbeiter und Dienstleistungsberufe. Hingegen werden die Produktivgenossenschaften der Bauern bzw. Landwirte, der landwirtschaftlichen Arbeiter, Fischer usw. - hauptsächlich in einem anderen Artikel behandelt. Nach der Entstehung von Produktivgenossenschaften lassen sich in Erweiterung des Albrechtschen Ansatzes umgewandelte Betriebe (siehe z.B: Laske/ Schneider) und neu errichtete Produktivgenossenschaften unterscheiden. Nach den berücksichtigten unmittelbaren oder mittelbaren Interessen (Nelson) bzw. Bedürfnissen (Maslow) der Mitglieder gibt es religiös, kulturell, gesellschaftsreformerisch und primär an Wohlstandsmehrung orientierte Produktivgenossenschaften. Nach der Bindung der Mitglieder können (lebens)gemeinschafts(Tönnies, Weippert, Weisser) und gesellschaftsbezogene Genossenschaften unterschieden werden. Nach den in ihnen angewandten Prinzipien läßt sich nach Produktivgenossenschaften allein auf Selbsthilfebasis (Schulze-Delitzsch) und solchen, bei denen auch private Fremdhilfe (V.A. Huber) oder staatliche Fremdhilfe (Blanc, Lassalle, von Ketteier) eine Rolle spielt, differenzieren. Weniger sinn- als organisationsorientiert sind u.a. die folgenden Einteilungen: Nach einbezogenen Subsystemen (Dülfer 1984) gibt es Produktivgenossenschaften, die neben den Mitgliedergruppen lediglich aus dem kooperativen (Organ-)Betrieb bestehen, andere, welche auch einen gemeinsamen Haushalt einbeziehen. Nach der Mitgliederart lassen sich Produktivgenossenschaften ersten Grades, mit ausschließlich oder überwiegend natürlichen Personen, und Kooperativen zweiten Grades, mit vorwiegend oder ausschließlich juristi-

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4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

sehen Personen, unterscheiden. Nach der Rechtsform ist zunächst an Produktivgenossenschaften im Rechtssinne (z.B. eG. nach §l,Abs. l,Punkt4GenG.), aber auch an "Kooperativen" (Dülfer) in anderen Organisationsformen des Privaten oder Öffentlichen Rechts (z.B: als eV., OHG, GmbH, Körperschaft) zu denken. Nach dem an Kombinationen von Sinn- und Organisationsmerkmalen festgemachten Entwicklungstyp von Produktivgenossenschaften (vgl. Potter-Webb 1930, Oppenheimer 1896, Fuchs 1927, Villegas Velasquez 1975 u.a.) gibt es Kleingruppen-Produktivgenossenschaften mit Arbeitsvereinigung oder Arbeitsteilung, Großgruppen-Produktivgenossenschaften mit direkter oder indirekter Demokratie, entartete Produktivgenossenschaften mit Lohnarbeitern und/oder Kapitalisten. Die Produktivgenossenschaft erweist sich hier als graduelle Frage, d.h. als Typenproblem im relationalen Sinne (Engelhardt) und "Grenzfall des Kooperativs" (Dülfer). Nach historischen Formen lassen sich - sieht man von den geschichtlichen Perioden bis zum Hochmittelalter ab - u.a. unterscheiden: Dombauhütten, Klosterwirtschaften (Siepmann 1987), Bergwerke (M. Weber 1976), landwirtschaftliche "communautés" (Frankreich, Schweiz, andere Alpenländer), "Artells" (Rußland), der Jesuiten-Staat (Paraguay), der Mormonen-Staat (Utah/USA), der neuzeitliche Sekten- und Siedlungskommunismus (der Herrnhuter, Shaker, Hutterschen Brüder, Templer u.a.), "Ejidos" (Mexiko), Wirtschaftsunternehmen der Jugendbewegung und "Bauhütten" der zwanziger Jahre (Deutschland), Kwuzahs, Kibbuzim, Moshavs u.a. "Siedlungsgenossenschaften" (Israel), Arbeiterselbstverwaltungs- bzw. -selbsthilfebetriebe (Jugoslawien, viele andere Länder) Mondragon (Spanien), "Ujamaa-Kooperativen" (Tansania), "Entreprise Autogérée" (Algerien), "Champs Communs" (Westafrika). C. Entstehung Wie bei anderen Genossenschaften ist auch bei Produktivgenossenschaften die soziologisch-sozialpsychologische Entstehungsproblematik solcher Kooperativen, einschließlich ihrer historischen Dimension (siehe zu beidem von Brentano 1980, Engelhardt 1985), von der betriebswirtschaftlich-juristischen Gründungsfrage (vgl. Münkner 1974, Dülfer 1984) zu unterscheiden. Die "klassische" Produktivgenossenschaft der Neuzeit war im Unterschied zu heutigen Produktiv-Kooperativen in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsbereich - ungeachtet der mindestens seit dem 17. Jahrhundert erfolgenden Entwicklung siedlungsgenossenschaftlicher Leitbilder und der frühen Durchführung einzelner Siedlungsexperimente durch "kommunistische Gemeinden" (Liefmann) - in erster Linie für den handwerklichen und industriellen Bereich gedacht. Hier ging es - und geht es auch noch in der gegenwärtigen Renaissance solcher Genossenschaften - um die Beseitigung oder Milderung der "Objektstellung" bzw. "Entfremdung" (Marx, auch Schulze-Delitzsch) von Handwerkergesellen und Industriearbeitern.

4. Kapitel:

Die Stellung

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Im übrigen kann laut Dülfer sowohl ein "genetischer" als auch ein "positivistischer" Ansatz zur Erklärung der Entstehung produktivgenossenschaftlicher Kooperativen geeignet sein. Im ersteren Falle kann dabei an Beobachtungen über eine fortschreitende Entwicklung und Integrationstendenzen von Mehrzweck-Kooperativen angeknüpft werden. Im zweiten Falle bildet nach Ansicht des Autors eine prinzipiell unterschiedliche programmatische Einstellung zum Eigentum, als es in der Förderungsgenossenschaft vorliegt, den Ausgangspunkt erklärender Analysen. Allerdings sollten bei Zugrundelegung des genetischen Ansatzes die Wandlungen von Mehrzweck-Förderungsgenossenschaften in Richtung der Produktivgenossenschaft nicht überschätzt werden. Was die in diesem Zusammenhang als Übergangstyp genannte "Produktionsförderungsgenossenschaft" betrifft, so handelt es sich bei ihr erst um eine Innovation in heutigen Entwicklungsländern, übrigens unter maßgeblichem europäischen Einfluß. Den "Gewerbebetrieben auf gemeinsame Rechnung" von Handwerkergesellen, die Schulze-Delitzsch in seinem Genossenschaftsprogramm als Nachfolger Staat lich-merkantilistischer Groß-Manufakturen im Auge hatte (so Dülfer), waren bereits gemeinschafts- (und gemeinwirtschafts)nahe "historische" produktivgenossenschaftliche Genossenschaftsformen vorausgegangen. Dabei ist keineswegs nur an die religiösen Genossenschaftsformen des Hochmittelalters zu denken, von denen bereits die Rede war. Seit Urzeiten beherrschten produktivgenossenschaftliche Formen im Rahmen einer "genossenschaftlichen Gesellschaftsform" (Vierkandt 1959, Bernsdorf 1969) das Feld. Allerdings handelte es sich dabei nicht um programmatisch erstrebte, sondern - zunächst jedenfalls, für lange Zeit - um durch Blutsbindungen und andere naturnahe Zusammenhänge vermittelte Genossenschaftsformen essentieller Art (Engelhardt 1964). In diesem Zusammenhang ist aus den mediterranen und deutschrechtlichen Anfängen des Genossenschaftswesens z.B. sowohl auf die kommunalen Siedlungsgenossenschaften früher jüdischer Sekten wie diejenige der Essener (Preuss 1958), als auch auf die frühen "Lebensgemeinschaften" der ersten Christen (Grünfeld 1928, Siepmann 1987) und natürlich auf die "Markgenossenschaften" der alten Germanen hinzuweisen. Von einer begrifflich strengen Trennung zwischen Genossenschaft als Gruppe und Organbetrieb einerseits und Gemeinde als Verband und gemeinwirtschaftlichem Kommunalbetrieb andererseits, die in den Quellen vollzogen würde, kann dabei ursprünglich nicht die Rede sein. Was in heutigen Entwicklungsländern an produktivgenossenschaftlichen Formen angetroffen wird, ist teilweise noch eher natürlich-essentialistischen Einflüssen zurückliegender Zeitalter als programmatischen Einflüssen der Neuzeit verbunden, allerdings mit stark abnehmender Tendenz.

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D. Ideengeschichtliches Als erste Begründer (Initiatoren, Organisatoren) der auf programmatische Einflüsse zurückgehenden Produktivgenossenschaften vorwiegend handwerklich-kleinindustrieller Art gelten - sieht man von den Sektierern des 17. und 18. Jahrhundert einmal ab - die Franzosen Philippe Bûchez (1834) und Louis Blanc (1841). Ihr Wirken steht in engem Zusammenhang mit den Anregungen sog. "utopischer" Frühsozialisten zur strukturellen Erneuerung der Gesellschafts- und Einzelwirtschaften (vgl. Buber 1950, Hofmann 1979, Hettlage 1983 u.a.). Genannt werden in diesem Zusammenhang regelmäßig sowohl Autoren atheistischer als auch solche christlicher Prägung, wie z.B. Fourier mit seinen "phalanstères", Owen mit den "Communities of Equality" bzw. "Villages of Co-operation", aber auch Saint-Simon, Proudhon, Cabet u.v.a. Beträchtlichen Einfluß auf christliche wie nichtchristliche Strömungen übte mit seinen Gedanken über "Assoziation" der heutzutage meist vergessene französische Schriftsteller Restif de la Bretonne aus (Lindemann 1912). Der Saint-Simonist Bûchez sah - ähnlich seinem Lehrer, aber auch konform mit christlichen Sozialisten in Großbritannien - in der Produktivgenossenschaft die wichtigste Möglichkeit, um die Lehren des Christentums "in soziale Institutionen zu verwandeln" (Cuvillier). Sein Einfluß auf andere christliche Strömungen - bis hin zu dem (unmittelbar allerdings durch Lassalle inspirierten) katholischen deutschen Bischof von Ketteier, dem Protestanten Victor Aimé Huber und in der Gegenwart zum spanischen Mondragon-Experiment und zu renommierten Vertretern der katholischen Soziallehre (z.B. Messner) - dürfte kaum zu überschätzen sein. Einen eher säkularisiert-sozialistisch eingestellten Nachfolger fand Bûchez in Blanc und dessen Eintreten für "ateliers sociaux". Die christlichen wie die atheistischen Strömungen sahen dabei in verallgemeinernder - ideologisierender - Zuspitzung ursprünglich nur subjektiven utopischen Gedankenguts und begrenzter experimenteller Erfahrungen in der Produktivgenossenschaft eine Art "Allheilmittel" gegen jegliche Mängel der damals noch neuartigen Konkurrenzwirtschaft. Mit diesen Mängeln freien Wettbewerbs setzten sich, teilweise in ähnliche genossenschaftliche Empfehlungen mündend, auch liberale Spätklassiker unter den Nationalökonomen auseinander, wie z.B. J.St. Mill und J.H. von Thünen (Hoppe 1976, Engelhardt 1988). Auch der deutsche Sozialdemokrat Lassalle glaubte, eng an Blanc anknüpfend, anders als sein großer liberaler Kontrahent Schulze-Delitzsch den Kapitalismus durch Produktivgenossenschaften mit staatlicher Hilfe aus den Angeln heben zu können. Während Lassalle dabei von einem schließlich Selbsthilfe auslösenden Initialzündungseffekt der Staatshilfe ausging, begrüßte zwar auch Schulze-Delitzsch in der Produktivgenossenschaft "den Gipfelpunkt des Systems" der Assoziationen. In seinen Erwartungen war er aber deutlich

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zurückhaltender, besonders was die Beseitigung des Kapitalismus betraf, die er auch gar nicht wünschte (vgl. Dülfer 1987, Engelhardt 1987). Scharfe Kritik am Konzept der Produktivgenossenschaft übten auch die "wissenschaftlichen" Sozialisten Marx und Engels sowie später mehr oder weniger revisionistische und wirtschaftsdemokratische Strömungen der deutschen Sozialdemokratie, z.B. Eduard Bernstein. Marx konzedierte Produktivgenossenschaften bis auf weiteres nur als soziale Experimente, die den Nachweis einer alternativ möglichen Organisation des Produktionsprozesses außerhalb des kapitalistischen Systems erbringen und eine gewisse Einübung in dasselbe gestatten würden. Engels hingegen sah immerhin für eine spätere Zeit bereits Anwendungsmöglichkeiten einer grundsätzlich erneuerten Markgenossenschaft in der Landwirtschaft. Dies ist ein Gedanke, den später teilweise auch "bürgerliche" Agrarpolitiker - wie z.B. Friedrich Aereboe - vertraten und an den in der Sowjetunion Lenin und Bucharin anknüpften. Über ursprünglich in Osteuropa und in Deutschland entstandene zionistische Strömungen (Th. Herzl, F. Oppenheimer u.a.) fand der Gedanke der landwirtschaftlichen Produktivgenossenschaft später auch in Palästina und in Israel starke Verbreitung, sei es in der Propagierung und dem Aufbau von reinen Produktions-Kooperativen, umfassenderen Siedlungsgenossenschaften oder in erneuerten religiösen Lebensgemeinschaften (vgl. Preuss 1958, Barkai 1977, Th. Bergmann 1967 u.a.). E. Realgeschichtliches Das "Schicksal" der klassischen handwerklich-kleinindustriellen Produktivgenossenschaften - soweit sie nicht wie ihre durch Sekten bzw. Freikirchen begründeten Vorläufer an Zusammenhalt stiftende religiös-kulturelle Interessen anknüpften - war regelmäßig ihr Scheitern. Dabei gilt es schon nach den vor allem britische Erfahrungen des 19. Jahrhunderts verwertenden Fragestellungen von Beatrice Potter-Webb und sodann nach den Ansichten Franz Oppenheimers zwei typische Formen des Scheiterns auseinander zu halten: Das nur "kurze Dasein" der meisten, die schon beim vor der Gründung oder sofort danach einsetzenden Kampf ums Dasein grundlegende Kapital-, Absatz- und Organisationsmängel nicht überwanden, und der regelmäßigen Denaturierung der meisten übrigbleibenden in kapitalistische, d.h. erwerbswirtschaftliche Unternehmen gemäß dem "Gesetz der Transformation" (Oppenheimer 1896). Aus "reinen", d.h. dem Idealtyp entsprechenden Produktivgenossenschaften (P. Abrecht 1965) wurden im Verlauf dieses Prozesses zunächst gemischte und schließlifch in der Altersform sog. "Pseudo"-Genossenschaften, in denen vorwiegend Lohnarbeiter tätig sind und die Teilhaber selbst Lohnarbeit nicht (mehr) verrichten. Zu dieser klassischen Denaturierungsweise kam nach dem Ersten Weltkrieg seit der Stalinschen Zwangskollektivierung in der Sowjetunion und nach

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entsprechenden Maßnahmen in den Ostblockländern im Gefolge des Zweiten Weltkrieges eine zweite hinzu. Sie führte zumindest zunächst - in Jugoslawien und Polen zuerst durchbrochen (dazu vgl. Th. Bergmann 1967) - zum Verlust produktivgenossenschaftlicher Demokratie und Autonomie. Im einzelnen gab es im vorigen und diesem Jahrhundert mehrere Wellen der gehäuften Gründung von Produktivgenossenschaften. Die erste von ihnen hat unmittelbar nach der französischen Revolution von 1848 zu mehreren hundert Kooperativen geführt. Auch in Großbritannien gab es in der Periode des Owenismus und des Wirkens christlicher Sozialisten zeitweise zahlreiche Gründungen, die sich u.a. durch spezifische Gewinnbeteiligungslösungen auszeichneten (vgl. Watkins 1971, Hasselmann 1968). In Deutschland war zunächst vor und während der Revolution von 1848 Interesse an diesen Unternehmen, die untereinander nicht plan-, sondern tauschwirtschaftlich in Verbindung treten sollten, erkennbar geworden. Besonders in den Jahren nach 1860 und 1870 kam es dann zu beträchtlich vielen Gründungen - in der Literatur ist von mehr als 300 Produktivgenossenschaften die Rede die sich aber nur selten für längere Zeit behaupten konnten. Für diese Zeit wurden nur 2 als Genossenschaften charakterisierte Eisenhütten und -gießereien sowie 7 Maschinenbauanstalten verzeichnet. Gleichzeitig wurden aber 56 Produktivgenossenschaften von Berufen der Textilbranche, 44 solchen der Tischler, 34 der Schneider, 23 der Zigarrenarbeiter, 19 der Baugewerbe und 17 der Buchdrucker registriert (vgl. Eisenberg 1985). Weitere Gründungsschwerpunkte lagen Mitte der 1880er und 90er Jahre, vor allem aber zu Beginn der Weimarer Republik, nachdem die Sozialisierungsdebatte erfolglos abgebrochen worden war. Offiziell ist für diese Zeit von 500, nach inoffiziellen Feststellungen jedoch von 1159 gewerblichen Produktivgenossenschaften die Rede (Flieger 1988). Ein Schwerpunkt lag im Bereich der sozialistisch-sozialdemokratisch orientierten "Bauhütten" (Novy 1983), aber auch bei den christlich-nationalen Bauproduktivgenossenschaften. Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die beiden Weltkriege und die durch sie hervorgerufene Not vieler Menschen dem Produktivgenossenschaftsgedanken großen Auftrieb gab. Besonders zeigte sich dies in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 nicht zuletzt auch daran, daß es gehäuft zu Gründungen von Kriegsbeschädigten- und Flüchtlingsgenossenschaften kam. Da diese meist sehr bald scheiterten, wurden auch Überlegungen über Produktivgenossenschaften zweiter Ordnung, in die als koordinierende Elemente auch Verbände (z.B. Flüchtlingsverbände) eingeschaltet werden sollten, angestellt (Weisser 1956). Teilweise anders als das geschilderte übliche Schicksal der gewerblichkleinindustriellen Produktivgenossenschaften waren die Erfahrungen mit landwirtschaftlichen Produktiv- und Siedlungsgenossenschaften. Dies gilt besonders für Israel, wo es in neuerer Zeit auch zum Aufbau leistungsfähiger "Kibbuz-Industrien" gekommen ist, freilich unter Hinnahme von Lohnarbeit

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und Entfremdung (Th. Bergmann 1967, Barkai 1977 u.a.). Besonders dem Kibbuz als einem "overall participative system" mit beibehaltener direkter Demokratie werden mittlerweile durchaus Zukunftschancen eingeräumt (Rosner, Hettlage 1983). Ähnlich werden die assoziierten Industriegenossenschaften in der Region Mondragon (spanisches Baskenland) der um die "Caja Laboral Populär C.L.P." als integrierendes Organ herum gruppierten bzw. mit ihr "vernetzten" Produktivgenossenschaften beurteilt. Im Jahre 1985 gab es dort allein 93 mit der seit 1956 in Gründung befindlichen "Ulgor S. Coop" verbundene industrielle Produktivgenossenschaften. Sie werden zur Zeit als sowohl ökonomisch als auch sozial durchaus lebensfähige kooperative Wirtschaftsorganisationen beurteilt (z.B. Saive 1980, 224). F. Bedeutung Daß die "Mortalität" der Produktivgenossenschaft nicht überbewertet und verabsolutiert werden darf, hat schon Robert Hettlage betont. Mit Blick auf die durchschnittliche Lebensdauer dieser Betriebe auf Gruppenbasis wies er darauf hin, daß ihre durchschnittliche Lebensdauer zumindest nicht wesentlich geringer ist als diejenige nichtgenossenschaftlicher Unternehmen vergleichbarer Größe (siehe auch Infield 1956, Barkai 1977). Was die Anzahl der Produktivgenossenschaften betrifft, so ist diese nicht mehr nur in Israel und vielen Entwicklungsländern, sondern im Zeichen der Zweiten bzw. Dritten Industriellen Revolution und der mit ihr verbundenen zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors (vgl. Flieger, Häcker) nunmehr auch in vielen großen westlichen Volkswirtschaften mit marktwirtschaftlicher Verfassung oder gemischten Wirtschaftssystemen z.T. kräftig im Ansteigen begriffen. Für 1981 wurden für Frankreich immerhin 933 Produktivgenossenschaften, für Italien sogar 11200 Kooperativen dieser Art gezählt, für die USA ca. 3 000 geschätzt (Hettlage nach Woodworth 1981). Für Großbritannien, das nur vergleichsweise wenige Produktivgenossenschaften aufweisen soll - für 1984 stellte sich die Anzahl auf ca. 900 Kooperativen dieser Art mit etwa 9 000 Arbeitern - wird berichtet, daß zwischen 1976 und 1981 beachtliche 420 neue Firmen mit ca. 4 000 neuen Arbeitsplätzen entstanden sind (Fehr). Die Bundesrepublik Deutschland hat mit dem ehemaligen Kaiserreich und dem Deutschen Reich der Weimarer Republik gemeinsam, daß es eine im ganzen geringe Dichte solcher Kooperativen aufweist. So berichtet der Jahresbericht des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes für 1985 von nur 20 Produktivgenossenschaften in genossenschaftlicher Rechtsform (Dülfer 1985,452). Bei Einbeziehung der Selbstverwaltungsbetriebe ("alternativen Betriebe") in nichtgenossenschaftlicher Rechtsform ergeben sich allerdings je nach zugrundegelegter Definition Angaben zwischen 2 000 und 18 000. Dabei sind dann freilich bei den hohen Ziffern bloße sozial-, gesundheits- und kulturpolitische Selbsthilfegruppen einbezogen (Nutzinger 1988, von Loesch 1986).

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4. Kapitel:

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Bei uns wie anderswo spielen Kooperativen dieser Art zunehmend besonders bei arbeitsintensiven Dienstleistungen - darunter auch hochqualifizierten - eine wesentliche Rolle. Dies gilt für Wachstumsbranchen des Technik-, Technologie-, Entwicklungs- und Forschungsbereiches, ebenso aber auch für den Ökologiebereich, den Umweltschutz und Verkehr, den Softwarebereich, aber auch für die Initiierung und Durchführung von Beratungs- und Marketingaufgaben (vgl. Otten 1987). Burghard Flieger spricht in diesem Zusammenhang von genossenschaftlichen "Professionsbetrieben" der Ingenieure, Ärzte, Rechtsanwälte, aber auch der Verleger, Autoren, des Software Entwicklungs- und des EDV-Hardwarehandels. Bei alledem sind freilich nach wie vor die früher erwähnten Ursachen und weitere Gründe für das häufige Scheitern von Produktivgenossenschaften auch heute und künftig nicht zu übersehen. Oder anders gesagt: Zahlreiche strukturelle und funktionelle Mängel dieses Genossenschaftstyps haben nichts oder wenig von ihrer seit langem bekannten Bedeutung verloren (siehe dazu ausführlich Engelhardt 1963, 477 ff.; 1987, 99 ff.; Dülfer 1984,104 ff.; 1985, 492; von Loesch 1988). Allerdings wird seit langem und nicht ohne jeden Erfolg nach verbesserten Vorbedingungen und Mitteln produktivgenossenschaftlicher Arbeit, z.B. rechtsformenändernden (siehe Flieger), zur Behebung der Mängel gesucht. Vor allem in der zentralen Finanzierungsfrage, die früher oft diskutiert worden ist, dürfte ein pragmatisches Vorgehen geboten sein (so Gretschmann 1983). Hans G. Nutzinger sieht eine Art Allheilmittel, das bereits in Mondragon erfolgreich angewandt worden sei, in einer "geeigneten Gestaltung der Eigentumsrechte" dergestalt, daß den Mitgliedern trotz Hochschätzung des Produktionsfaktors Arbeit auf alle Fälle ein Recht auf Kapitalnutzung eingeräumt werden müsse (1988). Eine solche Reform, die das Recht auf Verzinsung und Auszahlung von Kapitalanteilen einschließt, läuft auf eine "Privatisierung" oder doch Neutralisierung zuvor kollektiver Eigentumsrechte hinaus. Robert Hettlage betont demgegenüber aber wohl zutreffend eine "Hauptbarriere" jeglicher produktivgenossenschaftlichen Arbeit, die darin liege, daß in komplexen Gesellschaften mit diversen Aspekten und Rollengefügen ausschließliche Interessenbindungen an eine einzige Gruppierung, wie sie eine allumfassende Kooperative des behandelten Typs darstellt, überhaupt nur schwer möglich sind (1987, 222; ähnlich zuvor Fürstenberg 1971). Unter soziologisch-gesellschaftspolitischen wie auch unter volks- und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten sind Produktivgenossenschaften dennoch nach wie vor nicht zu unterschätzen. Selbst wenn ihre quantitative Bedeutung auch in Zukunft vergleichsweise gering bleiben sollte, wäre doch ihre qualitative Relevanz als (Ordnungs)Leitbild (Engelhardt) und als Beispiel für Wirtschaftsdemokratie, entwickelte Partizipation und zumindest versuchte Entfremdungshemmung beachtlich. Neben diesen soziologischen bzw. gesellschaftspolitischen Effekten (siehe Hettlage 1983, Fürstenberg 1983) stehen solche betriebswirtschaftlicher Art, die in Richtung einer fortschritts-

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fähigen Organisationsentwicklung und der Aktivitätsanalyse wirksam sind (vgl. Kieser/Kubicek 1978, Engelhardt 1987). Und in volkswirtschaftlichwirtschaftspolitischer Hinsicht ist der Bausteincharakter der Produktivgenossenschaft im Sinne einer auf Konsens beruhenden mittleren oder "dritten" Wirtschaftsordnung hervorzuheben, die trotz ihrer unleugbaren Grenzen im Rahmen gemischter Ordnungssysteme mehr als eine "bi-sektorale Weltsicht" (Gretschmann) bietet (vgl. z.B. Saive 1980, 224). Literatur: Abrecht, P.: Die Produktivgenossenschaften in der Schweiz, Basel 1953 Barkai, H.: Growth patterns of the Kibbutz economy, Amsterdam/New York/Oxford 1977 Brentano, D.von: Grundsätzliche Aspekte der Entstehung von Genossenschaften, Berlin 1980 Dülfer, E.: Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984 Dülfer, E.: Gibt es eine Renaissance der Produktivgenossenschaft? In: Genossenschafts-Forum, Bonn 1985, S. 450-454 und 490-493 Dülfer, E.: Das Organisationskonzept Genossenschaft - eine Pionierleistung SchulzeDelitzschs, in: Deutscher Genossenschaftsverband (Schulze-Delitzsch) e.V. i.L.(Hrsg.): Schulze-Delitzsch. Ein Lebenswerk für Generationen, Wiesbaden 1987, S. 61-126 Eisenberg, Chr.: Frühe Arbeiterbewegung und Genossenschaften, Bonn 1985 Engelhardt, W.W.: Grundprobleme der Einzelwirtschaftstypologie, in Archiv für öffentliche und freigemeinwirtschaftliche Unternehmen, Band 6, Göttingen 1962/ 63, S. 193-215 Engelhardt, W.W.: Produktivgenossenschaften, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 8. Band, Stuttgart/Tübingen/Göttingen 1964, S. 610-612 Engelhardt, W.W.: Allgemeine Ideengeschichte des Genossenschaftswesens, Darmstadt 1985 Engelhardt, W.W.: Produktivgenossenschaftliche Betriebsstrukturen als Ursache von Finanzierungsproblemen. Der Erklärungsansatz der Genossenschaftstheorie, in: Kück. M./von Loesch, A. (Hrsg.): Finanzierungsmodelle selbstverwalteter Betriebe, Frankfurt/M. und New York 1987, S. 97-109 Fehr, E.: Ökonomische Theorie der Selbstverwaltung und Gewinnbeteiligung, Frankfurt/New York 1988 Flieger, B. (Hrsg.): Produktivgenossenschaften, München 1984 Fuchs, H.: Der Begriff der Produktivgenossenschaft und ihre Ideologie, Kölner Inaugural-Dissertation 1927 Fürstenberg, Fr.: Ansatzpunkte einer Soziologie des Genossenschaftswesens, in: Weisser, G. (Hrsg.): Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, 2. Aufl., Göttingen 1971, S. 42-51 Fürstenberg, Fr.: Probleme der Mitgliederpartizipation auf verschiedenen genossenschaftlichen Entwicklungsstufen, in: Dülfer, E./Hamm, W. (Hrsg.): Die Genossenschaften zwischen Mitgliederpartizipation, Verbundbildung und Bürokratietendenz, Göttingen 1983, S. 104-116 Gide, Ch.: Der Kooperativismus, Halberstadt 1929 Gretschmann, K.: Steuerungsprobleme der Staats Wirtschaft, Berlin 1981 Grünfeld, E.: Das Genossenschaftswesen, volkswirtschaftlich und soziologisch betrachtet, Halberstadt 1928

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Hasselmann, E.: Die Rochdaler Grundsätze im Wandel der Zeit, Frankfurt/M. 1968 Hettlage, R.: Genossenschaftsmodelle als Alternative, in: Koslowski P./Kreuzer, P./ Low, R. (Hrsg.): Chancen und Grenzen des Sozialstaats, Tübingen 1983, S. 192-215 Holyoake, G.J.: Geschichte der Rochdaler Pioniere, Köln 1928 Hoppe, M.: Die klassische und neoklassische Theorie der Genossenschaften, Berlin 1976 Infield, H.F.: Utopia und Experiment, Gottingen 1956 Ketteier, W.E., Freiherr von: Die Arbeiterfrage und das Christentum, 1. Aufl., 1864 Kieser, A./Kubicek, H.: Organisationstheorien I und II, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978 Kück, M./Loesch, A. von (Hrsg.): Finanzierungsmodelle selbstverwalteter Betriebe, Frankfurt/New York 1987 Lindemann, C.H.: Restif de la Bretonne, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, 3. Jahrgang, Leipzig 1912, S. 211-275 Liefmann, R.: Die kommunistischen Gemeinden in Nordamerika, Jena 1922 Liefmann, R.: Die Unternehmensformen, mit Einschluß der Genossenschaften und der Sozialisierung, 4. Aufl., Stuttgart 1928 Loesch, A. von (Hrsg.): Selbstverwaltete Betriebe. Neue genossenschaftliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen? Überblick und Beurteilung, Beiheft 10 der Zeitschrift für öffentliche und gemein wirtschaftliche Unternehmen, Baden-Baden 1988 Marx, K./Engels, Fr.: Werke, 23., 24. und 25. Band, Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1972-1974 Münkner, H.H.: Co-operative Principles and Co-operative Law, Marburg 1974 Novy, K : Genossenschafts-Bewegung. Zur Geschichte und Zukunft der Wohnreform, Berlin 1983 Nutzinger, H.G.: Die Uberlebensfahigkeit von Produktivgenossenschaften und selbstverwalteten Betrieben, in: Loesch, A. von (Hrsg.): Selbstverwaltete Betriebe. Neue genossenschaftliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen? Uberblick und Beurteilung, Beiheft 10 der Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Baden-Baden 1988, S. 35-58 Oppenheimer, F.: Die Siedlungsgenossenschaft, Leipzig 1896 Otten, D.: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es ... Technik- und wirtschaftssoziologische Anmerkungen zur Zukunft kooperativer/selbstverwalteter Betriebe, in: Kück, M./Loesch, A. von (Hrsg.): Finanzierungsmodelle selbstverwalteter Betriebe, Frankfurt/M. und New York 1987, S. 13-31 Potter-Webb, B.: The Co-operative Movement in Great Britain, London 1891, Neudruck 1930 Preuss, W.: Das Genossenschaftswesen in der Welt und in Israel, Berlin 1958 Saive, M.A.: Mondragon. Ein genossenschaftliches Entwicklungsexperiment im Industriebereich, in: Annalen für Gemeinwirtschaft, 48. Jg. 1990, S. 223-255 Schiller, O.: Gemeinschaftsformen im landwirtschaftlichen Produktionsbereich. Grundsätzliche Fragen und praktische Handhabung im internationalen Vergleich, Frankfurt/M. 1966 Schulze-Delitzsch, H.: Schriften und Reden, 5 Bände, hrsg. von Thorwart, F., Berlin 1909-1913 Siepmann, H.: Brüder und Genossen. Ansätze für einen genossenschaftlichen Gemeindeaufbau, Köln 1987 Vierkandt, A.: Die genossenschaftliche Gesellschaftsform der Naturvölker, in: Handwörterbuch der Soziologie, unveränderter Neudruck 1959, S. 191-201

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

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Villegas Velasquez, R.: Die Funktionsfähigkeit von Produktivgenossenschaften, Tübingen 1975 Watkins, W.P.: Genossenschaftswesen und Staat. Zwei Machtsysteme und ihre gegenseitigen Beziehungen. In: Weisser, G. (Hrsg.): Genossenschaften und Genossenschaftsforschung, 2. Aufl., Göttingen 1971, S. 281-289 Weber, M.: Wirtschaft und Gesellschaft, 5. revidierte Aufl., Tübingen 1976 Weisser, G.: Produktivere Eingliederung, Göttingen 1956 Weisser, G.: Genossenschaften, Hannover 1968 Woodworth, W.: Workers as Bosses. In: Social Policy, 11. Vol. 1981, S. 40-45

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4. Kapitel:

4.7.2.

Die Stellung

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Im Sozialismus Jerzy Kleer

Die Handwerksgenossenschaften erfüllen in den sozialistischen Wirtschaften folgende Funktionen: -

die Dienstleistungs- und Produktionstätigkeit der Handwerker im Interesse der Bevölkerung zu organisieren, den Handwerkern bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, die wirtschaftliche und soziale Bildungs- und Erziehungsarbeit für die Handwerker zu fördern.

Obwohl ihr Aufgabenbereich einerseits groß wäre, ist aber andererseits ihr Auftreten in den sozialistischen Wirtschaften von der Existenz eines privaten Sektors abhängig. Dieser Fragenkomplex ist zwar bereits mehrmals besprochen worden, muß aber gerade bei den Handwerksgenossenschaften noch einmal erläurtert werden. In den Sozialismus-Konzepten, die noch vor kurzem in vielen Ländern Gültigkeit hatten und auch noch heute zum Teil aufrechterhalten werden, ist kein privater Sektor mehr vorgesehen. Dort wo er noch existent war, wurde er als Relikt eines alten Systems angesehen, oder war aufgrund noch nicht abgeschlossener Veränderungsprozesse oder aus praktischen Gründen vorhanden. Im allgemeinen sollten die Handwerksgenossenschaften eine Zwischenstufe bei der Überführung der Handwerker in kollektive Wirtschaftsformen (in genossenschaftliche Formen)einnehmen, um sie im Anschluß daran so rasch als möglich in den staatlichen Sektor einzugliedern. Eine unterstützende Funktion bei dieser Umwandlung war die Hauptaufgabe dieser Genossenschaften. Sie waren zwar im allgemeinen Modell des Genossenschaftswesens mit den Produktionsgenossenschaften (den industriellen und den Dienstleistungsgenossenschaften) eng verbunden, man sah in ihnen aber eine einfachere und niedrigere Form im Vergleich zu den Produktionsgenossenschaften. Die Handwerksgenossenschaften waren also eine Stufe auf dem Weg zur Produktionsgenossenschaft, und diese wiederum eine Etappe zum staatlichen Unternehmen. Im Stalinistischen Modell der sozialistischen Wirtschaft war ein solcher Entwicklungspfad des Handwerks im vorhinein festgelegt. Der private Sektor ist in den sozialistischen Ländern außer in der Landwirtschaft eher unbedeutend und in manchen Staaten existiert er überhaupt nicht. Deshalb sind die Handwerksgenossenschaften auch nicht überall vertreten. In einer reinen Form, als eigenständiger Genossenschaftstyp, gibt es sie nur in China (1), der DDR (2), Polen (3) und Rumänien (4). In den anderen Ländern ist der private Sektor, wenn er überhaupt in der Form von unabhängigen Genossenschaftstypen existiert, entweder anderen Genossenschaftstypen (den Produktions-, Konsum- oder landwirtschaftlichen Produktionsge-

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nossenschaften), oder den örtlichen administrativen Wirtschaftsunternehmen untergeordnet. Ein wichtiges Problem stellt die Versorgung des Handwerks mit den notwendigen Produktionsfaktoren wie Rohstoffen, Material, Werkzeug und Maschinen dar. Bisher verlief diese Versorgung nicht über Märkte, die ja nicht vorhanden sein durften. Produktionsmittel konnten nicht eingekauft werden, deren Verteilung erfolgte im Rahmen des Zentralplans über die Genossenschaftsorganisationen oder über die örtlichen administrativen Wirtschaftsbehörden. Der private handwerkliche Sektor war also mittelbar oder unmittelbar in den Zentralplan eingegliedert. Die Handwerksgenossenschaften übernahmen folgende Aufgaben: -

Sie vertraten die Interessen der Handwerker; sie repräsentierten die Interessen des Staates, und zwar über den Zentralplan hinausgehend (Produktionsaufgaben, Bereich und Ausmaß der Dienstleistungen) und - sie hatten dafür zu sorgen, daß das Privatinteresse nicht vorherrschende wurde (z.B. durch Preisvorgaben oder über eine möglichst gleichmäßige Zuteilung von Rohstoffen usw.). (5)

Das Hauptproblem dieser Genossenschaften bestand also darin, daß sie mit einem Koordinierungssystem (in vertikaler und horizontaler Richtung) (6) konfrontiert waren, das dafür sorgte, daß das Handwerk nur beschränkt expandieren konnte. In den einzelnen sozialistischen Ländern gibt es verschiedene Entwicklungstendenzen der Handwerksgenossenschaften. In der DDR ist eine Abnahme dieser Wirtschaftsform festzustellen, obwohl sie in der ersten Hälfte der 80er Jahre noch zahlreich vertreten war (es gab mehr als 2.500 Handwerksgenossenschaften). (7) Insgesamt ist aber eine Tendenz zum Aussterben des Handwerks mit einem gleichzeitig steigenden Defizit an Dienstleistungen für die Bevölkerung vorhanden. Ähnliche Entwicklungen sind auch in Rumänien zu beobachten. In Polen ist hingegen ein starkes Wachstum dieser Genossenschaften (von 295 im Jahr 1961 auf503 im Jahr 1987) (8) und auch der Mitglieder (von 39.000 1961 bis auf 133.000 1987) (9) zu konstatieren. Auch in China wurden in den 80er Jahren sehr viele Handwerksgenossenschaften gegründet. Ursache dafür war als Folge der Wirtschaftsreformen eine rapide Entwicklung des privaten Sektors. Insgesamt haben die Wirtschaftsreformen in den letzten Jahren - die Reform in der Sowjetunion war die bedeutendste - große Chancen für eine Entwicklung der Handwerksgenossenschaften in den sozialistischen Ländern geschaffen. Zwei in der UdSSR vor kurzem verabschiedete Gesetze verdienen es, besonders hervorgehoben zu werden: das neues Genossenschaftsgesetz und die gesetzliche Regelung über die individuelle Arbei; beide schaffen einen größeren Bereich für die Arbeit auf eigene (individuelle) Rechnung. Diese

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von

Genossenschaften

n e u e n Gesetze werden die Entwicklung der Handwerksgenossenschaften in der UDSSR positiv beeinflussen. (10) Sie werden aber auch einen Vorbildfunktion für die Entwicklung dieses Genossenschaftstyps in j e n e n Ländern einnehmen, in denen sie vollkommen verdrängt wurden oder wo ihre Zahl immer geringer wurde - unter der Vorraussetzung, daß diese Länder überhaupt weiterhin einen sozialistischen Charakter beibehalten wollen. Fußnoten: (1) In China kommt es gegenwärtig zur Bildung von zahlreichen Handwerksgenossenschaften. Sie haben keine eigenen Verbände und sind den örtlichen Behörden untergeordnet. (2) In der DDR sind die Hand Werksgenossenschaften nicht in Verbänden organisiert, sondern sind den örtlichen Behörden untergeordnet. (3) In Polen gibt es selbständige Genossenschaftsverbände mit einem Zentralverband an der Spitze. (4) In Rumänien bilden die Handwerksgenossenschaften und die Volksindustrie einen selbständigen Verband. (5) Hier sollte auch die Schattenwirtschaft berücksichtigt werden, die in allen sozialistischen Ländern vorhanden ist und zusätzliche Versorgungsquellen für Rohstoffe und Materied für die Handwerker schafft. (6) vgl. J. Janic: Spöldzielczosc w gospodarce narodowej krajöw RWPG, in: Spöldzielczosc w zyciu PRL, Warszawa 1985, S. 216 - 217. (7) wgl. Statistisches Jahrbuch der DDR für die 80er Jahre. (8) vgl. J. Kleer: Polish Co-operatives in figures, Warsaw 1980, S. 77; Maly Rocznik: Statystyczny 1988, Warszawa 1988, S. 25. (9) Ebenda. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß ein großer Teil der Handwerker nicht genossenschaftlich organisiert ist (nach Schätzungen mehr als 60 %). 1987 gab es 359.000 Handwerksunternehmen und nur 133.000 Genossenschaftsmitglieder (37 % der Gesamtzahl). (10) vgl. M.S. Gorbatschow: Potenzial kooperacii - dielu pierestroiki, "Prawda", 24.111.1988; W. Wasiltschukk: Kooperacija i socjalism, in: "Mirowaja ekonomika i mieschdunarodnyje otnoschenija", Nr. 7/1988, S. 42 - 45. Literatur: Janic, J.: Spöldzielczosc w gospodarce narodowej krajöw RWPG, in: Spöldzielczosc w zyciu spoleczno-gospoarczym PRL, Warszawa 1985 Gorbatschow, M.S.: Potenzial kooperaeji - dielu pierestrojki, "Prawda", 24.III. 1988 Wasilczuk, J.: Kooperacija i socjalism, in: Mirowaja ekonomika i mieschdunarodnyje otnoschenija, Nr. 7/1988

4. Kapitel: Die Stellung von Genossenschaften

4.7.3.

679

In Entwicklungsländern Eberhard Dülfer

A. Grundlagen und Vorbilder Der Begriff 'Produktivgenossenschaften' hat in der deutschsprachigen Genossenschaftstheorie und -praxis eine lange Tradition (1). Dabei wurde i.d.R. deutlich zwischen 'Produktivgenossenschaft' (bei der die Mitarbeiter im Genossenschaftsbetrieb zugleich Mitglieder sind) und 'Produktionsgenossenschaft' (bei der nicht die Mitarbeiter, sondern i.d.R. die Zulieferer die Mitglieder sind) unterschieden. Gelegentlich werden allerdings beide Begriffe synonym verwandt, z.B. bei den in der DDR durch Zwangskollektivierung im Rahmen der Bodenreform entstandenen "Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG)". In den Entwicklungsländern sind diese Unterschiede schon aus sprachlichen Gründen nicht bekannt. Indessen gibt es dort eher häufiger als in den europäischen Industrieländern echte Produktivgenossenschaften, die nach ihren Vorbildern in den jeweiligen früheren europäischen Mutterländern benannt worden sind: Im anglophonen Bereich als 'Workers' Co-operative Society', im frankophonen Bereich als 'Société Ourvriére de Production'. Häufig haben sich jedoch in Unkenntnis der vorgenannten klassischen genossenschaftlichen Rechtsformen rein pragmatische Bezeichnungen eingebürgert, z.B. im anglophonen Bereich in der Landwirtschaft: 'group farming', im frankophonen Bereich: 'champs communs'. Der prinzipielle Unterschied zwischen 'Förderungsgenossenschaften' und 'Produktivgenossenschaften' ist indessen auch in den Entwicklungsländern durchaus bekannt, wenngleich im Einzelfall eine genaue Zuordnung nicht immer möglich ist. In der neueren Literatur wird von Villegas (1975) (2) eine pragmatisch orientierte Klassifikation vorgestellt, die lateinamerikanische Erfahrungen zur Grundlage hat und deshalb hier wiedergegeben wird: I.

a,b

Kleingruppen

P.G. mit Arbeitsvereinigung bzw. Arbeitsteilung

II.

Großgruppen

P.G. mit direkter Demokratie

III.

Großgruppen

P.G. mit indirekter Demokratie

IV. a,b,c

Klein- oder Großgruppen

P.G. mit Kapitalisten und/oder Lohnarbeiten

680

4. Kapitel:

Die Stellung

von

Genossenschaften

Grundsätzlich gilt auch in den Entwicklungsländern, daß die Produktivgenossenschaft nicht als Zwangskollektiv - wie in einigen sozialistischen Wirtschaftsordnungen - gegründet werden sollte. Vielmehr setzt sie voraus, daß die Mitglieder freiwillig (d.h. nicht aufgrund gesetzlicher Vorschrift, aber auch nicht als Folge politisch-ideologischer Pression oder anderer indirekter Zwangsmaßnahmen) die Kooperationsentscheidung zur Übernahme der Mitgliedschaft getroffen haben. Häufig entstehen Produktivgenossenschaften auch in Entwicklungsländern durch Umwandlung anderer Organisationsformen, z.B. durch die vollständige Integration der Mitglieder früherer privatwirtschaftlicher Unternehmungen. Sie können Ergebnis individueller oder gruppenmäßiger Initiative sein, können aber auch auf staatliche entwicklungspolitische Konzeptionen zurückgehen. In diesem Fall droht allerdings die Gefahr der Verbürokratisierung ("officialization"). B. Erklärungsansätze Angesichts der empirischen Vielfalt und der häufig gegebenen organisatorischen Unklarheiten ist es zur sachgerechten Bewertung produktivgenossenschaftlicher Erscheinungsformen in Entwicklungsländern erforderlich, die beiden auch in der europäischen Gründerperiode gänzlich unterschiedlichen Erklärungsansätze für die Produktivgenossenschaft in Erinnerung zu rufen. Denn diese beiden unterschiedlichen Konzeptionen führen auch in Entwicklungsländern zu sehr unterschiedlicher Handhabung und dementsprechenden Entwicklungskonsequenzen. Die in der älteren Literatur vorzufindenden unterschiedlichen Erklärungen des Unternehmungstyps "Produktivgenossenschaft" lassen sich im wesentlichen auf zwei Ansätze (approaches) zurückführen (Dülfer 1984) (3): -

den genetischen Ansatz und den positivistischen Ansatz.

Der 'genetische' Ansatz erklärt die Produktivgenossenschaft (aufgrund empirischer Studien) mit Blick auf ihre Entstehung ('Genesis') aus förderungsgenossenschaftlichen Formen. In der Gründerzeit der Genossenschaft fanden sich zahlreiche Beispiele dafür, daß vorher selbständige Handwerker sich (z.B. nach der Konzeption von Schulze-Delitzsch) additiv zu einem handwerklichen Genossenschaftsbetrieb zusammenschlössen. Dieser Vorgang findet sich häufig auch in den Entwicklungsländern der Dritten Welt, wobei oft die Mitglieder ihre vorher individuell besessenen Geräte und Hilfsmittel in die Produktivgenossenschaft einbringen. Charakteristisch ist für diese Art von produktivgenossenschaftlichem Betrieb, daß jedes Mitglied alle erforderlichen betrieblichen Tätigkeiten aus vorheriger eigener Kenntnis oder Anwendung ausführen könnte und daß von daher die kollegiale Willensbildung und Leitung eine selbstverständliche praktische Bedeutung hat, so wie etwa in der freiberuflichen Sozietät.

4. Kapitel: Die Stellung von

Genossenschaften

681

Entsprechendes gilt im Falle landwirtschaftlicher Produktivgenossenschaften dieser Entstehung. Für den realistischen Gehalt dieses Ansatzes spricht, daß in englischsprachigen Entwicklungsländern noch gegenwärtig eine strenge Unterscheidung zwischen hochgradig integrierten landwirtschaftlichen Förderungsgenossenschaften (z.B. nach Art der Schiller'schen Produktivgenossenschaft nicht getroffen, sondern vereinfacht von "group farming" gesprochen wird. Der 'positivistische' Ansatz geht demgegenüber von ganz anderen Voraussetzungen aus. Er sieht nicht die Entstehung, sondern nur (ex post) den tatsächlichen ('positiv gegebenen') Unterschied zur Förderungsgenossenschaft, und zwar in den beiden Merkmalen: der zweiseitigen Marktbeziehung und dem vorliegenden Gewinnstreben. Die Anregung zu diesem Denkansatz stammt aus der Frühindustrialisierung, einer Periode, in der der ganz auf die neue Energiequelle Dampfmaschine gestützte Fabrikbetrieb das Handwerk verdrängte und eine große Masse von Lohnarbeitern unter zum Teil völlig unzureichenden Lebensbedingungen beschäftigte. Hier wurde das Modell der Produktivgenossenschaft in den frühen gesellschaftspolitischen Programmen des utopischen Sozialismus (Owen, 1813; Buchez, 1832;Blanc, 1853) konzipiert und später teilweise auch von Vertretern des wissenschaftlichen Sozialismus übernommen. Dabei geht es ausschließlich um den Aspekt des Eigentums an den Produktionsmitteln, das den Arbeitern zugeordnet wird, wodurch man glaubt, alle Mängel des damaligen Produktionssystems beseitigen zu können. Die betriebswirtschaftlichen Probleme, die nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß der einzelne, aufgrund der hochgradigen Arbeitsteilung nur einen winzigen Teil des gesamten Produktionsprozesses überblickende Arbeiter nunmehr an der demokratischen Willensbildung voll beteiligt sein soll, wurden weitgehend vernachlässigt. Die Erfüllung des genossenschaftlichen Förderungsauftrages wird hier in der Einkommenserzielung für das Mitglied gesehen, während beim genetischen Ansatz stärker der Gedanke der Verwertung der Arbeitskraft des Mitglieds im Vordergrund steht. C. Produktivgenossenschaftliche Typen in E n t w i c k l u n g s l ä n d e r n Der genetische Ansatz, der auf Schulze-Delitzsch zurückgeht, hat in den Entwicklungsländern in vielfältiger Weise Anwendung gefunden. Meist handelte es sich um örtliche Initiativen von Politikern, Missionaren oder Filantropen, die keine überregionale Bedeutung gewannen. Einige positive Erfahrungen mit Produktivgenossenschaften ergaben sich im Bereich des Handwerks, wo sie geeignet sind, die vorherigen Einmann-Betriebe zu effizienteren Einheiten zusammenzufügen und einen Technologietransfer zu bewirken. Im Hinblick auf die damit realisierte Ausbildungs wirkung im Sinne von "on the job training" sind sie selbst dann entwicklungspolitisch positiv zu bewerten, wenn sich im weiteren Verlauf die Auflösung oder Transformation in eine andere Unternehmungsform als notwendig erweist.

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4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

In einzelnen Fällen gibt es überregionale ländliche Siedlungs- und Entwicklungsprogramme produktivgenossenschaftlicher Prägung, z.B. in Mexiko und in Tansania. Zum Teil wird auch versucht, ältere Kooperationsformen der präkolumbianischen bzw. vorkolonialen gentil verfaßten Sozialordnung aufzugreifen. 1. Lateinamerika In Lateinamerika gibt es z.T. noch heute produktivgenossenschaftliche Formen in der Landwirtschaft, die aus der Vor-Inka-Zeit (Ayllu) oder aus der Inka-Zeit (Mynka; Ayni) stammen. Es sind einfache Formen der Gegenseitigkeitshilfe. Davon zu unterscheiden sind Gründungen, die bewußt an frühere Kooperationsformen anknüpfen wollen, aber im Hinblick auf neuere wirtschaftliche und soziale Ziele geschaffen wurden. Das bekannteste Beispiel ist der mexikanische Ejido. Entstanden nach der Revolution 1911 als Instrument der Bodenreform, wurde er durch die Verfassung von 1917 gesetzlich geregelt. Ziel dieser Bodenreform war es, das durch die Enteignung der Latifundien gewonnene Land nicht als Privateigentum aufzuteilen, sondern es Gruppen von Neusiedlern zur gemeinschaftlichen Nutzimg zuzuweisen. Dem diente die Organisationsform des 'Ejido', die bewußt an ältere aztekische und spanische Rechtsinstitute anknüpft. Danach konnten mindestens 20 besitzlose Landbewohner, die bestimmte im Codigo Agrario festgelegte persönliche und berufliche Merkmale aufwiesen, als 'Ejidatarios' einen Ejido gründen. Sie bildeten die Mitgliederversammlung als oberstes Organ. Das Forst- und Weideland des Ejido steht grundsätzlich in gemeinschaftlicher Nutzung. Beim Ackerland können unterschiedliche Nutzungsformen und Betriebssysteme gewählt werden. Deshalb sind nur diejenigen Ejidos Produktivgenossenschaften, deren Mitglieder sich für den kollektiven Landbau entschieden hatten. In der Praxis zeigte sich allerdings bald, daß die Ejidos an einem chronischen Mangel an Betriebskapital litten. Deshalb wurde 1935 ein spezielles Agrarkreditsystem mit der Banco Nacional de Credito Ejidal als Spitzeninstitut geschaffen. Die Kredite werden über örtliche Kreditgenossenschaften (Sociedades Locales de Credito Ejidal) an die Genossenschaftsmitglieder weitergeleitet. Trotz derartiger institutioneller Erweiterung und der hohen Anzahl von mehr als 20.000 bestehenden Ejidos konnten die schwierigen Probleme der landwirtschaftlichen Entwicklung Mexikos nicht befriedigend gelöst werden. Das mit dem System ursprünglich angestrebte Ziel der Verbindung einer weitgestreuten Landzuteilung mit einer modernen Entwicklung der Landwirtschaft wurde nicht im gewünschten Ausmaß erreicht. Deshalb ist der Ejido bis heute kein generelles Entwicklungsmodell für Lateinamerika geworden, obwohl er auch in anderen Ländern, z.B. Peru versucht wurde.

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Die Stellung

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2. Asien In Asien haben landwirtschaftliche Produktivgenossenschaften keine grössere Verbreitung gefunden, obwohl es auch dort von alters her präkooperative Arbeitsformen gab. In Indien spielen sie im Rahmen der indischen Landreformprogramme eine bescheidene Rolle. Auch hier ist infolge der komplizierten Bodenrechtsverhältnisse eine deutliche Unterscheidung von der multipurpose cooperative society im Sinne von group farming schwer zu treffen. Bezeichnend ist, daß die erwähnte Produktionsförderungsgenossenschaft (Otto Schiller) zuerst in Indien und Pakistan als 'Schiller-Scheme' eingeführt wurde. Produktivgenossenschaftliche Formen in Anknüpfung an vorkoloniale Arbeitsformen gibt es auch in Papua-Neuguinea. 1972 wurde dort die neue Rechtsform der "Business Group" eingeführt. Durch sie sollen ethnisch und kulturell zusammengehörige Stammesgruppen zur dauerhaften Teilnahme vom Wirtschaftsleben gebracht werden. Eine Business-Group kann von drei oder mehr Angehörigen des gleichen Stammes oder Clans gegründet werden. Die Geschäftsführung hegt bei einem Vorstand aus mindestens drei Personen. Oberstes Organ ist die Mitgliederversammlung. 3. Afrika In afrikanischen Ländern fanden sich zu Beginn der Entwicklungsdekaden zahlreiche Beispiele des genetischen Ansatzes, vor allem im handwerklichen Bereich. Da es sich jedoch bei ihnen praktisch um Manufakturbetriebe handelt, sind sie oft im weiteren Verlauf der Entwicklung gegenüber industriellen Betrieben nicht wettbewerbsfähig. In der Landwirtschaft gab es - in der Regel aufgrund örtlicher Initiativen, z.B. von Missionaren, - gemeinschaftlichen Ackerbau ("champs communs"), jedoch meist nicht mit nachhaltigem Erfolg, weil der individuale Anreiz fehlt. In landwirtschaftlichen Siedlungs- oder Bewässerungsprojekten, die mit bäuerlichen Gruppen durchgeführt wurden, wurde versucht, das Problem durch individuelle Parzellenzuteilung (Perimetres) zu lösen. In Ostafrika findet sich häufig "group farming" im oben erläuterten Sinne, meist nach dem Muster der ProduktionsfÖrderungsgenossenschaft. Zu dieser Konzeption fanden auch einige staatliche Entwicklungsprogramme zurück, die zuvor als produktivgenossenschaftliche Konzeptionen beabsichtigt waren (z.B. in Sambia und Uganda). Auch hier sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Typen infolge der Besonderheiten des afrikanischen Bodenrechts häufig nicht erkennbar. Eine bewußte Bezugnahme auf vorkoloniale kooperative Arbeitsformen erfolgte durch das Ujamaa-Konzept von Staatspräsident J. Nyerere (1969) in Sabia. Es handelte sich hier um eine kooperative Entwicklungs-Ideologie als

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Die Stellung

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Genossenschaften

Ausprägungsform des "afrikanischen Sozialismus". Ihr Instrument war das Ujamaa-Dorf. Alle Dorfbewohner waren Mitglied des Kooperativs, das ein dreistufiges Entwicklungsprogramm absolvieren sollte. Auf der dritten Stufe wurde dann eine rein produktivgenossenschaftliche Struktur erreicht. Die Ujamaa-Bewegung scheiterte jedoch ebenfalls an einem Mangel an individueller Motivation. Vermutlich lagen doch die unterstellten Sozialstrukturen nicht überall vor. Die mangelnde ökonomische Effizienz führte zu immer stärkeren behördlichen Interventionen, die ihrerseits eine zentral verwaltungswirtschaftliche Erstarrung verursachten. Obwohl 1976 mehr als 5.000 Ujamaa-Kooperative bestanden, mußte das Konzept Anfang der 80er Jahre zugunsten anderer entwicklungspolitischer Ansätze aufgegeben werden. Ein weiterer Sonderfall der Anwendung produktivgenossenschaftlicher Strukturen im Sinne des positivistischen Ansatzes ergab sich in Algerien im Zusammenhang mit dem algerisch-französischen Krieg. Die dort von früheren französischen Siedlern verlassenen Großgüter ("Biens Vacants") wurden in den frühen 60er Jahren unter der Bezeichnung "Entreprises Autogerees" in Produktivgenossenschaften überführt. Durch Regierungsverordnungen wurden 1963 drei Organe eingerichtet: Die Asemblée Générale de Travailleurs (Generalversammlung der Arbeiter), der Conseil des Travailleurs (Rat der Arbeiter), das Comitée de Gestion (Geschäftsführungsausschuß) sowie der Directeur als Geschäftsführer. Dieser war dem Präsidenten des Komitees gegenüber verantwortlich, wurde aber durch ein von der Einheitspartei und Gewerkschaften kontrolliertes Gremium nominiert. Der Staat behielt das Eigentum am Boden, jedoch hatten die Mitglieder die vollen Nutzungsrechte. Dieselbe Organisationsform wurde auch für verlassene Industriebetriebe eingeführt. In den letzteren war sie wenig erfolgreich, während sie in der Landwirtschaft zunächst zur Bewältigung der Ernährungskrise beitrug. Später allerdings zeigten sich auch hier organisatorische und funktionale Mängel, die zu einer steigenden staatlichen politischen Intervention führten, die ihrerseits zur Ineffizienz der Betriebe beitrug. D. Strukturelle und funktionale Defizite der Produktivgenossenschaft Trotz der vorstehend berichteten Beispielfälle in den verschiedenen Kontinenten der Dritten Welt blieb das Modell der Produktivgenossenschaft nur in relativ wenigen Fällen erfolgreich. Ähnlich wie im Verlauf der europäischen Entwicklung ergaben sich Schwierigkeiten, die auf folgende Gründe zurückzuführen sind: 1. Zwischen dem egalitären Selbstverständnis der Mitgliedergruppe in der PG und dem in der Regel hierarchischen Aufbau des arbeitsteiligen Produktionsbetriebes ergibt sich ein konzeptioneller Widerspruch, der sich im

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Prozeßablauf störend bemerkbar macht. Der in den theoretischen Konzepten dominierende Gedanke der Demokratisierung des Betriebsprozesses stößt aus ökonomischen und sozialpsychologischen Gründen an praktische Grenzen. Das egalitäre Selbstverständnis der Mitgliedergruppe verleitet zu einer Nivellierung der individuellen Arbeitsmotivation auf dem relativ niedrigsten Niveau. Bei homogener Mitgliedergruppe macht die Verteilung der Leitungs- und Ausführungsaufgaben Schwierigkeiten, die auf die Dauer zu Teilgruppen mit divergierenden Rechten und Machtmitteln und letztlich mit unterschiedlichen Interessen führen. Wenn sich aus diesem Grunde die Mitgliedergruppe spaltet, ergeben sich Konflikte bei der Verteilung von Gewinnen und Verlusten, die durch in der Regel gewährte Prämiensysteme für Führungs- und Fachkräfte verschärft werden. Dieses Problem kann durch Anwerbung qualifizierter Führungskräfte und/oder fachlicher Spezialisten von außen gemindert werden, doch beeinträchtigt dies wiederum das Prinzip der Selbstverwaltung und der Selbstorganschaft. Bei hoher Gruppenkohäsion ergibt sich aus sozialpsychologischen Gründen und im Hinblick auf die Ertrags- und Beschäftigungsziele der Gruppe eine Tendenz zur Abschließung nach außen. Die dadurch bewirkte Festschreibung des Mitglieder/Mitarbeiterbestandes beeinträchtigt die konjunkturelle Anpassungsfähigkeit bei veränderten Marktsituationen und Beschäftigungslagen, da Neuaufnahmen oder Ausschlüsse von Mitgliedern nicht in Betracht kommen. Der so bedingte Mangel an konjunktureller Flexibilität führt zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber andersstrukturierten Unternehmungen.

8. Die bei den relevanten Mitgliedergruppen in der Regel wirtschaftlich schwachen Mitglieder können nur verhältnismäßig kleine Kapitalanteile aufbringen, wobei infolge des Prinzips "ein Mann - eine Stimme" der Anreiz für eine unterschiedliche Kapitalbeteiligung entfällt. 9. Daraus ergibt sich eine strukturell bedingte permanente Kapitalschwäche, die bei mangelnden Sicherheitsleistungen die Kreditfähigkeit der Genossenschaft beschränkt. 10.Als Folge wird oft die Annahme staatlicher Finanzierungshilfen notwendig, die dann aber leicht die Tendenz zu staatlicher Intervention und daran anschließend - gegebenenfalls zur Einbeziehung in eine staatliche Wirtschaftsverwaltung zur Folge hat.

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E. Entwicklungsperspektiven Angesichts der vorstehend charakterisierten Entwicklungshemmnisse, die sowohl durch empirische Studien als auch durch die kooperationstheoretische Literatur bestätigt werden, stellt sich die Frage, ob die Initiativen zur Bildung produktivgenossenschaftlicher Selbstverwaltungsbetriebe in Entwicklungsländer nur als beschäftigungspolitisch bedingtes Strohfeuer einzuschätzen sind, oder ob sie eine echte Zukunftsperspektive haben. Zur Beantwortung dieser Fragen müssen die vorstehenden zehn Hemmnisse noch einmal aus situativer Sicht überprüft werden. Dabei mag sich folgendes ergeben: Zu 1. Der ohne Zweifel bestehende konzeptionelle Widerspruch zwischen dem egalitären Selbstverständnis der Mitgliedergruppe und dem prinzipiell hierarchischen Aufbau eines arbeitsteiligen Produktionsbetriebes kann je nach Art der Produktion, der Größe des Betriebes und der Anzahl der Instanzebenen im Betrieb gemildert werden. Dabei ist daran zu denken, daß in einigen High-Tech-Bereichen fast wieder handwerkliche Arbeitsstrukturen auftreten. Zu 2. Der Nivellierung der Arbeitsmotivation auf dem Niveau des schwächsten Mitglieds kann dadurch entgegengewirkt werden, daß eine Arbeitsbewertung durchgeführt wird und die Ergebnisverteilung leistungsorientiert erfolgt. Sofern dieses Prinzip von allen Beteiligten anerkannt wird auch im Hinblick auf Fach- und Führungskräfte - können Konflikte und Demotivation erheblich vermindert werden. Zu 3., 4. und 5. Aufgrund des gegenwärtig hohen Bestandes an Arbeitslosigkeit ist es durchaus denkbar, daß sich in gegebenen Mitgliedergruppen zumindest vorübergehend auch für Fach- und Führungsposition geeignete Mitglieder finden, so daß die Anwerbung von Outsidern mit den daran geknüpften Störeffekten entfällt. Aufjeden Fall muß aber die Wettbewerbsfähigkeit des Betriebes bei der Besetzung dieser Positionen sorgfaltig im Auge behalten werden. Zu 6. und 7. Mit einer Abschließungstendenz ist gerade bei erfolgreichen Initiativen weitgehend zu rechnen, sa daß die Gefahren mangelnder Flexibilität bei konjunkturellen Schwankungen bestehen bleiben. Das kann sich jedoch bei relativ kleinen Gruppen in Grenzen halten, wenn sie in Prosperitätsphasen auf Wachstumschancen verzichten, also mit einem Satisfaktionsniveau ihres Einkommens zufrieden sind und wenn andererseits der Gegenstand des Unternehmens keinem allzu kurzen Produktzyklus unterliegt. Zu 8., 9. und 10. Die Frage der Eigenkapitalaufbringung und der Abdeckung der Finanzierungserfordernisse bei ausreichender Kreditfähigkeit bleibt in der Regel problematisch. An diesem Punkt werden viele Projekte mangels ausreichender Sicherheit scheitern, es sei denn, daß sie durch besondere Förderkreise gestützt werden.

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Fußnoten: (1) Eine ausführliche Behandlung der Produktivgenossenschaften findet sich bei Dülfer, E., Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, Göttingen 1984, S. 98 ff.; ders. Produktivgenossenschaft, in: Mändle, E.AVinter, H. W. (Hrsg.), Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, Stuttgart 1980, SB. 1356-1371; ders. Arbeiterproduktivgenossenschaften, in: Gaugier, E., Handwörterbuch des Personalwesens, Stuttgart 1975, SB. 63-70. (2) Vgl. Villegas, V. R., Die Funktionsfähigkeit von Produktivgenossenschaften, Tübingen 1975. (3) Vgl. Dülfer, E., Betriebswirtschaftslehre der Kooperative, a.a.O., S. 100 ff.

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4.8.

4. Kapitel:

Die Stellung

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Genossenschaften

Ansätze zur Entwicklung n e u e r G e n o s s e n s c h a f t s f o r m e n i n Westeuropa Marlene Kück

A. E i n l e i t u n g In den 70er und 80er Jahren etablierte sich in der Bundesrepublik und in Berlin-West allmählich durch die Gründung von selbstverwalteten Betrieben ein neuer kooperativer/genossenschaftlicher Wirtschaftssektor. Dieser Sektor, der mittlerweile über 4.000 bis 6.000 Einheiten verfügt, ist durch zwei markante Merkmale gekennzeichnet: Einmal arbeiten hier Unternehmen, die, beeinflußt durch "neue Werte", versuchen, unterschiedliche Formen der demokratischen Selbstverwaltung bis hin zur strikten Basispartizipation zu praktizieren. Zum anderen übernehmen die hier angesiedelten Betriebe eine Beschäftigungsfunktion, d.h., sie sollen für die beteiligten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung stellen und einen Beitrag zur Lösung individueller Arbeitsmarktprobleme leisten. Der kooperative/genossenschaftliche Sektor hat in den letzten Jahren von unterschiedlicher Seite Anerkennung und Unterstützung erfahren. Vor allem staatliche Instanzen haben die wahrgenommene Beschäftigungsfunktion der selbstverwalteten Betriebe gewürdigt und zur Unterstützung des kooperativen Sektors abgestimmte WirtschaftsfÖrderungsprogramme aufgelegt. Spezielle öffentliche Hilfen für den kooperativen Sektor existieren derzeit in den Bundesländern Berlin, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Saarland^) Neben der Bedeutung des kooperativen Sektors als Arbeitsplatzanbieter rücken gegenwärtig die in diesem Bereich experimentierten neuen Formen der betrieblichen Selbstverwaltung und Partizipation in den Vordergrund des Interesses. Verschiedene Autoren sehen hierin Ansätze für Modelle, die in Zukunft eine gewisse Relevanz erhalten könnten. Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei die Einschätzung, daß gegenwärtige und zukünftige technologische Entwicklungen eine partizipative Ausgestaltung betrieblicher Organisations- und Managementmodelle begünstigen bzw. sogar fordern. In diesem Sinne äußert sich Otten. Er stellt fest, daß "die Chancen von selbstverwalteten Betriebskollektiven objektiv und subjektiv steigen. Die neue Arbeitsteilung der dritten industriellen Revolution verlangt Kooperation und demokratische Abstimmung, nicht aber Autokratie und Hierarchie. Die Dezentralisierung verlangt eine vertikale Form der Kooperation und Kommunikation und keine zentrale, d.h. die hierarchische Vernetzung. Das Management in kleinen, von gleichartigen, aber hochqualifizierten Informationshandwerkern, Ingenieuren oder Managern betriebenen Unternehmen verlangt eine sozialintegrative, auf Zustimmung und nicht Gefolgschaft abgestimmte Führung. All das sind Elemente, die in keiner Betriebsverfassung besser

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realisiert werden können, als im selbstverwalteten Betrieb" (Otten 1987:27).(2) Die von den Autoren vermutete zukunftsbezogene Bedeutung partizipativer Betriebskonzepte rechtfertigt nun eine Auseinandersetzung mit selbstverwalteten Betrieben. Dies soll im folgenden geschehen, indem eine einzelwirtschaftliche Analyse der Unternehmen, die die Stärken und Schwächen offenlegt, vorgenommen wird. Vorgeschaltet sind diesen Überlegungen einige Anmerkungen zu qualitativen (= Begriff) und quantitativen (= Größe) Aspekten des kooperativen Sektors. Ergänzt werden schließlich die Ausführungen durch eine Darstellung neuer produktivgenossenschaftlicher Aktivitäten im europäischen Ausland und einer Bewertung der Zukunftschancen selbstverwalteter Betriebe. B. Qualitative und quantitative Aspekte des kooperativen Sektors 1. Qualitative Aspekte Der kooperative Wirtschaftssektor wird in der Literatur ganz unterschiedlich ab- und eingegrenzt. So ordnen einige Autoren den gesamten Bereich "alternativer Wirtschaftsformen" darunter (Kruse 1987:19). Andere identifizieren den kooperativen Sektor als Sektor "örtlicher Beschäftigungsinitiativen" (Bierbaum 1987). Eine dritte Position subsumiert schließlich unter dem kooperativen Sektor alle Projekte und Betriebe, die in klassischer Abgrenzung dem Selbsthilfe- und Selbstverwaltungs-, Genossenschafts- und Gemein wirtschaftsbereich zugerechnet werden können (u.a. Gessner 1987: 119 f.; Novy 1986: 79; Grottian 1985: 654 f.; Schwendter 1986: 259 f.). Die Begriffsvielfalt wird noch deutlicher, wenn auf der einzelwirtschaftlichen Ebene verschiedene kooperative Betriebstypen benannt werden. Hingewiesen wird u.a. auf sog. Modellbetriebe (Flieger 1987:27), Beteiligungsbetriebe (Lezius/Matz 1987: 102 f.), Belegschaftsbetriebe, Neugenossenschaften, Arbeitslosenselbsthilfegruppen, alternativ-ökonomische Projekte (Bierbaum 1987:13; Maier 1985:167; Grottian 1985:654 f.) und auf die erwähnten selbstverwalteten Betriebe. Dieses Konglomerat von Begriffen und Typen deutet an, wie schwierig die defmitorische Fassung des kooperativen Wirtschaftssektors bzw. des "selbstverwalteten Betriebes" ist. Trotz dieser Probleme ist aber zunächst unzweifelhaft, daß der kooperative Sektor marktorientiert ist, d.h., die hier arbeitenden Betriebe setzen ihre Produkte und Dienstleistungen über den relevanten Teilmarkt ab und refinanzieren ihren Betriebsprozeß über die Erzielung von Verkaufserlösen. In diesem Zusammenhang ist es daher völlig abwegig, den kooperativen Sektor als eine Art "Quasi-Freizeitkultur" (Gretschmann 1986:64) zu begrei-

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fen, in der "gleichsam hinter dem Rücken von Staat und Markt" Leistungen erbracht werden und in dem das Geld als Tauschmedium hinter dem Realtausch oder der symbolischen Gratifikation zurücktritt (Gretschmann 1983:16). Zutreffender ist dagegen die Feststellung, daß es bei selbstverwalteten Betrieben "nicht (...) ausschließlich um die Nutzen des wirtschaftlichen Outcome (...) geht, sondern gleichermaßen um die Nutzen, die sich aus dem Vollzug der selbstbestimmten Tätigkeit ergeben" (Gretschmann 1986: 64). Den immateriellen Bedürfniskomponenten wird also neben den materiellen Komponenten eine angemessene Bedeutung zugestanden. Allerdings darf dies nicht so interpretiert werden, daß die Betriebe immaterielle Komponenten grundsätzlich höher bewerten als materielle (Nutzinger/Teichert 1986: 209; Gretschmann 1986:65 f.). Diese Rangzuweisung paßt zum ganz überwiegenden Teil nicht in das Zielsystem der Betriebe; sie verträgt sich insbesondere nicht mit der zum Teil vehement vorgetragenen Forderung nach ausreichender Einkommens- und Gewinnerzielung durch kooperative Betriebe. Die im kooperativen Sektor unter dem Stichwort "Selbstausbeutung"(3) geführte Debatte kann an dieser Stelle als unzweideutiger Beweis herangezogen werden. Neben diesen eher generellen Anmerkungen sind weitere einzelwirtschaftliche Spezifika charakterisierend für das Selbstverwaltungsunternehmen. An erster Stelle ist dabei selbstverständlich auf das Identitätsprinzip hinzuweisen, d.h., die Mitarbeiter kooperativer Betriebe nehmen eine Doppelfunktion wahr: Jeder Betriebsangehörige ist zugleich Eigentümer (Arbeitgeber) und Arbeitnehmer. Diese Doppelrolle - die für demokratische Betriebe bezeichnend ist - hat in jüngster Vergangenheit in der Literatur eine Diskussion über den rechtlichen Status von in Selbstverwaltungsunternehmen Arbeitenden ausgelöst. Verkürzt ging es bei der hier nicht zu vertiefenden Debatte um die Frage, ob die Mitarbeiter der Unternehmen aus arbeits- und sozialversicherungsrechtlicher Sicht als "Arbeitnehmer" oder "Arbeitgeber" einzustufen sind (Höland 1986: 236 f.; Höland/Daviter/Gessner 1987). Ebenso wie das Identitätsgebot ist die Basispartizipation eine zentrale Säule selbstverwalteter Arbeit. Sie garantiert das vielfach auch als Demokratieprinzip bezeichnete Recht der Mitarbeiter zur gleichberechtigten Teilnahme am betrieblichen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozeß. Die Basispartizipation schafft die Voraussetzungen zur Erwirkung immaterieller Nutzenvorteile infolge demokratischer Betriebsstrukturen (s. weiter oben). In diesem Sinne ist sie die entscheidende Komponente des Zielsystems der Unternehmen. Basispartizipation und Identitätsprinzip werden üblicherweise ergänzt durch die Forderung nach "schrittweiser Kapitalneutralisierung". Ausgangspunkt für diese Forderung ist die Überlegung, daß jedes Selbstverwaltungs-

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system die Aufhebung des Privateigentums an dem Produktivkapital verlangt und daher zu gewährleisten ist, daß durch vertragliche Vereinbarungen das Verfügungsrecht über das Kapital neutralisiert wird.(4) Unter schrittweiser Kapitalneutralisierung wird hier im einzelnen verstanden, daß erstens die Gewinne der Unternehmen nicht an die Anteilseigner (= die Mitarbeiter der Betriebe) ausgeschüttet werden, sondern in den Betrieben verbleiben und dort als neutralisierte Titel, die kein kollektives oder individuelles Eigentumsrecht verleihen, von der Belegschaft treuhänderisch und verantwortlich für Zwecke der Produktion eingesetzt werden (=1. Neutralisierungsstufe). Zweitens wird unter der schrittweisen Kapitalneutralisierung verstanden, daß im Laufe der Zeit über die Ansammlung von Reserven die anfänglich privat gehaltenen Eigentumstitel der Mitarbeiter durch die neutralisierten Titel (angelaufene Gewinne) völlig zurückgedrängt werden (= 2. Neutralisierungsstufe).(5) Drei weitere für den Selbstverwaltungsbetrieb bezeichnende Merkmale sind erstens das Wirtschaften nach dem Kostendeckungsprinzip, d.h., die Betriebe erstreben keine Gewinne zur Maximierung des individuellen Einkommens der Mitarbeiter(innen)(6), zweitens das Bemühen, die geschlechtsspezifische und rollenbezogene Arbeitsteilung aufzuheben. Frauen sollen in den Betrieben die Möglichkeiten erhalten, aus der Enge typischer Frauentätigkeit auszubrechen; sie sollen gleichberechtigt an allen betrieblichen Funktionen partizipieren (7) und drittens wollen die Unternehmen nach ökologischen Kriterien produzieren, womit gemeint ist, daß bei der Herstellung negative externe Effekte (Umweltverschmutzung etc.) vermieden werden sollen.(8) Von Bedeutung ist schließlich, daß selbstverwaltete Betriebe im allgemeinen über eine geringe Betriebsgröße verfügen; sie gehören zum Sektor der "Kleinsteinheiten". Das Merkmal "klein" hat für die Unternehmen mehrere Vorzüge: Einmal trägt es zur Einhaltung des sog. "Dezentralitätsprinzips", mit dem die Transparenz betrieblicher Prozesse und die Selbstverwaltungsfähigkeit der Unternehmen gesichert werden soll (Bergmann/Schröter 1984: 10; Schwendter 1987:92-93), bei. Zum anderen hat sich gezeigt, daß der selbstverwaltete Betriebstyp "nur dann eine realistische und lebensfähige Alternative zu den übrigen Unternehmungen dar( stellt), wenn es sich um Kleinsteinheiten handelt" (Hahn 1987: 64, ebenso Eschenburg 1987: 97).

2. Quantitative Aspekte Wendet man sich der Größe des Selbstverwaltungssektors bzw. der Zahl der selbstverwalteten Betriebe zu, so ist zunächst festzustellen, daß es keine gesicherten Daten über das Ausmaß kooperativer Arbeit gibt. Dies liegt zum einen daran, daß in der amtlichen Statistik selbstverwaltete Betriebe - was nahe liegt - nicht gesondert ausgewiesen werden. Zum anderen wurden bisher

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Genossenschaften

keine repräsentativen - auf das gesamte Bundesgebiet und Berlin-West bezogenen - Untersuchungen zur Größe des kooperativen Wirtschaftssektors vorgelegt. Was allerdings verfügbar ist, sind mehrere Regionalstudien (für Berlin, Bremen, Hamburg, Freiburg, Hannover, Nürnberg, Nordrhein-Westfalen). Diese Studien enthalten zum Teil auch auf regionalen Analysen beruhende Schätzdaten für das gesamte Bundesgebiet. Fast übereinstimmend kommen die Studien zu dem Resultat, daß in Städten, vor allem aber in Großstädten (Tab. 1), eine stärkere Konzentration von selbstverwalteten Betrieben auszumachen ist als in ländlichen Regionen. Diese Verteilung ist nicht weiter verwunderlich - Großstädte verfügen augenscheinlich über die günstigsten Rahmenbedingungen für selbstverwaltete Betriebe. Dies gilt einmal für das politische Umfeld. So sind in den Städten schwerpunktmäßig die "neuen sozialen Bewegungen" (Friedens-, Ökologie-, Frauen-, Alternativbewegung etc.) und damit gewissermaßen die "Keimzellen" für partizipatorische Betriebsgründungen und -experimente beheimatet. Ebenso lassen sich in (Groß)-Städten für die zum Teil ausgefallenen Produktund Dienstleistungsideen von selbstverwalteten Betrieben (Teil)-Märkte eher öffnen und damit positive ökonomische Grundvoraussetzungen schaffen. Neben der allgemeinen Konzentration auf Ballungsräume zeigt sich, daß zwei Regionen - Berlin-West und Hessen (Rhein-Main-Gebiet) - über eine Spitzenstellung verfügen und eine überproportionale Betriebsdichte im Verhältnis zur Gesamtzahl der Betriebsstätten ausweisen. Als Erklärung ist auch hier auf die Rolle der "neuen sozialen Bewegungen" und ihrer starken Präsenz in beiden Regionen hinzuweisen. Hinzu kommt allerdings, daß Berlin als auch - ein wenig zeitlich versetzt - das Rhein-Main-Gebiet als Geburtsorte des (neuen) kooperativen Wirtschaftssektors aufgefaßt werden können. Hier entstanden (während bzw. im Anschluß an die Studentenbewegung) die ersten selbstverwalteten Betriebe (9), hier wurden frühzeitig betriebliche Reformkonzepte diskutiert (vgl. Bartning 1980:25; Wend 1980: 16 f.; ASH Frankfurt 1980: 11 f.). Die bevorzugten Wirtschaftsbranchen, in denen sich die Unternehmen ansiedeln, sind der Dienstleistungs-, Handels- und Handwerksbereich (siehe Tab. 2). Die Dominanz dieser Bereiche ergibt sich vermutlich aus zweierlei: Einmal lassen sich in diesem Bereich für die selbstverwalteten Betriebe und ihre Organisationsfähigkeit günstige Kleineinheiten schaffen, ohne daß damit eine Einschränkimg der Wettbewerbsfähigkeit verbunden ist. Zum anderen ist der Kapitalbedarf zur Einrichtung von Betrieben in diesen Branchen (im Verhältnis zu industriellen Branchen) relativ gering. Die günstige Folge: Das für viele selbstverwaltete Einheiten bestehende Finanzierungsproblem läßt sich lindern (=geringe Eigenkapitalquoten, fehlende Kreditwürdigkeit (vgl. C.3.). Insgesamt ist - das zeigen die Zahlen der Tabellen 1 und 2 - die volkswirtschaftliche Bedeutung des kooperativen Sektors (im Verhältnis zu der eben-

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